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Beiträge zur Stadtforschung, Stadtentwicklung und Stadtgestaltung
Band 13

J. Steinbach, W. Feilmayr

ANALYSEN DER WIENER


STADTSTRUKTUR
im Auftrag der Magistratsabteilung 18 —Stadtstrukturplanung

Wien, 1983

Magistrat der Stadt Wien


Geschäftsgruppe Stadtentwicklung und Stadterneuerung
Eigentgmer und Verleger: Magistrat der Stadt Wien. Herausgeber: Geschäftsgruppe Stadtentwicklung und Stadterneuerung.
Fgr den Inhalt verantwortlich: J. Steinbach, W. Feilmayr. Technische Koordination: Dr. M. Schopper, 1082 Wien, Neues Rat-
haus. — Wien 1983. — Alle Rechte vorbehalten.— Druck: Astoria, 1232 Wien.
INHALTSVERZEICHNIS

Seite
Verzeichnis der Tabellen. IV
Verzeichnis der Abbildungen V
Verzeichnis der Karten. . V
Vorwort VII
Vorbemerkung IX
Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse. XI
1. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
2. Die städtische Umwelt als Einflußfaktor des individuellen Verhaltens .......................... 3
2. 1 Einführung . 3
2.2 Analyse des „sozialen" Raumes. 3
2.2. 1 „Objektiver" sozialer Raum. 4
2.2.2 „Subjektiver" sozialer Raum. 7
2.3 Modell des sozialbestimmten räumlichen Verhaltens. 9
2.4 Prozesse des sozialen Wandels. 11
2.5 Soziodemographische Strukturen städtischer Wohnquartiere. ......... ................... 15
2.6 Soziale Indikatoren als Instrumente der Stadtplanung . 17
3. Sozialstruktur, Wohnungsverhältnisse und Wohnumnwel. 19
3.1 Einführung 19
3.2 Soziodemographische Gliederung des Wiener Stadtgebietes. ... . ........................ . 19
3.3 Sozialstruktur und Wohnungsverhältnisse 23
3.4 Räumliche Verbreitung der Zählgebietstypen. 24
3.5 Sozialstruktur und Wohnumwelt 24
3.5.1 Indikatorensystem zur Abbildung der Wohnumwelt. 24
3.5.2 Sozioökonomischer Status, Stellung im Lebenszyklus und Wohnumwelt ......... 26
3.5.3 Anpassung und „Bindungsgrad" der Bevölkerung an die Wohnumwelt ........ . ... 28
3.5.3.1 Kennzahlen der „realisierten" und „fundamentalen" ökologischen Nische. .. . .. 28
3.5.3.2 Ausprägung der Kennzahlen. 29
3.6 Prozesse des „sozialen Wandels" in den Wiener Wohngebieten .............. ......... . 33
4. Die Wiener Industrie nach ihrer räumlichen Verteilung und ihren
Verbreitung sbedingungen 38
4. 1 Einführung 38
4.2 Strukturmerkmale des „wirtschaftlichen Raumes" von industriestandorten. .... 38
4.3 Indikatorensystem zur Abbildung des „wirtschaftlichen Raumes" .................... . 39
4.4 Die Verbreitung der Industrie im Wiener Stadtgebiet und die räumliche
Ausprägung ihrer Standortfaktoren 42
4.5 Analyse der Ansprüche der Wiener Industrie an den wirtschaftlichen Raum
ihrer Betriebsstandorte 45
4.5. 1 Kennzahlen des „realisierten" und des „fundamentalen" wirtschaftlichen
Raumes der Industriebranchen . 45
4.5.2 Ausprägung der Kennzahlen für die Wiener lndustriebranchen. ................. ...... ... 46
4.6 Bewertung der Wiener Zählgebiete nach den Standortansprüchen
der Industriebranchen .. 49
5. Strukturanalyse der Wiener innerstädtischen Zentren 51
5. 1 Einführung. . . ............... 51
5.2 Entwicklungstendenzen innerstädtischer Zentren 51
5.3 „Verbreitungsmuster" von Zentrenbranchen 53
5.4 Größenstufung der Wiener Zentren 54
5.5 Ausstattungstypen . 56
5.6 Rangordnung der Zentren . 58
6. Die Wiener City als Bürostandort 63
6.1 Einführung . 63
6.2 Zur Standortwahl von Bürobetrieben .. 63
6.3 Die Verbreitung der Bürobranchen in der Wiener Innenstadt. ... 64
7. Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes 67
7. 1 Zur Problematik „synthetischer" Karten. 67
7.2 Der Ablauf des Syntheseprozesses 67
8. Stadtentwicklungspolitische Konsequenzen .. 70
Anhang: Mathematisch-statistische Methoden 73
1. Faktorenanalyse . 73
2. Clusteranalyse . 74
3. Ermittlung der Kennzahlen des „nischentheoretischen" Ansatzes. 75
Literatur. 77

VERZEICHNIS DER TABELLEN

Seite
Tabelle 1 Rangordnung komplementärer Rollen in einem Behavior Setting. ...... ...... ... ....... 4
Tabelle 2 Sozioökonomischer Status, Stellung im Lebenszyklus und Wohnumwelt. ... . .... 27
Tabelle 3 Kennzahlen der „realisierten" und „fundamentalen" ökologischen Nische
für soziale Gruppen nach dem sozioökonomischen Status
und der Stellung im Lebenszyklus. 31
Tabelle 4 Wohnbevölkerung (Inländer) der Zählgebietstypen nach der
soziodemographischen Struktur 1971 und 1980. 34
Tabelle 5 Wohnbevölkerung über 60 Jahre (Gesamtzahl bzw. Inländer) der
Zählgebietstypen nach der soziodemographischen Struktur 1971 und 1980.. ... 35
Tabelle 6 Ausprägung der Indikatoren des „wirtschaftlichen Raumes" für
Industriebranchen, geordnet nach „Branchenbündel". 43
Tabelle 7 Kennzahlen des „realisierten" und „fundamentalen" wirtschaftlichen
Raumes für die Industriebranchen. 50
Tabelle 8 Faktorenladungen der Branchengruppen in die Zentrenfaktoren. . ... 54
Tabelle 9 Größenstufen der Wiener innerstädtischen Zentren. . 55
Tabelle 10 Schwellenwerte der Verbreitung von Branchengruppen in den Zentrentypen. .. 57
Tabelle 11 Verteilung der Ausstattungstypen auf die Größenstufen der Zentren. ........... .... 59
Tabelle 12 Rangordnung der Wiener innerstädtischen Zentren. 60
Tabelle 13 Verbreitung von „Hauptnutzungsarten" in der Wiener Innenstadt .. ... ............. ... 64
Tabelle 14 Flächennutzungsarten in der Wiener Innenstadt mit unterschiedlichen
Veränderungstendenzen
Tabelle 15 Kartographisches Darstellungsschema für die Karte „Funktionelle Gliederung
des Wiener Stadtgebietes" 69
Tabelle 16 Ergebnisse des Modells zur Abschätzung des Umfanges der
Sanierungsmaßnahmen: Gesamtbilanz der Maßnahmen und
Veränderungen der Stadtstruktur
Tabelle 17 Ergebnisse des Modells zur Abschätzung des Umfanges der
Sanierungsmaßnahmen: Kosten

IV
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Seite
Abbildung 1 Tagesprogramme im Raum-Zeit-Kontinuum (nach T. HÄGERSTRAND) ... ... ... 5
Abbildung 2 Raum-Zeit-Prisma (nach T. HÄGERSTRAND). 6
Abbildung 3 Struktur des theoretischen Modells des sozialbestimmten räumlichen
Verhaltens. 12
Abbildung 4 Verlauf der beruflichen Karriere für männliche Berufstätige mit dem
Qualifikationsniveau: „Allgemeinbildende Höhere Schule" in Österreich. . ... . 13
Abbildung 5 Charakteristische Phasen im Lebenszyklus (nach C. M. STAPLETON). ... ... ... . 14
Abbildung 6 Der Verlauf des Sukzessionsprozesses (nach R. J. JOHNSTON) .. ... .. ... .... ... ... . 15
Abbildung 7 Altersaufbau der Wiener Bevölkerung und der Berufstätigen ....... ..... ... .... ... ... . 37
Abbildung 8 Verteilung der Industriebranchen nach den Kennzahlen des
„realisierten" und „fundamentalen" wirtschaftlichen Raumes. .... ... .. ... .... ... ... .
Abbildung 9 Ablaufschema der Faktorenanalyse (nach K. ÜBERLA). .

VERZEICHNIS DER KARTEN

nach Seite
Karte 1 Sozialstruktur, demographische Struktur und Wohnverhältnisse. .... . 22
Karte 2 Versorgung mit Grünflächen 26
Karte 3 Zu- und Abnahme der Wohnbevölkerung 1971 1980. — 34
Karte 4 Beschäftigte in Bürobetrieben im „fußläufigen" Einzugsbereich. ..... 40
Karte 5 Erreichbarkeit im Eisenbahngüterverkehr. 40
Karte 6 Erreichbarkeit im Straßengüterfernverkehr. 40
Karte 7 Industrie und Gewerbe 44
Karte 8 Standortbedingungen für „zentrumsorientierte" Industriezweige ..... 50
Karte 9 Standortbedingungen für „stadtrandorientierte" Industriezweige. ... . 50
Karte 10 Funktionelle Gliederung der Wiener Innenstadt. 64
Karte 11 Flächennutzung im bebauten Gebiet 66
Karte 12 Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes. 68
Karte 13 Baulicher Erneuerungsbedarf in Wien 70
VORWORT

Im Zuge der Ausarbeitung des Stadtentwicklungsplanes für Wien erschien es auch notwendig,
neue Wege bei der empirischen Erfassung der wesentlichen Elemente der Wiener Siedlungs-
struktur zu beschreiten. Mit der Ausarbeitung der „Analysen zur Wiener Stadtstruktur" durch
Herrn Univ. -Prof. Dr. J. Steinbach sollte nicht nur eine gezielte Zusammenarbeit zwischen
Wissenschaft und Praxis beispielhaft durchgeführt werden, sondern auch der Versuch unter-
nommen werden, vorhandenes Grundlagenmaterial für die Stadtplanung besser nutzbar zu
machen.
Unter diesen Voraussetzungen entstand durch die Zusammenschau der wichtigsten Teilberei-
che der Siedlungsstruktur eine Analyse und Darstellung der „Funktionellen Gliederung des
Wiener Stadtgebietes" als Grundlage für eine abgesicherte Betrachtung der künftigen Sied-
lungsentwicklung. Damit werden auch die wichtigsten Daseinsgrundfunktionen wie Wohnen,
Arbeiten, Erholen, Verkehr u. a. in eingehender analytischer Auseinandersetzung in ihrer räumli-
chen Dimension bewertet und derart zusammengefaßt, daß diese für die weiteren stadtentwick-
lungspolitischen Überlegungen als wichtiger Ausgangspunkt dienen können.
Für die von meinem Amtsvorgänger, Herrn Univ. -Prof. Dipl. -lng. Dr. Rudolf Wurzer, angeregte
wissenschaftliche Bearbeitung dieses Foschungsvorhabens möchte ich den Verfassern herzlich
danken. Mit der Dokumentation dieser Arbeit soll auch die kontinuierliche Grundlagenarbeit im
Rahmen der Stadtforschung entsprechend gewürdigt werden, durch die der Stadtplanung wichti-
ge neue Impulse gegeben werden.
Schließlich möchte ich auch Herrn Dr. M. Schopper für die fachliche Betreuung dieser im Auftrag
der Magistratsabteilung —
18 Stadtstrukturplanung durchgeführten Arbeit danken; er hat sehr
wesentlich zu einer anwendungsbezogenen Ausrichtung dieser Forschungsarbeit beigetragen.

In Fritz Hofmann
Amtsfü render Stadtrat für
Stadtentwick ung und Stadterneuerung
VORBEMERKUNG

Im Jahre 1977 wurde —


J. STEINBACH vom Magistrat der Stadt Wien Geschäftsgruppe Stadt-
planung mit der Aufgabe betraut, eine Karte der „Funktionellen Gliederung des Wiener Stadt-
gebietes" zu entwerfen. Hier sollten wesentliche Elemente der Wiener Siedlungsstruktur
gemeinsam zur Darstellung kommen. Bei der Erstellung dieser Karte konnte auf einige bereits
vorliegende Analysen von bestimmten Teilbereichen der Siedlungsstruktur zurückgegriffen
werden, es waren aber auch umfangreiche zusätzliche Untersuchungen erforderlich.
Zum bereits vorliegenden Grundlagenmaterial für die Karte zählten insbesondere:
~ eine Flächennutzungserhebung der Wiener Innenstadt von der FORSCHUNGSGEMEIN-
SCHAFT WIENER SOZIALGEOGRAPHEN, deren Datenbestände von J. STEINBACH und
W. GRAFENDORFER verschiedenen zusätzlichen Auswertungen unterzogen wurden;
~ eine Strukturanalyse der Wiener innerstädtischen Zentren, die von J. STEINBACH als eigen-
ständiger Beitrag im Rahmen des Forschungsprojektes „Ermittlung der wohnstandörtlichen
und einwohnerspezifischen Versorgungsqualität" (Projektleiter: D. BÖKEMANN) erarbeitet
wurde.
Eigens für diese Karte entstanden umfangreiche Analysen der Wiener Bevölkerungs- und Wirt-
schaftsdaten, besonders zur Erfassung der sozialen und demographischen Strukturen der Bevöl-
kerung, der Beziehungen zwischen Sozialstruktur und Wohnverhältnissen sowie der industriell-
gewerblichen Branchenstruktur.
Nach Fertigstellung der Karte der „Funktionellen Gliederung" bekundete die Wiener Stadt-
planung ihr Interesse an einer Publikation, in deren Rahmen auch die Ergebnisse der ver-
schiedenen Einzeluntersuchungen ausführlich behandelt werden sollten. Für diesen Zweck wur-
den die verschiedenen „sektoralen" Analysen erweitert und ergänzt, etwa durch die Erfassung
der Umweltverhältnisse in den Wiener Wohnquartieren, des „Bindungsgrades" der Bevölkerung
an verschiedene Wohnmilieus, der Verbreitungsbedingungen von Industriebranchen sowie der
Bewertung von Industriestandorten.
Ein von J. STEINBACH verfaßtes Kapitel gibt Aufschluß über die theoretischen Basiskonzepte,
die den empirischen Untersuchungen zugrunde liegen. Schließlich wurden in die Diskussion der
stadtentwicklungspolitischen Konsequenzen der Forschungsergebnisse auch Aussagen eines
von W. FEILMAYR, K. MITTRINGER und J. STEINBACH entwickelten Modells zur Abschätzung
des Umfanges von Sanierungsmaßnahmen im dicht bebauten Wiener Stadtgebiet mit einbe-
zogen.
Der besondere Dank der Autoren gilt Herrn Stadtrat o. Univ. -Prof. DDr. R. WURZER als Leiter
der Geschäftsgruppe Stadtplanung für die Unterstützung des Forschungsprojektes sowie
Herrn Dr. M. SCHOPPER, der die Arbeit von seiten der Magistratsabteilung —
18 Stadtstruktur-
planung für die Stadt Wien betreut hat.

J. Steinbach
Wien, im September 1983 W. Feilmayr
ZUSAMMENFASSUNG DER EMPIRISCHEN ERGEBNISSE

Die „Analysen der Wiener Stadtstruktur" sind auf die wesentlichen stadtentwicklungspoliti-
schen Problemlagen der Bundeshauptstadt bezogen.
Die zweifellos schwerwiegendsten Probleme ergeben sich infolge der „Disparitäten in den
Lebensbedingungen der Bevölkerung".
1. Zuihrer Erfassung werden die Wiener Wohnstandorte (Zählgebiete) zunächst nach der Bevöl ~

kerungsstruktur charakterisiert. Durch die Kombination von sozialen Merkmalen (abgeschlos-


sene Schulbildung) mit demographischen Merkmalen (Altersstruktur, Haushaltsgrößen und
Geschlechtsproportion) der Bevölkerung ergeben sich 10 charakteristische Strukturtypen der
Wiener Wohnstandorte (siehe Seite 22). Die Verteilung dieser Typen (siehe Karte 1) zeigt
deutlich, daß in Wien eine beträchtliche räumliche Trennung (Segregation) verschiedener
Bevölkerungsgruppen besteht. Es sind zwei einander überlagernde Segregationsprozesse
festzustellen:
~ die Segregation sozialer Gruppen mit unterschiedlicher Ausbildungs-, Berufs- und Einkom-
mensstruktur sowie
~ die altersmäßige Segregation, die zur Konzentration von älteren, oft alleinstehenden Ein-
wohnern in bestimmten Teilen des dichtbebauten Stadtgebietes führt.
Ein theoretischer Ansatz zur Erklärung der Ursachen dieser Segregationsprozesse ist im Ab-
schnitt 2 der vorliegenden Arbeit enthalten.
2. Für die durch diese Segregationsprozesse räumlich getrennten Gruppen der Bevölkerung
bestehen beträchtliche Unterschiede bezüglich der Größe und Ausstattung der Wohnungen
(siehe Karte 1):
~ So sind die überalterten Wohnquartiere zumeist durch eine „schlechte bis unterdurch-
schnittliche" Ausstattung der Wohnungen mit Naßanlagen gekennzeichnet. Dies gilt für
die Unterschicht-Wohnquartiere, aber auch noch für die Wohngebiete mit ausgeglichener
Sozialstruktur; erst beim überdurchschnittlichen Auftreten der Oberschicht, verringert sich
der Anteil der schlecht ausgestatteten Wohnungen bedeutend.
~ Wohngebiete mit „günstiger" demographischer Struktur (vorwiegend jüngere Einwohner,
kinderreiche Familien etc.) sind —unabhängig von ihrer Sozialstruktur —durch eine in der
Regel sehr gute Ausstattung der Wohnungen gekennzeichnet (Neubaugebiete am Stadt-
rand).
~ Während also die Wohnungsausstattung mit der Altersstruktur der Bevölkerung variiert,
steht die Wohnungsgröße mit der Sozialstruktur in Beziehung. Die durchschnittliche Wohn-
fläche je Einwohner beträgt in
— Unterschicht-Wohngebieten —
21 23 m'
— Wohngebieten mit durchschnittlicher Sozialstruktur 23, in entsprechenden Neubauge-
bieten bis 28 m'
—Wohngebieten mit bedeutenderen Anteilen der Oberschicht 30 bis 34 m'
— „reinen" Oberschicht-Gebieten 35 bis 49 m'.
Es zeigt sich also, daß der soziale Wohnbau zwar wesentlich zur Verringerung der Disparitäten
hinsichtlich der Wohnungsausstattung (mit Naßanlagen) beizutragen vermochte, daß die so-
zialen Disparitäten hinsichtlich des verfügbaren Wohnraumes aber zum Teil bestehen bleiben.
3. Zur Bewertung der Wohnumwelt werden wichtige Dienstleistungs- und Versorgungseinrich-
tungen innerhalb des „fußläufigen" Einzugsbereiches der Wohnstandorte (Zählgebiete)
erfaßt.
~ Vergleicht man die Ausstattung der Wohnumwelt mit Dienstleistungseinrichtungen (Ein-
zelhandelsbetriebe des täglichen Bedarfes, Dienstleistungen des Versorgungsbereiches
„Gesundheit-Körperpflege", Betriebsstätten des Gastgewerbes, Einrichtungen des „Geld-
wesens") über die Zählgebietstypen, so zeigen sich wieder deutliche Disparitäten zwischen
den Wohngebieten der sozialen Ober- und Unterschicht (siehe Tabelle 5):
— In den Wohnquartieren mit Dominanz oder bedeutenderen Anteilen der Oberschicht er-
gibt sich die günstigste Versorgungssituation. Dies gilt für die Oberschichtgebiete im
Stadtzentrum (mit zum Teil überalterter Bevölkerungsstruktur), es sind aber auch die
eher peripheren Oberschicht-Wohngebiete durch eine zumindest mittlere oft aber auch
überdurchschnittliche Versorgungslage gekennzeichnet.

Xi
—Die zentrumsnäheren Unterschicht-Wohnbereiche (mit zum Teil überalterter Bevölke-
rungsstruktur) sind mit Einzelhandelsgeschäften des täglichen Bedarfes mindestens im
durchschnittlichen Ausmaß ausgestattet, zum Teil ergeben sich jedoch Defizite bezüg-
lich der Versorgung mit den übrigen Dienstleistungseinrichtungen. Hingegen liegen die
Kennzahlen der Ausstattung der Wohnumwelt mit Dienstleistungseinrichtungen für die
peripheren Wohngebiete der Unterschicht mit Abweichungen zwischen (minus) 50 bis
100% wesentlich unter den entsprechenden Wiener Durchschnittswerten.
~ Die Ausstattung der Wohnumwelt mit öffentlichen Park- und Grünflächen sowie mit „son-
stigen Grünflächen mit Erholungswert" ist in Karte 2 dargestellt. Wie hier zu ersehen ist,
verbessert sich die Versorgungsqualität mit Grünflächen —
unabhängig von der Sozial-
struktur der Wohnquartiere —mit der Entfernung vom Stadtzentrum. Für die zentrumsna-
hen Wohngebiete (mit Ausnahme z. B. des Einzugsbereiches der Ringstraßenzone) ergeben
sich negative Abweichungen der entsprechenden lndikatoren im Ausmaß zwischen 30 und
90% der Stadtmittelwerte (siehe Tabelle 2).
Die hier skizzierten Disparitäten werden in einer („humanökologischen") Analyse der „Anpas-
sung" und des „Bindungsgrades" verschiedener Bevölkerungsgruppen an bestimmte
Umwelt-Milieus zusätzlich verdeutlicht (die entsprechenden Kennzahlen sind in Tabelle 3 ent-
halten). Es zeigt sich dabei, daß
~ die Wohnumweltverhältnisse zwischen allen betrachteten Bevölkerungsgruppen relativ be-
trächtlich differieren, insbesondere zwischen den Angehörigen der älteren und jüngeren
Generation und daß
~ die älteren und jüngeren sozialen Gruppen der Unterschicht mit beträchtlichem „Bindungs-
grad" auf jeweils spezifischen Wohnstandorten lokalisiert sind, deren Wohnumwelt beson-
dere, meist negative, Strukturmerkmale aufzuweisen hat.

4. Die dargestellten Disparitäten in den Lebensbedingungen zwischen den verschiedenen Wie-


ner Wohnquartieren bilden einen wesentlichen Einflußfaktor der einleitend dargestellten in-
nerstädtischen Segregationsprozesse, die —wie ein Vergleich der verfügbaren Datenquellen
zeigt — auch in den letzten 10 Jahren weiterhin andauern (siehe die Tabellen 4 und 5):
~ Infolge der „Randwanderung" der jüngeren Ober- und Unterschichtbevölkerung sind viele
Wohnquartiere des dichtbebauten Stadtgebietes vorwiegend von einer „Reliktbevölke-
rung" (alte, oft alleinstehende Personen, hoher Frauenanteii) besetzt. Die Bevölkerungsab-
nahmen — in den überalterten Wohngebieten zwischen 12 und 14% — ergeben sich sowohl
durch die Abwanderung als auch durch das „Aussterben" älterer Geburtenjahrgänge.
~ Gleichzeitig erhöht sich die räumliche Distanz zwischen den jüngeren Abwanderern der
Ober- und Unterschicht, deren neue Wohnsitze in entgegengesetzten Bereichen der städti-
schen Peripherie liegen.
5. Im Rahmen einer Diskussion der „stadtentwicklungspolitischen Konsequenzen" der Analyse-
ergebnisse wird davon ausgegangen, daß zur Beeinflussung der Segregationsprozesse und
zum Abbau der Disparitäten in den Lebensbedingungen der Bevölkerung vor allem Sanierungs-
maßnahmen im dichtverbauten Stadtgebiet mit überalteter Bausubstanz erforderlich sind. Ihr
Ausmaß wird aus den Ergebnissen eines Modells zur Abschätzung des Umfanges von Sanie.
rungsmaßnahmen (von W. FEILMAYR, K. MITTRINGER und J. STEINBACH, 1981) ersichtlich.
Nach diesem Modell ergibt sich (für das dichtverbaute Stadtgebiet, ohne Berücksichtigung
der denkmalgeschützten Gebäude, bezogen auf den Prognosezeitpunkt 1990) folgender
baulicher Erneuerungsbedarf (siehe Tabelle 16):
~ Abbruch von ca. 9% des gegenwärtigen Bestandes an Wohngebäuden (6.800 Gebäude)
~ Generalsanierung von ca. 20% des Gebäudebestandes (15.300 Gebäude)
~ Ersatz von ca. 113.000 Wohnungen, die durch Abbruch- oder Zusammenlegungsmaßnah-
men verloren gehen
~ Umwidmung von ca. 2.200 a der Abbruchsflächen von Gebäuden zu Parkanlagen und öffent-
lichen Grünflächen.
Schätzungen der Kosten dieser verschiedenen Maßnahmen (zu Preisen von 1978) ergeben
einen Betrag von über 80 Mrd. S (siehe Tabelle 17). Die räumliche Verbreitung der einzelnen
Maßnahmenkategorien ist in Karte 13 dargestellt.
Wirkungsanalysen wesentlicher Gesetze machen deutlich, daß dieses Instrumentarium nicht
ausreicht, um das dargestellte Ausmaß des baulichen Erneuerungsbedarfes zu bewältigen:

XII
~ Nach einer Wirkungsanalyse des Wohnungsverbesserungsgesetzes von T. HEINZE (1980)
werden die entsprechenden gesetzlichen Förderungsmittel relativ seltener von Angehöri-
gen der sozialen Unterschicht in Anspruch genommen, vorwiegend aufgrund des niederen
Haushaltseinkommens, des schlechten lnformationsniveaus und des fehlenden Zuganges
zu Kreditinstituten. Daher sind auch die Stadtgebiete mit dem größten baulichen Erneue-
rungsbedarf, die mehrheitlich von solchen Bevölkerungsgruppen bewohnt werden, nicht
entsprechend von den geförderten Wohnungsverbesserungen betroffen.
~ Nach den Bestimmungen des Stadterneuerungsgesetzes gilt die Ausstattung der Wohnun-
gen mit Naßanlagen als wesentliches Kriterium für die Festlegung von „städtebaulichen
Problemgebieten". Das Gesetz orientiert sich also an einer „Momentaufnahme" des bauli-
chen Zustandes, sodaß ein rechtzeitiges Eingreifen in die städtischen Verfallsprozesse und
eine Sanierung vor dem Entstehen schwerwiegender Schäden weitgehend nicht möglich
ist.
Nach einer Untersuchung von K. MITTRINGER(1981) gelten nach den gesetzlichen Kriterien
gegenwärtig ca. 12% der Wiener Zählgebiete als „Problemgebiete". Berücksichtigt man
zusätzlich den technologischen Alterungsprozeß sowie ökonomische Rentabilitätskrite-
rien, so erhöht sich dieser Problemgebietsanteil im Jahr 1990 auf ca. 20%, steigt im Jahr
2000 auf ca. 28% an und erreicht schließlich im Jahr 2010 den Wert von 32%.
Zum Abbau der dargestellten Disparitäten bezüglich der Lebensbedingungen der Bevölkerung
und zur Beeinflussung der sozialen Segregationsprozesse ist also eine Neuorientierung we.
sentlicher gesetzlicher Grundlagen der Stadtentwicklungspolitik erforderlich.

Ein weiteres Problemfeld der Wiener Stadtentwicklungspolitik bildet die Erhaltung und Vermeh.
rung der industriellen Arbeitsplätze. Die Kenntnis der innerstädtischen Verbreitungsbedingun.
gen der industriebranchen sowie der Eignung der verfügbaren Standorte für die industrieansied-
lung stellt eine wichtige Voraussetzung für die Erfüllung der Zielsetzungen dieser Politik dar.
1. Die innerstädtischen Standortbedingungen für die Industrie werden durch fünf Kennzahlen ge-
messen. Diese Kennzahlen beschreiben:
~ die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften auf den verschiedenen Standorten (Zähl-
gebieten) des Stadtbereiches
~ die Kaufkraft der Bevölkerung im Einzugsbereich der Betriebsstandorte
~ die Möglichkeiten zur Kontaktnahme mit komplementären Dienstleistungs- und Büro-
betrieben
~ die Zugänglichkeit der Standorte im Eisenbahngüterverkehr (siehe Karte 5) sowie
~ die Zugänglichkeit im Straßengüterfernverkehr (siehe Karte 6)
2. Eine Analyse der räumlichen Verteilung der Wiener industriebranchen ergibt „Branchenbün-
del" mit ähnlichen „Verbreitungsmustern" und Standortansprüchen. Aus dem Vergleich der
durchschnittlichen Ausprägung der fünf genannten Kennzahlen für die verschiedenen „Bran-
chenbündel" sind Anhaltspunkte bezüglich der Verbreitungsbedingungen der Branchen abzu-
leiten (siehe Tabelle 6).
3. Eine vertiefte Erfassung der Standortansprüche durch die Anwendung eines Forschungsan-
satzes aus der Ökologie (ähnlich der oben angesprochenen „humanökologischen Analyse"
von Lebensbedingungen der Bevölkerung) ermöglicht die Erstellung einer Rangordnung der
Industriebranchen nach dem Ausmaß der Anpassung und dem „Bindungsgrad" an die stand-
örtlichen Gegebenheiten, wie sie durch die genannten Kennwerte gemessen werden. Aus die-
ser Rangordnung (siehe Tabelle 7) geht hervor, daß die Nahrungsmittelindustrie, die Textil- und
die Chemische Industrie, die Bearbeitung von Metallen und Stahl einschließlich des Leichtme-
tallbaus sowie die Erzeugung von Metallwaren und Arbeitsmaschinen (nach den getroffenen
Annahmen) zu denjenigen industriezweigen zählen, die den Wiener Gegebenheiten am besten
angepaßt sind. Mit geringem Abstand folgen die Holz- und Papierverarbeitung sowie die Erzeu-
gung von elektrotechnischen Einrichtungen.
4. Die Bewertung der Branchen nach ihren Standortfaktoren wird ergänzt durch eine Bewertung
der innerstädtischen Standorte (Wiener Zählgebiete) bezüglich ihrer Eignung für die lndustrie-
ansiedlung. Dabei wird zwischen „zentrums-" und „stadtrandorientierten" Industriezweigen
unterschieden. Die Ergebnisse dieser Bewertung sind in den Karten 8 und 9 dargestellt.
Die genaue Kenntnis der Struktur innerstädtischer Zentren ist für die Planung von besonderem
Interesse, da wesentliche Veränderungen der Erreichbarkeitsverhältnisse (U-Bahn-Bau) sowie
der Bevölkerungsverteilung (Randwanderung) zweifellos bedeutendere Auswirkungen auf das
Zentrengefüge haben werden. Die vorliegende Querschnittsanalyse ist als Grundlage zur Erfas-
sung dieser Veränderungen gedacht.
1. Im Rahmen dieser Zentrenanalyse werden zunächst charakteristische Kombinationsformen
der Einzelhandels- und Dienstleistungsbranchen in den Wiener Zentren ermittelt; es ergeben
sich drei Hauptgruppen (siehe Tabelle 8):
~ Branchen der Standardausstattung
~ Citybranchen
~ Cityergänzungsbranchen
2. Nach der Beschäftigtenzahl in diesen „Hauptgruppen" der Zentrenbranchen kann eine Grö-
Senstufung der Wiener Zentren vorgenommen werden. Dabei sind neben City und Mariahilfer
Straße, Hauptzentren (Landstraßer Hauptstraße, Meidlinger Hauptstraße, Zentrum Favoriten),
Bezirkszentren und lokale Zentren zu unterscheiden (siehe Tabelle 9).
3. Ergänzend zur Größenstufung der Zentren erfolgt auch eine detaillierte Analyse der Ausstat.
tungsstrukturen, wobei die drei genannten Hauptgruppen der Zentrenbranchen weiter diffe-
renziert werden. Es können eine Anzahl von Ausstattungstypen unterschieden werden, die den
Obergruppen „Einkaufszentren", „multifunktionale Zentren" und „Dienstleistungszentren"
zugeordnet sind.
4. Aus der Überlagerung (siehe das Überlagerungsschema in Tabelle11) der beiden Klassifikatio-
nen resultiert eine Rangordnung der Wiener Zentren nach ihrer Bedeutung bezüglich der Ver-
sorgungsqualität der Bevölkerung. Diese Rangordnung ist in Tabelle 12 enthalten.

Der Ausbau des Wiener U-Bahn-Netzes begünstigt vor allem die Wiener City, deren Erreichbarkeit
sich wesentlich verbessert. Dies kann zu einer weiteren Verdrängung der Wohnnutzung durch
„expansive" Bürobranchen führen, also zu einer Entwicklung, die im Widerspruch zu den Pla-
nungszielen der Stadtverwaltung steht. Als Grundlage für die Kontrolle solcher Umstrukturie-
rungsprozesse soll eine Strukturanalyse der Flächennutzung in der Wiener Innenstadt dienen,
in der die Situation vor der inbetriebnahme des U-Bahn-Systems abgebildet ist (siehe Karte 10).
Nach Maßgabe des verfügbaren Datenmaterials wird auch versucht, die besonders expansiven
Bürobranchen aufzuzeigen (siehe Tabelle 14).

Wesentliche Ergebnisse der hier skizzierten Strukturanalysen werden in der synthetischen Karte
„Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes" zusammengefaßt (siehe Karte 11). Hierbei
wurde eine Synthesemethode angewendet, die subjektive Einflüsse bei der Bildung der verschie-
denen Raumtypen möglichst ausschalten und den Entstehungsprozeß der Karte nach logisch-
analytischen und nachvollziehbaren Kriterien gestalten soll.

XIV
1. ZIELSETZUNG UND AUFBAU DER ARBEIT

Neuere Ansätze der Planungstheorie begreifen die Planung als sozialen, rekursiven Lernprozeß,
welcher in Dialogform über ständige Informationsflüsse und Bargainings zwischen den verschie-
denen Interessensgruppen abläuft. Nach einem idealtypischen Konzept können verschiedene
Planungsphasen (Analysephase, Phase der Zielfestlegung, Phasen der Aufstellung und Bewer-
tung planerischer Alternativen u. a.) unterschieden werden, die zwar hinsichtlich des zeitlichen
Ablaufes einer Planung in bestimmter Reihenfolge angeordnet sind, aber zumeist mehrmals-
in Abhängigkeit von den Ergebnissen des Lern- und Bargainingprozesses — durchlaufen werden.
Die Phasen des Planungsablaufes sind also rückgekoppelt.
In jede Planungsphase gehen dabei — neben den subjektiv-persönlichen Informationen der be-
teiligten interessensgruppen — auch „objektive" Informationen ein, die von der Wissenschaft
zur Verfügung gestellt werden. Unter den hier relevanten Wissenschaftszweigen kommt der so-
zialwissenschaftlich orientierten Stadtforschung größere Bedeutung zu.
Das Interesse an den Ergebnissen solcher Analysen ist in den letzten Jahren in dem Maße ange-
stiegen, in dem die Diskussion um die Probleme der Sanierung des Altbaubestandes der Städte
und der Verbesserung des städtischen Wohnumfeldes immer mehr in die Öffentlichkeit dringt.
Unter dem Druck der betroffenen Bürger beginnt sich auch der tatsächliche Verlauf des
Planungsprozesses allmählich an den oben skizzierten Idealtyp einer „demokratischen" Pla-
nung anzunähern, sodaß „objektive" wissenschaftliche Informationen nicht nur als Entschei-
dungshilfen für Planer und Politiker dienen, sondern auch in den Argumenten der in die Planung
involvierten Interessensgruppen der Bevölkerung Berücksichtigung finden.
In diesem Sinne sollen die in der vorliegenden Arbeit dargestellten „Strukturanalysen des Wiener
Stadtgebietes" einen Beitrag zur Lösung der anstehenden stadtentwicklungspolitischen Pro-
blemlagen in der Bundeshauptstadt bilden.
Die zweifellos schwerwiegendsten Probleme ergeben sich infolge der Disparitäten in den
Lebensbedingungen der Bevölkerung. Sozioökonomische Segregationsprozesse bedingen die
Konzentration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen in innerstädtischen Problemgebieten
die durch
~ einen hohen Altbausubstanzanteil und einen großen Bestand an qualitativ schlechten
Wohnraum,
~ die mangelnde Versorgung mit Einrichtungen der sozialen Infrastruktur und
~ eine hohe Wohndichte und damit einen gravierenden Mangel an Freiflächen gekennzeichnet
sind.
Der aktuelle Problemdruck in solchen Wohnquartieren resultiert aus
~ der Abwanderung aktiver und einkommensstärkerer Bevölkerungsgruppen
~ der Konzentration von sozialen und ökonomisch schwächeren Einwohnern (alte Menschen,
kinderreiche, einkommensschwache Familien, Ausländer)
~ der mangelnden lnvestitionsbereitschaft und -fähigkeit der Hauseigentümer und Inhaber der
lokalen Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe (H. BORGHORST, H. SCHREIBER, 1981).
Entsprechend dem Gewicht dieser Probleme ist ein größerer Teil der Arbeit einer Analyse der
sozialen Strukturen sowie der Disparitäten in den Lebensbedingungen der sozialen Gruppen ge-
widmet. Unter Verwendung des methodischen Instrumentariums der Sozialökologie, z. T. aber
auch unter Einsatz relativ neuartiger — aus der (ökologischen) Biologie übernommener — Metho-
den werden die Wiener Wohnstandorte (Zählgebiete) zunächst hinsichtlich ihrer Sozialstruktur
sowie der Wohnungs- und der Wohnumfeldverhältnisse charakterisiert. Weitere Analyseschritte
zeigen sodann die zwischen den sozialen Schichten bestehenden Unterschiede bezüglich der
innerstädtischen Lebensverhältnisse auf, bzw. erfassen den „Bindungsgrad" und das Ausmaß
der Anpassung sozialer Gruppen an bestimmte städtische Lebensverhältnisse.
Nicht zu unrecht betont die Kritik der sozialökologischen Stadtforschung, daß diese zwar inner-
städtische Strukturen als Ergebnis von Prozessen der Stadtentwicklung zu beschreiben vermag,
aber relativ wenig zur Erklärung dieser Prozesse beiträgt (D. KEIM, 1979). In Erkenntnis dieses
Defizites ist der empirischen Analyse (Abschnitt 3) eine kurze theoretische Abhandlung vorange-
stellt (Abschnitt 2). Diese faßt Forschungsansätze aus verschiedenen Bereichen der Sozialwis-
senschaft (Soziologie, Sozialgeographie, Ökonomie, Regionalwissenschaft) zusammen, behan-
delt den Einfluß der städtischen Umwelt auf das individuelle Verhalten und versucht die Prozesse
des „sozialen Wandels" in städtischen Wohnquartieren zu erklären. Fehlendes Datenmaterial
sowie der erforderliche beträchtliche Arbeitsaufwand stehen bisher der vollständigen empiri-
schen Überprüfung dieses Konzeptes entgegen.
Ein weiteres bedeutendes Problemfeld der Wiener Stadtentwicklungspolitik bildet die Erhaltung
und Vermehrung der Arbeitsplätze des sekundären Sektors. Wegen „standortmäßigen und an-
siedlungstechnischen Unzulänglichkeiten und Engpässen" sind hier innerhalb von 10 Jahren ca.
5.000 Arbeitsplätze verloren gegangen (WIENER WIRTSCHAFTSBERICHTE, 1979/1).
Daher wird gegenwärtig der Industrieansiedlungspolitik besondere Bedeutung beigemessen.
Zur Erfüllung der Zielsetzungen dieser Politik bildet die Kenntnis der innerstädtischen Verbrei-
tungsbedingungen von industriebranchen sowie der Eignung der verfügbaren industriestandorte
eine wichtige Voraussetzung. Im Rahmen des vierten Kapitels der „Strukturanalysen" wird zu-
nächst versucht, die räumliche Verbreitung der Wiener Industrie zu analysieren. Es ergeben sich
„Branchenbündel" von Industrien mit ähnlichen Standortansprüchen. Mit Hilfe eines neuartigen
Forschungsansatzes (der bereits erwähnten Methode aus der biologischen Ökologie, die auch
zur Erfassung der Verbreitungsbedingungen der industriebranchen angewendet wird) ergibt sich
eine Rangordnung der Branchen nach ihrer „Anpassung" und ihrem „Bindungsgrad" an die
standört lichen Gegebenheiten des Wiener Stadtgebietes. Schließlich werden auch kleinräumige
Einheiten (Zählgebiete) hinsichtlich ihrer Eignung als Standorte für die betrachteten lndustrie-
branchen bewertet.
Nach der Erfassung von Disparitäten in den Lebensbedingungen der Bevölkerung und der Analy-
se der Standortbedingungen des sekundären Sektors der Wirtschaft steht im fünften und sech-
sten Abschnitt der „Strukturanalysen" der tertiäre Sektor im Mittelpunkt des Interesses.
Der fünfte Abschnitt ist den innerstädtischen Einzelhandels. und Dienstleistungszentren gewid-
met und befaßt sich mit einer Untersuchung der „Zentrenhierarchie", die aus Größenstufen und
Ausstattungstypen der Zentren abgeleitet wird. Die genaue Kenntnis der Zentrenstruktur ist für
die Wiener Stadtentwicklungsplanung von besonderem Interesse, da die wesentlichen Verände-
rungen der Erreichbarkeitsverhältnisse (bedingt durch die Inbetriebnahme der Grundstufe des
Wiener U-Bahn-Netzes) sowie die beträchtlichen Veränderungen in der Bevölkerungsverteilung
(bedingt durch die „Randwanderung" der Bevölkerung) nicht ohne Folgen bezüglich der weiteren
Entwicklung der Wiener Zentren bleiben können (z. B. muß in den Abwanderungsgebieten mit
einer Reduktion der Einzelhandels- und Dienstleistungseinrichtungen gerechnet werden).
Es ist eine genaue Kontrolle der Zentrenentwicklung notwendig, die auf den Ergebnissen der vor-
liegenden Querschnittsanalyse aufbauen kann.
Der Ausbau des Wiener U-Bahn-Netzes begünstigt vor allem die Wiener City, deren Erreichbarkeit
sich wesentlich verbessert. Dadurch werden die Expansionstendenzen bestimmter Bürobran-
chen, die schon vor Inbetriebnahme des neuen Verkehrssystems wesentliche Teile der Wiener
Innenstadt dominierten, zusätzlich verstärkt. Dies kann zu einer weiteren Verdrängung der Wohn-
nutzung in der Inneren Stadt führen, also zu einer Entwicklung, die im Widerspruch zu den Pla-
nungszielen der Stadtverwaltung (Sicherung und Wiedergewinnung von Wohnraum in der City)
steht. Als Grundlage für die Kontrolle solcher Umstrukturierungsprozesse wird im sechsten Ab-
schnitt der Arbeit eine Strukturanalyse der Flächennutzung in der Wiener Innenstadt vorgestellt,
die die Situation vor der lnbetriebnahme des U-Bahn-Systems zeigt. Nach Maßgabe des verfügba-
ren Datenmaterials wird auch versucht, die besonders expansiven Bürobranchen zu bestimmen.
Wesentliche Ergebnisse der in den Abschnitten drei bis sechs dargestellten sektoralen Struktur-
analysen, die jeweils auf besondere stadtentwicklungspolitische Problemlagen bezogen sind,
werden in der synthetischen Karte „Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes" zusam-
mengefaßt. Sie soll den Zusammenhang und die wechselseitige Bedingtheit der verschiedenen
Elemente der Siedlungsstruktur zum Ausdruck bringen und die räumliche Lage der „Problemge-
biete" veranschaulichen. Abschnitt sieben faßt die Gestaltungsprinzipien dieser Karte kurz
zusammen.
Die abschließenden Aussagen betreffend die stadtentwicklungspolitischen Konsequenzen der
Analyseergebnisse beschränken sich auf den Problembereich: „Disparitäten in den Lebensbe-
dingungen der Bevölkerung". Dabei wird davon ausgegangen, daß zur Beeinflussung der Segre-
gationsprozesse und zum Abbau der Disparitäten vor allem Sanierungsmaßnahmen in den dicht
bebauten Stadtvierteln mit überalteter Bausubstanz erforderlich sind. Das Ausmaß (Umfang der
Maßnahmen und Kosten) sowie die räumliche Verteilung der verschiedenen Maßnahmenkatego-
rien im Stadtgebiet werden mit Hilfe eines entsprechenden „Sanierungsmodells" abgeschätzt.
Wirkungsanalysen des gegenwärtigen gesetzlichen Instrumentariums zeigen, daß dieses nicht
imstande ist, zum Abbau der „Sanierungsdefizite" beizutragen. Es sind also Verbesserungen
wesentlicher Strategien und gesetzlicher Grundlagen der Stadtentwicklungspolitik erforderlich.
Im Anhang der Arbeit werden für einen interessierten Leserkreis die angewendeten
mathematisch-statistischen Methoden näher erläutert.
2. DIE STÄDTISCHE UMWELT ALS EINFLUSSFAKTOR DES INDIVIDUELLEN VER-
HALTENS

2.1 EINFÜHRUNG
Dieser Abschnitt der Arbeit faßt theoretische Forschungsansätze zusammen, die verschiedenen
Bereichen der Sozialwissenschaft entstammen (Soziologie, Sozialgeographie, Ökonomie, Regio-
nalwissenschaft). Sie sind als wissenschaftlicher Bezugsrahmen für eine Stadtentwicklungspo-
litik geeignet, die sich am Leitbild einer weitgehenden „Chancengleichheit" für die Bevölkerung
orientiert.
~ Zur Einführung in dieses theoretische Konzept werden Ansätze der aktionsräumlichen For-
schung behandelt, die sich auf die Struktur des städtischen Lebensraumes beziehen. Dieser
ist als komplexes Phänomen anzusehen, das aus der Überlagerung von objektiven Komponen-
ten (objektiver sozialer Raum) und subjektiven Komponenten (subjektiver sozialer Raum)
resultiert.
~ Die Einflüsse des „sozialen Raums" der Wohnstandorte auf das Verhalten der Bevölkerung
sind im „Modell des sozialbestimmten räumlichen Verhaltens" abgebildet. Dabei wird das
Verhalten als gesellschaftlich kontrollierter „kumulativer" Prozeß zur Befriedigung individuel-
ler Bedürfnisse verstanden, dessen Randbedingungen durch die am Wohnstandort gegebe-
nen Partizipations- und Nutzungschancen der verschiedenen Einrichtungen des Erwerbs-,
Ausbildungs-, Konsum-, Versorgungs-, Kultur- usw. -Bereiches festgelegt sind.
~ Die Aussagen des Modells werden im folgenden auf die in städtischen Wohnquartieren zu
beobachtenden „Prozesse des sozialen Wandels" bezogen. Diese sind Reaktionen der Bevöl-
kerung auf unzureichende Lebensbedingungen ihrer Wohnstandorte.
~ Aus der Konkurrenz um die Wohnstandorte resultieren charakteristische Verteilungsmuster
von Bevölkerungsgruppen mit bestimmten sozialen und demographischen Merkmalen auf
Wohnstandorte mit bestimmten Umweltbedingungen. Durch den Vergleich beider Merkmals-
gruppen sind die im Verteilungsprozeß der hochrangigen Wohnstandorte benachteiligten
Gruppen der Bevölkerung zu erfassen, ebenso ergeben sich die entsprechenden Defizite be-
züglich der an ihren Wohnstandorten gebotenen „Lebenschancen".
~ Es werden somit „stadtentwicklungspolitische Problemlagen" offensichtlich, zu deren
Lösung die Hypothesen zum Modell sozialbestimmten räumlichen Verhaltens Anhaltspunkte
bieten.
~ Eine Voraussetzung zur hinreichend genauen Kenntnis der „Problemlagen" sowie zur Wir-
kungsanalyse und zur Kontrolle der getroffenen Maßnahmen bildet die implementation eines
Informationssystems für die Stadtplanung. Sein Output sind „soziale Indikatoren" zur Mes-
sung der Lebensbedingungen und zur Erfassung von Veränderungen in der Stadtstruktur.

