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Cornelia Wild

Göttliche Stimme, irdische Schrift


Trends in Medieval Philology

Edited by
Ingrid Kasten, Niklaus Largier
and Mireille Schnyder

Editorial Board
Ingrid Bennewitz, John Greenfield, Christian Kiening, Theo Kobusch,
Peter von Moos, Uta Störmer-Caysa

Volume 29
Cornelia Wild

Göttliche
Stimme,
irdische Schrift
Dante, Petrarca und Caterina da Siena
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für
Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

ISBN 978-3-11-043771-3
e-ISBN (PDF) 978-3-11-042816-2
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042823-0
ISSN 1612-443X

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


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© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston


Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde
Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany

www.degruyter.com
Für Ella
Inhaltsverzeichnis
Einleitung   1
1 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift   1
2 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der
Stimme   8

I Dichtung und Theologie überkreuzt   15


1 sensus allegoricus   15
2 della futura gloria (Boccaccio)   20
3 Zerbrochene Rahmen (Auerbach)   29
4 officium poetae (Dante)   34

II Beatrices Gesang   41


1 auctoritas: Wer spricht?   46
1.1 confusione   50
1.2 the text’s true cantor   52
1.3 Befehlsmacht: fa che tu scrive   56
2 Dantes Signatur   62
2.1 parola disïata   65
2.2 Sprachordnungen: verhüllt / enthüllt   67
2.3 Wiederholungen: sua vita nova   70
2.4 Apostrophe und Signatur   80
3 Ruhm des Dichters   83
3.1 Zwei Körper   85
3.2 Krönungen   87
3.3 Verzicht   89

III Caterinas Stimme   95


1 autre scène: Wer spricht?   101
1.1 angelus terrestris   108
1.2 bocca virginea   113
2 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   118
2.1 Befragungen   118
2.2 Ekstase   124
2.3 Analphabetismus   127
3 Figuration der Stimme   133
3.1 Süße Worte   138
3.2 Gesichter: Veni, domine, ad sponsam tuam   140
3.3 figuram figurando   144
VIII   Inhaltsverzeichnis

IV Lauras Rede   149


1 Wessen Lorbeer?   152
1.1 in vita, in morte   155
1.2 L’aura   159
1.3 nennen/rufen (chiamar)   163
2 Stimme   168
2.1 angelica voce   169
2.2 Sirenen   178
3 Doppelter Ruhm   183
3.1 Gruß/Apostrophe   184
3.2 sua dolce favella   192
3.3 Mit ihren Worten   195
3.4 Spiegelungen: tua salute e mia   198

Literaturverzeichnis   205
1 Textausgaben   205
2 Forschung   207

Register   221
Danksagung   224
Einleitung

1 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift

Im Liebesdiskurs konstituiert sich die Sprechsituation des liebenden Subjekts


durch einen grundlegenden Mangel: Das Objekt der Liebe stellt sich als unerreich­
bar und somit die Liebe als unerfüllbar heraus. Die höfische Liebe hat diese Unver­
fügbarkeit mit der Figur der donna, Herrin, Minnedame durchgespielt und damit
diesen Liebesdiskurs ausdifferenziert. Dante Alighieris Vita nuova, die den fideli
d’amore verpflichtet ist, lenkt die Liebe auf das unerreichbare Objekt, das dabei
als Ort des Glücks des Liebenden benannt wird: „che nelle sue salute abitava la
mia beatitudine“ [daß in ihrem Gruße meine Seligkeit innewohnte].1 Das Modell
hierfür ist eine Dichtung, in der der Sprecher eine Dame adressiert, die ihm durch
ihre prinzipielle Unverfügbarkeit immer schon die Möglichkeit zur Erfüllung der
Liebe entzieht.2 Liebe im Mittelalter erzeugt somit nicht Erfüllung sondern Ent­
fremdung: einen Abstand von sich selbst und damit einen Platz für den anderen.
Diese Entfernung zum Liebesobjekt ist der Anlass für ein Sprechen, das selbstbe­
züglich bleibt, insofern es sein Objekt immer nur in dessen Absenz anreden kann.
Ob im Liebesdiskurs der höfischen Liebe oder in den Fragments d’un discours
amoureux von Roland Barthes wurde die Anrede in einem Text als grundsätz­liches
Paradox des Liebenden formuliert: als die Schrift einer Stimme in absentia.3
Allerdings tauchen im italienischen Trecento sowohl in poetischen als auch
mystischen Texten weibliche Figuren auf, die das Subjekt durch ihre „sanfte
Erscheinung“ und „süße Stimme“ – „Sí dolce in vista e sí soave in voce“4 – ent­

1 Dante Alighieri: Vita nova. Hrsg. von Guglielmo Gorni, in: Dante Alighieri: Opere. Hrsg.
von Marco Santagata, Bd. I: Rime, Vita nova, De vulgari eloquentia, Mailand: Mondadori 2015,
5,7. Die deutsche Übersetzung folgt: Dante Alighieri: Vita Nova / Das neue Leben, übersetzt
und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, Deutscher Taschenbuch Verlag: Mün­
chen 1988.
2 Vgl. C. W.: Die Liebe der trobadors. In: Handbuch Literatur und Emotionen. Hrsg. von Martin v.
Koppenfels, Cornelia Zumbusch, Berlin: De Gruyter 2016 (Handbücher zur kulturwissenschaft­
lichen Philologie 4), S. 261–274.
3 Vgl. Roland Barthes: Fragments d’un discours amoureux, Paris 1977, S. 131: „La voix de l’être
aimé, je ne la connais jamais que morte, remémorée, rappelée à l’intérieur de ma tête, bien au-
delà de l’oreille: voix ténue et cependant monumentale, puisqu’elle est de ces objets qui n’ont
d’existence qu’une fois disparus.“
4 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­
sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972 (284, 8). Im Folgenden zitiere ich nach dieser
Ausgabe.
2   Einleitung

zücken und verwandeln.5 Aus den Mündern dieser Figuren erklingt ein süßer
Gesang, der von der Stimme des Textes überlagert wird, aber die Paradoxalität
der Sprechsituation nicht aufhebt. Mit einem Gesang oder einer Rede, die nicht
mit dem Subjekt identisch ist, konstituiert den Liebesdiskurs eine zweite Stimme
im Text, die die Rückseite der erzählten Geschichte bildet: durch eine Stimme,
die durch ihre Süßigkeit mit der Stimme des Poeten konkurriert. Im Liebesdiskurs
des Trecento und seinen bedeutendsten Texten wird, ohne dabei eigens in ihrer
Funktion für die Sprache der Liebe reflektiert zu werden, eine Stimme inszeniert,
ein Gesang, eine Rede, die den Ort des Sprechens des Subjekts nicht nur spiegelt,
sondern zu diesem immer schon different ist: eine andere, heteronome Stimme,
die den Liebesdiskurs zurückwirft und reflektiert, aber in dieser Spiegelung
nicht das Gleiche wiederholt, sondern in der Wiederholung zu etwas anderem,
einem zweiten Liebesdiskurs wird.6 In der Schrift des Textes spiegelt die weib­
liche Stimme die Stimme des Sprechers auf einen leeren, unverfügbaren Platz,
der nicht nur seinen, sondern auch ihren Mangel markiert.7
Wie für jeden Diskurs ist auch für die Sprache der Liebe entscheidend, wer
spricht.8 Für die philosophische Rede hat Adriana Cavarero in Nonostante Platone
aufgedeckt, was der platonische Text ganz nebenbei an diskursiven Momenten
mitführt: „eine Art weibliches Sprechen, das der Text selbst zwar wiedergibt,
aber nicht versteht, als eine kleine, einfach nur registrierte Begebenheit, deren
Bedeutung nicht untersucht wird.“9 In der von Platon überlieferten Anekdote,
dass Thales in den Brunnen gefallen ist, interessiert sie nicht die Handlung des

5 Vgl. Tatiana Crivelli: „La donna che non si trova“. Guida ad un itinerario di ricerca. In: Sel­
vagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Dies., in
Zusammenarbeit mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007 (Symposia 3), S. 7–14.
6 Luce Irigaray hat die Möglichkeit der Umstülpung des Spiegelbildes, spécologie, mit dem Spre­
chen des Objekts verbunden und gefragt: „Mais si l’objet se mettait à parler?“ Vgl. Luce Iriga­
ray: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, S. 167.
7 Irigaray: Speculum de l’autre femme, S. 176. Vgl. Michel de Certeau: Art. Mystique. In: Ency­
clopaedia universalis. Hrsg. von Jacques Bersani, Bd. 12, Paris 1985, S. 873–878, S. 876.
8 Vgl. Émile Benveniste: Les relations de temps dans le verbe français. In: Ders.: Problèmes
de linguistique générale, Bd. 1, Paris 1966 (Bibliothèque des sciences humaines), S. 237–250,
S. 241  ff. Sowie Ders.: De la subjectivité dans le langage. In: Ders.: Problèmes de linguistique
générale, Bd. 1, Paris 1966 (Bibliothèque des sciences humaines), S. 258–266.
9 Adriana Cavarero: Platons Töchter. Frauengestalten der antiken Philosophie. Penelope, Die
thrakische Dienstmagd, Demeter, Diotima, Hamburg 1997, S. 80. [Nonostante Platone. Figure
femminili nella filosofia antica, Verona 2009 (Testi 4), S. 58: „Come una sorta di parola femmi­
nile che il testo stesso riporta ma non comprende, come una piccola cronaca semplicemente
registrata ma inindagata nel suo segno.“] Vgl. auch Adriana Cavarero: A più voci. Filosofia
dell’espressione vocale, Mailand 2010.
 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift   3

Philosophen, sondern die Dienstmagd, die den in den Brunnen gefallenen Thales
verspottet.10 Mit der spottenden Rede in den Blick gerückt wird die Aufzeichnung
der parola femminile, die für die histoire nicht weiter von Belang scheint: ein
winziger diskursiver Moment, der Gefahr läuft, überlesen zu werden, von dem
aus sich jedoch die Geschichte der Philosophie noch einmal anders, und zwar
als Geschichte aus dem Blickwinkel der Dienerin, die Thales auslacht, schrei­
ben lässt und die deshalb zu einem Dispositiv der Töchter, „Platons Töchter“11,
gehört.
Wie die im Beispiel der Thrakerin fokussierte parola femminile, die einen
impliziten Perspektivwechsel ermöglicht, lenkt die Stimme der Frauenfiguren
unseren Blick von der Hauptfigur, dem Sprecher, auf die weiblichen Protago­
nistinnen Beatrice, Laura, Caterina da Siena. Diesen Blickwechsel hat auch die
Forschung zur weiblichen Mystik vollzogen, indem sie auf Mystik als Ort des
„coming to voice“12 aufmerksam gemacht hat. Aus dieser Perspektive können die
kanonischen Texte neu befragt und die Genealogien zu Platons Töchtern heraus­
gearbeitet werden. Die vorliegende Studie wendet sich der dolce parola der weib­
lichen Figuren in der Divina Commedia von Dante Alighieri, der Legenda Maior
von Raimondo da Capua und dem Canzoniere von Francesco Petrarca zu und
verschiebt damit das Interesse von den Autoren und männlichen Protagonisten
auf die weiblichen Protagonistinnen und ihre Stimmen, die vom Text erwähnt
werden, aber zumindest für den auktorialen Diskurs nicht konstitutiv erschei­
nen. Denn die Sprechsituation lenkt stets auf diejenigen Wirkungen, die sich
im Subjekt ereignen,13 nicht aber auf die Stimme seines begehrten Gegenübers,
dabei konstituiert diese eine andere Szene: eine ‚Szene der Stimme‘14, die unter
anderem Namen als dem eigenen geschrieben wird.15
Wie die philosophische Vorläuferin Diotima, deren Stimme sich Sokra­
tes einerseits aneignet, die aber andererseits für die Philosophie Platons keine
grundlegende Rolle spielt,16 gehören die genannten Frauenfiguren zu einem

10 Cavarero bezieht sich auf Platon: Theaitetos, 174 a. Vgl. Cavarero: Platons Töchter, S. 55.
[­ Nonostante Platone, S. 40]
11 So der deutsche Titel von Nonostante Platone.
12 Amy M. Hollywood: Beauvoir, Irigaray, and the Mystical. In: Hypatia 9/4 (1994), S. 158–185,
S. 169.
13 Vgl. Paul Zumthor: Essai de poétique médiévale (1972). Avec une préface de Michel Zink et
un texte inédit de Paul Zumthor, Paris 2000, S. 229  ff.
14 Im Vergleich zur „Szene der Stimme“ die „Schreibszene“ bei Rodolphe Gasché: Scene of
Writing. A Deferred Outset. In: Glyph 1 (1977), S. 150–171.
15 Vgl. Barbara Hahn: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen,
Frankfurt a. M. 1991.
16 Vgl. Cavarero: Nonostante Platone, S. 97  ff. [Platons Töchter, S. 145  ff.]
4   Einleitung

kanonisch gewordenen Narrativ, dass die Autorität der Autoren über die Stimme
stellt, obwohl im Trecento die „parole fondatrice“17 als Dispositiv der heiligen und
profanen Texte gilt. Lenkt einerseits die Erzählstimme den Blick auf Dante und
betrachtet man mit diesem die sublime, von Licht umstrahlte Beatrice, so können
wir andererseits durch Beatrice umgekehrt den zitternden und ohnmächtigen
Dante hören. Durch ein Lesen gegen die immanente Rezeptionsvorgabe, „reading
against the grain“18, zeigt sich, dass sich die Figur und ihre Stimme gegenüber
der Erzählstimme immer auch verselbstständigen und als Stimme eigenen
Rechts bzw. eigener Autorität wahrgenommen werden kann. Zwar werden Bea­
trice, Laura und Caterina in den eingespielten Interpretationen als Figuren der
Vermittlung rezipiert. Beatrice dient als Führerfigur für das Jenseitsreich, die
Exemplarizität der Caterina da Siena als Orientierung und Nachahmung und die
Gestalt Lauras stellt Figuren der Selbstübersteigerung zur Verfügung. Aber als
Mittlerin für einen Heilsweg, der den Weg des Sprechers bahnt, sind die Figuren
noch nicht vollständig erfasst. Durch die Methode des impliziten Blickwechsels
werden die poetischen Figurationen und die Diskussion der Vita der Heiligen in
Hinblick auf die Unterscheidung von Gesang, Stimme und Rede, die den weib­
lichen Figuren zugeordnet wird, interpretiert.19 Diese Lektüre öffnet damit auf
eine doppelte Perspektive: die Texte haben einen Sprecher, der unseren Blick
lenkt und Stimmen, die uns ansprechen. Durch die Registrierung der verschie­
denen Stimmen erschließt sich eine Literatur, die erfüllt ist von Frauenfiguren,
die das Wort selbst dann ergreifen, wenn ihnen durch Geschichte und Diskurs
die Funktion zukommt, passives Objekt des Begehrens zu sein. Denn dass sie
eine Stimme haben, eine differente erzählte Stimme, bleibt als ein „chant encore
à venir“20 zu analysieren wie der Gesang der Sirene.

17 Vgl. Paul Zumthor: La lettre et la voix. De la ‚littérature‘ médiévale, Paris 1987, S. 83–106.
18 Simon Gilson: Historicism, Philology and the Text. An Interview with Teodolinda Barolini.
In: Italian Studies 63/1 (2008), S. 141–152, S. 141  f.
19 Der vom Verlag vorgeschlagene Titel dieser Studie restituiert zugunsten von Bibliographier­
barkeit die Autorität der Autoren gegenüber der vorgenommenen Bestimmung der Texte durch
die Stimme der Frauenfiguren.
20 Wenn Blanchot von einem „chant encore à venir“ spricht, dann betont er für den Gesang der
Sirenen, dass es nur so aussehen würde, als ob sie sängen. Man kann sich fragen, ob durch die
Konstatierung der Figur des Mangels die Sirenen zu nostalgischen Figuren werden. Vgl. Maurice
Blanchot: Le chant des sirènes. In: Ders.: Le livre à venir, Paris 1959, S. 9–18. Bei Franz Kafka
ist der Gesang suspendiert. Die Sirenen können zwar singen („Der Sang der Sirenen durchdrang
alles.“, S. 304), wenn jedoch Odysseus vorbeifährt, singen sie nicht („Und tatsächlich sangen,
als Odysseus kam, die gewaltigen Sängerinnen nicht.“, S. 305) Franz Kafka: Das Schweigen
der Sirenen. In: Ders.: Sämtliche Erzählungen. Hrsg. von Paul Raabe, Frankfurt a. M. 1994,
S. 304–305.
 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift   5

Die Studie dient der Identifizierung derjenigen Stellen in der Mikrostruk­


tur der Texte, an denen eine solche Umkehrung stattfindet. Erscheinen also
die Figuren „through the filter of male poet’s desire“21, d.  h. sind sie Produkte
des Autors oder führen sie ein Eigenleben? Mit der Frage danach, wer Herr über
die Rede ist, stellt sich gleichzeitig die Frage nach der Autorität, auctoritas, als
Beziehung zwischen der Figurenrede und demjenigen, der sie (be-)schreibt. Im
Mittelalter konstituiert sich auctoritas zum einen durch die kanonische Rückver­
sicherung auf die antiken Autoren durch das Zitat oder die göttliche Wahrheit.22
Sie entsteht zum anderen durch die Art und Weise des Schreibens (compilator,
scriptor oder auctor) und die Zuschreibung zu einem Text, die als Kategorie der
Autorschaft, der écriture und der fonction auteur verhandelt wurde.23 Was aber
geschieht, wenn wir die Commedia von der Stimme Beatrices aus lesen? Oder
wenn wir aus der Heiligenlegende Caterinas Rede heraushören, die aus dem Mund
ihres Beichtvaters spricht? Was ändert sich, wenn wir die Sonette und Kanzonen
des Canzoniere nicht mehr aus der Sichtweise des Sprechers lesen, sondern aus
Lauras? Eine solche veränderte Blickrichtung, Stimmlage, ist den Texten durch
eine bestimmte Redeweise eingeschrieben, als ein Ort des Sprechens, „[l]ieu où
‚elle parle‘“24, der nicht von der Erzählstimme gesteuert wird, sondern sich als
„parole efficace“25 in den Texten entfaltet.
Der Liebesdiskurs wird im 14. Jahrhundert durch ein metaphysisches Modell
abgesichert, durch eine Rede, die auf Gott oder das Diktat Amors zurückgeführt
wird.26 Die Texte beinhalten also schon von daher ein anderes Sprechen: Ein
Sprechen, das mimetisch Rede nachahmt und das damit riskiert, selbst jene mys-

21 Vgl. Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 102 (über Ron­
sard).
22 Vgl. Walter Veit: Art. Autorität. In: Historisches Wörterbuch. Hrsg. von Joachim Ritter,
Bd. 1, Darmstadt 1971, Sp. 724–727.
23 Vgl. Jan-Dirk Müller: Auctor – Actor – Author. Einige Anmerkungen zum Verständnis vom
Autor in lateinischen Schriften des frühen und hohen Mittelalters. In: Der Autor im Dialog. Bei­
träge zu Autorität und Autorschaft. Hrsg. von Felix Philipp Ingold/Werner Wunderlich,
St. Gallen 1996, S. 17–31. Vgl. Roland Barthes: La mort de l’auteur. In: Œuvres complètes. Bd. 2:
1966–1973. Hrsg. von Eric Marty, Paris 1994, S. 491–495. Auch Michel Foucault: Qu’est-ce
qu’un auteur? In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 1: 1954–1975, Hrsg. von Daniel Defert/
François Ewald, Paris 2001, S. 817–849, S. 820.
24 Luce Irigaray: La mystérique, In: dies.: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, S. 238–252,
S. 238.
25 Irène Rosier-Catach: La parole efficace. Signe, rituel, sacré, Paris 2004, S. 35  ff.
26 Vgl. Giorgio Agamben: Stanze. La parola e il fantasma nella cultura occidentale, Turin 2006,
Kap. Spiriti d’amore, S. 121–129.
6   Einleitung

térie zu werden, die es nachbildet.27 „Der Diktierer und Anordner“, schreibt der
russische Dichter Ossip Mandelstam über Dante, „ist weit wichtiger als der soge­
nannte Dichter“28. Fragt man, wer diktiert und wer schreibt, dann ist alles andere
als gesichert, wer der auctor ist. Denn die Sprecherinstanz ist nicht dieser Gott
selbst, wenn an die Stelle der göttlichen Stimme eine Frauenfigur platziert wird.
Als Medium der göttlichen Stimme besetzt sie durch ihre Rede den Ort einer prob­
lematischen Überkreuzung. In Mystik und Dichtung stehen weibliche Figuren an
der Schnittstelle von Immanenz und Transzendenz, von der aus sich die Unter­
scheidung zwischen profeta, poeta und auctor neu gewichten lässt.
Die solchermaßen inszenierte Stimme ist Bestandteil eines Traditions­
zusammenhangs der frühesten Dichtung. Joan DeJean hat anhand der Rezeption
der Dichterin Sappho gezeigt, dass seit Ovids Heroides die späteren Autoren die
Rolle der „secretaries of ladies“29 einnehmen, wenn sie die griechische Dichterin
Sappho zu Wort kommen lassen. Mit dem Brief Sapphos aus den Heroides
eignet sich die Rezeption die Stimme der Dichterin an, überdeckt aber die „sig­
nature in the feminine“30. DeJean hat damit nicht nur die Doppeldeutigkeit des
Autors gegenüber seiner weiblichen Figur markiert, sondern die problematische
Begründung des Sprechens herausgestellt. Den Brief kennzeichnet die Ambi­
guität einer Rede, in der Ovid Sappho ihre Autorschaft aussagen lässt, „poetria
Sappho“ [Dichterin Sappho]31. In welchem Namen aber sprechen die Texte mit
den Mündern ihrer Figuren? Hören wir Sapphos Rede oder die Stimme Ovids? Das
rewriting der Dichtung Sapphos stellt eine Art Urszene, „Ovid’s Ur-plot“32, dar,
die Fragen nach weiblicher Autorschaft hervorruft.33 Ovid inszeniert die Macht
des Poeten gegenüber seiner Figur, die jedoch, weil sie selbst Dichterin ist und
als solche auftritt, über die Möglichkeit eigener Rede und damit über eine eigene
autoritative Macht verfügt.

27 Irigaray: La mystérique, S. 239: „Tombant – dirait sans doute Platon – dans le piège de les
mimer, de prétendre jouir comme ‚elle‘. Jusqu’à ne plus s’y retrouver comme ‚sujet‘, et se laisser
mener là où il ne voulait surtout pas aller: à sa perte dans cette atypique, atopique, mystérie.“
28 Ossip Mandelstam: Gespräch über Dante. Gesammelte Essays 1925–1935, Frankfurt a. M.
2004, S. 167.
29 Vgl. Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 60  ff.
30 DeJean: Fictions of Sappho, S. 74.
31 Publius Ovidius Naso: Heroides. Briefe der Heroinen. Lateinisch / Deutsch. Übers. und
hrsg. von Detlef Hoffmann/Christoph Schliebitz/Hermann Stocker, Stuttgart 2000, XV:
Sappho an Phaon, 183.
32 DeJean: Fictions of Sappho, S. 97. Ein entscheidendes Beispiel ist Racines Phèdre, die DeJean
zufolge ein „Echo“ Sapphos darstellt.
33 DeJean: Fictions of Sappho, S. 74  ff.
 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift   7

Ovid hat Sappho nicht in passiver, weiblicher Liebe aufgehen lassen. Was
sie auszeichnet, ist ihr Gesang, die poetische Stimme. Das Gründungsmoment
umfasst damit nicht nur die histoire, sondern, als eine bestimmte Redeweise, den
discours. Selbst dann, wenn sie von nichts als von verlorener Liebe singt, macht
sie durch ihren Gesang die Liebe zu ihrem Gegenstand: „desertos cantat amores“
[Sappho singt von verlorener Liebe]34. Auch wenn also der Heroides-Brief zeigt,
dass Sappho vom Subjekt der Liebe zum Objekt des Begehrens wird, kann sie sich
durch Stimme und Rede über die Position der dargestellten Liebenden hinweg­
setzen. Sappho gewinnt ihre Bedeutung dadurch, als sprechende und singende
Figur des Textes den Liebesdiskurs begründet zu haben. Der canto Beatrices, die
dolce verità, die aus Caterinas Mund strömt und die dolce parola Lauras, in die
das Ich sich verstrickt, reihen ihre Sprecherinnen in die Genealogie von singen­
der Sappho, lachender Thrakerin oder weiser Diotima ein.35
Die Inszenierung der poetischen Stimme lässt sich exemplarisch an einer der
Szenen aus Dantes Vita nuova, der „scena del gabbo“, machen, in der sich die
Äußerungen der donne gentili gegenüber dem Sprecher verselbstständigen.36 Die
Behauptung ihrer Vollkommenheit bleibt an den Ort dieser Zuschreibung gebun­
den: an den Sprecher, von dem aus wir auf das Objekt seines Begehrens blicken.
Das Gelächter der Frauen, gabbo, hingegen ist der Ausdruck einer Art Wider-Rede
oder des Gegen-Blicks im Text. In der Szene des gabbo erfahren wir nicht nur
von den affektiven Zuständen des Sprechers, sondern auch von jenem heiteren
Amüse­ment der Frauen, die über den vor Liebe zitternden ‚Dante‘ lachen können:
„molte di queste donne […] gabbavano di me con questa gentilissima.“ [Vn. 7, 7;
viele dieser Frauen […] spotteten meiner im Gespräch mit jener Liebenswürdigs­
ten]. Der dargestellte Spott der Gruppe von Frauen, unter denen sich Beatrice
befindet, steht in der Tradition des gaber altokzitanischer Dichtung und gehört
für die fin’amors zum stilisierten Repertoire der Gesten der Herrin gegenüber dem
Sänger.37 Die Topik erlaubt die Inszenierung der Affekte des Sprechers, aber die
Trope lenkt auf das Objekt des Begehrens, das den Status von Subjekt und Objekt
umkehrt: Wir sehen mit den Frauen und mit Beatrice auf den Sprecher. Diese
Umkehrung der Perspektive lädt zu einer zweiten Lektüre unter anderen Vorzei­
chen ein, die einen nebensächlichen Äußerungsakt in den Blick nimmt, der nicht
mit der Sichtweise des Sprechers zusammenfällt. Das semiotische System der

34 Ovid: Heroides, XV, 155.


35 Zur Beziehung von Diotima und Sappho vgl. Renate Schlesier: Presocratic Sappho. Her Use
of Aphrodite for Arguments about Love and Immortality. In: Scientia Poetica 15 (2011), S. 1–28.
36 Michelangelo Picone: Modelli e struttura nella Vita nuova (L’episodo del ‚gabbo‘). In: Paci­
fic Coast Philology 13 (1978), S. 71–77, S. 74  f.
37 Vgl. Emil Lévy: Petit dictionnaire provençal-français, Heidelberg 1973, S. 199.
8   Einleitung

fin’amors konstituiert eine Gemeinschaft der Frauen, die durch ein Lachen eine
andere Rezeption des Textes ermöglichen.
Auch wenn dieser kurze Moment des Gelächters unbedeutsam erscheinen
könnte, ein viel zu kurzer Augenblick im Narrativ des liebenden Ich, stellt er
innerhalb der Struktur der Liebesdichtung eine Kehrtwendung dar, die durch
das gemeinschaftliche Gelächter der Frauen entsteht und eine weitere Ebene des
Liebesdiskurses ermöglicht. Die donne gentili erscheinen nicht nur als schöne
Damen, sondern werden zu Herrinnen eines Lachens, das auf ein in sich selbst
gefangenes Subjekt weist. Durch den Ebenenwechsel ermöglicht Dante eine
zweite Perspektive der Leser und der Leserinnen, die mit den Herrinnen den Blick
auf einen Sprecher teilen, der nicht Herr seiner selbst ist. Selbst wenn der Spre­
cher die Autorität über den zu schreibenden Text zurückgewinnt, ist die narrative
Umkehrbewegung irreversibel, durch die uns schon die voce femminile der Thra­
kerin in den Ton „befreiender Heiterkeit “38 versetzt hatte.

2 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“:


Figuration der Stimme

Die Dichtung des Trecento hat unseren Blick nicht nur auf die schönen Augen des
Liebesobjekts, sondern auch auf ihren Mund und damit auf die rhetorische Ver­
fasstheit dieser Figuren gelenkt. In der Figur des Mundes Beatrices –„operazioni
della sua bocca“ [Vn. 10, 31] – dem engelhaften Mund Lauras voller Perlen und
Rosen und süßen Worten – „[l]a bella bocca angelica, di perle / Piena e di rose
e di dolci parole“ [Rvf 200, 10–12; Den engelhaften Mund, in dem beisammen /
Mit Perl und Rosen süße Worte liegen [10–11]]39 – und dem Mund von Caterina da
Siena, die die von Gott erfahrenen Wunder ihren Schreibern in verzückter Ekstase
diktiert  – „con la sua bocca virginea“40  – ist die Sprechsituation figurativ aus­
gestaltet geworden. Die Frauenfiguren stehen in einem diskursiven Zusammen­
hang, der nicht nur die Erkenntnis betrifft, sondern auch das Hören, nicht nur die
Blicke und Erscheinungen, sondern auch die Stimme und das Sprechen. Mit dem

38 Cavarero: Platons Töchter, S. 89 [Nonostante Platone, S. 64: „un tono di liberatoria allegria“].
39 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­
sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe.
Die deutsche Übersetzung folgt: Francesco Petrarca: Das lyrische Werk. Canzoniere, Trium­
phe, Verstreute Gedichte. Aus dem Italienischen von Karl Förster u. Hans Grote. Hrsg. und mit
einem Nachwort versehen von Hans Grote. Düsseldorf und Zürich 2002.
40 Il processo Castellano. Santa Caterina da Siena nelle testimonianze al processo di canoniz­
zazione di Venezia. Hrsg. von Tito S. Centi/Angelo Belloni, Florenz 2009, S. 235 (Herv. C. W.).
 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der Stimme    9

Mund, der sowohl durch seine Attribute – engelhaft, jungfräulich, poetisch –, als
auch durch die Art und Weise der Artikulation – Rede, Gesang, Worte – insze­
niert wird, wird die Frage nach der Rede und d.  h. auch der Figuration von (weib­
licher) Rede aufgeworfen. Damit werden die Texte in doppelter Weise begrün­
det und ihre diskursiven Bedingungen durch die Dichotomie von Stimme (als
dem Mund und dem Ohr zugeordnet) und Schrift (als den Augen zugehörig)
befragbar.
In den untersuchten Texten befindet sich an zentraler Stelle die Figur des
Mundes, die der poetischen Selbstbegründung dient und der eine präzise Funk­
tion innerhalb der Poetik des jeweiligen Textes zukommt. Inwiefern also wird
ein Lesen als Hören auf den süßen Gesang, dolce canto der Herrinnen, den das
Trecento ins Spiel gebracht hat, als Ursprung der Rede inszeniert? Durch ein
Zusammenspiel von Stimme – Stimmen der Frauen von Beatrice bis Laura – und
Schrift entspinnt sich eine Geschichte der fifilles.41 So, wie die in der Vita nuova
dargestellte Liebe sich als „Weg vom Körper zur Schrift“42 erweist, so kann die­
selbe Liebe unter das Zeichen der Stimme gestellt werden, die mit der Stimme der
Liebe zugleich die Liebe zur Stimme und damit noch einmal – von dieser Liebe
aus – die Grenzen der Schrift befragt.43 Denn der Entzug des Körpers bringt als
Ersatzleistungen nicht nur einen anderen Körper, den corpus der Texte ins Spiel,
sondern substituiert auch die Leerstelle durch eine Stimme, durch einen Gesang
ohne realen Körper, der zur Schrift gehört, weil er sich durch Schrift und in der
Schrift vollzieht.
Das Trecento befindet sich mit dieser Inszenierung der Rede weder am Anfang
noch am Ende der Frage, wer spricht. Die bocca angelica steht in systematischem
Zusammenhang mit Sirenen, Nymphen oder Musen, die mit honigsüßer Stimme
ausgestattet sind und die nicht nur in ihrer zu überwältigenden Macht, sondern
auch ihrer poetologischen Funktion befragt werden können. Durch die Süße und
die Stimme verweisen engelhafter Mund und Sirenengesang aufeinander. Homers
Sirenengesang stiftet eine bedeutende Urszene, die über das Trecento bis in die
Canti Giacomo Leopardis nachklingt.44 Bei Homer hört Odysseus die betörenden
Stimmen der Sirenen, die mit der gleichen Qualität ausgestattet sind wie später

41 Vgl. HÉlÈne Cixous: Anankè, Paris 1979, S. 55.


42 Barbara Kuhn: Körperzeichen, Zeichenschrift, Schriftkörper. Die Liebe der Schrift in Dantes
Vita nuova. In: Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters. Hrsg. von Mireille Schnyder,
Berlin, New York 2008 (Trends in Medieval Philology 13), S. 165–189, S. 177 auch S. 182  ff.
43 Zum Begriff der „écriture“, Schreibakt, als Unterbrechung zwischen Stimme und Schrift vgl.
Roland Barthes: Le grain de la voix. Entretiens 1962–1980, Paris 1981, S. 13.
44 Vgl. Giacomo Leopardi: Canti. Hrsg. von Niccolò Gallo/Cesare Gàrboli, Turin 1972
(Nuova universale Einaudi 1). (z.  B. „Alla sua donna“).
10   Einleitung

der Gesang von Petrarcas Laura: „Eh er die honigtönende Stimme aus unseren
Mündern / Hörte“45. Von Musen und Sirenen geht eine Kraft aus, die zur Dich­
tung verführt. Die Begründung der Dichtung liegt in solch süßen Mündern, die
dem Text vorausgehen wie die Musen oder die als Instanzen des Textes textimma­
nent inszeniert werden wie die Sirenen. Auch bei Hesiod mischen sich die süßen
Worte von Sprecher und Muse. Denn der liebliche Gesang aus dem Mund der
Muse führt unmittelbar in die süße Rede des Ich, wenn es heißt: „Gesegnet ist,
wen die Musen lieben; süß strömt ihm die Rede vom Munde.“46 Wem kann diese
„süße Rede“ zugeschrieben werden, wenn der Mund, der spricht, nicht derjenige
ist, von dem die Worte kommen? Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wer
hier spricht: der Musenmund oder ein Ich, dem durch die Musen die süße Rede in
den Mund gelegt worden ist. Diese Ambiguität hat nicht aufgehört fortzuwirken,
und in poetischen und mystischen Texten auf die Art und Weise ihres Zustande­
kommens zu verweisen.
In der berühmten Grußszene hat Dante diesen Moment aufgenommen.
Zunächst nicht anders als in der vorausgegangenen Liebesdichtung schreitet
eine Dame an einem Herrn vorüber und inspiriert durch ihren Gruß zur Dichtung.
Dabei wird nicht nur die Wendung des Blickes, sondern auch das Sprechen her­
vorgehoben:

L’ora che lo suo dolcissimo salutare mi giunse, era fermamente nona di quel giorno. E però
che quella fu la prima volta che le sue parole si mossero per venire alli miei orecchi, presi
tanta dolcezza, che come inebriato mi partio dalle genti, e ricorso al solingo luogo d’una
mia camera, puosimi a pensare di questa cortesissima. (Vn. 1, 13, Herv. C. W.)

Die Stunde, zu der ihr süßer Gruß mich erreichte, war ganz genau die neunte jenes Tages;
und weil dies das erste Mal war, daß ihre Worte sich bewegten, um an mein Ohr zu dringen,
spürte ich solche Wonne, daß ich mich wie berauscht von der Menge entfernte, und ich
flüchtete in die Einsamkeit eines meiner Zimmer und gab mich den Gedanken an jene Höf­
lichste hin.

Der Gruß – auf den ersten Blick eine Angelegenheit der Augen und der Blicke –
lenkt auf „parole“ und „orecchi“. Offensichtlich erzählt Dante die Szene der
cortesia Beatrices und ihres virtuosen Grußes auf dieses Sprechen hin: auf den

45 Homer: Odyssee. Griechisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Roland Hampe, Stuttgart 1979,
XII, 187.
46 Hesiod: Theogonie. Griechisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Otto Schönberger, Stutt­
gart 1999, 65. Vgl. Eric A. Havelock: Als die Muse schreiben lernte. Eine Medientheorie. Mit
einem Nachwort von Bernhard Dotzler, Berlin 2007, S. 9  f.: Hier heißt es in der Übersetzung:
„Und ihnen strömt ohne Ermatten die Stimme / hervor aus dem Munde, süß“.
 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der Stimme    11

Mund als Metonymie der Rede und damit prinzipiell auf die Möglichkeit, dass
die Herrin selbst zu sprechen beginnt. In der Umformung ins Sonett hat Dante
noch im ersten Vers die Augen als Sitz der Liebe bestimmt. Aber erst durch Bea­
trices Rede, ihr parlar, wird der Liebesdiskurs ermöglicht: „Ogne dolcezza, ogne
pensero umile / nasce nel core a chi parlar la sente“ [Vn. 12, 3, 9–10; Jede Milde,
jedweder demütige Gedanke / keimt im Herzen dessen, der sie sprechen hört].
Wie Dante in seinen anschließenden Auslegungen zeigt, sind die Augen „princi­
pio d’amore“, aber der Mund ist Ort der „fine d’amore“ und als solcher Ausgangs­
punkt poetischer Rede:

Questa seconda parte si divide in due: che nell’una dico degli occhi, li quali sono principio
d’amore; nella seconda dico della bocca, la quale è fine d’amore. E acciò che quinci si lievi
ogni vizioso pensiero, ricordisi chi ci legge che di sopra è scritto che il saluto di questa
donna, lo quale era delle operazioni della sua bocca, fue fine delli miei desiderii mentre che
io lo potei ricevere. (Vn. 10, 31)

Dieser zweite Teil teilt sich in zwei: denn im einen spreche ich von den Augen, die der
Ursprung der Liebe sind, im zweiten spreche ich vom Mund, der das Ziel der Liebe ist. Und
auf daß sich hier jeder lasterhafte Gedanke hinweghebe, erinnere ich, wer immer dies liest,
an das, was oben geschrieben steht über den Gruß dieser Frau, der zu den Wirkungen ihres
Mundes gehörte und der das Ziel meiner Wünsche war, solange ich ihn empfangen konnte.

Die Auslegung dieses Sprechens legt eine zweifache Bedeutung der „atti della sua
bocca“ nahe: sie besteht sowohl in ihrem „mirabile riso“ als auch im „dolcissimo
parlare“ (Vn. 12, 8). Mit dieser Fokussierung auf die süße Rede des Liebesobjekts
redet die Vita nuova über sich selbst. Sie verweist auf ihr eigenes Sprechen, das
durch eine Stimme begründet und mit einer weiblichen Figur ein Gesicht bekom­
men hat. Beatrices süße Rede wird damit zum Moment einer „jouissance“47 als
einer Lust des Textes am eigenen Klang, von dem letztlich seine ganze Verfüh­
rungskraft ausgeht.
Die Texte des Trecento markieren einen entscheidenden Moment innerhalb
dieser Geschichte der Stimme, die mit dem Gesang der Sirenen begründet worden
war. Die auf das Überirdische bezogene Stimme der Herrin wiederholt, was schon
den Gesang der Sirenen ausgezeichnet hatte, wenn auch jetzt in symmetrischer
Umkehrung: durch ihre engelhafte, himmlische Stimme partizipiert sie wie die
Sirenen an den poetischen Figurationen des Abendlandes, ohne dabei eine
Machtposition einzunehmen. Die Geschichte einer solchen Stimme ist deswe­

47 Vgl. zur jouissance in der Sprache der Liebe der Troubadoure Julia Kristeva: Histoires
d’amour, Paris 1983, S. 349.
12   Einleitung

gen immer auch eine Geschichte des Mangels, aber nicht des Subjekts, sondern
eines Mangels der Stimme selbst. Die Stimme ist immer nur nichts als Stimme,48
die sich wiederum aus anderen, vorausgehenden Stimmen speist.49 Um in den
Texten wieder zu entdecken, was durch den Traditionszusammenhang aus ihnen
herausgestrichen wurde, zielt die vorgenommene Lektüre auf die weibliche
Stimme und damit auf einen zweiten Liebesdiskurs: Das Mittelalter kennt nicht
nur die ‚zwei Körper‘ des Königs50, sondern auch ‚zwei Stimmen‘ der Sprache der
Liebe. Am Schnittpunkt zwischen dem Irdischen und Göttlichen hat die weib­
liche Figurenrede die Reversibilität von göttlicher Stimme und irdischer Schrift
möglich gemacht, die der von den Texten behaupteten oder ihnen nachträglich
zugeschriebenen Autorität bzw. der Geste der Selbstermächtigung zugrunde liegt.