2.2 ANALYSE DES SOZIALEN RAUMES


Einen geeigneten Bezugsrahmen für die Hypothesen, die räumliche Einflußfaktoren auf das Ver-
halten der Stadtbevölkerung behandeln, stellt das Konzept des „sozialen Raumes" dar. In diesem
Konzept aus der Tradition der französischen (soziologischen) Schule der sozialen Morphologie
wird der städtische Lebensraum als komplexes Phänomen behandelt, das sich aus der Überlage-
rung von objektiven und subjektiven Komponenten ergibt. „Diemateriellen Formen, die wir im
materiellen Raum untersuchen, sind modifiziert in bezug auf die Verhaltens- und Denkweisen
der Menschen, die sie fortwährend hervorbringen" (P. H. CHOMBART DE LAUWE, S 142): Objek-
tive räumliche Strukturen werden von verschiedenen Individuen oder von sozialen Gruppen im
unterschiedlichen Ausmaß wahrgenommen und bewertet, sie beeinflussen dementsprechend
das individuelle Verhalten in durchaus unterschiedlicher Weise.
Daher sind für eine Analyse der räumlichen Einflußfaktoren des individuellen Verhaltens die fol-
genden Fragestellungen relevant (H. RÖDER, 1974):
1. Wie ist die objektive Struktur des sozialen Raumes beschaffen? Diese kann z. B. als eine
Men-
ge von überlagerten und mehr oder minder verflochtenen „funktionalen" Beziehungsfeldern
definiert werden. Solche Beziehungsfelder (im Kontinuum von Raum und Zeit) werden etwa zwi-
schen dem Wohnort und den Standorten von Arbeitsstätten, von Einrichtungen des Konsums
und des Freizeitsektors u. a. aufgebaut.
2. Wie ist die subjektive Struktur des sozialen Raumes beschaffen? Wie werden also die objekti-
ven Strukturen wahrgenommen und in unterschiedliche soziale Wertsysteme eingeordnet'?
Überblickt man die Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Stadtanalyse, so zeigt es sich,
daß die Mehrzahl der Arbeiten auf den objektiven sozialen Raum beschränkt bleibt. Eine in jünge-
rer Zeit etablierte Forschungsrichtung befaßt sich auch mit der Wahrnehmung und Bewertung
subjektiver Strukturen durch verschiedene soziale Gruppen, es wurde jedoch bisher noch kein
theoretisches Konzept entwickelt, das den „Transformationsprozeß" von den Strukturmerk-
malen des objektiven sozialen Raumes zu subjektiven Kognitionen sowie den Einfluß dieser
Wahrnehmungsinhalte auf das individuelle Verhalten behandelt.

2.2.1 Objektiver sozialer Raum


Der objektive soziale Raum kann als „Aktionsraum" betrachtet werden, der den Bewohnern eines
bestimmten Wohnstandortes offensteht. Er umfaßt die „Stationen", in denen die verschiedenen
Aktivitäten, etwa die Tagesprogramme der Einwohner des betrachteten Wohnstandortes, ablau-
fen. Diese „Stationen" des sozialen Raumes als „Orte der Begegnung zu Zwecken von Arbeit,
"
Bildung, Dienstleistungen, Freizeit etc. (T. HÄGERSTRAND, 1975) werden vom Sozialpsycholo-
gen R. BARKER (1967) unter dem Begriff „Behavior Setting" zusammengefaßt. Nach BARKERS
Definition sind Behavior Settings Einheiten der städtischen Umwelt, in denen Personen als Aus-
führende von komplementären Tätigkeiten (z. B. „eine Kundschaft als Verkäufer bedienen" und
„alsKunde bestimmte Waren einkaufen") und Elemente des Sachsystems (z. B. „Ausstattung
eines Einzelhandelsgeschäftes") kombiniert sind.
R. BARKER hat die öffentlich zugänglichen Behavior Settings einer Siedlung mit 830 Einwohnern
untersucht und dabei 180 Arten festgestellt, z. B. Lebensmittelgeschäfte, Eisenhandlungen, Kin-
dergartengruppen, Sportplätze, Bushaltestellen, usw. Behavior Settings der gleichen Art werden
von R. BARKER als „Genotyp" bezeichnet: Zwei oder mehrere Behavior Settings bilden einen
Genotyp, wenn zwischen ihnen „Ausstattungselemente" (Personen als Ausführende komple-
mentärer Tätigkeiten oder Elemente des Sachsystems) ausgetauscht werden können, ohne daß
sich deswegen die Programme der Behavior Settings verändern: „Twogrocery stores for example
could exchange stock, personell, bookkeeping systems, shelving and so forth with little inter-
ruption in their operation. They belong to the same genotype" (R. BARKER, 1967, S. 158).
Ein Behavior Setting ist also ein Subsystem des sozialen Systems, dessen Funktion durch ein
„Bündel" komplementärer sozialer Rollen (Tätigkeiten) sichergestellt wird. R. BARKER unter-
scheidet sechs Rangstufen von Personen („Performers"), die in einem Behavior Setting kombi-
nierte rollenbezogene Tätigkeiten durchführen. Dabei nimmt der Einfluß auf Funktion und Output
des Behavior Settings mit fallendem Rang ab (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Rangordnung komplementärer Rollen in einem Behavior Setting (nach R. BARKER)

Rangstufen nach dem Ausmaß


der Einflußnahme auf die
„Performers"
Funktion des Behavior Setting
(komplementäre Rollen)

alleinbestimmender Leiter (single leader)


mitbestimmender Leiter (joint leader)
Mitarbeiter (active functionary)
Mitglied oder Kunde (member or customer)
Publikum oder Gäste (audience or invited guest)
(außenstehender) Zuschauer (onlooker)

„Ingeneral it appears that an individual in zone 6 makes a larger contribution to the output of
the behavior setting than an individual in zones 5, 4, 3, 2 or 1, in descending order. In business
firms, the line between zones 4 and 3 is the boundary between the business and its customers.
Occupants of zone 3 interact to some extent with occupants of zones 4, 5 and 6; occupants of
zone 2evidently play a passive role exept for expressing approval or other reactions to the perfor-
mances of occupants of zone 6, 5, and 4" (K. A. FOX, 1974, S. 18).
Die Funktion von Behavior Settings und die Aktivitäten von „Performers" der höheren Rangstufe
werden von „Kontrollorganen" des sozialen Systems überwacht. Diese „Controlling Settings",
denen nach R. BARKER zumeist das Organisationsprinzip von Aufsichtsräten zugrundeliegt, ge-
hören verschiedenen sozialen „Autoritätsbereichen" (Authority Systems) an: (1) Wirtschaft, (2)
Kirche, (3) staatliche Verwaltung, (4) Schulen, (5) Vereinen (Vereinigungen) auf der Basis freiwilli-
ger Mitgliedschaft sowie (6) — nach K. A. FOX in Ergänzung zu R. BARKER —Familie.
Behavior Settings als „Stationen" des sozialen Raumes sind also örtliche Einheiten, denen be-
stimmte baulich-räumliche Bedingungen sowie konstante vorhersagbare Verhaltens- und Hand-
lungsmuster zugeordnet werden können. Die in jüngerer Zeit immer bedeutsamere Forschungs-
richtung des „Behavior Setting Research" versucht die für den städtischen Lebensraum relevan-
ten Typen von Behavior Settings zu erfassen und ihr Funktionieren (Beziehungen zwischen
baulich-räumlichen Strukturen und sozialem Handeln) zu analysieren (H. ZINN, 1978).
Das raum-zeitliche Anordnungsmuster der Behavior Settings im sozialen Raum wird von
T. HÄGERSTRAND (1977) erfaßt. Er bildet den objektiven sozialen Raum (als Aktionsraum) in
einem dreidimensionalen Koordinatensystem ab, in dem zwei Dimensionen den geographischen
Raum „aufspannen" und die dritte Dimension die Zeitachse darstellt. In diesem Koordinaten-
system sind die Aktivitätenmuster der Individuen in Form von „Raum-Zeit-Pfaden" dargestellt,
die sich konstituieren aus:
(„
~ den Behavior Settings Stationen" ), die im Rahmen der Durchführung eines Aktivitätenpro-
grammes (z. B. innerhalb eines Tages) aufgesucht werden (z. B. Arbeitsstätten, Ausbildungs-
stätten, Freizeiteinrichtungen) und den entsprechenden Aktionszeiten sowie
~ aus den Interaktlonen zwischen den Stationen und den hierfür benötigten lnteraktionszeiten.
Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für den Verlauf solcher Aktivitätenprogramme im Kontinuum von
Raum und Zeit. Hier repräsentiert die Fläche a b c d den städtischen Lebensraum im Einzugsge-
biet eines Wohnstandortes, die senkrechte Zeitachse dieses Koordinatensystems ist in die
24 Tagesstunden unterteilt. Dargestellt sind charakteristische Tagesprogramme von Mitgliedern
eines Haushaltes:
~ der Vater verläßt die Wohnung zuerst, pendelt zum Arbeitsplatz, wo er sich den ganzen Tag
über aufhält, und kehrt erst abends nach Hause zurück;
~ ein Kind besucht am Vormittag die Schule, kommt mittags zum Essen nach Hause zurück und
verbringt den Nachmittag wieder in der Schule;
~ die Mutter und das kleinere Kind des Haushaltes verbringen den Vormittag in der Wohnung,
besuchen nachmittags das regionale Einkaufszentrum, sind aber rechtzeitig zur Rückkunft
des Schulkindes wieder daheim.

Abbildung 1: Tagesprogramm im Raum-Zeit-Kontinuum (nach T. HÄGERSTRAND)

(b)

20

16
12

b,'

Mit Hilfe solcher Raum-Zeit-Diagramme können nicht nur konkrete Aktivitätenprogramme abge-
bildet werden, es ist auch möglich, Aktionsräume festzustellen, als mögliche Aktivitätenkombi-
nationen (Optionen), die einer Person an einem bestimmten Wohnstandort in der Stadt offenste-
hen. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Struktur des Aktivitätenprogrammes einer jeden
Person entscheidend von vorrangigen Tätigkeiten bestimmt wird, die in hohem Maß an be-
stimmte Standorte des Stadtgebietes und an bestimmte Tageszeiten gebunden sind. Es handelt
sich dabei einerseits um Tätigkeiten zur Befriedigung der biologisch. physiologischen Grundbe-
dürfnisse (wie z. B. „Schlafen", die vorwiegend in der Wohnung durchgeführt werden), anderer-
seits um Tätigkeiten im Berufs- oder Ausbildungsbereich (die auf den Standorten der Betriebs-
stätten, Schulklassen usw. stattfinden). Die zeitliche Dauer dieser vorrangigen Tätigkeiten sowie
die Erreichbarkeit der entsprechenden „Behavior Settings" (Wohn-, Arbeitsstätten usw. ) bestim-
men die Größe der „Zeitfenster", die für andere Aktivitäten (z. B. im Freizeitbereich) verbleiben.
Berücksichtigt man zusätzlich die räumliche Dimension, so ergibt sich ein Raum. Zeit. Prisma,
innerhalb dessen Grenzen die Standorte derjenigen Behavior Settings für das Aktivitätenpro-
gramm (z. B. Freizeiteinrichtungen) liegen, die in der „freien Zeit" zwischen den „fixen"Aktivi-
täten (bzw. ihren Behavior Settings) erreicht werden können.
Ein Beispiel für ein solches Raum-Zeit-Prisma ist in Abbildung 2 dargestellt (nach T. HÄGER-
STRAND, 1970). Hier wird der früheste Zeitpunkt für das Verlassen der Wohnung mit A gekenn-
zeichnet, der späteste Zeitpunkt für die Rückkehr mit Z. Innerhalb des Zeitintervalls T müssen
die nicht wohnungsbezogenen Aktivitäten sowie die Interaktionen (zu Fuß, im öffentlichen oder
im lndividualverkehr) zu den Standorten der entsprechenden Behavior Settings durchgeführt wer-
den. Im vorliegenden Beispiel werden vier solche Behavior Settings angenommen, sie sind im
Raum-Zeit-Diagramm als Bündel eingezeichnet, deren Lage in der Raum-Achse (der „Raum" ist
hier, im Gegensatz zu Abbildung 1, auf eine Dimension reduziert) ihre geographische Position
im Wohnumfeld markiert, während die Zeitdauer der jeweiligen Aktivitäten durch die Erstreckung
der Bündel in Richtung der Zeitachse zum Ausdruck kommt. Innerhalb dieses Raum-Zeit-Prismas
können von einer betrachteten Person die Behavior Settings 1, 2 oder 3 alternativ aufgesucht wer-
den, ebenso ist die „Koppelung" von Aktivitäten in 1 und 3 möglich. Nicht möglich sind die Abfol-

gen 1 2 (weil sich die „Benutzungszeiten" der Behavior Settings überschneiden) und 2 3 (weil —
die Überwindung der Distanz zwischen 2 und 3 eine höhere als die maximal mögliche Fortbewe-
gungsgeschwindigkeit erfordern würde). Das Behavior Setting 4 kann nicht aufgesucht werden,
weil das Ende der Benutzungszeit außerhalb des potentiellen Aktionsraumes liegt.

Abbildung 2: Raum-Zeit-Prisma (nach T. HÄGERSTRAND)

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3
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l
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rr
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Durch die Erfassung des „objektiven potentiellen Aktionsraumes" nach den von T. HÄGER-
STRAND und den Geographen der LUND-Schule entwickelten Methoden kann der für einen Stadt-
bewohner von einem bestimmten Wohnstandort aus physisch erreichbare Umweltsbereich abge-
grenzt werden. Es ergeben sich somit die äußersten Grenzen des Stadtgebietes, das für das be-
treffende Individuum als sozialer Raum in Frage kommt.
Neben den im HÄGERSTRAND-Modell abgebildeten Restriktionen der „Erreichbarkeits"- bzw.
der „Koppelungsbedingungen" im „Raum-Zeit-Prisma" wird der objektive soziale Raum auch
noch durch zusätzliche Restriktionen eingeschränkt. Vor allem durch die „Zutrittsbedlngungen"
der Behavior Settings, etwa in Form von für die Partizipation erforderlichen Inputfaktoren, wie
Qualifikation, eigentumsrechtliche Bedingungen, Eintrittspreise usw. Diese „Zutrittsbedingun-
gen" hängen oft von der Zahl der Nachfrager ab, die um die Partizipation an den Behavior Settings
konkurrieren.
Somit bilden „Erreichbarkeits-, Koppelungs- und Zutrittsbedingungen" die wesentlichen Deter-
minanten des objektiven sozialen Raumes (oder des „Handlungsspielraumes" der Wohnstand-
orte, siehe J. STEINBACH, 1980) von denen die Menge der Tätigkeiten (Aktivitätenmuster) ab-
hängt, die auf einem Wohnstandort des Stadtgebietes bzw. von diesem Wohnstandort aus prinzi-
piell durchgeführt werden können.
Diese Determinanten des objektiven sozialen Raumes sind nach einer von G. PALME und
J. STEINBACH (1978) entwickelten Methode zu messen. Nach dieser Methode bestimmen die Er-
reichbarkeits-, Koppelungs- und Zutrittsbedingungen die an einem Wohnstandort gegebenen
Chancen zur Partizipation an Behavior Settings.
Solche, den verschiedenen Lebensbereichen zugeordnete Behavior Settings sind etwa Arbeits-
plätze, Schulplätze, praktische Ärzte, Fachärzte usw. Die Partizipationschancen werden z. T.
sozialgruppenbezogen ermittelt (z. B. die Chancen von Arbeitskräften mit der Qualifikation
„Pflichtschulausbildung" auf einen Arbeitsplatz des entsprechenden Qualifikationsniveaus).
Sie hängen ab von:
—der Anzahl und der Kapazität der Behavior Settings des betrachteten Typs an den Wohnorten
selbst sowie in ihrer unmittelbaren Umgebung,
—den aufzuwendenden Fahrzeiten im öffentlichen bzw. im individuellen Nahverkehr, sowie ge-
gebenenfalls von
—der Zahl der konkurrierenden Nachfrager, z. B. der um einen Arbeitsplatz konkurrierenden
Arbeitnehmer.

Gemessen werden die Partizipationschancen durch:


1. Nutzungswahrscheinlichkeiten als die Wahrscheinlichkeiten, mit denen Einwohner eines be-
stimmten Standortes und gegebenenfalls mit bestimmtem sozialen Status (= persönlichen
Ressourcen an Sach- und Humankapital) bestimmte Typen von Behavior Settings in Anspruch
nehmen können, sowie durch
2. Ausstattungserwartungswerte, die die Anzahl der „Partizipationsgelegenheiten" an be-
stimmten Typen von Behavior Settings angeben (z. B. sagt der Arbeitsplatzerwartungswert
aus, wieviele Arbeitsplätze einer Arbeitskraft mit bestimmten Qualifikationen im Durch-
schnitt zugänglich sind).
Jedem dieser Ausstattungserwartungswerte entspricht ein Distanzerwartungswert als Auf-
wandsgröße, die die durchschnittliche Fahrzeit (im öffentlichen oder individuellen Nahver-
kehr) angibt, die zwischen dem Wohnstandort und den Standorten der zugänglichen Behavior
Settings aufzuwenden ist.
Diese lndikatoren des objektiven sozialen Raumes sind also auf die Determinanten: „Typen, Ka-
pazität und Anzahl der Behavior Settings", „Zutrittsbedingungen" und „Erreichbarkeitsbedin-
gungen" bezogen. Die Berücksichtigung der „Koppelungsbedingungen" erfolgt in einem zusätz-
lichen Verfahrensschnitt, in dem für die betrachteten Wohnstandorte die Möglichkeiten zur Kom-
bination verschiedener Tätigkeitenfolgen analysiert werden (J. STEINBACH, 1980).
Jeder objektive soziale Raum kann also durch eine Anzahl von indikatoren (wie Nutzungschancen
oder Distanzerwartungswerte) erfaßt und durch ein „Profil",welches sich aus den lndikatoren-
ausprägungen in den einzelnen Tätigkeitsbereichen (z. B. Erwerbs-, Ausbildungs-, Freizeitbe-
reich) zusammensetzt, abgebildet werden. Eine ähnliche Verfahrensweise zur Abbildung der Um-
weltverhältnisse liegt auch dem in der Biologie verwendeten Konzept der „ökologischen Nische"
zugrunde, das sich mit den Beziehungen zwischen verschiedenen (tierischen oder pflanzlichen)
Spezies und ihren Lebensräumen befaßt. Dabei werden „abstrakte" und „reale"ökologische
Nischen unterschieden. Abstrakte Nischen kennzeichnen die optimalen Lebensbedingungen für
die einzelnen Species, reale Nischen sind das suboptimale Resultat von Verdrängungsprozessen
im Kampf um beschränkte natürliche Ressourcen (HUTCHINSON, 1965). Die Methoden zur Mes-
sung dieser beiden Kategorien ökologischer Nischen (sie basieren ebenfalls auf einer Anzahl von
Variablen zur Abbildung der Umweltverhältnisse) sind auch für die Erfassung von charakteristi-
schen objektiven sozialen Räumen (für bestimmte Gruppen der Wohnbevölkerung) geeignet.

2.2.2 Subjektiver sozialer Raum


Die objektiv gegebenen Chancen zur Partizipation an den Behavior Settings des Wohnumfeldes
können von der Wohnbevölkerung in unterschiedlicher Weise wahrgenommen, bewertet und tat-
sächlich genutzt werden. Es ist wahrscheinlich, daß die Stadtbewohner eine zweistufige Selek-
tion des objektiven sozialen Raumes vornehmen (F. E. HORTON, D. R. REYNOLDS, 1971,
C. GÜRTLER, 1980).
Die erste Selektionsstufe bildet der subjektive Handlungsraum als Vorstellungsbild des einzel-
nen von der räumlichen Struktur und Ausstattung des Wohnumfeldes. Es umfaßt die Behavior
Settings, über die das Individuum informiert ist, sowie ihre subjektive Bewertung nach dem Nütz-
lichkeits- oder Präferenzgrad.
Ein Ausschnitt des subjektiven Handlungsraumes enthält diejenigen Behavior Settings, die von
einem Stadtbewohner im Rahmen seiner täglichen Aktivitäten tatsächlich beansprucht werden.
Diese zweite Selektionsstufe des objektiven sozialen Raumes wird als „subjektiver Aktions.
raum" (J. FRIEDERICHS, 1977) bezeichnet.
Für die Stadtentwicklungsplanung, die durch eine „Verbesserung der Lebensbedingungen" die
„Chancengleichheit" der Stadtbewohner erreichen will, ist besonders die Erforschung der ersten
Selektionsstufe von interesse. Eine solche Analyse der subjektiven Vorstellungsbilder der Stadt-
bewohner über ihre Wohnumwelt kann von drei Forschungsansätzen ausgehen:
1. „subjektive Stadtpläne"
2. Analysen von Reaktionen auf Umwelteinflüsse
3. Erfassung individueller Präferenzstrukturen
(E. JONES, J. EYLES, 1977).
1. „Subjektive Stadtpläne" sind Kartenskizzen oder verbale Beschreibungen, die von interview-
ten Stadtbewohnern angefertigt werden; sie beschreiben als „kognitive" Pläne diejenigen be-
grenzten Ausschnitte des objektiven sozialen Raumes, die von den Individuen als Wohnum-
welt wahrgenommen werden. Diese psychologisch-geographische Forschungsrichtung fußt
auf der theoretischen Konzeption von K. BOLDING (1956) und auf den Studien von K. LYNCH
(1960). Die Arbeiten ergeben u. a. , daß sich die Stadtbewohner vor allem an fünf Kategorien
von Elementen der Stadtstruktur orientieren: Wege, Grenzlinien, (funktionelle) Bereiche,
Brennpunkte, Werk- und Wahrzeichen. Sie zeigen auch, daß die Wahrnehmung der Wohnum-
welt besonders von den Standorten der Behavior Settings abhängt, die zur Durchführung der
notwendigen Aktivitäten („Schlüsselrollen") ständig aufgesucht werden müssen (z. B.
Arbeitsplatz- u. Schulstandorte); weiters hängt die Reichhaltigkeit und der Detaillierungsgrad
der wahrgenommenen städtischen Umwelt im besonderen Maße von sozialen Status ab: wäh-
rend der subjektive Plan von Angehörigen der oberen sozialen Schichten meist große Teile
des Stadtgebietes beinhaltet, bleibt er für die Unterschicht-Bevölkerung oft nur auf das eigene
Stadtviertel beschränkt (P. ORLEANS, 1973).
2. Der zweite Forschungsansatz geht davon aus, daß die Vorstellungsbilder des subjektiven
Handlungsraumes entscheidend von Umwelteinflüssen abhängen, die das Individuum an sei-
nem Wohnstandort erfahren hat. Solche aus Lern. und Erfahrungsprozessen resultierende
Einschätzungen der Umwelt durch die Wohnbevölkerung wurden zuerst in katastrophenge-
fährdeten (Überflutungen, Trockenperioden) Wohn- und Siedlungsgebieten erfaßt (G. WHITE,
1964), später wurden diese Untersuchungen auf verschiedene, vor allem auch städtische Um-
welttypen ausgedehnt.
Solche „geographischen Erfahrungsprozesse" der städtischen Umwelt wurden etwa am Bei-
spiel alter Menschen eingehender untersucht (G. R. ROWLES, 1980). Dabei zeigt es sich, wie
vor allem wegen der reduzierten physischen Leistungsfähigkeit älterer Menschen die Umwelt
unter besonderen Gesichtspunkten erlebt wird:
~ die Fußwege zur Besorgung der täglichen Bedarfsgüter, zum Besuch von Bekannten und
Verwandten, usw. werden den wechselnden Umweltbedingungen angepaßt. Es bestehen
genaue Vorstellungen (lineare Schemata) bezüglich der auf den verschiedenen Routen
möglichen Gefahrenquellen (starke Sonneneinstrahlung im Sommer, Glatteis im Winter,
gefährliche Straßenübergänge, schadhafter Belag der Gehsteige usw. );
~ der unmittelbare Einzugsbereich des Wohnhauses (besonders im Blickwinkel der Fenster)
wird zum wichtigsten Erlebnis- und sozialen Kontrollbereich.

3. Individuelle Präferenzstrukturen sind Rangordnungen, in denen bestimmte Elemente, z. B. Be-


havior Settings der Wohnumwelt, die einem Individuum alternativ zur Benutzung offenstehen,
nach ihrer subjektiven Wichtigkeit gereiht werden. Die Ermittlung dieser Rangordnungen er-
folgt über zwei verschiedene methodische Ansätze:
~ einerseits wird versucht, durch die Befragung bestimmter Personengruppen sowohl „mani~
festierte Präferenzen" (sie beziehen sich auf tatsächlich ausgeübte Aktivitäten bzw. tat-
sächlich beanspruchte Behavior Setting-Typen) zu erfassen, als auch „latente Präferen.
zen" (sie beziehen sich auf Behavior Setting-Typen, die erst bei Erfüllung bestimmter Rand-
bedingungen — z. B. Verfügbarkeit über mehr Geldmittel — „aktuell" werden);
~ andererseits werden nach einem auf P. A. SAMUELSON (1938) zurückgehenden Ansatz
„offenbarte Präferenzen" festgestellt. Diese manifestieren sich im beobachteten Wahlver-
halten der Individuen, die unter einer Anzahl von (ihnen bekannten) Alternativen diejenigen
wählen, von denen sie glauben, daß sie ihnen den größten Nutzen erbringen.

Die Kritik an diesen methodischen Ansätzen zur Erfassung des subjektiven Handlungsraumes
stützt sich auf die folgenden Haupteinwände (T. E. BUNTING, L. GUELKE, 1979):
1. stellt sich das Problem, ob es mit den dargestellten Methoden überhaupt möglich ist, das Vor-
stellungsbild des einzelnen von seiner Wohnumwelt in genügender Genauigkeit zu erfassen.
Bezüglich der verschiedenen Befragungs-Techniken wird bezweifelt, daß die betroffenen Per-
sonen dazu bereit oder auch überhaupt in der Lage sind, ihre eigentlichen Vorstellungen und
Wünsche an Außenstehende zu offenbaren. Bezüglich der Analyse des Wahlverhaltens ist zu
bedenken, ob die eigentlichen Wünsche und Bedürfnisse aufgrund äußerer Zwänge im beob-
achteten Verhalten überhaupt zum Ausdruck kommen können.
2. wird eingewendet, daß es auch bei genauer Kenntnis der „wahren" Vorstellungsbilder eines
Individuums von seiner Wohnumwelt nicht möglich ist, hinreichend exakte Aussagen über
den Einfluß dieser Vorstellungsbilder auf das individuelle Handeln zu treffen: eindeutige und
direkte Beziehungen, wie sie oft intuitiv unterstellt werden, sind in der Realität kaum nachzu-
weisen: „Moreover, the large volume of research on the environmental perception images and
preferences of individuals and groups has furnished no real understanding of actual behavior
patterns" (T. E. BUNTING, L. GUELKE, 1979, S. 460).

2.3 MODELL DES SOZIALBESTIMMTEN RÄUMLICHEN VERHALTENS


Aus der in den vorhergehenden Abschnitten enthaltenen Gegenüberstellung von verschiedenen
Forschungsansätzen der Stadtanalyse ist zu ersehen, daß
~ zwar eine Anzahl von Ansätzen zu Analysen von objektiven und subjektiven sozialen Räumen
besteht,
~ Aussagen über die Einflußnahme der städtischen Umwelt auf das individuelle Verhalten aber
dennoch nur im begrenzten Umfang möglich sind. Dies ist vor allem in den Wissensdefiziten
bezüglich des Prozesses der „Transformation" vom objektiven sozialen Raum zum „subjek-
tiven Handlungsraum" sowie bezüglich der Zusammenhänge zwischen der Struktur des „sub-
jektiven" Handlungsraumes und den konkreten individuellen Handlungsentscheidungen
begründet.
Ungeachtet dieser Theoriedefizite kann jedoch versucht werden, die Einflüsse der städtischen
Umwelt auf das individuelle Verhalten in einem theoretischen Modell zu erfassen. Ein solcher
Ansatz zur Erklärung des „sozialbestimmten räumlichen Verhaltens", der Erkenntnisse aus ver-
schiedenen Sozialwissenschaften zusammenführt, geht von zwei Gruppen von Basishypothesen
aus (J. STEIN BACH, 1980):
1. von Hypothesen zu einem „Grundmodell des individuellen Verhaltens", die sich auf das Ver-
halten als gesellschaftlich kontrollierten, „kumulativen" Prozeß zur Befriedigung individuel-
ler Bedürfnisse beziehen, sowie
2. von Hypothesen, die standörtliche Einflußfaktoren des individuellen Verhaltens betreffen.

Für das „Grundmodell" des Verhaltens gelten folgende Hypothesen:


1. Das Verhalten hängt von den Randbedingungen gesellschaftlicher Vollzugsnormen ab, die
bestimmte Tätigkeitenmuster konstituieren, an denen das individuelle Handeln zu orientieren
ist. Diese Tätigkeitenmuster sind Inhalte „sozialer Rollen". Jedem Individuum steht zu einem
bestimmten Zeitpunkt seines Lebens der Zugang zu einer mehr oder minder großen Anzahl
sozialer Rollen zur Auswahl. Es handelt sich dabei einerseits um Schi üsselrollen —
das sind
in unserem Gesellschaftssystem Funktionen im Berufsleben —
sowie um zu den „Schlüssel-
rollen" passende „Folgerollen", etwa Funktionen im Freizeit- und Erholungsbereich. Die in
einem „Lebensabschnitt" erfüllten Schlüssel- und Folgerollen konstituieren gemeinsam die
„soziale Mitgliedsrolle" einer Person.
Die Tätigkeiten einer sozialen Mitgliedsrolle
sind als rhythmische Phänomene zu begreifen:
Sie wiederholen sich (innerhalb einer Beobachtungsperiode) in bestimmter Kombination oder
Abfolge, in bestimmten zeitlichen Intervallen und an bestimmten Standorten. Sie laufen ab
in Kommunikation mit bestimmten Personen oder Personengruppen, die komplementäre so-
ziale Rollen erfüllen, und unter Verwendung bestimmter Güter bzw. Geräte. Diese hinsichtlich
ihres räumlich-zeitlichen Ablaufs mehr oder minder konstanten Tätigkeitenzyklen bleiben ei-
nige Zeit unverändert erhalten, sie sind aber dann Modifikationen unterworfen, die sich aus
dem Wechsel von sozialen Rollen ergeben. Bei einem solchen Rollenwechsel wird (in der Re-
gel) zuerst eine neue Schlüsselrolle übernommen, schließlich ändern sich auch die Folgerol-
len, sodaß sich eine neue soziale Mitgliedsrolle mit den entsprechenden Tätigkeitenzyklen
ergibt.
Der Wechel der sozialen Mitgliedsrolle ist durch individuelle „Anspruchsniveaus" begründet.
Die hier zusammengefaßten Bedürfnisse entstehen aufgrund von „äußeren"und „inneren"
Motivationsfaktoren:
a) werden bestehende Bedürfnisse nach einer bestimmten „Sättigungszeit" wieder „akut",
b) werden gleichzeitig auch — in mehr oder minder großem Ausmaß — ständig neue Bedürf-
nisse bewußt. Daher wird in bestimmten Zeitabständen versucht, die Tätigkeitenzyklen
durch die Übernahme neuer sozialer Rollen zu verändern.
Das Entstehen von Bedürfnissen wird wesentlich beeinflußt durch den Vergleich der eigenen
Lebenssituation mit der von „normativen Bezugsgruppen"; das sind z. B. soziale Gruppen, die
eine höherrangige Schlüsselrolle erfüllen: das individuelle Anspruchsniveau bzw. der Lebens-
standard wird an Bedürfnissen orientiert, die für die Mitglieder der normativen Bezugsgruppen
bereits realisiert sind.
Die Tätigkeitensysteme der sozialen Mitgliedsrolle sind als Produktionsprozeß zu begreifen,
in dessen Rahmen die „Produktion" bzw. der Austausch von Sach- und Humankapital erfolgt.
Unter „Sachkapital" werden die einer Person zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ver-
standen sowie alle Güter und Sachen, die sie besitzt, bzw. die ganz oder teilweise in ihrer Ver-
fügungsgewalt stehen. Humankapital ist eine Menge persönlicher Eigenschaften, und zwar
Eigenschaften, die die Art der Tätigkeiten bestimmen, die eine Person ausführen kann (z. B.
berufliche Qualifikation), sowie Eigenschaften, von denen die Leistungsintensität bei der Aus-
führung der Tätigkeiten abhängt (z. B. „Handlungsenergie").
Sachkapital und Humankapital werden gemeinsam mit dem Faktor „Zeit"in bestimmten Men-
genverhältnissen in rollenspezifische Tätigkeiten investiert. Als Produkte dieser Tätigkeiten
ergeben sich Gefühle (etwa „Glücksempfindungen"), die sich auf die stimulierenden Bedürf-
nisse beziehen, sowie neue Bestände an Sach- und Humankapital, die gemeinsam als „Zwi-
schenprodukte" dann wieder in andere rollenspezifische Tätigkeiten investiert werden. Somit
bilden Outputs von Tätigkeiten der sozialen Mitgliedsrolle als Inputs die Voraussetzungen für
die Durchführung von bestimmten anderen rollenbezogenen Tätigkeiten. Solche intraperso-
nalen Transaktionen von Sach- und Humankapital finden besonders zwischen den Tätigkeiten
der Schlüsselrolle und den Tätigkeiten der verschiedenen Folgerollen statt. Outputs von Tä-
tigkeiten der Schi üsselrolle (Geld, wirtschaftlicher oder politischer Einfluß u. a.) werden im
Rahmen von Folgerollen zur unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen verwendet. Ande-
rerseits bilden aber auch Outputs von Tätigkeiten der Folgerollen, besonders an Humankapi-
tal (Gesundheit, Motivationen u. a.), zum Teil unabdingbare Voraussetzungen zur Erfüllung
der Schlüsselrolle.
Die rollenbezogenen Tätigkeiten einer Mitgliedsrolle bilden also in ihrer Gesamtheit ein auf
Wechselwirkung beruhendes dynamisches System, das auf die Akkumulation von Sach- und
Humankapital zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Die verschie-
denen Tätigkeitenzyklen sind
—zirkular verknüpft und
—kumulativ, d. h. sie verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung.
Der Ablauf dieser kumulativen Prozesse wird besonders von denjenigen Beständen an Sach-
und Humankapital gesteuert, denen die Funktion von fixen lnputfaktoren zukommt. Fixe In-
putfaktoren sind bekanntlich in der mikroökonomischen Terminologie Einsatzmengen in den
Produktionsprozeß, die für eine bestimmte Produktionszeit vorgegeben sind und innerhalb
dieser Periode nicht mehr an die Ausbringungsmenge angepaßt werden können. Die Entschei-
dung über diese Faktoren, die den „Produktionsapparat" bilden, erstreckt sich über mehr als
eine Produktionsperiode. (Hingegen gehen die Einsatzmengen variabler lnputfaktoren inner-
halb der Produktionsperiode völlig in die Produktion ein und lassen sich an die gewünschte
Produktionsmenge anpassen. ) Als wichtige fixe Inputfaktoren der Kategorie „Sachkapital"

10
können genannt werden: technische Geräte, besonders Kraftfahrzeuge, die Wohnung mit
ihren Ausstattungselementen und schließlich — wie noch ausführlich zu zeigen sein wird-
der Wohnstandort selbst. Fixe lnputfaktoren der Kategorie „Humankapital" sind persönliche
Eigenschaften, die die Voraussetzung zur Übernahme von sozialen Rollen bilden. So sind etwa
Fertigkeiten, die im Rahmen der beruflichen Ausbildung erworben werden, fixe lnputfaktoren
zur Erfüllung von Schlüsselrollen der folgenden Lebensabschnitte (ihre Anwendung wird
durch Zeugnisse oder Befugnisse legitimiert).

8. Zur Erhaltung bzw. zur Vermehrung der fixen lnputfaktoren beider Kategorien sind ständige
Re- und Nettoinvestitionen notwendig, und zwar an variablen Inputfaktoren aus Sachkapital
(das ist vor allem Einkommen aus Arbeit bzw. aus Transferzahlungen) sowie an variablen In-
putfaktoren aus Humankapital (das sind vor allem „Leistungseinheiten an Handlungsener-
gie" sowie die Einsatzmenge „Zeit").
Diese hier skizzierten Hypothesen aus den Wissensbereichen der soziologischen Rollentheorie,
der psychologischen Bedürfnistheorie sowie der ökonomischen Theorie des Humankapitals
bauen das „Grundmodell" des individuellen Verhaltens auf.
Zur Berücksichtigung der räumlichen Einflußfaktoren des individuellen Verhaltens wird dieses
Grundmodell schrittweise erweitert. Dabei liegen die folgenden Hypothesen bezüglich der Funk-
tion von Wohnstandorten als fixe Inputfaktoren der Kategorie „Sachkapital" zugrunde.

1. Die „Produktion" und der Austausch von persönlichen Ressourcen erfolgt in „Behavior Set.
tings". Das sind —wie schon dargelegt — Einheiten der menschlichen Umwelt, in denen Per-
sonen als Ausführende von komplementären rollenspezifischen Tätigkeiten mit Elementen
des „Sachsystems" als „Funktionseinheiten" kombiniert sind. Eine solche „Funktionsein-
heit" verfügt (im Sinne von K. J. LANCASTER) über „aktivierbare Eigenschaften", die die Tätig-
keitenprogramme des „Behavior Settings" bestimmen.

2. Zur Ausübung bestimmter sozialer Rollen bildet also die Partizipation an bestimmten Beha-
vior Settings die unbedingte Voraussetzung. Die Partizipationschancen (oder die Partizipa-
tionswahrscheinlichkeiten) hängen (wie gezeigt) von Zutritts-, Erreichbarkeits- und Koppe-
lungsbedingungen ab; sie werden vom objektiven und subjektiven sozialen Raum des Wohn-
standortes bestimmt. Der soziale Raum des Wohnstandortes bildet aber nicht nur den Rah-
men für die im gegenwärtigen Lebensabschnitt durchzuführenden Tätigkeiten, sondern be-
stimmt (im Falle des Verbleibs auf dem Wohnstandort) auch die zukünftigen Tätigkeitenpro-
gramme. Er bestimmt insbesondere die Aufstiegsmöglichkeiten im sozialen System, also die
Chancen zum Wechsel der „Schlüsselrollen", und legt somit die Randbedingungen fest, de-
nen die Prozesse zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse an den verschiedenen Stand-
orten unterworfen sind. Durch die Berücksichtigung des sozialen Raumes im theoretischen
Modell des individuellen Verhaltens wird der entscheidenden Funktion des Wohnstandortes
als fixen Inputfaktor Rechnung getragen.

Mit einem Modell, das auf den hier angeführten Hypothesen aufbaut (die Modellstruktur kommt
in Abbildung 3 zur Darstellung), läßt sich einerseits ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen
dem sozialbestimmten räumlichen Verhalten und den Maßnahmen der Stadtentwicklungspla-
nung herstellen. Andererseits bietet der theoretische Modellansatz auch einen Einstieg zur Erfas-
sung der Auswirkungen von nicht unmittelbar standortbezogenen Maßnahmen der staatlichen
Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Wachstums- und Verfallsprozesse persönlicher
Ressourcen.

2.4 PROZESSE DES „SOZIALEN WANDELS"

Nach dem dargestellten Modell bestimmt der soziale Raum (oder der standörtliche Handlungs-
spielraum) des Wohnstandortes als fixer Inputfaktor die gegenwärtigen und zukünftigen Tätig-
keitenmuster der Einwohner. Daher bildet für die Übernahme von neuen sozialen Rollen vielfach
der Wechsel auf einem Wohnstandort, dessen sozialer Raum für die Durchführung der neuen Tä-
tigkeitenmuster besser geeignet ist, eine wesentliche Voraussetzung. Die wichtigsten Bestim-
mungsgründe für eine solche (intra- oder interurbane) Migration sind:

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12
1. der Wechsel der sozialen „Schlüsselrolle", z. B. der Übertritt von der Ausbildungsphase in das
Berufsleben oder das Streben nach dem Aufstieg in der beruflichen Hierarchie. Abbildung 4
zeigt beispielhaft den Verlauf der beruflichen Karriere für männliche Arbeitskräfte mit dem
Qualifikationsniveau „höhere Schulbildung Allgemeinbildende —
Höhere Schule". Vielfach
ist für den beruflichen Aufstieg etwa vom mittleren zum qualifizierten oder vom qualifizierten
zum leitenden Angestellten der Wechsel auf einen Wohnstandort notwendig, in dessen Ein-
zugsbereich die entsprechenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt geboten werden. Dieser
Wechsel der „Schlüsselrolle" steht oft auch im Zusammenhang mit

2. dem Eintritt in eine neue Phase des Lebens. und Familienzyklus, z. B. durch eigene Haushalts-
führung, Heirat, Geburt eines Kindes, Scheidung, Sterbefall u. a. Eine schematische Darstel-
lung der Phasen im Lebenszyklus (nach M. STAPLETON, 1980) ist in Abbildung 5 enthalten.
Hier sind alle wesentlichen Haushalts- und Familientypen dargestellt, denen eine Person im
Verlaufe ihres Lebens zugehören kann, ebenso die möglichen Übergangsformen zwischen
diesen Typen. In den verschiedenen Phasen des Lebenszyklus bestehen jeweils spezifische
Erfordernisse an den sozialen Raum des Wohnstandortes. Während z. B. ein jüngeres, berufs-
tätiges und kinderloses Ehepaar oft eine Wohnung im Stadtzentrum in der Nähe von
Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen bevorzugt und geringere Ansprüche an das Ausmaß
der verfügbaren Wohnfläche stellt, gewinnen mit der Geburt von Kindern andere Strukturmerk-
male des sozialen Raumes an Bedeutung, wie:
Einrichtungen der medizinischen Versorgung, Kindergärten, Schulen, natürlicher Erholungs-
raum, größere Wohnfläche u. a. m.
Im Alter, besonders nachdem die Kinder den elterlichen Haushalt verlassen haben, kann es
wieder zu einer Veränderung der Wohnansprüiche kommen (E. JONES, J. EYLES, 1977).

Abbildung 4: Verlauf der beruflichen Karriere für männliche Berufstätige mit dem Qualifikations-
niveau: „Allgemeinbildende Höhere Schule" in 6sterreich
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Schlüsselrollen scheinlichkeiten zwischen den
AHS Allgemeinbildende Höhere Schule
Schlüsselrollen sind auch die auf
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stiegswahrscheinlichkeiten ange- H Hilfsarbeiter
IllllllllllllllllllllllNlllla .30 bis .45
geben. aH angelernter Arbeiter
aaa a aa a aaa a a a a aa i .45 bis .60 FA Facharbeiter
f&W&WWW .60 bis .75 eA einfacher Angestellter
mA mittlerer Angestellter
.75 bis .90 qualifizierter Angestellter
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Ober .90 IA leitender Angestellter

13
Abbildung 5: Charakteristische Phasen im Lebenszyklus (nach C. M. STAPLETON, 1980)

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childhood
adolescence
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of child

Single-headed family Primary individual"


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children mature ch il dren ma tu re l
Single-headed family

Primary individual
death death death
M marriage
DSW divorce, separation, or widowhood.
a Includes those divorced, separated, widowed, or never-married

Neben dem Wunsch nach der Veränderung des Lebensstils bildet unter Umständen auch das
Bestreben zur Erhaltung der bisherigen Lebensbedingungen den Bestimmungsgrund für den
Wechsel des Wohnstandortes. Dies trifft dann zu, wenn sich der soziale Raum des Wohnstand-
ortes verändert, etwa durch das Abkommen von Einrichtungen der Versorgungsinfrastruktur, den
„Verfall"der Bausubstanz, durch umweltbeeinflussende Industrie- oder Gewerbebetriebe, durch
die Ansiedlung von sozialen Gruppen, die als „störend" empfunden werden, usw. Schließlich
führt auch die „Verdrängung" der Wohnbevölkerung, etwa durch die „Expansion" von „Bürobran-
chen" in zentrumsnahen Wohngebieten, zum (unfreiwilligen) Wechsel des Wohnstandortes.
Die durch diese Bestimmungsgründe initiierte Konkurrenz der Bevölkerung um Wohnstandorte
mit günstigeren Lebensbedingungen verändert die Bevölkerungsstrukturen der innerstädti-
schen Wohnquartiere. Es können „Sukzessionsprozesse" beobachtet werden, die als „zyklische
Stadien des (sozialen) Wandels" (R. D. MC KENZIE, 1924) in ihrer Endphase zu einem mehr oder
minder vollständigen Bevölkerungsaustausch führen. In nordamerikanischen Analysen des Suk-
zessionsprozesses, die sich überwiegend auf das Eindringen von Farbigen in Wohngebiete Wei-
ßer beziehen, werden vier Phasen unterschieden (O. D. DUNCAN; B. DUNCAN, 1957); siehe Abbil-
dung 6 (nach R. J. JOHNSTON, 1971):

~ erstes Eindringen (Penetration): einzelnen Angehörigen einer sozialen Gruppe gelingt es, in
einem Wohnquartier, das überwiegend von Angehörigen einer anderen (z. B. sozial höherran-
gigen) Gruppe besetzt ist, Fuß zu fassen.
~ Invasion: Die Zahl der Eindringlinge steigt langsam an, oft unter dem Widerstand der ansässi-
gen Bevölkerung.
~ Konsolidierung (Sucession): Wenn die Zahl der eindringenden sozialen Gruppe eine be-
stimmte „Toleranzschwelle" überschreitet, verändert sich für die ursprüngliche Wohnbevöl-
kerung die Struktur ihres sozialen Raumes; der Widerstand gegen die Eindringlinge wird
aufgegeben und das „degradierte" Wohnviertel wenn möglich— —
rasch verlassen.
~ Endstadium (Piling up): schließlich ist der nahezu vollständige Austausch der Wohnbevölke-
rung vollzogen, die Angehörigen der ursprünglichen sozialen Gruppen sind nur mehr als „Re-
liktbevölkerung" vorhanden.