Das erste Kapitel (I) erarbeitet die problematische Verstellung dieses Ortes, der
als solcher – auch theoretisch – erst wieder zugänglich gemacht werden muss.
Der Schnittpunkt von Irdischem und Göttlichem wird poetologisch als Konflikt
zwischen allegoria poetarum und theologischem Allegoriebegriff ausgehandelt.
Er führt mit Giovanni Boccaccio zur problematischen Verdrängung der Differenz
von poesia und teologia, die am Ort des Sprechens und in der Differenz der Rede
stattfindet. Erich Auerbachs Dante-Kapitel in Mimesis gibt  – in gewisser Weise
auch gegen seine eigene Figuraldeutung der Beatrice in seinem Figura-Aufsatz –
Aufschluss über die Spannung zwischen den Allegoriebegriffen, die nicht in einer
Säkularisierungsgeschichte aufgehen. Wie Dantes Monarchia zeigt, konstituiert
der Konflikt zwischen den irdischen und den göttlichen Dingen eine poetische
Allegorie, allegoria poetarum.
Das zweite Kapitel (II) untersucht die allegoria poetarum der Divina Comme-
dia am Ort erzählter Rede, um auf diese Weise die oben genannte Spannung an
den narrativen Instanzen zu exemplifizieren. Es ist ein Gemeinplatz, dass Dante
in seinem Text als erzählte und erzählende Instanz auftritt. Dass diese Unter­
scheidung auch für Beatrice gilt, ist hingegen bislang übersehen worden. Die
Liebesgeschichte tritt durch die Perspektive Beatrices zu sich selbst in eine zei­
chenhafte Differenz, die aus einer veränderten Redehaltung resultiert: War Bea­
trice in der Vita nuova stummes Objekt der Liebe, so verfügt sie in der Commedia
über die Macht, die Geschichte zu wiederholen, die in dieser Wiederholung nicht

48 Vgl. Mladen Dolar: A Voice and nothing more, Cambridge, London 2006, S. 3  ff. Mladen
Dolar zitiert die Anekdote aus den Moralia von Plutarch, nach der die Nachtigall nichts zutage
befördert als eine Stimme.
49 Vgl. Julia Kristeva: Semiotike. Recherches pour une sémanalyse, Paris 1969, S. 82  ff.
50 Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology,
Princeton, New Jersey 1957.
 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der Stimme    13

mehr dieselbe – Dantes – Geschichte ist, sondern auch ihre Geschichte, in der sie
diejenige ist, die ihre Liebesgeschichte erzählt.
Das dritte Kapitel (III) rückt mit der Legenda Maior einen innerhalb der Lite­
raturwissenschaft marginalen, mystischen Text in den Kontext der großen Texte
ein. Damit wird Caterina da Siena auf eine Ebene mit Dante und Petrarca gestellt,51
zum anderen der Blick auf die diffizile Redestruktur der Heiligen­legende gelenkt.
Mit der geschriebenen und erzählten Stimme Caterinas beginnt eine Fiktionali­
sierung der Heiligen, die überhaupt erst zur Voraussetzung werden kann für das,
was André Jolles die Imitabilität des Heiligen genannt hat.52 Durch die Überla­
gerung der Stimmen von Beichtvater und Beichtkind wird die eigene Rede über­
formt und somit das Sprechen in anderem Namen ein die Heiligen­legende kons­
tituierendes Textmoment. Gerade mit der mystischen Rede zeichnet sich ab, wie
die Stimme der weiblichen Figur durch rhetorische, narrative und intertextuelle
Verfahren sprechend gemacht wird.
Das vierte Kapitel (IV) untersucht die Dichtung ausgehend von der Stimme
des Liebesobjekts. Entgegen der üblichen und der Vorgabe des Canzoniere von
Francesco Petrarca folgenden Fokussierung der lyrischen Subjektivität wird
gefragt, inwiefern die Vertauschung der Positionen von Subjekt und Objekt Ein­
sicht in die Funktionsweise der Dichtung verschafft. Tatsächlich sieht man auch
hier, dass die Stimme der Geliebten am Schnittpunkt von Immanenz und Tran­
szendenz situiert und damit zum Verhandlungsort einer Differenz wird, deren
Verschwinden die Voraussetzung für ein Sprechen ist, das sich selbst behaupten
kann.
Jedem der Einzeluntersuchungen dieser Studie ist ein großer Text zugrunde
gelegt worden, ohne dabei den Anspruch erheben zu wollen, diesen vollständig
zu interpretieren. Drei verschiedene Gattungen (Epos, Heiligenvita und Lyrik)
und unterschiedliche Diskursordnungen (literarisch, theologisch, politisch)
werden jeweils unter dem gleichen Aspekt verhandelt. Jedes Kapitel steht für
sich selbst und kann unabhängig gelesen werden. Gleichwohl ergibt sich erst
durch die Zusammenstellung die Geschichte, die damit geschrieben werden soll:
Eine Geschichte der Stimme, durch die die unerschütterliche Behauptung der

51 Zur Konstellation Petrarca, Dante und Caterina da Siena vgl. Robert Coogan: Babylon on
the Rhone. A Translation of Letters by Dante, Petrarch, and Catherine of Siena on the Avignon
­Papacy, Madrid 1983. Auch: Giorgio Petrocchi: Metodi di lettura degli scritti ascetici trecen­
teschi. In: Dante, Petrarch, Boccaccio. Studies in the Italian Trecento in Honor of Charles S.
Singleton. Hrsg. von Aldo S. Bernardo/Anthony L. Pellegrini, Binghamton, New York 1983,
S. 353–366.
52 André Jolles: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile,
Märchen, Witz (1930), Tübingen 2006, S. 36.
14   Einleitung

tre corone Dante Alighieri, Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio durch eine
selbstlose Stimme ‚anderer‘ tre corone befragt wird: Beatrice, Laura, Caterina. In
dieser anderen Sprachordnung tritt die Sprache der „muliercule“53, die Stimme
des Volkes, in der die Frauen kommunizieren, hervor: als nichtauktoriales,
mediales Sprechen, das den Texten zugrunde liegt und durch eine vermittelnde
Stimme auf ein Nicht-Eigenes hin öffnet.

53 Vgl. Dante Alighieri: Philosophische Werke. Bd. 1: Epistola XIII / Das Schrei­ben an Can­
grande della Scala. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. von Ruedi Imbach, übers. von Thomas Ricklin,
Hamburg 1993, 31: „quia locutio vulgaris in qua et muliercule comunicant.“ [Epist. XIII, 31; so ist
diese lose und derb, weil es die Redeweise des gemeinen Volkes ist, in der sich auch die Weiber
unterhalten.]
I Dichtung und Theologie überkreuzt

1 sensus allegoricus

Friedrich Ohlys Einführung einer Methode mittelalterlicher Philologie behauptet


den Übergang von der theologischen zur profanen Allegorie als Kontinuität. Sie
setzt damit stillschweigend voraus, dass der sensus allegoricus prinzipiell ästheti­
sierbar ist und trägt die Möglichkeit zu dieser Ästhetisierung in den sensus allego-
ricus ein. Die philologische Aufgabe besteht somit – und dies gilt im Besonderen
für die Mediävistik, im Allgemeinen jedoch für Philologie auch über das Mittel­
alter hinaus – in der Erweckung des Buchstabens zum Leben durch die Übertra­
gung einer patristischen Deutungsmethode auf Philologie. Die figurative Exegese
wird damit in den philologischen Rahmen eingesetzt und als Deutungsmethode
fruchtbar gemacht. Mittels des sensus anagogicus, der die Ausrichtung auf Gott
garantiert, wird nicht-theologische Interpretation autorisiert und damit dessen
Garantieleistung auf die profane Dichtung übertragen. Ausgegangen war Ohly
von Hegels Vorlesungen über die Kunst des Erhabenen, um dessen Bestimmung
des Kunstwerks als „im Weltlichen sich über alles Weltliche hinweghebende
Bedeutung Gottes“1 vom Hegel’schen Begriff des Erhabenen abzukoppeln, sie
für eine Ästhetik zu gewinnen und sie der „Bibel als dem geoffenbarten Wort“2
zuzuschreiben. Ohlys Anspruch bestand darin, die Exegese als das wichtigste
Interpretationsverfahren des Mittelalters nicht allein den Theologen zu überlas­
sen. Sie sei für andere Kontexte wie die Kunst oder die Naturwissenschaft, oder
auch die Philologie, fruchtbar zu machen.3 Wie in der politischen Theologie des
Mittelalters übernimmt hierbei die mittelalterliche, philologische Deutungs­
methode als eine Art ästhetische Theologie die Aufgabe, durch Philologie die
Exegese der Kirchenväter fortzusetzen und deren Methode auf profane Kontexte
zu übertragen. Diese Übertragungsleistung scheint der Befund zu bestätigen,
dass die allegorische Textinterpretation im Mittelalter und sogar schon seit der
Antike auch für außerbiblische und heidnische Texte verwendet worden ist.4 Sie
ist, könnte man sagen, Theologie in anderen Kontexten, die den Sinn der profa­
nen Literatur vom sensus spiritualis leiht.

1 Zitiert nach Friedrich Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: Ders.: Schrif­
ten zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 1–31, S. 1.
2 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 1.
3 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 18
4 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 25.
16   Dichtung und Theologie überkreuzt

Die Attraktion der Lehre vom sensus spiritualis des Bibelworts, die das Mittel­
alter beherrscht hat, liegt offensichtlich darin, dass im Unterschied zur profanen
Literatur jeder religiöse Text immer auch einen höheren, geistigen Sinn, einen
sensus spiritualis (insofern er aufgedeckt wird) oder sensus mysticus (insofern
er verborgen ist) impliziert.5 Die Anerkennung einer solchen, an Vielfältigkeit
und Spiritualität jeder herkömmlichen Deutungsmethode überlegenen Exegese,
entspricht der Sicht der Kirchenväter nicht nur des zweiten Jahrhunderts. Aus
Augustinus’ Perspektive verfügen die Heiden und Juden nur über den Literalsinn,
sensus literalis bzw. sensus historicus,6 wohingegen die christliche Exegese überall
zusätzlich den spirituellen Sinn einbringen kann. Die Unterscheidung zweier
Auslegungsschichten – eines historischen und eines typologischen Sinns – über­
bietet damit eine Textkritik, die sich ausschließlich dem historischen Sinn zuge­
wendet hatte. Die Exegese der Kirchenväter und des Mittelalters, die immer auch
diesen anderen, spirituellen Sinn im Blick hat, sieht ihre Aufgabe in der Enthül­
lung „des im Buchstaben verborgenen geistigen Sinns des Worts“7. Ohly hatte
dies an Bernhard von Clairvaux’ Formulierung vom „Zerreißen des Vorhangs des
tötenden Buchstabens“ herausgestellt.8 Gegen diese Idee der tödlichen Kraft des
Buchstabens wurde im Schema des vierfachen Schriftsinns die Bedeutung des
Textes als Haus imaginiert, dessen Fundament der Buchstabensinn darstellt.
Das einschlägige Musterbeispiel für den vierfachen Schriftsinn ist Jerusalem, das
historisch eine irdische Stadt, allegorisch die Kirche, tropologisch die Seele des
Gläubigen und anagogisch die himmlische Gottesstadt ist.9
Die literarische Rezeption des sensus spiritualis musste auf die Schematisie­
rung des vierfachen Schriftsinns abheben,10 um die Übertragung des theologi­
schen Lehrgebäudes auf die Literatur möglich zu machen, um also den „geisti­

5 Zum Zeichenbegriff vgl. Aurelius Augustinus: Die christliche Bildung (De doctrina Chris­
tiana). Übers., Anm. und Nachwort von Karla Pollmann, Stuttgart 2002, II, I, 1, 1  ff. Vgl. hierzu
Armand Strubel: „Allegoria in factis“ et „Allegoria in verbis“. In: Poétique 23 (1975), S. 342–357.
Walter Haug: Die Voraussetzungen: Antike Rhetorik und christliche Ästhetik. In: Ders.: Li­
teraturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts,
Darmstadt 1992, S. 7–24, S. 19  ff.
6 Vgl. Elisabeth A. Clark: Reading Renunciation. Asceticism and Scripture in Early Christia­
nity, Princeton, New Jersey 1999, S. 70  ff.
7 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 4.
8 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 4.
9 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 14  f.
10 Zur Differenzierung des theologischen Feldes, über das Ohlys „handlicher Schematismus“
hinwegtäuscht vgl. Anselm Haverkamp: Typik und Politik im Annolied. Zum Konflikt der In­
terpretationen im Mittelalter, Stuttgart 1979, Kap. Allegorie, Typologie und Heilsgeschichte. Der
Strukturwandel des hermeneutischen Rahmens in den Termini der Tradition, S. 27–45, S. 29.
 sensus allegoricus   17

gen Sinn der im Wort Sprache werdenden Welt […] nicht der Theologie allein zu
überlassen.“11 Der in den Dingen verborgene geistige Sinn führt zu einem litera­
rischen Allegoriebegriff, der letztlich eine theologische Metapher ist, wenn sein
ästhetischer Gebrauch durch theologische Begründungen garantiert wird. Noch
Hans Robert Jauß geht die Allegorie auf ein solchermaßen schematisiertes theolo­
gisches Fundament zurück, wenn er in der modernen Literatur die Profanierung
der geistlichen Allegorie behauptet.12 Die nicht genauer befragte Feststellung
von „Entsprechungen“, die Auffassung, dass die Tradition geistlicher Allego­
rie „mit einem neuen, weltlichen Sinn“13 erfüllt würde oder die Annahme einer
„ursprünglich christlichen […] Gattung“14 setzen die Einheitlichkeit einer theolo­
gischen Substanz als immer schon gegeben voraus, selbst dann noch, wenn sie
als überwunden zu gelten hat. Literatur erscheint hierbei als Ablösungsprozess
und Akt der Verweltlichung überhaupt erst dadurch, dass ihr etwas Vorgängiges
vorausgesetzt wird. Damit wird sie letztlich zu nichts anderem als zu einer Fort­
setzung von Theologie, insofern mit der Erneuerung durch den weltlichen Sinn
der „alte“ mit der Geste der Zurückweisung unhinterfragt bleibt. Der solcherma­
ßen von der Allegorie aus gebildete Literaturbegriff basiert auf der Einheit der
Struktur des hermeneutischen Rahmens als Voraussetzung einer blinden Über­
tragung in derselben Weise, in der von Carl Schmitt behauptet worden ist, dass
die Begriffe der modernen Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe seien.
Auf der Grundlage dieser Legitimität kann bei Jauß der Dichter das „Amt des Exe­
geten übernehmen, das bisher dem Kleriker vorbehalten war.“15
Diese Übertragung lässt die Verlebendigungsmöglichkeit einer an sich toten
Schrift zu, die im Erweckungsmotiv ausbuchstabiert wird: „Allegorisches Dichten
heißt, durch Erwecken des Buchstabens zum Geist in sinnhaltiger Form eine
neue Schönheit verwirklichen.“16 Die Legitimität einer solchen neuen Ästhetik

11 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 18.


12 Zur Profanierung der geistlichen Allegorie vgl. Hans Robert Jauss: Entstehung und Struktur­
wandel der allegorischen Dichtung. In: Grundriß der romanischen Literaturen des Mittel­alters.
Bd. 4, 1: La littérature didactique, allégorique et satirique. Hrsg. von Ders./Erich Köhler/Hans
Ulrich Gumbrecht, Heidelberg 1968, S. 146–244, S. 157.
13 Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, S. 161.
14 Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, S. 164. Anders verfährt
Jauß, wenn es um die Liebesallegorie geht. Hier bezeichnet er das Verhältnis von Literatur und
geistlicher Allegorie wiederholt als „Kontrafaktur“. Der Roman de la rose ist, insofern er auf Ent­
schlüsselung angelegt ist, eine „Kontrafaktur der geistlichen Allegorie und Schriftexegese.“ Vgl.
Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, Kap. 5: Die Minneallegorie
als esoterische Form einer neuen ars amandi, S. 224–244, insb. S. 227 u. S. 233.
15 Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, S. 157.
16 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 28.
18   Dichtung und Theologie überkreuzt

verankert Literatur in „typologische[r] Überlegenheit“, insofern sie letztlich „in


Gottes Heilswillen“17 begründet wird. Durch „Verwandlung“ nimmt Dichtung so
am Erlösungsversprechen teil.18 Mit dem auf diese Weise gewonnenen Literatur­
begriff wird der geistige Sinn, der gegen den Buchstabensinn den lebendigen,
heiligen Geist eingebracht hatte, blindlings mitgeführt. Die Folgen dieser Über­
tragung sind noch an der Behauptung einer Poetik der Erlösung abzulesen, wie
sie für Dante nahegelegt wurde. Von Anfang an ist die Beschäftigung mit der
typologischen Exegese mit der Dante-Rezeption verbunden, die für das Trecento
exemplarischen Charakter hat, wenn sie nicht durch die Wirkungsmächtigkeit
der Rezeption sogar paradigmatisch ist und von der bei der folgenden Kritik aus­
gegangen wird.19 Das sieht man an Friedrich Ohly genauso wie an Erich Auer­
bach, auf den später zu kommen sein wird. Die Übertragung des Auslegungssche­
mas von der Exegese auf die Literatur rechtfertigt Ohly durch Dantes Convivio
und dessen Brief an Cangrande della Scala, nach denen es so aussieht, als ob die
typologische Methode bruchlose Anwendung fand.20 Dass Dante jedoch gerade
mit der Parallelführung von literarischer und typologischer Auslegung im Con-
vivio darauf bedacht war, eine eigenständige Methode zu gewinnen, darüber

17 Friedrich Ohly: Typologische Figuren aus Natur und Mythos. In: Formen und Funktionen
der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hrsg. von Walter Haug, Stuttgart 1979 (Germanis­
tische-Symposien-Berichtsbände 3), S. 126–16, S. 126.
18 Vgl. Ohly: Typologische Figuren aus Natur und Mythos, S. 143.
19 Zur Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Literatur in der Commedia und sei­
ner Detheologisierung vgl. Teodolinda Barolini: The Undivine Comedy. Detheologizing Dante,
Princeton, New Jersey 1992, Kap. Detheologizing Dante, S. 3–20.
20 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 25. Es geht um die bekannte Stelle
im Brief an Cangrande della Scala, in der Dante die Auslegung für die Commedia vorgibt. Er
betont, dass sein Text nicht eine einfache Bedeutung habe (simplex sensus), sondern in einen
sensus literalis bzw. historicus und einen sensus allegoricus unterschieden werden müsse. (Vgl.
Dante Alighieri: Philosophische Werke. Bd. 1: Epistola XIII / Das Schrei­ben an Cangrande
della Scala. Lateinisch‒Deutsch. Hrsg. von Ruedi Imbach, übers. von Thomas Ricklin, Ham­
burg 1993, XIII, 20). Die offensichtliche Anpassung an die Typologie und die Auslegungsvorgabe
kann nicht bestritten werden, sie lässt jedoch noch nicht darauf schließen, ob sie in der Com-
media auch ausnahmslos vollzogen ist. Vgl. dazu auch Dante, Inf. IX, 62–63: „mirate la dottrina
che s᾽asconde / sotto ᾽l velame de li versi strani“. [achtet auf die / Lehre, die sich unter dem
Schleier der ungewöhnlichen Verse / verbirgt! [Inf. IX, 61–63]] Dante Alighieri: La Commedia.
Secondo l’antica vulgata. 4 Bde. Hrsg. von Giorgio Petrocchi, Florenz 2003 (Le opere di Dante
­Alighieri 7). (Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe.) Zum Konflikt von christlicher Alle­
gorese und Dichtung in Verschränkung mit der aristotelischen Poetik vgl. auch Reinhart Her­
zog: Exegese – Erbauung – Delectatio. Beiträge zu einer christlichen Poetik der Spätantike. In:
Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hrsg. von Walter Haug,
Stuttgart 1979 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 3), S. 52–69, S. 52  ff.
 sensus allegoricus   19

täuscht Ohlys Argumentation hinweg. Sie ist Bestandteil desselben hermeneuti­


schen Aktes, der in der rückwärtigen Einlesung eines Sinns in Dantes im ersten
Gesang eingeführter selva oscura als gefallene Welt besteht, „die ihr Wesen durch
die Sünde verspielt und damit ihren sensus historicus eingebüßt hat“21: Demnach
kann der sensus historicus, d.  h. der buchstäbliche Sinn, erst mit dem Paradies
in sinnhafte Geschichte verwandelt werden. Durch eine solche Restituierung des
Heilsgedankens wird die Commedia zu einer zweiten Erlösungsgeschichte, und
zwar indem sie die Lesbarkeit des Heilswerks als eine zweite Theologie zurück­
gewinnt.22 Auch diese Auslegung beruht wie schon bei Ohly oder Jauß auf der
Annahme der prinzipiellen Übertragungsmöglichkeit von Exegese auf poetische
Verfahren, durch die die „stummen Zeichen dieser Welt“23 als lebendige lesbar
gemacht werden können. Die Sinnhaftigkeit der göttlichen Welt, ihr anagogi­
scher Sinn, wird auf den profanen Text übertragen und garantiert – im Zusam­
menfallen von historischem und anagogischem Sinn – die Legitimität des über­
haupt erst neu zu konstituierenden literarischen Körpers (in der Volkssprache,
als geschichtlichen) durch die Transzendenz des Sinns als Erbe jenes sensus spiri-
tualis, der auctoritas als durch Gott gesichert ansah. In diesem Sinn wäre der forêt
de symboles der Moderne, der die selva oscura Dantes noch einmal aufruft, ein
Akt der Rückgängigmachung der hier behaupteten Sinnstiftung. Denn nicht nur
gibt es aus diesem Wald der Zeichen, wie ihn Charles Baudelaire in den Fleurs du
mal darstellt, kein Entrinnen, sondern es kann nicht einmal mit Sicherheit gesagt
werden, ob das behauptete Subjekt den Wald (der Zeichen) je verlassen hat.24
Dementsprechend müsste sich die Moderne als Bruch mit der Kontinuität der mit­
telalterlichen ästhetischen Theologie lesen lassen. Doch schon bei Dante stellt
sich die Frage, ob er nicht selbst der Übertragungsleistung, deren Rezeption er
Vorschub leistet, widerstanden hat (was wiederum Baudelaires forêt de symboles
in Kontinuität zu Dantes selva oscura bringt). Denn ist nicht die Verheißung des
Heilsgewinns, der mit der Commedia in Aussicht gestellt scheint, die semantische
Vorgabe, auf die hin der Text angelegt ist? Die starke Wirkung des Textes geht
aber mit Sicherheit nicht darin auf. Zwar richtet Dante die Commedia theologisch
aus, die Frage ist jedoch, ob sich der Einlösungsanspruch in dem literarischen

21 Andreas Kablitz: Poetik der Erlösung. Dantes Commedia als Verwandlung und Neubegrün­
dung mittelalterlicher Allegorese. In: Commentaries – Kommentare. Hrsg. von Glenn W. Most,
Göttingen: 1999 (Aporemata 4), S. 353–379, S. 363.
22 Vgl. Kablitz: Poetik der Erlösung, S. 365.
23 Kablitz: Poetik der Erlösung, S. 379.
24 Vgl. Paul de Man: Anthropomorphism and Trope in the Lyric. In: Ders.: The Rhetoric of
Romanticism, New York 1984, S. 239–262, S. 247  f.
20   Dichtung und Theologie überkreuzt

Text erfüllt hat und, darüber hinaus, ob ein literarischer Text einen solchen über­
haupt erfüllen kann.
Die Behauptung von Literatur als wiederholter Erlösungsgeschichte, die
durch die Annahme der Möglichkeit eines Substanzwandels des geistigen Sinns
abgesichert ist, setzt voraus, dass die theologischen Implikationen (der Exegese)
durch den Akt der Übertragung keinesfalls getilgt, sondern prinzipiell fortsetz­
bar sind.25 Interpretation bleibt in dieser Perspektive ein exegetisches Verfahren,
das von den Kirchenvätern übernommen werden kann und auf den nicht-theo­
logischen Gegenstand übertragbar ist. Eine solchermaßen gewonnene Deutung
impliziert damit letztlich die Annahme einer Kontinuität von Theologie und Lite­
ratur. Wenn also die Commedia als Erlösungsgeschichte behauptet wird, wäre sie
Theologie mit anderen Mitteln. Diese Behauptung der Möglichkeit einer Konti­
nuität von Theologie und Literatur, genauer von Poetik und Bibelexegese, liegt
auch Erich Auerbachs Übertragung des exegetischen Verfahrens der Typologie
auf Dante zugrunde. Bei Auerbach wird jedoch für die biblische Exegese in ihrer
Übertragungsfähigkeit eine Grenze markiert, für die er die Metapher des zerbro­
chenen eschatologischen Rahmens in seinem Dante-Kapitel von Mimesis einge­
führt hat. Bevor ich auf diese Metapher und die Behauptung des Bruchs näher
eingehen werde, soll jener Moment in den Blick genommen werden, der in histo­
rischer Perspektive zur Voraussetzung für diese bruchlosen Übertragungen in der
Dante-Rezeption geworden ist.

2 della futura gloria (Boccaccio)

Mit der Rezeption von Boccaccios Trattatello in laude di Dante, auf den man den
Beginn der Dante-Philologie datieren kann, ist nicht nur Dante zum National­
dichter geworden (durch die Einheit des Werks, die Vita des Autors, die Einheit

25 In eine andere Richtung geht Teuber, wenn er in der geistigen Literatur einen poetischen
Allegoriebegriff eingeschrieben findet, der diese als „Avatar einer theopoetischen Bewegung der
Dekonstruktion“ lesbar macht. Vgl. Bernhard Teuber: Sacrificium litterae. Allegorische Rede
und mystische Erfahrung in der Dichtung des heiligen Johannes vom Kreuz, München 2003, S. 57.
Die Paradoxie ist hierbei in der Theologie selbst schon angelegt, insofern in die Referenz Gott die
Paradoxien der Repräsentation eingeschrieben sind, die auch durch den Schriftsinn nicht aufge­
löst werden können. Sprechen erfolgt demnach aus der Position des Mangels heraus, wie Teuber
in der Dichtung des Johannes vom Kreuz zeigt. Sie erweist sich als ein „sacrificium litterae“ –
ein Opfer nicht nur des Buchstabens, sondern vielmehr eines Buchstabenopfers –, insofern der
somit sprachlich nicht fassbare geistige Sinn nur noch als Leerstelle auffindbar ist. Vgl. Teuber:
Sacrificium litterae, S. 55  ff. und 509  ff.
 della futura gloria (Boccaccio)   21

von l’homme et l’œuvre, die Nation), der fortan neben Homer, Vergil, Shakespeare
oder Goethe besteht,26 sondern zudem die Unterscheidung von Dichtung und
Theologie aufgehoben worden. Dies geht zurück auf das diskursive Dilemma,
vor dem Boccaccio stand, nämlich die sorgfältige Abgrenzung der Dichtung
(poesia) von der Theologie (teologia). Thomas von Aquin hatte mit seiner Abwer­
tung der Poetik die Probleme, denen sich das literarische Feld des Trecento aus­
gesetzt sah, maßgeblich geprägt. Ihm zufolge ist nur die Theologie in der Lage,
die Wahrheit zum Gegenstand zu haben: „haec doctrina videtur esse ordinata
ad veritatis manifestationem“ [Das Ziel der hl. Lehre ist die Offenbarmachung
der Wahrheit.]27 Gegenüber der Manifestation der Wahrheit ist alle Dichtung
notwendig defizitär. Da Bilder und Gleichnisse die göttlichen Dinge verbergen,
jedoch der Gebrauch von Bildern und Gleichnissen die Dichtung auszeichnet, ist
sie in einem System der Wissenschaften auf der niedrigsten Stufe angesiedelt.
Zwar kommt auch die Hl. Schrift nicht ohne metaphorische Rede aus, ja, die Ver­
hülltheit der Bilder ist nützlich, insofern sie die arcana Dei dem Ungläubigen
entzieht, aber sie unterscheidet sich von der Poetik durch ihren Zweck: „poetica
utitur metaphoris propter repraesentationem: repraesentatio enim naturaliter
homini delectabilis est. Sed sacra doctrina utitur metaphoris propter necessita-
tem et utilitatem, sicut jam dictum est.“ [Der Dichter bedient sich der bildlichen
Ausdrucksweise um der lebendigen Vorstellung willen, denn solche Anschau­
lichkeit ist dem Menschen von Natur aus eine Lust. Die Hl. Schrift aber bedient
sich der Bilder und Gleichnisse, weil es notwendig und nützlich ist.]28 Diese
Unterscheidung von Lust (delectabilis) auf der einen und Nutzen (utilitas) auf der
anderen Seite übersetzt die Augustin’sche Differenz von uti und frui im Gebrauch
der Zeichen in die Differenz der beiden Zeichensysteme:29 Während die Dichtung
dem Genuss zugeordnet wird, begründet sich der Sinn und Zweck der Hl. Schrift
durch seine Notwendigkeit.
Auf diese Unterscheidung in der Zeichenstruktur hat Dante wie erwähnt in
seinem Convivio Bezug genommen. Im Anschluss an Thomas unterscheidet er vier
Stufen der Auslegung, mit deren Bestimmung er sich von der Schematisierung

26 Vgl. Hugo Friedrich: Dante, Wiesbaden 1956 (Institut für europäische Geschichte Mainz 10),
S. 3.
27 Thomas von Aquin: STh I, I, q. 1, a. 9. Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Thomas von
Aquin: Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe
der Summa theologica. Bd. 1: Gottes Dasein und Wesen. Hrsg. von Heinrich M. Christmann,
übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, Graz, Wien, Köln
1934.
28 STh I, I, q. 1, a. 9.
29 Vgl. Augustinus: De doctrina Christiana, I, XXII, 20, 39  ff.
22   Dichtung und Theologie überkreuzt

des Schriftsinns zunächst nicht absetzt.30 Die erste Auslegungsschicht nennt er


buchstäblich (sposizione litterale), die zweite allegorisch (sposizione allegorica).
Die dritte Ebene der Auslegung ist der moralische Sinn (senso morale). Die vierte
Auslegungsschicht schließlich gründet im anagogischen Sinn (sovrasenso), durch
den die bezeichneten Dinge auf die ewige Herrlichkeit Gottes bezogen werden
können. Augustinisch ist hierbei, dass Dante den buchstäblichen Sinn zur Vor­
aussetzung jeder Interpretation macht: „E in dimostrar questo, sempre lo litterale
dee andare innanzi, sì come quello ne la cui sentenza li altri sono ­inchiusi, e
sanza lo quale sarebbe impossibile ed inrazionale intendere a li altri, e massi­
mamente a lo allegorico.“ [Conv. II, i, 8–9; Und beim Aufweisen dieses [Sinnes]
muß der buchstäbliche [Sinn] immer vorangehen als jener, in dessen Aussage die
anderen eingeschlossen sind, und ohne welchen es unmöglich und unvernünf­
tig wäre, die anderen, besonders die allegorischen, anzugehen.]31 Die Vorausset­
zung des buchstäblichen Sinns führt geradezu zu einem Imperativ der Literalität:
„Onde, con ciò sia cosa che la litterale sentenza sempre sia subietto e materia de
l’altre, massimamente de l’allegorica, impossibile è prima venire a la conoscenza
de l’altre che a la sua.“ [Conv. II, i, 11–12; Da die buchstäbliche Aussage immer
das Zugrundeliegende und die Materie der anderen, besonders der allegorischen
[Aussage] ist, ist es unmöglich, zuerst zur Kenntnis des anderen zu gelangen [und
erst danach] zu ihr.]
Gegenüber diesem nicht weiter von der doktrinalen Bestimmung der Aus­
legungsschichten abweichenden hermeneutischen Musters situiert Dante im
Schema des vierfachen Schriftsinns einen literarischen Sinn auf der Ebene der
Allegorie, den er bekanntermaßen als einen Sinn „nasconde sotto ’l manto di
queste favole“ [Conv. II, i, 3; versteckt sich unter dem Mantel dieser Erzählun­
gen] identifiziert hat. Ist sein Beispiel für die Funktionsweise der Allegorie im
Cangrande-Brief theologisch, so ist das Beispiel im Convivio hingegen nicht der
Hl. Schrift, sondern der profanen Literatur entnommen. Denn die Bedeutung
der literarischen Allegorie belegt er mit Ovids Metamorphosen. Offensichtlich
tritt hier ein Unterschied zutage, wenn der Abstand zwischen der Auslegung der
Theologen und Dichter eigens betont wird: „Veramente li teologi questo senso
prendono altrimenti che li poeti“ [Conv. II, i, 4; Tatsächlich fassen die Theolo­
gen diesen Sinn anders auf als die Dichter]. Dante zielt nicht auf Angleichung

30 Vgl. STh I, I, q. 1, a. 10.


31 Dante Alighieri: Il convivio. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Maria Simonelli, Bologna
1966. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung folgt: Dante Alighieri:
Das Gastmahl. Übersetzt und kommentiert von Thomas Ricklin. Italienisch / Deutsch, Hamburg
1996. (Anm. im Orig.)
 della futura gloria (Boccaccio)   23

der Auslegungen von teologi und poeti, sondern betont die Verschiedenheit der
hermeneutischen Verfahren. Damit wird plausibel, warum er am typologischen
Schema nicht gerüttelt hat. Auf dessen Infragestellung war es ihm nicht ange­
kommen. Vielmehr gilt sein Interesse dem „modo de li poeti“ [Conv. II, i, 4; Art
der Dichter] und damit nicht dem biblischen Text, sondern dem profanen, wie
an dem Beispiel der Metamorphosen deutlich wird. Anders also als die Rezep­
tion nahelegt, betont Dante den Unterschied zwischen der theologischen und der
philologischen Auslegung bzw. ihren Gegenständen. Ob damit die Möglichkeit
einer bruchlosen Übertragung des exegetischen Verfahrens in Frage gestellt wird,
bleibt allerdings offen.
Die Institutionalisierung Dantes, die mit Boccaccios Dante-Deutung einsetzt,
musste sich gerade an dieser Frage abarbeiten. Das hat zu einer entscheidenden
Umbesetzung geführt, die die Rezeption Dantes und damit nicht nur die For­
schung maßgeblich geprägt hat. Das Verhältnis von Dichtung und Theologie hatte
Boccaccio mit Dante im Trattatello in laude di Dante dahingehend neu bestimmt,
dass er Literatur nicht mehr über die Differenz von Dichtung und Schriftsinn
gelesen, sondern zum Quasi-Erben der Hl. Schrift gemacht hat. Die Autorisierung
der Dichtung erfolgt durch die Behauptung, dass es beide, Theologie und Dich­
tung, mit der gleichen verdeckten Rede, „sotto velame parlare“32, folglich also mit
Allegorien zu tun haben: „il quale parlare noi con più usato vocabolo chiamiamo
‚allegoria‘.“ [welche Redeweise wir mit dem gebräuchlichen Ausdruck Allego­
rie benennen].33 Die Tatsache, dass beide historische Wirklichkeit in Allegorien
übersetzen müssen, ist für Boccaccio Grund genug, ihre ‚Quasi‘-Gleichstellung zu
behaupten: „Dico che la teologia e la poesia quasi una cosa si possono dire, dove
uno medesimo sia il suggetto; anzi dico più: che la teologia niuna altra cosa è che
una poesia di Dio.“ [Ich sage, daß die Theologie und die Poesie beinahe ein näm­
liches genannt werden dürfen, da ein und dasselbe ihr Gegenstand ist. Überdies
sage ich sogar, daß die Theologie weiter nichts ist als eine Poesie Gottes.]34 Der
Preis für die rückwirkende Poetisierung der Theologie ist der Verlust der noch bei
Dante geltenden Differenzierung zwischen teologi und poeti, deren Unterschied
Boccaccio schlichtweg kassiert. Wie Ernst H. Kantorowicz für die politische Theo­
logie mit der Theorie der zwei Körper die theologischen Hypotheken in der profa­
nen Sphäre der Macht analysiert, so müsste also auch hier nach den verdeckten

32 Giovanni Boccaccio: Trattatello in laude di Dante. In: Ders.: Opere in versi, Corbaccio, Trat­
tatello in laude di Dante, Prose latine, Epistole. Hrsg. von Pier Giorgio Ricci, Mailand, Neapel
1965, S. 565–650, S. 616.
33 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 621. Die Übersetzung folgt: Giovanni Boccac­
cio: Das Leben Dantes, Leipzig 1965, S. 55.
34 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 621. [Das Leben Dantes, S. 55]
24   Dichtung und Theologie überkreuzt

Hypotheken erst noch gefragt werden. Denn Boccaccios Argumentation rückt


Dichtung und Theologie zueinander in eine solche Nähe, dass am Ende zwar ein
neuer Nationaldichter (autore) dabei herauskommt – möglich ist diese Errungen­
schaft aber nur durch eine Übertragung theologischer Autorität auf den Körper
des Dichters. Dichtung (poesia) ist für Boccaccio nicht nur theologisch, sondern
Theologie ist selbst nie etwas anderes als Dichtung gewesen. Boccaccio geht
offensichtlich von der prinzipiellen Umkehrbarkeit von Theologie in Dichtung
aus: „Dunque bene appare, non solamente la poesì essere teologia, ma ancora
la teologia essere poesia.“ [So zeigt es sich denn gut, nicht allein, daß die Poesie
Theologie ist, sondern auch die Theologie Poesie.]35 Die säkularisierende Geste
führt Boccaccio mit der rhetorischen Figur des Chiasmus ein, in der poesì(a) und
teologia überkreuzt werden:

poesì(a) – teologia
teologia – poesìa

Die rhetorische Figur wird hier jedoch zur Rechtfertigung einer neuen ontolo­
gischen Beziehung von Dichtung und Theologie, manifestiert Identität im Sein
(essere) und nicht Differenz in Sprache. Denn die Operation vollzieht sich auf
der Grundlage der Aufhebung des Körpers der Theologie, sodass beide Körper,
der der Dichtung und der der Theologie, gegeneinander ausgetauscht werden
können. Theologie und Dichtung fallen zusammen, Dichtung ist Theologie und
umgekehrt ist Theologie Dichtung. Dichter, so Boccaccio, seien überhaupt die
ersten Theologen gewesen. Das Geheimnis des Glaubens, das mysterium Christi,
wird hier nicht mehr nur für den theologischen Rahmen beansprucht, sondern
kann genauso auch poetischen Zwecken dienen. Die Operation, wie überhaupt
die Notwendigkeit dieses Austauschs, zeigt, dass Boccaccio es nicht mehr mit
den gleichen Selbstverständlichkeiten zu tun hatte wie Dante. Das behauptete
Zusammenfallen der Allegorie der Theologen mit der Allegorie der Dichter setzt
einen veränderten, jedoch offensichtlich zunehmend geläufigen usato voraus.
­Boccaccios Behauptungen gehen also nicht allein darin auf, die ersten Ausle­
gungen der Commedia zu sein, durch die B ­ occaccio zum Gründungsvater der ita­
lienischen Philologie avanciert. Sie heben auch die Differenz auf, die zwischen
den beiden Sphären, der theologischen und der poetischen, bestanden hatte. Im
Unterschied zu Dante, der im Convivio diese Differenz unterstrichen hatte, kas­
siert ­Boccaccio den göttlichen Ursprung zugunsten seines Literaturbegriffs ein.
Über die von Dante getroffene Unterscheidung geht Boccaccio stillschweigend