Studien in europäischen Großstädten (etwa die Untersuchung von HOFFMEYER-ZLOTNIK, 1976


in Berlin-Kreuzberg) belegen einen sehr ähnlichen Verlauf des Sukzessionsprozesses, allerdings
ist das Endstadium oft (noch nicht) erreicht.

14
Abbildung 6: Der Verlauf des Sukzessionsprozesses (nach R. J. JOHNSTON, 1971)

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Bei einem solchen —


vollständigen oder teilweisen —
Wechsel der Wohnbevölkerung bleibt die
Bausubstanz der Wohnquartiere zumeist mehr oder minder unverändert (wobei sich allerdings
der Erhaltungszustand sukzessive verschlechtert), sodaß die Gebäude im Verlauf ihres „Lebens-
zyklus" von sozioökonomisch immer niedrigrangigeren Gruppen bewohnt werden. Auf diese Wei-
se werden sie —
auch verbunden mit Spekulationen auf den Grundstückswert —
so lange ge-
nutzt, bis sie sogar den Ansprüchen der niedrigrangigsten Nachfragergruppen („
Gastarbeiter" )
nicht mehr genügen. Nach dem Ablauf dieses Prozesses des „Filtering downs" (während seiner
letzten Phasen steigt die Belegungsdichte der Wohnungen z. T. noch beträchtlich an) erfolgt
schließlich der Abbruch oder die Generalsanierung der „abgewohnten" Gebäude. In die Neubau-
ten auf den Grundstücken abgerissener Häuser oder in die sanierten Gebäude ziehen in der Regel
wieder statushöhere soziale Gruppen ein, sodaß sich nach einer „Sanierungsphase" der soziale
Status des Wohnquartiers wieder erhöht, worauf neuerlich die Prozesse der Sukzession und des
„Filtering down" einsetzen können. Dieser idealtypische Verlauf des sozialen Wandels trifft am
ehesten für die Wohngebiete der Mittel- und Unterschicht zu. In den Wohnvierteln der Ober-
schicht, die besonders landschaftlich begünstigte Standorte des Stadtgebietes bevorzugt, wird
das „Filtering down" durch die hohen Grundstückspreise unterbunden. Diese bewirken, daß
Wohngebäude, die den Ansprüchen der Oberschicht-Bevölkerung nicht mehr genügen, umge-
baut oder ersetzt werden, lange bevor ihre eigentliche „Nutzungsdauer" abgelaufen ist.

2.5 SOZIODEMOGRAPHISCHE STRUKTUREN STÄDTISCHER WOHNQUARTIERE


Die Zeitdauer der dargestellten Prozesse des sozialen Wandels (bzw. der Konkurrenz um die
Wohnstandorte mit günstigeren Lebensbedingungen) hängt im wesentlichen von Wirtschafts-
und Bevölkerungswachstum der Stadt sowie von den Angebots- und Nachfrageverhältnissen auf
dem Wohnungsmarkt ab. Ihr Output sind verschiedene Typen von Wohnquartieren nach der Be-
bauungsstruktur sowie nach der sozialen und demographischen Struktur der Bevölkerung, die
sich im Stadtgebiet nach charakteristischen Anordnungsmustern verteilen.
Zur Analyse der Typen städtischer Wohngebiete dienen „deskriptive" Modelle, die unter Verwen-
dung von multivariaten mathematisch-statistischen Rechenverfahren, insbesondere der Fakto-
renanalyse sowie neuerdings auch der Clusteranalyse erstellt werden (siehe die kurzen Erläute-
rungen zu diesen Verfahren im Anhang). Die ersten derartigen Modelle stammen von E. SHEVKY,
W. BELL und M. WILLIAMS (E. SHEVKY, M. BELL, 1955), deren Untersuchungstechnik der „Social
Area Analysis" mit verbesserten Methoden und auf breiterer Datenbasis als „Faktorialökologie"
ihre Fortsetzung findet.

15
Die Ergebnisse vieler faktorialökologischer Modelle bestätigen (für nordamerikanische und z. T.
auch für westeuropäische Städte) das Auftreten von charakteristischen und regelhaft verbreite-
ten Strukturmerkmalen innerstädtischer Wohnquartiere. Die Strukturmerkmale werden durch
drei „Grunddimensionen" gemessen. Diese repräsentieren bestimmte „Bündel" von Variablen,
die innerhalb des Stadtgebietes ähnliche Verteilungsmuster aufzuweisen haben.
Diese Grunddimensionen der Faktorialökologie werden von folgenden Variablen gebildet:
— der ausgeübte Beruf, die Schulbildung, das Mietniveau u. a. beschreiben die Grunddimension
des „sozioökonomischen Status";
—die Geburtenhäufigkeit, die Erwerbstätigkeit der Frauen sowie Kennziffern der Haushalts-
struktur u. a. bestimmen den „Verstädterungsgrad",
—Anteile von rassischen und ethnischen Minderheiten den „Segregationsgrad".
Hinsichtlich der räumlichen Verbreitung dieser Grunddimensionen zeigt es sich, daß die Merk-
malskombination des „sozioökonomischen Status" eher zur sektoralen Verbreitung tendiert,
während für die Variablen des „Verstädterungsgrades" vorwiegend zonale Variationen festge-
stellt wurden. Wohnquartiere, in denen die Variablen der Grunddimension „Segregationsgrad"
besonders ausgeprägt sind, verteilen sich in der Regel „punktförmig" im Stadtgebiet (R. A. MUR-
DIE, 1971).
SHEVKY und BELL nehmen an, daß diese Dimensionen der soziodemographischen Struktur auf
drei grundlegende Prozesse der Gesellschaftsentwicklung von der Agrar- zur Industriegesell-
schaft zurückzuführen sind:
1. Veränderungen der Hierarchie sozialer Schlüsselrollen (vor allem die Differenzierung und Spe-
zialisierung der Berufe)— gemessen durch die Dimension des sozioökonomischen Status—
beeinflussen die Reichweite und die Intensität der zwischenmenschlichen Beziehungen.
2. Veränderungen der „Organisation der Produktion" (J. FRIEDERICHS, 1977) gemessen durch
die Dimension Verstädterungsgrad —führen zur Auflösung der (bäuerlichen) Großfamilie und
zur Dislokation von ursprünglich an einen Haushalt gebundenen Funktionen.

3. Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung —gemessen durch die Dimension


„Segregationsgrad" —bedingen die räumliche Isolation bestimmter Bevölkerungsgruppen.
In der Diskussion dieser Basishypothesen zur Sozialraumanalyse wird darauf hingewiesen, daß
die Aussagen auf den Wandel in der sozialen Organisation der Gesellschaft beschränkt bleiben;
„derZusammenhang von sozialer und räumlicher Organisation wird damit nur an dem kartierten
Produkt der sozialen Organisation erkennbar, aber nicht erklärt" (J. FRIEDERICHS, 1977, S 213).
Eine Erklärung dieser Zusammenhänge erweist sich aber als möglich, wenn:
1. die Raumausstattung in die Analyse mit einbezogen wird, und zwar gemessen durch Variable,
die den „sozialen Raum" der Wohnstandorte abbilden (Merkmale des „Behavior Settings":
Wohnung, Nutzungswahrscheinlichkeiten und „Distanzerwartungswerte" bezüglich der ver-
schiedenen Behavior Settings im Wohnumfeld).
Ein solcher Vergleich der Sozialstruktur mit der Struktur des sozialen Raumes der Wohnstand-
orte kann von einer Interpretation der drei Dimensionen der „Social Area Analysis" nach
P. H. REES (1972), D. T. HERBERT (1973) und J. FRIEDERICHS (1977) ausgehen:
Hier wird die erste Dimension des „sozioökonomischen Status" als Indikator für die Funktion
der Einwohner im ökonomischen Produktionsprozeß bzw. als Indikator für die verfügbaren
„fixen Produktionsfaktoren" an Sach- und Humankapital (berufliche Fertigkeiten u. a.) identi-
fiziert. Die zweite Dimension („Verstädterungsgrad") kennzeichnet die Stellung im Lebens-
zyklus (und damit die Funktion im biologischen Reproduktionsprozeß). Die dritte Dimension
wird — bezogen auf europäische Verhältnisse — weniger als Ausdruck der ethnischen oder
rassischen Segregation interpretiert, sondern eher als Indikator für „Migration" oder „Mobili ~

tät". Ausgehend von dieser interpretation der Grunddimensionen der „SocialArea Analyses"
können
2. die Hypothesen des „Modells des sozialbestimmten räumlichen Verhaltens" zur Beschrei-
bung des Zusammenhanges zwischen sozialer und räumlicher Organisation der Gesellschaft
angewendet werden:
Die Verteilung bestimmter Gruppen der Bevölkerung —
(abgebildet durch die Dimensionen
der „SocialArea Analysis") —
auf Wohnstandorte mit bestimmter Struktur des „sozialen Rau-
mes" (abgebildet durch lndikatoren der Partizipationschancen an den Behavior Settings der
Wohnumwelt) leitet sich aus den in diesem Modell beschriebenen Verhaltensprozessen ab:

16
bekanntlich (siehe Abschnitt 2.3) wird im „Modell des sozialbestimmten räumlichen Verhal-
tens" den Wohnstandorten (bzw. ihrem sozialen Raum) die Funktion von „fixenlnputfaktoren"
in die Schlüssel- und Folgerollen der Bevölkerung beigemessen; von ihrer Verfügbarkeit hängt
die Realisierung persönlicher Bedürfnisse wesentlich ab, ebenso die Chance zum zukünftigen
sozialen Aufstieg. Daher sind „hochrangige" Wohnstandorte, deren „sozialer Raum" die Par-
tizipation an einer größeren Anzahl präferierter Behavior Settings zuläßt, in der Regel „knappe
Güter", die auf dem Wohnungsmarkt zu entsprechend hohen Preisen gehandelt werden. Aus
dem Vergleich der durchschnittlichen Ausprägung der Indikatoren des sozialen Raumes für
die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wird das Ausmaß der Benachteiligung von Einwoh-
nern ersichtlich, die wegen ihrer geringen Verfügbarkeit über Sach- und Humankapital aus
der Konkurrenz um die hochrangigen Wohnstandorte ausscheiden.
Wegen der mangelhaften Ausstattung des „sozialen Raumes" ihrer Wohnstandorte können
diese Gruppen der Bevölkerung bestimmte Aktivitäten bzw. soziale Rollen überhaupt nicht
oder nur unter großen (besonders zeitlichen und finanziellen) Aufwänden ausüben. Sind davon
soziale Schlüsselrollen (z. B. des Berufs- und Ausbildungsbereiches) betroffen, so ist auch
eine zukünftige Vermehrung der persönlichen Ressourcen an Sach- und Humankapital weit-
gehend unmöglich. Dadurch sind die Chancen auf einen günstigeren Wohnstandort ohne we-
sentliche Eingriffe der Stadtentwicklungspolitik weiterhin gering, die soziale und demogra-
phische Segregation der Bevölkerung bleibt erhalten, bzw. verstärkt sich noch zusätzlich.
Nach dem theoretischen Modell bilden die verschiedenen Aktivitäten der sozialen Mitglieds-
rolle einer Person ein auf Wechselwirkung beruhendes dynamisches System, das auf die Be-
friedigung der individuellen Bedürfnisse ausgerichet ist. Wenn bestimmte Aktivitäten dieses
Systems (etwa die Schlüsselrollen des Berufs- und Ausbildungsbereiches) aufgrund fehlen-
der Partizipationschancen am Wohnstandort nicht ausgeführt werden können, so sind davon
auch die übrigen Tätigkeitsbereiche (z. B. des Erholungs- und kulturellen Bereiches) betroffen.
Aus einer weiterführenden Interpretation dieses Vergleiches der Lebenschancen von Wohn-
standorten können auch diese „Sekundäreffekte" bezüglich des Verhaltens der betroffenen
Bewohner erkannt werden.
Somit ergeben sich aus dem dargestellten theoretischen Konzept Ansatzpunkte für standort-
bezogene Maßnahmen zur Verhinderung des „kumulativen Verfalls" der persönlichen Res-
sourcen der Bewohner von Wohnstandorten mit unzureichend ausgestatteten „sozialen Räu-
men":
a) Investitionen in den Wohnungsbau sowie in die „soziale Infrastruktur" zur Verbesserung
der Ausstattung des Wohnumfeldes und direkte Subventionen an die betroffene Bevölke-
rung.
b) Investitionen und organisatorische Verbesserungen bezüglich der Verkehrsinfrastruktur
als Maßnahmen zur Verbesserung der Erreichbarkeits- bzw. Koppelungsbedingungen und
zur Erweiterung der sozialen Räume von Wohnstandorten.
Gleichzeitig können auch die Effekte des Zusammenwirkens der standortbezogenen Maßnah-
men mit den nicht unmittelbar raumbezogenen Maßnahmen der staatlichen Wirtschafts- und
Sozialpolitik abgeschätzt werden.
Allerdings setzt ein solcher Vergleich der Ausstattung des sozialen Raumes von Wohnstand-
orten mit den persönlichen Ressourcen und den Verhaltensmustern ihrer Bewohner die Ver-
fügbarkeit über ein statistisches Datenmaterial voraus, das derzeit nur ansatzweise existiert.

2.6 SOZIALE INDIKATOREN ALS INSTRUMENTE DER STADTPLANUNG


Die Messung der sozioökonomischen und demographischen Strukturmerkmale sowie der Aus-
stattung des „sozialen Raumes" der Wohnstandorte erfolgt über ein System „sozialer
Indikatoren".
Soziale lndikatoren sollen als „statistische Merkmale" bestimmter gesellschaftlicher Tatbestän-
de (P. LAMPE, 1975) empirische Äquivalente zu (z. B. im „Modell des sozialbestimmten räumli-
chen Verhaltens" ) definierten theoretischen Dimensionen und Begriffen sein. Neben ihrer Funk-
tion der „Transformation" von theoretischen Erkenntnissen eignen sich die „sozialen lndikato-
ren" aber auch als Grundlage für die Operationalisierung von allgemeiner formulierten Zielen
der Stadtentwicklungspolitik. Zum Beispiel kann das Planungsziel „Verbesserung der Lebensbe-
dingungen im Wohnumfeld" durch Richtwerte —das sind „quantitative Angaben mit Zielcharak-
ter für zukünftige Zeitpunkte und Räume" (J. H. MÜLLER — —
W. D. SIEBERT, 1976) konkretisiert
werden, die sich auf die Indikatoren des sozialen Raumes der Wohnstandorte beziehen.

17
Analog zur Struktur des „Modells des sozialbestimmten räumlichen Verhaltens" sind Input- und
Outputindikatoren sowie objektive und subjektive Indikatoren zu unterscheiden (R. THOSS,
1974):
~ Objektive lnputindikatoren bilden etwa die Struktur objektiver sozialer Räume ab oder objektiv
meßbare persönliche Ressourcen der Wohnbevölkerung an Humankapital (z. B. das berufli-
che Qualifikationsniveau) und Sachkapital (z. B. die Einkommensverhältnisse). Hingegen be-
werten subjektive Inputindikatoren den subjektiven Nützlichkeits- oder Präferenzgrad be-
stimmter objektiver Tatbestände für die betroffene Wohnbevölkerung. Subjektive lnputindika-
toren sind also z. B. Indikatoren des subjektiven „sozialen Raumes".
~ Objektive Outputindikatoren beziehen sich zum Beispiel auf die Gewinne bzw. Verluste an
Sach- und Humankapital (Einkommenszuwächse, Erhöhung des Qualifikationsniveaus, Ver-
änderungen im Gesundheitszustand) oder auf Veränderungen in den Strukturen sozialer Räu-
me; sie messen also den „objektiven" Output von Tätigkeiten der sozialen Mitgliedsrolle. Ana-
log zu den lnputindikatoren bewerten subjektive Outputindikatoren den subjektiven Nutzen,
der den betroffenen Einwohnern aus ihren Tätigkeitssystemen erwächst.
Die Schwierigkeiten der Messung der sozialen lndikatoren nehmen allgemein von den inputindi-
katoren (vielfach Daten aus der amtlichen Statistik) zu den Nutzenindikatoren (meist selbst „er-
zeugte" Daten, z. B. Ergebnisse repräsentativer Meinungsumfragen) monoton zu. Da zudem be-
züglich der subjektiven indikatoren die größeren Theoriedefizite bestehen (siehe Abschnitt 2.2.2),
sollte bei der Konzeption eines Systems sozialer lndikatoren für die Stadtplanung zunächst das
Schwergewicht auf den objektiven Indikatoren liegen.
Soziale lndikatoren, wie sie im Rahmen der folgenden empirischen Untersuchung bezüglich der
Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur, Wohnungsverhältnissen und Wohnumwelt darge-
stellt werden, sollten für die planende Verwaltung als wesentliche Entscheidungsgrundlage je-
derzeit verfügbar sein. Dazu ist die Einrichtung eines EDV-gestützten lnformationssystems not-
wendig, das aus
— einer „Datenbank" besteht, die notwendige statistische Grunddaten für möglichst kleine
räumliche Bezugseinheiten (Baublock, Zählgebiet) zusammenfaßt. Diese Daten sollten je-
weils dem neuesten Stand entsprechen. Die Datenbank wird
— durch eine „Modellbank" ergänzt. Diese enthält die Modelle, mit deren Hilfe z. B. die Indi-
katoren des „sozialen Raumes" („Distanzerwartungswerte", Partizipationschancen, u. a.)
errechnet werden.
Betrachtet man die in den folgenden Abschnitten dargestellten Untersuchungsergebnisse, so
drängt sich die Frage auf, welchen Interessen die gegenwärtig verbreitete Ablehnung tiefgreifen-
der statistischer Erhebungen eigentlich dient: mit Hilfe des derzeit verfügbaren (z. T. überdies
schon überalteten) statistischen Datenmaterials kann gerade annähernd gezeigt werden, wie
groß die Benachteiligungen bestimmter Gruppen der Wiener Bevölkerung bezüglich der Woh-
nungs- und Wohnumweltverhältnisse derzeit sind. Fehlende Informationen behindern jedoch die
Konzeption wirksamer stadtentwicklungspolitischer Strategien zur Lösung dieser Problemla-
gen. Eine Stadtentwicklungsplanung, die sich am Leitbild einer weitgehenden „Chancengleich-
heit" orientiert, muß — bei strenger Wahrung des persönlichen Datenschutzes — auf einer ge-
nauen Kenntnis der Lebenssituation der Bewohner der verschiedenen Wohngebiete aufbauen.
Nur so können auch Maßnahmen rechtzeitig erkannt und modifiziert werden, die sich zur Erfül-
lung der Planungsziele nicht eignen (siehe etwa die Aussagen zur Wirkung des Wohnungsverbes-
serungsgesetzes in Abschnitt 8).

18
3. SOZIALSTRUKTUR, WOHNUNGSVERHÄLTNISSE UND WOHNUMWELT

3.1 EINFÜHRUNG
Die Analyse der Sozialstruktur der Wiener Bevölkerung, ihrer Wohnungsverhältnisse sowie ihrer
Wohnumwelt baut auf den dargestellten theoretischen Konzepten auf. Es wird davon ausgegan-
gen, daß der „soziale Raum" (Wohnung und Wohnumwelt) einen wesentlichen und besonders
für den sozialen Aufstieg entscheidenden inputfaktor in die sozialen Mitgliedsrollen der Bevölke-
rung darstellt. „Soziale Räume" sind daher „knappe" Güter, die auf verschiedenen, stark seg-
mentierten (Wohnungs-)Teilmärkten gehandelt werden. Diese Marktmechanismen prägen die
städtische Siedlungsstruktur: den räumlichen Verbreitungsmustern der Bevölkerung nach Merk-
malen des sozioökonomischen Status und der Stellung im Lebens- und Familienzyklus entspre-
chen Verbreitungsmuster von „sozialen Räumen", die durch Wohnungen bestimmter Größe und
Ausstattung sowie durch eine bestimmte Wohnumwelt gekennzeichnet sind.
Aufgabe der vorliegenden Analyse ist die Darstellung dieser Zusammenhänge für das Wiener
Stadtgebiet: Es soll gezeigt werden, wie sich der Wohnungsbestand und die Typen der Wohn-
umwelt auf die verschiedenen sozialen Gruppen verteilen und in welchem Ausmaß sich daraus
Benachteiligungen bezüglich der „Lebenschancen" der Bevölkerung ergeben. Diese Aufgaben-
stellung wird in den folgenden Arbeitsschritten behandelt:
~ Zuerst erfolgt —
unter Anwendung „faktorialökologischer" Methoden — eine Typisierung der
Wiener Wohnstandorte nach dem sozioökonomischen Status der Wohnbevölkerung und ihrer
Stellung im Lebens- und Familienzyklus. Diese Typen der Wohnstandorte bilden die Bezugs-
einheiten der folgenden Untersuchungen.
~ Sodann wird die Verteilung des Wiener Wohnungsbestandes — charakterisiert durch Indika-
toren der Wohnungsgröße und -ausstattung — auf die in den verschiedenen Standorttypen
vorherrschenden sozialen Gruppen analysiert.
~ Im dritten Arbeitsschritt steht die Beziehung zwischen Sozialstruktur und Wohnumwelt im
Mittelpunkt. Dabei wird zunächst ein lndikatorensystem zur Abbildung der Wohnumweltver-
hältnisse dargestellt. Mit diesem lndikatorensystem können die Unterschiede in der Ausstat-
tung der Wohnumwelt, die zwischen den sozialen Gruppen bestehen, abgebildet werden. Ein
aus der Biologie übernommener Forschungsansatz, der sich auf „ökologische Nischen" be-
zieht, ermöglicht die Erfassung des „Bindungsgrades" der sozialen Gruppen an bestimmte
Typen der Wohnumwelt sowie des Ausmaßes der „Anpassung" an die durchschnittlichen
Wohnumweltverhältnisse in Wien.
~ Schließlich werden die Ergebnisse dieser Analysen der Sozialstruktur, der Wohnungs- und
Wohnumweltverhältnise mit den Veränderungen der Zahl der Wohnbevölkerung und ihrer de-
mographischen Struktur zwischen 1971 und 1980 verglichen. Es ergeben sich dadurch An-
haltspunkte bezüglich des „sozialen Wandels" in den Wiener Wohngebieten.

3.2 SOZIODEMOGRAPHISCHE GLIEDERUNG DES WIENER STADTGEBIETES


Die sozialen indikatoren zur Kennzeichnung der Wiener Wohnstandorte nach dem soziökonomi-
schen Status der Wohnbevölkerung und ihrer Stellung im Lebens- und Familienzyklus beziehen
sich auf die räumlichen Einheiten der 1265 Wiener Zählgebiete und sind den Datenbeständen
der Volkszählung 1971 bzw. der Häuser- und Wohnungszählung 1973 des Österreichischen Stati-
stischen Zentralamtes entnommen. Ihre Auswahl erfolgte nach dem dargestellten theoretischen
Konzept und unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus vorhergehenden Untersuchungen
(z. B. J. STEINBACH, 1975). Insgesamt werden folgende statistische Merkmale verwendet:
1. als Indikatoren des Ausbildungsniveaus
Anteile der Einwohner mit höherer- und Hochschulbildung, mittlerer Schulbildung sowie mit
Pflichtschulbildung an der Gesamtzahl der Einwohner mit abgeschlossener Schulbildung.
Hier wird die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Schichten über das „Bildungsniveau" er-
faßt, da den in den amtlichen Zählungen üblichen „sozioökonomischen Indikatoren" der
„Stellung im Beruf" relativ geringe Aussagekraft zukommt.
2. als Indikatoren der demographischen Struktur
~ Anteile der jungen (unter 15 Jahre) und alten (über 65 Jahre) Einwohner an der Wohn-
bevölkerung
~ Anteil der Einpersonenhaushalte an der Gesamtzahl der Haushalte
~ Geschlechtsproportion (Männer/Frauen x 100)

19
3. als Indikatoren der Wohnungsverhältnisse
Anteile der Wohnungen nach den Ausstattungsstufen:
~ „Fließwasser, WC, Bad und (z. T.) Zentralheizung"
~ „Fließwasser, WC"
~ „ohne Fließwasser, bzw. ohne WC" an der Gesamtzahl der Wohnungen
~ durchschnittliche Wohnfläche je Einwohner
Die charakteristischen Kombinations- und Ausprägungsformen dieser Variablen in den Wiener
Zählgebieten wurden mit Hilfe eines Rechenverfahrens aus der „Familie" der Clusteranalysen
ermittelt, wobei sich unter den verschiedenen Varianten dieses methodischen Ansatzes ein so-
genanntes „partielles" Verfahren (KMEANS) als das geeignetste erweist (zur Methode der
Clusteranalyse siehe die kurze Darstellung im Anhang). Ergebnisse dieser Analyse sind Typen
der Zählgebiete nach den räumlichen Verbreitungsmustern der oben genannten Indikatoren.
Allerdings gehen nur die indikatoren des Ausbildungsniveaus und der demographischen Struktur
unmittelbar in die Typenbildung ein. Die lndikatoren der Wohnungsgröße und Wohnungsausstat-
tung bleiben als sogenannte „maskierte" Variable ohne unmittelbaren Einfluß auf das Klassifika-
tionsverfahren, jedoch werden ihre durchschnittlichen Ausprägungen für die errechneten Typen
der Zählgebiete von den Rechenprogrammen ausgewiesen. Durch diese Vorgangsweise können
die zwischen den verschiedenen sozioökonomischen und demographischen Gruppen der Bevöl-
kerung bestehenden Unterschiede in den Wohnungsverhältnissen erfaßt werden.
Die Ergebnisse der Clusteranalyse sind in der Karte 1 zusammengefaßt. Sie enthält „verbale"
Kurzdefinitionen der ermittelten Typen der Zählgebiete und soll den Überblick über die Klassifi-
kationsergebnisse erleichtern. In der Beilage zu Karte 1 werden auch die Rechenergebnisse do-
kumentiert, und zwar in Form von arithmetischen Mittelwerten, die sich jeweils auf die in einem
Strukturtyp zusammengefaßten Zähl gebiete beziehen. Dabei sind diejenigen Kennwerte, die be-
sonders zur Charakterisierung der Typen beitragen, eigens gekennzeichnet.
Die Clusteranalyse der Wiener Zählgebiete ergibt vier Haupttypen von Wohnstandorten nach den
Indikatoren der abgeschlossenen Schulbildung, die sich in unterschiedlicher Weise mit vier
Haupttypen nach der demographischen Struktur kombinieren. Dabei bilden die Haupttypen der
ersten Kategorie die Dimensionen des „sozioökonomischen Status" der „SocialArea Analysis"
ab, die sich auf die Funktionen im Produktionsprozeß, bzw. auf die verfügbaren Inputfaktoren
an Sach- und Humankapital bezieht.
Die Haupttypen der zweiten Kategorie entsprechen der Dimension des „Verstädterungsgrades"
und kennzeichnen die Stellung im Lebens- und Familienzyklus. Somit stellen die Ergebnisse der
Clusteranalyse Kombinationsformen dieser beiden „Grunddimensionen" innerstädtischer Be-
völkerungsstrukturen dar:
1. Ein Haupttyp des sozioökonomischen Status ist gekennzeichnet durch die Dominanz von An-
gehörigen unterer sozialer Schichten, das sind nach den verwendeten indikatoren Einwohner
mit Pflichtschulbildung. Ihr Anteil beträgt in den entsprechenden Klassen von Zählgebieten
zwischen 81 und 87 v. H. der gesamten Einwohner mit abgeschlossener Schulbildung (siehe
Karte 1).
In diesem Haupttyp nach den sozialen Verhältnissen sind Zählgebiete vereinigt, die allen vier
Haupttypen nach der demographischen Bevölkerungsstruktur („Verstädterungsgrad") ange-
hören, sodaß die „Wohngebiete mit Dominanz der Unterschicht" in vier Subtypen nach der
Stellung der Einwohner im Lebens- und Familienzyklus zu untergliedern sind:
Typ 1: Dominanz unterer sozialer Schichten — Überalterung
Hier ist die demographische Struktur gekennzeichnet durch den hohen Anteil alter (über
65-jähriger) Personen, durch die große Zahl der Einpersonenhaushalte, meist Rentner oder
Pensionisten in den Endphasen des Lebenszyklus, sowie durch die unausgeglichene Ge-
schlechtsproportion in der den (alten, alleinstehenden) Frauen ein besonderes Übergewicht
zukommt.
Typ 2: Dominanz unterer sozialer Schichten — durchschnittliche demographische Struktur,
z. T. überdurchschnittlicher Anteil von Einpersonenhaushalten
Typ 3: Dominanz unterer sozialer Schichten — durchschnittliche demographische Struktur,
z. T. unterdurchschnittliche Anteile von Einpersonenhaushalten und alten Einwohnern
Die Typen zwei und drei umfassen Zählgebiete mit „Unterschicht-Charakter", die hinsichtlich
der Positionen ihrer Bewohner im Lebens- und Familienzyklus zumeist dem Wiener Mittel an-
genähert sind, allerdings zeigen bestimmte demographische lndikatoren auch deutliche Ab-
weichungen von den Durchschnittswerten des Wiener Stadtgebietes. So ist der Typ zwei

20
durch den überdurchschnittlichen Anteil von Einpersonenhaushalten (einem Überalterungs-
merkmal) dem Typ eins angenähert, die unterdurchschnittlichen Anteile von Einpersonen-
haushalten und alten Einwohnern des Typ drei weisen auf eine gewisse Affinität zur demo-
graphischen Struktur des folgenden Typs vier hin.
Typ 4: Dominanz unterer sozialer Schichten — „günstige" demographische Struktur
In diesem Typ von Zählgebieten sind die indikatoren für die Stellung im Lebens- und Familien-
zyklus „konträr" zum Typ 1 ausgeprägt und kennzeichnen „günstige" demographische Ver-
hältnisse. Die soziale Mitgliedsrolle der meisten Einwohner wird von Funktionen innerhalb
einer Mehr-Personen-Familie bestimmt, alte Menschen und „Reliktfamilien" treten nur relativ
selten auf.
2. Im zweiten Haupttyp von Wohngebieten nach dem sozioökonomischen Status entsprechen
die Anteile der Angehörigen der drei unterschiedenen Ausbildungsstufen den Wiener Durch-
schnittswerten. Sie liegen für die Einwohner der Ausbildungsstufe: Pflichtschule zwischen
73 und 76 v. H. , für die der Stufe: mittlere Schulbildung zwischen ca. 11 und 12 v. H. und für
die Einwohner mit höherer und Hochschulbildung zwischen 12 und 15 v. H.
Dieser zweite Haupttyp von Wohngebieten nach den lndikatoren des sozioökonomischen Sta-
tus ist mit drei der insgesamt vier Haupttypen nach den indikatoren des Lebens- und Familien-
zyklus kombiniert.
Typ 5: durchschnittliche Verbreitung der sozialen Schichten— Überalterung
Typ 6: durchschnittliche Verbreitung der sozialen Schichten— durchschnittliche demogra.
phische Struktur
Typ 7: durchschnittliche Verbreitung der sozialen Schichten — „günstige" demographische
Struktur
3. Der dritte Haupttyp nach dem sozioökonomischen Status faßt Zählgebiete zusammen, deren
Besatz mit Einwohnern der Ausbildungsstufen: Pflichtschule und Mittlere Schule ebenfalls
nicht besonders vom Wiener Durchschnitt abweicht, allerdings sind die Angehörigen des Bil-
dungsniveaus: höhere und Hochschulbildung (als sozialer Indikator der Oberschicht) in etwas
überdurchschnittlichem Ausmaß vertreten. Die entsprechenden Klassenmittel werte für die
drei Ausbildungsstufen betragen (von der Pflichtschul- über die mittlere zur höheren und
Hochschulbildung): ca. 61 bis 64 v. H. , ca. 13,5 v. H. sowie ca. 24 bis 25 v. H.
Dieser dritte Haupttyp tritt mit zwei der Haupttypen nach der Position der Einwohner im
Lebens- und Familienzyklus zusammen:
Typ 8: durchschnittliche Verbreitung sozialer Schichten bei etwas bedeutenderen Anteilen
der Oberschicht — Überalterung
Typ 9: durchschnittliche Verbreitung sozialer Schichten bei etwas bedeutenderen Anteilen
der Oberschicht — z. T. günstige demographische Struktur
4. Der vierte Haupttyp nach dem sozioökonomischen Status charakterisiert schließlich die „ech-
ten" Wohngebiete der Oberschicht. Hier betragen die v. H. -Anteile der Angehörigen des höch-
sten Bildungsniveaus ca. 35 bis 39 v. H. , während auf die mittlere Schulbildung ca. 13 v. H. ,
auf die Pflichtschulbildung ca. 49 v. H. entfallen. Als einziger der Haupttypen nach dem sozio-
ökonomischen Status ist dieser Oberschicht-Haupttyp hinsichtlich der demographischen
Strukturmerkmale nicht weiter differenziert. In den hier zugehörigen Zählgebieten sind die
Merkmale des Lebens- und Familienzyklus in etwa durchschnittlich ausgeprägt:
Typ 10: Dominanz oberer sozialer Schichten— durchschnittliche demographische Struktur
Die Verteilung der Wiener Wohnbevölkerung auf die dargestellten Typen der Zählgebiete nach
dem sozioökonomischen Status und der Stellung im Lebens- und Familienzyklus für den Zeit-
punkt der Querschnittsanalyse (1971) ist aus Tabelle 4 zu ersehen. Um die Vergleichbarkeit mit
den Daten der „Bevölkerungsevidenz1980" des Magistrats der Stadt Wien zu gewährleisten, wird
hier allerdings nur die inländische Wohnbevölkerung berücksichtigt.
Betrachtet man zunächst die Verteilung der inländischen Wohnbevölkerung Wiens nach den
Haupttypen des sozioökonomischen Status, so zeigt es sich, daß annähernd 50 v. H. der Bevölke-
rung in Zählgebieten leben, die durch das Vorherrschen unterer sozialer Schichten (gemessen
durch den Indikator „Pflichtschulbildung") charakterisiert sind. Etwa 25 v. H. entfallen auf Zähl-
gebiete, deren soziales „Mengungsverhältnis" etwa dem Wiener Durchschnitt entspricht; aller-
dings mit etwas bedeutenderen Anteilen der Oberschicht. Die Wohnquartiere mit Dominanz obe-
rer sozialer Schichten (gemessen durch die dargestellte Ausprägung des Indikators „Höhere und
Hochschulbildung") beherbergen nur etwas weniger als 7 v. H. der inländischen Wohnbevölke-
rung. Ein geringer Rest der Bevölkerung lebt in Zählgebieten mit relativ geringer Wohnnutzung,
die in der vorliegenden Analyse nicht klassifiziert wurden.

21
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22
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR
Quelle: Gliederung Wiens J. Steinbach,
Funktionelle Karte 1:
d. MA 18, 1980, Flächennutzvngserhebung
i.A.
SOZIALSTRUKTUR, DEMOGRAPHISCHE STRUKTUR UND WOHNVERHÄLTNISSE
der MA 18 Stand 1975/76 Arbeitsstätten—
zählung 1973, USTZA Volkszählung 1971 Dargestellt sind Typen von Zählgebieten nach der Sozialstruktur, der demographischen Struktur und den
Entwurf: J. Steinbach Wohnverhältnissen der Bevölkerung. Zählgebiete mit vorwiegend betrieblicher Nutzung ("Betriebsge-
Grundkarte . Blockgliederung MD —ADV biete ) smd nicht berucksichtigt
Zählgebietseinteilung sron Wien
Kartographie: IS Institut für Stadtforschvng Wohnungsausstattung:
Typen der Sozialstruktur Demographische Anteil der Wohnungen Wohnfläche
Betriebsgebiete Zöhlgebiete ( Ausbil dungs struktur )
Struktur mit Fließwasser, WC, Bad je Einwohner
z. T. Zentralheizung
( Industrie —,Gewerbe-
und

vnd Dienstleistungsbetriebe )
Oberalterung, hoher
Gewässer
Dominanz unterer sozialer Anteil an Einpersonen-
Unterdurchschnittlich
Unbebautes Gebiet Schichten ( Einwohner mit haushalten, stark Sehr gering
21 —22 m')
(
Pflichtschulbildung ) unausgeglichene
Geschlechtsproportion

Z. T. überdurchschnitt-
Dominanz unterer sozialer licher Anteil von Em-
Unterdurchschnittlich
Schichten ( Einwohner mit personenhaushalten, an- Meist gering
( 21 —22 m')
Pf licht schulbildung ) sonsten durchschnittliche
Merkmalausprögung

Z. T. unterdurchschnitt-
Dominanz unterer sozialer liche Anteile von Ein-
personenhaushalten und Unterdurchschnittlich
Schichten Einwohner mit Unterschiedlich
(21 —23 m')
(

Pflichtschulbildung alten Einwohnern an


)
sonsten durchschnitt-
liche Merkmalausprögung

Geringer Anteil von


Dominanz unterer sozialer alten Einwohnern und
Unterdurchschnittlich
e Schichten ( Einwohner mit Einpersonenhaushalten, Sehr hoch
w
(
20 —21 m')
Pflichtschulbildung ) eher ausgeglichene
Geschlechtsproportion

l H Durchschnittliche
malausprögung

schnitt von
(
ent-
sprechend dem Durch-
Wien)
Merk- Oberalterung, hoher Anteil
an Empersonenhaushalten,
stark unausgeglichene
Geschlechtsproportion
Meist
unterdurchschnittlich
Durchschnittlich
(
27 —28 m')

l
H Durchschnittliche
malausprögung ( ent-
sprechend dem Durch-
schnitt von Wien)
Merk-
Durchschnittliche
Merkmalausprögung

Geringer Anteil von


Meist
durchschnittlich
Durchschnittlich
( 25 —27 m')

DurchschnittlicheMerk- alten Einwohnern und


male usprögung ( ent- Unterdurchschnittlich
Einpersonenhaushalten, Sehr hoch
sprechend dem Durch- (23m')
eher ausgeglichene
schnitt von Wien)
O 4& z~z Geschlechtsproportion

H
Oberalterung, überdurch-
Dominanz oberer sozialer schnittlicher Anteil an
Schichten ( Einwohner mit Überdurchschnittlich
Einpersonenhaushalten, Überdurchschnittlich
Mitt)erer-, Höherer- und ( 33 —34 m')
starke unausgeglichene
Hoc hschulbildung ) Geschlechtsproportion

H
Z. T. unterdurchschnitt-
"VA Dominanz oberer sozialer
o licher Anteil an Einper-
Überdurchschnittlich
Schichten (Einwohner mit sonenhaushalten und Sehr ho«h
Mittlerer Höherer und alten Einwohnern, (30m')
Hoc hschulbildung ) weniger unausgeglichene
Geschlechts ro ortion
H~HH

H
Starke Dominanz oberer
Maßstab 1:100000 sozialer Schichten ( Ein-
Durchschnittliche Überdurchschnittlich
wohner mit Mittlerer -, Sehr hoch
0 1km 2 3 4 5 Merkmalausprögung ( 35 —41 rn')
Höherer - und Hochschul-
bildung
In der Bilanz der Wohnbevölkerung nach den Haupttypen der Positionen im Lebens- und Fami ~

lienzyklus entfallen auf die Zählgebiete mit „Tendenz zur Überalterung" sowie auf die Zählgebie-
te mit „durchschnittlicher demographischer Bevölkerungsstruktur und einzelnen Überalterungs-
merkmalen" Bevölkerungsanteile von jeweils ca. 35 v. H. Nicht ganz 18. v. H. der Bevölkerung
sind den durch die Merkmalskombination „durchschnittliche demographische Bevölkerungs-
struktur, z. T. günstige Strukturmerkmale" gekennzeichneten Zählgebietstypen zugeordnet. Ins-
gesamt 12 v. H. der inländischen Wohnbevölkerung lebt in Wohnquartieren mit „günstiger demo-
graphischer Struktur", also mit dem Vorherrschen von Personen in relativ frühen Phasen des
Lebens- und Familienzyklus.
Es kann somit in Wien eine deutliche Segregation der Wohnbevölkerung sowohl nach dem sozio-
ökonomischen Status als auch nach der Position der Einwohner im Lebens- und Familienzyklus
beobachtet werden.

3.3 SOZIALSTRUKTUR UND WOHNUNGSVERHÄLTNISSE


Für die zehn Strukturtypen der Zählgebiete nach dem sozioökonomischen Status der Wohnbevöl-
kerung und ihrer Stellung im Lebens- und Familienzyklus sind auch die Indikatoren der Woh-
nungsverhältnisse in bestimmter Regelhaftigkeit ausgeprägt (siehe Karte 1).

1. Die Indikatoren der Wohnungsausstattung ( = Ausstattung der Wohnungen mit Naßanlagen)


verbinden sich in ihrer Variation relativ eng mit den lndikatoren der Stellung im Lebens- und
Familienzyklus.
~ So ist der Merkmalskomplex „Überalterung" zumeist mit dem Merkmal: „schlechte bis un-
terdurchschnittliche" Ausstattung der Wohnungen mit Naßanlagen (z. T. einschließlich
Zentralheizungen) verknüpft. Dies gilt für die Unterschicht-Wohnquartiere aber auch noch
für die Wohngebiete mit ausgeglichener Sozialstruktur. Erst beim überdurchschnittlichen
Auftreten der Oberschicht verringert sich der Anteil schlecht ausgestatteter Wohnungen
bedeutend.
~ Auch die Wohngebiete, deren demographische Struktur dem Wiener Durchschnitt ent-
spricht, sind hinsichtlich der Wohnungsausstattung ebenfalls noch benachteiligt. Diese
ist meist „schlecht" bis „unterschiedlich" bei Vorherrschen der Unterschicht und nur
„durchschnittlich" in Zählgebieten mit ausgeglichener Sozialstruktur.
~ Nur die Wohngebiete „günstiger" demographischer Struktur sind unabhängig von ihrer So-
zialstruktur durch eine in der Regel „sehrgute" Ausstattung der Wohnungen gekennzeich-
net. Es handelt sich dabei um die Neubaugebiete am Stadtrand, die z. T. von der Gemeinde
(meist Unterschicht-Wohngebiete), z. T. von Genossenschaften und Vereinen (meist Wohn-
gebiete mit ausgeglichener Sozialstruktur) errichtet wurden. Demgegenüber kennzeichnen
die beiden erstgenannten Kombinationsformen von Indikatoren der Wohnungsausstat-
tung und von indikatoren des Lebens- und Familienzyklus vorwiegend den Altbaubestand.
Hier ist die Wohnungsausstattung oft unzureichend, und zwar nicht nur in den
Unterschicht-Quartieren, sondern auch in den sozial ausgeglicheneren Gebieten' ), nicht
hingegen in den gründerzeitlichen Vierteln der Oberschicht.

2. Im Gegensatz zur Wohnungsausstattung, die mit der Stellung im Lebens- und Familienzyklus
korreliert, variiert die Wohnungsgröße (gemessen durch den Indikator: Wohnfläche je Einwoh-
ner) unabhängig von den demographischen Strukturmerkmalen mit dem sozioökonomischen
Status der Wohnbevölkerung. Die durchschnittliche Wohnfläche je Einwohner beträgt in:
~ Unterschicht-Wohngebieten 21 bis 23 m'
~ in Wohngebieten mit durchschnittlich ausgeprägter Sozialstruktur 23, in Neubaugebieten
bis 28m'
~ in Wohngebieten mit durchschnittlich ausgeprägter Sozialstruktur und etwas bedeutende-
ren Anteilen der Oberschicht 30 bis 34 m'
~ in Oberschicht-Wohngebieten 35 bis 41 m'.

') Allerdings sind hier die Auswirkungen der Wohnungsverbesserungsgesetze (seit 1971) noch nicht berück-
sichtigt, da die verarbeiteten Daten der Häuser- und Wohnungszählung entstammen. Es ist nachzuweisen,
daB die seither erfolgten Verbesserungen der Wohnungsausstattung (mit NaBanlagen) vorwiegend die Alt-
baubereiche mit ausgeglichener Sozialstruktur (weniger die Unterschicht-Viertel) betreffen (T. HEINZE,
1980, siehe auch Abschnitt 8).

23
Aus den Ergebnissen der Clusteranalyse der Wiener Zählgebiete nach den lndikatoren des sozio-
ökonomischen Status und der Position im Lebens- und Familienzyklus sowie nach den lndikato-
ren der Wohnverhältnisse läßt sich also deutlich zeigen, daß:
1. der kommunale und ein Gutteil des privatwirtschaftlichen Wohnbaus zwar die sozialen Dispa-
ritäten hinsichtlich der Wohnungsausstattung (mit Naßanlagen) zu verringern vermochte,
nicht hingegen die Benachteiligungen hinsichtlich der Wohnungsgröße;
2. Ansprüche an die Wohnungsausstattung vor allem in den frühen Phasen des Lebens- und Fa-
milienzyklus realisiert werden, wobei diese Investitionen offenbar auch für Einwohner mit ge-
ringer Verfügbarkeit an persönlichen Ressourcen vordring lieh sind. Hingegen sind die Anfor-
derungen an die Größe der Wohnung vorwiegend nur für die Oberschicht erfüllt, die jüngeren,
kinderreichen Familien der Unterschicht bleiben benachteiligt;
3. besonders im dicht verbauten Stadtgebiet eine große Zahl von Wohnungen besteht, die hin-
sichtlich ihrer Größe und/oder Ausstattung weit unter dem Durchschnitt liegen. Diese werden
vorwiegend von Angehörigen der Unterschicht bewohnt.

3.4 RÄUMLICHE VERBREITUNG DER ZÄHLGEBIETSTYPEN


Die zehn mit Hilfe der Clusteranalyse ermittelten Strukturtypen von Zählgebieten kommen in der
Karte 1 „Sozialstruktur, demographische Struktur und Wohnverhältnisse" zur Darstellung. Hier
werden die Wohngebiete der Unterschicht durch dunkelblaue (Überalterung) bis hellblaue und
graue („günstige" demographische Struktur) Farbtöne gekennzeichnet; Wohngebiete mit durch-
schnittlicher Sozialstruktur sind in Braun dargestellt, Wohnviertel mit überdurchschnittlichen
Anteilen der Oberschicht in roten Farben.
Die räumliche Verteilung der Strukturtypen läßt ein zonales Gliederungsprinzip erkennen.
~ In den Wohngebieten der Innenstadt dominiert zumeist die soziale Oberschicht (Typen 10 und
8), die zum Teil auf benachbarte Wohngebiete („Ärzteviertel" im 3., „Diplomatenviertel" im
9. Bezirk) übergreift.
~ Die von Bezirken zwischen Ring und Gürtel sowie von einem Teil des 2. Bezirkes gebildete
„innere" Zone um das Stadtzentrum (hier sind die Zählgebietstypen 5, 6 und 8 verbreitet) hat
eine hinsichtlich des sozioökonomischen Status gemengte Bevölkerungsstruktur aufzuwei-
sen, zum Teil überwiegen Einwohner in den letzten Phasen des Lebens- und Familienzyklus.
Auch die Indikatoren der Wohnungsverhältnisse sind hier oft „durchschnittlich" ausgeprägt.
~ An diese „innere Zone" schließt der „Kreisring" der gründerzeitlichen Arbeiterwohnbezirke
an, der nur im Nordwesten im Bereich des 18. und 19. Bezirkes unterbrochen ist. Diese Zone,
in der die Zählgebietstypen 1, 2, zum Teilauch 3 vorherrschen, ist durch das Zusammentreffen
der Merkmale „niederer sozioökonomischer Status", „Überalterung" und „problematische
Wohnungsverhältnisse" gekennzeichnet. Hier sind die umfangreichsten Aufgaben der Stadt-
erneuerung zu bewältigen.
~ Die äußerste Zone des Stadtrandes gliedert sich in zwei Hauptbereiche
—der eine davon umfaßt die Abhänge des Wienerwaldes an der nordwestlichen, westlichen
und südwestlichen Peripherie, die als landschaftliche Gunstlagen besonders von Angehö-
rigen der Oberschicht besetzt sind (vorherrschende Typen 10 und 9, zum Teil 8)
— hingegen sind die Stadterweiterungsgebiete im Süden und in den Bezirken jenseits der Do-
nau (die zum Teil an alte Siedlungskerne anschließen) vorwiegend Wohngebiete mit domi-
nanter Unterschicht, bzw. „Mischgebiete" mit überdurchschnittlichen Anteilen von Ein-
wohnern in den ersten Phasen des Lebens- und Familienzyklus (Zähl gebiets-Typen 4, 3 und
7). Wie die Indikatoren der Wohnungsverhältnisse zeigen, konnten hier durch den (vorwie-
gend kommunalen und genossenschaftlichen) Wohnbau die Disparitäten bezüglich der
Wohnungsausstattung abgebaut werden, jedoch zumeist nicht die Benachteiligungen hin-
sichtlich des verfügbaren Wohnraumes.

3.5 SOZIALSTRUKTUR UND WOHNUMWELT

3.5.1 Indikatorensystem zur Abbildung der Wohnumwelt


Im Rahmen der Darstellung der theoretischen Konzepte, die diesem Abschnitt der Arbeit zugrun-
deliegen, wurde der soziale Raum der Wohnstandorte als „Aktionsraum" definiert, der die von
der Bevölkerung im Rahmen der Durchführung ihrer Aktivitätenprogramme aufgesuchten Beha-
vior Settings enthält. Die vorliegende empirische Analyse beschränkt sich auf die Abbildung der-

24
jenigen Teilbereiche des Aktionsraumes der Wohnstandorte, die zu Fuß erreicht werden
können').
Zur Begrenzung des „fußläufigen" Einzugsbereiches eines Wohnstandortes (Zählgebietes) wird
eine Gehzeit von maximal 10 Minuten angenommen; ein solcher Wegaufwand zur Besorgung der
Güter und Dienste des täglichen Bedarfes bildet für die Mehrzahl der Haushalte keine besondere
Belastung. Die Ausstattung der so definierten Wohnumwelt mit den entsprechenden
Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen wird durch verschiedene lndikatoren erfaßt:
~ Der erste dieser Indikatoren bezieht sich auf die „Einzelhandelsbetriebe des täglichen Bedar-
fes" und mißt die Zahl der Beschäftigten in den Betriebsstätten folgender Branchen:
Einzelhandel mit: Fleischprodukten, Milcherzeugnissen, Süßwaren, Obst und Gemüse, Wild
und Geflügel, Fischen, Kaffee und Tee, Nahrungs- und Genußmittel, sonstigen Nahrungsmit-
tel, Tabakwaren, kosmetischen Erzeugnissen, Haushaltsgeräten, Papierwaren, Gemischtwa-
ren, sowie: Reparatur von Schuhen.
Die statistischen Grundlagen für diesen Indikator entstammen der Betriebsstättenzählung
1973 des Österreichischen Statistischen Zentralamtes. Dies gilt auch für die folgenden lndika-
toren, zu deren Errechnung Beschäftigtendaten verwendet werden.
~ Zu den wichtigstenEinrichtungen des „Nahbedarfes" zählen die Dienstleistungen des Versor-
gungsbereiches „Gesundheit —
Körperpflege". Der entsprechende Indikator gibt die Anzahl
der Beschäftigten in ärztlichen Ordinationen und Apotheken, sowie in Betriebsstätten der
Dienstkategorie „Körperpflege" an.
~ Ein weiterer Indikator bildet die Ausstattung der „Wohnumwelt" mit Betrieben des Gastge-
werbes ab und faßt die Beschäftigten in Gasthöfen, Schank- und Speisewirtschaften sowie
in Kaffeehäusern zusammen.
~ Die Ausstattung der „Wohnumwelt" mit Einrichtungen des „Geldwesens" wird durch die Zahl
der Beschäftigten in Banken und Sparkassen ausgedrückt. Da in der Betriebsstättenzählung
nicht zwischen den Bank- bzw. Sparkassenfilialen und den zentralen Verwaltungsbüros der
großen Bankanstalten getrennt wird, ergeben sich hier für das „Bankenviertel" der Innenstadt
und seinem „fußläufigen" Einzugsbereich wesentlich überhöhte Indikatorenwerte, während
in den übrigen Stadtbereichen die tatsächliche Versorgungssituation erfaßt wird.
~ Zwei lndikatoren bewerten die Versorgung der Bevölkerung mit Grünflächen, wobei sich der
erste auf die öffentlichen Grünflächen bezieht. Dieser Grünflächenkoeffizient 1 gibt die An-
zahl der Quadratmeter Park- und öffentliche Grünflächen im „fußläufigen" Einzugsbereich an,
die im Durchschnitt auf einen Bewohner des Wohnstandortes (Zählgebiet) entfallen.
~ Der Indikator der Versorgung mit öffentlichen Grünflächen wird durch einen zweiten Indikator
ergänzt, der das Auftreten von „sonstigen Grünflächen mit Erholungswert" bemißt. Der Grün-
flächenkoeffizient 2 drückt den auf einen Einwohner entfallenden Flächenanteil der zu Fuß
erreichbaren Flächen von Kleingärten, begrünten Hoff lächen, Acker-, Wiesen-, Wald- und
Wasserflächen aus, wobei die verschiedenen Flächenarten nach ihrem „Erholungswert" ge-
wichtet sind').
~ Schließlich wird als letzter Indikator zur Abbildung der Wohnumweltverhältnisse die Bevölke-
rungsdichte verwendet, aus deren Ausprägung auf die Bebauungsstruktur und die Beson-
nungsverhältnisse geschlossen werden kann. Dieser Dichtewert bezieht sich ebenfalls auf
den „fußläufigen" Einzugsbereich der Wohnstandorte (Zählgebiete) und gibt die Zahl der Ein-
wohner je ha „Wohnfläche" (Wohnbaufläche + „gemischte" Baufläche + Gemeinbedarfsflä-
che) an. Die Flächendaten dieses Indikators und der beiden Grünflächenindikatoren entstam-
men der Flächennutzungserhebung des Magistrates der Stadt Wien.
Die besprochenen sieben indikatoren erfassen wesentliche Strukturmerkmale der Wohnumwelt
flir die Wiener Zählgebiete. Wie dies schon bei den Indikatoren der Wohnungsverhältnisse ge-
schehen ist, werden nun in einem nächsten Verfahrensschritt auch die durchschnittlichen Aus-
prägungen dieser Wohnumwelt-Indikatoren für die Typen der Zählgebiete nach den sozioökono-
mischen und demographischen Strukturmerkmalen der Wohnbevölkerung miteinander vergli-
chen. Dieser Vergleich soll die Unterschiede in der Ausstattung des „sozialen Raumes" aufzei-
gen, wie sie in den verschiedenen Wohngebieten Wiens auftreten.

') Somit bleibt der umfassendere Teilbereich des Aktionsraumes der Wohnstandorte, der durch die Netze
des öffentlichen und des lndividualverkehrs erschlossen wird, hier unberücksichtigt.
') Die zur Gewichtung verwendeten „Erholungsfaktoren" betragen: Sport-, Spielplätze 1,0, Kleingärten 0,5,
Grünland, Acker 0, 7, Weinbau 0, 5, Wasser, Wald, Auen 1,0, Friedhöfe 0, 2, nichtöffentliche Parks 0, 2.

25
3.5.2 Sozioökonomischer Status, Stellung im Lebenszyklus und Wohnumwelt

Die Ergebnisse dieses Vergleiches sind aus Tabelle 2 ersichtlich. Hier werden die Mittelwerte
der sieben Indikatoren für die Zählgebietstypen nach dem sozioökonomischen Status und der
Stellung im Lebens- und Familienzyklus mit den entsprechenden Mittelwerten für die Gesamt-
stadt in Relation gesetzt: es sind die Prozentsätze der positiven und negativen Abweichungen
der einzelnen lndikatoren von den Wiener Durchschnittswerten angegeben.
Vergleicht man zunächst die Ausstattung der Wohnumwelt mit Dienstleistungseinrichtungen,
so zeigt es sich, daß die Werte dieser Indikatoren vielfach mit dem sozioökonomischen Status
der Wohnquartiere korrelieren (dies gilt besonders für die Wohngebiete mit Dominanz unterer
bzw. oberer sozialer Schichten) zum Teil aber auch (besonders in Fällen von Wohngebieten mit
durchschnittlicher Sozialstruktur) mit der Stellung der Bevölkerung im Lebens- und
Familienzyklus:
~ In den peripheren Wohngebieten mit Dominanz der Unterschicht und günstiger bis durch-
schnittlicher demographischer Struktur liegen die Abweichungen der indikatorenwerte für die
Versorgungsbereiche: Einzelhandel des täglichen Bedarfes, Gesundheit, Körperpflege, Gast-
gewerbe und Geldwesen zwischen 60 und 98 v. H. unter den entsprechenden Mittelwerten für
Gesamt-Wien.
Auch in den zentrumsnäheren Wohnbereichen mit überwiegender Unterschicht-Bevölkerung
und durchschnittlicher bis stark überalteter demographischer Struktur sind die Indikatoren-
werte für das Gastgewerbe und das Geldwesen sowie teilweise auch für den Dienstleistungs-

bereich „Gesundheit Körperpflege" unterdurchschnittlich ausgeprägt (minus 23 bis minus
83 v. H. ). Hingegen ist hier die Versorgung mit täglichen Bedarfsgütern mindestens im durch-
schnittlichen Ausmaß gewährleistet (positive Abweichungen von + 1 bis + 30 v. H. ).
~ In den Wohnquartieren mit „Dominanz" oder mit „bedeutenderen Anteilen" oberer sozialer
Schichten zeigt sich hingegen die beste Versorgungssituation: die entsprechenden Zählge-
biete im Stadtzentrum (mit überalterter bis durchschnittlicher demographischer Struktur) er-
reichen die größten positiven Abweichungen der lndikatoren von den Werten des Stadtdurch-
schnittes (bis + 165), aber auch für die eher an der Peripherie des Stadtgebietes gelegenen
Wohnstandorte (durchschnittliche bis günstige demographische Struktur) ergeben sich zu-
mindest mittlere oft aber auch deutlich überdurchschnittliche Indikatorenwerte.
~ Für die Wohngebiete mit durchschnittlicher Sozialstruktur sind dagegen beträchtliche Aus-
stattungsunterschiede festzustellen, die mit der Lage im Stadtgebiet und der demographi-
schen Struktur variieren. Zählgebiete dieses Typs in peripherer Lage (mit meist „günstiger"
demographischer Struktur) erweisen sich als im ähnlichen Maße unterversorgt wie die ent-
sprechenden Wohngebiete mit überwiegender Unterschicht-Bevölkerung; hier liegen die lndi-
katorenwerte zwischen minus 54 und minus 94 v. H. unter dem Stadtmittel. Demgegenüber
zeigen die Indikatoren für Gebiete mit durchschnittlicher Sozialstruktur und „Überalterung"
der Wohnbevölkerung, die unmittelbar an das Stadtzentrum anschließen, abgesehen vom
„Geldwesen" (das sich in der City konzentriert) eine durchwegs sehr günstige Versorgungssi-
tuation an (mit positiven Abweichungen von den Mittelwerten zwischen + 27 und + 38). Die
Zählgebiete mit durchschnittlicher Verbreitung der sozialen Schichten und ebenfalls durch-
schnittlicher demographischer Struktur haben auch Indikatorenwerte aufzuweisen, die sich
den Mittelwerten für die Gesamtstadt annähern (+ 13 bis — 26 v. H. ).
Gegenüber diesem Verbreitungsmuster der Dienstleistungs-lndikatoren, das ähnlich wie der in-
dikator der Wohnungsgröße stärker an die Unterschiede bezüglich des sozioökonomischen Sta-
tus gebunden ist, verändert sich die Ausprägung der beiden Grünflächen-Indikatoren vor allem
in Abhängigkeit von der Entfernung vom Stadtzentrum; sie entspricht also eher der Verbreitungs-
struktur der demographischen Bevölkerungsmerkmale (siehe Karte 2):
~ So haben die zentrumsnahen, mehr oder minder „überalterten"' Wohnquartiere unabhängig
von ihrer Sozialstruktur sowohl hinsichtlich der Ausstattung mit „öffentlichen Park- und Grün-
flächen" als auch mit „sonstigen Grünflächen mit Erholungswert" beträchtliche Defizite auf-
zuweisen (eine Ausnahme bilden die Wohnquartiere im Einzugsbereich der Ringstraßenzone);
für die entsprechenden Indikatoren ergeben sich negative Abweichungen im Ausmaß zwi-
schen 30 und 91 v. H. ihrer Stadtmittelwerte.
~ Demgegenüber sind die peripheren Wohngebiete mit mehr oder minder „günstiger" demogra-
phischer Bevölkerungsstruktur entweder mit öffentlichen Grünflächen und mit „sonstigen
Freiflächen" sehr gut ausgestattet, oder es ist zumindest eine der beiden Kategorien von „Er-
holungsflächen" in überdurchschnittlichem Ausmaß vertreten.

26
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR

Karte 2:

VERSORG UN6 MIT G RÜ NFLÄC HEN

Dargestellt sind Typen der Zählgebiete nach der Versorgung der


Bevölkerung mit:
~ Parkanlagen mit öffentlichen Grünflächen und
~ sonstigen Freiflächen mit Erholungswert.
Die Versorgung wird durch „Grünflächenkoeffizienten" ge-
messen.
~ Der Grünflächenkoeffizient 1 (GFK 1) gibt die Anzahl der
Quadratmeter an Park- und öffentlichen Grünflächen im „fuß-
läufigen" Einzugsbereich der Zählgebiete (ca. 10 Minuten
Gehzeit) an, die im Durchschnitt auf einen Einwohner (der
Zählgebiete) entfällt.
~ Der Grünflächenkoeffizient 2 (GFK 2) drückt den auf einen
Einwohner entfallenden Flächenanteil (in Quadratmetern)
der zu Fuß erreichbaren Flächen von Kleingärten, begrünten
Hoff lächen, Acker-, Wiesen-, Wald-, Wasser- usw. Flächen
aus, wobei die verschiedenen Flächenarten nach ihrem
„Erholungswert" gewichtet sind.
Die Typen der Zählgebiete nach der Ausprägung der beiden
Grünflächenkoeffizienten sind im untenstehenden Diagramm
dargestellt.

GFK 2

250
100
50

GFK l
10 30 50 70 100

Arbeitsgrundlagen:
Unterlagen der Magistratsabteilung 18
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27
Ein ähnliches Verbreitungsmuster, wie es diese beiden Grünflächen-Indikatoren aufzuweisen ha-
ben, ergibt sich auch für den Indikator der Einwohnerdichte, dessen Werte in den überalteten
zentralen Wohngebieten zumeist weit über dem Wiener Dichtemittel liegen, während die negati-
ven Abweichungen der Randlagen zwischen minus 16 und minus 47 v. H. des Mittelwertes
betragen.
Dieser Vergleich der Wiener Wohnstandorte bezüglich der Ausstattung des Wohnumfeldes zeigt
also beträchtliche Disparitäten zwischen den verschiedenen Zählgebietstypen mit unterschiedli-
cher sozialer und demographischer Struktur. Im nächsten Abschnitt der Arbeit wird untersucht,
inwieweit sich die verschiedenen sozialen Gruppen an Ausstattungstypen der Wohnumwelt an-
passen bzw. in welchem Ausmaß ihre Verbreitung an bestimmte Umweltstrukturen gebunden ist.
Dabei kommt eine aus der ökologischen Biologie übernommene Untersuchungsmethode zur
Anwendung.

3.5.3 Anpassung und „Bindungsgrad" der Bevölkerung an die Wohnumwelt


Dieser methodische Ansatz aus dem Forschungsgebiet der Biologie basiert auf dem Konzept
der „ökologischen Nische", das sich mit den Beziehungen zwischen verschiedenen pflanzlichen
oder tierischen Species und ihren natürlichen Lebensräumen befaßt und auf den folgenden An-
nahmen aufbaut (G. E. HUTCHINSON, 1965):
1. Jede (pflanzliche oder tierische) Art stellt bestimmte Lebensansprüche, deren Realisierung
an bestimmte Umweltfaktoren gebunden ist.
2. In der Regel konkurrieren mehrere Arten mit ähnlichen Lebensansprüchen um die Standorte
mit den für sie günstigsten Umweltbedingungen, sodaß es zur Verdrängung unterlegener Ar-
ten auf suboptimale Standorte kommt.
3. Daher wird in der ökologischen Theorie zwischen zwei Kategorien „ökologischer Nischen"
unterschieden:
~ die „fundamentale" (oder „abstrakte") Nische kennzeichnet die optimalen Lebensbedin-
gungen einer tierischen oder pflanzlichen Art. Es handelt sich dabei um ein theoretisches
Modell, in dem jede Art von Konkurrenz ausgeschlossen bleibt (die gleiche „ökologische
Nische" wird jeweils nur von einer Art besetzt)
~ hingegen bildet die „realisierte Nische" die tatsächlichen Lebensbedingungen der ver-
schiedenen Arten ab und berücksichtigt die beobachteten Verdrängungsprozesse.
Aus dem Vergleich zwischen der „fundamentalen" und der „realisierten Nische" ergeben sich
Aufschlüsse über das Ausmaß der „Bindung" verschiedener Arten an bestimmte Lebensräu-
me sowie über ihre Anpassungsfähigkeit an suboptimale Lebensbedingungen.
4. Zur empirischen Erfassung dieser beiden Kategorien ökologischer Nischen wurden einige
Kennzahlen entwickelt. Diese bemessen die „Nischenbreite", den „Überlappungsgrad" der
Nischen u. a.
Nach den im Rahmen dieser Arbeit dargestellten theoretischen Konzepten bezüglich
~ der „Struktur des sozialen Raumes" der Wohnstandorte
~ des „sozialbestimmten räumlichen Verhaltens"
~ der „Prozesse des sozialen Wandels"
~ der Struktur und Funktion des Wohnungsmarktes
können diese „Nischenkonzepte" aus der „biologischen" Ökologie mit bestimmten Modifikatio-
nen in eine „humanökolog ische" Analyse der Beziehungen zwischen sozialen Gruppen und ihren
städtischen Lebensräumen übernommen werden. Dabei kommen die im folgenden dargestellten
Kennzahlen der „fundamentalen" und „realisierten" Nische zur Anwendung. Sie wurden (in der
vorliegenden Form) von P. KEYS und N. THRIFT (1980) für eine Analyse entwickelt, in deren Rah-
men das „Nischenkonzept" zur Erfassung von „Industrial Enviroments" angewendet wird.

3.5.3.1 Kennzahlen der „realisierten" und „fundamentalen" „ökologischen" Nische' )


1. Kennzahl d: „Ausmaß der Anpassung"
Die erste der hier besprochenen Kennzahlen bezieht sich auf die „realisierte" ökologische
Nische. Sie bemißt den Abstand zwischen
') In diesem Abschnitt der Arbeit steht die Interpretation der Kennzahlen des „nischentheoretischen Kon-
zeptes" im Vordergrund, ihre mathematischen Berechnungsmethoden werden im Anhang ausführlicher
dargestellt.

28
~ der durchschnittlichen Ausprägung der indikatoren der Wohnumwelt für die Wohnstandor-
te einer betrachteten sozialen Gruppe und
~ der durchschnittlichen Ausprägung dieser Indikatoren bezogen auf die Gesamtzahl der
Wohnstandorte im Stadtgebiet.
Je größere Werte dieses Abstandsmaß zwischen dem gesamt-städtischen durchschnittlichen
„Indikatorenprofil" und den Durchschnittswerten für die Wohnumwelt einer bestimmten so-
zialen Gruppe annimmt, in desto geringerem Ausmaß ist die soziale Gruppe an die von der
Mehrzahl der städtischen Wohnstandorte angebotenen Wohnumweltverhältnisse angepaßt.
2. Kennzahl r: „Nischenbreite"
Das „biologische" Nischenkonzept geht von der (in der biologischen Evolutionstheorie be-
gründeten) Annahme aus, daß die Strukturmerkmale der für eine bestimmte Art festgestellten
durchschnittlichen „ökologischen Nische" annähernd ihren optimalen Verbreltungsbedin-
gungen entsprechen. Diese Hypothese ist jedoch im Rahmen einer „humanökologischen" Un-
tersuchung nicht zulässig:
Während die verschiedenen pflanzlichen und tierischen Species einer Untersuchungsregion
um eine Vielzahl von artspezifisch „optimalen" Standorttypen konkurrieren, trifft dies für die
Wohnbevölkerung einer Stadt nicht zu: die sozialen Gruppen präferieren mehr oder minder
Standorte desgleichen Ausstattungstyps, die meist nur in beschränkter Anzahl zur Verfügung
stehen. Die Nutzungschancen bezüglich dieser „optimalen" Standorte hängen — wie darge-
stellt— von der Verfügbarkeit über Sach- und Humankapitel ab, sie werden auf dem Woh-
nungsmarkt vermittelt.
Daher kennzeichnen im Gegensatz zum biologischen Anwendungsbereich die durchschnittli-
chen Strukturmerkmale der Wohnumwelt für eine soziale Gruppe mit geringer Verfügbarkeit
Ober finanzielle Mittel keinesfalls ihre optimalen Verbreitungsbedingungen, sondern nur ihre
Position auf dem Wohnungsmarkt. Die auf die „fundamentale" Nische bezogene Kennzahl
r muß also für die „humanökologische" Anwendung des Nischenkonzeptes anders interpre-
tiert werden.
Nach einer „humanökologischen" Interpretation drückt die Kennzahl der „Nischenbreite": r
nur das Ausmaß aus, in dem die Verbreitung einer sozialen Gruppe auf bestimmte Wohn-
umweltverhältnisse beschränkt bleibt. Diese entsprechen zumeist keineswegs optimalen
Standortbedingungen und ergeben sich aufgrund der Partizipationschancen der betrachteten
sozialen Gruppe an bestimmten Teilbereichen des Wohnungsmarktes. Hohe Werte von r kön-
nen also im Gegensatz zur biologischen Nischentheorie auch eine sehr intensive Verbreitung
einer sozialen Gruppe (ohne „Mobilitätschancen") auf Standorten mit ungünstigen Wohnum-
weltbedingungen anzeigen, während niedrige Werte dieser Kennzahl auf relativ große Abwei-
chungen der Wohnumwelt von einem solchen Gruppendurchschnitt hindeuten (es besteht al-
so zumindest für einen Teil der Gruppenmitglieder die Chance zur „Mobilität" auf günstigere
Wohnstandorte).
3. Kennzahl c: „Konzentrationsgrad"
Im biologischen Nischenkonzept sagen hohe Werte von c aus, daß die Mehrzahl der Individuen
einer Art auf Standorten lebt, deren Umwelt den „optimalen" Strukturmerkmalen (= den
Strukturmerkmalen des Gruppenmittels) weitgehend angenähert ist. Ebenso wie für die Kenn-
zahl r kann auch bei der „humanökologischen" Interpretation der Kennzahl c das „Optimali-
tätskriterium" der biologischen Nischentheorie nicht akzeptiert werden. Im vorliegenden
Anwendungsfall kennzeichnen hohe Werte von c eine Konzentration der Angehörigen einer
sozialen Gruppe auf solchen Wohnstandorten, deren Wohnumwelt den (günstigen oder un-
günstigen) Werten des Gruppendurchschnittes entspricht.
Die beiden Kennzahlen r und c sind also in ähnlicher Richtung zu interpretieren. Sie bemessen
gemeinsam den „Bindungsgrad" sozialer Gruppen an bestimmte Wohnumweltsverhältnisse:
r drückt die Breite der „ökologischen Nischen" aus, c den Konzentrationsgrad auf bestimmte
Standorttypen.

3.5.3.2 Ausprägung der Kennzahlen


In der „humanökologischen" Analyse beziehen sich die Kennzahlen der „Anpassung", der
„Nischenbreite" und des „Konzentrationsgrades" auf soziale Gruppen als „menschliche
Species" mit unterschiedlichen persönlichen Ressourcen an Sach- und Humankapital. Daher
müssen als Vorbedingung zur Errechnung der Kennzahlen zunächst
a) die sozialen Gruppen nach statistischen Merkmalen definiert werden. Sodann sind

29
b) die Wohnstandorte zu erfassen, auf denen die Mitglieder der verschiedenen sozialen Gruppen
auftreten. Die Wohnumwelts-Indikatoren dieser Wohnstandorte bilden die Grundlage für die
Errechnung der sozialgruppenbezogenen Kennzahlen der Nischentheorie.
ad a)
Zur Definition der sozialen Gruppen dienen die Merkmale, die auch der Typisierung der Zählgebie-
te zugrundeliegen: es sind dies als lndikatoren des sozioökonomischen Status die Ausbildungs-
niveaus: Pflichtschulbildung, mittlere Schulbildung sowie höhere und Hochschulbildung. Als
Indikator der Stellung im Lebenszyklus werden Kennwerte des Lebensalters der Bevölkerung
verwendet.
ad b)
Die Erfassung der Verbreitungsgebiete der sozialen Gruppen erfolgt mit Hilfe von Schwellenwer-
ten, die sich aus der Typisierung der Zählgebiete nach den soziodemographischen Strukturmerk-
malen der Bevölkerung ableiten. Als Schwelienwerte für die Merkmale des sozioökonomischen
Status gelten:
~ ein Anteilswert der Einwohner mit Pflichtschulbildung (an der Gesamtzahl der Einwohner mit
abgeschlossener Schulbildung) von über 70 v. H.
~ ein Anteilswert an Einwohnern mit mittlerer Schulbildung von über 9 v. H.
~ ein Anteilswert der Einwohner mit höherer und Hochschulbildung von über 13 v. H.
Die Position im Lebenszyklus wird durch den Anteilswert der älteren Personen (über 65 Jahre)
an der Wohnbevölkerung ausgedrückt:
~ Dabei kennzeichnet ein Anteilswert (der über 65jährigen) von über 23 v. H. die relative Domi-
nanz von Einwohnern in den letzten Lebensphasen („Überalterung")
~ ein Anteilswert zwischen 18 und 23 v. H. zeigt eine etwa durchschnittliche demographische
Struktur an, während
~ für die relative Dominanz jüngerer Einwohner (günstige Bevölkerungsstruktur) ein Anteil von
unter 18 v. H. als Schwellenwert gilt.
Nach diesen statistischen Merkmalen und ihren Schwellenwerten wurden die „Verbreitungsge-
biete" für Bevölkerungsgruppen ermittelt, und zwar nach
~ dem sozioökonomischen Status
~ der Stellung im Lebenszyklus sowie nach
~ der Kombination beider Merkmale.
Diese „Verbreitungsgebiete" entsprechen zum großen Teil dem Verbreitungsmuster der im Ab-
schnitt 3.2 dargestellten Zählgebietstypen, der Unterschied jedoch liegt darin, daß ein „Verbrei-
tungsgebiet" (oder eine soziale Gruppe) gleichzeitig auch in mehreren Zählgebietstypen (beson-
ders in den „Mischtypen") vorkommen kann.
Die Indikatoren der Wohnumwelt für die in den verschiedenen „Verbreitungsgebieten" zusam-
mengefaßten Wohnstandorte (Zählgebiete) bilden die Grundlage für die Berechnung der
nischentheoretischen Kennzahlen. Eine Zusammenfassung der Rechenergebnisse ist in
Tabelle 3 enthalten.
Vergleicht man zunächst die Ausprägung der Kennzahlen für die Merkmale des sozioökonomi ~

sehen Status, so ergibt sich — wie die relativ hohen Werte von d zeigen — für die Wohnbevölke.
rung mit Pflichtschulbildung (als Indikator für die soziale Unterschicht) das geringste Ausmaß
der Anpassung an die durchschnittlichen Wiener Wohnumweltverhältnisse: (d = 0, 760). Die ent-
sprechenden sozialen Gruppen leben, wie schon im vorigen Abschnitt der Arbeit dargestellt, häu-
fig in Zählgebietstypen, deren Umwelt-Indikatoren vor allem hinsichtlich der Versorgung mit
Grünflächen, z. T. aber auch mit Dienstleistungen, beträchtlich unter dem Stadtmittel liegen, ihre
Wohnumwelt erweist sich als wesentlich ungünstiger als der Wiener Durchschnitt. Aus dem nied-
rigen Wert von r ist ersichtlich, daß die „ökologische Nische" dennoch recht „breit"ist: Einwoh-
ner mit Pflichtschulbildung kommen also auch auf anderen (zumeist besser ausgestatteten)
Wohnstandorten vor, jedoch weist der relativ hohe Wert der Kennzahl des „Konzentrationsgra-
des" (c) darauf hin, daß die Chancen zur „Mobilität" nur im geringen Ausmaß genutzt werden
können.
Die Wohnbevölkerung mit mittlerer Schulbildung paßt sich am weitaus besten an die durch-
schnittlichen Wohnumweltsbedingungen von Wien an (d = 0 050), gleichzeitig ist auch die ökolo-
gische Nische dieser Bevölkerungsgruppe enger, d. h. die schlechtesten Wohnstandorte der
Stadt werden von ihr nicht besetzt.

30
Tabelle 3: Kennzahlen der „realisierten" und „fundamentalen" ökologischen Nische für soziale
Gruppen nach dem sozioökonomischen Status und der Stellung im Lebenszyklus
Kennzahlen der
Soziale Gruppen ökologischen Nischen

Pflichtschulbildung 0, 760 0, 036 0, 52

mittlere Schulbildung 0, 050 0, 056 0, 42

höhere und Hochschulbildung 0, 250 0, 059 0, 37

„Überalterung" 0, 045 0, 079 0, 50

durchschnittliche Bevölkerungsstruktur 0, 339 0, 025 0, 56

„günstige" Bevölkerungsstruktur 0,812 0, 007 0,84

„Überalterung" 0,836 0, 081 0,64

durchschnittliche
Pflichtschul- 1,026 0, 019 0, 50
Bevölkerungsstruktur
bildung
„günstige" 1, 115 0, 160 1,38
Bevölkerungsstruktur

„Überalterung" 0, 157 0, 069 0, 43

durchschnittliche
mittlere 0, 627 0, 033 0, 76
Bevölkerungsstruktur
Schulbildung
„günstige" 1,031 0, 155 1,28
Bevölkerungsstruktur

„Überalterung" 0, 434 0,085 0,41

durchschnittliche
höhere und 0, 794 0, 035 0,82
Bevölkerungsstruktur
Hochschulbildung
„günstige" 0, 155 1,26
1,054
Bevölkerungsstruktur

Auch die Wohnumwelt der Einwohner mit höherer und Hochschulbildung (als Indikator für die
soziale Oberschicht) weicht von den durchschnittlichen Wiener Verhältnissen wesentlich ab
(d = 0, 250), allerdings in anderer Richtung als für die Pflichtschulabsolventen: bekanntlich wur-
den für die Zählgebietstypen mit Dominanz der Oberschicht zumeist positive Abweichungen der
Umweltindikatoren vom Stadtmittel festgestellt. Wie zu erwarten, zeigt der Wert der Kennzahl r,
ähnlich wie für die Bevölkerung mit mittlerer Schulbildung, eine relativ „enge"fundamentale
Nische an. Es besteht also eine stärkere Tendenz zur Konzentration der Oberschicht auf den gün-
stigsten Wohnstandorten, allerdings bedeutet der niedrige Wert von c, daß sich die Angehörigen
der Oberschicht auf eine Anzahl verschiedener präferierter Standorttypen (in der City sowie an
der westlichen Peripherie des Stadtgebietes) verteilen.
Auch im Vergleich der Nischen-Kennzahlen, die sich auf die Altersgruppen der Wohnbevölkerung
beziehen, zeigen sich signifikante Unterschiede:
~ Während sich die ältere Bevölkerung in hohem Maße an die durchschnittlichen Wohnumwelts-
verhältnisse in Wien anpaßt (d = 0, 045), gilt für die jüngeren Bevölkerungsschichten genau
das Gegenteil (d = 0, 812): wie schon oben dargestellt, unterscheiden sich die entsprechen-
den Zählgebietstypen besonders hinsichtlich der Ausstattung mit Grünflächen beträchtlich
von den Wiener Durchschnittswerten.

31
~ Ältere Einwohner sind auf eine Anzahl von ähnlichen Zählgebietstypen (mit ungünstiger
Grünflächen- und oft günstiger Diensteversorgung) verteilt, sie haben daher eine relativ enge
„ökologische Nische" (r = 0, 079). Für die jüngeren Einwohner ergibt sich hingegen eine sehr
niedrige Kennzahl der Nischenbreite: die Wohnstandorte dieser Bevölkerungsgruppe wei-
chen zwar einerseits wesentlich von den Wiener Durchschnittsverhältnissen ab (siehe den
Wert der Kennzahl des „Anpassungsgrades" d), sind aber anderseits untereinander recht ver-
schieden, sodaß die „Nischenbreite" beträchtlich ist (r = 0, 007). Dieser großen „Nischenbrei-
te" steht ein relativ hohes Konzentrationsmaß (c = 0 84) gegenüber, d. h. die jüngeren Einwoh-
ner sind hinsichtlich ihrer räumlichen Verbreitung besonders an bestimmte Standorttypen
„innerhalb" ihrer breiten „fundamentalen" Nische gebunden.
Die durch die Maßzahlen der Nischentheorie erfaßten charakteristischen Verteilungsmerkmale
der Wohnbevölkerung nach dem sozioökonomischen Status sowie nach der Position im Lebens-
zyklus konstituieren gemeinsam die Verbreitungsmuster der sozialen Gruppen, die sich durch
die Kombination dieser beiden Dimensionen der Faktorialökologie ergeben:
Vergleicht man die Maßzahl d der „realisierten" ökologischen Nische für diese sozialen Grup-
pen nach soziodemographischen Strukturmerkmalen, so zeigt es sich (siehe Tabelle 3), daß
auch in dieser Differenzierung nach dem soziökonomischen Status die jüngeren sozialen
Gruppen durchwegs weniger gut an die Wohnumweltverhältnisse angepaßt sind als die älte-
ren, wobei die Werte für die jüngeren sozialen Gruppen nur geringfügig voneinander abwei-
chen (d = 1,115, 1,031, 1,054). Das Ausmaß der Abweichung der durchschnittlichen Wohnum-
weltsverhältnisse für die Angehörigen der drei Biidungsniveaus von Stadtmittel ist also etwa
gleich groß, die sehr „weite"fundamentale Nische, für das gemeinsame Verbreitungsgebiet
dieser Altersgruppen (siehe oben) deutet aber darauf hin, daß die Strukturen der Wohnumwelt
für die jüngere Unterschicht (Pflichtschulbildung) bzw. die jüngere Oberschicht (höhere und
Hochschulbildung) sehr unterschiedlich sind (wie aus der Analyse der Umwelt-Indikatoren für
die Zählgebietstypen zu ersehen war, liegt der Hauptunterschied in Versorgung mit
Dienstleistungen).
Die geringsten Unterschiede im Anpassungsgrad zwischen jüngeren und älteren Bevölke-
rungsgruppen ergeben sich für die Unterschicht: entsprechend dem schon oben dargestellten
Trend sind hier auch die älteren sozialen Gruppen auf Standorten lokalisiert, deren Wohn-
umwelt beträchtlich vom Stadtdurchschnitt abweicht (d = 0,836). Sowohl die jüngere als auch
die ältere Wohnbevölkerung der sozialen Unterschicht besetzt also relativ eigenständige und
wie gezeigt wurde ungünstige ökologische Nischen, die sich von den Durchschnittswerten
für Wien sowie von den Nischen der übrigen soziodemographischen Gruppen der Wohnbevöl-
kerung deutlich unterscheiden.
Auch hinsichtlich der Kennzahlen der „fundamentalen Nische" stimmen die sozialen Grup-
pen mit jüngerer Bevölkerungsstruktur weitgehend überein. Für alle drei Ausbildungsniveaus
ist ein sehr starker „Bindungsgrad" an ihre Wohnstandorte festzustellen: Berechnet man die
Kennwerte der „Nischenbreite" für die Verbreitungsgebiete der jüngeren Einwohner getrennt
nach Bildungsniveaus, so erhält man sehr hohe Werte (r = 1,60, 1,55, 1,55), die auf eine „enge
fundamentale" Nische hinweisen (während sich für die jüngere Bevölkerung in Summe—
siehe oben — eine sehr „breite" Nische ergibt). Gleichzeitig weisen die hohen Werte der
Kennzahl c darauf hin, daß sich die jüngeren Angehörigen der drei Bildungsniveaus auf jeweils
charakteristischen Standorttypen konzentrieren (c = 1,38, 1,28, 1,26).
Soziale Gruppen aller drei Ausbildungsstufen mit durchschnittlicher Bevölkerungsstruktur
verfügen über die vergleichsweise weitesten ökologischen Nischen (r = 0, 019, 0, 033, 0, 035),
ihre hauptsächliche Verbreitung bleibt jedoch ebenfalls auf ihre „mittleren" Standorttypen
beschränkt (c = 0, 50, 0, 76, 0,82).
Für die ältere Wohnbevölkerung ergeben sich auch in der Differenzierung nach Bildungs-
niveaus jeweils relativ „enge"ökologische Nischen, die aber nicht das für die jüngeren sozia-
len Gruppen festgestellte Ausmaß erreichen (r = 0, 081, 0, 069, 0, 085); der Konzentrationsgrad
auf bestimmte Standorttypen ist hier für die Oberschicht gering (c = 0, 41), für die Unterschicht
beträchtlich höher (0, 64).
Mit den Kennzahlen des Konzeptes der ökologischen Nische können also die für die Wiener Be-
völkerung bestehenden Unterschiede in der Ausstattung der Wohnumwelt in einer Dimension
gemessen werden. Es zeigt sich dabei, daß
die Wohnumweltverhältnisse zwischen allen betrachteten sozialen Gruppen relativ stark dif-
ferieren, insbesondere zwischen Angehörigen der älteren und jüngeren Generation und daß

32
2. die älteren und jüngeren sozialen Gruppen der Unterschicht mit hohem „Bindungsgrad" auf
jeweils spezifischen Standorttypen lokalisiert sind, deren Wohnumwelt besondere, meist ne-
gative Strukturmerkmale aufzuweisen hat.
Eine Neuberechnung dieser Kennzahlen zu einem späteren Bezugszeitpunkt (die Grunddaten der
Umwelt-Indikatoren wurden Anfang der 70er Jahre erhoben) könnte Aufschluß über die Verände-
rungen der ökologischen Nischen für die verschiedenen Gruppen der Wiener Bevölkerung geben.
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist es jedoch nur möglich, für einen Beobachtungs-

zeitraum von annähernd 10 Jahren (1971 1980) die Zu- und Abnahmen der Wohnbevölkerung
zu untersuchen, und zwar für die soziodemographischen Typen der Zählgebiete, die sich —
wie
dargestellt — hinsichtlich ihrer Wohn- und Wohnumweltverhältnisse signifikant unterscheiden.
Aus dieser Bevölkerungsbilanz sollen sich Hinweise bezüglich der Reaktion der Wiener Bevölke-
rung auf die Wohnungs- und Wohnumweltverhältnisse ergeben.

3.6 PROZESSE DES „SOZIALEN WANDELS" IN DEN WIENER WOHNGEBIETEN


Im Rahmen der theoretischen Überlegungen wurden als Motive bzw. Ursachen für den Wechsel
des Wohnstandortes genannt: Wechsel der sozialen „Schiüsselrolle", Eintritt in eine neue Phase
des Lebens- und Familienzyklus, (negative) Veränderungen des sozialen Raumes der Wohnstand-
orte sowie „Verdrängung" der Wohnbevölkerung, vor allem durch Branchen des Dienstleistungs-
bereiches.
Bezüglich der konkreten Bedeutung dieser Bestimmungsfaktoren der innerstädtischen Migra-
tion und des „sozialen Wandels" der Wohnstandorte können nach dem gegenwärtigen lnforma-
tionsstand nur Vermutungen angestellt werden. Diese stützen sich:
~ einerseits auf die Ergebnisse der in den vorhergehenden Abschnitten dargestellten Analysen
bezüglich der soziodemographischen Struktur der Wiener Wohngebiete, ihrer Wohn- und
Wohnumweltverhältnisse sowie bezüglich der Anpassung und des „Bindungsgrades" der Be-
völkerung an bestimmte Standorttypen,
~ andererseits auf eine Analyse der Veränderung der Anzahl der Wohnbevölkerung und der de-
mographischen Struktur in den Wiener Wohngebieten zwischen 1971 und 1980.
In dieser Analyse der Veränderungen der Bevölkerungszahl und -struktur werden die Datenbe-
stände von zwei statistischen Querschnittserhebungen verglichen. ') Es sind dies:
~ die Volkszählung 1971 des Österreichischen Statistischen Zentralamtes,
~ die „Bevölkerungsevidenz" (Stand November 1980) des Magistrates der Stadt Wien.
Die „Bevölkerungsevidenz" enthält nur Angaben über die Zahl der Wohnbevölkerung in den Zähl-
gebieten, sowie über die Altersstruktur. Dabei sind allerdings die Ausländer nicht vollständig er-
faßt, sodaß ein Vergleich der Bevölkerungszahlen nur auf der Basis der inländischen Wohnbevöl.
kerung durchgeführt werden kann.
Zunächst werden die Veränderungen der Gesamtzahl der (inländischen) Wohnbevölkerung analy-
siert, die sich für die einzelnen Strukturtypen zwischen den beiden Vergleichsjahren 1971 und
1980 ergeben. Sie sind in Tabelle 4 in Form eines Indexwertes (Wohnbevölkerung 1971 = 100)
dargestellt. Hier zeigt es sich, daß die Ausprägung dieses Index mit den Haupttypen nach der
Stellung im Lebens- und Familienzyklus in Übereinstimmung steht (siehe auch Karte 3):
~ Zählgebiete, deren Bevölkerungsstruktur 1971 als „überaltert" klassifiziert wurde, haben be-
deutende Bevölkerungsverluste erlitten; diese betragen für die überalterten Unterschicht-
Wohngebiete13 v. H. der Einwohnerzahl von 1971,für die „überalterten" Wohngebiete mit aus-
geglichener Sozialstruktur 14 v. H. , bzw. 12 v. H. für die Zählgebiete mit ausgeglichener Sozial-
struktur und etwas bedeutenderen Anteilen der Oberschicht.
~ In den Zähl gebieten mit „durchschnittlicher" demographischer Struktur hat die Bevölkerung
in etwas geringerem Ausmaß abgenommen, und zwar um jeweils 10 v. H. in Zählgebieten mit
überwiegender Unterschicht-Bevölkerung sowie in Zählgebieten mit ausgeglichener Sozial-
struktur, um 5 v. H. in den Wohngebieten der Oberschicht.
~ In den Zählgebieten mit „durchschnittlicher" demographischer Struktur und einzelnen „gün.
stigen" demographischen Merkmalen ist der Bevölkerungsstand etwa gleich geblieben. Hier
ist in den Unterschicht-Wohngebieten eine Zunahme um 2 v. H. zu verzeichnen, während sich
in den Zählgebieten mit durchschnittlicher Sozialstruktur und etwas bedeutenderen
Oberschicht-Anteilen ein Bevölkerungsverlust von 3 v. H. ergibt.
') Zum Zeitpunkt der Bearbeitung lagen die jüngsten Ergebnisse der Großzählung 1981 noch nicht vor. Die
Problematik der Vergleichbarkeit von Daten mit unterschiedlicher Erhebungsmethodik war dem Autor be-
kannt. Die konkreten empirischen Ergebnisse können dadurch teilweise beeinflußt werden, es wurde aber
versucht die Tendenzen der Entwicklung herauszuarbeiten.

33
~ Deutliche Bevölkerungszunahmen sind für die Zählgebiete mit (1971) „günstiger" demogra-
phischer Bevölkerungsstruktur festzustellen. Dies gilt vor allem für die entsprechenden
Wohnquartiere der Unterschicht, wo der Bevölkerungszuwachs den Wert von 26 v. H. erreicht.
In den Zählgebieten mit durchschnittlicher Sozial- und „günstiger" Bevölkerungsstruktur hat
die Bevölkerung um 7 v. H. zugenommen.