35 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 621. [Das Leben Dantes, S. 55]


 della futura gloria (Boccaccio)   25

hinweg, gerade wenn es um die Einsetzung Dantes als einheitsstiftende, auto­


ritäre Instanz – il nostro poeta – geht. Der Trattatello offenbart eine epistemolo­
gische Blindheit gegenüber der Differenz zwischen Theologie und Dichtung, die
daran erinnert, was Blumenberg über den historischen Schwellenwert am Bei­
spiel von Kusaner und Nolaner gesagt hatte.36
Als Philologe erster Stunde erweist sich Boccaccio darin, dass er die Com-
media einer Auslegung unterzieht, die Exemplarizität beansprucht. Wie in einer
Legende, in der die Narration vom Heiligen auf das Jenseits ausgerichtet ist, aber
durch Imitabilität als Muster dem irdischen Leser zur Verfügung gestellt wird,
so wird auch Dante zum Heiligen und zur poetischen Identifikationsfigur glei­
chermaßen gemacht. Sinn und Zweck ist dabei – und das macht seine oben dar­
gestellte chiastische Operation möglich – nicht die Bestätigung des jenseitigen
Lebens, sondern die Geburt des Dichters, der durch die Attribute des Heiligen
ebenso glanzvoll erstrahlt wie Christus und damit die Literatur in das Licht
einer profanen Gloria stellt. Um sich als einheitliche Volkssprache zu etablieren,
brauchte das volgare eine Volksdichtung. Boccaccio hat dies erkannt, als er Dante
einen gloriosen Körper angedichtet und ihn damit zum exemplum des Dichter­
ruhms gemacht hat.
Für die Plausibilisierung von Dantes futura gloria greift Boccaccio auf hagio­
graphische Erzählmuster zurück, die durch Heiligenlegenden geläufig waren.
Die in Aussicht gestellte Gloria erzählt er durch einen allegorisch verschlüsselten
Traum der Mutter, einem sogno presagio, in welchem Dantes Lorbeerkrönung vor­
ausgesehen wird. Durch den Traum der Mutter Dantes – über dessen Ursprung
wir aus dem Trattatello nichts erfahren (Geht der Traktat aus Aufzeichnungen
hervor? Aus Gesprächen? Ist er eine Erfindung Boccaccios?) – wird prophetisch
der Ruhm des zukünftigen Dichters vorausgesagt. Der Struktur nach eine Meta­
morphose (und keine conversio), mit der Boccaccio den Ovid’schen Mythos von
Apollon und Daphne und ihrer Verwandlung in den Lorbeer zitiert, beschreibt
der Traum die Verwandlung eines Hirten in einen Pfauen. Dass sich der Hirte von

36 Vgl. Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1999, Kap. Der Cusaner:
Die Welt als Selbstbeschränkung Gottes, S. 558  ff. Umgekehrt argumentiert Neumeister, aber mit
ähnlichem Resultat: „Boccaccio hat sich, so scheint es, um die Dichtung zu rechtfertigen, wieder
ganz in die Gewalt der Theologie begeben, also der zu seiner Zeit einflußreichsten Partei, die
auf Eindeutigkeit und Wahrheitsprüfung aus ist.“ (Sebastian Neumeister: Boccaccios Litera­
turbegriff („Genealogia deorum gentilium“ XIV). In: Saeculum tamquam aureum. Internationa­
les Symposion zur italienischen Renaissance des 14.-16. Jahrhunderts am 17./18. September 1996
in Mainz. Hrsg. von Ute Ecker/Clemens Zintzen, Hildesheim 1997, S. 233–234, S. 238.) Wenn
Boccaccio die Differenz zwischen den Sphären verwischt, kann allerdings nicht mehr eindeutig
unterschieden werden, welcher Seite er sich zurechnet.
26   Dichtung und Theologie überkreuzt

den Blättern des Lorbeerbaums nährt, stellt eine Verbindung zu Ovids Mythos
und der erzählten Dante-Legende her. Boccaccio zufolge allegorisiert der Pfau
das Werk Dantes, die Commedia, die er in zweifacher Hinsicht interpretiert.
Einmal buchstäblich, denn der „senso della […] Comedia“ sei vergleichbar mit
dem Fleisch des Tieres.37 Die durch die metaphorische Beziehung möglich gewor­
dene Auslegung erlaubt es Boccaccio, der Commedia seinen Wahrheitsbegriff
einzutragen. Dabei ist der Unterschied zwischen den Sinnebenen zugunsten der
Eindeutigkeit einer Wahrheit nivelliert, die sich offenbar nicht gegenüber der
theologischen Wahrheit behaupten muss: „perciò che esso, o morale o teologo
che tu il dèi a quale parte più del libro ti piace, è semplice e immutabile verità“ [ob
du ihn als moralisch oder theologisch nimmst, und wo es dir im Buche beliebt,
einfache und unabänderliche Wahrheit ist].38
Das Attribut der Unveränderlichkeit, das einst der göttlichen Wahrheit vor­
behalten war, wird mit dieser Behauptung dem auszulegenden Text – auch hier
wieder buchstäblich  – einverleibt. Gleichzeitig ermöglicht diese Inkorporation
die Vertiefung des Sinns der Commedia: „e con mirabile soavità de’ profondissimi
sensi sotto quella nascosi“ [doch mit dem wunderbaren Entzücken des tiefen
darin verborgenen Sinnes]39. Die Süße, die bei den Kirchenvätern nur die Süße
göttlicher Wahrheit sein konnte, ist hier ganz und gar an die Dichtung übergegan­
gen, ist durch den Akt der Auslegung der Commedia eingeschrieben worden. Der
zweiten Bedeutungsschicht nach, die Boccaccio ins Spiel bringt, wird das schöne
Gefieder des Pfauen zum Bild für die buchstäbliche Ebene des Textes, sensus lite-
ralis: „nella superficie della lettera della Comedia“ [die an der Oberfläche des
Wortlautes der Komödie klingt]40. Auch diese Ebene wird mit theologischen Attri­
buten versehen, ohne dass dies eigens betont würde. Ganz selbstverständlich
ist das Gefieder die penna angelica, die der Pfau von den himmlischen Engeln
geerbt zu haben scheint. Beide Zuschreibungen, die sich unter dem Deckmantel
der Metaphorik vollziehen, versehen den ‚Körper‘ der Dichtung mit einer neuen
Strahlkraft und statten ihn mit göttlichem Verheißungscharakter aus. Der lite­
rarische Text selbst wird damit zu etwas, das Erlösung und Erfüllung verspricht
und der Kompensation einer falschen Wirklichkeit oder der Unvollkommenheit
der Zeichen dient.
Boccaccio nimmt mit der Einschreibung der Verheißung zugleich eine
Ontologisierung der Dichtung vor, die die Differenz zwischen Spiritualität und

37 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 647. [Das Leben Dantes, S. 78] (Herv. im Orig.).
38 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 647. [Das Leben Dantes, S. 78]
39 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 646. [Das Leben Dantes, S. 77]
40 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 648. [Das Leben Dantes, S. 79]
 della futura gloria (Boccaccio)   27

Literalität nivelliert. Geschickt macht er sich hierfür das Muster der Heiligenle­
gende zunutze, um die Tätigkeit des Heiligen in die „erste Dichterbiographie der
Neuzeit“41 umzuschreiben. Der Effekt ist ein doppelter, der Dantes Leben in den
sensus spiritualis einliest und dessen Folgen auf das Heiligendispositiv abbil­
det.42 Die Aufhebung der Differenz zwischen Theologie und Literatur hat somit
auch strategische Gründe, wenn sie auf die Funktionalisierung des hagiogra­
phischen Diskurses zielt.43 Der Rückgriff auf das Konzept der Providenz  – und
demzufolge die Gleichsetzung von Dichtung und Heilsbotschaft – wird dement­
sprechend zur Legitimation des schöpferischen Dichtens.44 Die in Dante einge­
lesenen Zeichen „della futura gloria“ richten die Auslegung der Commedia nach
dem hagiographischen Muster aus und führen damit in actu vor, wie unmerklich
das Zusammenfallen von Theologie und Dichtung qua Umbesetzung der Gattung
schon vollzogen und durch den Kurzschluss die Ewigkeit des Gottesreichs auf
Dante übertragbar geworden ist. Die Behauptung der Macht des Dichters, die
poetische Gloria, gründet folglich in der Übertragung der ihr zugrunde liegen­
den Doppelstruktur von geistigem und buchstäblichem Sinn. Jeder zukünftige
Ruhm  – Boccaccio errichtet Dantes Gloria letztlich, um damit sich selbst und
seinem „eccellente maestro, messer Francesco Petrarca“45 den Dichterruhm zu
erschreiben  – wird fortan blindlings die ihn ­konstituierende Differenz überge­
hen, um den Dichter im Glanz dieser Welt erstrahlen zu lassen.
Dabei wird Dantes Commedia überhaupt erst unter das Vorzeichen einer
Sehnsucht nach ewigem Ruhm gestellt und die Bedingung für die Begründung
des Nationaldichters, den poeta laureatus, geschaffen. Das dieser Umbesetzung
zugrunde liegende Geschichtsbild ist die translatio, innerhalb derer dem Dichter
Dante und seinem Werk ein Platz eingeräumt wird. „[D]i Grecia il romano imperio
in Gallia traslatato“ [von Griechenland nach Gallien übertragen]46: hierin liegt

41 Anne Margret Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit? Boccaccio und Bruni als Bio­
graphen Dantes. In: Historische Anthropologie und Literatur. Romanistische Beiträge zu einem
neuen Paradigma der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Rudolf Behrens/Roland Galle, Würz­
burg 1995, S. 11–22, S. 12. Rusam macht am Beispiel des Traums der Mutter, der Dantes Ruhm
erträumt, diese Umbesetzung sichtbar. Denn Boccaccio erzählt nicht zufällig diesen Traum
zweimal. Einmal erzählt er ihn, um Dantes Leben unter das göttliche Zeichen der Providenz zu
stellen und in das hagiographische Schema einzurücken. Das zweite Mal erfolgt als Praxis der
Auslegung durch den Traumdeuter Boccaccio.
42 Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit?, S. 18.
43 Vgl. Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit?, S. 12  ff.
44 Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit?, S. 17.
45 Giovanni Boccaccio: Tutte le opere. Hrsg. von Vittore Branca. Bd. 6: Esposizioni sopra la
Comedia di Dante. Hrsg. von Giorgio Padoan, Mailand 1965 (I classici Mondadori), S. 36.
46 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 570. [Das Leben Dantes, S. 9]
28   Dichtung und Theologie überkreuzt

unverkennbar eine Anspielung auf die translatio imperii et studii, derzufolge von
Griechenland über Rom nach Paris Wissen und Macht übertragen werden. Mit
dem Bezug zu Solon und dem Rechtsgedanken will Boccaccio von Anfang an
darauf hinaus, Dantes Dichtung den Status des Bürgerrechts zu verleihen, und
zwar innerhalb der Übertragungsgeschichte, durch die die Römische Republik
von der Florentinischen beerbt werden soll.47 Florenz nimmt darin einen Platz
ein als Enkelin Trojas und Tochter Roms.48 Das Bürgerrecht (cittadinanza), die
patria und der Dichterruhm, futura gloria, sind nicht voneinander ablösbar, wenn
nicht nur die Theologie zur Dichtung, sondern auch die zwei Instanzen, poeti und
imperadori,49 in Bezug gesetzt werden. Damit zitiert Boccaccio dasjenige Paar,
das auch Dante für die Commedia im Blick hatte, als er die Macht doppelt aus­
gerichtet hatte: auf Kaiser und Dichter, o cesare o poeta (Par. I, 29). Das theo­
logisch-dichtungstheoretische Übertragungsschicksal ist damit auch in eine
juristisch-theologische Geschichte eingelassen. Manfred Schneider hat darauf
aufmerksam gemacht, dass Dante und Petrarca die Trias von Gott-Kaiser-Dichter
zum „Zwillingspaar“ Kaiser-Dichter verkürzt und auf die geläufige Doublette von
Herrscher und Dichter gebracht haben.50 Die göttliche Macht, die die irdische
Gloria legitimiert hatte, wird in die Doppelfigur übertragen, aber der Akt des
Übertragens ist nicht sichtbar.51 Stattdessen gibt Boccaccio mit dem Trattatello
das Schema vor, nach dem Dante gelesen werden soll: neuzeitlich und weltlich.
Dieser Lesart liegt eine unmerkliche Umbesetzung und Umwertung der noch
bei Dante selbst eindeutig getrennten Sphären zugrunde. Mit großem rhetori­
schem Geschick gelingt es Boccaccio unseren Blick so zu lenken, dass fortan die
bruchlose Übertragung von Theologie auf Literatur auch für jedes andere Werk,
und damit auch für sein eigenes, möglich wird. Die Nivellierung der Differenz
zwischen Poetik und Theologie, die Übertragung des theologischen Gehalts auf
den Körper des Dichters, vollzieht sich also ausgerechnet an Dante, der die Diffe­
renz von Schriftsinn und modo de li poeti betont hatte und macht damit den Weg

47 Es ist interessant, dass die „romanistische Geschichte“ zunächst eine Rechtsgeschichte ist.
Bei Boccaccio scheint diese Bedeutung noch auf. Vgl. Marie Theres Fögen: Römische Rechts­
geschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen 2002, S. 65  ff.
48 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 605.
49 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 623.
50 Manfred Schneider: Der König im Text. Autorität in Recht und Literatur. In: Zeitschrift für
Ideengeschichte 3/1 (2009), S. 48–63, S. 54.
51 Damit hat zu tun, was Agamben für die politische Theologie behauptet. Die Gloria gewinnt
ihr Potential mit der Überschneidung von theologischer und politischer Sphäre. Sie ist dasjeni­
ge Moment, das die politische und theologische Macht kreuzt und trennt, damit aber zugleich
konstituiert. Vgl. Giorgio Agamben: Homo sacer. Bd. 2, 2: Il regno e la gloria. Per una genealogia
teologica dell’economia e del governo, Vicenza 2007, Kap. Archeologia della gloria, S. 219  ff.
 Zerbrochene Rahmen (Auerbach)   29

frei für eine Rezeption, die die manifeste Differenz zugunsten des nach außen
gekehrten Ruhms des Dichters in die latenten poetologischen Zusammenhänge
verschoben hat. Der Traum der Mutter aus dem Trattatello, in dem diese Dante
mit Lorbeerkranz gekrönt gesehen hatte, ist in Erfüllung gegangen, insofern er
den Ort markiert, an dem der Dichter seinen Platz hat und die Struktur begrün­
det, durch die die fortuna di Dante möglich war. Der Preis hierfür ist jedoch der
Verlust eines Wissens, das Dante noch selbstverständlich war: dass die Gloria
ein theologisches Dispositiv ist, dessen Befragung den Aufwand eines großen
Werkes erfordert hatte.

3 Zerbrochene Rahmen (Auerbach)

Auerbach hat nicht nur das Fortwirken der Typologie in der Literatur behaup­
tet, sondern auch die Spannung sichtbar gemacht, in die die Literatur des Mit­
telalters durch die Übertragung des hermeneutischen Modells auf die Literatur
gebracht worden ist: Indem er die das Christentum kennzeichnende Paradoxie
von niedrigem Stil und hohem Gegenstand für die Literatur geltend macht, hat
er zur Bestimmung der nachplatonischen Mimesis das Verhältnis von Diesseits
und Jenseits in den Blick gerückt. Dante dient ihm als Beispiel, um durch Typo­
logie eine Figur zu abstrahieren, mittels derer das „irdische Geschick“52 sichtbar
gemacht werden kann. Das christliche Geschichtsmuster, durch das zwei zeitlich
auseinander liegende Ereignisse – Figur (figura, typus, schema, forma) und Erfül­
lung (implementum) – aufeinander bezogen werden können, bezweckt somit das
Herausstellen nicht des jenseitigen, sondern genau umgekehrt des irdischen
Menschen. Durch die figurale Deutung wird Auerbach zufolge der sensus literalis
bzw. historicus nicht aufgegeben.53 Die konsequente Verchristlichung der Lite­
ratur führt demnach gerade nicht dazu, von ihr die Darstellung des christlichen

52 Erich Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt (1929). Mit einem Nachwort von Kurt
Flasch, Berlin, New York 2001, S. 22.
53 Typologie am Beispiel von Beatrice zeigt Auerbach in seinem Figura-Aufsatz. Vgl. Erich
Auer­bach: Figura (1938). In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie. Hrsg.
von Fritz Schalk, Bern, München 1967, S. 55–92, 90  ff. Robert Hollander betont, dass Auerbachs
Interpretation eine neue Definition von Dantes Allegoriebegriff sei: nicht figurativ, sondern figu­
ral, nicht metaphorisch, sondern historisch. Robert Hollander: Dante and his Commentators.
In: The Cambridge Companion to Dante. Hrsg. von Rachel Jacoff, Cambridge 2000, S. 226–236,
S. 234. Vgl. auch: Martin Vialon: Die Stimme Dantes und ihre Resonanz. Zu einem bisher unbe­
kannten Vortrag Erich Auerbachs aus dem Jahr 1948. In: Erich Auerbach. Geschichte und Ak­tua­
li­tät eines europäischen Philologen. Hrsg. von Karlheinz Barck/Martin Treml, Berlin 2007,
S. 46–56.
30   Dichtung und Theologie überkreuzt

Menschen abzuleiten, sondern umgekehrt, diesem Modell seine radikale Dies­


seitigkeit, d.  h. ihr die irdische Wirklichkeit in „ihrer endgültigen und wahren
Gestalt“54 abzugewinnen.55 Nur so, mit der impliziten Aufnahme der christ­lichen
Paradoxie in die Literatur, kann die Geschichte gegenüber dem göttlichen Heils­
plan triumphieren, als eine Geburt des historischen Menschen aus dem gött­
lichen Urteil heraus.56 Aus diesem Grund kommt dem Dante-Kapitel innerhalb
von Mimesis eine Scharnierfunktion zu. Die Beobachtung Auerbachs, dass im
Realismus des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal in der Literaturgeschichte das
Alltägliche, Wirkliche nicht mehr komisch, sondern im Gegenteil ernst und tra­
gisch dargestellt werden kann, führt zur Markierung eines Bruches mit einer auch
bei Dante wirksamen Tradition, die das Alltägliche nur als Komisches darstellen
konnte. Unbestreitbar nimmt aber auch schon der bei Dante angesetzte Wirklich­
keitsbegriff Züge dieses tragischen Realismus an. Dabei ist das Tragische nicht
mehr die Tragik des antiken Menschen, sondern eines, das die passio Christi
erfahren hat und dennoch der Literatur nicht als Jenseitsfigur, sondern als ein
„Menschendrama im Diesseitigen“57 eingetragen wird.
Die Paradoxie der Grundthese von Mimesis besteht hierbei darin, gegen das
homerische Epos einen Begriff von Diesseitigkeit zu behaupten.58 Der Beweis der
Wirksamkeit der Typologie ist dementsprechend dieser Paradoxie ausgesetzt, die
darin sichtbar wird, dass sie gleichzeitig ihr Funktionieren behauptet und ihre
Grenzen sichtbar macht. Auerbachs bekannte These besteht darin, Dantes Com-
media als einen Text zu lesen, der auf die Erfüllung des göttlichen Heilsplans
hin angelegt ist. Jedoch – und das wird innerhalb der Dante-Philologie und auch
der Auerbach-Forschung weniger betont  – zeigt sich in seiner Übersteigerung
auch die Begrenzung des Verfahrens. Auerbach liest Dantes Commedia in den
„figuralen Rahmen“59 der Typologie ein, aber dieser Rahmen, der die Commedia
einfasst und konstituiert, ist „zerbrochen“. Das heißt nichts anderes, als dass in

54 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 211.


55 Gumbrecht hat den Begriff des Alltäglichen in Bezug auf Auerbachs Biographie gedeutet.
Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Pathos of the Earthly Progress. Erich Auerbach’s Everydays. In:
Literary History and the Challenge of Philologie. The Legacy of Erich Auerbach. Hrsg. von Seth
Lerer, Stanford, California 1996, S. 13–35.
56 Vgl. Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 213.
57 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 166.
58 Die Paradoxie deutet sich auch mit der Uneindeutigkeit der Funktion des ersten Kapitels von
Mimesis an. Vgl. Gerhard Hess: Auerbachs ‚Mimesis’. In: ders.: Gesellschaft, Literatur, Wissen­
schaft. Gesammelte Schriften 1938–1966. Hrsg. v. Hans Robert Jauß, Claus Müller-Daehn. Mün­
chen 1967, S. 182–209, S. 185  f.
59 Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur,
Basel, Tübingen (1946) 2001, S. 193.
 Zerbrochene Rahmen (Auerbach)   31

dem Moment, in dem Literatur typologisch gelesen wird, das Schema an seine
äußersten Grenzen kommt: „Dantes Werk verwirklichte das christlich-figurale
Wesen des Menschen und zerstörte es in der Verwirklichung selbst; der gewal­
tige Rahmen zerbrach durch die Übermacht der Bilder, die er umspannte.“60 Die
Übertragung des exegetischen Schemas auf die Literatur bedeutet folgerichtig
nicht die Bestätigung der göttlichen Ordnung, sondern geradezu umgekehrt ihre
Verdunklung: „Und in dieser unmittelbaren und bewundernden Teilnahme am
Menschen wendet sich die in der göttlichen Ordnung begründete Unzerstörbar­
keit des ganzen, geschichtlichen und individuellen Menschen gegen die gött­liche
Ordnung; sie macht sie sich dienstbar und verdunkelt sie; das Bild des Men­
schen tritt vor das Bild Gottes.“61 Anstatt in der perfekten Verwirklichung des
christlich-figuralen Realismus den Heilsplan zu bestätigen, wird die Ordnung,
die dem Verfahren zugrunde liegt und es voraussetzt, „verdunkelt“. Auerbach
spannt demnach Literatur nicht einfach in den theologischen Rahmen, sondern
benennt dort, wo sich der Rahmen spannt, die entstandenen Differenzen.
Als einen solchen Denker der Differenz hat ihn Ulrich Schulz-Buschhaus  – in
Abgrenzung zu Ernst Robert Curtius von Europäische Literatur und lateinisches
Mittelalter  – identifiziert: „Wie mir scheint, ist Auerbach in unserer Disziplin
der erste gewesen, der unterhalb der Ebene seiner lediglich perspektivierenden
poetologischen Normen eine Verfahrensweise der Textbeschreibung entwickelt
hat, welche allein auf Differenzen setzt.“62 Die Metapher vom „Zerbrechen des
Rahmens“ hat somit nicht nur eine inhaltliche Pointe, die in der Begründung
des modernen Realismus liegt.63 Sie erweist sich auch als eine die historischen
Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten dekonstruierende Methode, indem

60 Auerbach: Mimesis, S. 193.


61 Auerbach: Mimesis, S. 193 (Herv. im Orig.).
62 Ulrich Schulz-Buschhaus: Erich Auerbach. Die Frühe Neuzeit im Schatten Dantes. In: Kul­
turwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk im Blick auf das Europa der Frühen Neuzeit.
Hrsg. von Klaus Garber, München 2002, S. 89–108, S. 101. Vgl. auch Ulrich Schulz-Busch­
haus: Auerbachs Methode. In: Lingua et traditio. Geschichte der Sprachwissenschaft und der
neueren Philologien. Festschrift für Hans Helmut Christmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von
­Richard Baum u.  a., Tübingen 1994, S. 593–607, S. 601.
63 Vgl. Ulrich Schulz-Buschhaus: Curtius und Auerbach als Kanonbildner. In: Begründun­
gen und Funktionen des Kanons. Beiträge aus der Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft,
Philologie und Theologie. Hrsg. von Gerhard R. Kaiser/Stefan Matuschek, Heidelberg 2001,
S. 155–172, S. 168. Der Begriff kommt noch öfters in Mimesis vor, auch in Zusammenhang mit dem
Stilbegriff. Vgl.: „Indem Stendhal und Balzac beliebige Personen des alltäglichen Lebens in ihrer
Bedingtheit von den zeitgeschichtlichen Umständen zu Gegenständen ernster, problematischer,
ja sogar tragischer Darstellung machten, zerbrachen sie die klassische Regel von der Unterschei­
dung der Höhenlagen […]“ (Auerbach: Mimesis, S. 515).
32   Dichtung und Theologie überkreuzt

hiermit – wiederum im Unterschied zu Curtius, der auf der Kontinuität der Latini­
tät besteht – die Unterscheidungen nicht nur auf diachroner Achse, sondern auch
in der Synchronie betont werden. Interessant ist, dass die Auseinandersetzung
mit der Frage nach Typologie nicht zur Affirmation des hermeneutischen Verfah­
rens, sondern zu einer Methode geführt hat, die man in Anschluss an Schulz-
Buschhaus als „insgeheim widerspenstige“64 Methode bezeichnen könnte, deren
Interesse im Aufzeigen der Differenzen, nicht der Substanzen bestand.65
In der Tat ist das Differenzkriterium von Typologie als allegorischem Verfah­
ren seine konkrete historische Bindung, seine „Innergeschichtlichkeit“66, die das
Verfahren auch von der Dichtungsallegorese als abstrakter und moralischer Aus­
legung unterscheidet: „denn beide Pole einer typologischen Figur bewahren ihre
historisch reale Konkretheit; der typologische Sinn zerstört nicht den wörtlich
historischen Sinn des prophetischen Ereignisses, und auch die auf diese Weise
figurierte Erfüllung ist stets ein als wirklich geschehend erwartetes Ereignis, nicht
eine Abstraktion.“67 Anders als Ohly behauptet Auerbach nicht nur das Fortbe­
stehen der Typologie in der Literatur, sondern erkennt die Grenzen der Übertra­
gungsfähigkeit an. Im Moment ihrer Verwirklichung stellt sich die Methode gegen
sich selbst, sodass sie folglich schon bei Boccaccio nicht mehr aufgehen kann:
„Die figurale Einheit der irdischen Welt ist in dem Augenblick zerbrochen, wo sie,
bei Dante, volle Beherrschung der irdischen Wirklichkeit gewonnen hatte; die
Beherrschung der Wirklichkeit in ihrer sinnlichen Vielfalt blieb errungen, aber
die Ordnung, in die sie gefaßt war, ist nun verloren, und es trat zunächst nichts an
ihre Stelle.“68 In der Darstellung des Jenseits wird die figura des Irdischen nicht
nur überwunden oder überboten, sondern mit ihrer Erfüllung geht ihre Verselbst­
ständigung und d.  h. auch der Verlust der von ihr konstituierten Ordnung einher.
Die schematische Engführung der Typologie auf die Figur der Steigerung wird

64 Vgl. Schulz-Buschhaus: Auerbachs Methode. S. 393 und S. 595. Auerbach selbst hat die
Struktur seiner Methode als spezifisch deutsche Geistesgeschichte und Philologie verstanden.
Sein Standpunkt ist geradezu genealogisch, wenn er von der Gegenwart aus fragt, „und zwar von
dem Heute, welches durch seine, des Sehenden, persönliche Herkunft, Geschichte und Bildung
bestimmt ist.“ Vgl. Erich Auerbach: Epilegomena zu Mimesis. In: Romanische Forschungen 65
(1954), S. 1–18, S. 15 und S. 17.
65 Interessant wäre es, die Frage nach der in Mimesis wirksamen unbewussten Semantik der
Trennung und des Exils als Voraussetzung für den Realismus als Ergebnis von Säkularisierung,
wie sie Martin v. Koppenfels betont hat, auf diese Frage nach den Brüchen zu beziehen. Vgl.
Martin von Koppenfels: Auerbachs Ernst. In: Poetica 45/1–2 (2013), S. 183–201.
66 Auerbach: Figura, S. 77.
67 Erich Auerbach: Typologische Motive in der mittelalterlichen Literatur, Krefeld 1953 (Schrif­
ten und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln 2), S. 8  f.
68 Auerbach: Mimesis, S. 218. Vgl. auch S. 195  ff.
 Zerbrochene Rahmen (Auerbach)   33

hier dahingehend erweitert oder konsequent ausgeführt, dass das Moment der
Steigerung als übersteigendes und damit zwar nicht überwundenes, aber doch
zumindest in Frage gestelltes ausgewiesen wird; eine Tendenz, die auch für die
Patristik erschließbar wäre. Zumindest ließe sich hieraus eine Deutung für das
Alte Testament ableiten, das durch das Neue Testament nicht nur überboten und
in der Überbietung erfüllt, sondern auch an Autonomie gewinnen würde. Dieser
Gedanke soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, denn worauf es ankommt,
sind die Konsequenzen für die philologische Methode und ihren Gegenstand, die
sich aus Auerbachs Konzeption ableiten lassen. Insofern Auerbach die theolo­
gische Lehre nicht als ablösbar sieht von ihren Techniken der Darstellung, wird
nicht Literatur zu Theologie mit anderen Mitteln, sondern Theologie zum Ort von
„zeichentheoretischen Einsichten“69, die als „das Ausprägen von Redeordnun­
gen, von Ordnungen der Zeichen und Figuren“70 aufgefasst werden kann und auf
dieser semiotischen Ebene mit Literatur vergleichbar ist.
Die Formulierung von der „Zerstörung“ verweist bei Auerbach auf Thomas
von Aquin, der Typologie als das Zerstören des Vorausgehenden bestimmt:
„quando perfectior forma advenit, fit corruptio prioris“ (Herv. C. W.)71. Die zerstö­
rende Kraft der Typologie ist offensichtlich auch der Scholastik nicht unbekannt.
Jedoch deutet Auerbach sie um, wenn er nicht die corruptio des Vorausgehenden
feststellt, die durch die neue, nachfolgende Form vollzogen wird, sondern genau
umgekehrt das Zerbrechen der zukünftigen forma perfectior behauptet. Das typo­
logische Modell wird so gegen sich selbst gewendet. Das Denken des Hervortre­
tens des Menschen, seines individuellen Geschicks als „notwendig tragisch und
bedeutend“72, das das Christentum vertieft hat und auf dessen Behauptung es
Auerbach angekommen ist, war nur möglich, weil sich der figurale oder auch
„echatologische Rahmen“73 als zerbrochen erwiesen hatte. Das Mimesis-Buch
dient demzufolge der Wiedergewinnung eines historischen Raums und eines
immanenten Wirklichkeitsgehalts, wie ihn Auerbach im Dante-Buch verkündet
hat, mit der Behauptung, dass Dante den eschatologischen Rahmen zerstörte:
„Dieser historische Raum aber mußte erst wiedergefunden werden; und aus einer
spiritualistischen Kultur, die das Geschehende entweder überhaupt nicht oder
als gleichnishafte Vorbereitung des Endgeschicks betrachtete, konnte nur vom
Endgeschick her, als von dem Ziel und Sinn des Erden­geschehens, der histori­

69 Bettine Menke: Ratzinger-in-Displacement. In: Ratzinger-Funktion. Hrsg. von Thomas Mei­


necke u.  a., Frankfurt a. M. 2006, S. 56–92, S. 56–92, S. 57  f. Zu Typologie auch S. 59 und S. 75.
70 Menke: Ratzinger-in-Displacement, S. 57.
71 STh I, CXVIII, q. 2, a. 2, zitiert nach: Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 113.
72 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 216.
73 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 217.
34   Dichtung und Theologie überkreuzt

sche Raum des Menschen zu finden sein.“74 Behauptet Auerbach Typologie als
Signatur historischer Differenz gegen einen Allegoriebegriff, der die Lebendig­
keit des Geistes für die Wiedererweckung in der Schrift benutzt und damit die
Unterschiede zwischen sensus spiritualis und Allegoriebegriff verdeckt hat,
so gewinnt er dadurch gleichzeitig einen Literaturbegriff, der zwar am theolo­
gischen Dispositiv ausgerichtet ist, aber die Differenz zwischen Literatur und
Exegese nicht aufhebt. In Auerbachs Methode tritt mit Dante die in Boccaccios
Trattatello scheinbar überwundene Differenz zwischen Theologie und Literatur
erneut hervor. Damit kommt wieder ins Spiel, was bei Dante angelegt war und
durch die von ihm in der Monarchia ausgearbeitete politisch-theologische Frage
nach den zwei Regierungen artikuliert wurde: eine methodische Problematik
nämlich, die die Bestimmung des Verhältnisses von Irdischem und Göttlichem
herausgefordert hat.

4 officium poetae (Dante)

Dantes eigene Auseinandersetzung mit der Allegorie der Theologen, der Typo­
logie, findet in erster Linie in der Monarchia statt. Bevor in den folgenden Kapi­
teln dieser Studie der Schnittpunkt zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen
fokussiert wird, wie ihn die Texte selbst verarbeiten, soll die Monarchia auf dieses
Verhältnis hin befragt und damit die Problemlagen, auf die die verschiedenen
Rezeptionsstufen verweisen, diskutiert werden. Dante hat die politische Schrift
seinem poetischen Werk gleichgestellt, zumindest dann, wenn er das in der Com-
media Gesagte in der Monarchia wiederholt: „sicut in Paradiso Comedie iam dixi“
[wie ich im ‚Paradies‘ der Komödie bereits gesagt habe].75 Der Autor schreibt den
Traktat explizit zu eigenem Ruhm. Von Anfang an gibt Dante diesen als Schrift
aus, die ihrem Autor den Siegeskranz einbringen soll: „ut palmam tanti bravii
primus in meam gloriam adipiscar“ [Mon. I, i, 5; damit ich zu meinem Ruhm als
erster den Siegeskranz eines solchen Wettstreites erringe]. Das Versprechen der
Gloria rechtfertigt zum einen der Gegenstand: die zeitliche Monarchie (temporalis
Monarchia) soll hier in neuer Weise verhandelt werden. Zum anderen gründet
die in Aussicht gestellte Gloria in der angewandten Methode. Sie besteht darin,
eine verborgene Wahrheit zu enthüllen (ostendere veritates). Die Wahrheits­suche

74 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 217.


75 Dante Alighieri: Monarchia. Lateinisch / Deutsch. Einleitung, Übersetzung und Kommen­
tar von Ruedi Imbach/Christoph Flüeler, Stuttgart 1989, I, xii, 6. Im Folgenden zitiere ich
nach dieser Ausgabe mit den Angaben im Text.
 officium poetae (Dante)   35

richtet sich aber nicht auf das göttliche Geheimnis, sondern auf etwas, das Dante
„latent“ nennt: „maxime latens“ [Mon. I, i, 5; am meisten ­verborgen]. Die Methode
ist darauf hin angelegt, die bestehenden Ungereimtheiten des politischen Gefüges
aufzudecken. Dante selbst hat also den theologischen Rahmen nicht fraglos hin­
genommen, sondern das auslegende Verfahren einer gründ­lichen Kritik unterzo­
gen. Dies tut er vor allem im dritten Buch, wo er die politisch-theologische Frage
nach den zwei Regierungen aufgreift, die Augustinus im Gottesstaat verhandelt
hatte und die im Mittelalter mit dem Streit um die Begründung von Papsttum und
Weltherrschaft virulent geworden war. Es geht um die Widerlegung der Aussage,
dass die beiden Lichter, Sonne und Mond, Allegorien der beiden Regierungen
seien: „que allegorice dicta esse intelligebant ista duo regimina: scilicet spiritu­
ale et temporale.“ [Mon. III, iv, 2; Sie verstehen dies als allegorische Aussagen
über die beiden Regierungen, d.  h. die geistliche und die zeitliche.] Wie die zwei
Schwerter, die für die Geschichte der Zweiheit von Kaiser und Papst stehen, so alle­
gorisieren auch die beiden Lichter die beiden Regierungen. Gegenstand der Kritik
Dantes ist weniger der Inhalt selbst als die Verwendung der Allegorie: „dicunt
illa duo luminaria typice importare duo hec regimina“ [Mon. III, iv, 12; Herv. C.W;
sie behaupten, die beiden Lichter bedeuteten bildlich die beiden Regierungen].
Die politisch-theologische Frage impliziert demnach auch die Art und Weise,
wie gesprochen wird und somit die nach dem Allegoriebegriff: „allegorice dicta“
[Mon. III, iv, 2; als allegorische Aussagen].76 Dante kritisiert nicht nur die Sache
selbst, sondern die allegorische Deutungsabsicht, Typologie. Der theologische
Rahmen stellt sich als problematisch heraus, insofern er das Resultat einer
bestimmten Auslegungspraxis ist, die nicht dagegen geschützt ist, selbst Ausle­
gungsirrtümer zu produzieren. Die von Dante aufgezeigten Fehldeutungen und
Missverständnisse sind vielfältig, vor allem aber bestehen sie darin, entweder

76 Vgl. Anselm Haverkamp: Stranger than Paradise. Dantes irdisches Paradies als A ­ ntidote
poli­tischer Theologie. In: Ders.: Diesseits der Oder. Frankfurter Vorlesungen, Berlin 2008,
S. 42–52. Haverkamps These ist Dantes Widerlegung des päpstlichen Autoritätsanspruchs als
Widerlegung der ihr zugrunde liegenden Typologie. Vgl. auch Ders.: Leo in nubibus. Dantes Al­
legorie der Dichter, Widerlegung politischer Theologie. In: Ders.: Diesseits der Oder. Frankfur­
ter Vorlesungen, Berlin 2008, S. 37–41. Zur Selbstständigkeit der politischen Ordnung vgl. auch
Ruedi Imbach/Christoph Flüeler: Einleitung zu: Dante Alighieri: Monarchia. Lateinisch /
Deutsch. Einleitung, Übersetzung und Kommentar von Ruedi Imbach/Christoph Flüeler,
Stuttgart 1989, S. 11–57, S. 57. Zum Gebrauch der Termini für Allegorie vgl. Auerbach: Figura,
S. 74: „Figura ist nicht das einzige Wort, welches im Lateinischen für Realprophetie gebraucht
wird; sehr oft findet man die aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücke allegoria und
besonders typus“. Weitere lateinische Worte nach Auerbach sind ambages, effigies, exemplum,
imago, similitudo, species und umbra.
36   Dichtung und Theologie überkreuzt

dort einen verborgenen Sinn zu suchen, wo es ihn gar nicht gibt, oder aber den
sensus mysticus, der auf dem Spiel steht, nicht richtig zu deuten.
Erklärtes Ziel dieser Deutungskritik ist die Widerlegung der mittelalterlichen
politischen Theologie – „auctoritas Ecclesie non sit causa imperialis auctoritatis“
[Mon. III, xii, 3; die Autorität der Kirche [sei] nicht die Ursache der kaiserlichen
Autorität]  –, derzufolge die weltliche Macht durch die päpstliche Macht legiti­
miert und autorisiert wird, wie es die päpstliche Bulle Unam sanctam fordert:
„Porro subesse Romano Pontifici omni humanae creaturae declaramus, dicimus,
diffinimus et pronunciamus omnino esse de necessitate salutis.“ [So erklären,
sagen, definieren wir, daß jedes menschliche Geschöpf dem römischen Papst
unterworfen sein muß und verkünden, dies sei ganz und gar heilsnotwendig.]77
Dante lehnt die Unterordnung des Imperiums unter die Kirche deswegen ab, weil
sie auf einem Allegoriegebrauch gründet, den er in Frage stellt.78 Durch die Tren­
nung in irdische und göttliche Macht versetzt er das Irdische in sein eigenes Recht.
Das hat zumindest Ernst Kantorowicz betont, und er unterscheidet sich darin von
Auerbach nicht einmal sehr: „the secular sphere exists in its own right“79. Für
Kantorowicz stimmen Monarchia und Divina Commedia darin überein, dass sie
das Irdische hervortreten lassen und folglich auch darin, dass sie zwischen irdi­
scher und göttlicher Autorität trennen.80 Emphatisch stellen sowohl Kantorowicz
als auch Auerbach  – je für politische Theologie und Typologie  – die Differenz
zwischen der irdischen und der göttlichen Sphäre heraus, wie sie Dante vor allem
im dritten Buch seiner Monarchia betont.
Wie im Gottesstaat von Augustinus civitas Dei und civitas terrena unterschie­
den werden, so stehen sich auch in der Monarchia zwei Herrschaftsformen, die
zeitliche (temporalis) und geistige Macht (spiritualis), gegenüber. Und wie das
dem Gottesstaat zugrunde gelegte Geschichtsbild die Typologie ist81, so ist auch

77 Papst Bonifaz VIII.: Die Bulle Unam sanctam (18. November 1302), zitiert nach: Dante: Mo­
narchia, S. 347–355, S. 354, Übersetzung S. 355.
78 Vgl. hierzu die Deutung des „Greifen“ in Purg. XXXI von Florian Mehltretter als Symbol ge­
wordenes „Adynaton, das die Haltlosigkeit des päpstlichen Anspruchs auf die zweifache Auto­
rität der ‚due nature‘ in rätselhafter Form verkörpert.“ Florian Mehltretter: Gott als Dichter
der irdischen Welt. Beatrice und die Allegorie in Dantes Purgatorio XXX–XXXIII. In: Deutsches
Dante-Jahrbuch 79/80 (2005), S. 103–160, S. 129.
79 Ernst H. Kantorowicz: Dante’s „Two Suns“. In: Ders.: Selected Studies, Locust Valley, New
York 1965, S. 325–338, S. 328.
80 Vgl. Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theolo­
gy, Princeton, New Jersey 1957, S. 465, vgl. insb. S. 464  ff.
81 Vgl. De civ. XV, 2 (Herv. C. W.): „Pars enim quaedam terrenae civitatis imago caelestis civitatis
effecta est, non se significando, sed alteram, et ideo serviens. Non enim propter se ipsam, sed
propter aliam significandam est instituta, et praecedente alia significatione et ipsa praefigurans
 officium poetae (Dante)   37

Dantes Geschichtsdenken zeitgemäß typologisch, wenn er „den Römer“ mit


Paulus auf eine Stufe stellt. Paulus und der römische Mensch, homo romanus und
Apostolus, stehen nebeneinander, nicht weil sie von Dante in einen kausalen,
sondern weil sie in einen typologischen Zusammenhang gebracht werden:

Quis igitur adeo mentis obtuse nunc est, qui non videat sub iure duelli gloriosum populum
coronam orbis totius esse lucratum? Vere dicere potuit homo romanus quod quidem Apos­
tolus ad Timotheum ‚Reposita est michi corona iustitie‘; ‚reposita’, scilicet in Dei providen­
tia ecterna. (Mon. II, ix, 19)

Wer ist so stumpfsinnig, um nicht einzusehen, daß das glorreiche Volk die Krone des
ganzen Erdkreises durch das Recht des Duells erworben hat? In Wahrheit kann der Römer
sagen, was der Apostel im Timotheusbrief schreibt: ‚Für mich ist die Krone der Gerechtigkeit
bestimmt‘; bestimmt nämlich in der ewigen Vorsehung Gottes.