Tabelle 4: Wohnbevölkerung (Inländer) der Zählgebietstypen nach der soziodemographischen


Struktur 1971 und 1980

Wohnbevölkerung
Index:
(Inländer) Wohnbe-
Typen der Zählgebiete nach der
1971 1980 völkerung
soziodemographischen Struktur
(Volkszählung) (Bevölkerungsevidenz) (Inländer)
absolut in v. H. absolut in v. H.
1971 = 100
Dominanz unterer Schichten-
1 213.876 13,7 186.348 12,8 87
Überalterung
Dominanz unterer Schichten—
durchschnittliche demographische
2 Struktur, z. T. überdurchnitt- 276.385 17,7 247. 458 16,8 90
licher Anteil von Einpersonen-
haushalten
Dominanz unterer Schichten—
durchschnittliche demographische
Struktur, z. T. unterdurch-
3 182.130 11,7 185.019 12,6 102
schnittliche Anteile von
Einpersonenhaushalten und
alten Einwohnern
Dominanz unterer Schichten— 95.909 121.008
4 6, 1 8, 2 126
„günstige" demographische Struktur
durchschnittliche Verbreitung
5 der sozialen Schichten- 153.789 9,9 132.941 9,0 86
Überalterung
durchschnittliche Verbreitung
der sozialen Schichten—
6 151.039 9,7 135.331 9,2 90
durchschnittliche demographische
Struktur
durchschnittliche Verbreitung
der sozialen Schichten—
7 93.608 6,0 100.133 6,8 107
„günstige" demographische
Struktur
durchschnittliche Verbreitung
der sozialen Schichten, etwas
8 182.555 11,7 160.540 10,9 88
bedeutendere Anteile der Ober-
schicht —Überalterung
durchschnittliche Verbreitung
der sozialen Schichten, etwas
9 bedeutendere Anteile der Ober- 94.125 6, 1 91.192 6, 2 97
schicht —z. T. „günstige"
demographische Struktur
Dominanz oberer sozialer
10 Schichten —
durchschnittliche 105.136 6,8 99.692 6,8 95
demographische Struktur
0 nicht klassifizierte Zählgebiete 9.737 0,6 11.124 0,7 114
Insgesamt 1,558.289 100,0 1,470.787 100,0 94

34
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR

Karte 3:

DER
ZU- UND ABNAHME
WOHN BEVÖLKERUNG 1971 1980') —
Zu- und Abnahme der Wohnbevölkerung (Inländer) in den Wiener
Zählgebieten —
1971 1980 in v. H. der Wohnbevölkerung 1971

Zunahme
+30 und mehr

+20 bis +30

+10 bis +20

+ 5 bis +10

Stagnation:
Zunahme: 0 bis +5
Abnahme: 0 bis —5

Abnahme:

EIIIIII— —5 bis —10


—10 bis —20
IIIIIIII—
EZ3— —20 bis —30
—30 und mehr

') siehe Fußnote auf Seite 33

Arbeitsgrundlagen:
Volkszählung 1971 des Österreichischen Statistischen Zentralamtes;
Bevölkerungsevidenz (Stand: November 1980) des Magistrates der Stadt
Wien.
Während sich die inländische Wiener Wohnbevölkerung im Zeitraum zwischen 1971 und 1980 um
4 v. H. verringert hat, weichen also die Bevölkerungsverluste und -gewinne in den verschiedenen
Teilen des Stadtgebietes sehr von diesem Durchschnittswert ab. Das vorliegende statistische
Datenmaterial reicht aber nicht aus, um festzustellen, inwieweit diese Veränderungen auf die
natürliche Bevölkerungsbewegung (Geburten- und Sterbefälle) oder auf die Zu- und Abwande-
rung von Einwohnern zurückzuführen ist. Einige Annahmen über die Ursachen der Bevölkerungs-
entwicklung können jedoch aufgrund eines Vergleiches der Anteiiswerte der „über60jährigen"
an der Wohnbevölkerung getroffen werden. Allerdings ist auch dieser Vergleich nur ungenau,
da in der „Anzahl der über 60jährigen" für 1971 die Ausländer enthalten sind, nicht jedoch-
wie schon erwähnt —in den Daten für 1980. In der Annahme, daS die „über60jährigen" Ausländer
im Vergleich zur Gesamtzahl der „über 60jährigen" zumeist nur eine geringe und oft zu vernach-
lässigende Teilmenge bilden, wurde für 1971 die Anzahl der über 60jährigen (einschlieSlich der
Ausländer) zur inländischen Gesamtbevölkerung der Zählgebiete in Relation gesetzt. Die daraus
resultierenden Anteilswerte werden mit den entsprechenden, vollständig auf die inländische Be-
völkerung bezogenen, Anteilswerten für 1980 verglichen.

Tabelle 5: Wohnbevölkerung über 60 Jahre (Gesamtzahl bzw. Inländer) der Zähigebietstypen


nach der soziodemographischen Struktur 1971 und 1980

Wohnbevölkerung (Inländer) Index:


über 60 Jahre Wohnbe-
Typen der Zählgebiete nach der völkerung
1971 1980 (Inl än der)
soziodemographischen Struktur
über
(Volkszählung) (Bevölkerungsevidenz)
60 Jahre
absolut in v. H. absolut in v. H. 1971 = 100
1 Unterschicht —Überalterung 85.800 19,1 64,152 16,9 75
Unterschicht—
2 8 demographische Struktur, 87.239 19,4 70.517 18,6 81
Ein personenhaushalte

Unterschicht—
3 41.305 9,2 38.638 10,2 94
8 demographische Struktur

Unterschicht —
„günstige" 10.862 2, 4 14.197 3, 7 131
demographische Struktur

Mengung sozialer
5-Überalterung Schichten- 54.329 41.795
12, 1 11,0 77

sozialer Schichten—
6 Mengung 40.558 9,0 35.425 9,3 87
8 Bevölkerungsstruktur

Mengung sozialer Schichten—


7 „günstige" demographische 12.438 2, 8 14.349 3,8 115
Struktur

Mengung sozialer Schichten,


8 etwas mehr Oberschicht- 61.178 13,6 49, 146 12,9 80
Überalterung

Mengung sozialer Schichten—


9 23.000 5, 1 22.446 5, 9 98
8 demographische Struktur

Oberschicht— 29.531 93
10 6, 6 27.400 7, 2
8 demographische Struktur

0 nicht klassifizierte Zähl gebiete 2.935 0, 7 1,942 0, 5 66

Insgesamt 449. 175 100,0 380.007 100,0 85

35
Tabelle 5 enthält die Ergebnisse dieses Vergleiches. Hier zeigt sich, daß
in den Zählgebieten mit nach dem Stand von 1971 „überalterter" Bevölkerung und mit größe-
ren Bevölkerungsverlusten —
in der Periode von 1971 1980 die Anteile der „alten" Bevölkerung
deutlich abgenommen haben. So verringerte sich etwa in den „überalterten" Unterschicht-
Wohngebieten der Anteil der über 60jährigen von 40, 1 v. H. (1971) auf 31,8 v. H. (1980); in den
überalterten Wohngebieten mit ausgeglichener Sozialstruktur ist der Anteil von 35,3 v. H. auf
29, 3 v. H. abgesunken, in den Wohngebieten mit ausgeglichener Sozialstruktur und etwas grö-
ßeren Anteilen der Oberschicht von 33,5 v. H. auf 28, 8 v. H. Somit ist der Bevölkerungsverlust
in diesen bereits 1971 „überalterten" Wohngebieten wesentlich durch das „Aussterben" der
Bevölkerung bedingt. Dies zeigt auch ein Blick auf die „Bevölkerungspyramide" von 1971 für
Gesamt-Wien (Abbildung 7): Die große Anzahl der1971 60- bis 65jährigen Einwohner ist mittler-
weile 10 Jahre älter geworden und hat die Schwelle der durchschnittlichen Lebenserwartung
bereits überschritten. Der Prozeß der „Überalterung" kann daher besonders in denjenigen
Wohnquärtieren, die schon 1971 durch einen hohen Anteil der Ober 60jährigen gekennzeichnet
waren, nicht mehr weiter fortschreiten. In den genannten Zählgebietstypen dürften etwa je-
weils die Hälfte der Bevölkerungsverluste auf Todesfälle bzw. Wanderungsverluste zurückzu-
führen sein.
Eine ähnliche Abnahme des Anteils der alten Bevölkerung wie in den „überalterten" Wohnge-
bieten ist auch in den Wohnquartieren der Unterschicht mit „durchschnittlicher demographi-
scher Struktur" festzustellen. Hier verringerte sich der Anteil der über 60jährigen von 31,9 auf
26, 7 v. H. In den anderen Zählgebiets-Typen mit „durchschnittlicher" bis „teilweise günstiger"
demographischer Struktur ergeben sich deutlich geringere Abnahmen.
Geringe Zunahmen des Anteils der älteren Personen haben die Zählgebietstypen des Jahres
1971 mit „günstiger" Bevölkerungsstruktur aufzuweisen. Die (hier sehr niedrigen) Anteilswer-
te der Ober 60jährigen sind von 11,3 auf 11,6 v. H. (Unterschicht — günstige demographische
Struktur) bzw. von 13,2 auf 14, 1 (ausgeglichene Sozialstruktur — günstige demographische
Struktur) gestiegen. Die Gründe dafür liegen vermutlich eher im Älterwerden von Einwohnern,
die 1971 noch nicht 60 Jahre alt waren, als in der Zuwanderung von älteren Einwohnern.

Die Auswertung der verfügbaren statistischen Quellen ergibt somit als Hauptmerkmale des so-
zialen Wandels in den Wiener Wohngebieten:
Die überalterten Wohnquartiere der Unterschicht im dicht verbauten Stadtgebiet mit zu klei-
nen und unzureichend ausgestatteten Wohnungen sowie mit Ausstattungsdefiziten bezüg-
lich der Wohnumwelt (Grünflächen und z. T. Dienstleistungen des täglichen Bedarfes) haben
beträchtliche Bevölkerungseinbußen hinzunehmen, sowohl durch Abwanderung als auch
durch das „Aussterben" bestimmter Geburtenjahrgänge.
Wie die Ergebnisse der aus dem Konzept der „Nischentheorie" abgeleiteten Untersuchungs-
methode zeigen, besteht für die jüngeren Angehörigen der sozialen Unterschicht ein sehr en-
ger „Bindungsgrad" bezüglich bestimmter Standorttypen an der Peripherie des Stadtgebie-
tes, die zwar durch eine meist zufriedenstellende Wohnungsausstattung (mit Naßanlagen),
aber auch durch zu geringe Wohnungsgrößen gekennzeichnet sind. Zudem fehlen in der
Wohnumwelt dieser Standorttypen oft die notwendigsten Versorgungs- und Dienstleistungs-
einrichtungen. Aufgrund des sehr engen „Bindungsgrades" ist anzunehmen, daß der größte
Teil der Migranten aus den zentrumsnäheren Wohngebieten der Unterschicht (vor allem dieje-
nigen, die ihre soziale Position nicht verbessern können) in diese peripheren Wohngebiete zu-
zieht, deren Bevölkerung stark anwächst. Da auch die neuen Wohnstandorte noch beträchtli-
che Ausstattungsmängel aufzuweisen haben, erreichen die betroffenen Haushalte nur eine
teilweise Verbesserung der Lebenssituation.
Die Bevölkerungsverluste im dicht bebauten Stadtgebiet betreffen auch die Wohngebiete mit
bedeutenderen Anteilen der Mittel- und Oberschicht, deren Wohnungsausstattung und Woh-
nungsgröße mindestens dem Stadtdurchschnitt entspricht und in deren Wohnumwelt zu-
meist nur die Park- und Grünflächen fehlen. Auch hier ist ein wesentlicher Teil der Bevölke-
rungsverluste durch die Abwanderung bedingt, wobei das „Wohnen im Grünen" ein vorrangi-
ges Wanderungsmotiv bildet.
Nach den Kennzahlen des Nischen-Konzeptes sind auch die jüngeren Angehörigen der oberen
sozialen Schichten an bestimmte Standorttypen gebunden, und zwar vor allem an solche, de-
ren Umwelt-Indikatoren allgemein günstige Werte aufweisen. Für die entsprechenden Wohn-
standorte des Wiener Stadtgebietes ergeben sich aber in jüngerer Zeit keine wesentlichen Be-
völkerungszunahmen, sie sind hinsichtlich ihrer Kapazität bereits weitgehend ausgelastet
und werden auf dem Wohnungsmarkt dementsprechend teuer gehandelt. Daher bilden die

36
Abbildung 7: Altersaufbau der Wiener Bevölkerung und der Berufstätigen, 1971 (nach
Planungsatlas für Wien

MÄNNER FRAUEN

80

65

55

50

45

40

35

30

25

20

15

10

16 14 12 10 8 6 4 2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16

Tausend Personen Tausend Personen

~ Berufstätige Wohnbevölkerung EZI Nicht berufstätige Wohnbevölkerung

Wiener Umlandgemeinden mit attraktiver landschaftlicher Lage und einigermaBen günstigem


Versorgungsangebot des Nahbedarfes das bevorzugte Wanderungsziel dieser Bevölkerungs-
gruppe.
~ Durch diese „Randwanderung" der jüngeren Ober- und Unterschichtbevölkerung verstärkt
sich die Segregation zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen:
a) bleibt in vielen Wohnquartieren des dicht verbauten Stadtgebietes eine „Reliktbevölke-
rung" zurück (ihre wesentlichen Strukturmerkmale sind: Überalterung, hoher Anteil allein
lebender Personen, ungünstige Geschlechtsproportion), die sich durch „Aussterben" suk-
zessive verringert. Mit der zunehmenden räumlichen Entfernung zu den jüngeren Familien-
mitgliedern wird die Isolation zum Hauptproblem vieler Angehöriger dieser Bevölkerungs-
gruppe;
b) gleichzeitig erhöht sich die räumliche Distanz zwischen der jüngeren Unter- und der Ober-
schicht, die „balanced neighbourhoods" der Planungsliteratur bleiben Utopie.

37
4. DIE WIENER INDUSTRIE NACH IHRER RÄUMLICHEN VERTEILUNG UND IHREN
VERBREITUNGSBEDINGUNGEN

4.1 EINFÜHRUNG
Eine „Analyse der Betriebsabwanderungen —
in Wien 1967 1977" ergibt, daß im genannten Bear-
beitungszeitraum aufgrund von „standortmäßigen und ansiedlungstechnischen Unzulänglich-
keiten oder Engpässen" sowie wegen „unzureichender Informationen über Aufschließungs- und
Ansiedlungsaktivitäten" 4.900 Arbeitsplätze verloren gingen (WIENER WIRTSCHAFTSBERICH-
TE, 1979/1). Diese Verluste an Arbeitsplätzen kommen einer Anzahl von Gemeinden am Stadtrand
zugute. Diese partizipieren an den Wiener Standortvorteilen (besonders hinsichtlich des Dienst-
leistungsangebotes) und bieten zu günstigen Bedingungen geeignete Industrieflächen an, die
in Wien zum Teil nicht verfügbar sind.
Aus diesem Grund mißt die Wiener Stadtverwaltung seit einiger Zeit der Widmung von lndustrie-
flächen sowie der lndustrieansiedlungspolitik besondere Bedeutung bei. Im Rahmen solcher Be-
strebungen bildet die genauere Kenntnis der Verbreitungsbedingungen verschiedener lndustrie-
branchen einen entscheidenden Faktor. Im Rahmen dieses Abschnittes der „Strukturanalysen"
des Wiener Stadtgebietes wird versucht, hier einen Beitrag zu leisten.

~ Dabei wird davon ausgegangen, daß analog zum Konzept des „sozialen Raums" — auch
die Arbeitsabläufe in Industriebetrieben mehr oder minder vom „wirtschaftlichen Raum" der
Betriebsstandorte abhängen. Eine kurze Zusammenfassung wesentlicher Forschungsansät-
ze beschreibt die wichtigsten Strukturmerkmale des „wirtschaftlichen Raumes".
~ Der empirische Teil der Analyse beginnt mit der Beschreibung eines lndikatorensystems zur
Erfassung der wesentlichen Merkmale des „wirtschaftlichen Raumes" von Betriebsstandor-
ten. Daran schließt eine Darstellung der Ausprägung dieser lndikatoren in den verschiedenen
Teilbereichen des Wiener Stadtgebietes an.
~ Im folgenden Kapitel wird zunächst die räumliche Verteilung der Wiener Industrie analysiert:
es ergeben sich „Branchenbündel" von Industrien mit ähnlichen „Verbreitungsmustern" und
Standortansprüchen. Aus dem Vergleich der durchschnittlichen Ausprägung der indikatoren
des wirtschaftlichen Raumes für die verschiedenen „Branchenbündel" sind erste Informatio-
nen bezüglich der Verbreitungsbedingungen der Industrie abzuleiten.
~ Eine vertiefte Erfassung der Standortansprüche der Wiener Industrie wird durch die Anwen-

dung der im Rahmen der „humanökologischen Analyse" (siehe Abschnitt 3) bereits bespro-
chen — Kennzahlen des nischentheoretischen Konzeptes erreicht. Mit Hilfe dieser Kennzah-
len kann eine „Rangordnung" der Branchen nach dem Ausmaß der Anpassung und dem „Bin-
dungsgrad" an die standörtlichen Gegebenheiten in Wien erstellt werden.
~ Nach dieser Bewertung der Branchen hinsichtlich ihrer Standortfaktoren enthält das ab-
schließende Kapitel dieses Abschnittes eine Bewertung der Wiener Zählgebiete bezüglich ih-
rer Eignung als Standorte für die betrachteten Industriebranchen.

4.2 STRUKTURMERKMALE DES „WIRTSCHAFTLICHEN RAUMES" VON „INDUSTRIE.


STANDORTEN"
Im Abschnitt 2 der vorliegenden Arbeit wird der Einfluß des „sozialen Raumes" der Wohnstand-
orte auf das Verhalten der Wohnbevölkerung dargestellt. In ähnlicher Weise, wie dieser „soziale
Raum" die Aktivitätenmuster und sozialen Rollen der Einwohner beeinflußt, hängen auch die „Ar-
beitsabläufe" in Wirtschaftsbetrieben von der Struktur des „wirtschaftlichen Raumes" der Be-
triebsstandorte ab.
Nach D. BÖKEMANN (1978) ist der „wirtschaftliche Raum" eines Betriebsstandortes durch fol-
gende Strukturmerkmale (Standorteigenschaften) gekennzeichnet, von denen das Ausmaß des
standörtlichen Nutzungspotentials (oder die Eignung des Betriebsstandortes für verschiedene
wirtschaftliche Aktivitäten) abhängt.
(1) Faktor- und güterartenbezogene Eigenschaften; das sind
(1.1) natürliche Eigenschaften des Bodens (Rohstoffvorkommen, Störpotential durch „nega-
tive" Güter, Bodenanbau- und Baugrundqualität u. a.)
(1.2) infrastrukturelle Eigenschaften (Anschlüsse an Kommunikations- und Versorgungs-
(Entsorgungs-)systeme: Gelegenheiten)
(1.3) eigentums- bzw. verfügungsrechtliche Eigenschaften (standörtliche Elemente von
Grenzsystemen: Barrieren)

38
(2) Lagebezogene Eigenschaften; das sind
(2.1) Entfernungen zu den Standorten komplementärer Nutzungen (betreffend die Bezugs-
und Absatzmöglichkeiten für Güter und Faktoren)
(2.2) Entfernungen zu den Standorten konfliktärer Nutzungen (betreffend die Störmöglich-
keiten in bezug auf die Nutzung des betrachteten Standortes)
(3) Kapazitätsbezogene Eigenschaften; das sind
(3.1) die nutzbare Bodenfläche des betrachteten Standortes
(3.2) die Anschlußkapazität seiner infrastrukturellen Gelegenheiten
(3.3) die Ausschlußkapazität seiner eigentumssichernden Barrieren.
Unter diesen „Standorteigenschaften" kommt den „infrastrukturellen Eigenschaften" und den
„lagebezogenen" Eigenschaften, die gemeinsam die möglichen Außenbeziehungen eines Wirt-
schaftsbetriebes bestimmen, große Bedeutung zu. Von Art und Umfang der für die Betriebsfüh-
rung notwendigen Außenbeziehungen wird auch die Standortwahl eines Betriebes im innerstäd-
tischen Gebiet wesentlich beeinflußt.
Nach den Anforderungen an den wirtschaftlichen Raum der Betriebsstandorte unterscheidet
J. BALE (1976) folgende („idealtypische") Industriegruppen:
1. Zentrumsorientierte Branchen treten vorwiegend im dichtverbauten Stadtgebiet, z. T. im Um-
feld des Stadtzentrums auf. Diese Standortwahl — bei der hohe Mieten und Bodenpreise in
Kauf genommen werden — erklärte sich aus:
~ der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, für die im Umfeld des Stadtzentrums die
günstigsten Erreichbarkeitsbedingungen bestehen,
~ einem Absatzgebiet, das vorwiegend auf die Stadt und ihren Einzugsbereich beschränkt
ist: auch in diesem Fall ist in der Nähe des Zentrums zumeist der günstigste Zugang zu
den in der Stadt und in den Umlandbereichen verteilten Standorten der Kunden gegeben,
~ den „externen Effekten" der Nachbarschaft von (ebenfalls in Zentrumsnähe konzentrier-
ten) „komplementären" Dienstleistungs- und Wirtschaftsbüros sowie von im Produktion-
sprozeß vor- oder nachgelagerten Industrie- und Gewerbebetrieben.
2. Die Zuliefer- und Absatzgebiete von stadtrandorientierten Industrien reichen oft weit über das
Einzugsgebiet der Stadt hinaus in den nationalen bzw. internationalen Markt. Für ihre Stand-
ortentscheidung gelten folgende wichtige Bestimmungsfaktoren:
~ Ein überdurchschnittlich großer Bedarf an Betriebsflächen, gleichzeitig oft auch Beein.
trächtigungen der Umwelt durch den Produktionsablauf, die einen Standort im dichtver-
bauten Stadtgebiet ausschließen.
~ Erreichbarkeitsvorteile im Straßen- und Eisenbahngüterfernverkehr„die sich durch die Nä-
he zu den wichtigen Haupteinfallsstraßen bzw. zu den großen Güterbahnhöfen ergeben.
~ Standortsvorteile (Aufschließung der Grundstücke mit Einrichtungen der technischen Lei-
tungsinfrastruktur u. a.), die von peripheren lndustrieparks oder lndustriezonen angeboten
werden.
3. Industrien ohne besondere Standortanforderungen sind nicht wesentlich markt-, arbeitskraft-
oder kontaktorientiert. Ihre Produkte können zwar hochwertig sein, erfordern aber keine be-
sonderen Transportaufwände. Diese lndustriebranchen kommen auf sehr unterschiedlichen
Standorten des Stadtgebietes vor, sie sind gleichsam „zufällig" verteilt.
Die wirtschaftliche Umwelt der Betriebsstandorte ist einem ständigen Veränderungsprozeß un-
terworfen (z. B. ändern sich die Erreichbarkeitsverhältnisse durch die Überlastung oder durch
den Neubau von Verkehrssystemen; durch die Expansion der Stadt werden ehemals periphere
Industriegebiete von der Wohnverbauung umschlossen usw. ). Für die Wirtschaftsbetriebe ergibt
sich daher der Zwang einer ständigen Anpassung an die wechselnden Gegebenheiten ihrer wirt-
schaftlichen Umwelt (P. A. WOOD, 1978), im Extremfall besteht die Notwendigkeit einer Verlage-
rung des Betriebes auf geeignetere Standorte. Es kann daher im Stadtgebiet immer auch eine
bestimmte Anzahl von Industriebetrieben festgestellt werden, für deren Standortwahl heute be-
reits historische Standortfaktoren ausschlaggebend waren. Die „Funktionen" dieser Betriebe
sind von ihrem Management mehr oder minder gut an die heutige wirtschaftliche Umwelt ange-
paßt worden.

4.3 INDIKATORENSYSTEM ZUR ABBILDUNG DES „WIRTSCHAFTLICHEN RAUMES"

Die Abbildung Raumes" bleibt hier auf die „lagebezogenen Standort-


des „wirtschaftlichen
eigenschaften" (nach D. BÖKEMANN) beschränkt; es sollen also Art und Umfang der von den

39
Betriebsstandorten aus möglichen Außenbeziehungen erfaßt werden. Die Berücksichtigung an-
derer Elemente des „wirtschaftlichen Raumes" (wie etwa „eigentums- und verfügungsrechtliche
Eigenschaften" ) ist wegen der erforderlichen Daten und der limitierten Arbeitskapazität nicht
möglich.
Die „lagebezogenen Standorteigenschaften" werden mit Hilfe von fünf Indikatoren gemessen.
Drei dieser Indikatoren —
sie bewerten die Verfügbarkeit über qualifizierte Arbeitskräfte, die
Kaufkraft der Wohnbevölkerung und die Kontaktchancen mit „komplementären"
Dienstleistungs- und Wirtschaftsbüros —
bilden die Anforderungen an den „wirtschaftlichen
Raum" der Betriebsstandorte von vorwiegend zentrumsorientierten Branchen ab. Die beiden
übrigen indikatoren quantifizieren die Zugänglichkeit der Betriebsstandorte im Eisenbahn- und
Straßengüterfernverkehr und sind somit auf die eher stadtrandorientierten Industriezweige
bezogen:
1. Als Indikator der Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften dient ein „Arbeitskraftpoten.
tial". Dieser Potentialwert errechnet sich aus:
~ der Zahl der Arbeitskräfte des Qualifikationsniveaus „mittlere, höhere und Hochschulbil-
dung" auf den Wiener Wohnstandorten (Zählgebieten) sowie
~ aus den Fahrzeiten öffentlichen Verkehr auf „kürzesten Wegen" zwischen den Wohn-
im
und den Betriebsstandorten. Diese werden durch eine sogenannte „Widerstandsfunktion"
bewertet, die den Einfluß der Fahrzeit auf das Pendelverhalten ausdrückt. Der Parameter
(ß)dieser „Widerstandsfunktion" sagt aus: wenn sich die Fahrzeit zwischen einem Wohn-
standort und einem Betriebsstandort um eine Minute erhöht, so sinkt die Wahrscheinlich-
keit, daß ein Einwohner des Wohnstandortes dazu bereit ist, einen Arbeitsplatz auf dem
Betriebsstandort einzunehmen, um den Wert von x. Zur Schätzung dieses Parameters wer-
den die Ergebnisse der Pendlererhebung (von 1971) des Österreichischen Statistischen
Zentralamtes verwendet.
Je mehr qualifizierte Arbeitskräfte (von ihren Wohnstandorten aus) in je kürzerer Fahrzeit ei-
nen bestimmten Betriebsstandort erreichen können, desto größere Werte nimmt das „Arbeits-
kraftpotential" für diesen Betriebsstandort an').
2. Aufgrund mangelnder Informationen über das Interaktionsverhalten kann das Potentialmo-
dell für die anderen indikatoren des wirtschaftlichen Raumes nicht angewendet werden. Um
für die Betriebsstandorte dennoch die verfügbare Kaufkraft annähernd zu erfassen, wurden
die Gesamtsummen der Kaufkraft der Haushalte ermittelt, deren Wohnstandorte im „Einzu-
gsbereich" der Betriebsstandorte liegen. Als Grenzen der Einzugsbereiche gelten die Fahrzei-
ten auf „kürzesten Wegen" im öffentlichen Verkehr von 20, 25 und 30 Minuten. Wie verschiede-
ne Untersuchungen des Konsumverhaltens zeigen, liegen die im innerstädtischen Einkaufs-
verkehr durchschnittlich akzeptierten Fahraufwände innerhalb dieser Zeitschranken. Die
Schätzung der Kaufkraft der Haushalte erfolgte unter Verwendung verschiedener Einkom-
mensstatistiken, wie z. B. der Durchschnittsverdienste der Beschäftigten nach Wirtschafts-
zweigen in Wien.
3. Als Indikator für die an den verschiedenen Betriebsstandorten bestehenden Möglichkeiten
zur Kontaktnahme mit „komplementären" Dienstleistungs- und Bürobetrieben gilt die Anzahl
der Beschäftigten dieses Wirtschaftsbereiches (Wirtschaftstreuhänder, Anwälte, Versiche-
rungen, Banken, technische Büros, Forschungseinrichtungen u. a.) innerhalb eines mit 15 Mi-
nuten Gehzeit begrenzten fußläufigen Einzugsbereiches. Die räumliche Ausprägung dieses
Indikators ist in Karte 4 dargestellt. Hier zeigt sich, daß von den Zählgebieten des Stadtzen-
trums (innerhalb der genannten Zeitschwelle) über 25 v. H. der Beschäftigten in den Wirt-
schaftsbetrieben, die „Servicefunktionen" für die Industrie ausüben, zu erreichen sind. Im un-

mittelbaren Randgebiet des Zentrums sinkt dieser Anteilswert auf 6 15 bzw. 15 25 v. H. Von —
') Das Arbeitskraftpotential wird nach folgender Gleichung errechnet:
Ai Ai
vPI
—— +
i =1 f(vd i))
f(vdil)
vPj .'Arbeitskraftpotential des Betriebsstandortes j, benutztes Verkehrsmittel v
A~: Zahl der Beschäftigten der Qualifikation: mittlere, höhere und Hochschulbildung auf den Wohnstand-
orten i

Al. Zahl der Beschäftigten (der entsprechenden Qualifikationsstufe), die auf dem Betriebsstandort j selbst
wohnen
f(vd~j), f(vdjj): Fahrzeit mit den Verkehrsmittel v auf „kürzesten Wegen" zwischen den Standorten und j be-
i

wertet mit einer „Widerstandsfunktion" bzw. durchschnittlicher Wegaufwand innerhalb des Standor-
tes j bewertet mit einer „Widerstandsfunktion"

40
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR

Karte 4:

BESCHÄFTIGTE IN BÜROBETRIEBEN
MIT „SERVICEFUNKTION"
FUR DIE INDUSTRIE
IM „FUSSLÄUFIGEN" EINZUGSBEREICH

Dargestellt ist die Erreichbarkeit von Beschäftigten in Büro-


betrieben, die „Servicefunktionen" für die Industrie ausüben
(technische Büros, Forschungseinrichtungen, Wirtschaftstreu-
händer, Anwälte, Versicherungen, Banken u. a.). Dabei wird als
„fußläufiger" Einzugsbereich der Untersuchungseinheiten
(Wiener Zählgebiete) eine Gehzeit von ca. 15 Minuten
angenommen.

Anteil der innerhalb des „fußläufigen" Einzugsbereiches


erreichbaren Beschäftigten in „Bürobetrieben mit Service-
funktion" in v. H. der Gesamtzahl für Wien.

über 25

15 bis 25

6 bis 15

4 bis 6

2 bis 4

1 bis 2

0, 5 bis 1

Arbeitsgrundlagen:
Betriebszähiung 1973 des Österreichischen Statistischen Zentralamtes;
eigene Berechnungen.
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ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR

Karte 6:

ERREICH BARKEIT IM
STRASSENGÜTERFERNVERKEHR

Dargestellt ist für die Untersuchungseinheiten der Wiener Zähl-


gebiete die Erreichbarkeit der wichtigen Einfallsstraßen in das
Wiener Stadtgebiet. Sie wird durch den Anteil derjenigen Güter-
menge (am durchschnittlichen täglichen Güterverkehrsaufkom-
men der Haupteinfallsstraßen) gemessen, die auf den in einer
LKW-Fahrzeit von 20 bzw. 30 Minuten erreichbaren Einfallsstra-
ßen transportiert wird. Die Darstellung der gegenwärtigen Er-
reichbarkeitsverhältnisse erfolgt durch Flächenraster; zusätzli-
che Signaturen kennzeichnen die Verbesserungen bezüglich des
Zuganges zu den Hau pteinfallsstraßen, die sich aufgrund der bis
1995 geplanten Ausbaumaßnahmen des Wiener Straßennetzes
ergeben.

Anteil des ütertran sportes (in v. H.


G Klassen der Zählgebiete
des durchschnittlichen täglichen nach der Erreichbarkeit
Gesamtgüterverkehrsaufkommens der Haupteinfallsstraßen
der Haupteinfallsstraßen) der Ein-
fallsstraßen innerhalb einer LKW-
Fahrzeit von
20 Minuten 30 Minuten Ist-Zustand Simulation
(1995)
80 —100 100

40 —60 100 Oe

unter 40 100 O

40 —60 60 —80 Oe

unter 40 60 —80

40 —60 40 —60

unter 40 40 —60

unter 40 unter 40

Arbeitsgrundlagen:
Straßenverkehrszählung 1980, Österreichisches Statistisches Zentral-
amt; Verkehrskonzept far Wien, Magistrat der Stadt Wien — Geschäfts-
gruppe Stadtplanung, 1979.

den Zählgebieten innerhalb des Gürtels sind im Durchschnitt noch etwa 2 4 v. H. der Be-
schäftigten in den „komplementären" Bürobranchen zu erreichen, in einer engen Zone
— —
außerhalb des Gürtels zumeist 0, 5 1, seltener 1 2 v. H. Der letztgenannte Wert gilt auch
für die Zentren von Meidling und Favoriten.

Der Indikator „Zugänglichkeit im Eisenbahngüterfernverkehr" ist auf die Erreichbarkeit der


Wiener Güterbahnhöfe bezogen. Als Bestimmungsgrößen gehen in die Berechnung ein:
~ die in den Güterbahnhöfen jährlich umgeschlagene Gütermenge sowie
~ die Fahrzeit von den Betriebsstandorten zu den Güterbahnhöfen auf „kürzesten Wegen"
im LKW-Verkehr.
Mit diesen Daten konnte für jeden Betriebsstandort der v. H. Anteil des gesamten Wiener Gü-
terverkehrsaufkommens ermittelt werden, der auf den in einer LKW-Fahrzeit von 20 bzw. 30
Minuten erreichbaren Güterbahnhöfen umgeschlagen wird.
In Karte 5 sind die Wiener Zählgebiete nach dem Anteil des Güterverkehrsaufkommens der
Güterbahnhöfe innerhalb der beiden genannten Einzugsbereiche klassifiziert. Dabei werden
die gegenwärtigen Erreichbarkeitsverhältnisse durch Flächenraster dargestellt. Verbesse-
rungen bezüglich der Zugänglichkeit der Güterbahnhöfe, die sich aus den bis 1995 geplanten
Ausbaumaßnahmen des Wiener Straßennetzes ergeben, sind durch zusätzliche Signaturen
kenntlich gemacht.
Betrachtet man die gegenwärtige Situation, so ist eine Zone günstiger Erreichbarkeit der Gü-
terbahnhöfe zu erkennen, der einige Teilbereiche des 22. Wiener Gemeindesbezirkes angehö-
ren und die nahezu die gesamte südöstliche, südliche und südwestliche Peripherie umfaßt:
von den hier zugehörigen Zählgebieten aus können in 20 Minuten LKW-Fahrzeit mindestens
60 v. H. der in Wien umgeschlagenen Gütermengen „erreicht" werden; während die Fahrzeit-
isochrone von 30 Minuten sogar alle wichtigen Wiener Güterbahnhöfe umfaßt. Die ungünstig-
sten Erreichbarkeitsverhältnisse bezüglich der Güterbahnhöfe bestehen hingegen in den
westlichen, nordwestlichen und nördlichen Stadtrandzonen; von hier aus sind in 20 Minuten
nur 40 v. H. , in 30 Minuten maximal 60 v. H. des Wiener Gesamtgüterumschlages zu
„erreichen".
Die zukünftigen Verbesserungen in der Erreichbarkeit der Güterbahnhöfe betreffen einerseits
die dargestellte Zone mit bereits günstigen Erreichbarkeitsverhältnissen, deren zugehörige
Zählgebiete zum Teil weiter aufgewertet werden und die sich besonders im Südwesten be-
trächtlich ausweitet. Andererseits verbessern sich auch einige Stadtgebiete mit gegenwärtig
etwa durchschnittlicher Erreichbarkeit, vor allem im 20. und 21. Wiener Gemeindebezirk.
Die „Zugänglichkeit im Straßengüterfernverkehr" wird ähnlich wie im Falle des Eisenbahngü-
terverkehrs erfaßt: analog zum Güterumschlag in den Bahnhöfen dient das durchschnittliche
(tägliche) Güterverkehrsaufkommen auf den wichtigsten Wiener Haupteinfallsstraßen als
Zielgröße für die Bewertung der Verkehrserschlossenheit. Der entsprechende Indikator drückt
den v. H. Anteil an diesem gesamten Güterverkehrsaufkommen aus, der sich für diejenigen
Einfallsstraßen ergibt, deren „Anschlußknoten" von den Betriebsstandorten (Zählgebieten)
aus innerhalb von 20 bzw. 30 Minuten Fahrzeit (im LKW-Verkehr) zu erreichen sind.
Die Karte 6 enthält die Darstellung dieser Erreichbarkeitsverhältnisse, wobei ebenfalls nach
der oben (für den Eisenbahngüterverkehr) beschriebenen Methode vorgegangen wird. Hier
zeigt es sich, daß sich die Zonen günstigster Erreichbarkeit bezüglich der beiden Güterfernver-
kehrsarten zum Teil überlappen, und zwar in den östlichen, südöstlichen und fallweise in den
südlichen Stadtrandgebieten. Zusätzlich zu dieser Gunstzone erweisen sich im Straßengüter-
fernverkehr noch einige weitere zentrumsnähere Gebiete als besonders verkehrsbegünstigt:
sie liegen vor allem im 15., 9., 20. und 2. Wiener Gemeindebezirk. Von den Zählgebieten aller
dieser genannten Stadtgebiete können in 30 Minuten (LKW-Fahrzeit) alle wichtigen Wiener
Haupteinfallsstraßen erreicht werden, in 20 Minuten mindestens 40 v. H. des gesamten
Straßengüterverkehrsaufkommens.
Aus der räumlichen Verteilung der Zusatzsignaturen geht hervor, daß auch die Verbesserun-
gen der Erreichbarkeit des überregionalen Straßennetzes zumeist jene Stadtgebiete betref-
fen, die bereits gegenwärtig bevorzugt sind.
Diese 5 Indikatoren, die Standortfaktoren sowohl von zentrumsorientierten als auch von
stadtrandorientierten lndustriezweigen abbilden, bemessen gemeinsam die Strukturen der „wirt-
schaftlichen Räume" der verschiedenen Betriebsstandorte (bzw. der Wiener Zählgebiete). Sie
bilden die Grundlage für die Ermittlung des Ausmaßes der Abhängigkeit der bedeutenderen
Wiener lndustriezweige vom wirtschaftlichen Raum ihrer Betriebsstandorte.

41
4.4 DIE VERBREITUNG DER INDUSTRIE IM WIENER STADTGEBIET UND DIE RÄUMLICHE
AUSPRÄGUNG IHRER STANDORTFAKTOREN

In diesem Abschnitt wird zunächst die Verteilung der verschiedenen Produktionsrichtungen auf
die Betriebsstandorte im Wiener Stadtgebiet untersucht. Ziel der Analyse ist die Erfassung von
Branchen mit ähnlichem Agglomerationsverhalten; es soll geprüft werden, ob es charakteristi-
sche Assoziationen von Branchen gibt, die ähnliche Standortfaktoren nachfragen und daher im
räumlichen Verbund auftreten. Ebenso werden die Ausprägungen des wirtschaftlichen Raumes,
die sich für die Standorte dieser „Branchenbündel" ergeben, analysiert.
Als methodisches Instrument zur Erfassung der Branchenbündel dient das Rechenverfahren der
Faktorenanaiyse. Mit diesem Verfahren können bekanntlich voneinander statistisch unabhängi-
ge Faktoren ermittelt werden, in denen sich jeweils die Produktionsrichtungen mit ähnlichen
räumlichen Verteilungsmustern gruppieren (siehe auch die kurze Beschreibung der Methode der
Faktorenanalyse im Anhang). Die Ausgangsdaten für die Faktorenanalyse bildeten die Beschäf-
tigtenzahlen von insgesamt 39 Industrie- und Gewerbebranchen (Kombinationen des drei- und
vierstelligen Branchencodes der Arbeitsstättenzählung 1973 des Österreichischen Statistischen
Zentralamtes) für die 1265 Wiener Zählgebiete. Zur Durchführung des Rechenverfahrens wurden
Standardmethoden („principal factoring with iterations", Rotation der Faktoren nach dem
Varimax-Kriterium) angewendet.
Es ergeben sich die im folgenden angeführten signifikanten Faktoren, in denen Industrie- und
Gewerbebranchen mit ähnlichen Verbreitungsmustern zu „Branchenbündeln" zusammengefaßt
werden. Für die einzelnen Mitgliedsbranchen eines solchen „Branchenbündels" sind jeweils die
entsprechenden „Faktorenladungen" angeführt, das sind Kennzahlen, die das Ausmaß bemes-
sen, in dem eine Branche zur Bildung eines Faktors (Branchenbündels) beiträgt. Die Werte der
Faktorenladungen bewegen sich zwischen den Grenzwerten + 1 (stark positiver Einfluß der Va-
riablen auf den betreffenden Faktor) und — 1 (stark negativer Einfluß in derselben Richtung).
Faktorenladungen um 0 zeigen an, daß die Variable (Branche) in die Faktorenbildung nicht
eingeht:
Faktor I: Erzeugung und Verarbeitung von Papier und Pappe, (Faktorenladung + 0, 7178), Er-
zeugung von Leder- und Lederersatzstoffen (+ 0, 6474), Erzeugung von Metallwaren
(+ 0, 5008), Erzeugung von Schuhen (+ 0, 2914).
Faktor II: Druckerei, Vervielfältigung (+ 0, 6985), Verlagswesen (+ 0,6816), Erzeugung von Be-
kleidung (+ 0, 5824), Erzeugung von Uhren und Schmuck (+ 0, 4324), Erzeugung von
Textilien und Textilwaren (+ 0, 2943).
Faktor III: Bearbeitung von Metallen (+ 0, 8563), Erzeugung von Kunststoffen und Kunstfasern
(+ 0, 6168), Erzeugung von Waren aus Kunststoffen und Gummi (+ 0, 4990), Erzeugung
von Farben und chemischen Endprodukten (+ 0, 3240), Stahl und Leichtmetallbau
(+ 0, 2641).
Zur Interpretation der drei Hauptfaktoren sollen für die jeweils in einem Faktor zusammengefaß-
ten Branchen die Ausprägung der im vorigen Abschnitt besprochenen lndikatoren des wirtschaft-
lichen Raumes herangezogen werden.
Diese sind aus Tabelle 6 ersichtlich. Hier wird durch Signaturen das Ausmaß der Abweichungen
der branchenweisen Mittelwerte der fünf lndikatoren von den entsprechenden Mittelwerten über
alle Betriebsstandorte Wiens dargestellt. Dabei gelten positive und negative Abweichungen im
Ausmaß von
5 bis 15 v. H. als „relativ gering"
15 bis 30 v. H. als „überdurchschnittlich"
30 bis 50 v. H. als „stark" und
über 50 v. H. als „sehr stark".
Die Aussagen in Tabelle 6 beziehen sich allerdings nicht auf die genau gleiche Grundgesamtheit
wie die Faktorenanalyse. Es werden hier nur jene Wiener Zählgebiete berücksichtigt, die in stär-
kerem Ausmaß von Industriebetrieben besetzt sind'), während die Grunddaten der Faktorenana-
lyse industrielle und gewerbliche Betriebsstätten zusammenfassen. Dennoch zeigen sich auch
in dieser Aggregationsform für die in den „Branchenbündel" der Faktorenanalyse vereinigten
Produktionsrichtungen bestimmte Übereinstimmungen hinsichtlich der Struktur des „wirt-
schaftlichen Raumes".

') Die Kriterien zur Bestimmung dieser Zähigebiete sind im folgenden Abschnitt beschrieben.

42
Tabelle 6: Ausprä gung der Indikatoren des „wirtschaftlichen Raumes" für Industriebranchen,
geordn et nach „Branchenbü ndei"

Abweichung der Branchen-Mittelwerte der Indikatoren


des "wirtschaftlichen Rsumesc der Betriebsstandorte
von den entsprechenden Mittelwerten über alle Indu-
striestsndorte 1 )
Branchen der Industrie
geordnet nach "Branchen- Kontakt mit Verfüg- Kauf-
bündelc (Faktoren) Eisen- Stras- Beschäftig- barkeit kraft
bahn- ten in Wirt- über qua- der
güter- güter schafts- und lifizierte Ein-
fern- fern- Dienstlei- Arbeits- woh-
verkehr stungsbüros kräfte ner

Papier und Papps


Leder, Lederersatzstoffe
Verarbeitung von Holz

Erzeugur@ von Metall-


waren (Werkzeuge,
Hobel, Bleche u. a. )

Erzeugung von Schuhen ~ C


~ C CC CC C CCC

Druckerei, Verviel-
fältigung
Ver~ O ~
Textilien und Textil-

C C C C C CC

Bearbeitung von Metall


Stahl- und Leicht-
metallen

Waren aus Gunnni und


Kunststoff err

Chemf kalian und


chemische Produkte
CC

elektrotechnische
Einrichtungen
Nahrungs-, Genuknit tel
Elektrohausheltsgeräte,
Radio, Träte
Getränke, Tabakver
nr bei tung Bearbeit-

O Arbeitmnaschinen

Transportmittel
Kraft- und Kältemaschi
nen, Arnmturen, mecha-
nische Werkstätten

Erzeugung
ungg von
und
Erdöl, Erdgns O
und Kohle auf

Das Ausmaä der Abweichung der Branchen-Mittelwerte der Indikatoren vrzn

Gesemtmittelwert wird folgendernmäen klassifiziert:

Abweichung van Mittelwert in v. H.

über + 50 sehr star'k


+ 30 bis + 50 stark positive
+ 15 bis + 30 überdurchschnittlich Abweichung

+ 5 bis + 15 relativ gering


keine Signatur + 5 bis - 5 durchschnittliche Ausprägung

O - 5bis-15 relativ gering


~ - 15 bis - 30 überdurchschnittlich negative

O - 30 bis - 50 stark Abweichung

unter - 50

43
Die Betriebsstandorte der Branchen des ersten Faktors sind zumeist durch mehr oder minder
große negative Abweichungen von den gesamtstädtischen Mittelwerten bezüglich der Erreich-
barkeit der Güterbahnhöfe und der wichtigen Haupteinfallsstraßen gekennzeichnet. Ebenso bil-
det die räumliche Nähe zu „komplementären" Dienstleistungs- und Bürobetrieben keine Stand-
ortvoraussetzung. Die Verfügbarkeit über qualifizierte Arbeitskräfte und Kaufkraft wird zum Teil
nachgefragt, zum Teil entsprechen die Werte dieser lndikatoren dem Stadtdurchschnitt. Es sind
in diesem ersten „Branchenbündel" also gemeinsam auftretende, eher zentrumsorientierte
Industrie- und Gewerbezweige zusammengefaßt, die allerdings weniger in der City und ihrem un-
mittelbaren Umfeld vorkommen, sondern im anschließenden dichtverbauten Stadtgebiet.
Vergleicht man die Ausprägungen der Indikatoren für die Mitglieder des zweiten Branchenbün-
dels, so wird ersichtlich, daß es sich ebenfalls um zentrumsorientierte lndustriezweige handelt.
Im Gegensatz zum ersten Branchenkomplex kommt hier jedoch dem guten Kontakt zu
Dienstleistungs- und Bürobetrieben sowie dem „Kaufkraftpotential" zumeist eine wesentlich
größere Bedeutung zu: die hier zusammengefaßten Branchen treten auch im Bereich der City
auf; zum Teil handelt es sich dabei um Betriebsstätten der Industrieverwaltung.
Für die Branchen des dritten Faktors ist in Tabelle 6 ein weitgehend anderes Signaturenmuster
festzustellen: sie sind mehr oder weniger deutlich auf Standorte mit guter Zugänglichkeit im
Eisenbahn- und Straßengüterfernverkehr orientiert und bilden ein Branchenbündel, das eher am
Stadtrand anzutreffen ist.
Zwei weitere, weniger signifikante Faktoren (4 und 5) fassen eine Anzahl von Branchen zusam-
men, die nur bedingt im räumlichen Verbund und auch häufiger als „isolierte Elnzelbranchen"
auftreten. Nach den Werten der Indikatoren des „wirtschaftlichen Raumes" der Betriebsstandor-
te stellen einige dieser Branchen keine besonderen Standortanforderungen (z. B. die Erzeugung
von elektrotechnischen Einrichtungen und die Nahrungsmittelindustrie), die Mehrzahl ist stadt-
randorientiert (Transportmittelbau, Maschinenindustrie, Erdölverarbeitung).
In Karte 7 werden alle Wiener Zählgebiete mit über 400 Arbeitsplätzen in Industrie- oder Gewerbe-
betrieben als „Industriestandorte" näher charakterisiert. Die Karte stellt

1. das Verhältnis zwischen der industriell-gewerblichen Nutzung und der sonstigen (betriebli-
chen und Wohn-)Nutzung dieser „Industriestandorte" dar,
2. die räumliche Verbreitung der verschiedenen „Branchenbündel" und der eher „isoliert auftre-
tenden Einzelbranchen":

ad 1. Bezüglich der „Verbreitungsintensität" von Industrie und Gewerbe wird (nach dem Verhält-
nis von Einwohner- und Arbeitsplatzdichte) zwischen Betriebsgebieten, Wohn-Betriebsgebieten
und Wohngebieten unterschieden. Für jede dieser Kategorien ist zusätzlich der Anteil der Ar-
beitsplätze in Industrie- und Gewerbebetrieben an der Gesamtzahl der Arbeitsplätze angegeben,
sodaß z. B. „Industriegebiete" (mit der Dominierung industriell-gewerblicher Arbeitsplätze) und
sonstige Betriebsgebiete (mit der Dominanz anderer Wirtschaftsbranchen und akzessorisch auf-
tretenden Industriebranchen) zu unterscheiden sind.
Alle diese Aussagen werden durch die Variation der Flächenfarbe dargestellt.

ad 2. Das Auftreten der charakteristischen „Branchenbündel" und der „Isolierten Einzelbran-


chen" wird durch Signaturen abgebildet, deren Größe nach der Gesamtzahl der Beschäftigten
in Industrie und Gewerbe gestuft ist.
In der Karte sind die charakteristischen „Industrie- und Gewerbezonen" des Wiener Stadtgebie-
tes zu erkennen:
~ In der City und im Cityrandbereich tritt die Industrie in Betriebsgebieten (mit der Dominanz
anderer Wirtschaftszweige, vornehmlich Dienstleistungsbranchen) auf. In der Mehrzahl der
Fälle handelt es sich um industrielle Verwaltungsbüros, die nach dem vorliegenden statisti-
schen Material nicht von den produzierenden Unternehmensteilen zu trennen sind, „cityorien-
tierte" Branchen des zweiten „Branchenbündels" erreichen nicht die Anzahl an Arbeitsplät-
zen, die für eine Darstellung in Form von Signaturen erforderlich ist.
~ Besonders westlich und südwestlich der City und vorwiegend innerhalb des Gürtels konzen-
trieren sich die Betriebsstätten der traditionellen zentrumsnahen Gewerbe- und lndustrievier-
tel. Diese Betriebsstätten sind in der Regel in Misch-(Wohn-/Betriebs-)Gebieten lokalisiert,
z. T. auch in Wohngebieten, seltener in „reinen" Betriebsgebieten. Kennzeichnend für diese
Stadtteile mit „Hinterhof-" und „Souterrainindustrie" ist das Auftreten der beiden genannten
(Faktor I und Faktor II) Branchenbündel, die von „innerstädtischen" Standortfaktoren
abhängen.

44
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR
Quelle Flächennutzungserhebung der v
MA 18 Stand 1975/76 Arbeits-
stättenzählung 1973, OSTZA
Entwurf: J. Steinbach Karte 7:
Grundkarte Blockgliederung MD —ADV
E
l
Zählgebietseinteilung von Wien I INDUSTRIE UND GEWERBE
Kartographie: g Institut für Stadtforschung DARGESTELLT SIND ZAHLGEBIETE MIT 400 UND MEHR
I ARBEITSPLATZEN IN INDUSTRIE UND GEWERBE

Gewässer Verbreitung von Industrie und Gewerbe


Unbebautes Gebiet
Typen der Zählgebiete Anteil der Arbeitsplätze in Industrie
nach der vorherrschenden und Gewerbe an der Gesamtzahl
Hauptnutzungsart der Arbeitsplätze in v. H.
80 — 100 60 —80 40 —60 unter 40

Betriebsgebiet
r

f "4~ Wohn —Betriebsgebiet WHWW


Wohngebiet

Zählgebiete mit geringem Besatz an Industrie


und Gewerbe (unter 400 Arbeitsplätze)

Branchenstruktur von Industrie und Gewerbe

Anteil der Arbeitsplätze je Branche


Branchen bzw. bzw. Branchenbündel in v. H. der
Branchenbündel Arbeitspl. in Industrie und Gewerbe
über 60 v. H. 40 —60 v. H.
Lederverarbeitung, Schuherzeugung

l Holz- Papierverarbeitung
u

Metallwarenerzeugung

.l l
Erzeugung von Textilwaren und Bekleidung,
Druckereigewerbe, Verlagswesen, O
Ct
I Erzeugung von Uhren und Schmuck

Branchen der Chemischen Industrie

Maschinenbau, Elektrotechnik,
Feinmechanische Industrie

O
I 1 Nahrungsmittel- u. Getränke-
industrie, Tabakverarbeitung

] Branchenmengung oder Vorherrschen


I sonstiger Branchen ( z. t. Verwaltungsbüros )

I
I
Zahl der Arbeitsplätze in Industrie und Gewerbe
I e C iii V m
400 bis unter 1000 Arbeitsplätze
I o O o v' o
Maßstab 1: 100 000
wr tsssr 1000 und mehr Arbeitsplätze
0 1 km 2 3 4 5
O C a V O
~ In den westlichen Stadtbezirken (außerhalb des Gürtels) sowie z. T. in Favoriten, Simmering
und in Erdberg sind die von der Wohnverbauung umschlossenen Standorte der ehemaligen
(gründerzeitlichen) Stadtrandindustrie zu erkennen. Die entsprechenden Zählgebiete gehören
ebenfalls zumeist zu den Hauptnutzungstypen der Mischgebiete oder sogar der Wohngebiete.
~ Hingegen sind die Zählgebiete der gegenwärtigen Stadtrandindustrie vorwiegend „Industrie-
gebiete", also von der Industrie dominierte Betriebsgebiete. Hier herrschen besonders die ge-
nannten „isolierten Einzelbranchen" und „Branchenbündel" (Faktoren III bis V) vor, zu deren
wichtigsten Standortfaktoren die überregionale Verkehrserschlossenheit sowie genügend
große aufgeschlossene Industrieflächen zählen. Bedeutendere Industriezonen dieses
und
Typs liegen an der südlichen und südöstlichen Peripherie sowie jenseits der Donau. Hier sind
auch die wichtigsten Ansiedlungsgebiete der „Wiener Betriebsansiedlungsgesellschaft"
enthalten.
Dieses charakteristische Verbreitungsmuster der Wiener Industrie wird nun näher analysiert, wo-
bei wieder die Kennzahlen des Konzeptes der ökologischen Nischentheorie zur Anwendung
kommen.

4.5 ANALYSE DER ANSPRÜCHE DER WIENER INDUSTRIE AN DEN WIRTSCHAFTLICHEN


RAUM DER BETRIEBSSTANDORTE

Ähnlich wie bei der Analyse des „sozialen Raumes" der Wohnstandorte verschiedener sozialer
Gruppen der Bevölkerung kann auch zur Erfassung der Strukturmerkmale „wirtschaftlicher Räu-
me" das Konzept der „ökologischen Nische" angewendet werden. Wie bereits dargestellt (siehe
Abschnitt 3 sowie die kurze Beschreibung des methodischen Ansatzes im Anhang) wird in die-
sem aus der Biologie übernommenen Ansatz zwischen „realisierten" und „fundamentalen" öko-
logischen Nischen unterschieden. In dieser Analyse kennzeichnen „fundamentale" Nischen an-
nähernd „optimale" Standortbedingungen der industriebranchen, während „reale"Nischen die
tatsächliche Struktur ihres „wirtschaftlichen Raumes" abbilden. Diese kann wegen der bespro-
chenen Veränderungen von Umweltbedingungen sowie aufgrund der Konkurrenz der Betriebe um
die „günstigen" Standorte beträchtliche Abweichungen aufweisen.

4.5.1 Kennzahlen des „realisierten" und des „fundamentalen" wirtschaftlichen Raumes der
Industriebranchen
Zunächst sollen die drei Kennzahlen der „realisierten" und „abstrakten", „ökologischen" Nische
nochmals kurz dargestellt und unter Bezugnahme auf den vorliegenden Anwendungsfall inter-
pretiert werden.
1. Kennzahl d: Ausmaß der Anpassung der Betriebsstandorte einer Branche an die wirtschaftli ~

ehen Standortbedingungen im Stadtgebiet


Bekanntlich wird die „realisierte" ökologische Nische mit einer Kennzahl bewertet, die die
Distanz ausdrückt zwischen:
~ der durchschnittlichen Ausprägung der Indikatoren des „wirtschaftlichen Raumes",
bezogen auf die Standorte einer betrachteten Industriebranche und
~ der durchschnittlichen Ausprägung dieser Indikatoren, bezogen auf die Gesamtzahl der
Industriestandorte im Stadtgebiet.
Je größere Werte diese Kennzahl der Distanz (d) annimmt,
~ desto seltener kommen im Stadtgebiet Industriestandorte vor, deren „Indikatorenprofil"
dem Durchschnitt der Industriebranche entspricht,
~ in desto geringerem Ausmaß ist also die untersuchte Branche an die „wirtschaftlichen
Räume" der städtischen Betriebsstandorte angepaßt.
2. Kennzahl r: Ähnlichkeit der Betriebsstandorte einer Branche mit den „durchschnittlichen"
(= relativ günstigen) Standortbedlngungen für diese Produktionsrlchtung
Neben dieser Kennzahl des realisierten wirtschaftlichen Raumes (d) werden zwei weitere
Kennzahlen ermittelt, die sich auf die durchschnittliche Ausprägung des wirtschaftlichen
Raums der Industriebranchen beziehen.
Wie schon bei der Analyse des „sozialen Raumes" dargestellt, handelt es sich dabei erstens
um die Kennzahl r, einem Indikator, der für die Betriebsstandorte einer Branche das Ausmaß
der Ähnlichkeit ihrer „wirtschaftlichen Räume" mit dem „mittleren" „wirtschaftlichen Raum"
dieser Branche vergleicht. Die Strukturmerkmale eines solchen „mittleren" wirtschaftlichen
Raumes errechnen sich als Durchschnittswerte über alle Betriebsstandorte des betreffenden

45
Industriezweiges. Es wird angenommen, daß dieses branchenspezifische Mittel jeweils relativ
günstigen Standortbedingungen der Branche innerhalb des Stadtgebietes entspricht'). Höhere
Werte dieser Kennzahl r kennzeichnen diejenigen industriezweige, deren Betriebsstandorte nur
wenig von einer relativ günstigen Ausprägung des wirtschaftlichen Raumes (also den Merkmalen
des „mittleren wirtschaftlichen Raumes" der Branche) abweichen. Niedrige Werte von r bedeu-
ten, daß die betrachtete Branche auch auf weniger geeigneten Standorten vorkommt.

3. Kennzahl c: Ausmaß der Verbreitung einer Branche auf Standorten, die den durchschnittli ~
ehen Verbreitungsbedingungen entsprechen
Während die Kennzahl r — in Analogie zur Anwendung des „Nischen-Konzeptes" in der Biolo-
gie— die „Weite"der „abstrakten" oder „fundamentalen" Nischen abbildet, dient die Kenn-
zahl c zur Erfassung der Intensität der Verbreitung einer Branche auf Standorten, die dem
Branchenmittel entsprechen: hohe Werte von c zeigen an, daß sehr viele der Betriebsstandor-
te einer betrachteten Branche hinsichtlich der Strukturmerkmale des wirtschaftlichen Rau-
mes mit dem „günstigsten" Standort übereinstimmen.
Da sich die drei genannten Kennzahlen auf die Betriebsstandorte der betrachteten lndustriebran-
chen beziehen, müssen als Vorbedingung zu ihrer Ermittlung zunächst diese Betriebsstandorte
definiert werden. Dabei ist zu bedenken, daß die Ausprägung der Kennzahlen unter Umständen
wesentlich von den statistischen Merkmalen, nach denen die Betriebsstandorte festgelegt wer-
den, abhängt. In der vorliegenden Analyse wurde einerseits eine Beschränkung auf die allerwich-
tigsten Betriebsstandorte der verschiedenen Branchen vermieden (wie sie etwa durch die Signa-
turen in Karte 7 dargestellt sind), weil sich dadurch für eine Reihe von industriezweigen eine zu
geringe Anzahl von Betriebsstandorten ergibt. Um eine Verfälschung der Ergebnisse zu vermei-
den war es aber auch notwendig, die Betriebsstandorte mit überwiegend gewerblicher Wirt-
schaftsstruktur und damit eine Vielzahl von Betrieben ohne wesentliche Standortansprüche,
auszuschließen. So wurden als „Betriebsstandorte" alle diejenigen Wiener Zählgebiete festge-
legt, die für mindestens eine der 21 (in Wien stärker verbreiteten) Industriebranchen mehr als 50
Arbeitsplätze aufzuweisen haben und deren durchschnittliche branchenspezifi sehe Betriebsgrö-
ße mindestens 15 Beschäftigte je Betrieb beträgt.
Zur Erfassung des „wirtschaftlichen Raumes" der so definierten Branchenstandorte dient das
oben dargestellte Indikatorensystem; wobei im einzelnen folgende Indikatoren verwendet
werden:
~ die (mit der Entfernung gewichtete) Anzahl der Arbeitskräfte mit höherem Qualifikations-
niveau im Pendeleinzugsbereich der Betriebsstandorte („Arbeitskraftpotential")
~ die Kaufkraft der Einwohner, deren Wohnstandorte von einem Betriebsstandort aus in einer
Fahrzeit von maximal 20 Minuten (im öffentlichen Verkehr) erreicht werden
~ die Zahl der Beschäftigten in „Bürobranchen" innerhalb einer Gehentfernung von maximal
15 Minuten vom Betriebsstandort
~ der Umfang der Gütermengen, die im Tagesdurchschnitt über die Wiener Haupteinfallsstra-
ßen befördert werden, deren „Anschlußknoten" an das innerstädtische Straßennetz vom Be-
triebsstandort aus nicht weiter als 20 Minuten LKW-Fahrzeit entfernt sind
~ der Umfang des jährlichen Güterumschlages in den Güterbahnhöfen, ebenfalls bezogen auf
einen Einzugsbereich von 20 Minuten Fahrzeit im LKW-Verkehr.

4.5.2 Ausprägung der Kennzahlen für die Wiener Industriebranchen


Die Ergebnisse der Berechnung der drei dargestellten Kennzahlen für die 21 betrachteten Indu-
striebranchen sind in Abbildung 8 bzw. in Tabelle 7 dokumentiert: Abbildung 8 stellt die Vertei-
lung der Branchen in einem dreidimensionalen Diagramm dar, dessen Achsen die Ausprägung
der Kennzahlen d, r und c bemessen. Es zeigt sich, daß verschiedene Branchen innerhalb dieses
„Merkmalsraumes" in relativ enger Nachbarschaft auftreten. Somit ergeben sich Gruppen von
Industriebranchen mit relativ ähnlichen Ansprüchen an den „wirtschaftlichen Raum" der Indu.
striestandorte. In Tabelle 7 sind die einer solchen Gruppe zugehörigen industriezweige entspre-
chend zusammengefaßt:

') Ebenso wieim Falle der Analyse des „sozialen Raumes" kann auch hier nicht davon ausgegangen wer-
den, daß die Mittelwerte der Indikatoren für die einzelnen Branchen die jeweils „optimalen" Standortbe-
dingungen abbilden (wie dies in der biologischen Anwendung der Nischentheorie unterstellt wird).

46
1. Die umfangreichste Branchengruppe ist durch relativ niedrige Werte für alle drei Kennzahlen
des „wirtschaftlichen Raumes" charakterisiert. Sie umfaßt die Branchen:
~ Erzeugung von Nahrungs- und Genußmitteln
~ Textilien und Textilwarenerzeugung
~ Erzeugung von Chemikalien und chemischen Produkten
~ Bearbeitung von Metallen und Stahl-, Leichtmetallbau
~ Erzeugung von Metallwaren (Werkzeuge, Möbel, Bleche)
~ Erzeugung von Arbeitsmaschinen.
Entsprechend der Interpretation der Kennzahlen ergibt sich aus den niedrigen Werten für d,
daß diese Branchen an die „wirtschaftlichen Räume" der Wiener Betriebsstandorte relativ gut
angepaßt sind. Dies trifft besonders für die Nahrungsmittelindustrie zu, für die (mit 0, 036) der
bei weitem kleinste Wert für d festzustellen ist. Gleichzeitig deuten die ebenfalls relativ niedri-
gen Werte der beiden übrigen Kennzahlen (r und c) darauf hin, daß diese Branchen nicht nur
an den für sie günstigen Betriebsstandorten vorkommen, sondern auch relativ häufig in vielen
anderen Bereichen des Stadtgebietes verbreitet sind, sie haben also „weite fundamentale Ni-
schen". Die Zugehörigkeit der chemischen Industrie zu dieser Gruppe erklärt sich aus der Tat-
sache, daß in Wien die entsprechenden Großbetriebe sowie der (meist umweltstörende) Grund-
stoffsektor weitgehend fehlen. Auch in der „Erzeugung von Arbeitsmaschinen" dominieren die
kleinen Betriebseinheiten mit geringeren Ansprüchen an den wirtschaftlichen Raum ihrer
Betriebsstandorte.
2. Eine zweite Gruppe wird von den drei Branchen
~ Holzverarbeitung
~ Erzeugung und Verarbeitung von Papier und Pappe
~ Erzeugung von elektrotechnischen Einrichtungen
gebildet. Diese industriezweige stimmen hinsichtlich der Ausprägung der Kennzahl der „re-
alisierten Nische" d mit der vorgenannten Gruppe überein, sie sind also ebenfalls gut an
die Gegebenheiten des Wiener Stadtgebietes angepaßt und können daher prinzipiell auf ei-
ner Vielzahl von Standorten auftreten. Wie jedoch die Werte von r und c anzeigen, besteht
(im Vergleich zur vorigen Gruppe) eine stärkere Tendenz bezüglich der günstigen Standorte
(höherer Wert für r), gleichzeitig konzentriert sich eine größere Zahl von Betrieben auf Stan-
dorten, deren wirtschaftlicher Raum etwa dem Branchenmittel entspricht (hoher Wert für c).
3. Diese letztgenannten Merkmale der „fundamentalen Nische" gelten auch für die fünf indu-
striebranchen, die eine dritte größere Gruppe bilden. Sie unterscheiden sich aber von den
beiden übrigen Gruppen durch deutlich höhere Werte für d. Neben der stärkeren Tendenz
bezüglich der für sie „günstigeren" Standorte (höherer Wert für r) und einer Konzentration
an den branchenspezifisch „mittleren" Standorten (hoher Wert für c) sind also die hier zuge-
hörigen Betriebe wesentlich seltener auch auf für sie ungünstigeren Standorten verbreitet
(höherer Wert von d) und damit im geringeren Ausmaß an die wirtschaftliche Umwelt der
Wiener lndustriestandorte angepaßt. Die Branchengruppe, für die dieses Standortverhalten
zutrifft, umfaßt die folgenden Industriezweige:
~ Druckerei und Vervielfältigung
~ Erzeugung von Waren aus Gummi und Kunststoffen
~ Erzeugung von Kraft-, Kältemaschinen und Armaturen, mechanische Werkstätten
~ Erzeugung von Elektrohaushaltsgeräten, Radio- und TV-Geräten
~ Transportmittelbau
~ Erzeugung von feinmechanischen, medizinischen und optischen Geräten, Uhren und
Schmuckwaren.
Wie aus dieser Interpretation der Kennzahlen für die drei genannten Branchengruppen zu erse-
hen ist, nehmen die von den hier zusammengefaßten Branchen gestellten Anforderungen an den
„wirtschaftlichen Raum" der Betriebsstandorte von Gruppe zu Gruppe zu.
Darüber hinaus kann für eine Anzahl von Einzelbranchen ein vom Durchschnitt noch mehr abwei-
chendes und z. T. extremes Allokationsverhalten festgestellt werden (siehe Abbildung 8). Ge-
meinsame Merkmale aller dieser Branchen sind überdurchschnittliche bis sehr hohe Werte für
d und unterdurchschnittliche bis sehr niedrige Werte für c; d. h. , die betreffenden industriezweige
passen sich der Wiener Standortstruktur meist sehr schlecht an und treten gleichzeitig meist
nur in sehr geringer Häufigkeit auf den für sie günstigen Standorten auf.
Aus der Interpretation der Kennzahlen des „nischentheoretischen" Konzeptes resultiert also
eine „Rangordnung" der industriebranchen nach dem Ausmaß ihrer Anpassung an die Gegeben-

47
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48
heiten des Stadtgebietes und dem „Bindungsgrad" an ihre durchschnittlichen (als „günstig" be-
werteten) Verbreitungsbedingungen. Es muß abschließend nochmals betont werden, daß die
Ausprägung der Kennzahlen von den besprochenen, der Berechnung zugrundegelegten Annah-
men (Definition der Branchen und Betriebsstandorte, wobei besonders unterstellt wird, daß in-
nerhalb einer Branche homogene Produktionsbedingungen vorherrschen, u. a.) wesentlich ab-
hängen. Dennoch dürften die hier vorgelegten Ergebnisse zur besseren Kenntnis die Verbrei-
tungsbedingungen der Wiener Industrie beitragen.

4.6 BEWERTUNG DER WIENER ZÄHLGEBIETE NACH DEN STANDORTANSPRÜCHEN DER


INDUSTRIEBRANCHEN
Zusätzlich zur Bewertung der Industriebranchen nach ihren Verbreitungsbedingungen werden
nun — zum Abschluß der Strukturanalysen der Wiener Industrie — auch die Wiener Zählgebiete
hinsichtlich ihrer Eignung als Industriestandorte bewertet.
Dabei liegt ein einfaches Verfahren zugrunde, das an das Konzept der „Nischentheorie" an-
schließt. Es basiert auf dem Vergleich zwischen der Ausprägung der indikatoren des „wirtschaft-
lichen Raumes" für jeden einzelnen Standort (Zählgebiet) mit den durchschnittlichen lndikato-
renwerten, die sich über alle Standorte einer Industriebranche ergeben. Von diesem „mittleren
wirtschaftlichen Raum" einer Branche wird wieder (wie im Falle der Kennzahlen der „Nischen-
theorie") angenommen, daß er relativ günstige Standortbedingungen des betrachteten lndustrie-
zweiges abbildet. In je geringerem Ausmaß die Indikatorenwerte eines Standortes (Zählgebiet)
von den durchschnittlichen Ausprägungen der Indikatoren aller Branchen negativ abweichen,
desto besser entspricht dieser Standort den Verbreitungsbedingungen der Wiener Industrie. Po-
sitive Abweichungen, die — —
in aller Regel eine Standortgunst anzeigen, die das Branchenmit-
tel noch übertrifft, sind in diesem Bewertungsverfahren nicht berücksichtigt, da eine lnanspruch-
nahme solcher hochrangiger Betriebsstandorte vielfach wegen der Konkurrenz auf dem Stand-
ortmarkt nicht möglich und wirtschaftlich z. T. auch nicht notwendig ist.
Zur Ermittlung der Kennzahlen der Standorteignung wurden zunächst für jedes Zählgebiet die
Abweichungen der fünf Indikatorenwerte von den entsprechenden „Branchenmittelwerten" für
jede der betrachteten 21 Industriebranchen errechnet. Aus den standardisierten negativen Ab-
weichungen ergeben sich zwei Kennzahlen:
1. Die erste Kennzahl wird gebildet als die Summe der (standardisierten negativen) Abweichun-
gen der lndikatorenwerte des Arbeitskräfteangebotes, der Kaufkraft und der Kontaktchancen
mit komplementären Bürobetrieben für ein Zählgebiet von den entsprechenden Branchenmit-
telwerten. Je kleiner diese Summe der negativen Abweichungen ist, desto besser eignet sich
das untersuchte Zählgebiet als Betriebsstandort für „zentrumsorientierte" Industriezweige.
Ein Wert von 0 zeigt an, daß die entsprechenden lndikatorenwerte eines Zählgebietes über
den Mittelwerten aller 21 Branchen liegen, bzw. diesen Mittelwerten genau entsprechen.
2. Die zweite Kennzahl bemißt die Standorteignung für stadtrandorientierte Industrien. Hier wer-
den je Zählgebiet die (negativen standardisierten) Abweichungen der Indikatoren des Zugan-
ges im Eisenbahn- und Straßengüterfernverkehr von den entsprechenden Branchenmittelwer-
ten summiert. Wieder bedeuten kleine Werte dieser Summe, daß im entsprechenden Zählge-
biet günstige Verbreitungsbedingungen für stadtrandorientierte Industrien geboten werden.
Die räumliche Ausprägung der beiden Kennzahlen der Standortbedingungen für „zentrums-" und
„stadtrandorientierte" Industrien ist in den Karten 8 und 9 dargestellt. Ihre Aussagen können als
Entscheidungshilfen für die Flächenwidmungs- und Industrieansiedlungspolitik dienen.

49
Tabelle 7: Kennzahlen des „realisierten" und „fundamentalen" wirtschaftlichen Raumes für
die Industriebranchen

Kennzahlen des wirt-


Branchen schaftlichen Raumes

1 Nahrungs-, Genußmittel 0, 036 0, 154 0, 57


3 Textilien, Textilwaren 0, 136 0, 140 0, 55
14 Chemikalien, chemische Produkte 0, 122 0, 153 0, 58
19 Bearbeitung von Metallen, Stahl-, Leichtmetallbau 0, 168 0, 201 0, 74
20 Erzeugung von Metallwaren (Werkzeuge, Möbel, Bleche) 0, 089 0, 175 0, 64
21 . Arbeitsmaschinen 0,202 0, 190 0, 67
8 Holzverarbeitung 0, 094 0, 252 0, 80
10 Papier und Pappe 0, 177 0,296 0, 99
23 elektrotechnische Einrichtungen 0, 098 0, 268 0, 86
11 Druckerei, Vervielfältigung 0, 313 0, 252 0, 96
13 Waren aus Gummi und Kunststoffen 0,334 0, 260 0, 93
22 Kraft-, Kaltemaschinen, Armaturen, mechanische Werkstätten 0, 476 0, 251 0, 83
24 Elektrohaushaltsgeräte, Radio, TV-Geräte 0, 394 0, 299 0, 99
25 Transportmittel 0, 304 0, 255 0, 84
26 feinmechanische, medizinische, optische Geräte, Uhren,
Schmu ckwaren 0,493 0, 308 0,85
4 Bekleidung 0,408 0, 118 0, 45
18 Erzeugung von Eisen- und Nichteisenmetallen 0,847 0, 135 0, 53
2 Getranke, Tabak 0, 586 0, 531 0, 57
9 Musikinstrumente, Sportartikel, Spielwaren 0, 585 0, 560 0, 37
6 Leder- und Lederersatzstoffe 1,341 1,300 0, 14
12 Verlagswesen 2, 010 0, 078 0, 24

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L
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR

Karte 9:

STANDORTBEDINGUNGEN
FÜR „STADTRANDORIENTIERTE"
IN DU STRIEZWEIG E

Dargestellt ist eine Bewertung der Standorteignung von Wiener


Zählgebieten für „stadtrandorientierte" Industrien. Sie resultiert
aus dem Vergleich von Kennzahlen der Zugänglichkeit im
Eisenbahn- und Straßengüterfernverkehr, wie sie für jedes Zähl-
gebiet ermittelt wurden, mit den entsprechenden Mittelwerten,
die sich für die verschiedenen industriebranchen in Wien erge-
ben. In je geringerem Ausmaß die Kennwerte eines Zählgebietes
von diesen mittleren Standortwerten der Industriezweige negativ
abweichen, als desto günstiger können die Standortbedingun-
gen dieses Zählgebietes bewertet werden.

Standortbedingungen für „stadtrandorientierte" Industriezwei-


ge (Summe der negativen Abweichungen der Kennzahlen der
Standorteignung je Zählgebiet von den entsprechenden Mittel-
werten für die verschiedenen Industriezweige).

I
gg unter 2 relativ
günstige
2 8
e
~ ~
' ~ ~ ~
!i J! 8 —20 Standort-
/ bedingungen für
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ly 20 —30 stadtrand
orientierte"
Industriezweige
/7" 30 45—
gaff'
45 —60
relativ
über 60 ungünstige

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Arbeitsgrundlsgen:
Eigene Berechnungen.
5. STRUKTURANALYSE DER WIENER INNERSTÄDTISCHEN ZENTREN' )

5.1 EINFÜHRUNG
Eine genaue Kenntnis der Zentrenstruktur ist für die Wiener Stadtenwicklungsplanung beson-
ders wichtig, da
1. die wesentlichen Veränderungen der Erreichbarkeitsverhältnisse (besonders durch den Aus-
bau des öffentlichen Verkehrssystems) sowie
2. die beträchtlichen Veränderungen in der Bevölkerungsverteilung (siehe Abschnitt 3.6)
nicht ohne Folgen bezüglich der innerstädtischen Zentren bleiben können. Aufgrund dieser Ent-
wicklungstendenzen muß angenommen werden, daß es in bestimmten Bereichen des dichtbe-
bauten Stadtgebietes zu einer deutlichen Reduktion des Bestandes an Einzelhandels- und
Dienstleistungsbranchen kommt. Dadurch werden besonders diejenigen Gruppen der Bevölke-
rung betroffen, die über kein lndividualverkehrsmittel und andere technische Geräte (z. B. Tief-
kühltruhen zur Vorratshaltung) verfügen. Um solche Prozesse des „Verfalls" innerstädtischer
Zentren rechtzeitig zu erkennen, ist eine genaue Kontrolle der Zentrenentwicklung notwendig,
die auf den Ergebnissen der folgenden Querschnittsanalyse aufbauen kann.
Im vorliegenden Abschnitt der Arbeit werden zunächst einige Hypothesen über die Entwicklungs-
tendenzen innerstädtischer Zentren diskutiert. Daran schließt eine Darstellung der Arbeitsschrit-
te und Ergebnisse der Zentrenanalyse an:
~ Auf einen ersten Arbeitsschritt, der zur Abgrenzung der innerstädtischen Zentren dient, wird
hier nicht näher eingegangen. Dabei wurden alle Zählgebiete ermittelt, die im überdurch-
schnittlichen Ausmaß mit „zentralen Funktionen" (haushaltsbezogene bzw. haushaltsteilbe-
zogene Geschäfte, Dienstleistungsbüros, u. a.) besetzt sind. Entsprechende Zählgebiete, die
(etwa im Verlauf einer Geschäftsstraße) in enger Nachbarschaft auftreten, konstituieren ge-
meinsam ein innerstädtisches Zentrum.
~ Die so definierten Zentren werden zunächst hinsichtlich des Auftretens charakteristischer
Kombinationsformen von Einzelhandels. und Dienstleistungsbranchen analysiert. Es erge-
ben sich drei „Hauptgruppen":
Branchen der Standardausstattung,
Citybranchen und
City-Ergänzungsbranchen.
~ Nach der Beschäftigtenzahl in diesen „Hauptgruppen" der in den innerstädtischen Zentren
verbreiteten Branchen kann eine Größenstufung der Wiener Zentren vorgenommen werden.
Dabei sind, neben der City, Hauptzentren, Bezirkszentren und lokale Zentren zu unter-
scheiden.
~ Im Rahmen einer genaueren Erfassung der Ausstattungsstruktur werden die drei genannten
Hauptgruppen der Zentrenbranchen weiter differenziert. Es können eine Anzahl von Ausstat.
tungstypen unterschieden werden, die den Obergruppen „Einkaufszentren"„, multifunktiona-
le Zentren" und „Dienstleistungszentren" zugeordnet sind.
~ Aus der Überlagerung der Klassifikationen der Zentren nach der Größe und dem Ausstattungs-
typ kann schließlich eine Rangordnung der Wiener Zentren abgeleitet werden.

5.2 ENTWICKLUNGSTENDENZEN INNERSTÄDTISCHER ZENTREN

„Diezentralörtliche Theorie postuliert eine Hierarchie zentraler Dienste und zentraler Orte: Jene
Güter und Dienstleistungen, die von einer relativ kleinen Anzahl von Kunden her schon genügend
Umsatz zur Bestreitung ihrer wirtschaftlichen Existenz erzielen, suchen sich in möglichst günsti-
ge Lagebeziehung zur potentiellen Kundschaft zu setzen; sie haben eine geringe Reichweite, ab-
sorbieren jedoch einen relativ großen Teil der Ausgaben der Bevölkerung. Solche Einrichtungen
werden zentrale Funktionen niederer Ordnung genannt und es werden dazu Lebensmittelge-
schäfte, Supermarkt, Drogerie, Eisenwarengeschäft, Arzt usw. gerechnet. Andere Güter wie Klei-
der, Teppiche, Schmuckwaren, werden nur gelegentlich von jedermann eingekauft, nur ein

') Die „Strukturanalyse der Wiener innerstädtischen Zentren" wurde von J. STEIN BACH als eigenständiger
Beitrag im Rahmen des Forschungsprojektes „Ermittlung der wohnstandörtlichen und einwohnerspezifi-
schen Versorgungsqualität" (Projektleiter: D. BÖKEMANN) erarbeitet.

51
kleiner Anteil der Gesamtausgaben wird für sie verwendet und deshalb muß die Zahl ihrer poten-
tiellen Kunden viel größer sein, um die wirtschaftliche Existenz eines Betriebes sicherzustellen. "
(J. CAROL, 1968)
Daraus folgt, daß einem städtischen Zentrum unterer Ordnung (Lokalzentrum) ein potentieller
Kundenbereich von nur einigen tausend bis 10.000 Einwohnern, die im engeren Einzugsbereich
leben, zukommt, während das Hauptzentrum die Einwohner der gesamten Stadt und der zugeord-
neten Umlandregion versorgt. Durch den Mechanismus zunehmender Spezialisierung konzen-
trieren sich die zentralen Dienste in „verschiedenrangigen" innerstädtischen Zentren mit einan-
der überlagernden Versorgungsgebieten.
Die nach diesen Prinzipien gewachsene innerstädtische Zentrenstruktur verändert sich aufgrund
von folgenden Entwicklungstendenzen:
1. Wettbewerbs- und Verdrängungsprozesse zwischen verschiedenen Dienstleistungsunterneh-
men mit unterschiedlicher Wertschöpfung.
2. Verlagerungsprozesse zentraler Funktionen vom inneren Stadtgebiet auf bestimmte verkehrs-
mäßig bevorzugte Standorte der Peripherie.

ad 1.
Unternehmen, die aus der am Standort verfügbaren Kaufkraft die größte Wertschöpfung erzielen,
verdrängen sukzessive die weniger konkurrenzfähigen Dienstleistungsbetriebe (daneben auch
sonstige „Standortnutzer", wie z. B. die Wohnbevölkerung). Vornehmlich aufgrund dieser Ver-
drängungsprozesse ergeben sich folgende Strukturmerkmale innerstädtischer Zentren.
~ Infolge der Verdrängung von niedrigrangigen zentralen Diensten durch höherrangige Versor-
gungseinrichtungen fehlen in den höchstrangigen Zentren vor allem die Branchen zur
Deckung des Nahbedarfes.
~ Verdrängungsprozesse zwischen höherrangigen Versorgungseinrichtungen führen zu Bal-
lungstendenzen branchenmäßig gleichartiger Dienstleistungseinrichtungen:
—In den Haupteinkaufszentren ist die zunehmende Dominanz gleichartiger Geschäfte (be-
sonders der Bekleidungsbranche, E. LICHTENBERGER, 1972) zu beobachten. Aufgrund
dieser Schwerpunktbildung verringert sich im Vergleich mit den niedrigrangigen Einkaufs-
zentren — wenigstens tendenziell — die Branchenvielfalt.
—Gleichzeitig wächst die Bedeutung jener „spezialisierten" Zentren, in denen bestimmte
(hochrangige) Dienstleistungs- und Geschäftsbranchen (Bank-, Versicherungs- und Kredit-
wesen, Geschäfte der Branchengruppen: Wohnungseinrichtung und Ausstattung, Reise-
und Verkehrsbüros, hochrangiges Gastgewerbe, Betriebsstätten des Unterhaltungssek-
tors u. a.) stark vorherrschen. Solche Zentren spalten sich — mit wachsender Stadtgröße
in zunehmendem Ausmaß — vom multifunktionalen Citykern ab und erfüllen als zueinan-
der komplementäre Teilzentren gemeinsam die traditionellen Cityfunktionen. Dabei ent-
fällt auch immer mehr die Notwendigkeit der räumlichen Nähe.

ad 2.
Die zumindest relative Verschlechterung des Zuganges zu den Zentren der Stadtmitte (vor allem
im Individualverkehr), die gleichzeitige Aufwertung bestimmter Standorte an der Peripherie der
Stadt durch Anschlüsse an neue hochrangige Verkehrssysteme (meist (Stadt-)Autobahnen), die
zunehmende Motorisierung und nicht zuletzt die verstärkte Besiedlung der Stadt randzone begün-
stigten das Entstehen und die Expansion von neuen peripheren Einkaufszentren. Diese Zentren
bieten zumeist ein Sortiment an Gütern der mittleren bis höheren Zentralitätsstufe an und konkur-
renzieren damit vor allem die größeren Nebenzentren, weniger noch die City. Allerdings ist auch
das Entstehen einseitig-spezialisierter peripherer Zentren (z. B. der Möbel- oder der Textilbran-
che) zu beobachten, das als letzte Stufe eines Verlagerungsprozesses ursprünglicher Cityfunk-
tionen anzusehen ist (vom multifunktionalen Citykern in spezialisierte (Teil-)Zentren der City, von
hier aus in spezialisierte Zentren, die am Cityrand, in der Nähe von Subzentren im dicht verbauten
Stadtgebiet und schließlich auch am Stadtrand gelegen sind). Im Gegensatz zu den City- und city-
nahen Zentren beschränken sich die einseitig-spezialisierten Zentren an der Peripherie nicht nur
auf hochrangige zentrale Güter, es werden hier auch niedrigrangige Güter des täglichen Bedarfes
in nur wenigen „Verbrauchermärkten" konzentriert angeboten.
Mit dieser Entwicklung zu „komplementären" Zentren verringern sich für die Nachfrager die Mög-
lichkeiten zur gleichzeitigen Besorgung von verschiedenartigen Gütern und Diensten, die in un-
terschiedlicher Häufigkeit nachgefragt werden. Dagegen ergeben sich günstigere Voraussetzun-
gen zur Auswahl unter einem sektoral beschränkten Güterangebot (z. B. in einem auf die „Woh-

52
nungsausstattung" spezialisierten Einkaufszentrum). Die Entwicklungstendenzen der inner-
städtischen Zentren setzen also beim Nachfrager erhöhte Mobilitätsbereitschaft, große Aufwän-
de an Reisezeit und Kosten sowie im verstärkten Ausmaß auch die Verfügbarkeit über ein indivi-
dualverkehrsmittel bzw. andere technische Geräte (z. B.Tiefkühltruhen) voraus. Diese Vorausset-
zungen treffen für bestimmte Bevölkerungsschichten (besonders Einwohner mit geringerem Ein-
kommen und/oder höherem Lebensalter) nicht zu, sodaß sich für diesen Personenkreis durch die
Veränderungen im innerstädtischen Zentralitätsgefüge z. T. beträchtliche Benachteiligungen er-
geben können. Unter diesem Aspekt erscheinen vor allem zwei stadtentwicklungspolitische Ziele
als besonders bedeutsam:
~ die Erhaltung „funktionsfähiger" Bezirkszentren mit einem möglichst viele Sektoren bzw.
Branchen umfassenden Sortiment an zentralen Gütern und Diensten (vor allem auch in Stadt-
teilen mit abnehmender bzw. stagnierender Bevölkerung),
~ die Erhaltung bzw. (in Stadterweiterungsgebieten) Schaffung von Nahversorgungszentren ge-
genüber den Konzentrationstendenzen auf dem Lebensmittelsektor.

5.3 VERBREITUNGSMUSTER VON ZENTRENBRANCHEN

Wie einleitend erwähnt, wurden zur Abgrenzung der innerstädtischen Zentren zunächst alle jene
Zählgebiete ermittelt, die in stärkerem Ausmaß mit „zentralen Funktionen" besetzt sind. Diese
Zählgebiete, die etwa im Verlauf einer Geschäftsstraße in enger Nachbarschaft auftreten, konsti-
tuieren die „innerstädtischen Zentren".
Als Grundlage zur Erfassung der Größenstufen und der Ausstattungsstruktur der Wiener Zentren
wurden zunächst die „Verbreitungsmuster" der wichtigen „Zentrenbranchen" analysiert. Dazu
diente — wie auch bei der Untersuchung der räumlichen Verbreitungsmuster von Industrie- und
Gewerbebranchen — die Rechenmethode der Faktorenanalyse (siehe die Beschreibung des Ver-
fahrens im Anhang).
Inputvariable in die Faktorenanalyse sind die absoluten Beschäftigtenzahlen der innerstädti-
schen Zentren für insgesamt 16 Einzelhandeis- und Dienstleistungsbranchen, die wesentliche
„Konsumbereiche des menschlichen Lebens" (E. LICHTEN BERG ER, 1963) abdecken. Das Ergeb-
nis bilden drei Faktoren. Sie erklären insgesamt 77 v. H. der Varianz des input-Datensatzes (siehe
Tabelle 8) und fassen Einzelhandels- und Dienstleistungsbranchen mit ähnlichen Verbreitungs-
mustern, d. h. mit ähnlichen Standortanforderungen (z. B. bezüglich des „Kaufkraftpotentials")
zusammen.
~ Das „Branchenbündel" des ersten Faktors (auf den 50 v. H. der „erklärten" Varianz der lnput-
daten entfallen) umfaßt die Standardausstattung der innerstädtischen Zentren: hierzu gehö-
ren die Einzelhandelsbranchen: „Bekleidung", „Wohnungsausstattung", „Elektro- und Haus-
haltsgeräte", „sonstiger Einzelhandel" und die „Warenhäuser"; akzessorische Elemente der
Standardausstattung sind — mit etwas niedrigeren Faktorenladungen — die Nahversor-
gungseinrichtungen Einzelhandel mit „Lebensmittel" bzw. mit „Körperpflege- und Reini-
gungsartikel" sowie die „praktischen Ärzte".
~ Im zweiten Faktor (mit einem „erklärten" Varianzanteil von 19 v. H. ) werden Branchengruppen
zusammengefaßt, die das erste Bündel fallweise ergänzen, aber besonders in der Stadtmitte
konzentriert sind. Diese speziaiisierten Geschäfts- und Dienstleistungsbranchen (Citybran.
ehen) umfassen „Freizeitdienste und -artikel", „Buch- und Kunsthandel", „Gastgewerbe" so-
wie vor allem als oft bestimmende Branchengruppe: „Geldwesen, Versicherung, Realitäten-
wesen, Rechtsberatung".
~ Bestimmte Sonderformen von Branchenkombinationen der Wiener innerstädtischen Zentren

Branchengruppen
(„
sind durch den dritten Faktor erklärter" Varianzanteil 8 v. H. ) erfaßt, der vorwiegend von den
„Fahrzeughandel", „Kultur und Unterhaltung", „Schulen und Kindergär-
ten" sowie von einigen Branchen (besonders Reise- und Verkehrsbüros) der Branchengruppe
„Freizeitdienste" gebildet wird. Dieser dritte Faktor kennzeichnet relativ seltene, zur „Stan-
dardausstattung" und besonders zu den Citybranchen „komplementäre" Funktionen und ver-
einigt somit „City-Ergänzungsbranchen". Er ist am stärksten im Ringstraßenabschnitt Opern-
ring — Kärntner Ring ausgeprägt.

53
Tabelle 8: Faktorenladungen der Branchengruppen in die Zentrenfaktoren

Faktorenladungen der Zentrenfaktoren*)


Branchengruppen

Lebensmittel .73824
Körperpflege, Reinigung .52868
Elektro- und Haushaltsgeräte .82537
Bekleidung und Textilien .89865
Wohnungsausstattung .84318
Freizeitdienste und Artikel .64668 .67072
Buch- und Kunsthandel .75065
Fahrzeughandel .80260
Warenhäuser .66205
sonstiger Einzeihandel .79220
Gastgewerbe .75730
Geldwesen, Versicherung, Realitäten-
wesen, Rechtsberatung .70654
Kultur, Unterhaltung .68208
Ärzte .70623
Schulen, Kindergärten .75164

*) Zur besseren Übersichtlichkeit sind nur „signifikante" Faktorenladungen von Ober .45000 angegeben.

5.4 GRÖSSENSTUFUNG DER WIENER ZENTREN


Aufgrund dieser Ergebnisse der Faktorenanalyse konnte zunächst für jedes innerstädtische Zen-
trum die Zahl der Beschäftigten in den ermittelten Hauptgruppen von Einzelhandels- und Dienst-
leistungsbranchen aufgerechnet werden. Sodann wurde aus charakteristischen Größenstufen
des Beschäftigtenbesatzes dieser Hauptgruppen eine Klassifikation nach der Größenordnung
der Wiener Zentren abgeleitet. Die Ergebnisse dieser Klassifikation sind in Tabelle 9 enthalten.