Typologisch verweist die irdische Krone des Imperiums, „Imperii corona“


(Mon. II, ix, 4), auf die überirdische Krone der Gerechtigkeit. Die Metapher des
Duells richtet hierbei das typologische Modell auf das Moment der Überbietung
aus. Das Zeichen des Sieges, die „palma“ (Mon. II, ix, 15), ist ein Doppelzeichen,
das gleichzeitig auf das irdische Schicksal (fortuna) und auf die göttliche Vor­
sehung (divina providentia) verweist, aber „besser und richtiger“ ist die gött­
liche Vorsehung: „Hic Pirrus ‚Heram‘ vocabat fortunam, quam causam melius et
rectius nos ‚divinam providentiam‘ appellamus.“ [Mon. II, ix, 8; An dieser Stelle
nennt Pyrrhus das Schicksal Hera. Wir nennen diese Ursache besser und rich­
tiger göttliche Vorsehung.] Dieser Behauptung geht die Annahme voraus, dass
Imperium und Gottesreich jedes für sich eine eigene Rechtsgrundlage haben. Die
Legitimität der Monarchie resultiert aus der Anerkennung ihres Rechtsstatus’:
­„Desinant igitur Imperium exprobrare romanum qui se filios Ecclesie fingunt,
cum videant sponsum Cristum illud sic in utroque termino sue militie compro­

praefigurata est. […] Invenimus ergo in terrena civitate duas formas, unam suam praesentiam
demonstrantem, alteram caelesti civitati significandae sua praesentia servientem. Parit autem
cives terrenae civitatis peccato vitiata natura, caelestis vero civitatis cives parit a peccato natu­
ram liberans gratia“. [Ein gewisser Teil des irdischen Staates ist nämlich zum Bild des himm­
lischen Staates geworden, indem er nicht auf sich hinwies, sondern auf den andern und daher
diente. Um dieses Hinweises willen, nicht um seinetwillen, wurde er nämlich eingesetzt und
war selbst auch durch einen andern, vorausgehenden vorgebildet worden. […] Wir finden also
im irdischen Staat zwei Formen: die eine stellt ihn in der Tat dar, die andre dient als Vorbild des
himmlischen Staates. Die Bürger für den irdischen Staat gebiert die durch die Sünde verdorbe­
ne Natur; die Bürger für den himmlischen Staat gebiert die die Natur von der Sünde erlösende
Gnade]. Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. De civitate
Dei. 2 Bde. Übers. und hrsg. von Carl Johann Perl, Paderborn, München u.  a. 1979 [Herv. C. W.].
38   Dichtung und Theologie überkreuzt

basse. Et iam sufficienter manifestum esse arbitror, romanum populum sibi de


iure orbis Imperium ascivisse.“ [Mon. II, xi, 7; Es mögen jene, die sich einbilden,
Söhne der Kirche zu sein, aufhören, das römische Imperium zu beschimpfen;
sehen sie denn nicht, daß Christus, der Bräutigam, diese am Anfang und am
Ende seiner Mühsal anerkannt hat? Es ist jetzt hinreichend offenkundig, wie ich
glaube, daß das römische Volk das Imperium des Erdkreises von Rechts wegen
in Anspruch genommen hat.] Die Legitimität durch Typologie steht jedoch selbst
auf dem Prüfstand, wenn es im dritten Buch um die Frage der auctoritas Monar-
che romani geht.
Das dritte Buch ist als Wettstreit angelegt und greift damit die schon in den
vorausgehenden Büchern benutzte Metaphorik des rhetorischen Agons und die
angewendete Praxis des Rechtsstreits (litigium) auf. Wie Salomon den Wald der
Sprüche betritt der Sprecher die Bühne der Argumentation: „familiaria ­destruenda
pro veritate“ [Mon. III, i, 3; im Namen der Wahrheit das Vertraute zu zerstören].
Dass rhetorischer und christlicher Wettstreit um die corona iustitia Redehaltun­
gen, schemata, sind, wird durch die gewählte Formel deutlich: „Ego autem dico“.
Wie Jesus in der Bergpredigt spricht, so auch der Sprecher der Monarchia, der
durch diese Formel die Widerlegungen rechtfertigt. Erst im dritten Buch wird die
Differenz zwischen Papsttum und Kaisertum, zwischen corpus morale et politi-
cum und corpus mysticum der Kirche, zutage gefördert als „Eigengesetzlichkeit
der politischen Ordnung“82. Dabei verfolgt die Verhandlung von theologischer
Autorität und römischer Macht letztlich keine politische Pointe und eine theolo­
gische schon gar nicht. Das wird erkennbar am Schluss des Traktats, wo Dante
den zuvor geführten rhetorischen Wettstreit, der ihm den Siegeskranz einbrin­
gen soll, aufgibt und relativiert, was zuvor aufwendig erstritten wurde: Letztlich
wäre die Wahrheit der Frage nach auctoritas genealogisch aufzufassen, da der
Kaiser dem Papst jene Ehrfurcht erweisen müsse, die der erstgeborene Sohn dem
Vater schuldet: „qua primogenitus filius debet uti ad patrem“ [Mon. III, xv, 18; die
der erstgeborene Sohn dem Vater schuldet]. Es sieht ganz so aus, als würde die
Behauptung der Gleichursprünglichkeit zurück auf das politisch-theologische
Ausgangsargument gelenkt und die politische Macht der theologischen unter­
worfen werden. Doch das abfallende Ende zeigt, dass es auf die inhaltliche Pointe
offenbar gar nicht ankommt.
Die Bedeutung der Monarchia liegt vor allem in ihrem Verfahren, das darin
besteht, das Verhältnis von Politik und Theologie durch eine Methode zu rechtfer­
tigen, die man ‚philologisch’ nennen könnte. Die Differenz zwischen den beiden
Sphären wird lesbar gemacht durch eine Auslegung, die die sprach­lichen Muster,

82 Haverkamp: Stranger than Paradise, S. 50.


 officium poetae (Dante)   39

die dem Machtgefüge zugrunde liegen, befragt. Aufgrund dieser Annahme kann
für die Commedia vermutet werden, dass Dante auch dort nicht einfach typolo­
gische Beziehungen auf sein Figurenarsenal überträgt, sondern vielmehr deren
Möglichkeiten und Grenzen befragt und überschreitet.
Mit der Monarchia, die Dante nicht zufällig der Commedia an die Seite
gestellt hat, hat Dante den hermeneutischen Rahmen gesetzt, mit dem nicht nur
die Machtverhältnisse – der „arcano centrale del potere“83 ließe sich mit Giorgio
Agamben sagen  – entziffert werden können, sondern auch die sprachlichen
Muster, die diesen zugrunde liegen. Entscheidend ist hierbei, dass das arcanum
der Macht bei Dante als ein „officium poetae“84 eingerichtet wird: Als Ort der
Interpretation, bei dem es darauf ankommt, die je unterschiedlichen Funktionen
anzuerkennen, d.  h. zwischen Amt und Person zu unterscheiden. Es ist also nicht
das Gleiche, ob man Vikar oder Philologe ist: „Unde sciendum quod aliud est esse
vicarium, aliud est esse nuntium sive ministrum: sicut aliud est esse doctorem,
aliud est esse interpretem.“ [Mon. III, vi, 4; In diesem Zusammenhang muß man
wissen, daß Stellvertreter sein etwas anderes ist als Bote oder Diener sein, so wie
es etwas anderes ist, Lehrer zu sein oder Ausleger.] Was Dante mit dem Streit
um die Superiorität entweder des Papstes oder des Kaisers einführt, ist eine Art
und Weise des Interpretierens, die das dualistische Schema in ihrer sprachlichen
Struktur bestimmt. Damit erschafft er den Ort, von dem aus das möglich ist, was
wir Philologie nennen. Den eigentlichen Ruhm verspricht sich Dante durch ein
Verfahren, das dem theologischen Rahmen gegenüber, in dem er sich bewegt,
kritisch bleibt. Die Aufmerksamkeit, die er der Vermischung von Theologie und
Politik entgegenbringt, resultiert aus einem Entziffern des in den Machtdispositi­
ven enthaltenen literarischen Unbewussten, das in den politischen und theologi­
schen Diskursen verhandelt worden ist. Dante setzt auf diese Weise nicht Exegese
(mit anderen Mitteln) fort, sondern analysiert den theologischen Rahmen, in den
die mittelalterliche Welt eingefasst war, um an dessen Bruchstellen auf ein poe­
tisches Potential zu schließen. Dort nämlich tauchen Frauenfiguren auf, die den
komplexen Übertragungsprozess von Immanenz und Transzendenz konstituie­
ren und von denen aus sich die poetischen Figurationen neu befragen lassen.

83 Agamben: Il regno e la gloria, S. 268.


84 Ernst H. Kantorowicz: The Souvereignity of the Artist. A Note on legal Maxims and Re­
naissance Theories of Art. In: Ders.: Selected Studies, Locust Valley, New York 1965, S. 352–365,
S. 358  ff.
II Beatrices Gesang
Sì cominciò Beatrice questo canto
(Par. V, 16)1

Wenn die poetische Rede als Repräsentation des Jenseits zu theologischen und
mystischen Visionsdarstellungen in Konkurrenz tritt, geraten die beiden symbo­
lischen Ordnungen zueinander in Spannung. Der theologische Rahmen der Com-
media, die als poema sacro auf diese Spannung hin entworfen ist, lässt sich in
Hinblick auf seine Funktionsweise gerade mittels derjenigen Figur befragen, die
am Kreuzungspunkt von irdischer und göttlicher Ordnung steht: der weiblichen
Hauptfigur Beatrice. Nicht zufällig hatte Auerbach in seinem Figura-Aufsatz das
typologische Schema auf sie projiziert und die Führerin des erzählten Dante zur
visio Dei als „Inkarnation der göttlichen Offenbarung“2 und somit „figura oder
idolo Christi“3 erklärt.4
Allerdings zeigen sich gerade auch bei dieser Figur – und abweichend von
Auerbachs Beatrice-Deutung – die Brüche des auf sie projizierten theologischen
Rahmens, und zwar besonders in dem Moment, in dem Beatrice sich als spre­
chende Figur eines Textes erweist, der nicht nur nach seinen eigenen poeti­
schen Gesetzen funktioniert, sondern auch seine eigenen Regeln überschreitet.
In dem Moment, in dem Beatrice spricht, wird die Ordnung, die sie bestätigen
soll, gleichzeitig in Frage gestellt. Brüchig wird der theologische Rahmen, den
Auerbach in Mimesis und abweichend von seinem Figura-Aufsatz betont hatte,

1 Dante Alighieri: La Commedia. Secondo l’antica vulgata. 4 Bde. Hrsg. von Giorgio
­Petrocchi, Florenz 2003 (Le opere di Dante Aligheri 7). Im Folgenden zitiere ich nach dieser
Ausgabe.
2 Erich Auerbach: Figura (1938). In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philolo­
gie. Hrsg. von Fritz Schalk, Bern, München 1967, S. 55–92, S. 92.
3 Auerbach: Figura, S. 92. Vgl. auch Charles Singleton: „She (and she alone) is that lady by
means of whom mankind, l’umana specie, ascends.“ (Charles S. Singleton: Dante Studies.
Bd. 1: Commedia. Elements of Structure, Cambridge 1957, Kap. Allegory, S. 1–17, S. 3) Vgl. auch
Curtius über Beatrice: „Die so erhöhte Geliebte zur Führerin in einer poetischen Jenseitsvision zu
wählen, liegt noch im Bereich des christlichen Denkens und Glaubens. Aber Dante geht darüber
weit hinaus. Er schaltet Beatrice in den objektiven Heilsprozeß ein. Ihre Funktion ist nicht nur
für ihn selbst, sondern für alle Gläubigen gedacht. Er führt also in die Offenbarung aus eige­
ner Machtvollkommenheit ein Element ein, welches das kirchliche Lehrsystem sprengt.“ Ernst
­Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 1993, S. 377.
4 Für eine Zuordnung Beatrices zum Motiv der donna come iter ad deum vgl. Aldo Vallone:
Art. Beatrice. In: Encyclopedia Dantesca. Hrsg. von Umberto Bosco, Bd. 1, Roma 1970, Sp. 542–
551.
42   Beatrices Gesang

immer dann, wenn Beatrice spricht. Diejenige Figur, die am Kreuzungspunkt von
Irdischem und Göttlichem situiert ist, bekommt nicht nur einen Namen, sondern
auch eine Stimme, mit der Dante den poetischen Akt reflektiert.
Die Frage, wer in der Commedia spricht, ist bei genauem Hinsehen alles
andere als leicht zu beantworten. Die Verwendung des Namens ‚Dante‘ erfordert
die Unterscheidung in mindestens drei Instanzen: in Dante als denjenigen, der
die Commedia geschrieben hat, den Autor, und in die beiden textinternen Dante-
Figuren: Dante als persona und Dante als Erzähler.5 Mit der Verdoppelung der
Figur Dantes in Dichter und Wanderer, in erlebendes und erzählendes Ich, rückt
Dante den Text unter das Vorzeichen eines doppelten auktorialen Anspruchs. Als
„double authorship“6 hat Gerhard Regn den Autorbegriff der Commedia bestimmt
und mit der Fragestellung, wie sich in der Commedia das Göttliche zum Irdischen
verhält und inwiefern sich dieser Text als „zweite Heilsgeschichte“ erweist, eine
weitere Doppelfigur im Konzept von Autorschaft ausfindig gemacht. Hierfür ist
die poetologische Aussage – „’l poema sacro / al quale ha posto mano e cielo e
terra“ [Par. XXV, 1–2; das heilige Gedicht, an das / Himmel und Erde Hand ange­
legt haben] – emblematisch. Gott selbst „webt“ an dem Text und insofern bilden
Dante und Gott eine Doppelfigur poetischer und prophetischer Autorschaft.7 Im
Rahmen dieses doppelten Anspruchs kommt Beatrice eine stets nur vermittelnde
Rolle zu. Ist sie aber nicht auch an der Begründung einer solchermaßen konzi­
pierten Autorschaft und damit am Konflikt von inspirierter und welt­licher Dich­
tung beteiligt?
Beatrice als Figur des Textes, die selbst nicht schreibt, verfügt auch über
kein ‚eigenes‘ Sprechen. Ihre Worte sind stets die, die der Autor Dante seiner
literarischen Figur in den Mund legt. Sie ist als solche im Text eine pure Fiktion
des Autors. Ob sie überhaupt je eine historische Person war, hat Ernst Robert
Curtius in Frage gestellt.8 Aus diesen Gründen war es naheliegend, die Frage
nach Autorschaft und auctoritas ausschließlich auf Dante’s Vergil, den Autor der

5 Ich habe diese Unterscheidung jeweils nur dort explizit gemacht, wo sie der Argumentation
dient.
6 Gerhard Regn: Double Authorship. Prophetic and Poetic Inspiration in Dante’s Paradise.
In: Modern Language Notes 122/1 (2007), S. 167–185, S. 173.
7 Vgl. Regn: Double Authorship, S. 173. Diese These findet sich erweitert in: ders.: Gott als
Dichter. Die Wirklichkeit der Fiktion in Dantes Paradiso. In: Fiktion und Fiktionalität in den Lite­
raturen des Mittelalters. Hrsg. von Ursula Peters/Rainer Warning, München 2009, S. 365–385,
insb. S. 376 und S. 384. Die Hand des Dichters und die Hand Gottes stehen für die Metaphorik
eines unterschiedliches Tuns, d.  h. einmal für den poetischen Akt, das andere Mal für die All­
macht Gottes. Die von Dante aufgerufene Hand Gottes bezieht sich vermutlich auf die scholasti­
sche Metapher der manus gubernatoris.
8 Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 378.
 Beatrices Gesang   43

Aeneis, zu beziehen. Die Dante-Kritik folgt damit Dantes eigener Vorgabe, wenn
sie vom Satz aus dem Inferno ausgeht, in dem Dante die persona Vergil explizit
als „lo mio maestro e ’l mio autore“ [Inf. I, 85; Du bist mein Meister und mein
Urheber] bezeichnet und damit Vergil nicht nur in die entsprechende Position
von Vorbild und Lehrer gebracht hat, sondern seine Autorschaft unterstreicht.9
Beatrice wird demgegenüber als Figur verstanden, deren semiotische Funktion
auf das Erlösungsnarrativ bezogen ist. Zwar wird bemerkt, dass Vergil von Bea­
trice abgelöst wird. Inwiefern jedoch diese gegenseitige Ablösung die Autorschaft
berührt, wird nicht gefragt. Die zweite Doppelfigur der Commedia Beatrice/Dante
ist nicht Teil der Begründung von Autorschaft, obwohl die Figurenkonstellation
dies nahelegt.10 Während Vergil als Maßstab für Autorschaft gilt, bleibt Beatrice
selbst dann, wenn ihr göttliche Weisheit und Führerschaft zugesprochen wird,
ein objet du désir, das als solches in Handbüchern zur Rezeptionsvorgabe wird.11
Zwar wird die Bedeutung Beatrices unterstrichen, die, wenn Philosophie und
Theologie als Zuordnungsgrößen dienen, strukturell mit Vergil auf der gleichen
Höhe verortet wird. Als Führerin für das Jenseits bleibt sie jedoch auf Dante als
Referenzfigur bezogen. Während die Figur Vergils über den Text hinausweist,
denn unzweifelhaft wird er als Künstler römischer Größe bestätigt, befindet sich
Beatrice auf einem abgeleiteten Platz. Vergil ist Modell, Beatrice kann immer nur
Liebes­objekt für den jungen oder Objekt der Tugendhaftigkeit für den späten
Dante sein. Vergils Ruhm als römischer Autor spricht somit für sich selbst, wohin­
gegen die Figur Beatrice durch die Beziehung zu Dante legitimiert werden muss.
Für die Konstituierung von Autorschaft hat Dante Möglichkeiten entwickelt,
Autorität zu unterlaufen, bevor sich Autorschaft überhaupt gründet und damit die
Zwischenräume von Autorität und Autorschaft ausgelotet. Die Commedia ist eine
komplexe Inszenierung der Übertragung unterschiedlichster Machtansprüche
auf die Instanzen der Rede, die mit einer Fokussierung auf die Autorität Vergils

9 Vgl. Albert Russell Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, Cambridge 2008,
S. 302.
10 Mit Ausnahme von Michelangelo Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Com-
media. In: Selvagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg.
von Tatiana Crivelli, mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 33–48, S. 46.
11 Vgl. August Buck: Art. Dante Alighieri. In: Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Ger­
hard Krause/Gerhard Müller, in Gemeinschaft mit Horst Robert Bolz, Bd. 8, Berlin, New
York 1981, S. 349–353, S. 352: „Analog zu Kaiser und Papst, den beiden Führern der Menschheit,
agieren die beiden Führer Dantes: Vergil und Beatrice. Vergil symbolisiert die philosophische
Unterweisung, Beatrice die theologische Offenbarung. Zugleich fühlt sich Dante mit beiden
menschlich aufs innigste verbunden: mit Vergil, dem Künstler der römischen Größe, dessen
­Aeneis sein dichterisches Vorbild ist, mit Beatrice, deren Liebe den jungen Dante beseligt und
den reifen Mann aus der Verstrickung in die Sünde befreit.“
44   Beatrices Gesang

verkürzt wird. Dante schreibt Beatrice in den Selbstbegründungszusammenhang


des Textes ein und stellt damit eine andere, weibliche Autorität zwischen Vergil
und seine persona. Marco Santagata hat den Blick von Beatrice als Erscheinung
(apparire) auf ihr Wirken (operare) gelenkt und somit den Interpretationsspiel­
raum aufgemacht, der die Möglichkeit ihres Wirkens, „la sua operazione“12, als
Werk/opera in Aussicht stellt.13 Beatrice symbolisiert die theologische Offenba­
rung, sie ist Liebesobjekt des jungen Dante in der Vita nuova. Aber sie wird Dante
auch zu seinem neuen Stil führen, dem Stil der Commedia. Die Figur ist damit
nicht nur Teil der Figurenkonstellation und ihrer histoire, sondern auf der Ebene
des discours am Schreibprozess der Commedia beteiligt. Liest man die Poetik
der Commedia als Selbstermächtigung Dantes, wird die Matrix des Textes, seine
Textur, verdeckt, die in einer Schreibweise besteht, bei der Beatrice wie Homers
Penelope in der Odyssee an der Webarbeit des Textes beteiligt ist.14
Der theologische Traditionszusammenhang gilt als Voraussetzung für Bea­
trices Aufgabe in der Commedia: Sie wird den Dichter zum Paradies führen.
Darüber hinaus wird sie aber auch in das „secret de fabrication“15 des Textes
eingeschrieben. Das zugrunde liegende Modell ist die bereits erwähnte mittel­
alterliche Vorstellung eines diktierenden Amors, die auf Ovid zurückgeht, der in
den Amores vom Diktat durch Amor spricht: „quae mihi dictat Amor“ [die mir […]
Amor einbläst]16. In Dantes Vita nuova war Amor als Allegorie aufgetreten und
hatte den Schreibauftrag erteilt: „voglio che tu dichi certe parole per rima“ [Vn.
5, 14; will ich, daß du bestimmte Worte in Reime fassest].17 Mit Beatrice als Amor
bedient sich Dante einer Technik der Übertragung, in der Beatrice souffliert, was
Dante aufschreibt. Vor diesem Hintergrund hatte Hugo Friedrich die Übersetzer­
rolle der Herrin auf die Funktion beschränkt, dem Autor zu dienen: „Die Frau
bildet das Medium Amors. Nicht in ihr, sondern nur mittels ihrer entfaltet er sein

12 Dante Alighieri, Vita nova, hg. Guglielmo Gorni, in: Dante Alighieri, Opere. Hg. Marco
Santagata, Bd.  I: Rime, Vita nova, De vulgari eloquentia, Mailand 2015, 2,3. Im Folgenden
­zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung folgt: Dante Alighieri: Vita Nova/ Das neue
Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrik Kunkel, München 1988. (Die
angegebene Zählung folgt der Ausgabe von Gorni)
13 Vgl. Marco Santagata: Amate e amanti. Figure della lirica amorosa fra Dante et Petrarca,
Bologna 1999 (Saggi 507), S. 24  ff.
14 Vgl. Cavarero: Nonostante Platone, S. 21  f.
15 Vgl. Jean Starobinski: Les mots sous les mots. Les anagrammes de Ferdinand de Saussure,
Paris 1971, S. 59.
16 Vgl. Ovid: Amores. Liebesgedichte. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Michael von
Albrecht, Stuttgart 1997, II, 1, 37–38.
17 Vgl. die Replik „avendo già dette le parole che Amore m’avea imposte a dire“ (Vn. 6, 1; als ich
bereits die Worte gereimt hatte, die Amor mir zu sagen befohlen).
 Beatrices Gesang   45

göttliches Geschehen, das dem Manne gilt.“18 Diese Einschränkung kehrt die in
der höfischen Liebe des Mittelalters bestehende Auffassung um, derzufolge das
Subjekt der Dichtung durch den Dienst an der Herrin bestimmt wird. Friedrich
projiziert also eine Umkehrung in das Liebesverhältnis und schließt damit aus,
dass die Herrin als Medium an der komplexen Fabrikation poetischer Rede betei­
ligt ist. Auch Albert Russell Ascoli bestimmt Beatrice als eine Figur, deren Aufgabe
vor allem darin liegt, die Autorität des Autors, in diesem Fall des Vergil, heraus­
zustellen: „In short, Dante-personaggio’s experience with Beatrice in the earthly
paradise renders explicit the authorizing effects of his investiture by Virgilio.“19 In
dieser Perspektive dient Beatrice einer Ordnung der anxieties of influence, durch
die sich Dante mit und gegen den maestro Vergil als neuer Autor konstituiert.
In der Dante-Kritik kommt Beatrice also immer dann Bedeutung zu, wenn sie
sich für das Argument der Selbstautorisierung Dantes durch Vergil eignet. Damit
erscheint sie als das Medium einer zweifellosen Autorschaft, die den Wanderer
Dante nicht nur ins Himmelreich, sondern auch zu seinem Ruhm, dem Ruhm des
Autors führt.20 Die Poetik der Commedia wird damit auf eine Vorstellung redu­
ziert, in der die weiblichen Figuren immer nur abgeleitet sind von einem Spre­
chen, das für sich selbst und durch die weibliche Figur als Medium Autorität
beansprucht. Beatrices Erscheinen dient der Bestätigung einer Ordnung, deren
Selbstversicherung letztlich theologisch begründet und legitimiert wird.
Am Beispiel der Rezeption der Dichterin Sappho hat Joan DeJean gezeigt, wie
die weibliche Stimme in die Autorität des männlichen Namens eingeschrieben
worden ist und diese Aneignung kennzeichnet auch die Schreibweise Dantes.
Zwar schreibt der männliche Autor über ihren Namen hinweg, er kann allerdings
mit dieser Geste die ihr zugrunde liegende Autorschaft nicht vollständig aus­
löschen. Autoren wie Ovid, Catull, Racine oder Baudelaire ermöglicht dieses Ver­
fahren die Identifikation mit der weiblichen Stimme. Als „re-voicing“ artikulieren
sie, was sie gleichzeitig verdrängen.21 Denn in ihren Texten scheint immer noch
die darunter liegende weibliche Unterschrift als eine Schrift durch, die durch die
(männliche) Autorschaft nur unvollständig überschrieben wird. Ovids Heroides-
Brief über die griechische Dichterin Sappho ist das Paradigma für die komplexe
Überlagerung von Stimme der Heroine und männlicher Erzählstimme. Ovid

18 Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 59.
19 Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 367 (Herv. im Orig.).
20 Die als Selbstautorisierung begründete Autorschaft führt bruchlos zu Petrarca. Vgl. Ascoli:
Dante and the Making of a Modern Author, S. 405.
21 Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 86  ff. Beispiel einer
solchen Rezeption ist neben Ovids Sappho Racines Phèdre, der durch eine komplexe Montage
von Zitaten die Ambiguität der Autorität auf den Leib geschrieben wird.
46   Beatrices Gesang

erkennt ihre Autorschaft an, denn er verleugnet nicht, dass sie Autorin ist, wenn
er sie sagen lässt: „auctoris nomina Sapphus“ [den Namen der Autorin, Sappho]22.
Dadurch entsteht ein Spielraum zwischen seiner und ihrer Autorschaft, der eine
Überschreitung der Grenzen und die Vermischung der Stimmen ermöglicht, die
durch die Interpretationsgeschichte mit einem eindeutigen „Sappho, c’est moi“
überschrieben worden ist.23 Es macht einen Unterschied, ob man die weibliche
Figur in ihrem eigenen Namen oder im Namen des Autors sprechen lässt. Was
folglich von der Rezeption der Commedia übergangen wird, ist eine Schreib­
weise der Öffnungen und Durchlässigkeiten für die jeweils andere Stimme.24 Mit
anderen Worten eine Schreibweise, bei der durch Stimme und Schrift die gesetzte
Autorität und Autorschaft unterlaufen wird.

1 auctoritas: Wer spricht?

Was Beatrice vom Konzept der fin’amors der provenzalischen Troubadoure und
der Herrin in der Dichtung des dolce stil novo, aber auch von der donna gentile der
Vita nuova Dantes grundlegend unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie selbst
spricht. War die Herrin in der Vita nuova noch stumm, ihr Gruß mehr eine Geste
als ein Sprechen, so verleiht ihr Dante in der Commedia eine eigene Stimme. Im
zweiten Gesang des Inferno wird dieses Sprechen als eine Liebesrede ausgewie­
sen, deren Begründung metaphysischer Natur ist, wenn Amor Beatrice zum Spre­
chen bringt:

amor mi mosse, che mi fa parlare.


(Inf. II, 72)

Liebe
hat mich dazu bewogen und lässt mich sprechen.
(Inf. II, 71–72)

22 Ovid: Heroides / Briefe der Heroiden. Lateinisch / Deutsch. Übers. u. hrsg. von Detlef
­Hoffmann/Christoph Schliebitz/Hermann Stocker, Stuttgart: Reclam 2000, XV, 1.
23 DeJean: Fictions of Sappho, S. 77.
24 Hélène Cixous hat eine solche Schreibweise écriture féminine genannt: die Schrift der un­
möglichen und nicht geschriebenen Geschichte der Weiblichkeit, die als Geschichte der fille (wie
biografille und mère-fi) als fi – fille – fil mit neuen Fäden zusammenspinnt, was unzusammen­
hängend geworden war. Vgl. Hélène Cixous: Le rire de la Méduse. In: Dies.: Le rire de la méduse
et autres ironies. Préface de Frédéric Regard, Paris 2010, S. 35–68. Auch Vgl. Dies: Anankè, Paris
1979, S. 86  ff.
 auctoritas: Wer spricht?   47

Die Begründung des Sprechens erfolgt gemäß der Liebeslehre in Dantes Zeit, der­
zufolge die Inspiration des Dichters die Frucht der Eingebung Amors ist. Hugo
Friedrich nennt sie „Amorlehre“ oder auch „Amortheologie“25, Erich Auerbach
„Liebesmystizismus“26. Wie der Dichter, der durch Amor zum Dichter berufen
wird, wird Beatrice durch den Liebesgott zum Sprechen gebracht. Die Tatsa­
che, dass Beatrice selbst spricht, dass also Amor auch die Dame zum Sprechen
autorisiert, war in der Liebesdichtung bisher keinesfalls üblich. Denn es war
der Dichter, nicht die Dame, der durch Amor ermächtigt worden ist. Schreibakt
und Rede fallen auseinander, wenn Beatrice das Wort ergriffen hat (parlare), wo
Dante zur Feder greift (notare):

‚[…] I’ mi son un che, quando


Amor mi spira, noto, e a quel modo
ch’e’ ditta dentro vo significando.‘
(Purg. XXIV, 52–54)

[…] ‚Ich bin einer, dem geht es so: Wenn


Amor mir Atem gibt, dann stelle ich mich darauf ein, und wie
er es mir innerlich vorsagt, so möchte ich es ausdrücken.‘

Dante bezieht sich mit seiner berühmt gewordenen Antwort auf die Frage, die
der Dichter Bonagiunta da Lucca nach seiner Identität stellt. Mit der Anspielung
auf die Amorlehre als dem poetologischen Konzept des dolce stil novo, bei dem
Amor als Quelle der Inspiration und Legitimation der Dichtung angegeben wird,
legitimiert sich Dante als poeta. Er stilisiert sich dabei als scriptor, als Schreiber,
der wie die Mystiker im Auftrag Gottes schreibt. Das Geschehen ist die Grundlage,
für die er die Funktion des Schreibers übernommen hat: „quella materia ond’
io son fatto scriba“ [Par. X, 26–27; von dem Stoff in Beschlag / genommen, den
niederzuschreiben mir aufgetragen wurde.]. Dante verweist auf den Schreibakt
(„noto“), der auf den Atem bzw. ‚Hauch‘ Amors angewiesen ist und der inner­
lichen Rede folgt („a quel modo / ch’e’ ditta dentro“).27 Den auf diese Weise
bestimmten dolce stil novo kennzeichnet die Anerkennung des dittator, desjeni­
gen, der über das Sagen herrscht: „Io veggio ben come le vostre penne / di retro al

25 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 58  ff.


26 Erich Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt (1929). Mit einem Nachwort von Kurt
Flasch, Berlin, New York 2001, S. 76.
27 Aus diesem Grund wird die Textstelle als Dantes „poetologische[s] Credo“ gelesen. Vgl.
­Andreas Kablitz: Die Selbstbestimmung des petrarkistischen Diskurses im Proöminalsonett
­(Giovanni Della Casa – Gaspara Stampa) im Spiegel der neueren Diskussion um den Petrakis­
mus. In: GRM 42 (1992), S. 381–414, S. 381.
48   Beatrices Gesang

dittator sen vanno strette“ [Purg. XXIV, 58–59; Jetzt sehe ich es gut: Eure Federn
halten sich eng an den / Vorsager]. Dante überträgt dieses Dichtungskonzept auf
seine Beatrice-Figur, wenn Beatrice das Wort ergreift. Ihre Rede spiegelt den poe­
tologischen Begründungszusammenhang wider, der in dem Moment sichtbarer
wird, als Beatrice verkündet, dass sie Vergil im Angesicht des Herrn loben wird.
Beatrice verfügt demnach selbst über die Möglichkeiten des laudare, also über
einen poetischen Stil, der als Mittel dem Dichter vorbehalten war:

‚[…]
Quando sarò dinanzi al segnor mio,
di te mi loderò sovente a lui.‘
(Inf. II, 73–74)

‚[…]
Wenn ich wieder vor meinem Herrn stehe, will ich dich
oftmals bei ihm rühmen.‘

An die Stelle der donna, die in der Vita nuova grüßend am Dichter vorüber­
schreitet, treten Beatrice und ihre Lobrede, die sie mit ironischem Lächeln auf
den Lippen vorträgt und die mit dem poetologischen Denken des Dichters Dante
ganz und gar übereinstimmt. Damit ist sie von der Rolle derjenigen, die Gegen­
stand des Lobes ist, in die Rolle derjenigen, die selbst lobt, übergewechselt. Ihr
glückseliges Lächeln weist sie als Lehrmeisterin aus, die ihrem Schüler Dante
sein Streben nach Wissen quittiert.28 Ihre ganze Meisterschaft zeigt sich aber erst
darin, wenn sich ihre Funktion auch auf die Ebene des discours erstreckt. Das
glückselige Lächeln Beatrices, ihr santo riso (Par. XXIII, 59), ist Ausdruck der Sou­
veränität, mit der Beatrice im Stile Dantes spricht.
Diese Wiederholung des Stils erzeugt jedoch kein identisches Bild. Während
Vergil und Dante in ihrer Funktion identisch, beide maestro und autore, sind,
zeichnet sich die Beziehung von Dante und Beatrice durch Unterschiede aus.
Diese liegen vor allem in den Haltungen der Figuren. Von einem bisher unbe­
kannten Begehren erfüllt, will Dante, nachdem er das Purgatorio verlassen hat,
nach der Ursache des ihn umgebenden neuen Klangs und Lichts fragen. ­Beatrice
kommt ihm mit ihrer Antwort zuvor, um ihn auf diese Weise nicht nur in die
Ordnung des Paradieses einzuweihen, sondern des falso imaginar zu überführen:

28 Regn betont Beatrices Rolle als „Wahrheits-Lehrerin“. Vgl. Gerhard Regn: Dantes ­Beatrice
und die Poetik des Heils. In: Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination. Bd. 3: Zwischen
Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Michael Neumann/Almut Schneider, Regensburg 2005,
S. 129–143, S. 132. Vgl. auch Benedetto Croce: La Poesia di Dante, Bari 1921, S. 135. Croce be­
merkt, dass sich Beatrice wie die große Schwester verhält, die ihrem Bruder Nachhilfe erteilt.
 auctoritas: Wer spricht?   49

Ond’ ella, che vedea me sì com’ io,


a quïetarmi l’animo commosso,
pria ch’io a dimandar, la bocca aprio
e cominciò: ‚Tu stesso ti fai grosso
col falso imaginar, sì che non vedi
ciò che vedresti se l’avessi scosso.
Tu non se’ in terra, sì come tu credi;
ma folgore, fuggendo il proprio sito,
non corse come tu ch’ad esso riedi.‘
(Par. I, 85–93)

Weshalb denn sie, die mich so deutlich sah wie ich mich
selbst, um mir die erregte Seele zu beruhigen, bevor ich noch
den Mund zum Fragen auftun konnte, schon den ihren auftat
und sagte: ‚Du machst dir mit einer falschen Vorstellung
selber den Sinn stumpf und siehst gar nicht, was du doch sehen
könntest, wenn du sie nur abgeschüttelt hättest.
Du bist nicht mehr auf Erden, wie du glaubst; nie fuhr ein
Blitz, der seinen angestammten Ort verlässt, so schnell herab,
wie du jetzt zu dem Deinen zurückkehrst.‘

In der dialogischen Szene sind die Sprechhaltungen hierarchisch organisiert:


Dante erweist sich als Schüler seiner Lehrmeisterin, die sich milde und weise
gegenüber ihrem Schüler verhält und sich mit ihren „sorrise parolette brevi“
[Par. I, 95; die knappen, lächelnd gesprochenen Worte] wie eine Mutter ihrem
im Fieber delirierenden Kind zuwendet („che madre fa sovra figlio deliro“, Par.
I, 102).29 Der Dialog rückt den Blick auf Dante als Ort des Fragens, wohingegen
Beatrice die Position der Antwortenden hat. Ihr Lächeln verweist auf die göttli­
che Entrückung, ihr sprechender Mund wird zum Ort des Wissens und der Rede:
„la bocca aprio“ [Par I, 87; den Mund zum Fragen auftun konnte].30 Unauffällig
hat Dante unseren Blick von ihren Augen auf ihren Mund gelenkt und ist damit
von der Ordnung des Sehens (als Möglichkeit der Erkenntnis) auf die Redeord­
nung (als Begründung von Dichtung) übergegangen.31 Dieser Mund war bereits

29 Zu Beatrices Konstituierung als „donna gentilissima Filosofia“ vgl. Dante Alighieri: Il con­
vivio. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Maria Simonelli, Bologna 1966, II, 15, 1.
30 Zum Lächeln Beatrices vgl. Jörn Steigerwald: Beatrices Lachen und Adams Zeichen. Dan­
tes Begründung einer literarischen „anthropologia christiana“ in der Divina Commedia (Para­
diso I–XXVII). In: Comparatio. Zeitschrift für Vergleichende Literaturwissenschaft 3/2 (2011),
S. 209–239. Steigerwald liest das Lächeln als „Verkündigung der Liebe Gottes“ (S. 214). Zum Mund
Beatrices als Ort der Rede vgl. Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia, S. 43.
31 Die Augen Beatrices stellen die Gottesschau von Angesicht zu Angesicht in Aussicht und
damit das Versprechen, die verlorene Integrität in der Welt angesichts der Spiegelung in Gott
50   Beatrices Gesang

in einem der Sonette der Vita nuova inszeniert worden, in dem sich von Beatrices
Lippen ein süßer Hauch zu lösen schien: „e par che della sua labbia si mova / un
spirito soave“ [Vn. 17, 7, 12–13; und es scheint, daß sich von ihren Lippen hebt /
ein zarter Geist].32 Mit der Inszenierung von Beatrice als sprechender Figur hat
Dante eine zweite Ebene in den Text eingeführt, auf der, neben dem Sprecher,
eine weitere Stimme inszeniert wird, die durch die Akte des Sprechens auf die
eigene Poetik verweist. Die Reflexion des Textes auf seine Voraussetzungen findet
also nicht nur auf der Ebene des Sprechers statt. Sie bezieht auch Beatrice ein,
deren Rede mit dem Sprechen des Dichters konkurriert.