Hier sind die Zentren entsprechend ihres Dienstebesatzes nach den Größenstufen der Standard-
und der Citybranchen angeordnet. Es ist zu erkennen, daß für die Mehrzahl der größeren Zentren
erwartungsgemäß die Beschäftigtenanteile der Standardbranchen überwiegen, z. T. sind auch
beide Branchenbündel in etwa gleichem Ausmaß vertreten (Zentren in der Diagonale der Matrix),
während nur relativ wenige Zentren als spezialisierte Zentren der Wiener „Bürocity"vorwiegend
mit Diensten des zweiten Branchenbündels (Citybranchen) besetzt sind. Nach dem Auftreten der
Standardbranchen können folgende Größenklassen der Wiener Zentren unterschieden werden:

Größenstufe Beschäftigte im ersten


„BranchenbOndel"
City und Hauptgeschäftszentrum Ober 4000
Hauptzentren 2000 —2600
Größere Bezirkszentren 660 —1100
Bezirkszentren 300 —660
lokale Zentren (lokale Geschäftsstandorte) unter 300

Die „Citybranchen" verlieren in dieser Größenordnung von Stufe zu Stufe kontinuierlich an Be-
deutung: So haben die Hauptzentren zusätzlich zur Standardausstattung zwischen 2500 (Land-
straßer Hauptstraße) und 650 Beschäftigte (Zentrum Favoriten) im zweiten Branchenbündel auf-
zuweisen; für die größeren Bezirkszentren liegt diese Spannweite zwischen 2100 (Taborstraße)
und 300 (Simmeringer Hauptstraße) usw. Kennzeichnend für die Verbreitung der Branchen des

54
Tabelle 9: Grööenstufen der Wiener innerstädtischen Zentren

BESCHAFTIGTE IM ZWEITEN BRANCHENBUNDEL (CITYBRANCHEN)

ober 4000 1750-2600 1100-1750 550-1100 300-550 unter 300

1 Kärntner Str
2 Graben- 71 Mariahilfer
uber Kohlmarkt Straße CITY UND
MARIAHILFER
4000 3 Rotenturm- (+72 Neubau-
straße gasse) STRASSE
(in Summe)

HAUPT-
ZENTREN mit
2000- 1 Landstraßer 121 Meidlinger 101 Zentrum starkem, mittle-
Hauptstraße Hauptstraße Favoriten rem und schwa-
2600 chem Besatz im
zweiten Bran-
chenbundel

Z
lu 111 Simm.
Z
O Hauptstraße
Z 151 Hutteldorfer
tz Str. -März- Großere BE-
üi straße ZIRKSZENTREN
üi
iz 1100- 81 Josefstädter 161 Thahastraße mit starkem und
2 Taborstraße Straße 171 Hernalser schwachem Be-
O 1750 satz im zweiten
Z Hauptstraße
201 Wallenstein- Branchen-
i- bundel
do straße
221 Zentrum
iu
O Floridsdorf
Z
tb asc mar + . ar-
lu 74 Westbahn- garetenstr. ,
Z straße- Reinprechts-
tJ 14 Wollzeile
Z Kaiserstraße dorfer Str. -
41 Innere 155 Mittlere Sieben- BEZIRKS-
tz Wiedner ZENTREN mit
ül Hutteldorfer brunneng.
660— 6 Karntner Hauptstraße Straße 62 A. G um pen- starkem, mittle-
lu Ring 21 Praterstraße 75 Lerchen- 152 A. Maria- dorfer Str. rem und schwa-
1100 Opernnng felder Str. chem Besatz im
Co
Iz hilfer Straße 73 Sieben-
82 Alser Str. 163 Ottakringer sterngasse zweiten Bran-
92 Nußdorfer Straße 162 Neulerchen- chenbündel
Straße 181 Äußere felder Str.
i- Wahringer 22131 Donau-
mp
zentrum
u.
Z
tJ
io
lu
VIERTELS-
51 Schonbrun- ZENTREN mit
15 Tuchlauben ner Straße
starkem und
300— 7 Schottentor Hoher Markt 42 Außere 43 Innere mittlerem bis
91 Innere Wiedner Favoritenstr.
schwachem Be
660 Freyung
Währinger Hauptstraße 93 Alserbach- satz im zweiten
Straße straße Branchen-
13023 Hietzing bundel

lle ubrigen
unter 24 Untere entren bzw.
LOKALE
18 Schottenring Augarten- okale Ge- ZENTREN
300 straße chäfts-
tandorte

SPEZIALISIERTE ZENTREN DER BUROCITY


') 26 Lassallestraße 94 Porzellangasse 103 Außere 153 Sechshauser Straße
32 Erdbergerstraße 95 Währinger Straße- Favontenstraße 191 Ddblinger Hauptstraße
44 Innere Volksoper 141 Außere 193 Nußdorf
Margaretenstraße 102 Troststraße Hutteldorfer Straße 202 Bngittaplatz
221 Wagramer Straße

55
zweiten Branchenbündels ist die Tatsache, daß in den Feldern der Diagonale der Matrix (diese
enthalten — wie erwähnt — diejenigen Zentren in denen beide Branchenbündel in „Mengung"
auftreten) neben der City nur Zentren, des sogenannten „inneren", an den Stadtkern anschließen-
den „Geschäftsstraßenringes" vorkommen, während im äußeren „Ring"(außerhalb des Gürtels)
die Standardbranchen stark dominieren.
Unter den wenigen „spezialisierten Zentren der Bürocity" mit überwiegender Beschäftigtenzahl
der „Citybranchen" nimmt der Ringstraßenabschnitt Kärntner Ring — Opernring eine besondere
Stellung ein. Es handelt sich um das einzige Zentrum, in dem Branchengruppen des hier nicht
dargestellten dritten Faktors der City-Ergänzungsbranchen (Sonderform einer Branchenkombi-
nation besonders mit Fahrzeughandel, Reise- und Verkehrsbüros, Kultur und Unterhaltung) in
besonderem Maße (ca. 2000 Beschäftigte) auftreten. Mit dieser zusätzlichen Funktion wird der
Ringstraßenabschnitt zum spezialisierten Ergänzungszentrum der City.

5.5 AUSSTATTUN G STYP EN

Zur Erfassung von charakteristischen Ausstattungstypen der Wiener Zentren wurde die „Grob-
gliederung" der Beschäftigtenstruktur nach den drei „Branchenbündeln" (Standardbranchen,
Citybranchen, City-Ergänzungsbranchen) weiter differenziert, wobei als methodisches Instru-
ment wieder das Rechenverfahren der Clusteranalyse Verwendung fand.
Als Ergebnis dieses Verfahrensschrittes konnten charakteristische Schwellenwerte bezüglich
des Auftretens der insgesamt 16 Einzelhandels- und Dienstleistungsbranchen definiert werden.
Diese Schwellen der „starküberdurchschnittlichen", „überdurchschnittlichen", „durchschnittli-
chen" und „unterdurchschnittlichen" Verbreitung der Branchengruppen sind in Tabelle 10 ent-
halten. Sie untergliedern die drei Hauptgruppen innerstädtischer Zentren (siehe Tabelle 9):
vorwiegende Einkaufszentren (Überwiegen der Standardbranchen)
multifunktionaie Zentren (Mengung von City- und Standardbranchen) sowie
vorwiegende Dienstleistungszentren (Mengung von City- und City-Ergänzungsbranchen)
in eine größere Anzahl von Ausstattungstypen:

1. Nach dem Auftreten von Leitbranchen des Einzelhandels kann die Hauptgruppe der Einkaufs.
zentren in „Bekleidungszentren" und „Einkaufszentren mit gemengter Branchenstruktur" un-
terteilt werden.
Für die Bekleidungszentren ergeben sich folgende Ausstattungstypen, die sich unter ande-
rem durch das Ausmaß unterscheiden, in dem die Leitbranchen durch Einrichtungen des Nah-
bedarfes ergänzt werden:
~ Bekleidungszentrum mit überdurchschnittlich verbreiteten Ergänzungsbranchen des lang-
fristigen Bedarfes (Mariahilfer Straße)
~ Bekleidungszentren mit überdurchschnittlich verbreiteten Ergänzungsbranchen des lang-
fristigen Bedarfes und mit Nahbedarf (Meidlinger Hauptstraße, Zentrum Favoriten)
~ Bekleidungszentren mit durchschnittlich verbreiteten Ergänzungsbranchen des langfristi-
gen Bedarfes und mit Nahbedarf (Thaliastraße, Zentrum Floridsdorf, Wallensteinstraße
u. a. , siehe Tabelle 12).

Im Unterschied zu den Bekleidungszentren tritt im Falle der Einkaufszentren mit gemengter


Branchenstruktur keine Branchengruppe des Einzelhandels mehr in „stark überdurchschnitt-
licher Verbreitungsintensität" auf. Die Subtypen sind wieder besonders durch das zusätzliche
Auftreten von Einrichtungen der Nahversorgung geprägt:
~ Branchenmengung mit überdurchschnittlichen Anteilen des mittel- und langfristigen Be-
darfes (Simmeringer Hauptstraße, Hernalser Hauptstraße u. a.)
~ Branchenmengung ohne besonders hervortretende Branchengruppen (äußere Mariahilfer
Straße, Ottakringer Straße u. a.)
~ Branchenmengung mit überdurchschnittlichen Anteilen des Nahbedarfes (Döblinger
Hauptstraße, Erdbergstraße, Wagramer Straße u. a.).
2. Multifunktionale Zentren kennzeichnen sich, wie erwähnt, durch die Mengung von Standard-
und Citybranchen, zu denen fallweise auch die genannten „Ergänzungsbranchen" (3. Bran-
chenbündel) dazutreten.

56
Tabelle 10: Schwellenwerte der Verbreitung von Branchengruppen in den Zentrentypen

Stufen der Verbreitung der Branchengruppen in den Zentrentypen


(in v. H. Gesamtbeschäftigten in zentralen Einrichtungen)
Branchengruppen geordnet nach
Branchengruppen-Bündel stark überdurch- überdurch- durch- unterdurch-
schnittlich (++) schnittlich (+) schnittlich g schnittlich

4 Bekleidung über 20 12 bis 15 6 bis 12 unter 6

7 Warenhäuser über 5 0 bis 2


5 Wohnungsausstattung über 18 6 bis 10 4 bis 6 unter 4

3 Elektro-, Haushaltsgeräte 2 bis 5 unter 2


1
10 sonstiger Einzelhandel 20 6 bis 11 3 bis 6 unter 3

2 Körperpflege, Reinigung über 14 6 bis 14 unter 6

1 Lebensmittel über 14 6 bis 14 unter 6

14 Ärzte über 8 3 bis 8 unter 3

6 Freizeitartikel über 4 2 bis 4 unter 2

7 Buch-, Kunsthandel über 3 unter 3

11 Hotel-, Gastgewerbe über 10 unter 10

12 Geld, Versicherungs-
wesen, Realitäten,
Rechts-, Wirtschafts-
beratung über 50 30 bis 50 15 bis 30 unter 15

8 Fahrzeuge über 4 2 bis 4 unter 2

13 Unterhaltung, Kultur über 8 4 bis 8 2 bis 4 unter 2

15 Schulen über 10 4 bis 10 unter 4

16 Sonstiges über 4 unter 4

In den multifunktionalen Zentren der City') mengt sich das Diensteangebot der Citybranchen
(„Geldwesen, Versicherung, Realitätenwesen, Rechtsberatung", „Hotel und Gastgewerbe",
„Freizeitdienste und Artikel", „Buch-und Kunsthandel") mit den Einzelhandelszweigen „Be-
kleidung", „Warenhaus", z. T. auch mit „Körperpflege-Reinigung", wobei diesen Geschäften
mit ihrem hochspezialisierten Angebot an Kosmetikartikel keine echte Nahversorgungsfunk-
tion zukommt. Eine Sonderform stellt der Ringstraßenabschnitt: Kärntner Ring Opernring —
dar, in dem die genannten „Ergänzungsbranchen" (Dienstleistungen des Verkehrs wie Reise-
büros und Fluggesellschaften, „Unterhaltung und Kultur", „Fahrzeughandel") stark
vorherrschen.
Multifunktionale Zentren außerhalb der City sind im Gegensatz zu den entsprechenden Aus-
stattungstypen des Stadtkerns nur mehr unvollständig mit den Dienstleistungs- und speziali-
sierten Einzelhandelsbranchen des zweiten „Branchenbündels" (Citybranchen) besetzt. Hier
ergeben sich drei Subtypen deren Unterschiede wieder besonders in der Ausstattung mit
Nahversorgungseinrichtungen liegen:
~ Geschäfts- und Dienstleistungszentren mit überdurchschnittlichen Anteilen von „Geldwe-
sen, Versicherung, Realitätenwesen und Rechtsberatung", sowie von „Bekleidung" (Land-
straßer Hauptstraße) bzw. „Elektro- und Haushaltsgeräten" (Taborstraße)
') Kärntner Straße, Graben-Kohlmarkt, Rotenturmstraße-Fleischmarkt

57
~ multifunktionale Zentren mit gemengter Branchenstruktur (Josefstädter Straße, Innere
Wiedner Hauptstraße, Alser Straße, Praterstraße)
~ multifunktionale Zentren mit gemengter Branchenstruktur und Nahbedarf (Nußdorfer
Straße, Lerchenfelder Straße, Äußere Wiedner Hauptstraße, Hietzing u. a.).
3. Für die Dienstleistungszentren der City und des Cityrandes (Tuchlauben — Hoher Markt,
Schottentor —Freyung, Schottenring u. a.) läßt sich einheitlich die starke Dominanz der Bran-
chengruppen: „Geldwesen, Versicherung, Realitätenwesen und Rechtsberatung" feststellen.
Hier sind besonders auch die zentralen Verwaltungsbüros verschiedener Großbetriebe der ge-
nannten Dienstleistungsbranchen konzentriert. Die Beschäftigten dieser nicht unmittelbar
kundenbezogenen Betriebsstätten werden im zugrundeliegenden statistischen Material lei-
der nicht eigens ausgewiesen.

5.6 RANGORDNUNG DER ZENTREN


Der „zentrale Rang" eines innerstädtischen Zentrums ist sowohl durch den Ausstattungstyp als
auch durch die Zentrengröße (gemessen durch die Beschäftigenzahl) bestimmt. Bei der Überlage-
rung der beiden Klassifikationen der Wiener innerstädtischen Zentren zeigt es sich, daß
1. die Ausstattungstypen der Zentren so über die „Größenstufen" verteilt sind, daß jeder Aus-
stattungstyp auf eine oder (mit einer Ausnahme) auf zwei benachbarte Größenstufen be-
schränkt bleibt (siehe Tabelle 11),
2. diese Abfolge der Ausstattungstypen (über die Größenstufen) ist entsprechend den ein-
leitend dargestellten Hypothesen der zentralörtlichen Theorie durch das Vorherrschen von
hoch- und niedrigrangigen Einzelhandels- und Dienstleistungseinrichtungen gekennzeich-
net.
ad 1.
City und Mariahilfer Straße sind als höchstrangige Zentren Individualitäten und bilden dement-
sprechend jeweils eigene Ausstattungstypen.
Auf der nächstniedrigen Größenstufe sind die beiden Hauptzentren Meidlinger Hauptstraße und
Zentrum Favoriten in einem auf die Größenstufe der Hauptzentren beschränkten Ausstattungs-
typ zusammengefaßt. Hingegen greift der Ausstattungstyp des dritten Hauptzentrums (Land-
straßer Hauptstraße) bereits auf die Größenstufe der Bezirkszentren (Taborstraße) über.
Ein solches Übergreifen eines Ausstattungstyps auf die nächstniedrigere Größenstufe, das
bis zur Stufe der Hauptzentren nur im Ausnahmefall auftritt, wird zwischen den Größenstufen
der größeren Bezirkszentren und der Bezirkszentren sowie zwischen den Bezirkszentren und
den Viertelszentren zur Regel. Auch der charakteristische Ausstattungstyp der Viertelszentren
findet seine Entsprechung in Ausstattungstypen lokaler Zentren als der untersten Größen-
stufe.
ad 2.
Die Ausstattungstypen der hochrangigen Zentren sind durch das (alleinige oder gemeinsame)
Vorherrschen von „expansiven" Branchengruppen gekennzeichnet. Dazu zählen von den Bran-
chengruppen der Standardausstattung vor allem die „Bekleidung" als alleinige Leitbranche von
drei Ausstattungstypen sowie als eine von mehreren bestimmenden Branchen der Ausstattungs-
typen der City und des Hauptzentrums Landstraßer Hauptstraße. Sie wird fallweise ergänzt durch
die in Wien allerdings weniger bedeutende Branchengruppe „Warenhäuser".
Aus der Gruppe der Citybranchen, für die das Eigenschaftspaar „hohe Wertschöpfung — großer
Verdrängungsdruck" insgesamt zutrifft, heben sich besonders die folgenden Branchengruppen
hervor:
a) „Geldwesen, Versicherung, Realitätenwesen, Rechtsberatung", die das vorherrschende Ele-
ment des Ausstattungstyps der Dienstleistungszentren in der (Büro)City bildet, aber auch als
dominante Branche auf die multifunktionale City übergreift und in den benachbarten Haupt-
und Bezirkszentren akzessorisch auftritt.
b) „Freizeitdienste und -artikel" (einschließlich Reise- und Verkehrsbüros) sowie „Buch- und
Kunsthandel" als weitere expansive Branchen der Geschäftscity.
Mit sich verringernder Zentrengröße gewinnen Ausstattungstypen, die eine mehr „gemengte"
Branchenstruktur kennzeichnet, an Bedeutung, während sich die Dominanz der genannten „zen-
trenbildenden" Dienstleistungs- und Einzelhandelsbranchen sukzessive verringert.

58
Tabelle 11: Verteilung der Ausstattungstypen auf die Größenstufen der Zentren

Ausstattungstypen
Einkaufszentren

Größenstufen 1.1 Beklei- 1.2 Beklei- 1.3 Beklei- 2.1 Einkaufs- 2.2 Einkaufs- 2.3 Einkaufs-
nach der dungszentrum dungszentren dungszentren zentren mit zentren mit zentren mit
Ausstattung mit mit überdurch- mit überdurch- mit durch- emengter gemengter gemengte r
„Standard- schnittlich schnittlich schnittlich ranchen- Branchen- Branchen-
branchen" verbreiteten verbreiteten verbreiteten struktur und struktur struktur und
Ergänzungs- Ergänzungs- Ergänzungs- dominanten Nahbedarf
branchen des branchen des branchen Branchen des
langfristigen langfristigen periodischen
Bedarfes ohne Bedarfes und langfristi-
Nachbedarf gen Bedarfes

City und
Haupteinkaufs-
zentrum

Hauptzentren

Größere
Bezirkszentren

Bezirkszentren

Viertelszentren

Ausstattungstypen
Multifunktionale Zentren

Größenstufen 4. 1-4.2 Zen- 5.1 Multifunk- 5.2 Multifunk- 5.3 Multifunk-


nach der tren der City tionale Zentren tionale Zentren tionale Zentren
Ausstattung mit und City- mit „Geld- mit stärker mit gemengter
„Standard- Ergänzungs- wesen, Ver- gemengter Branchen-
branchen" zentrum sicherung, Branchen- struktur und
Realitäten- struktur Nahbedarf
wesen und
Rechts-
beratung"

City und
Haupteinkaufs-
zentrum

Hauptzentren

Größere
Bezirkszentren

Bezirkszentren

Viertelszentren

59
Tabelle 12: Rangordnung der Wiener innerstädtischen Zentren

ZentrengröBe

Zahl der Beschäftigten im

ersten zweiten
Branchenbündel Branchenbündel Ausstattungstyp zugehörige Zentren

I. GESCHÄFTSZENTREN UND MULTIFUNKTIONALE ZENTREN

A. Zentren der City und Hauptgeschäftszentrum

Ober 4000 Ober 2000 1.1 Bekleidungszentrum mit 071 Mariahilfer Straße
überdurchschnittlich verbrei- ( + 072 Neubaugasse)
teten Ergänzungsbranchen
des langfristigen Bedarfes
ohne Nahbedarf
Ober 4000 über 4000 4.1 Zentren der City 011 Kärntner Straße
012 Graben-Kohlmarkt in
013 RotenturmstraBe- Summe
Fleischmarkt
660 —1750 Ober 4000 4.2 City-Ergänzungszentrum 016 Kärntner Ring-
Opernring

B. Hauptzentren

2000 —2600 550 —1750 1.2 Bekleidungszentren mit über- 101 Zentrum Favoriten
durchschnittlich verbreiteten 121 Meidlinger Hauptstraße
Ergänzungsbranchen des
langfristigen Bedarfes

1750 2600 5.1 Multifunktionales Zentrum mit 031 Landstraßer HauptstraBe
überdurchschnittlichen Antei-
len von „Geldwesen, Versi-
cherung, Realitätenwesen
und Rechtsberatung" sowie
von „Bekleidung"

C. Größere Bezirkszentren

1.3 Bekleidungszentren mit 151 Hütteldorfer StraBe-


durchschnittlich verbreiteten Märzstraße
Ergänzungsbranchen 161 ThaliastraBe
201 Wallensteinstraße
211 Zentrum Floridsdorf

1100 1750 300 550— 2.1 Einkaufszentren mit gemeng- 111 Simmeringer HauptstraBe
ter Branchenstruktur und 171 Hernalser HauptstraBe
überdurchschnittlichen Antei-
len der Branchen des periodi-
schen und langfristigen
Bedarfes
5.1 Multifunktionales Zentrum 022 TaborstraBe
mit überdurchschnittlichen
Anteilen von „Geldwesen,
Versicherung, Realitätenwe-

1100 1750 —
1100 2600 sen und Rechtsberatung"
5.2 MultifunktionalesZentrum 081 Josefstädter StraBe
mit stärker gemengter
Branchenstruktur
Tabelle 12: Rangordnung der Wiener innerstädtischen Zentren (Fortsetzung)

Zentrengröße

Zahl der Beschäftigten im

ersten zweiten
Branchenbündel Branchenbündel Ausstattungstyp zugehörige Zentren

D. Bezirkszentren
660 —1100 & 550 1.3 Bekleidungszentren mit 155 Mittlere Hütteldorfer Str.
durchschnittlich verbreiteten 162 Neulerchenfelder StraBe
Ergänzungsbranchen 181 ÄuBere Währinger Straße
660 —1100 & 300 2.1 Einkaufszentren mit gemeng- 052+053 ÄuBere Margarethenstr. -
ter Branchenstruktur und Reinprechtsdorfer Str. -
überdurchschnittlichen Siebenbrunnengasse
Anteilen der Branchen des 062 Äußere Gumpendorfer Str.
periodischen und lang-
fristigen Bedarfes
2.2 Einkaufszentren mit 074 WestbahnstraBe-KaiserstraBe
gemengter Branchenstruktur 152 ÄuBere Mariahilfer Str.
(ohne besonders hervor- 163 Ottakringer StraBe
660 —1100 tretende Branchen)
2.4 Einkaufszentrum mit gemeng- 061 Naschmarkt (innere Gumpen-
ter Branchenstruktur: dorfer Straße)
Sonderfall
3.1 Einkaufszentrum-Sonderform 073 Siebensterngasse
660—1100 & 500 3.2 peripheres Einkaufszentrum 22131 Donauzentrum
660—1100 550 —1100 5.2 Multifunktionale Zentren mit 021 Praterstraße
—(1750) stärker gemengter Branchen- 041 Innere Wiedner Hauptstraße
struktur 082 Alser StraBe
660—1100 550 —1100 5.3 Multifunktionale Zentren mit 014 Wollzeile
gemengter Branchenstruktur 075 Lerchenfelder Straße
und Nahbedarf 092 Nußdorfer Straße

E. Viertelszentren
2. 1 Einkaufszentrum mit gemeng- 211 Wagramer Straße
ter Branchenstruktur und
überdurchschnittlichen An-
teilen der Branchen des pe-
riodischen und langfristigen
Bedarfes
& 500 2.2 Einkaufszentren mit gemeng- 043 Innere Favoritenstraße
ter Branchenstruktur (ohne 044 Innere Margarethenstraße
besonders hervortretende 051 Schönbrunner Straße
Branchen)
& 300 2.3 Einkaufszentren mit gemeng- 026 Lassallestraße
ter Branchenstruktur und 032 Erdbergerstraße
überdurchschnittlichen 102 Troststraße
Anteilen des Nahbedarfes 103 ÄuBere Favoritenstraße
(z. T. auch der Bekleidung) 141 ÄuBere Hütteldorfer Straße
153 Sechshauser StraBe
191 Döblinger HauptstraBe
193 Nußdorf
202 Brigittaplatz
2.4 Einkaufszentren mit gemeng- 094 Porzellangasse
ter Branchenstruktur: 095 Währinger Str. -Volksoper
Sonderfall

300 600 —
300 550 5.3 Multifunktionale Zentren mit 042 Außere Wiedner Hauptstr.
(900—) gemengter Branchenstruktur 093 AlserbachstraBe
und Nahbedarf 13023 Hietzing

61
Tabelle 12: Rangordnung der Wiener innerstädtischen Zentren (Fortsetzung)

Zentren größe

Zahl der Beschäftigten im

ersten zweiten
Branchenbündel Branchenbündel Ausstattungstyp zugehörige Zentren

F. Lokale Zentren
6.1 Lokale Einkaufszentren mit
stark überdurchschnittli-
chen Anteilen des Nahbe-
darfes (und/oder
( 300 —300 Gastgewerbe)
6.2 Lokale Einkaufszentren mit
alle übrigen lokalen
Geschäftsstandorte
überdurchschnittlichen An-
teilen des Nahbedarfes
6.3 sonstige lokale Zentren
II. DIENSTLEISTUNGEN
300—660 —
1750 2600 7.1 Dienstleistungszentren der 015 Tuchlauben, Hoher Markt
300—600 — 4000 (Büro)-City 017 Schottentor-Freyung
300— —
1750 2600 018 Schottenring

300 600 —
1750 2600 7.2 Dienstleistungszentren im 091 Innere Währinger Straße
300— 550 —1100 City-Randbereich 024 Untere Augartenstraße

Auf der untersten Stufe der Zentren (lokale Zentren) herrscht der Nahbedarf vor, der (im „durch-
schnittlichen" Ausmaß) bereits zur Standardausstattung der Hauptzentren zählt und schon in
bestimmten Ausstattungstypen der Viertelszentren (im Ausnahmefall auch der Bezirkszentren)
etwas stärker hervortritt.
Die aus der Überlagerung der beiden Klassifikationsmerkmale „Ausstattungstyp" und „Zentren-
größe" abgeleitete Rangordnung der Wiener innerstädtischen Zentren ist in Tabelle 12 zusam-
mengefaßt. Für jede der verschiedenen Rangstufen sind die Zentrengröße (Zahl der Beschäftig-
ten im ersten und zweiten Branchenbündel), der Ausstattungstyp und (mit Ausnahme der lokalen
Zentren) die zugehörigen innerstädtischen Zentren angegeben.
Die Karte „Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes" (Karte 12) enthält (allerdings in
vereinfachter Form) die räumliche Verbreitung der so klassifizierten Zentren und zeigt diejenigen
Bereiche des dicht verbauten Stadtgebietes, in denen Bezirkszentren und lokale Zentren in relativ
großer räumlicher Nähe auftreten. Aus dem Vergleich mit den in Karte 3 dargestellten Verände-
rungen in der Bevölkerungszahl der Wiener Zählgebiete wird ersichtlich, daß im Umfeld nahezu
aller dieser Zentren deutliche Bevölkerungseinbußen zu verzeichnen sind. Diese Verluste an Kun-
den werden für diejenigen Zentren besonders relevant, in deren Einzugsbereich ältere und weni-
ger kaufkräftige Bevölkerungsschichten vorherrschen (also vor allem in den Wohngebieten mit
„Dominanz unterer sozialer Schichten" und „Überalterung"). Hier müssen die Veränderungen
der Zentrenstruktur besonders kontrolliert werden, um der Vergrößerung von z. T. schon beste-
henden Versorgungslücken (siehe Abschnitt 3.5.2) entgegenzuwirken.
Gleichzeitig werden aus dem Vergleich der genannten Karten auch diejenigen peripheren (und
an Bevölkerungszahl meist zunehmenden) Wohngebiete offensichtlich, die von den innerstädti-
schen Zentren relativ weit entfernt sind. Auch davon sind zumeist wieder untere soziale Schich-
ten betroffen (ihre z. T. sehr schlechte Versorgung mit Konsumgütern und Diensten des täglichen
Bedarfes ist in Abschnitt 3.5.2 beschrieben). In diesen Stadtbereichen (vor allem östlich der Do-
nau) sind Maßnahmen und Anreize notwendig, die
a) zur Entwicklung einer größeren Anzahl lokaler Zentren führen und
b) eine weitere Aufwertung bestehender höherrangiger Geschäftsstraßen und Einkaufszentren
zur Folge haben.

62
6. DIE WIENER CITY ALS BÜROSTANDORT

6.1 EINFÜHRUNG

Der Ausbau des Wiener U-Bahn-Netzes begünstigt vor allem die Wiener City, deren Erreichbarkeit
sich weit über die durch Überlastungen der traditionellen (öffentlichen und individuellen) Ver-
kehrssysteme bedingten Zugänglichkeits-Einbußen hinaus verbessert. Dadurch werden sich
auch die „Expansionstendenzen" vor allem von bestimmten Bürobranchen, die schon vor lnbe-
triebnahme des neuen Verkehrssystems wesentliche Teile der Wiener Innenstadt dominierten,
zusätzlich verstärken. Eine Kontrolle dieser Prozesse, die besonders zur raschen Verdrängung
der Wohnnutzung führen, gilt als vorrangiges stadtentwicklungspolitisches Ziel.
Zur Erfassung der Veränderungen in der Nutzung der Nettogeschoßflächen, die sich seit der inbe-
triebnahme der die City erschließenden U-Bahn-Linien ergeben haben, können die Ergebnisse
einer Flächennutzungserhebung als Grundlage verwendet werden. Die Erhebung wurde von der
„FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT WIENER SOZIALGEOGRAPHEN" zu Beginn der 70-er Jahre
durchgeführt. Mangels aktuellerer Daten muß hier für die weiteren Ausführungen das über 10
Jahre alte Erhebungsmaterial herangezogen werden. Aufgrund der anzunehmenden Veränderun-
gen wäre eine Aktualisierung dringend zu empfehlen.
Im folgenden wird — nach einigen Bemerkungen zur Standortwahl von Bürobetrieben eine —
Auswertung des Datenbestandes dieser Vollerhebung der gesamten Flächennutzung im 1. Wie-
ner Gemeindebezirk dargestellt. Diese zeigt das Ausmaß der Verbreitung von Bürobranchen in
der Wiener Innenstadt und versucht ihre Veränderungstendenzen abzuschätzen.

6.2 ZUR STANDORTWAHL VON BÜROBETRIEBEN

Nach P. W. DANIES (1975) erfüllen Bürobetriebe vor allem folgende Hauptaufgaben:


a) Kreation, Entwicklung und Implementation von Ideen (Innovationen) sowie
b) Sammlung, Speicherung, Dokumentation und Übermittlung von Informationen.
Dabei wird das mittlere und höhere Management dieser Betriebe ständig mit der Aufgabe kon-
frontiert, in nicht standardisierten Entscheidungssituationen zu reagieren. Um die Unsicherheit
bezüglich dieser Entscheiclungen zu minimieren, bedarf es einer Vielzahl von zum Teil seltenen,
zum Teil exklusiven Informationsquellen. Da solche Informationen in der Regel nicht auf einem
Markt gehandelt werden, nimmt R. M. LICHTEN BERG (1960) an, daß zwischen den Managern von
„komplementären" Bürobetrieben durch häufige persönliche Kontakte (face-to-face contacts)
ein lnformationssystem aufrecht erhalten werden muß. Auch bei der Führung von Verhandlungen
sind persönliche Kontakte effizienter, als Kontakte über die verschiedenen Informations-
medien').
Häufige persönliche Kontakte der verantwortlichen Manager sind aber für die Betriebe nur dann
wirtschaftlich tragbar, wenn die Standorte „komplementärer" Büros in enger Nachbarschaft lie-
gen. Ist dies nicht der Fall, so ergeben sich aufgrund der („unproduktiven") Fahrzeitaufwände
der Manager (mit hohen Stundenlöhnen) beträchtliche Mehrkosten (P. W. DANIELS, 1975).')
Gleichzeitig müssen von den Standorten der Büros des mittleren und höheren Managements aus
auch nachgelagerte Bürobetriebe (in denen routinisierte Arbeitsabläufe verrichtet werden), zuge-
ordnete Produktionsbetriebe oder Kunden gut erreichbar sein.
Alle diese Standortvoraussetzungen sind am besten in der Stadtmitte erfüllt (siehe auch
Karte 4, in der die Erreichbarkeit von Bürobetrieben in Wien dargestellt ist), die mit ihrem reichhal-
tigen Angebot in den Dienstleistungsbereichen des gehobenen Gastgewerbes, der Unterhaltung
und des exklusiven Einzelhandels zusätzliche, von den höherrangigen Managern nachgefragte,
Attraktivitätsfaktoren anzubieten hat. Ebenso bildet das Image einer Adresse in der City einen
nicht zu unterschätzenden Standortfaktor.

') Nach T. BURNS (1957) bzw. R. STEWARD (1967) wird zwischen 42 und 80 v. H. der Arbeitszeit von Top-
Managern für Kommunikationszwecke verwendet. Für das mittlere Management beträgt dieser Anteilswert
68 v. H.
') Nach J. B. GODDARD wird im zentralen Bereich von London ein Drittel aller interaktionen der Angehöri-
gen von Bürobetrieben zu FuB durchgeführt, wobei die Zeitaufwände weniger als 10 Minuten betragen
(J. B. GODDARD, 1973).

63
6.3 DIE VERBREITUNG DER BÜROBRANCHEN IN DER WIENER INNENSTADT
Die Verbreitung der Bürobranchen in der Wiener City kann unter Verwendung von Ergebnissen
einer von der „FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT WIENER SOZIALGEOGRAPHEN"') (1972) durch-
geführten Flächennutzungserhebung veranschaulicht werden: nach diesem Datenmaterial be-
anspruchen Wirtschaftsbüros, Ämter, Büros des Großhandels und Büros Freier Berufe insge-
samt 37, 7 v. H. der gesamten Nettogeschoßfläche der Wiener Innenstadt (siehe Tabelle 13).

Tabelle 13: Verbreitung von „Hauptnutzungsarten" in der Wiener Innenstadt

Nutzungsarten Nettogeschoßfläche
m' i. v. H.

Wohnen 1,541.881 26, 4


Schulen, religiöse, kulturelle Einrichtungen 667.361 11,4
Wirtschaftsbüros 723.640 12,4
Ämter 931.894
Büros des Großhandels 218.309 377
3, 7
Büros Freier Berufe 317.721 5, 6
Hotel, Gastgewerbe, Unterhaltung 251.760 4, 3
Geschäftslokale 230.821 4, 0
Lager 348.543 6, 0
Sonstige Nutzung (einschl. „Leer"und „Umbau") 598.101 10,2
5,830.031 100,0

Diesem Anteilswert kommt die Wohnnutzung am nächsten, auf die Anfang der 70er Jahre noch
26 v. H. der Nettogeschoßfläche entfallen. Schulen, religiöse und kulturelle Einrichtungen sind
auf 11 v. H. der Nettogeschoßfläche verbreitet, Geschäftslokale und Betriebsstätten der Katego-
rie „Hotel-Gastgewerbe und Unterhaltung" nur auf jeweils ca. 4 v. H.
Die räumliche Verbreitung der Bürobranchen im Wiener Stadtgebiet ist in Karte 10 „Funktionelle
Gliederung der Wiener Innenstadt" dargestellt. Die hier unterschiedenen „Stadtviertel" ergeben
sich aus dem räumlichen Zusammentreten von verschiedenen Gebäudenutzungstypen.
ln der Kerncity entlang der Achsen der Hauptgeschäftsstraßen herrscht die „gemengte" Nut-
zungsstruktur der Gebäude eindeutig vor. Neben den Betriebsstätten des Einzelhandels, des ge-
hobenen Hotel- und Gastgewerbes und der Unterhaltungsbranche sind hier die Büros „FreierBe-
rufe" (Rechtsberatung, Realitätenwesen, Wirtschaftsdienste, technische Dienste) sowie ver-
schiedene Großhandelsbüros („ Vermittlung von Waren aller Art") lokalisiert.
An den Bereich der Kerncity schließen verschiedene, einseitig strukturierte „Bürosektoren" an,
die sich gegen den Cityrand hin verbreiten (zur Gliederung der Wiener City, siehe auch E. LICH-
TENBERGER, 1972):
~ Der „Regierungs- und Kultursektor" umfaßt das ehemalige „Herrenviertel" um die Hofburg
und erstreckt sich bis in den Ringstraßenbereich zwischen den beiden Museen und dem Parla-
ment. Neben verschiedenen kulturellen Einrichtungen sind hier vor allem Büros der öffentli-
chen Verwaltung und der Interessensvertretungen konzentriert.
~ Der „Bankensektor" schließt an die Nordwestecke der Kerncity (Graben) an und reicht eben-
falls bis in die Ringstraßenzone(Schottenring). Er umfaßt vor allem die Standorte der zentralen
Verwaltungsbüros im Bank- und Versicherungswesen. Zusätzlich treten auch Großbüros der
öffentlichen Verwaltung sowie Zentralbüros größerer Wirtschaftsbetriebe auf.
~ Das „Textilviertel" bildet einen weiteren Sektor, der von den angestammten Altstadtquartie-
ren des Textilgroßhandels am Hohen Markt und am Salzgries ausgeht. Hier kombinieren sich
die Büros des Textilgroßhandels (einschließlich der entsprechenden Warenlager) mit den
Büros verschiedener anderer Großhandelszweige sowie mit Wirtschaftsdiensten und Depen-
dancen der öffentlichen Verwaltung.

') F. BENVENUTTI, W. GRAFENDORFER, F. GREIF, W. SCHWARZ, J. STEINBACH

64
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FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT
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WIENER SO2IALGEOGRAPHEN
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(nach Gebäudenutzungstypen)

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Entwurf: Josef STEINBACH
Kartographische Bearbeitung: Fritz KELNHOFER

1. Viertel mit relativ lgckenlosem Besatz an einseitig genutzten Gebäuden


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Viertel mit dominanter

mit charakteristischer
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Mengung verschiedener Gebäudetypen

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3.Akzessorisches
Bereiche mit stärker gemengter Nutzungsstruktur

Gemengte Nutzungsstruktur

Auftreten

"Cltystraßen"
von Geschäften
In der Kerncity

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Hauptgeschäftsstraßen

Hauptgeschäftsstraßen mit Uberwiegend langfristlgem Bedarf

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j': 'h, "Strukturanalyse
ARBEITS GRUNDLAGEN:

der Wiener innenstadt" der Forschungsgemeinschaft Wiener Soslalgeographen

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Maßstab
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1:10.000
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Herausgegeben
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vom Magistrat der Stadt Wien


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Die ursprünglich für Wohn- und Repräsentationszwecke errichtete Ringstraßenzone ist —wie
dargelegt — zum Teil in diese „Bürosektoren" integriert. Durch die sukzessive Verdrängung der
Wohnnutzung wurden auch die übrigen Teilbereiche der Ringstraßenzone zu Bürogebieten um-
funktioniert, die über die Grenzen des ersten Wiener Gemeindebezirkes hinausreichen:
~ Im Opernring- und Schwarzenbergplatzviertel (im Süden der Kerncity) dominieren die Verwal-
tungsbüros größerer lndustrieunternehmen, die Zentralstellen der Verwaltung des Verkehrs-
wesens sowie die Büros des Mineralölgroßhandels.
~ Im Rathausviertel (in der Nordwestecke der Inneren Stadt) sowie im „Stubenviertel" und im
„Postsparkassenviertel" (in den östlichen Bereichen des ersten Gemeindebezirkes) herr-
schen dagegen die amtlichen und halbamtlichen Institutionen vor.
Aufgrund fehlender statistischer Erhebungen ist es außerordentlich schwierig, Veränderungen
der hier skizzierten Flächennutzungsstruktur der Wiener Innenstadt in notwendiger Genauigkeit
zu erfassen. Nach einer, allerdings schon längere Zeit zurückliegenden Untersuchung von
E. LICHTENBERGER (1972) und verschiedenen eigenen Annahmen sind in Tabelle 14 „Flächen-
nutzungsarten in der Wiener Innenstadt mit verschiedenen Veränderungstendenzen" gegenüber-
gestellt. Dabei zeigt es sich, daß vor allem Bürobranchen zu den expansiven Wirtschaftszweigen
der Wiener City zählen.
~ Büros der Freien Berufe, verschiedene Großhandelsbüros (vor allem des branchenunabhängi-
gen Großhandels, Büros des Verkehrswesens, halboffizielle Institutionen (Interessensvertre-
tungen), Banken und die Verwaltungsbüros einiger weniger Industriebranchen zählen zu den
Flächennutzungsarten mit „stärkeren Zunahmetendenzen". Zum Zeitpunkt der Flächennut-
zungserhebung haben diese Bürobranchen ca. 13 v. H. der Nettogeschoßfläche der Wiener
Innenstadt beansprucht.
~ „Schwächere Zunahmetendenzen" ergeben sich für die Verwaltungsbüros weiterer industrie-
branchen (Textilindustrie, Chemische Industrie, Bauindustrie), den Textilgroßhandel') und
für die Büros der Versicherungsbranche. In Summe entfallen auf diese Bürobranchen
ca. 3,4 v. H. der Nettogeschoßfläche.
Es kann mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß sich diese Expansionstenden-
zen der Mehrzahl der genannten Bürobranchen, begünstigt durch die infolge des Baues der
U-Bahn wesentlich verbesserte Erreichbarkeit der City im öffentlichen Verkehr, auch in jüngerer
Zeit fortgesetzt haben. Zwischen 1971 und 1980 hat die Wohnbevölkerung (Inländer) des ersten
Wiener Gemeindebezirkes weiterhin stark abgenommen, und zwar um ca. 3.700 Personen oder
ca. 16 v. H. der Bevölkerungszahl von 1971. Wahrscheinlich ist diese Abnahme zum Gutteil auf
die „Verdrängung" der Wohnbevölkerung durch expansive Bürobranchen zurückzuführen. Diese
Entwicklung steht im Widerspruch zu den Planungszielen der Wiener Stadtverwaltung zur Verhin-
derung einer „monofunktionalen Büro-City" nach denen die Sicherung und Wiedergewinnung(!)
von Wohnraum in der Inneren Stadt vorrangig verfolgt werden soll (MAGISTRAT DER STADT
WIEN, 1981).
Um die Erfüllung dieses Zieles tatsächlich zu erreichen, ist vermutlich auch für die Wiener Innen-
stadt die Errichtung von „Wohnschutzzonen" notwendig. Trotz des Einwandes, daß solche Ver-
ordnungen nur schwer zu kontrollieren sind, haben sie sich z. B. in München bewährt. Für solche
Schutzmaßnahmen kommen besonders die „Wohnkerne" der östlichen und westlichen Altstadt-
verbauung sowie Teile des „Textilviertels" in Frage. Hier lebten zum Zeitpunkt der Flächennut-
zungserhebung ca. ein Drittel der Einwohner des ersten Wiener Gemeindebezirkes, die Anteile
der Wohnfläche an der Nettogeschoßfläche der Gebäude lagen zwischen 45 und 60 v. H.
(J. STEINBACH, W. GRAFENDORFER, 1974).

') Dieser beginnt sich allerdings in jüngerer Zeit aus der City zu verlagern.

65
Tabelle 14: Flächennutzungsarten in der Wiener Innenstadt mit unterschiedlichen Veränderungs.
tendenzen (aufgrund der Erhebungen aus dem Jahr 1972)

Fläche
FLÄCHENNUTZUNGSARTEN absolut in v. H. der
(qm) NFG') NWN')

1. Abnahme
Werkstätten 133 865
Warenlager 215 785
Insgesamt 349 650

2. Ohne Veränderung
Hotel-, Gastgewerbe 215 760
Geschäftslokale (ohne Einzelhandel
d. Iangfr. Bedarfs, Dienste des Verkehrs) 255 882 4 6
sonstige Industriebüros 245 958 4 6
öffentlicher Dienst 819 662 14 20
kulturelle Einrichtungen 292 912 5 7
religiöse Einrichtungen 103 892 2 3
Unterricht 270 620 5 6
sonstige Nutzungen 221 201 4 5
Insgesamt 2 425 887 42

3. Schwache Zunahme
Büros der chemischen und der Textilindustrie 27 500') 0, 5 0,6
Büros des Bauwesens 30 000') 0,5 0,7
Versicherungen 106 632 1,5 3,0
Büros des Textilgroßhandels 32 872 0,5 0,7
Insgesamt 197 004
4. Stärkere Zunahme
Geschäftslokale des langfr. Bedarfes,
sonst. Dienste, Dienste des Verkehrs 89 840
Banken 107 940
halboffizielle Institutionen 111 231
Großhandel: Fahrzeuge, Maschinen,
branchenunabh. Großhandel 169 353
Freie Berufe 285 0944)
Büros der Elektro-, Fahrzeug-,
Maschinenindustrie 40 000')

Insgesamt 803 503 14 20

') Nettogeschoßfläche
') Nichtwohnnutzung
') Die insgesamt 210 700 qm Büroflächen von Industrieverwaltungen wurden lm Verhältnis der Beschäf-
tigtenanteile der Branchen und Branchengruppen aufgeteilt.
4) Einschließlich der Flächen mit gemischter Nutzung: Wohnen —Freie Berufe.

66
ANALYSEN DER WIENER
STADTSTRUKTUR
Karte 11:

'l EINWOHNER DICHTE-


4 t' ARBEITSPLATZDICHTE 1971fl973
teams r g
I (FLÄCHENNUTZUNG IM BEBAUTEN GEBIET)
Klosterneuburg Langenzersdorf
Verteilung der Wohn- und Arbeitsbevölkerung im Stadtgebiet
Stamme ort Deutsch-Wagram Dargestellt sind Typen von Zählgebieten nach dem Mengungs-
I verhältnis von Wohnnutzung und wirtschaftlicher Nutzung
.. r(/
, Gerasdorf sowie nach der Intensität der Flächennutzung

Intensitat der Flachennutzung


Nutzung stypen
las Aderklaa hoch nieder

RR
uttenbr

t} a ts Wohngebiet
4
ss
Wohngebiet mit Betrieben
HR
r
S
Nuts

Lg„.
'
Mischgebiet WW CK
/ Betriebsgebiet mit
Wohnnutzung M M~
reitenlee

I Raasdorf
Betriebsgebiet') R W KIEZ
') Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe
5 (
Verteilungsdiagramm der Nutzungstypen nach dem Verhältnis
von Einwohnerdichte und Arbeitsplatzdichte
M
bach Donaustadt I
I 2600
I
1 1200

st

Purkersdorf Groß-Enzersdorf tü
t33

I Io
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ise ort üs
Laa lb
I 1 &C

0 100 300 500


Laab im Walde Einwohnerdichte (Einwohner je ha Baufläche)

Unbebautes Gebiet
Gewässer
Schwechat Landesgrenze
Breitenfurt I
u.i.ü Bezirksgrenze
I Moßstots l: 100 000
l km'

Perchtoldsdorf
0 1 km 2 3 Quelle Funktionelle Gliederung Wiens J Steinbach A d
i

MA 18, 1980. Flächennutzungserhebung der MA 18, Stand


1975/76 Arbeitsstättenzählung 1973 und Volkszählung
1971 Ostz
Entwurf: J. Steinbach.
Grundkarte: Blockgliederung von Wien nach dem Räumlichen Bezugs-
system Wien, automatisch gezeichnet durch MD-ADV,
Zählgebietseinteilung von Wien, Stand 1977.
Kartographie: Institut für Stadtforschung.
7. FUNKTIONELLE GLIEDERUNG DES WIENER STADTGEBIETES
7.1 ZUR PROBLEMATIK „SYNTHETISCHER KARTEN"
In der Karte „Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes" werden wichtige Ergebnisse
der verschiedenen „Strukturanalysen des Wiener Stadtgebietes" derart zusammengefaßt, daß
der Zusammenhang und das Ausmaß der wechselseitigen Bedingtheit verschiedener Elemente
der Siedlungsstruktur zum Ausdruck kommen.
Einer solchen räumlichen Gesamtaufnahme, die einzelne Faktorenkomplexe oder Teilsynthesen
(z. B. Typen der Wohngebiete nach dem sozioökonomischen Status der Bewohner, Verbreitung
charakteristischer „Branchenbündel" der Industrie und des Gewerbes, Rangordnung der inner-
städtischen Zentren u. a.) miteinander kombinieren soll, können zwei verschiedene „Synthese-
prinzipien" zugrundeliegen (W. WITT, 1970):
a) der Versuch einer gleichzeitigen Darstellung aller raumbestimmenden Erscheinungen
b) die Auswahl der(von Ort zu Ort wechselnden) jeweils wesentlichen Gegebenheiten des Natur-,
Wirtschafts- und Kulturraumes.
Bei der Anwendung des erstgenannten Syntheseprinzipes besteht die Gefahr einer Überforde-
rung des Kartenlesers durch die Darstellung von zu komplizierten Raumtypen. Zudem reichen
oft die begrenzten Darstellungsmittel der thematischen Kartographie für die Wiedergabe der
komplexen Karteninhalte nicht aus.
Beim zweiten Syntheseprinzip stellt sich die Frage nach den zugrundeliegenden Selektionskrite-
rien. Die Auswahl der berücksichtigten Elementgruppen und dominanten Faktoren ist am Zweck
der Kartendarstellung orientiert, sie kann vorwiegend nach logisch-analytischen oder auch nach
intuitiven Kriterien des Kartenautors erfolgen.
Zur Erstellung der Karte der „funktionellen Gliederung" des Wiener Stadtgebietes wurde nach
dem zweiten Syntheseprinzip vorgegangen. Die dabei verwendete Methode der Synthese von
Teilergebnissen der verschiedenen Strukturanalysen soll dazu beitragen, subjektive Einflüsse
bei der Bildung der verschiedenen Raumtypen möglichst zu verringern und den Entstehungspro-
zeß der Karte weitgehend nach logisch-analytischen und nachvollziehbaren Kriterien zu
gestalten.

7.2 DER ABLAUF DES SYNTHESEPROZESSES


Der Syntheseprozeß zur Erstellung der „Funktionellen Gliederung des Wiener Stadtgebietes"
gliedert sich in drei hintereinander geschaltete Phasen:
In der ersten Phase wurden aus dem Vergleich von Einwohnerdichte und Arbeitsplatzdichte der
Wiener Zählgebiete „Wohngebiete", „Mischgebiete" und „Betriebsgebiete" verschiedener Nut-
zungsintensität sowie „unbebaute Gebiete" definiert. Diese „Hauptnutzungstypen" von Zählge-
bieten bilden einen „Zuweisungsschlüssel" nach dem in der zweiten Phase des Syntheseprozes-
ses Ergebnisse der sektoralen Strukturanalysen zusammengeführt wurden; es ergaben sich „Ty.
pen der Zählgebiete nach den dominanten Faktoren ihrer Nutzungsstruktur". Das dritte Stadium
diente der weiteren Verfeinerung dieser „funktionellen" Typen von Zählgebieten; es wurden cha-
rakteristische Strukturunterschiede innerhalb von Zählgebieten zusätzlich berücksichtigt.
Zum besseren Verständnis des Syntheseprozesses sollen hier einige Bemerkungen zu den einzel-
nen Syntheseschritten angefügt werden.
Erster und zweiter Syntheseschritt:
Als Grundlage zur Synthese der Ergebnisse der sektoralen Strukturanalysen wurden, wie er-
wähnt, „Hauptnutzungstypen" von Zählgebieten nach dem Verhältnis von Arbeitsplatz- und Ein-
wohnerdichte sowie nach den Nutzungsintensitäten (dichter bis lockerer Besatz mit Einwohnern
bzw. Arbeitsplätzen) gebildet. Diese Typen dienen als Grundlage für die Kombination von Aussa-
gen der sektoralen Strukturanalysen zu „funktionellen" Typen von Zählgebieten:
~ Als „Wohngebiete" werden solche Zählgebiete klassifiziert, in denen der Wert der Einwohner-
dichte den Wert für die Arbeitsplatzdichte deutlich übersteigt. Dieser Hauptnutzungstyp wird
im zweiten Syntheseschritt nach dem sozioökonomischen Status der Wohnbevölkerung, ihrer
Stellung im Lebens- und Familienzyklus sowie den Wohnungsverhältnissen weiter
differenziert.
~ „Betriebsgebiete" sind Zählgebiete in denen die Arbeitsplatzdichte wesentlich über der Ein-
wohnerdichte liegt. Die hier zugehörigen Zählgebiete werden im zweiten Syntheseschritt nach
den Ergebnissen der Analyse der Industrie- und Gewerbestruktur (vorherrschende „Branchen-
bündel" ) sowie nach dem Auftreten von „Bürobranchen" gekennzeichnet.

67
~ In „Mischgebieten" ergeben sich für die Einwohner- und Arbeitsplatzdichte relativ ähnliche
Werte. Sie sind in der Karte der funktionellen Gliederung nach den Strukturmerkmalen sowohl
von „Wohn-" als auch von „Betriebsgebieten" charakterisiert.
~ Verschiedene Elemente der Stadtstruktur werden (als „übergreifende" Elemente) unabhängig
vom Hauptnutzungstyp über alle Zählgebiete betrachtet. Dies gilt vor allem für die innerstädti-
schen Zentren (Geschäftsstraßen), die ihren Verlauf sowohl in Wohn- und Mischgebieten, als
auch teilweise in Betriebsgebieten (mit Dienstleistungen der öffentlichen und privaten Ver-
waltung) nehmen.
Die im ersten Syntheseschritt ermittelten „Hauptnutzungstypen der Wiener Zählgebiete" sind
in Karte 11: „Flächennutzung im bebauten Gebiet" dargestellt. Dabei werden — wie schon er-
wähnt — nach dem Verhältnis von Einwohnerdichte (Einwohner je ha Baufläche) und Arbeits-
platzdichte (Arbeitsplätze je ha Baufläche) die Grundtypen:
Wohngebiet, Wohngebiet mit Betrieben, Mischgebiet, Betriebsgebiet mit Wohnnutzung und
Betriebsgebiet
unterschieden. Diese Grundtypen sind nach der Intensität der Flächennutzung weiter differen-
ziert, wobei die Intensität der Wohn- bzw. der betrieblichen Nutzung in den „Dichtestufen": 0 bis
100, 100 bis 300, 300 bis 500 und über 500 Einwohner oder Arbeitsplätze je ha Baufläche gemessen
wird.
In der Karte sind Betriebsgebiete in blauen Farbtönen dargestellt, ihre unterste (lockerste) Inten-
sitätsstufe durch blaue Schraffuren. Mischgebiete jeder intensitätsstufe sind in braunen Farbtö-
nen gehalten, während die Wohngebiete durch rote, orange und rotgelbe Farbtöne gekennzeich-
net sind. Die unterste intensitätsstufe der Wohngebiete ist — analog zu den Betriebsgebieten
— durch rote Schraffuren charakterisiert.
Die Karte: „Flächennutzung im bebauten Gebiet" zeigt deutlich die Grundzüge der funktionellen
Gliederung Wiens:
~ den dicht verbauten „Stadtkörper" und die lockerer besiedelte Peripherie mit den sich durch
etwas größere Nutzungsintensität hervorhebenden alten Ortskernen;
~ die Gliederung des dicht bebauten Gebietes
— in das (Dienstleistungs-)Betriebsgebiet der City, das besonders im Westen (Mariahilfer
Straße) über die Grenzen des ersten Wiener Gemeindebezirkes hinausreicht,
—in die Mischgebiete (vor allem zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung) beson-
ders der westlichen und südwestlichen Bezirke innerhalb des Gürtels sowie
—in die dichten gründerzeitlichen Wohngebiete beiderseits des Gürtels sowie im 2. und
20. Gemeindebezirk;
~ die Gliederung der locker verbauten Peripherie in die
—stadtrandnahen lndustriegebiete, besonders im Süden, Südosten und jenseits der Donau
—in die etwas verdichteten Kerne der ehemaligen „Vororte" sowie
—in die randlichen Wohngebiete mit lockerer Villen- bzw. Einfamilienhausbebauung.
Dritter Syntheseschritt:
Durch die im zweiten Syntheseschritt erfolgte „Umlegung" von sektoralen Strukturmerkmalen
(Sozial-, Industrie- und Gewerbestruktur u. a.) auf die Hauptnutzungstypen wurden die Zählgebie-
te hinsichtlich der wesentlichen Elemente ihrer Flächennutzungsstruktur charakterisiert. Ein
weiterer Arbeitsschritt hatte die Erfassung von größeren Unterschieden in der Flächennutzung
zum Ziel, die „innerhalb" der Zählgebiete bestehen.
Dabei bildete die Karte „Flächennutzung im Wiener Stadtgebiet" (Maßstab 1:25.000, MAGI-
STRAT DER STADT WIEN, GESCHÄFTSGRUPPE STADTPLANUNG) die wichtigste Grundlage.
Durch den Vergleich mit dieser Karte konnten diejenigen Zählgebiete erkannt werden, in denen
unterschiedliche städtische Funktionen in eindeutiger räumlicher Trennung auftreten. Für sol-
che Zählgebiete, die nach dem ersten Syntheseschritt „Mischgebiete" darstellen, wurden nun
die entsprechenden Flächennutzungseinheiten getrennt und hinsichtlich ihrer Funktion als
„Wohn-"oder Betriebsgebiete" charakterisiert. Dieses Vorgehen bedeutet keinen methodischen
Fehler, da sich die verschiedenen, in der Statistik auf das Zählgebiet aggregierten Daten auf-
grund der Funktionsteilung in der Wirklichkeit ja ausschließlich auf den definierten, einheitlich
genutzten Teilbereich des Zählgebietes beziehen. Zählgebiete mit verschiedenen, aber(nach der
Flächennutzungskarte) räumlich nicht eindeutig zu trennenden Nutzungsarten sind in der Karte
der „funktionellen Gliederung" unverändert als Mischtypen klassifiziert.
Im gleichen Arbeitsschritt wurden auch die als „unbebautes Gebiet" klassifizierten Zählgebiete
oder Zählgebietsteile nach den entsprechenden Flächennutzungskategorien
„Kleingärten", „Sportplätze", „Äcker und Wiesen" usw. ) gekennzeichnet.
(„Parkanlagen",

68
ANALYSEN DER WIENER STADTSTRUKTUR
Karte 12:

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FUNKTIONELLE GLIEDERUNG

~ DES WIENER STADTGEBIETES


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Mit dieser Berücksichtigung charakteristischer Strukturunterschiede innerhalb von Zählgebie.
ten war der Syntheseprozeß zur Ermittlung der funktionellen Gliederung des Wiener Stadtgebie-
tes abgeschlossen. Es konnten nun Überlegungen bezüglich einer geeigneten Form der kartogra-
phischen Darstellung angestellt werden. Schließlich ergab sich das in Tabelle 15 enthaltene kar.
tographische Darstellungsschema.
Die als Ergebnis der besprochenen Syntheseschritte vorliegende Karte im Maßstab 1:
100.000
„Funktionelle Gliederung des Wiener Stadtgebietes" ist als Forschungskarte konzipiert. Dabei
handelt es sich nach dem Verständnis der kartographischen Wissenschaft um eine Darstellungs-
form, aus der ein Betrachter unmittelbar Informationen zur Raumerkenntnis und Raumbeurtei-
lung ablesen soll. Hauptzweck der Karte ist ihre Verwendung im Planungsprozeß.
Die hier enthaltene planungsrelevante Information ergibt sich aus der „Zusammenschau" we-
sentlicher Elemente der Stadtstruktur. Dabei soll besonders der Zusammenhang und das Aus-
maß der wechselseitigen Bedingtheit folgender städtischer Strukturelemente zum Ausdruck
kommen:
~ Sozialstruktur — demographische Struktur der Bevölkerung
~ Sozial- und demographische Struktur — Wohnverhältnisse —Bebauungsstruktur
~ Sozial- und demographische Struktur — Rang und Verteilung der innerstädtischen Zentren
~ Sozial- und demographische Struktur —
Struktur und Verteilung der Arbeitsplätze in den Dien-
sten sowie in Industrie und Gewerbe
~ Sozial- und demographische Struktur — Grünflächenstruktur
~ Struktur und Verteilung der Wirtschaftsbetriebe — Netze der Verkehrsinfrastruktur.
Diese Informationen haben im wesentlichen ihren Wert behalten, obwohl das der Karte zugrunde
liegende Datenmaterial zum Teil auf die statistischen Großzählungen zu Anfang der 70er Jahre
zurückgeht:
~ viele der hier dargestellten städtischen Strukturelemente (wie die Verteilung der Grünflächen,
die Sozial- und demographische Struktur, die Zentrenstruktur u. a.) bleiben auch über längere
Zeitperioden relativ konstant,
~ außerdem sind diejenigen Veränderungen der Flächennutzungsstruktur in der Karte berück-
sichtigt, die sich in den letzten Jahren durch den Baufortschritt bzw. durch die Fertigstellung
verschiedener städtebaulicher Großprojekte ergeben haben (z. B. Neue Donau und Donauin-
sel, Internationales Zentrum, größere Wohnanlagen im Stadterweiterungsgebiet).
Somit erscheint es als gerechtfertigt, diese Karte der „funktionellen Gliederung" des Wiener
Stadtgebietes auch noch zu Beginn der 80er Jahre zu publizieren.

Tabelle 15: Kartographisches Darstellungsschema für die Karte „Funktionelle Gliederung des
Wiener Stadtgebietes"

Karteninhalt kartographische Darstellung

Wohngebiete (nach der Sozial- und demo- Flächenfarben


graphischen Struktur sowie nach den (dunkelbraune bis rote Farbtöne)
Wohnverhältnissen)
Dienstleistungs- und Bürogebiete Flächenfarben (rotviolette, blauviolette,
blaue Farbtöne)
Industrie- und Gewerbegebiete Flächenfarbe (dunkelgrau)
Parks, Kleingärten, Friedhöfe, Sportplätze, Flächenfarben (grüne Farbtöne)
Wälder u. s.w.
Äcker, Wiesen Flächenfarbe (hellgelb)
sonstige Flächennutzungen (Verkehrs- Flächenfarben (hellgrau, graubraun u. a.)
flächen, Abstellplätze u. a.)
Mise hgebiete Schraffuren aus den Flächenfarben der ge-
mengten Nutzungsarten
Innerstädtische Zentren (Geschäftsstraßen) Liniensignaturen (nach dem Rang der
Zentren gestuft)
Einkaufszentren, Verbrauchermärkte „volle" Punktsignaturen (Quadrate, gestuft
nach der Einkaufsfläche)
dominante „Branchenbündel" in Industrie „offene" Punktsignaturen (Quadrate, Kreise,
und Gewerbe Dreiecke, gestuft nach der Zahl der Be-
schäftigten) über den Flächenfarben der
Industrie- u. Gewerbegebiete

69
8. STADTENTWICKLUNGSPOLITISCHE KONSEQUENZEN

In diesem abschließenden Kapitel wird auf die stadtentwicklungspolitischen Konsequenzen nä-


her eingegangen, die sich nach Meinung der Autoren aus den Analysen der Sozialstruktur, der
Wohnungsverhältnisse sowie der Wohnumwelt ergeben. Dabei können zusätzliche Forschungs-
ergebnisse von W. FEILMAYR, K. MITTRINGER und J. STEIN BACH (1981), T. HEINZE (1980) und
K. MITTRINGER (1981)berücksichtigt werden, die sich auf den baulichen Verfallsprozeß, den Um-
fang der in Wien notwendigen Sanierungsmaßnahmen sowie auf die Sanierungsaktivitäten der
Bevölkerung beziehen.
Die Analysen der Sozialstruktur der Wiener Bevölkerung, ihrer Wohnungsverhältnisse sowie der
Strukturen der Wohnumwelt zeigen, daß
1. in Wien eine beträchtliche räumliche Differenzierung der Wohnbevölkerung sowohl nach dem
sozioökonomischen Status als auch nach der Position im Lebens- und Familienzyklus be-
steht. Sie bildet das Ergebnis zweier in Wechselwirkung stehender Prozesse:
~ Im Rahmen des Segregationsprozesses sozialer Gruppen mit unterschiedlicher Verfügbar-
keit über persönliche Mittel an Sach- und Humankapital werden die hochrangigen Wohn-
standorte von Angehörigen oberer sozialer Schichten besetzt.
~ Der gleichzeitig ablaufende demographische Segregationsprozeß (Abwanderung jüngerer
Haushalte an die Peripherie des Stadtgebietes oder ins Stadtumland) führt zur Konzentra-
tion von alten, oft alleinstehenden Einwohnern in bestimmten Teilbereichen des dicht ver-
bauten gründerzeitlichen Stadtgebietes, dessen Bevölkerung sich durch das „Ausster-
ben" bestimmter Geburtenjahrgänge sowie infolge der Wanderungsverluste deutlich
verringert.
2. Für die durch diese Segregationsprozesse') räumlich getrennten Gruppen der Bevölkerung
bestehen beträchtliche Unterschiede bezüglich der Größe und der Ausstattung der Wohnun-
gen sowie der Struktur der Wohnumwelt. Dabei ergeben sich für die Angehörigen unterer so-
zialer Schichten(sowohl auf den peripheren als auch auf den zentralen Wohnstandorten) deut-
liche Benachteiligungen:
~ Die Wohnungen der Neubaugebiete des Stadtrandes haben zwar meist eine zufriedenstel-
lende Ausstattung (mit Naßanlagen) aufzuweisen, jedoch bestehen —
wenigstens bis 1971
—Defizite bezüglich des für jeden Einwohner verfügbaren Wohnraumes. In der Wohnum-
welt dieser peripheren Wohngebiete unterer sozialer Schichten fehlen zudem oft die not-
wendigsten Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen.
~ In den Wohnquartieren des dichtverbauten Stadtgebietes liegen die Wohnungsgrößen weit
unter dem Durchschnitt, die Ausstattung mit Naßanlagen fehlt vielfach. Wie gezeigt wurde,
hat auch die Wohnumwelt gravierende Strukturmängel aufzuweisen, vor allem hinsichtlich
der Versorgung mit Grünanlagen, aber auch bezüglich der Ausstattung mit bestimmten
Dienstleistungen des Nahbedarfes.
Wenngleich sich die Strukturschwächen in den peripheren Gebieten z. T. als beträchtlich erwei-
sen, sind die weitaus größeren stadtentwicklungspolitischen Probeme in den dichtbebauten zen.
trumsnäheren Wohnbereichen zu lösen. Maßnahmen zur Beeinflussung der dargestellten Segre-
gationsprozesse und zur Verringerung der Disparitäten bezüglich der Wohnverhältnisse müssen
vor allem hier ansetzen. Dabei bildet der überalterte Baubestand, der durch das weitgehende Feh-
len von Verbesserungs- und Erhaltungsinvestitionen gekennzeichnet ist, eine außerordentlich
belastende Hypothek.
Das Ausmaß der erforderlichen baulichen Erneuerungen im dichtbebauten Stadtgebiet wird aus
den Ergebnissen eines „Modells zur Abschätzung des Umfanges von Sanierungsmaßnahmen"
(W. FEILMAYR, K. MITTRINGER, J. STEIN BACH, 1981) ersichtlich. Mit diesem Modell kann der
Umfang notwendiger Sanierungsmaßnahmen zwischen dem Basiszeitpunkt 1978 und dem Pro-
gnosezeitpunkt 1990 errechnet werden. Modellinputs sind u. a.
~ die Anzahl und räumliche Verbreitung von „kurz- und mittelfristig" abbruchgefährdeten Ge-
bäuden, die nach technologischen und ökonomischen Kriterien ermittelt wurden (denkmalge-
schützte Gebäude bleiben ausgeklammert),
') Beide Segregationsprozesse sind durch Korrelationskoeffizienten statistisch zu belegen: so beträgt der
Korrelationskoeffizient der Variablen: „Prozentanteil der Bevölkerung mit höherer und Hochschulbildung"
und „Prozentanteil der Wohnbevölkerung mit Pflichtschulbildung" (gemessen jeweils für die 1265 Wiener
Zählgebiete): —
0,914; fürder Korrelation zwischen den Anteilswerten der „unter 15-jährigen" und der „über
65-jährigen" ergibt sich ein Wert von r = — 0, 920 (T. HEINZE, 1980).

70
ANALYSEN DER WIENER STADTSTRUKTUR

Karte 13:

BAULICHER ERNEUERUNGSBEDARF IN WIEN

Dargestellt sind die Typen der Zählgebiete nach Art und Umfang der erforderlichen
baulichen Sanierungsmaßnahmen (bezogen auf den Planungszeitpunkt 1990, nach
den Ergebnissen des Modells zur Abschätzung des Umfangs von Sanierungsmaß-
nahmen).

Typen der Zählgebiete nach den Erneuerungsmaßnahmen

Häufigkeit von Hagnahnen der Stadterntuerung in den Zählgebi ~ ten


Zahl der
Hunntl' tugEhöl'igth Abbruch von Sanitrung Hohnue9$ Iiohnungsverbesserungen Aal e9en von
des Typs nhlgEbiEte gebäuden von 6ebäudeh Iusannen betreffend Vohnungen Parks und
3 ~ Typ legungen der Ausstattungstypen öffentlichen
I uad
6rUnflächtn
3 (variante 1)
+ v

72

112 + +

S 52 bi ~ + + + a

—bis + + +

113

6 236

Definition von „Häufigkeitsstufen" (nach Mittelwerten für die Zäh(gebiets-Typen)

'Häufigkeitsstufen' Anteil dtr ab- Zahl der tu Anteil der su Anteil dar F'läche der
subrechenden sanierenden sannengtlegten uohnungan in v H ~ ntul ~ 9enden
gebäude in v. H. Utbäude Uohnun9 ~ n 'In UrUnanlagen
v. H. Typ I und 5 Typ 3 in ar

+ + sehr häufig' Uber 360 UbEI' 25 Uaer SU Uber 70 ilber 10

'häufig" Uber 30 200 - 220 5-7 6 - 7

durchschnlttllch 20 120 180 17 - 23 22 - 25 1, 5 - 2

~ tltan unter 10 unter 100 1-2 7 - 13 10 - 13 0. 5 - 1

"seal' aal'cEn untEI' 0 6 out ~ I' uuttr 6 tnttr 0 5


~ Normen und (angenommene) stadtentwicklungspolitische Ziele, wie z. B. eine Dichtenorm
(maximal zulässige Dichte 380 Einwohner je ha Wohnbaufläche), eine Wohnflächennorm (min-
destens 25 m'Wohnfläche je Einwohner), eine Grünflächennorm (mindestens 1,5 m' Park- und
öffentliche Grünflächen je Einwohner) sowie Zielvorstellungen bezüglich der Verbesserungen
der Wohnungsausstattung.
Als Modellergebnisse liegen Schätzungen des baulichen Erneuerungsbedarfes in Wien vor; im
folgenden wird das Gesarntausmaß der notwendigen Maßnahmen dargestellt, sowie ihre Vertei-
lung im Stadtgebiet.
Das Gesamtausmaß des baulichen Erneuerungsbedarfes, bezogen auf den gewählten Prognose-
zeitpunkt 1990, ist den Tabellen 16(Maßnahmen) bzw. 17 (Kosten) zu entnehmen. Betrachtet man
zunächst die Maßnahmen, so zeigt es sich z. B., daß ca. 6.800 Gebäude des dichtverbauten Stadt-
gebietes (das sind etwa 9, 1 v. H. des gegenwärtigen Bestandes) abzubrechen sind. Weitere ca.
15.300 „mittelfristig abbruchgefährdete" Gebäude (20, 4 v. H. ) müssen einer Generalsanierung
unterzogen werden. Somit sind mittelfristig ca. 30 v. H. des Wiener Gebäudebestandes von
Abbruch- oder Erneuerungsmaßnahmen betroffen. Insgesamt gehen durch den Abbruch von
Wohngebäuden sowie durch Wohnungszusammenlegungen 113.168 Wohnungen „verloren", in
denen (bezogen auf die gegenwärtige Bevölkerungszahl) nicht ganz 210.000 Personen (14,3 v. H. )
leben. Es wird angenommen, daß für alle „abgesiedelten" Einwohner (entsprechend der Wohnflä-
chennorm) neuer Wohnraum zu schaffen ist. Durch die Gebäudeabbrüche wird eine Fläche von
ca. 29.500 ar (das sind 1,17 v. H. der Gesamtfläche) frei; davon sind nach den getroffenen Modell-
annahmen 2.200 ar als Parkflächen und öffentliche Grünflächen zu widmen.
Das Gesamtausmaß der Kosten (zu Preisen für 1978) für die genannten Maßnahmen beläuft sich
auf 80, 4 Mrd. S; die Untergliederung in die einzelnen Maßnahmenkategorien ist aus Tabelle 17
zu entnehmen.
Um die räumliche Verteilung der verschiedenen Erneuerungsmaßnahmen in überschaubarer
Form darzustellen, wurde eine Typisierung der Zählgebiete nach den simulierten Sanierungs-
maßnahmen vorgenommen. Nach Art und Ausmaß der notwendigen Maßnahmen ergeben sich
insgesamt 8 Typen von Zählgebieten. Ihre räumliche Verbreitung kommt in Karte 13 zur
Darstellung:

~ Die Typen 1 bis 3 sind jeweils durch relativ „häufige" Abbrüche von Gebäuden gekennzeich-
net, zusätzlich zählen die Sanierung von Gebäuden, Verbesserungen der Wohnungsausstat-
tung und die Anlage von Parks und öffentlichen Grünflächen zu den dringlichen Maßnahmen.
~ Für die Typen 4 bis 5 verlagert sich das Schwergewicht der Maßnahmen auf die Sanierung
von Gebäuden, daneben sind zumeist Wohnungszusammenlegungen, z. T. auch Verbesserun-
gen der Wohnungsausstattung erforderlich.
~ Die Typen 7 und 8 fassen diejenigen Zählgebiete des dichtverbauten Stadtbereiches zusam-
men, für die sich der vergleichsweise geringste Bedarf an Erneuerungsmaßnahmen ergibt.
Hier sind z. T. Verbesserungen der Wohnungsausstattung sowie zusätzliche Park- und Grün-
flächen erforderlich.
Eine genauere Beschreibung dieser Typen ist der Legende zu Karte 13 zu entnehmen.
Mehrere Novellierungen und Neufassungen der Mieten-, Wohnbau- und Stadterneuerungsgeset-
ze haben zwar in jüngerer Zeit zu einer Intensivierung der Sanierungsaktivitäten geführt, anderer-
seits ergeben aber Wirkungsanalysen der wesentlichen Gesetze, daß diese nicht ausreichen, um
das dargestellte Ausmaß des baulichen Erneuerungsbedarfes zu bewältigen:

1. Das Wohnungsverbesserungsgesetz ist eines der wichtigsten Steuerungs- und Finanzie-


rungsinstrumente der Stadterneuerungspolitik. Es zeigt sich allerdings, daß dieses Gesetz in
der Fassung, wie sie bis in die jüngere Vergangenheit in Geltung war, nicht dazu geeignet ist,
den städtischen Verfallsprozessen entgegenzuwirken (T. HEINZE, 1980):
~ Die gesetzlichen Förderungsmittel werden relativ selten von Angehörigen der sozialen Un-
terschicht in Anspruch genommen, vorwiegend aufgrund des niedrigen Haushaltseinkom-
mens, des schlechteren Informationsniveaus und des fehlenden Zuganges zu Kreditinsti-
tuten.
~ Daher sind auch die Stadtgebiete mit dem größten baulichen Erneuerungsbedarf, die mehr-
heitlich von solchen Bevölkerungsgruppen bewohnt werden, nur im unterdurchschnittli-
chen Ausmaß von den geförderten Wohnungsverbesserungen betroffen.

2. Nach den Bestimmungen des Stadterneuerungsgesetzes gilt die Ausstattung der Wohnungen
mit Naßanlagen als wesentliches Kriterium für die Festlegung von „städtebaulichen Problem-

71
gebieten", für die besondere Maßnahmen und Mitteleinsätze vorgesehen sind. Das Gesetz
orientiert sich also an einer „Momentaufnahme" des baulichen Zustandes, sodaß ein recht-
zeitiges Eingreifen in Verfallsprozesse und eine Sanierung vor dem Entstehen von weitgehend
irreversiblen Schäden nicht möglich ist. Nach dem gesetzlichen Kriterium gelten gegenwärtig
ca. 12 v. H. der Wiener Zählgebiete als „Problemgebiete". Berücksichtigt man zusätzlich den
technologischen Alterungsprozeß sowie ökonomische Rentabilitätskriterien von Sanierungs-
maßnahmen, so erhöht sich dieser Problemgebietsanteil im Jahr 1990 auf ca. 20 v. H. , steigt
im Jahr 2000 auf ca. 28 v. H. an und erreicht schließlich im Jahr 2010 den Wert von 32 v. H.
(K. MITTRINGER, 1981). Diese zukünftigen Problemgebiete wurden in der bisherigen Diskus-
sion um die Stadterneuerung vernachlässigt.
Zum Abbau der dargestellten sozialen Disparitäten bezüglich der Wohnungs- und der Wohnum-
weltverhältnisse und zur Beeinflussung der Segregationsprozesse der Wiener Bevölkerung ist
also eine Neufassung von wesentlichen gesetzlichen Grundlagen der Stadtentwicklungspolitik
erforderlich.
Tabelle 16: Ergebnisse des Modells zur Abschätzung des Umfanges von Sanierungsmaßnahmen
Gesamtbilanz der Maßnahmen und Veränderungen der Stadtstruktur
1. Maßnahmen
Maßnahmen —Kategorie Umfang der Maßnahmen

Abbruch von Gebäuden (bes. kurzfristig 6.844 9, 14


abbruchgefährdete Gebäude) v. H. der Gebäude
Sanierung von Gebäuden (bes. mittelfri- des Ist-Zustandes
stig abbruchgefährdete Gebäude) 15.325 20, 26
„neue" Wohnungen durch Wohnungszu- 13.496 2, 2 v. H. der Wohnungen
sammenlegung (einschl. Verbesserung d. Simulationszu-
der Wohnungsausstattung auf Typ 2) standes (nach Ab-
67.433 bruch und
Wohnungsverbesserung Typ 4/5 auf Typ 3 11,1
67.433 11,1 Zusammenlegungs-
Typ 4/5 auf Typ 2
maßnahmen)
Typ 3 auf Typ 2 59.170 9,7
Zahl der abzusiedelnden Einwohner (auf-
grund von Abbrüchen und Wohnungszu-
sammenlegungen) für die neue Wohnun- 209.887 14,3 v. H. der Einwohner
gen zu errichten sind des Ist-Zustandes
2. Veränd erungen
Art der Veränderung Umfang der Veränderung

Einwohnerdichte Ist-Zustand 59 Ew/ha


Simulationszustand
(nach Abbruch und 50 Ew/ha
Zusammenlegungs-
maßnahmen)
freiwerdende Fläche 29.424 ar 1,17 v. H. der
(aus Gebäudeabbrüchen) Gesamtfläche

Tabelle 17: Ergebnisse des Modells zur Abschätzung des Umfanges der Sanierungsmaßnahmen:
Kosten

Kosten-Kategorie Ausmaß der Kosten in v. H. der


in Millionen S Gesamtkosten
Abbruch von Gebäuden 1.176,9 1,5
Sanierung von Gebäuden 17.730,9 22, 1
Wohnungszusammenlegung
(einschließlich Verbesserung) 2.969,2 3,7
Wohnungsverbesserung 16.480, 0 20, 5
(hypothetischer) Wohnungsneubau für
die abzusiedelnden Einwohner 41.977,0 52, 2
Insgesamt 80.334,0 100,0

72
ANHANG: MATHEMATISCH-STATISTISCHE METHODEN

1. Faktorenanalyse
Faktorenanalysen sind mathematische Verfahren, mit deren Hilfe Aussagen Ober den Zusam-
menhang zwischen Variablen gewonnen werden können. Variable, die nach ihrer Ausprägung
Ober bestimmte Raumeinheiten (Zählgebiete des Wiener Stadtgebietes) eine ähnliche Verbrei-
tungsstruktur aufzuweisen haben, werden in gemeinsamen mathematischen Dimensionen (sog.
Faktoren) zusammengefaßt. Diese Faktoren sind untereinander statistisch weitgehend unab-
hängig und bilden den lnformationsgehalt der ursprOnglichen Variablen in komprimierter Form
ab. Die Beziehungen zwischen den Variablen und den Faktoren werden durch die sogenannten
Faktorenladungen gemessen, das sind feste Koeffizienten (innerhalb der Grenzen von +1 bis
— 1), die angeben, inwieweit (ein positiver oder negativer) Zusammenhang zwischen einer
Variablen und einem Faktor besteht. Weitere Kennzahlen der Faktorenanalyse sind die Faktoren-
werte. Sie bemessen die Intensität der Verbreitung der einzelnen ermittelten Faktoren („BOndel"
von Variablen) in den verschiedenen Beobachtungseinheiten (z. B. Zählgebiete).
Auf den komplexen technischen Ablauf der Faktorenanalyse und die damit verbundenen Pro-
blemstellungen kann hier nicht im Detail eingegangen werden. Abbildung 9 enthält ein Ablauf-
schema der Faktorenanalyse zu dem im folgenden einige Erläuterungen gegeben werden.
Genauere Darstellungen sind der einschlägigen Literatur zu entnehmen, insbesondere aus
K. ÜBERLA (1971).
Die Matrix der Eingabedaten in die Faktorenanalyse enthält für eine Zahl von m Variablen (in den
Spalten) Meßdaten von n Beobachtungseinheiten, z. B. Wiener Zählgebiete (in den Zeilen):

Abbildung 9: Ablaufschema der Faktorenanalyse (nach K. Überla, 1971)

1
r n
1
t k . m
1
1 k m
1 l
r.l r
1
1 n
I

I
I
I

I
rm
I

I
as ~r I
vt
I
f
I
m m
R„

Y = (y.17.) Datenmatrix Rh = reduzierte


Korrelationsmatrix
i = 'I.. . . ., . m Variablen
I. .. . . . .
j = I. . . . . . . n räumliche
i, k = m

Bezugseinheiten
R = (rik) Korrelotionsmatrix A = (a.iii) Faktorenmuster mit
i, k = I. .... m
Faktorenladungen
1 = I. . . .. . .r Faktoren
i = I. . .. . . . m Variablen

V = (v i) rotiertes
Faktorenmuster
I. ... ...r Faktoren
I. ..... . m Variablen
P = (Pi ) Matrix der
Foktorenwerte
I. ......r Faktoren
I. ......n räumliche
Bezugseinheiten

73
Y«Y12Y13 ' Yln

Y21Y22Y23 Y2n

Ym1Ym2ym3 ' ' Ymn

Eine zumeist in folgender Art durchgeführte Transformation dieser Ausgangsmatrix dient der
Vergleichbarkeit aller Variablen:
Y;; Y,
(2)
s
zj sinddie transform ierten Beobachtungswerte der ei nzel nen Variablen(„standard sco res"), y
die ursprünglichen Beobachtungswerte, yj ihre arithmetischen Mittel und s, ihre Standardab-
weichungen. Die Variablen werden somit zu Verteilungen mit dem Mittelwert O und der Standard-
abweichung 1 transformiert.
Nach dem Grundmodell der Faktorenanalyse soll jeder in der Transformationsmatrix Z enthalte-
ner standardisierter Beobachtungswert einer Variablen (z„)als Linearkombination einer Anzahl
von Faktoren (r) ausgedrückt werden:

z„=a„p„+a„p„+. . . a.„p„. (3)

a, = Faktorenladungen der Faktoren 1. . . r bezüglich der Variablen i (1 . . . m)

p, = Faktorenwerte der Faktoren 1. . . r bezüglich der Beobachtungseinheiten j (1 . . . n)


In Matrixform läßt sich die Gleichung 3 für alle z„folgendermaßen formulieren:

Z = AP (4)

Z ist wieder die m x n Matrix der standardisierten Ausgangsdaten; A, die m x r Matrix der Faktoren-
ladungen wird als Faktorenmuster (factor pattern) bezeichnet und enthält die Beziehungen der
Variablen zu den Faktoren, während P, die Matrix der Faktorenwerte, die Beziehungen der Fakto-
ren zu den einzelnen Beobachtungseinheiten beschreibt. Die Ermittlung des Faktorenmusters
(Matrix A), in dem „gleichgerichtete" Variablen zu Faktoren zusammgengefaßt werden, bildet
das primäre Ziel der Faktorenanalyse; nach ihrer Errechnung können die Faktorenwerte
(Matrix P) geschätzt werden.
Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens können vier Anwendungsbereiche der Faktoren-
analyse unterschieden werden (K. ÜBERLA, 1971):
1. Neustrukturierung eines noch wenig bekannten Gebietes. Beispiele dafür sind die klassische
Anwendungen der Faktorenanalyse in der psychologischen intelligenzforschung, aber auch
die Ermittlung charakteristischer „Constructs" (economic-, family-, ethnie status) in der „So-
cial Area Analysis" (siehe Abschnitt 2.5)
2. Schätzung von direkt nicht meßbaren Größen mittels der Faktorenwerte (z. B. Ausprägung der
einzelnen „Constructus" in räumlichen Beobachtungseinheiten)
3. einfache Datenreduktion (Ermittlung vereinfachter Beschreibungsdimensionen für eine Viel-
zahl von Variablen)
4. Spezialprobleme, Sonderanwendungen
Bei der Anwendung der faktorenanalytischen Methode bildet die Auswahl der Ausgangsvaria-
blen sehr oft einen Ansatzpunkt der Kritik: die Bevorzugung von unbedeutenden oder der Ver-
nachlässigung von sachlich wichtigen Variablen kann zur entscheidenden Verfälschung der Aus-
sagen führen. Daher sollte sowohl die Auswahl der Inputvariablen in die Faktorenanalyse als
auch die Interpretation der errechneten Faktoren nur auf der Basis von expliziten theoretischen
Hypothesen erfolgen.

2. Clusteranalyse
Mit Hilfe der Clusteranalyse werden sogenannte Merkmalsräume gegliedert. Dem Begriff „Merk-
malsraum" unterliegt die Vorstellung, daß alle Merkmale, durch die eine Anzahl von Beobach-
tungseinheiten (z. B. Zählgebiete) charakterisiert sind, gemeinsam einen (hypothetischen) multi-

74
dimensionalen Raum definieren, wobei die Zahl der Dimensionen der Zahl der (von Beobach-
tungseinheit zu Beobachtungseinheit unterschiedlich ausgeprägten) Merkmale und die „Gren-
zen" des Merkmalsraumes den maximalen und minimalen Ausprägungen der Merkmale entspre-
chen.
Die einfachste — zweidimensionale — Form eines Merkmalsraumes ist das Korrelationsdia.
gramm, in dem jede Beobachtungseinheit durch zwei Variable (ihre Werte sind auf der X- bzw.
auf der Y-Achse aufzutragen) als Punkt fixiert ist. Ebenso kann man sich vorstellen, daß auch
innerhalb eines multidimensionalen Merkmalsraumes jede Beobachtungseinheit entsprechend
ihrer relevanten Merkmale als Punkt darzustellen ist.
Aus der Anordnung der solche Beobachtungseinheiten repräsentierenden Punkte im Merkmals-
raum ist seine Einteilung in verschiedene Unterräume abzuleiten: Beobachtungseinheiten, die
aufgrund ihrer Ähnlichkeit nur durch relativ geringe Distanzen im Merkmalsraum getrennt sind
und so gemeinsam einen mehr oder minder deutlich ausgeprägten Unterraum definieren, bilden
Elemente einer Klasse; sie sind durch relativ große Abstände von allen nicht zum gleichen Typ
gehörenden Beobachtungseinheiten getrennt.
Mit Hilfe der unter dem Oberbegriff „Clusteranalysen" zusammengefaßten Rechenverfahren
wird versucht, Merkmalsräume derart in Unterräume (Klassen) zu gliedern, daß die in einer Klasse
vereinigten Beobachtungseinheiten möglichst ähnlich, die Klassen untereinander möglichst ver-
schieden sind.
Für die Zuordnung eines Elements (Beobachtungseinheit) zu einer Klasse gelten im Falle der
Clusteranalysen die Bedingungen polythetischer Typologien, nach denen die Elemente einer
Klasse eine wesentliche Anzahl gemeinsamer Merkmale aufzuweisen haben müssen, wobei je-
doch nicht vorgeschrieben ist, in welchen Merkmalen Übereinstimmung bestehen soll.
Als Optimalitätskriterium für Klasseneinteilungen von Elementen nach polythetischen Typolo-
gien wird das sogenannte „Spur-W-Kriterium" verwendet. Die Spur-W ist die Summe der
Diagonalelemente der Matrix W, einer Varianz-Kovarianz-Matrix zwischen den Elementen jeweils
gleicher Klassen, also die Summe der quadratischen Abweichungen der Merkmale innerhalb
aller Klassen. Eine optimale Einteilung in „natürliche Klassen" ist dann gefunden, wenn die
Spur-W ein Minimum erreicht. Mit dem Minimum der Spur-W ist gleichzeitig auch das Maximum
der Spur-B gegeben, einer Varianz-Kovarianz-Matrix zwischen den Elementen der verschiedenen
Klassen. Es muß also versucht werden, die Varianz innerhalb der Klassen (interne Homogenität)
zu minimieren, was gleichbedeutend ist auch mit einer Maximierung der zwischenklasslichen
Varianz (externe Isolierung).
Die Ermittlung der unter verschiedenen Alternativen optimalen Klasseneinteilung mit minimaler
Spur-W erfolgt über einen Suchprozeß, in dessen Rahmen eine Anzahl von Klasseneinteilungen
verglichen wird. Die verschiedenen Varianten der Clusteranalysen unterscheiden sich vor allem
nach der Art dieses Suchprozesses. Je nachdem, ob alle möglichen Klasseneinteilungen, oder
nur eine Teilmenge davon, in der die optimale bzw. annähernd optimale Klasseneinteilungen mit
einer bestimmten Wahrscheinlichkeit enthalten sind, untersucht werden, unterscheidet man zwi-
schen globalen und partiellen Verfahren. Wegen des mit globalen Verfahren verbundenen großen
Rechenaufwandes werden, vor allem bei größeren Datenmengen, vorwiegend partielle Verfahren
angewendet. Hier wird z. B. eine vorgegebene (geschätzte oder zufällige) Klasseneinteilung so-
lange partiell verbessert, bis eine optimale Einteilung gefunden ist.
Partielle Verfahren der Clusterbildung sind oft, als weitere Vereinfachung des Suchprozesses,
hierarchisch strukturiert, d. h. in jeder Rechenphase wird die Klasseneinteilung der Vorphase
durch Fusion von jeweils zwei Klassen (aufbauende oder agglomerative Verfahren) oder durch
Teilung jeweils einer Klasse (abbauende oder divisive Verfahren) modifiziert.
Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit gerechneten Clusteranalysen zählen zu den partiellen
Verfahren, die von einer zufällig gewählten Klassifikation der räumlichen Beobachtungseinhei-
ten ausgehen. Diese Klassifikation wird solange geändert, bis jede Beobachtungseinheit jener
Klasse zugeordnet ist, deren Mittelwert sie am ähnlichsten ist.

3. Ermittlung der Kennzahlen des „nischentheoretischen" Ansatzes


Die Errechnung der in den Abschnitten 3.5.3 und 4.5 dargestellten Kennzahlen geht aus von einer
Matrix S mit den Beobachtungseinheiten (Zählgebiete als Standorte von sozialen Gruppen bzw.
von industriebranchen) in den Zeilen und den verschiedenen Variablen zur Beschreibung des „so-
zialen" bzw. „wirtschaftlichen" Raumes in den Spalten. Somit sind die Zeilen der Matrix Vektoren
(h., ), die Umweltbedingungen der verschiedenen Standorte (Zählgebiete) abbilden.
Aus dieser Matrix werden zunächst bestimmte „Mittelwerts. Vektoren" berechnet:

75
1. der Vektor des durchschnittlichen
Stadtgebiet H, dessen Komponenten
sozialen („wirtschaftlichen" ) Raumes für das gesamte
die Mittelwerte (über alle Zählgebiete) der verschiede-
nen Umwelt-Variablen bilden.
2. Die Vektoren des durchschnittlichen sozialen („
wirtschaftlichen" ) Raumes H, für die unter.
schledlichen sozialen Gruppen (Industriebranchen). Diese enthalten Mittelwerte der Umwelt-
Variablen über diejenigen Standorte (Zählgebiete) auf denen die betrachteten sozialen Grup-
pen oder Wirtschaftsbranchen (j) verbreitet sind.
Unter Verwendung dieser beiden Kategorien von „Mittelwerts-Vektoren" und der Basismatrix S
werden die drei Kennzahlen des „nischentheoretischen Ansatzes" d, r und c ermittelt.
1. Die Kennzahl d bemißt —
wie schon ausführlich dargestellt —
die Distanz d, zwischen dem
generellen Mittelwerts-Vektor H und einem gruppenspezifischen (soziale Gruppe, Branche)
Mittelwerts-Vektor H, . Sie drückt somit das Ausmaß der Anpassung einer betrachteten „Spe-
cies" j an die durchschnittlichen Umweltbedingungen im Stadtgebiet aus reale ökologische
Nische" ). Zur Errechnung dieser Kennzahl müssen die verwendeten Umwelt-Variablen stan-
(„
dardisiert werden; dazu dient die entsprechende Varianz-Kovarianz-Matrix V (ihre Elemente
bilden das Ausmaß der Übereinstimmung in der räumlichen Ausprägung zwischen den ver-
schiedenen Variablen ab). Die Kennzahl d ergibt sich aus

d. = (H. —H) V '


(H. —H)' (5)

Somit stellt die Distanz d,. die standardisierte Summe der Abweichungsquadrate der Elemen-
te des Vektors H, von den entsprechenden Elementen des Vektors H dar.
2. Die Kennzahlen runde erfassen die Dimensionen der „fundamentalen" Nische; sie sind Maße
für die Verteilung der Distanzen zwischen den Umweltvektoren „.
(h. ) derjenigen Zählgebiete
(„
Zeilen" der Matrix S), auf denen eine „Species"j verbreitet ist, und dem entsprechenden
Mittelwerts-Vektor dieser „Species"H, . In der „Nischentheorie" wird eine exponentielle Ver-
teilung dieser Distanzen unterstellt, deren Parameter die beiden Werte r und c sind.
Der Wert von r bemißt die „Steilheit" der exponentiellen Verteilung, d. h. die Ähnlichkeit der
Umweltbedingungen in den einzelnen Standorten einer „Species" mit ihrem Mittelwerts-
Vektor,
Hingegen gibt der Wert von c an, wie häufig eine „Species"auf Standorten auftritt, deren Um-
weltverhältnisse ihrem Mittelwerts-Vektor angenähert ist. r und c sind also Maße des „Bin-
dungsgrades" einer Species an bestimmte Umweltstrukturen. Die beiden Kennzahlen werden
über einen Regressionsansatz geschätzt:

Ln —Ln(c) + rß. , (5)


&

8.
,
= (h, , —H, ) . V —(h, —H)
. (7)

76
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