1.1 confusione

Beatrice tritt im Paradiso als Figur auf, die ein spezifisches Wissen besitzt und
es versteht, ihren ‚Schüler‘ Dante dazu anzuleiten, ins Paradies zu kommen.
Sie verfügt über ein Wissen, das in die Höhe führt und in aufeinanderfolgenden
Stufen des Aufstiegs den Blick der Augen von den irdischen Dingen ablenkt,
die durch Sterblichkeit und Endlichkeit gezeichnet sind. Dante wählt eine Frau
zur Lehrmeisterin der letzten und höchsten Wahrheit wie Platon, der Diotima
als weibliche Lehrmeisterin ausgesucht hat, um durch sie über die Liebe reden
zu können. Denn Platon entscheidet sich dafür, Sokrates mit dem Mund einer
Frau sprechen zu lassen. Ein solches Verfahren uneigentlicher Rede hat Adriana
Cavarero als einen „mimetischen Effekt der Verwirrung / Verschmelzung [con-
fusione]“33 beschrieben, bei der die platonische Philosophie durch den Mund
einer Frau souffliert wird.34 Platon gibt die Rede einer Frau wieder, deren Wissen
er anerkennt und sich aneignet.35 Cavarero bezieht sich auf das Symposion, in
dem die Rede über Eros mit einer Redehaltung einsetzt, in der sich Sokrates Dioti­
mas Lehrmeinung unterordnet:

zurückzugewinnen. Vgl. Niklaus Largier: Spiegelungen. Fragmente einer Geschichte der


Spekulation. In: Zeitschrift für Germanistik 9 (1999), S. 616–636, S. 616  f. Seit Augustinus meint
speculatio die Möglichkeit, durch Spiegelung die verlorene Integrität in der Welt angesichts der
Spiegelung in Gott zurückzugewinnen. Die speculatio ist dabei stets der Bildlichkeit verpflich­
tet, da in der „Rekapitulation der Schöpfung als ‚Bild‘“ und „Vorwegnahme der Gottesschau als
‚Schau von Angesicht zu Angesicht‘“ (S. 617) die Möglichkeit der Versöhnung des Menschen in
Gott angelegt ist.
32 Gorni kommentiert, dass „labbia“ „volto“ heißen muss. Vgl. Dante: Vita nova, S. 978.
33 Adriana Cavarero: Platons Töchter, S. 148. [Nonostante Platone. Figure femminili nella fi­
losofia antica, Verona 2009 (Testi 4), S. 99]
34 Cavarero: Nonostante Platone, S. 98  f.
35 Cavarero: Nonostante Platone, S. 99.
 auctoritas: Wer spricht?   51

Die Rede über den Eros aber, die ich einst von einer Frau aus Mantineia, Diotima, hörte,
welche darin und auch in vielen anderen Dingen weise war und den Athenern einst
bei einem Opfer vor Ausbruch der Pest einen zehnjährigen Aufschub der Krankheit ver­
schaffte, und die also auch mich die Dinge der Liebe lehrte […] die Rede [logos] also, welche
jene gehalten hat, will ich euch darzulegen ver­suchen […]. […] Es scheint mir nun am ein­
fachsten zu sein, es so darzulegen, wie es die Fremde damals darlegte, indem sie mich
befragte.36

Modell für die Liebeslehre – die „Lobrede auf Eros“37 – ist das erinnerte Gespräch
zwischen Sokrates und Diotima, das Platon durch Sokrates wiedergeben lässt.
Die wiederholte Exklamation „o Diotima“ drückt Bewunderung und Anerken­
nung ihrer Lehre aus. Diotima ist in ihrer Weisheit unübertrefflich, wird von
­Sokrates „weiseste [sophotáte] Diotima“38 genannt. Worin ihre Weisheit liegt, ist
ihr Wissen über die Liebe, das sie darin der Dichterin Sappho gleichstellt, die
Platon im Phaidros die Schöne nennt und sie u.  a. zu derjenigen erklärt, aus
der sich Sokrates’ Rede speist. Wie ein Gefäß, das „aus irgend fremden Quellen
gefüllt“39 werden muss, habe sich Sokrates durch Hören mit Wissen angereichert
und dieses Wissen von weisen Männern und Frauen, darunter Sappho, über­
nommen.40 Entscheidend ist bei Platon nicht allein die Referenz auf Sappho oder
Diotima als Figuren der Wissensvermittlung, sondern die Art und Weise der An-
eignung ihrer Rede (logos). Diotimas Rede steht nicht nur für eine Theorie der
Liebe, sondern ist das Modell für den sokratischen Dialog: Sokrates spricht mit
ihren Worten.
Dementsprechend liegen die Parallelen zwischen Dante und seiner weib­
lichen Figur nicht nur auf der Ebene der histoire (Sokrates / Diotima (Sappho),
Dante / Beatrice); sie betreffen auch die Redeweise. Die zentrale These von Hugo

36 Platon: Symposion. Griechisch / Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Barbara Zehnpfennig,
Hamburg 2000 (Philosophische Bibliothek 520), 201d-201e.
37 Platon: Symposion, 212c.
38 Platon: Symposion, 208b.
39 Platon: Phaidros. Griechisch / Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Kurt Hildebrandt, Stuttgart
1998, 234e-235c.
40 Zum Vergleich von Sappho und Diotima Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht, Frank­
furt a. M. 1975, S. 382  ff: „Wie er aber hier [im Phaidros] in erster Linie der weisen Sappho gedenkt,
so legt er im Gastmahl den höchsten, geheimnisreichen Teil seiner Liebeslehre der Mantineerin
Diotima in den Mund. Zu ihr wandelt er, um das ihm selbst Verschlossene zu erkunden.” (S. 383)
Bachofen zufolge tritt damit die Philosophie Sokrates’ in Analogie zur Dichtung Sapphos. Er
macht dies am Liebeskonzept, aber auch am ironischen Stil fest. Vgl. dazu auch Renate Schle­
sier: Presocratic Sappho. Her Use of Aphrodite for Arguments about Love and Immortality. In:
Scientia Poetica 15 (2011), S. 1–28.
52   Beatrices Gesang

Friedrich, dass die Dichter des dolce stil novo wie überhaupt die gesamte italie­
nische Dichtung das Erbe des Platonismus in Bezug auf seine Lehre angetreten
habe41, lässt sich vor diesem Hintergrund neu perspektivieren. Denn in einem
ganz anderen Sinn ließe sich von „Platonismus“ sprechen: In der Fortsetzung
eines Sprechens, das zwischen den männlichen und weiblichen Sprechern chan­
giert. Es handelt sich um einen zweideutigen Platonismus, wenn die platonische
Philosophie zur Referenzfigur für die Fabrikation der Rede wird. Dante hat sich
nicht damit begnügt, Beatrice als bloße Wahrheitslehrerin einzusetzen. Er hat ihr
Worte in den Mund gelegt, die seinen eigenen Stil konstituieren und befragen.
Wie bei Platon öffnet die weibliche Figur den Raum nicht nur für eine Weisheit
oder Wahrheit, sondern für eine Rede, die zur Voraussetzung dafür geworden ist,
dass ein Text von solcher Wirkung geschrieben werden konnte.

1.2 the text’s true cantor

Die Aneignung der Stimme Beatrices hat eine Rede erzeugt, die Dantes Sprechen
durch den Mund einer Frau erkennen lässt. Sie scheint dort durch, wo die Anord­
nung der Figuren die Perspektiven bestimmt. So entspricht die Haltung B ­ eatrices,
als sie zur Sonne blickt, derjenigen Dantes, der in seinem Erkenntnisstreben
ihren Blick übernehmen muss, ohne dabei mit diesem identisch werden. Auch
ist der Wanderer Dante nicht unter oder über Beatrice gestellt, sondern teilt ihre
Sicht. In der folgenden Szene, die die Blicke organisiert, handelt es sich zugleich
um den ersten Auftritt Beatrices im Paradiso:

E sì come secondo raggio suole


uscir del primo e risalire in suso,
pur come pelegrin che tornar vuole,
così de l’atto suo, per li occhi infuso
ne l’imagine mia, il mio si fece,
e fissi li occhi al sole oltre nostr’ uso.
(Par. I, 49–54)

Und wie aus einem ersten Strahl zumeist ein zweiter


wird, der dann nach oben strebt, oder auch wie bei einem Pilger,
der heimkehren will,
so wurde ihre Haltung, die über die Augen in meinen
Bildsinn strömte, zu meiner eigenen: Ich schaute in die Sonne,
weit länger als bei uns gewohnt.

41 Vgl. Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 63  f. und S. 114.


 auctoritas: Wer spricht?   53

Während zunächst Dante den Blick seiner persona auf Beatrice lenkt, wechselt
er danach die Blickrichtung, um anschließend beide, Beatrice und Dante, mit
in den Himmel gewandtem Blick zu zeigen. Diese Parallelität in den Haltungen
weicht von der üblichen Darstellung in der Liebesdichtung des Mittelalters ab, in
der sich das liebende Subjekt in den Augen der Herrin erkennt. Die Liebeslehre
hat Andreas Capellanus systematisiert,42 der Dichtung von Bernard de Ventadorn
liegt sie zugrunde:

Anc non agui de me poder


ni no fui meus de l’or’ en sai
que:m laisset en sos olhs vezer
en un miralh que mout me plai.
miralhs, pus me mirei en te,
m’an mort li sospir de preon,
c’aissi:m perdei com perdet se
lo bels Narcisus en la fon.

Nimmer hatte ich Gewalt über mich, noch gehörte ich mir an, seit der Stunde, da sie mich
in ihren Augen in einen Spiegel sehen ließ, der mir gar sehr gefällt. Spiegel, seitdem ich in
Dir mich spiegelte, haben mich die Seufzer aus der Tiefe getötet, so daß ich mich verlor wie
sich der schöne Narziß in der Quelle verlor.43

Die Spiegelszene in dem berühmten Gedicht „Can vei la lauzeta mover“ führt
den Verlust der Herrschaft des Sprechers über sich selbst vor und mündet konse­
quenterweise am Schluss in den Verzicht auf das Singen: „de chantar me gic e:m
recre, / e de joi e d’amor m’escon.“ [Vom Singen lasse ich und stehe (sic!) ich ab,
und vor Freude und Liebe verberge ich mich.]44 Der Sprecher erkennt durch den
Blick in die Augen der Herrin in sich selbst einen Mangel, der so groß ist, dass er
nunmehr nur diesen Mangel besingen kann.45
Im Unterschied zu einem solchen Gesang des Verlusts (des Selbst, des
Gesangs), für den die narzisstische Spiegelung zur Voraussetzung wird, konsti­
tuiert sich die Figur Dantes nicht durch Selbstbespiegelung, sondern durch eine
Mimesis der Herrin. Diese blickt dem Sprecher nicht ins Herz wie in der Trouba­

42 Andreas Cappelanus: De Amore / Über die Liebe. Lateinisch / Deutsch. Übers. Florian Neu­


mann, Mainz 2003, 1. Buch.
43 Bernard de Ventadorn: Seine Lieder. Mit Einleitung und Glossar. Hrsg. von Carl Appel,
Halle 1915, Nr. 43, 17–24.
44 bernard de Ventadorn: Seine Lieder, Nr. 43, 59–60.
45 Vgl. C. W., „Die Liebe der trobadors“. In: Handbuch Literatur und Emotionen. Hrsg. von Mar­
tin v. Koppenfels, Cornelia Zumbusch, Berlin 2016 (Handbücher zur kulturwissenschaftlichen
Philologie 4), S. 261–274.
54   Beatrices Gesang

dourlyrik. Stattdessen nimmt er ihre Haltung in sich auf. Zwar sind auch hier die
Augen der Zugang zu sich selbst: „per li occhi infuso / ne l’imagine mia, il mio si
fece“ [Par I, 52–53; die über die Augen in meinen / Bildsinn strömte, zu meiner
eigenen]. Die Nachahmung des Blicks erfolgt auf der Grundlage des zum Bild
(„imagine“) gewordenen Blickes Beatrices. Aber der Sprecher Dante erkennt in
sich selbst nicht seinen eigenen Mangel, sondern das Bild Beatrices. Mit diesem
Bild im Herzen kann Dante genauso wie Beatrice in Richtung des Paradieses
schauen: „e fissi li occhi al sole oltre nostr’ uso“ [Par. I, 54; Und schaute in die
Sonne, / weit länger als bei uns gewohnt.]. Dieser Perspektivwechsel ermöglicht
dem Leser, entweder mit dem Pilger auf Beatrice zu blicken oder aber beide in
ihrem himmelwärts gewandten Blick zu begleiten.
Der gemeinsam himmelwärts gewandte Blick stellt allerdings keine dauer­
hafte Alternative zum Blick des Wanderers auf Beatrice dar, denn Dante muss
ihn umgehend wieder abwenden. Diese Abwendung impliziert den Blick zurück
ins Irdische und damit auf Beatrice: „di là sù rimote“ [Par. I, 66; sah fest auf sie].
Dass der Schreibakt in dieser Szene implizit mitgedacht wird, zeigt der Ausdruck
„[t]rasumanar significar per verba“ [Par. I, 70, Herv. im Orig.; Das Übermensch-
lichen [sic] mit Worten kundzutun], der darauf anspielt, worum es die ganze
Zeit geht: das Gesehene in Worte zu fassen. Der inszenierte Perspektivwechsel
impliziert also noch einen weiteren Blick, durch den der Schreiber zwischen dem
Geschriebenen und dem Sehen hin- und herwechselt. Wiederholt wurde über
diese Szene gesagt, dass sie die Grenzen der Darstellbarkeit zeigt, insofern es
um die Darstellung der Schwierigkeit geht, göttliche res und poetische verba zur
Deckung zu bringen.46 Die poetologische Bedeutung der Szene wird umso mehr
betont, als sie in den Horizont der apophatischen Rede, d.  h. der Unnennbarkeit
des Göttlichen, gestellt wird. Das Paradox besteht zwischen dem menschlichen
Akt des Sagens (per verba) und einer das Menschliche übersteigenden Sache (tra-
sumanar). Die Szene verweist auf die Grenzen der Repräsentierbarkeit, aber die
Haltungen der Körper verweisen auf Sprechhaltungen. Diese werden bisweilen
ununterscheidbar, sodass die Präsenz der Stimme des einen immer auch auf die
abwesende Stimme des anderen verweist:

Sì cominciò Beatrice questo canto


(Par. V, 16)

So begann Beatrice diesen Gesang

46 Vgl. Singleton: Commedia, S. 11  f. Singleton betont die Buchstäblichkeit des Körpers, die in
das Paradies eingeführt wird.
 auctoritas: Wer spricht?   55

Wer singt in dem Moment, in dem es heißt, dass Beatrice den Gesang begann? Mit
ihrem Gesang hatte Beatrice den V. Gesang des Paradieses eröffnet, auf den nun
zurückverwiesen wird. Die Rede der Herrin kann immer auch Gesang sein und
sich damit gleichzeitig auf den Gesang als Ganzen, auf den „Canto“, beziehen.
Die Formulierung lässt offen, ob Beatrice die Sprecherin des Canto ist oder ob es
nicht vielmehr auch ihr Canto ist und sie insofern die Quasi-Autorschaft über den
gesamten Gesang übernimmt.
Beatrices Rede („suo parlar“, Par. V, 17) und auch der nachfolgende „pro­
cesso santo“ (Par. V, 18) lassen sich in zweifacher Hinsicht lesen: einerseits als
Gerichtsrede, so wie sie Dante für seine Figur konzipiert hat, andererseits als
Rede, die sich gegenüber demjenigen, der sie schreibt, verselbstständigt hat. Für
Teodolinda Barolini liegt in der Unbeantwortbarkeit dieser Frage – „who is the
text’s true cantor“47  – eines der Probleme, die das Paradies aufwirft. Die auto­
ritäre Intervention unterstreicht nicht nur die Autorität des Autors, sie stellt sie
auch in Frage: „This fascinating authorical intervention serves simultaneously to
heighten and deflect the author’s authority, his very presence: for indeed, who is
the author, Dante or Beatrice.“48 Auch Harald Bloom hatte Beatrice in diese Rich­
tung gedeutet, als er sie von ihrer Funktionalisierung für die figura Christi abge­
löst und zur Projektionsfigur für Dantes Autorschaft erklärt hat: „The Comedy’s
Beatrice matters not because she is an intimation of Christ, but because she is
Dante’s idealized projection of his own singularity, the point of view of his work
as an author.“49 In dem Moment, in dem Beatrice jedoch anfängt das zu machen,
was die Dichtung tut, nämlich zu singen, verselbstständigt sich die Figur und
stellt damit die Behauptung der Autorschaft in Frage. Dante legt Beatrice seinen
Gesang in den Mund. Er lässt sie folglich nicht nur philosophisch-theologisch
sprechen, sondern auch poetisch singen. Wie Sokrates mit den Worten Diotimas
spricht, so Beatrice mit den Worten Dantes.
Die confusione von Dante und Beatrice macht in der Commedia poten­tiell
noch eine andere Art der Fiktion von Autorschaft möglich, die dem Text als eine

47 Vgl. Teodolinda Barolini: The Undivine Comedy. Detheologizing Dante, Princeton, New Jer­
sey 1992, S. 189. Die Ambiguisierung, die hiermit bezüglich der Autorschaft erzeugt wird, stellt sie
einer zweiten gegenüber, dem darauffolgenden canto Justinians. Das widerspricht meiner These
nicht, vielmehr wird auch damit die doppelte Autorschaft anhand zweier symbolischer Ordnun­
gen durchgespielt. Während Beatrice die Kirche symbolisiert, symbolisiert Justinian das Kaiser­
reich.
48 Barolini: The Undivine Comedy, S. 189.
49 Harald Bloom: The Western Canon. The Books and School of the Ages, New York, San
Diego, London 1994, S. 82.
56   Beatrices Gesang

weitere Ebene eingeschrieben wird.50 Dies ist die Ebene der énonciation oder
besser gesagt des Kommentars51, die Dante auch in seiner Vita nuova, in De vulgari
eloquentia und im Convivio interessiert hat. Die Ebene des Kommentars ist in dem
epischen Text, der über keinen expliziten eigenen Kommentar mehr verfügt, nicht
einfach weggefallen. Denn warum sollte Dante dieses Verfahren, an dem er syste­
matisch gearbeitet hat, plötzlich aufgeben? Der Kommentar, die Auslegung ist als
eine zweite Ebene in die Commedia eingegangen, die immer wieder auf Beatrice
als Ort der Konstituierung des Sprechens und der Poetik des Textes verweist.52

1.3 Befehlsmacht: fa che tu scrive

Die Verschränkung von Poetik und Figur zeichnet sich dort besonders deutlich
ab, wo Dante für Beatrice einen eigenen Stil entwickelt, so in Beatrices erster,
eigener Rede:

e cominciommi a dir soave e piana,


con angelica voce, in sua favella:
‚O anima cortese mantoana,
di cui la fama ancor nel mondo dura,
e durerà quanto ’l mondo lontana, […]‘
(Inf. II, 56–60)

und sie begann


zu mir zu sprechen, sanft und leicht, mit engelhafter
Stimme, auf ihre Weise:
‚Du liebenswürdige Mantuaner Seele, deren Ruhm noch
immer in der Welt andauert und dauern wird so lange wie die
Welt, […]‘
(Inf. II, 55–60)

Beatrice wird hier nicht als das Objekt des süßen neuen Stils inszeniert, sondern
als diejenige, die selbst süß und leicht – „soave e piana“ – und mit der Stimme
eines Engels  – „con angelica voce“  – und damit im Stil des dolce stil novo die
„rime d’amor […] dolci e leggiadre“ [Purg. XXVI, 99; klangvoll-anmutige Liebes­

50 Einer „Poetik der Potentialität“ müsste dieser Aspekt nachgetragen werden. Vgl. Katha­rina
Münchberg: Dante. Die Möglichkeit der Kunst, Heidelberg 2005.
51 Vgl. Émile Benveniste: Problèmes de linguistique générale, Bd. 2, Paris 1974 (Bibliothèque
des sciences humaines), S. 43–88.
52 Zum Vergleich zwischen Rechtstext und Literatur Markus Krajewski/Cornelia Vismann:
Kommentar, Code und Kodifikation. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 3/1 (2009), S. 5–16.
 auctoritas: Wer spricht?   57

dichtung] spricht.53 Auf subtile Weise verschiebt Dante die literarischen Vorla­
gen durch eine Ambiguisierung der Rede, wenn er Beatrice das Lob des irdischen
Ruhms Vergils singen lässt. Die Art, wie Dante dieses Lob einführt, wer dieses
Lob sagt, führt auf der Ebene der énonciation zu einer zweiten, den énoncé kom­
mentierenden Ebene, bei der es um die Frage geht, wer dieses Lob spricht und wie
es gesprochen wird.
Beatrice wird in die Rolle einer Sprecherin gebracht, deren Rede Befehlsmacht
hat. Vergil wünscht sich geradezu, von ihr Anordnungen zu bekommen: „tal che
di comandare io la richiesi“ [Inf. II, 54; dass ich mir / nichts anderes wünschte,
als ihre Befehle zu erhalten] und bereitwillig ihrem „comandamento“ (Inf. II, 79)
zu folgen. Auch wenn Beatrice ihre Rede weinend vorbringt, sie demütig ihre mit
tränenbenetzten Augen abwendet, so spricht Dante seiner Figur die gebietende
Macht der Rede zu, die sofortige Wirkung zeigt, wenn sich Vergil auf ihre Anord­
nung hin auf den Weg zu Dante in die Hölle macht („ti faccio andare“, Inf. II, 70).
Beatrice verfügt folglich nicht nur über eine theologische Rede, sie zitiert darüber
hinaus den „süßen“ Stil der Dichtung, wenn sie mit engelhafter Stimme durch
eine Apostrophe anhebt: „O anima“ (Inf. II, 58). Dante weist Beatrice, bevor er sie
einen eigenen Canto singen lässt, auf diese Weise die Möglichkeit einer eigenen
favella zu. Er macht also möglich, dass die Herrin Beatrice selbst poetische Worte
spricht, die es jederzeit mit Dantes eigenem Stil aufnehmen können.
In dieser Funktion kann man Beatrice mit Francesca aus dem fünften Gesang
des Inferno vergleichen. Pier Paolo Pasolini hat dazu bemerkt, dass Dante in der
berühmten Szene das sprachliche Register wechselt und in der Begegnung von
Paolo und Francesca die populären Liebestopiken verwendet: vom höfischen
Liebesdiskurs bis hin zu Romanzen der Epoche. Dantes poetisches Verfahren
besteht darin, seinen Figuren Wendungen in den Mund zu legen, die nicht ihre
eigenen sind, aber durch diese in das Innere seiner Figuren einzudringen. Für
Pasolini ist dieses Verfahren das gleiche, das er für seine Filme beansprucht, ein
„soggettivo libero indiretto“54. Zur Technik des indirekt-subjektiven Stils gehört,
dass Dante Francesca einen Vers aus einem Gedicht von Guido Guinizelli, „Al cor
gentil rempaira sempre amore“55, zitieren lässt. Dante hat Francesca, indem er
ihr einen Namen und eine Stimme verliehen hat, nicht nur vor dem Vergessen der

53 Zu diesem Befund passt, dass Beatrice in der Commedia nicht mehr, wie noch in der Vita
nuova, als „donna gentile“ bezeichnet wird. Vgl. Ignazio Baldelli: Realtà personale e corporale
di Beatrice. In: Beatrice nell‘opera di Dante e nella memoria europea 1290–1990. Hrsg. von Maria
Picchio Simonelli, Neapel 1994, S. 137–155, S. 152.
54 Pier Paolo Pasolini: Il cinema di Poesia. In: ders., Empirismo eretico, Mailand 2000, S. 167–
187, S. 176.
55 Guido Guinizelli: Rime. Hrsg. von Pietro Pelosi, Neapel 1998, IV.
58   Beatrices Gesang

Geschichtsschreibung gerettet.56 Er hat mit ihr eine bestimmte Art und Weise des
Sprechens ausgelotet, die sie zu einer poetologischen Figur macht.
Nicht zufällig wird also der Blick des Lesers erneut auf den Mund der weib­
lichen Figur als Ort sowohl der Manifestation der Liebe als auch der Fabrikation
von Rede gelenkt: einer zweideutigen, zitierenden Rede, die sich mit der Stimme
des Textes vermischt (vgl. Inf. V, 136). Denn es kommt nicht nur auf die Bedeu­
tung des Zitats an und die Frage, ob es um eine Kritik des dolce stil novo geht
oder nicht, sondern darauf, was passiert, wenn Dante Francesca das Zitat spre­
chen lässt. Durch das, was Barbara Vinken „dis-placement of style“57 genannt
hat, wird die Amorlehre des dolce stil novo, die Amor als metaphysisches Prinzip
der Dichtung behauptet und Seelenadel durch Reinigung des Herzens erzielt,
zersetzt. Als Francescas Rede ist Amor nicht länger ein Prinzip der Vermittlung
zwischen zwei Sphären. In ihrem Mund wird Amor zu einer ziellosen Metapher
des Begehrens, „metaphor of a passionate, burning desire that perpetuates itself
while never reaching its goal.“58 Dante lässt Francesca einen Stil kopieren, aber
die Wiederholung macht aus ihrer Rede einen neuen ‚Text‘, der sich durch die
Differenz zum Vorgängertext konstituiert. Ist also der dolce stil novo im Mund
Beatrices noch der gleiche?
Zu einer solch minimalen Verschiebung in der diskursiven Struktur des
Textes kommt es auch, wenn Beatrice Dante zum Schrei­ben auffordert:

‚[…] a quel che vedi,


ritornato di là, fa che tu scrive.‘
(Purg. XXXII, 104–105)

und was du siehst, das sollst du nach der


Rückkehr niederschreiben.

„[F]a che tu scrive“ – damit wird eine Beziehung zwischen Beatrice im Text und
Dante als erzählendem bzw. schreibendem Ich hergestellt, was die Souveränität
der Rede zu einem zweideutigen Spiel macht. Die Spannung, die zwischen dort
(là) und dem Akt des Schreibens (scrivere) besteht, resultiert nicht nur aus der zeit­
lichen Differenz zwischen dem Geschauten und dem Moment der Niederschrift,

56 Vgl. Teodolinda Barolini: Dante and Francesca da Rimini. Realpolitik, Romance, Gender.
In: Speculum 75/1 (2000), S. 1–28, S. 1: „in effect he saved Francesca from oblivion, giving her a
voice and a name.“
57 Barbara Vinken: Encore. Francesca da Rimini. Rhetoric of Seduction – Seduction of Rheto­
ric. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988),
S. 395–415, S. 408.
58 Vinken: Encore. Francesca da Rimini, S. 408.
 auctoritas: Wer spricht?   59

sondern auch aus der Differenz zwischen dem Schreiber und seinem Diktierer.
Wieder tritt Beatrice als dittator auf, um stellvertretend für Amor den Dichter zum
Schrei­ben anzuleiten. Ihre Funktion beschränkt sich dabei auch hier nicht auf
die Vermittlung, wenn sie es ist, die Dante beauftragt und autorisiert, Autor eines
Gedichts über das Geschaute zu werden. Die „Führerin durchs Reich der himm­
lischen Glückseligkeit“59 führt Dante auch zum Schrei­ben. Die Zweistimmigkeit
des Textes zeigt, dass Beatrice strukturell die gleiche Bedeutung zukommt wie
Vergil, den Dante als maestro e autore apostrophiert hatte. Die humile Geste des
vor ihr niederknienden Dante – „e io, che tutto ai piedi / d’i suoi comandamenti
era divoto“ [Purg. XXXII, 106–7; und ich, der ich zu ihren Füßen gänzlich ihren
Befehlen ergeben war] – zeigt nicht nur Dantes Demut gegenüber der göttlichen
Theologie, die Beatrice verkörpert, sondern auch, dass die Figuration von Autor­
schaft in einer solchen demütigen Haltung gründet: in der Unterwerfung unter
eine Stimme, die sich mit der eigenen überschneidet und vermischt, aber nicht
mit ihr identisch ist.
Dantes Ergebenheit gegenüber Beatrice ist dabei die gleiche wie diejenige,
die er Vergil als seinem maestro e autore entgegengebracht hatte. In dem Moment,
in dem er diesen als Sprecher identifiziert, lobt er Vergils „bello stilo“ (Inf. I, 87)
über alle Maßen und preist ihn als „famoso saggio“ [Inf. I, 89; berühmter Weiser].
Während Dantes Respekt gegenüber Vergil „vergognosa“ [Inf. I, 81; schamhaft]
bleibt, folgt die Haltung, mit der er sich gegenüber Beatrice inszeniert, einer
Figur der Unterwerfung als divotio. Diese Geste ist am Konzept der fin’amors der
Provenzalen geschult, in der die Herrin über den Liebenden gestellt wird.60 Doch
auch hier besteht die entscheidende Abweichung von diesem Modell darin, dass
die donna spricht und Aufträge erteilt. Sie ist eine Figur, deren Souveränität nicht
nur aus der Entsprechung der in der Liebeslehre vorgezeichneten Rolle resultiert.
Dante räumt ihr auf diskursiver Ebene einen Spielraum ein, der es ihr ermöglicht,
auch den Gesang zu beherrschen. Insbesondere dann, wenn Beatrice als dieje­
nige dargestellt wird, die ihm seine Rede diktiert, manifestiert der schreibende
Dante ihre Autorität:

Così Beatrice a me com’ ïo scrivo


(Par. V, 85)

So Beatrice zu mir, wie ich es schreibe

59 Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils, S. 133.


60 Vgl. Hans Robert Jauss: Ästhetische Erfahrung als Zugang zu mittelalterlicher Literatur.
In: ders.: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1959–
1976, München 1977, 411–427, S. 389.
60   Beatrices Gesang

Beatrice wird zu einem dittator, der dem schreibenden Dante seinen Text vorsagt.
Liegt damit die Macht bei demjenigen, der schreibt, oder bei derjenigen Instanz,
die den Zuspruch erteilt? Schreibt Dante nach Beatrices Diktat, dann ist nicht sie
das Medium, sondern Dante ihr Medium. „So Beatrice zu mir, wie ich es schreibe“:
Was Dante schreibt, sind Beatrices Worte. Folglich unterscheidet Dante nicht nur
zwischen dem erinnernden und dem erinnerten Ich (Dante als Erzähler und als
Figur seines Textes, die beide von der textexternen, schreibenden Instanz Dante
unterschieden werden müssen), sondern auch zwischen zwei Beatrice-Figuren:
einer erinnerten Beatrice und einer diktierenden, die beide von der historischen
Beatrice unterschieden werden müssen. Diese Differenz führt zur Ambiguität
der Rede, die im Ungewissen lässt, wer spricht. Gerade wenn Redewiedergabe
und Diktataufnahme zusammenfallen, wird der Text der Commedia auch zum
Text Beatrices, die den textinternen Dante in doppelter Weise anleitet: als erin­
nerte Beatrice auf dem Weg zum Heil und als Diktierende auf ‚dem Weg‘ zur
Schrift.
Beatrice ist wie Dante im Text zweistimmig: Ihre Rede ist auf der Ebene der
histoire wie auf der des discours platziert. Als figura Christi, wie die Dantistik sie
in Anschluss an Singleton oder Auerbach interpretiert hatte, wird sie stets nur als
‚einfache‘, bzw. typologisch ausgerichtete Textinstanz gesehen. Singleton hatte –
wie Auerbach in seinem Figura-Aufsatz – die konstitutive christliche Lektüre der
Typologie auf die Commedia und die Vita nuova angewandt und die innere Span­
nung von Wiederholung und Überbietung auf die beiden Texte übertragen: Die
Vita nuova war hierin zur figura geworden, die durch die Commedia überboten
wird, gerade so, wie das Neue Testament an das Alte zurückbindet, indem die
Einlösung des Alten dessen Gültigkeit bestreitet.61 Die Bestimmung Beatrices
erschöpft sich jedoch nicht darin. Denn was mit dem Namen Beatrice benannt
wird, sind zwei Instanzen, die die Textstruktur möglich gemacht hat und die
als solche auch einen doppelten Einfluss auf die beiden Dante-Figuren nehmen
können.

61 Vgl. Singleton: Commedia, Kap. The Pattern at the Center, S. 45–60, S. 52. Regn schließt
daran an, wenn er Beatrice als Figur interpretiert, die „die erzählerische Repräsentation einer
Anagogie ermöglicht, der sie selbst angehört“, im Unterschied zur Beatrice der Vita nuova, die
zwar die Liebesgeschichte als Heilsgeschehen perspektiviert, aber letztlich, durch die Abwen­
dung Dantes von Beatrice nach ihrem Tod, damit scheitert. Vgl. Gerhard Regn: Dantes Beatrice
und die Poetik des Heils, S. 133 und 137  f. Auch Regn: „Allegorice pro laurea corona“. Dante,
Petrarca und die Konstitution postmittelalterlicher Dichtungsallegorie. In: Romanistisches Jahr­
buch 51 (2000), S. 128–152, insb. S. 132–138 und Rachel Jacoff: The Tears of Beatrice. Inferno II.
In: Dante Studies 100 (1982), S. 1–12, insb. S. 9. Jacoff zufolge hat Beatrice eine Mittlerfunktion
(mediatrix) innerhalb der typologischen Struktur des Gedichts.
 auctoritas: Wer spricht?   61

Die poetologische Referenz verweist auf den Moment, in dem der Text über
sich selbst spricht und dient damit der Reflexion über die Bedingungen eines
Schreibens, bei dem Dante göttliche Rede in Schrift überträgt. In der Commedia
zeigt sich durch die Inszenierung ihrer Bedingungen als Vorsagen und Nachschrei­
ben, dass sie als Nachschrift ihren metaphysischen Begründungszusammenhang
gleichzeitig aktualisiert und in Frage stellt. Dante bezieht Beatrices Rede, ihr
parlar, in den Akt des Schreibens mit ein, konstitutiv geht es als Diktat immer
schon voraus. Dante porträtiert sich als Dichter, der schreibt – „com’ ïo scrivo“ –,
aber er überträgt seine narrative Autorität auf eine weitere Instanz, wenn er eine
„Schreibszene“62 als Wiedergabe von Beatrices Gesagtem inszeniert. Man könnte
die Szene als „flirtation with the role of divine nuntius or scriba Dei“63 lesen. Aber
dabei bliebe Beatrices Auftritt die Metapher für eine von Gott autorisierte Szene
des Schreibens. Auf metonymischer Ebene sieht man jedoch, dass sich der Flirt
des Dichters mit den von ihm geschaffenen literarischen Figuren fortsetzt. Dante,
der Schreiber, begibt sich in beide Rollen – in Dante und Beatrice –, wenn Beat­
rice Dante Worte vorgibt, die Dante als irdischer Dichter aufschreibt.
Dabei verweist die humile Geste der Selbsterniedrigung auf stilistischer Ebene
auf ein Gedicht Cavalcantis mit dem Titel „Se m’ha del tutto oblïato Merzede“.
Darin hat sich gemäß der Topik der höfischen Liebe der Sprecher seiner Ange­
beteten gegenüber als vollkommen unterworfen erklärt: „‚Donna, tutto vostro
sono‘“64. Anders dagegen die Redehaltung in der Commedia, denn Beatrice geht
nicht darin auf, dem Dichter Liebe einzugeben, die sein Sprechen und Fühlen ver­
ursacht. Sie spricht ihm auch die Worte vor, die er schreiben wird. Damit ist ihre
Rede auf verwirrende Vieldeutigkeit in der gleichen Weise angelegt, wie es die
Rede von Sokrates und Diotima war. Wenn Beatrice Dante Worte vor-sagt, die sie
wie einen eigenen, süßen Stil beherrscht, dann hat sich Dante die Stimme einer
Frau geborgt, um diese nicht nur mit einer anderen zu überschreiben, sondern sie
selbst sprechen zu lassen.
Das Aufschreibesystem der Commedia wird durch ein Sprechen legitimiert,
bei dem der Dichter wie ein fieberndes Kind der Mutter die Worte von den Lippen

62 Zum Begriff der Schreibszene vgl. Rodolphe Gasché: Scene of Writing. A Deferred Outset.
In: Glyph 1 (1977), S. 150–171. Auch Campe im Anschluss an Barthes Begriff der écriture Rüdiger
Campe: Die Schreibszene. Schrei­ben. In: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situatio­
nen offener Epistemologie. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt
a. M. 1991, S. 759–772.
63 Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 366. Vgl. auch Friedrich: Epochen der
italienischen Lyrik, S. 59.
64 Guido Cavalcanti: Rime. Hrsg. von Domenico de Roberts, Turin 1986 (Nuova raccolta di
classici italiani annotati 10), XIV: „Se m’ha del tutto oblïato Merzede“, 13.
62   Beatrices Gesang

abliest und mit der gleichen Ergebenheit unter diese Mutterschaft gerade diese
Worte schreibt.65 Die Inszenierung inspirierter Rede folgt also immer auch dem
Diktat Beatrices: einer süßen, bisweilen strengen und mütterlichen Rede. Das
lyrische Sprechen ist folglich wiedergegebene Rede, die in anderer Weise als
Vergil als maestro und autore an der Redeordnung des Textes partizipiert. Auch
wenn Vergil explizites Vorbild ist und mit Dante ein Figurenpaar bildet, wird er
nicht als Figur inszeniert, die am poetischen Prozess der Verfertigung der Rede
beteiligt ist. Vor dem Hintergrund der Amorlehre inszeniert Dante eine weibliche
Figur als diejenige, die die Funktion hat, dem Wanderer die Worte vorzusprechen.
„Così Beatrice a me com’ ïo scrivo“: Was sie ihn schreiben lässt, sind seine, aber
auch ihre Worte. Zum einen ist also Beatrice die Herrin aus dem höfischen Lie­
besdiskurs, zum anderen aber wird gerade diese Figur mit der Poetik des Textes
verbunden. Die Eindeutigkeit der Frage, in wessen Namen das Sprechen erfolgt,
die Souveränität der Autorschaft und die auctoritas Dantes müssen in Zweifel
gezogen werden, wenn Beatrice anfängt, selbst zu reden und Dante die Worte aus
der Hand nimmt.

2 Dantes Signatur

An zentraler Stelle in der Commedia wird die Rede Beatrices als Möglichkeit, von
Liebe zu sprechen bzw. zu singen inszeniert. Mit der Inszenierung ihrer Ankunft
in Canto XXX des Purgatorio, die Dante durch ein Zitat aus dem Cantico canti-
corum perspektiviert, werden nicht nur Beatrices Handlungen, sondern auch
ihre Worte prominent in den Blick gerückt. Die als Braut inszenierte Beatrice ist
zugleich diejenige, durch die die Liebesgeschichte wiederholt, in dieser Wieder­
holung aber in eine andere Redeordnung übersetzt wird. Die Commedia bildet
an dieser Stelle eine Zeichenpraxis aus, in der sich durch Substitutionen, Benen­
nungen und Zitate ein Gesang zweiter Ordnung konstituiert. Die triumphale
Erscheinung Beatrices in Canto XXX, jene zentrale Stelle der Commedia, die das
Scharnier zwischen Fegefeuer und Paradies bildet, wird durch ein Zitat aus dem
Cantico canticorum intertextuell markiert:

e un di loro, quasi da ciel messo,


‚Veni, sponsa, de Libano‘ cantando
gridò tre volte, et tutti li altri appresso.
(Purg. XXX, 10–12; Herv. im Orig.)

65 In der Romantik wird dieses Aufschreibesystem aktualisiert. Vgl. Friedrich Kittler: Auf­
schreibesysteme 1800, 1900, München 1985.
 Dantes Signatur   63

Und einem Himmelsboten gleich sang einer von ihnen


mit lauter Stimme Veni, sponsa, de Libano – ‚Komm, Braut,
vom Libanon‘ – dreimal, und alle anderen taten es ihm nach.

Mit lauter Stimme verkündet ein Engel dreimal das Zitat, bevor in einer Vision
Dantes die verschleierte und bekränzte Beatrice auf einer Wolke, von Blumen
umhüllt, herangeschwebt kommt und über der Brüstung des allegorischen
Triumphwagens  – von der Forschung meist als ecclesia triumphans interpre­
tiert66  – Platz nimmt. Der Canto ist in den Horizont dieses Zitats gerückt, das
intertextuell die Ankunft Beatrices als Ankunft einer Braut, als sponsa christi,
perspektiviert.67 Nicht erst wenn ausdrücklich auf die mittelalterliche Vorstel­
lung von ecclesia und sponsa rekurriert wird68, sondern schon hier bedient
sich Dante einem der geläufigsten religiösen Intertexte des Mittelalters. Die drei
letzten Gesänge des Purgatorio sind auf dieser Folie zu lesen, durch die die im
Cantico canticorum dargestellte Liebe je nach Stand der Auslegung typologisch
bzw. allegorisch als Beziehung zwischen Christus als Bräutigam und der Kirche
als Braut, tropologisch als Geschichte der Vereinigung zwischen der christlichen
Seele und Christus als Gott (bzw. seit dem neunten Jahrhundert als Figur für die
Beziehung zwischen Jungfrau und Christus) und anagogisch als das Leben der
Seele im Himmel ausgelegt wird. Nicht zufällig wird Beatrice ja auch am Ende des
Paradiso von Bernard de Clairvaux abgelöst, der die Kritik des Cantico canticorum
im Spätmittelalter durch seine Exegese maßgeblich geprägt hat.69
Die Bedeutung des Zitats wird mehrfach herausgestellt: Die auctoritas des
Zitats bleibt unangefochten, durch sein Latein setzt es sich vom volgare der

66 Vgl. Florian Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt. Beatrice und die Allegorie
in Dantes Purgatorio XXX–XXXIII. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 79/80 (2005), S. 103–160, ins­
bes. S. 156 und S. 158  ff. Beatrice als Synekdoche der idealen Ecclesia lässt sich nach dem vier­
fachen Schriftsinn deuten, ohne dass dabei das exegetische Verfahren der Typologie bemüht
werden muss.
67 Vgl. Sara E. Díaz: ‚Dietro a lo sposo, si la sposa piace‘. Marriage in Dante’s „Commedia“. Diss.
New York University 2011. http://gradworks.umi.com/3466874.pdf (31. Mai 2013), Einleitung,
S. 1–24. Mit ihrer Untersuchung konzentriert sich Díaz jedoch in erster Linie auf die irdische Ehe.
68 Vgl. Paola Nasti: Caritas and Ecclesiology in Dante’s Heaven of the Sun. In: Dante’s Com-
media. Theology as Poetry. Hrsg. von Vittorio Montemaggi/Matthew Treherne, Notre Dame
2010, S. 210–244.
69 Von daher liegt es nahe, vor allem die Auslegung von Bernard als Folie für die drei letzten
Gesänge des Purgatorio heranzuziehen, wenn das Zitat des Cantico canticorum auf den Intertext
referiert. Vgl. Olivia Holmes: Dante’s two Beloveds. Ethic and Erotics in the Divine Commedy,
New Haven, London 2008, Kap. 5: Jerusalem and Babylon. Brides, Widows, and Whores, S. 119–
156.
64   Beatrices Gesang

Commedia ab. Zudem wird es von einem Engel dreimal ausgerufen und dieser
dreifache Ausruf vom Chor der Engel aufgenommen. Die imperiale Ankunft der
sponsa ist damit von geradezu liturgischem Gesang umhüllt, der schließlich in
zwei weitere Zitate übergeht, die nun ihrerseits die Braut zu Christus und zum
Imperium in Bezug setzen, wenn es heißt: „‚Benedictus qui venis!‘“ (Purg. XXX,
19, Herv. im Orig.) und „‚Manibus […] date lilïa plenis!‘“ (Purg. XXX, 21, Herv. im
Orig.) aus Vergils Aeneis.70 Derjenige, der mit diesem Zitat angekündigt wird,
wird wie Christus bei seinem Einzug in Jerusalem beschrieben – „Hosanna filio
David! Benedictus qui venit in nomine Domini“ (Mt. 21,4–9) – und wie Aeneas
eingeführt, dessen Verheißung kommenden Ruhms in der Rede von Anchises
hier aufgerufen wird.71 In politisch-theologischer Hinsicht wird mit dem Auftritt
der sponsa gleichzeitig die Kirche und das Imperium zitiert, die Dante in seiner
Monarchia mit der Metapher der zwei Schwerter bestimmt hatte, wo es heißt:
„Hiis itaque prenotatis, ad id quod superius dicebatur dico per interemptionem
illixus dicti quo dicunt illa due luminaria typice importare duo hec regimina: in
quo quidem dicta tota vis argumenti consistit.“ [Mon. III, iv, 12; […] vernichte ich
die oben erwähnte Aussage, in der sie behaupten, die beiden Lichter bedeuteten
bildlich die beiden Regierungen].
Allerdings korrespondiert der doppelte Körper der Macht, der hiermit evo­
ziert wird, mit einem anderen Körper: einem geschlechtlichen Körper, der eben­
falls Züge dieser zweifachen Verfasstheit trägt. Singleton hatte aus dieser Stelle
geschlussfolgert, dass Beatrice auch hier als figura Christi zu lesen sei: „It is Bea­
trice – Beatrice who comes as Christ.“72 Er ist mit dieser Identifikation allerdings
über die Komplexität der Zitierung hinweggegangen. Schon die Verkürzung des
biblischen Zitats um den Halbsatz „in nomine Domini“ lässt vermuten, dass
Christus zwar aufgerufen wird, es hier aber darum gehen soll, an die Stelle des
ausgelassenen Namens des Herrn einen neuen zu setzen. Hinsichtlich ihrer Kom­
munikationssituation ruft die Textstelle demnach Fragen der Adressierung, der
Benennungen und Ersetzungen auf.

70 Vgl. Publius Vergilius Maro: Aeneis. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. und übers. von Gerhard
Fink, Düsseldorf, Zürich 2005, VI, 883: „manibus, date, lilia plenis“ [Spendet Lilien aus vollen
Händen!]. Im Folgenden zitiert nach dieser Ausgabe.
71 Vgl. Vergil, Aen. VI, 883.
72 Vgl. Singleton: Commedia, Kap. The Pattern at the Center, S. 45–60, S. 52 (Herv. im Orig.).
Auf die Redundanz der Christussymbole bei einer solchen Interpretation weist Mehltretter hin.
Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt, S. 117  ff.
 Dantes Signatur   65

2.1 parola disïata

Zahlreiche Verweise auf das Canticum canticorum machen deutlich, wie sehr es
als Folie in den Gesang eingegangen ist – von der Morgenröte (Cant. 6,10) ange­
fangen, der Verschleierung (Cant. 4,1) bis hin zur Verführung durch den Blick
der Braut (Cant. 4,12).73 Auch die Spezifizierung des Zuges als Brautzug (vgl.
Purg. XXIX, 60) zielt auf die Referenz des Zitats aus dem Cantico ab. In Bernards
Auslegung ist das Cantico canticorum als Gegenstand der Exegese immer auch
zugleich das „neue Lied“, das derjenige, der ihm folgt, singen wird. Es ist ein
„canticum novum“74, das den Gläubigen durch einen neuen Gesang mit neuem
Leben erfüllen soll. Überschreibt Dante das canticum novum mit einem anderen
‚neuen Lied‘?
Wird die Ankunft Beatrices durch ein Zitat perspektiviert, so verbindet das
Ende des Purgatorio die Szene mit dem Schreibakt. Die verwendete Metaphorik
kennzeichnet dabei das Schrei­ben als Moment der Erneuerung. Die alten Blätter
sind vollgeschrieben (le carte), der Gesang (questa cantica) ist beendet:

ma perché piene son tutte le carte


ordite a questa cantica seconda,
non mi lascia più ir lo fren de l’arte.
(Purg. XXXIII, 139–141)

Doch da nun alle Blätter voll sind, die für diese zweite
Cantica bereitet waren, zieht mir die Kunst den Zügel an.
(Purg. XXXIII, 140–141, Herv. im Orig.)

Der Anspielung auf den Akt des Schreibens durch die carte und die cantia geht
die Selbstbeschränkung auf seine Materialität voraus, wodurch der Text ebenfalls
auf die poetologische Ebene springt:

S’io avessi, lettor, più lungo spazio


da scrivere, i’ pur cantere’ in parte
lo dolce ber che mai non m’avria sazio;
(Purg. XXXIII, 136–138)

73 Zu den Referenzen Paul Priest: Dante and „The Song of Songs“. In: Studi Danteschi 49
(1972), S. 79–113.
74 Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke. Lateinisch / Deutsch. Bd. 5: Sermones super
Cantica Canticorum. Predigten über das Hohe Lied. Hrsg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck
1994, I, V, 9.
66   Beatrices Gesang

Selbst wenn ich, Leser, noch Raum zum Schrei­ben hätte,


ich könnte nur ein klein wenig davon singen, wie
freudevoll das Trinken war, von dem ich nicht genug bekommen
konnte.
(Purg. XXXIII, 136–139)

Die metatextuelle Markierung durch Schrei­ben (scrivere) und Singen (cantere)


legt nahe, dass auch die cantica seconda zuvor über sich selbst als Text gespro­
chen hat, dass also die Thematik der Erneuerung mit der Frage des Schreibens
verbunden ist. Der Auftakt durch das Zitat kennzeichnet bereits die selbstrefle­
xive Ebene. Die Referenz auf das Cantico canticorum dient dabei weniger der
Übernahme eines Themas als der Übernahme seiner Sprechsituation.
Bernard konnte sich das Cantico nicht anders als einen von Gott gesproche­
nen Text vorstellen, als „Spiritus arte“75. Als Beleg für die göttliche Autorisierung
gilt der Anfang des Cantico, der die Frage aufwirft, wer spricht. Denn er beginnt,
als würde er auf eine schon bestehende Frage antworten: „Osculetur me osculo
oris sui“ [Cant. 1,1; Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes].76 Ausgangspunkt
für Bernard ist also zunächst nicht die Frage der exegetischen Auslegung des
Textes, sondern vielmehr seine Sprechsituation und Zeichenpraxis. Der Mund
wird zum Zeichen des zu empfangenden Wortes und des Sprechens, die Bereit­
schaft des Empfangens des Kusses zur Bereitschaft des Empfangens der gött­
lichen Inspiration und der Rede. Der Mund erweist sich somit als Ort, an dem sich
Worte und Liebe überschneiden, an dem also Worte süß wie Honig oder Zucker
und als Süße der Rede (eloquii suavitas) inszeniert werden können.77
Auch bei Dante werden das von Beatrice herbeigesehnte Wort, ihre „parola
disïata“ (Purg. XXXIII, 83), und ihr Mund aufeinander bezogen. Der Mund rückt
in den Blick als Ort der Verkündung eines Geheimnisses, das gelüftet werden soll:

‚[…] Per grazia fa noi grazia che disvele


a lui la bocca tua, sì che discerna
la seconda bellezza che tu cele.‘
(Purg. XXXI, 136–138)

‚[…] Sei gnädig, schenk uns die Gabe, ihm nun auch deinen
Mund zu entschleiern, damit er das zweite Schöne sehen
kann, das du noch verbirgst.‘

75 Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, III, 5.


76 Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, III, 5.
77 Vgl. Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, III, 5.
 Dantes Signatur   67

Die Metapher des Schleiers besetzt den Mund jedoch auch rhetorisch: Der
Schleier, der von Anfang an Beatrice wie eine Braut verhüllt hat, ist auch der
Schleier der Rede. Dante inszeniert die Frage nach der Wahrheit, die das mittel­
alterliche Dispositiv aufgeworfen hatte, verbunden mit den Möglichkeiten ihrer
Darstellung. Die verschleierte Braut ist die Figur, hinter der sich eine weitere
Figur, nämlich eine Figur der Rede verbirgt. Denn auch das Cantico hatte eine Lie­
bessprache ausgebildet, die der Rede der Braut einen Ort und d.  h. eine Sprache
verliehen hat: Nicht nur der Bräutigam adressiert seine Braut. Es ist die Braut, die
sich ihrem Geliebten zuwendet und das Wort ergreift, als die weibliche Stimme
darum bittet, geküsst zu werden.
Das Zitat aus dem Cantico eröffnet also einen imaginären Raum, den Dante
mit der zitierten Redeordnung besetzt.78 Bei Dante entfallen deshalb auch die
moraltheologischen Implikationen, die Bernards Auslegung konstituiert hatten.
War Bernard darauf aus, die Lektüre des Cantico canticorum als Abwehr der
„animae passio“ [Leidenschaft des Herzens]79 und gegen die Seuche der Eigen­
liebe zu behaupten80, übernimmt Dante die Redeordnung, die das Cantico kons­
tituiert hatte, nämlich die Rede zwischen Braut und Bräutigam. Vor dieser Folie
wird Dante Beatrice von der stummen Herrin in eine sprechende Figur verwan­
deln. Damit erfolgt eine grundlegende Verschiebung von der buchstäblichen
Erfahrung der Liebe auf den Liebesdiskurs, d.  h. auf die Frage danach, wie über
Liebe gesprochen werden kann. Was mit Beatrices triumphalem Erscheinen
mitinszeniert wird, ist die Möglichkeit einer neuen Sprache der Liebe, die durch
eine Vielzahl von Stimmen erzeugt wird.

2.2 Sprachordnungen: verhüllt / enthüllt

Dante lenkt unseren Blick also nicht nur auf die Inszenierung von Beatrice als
handelnder Figur, sondern vor allem auch auf die Art und Weise ihres Sprechens.
Während sie selbst verschleiert bleibt – Beatrice erscheint „velata sotto l’angelica
festa“ (Purg. XXX, 65) – ist ihre Rede, wie sich in den folgenden Gesängen zeigt,
unverhüllt. Die Klarheit ihrer Rede („il lume del mio detto“) wird dem dunklen
Verstand Dantes („l’intelletto tinto“) entgegengesetzt:

78 Zu einer Lektüre, die die ironische Haltung Dantes gegenüber den theologischen Diskursen
berücksichtigt, vgl. Peter S. Hawkins: All Smiles. Poetry and Theology in Dante. In: Publica­
tions of the Modern Language Association of America, 121/2 (2006), S. 371–387.
79 Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, V, 9.
80 Vgl. Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, I, 1.
68   Beatrices Gesang

Ma perch’ io veggio te ne lo ’ntelletto


fatto di pietra e, impetrato, tinto,
sì che t’abbaglia il lume del mio detto
(Purg. XXXIII, 73–75)

Aber da ich ja sehe, dass dein Kopf verkalkt, versteinert


und verdunkelt ist, so dass mein helles Wort dich blendet
(Purg. XXXIII, 74–75)

Die Opposition von hell und dunkel, Einsicht und Blindheit, Enthüllung und
Verhüllung rekurriert auf die Hülle oder den Schleier der Sprache, und d.  h. auf
die Frage nach uneigentlicher Rede, die seit dem 12. Jahrhundert als Markierung
eines verborgenen Sinns in der biblischen Exegese und in der Auslegung antiker
Texte wichtig geworden war. Die verhüllte Beatrice wird ins Bild gesetzt, um die
Lehre des integumentum ins Spiel zu bringen.81 Dabei deutet die Inszenierung
der Wechselrede als Wechselspiel zwischen entblößter Rede und stumpfer Wahr­
nehmung darauf hin, dass es sich um eine Problematisierung nicht nur des ver­
borgenes Sinns, sondern auch der Aussageweise handelt:

‚[…] Veramente oramai saranno nude


le mie parole, quanto converrassi
quelle scovrire a la tua vista rude.‘
(Purg. XXXIII, 100–102)

‚[…] Im übrigen werden meine Worte künftig so unverhüllt


sein, wie es sein muss, um sie deinem rohen Verstand
nahezubringen.‘

Der Kontrast zwischen der groben Wahrnehmung Dantes („rude“) und der
nackten Rede („nude“) Beatrices bezieht sich zunächst auf das hermeneutische
Problem der richtigen Auslegung, das mit dem Cantico canticorum in den Blick
gerückt worden war. In der einschlägigen Passage des Convivio (II,1) hatte Dante
die Unterscheidung zwischen der Allegorie der Theologie und der Allegorie der
Dichtung nahegelegt und sich damit innerhalb der Diskurse zwischen Theologie
und Dichtung positioniert. Er hatte sich damit in den theologisch-literarischen

81 Vgl. Henning Brinkmann: Verhüllung („Integumentum“) als literarische Darstellungsform.


In: Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter. Hrsg. von Albert Zimmermann, Berlin, New
York 1971, S. 314–339. Christoph Huber: Art. Integumentum. In: Reallexikon der deutschen Li­
teraturwissenschaft (Neubearbeitung). Hrsg. von Harald Fricke u.  a., Bd. 2, Berlin, New York
2000, S. 156–160.
 Dantes Signatur   69

Streit eingeschrieben, der die Konkurrenz zwischen den beiden Diskursen aus­
gemacht hatte.82
Beatrices Worte müssen, damit Dante sie verstehen kann, enthüllt werden,
denn sie spricht in Rätseln wie die Sphinx oder Themis, die Göttin der Gerechtig­
keit: „E forse che la mia narrazion buia, / qual Temi e Sfinge, men ti persuade, /
perch’ a lor modo lo ’ntelletto attuia“ [Purg. XXXIII, 46–48; Vielleicht, dass mein
dunkler Spruch dich wenig überzeugt, / weil er wie Themis oder die Sphinx den
Verstand umnebelt]. Beatrices „Text“ ist demnach verhüllte Rede, den sie aber,
um den verborgenen Sinn für Dante lesbar zu machen, preisgeben muss. In der
Gegenüberstellung der beiden Sprechweisen  – von heller Rede und fehlender
Erkenntnis – werden die unterschiedlichen allegorischen Verfahren konfrontiert.
Auf der Ebene der Argumente der Rede deutet alles darauf hin, dass Beatrice
gekommen ist, um Dante in die theologische Allegorie einzuweisen. Beatrice tritt
in der Rolle der Lehrmeisterin auf, die erschienen ist, ihren Schüler Dante anzu­
leiten, weil ihm das „ersehnte Wort“ Beatrices entwischt:

‚Perché conoschi‘, disse, ‚quella scuola


c’hai seguitata, e veggi sua dottrina
come può seguitar la mia parola;
e veggi vostra via da la divina
distar cotanto, quanto si discorda
da terra il ciel che più alto festina.‘
(Purg. XXXIII, 85–90)

‚Damit du erkennst‘, antwortete sie, ‚welcher Denkart


du gefolgt bist, und siehst, dass ihre Lehre außerstande ist,
meinem Wort zu folgen;
und damit du weiter siehst, dass euer Weg vom
göttlichen Weg so weit entfernt ist wie die Erde von dem
Himmel, der sich als oberster bewegt.‘

Wie in der Exegese der Kirchenväter und des Mittelalters, die stets einen anderen,
spirituellen Sinn im Blick haben – Bernard de Clairvaux hat dies auf die Formu­
lierung vom „Zerreißen des Vorhangs des tötenden Buchstabens“ gebracht83 –,
besteht Beatrices Aufgabe darin, den im Buchstaben verborgenen Sinn des

82 Vgl. Kap. I, 2. Die Frage, wie sich diese Bestimmung auf die literarischen Texte bezieht, wurde
vielfach thematisiert. Vgl. Robert Hollander: Dante Theologus-Poeta. In: Dante Studies 94
(1976), S. 91–136.
83 Vgl. Friedrich Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: Ders.: Schriften zur
mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 1–31, S. 4.
70   Beatrices Gesang

Wortes zu offenbaren. Die Doktrin (dottrina) steht gegen das Wort Beatrices
(parola). Beatrice übernimmt die Position der Auslegenden, sie selbst beherrscht
die unterschiedlichen Ebenen des Schriftsinns. Kurz zuvor war sie es gewesen,
die Dante den Wechsel der Rede befohlen hatte:

Ed ella a me: ‚Da tema e da vergogna


voglio che tu omai ti disviluppe,
sì che non parli più com’ om che sogna. […]‘
(Purg. XXXIII, 31–33)

Und sie zu mir: ‚Von Furcht und Scham sollst du dich


nunmehr lösen und nicht mehr sprechen wie einer, der
träumt. […]‘

Offensichtlich besteht die Aufgabe Beatrices darin, ein anderes Sprechen einzu­
fordern (parlare). Beatrice vermittelt nicht nur den Zugang zu einem verborgenen
Wissen. Über die Ebene der Lehre (dottrina) hinaus wirft sie zudem Fragen nach
der Art und Weise des Sprechens auf.

2.3 Wiederholungen: sua vita nova

Die Inszenierung der Art und Weise des Sprechens steht im Hintergrund der Canti
XXX–XXXIII, die durch Rückerinnerung an Texte und als raffinierte Montage
von intertextuellen Bezügen entfaltet wird. Neben dem Cantico canticorum ist
der zweite entscheidende Intertext für den Auftritt Beatrices Dantes eigene Vita
nuova. Der gesamte Canto wird zu einer Allegorie des Lesens: zu einer Relektüre
der Vita nuova, in der Beatrice zum Liebesobjekt für Dante geworden war.
Beatrice hat auf den ersten Blick die Aufgabe, Dante für sein falsches Ver­
halten zu kritisieren. Ihre Kritik setzt mit Referenz auf die Sirenen bereits zwei
Gesänge vorher ein:

Tuttavia, perché mo vergogna porte


del tuo errore, e perché altra volta,
udendo le serene, sie più forte,
pon giù il seme del piangere e ascolta
(Purg. XXXI, 43–46)

Damit du jedoch jetzt Scham über deine Verfehlung


empfindest und ein andermal, wenn du wieder die Sirenen
hörst, stärker bist,
leg nun die Saat des Weinens ab und hör mir zu
 Dantes Signatur   71

Lenkt diese Stelle eindeutig auf den moralischen Sinn, d.  h. auf die Scham über
das Vergehen, so weisen gleichzeitig mehrere Stellen darauf hin, dass es auch
um die Mittel des Sprechens geht. Im ‚Sirenenkapitel‘ hatte Dante von einer stot­
ternden Sirene geträumt und damit das Augenmerk auf das Sprechen (parlar)
der dolce serena und ihren Wechsel in Gesang (cantar) gerichtet: „Poi ch’ell’ avea
’l parlar così disciolto, / cominciava a cantar“ [Purg. XIX, 16–17; Sie konnte eben
wieder locker sprechen, da begann sie / auch schon zu singen]. Die Verwandlung
von deformierter Rede (balba) in den süßen Gesang wurde von einer weiteren
Frauen­gestalt allerdings als Trug entblößt, die Dante wie Beatrice als Erschei­
nung inszeniert hat: „una donna apparve“ (Purg. XIX, 26)84. Auch die Strenge,
mit der die Frau Vergil adressiert, nimmt Beatrices Strenge gegenüber Dante
vorweg, sodass mit dieser donna bereits auf Beatrices Rede in Canto XXXIII ver­
wiesen wird. Ist mit anderen Worten Beatrice in Dantes Traum aufgetreten, um
die Differenz zwischen balba und cantar ins Spiel zu bringen? Die femmina balba
wirft jedenfalls die Frage des Sprechens auf, parlar, das mit dem Stottern der
Sirene thematisiert wird.85 Dass es um die Mittel der Rede geht, zeigen dann auch
die Beschreibungen von Beatrices Rede zu Beginn von Canto XXXI. Ihr Sprechen
(parlar) ist so scharf und spitz, wie es nur eine verletzende Rede sein kann:

volgendo suo parlare a me per punta,


che pur per taglio m’era paruto acro
(Purg. XXXI, 2–3)

so richtete sie nun die Rede an mich; und war mir vorher die
Schneide schon scharf vorgekommen, so jetzt die Spitze erst
recht.

Worte werden zu Waffen, mit denen der Richter den Gerichteten seiner schuld­
haften Handlung überführt. Wie der Rhetor den Gerichtssaal zu einem Fechtsaal
macht,86 so das parlare Beatrices den Text. Die Stacheln der Rede gelten auch
hier zum einen der moralischen Zurechtweisung, zum anderen zielen sie auf
eine Befragung der Ordnung der Rede.87 In einer mise en abyme wird B ­ eatrice,
die selbst literarische Figur des Textes ist, über den sie spricht, zugleich zu

84 Vgl. Purg. XXX, 31–32: „vel cinta d’uliva / donna m’apparve“. Auch in der Vita nuova war
Beatrices Auftreten als „Erscheinung“ bezeichnet worden. (Vn. 1, 12)
85 Vgl. Robert Hollander: Allegory in Dante’s Commedia, Princeton 1969, S. 169  ff.
86 Marcus Fabius Quintilianus: Institutionis oratoriae / Die Ausbildung des Redners. Hrsg.
und übers. von Helmut Rahn, Darmstadt 2006, IX, 1, 20.
87 Vgl. John Freccero: Dante. The Poetics of Conversion. Hrsg. von Rachel Jacoff, Cambridge,
Mass. 1986, S. 130.
72   Beatrices Gesang

dessen Leserin. Nicht mehr nur die Aeneis, auch die Vita nuova dient als Vorlage,
die Commedia wird zu ihrer Nachschrift, wie sie auch schon für das Canticum
„riscrittura“88 ist. Dabei zeigt sich die Schärfe ihrer Rede in den Folgen: ihre Rede
ist nicht mehr süß, wie noch in der Anrede Vergils, wo sie soave e piana war. Und
darum ist die Wirkung bitter (amaro):

Così la madre al figlio par superba,


com’ ella parve a me; perché d’amaro
sente il sapor de la pietade acerba.
(Purg. XXX, 79–81)

So kann dem Sohn die Mutter streng erhaben scheinen,


wie sie mir jetzt erschien; denn wenn Liebe schroff geäußert
wird, dann schmeckt sie bitter.

Nicht zufällig wird die Haltung Dantes in diesem Canto wiederholt als die eines
Kindes bezeichnet, für das Beatrice in der Tat zur „Instanz aktiver Fürsorge“89
wird, wenn sie als eine Mutter zu ihrem „Sohn“ spricht. Beatrice wird Dante einer
strengen Kritik unterziehen, bei der sie die Funktion hat, über seine Vergehen zu
urteilen. Durch ihren Tonfall kippt der Liebesdiskurs in etwas Bitteres, in „sapor
amaro“. Die beiden Texte, Vita nuova und Commedia, werden dabei nicht nur in
ein typologisches Verhältnis gebracht.90 Durch die Übersteigerung wird zugleich –
um die Metapher Auerbachs aufzunehmen  – der figurale Rahmen zerbrochen.
Wenn die Liebe zu Beatrice auf der Grundlage der alten Liebe neu geschrieben
wird, geraten die beiden Texte nicht nur in eine typologische, sondern auch in
eine dialogische, intertextuelle Beziehung zueinander.
Als Dante in den Fluss des Vergessens, Lethe, blickt, erfüllt ihn einerseits die
Erkenntnis seiner selbst derart mit Scham, dass er sich von sich und seiner Ver­
gangenheit abwenden muss. Die Selbstbespiegelung führt ihn somit zur Erkennt­
nis seines Selbst, aber diese Erkenntnis impliziert auch die Wiederaufnahme des
eigenen Textes. Oder anders gesagt: Dantes schamhafte Erkenntnis liegt nicht

88 Paola Nasti: La memoria del Canticum e la Vita Nuova. Una nota preliminare. In: The Ita­
lianist 18 (1998), S. 14–27, S. 23. Nasti liest  – auf der Grundlage der Vermischung der Stile von
amor de lonh und Hoheliedexegese – die Vita nuova als riscrittura des Cantico canticorum. Dante
ist hierbei die sposa (als trauernde Witwe, die durch die Stadt irrt), Beatrica der sposo. Die Ver­
tauschung der Geschlechterrollen scheint auf der Grundlage mystischer Topoi naheliegend
(S. 17  ff.). Vgl. auch Friedrich Ohly: Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hohe­
liedauslegung des Abendlandes bis um 1200, Wiesbaden 1958, S. 135–140.
89 Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils, S. 130.
90 Vgl. Singleton: Commedia, S. 75. Auch Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils,
S. 137  ff.
 Dantes Signatur   73

nur auf der Ebene der Identifikation, sondern auch auf der Ebene der Poetik.
Denn was im Vergessen wieder auftaucht, ist zum einen die Erinnerung an die
Liebe zu Beatrice, zum anderen die Erinnerung an den geschriebenen Text, die
Vita nuova. Erinnerung und Kritik spielen sich also auf zwei Ebenen ab: zum
einen als Relation zwischen erzählten Figuren und Ereignissen, d.  h. zwischen
den Aktanten, zum anderen als intertextuelle Beziehung zwischen zwei Texten,
Vita nuova und Commedia. Auch wenn es zunächst so aussieht, als würde es sich
um eine Rückerinnerung an die ‚alte‘ Liebe handeln, wird gleichzeitig der ‚alte‘
Text aufgerufen. Die Zeichen der „alten Liebe“ werden als „doppelte Zeichen“91
erinnert.
Beatrices Erscheinung führt in die Szene ein, die zunächst auf den Effekt der
Wiederholung setzt. Inmitten einer Blumenwolke erscheint sie in einen grünen
Mantel gehüllt und mit Olivenzweigen bekränzt:

così dentro una nuvola di fiori


che da le mani angeliche saliva
e ricadeva in giù dentro e di fori,
sovra candido vel cinta d’uliva
donna m’apparve, sotto verde manto
vestita di color di fiamma viva.
E lo spirito mio, che già cotanto
tempo era stato ch’a la sua presenza
non era di stupor, tremando, affranto,
sanza de li occhi aver più conoscenza,
per occulta virtù che da lei mosse,
d’antico amor sentì la gran potenza.
(Purg. XXX, 28–39, Herv. C. W.)

Geradeso, in einer Wolke von Blumen, die aus


Engelshänden aufstieg und niedersank auf den Wagen und um
ihn her,
auf reinem weißen Schleier und mit Ölzweigen bekränzt
erschien mir die Frau, angetan mit grünem Mantel und einem
Kleid von der Farbe der brennenden Flamme.
Und da verspürte ich in mir, der ich doch seit so langer
Zeit schon nicht mehr von ihrer Gegenwart betroffen
erzitternd zu Boden gesunken war,
noch ohne dass die Augen sie erkannt hätten, nur durch
den verborgenen Reiz, der davon ausging, die ganze Macht
der alten Liebe.

91 Julia Kristeva: Semiotike. Recherches pour une sémanalyse, Paris 1969, S. 89.
74   Beatrices Gesang

Der machtvolle Auftritt Beatrices führt Dante zurück auf den antico amor, mit
dem seine Liebe zu Beatrice in der Vita nuova zitiert wird. Was damit auch wieder­
kehrt, sind die alten Affekte, die indes in der Vita nuova selbst bereits erinnerte
Affekte waren, „le passate passioni“ (Vn. 8, 2).92 Insofern die Vita nuova bereits
selbst ein Text der Wiederholung, einer in der Schrift wiederholten Liebe ist, ist
die Wiederaufnahme in der Commedia selbst nur das Wiederholen einer Wieder­
holung in Schrift. Denn schon dort war es die erinnerte Liebe nach Beatrices Tod,
eine Liebe zweiten Grades, die jetzt wieder erinnert wird.
Dante spielt auf jene Szene in der Vita nuova an, in der er, ohne zu wissen,
dass sich Beatrice unter der von ihm aufgesuchten Gruppe von Frauen befindet,
allein durch physische Zeichen wie ein „mirabile tremore“ [Vn. 7, 4; wunderbares
Zittern] im Prosateil und als „gran tremore“ [Vn. 8, 5; großes Beben] im Sonett,
der sich von seinem Herzen über den ganzen Körper verbreitet hatte, auf die
Anwesenheit der Geliebten aufmerksam geworden war. Als er unter den Frauen
wie einst auf der Straße tatsächlich Beatrice erkannt hatte, war er ohnmächtig zu
Boden gesunken und damit zum Gespött der Frauen, dem gabbo, geworden.93 Die
Szene, die vorgibt, dass es sich um eine Reaktualisierung der alten Liebe handelt,
verdeckt mit der Handlung, dass sie eine réécriture ist. Die gleichen Worte, die
Dante in der Vita nuova verwendet hat, tauchen in der Commedia auf: tremore,
tremando, tremoto. Es geht also um Zeichen, Dante sagt es selbst zu Vergil:
„conosco i segni dell’antica fiamma“ [Purg. XXX, 48, Herv. C. W.; ich erkenne sie
wieder, die Zeichen der alten Flamme!]. Im Unterschied zur Szene der Wieder­
erkennung von Penelope und Odysseus hat Dante das Wiedererkennen auch auf
den Intertext gerichtet.94 Dantes Liebe aus der Vita nuova, der antico amor und
d.  h. folglich eben auch sein eigener Text, wird über die Textgrenzen hinweg als
Liebesgeschichte in der Commedia weitererzählt und neu interpretiert. Die Szene
ruft demnach nicht nur Ereignisse auf, sondern lässt durch die Selbstreferenzen
auch die Möglichkeit der Relektüre und eine Befragung der semiotischen Praxis
zu, die den beiden Texten jeweils zugrunde liegt. Die Referenz auf das Cantico
canticorum bildet offensichtlich den Rahmen für Dantes eigenen Text und dessen
wiederholte Inszenierung, um durch einen neuen Text den alten zu deuten.

92 Zur Vita nuova als Text des Wiederholens vgl. Barbara Kuhn: Körperzeichen, Zeichenschrift,
Schriftkörper. Die Liebe der Schrift in Dantes Vita nuova. In: Schrift und Liebe in der Kultur des
Mittelalters. Hrsg. von Mireille Schnyder, Berlin, New York 2008 (Trends in Medieval Philolo­
gy 13), S. 165–189.
93 Vgl. Einleitung, S. 7  f.
94 Zum Vergleich der beiden Szenen Pierro Boitani: The Tragic and the Sublime in Medieval
Literature, Cambridge 1989, S. 163  ff. Boitani beachtet jedoch die Textualität der Szene nicht und
liest dementsprechend die Szene als das Rekurrieren auf ein Ereignis.
 Dantes Signatur   75

Die hermeneutische Praxis setzt allerdings eine Umbesetzung in Gang. Denn


nicht Dante selbst ‚liest‘ und deutet seine Fehler wie noch in der Vita nuova,
sondern nun ist es Beatrice. Sie übernimmt die Rolle, die Dante seinem Sprecher
in der Vita nuova zugeschrieben hatte: neben dem Akt des Dichtens (dir parole),
die Ereignisse zu kommentieren und seine Dichtung auszulegen  – „questo
sonetto si divide in quattro parti […]“ usw. Aufgenommen wird also nicht nur der
plot, sondern die Doppelstruktur der Vita nuova durch Prosa und Lyrik und damit
ihre didaktische Struktur, jetzt allerdings mit veränderten Sprecherollen. Bei der
Annahme einer typologischen Beziehung der beiden Texte müsste zumindest
dieser Unterschied genannt werden: dass nämlich in der Vita nuova Dante selbst
durchgängig den Text kommentiert, in der Commedia hingegen Beatrice diese
Aufgabe bekommt.95 Lässt sich dann aber die typologische Relation zwischen
den beiden Texten überhaupt noch aufrechterhalten?
Die Relektüre der alten Liebe, die bruchlos in den neuen Text eingefügt wird,
erzeugt also eine neue Sprechsituation: War in der Vita nuova Dante selbst der
Sprecher des libro della mia memoria, so rückt nun Beatrice in diese Position,
um in ihrer Rede über „sua vita nova“ (Purg. XXX, 115, Herv. C. W.) zu urteilen.
Durch den Perspektivwechsel auf Sprecherebene verändert sich auch der Blick
des Lesers auf den Text, der jetzt mit den Augen Beatrices zurück auf Dantes Vita
nuova sieht. Hatte sich in der Vita nuova im Stil des Prosimetrum Erzählteil mit
Dichtung abgewechselt, so wird jetzt die histoire aus der Vita nuova – die Begeg­
nung von Dante mit Beatrice als Beginn von Liebe und Dichtung – als Beatrices
Rede wiedergegeben und damit sie selbst zum Gegenstand ihrer Rede:

Ella, pur ferma in su la detta coscia


del carro stando, a le sustanze pie
volse le sue parole così poscia:
‚[…] Alcun tempo il sostenni col mio volto:
mostrando li occhi giovanetti a lui,
meco il menava in dritta parte vòlto.
Sì tosto come in su la soglia fui
di mia seconda etade e mutai vita,
questi si tolse a me, e diessi altrui.
Quando di carne a spirto era salita,
e bellezza e virtù cresciuta m’era,
fu’ io a lui men cara e men gradita;
e volse i passi suoi per via non vera,

95 Vgl. Regina Psaki: Love for Beatrice. Transcending Contradiction in the Paradiso. In: Dante
for the New Millenium. Hrsg von Teodolinda Barolini/H. Wayne Storey, New York 2003,
S. 115–139.
76   Beatrices Gesang

imagini di ben seguendo false,


che nulla promession rendono intera.
Né l’impetrare ispirazion mi valse,
con le quali e in sogno e altrimenti
lo rivocai: sì poco a lui ne calse!
Tanto giù cadde, che tutti argomenti
a la salute sua eran già corti,
fuor che mostrarli le perdute genti. […]‘
(Purg. XXX, 100–102; 121–138)

Sie jedoch stand unbewegt auf der besagten Seite des


Wagens und richtete nun ihre Worte an die mitleidvollen
Wesen:
‚[…] Eine Zeitlang konnte ich ihn halten durch meinen
Anblick: Ich zeigte ihm meine jugendfrischen Augen, ich zog
ihn mit in die rechte Richtung. Kaum jedoch war ich an der Schwelle zu meinem zweiten
Alter angelangt und ins andere Leben hinübergetreten, da
entzog er sich mir und gab sich anderen hin.
Als ich von Körper zu Geist aufgestiegen war und
Schönheit und Tugend in mir wuchsen, da wurde ich ihm weniger
lieb und weniger willkommen;
und er lenkte seine Schritte auf den unrichtigen Weg,
folgte falschen Bildern vom Guten, die doch nichts
Verheißenes je ganz erfüllen. Es half auch nicht, Erleuchtungen zu erflehen und ihn
damit im Traum und auf andere Weise zurückzurufen: Er
kümmerte sich keinen Deut darum!
So tief fiel er hinab, dass alle Mittel zu seiner Rettung
versagten und nichts anderes übrigblieb, als ihm die Verlorenen
vor Augen zu führen. […]‘

Der Perspektivwechsel ermöglicht Beatrices Blick auf die in der Vita nuova
erzählte Liebe, bei der Beatrice außer durch ihren Gruß nicht zu Wort kam.96
Wendet in der Vita nuova Dante seine Augen auf Beatrice („levai gli occhi“
[erblickte ich], Vn.  7,  4), so in der Commedia Beatrice die ihren auf Dante. Der
spiegelbildliche Moment des salute, Beatrices Gruß, der Dante zu neuem Leben
geführt hatte („che nelle sue salute abitava la mia beatitudine“ [Vn. 5,  7, Herv.
C. W.; daß in ihrem Gruße meine Seligkeit innewohnte], wird umgekehrt und
der Blick aus dem „Spiegel“ zurückgeworfen; eine „spéciologie“ im Sinne Luce
­Irigarays, die auf die Möglichkeit der Reproduktion des Blicks, der den Bezug auf

96 Vgl. Kap. IV, 3.1.


 Dantes Signatur   77

sich selbst unterbricht, aufmerksam gemacht hatte: „que le même regard cesse
de s’écarquiller sur les seuls signes de son autoreprésentation.“97
Aus der passiven Beatrice, die in der Vita nuova Objekt der Liebe wie auch
des Verrats dieser Liebe ist, wird eine aktive Beatrice, die sich selbst dementspre­
chend anders darstellt. In Dantes Augen war sie auch in der Vita nuova schon ein
geradezu himmlisches Wesen, in ihren Augen ist sie eine handelnde Person, die
alles daran setzt, Dante von seinen Fehlern abzuhalten. Dante spricht in diesen
Versen durch den Mund seiner weiblichen Figur über sich selbst. Damit ver­
schieben sich auch die Akzente. Aus der Perspektive des Sprechers ist in der Vita
nuova Dantes Leben „deboletta vita“ [Vn. 14, 3; hinfälliges Leben]. In der Kanzone
zeigt sich die „frale vita“ [Vn. 14,  21; gebrechliches Leben] und die physische
Verfassung des Subjekts. Die differenzierte Beschreibung des eigenen Zustands
tritt dabei in einen Gegensatz zu den immer gleichen Worten, mit denen Dante
­Beatrices Schönheit und Tugend preist („ineffabile cortesia“, „gentilissima“,
„gentile“, „nobilissima“). Diese Zuschreibungen greifen auf das Repertoire der
Topik der Stilnovisten zurück: Den Liebesdiskurs konstituieren die durch die
Unerreichbarkeit des Liebesobjekts möglichen vielfältigen Ausdifferenzierungen
des Herzens des trobadors, wohingegen dieses selbst unberührbar bleibt.98 In der
Commedia konstatiert Beatrice jedoch ganz im Unterschied zu dieser Vorgabe an
sich selbst Veränderungen in Geist und Fleisch und rückt damit ihre Sterblichkeit
in den Blick (vgl. Purg. XXX, 124–126). Damit zeigt sich nun auch für Beatrice
eine Fragilität, die als deboletta vita zunächst Dante vorbehalten schien. In ihrer
eigenen Rede stellt sich Beatrice genauso irdisch wie Dante dar. Die Zerbrechlich­
keit des Ichs wird in Beatrices Rede gespiegelt, aber der Spiegel wirft kein identi­
sches Spiegelbild zurück, sondern das Bild einer irdischen Beatrice.
Anders als in der Vita nuova, in der Dante als Subjekt der Handlung gleich­
zeitig auch Kommentator seiner eigenen Geschichte ist, wird Beatrice zur Kom­
mentatorin seiner und ihrer Geschichte, die damit zu einer anderen Geschichte
wird. Dante schreibt ihr damit die hermeneutische Rolle zu, die ihm vorbehal­
ten war: die Dichtung nach den Maßstäben der Exegese zu kommentieren und
in Bezug auf den Schriftsinn auszulegen. Beatrice führt also den Wanderer nicht
nur vom falschen auf den rechten Weg zum Heil zurück, sondern übernimmt,
wenn ihr die Auslegung in den Mund gelegt wird, selbst die Rolle der Interpre­
tin. Damit wird sie über ihre Funktion als Sprecherin hinaus sowohl zur Kom­
mentatorin ihrer eigenen als auch der Geschichte Dantes. Der auszulegende Text

97 Vgl. Irigaray: Speculum, S. 178.


98 Vgl. Jacques Lacan: Le séminaire. Livre XX: Encore. Hrsg. von Jacques-Alain Miller, Paris
1975, S. 65.
78   Beatrices Gesang

ist immer noch der gleiche, aber die Perspektive ist nun eine andere. Die Diver­
genz zwischen erzählendem und erzähltem Ich, die die Commedia konstituiert,
wird durch nochmalige Aufspaltung des erzählenden Ichs in Beatrice und Dante
ergänzt, was wiederum auch das erzählte Ich verändert.99 Durch Beatrices Per­
spektive tritt die Liebesgeschichte zu sich selbst in eine zeichenhafte Differenz:
War Beatrice in der Vita nuova stummes Objekt der Liebe, so verfügt sie jetzt über
die Macht, die Geschichte zu wiederholen, die in dieser Wiederholung nicht mehr
dieselbe – Dantes – Geschichte, sondern auch ihre Geschichte ist.
Die Wirkung der Rede Beatrices zeigt sich in Dantes Affekten: Die giftigen
Pfeile der Rede, die Beatrice gegen Dante schleudert („ben conobbi il velen de
l’argomento“ [Purg. XXXI, 75; dass ihre Worte nach Gift schmecken mussten]),
führen zum Versagen seiner Sprache:

sì scoppia’ io sottesso grave carco,


fuori sgorgando lagrime e sospiri,
e la voce allentò per lo suo varco.
(Purg. XXXI, 19–21)

so zerbarst ich unter diesem schweren Anspruch, es


quollen Tränen und Seufzer hervor, und die Stimme erstarb
mir auf ihrem Weg.

Tränen und Seufzer, Versagen der Stimme: In Beatrices Geschichte hat Dante
die Position des Gerichteten, der schließlich entmächtigt zu Boden sinkt: „Tanta
riconoscenza il cor mi morse,/ ch’io caddi vinto“ [Purg. XXXI, 88–89; Von so
viel Schulderkenntnis und Gewissensbissen übermannt, sank ich zu Boden].
Die Ohnmacht Dantes, mit der die Szene der Rückerinnerung endet, nimmt eine
Szene aus der Vita nuova auf. War dort allerdings die himmlische Erscheinung
Beatrices zum Grund der Ohnmacht geworden, so ist diese jetzt eine Folge von
Beatrices Rede, durch die sich Dante nicht nur selbst erkennt, sondern in der er
vom handelnden Subjekt zum Objekt der Kritik geworden ist.
Diese Macht über die Rede wird im Folgenden auch als Macht über die
Schrift ausgewiesen, wenn Beatrice Dante den Auftrag erteilt, ihre Worte aufzu­
schreiben:

Tu nota; e sì come da me son porte,


così queste parole segna a’ vivi
del viver ch’è un correre a la morte.

99 Nach Mehltretter ist Dante weder Zuschauer noch Gegenüber, sondern Teilnehmer dieser
Szene. Vgl. Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt, S. 110.
 Dantes Signatur   79

E aggi a mente, quando tu le scrivi,


di non celar […].
(Purg. XXXIII, 52–56, Herv. C. W.)

Du halte dies fest. Und wie sie von mir gesagt sind, so
verkünde meine Worte den Lebenden, deren Leben
ein Lauf zum Tode ist.
Und achte darauf, wenn du sie niederschreibst, dass du
nicht verschweigst […].

„Tu nota […] queste parole“: Dante wird aufgefordert, „diese“, d.  h. Beatrices
Worte zu schreiben. Die Stelle zitiert den Schreibauftrag durch das Amordik­
tat, das Dante in der Vita nuova inszeniert hatte. Die poetologische Markierung
verweist jetzt aber nicht mehr auf die metaphysische Begründung des Textes
durch die göttliche Instanz Amor. Der Mund Beatrices, auf den Dante den Blick
gerichtet hat, wird zum Ort der Fabrikation einer zweideutigen Rede, durch die
auch die Autorschaft in einem zweideutigen Licht erscheint. Denn wenn es ihre
Worte sind, die Dante aufschreiben soll, müssten dann nicht der Commedia auch
­Beatrices Worte zugrunde liegen? Das „Tu nota“ ist ein Befehl, der Dante dazu
bringen soll, Beatrices Worte zu schreiben. Aus der Herrin, deren Macht sich über
die Liebe erstreckt, wird eine Gebieterin, die die Macht über die Schrift hat. Ossip
­Mandelstam hat dieses Verhältnis in prägnanter Weise charakterisiert: „[…] Jetzt
bemühe ich mich noch ein wenig, dann muß das tränengenetzte Heft des bär­
tigen Schülers der strengen Beatrice vorgelegt werden, die nicht nur in Ruhm,
sondern auch in Gelehrsamkeit erstrahlt.“100 Die Anspielung auf den Bart legt
nahe, dass Mandelstam auf die oben zitierte Stelle aus dem Purgatorio anspielt.
Denn B­ eatrice fordert Dante hier dazu auf, den Bart zu heben [„alza la barba“,
Purg. XXXI, 68]. Was Dante dem strengen Blick Beatrices jedoch letztlich in
seinen Heften vorlegt, was unter seinem Bart hervorkommt, sind queste parole,
diese Worte, von denen nicht mit Bestimmtheit festgelegt werden könnte, wessen
Worte es sind. Die Formulierung lässt letztlich keine Entscheidung zu, um wessen
Worte es sich handelt, wessen Worte also tatsächlich der Commedia zugrunde
gelegt sind.

100 Ossip Mandelstam: Gespräch über Dante. Gesammelte Essays 1925–1935, Frankfurt a. M.
2004, S. 167.
80   Beatrices Gesang

2.4 Apostrophe und Signatur

Beatrices poetische Macht erstreckt sich konsequenterweise auch auf die Ein­
schreibung des Namens des Autors. Denn der Name des Autors im Text hängt
an Beatrices Lippen, durch den Dante die Commedia signiert. Die Szene der Ein­
schreibung setzt das plötzliche Verschwinden Vergils voraus, wodurch eine Leer­
stelle entsteht, die substituiert werden muss. Wie ein Kind, das sich fürchtet, sich
seiner Mutter zuwendet („col quale il fantolin corre a la mamma / quando ha
paura“, Purg. XXX, 44–45), so dreht sich Dante zu seinem Führer Vergil um, aber
dieser ist verschwunden:

Ma Virgilio n’avea lasciati scemi


di sé
(Purg. XXX, 49–50)

Doch Vergil hatte uns verlassen, wir waren ohne ihn


(Purg. XXX, 49)

Die Ablösungsszene ist äußerst präzise gestaltet, wenn die beiden Führer B ­ eatrice
und Vergil nicht gleichzeitig erscheinen.101 Der Platzwechsel war allerdings von
Anfang an in Aussicht gestellt worden, denn Vergil war ja nur deshalb Dante zur
Hilfe gekommen, weil Beatrice ihn im Inferno dazu ermächtigt hatte: „E venni
a te così com’ ella volse“ [Inf. II, 118, Herv. C. W.; Und so kam ich zu dir, wie sie
es wollte]. Der Vergil der Commedia war also immer schon eine Figur, die nicht
aus sich selbst heraus, sondern durch die Bestimmung eines anderen gehandelt
hatte. Um dieser Tatsache Nachdruck zu verleihen, hatte Dante im Inferno zum
ersten Mal die Identität Beatrices manifestiert, die mit dem Canto XXX des Purga-
torio korrespondiert. An jeweils entscheidenden Scharnierstellen wird zweimal
die Identität Beatrices betont und zwar ausgerechnet das erste Mal im Moment
des Auftauchens und das zweite Mal im Augenblick des Verschwindens Vergils:

I’ son Beatrice che ti faccio andare;


(Inf. II, 70)

Ich bin Beatrice, und ich heiße dich gehen;

‚Guardaci ben! Ben son, ben son Beatrice. […]‘


(Purg. XXX, 73)

101 Vgl. John Laskin: The Entrance of Beatrice in Dante’s Purgatorio. Revelation, Duality and
Identity. In: Carte italiane 14/1 (1994), S. 118–128, S. 120.
 Dantes Signatur   81

‚Schau nur gut her! Ich bin es wirklich, bin wirklich


Beatrice. […]‘
(Purg. XXX, 73–74)

Die Manifestation der Identität, die durch den dreimaligen Ruf nach der „sponsa,
de Libano“ (Purg. XXX, 11, Herv. im Orig.) eingeleitet worden war, korrespondiert
mit einer weiteren Identitätsbekundung: dem Namen des Dichters „Dante“, der
nur an einer einzigen Stelle der Commedia, aber nicht zufällig gerade in diesem
Canto auftaucht. Dante schreibt damit natürlich den Namen seiner persona,
jedoch auch den Namen des Autors in die Commedia ein, der als Signatur des
Textes Fragen aufgibt.102 Entscheidend ist dabei, dass es Beatrice ist, die Dante
bei seinem Namen nennt und die damit den Akt der Einschreibung ermöglicht.
Dante inszeniert den Namen des Autors als Apostrophe Beatrices, die sich dem
weinenden Dante zuwendet. Zunächst erfolgt die Namensnennung nicht unter
poetologischen Gesichtspunkten. Durch einen Befehl – als ein comandamento,
dem sich auch schon Vergil unterworfen hatte (vgl. Inf. II, 79) – fordert Beatrice
Dante dazu auf, mit dem Weinen aufzuhören. Die dreifache Wiederholung des
Verbs „piangere“ unterstreicht die poetische Art und Weise dieser Rede:

‚Dante, perché Virgilio se ne vada,


non pianger anco, non piangere ancora;
ché pianger ti conven per altra spada.‘
(Purg. XXX, 55–57)

‚Dante, weil Vergil gegangen ist, sollst du nicht schon


weinen. Weine jetzt noch nicht; denn weinen wirst du wegen
anderer Schläge müssen.‘

Die vergossenen Tränen verweisen auf Dantes Tränen in der Vita nuova, der über
den Tod von Beatrice geweint hatte. Und auch im Inferno waren bereits Tränen
geflossen, allerdings Beatrices („li occhi lucenti lagrimando volse“, Inf. II, 116).103
Der Sprechakt ruft Dante ins Leben, als Dichter und als persona, und unter­
wirft ihn dem Sprecher, dem er sich zuwendet: „mi volsi al suon del nome mio“
(Purg. XXX, 62).104 Die Szene zeigt, dass Dante seine Unterschrift nicht nur erst

102 Vgl. Barbara Hahn: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen,
Frankfurt a. M. 1991, S. 17.
103 Beatrices Tränen wiederum zitieren die Tränen, nach der Rachel um ihre Kinder weint.
­Jacoff: The Tears of Beatrice, S. 8.
104 Zur Trope, Wendung und Anrede vgl. Judith Butler: The Psychic Life of Power. Theories in
Subjection, Stanford, California 1997, hier v.  a.: Introduction, S. 1–30.
82   Beatrices Gesang

schreiben kann, wenn Vergil verschwunden ist,105 sondern dass es einer textim­
manenten Instanz bedarf, die seinen Namen ausspricht. Der Name des Autors ist
eine Apostrophe, die laut Auerbach bei Dante immerhin „neu geboren“106 wird.
Dante legt sie nicht nur seiner persona (diese Differenzierung in Bezug auf die
Sprecher hat Auerbach allerdings nicht im Blick), sondern auch Beatrice in den
Mund. Die Ambiguität der Geste manifestiert sich in dieser Sprachhandlung, in
der Dante als jemand auftritt, der im Auftrag anderer schreibt: Beatrice muss
seinen Namen sagen, damit er ihn schreiben kann. Die Szene der Anrufung
nimmt damit das Grußmotiv aus der Vita nuova auf, in der das parlar der Herrin
bereits poetologisch wirksam war.107
Die Einschreibung des Dichternamens verläuft dabei genau umgekehrt zur
Szene der Benennung Beatrices. Denn die Identität Dantes hängt von der Benen­
nung eines anderen Sprechers ab, wohingegen Beatrice sich selbst nennen
konnte. Dantes Name kommt also aus einem anderen Mund, wohingegen sich
Beatrice selbst bezeichnet. Die Struktur der Verse nimmt dabei den Sprechakt
auf, d.  h. die Umwendung Dantes beim Klang des Namens wird in die Trope als
Wendung des Satzes übertragen (bzw. umgekehrt): vom Auftritt Beatrices als
stolzer Admiral über die Umwendung Dantes bis zum Erscheinen des Objekts,
„la donna“ (Purg. XXX, 64), und wiederum deren Blick auf Dante. Es entsteht wie
schon im Inferno für einen kurzen Moment ein désir mimétique zwischen Vergil,
Dante und Beatrice.108 Vergils Verschwinden als Vaterfigur ist dabei nicht nur
eine Frage der auctoritas, sondern Teil einer symbolischen Familienszene unter
umgekehrten geschlechtlichen Vorzeichen: Als sich Dante nach Vergil wie nach
seiner „mamma“ umsieht, wird er zum Kind der Mutter Vergil, obwohl Vergil
bisher stets als dolcissimo patre verhandelt wurde. Die symbolische Überschrei­
tung von Vaterschaft und Mutterschaft ermöglicht auch Beatrice die Rollen zu
überschreiten: Beatrice ist Braut und Geliebte, sie ist fürsorglich wie eine Mutter,
aber sie befiehlt auch wie ein Familienvater und gibt Dante seinen Namen.

105 Vgl. Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur,


Basel, Tübingen (1946) 2001, S. 172  ff. Die Tatsache, dass Vergil in dieser dramatischen Weise aus
dem Text verabschiedet wird, bedeutet auch die Verabschiedung eines bestimmten, an Vergil
geschulten Stils. Dante übersetzt den hohen Stil des antiken Epos’ in den „hohen Stil des Bibli­
schen“ (S. 173).
106 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 47.
107 Vgl. Kap. IV, 3.1.
108 Vgl. René Girard: Mensonge romantique et vérité romanesque (1961), Paris 2010, S. 15–67.
 Ruhm des Dichters   83

3 Ruhm des Dichters

Die zweifache Verfasstheit des Körpers als vergänglicher und unvergänglicher


kennzeichnet nicht nur die persona Dantes, sondern auch Beatrice selbst. Als sie
an sich als persona der Vita nuova erinnert hat, hat auch ihr Körper Züge der Ver­
gänglichkeit gezeigt, die sie jedoch erst in der Commedia benennen konnte. Was
vom Liebesdiskurs der Zeit ausgeschlossen war, gerät auf einmal in den Blick. In
den Blick gerät damit aber auch die Frage nach der Vollkommenheit des Subjekts,
die Ernst Kantorowicz im Rahmen seiner politischen Theologie des Mittelalters
aufgeworfen hat. Ihm zufolge unterscheidet sich die Commedia von der politi­
schen Theologie ihrer Zeit dadurch, anstelle des politisch-theologischen Körpers
eine „humana civilitas“ gesetzt zu haben, die ihrerseits, als Körperschaft, Züge
einer zweifachen Verfasstheit trägt.109 Zum einen ist sie kooperativer Körper,
zum anderen natürlicher Körper des individuellen Menschen. Auffällig ist, dass
Kantorowicz zwar Vergil als Führer Dantes versteht, jedoch Beatrice, trotz ihrer
Funktion der Führerschaft, an keiner entscheidenden Stelle erwähnt. Nach Kan­
torowicz sieht es so aus, als ob Vergil Dante zur doppelten Körperschaft führt, die
er letztlich aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten erreicht.110 Das Prinzip
höchster Vernunft und menschlicher Perfektion verkörpert ausschließlich Vergil,
der als Instanz gesehen wird, die das Recht zur Krönung hat.
Die Krönung Dantes durch Vergil im Purgatorio versetzt Dante in doppelter
Weise in den Stand der Macht: „per ch’io te sovra te corono e mitrio“ [Purg. XXVII,
142; So kröne ich dich nun zum Herrscher über dich selbst]. Corono bezeichnet
die weltliche, mitrio die göttliche Macht, die aber laut Kantorowicz bei Dante in
Wirklichkeit ein- und dieselbe Macht der humanitas ist. Das Konzept der zwei
Körper des Königs setzt die Übertragung der Doppelnatur Christi auf den Königs­
körper voraus, seit durch die elisabethanischen Juristen das corpus mysticum auf
den Körper des Königs übertragbar geworden war.111 Der Körper des Königs über­

109 Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology,
Princeton, New Jersey 1957, S. 489: „[T]he curse of mankind was conquered, without the inter­
vention of the Church and its sacraments, by the forces of intellect and supreme reason alone,
forces symbolized by the pagan Vergil who, with regard to the individual Dante, took the place
and the functions entrusted to the emperor with regard to the whole human race, the humana ci­
vilitas. But whereas the terrestrial paradise into which Dante entered was lacking that multitude
of inhabitants of which the writer of the Monarchy had dreamt, because empire and papacy were
negligent in their duties, the individual Dante reached human perfection and his own actuation
through Vergil, who finally will dismiss his pupil, now a true likeness of Adam before the fall.“
110 Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 489.
111 Vgl. Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 16.
84   Beatrices Gesang

nimmt damit zugleich die göttlichen Eigenschaften, den character angelicus, der
ihn als „a likeness of the ‚holy spirit and angels‘“112 erscheinen lässt und auf eine
Stufe mit den Engeln hebt. Verfügt der König über zwei Körper, über einen poli­
tischen, unsterblichen Körper sowie über einen natürlichen, sterblichen Körper,
so stehen sich bei Dante zwei Korporalitäten in Form der Menschheit (humani-
tas) gegenüber. Gekrönt wird nach Kantorowicz Dante sowohl als Adam mortalis
als auch als Adam subtilis, also im übertragenen Sinn als natürlicher Körper des
Menschen (homo) und Körper der Menschheit (humanitas) schlechthin.113
Auch wenn Kantorowicz bei Dante eine eigene Umsetzung der Lehre von
den zwei Körpern sieht und somit dessen dichterische Sonderstellung betont,
wird doch der Status deutlich, den Dante in The King’s Two Bodies hat. Erst vom
Dante-Kapitel aus lässt sich die juridische Definition verstehen, die Kantorowicz
ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat.114 Die politische Vorstellung von
der Unsterblichkeit des Königs besteht in seiner Befreiung von den Schwächen
der Kindheit, des Alters und der Möglichkeit, Unrecht zu tun, ohne zu sündi­
gen.115 Durch Dantes Apostrophe „per trïunfare o cesare o poeta“ (Par. I, 29) wird
eine gemeinsame Ebene von Königsherrschaft und Dichtertum hergestellt und
die Attribute von weltlicher und göttlicher Herrschaft werden auf dieselbe Ebene
gerückt. Die Königskrone wird gleichwertig mit der Dichterkrone, beide referieren
auf die theologische Konstitution der Macht: Auf das Doppel von sterblicher und
unsterblicher Herrschaft, von Dornenkrone und ewiger goldener Krone.116 Das
Dispositiv der Macht, in dem die Macht in zwei Instanzen gespalten ist, liegt als
Modell der Doppelstruktur von weltlicher und poetischer Macht zugrunde, die
auf diese Weise sich selbst autorisieren und dauerhaft machen soll.

112 Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 8.


113 Vgl. Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 493–495.
114 Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 494: „Perhaps we will find it easier now, or
perhaps more difficult, to understand the later definitions of English jurists, opining that ‚to the
natural Body [of the king] there is conjointed his Body politic which contains his royal Estate and
Dignity‘“. Vgl. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009,
S. 333.
115 Kantorowicz geht davon aus, dass Dante die Lehre von den zwei Körpern geläufig war. Vgl.
Kantorowicz, The King’s Two Bodies, S. 493.
116 Vgl. Manfred Schneider: Der König im Text. Autorität in Recht und Literatur. In: Zeit­
schrift für Ideengeschichte 3/1 (2009), S. 48–63, S. 55.
 Ruhm des Dichters   85

3.1 Zwei Körper

Die Übertragung der theologischen Metapher auf den Dichter spart dabei die
Rolle Beatrices aus, obwohl sie der Anordnung nach den Ort der theologischen
Macht einnimmt. Diese Auslassung kommt nicht von ungefähr, denn sie ist im
Körperkonzept der Commedia selbst angelegt. Die topologische Opposition zwi­
schen Dantes irdischem und Beatrices jenseitigem Körper war allerdings in dem
Moment aufgebrochen, in dem, wie erwähnt, Beatrice ihre eigene Sterblichkeit
ins Spiel gebracht hatte.117 Um dem ‚Körper der Dichtung‘ Dauerhaftigkeit zu
verschaffen, ihn als Körperschaft zu konstituieren, verteilt Dante ihn auf zwei
Instanzen, zunächst auf Dante und Vergil, dann aber auch auf Dante und Bea­
trice. Zwar wird Beatrices Lächeln als Ausdruck von Glückseligkeit der frale vita
Dantes entgegengestellt. Durch das Bündnis der zwei Körper von Beatrice und
Dante wird jedoch der ewige zum sterblichen Körper in Bezug gesetzt und als
seine zweite, unabdingbare Hälfte konstituiert.118
Der auf diese Weise hergestellte doppelte Körper der Dichtung wird mit
dem Bild der zwei Sonnen aufgerufen. Wie in der Metapher der zwei Schwerter
der Monarchia, in der die zwei Schwerter für die beiden Mächte, für Papsttum
und Imperium stehen,119 allegorisieren die beiden Sonnen Roms den doppelten
Anspruch der Macht. Kantorowicz hatte dies, allerdings für eine andere Stelle,
schon für Dantes politische Theologie thematisiert120 und Ascoli hatte, daran
anschließend, die Autorität der „due soli“ als Legitimation für Dantes Autorschaft
bestimmt.121 Das Doppelbild der Sonne im Paradiso ruft die zwei Sonnen auf:

e di sùbito parve giorno a giorno


essere aggiunto, come quei che puote
avesse il ciel d’un altro sole addorno.
Beatrice tutta ne l’etterne rote
fissa con li occhi stava; e io in lei
le luci fissi, di là sù rimote.
(Par. I, 61–66, Herv. C. W.)

117 Vgl. S. 74  ff.
118 Zu den späten Folgen als exakter Umkehrung dieses Dispositivs in unsterbliche Körperlich­
keit für die Konstruktion männlich konnotierter Autorschaft und Ausstellung des sterblichen
weiblichen Körpers im 19. Jahrhundert vgl. Annette Keck: Buchstäbliche Anatomien. Vom
Lesen und Schrei­ben des Menschen. Literaturgeschichten der Moderne, 2007, Kap. 2.4: Exkurs:
Was ist eine Autorin? und S. 78  ff.
119 Vgl. Kap. I, 4.
120 Vgl. Ernst H. Kantorowicz: Dante’s „Two Suns“. In: Ders.: Selected Studies, Locust Val­
ley, New York 1965, S. 325–338. Kantorowicz bezieht sich auf Purg. XVI, 106  ff.
121 Vgl. Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 364.
86   Beatrices Gesang

und unversehens schien es, als sei dem Tageslicht noch


ein weiteres hinzugefügt, als hätte ER, der alles vermag, den
Himmel noch mit einer zweiten Sonne ausgestattet.
Beatrice hatte nun die Augen ganz und gar auf die ewigen
Sphären gerichtet; und ich, der ich die meinen nun doch wieder
von dort oben zurücklenken musste, sah fest auf sie.
(Par. I, 61–66, Herv. im Orig.)

Wie ein optischer Effekt bei demjenigen, der zu lange auf die Sonne blickt, dazu
führt, dass die Sonne verdoppelt erscheint, so wird hier durch Dantes Blick das
Doppelbild eingeführt. Während Beatrice ihren Blick fest auf diese Sonne richtet,
wendet Dante, der das Doppelbild nicht dauerhaft erträgt, seinen Blick auf Bea­
trice. Die Blickrichtungen verlaufen zunächst parallel, dann auseinander: Den
fest auf den Himmel gerichteten Blick Beatrices („le luci fissi“) durchkreuzt der
Blick, mit dem Dante Beatrice fixiert („fissa con li occhi“). Durch die Blickrich­
tung in der Szene wird ersichtlich, dass Dante eine horizontale mit einer verti­
kalen Perspektive verbindet. Weder lässt Dante nur die eine noch nur die andere
Blickrichtung gelten, sondern er zielt auf ihr Zusammenspiel. Die zwei Sonnen
Roms werden durch Trugbild und Blick auf Beatrice fokussiert.
Durch die Übertragung der Unsterblichkeit auf die Kunst wird allerdings die
bestehende Differenz zwischen der fragilen, irdischen und der göttlichen, ewigen
Ordnung in das Konzept einer Autorschaft, die von allen Zweideutigkeiten befreit
ist, umgeschrieben. Vor dem Hintergrund einer solchen Lektüre kann Beatrice,
der theologischen Vorstellung folgend, körperloses, ephemeres Ausnahmewesen
sein: eine Gestalt ohne Körper, die nicht in die Körperschaft eingeht, auf die nach
Kantorowicz die Commedia zielt. Sie wird auf eine typologische Geschichte festge­
legt, in der sie ausschließlich als Figur der Erlösung vorkommt. In der parallelen
Konstellation von Dante und Beatrice bleiben hinfälliger, irdischer Körper (des
Dantes der Ohnmachten und affektiven Körperzustände) und unsterblicher, gött­
licher Körper (der lächelnden Beatrice) aufeinander bezogen. Allerdings bleibt
zum einen auch im Paradiso die Fragilität des Körpers Dantes bis zum Schluss
erhalten. Zum anderen hatte ja auch Beatrice an Züge dieser frale vita erinnert.
Die Konstruktion des Körpers gründet in dieser doppelten Struktur, deren zwei­
fache Verfasstheit als Differenz das Körperkonzept in der Commedia bestimmt.
Damit konstituiert Dante eine Körperschaft, die den Anspruch auf Vollkommen­
heit zugleich manifestiert und unterläuft.
 Ruhm des Dichters   87

3.2 Krönungen

Die erhoffte Krönung stellt für den Text das Überdauern im Nachruhm einer Dich­
tung in Aussicht, die sich selbst als doppelt behauptet, nämlich als poema sacro,
d.  h. als Text von poetischem und heiligem Anspruch:

Se mai continga che ’l poema sacro


al quale ha posto mano e cielo e terra,
sì che m’ha fatto per molti anni macro,
vinca la crudeltà […]
con altra voce omai, con altro vello
ritornerò poeta, e in sul fonte
del mio battesmo prenderò ’l cappello;
(Par. XXV, 1–4; 7–9)122

Sollte es je geschehen, dass das heilige Gedicht, an das


Himmel und Erde Hand angelegt haben und das meine Kräfte
in den vielen Jahren aufgebraucht hat,
über die Grausamkeit siegte, […]
dann werde ich als Dichter heimkehren, mit anderer
Stimme nunmehr, in anderem Gewand, und über dem Becken
meiner Taufe den Lorbeerkranz empfangen

Antikes Zeremoniell und christliche Taufe werden scheinbar bruchlos übertra­


gen und perspektivieren den Ruhm des Dichters auf das Erlösungsmotiv. Lorbeer­
kranz des Dichters (quelle foglie) und ewiger Kranz (cappello) sind im heiligen
Gedicht (poema sacro) aufeinander bezogen, wie Paulus im Brief an die Märty-
rer die Versöhnung von ewiger mit irdischer Krone in Aussicht stellt.123 Auch
die Anrufung Apollons ruft mit der antiken Tradition der Dichterkrönung den
Anspruch auf Unsterblichkeit auf:

O divina virtù, se mi ti presti


tanto che l’ombra del beato regno
segnata nel mio capo io manifesti,
vedra’mi al piè del tuo diletto legno
venire, e coronarmi de le foglie
che la materia e tu mi farai degno.
(Par. I, 22–27)

122 Vgl. Par. XXIII, 61–62: „e così, figurando il paradiso /, convien saltar lo sacrato poema“.
123 Vgl. C. W.: Corona aeternitatis – Der Wettstreit des Märtyrers (Tertullian). In: Sigrid ­Weigel
(Hg.): Märtyrer-Portraits. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern, München 2007, S. 71–
73.
88   Beatrices Gesang

O göttliche Kraft, wenn du dich so weit mir vergönnst,


dass ich das Schattenbild des glückseligen Reiches kundtun
kann, wie es sich meinem Kopf eingeprägt hat,
dann wirst du sehen, wie ich zum Fuß deines geliebten
Baumes komme und mich mit dem Laub bekränze, das ich
dem Stoff und das ich dir verdanke.

Dante hat damit Boccaccio, der im Trattatello in laude di Dante Dantes Berufung
zum gekrönten Dichter als Traum der Mutter interpretiert124, Vorschub geleistet.
Wenn Dante Apollon anruft und ihn bittet, ihn zum Gefäß (vaso) zu machen und
in ihn einzufahren („Entra nel petto mio, e spira tue“ [Par. I, 19; Tritt ein in meine
Brust und gib mir Atem]), zitiert er damit die Inspirationslehre, nach der die gött­
liche Macht die Begründung aller Dichtung ist und auf die auch Platon im ­Phaidros
rekurriert hatte, als er sich selbst als Gefäß für Sapphos Rede erklärt hatte.125
Antike Inspirationslehre wird von Dante in christliche Theologie übersetzt: Die
Metapher des Gefäßes wird zur Reinterpretion einer theologischen Metapher, der
„vas electionis“ des Paulus, wie auch die Metapher von der Eingebung durch den
Atem auf die theologische Vorstellung vom Atem Gottes verweist.126 Durch solche
Muster steuert Dante den Rezeptionsprozess, der durch die Verschränkung von
irdischer und himmlischer gloria die Macht des Textes erzeugen soll.
Die Perspektivierung auf das Krönungsmoment steht jedoch in Zusammen­
hang mit der Krönung Beatrices. Sie hat schließlich Bernard de Clairvaux Platz
gemacht, aber ist damit nicht wie Vergil zugleich aus dem Text verschwunden,
sondern thront wie eine Königin über Dante. Als Dante zu ihr aufschaut, wird
sichtbar, dass sie ein Strahlenkranz umgibt:

e vidi lei che si facea corona


reflettendo da sé li etterni rai.
(Par. XXXI, 71–72)

und sah, wie die


ewigen Strahlen von ihr zurückstrahlten, so dass es war,
als machte sie sich einen Kranz daraus.
(Par. XXXI, 70–72)

Dantes Krönung durch Vergil wird also durch Beatrices Strahlenkranz noch über­
boten. Die Krönung Beatrices ist durch den Blick von Dante perspektiviert, der

124 Vgl. Kap. I, 2. Auch Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 232–234.
125 Vgl. Kap. II, 1.1.
126 Vgl. Regn: Double Authorship, S. 181  f.
 Ruhm des Dichters   89

vom Irdischen her auf den Strahlenkranz blickt. Durch die vielen deiktischen
Pronomen wie „qui“ und „là giù“ (Par. XXIV, 71; 72) oder „là giù“ und „là sù“ (Par.
XXV 18; 24) wird dabei der Krönungsmoment zur Schnittstelle zwischen dem Irdi­
schen und dem Göttlichen, zwischen Beatrice und Dante.

3.3 Verzicht

Die Repräsentation des Jenseits wie auch der Transzendenz Gottes und die Dar­
stellung eines zeitlosen Ortes führt, je weiter das Paradies durchschritten wird,
zu weiteren Aporien seiner Darstellung.127 Auch das ist zunächst nicht überra­
schend, sondern konsequent in Bezug auf die Repräsentation des Göttlichen dar­
gestellt. Der mystische Topos der Unsagbarkeit,128 den Dante aufruft, betont die
Differenz zwischen dem Sehen und dem Sagen: „e vidi cose che ridire / né sa né
può chi di là sù discende“ [Par. I, 5–6, Herv. C. W.; und Dinge sah ich, die kann
keiner wiedergeben, / der je von dort oben zurückgekehrt]. Die Ordnung ist dabei
allerdings auch hier durch das „ridire“ [wiedergeben] als Sprechsituation ausge­
wiesen. Mit dem zunehmenden Aufstieg in das Paradiso ist Dantes dichterische
Macht nicht souveräner, sondern ganz im Gegenteil: Sie ist hinfälliger geworden.
Die Rückseite von Dantes Vollkommenheit bildet die Fragilität der irdischen
Schreibakte. Jede Referenz auf das Schreibwerkzeug erfolgt in Zusammenhang
mit der Singularität des Schreibens: „E quel che mi convien ritrar testeso, / non
portò voce mai, né scrisse incostro“ [Par. XIX, 7–8; Was ich nun unverzüglich nie­
derschreiben muss, hat keine Stimme je gesagt, hat / keine Feder je geschrieben,
hat / keine Vorstellung je erfasst.]. Im Paradiso operiert Dante an den Grenzen der
Repräsentation, worauf das „[t]rasumanar significar per verba“ (Par. I, 70) bereits
eingeleitet hatte.
Die fragile Redeordnung des Paradiso unterscheidet sich dabei von der Rede­
ordnung im Inferno: Dort verschwindet das Ungesagte des Textes in den Lücken
der Rede, wenn Dante beschließt, das Gesagte nicht wiederzugeben: „parlando
più assai ch’i’ non ridico“ [Inf. VI, 113, Herv. C. W.; und / besprachen noch vieles,
was nicht hierher gehört]. Die Commedia operiert in Inferno und Paradiso jeweils
mit ganz unterschiedlichen Registern von arcanum: Das Betonen der Grenzen
des Sagens in Bezug auf das göttliche Geschehen markiert die vertikale Diffe­
renz zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen, wohingegen das Nichtgesagte

127 Zu den Darstellungsaporien des Paradiso vgl. Barolini: The Undivine Comedy, Kap. 8: Pro­
blems in Paradise, S. 166–193.
128 Vgl. insb. Kap. IV, 4.3.
90   Beatrices Gesang

zwischen Vergil und Dante auf horizontaler Ebene unterstreicht, dass etwas des­
wegen nicht festgehalten wird, weil es anscheinend nicht weiter wichtig ist oder
nicht an diese Stelle gehört. Immerhin wird jedoch behauptet, dass Vergil und
Dante noch mehr reden, als der Text den Leser wissen lässt. Mit diesen Lücken
des Textes korrespondiert die Thematisierung der Vergeblichkeit des Schreib­
aktes, die durch die Verirrung Dantes im Wald der Zeichen im Inferno bereits
angesprochen worden war. Von Anfang an hat die Commedia immer auch die
Möglichkeit des poetischen Scheiterns in den Text eingetragen, wenn sie mit den
Versen beginnt, die die Vergeblichkeit zum Horizont des Sprechens wie auch des
Gehens machen:

Nel mezzo del cammin di nostra vita


mi ritrovai per una selva oscura,
ché la diritta via era smarrita.
(Inf. I, 1–3)

Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens fand ich mich
in einem finsteren Wald wieder, denn der gerade Weg war
verloren.

Im Wald der Zeichen, dem Sündenwald, der selva oscura, ist alle Hoffnung sus­
pendiert. Es ist die Buchstäblichkeit, die Bitterkeit der Zeichen, die den Eindruck
von Vergeblichkeit verursacht, weil deren letzte Steigerung der Tod ist: „Tant’ è
amara che poco è più morte“ [Inf. I, 7; So bitter ist er, dass kaum bitterer der
Tod ist.]. Diese Bitterkeit des Anfangs steht in Kontrast zur ruhmvollen Geste des
Beginns der Aeneis: „Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris / Italiam
fato profugus Laviniaque venit litora“. [Aen. I, 1–3; Waffentaten und den Helden
besinge ich, der von Trojas Gestaden als erster landflüchtig durch göttliche
Fügung nach Italien und an Laviniums Küste kam.] Dantes Auftrag der Nieder­
schrift, als welche er im Paradiso sein Schrei­ben nochmals ausweist  –„quella
materia ond’ io son fatto scriba“ [Par. X, 27; von dem Stoff in Beschlag / genom­
men, den niederzuschreiben mir aufgetragen wurde] – besteht darin, die bitteren
Zeichen der selva oscura in süße Schrift zu verwandeln: „e ancor mi distilla /
nel core il dolce che nacque da essa“ [Par. XXXIII, 62–63; aber noch spüre ich im
Herzen einen Tropfen des Entzückens, / das sie mir bereitete]. Aber selbst wenn
diese Umwandlung erfolgt ist, versagt das Sprechen:

Da quinci innanzi il mio veder fu maggio


che ’l parlar mostra, ch’a tal vista cede,
e cede la memoria a tanto oltraggio.
(Par. XXXIII, 55–57)
 Ruhm des Dichters   91

Von hier aus war mein Sehen mächtiger als unser Sprechen,
das vor solchem Anblick versagt, und es versagt auch
das Gedächtnis vor so viel Übermaß.

Das Paradiso stellt die Fragilität der Zeichenordnung aus: Der Gegenstand ent­
zieht sich im Moment seiner Niederschrift. Als Metapher für diese Aporie dient die
Darstellung der Sibylle, die ihre Orakel aufschreibt, während der Wind die Blätter
zerstreut. Dante hat sie von Vergil übernommen, wo man im dritten Gesang von
ihr erfährt. Die Sibylle verfügt auch dort nicht nur über eine prophetische Gabe,
sondern auch über das Medium der Schrift:

Huc ubi delatus Cumaeam accesseris urbem


[…],
insanam vatem adspicies, quae rupe sub ima
fata canit foliisque notas et nomina mandat.
quaecumque in foliis descripsit carmina virgo,
digerit in numerum atque antro seclusa relinquit,
illa manent inmota locis neque ab ordine cedunt;
verum eadem, verso tenuis cum cardine ventus
inpulit et teneras turbavit ianua frondes,
numquam deinde cavo volitantia prendere saxo
nec revocare situs aut iungere carmina curat:
(Aen. III, 441; 443–451)

Wenn du, dort angelangt, dich zur Stadt Cumae begibst […], wirst du die gottbegeisterte
Seherin schauen, die in tiefer Grotte das Schicksal verkündet und Wahrzeichen und Namen
auf Blättern niederschreibt. Alle Sprüche, die sie auf Blätter geschrieben hat, bringt sie in
schöne Ordnung und läßt sie in der verschlossenen Grotte. Da bleiben sie unangetastet an
ihrem Platz und geraten nicht durcheinander. Doch wenn sich die Tür in der Angel dreht
und ein leichter Luftzug die dünnen Blätter erfaßt und zerstreut, dann kümmert die Seherin
sich niemals darum, sie zu erhaschen, während sie durch die Felsenhöhle wirbeln, auch
nicht, sie wieder an ihren alten Platz zu bringen und die Sprüche zusammenzusetzen.

Der Wind verweht die mit den Sprüchen der Sibylle von Cumae beschriebenen
Blätter, die sie nicht wieder ordnen wird. Während ihre Orakel gehört werden,
verflüchtigt sich ihre Schrift.129 Dieses Motiv übernimmt Dante, wenn er ausge­
rechnet diesen Moment, in dem alles vergeblich scheint, zitiert:

129 Vgl. auch den sechsten Gesang, auf den Dante mit dem Inferno rekurriert. Die Sibylle ver­
kündet hier Aeneas seine kommende Macht als Gründer Roms (Aen. VI, 790  ff.). Aeneas fordert
von der Sibylle, dass sie ihr Orakel nicht in die Schrift überträgt: „‚[…] foliis tantum ne carmina
manda, / ne turbata volent rapidis ludibria ventis, / ipsa canas oro.‘“ [Aen. VI, 74–76; Doch ver­
92   Beatrices Gesang

Così la neve al sol si disigilla;


così al vento ne le foglie levi
si perdea la sentenza di Sibilla.
(Par. XXXIII, 64–66)

So löst der Schnee sein Siegel in der Sonne; so verlor sich


im Wind der Spruch der Sibylle auf den Blättern.
(Par. XXXIII, 65–66)

Die „foglie“ des Lorbeerkranzes sind jetzt die „foglie“ der Sibylle, die genau umge­
kehrt zu den Zeichen des Ruhms funktionieren. Dante nähert den Schreibakt der
Sibylle, insana vates, an, deren vergebliches Tun in der poetischen Metapher von
den vergeblich beschriebenen Blättern zum Ausdruck kommt. Die Metaphern
der Vergänglichkeit – schmelzender Schnee und verwehende Blätter – bilden die
Rückseite einer auf Vollkommenheit zielenden gloria. Zur Bedingung des ewigen
Ruhms wird die fragile Ordnung der Materialität der foglie, die sich durch die
Grenzen des Gedächtnisses, das Verlöschen der Vision in der Erinnerung und die
Fragilität des Körpers manifestiert.
Die mögliche Position der Autorschaft, die Dante mit der Commedia
erschreibt, ist eine doppelte und damit zugleich eine unmögliche Autorschaft.
Die Fiktion einer Sprache über das Paradies führt in das Lallen eines Säuglings,
der seine Zunge an die Mutterbrust presst und keine göttliche Sprache, sondern
schlicht „lingua a la mammella“ [Par. XXXIII, 108; lallen wie der Säugling] von
sich gibt. In dem Wort lingua als Zunge und Sprache klingt die Möglichkeit einer
Redeweise an, die Dante auch als diejenige Sprache bezeichnet hatte, in der die
muliercule, die „kleinen Frauen“, kommuniziert haben: „ad modum loquendi,
remissus est modus et humilis, quia locutio vulgaris in qua et muliercule comu­
nicant.“ [Epist. XIII, 31; was die Art des Sprechens betrifft, so ist diese lose und
derb, weil es die Redeweise des gemeinen Volkes ist, in der sich auch die Weiber
unterhalten.]130
Auerbach hatte diese Bemerkung Dantes nicht nur in Bezug auf das Schrei­
ben in volgare verstanden, sondern auch auf dessen Stil bezogen und diesen nicht

traue nicht Blättern deine Sprüche an, damit sie nicht durcheinandergewirbelt fortfliegen, ein
Spiel für raffende Winde. Weissage, bitte, du selber!] Die Rettung der „geheimnisvollen Weis­
sagungen“ [arcana […] fata] (Aen. VI, 72) vor dem Spiel des Windes impliziert zugleich den Aus­
schluss der Sibylle aus dem Raum der Schrift. Ihre Rede muss im Raum des Sprechens bleiben,
um die Macht des Helden zu sichern.
130 Dante Alighieri: Philosophische Werke. Bd. 1: Epistola XIII / Das Schrei­ben an Cangrande
della Scala. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. von Ruedi Imbach, übers. von Thomas Ricklin, Ham­
burg 1993. Im Folgenden zitiert nach dieser Ausgabe.
 Ruhm des Dichters   93

mehr als Stil Vergils der „alta […] tragedìa“ (Inf. XX, 113), sondern als ­biblische,
die Wirklichkeit nachahmende Ausdrucksweise, die durch Stilmischung gekenn­
zeichnet ist, behauptet. Im Unterschied zu Kantorowicz, der in Vergil Dantes
alleinigen Führer sieht, hatte Auerbach betont, dass Dante, obwohl er die Com-
media unter die Autorität Vergils gestellt hatte, diesem nicht gefolgt ist.131 Aber
Auerbach war nicht so weit gegangen, den Stilwechsel auf den Wechsel in der
Führerschaft zu beziehen. Aber er hat stattgefunden und er geht mit einer ent­
scheidenden Verschiebung auch in Bezug auf Dantes Interpretation von Vergil
einher. Mit der Übernahme der Haltung der Sibylle aus Vergils Aeneis führt Dante
ein anderes Sprechen, ein Sprechen im Namen der muliercule, ein. Den Gedan­
ken des Strebens nach Ruhm stellt er damit unter den Vorbehalt einer weitaus
zerbrechlicheren Sprechweise.
Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu konsequent, wenn sich Dante als
Dichter porträtiert, der sich durch eine Geste der Bescheidenheit auszeichnet, in
der das Begehren (desiderio) zu Verzicht (desista) wird:

Da questo passo vinto mi concedo


più che già mai da punto di suo tema
soprato fosse comico o tragedo:
[…]
ma or convien che mio seguir desista
più dietro a sua bellezza, poetando,
come a l’ultimo suo ciascuno artista.
(Par. XXX, 22–24; 31–33)

Ich muss mich nun geschlagen geben, schlimmer als


jemals in hoher oder niederer Kunst sich jemand an schwieriger
Stelle seines Vorhabens geschlagen geben musste.
[…]
doch jetzt muss ich verzichten, noch weiter ihrer Schönheit
nachzudichten, wie jeder Künstler, der sein Äußerstes
gegeben hat

Die poetologische Lesart dieser Stelle liegt schon von daher nahe, als Dante auf
die Ebene des Erzählens springt, indem er die Frage nach der Gattung, die sich
für die Commedia stellt, anspricht. Der Akt der Dichtung besteht also darin, an
einem bestimmten Punkt mit dem Schrei­ben aufzuhören, im desista, und somit
in der Einsicht in Selbstbeschränkung.

131 Auerbach: Mimesis, S. 179 und S. 190.


94   Beatrices Gesang

Das Lächeln Beatrices, das den Zugang zum Göttlichen verspricht, indiziert
zugleich die Herabsetzung Dantes durch sich selbst: „lo rimembrar del dolce
riso / la mente mia da me medesmo scema.“ [Par. XXX, 26–27; wirkt auf mich
die Erinnerung an ihr wunderbares Lächeln / und trennt mich von mir selbst]
Die selbstermächtigende Geste Vergils, die Dante zum Herrscher über sich selbst
krönt, wird vor dem Hintergrund dieser Geste der Selbsterniedrigung zweideu­
tig. Gerade diese Differenz hat Dante mit den in sich doppelten Figuren B ­ eatrice
und Dante in den Blick gerückt: als die Ambiguität eines Sprechens, das den
Tausch der Rollen möglich macht. Die unaufhörliche Bedrohung des Versagens
des Schreibens tritt in Widerspruch zum Nicht-Schrei­ben Beatrices, die dennoch,
auch wenn sie nicht schreibt, die Rede und die Schrift Dantes beherrscht. Die
Möglichkeit der Überschreitung der starren Verhältnisse von männlicher Autor­
schaft und weib­licher ewiger Schönheit ist in der Commedia angelegt und ihre
Umkehr als Fiktion potentiell in Aussicht gestellt: Beatrice als Autorin und Dante
als ihr Gegenstand.
Indem er seinem Dante eine zweite, reflektierende Figur an die Seite gestellt
hat, gründet Dante seinen Text nicht auf Selbstermächtigung, sondern auktori­
aler Bescheidenheit: mittels einer Verteilung der Autorität auf mindestens zwei
Instanzen, durch die die Ambiguität zwischen dem Ewigen, Unsterblichen, Dau­
erhaften und dem Irdischen, Zerbrechlichen und Vergänglichen nicht nur seman­
tisch, sondern diskursiv ausgeschöpft werden kann. Auch wenn in der Forschung
mit Blick auf Vergil als maestro und autore in Dantes Commedia immer wieder die
Selbstermächtigung betont wurde, bringt Dantes Commedia eine paradoxe Dop­
pelung der Autorschaft hervor, deren andere Seite nicht die Transzendenz Gottes,
sondern die Schrift gewordene weibliche Stimme ist. Die Commedia initiiert
damit nicht nur die große auctoritas, sondern unterläuft sie gleichzeitig. Die Mut­
tersprache, volgare, ist damit zur Möglichkeit eines neuen, beinahe komischen
Stils geworden und zwar in dem Sinn, wie ihn Dante in seinem als Epigramm
verfassten Widmungsschreiben an Cangrande verstanden hatte: als ein anderes
Singen, Gesang des Volkes, „‚villanus cantus‘“ (Epist. XIII, 28).
III Caterinas Stimme
Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht
(Cant. 2,14)

Mit der Liebe der Mystikerin, pur amour, wird eine Liebe inszeniert, die über die
Bedingungen der irdischen Liebe erhaben ist und die Liebende angesichts der
Vollkommenheit Gottes erstrahlen lässt.1 Zur Allegorie dieser Liebe wird die
Mystikerin als Figuration einer in Aussicht gestellten paradiesischen Erfüllung.
Als solche besetzt sie den gleichen symbolischen Ort wie die idealisierte Herrin
in der Dichtung des Trecento, wie Laura oder Beatrice. In den unterschiedlichen
Diskursen finden Inszenierungen von sowohl Santa Caterina da Siena als auch
Dantes Beatrice als „forma di conoscenza più perfetta del saluto“2 statt. In
Literatur und Theologie tritt also die donna angelica auf, die durch eine „con­
tamination réciproque des deux discours“3 vergleichbar wird, weil beide eine
jouissance produzieren, in der die Liebesbeziehung durch den „chant de joie“4
ausgedrückt wird.
Um ihren Gegenstand zu konstituieren, müssen die Heiligenlegende und Hei­
ligenvita dabei immer wieder auf die Rede der Heiligen ‚hören‘, sie müssen sich
ihren Äußerungen zuwenden: „se mettre à l’écoute de leurs folies“5. Die Legende
lenkt damit unseren Blick nicht nur auf den Körper der Heiligen, an dem sich
die Heiligkeit vollzieht, sie führt uns auch zu ihrer Stimme, die auf die göttli­
che Stimme zurückverweist: „La voix s’identifiant à l’Esprit vivant.“6 Die von
Heiligen­legende und Heiligenvita behauptete Imitabilität liegt damit nicht nur,
wie grundlegend behauptet worden ist, in den Taten der Heiligen7 – Hans Robert

1 Julia Kristeva: Histoires d’amour, Paris 1983, S. 191  f.


2 Michelangelo Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia. In: Selvagge e
angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Tatiana Crivelli,
in Zusammenarbeit mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 33–48, S. 36 (Herv.
im Orig.).
3 Kristeva: Histoires d’amour, S. 193  f.
4 Kristeva: Histoires d’amour, S. 192.
5 Luce Irigaray: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, Kap.: La mystérique, S. 239.
6 Paul Zumthor: La lettre et la voix. De la ‚littérature‘ médiévale, Paris 1987, S. 83  ff., S. 88.
7 André Jolles: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile,
Märchen, Witz, Tübingen (1930) 2006, S. 26–61. Ich unterscheide im folgenden nicht konsequent
zwischen Heiligenlegende und Heiligenvita, da die Unterscheidung für meine Argumentation
nicht von Bedeutung ist. Der Vitenschreiber spricht von tractatum legende (LM Prolog I, 13),
nicht von Vita. Raimund von Capua: Die Legenda Maior (Vita Catharinae Senensis) des Raimund
von Capua. Edition nach der Nürnberger Handschrift Cent. IV, 75. Übersetzung und Kommen­
96   Caterinas Stimme

Jauß hat den Heiligen als ‚vollkommenen‘ Helden bestimmt8 –, sondern in einem
in ihren Geschichten implizierten parler femme: in der Inszenierung der mysti­
schen Rede der Heiligen, durch das sich die Heiligenvita als ein Ort bestimmen
lässt, an dem mimetisch ihre Rede nachgeahmt wird.
Simone de Beauvoir hatte nicht nur den Status von Königinnen durch gött­
liches Recht begründet gesehen, sondern zudem den Status der Heiligen, auch
der Caterina da Siena, durch ihre Tugenden: „Les reines, par droit divin, les
saintes, par leurs éclatantes vertus, s’assurent dans la société un appui qui leur
permet de s’égaler aux hommes.“9 Damit wird die soziale Bedeutung der Hei­
ligen unterstrichen, aber noch nicht ihre Rede. Erst Luce Irigaray hat mit der
Mystikerin den Ort einer bestimmten, ansonsten unmöglichen Redeweise als
das Hervortreten der weiblichen Stimme identifiziert und damit Mystik als Ort
eines Sprechens bestimmt, den sie als „mystérique“ bzw. „mystérie“ bezeichnet
und damit mystique (myein = verschließen, schweigen, stille sein10), hystérie und
mystère zusammenführt.11 Diese Art des öffentlichen Sprechens entsteht durch
eine hysterische Spiegelung, die eine andere Bühne des Sprechens öffnet und
der Mystikerin selbst verborgen bleibt: „hors-scène, cette autre scène, pour elle
cryptique“12.

tar. Hrsg. von Jörg Jungmayr, Bd. 1, Berlin 2004. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe
und Übersetzung (ohne Zeilenangabe, da die Angaben von Originaltext und Übersetzung ab­
weichen). Unter Vita/Legende verstehe ich in Anschluss an Delehaye das Genre der légendes
hagiographiques, „genre nouveau […] qui tient de la biographie, du panégyrique et de la leçon de
morale.“ Hippolyte Delehaye: Les légendes hagiographiques, Brüssel 1906, S. 77.
8 Hans Robert Jauss: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt a. M.
1997, S. 252.
9 Simone de Beauvoir: Le deuxième sexe. Bd. 1: Les faits et les mythes, Paris 1990, S. 169.
10 Vgl. Peter Gerlitz: Art. Mystik. I. Religionsgeschichtlich. In: Theologische Realenzyklo­
pädie. Hrsg. von Gerhard Krause/Gerhard Müller, Bd. 23, Berlin, New York 1994, S. 534–547,
S. 534.
11 Luce Irigaray: La mystérique. In: dies.: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, S. 238–252,
S. 239: „Tombant  – dirait sans doute Platon  – dans le piège de les mimer, de prétendre jouir
comme ‚elle‘. Jusqu’à ne plus s’y retrouver comme ‚sujet‘, et se laisser mener là où il ne voulait
surtout pas aller: à sa perte dans cette atypique, atopique, mystérie.“ Vgl. Amy M. Hollywood:
Beauvoir, Irigaray, and the Mystical. In: Hypatia 9/4 (1994), S. 158–185, S. 169 (Herf. im Orig.):
„[T]he place from which women have most openly and publicly spoken, the site of her coming
to voice and jouissance“.
12 Irigaray: La mystérique, S. 238 (Herv. im Orig.). Vgl. Hollywood: Beauvoir, Irigaray, and
the Mystical, S. 168. Im Folgenden werde ich mich mit der Terminologie Szene / Bühne darauf
beziehen, dass Irigaray damit einen Schauplatz für die mystische Rede benennt, eine andere
psychoanalytisch gedachte ‚Szene‘ oder ‚Bühne‘.
 Caterinas Stimme   97

Von der kryptischen Szene bzw. jenem Platz außerhalb der Bühne, auf dem
Irigaray die Rede der Mystikerin positioniert, zeugen nicht nur die Schriften der
Mystikerinnen bzw. die von ihr diktierten Texte. Auch in der Nacherzählung des
Lebens der Mystikerin, in den Heiligenlegenden und Viten, wird die ‚mystische
Szene‘ hergestellt. Dabei sucht sich nicht die Mystikerin selbst ihren Ort hors
scène, sondern dieser ist ein ihr zugewiesener Platz und eine Sprachordnung, die
man mit Michel de Certeau als eine Rede „à l’enfant, à la femme, aux illettrés, à
la folie, aux anges ou aux corps“13 bezeichnen kann. Am Ort der Hervorbringung
ihrer Heiligkeit produziert mit der kanonischen Fixierung der Heiligenvita die
Darstellung des Heiligen ein Sprechen, das immer auch zugleich von sich abge-
trennt wird. Damit rührt es an die grundlegende Bestimmung von sacré, die nach
Émile Benveniste Ort der Trennung sein kann. Sacer ist ein „retranchement“: Ein
Außerhalb-Stellen der menschlichen Sphäre.14
Wie die ästhetischen Formationen, die durch Lauras angelico canto und Bea-
trices angelica voce konstituiert werden, ist die Heiligenlegende ohne die Stimme
der Heiligen nicht möglich. Ein Vergleich zwischen Dantes Commedia und Cateri-
nas Heiligenvita, der Legenda Maior, muss also die Art und Weise des Sprechens
in den Blick rücken: als Operation, die die Grenzen des Sagens mittels einer Rede
inszeniert, die von einer weiblichen Figur als Vermittlerin zu diesem Grenzbe-
reich artikuliert wird. Denn die Heiligenvita ist eine fable mystique, d.  h. eine
Geschichte nicht nur der Taten der Heiligen und der Aussagen (énoncé), sondern
der Aussageakte (énonciation).15 Mit welcher Stimme werden also die Visionen
und Erscheinungen in der Heiligenvita erzählt? Wie verhält sich die Rede über
die Heilige zur eigenen Figurenrede der Heiligen? Wie wird diese eingeschlossen,
durch welche Mechanismen wird sie ausgeschlossen?
Medien und Vermittlungen haben zur Folge, dass sich Stimmen vermischen,
die bei der Produktion von Texten und Heiligem beteiligt sind. In der Forschung
zu Caterina wurde auf die Gefahr einer einseitigen Aneignung der Heiligen als
idealisierende Darstellung aus der Perspektive der Beichtväter, die in den weib-
lichen Heiligen die Verkörperung ihrer Vorstellungen von Kirche sehen, hinge-
wiesen.16 Die Heiligkeit Caterinas ist das Resultat einer Sprachordnung, in der
der Beichtvater bestimmten Konventionen und auch Interessen folgt, die sich von

13 Michel de Certeau: La fable mystique. XVIe–XVIIe siècle, Bd. 1, Paris 1982 (Bibliothèque des
histoires), S. 24.
14 Émile Benveniste: Le vocabulaire des institutions indo-européenes, Bd. 2: Pouvoir, droit,
religion, Paris 1969, Art. „Le sacré“, S. 197  f.
15 Certeau: La fable mystique, S. 23  ff.
16 Catherine M. Mooney: Voice, Gender and the Portrayal of Sanctity. In: Gendered Voices.
Medieval Saints and their Interpreters. Hrsg. von dies., Philadelphia 1999, S. 1–15, S. 3.
98   Caterinas Stimme

ihrer Selbstdarstellung in ihren eigenen Schriften abhebt.17 Betont der Beicht­


vater Caterinas überirdische Rolle, so steht demgegenüber das, was Jane Tylus
die „materiality of writing“18 genannt hat: Caterinas Schreibpraxis, in der sie
durch Blut und Tinte an der diskursiven Autorität teilhat. Diese diskursive Autori­
tät wird jedoch mit der Autorschaft des Beichtvaters überschrieben, wenn er mit
ihr eine Theologie behauptet, in der „female weakness“ und „divine inspiration“
kurzgeschlossen werden.19 Die Unterscheidung in Heilige und ihre Interpreten
hat die Bedeutung der unterschiedlichen Instanzen, die an der Fabrikation der
Heiligenvita beteiligt sind, unterstrichen.20
Insbesondere die weibliche mystische Stimme soll einem sich im Trecento
konstituierenden corps sacramental einverleibt werden. Die Mystikerin wird
dabei nach Michel de Certeau auf zwei Arten und Weisen der Einverleibung unter­
zogen. Zum einen nämlich durch eine Ordnung des Sprechens (tout dire): Die
mystische Rede antwortet auf den Wunsch der Beichtväter, das religiöse Leben
sichtbar zu machen, es zu fixieren und zu dokumentieren. Zum anderen durch
eine Ordnung des Sehens (tout voir), in der der Körper die Zeichen der göttlichen
Allmacht demonstrieren, aufführen, zeigen soll: Der rêve franciscain besteht
darin, dass ein Körper das göttliche Wirken manifestiert, ohne zu sprechen:
„qu’un corps prêche sans parler“21. Sprechakte und Körperakte werden jedoch
am Ort der Verschriftlichung  – in der Heiligenvita  – miteinander verschränkt.
Schon weil die mystische Rede durch ihren Bezug auf die göttliche Stimme mit
der Frage nach demjenigen, der spricht, assoziiert ist, steht eine Ambiguität am
Anfang eines Textes, der diese Rede und ihre Darstellung zu seinem Gegenstand
macht. Denn durch den Verweis auf die göttliche Stimme ist nie eindeutig, wer
eigentlich spricht: Caterina als Medium mit der Stimme Gottes? Oder als Medium
ihres Beichtvaters? Oder als Stimme im Text?

17 Vgl. Thomas Luongo: Catherine of Siena. Rewriting Female Holy Authority. In: Women,
the Book and the Godly. Hrsg. von Lesley Smith/Jane H. M. Taylor, Cambridge 1995, S. 89–103.
18 Jane Tylus: Reclaiming Catherine of Siena. Literacy, Literature, and the Signs of Others,
Chicago, London 2009, S. 225  ff.
19 Karen Scott: „Io Catarina“. Ecclesiastical Politics and Oral Culture in the Letters of Ca­
therine of Siena. In: Dear Sister. Medieval Women and the Epistolary Genre. Hrsg. von Karen
Cherewatuk/Ulrike Wiethaus, Philadelphia 1993, S. 87–121, S. 95. Vgl. Karen Scott: Mystical
Death, Bodily Death. Catherine of Siena and Raymond of Capua on the Mystic’s Encounter with
God. In: Gendered Voices. Medieval Saints and their Interpreters. Hrsg. von Catherine M. Moo­
ney, Philadelphia 1999, S. 136–167.
20 Vgl. John W. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power. Female Saints and Their Male
Collaborators, New York 2006, Kap. 9: Managing Holiness. Raymond of Capua and Catherina of
Siena, S. 170–192.
21 De Certeau: La fable mystique, S. 118  f.
 Caterinas Stimme   99

Der Heiligenvita wird ein weiblicher Mund als ihr Ursprung zugeschrieben:
Die Worte Caterinas da Siena, die dem Beichtvater, Raimondo da Capua, ihre
Visionen und Wunder berichtet, sind konstitutiv für die Vita, deren Verfasser der
Beichtvater ist. Die Begründung der Heiligkeit ruft das alte Modell der Selbst­
begründung poetischer Texte auf, bei dem Musen, Sirenen, Marienerscheinun­
gen als Inspirationsquelle Texte autorisieren. Der Text schreibt sich von woanders
her, er setzt eine andere Stimme als Grund und Legitimation des Textes voraus.
Der jungfräuliche Mund dient dabei der Figuration der Stimme, die Heiligenvita
als die Wiederholung eines rätselhaften Sprechens: „Comme le sphinx de jadis,
la mystique reste le rendez-vous d’une énigme.“22 Implizites Modell hierfür ist
die spätantike bzw. christliche Sirenendeutung und zwar in der Ambivalenz zwi­
schen prophetischer Rede und Verführung.
In der Civitas Dei hat Augustinus die Sibyllen in den Dienst Gottes gestellt.
Die erythräische Sibylle, schreibt er, sagt nichts, „quod ad deorum falsorum
sive factorum cultum pertineat, quin immo ita etiam contra eos et contra cul­
tores eorum loquitur, ut in eorum numero deputanda videatur, qui pertinent ad
civitatem Dei.“ [was sich auf die Verehrung der falschen oder gemachten Götter
bezöge; sie spricht sich sogar im Gegenteil so sehr gegen sie und ihre Verehrer
aus, daß man sie zu der Zahl jener wird rechnen müssen, die zum Gottesstaat
gehören.]23 Liest man die Anfangsbuchstaben der Verse nacheinander, ergibt dies
ihr Lied in Form eines Rebus „Iesus Christus Dei filius salvator“ (De civ. XVIII, 23).
Die Christianisierung der Prophetin überschreibt die antiken Mysterienkulte im
Namen Jesu Christi. Augustinus gibt als Lektüreerinnerung wieder, was Laktanz
über die Sibylle berichtet; dieser Bericht lässt die Prophetin in Ekstase die christ­
liche Wahrheit verkünden.
Dieselbe Aufgabe kommt Caterina zu, nämlich wie die Sibylle die christliche
Wahrheit zu prophezeien.24 Anders als die mythische Sibylle ist jedoch die Mysti­
kerin am Aufbewahren ihrer Schriften interessiert. Dante hatte das Bild der vom
Wind zerstreuten, beschriebenen Blätter der Sibylle aus der Aeneis übernom­
men. Die Sibylle war hier nicht nur durch ihre prophetische Gabe ausgezeich­
net worden, sondern auch als Schreibende, deren Blätter vom Wind zerstoben
werden: „verum eadem, verso tenuis cum cardine ventus / inpulit et teneras tur­
bavit ianua frondes, / numquam deinde cavo volitantia prendere saxo“ [Aen. III,

22 Durch diese insistierende Rätselhaftigkeit bleibt die Mystik fremd gegenüber der Institution
Religion. Michel de Certeau: Art. Mystique. In: Encyclopaedia universalis, Bd. 12, Paris 1985,
S. 873–878, S. 878.
23 Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. De civitate Dei. 2 Bde. Übers. und hrsg. von Carl
Johann Perl, Paderborn, München u.  a. 1979, XVIII, 23.
24 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 182.
100   Caterinas Stimme

448–450; Doch wenn sich die Tür in der Angel dreht und ein leichter Luftzug die
dünnen Blätter erfaßt und zerstreut, dann kümmert die Seherin sich niemals
darum, sie zu erhaschen, während sie durch die Felsenhöhle wirbeln].25 Während
die Orakel der Sibylle gehört werden, verflüchtigt sich ihre Schrift. Umgekehrt
fordert Caterina das Sammeln ihrer Schriften, denn angesichts ihres nahe rücken­
den Todes betont sie in ihrem letzten Brief an ihren Beichtvater, dass er ihr ‚Buch’
wie alle ihre Schriften sorgfältig aufbewahren solle: „Anco vi prego che il libro e
ogni scrittura la quale trovaste di me, voi e frate Bartolomeo e frate Tomaso e il
Maestro, ve le rechiate per le mani“ [A Raimondo da Capua, Lett. 373; Auch bitte
ich Sie das Buch und jedes Schriftsstück, das Sie von mir finden, Sie und Bruder
Bartolomeo und Bruder Tomaso und der Vorsteher, ihnen mit den Händen zu
überbringen].26 Caterina hat nicht nur zur Ehre Gottes gesungen, sondern ihrer
Stimme einen Ort in der Schrift gegeben. Während Dante in der zitierten Schreib­
szene die Haltung der Sibylle übernommen hat und seine süße Vision wie die
Sentenz der Sibylle sich auf den vom Wind verwehten Blättern verliert  – „così
al vento ne le foglie levi / si perdea la sentenza di Sibilla“ [Par. XXXIII, 65–66;
so verlor sich / im Wind der Spruch der Sibylle auf den Blättern] –, unterstreicht
Caterina die Aufbewahrung ihrer Schriften.
Caterina da Siena ist nicht nur als historische Gestalt Heilige und Kirchen­
lehrerin, sie ist auch eine textuelle Figur, deren sprachliche Akte eine diskursive
Formation bilden.27 Zu klären ist daher, in welcher Weise die uerba dulcia in der
Heiligenlegende eingebracht werden und welche Funktion der mystischen Rede
in der Heiligenlegende zukommt. Wodurch wird in der Heiligenvita die Stimme
Caterinas zur Voraussetzung nicht nur ihrer Heiligkeit, sondern eines Textes, der

25 Vgl. Kap. II, 3.3.


26 S. Caterina da Siena: Le lettere. Hrsg. von D. Umberto Meattini, Mailand 2010 (Letture
cristiane del secondo millennio 4), S. 1194 [Übersetzung von mir, C. W.]. Zum Vergleich von
Dante, der Sibylle und Caterina sowie zum Zirkulieren ihrer Briefe Tylus: Reclaiming Catherine
of Siena, S. 215  ff. Auch C. W.: Aus zweiter Hand. Dialog und Providenz. In: Inszenierte Gesprä-
che. Zum Dialog als Gattung und Argumentationsmodus in der Romania vom Mittelalter bis zur
Aufklärung, hrsg. von Matthias Hausmann, Marita Liebermann, Berlin 2014 (Internationale
Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft), S. 19–36.
27 Um sich von einer Legendenforschung abzusetzen, die die Legende auf ihre Symbolik hin
liest, erarbeitet Saussure in seinen Fragmenten eine anagrammtische Lektüre der Legende, die
die Legende zeichenhaft versteht und in der wie im Cours de linguistique générale jedes Zeichen
einen Wert dadurch bekommt, dass es sich von anderen unterscheidet. Béatrice Turpin hat die
Parallele von Sprache und Legende herausgestellt. Vgl. Béatrice Turpin: Légendes et récits
d’Europe du Nord. De Sigfrid à Tristan. In: Ferdinand de Saussure. Hrsg. von Simone Bouquet,
Paris 2003, S. 351–429, S. 389. Vgl. auch Dies.: Légendes – Mythes – Histoire. La circulation des
signes. In: Ferdinand de Saussure. Hrsg. von Simone Bouquet, Paris 2003, S. 307–315.
 autre scène: Wer spricht?   101

sich durch die Stimmen der Anderen konstituiert? Die Rede der Mystikerin ist
nicht nur eine Inszenierung von „Sprache als Medium der Erfahrung“28, insofern
sie Antwort auf ein immer schon vorausliegendes Sprechen Gottes wäre. Denn
es kommt nicht nur auf die Erfahrung der göttlichen Stimme in Sprache und die
Aporien ihrer Darstellbarkeit als Differenz zwischen Sprechen und Sein an29,
sondern auch auf die Art und Weise, wie etwas gesagt wird: durch die Stimme im
Text und d.  h. als wiedergegebene, nicht als authentische Rede, die im Anschluss
an Irigaray und Certeau untersucht werden kann. In diesem Sinn ist die Heiligen­
vita lesbar als Inszenierung einer „Rhetorik des Begehrens“30 und zwar genau
genommen als Inszenierung der Stimmen im Text.

1 autre scène: Wer spricht?

Hat der Körper der Heiligen in den letzten Jahren im Fokus der Aufmerksam­
keit der Mystik-Forschung gestanden, so deshalb, weil dieser im Spätmittel­
alter einen wichtigen Zugang zum Heiligen darstellt.31 Certeau hat aber gerade
dessen ursprüngliche Entbehrung betont und den fehlenden Körper Christi als
die Matrix des Christentums identifiziert.32 Der corps manquant hat dabei nicht
zur Abschaffung des Körpers geführt, sondern zu einer Reihe von Substitutionen,
die insbesondere im Spätmittelalter dazu dienen, den bestehenden Mangel zu
kompensieren. Mystik ist Bestandteil dieser substitutiven Logik, indem sie damit
beschäftigt ist, einen Körper der Liebe (corps d’amour) zu finden. Mystik und
Kirche gründen in demselben Paradox eines fehlenden Körpers und der impli­
zierten, aber suspendierten Frage: „qu’est ce que le corps?“33 Die Frage nach dem

28 Walter Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens. In: Abendländische
Mystik im Mittelalter. Symposium Kloster Engelberg 1984. Hrsg. von Kurt Ruh, Stuttgart 1986,
S. 494–508, S. 495.
29 Vgl. Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, S. 498.
30 Niklaus Largier: Rhetorik des Begehrens. Die ‚Unterscheidung der Geister‘ als Paradigma
mittelalterlicher Subjektivität. In: Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittel­
alters. Hrsg. von Martin Baisch, Königstein 2005, S. 249–270.
31 Vgl. Caroline Walker Bynum: The Female Body and Religious Practice in the Later Middle
Ages. In: Dies.: Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Me­
dieval Religion. New York 1991, S. 181–238.
32 De Certeau: La fable mystique, S. 108  ff. Vgl. Bernhard Teuber: Die mystische Mär. Eine
postmoderne Relecture der christlichen Tradition nach Michel de Certeau. In: Die Kirchenkritik
der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung, Bd. 3: Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hrsg
v. Mariano Delgado, Gotthard Fuchs, Fribourg, Stuttgart 2005, S. 225–240, S. 231  ff.
33 De Certeau: La fable mystique, S. 108.
102   Caterinas Stimme

Körper – „dis moi, où tu l’as mis?“ –, die Maria Magdalena angesichts des feh­
lenden Körpers stellt und die Ersetzungen, die sein Fehlen erforderlich machen,
organisieren sowohl den apostolischen als auch den mystischen Körper.34 Die
Geschlechtlichkeit solcher substituierender Körper hat Walker Bynum betont
und den Zusammenhang zur religiösen Sphäre herausgearbeitet. Die verzückten
Ausbrüche – mystische Laktation, katatonische Trance, ekstatisches Nasenblu­
ten, heilige Anorexie, Verzehren von Eiter – als Aufführungen von Körperlichkeit
lassen sich mit Blick auf die Thesen von Certeau als Ersatzhandlungen der dispa-
rition fondatrice verstehen: der zu ersetzende corpus Christi würde dementspre­
chend durch einen weiblichen Körper überzeichnet.
In der Tat zielt Caterinas asketische Praxis auf die Umformung des Körpers,
der in den Darstellungen seiner Überwindung im Text umso präsenter wird. Als
empfangender Körper offenbart er die übernatürliche Macht: „Jnde siquidem pro­
cedebat supernaturalis ille uigor corporeus ex habundancia scilicet spiritualium
graciarum.“ [LM II, 178; Gerade aus der Fülle der geistlichen Gaben bezog ja ihr
Körper seine übernatürliche Stärke.] Auch die formale Zweiteilung der Legende
in ‚zwei Leben‘ ist ein Resultat der Spiritualisierung ihres Körpers: in einen Teil
über den Körper (vita corporalis) und einen über den Geist (vita spiritualis bzw.
supernaturalis). Die Beobachtungen zu den Affektionen des Körpers verleiten
allerdings dazu, die Mystikerin vor allem auf der Ebene der histoire bzw. auf der
Ebene des historischen, buchstäblichen Sinns zu verorten.35
Demgegenüber hat Certeau auch die Stimme in der Mystik fokussiert und
damit die Frage nach der Redeordnung, d.  h. danach, wie das Sprechen orga­
nisiert ist, aufgeworfen. Mystische Rede versteht er als „un cadre technique de
‚manières de parler‘“36. Mit der Analyse der Art und Weise des Sprechens rückt
Certeau anstelle ihres Inhalts das wie der Rede in den Blick. Durch Suspension
der theologischen Frage nach der göttlichen Wahrheit wird die Art und Weise
ihrer Inszenierung und Diskursivierung hervorgehoben: „l’effectuation orale et

34 De Certeau: La fable mystique, S. 110.


35 Vor allem sind die Briefe Caterinas nicht nur konkret politisch, sondern teilweise extrem
alle­gorisch und müssten dahingegend erst noch untersucht werden. Literaturwissenschaft­
liche Fragestellungen wie nach der Narrativität oder der Textualität stehen noch aus. Untersu­
chungen der Visionsdarstellungen bestimmen Caterinas Platz innerhalb einer „Geschichte des
Visionären“: als Geschichte der Stigmata und insofern als Geschichte der Sichtbarkeit und der
Unsichtbarkeit, die sich am Körper manifestiert. Vgl. David Ganz: Gemalte Geheimnisse. Die
Stigmatisierung Katharinas von Siena und ihre (Rück-)Übertragung ins Bild. In: Medialität des
Heils im späten Mittelalter. Hrsg. von Carla Dauven-van Knippenberg/Cornelia Herberichs/
Christian Kiening, Zürich 2009 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 10), S. 83–
110, S. 83.
36 De Certeau: La fable mystique, S. 167.
 autre scène: Wer spricht?   103

non la vérité logique d’une proposition.“37 Certeau übernimmt für seine Unter­
suchung mystischer Sprechakte Benvenistes Unterscheidung in énoncé und
énonciation, um auf diese Weise anstatt nach dem Ausgesagten nach den Aus­
sageakten zu fragen.38 Mit dieser Verschiebung von der theologischen Wahrheit
hin zu den Sprechakten hat er letztlich auch die Glaubensfrage zwar nicht auf­
gehoben, aber doch ausgespart und damit möglich gemacht, die mystische Rede
als Redeordnung zu verstehen.39 Mystik erscheint damit als privilegierter Ort
der Inszenierung von parole und voix: „La science mystique interroge donc […]
la nature de la parole (venue d’une voix)“40. Die diskursive Verschiebung spielt
sich zwischen Stimme und Körper ab: Ein emblematisch oder memorial geworde­
ner Körper tritt an den Ort des Sprechens und auch wenn die Rede geschrieben
wird, bleibt sie unentzifferbar: „La parole est laissée hors de ce corps, écrit mais
indéchiffrable“41. An der Mystikerin Teresa von Avila ist die epistemologische
Tragweite dieser Rede ablesbar: Die parole als eine göttliche Rede verschwindet
hinter dem inszenierten, erotischen Körper. Fable mystique – das ist die Trauer
über den Verlust der Stimme und die Arbeit des Nachzeichnens dieses Verlusts
Markierung der Orte ihres Verschwindens. Daran anschließend schreibt dieses
Kapitel an einer weiteren fable mystique: indem sie in der Heiligenvita die Rede­
ordnung untersucht, in der die mystische Stimme einen Ort bekommt.
Die Legitimität der Überzeugungskraft der Rede, die Caterina zugesprochen
wird, gründet nicht in sich selbst, sondern in der Macht göttlichen Einflusses.
Die Behauptung ihrer Redeweise basiert auf einem Modell spiritualisierter Rede.
Jede Äußerung ist damit von radikaler Alterität bestimmt. Demzufolge hört der
Beichtvater aus Caterinas Mund nicht ihre, sondern die Worte Christi: „Quis aliud
querat experimentum eius, qui loquebatur in ea Christus?“ [LM Prolog I, 9; Wer
suchte einen anderen Beweis, daß Christus durch sie sprach?] Caterina wird als
Medium der Verkündung göttlicher Wahrheit inszeniert. Ihr Beichtvater folgt mit
dieser Darstellung der Vorstellung, Mystikerinnen als Sprachrohr göttlicher Rede

37 De Certeau: La fable mystique, S. 222.


38 Mystische Rede wird bezeichnet als „un champ propre de l’allocution“. De Certeau: La fable
mystique, S. 221. Zur Bestimmung der Kommunikationssituation mystischer Rede vgl. Christine
Stridde: Verbalpräsenz und göttlicher Sprechakt. Zur Pragmatik spiritueller Kommunikation
‚zwischen‘ St. Trudperter Hohelied und Mechthilds von Magdeburg Das Fließende Licht der Gott-
heit, Stuttgart 2009, S. 39  ff.
39 Damit erübrigt sich die vielfach gestellte Frage, ob der Vita des Beichtvaters zu trauen sei.
Vgl. Caroline Walker Bynum: Holy Feast and Holy Fast. The Religious Significance of Food to
Medieval Women, Berkeley 1987, S. 166.
40 De Certeau: La fable mystique, S. 220.
41 Vgl. De Certeau: La fable mystique, S. 14.
104   Caterinas Stimme

einzusetzen zu können. Wie Amor den Dichtern die irdische Liebe, so scheint
Gott Caterina die göttliche Liebe, caritas, in den Mund zu legen. Aber erweist sich
die Rede und ihre Darstellung nicht als weitaus komplexer und inszenierter? Wie
ist dieses Sprechen im Text organisiert und welche sind die Verfahren der Rede?
Wie ein antiker Rhetor wird Caterina in ihrer Heiligenvita eingeführt. Der
Erzähler stellt die Eloquenz ihres Sprechens eigens heraus:

Preter hec autem, quamuis scripture sue sint modis omnibus commendande nec ad com­
mendacionem ipsarum possim sufficere, modicum tamen sunt respectu sue actualis
loquele, dum ageret in humanis. Dominus enim dederat ei linguam eruditissimam, ut sciret
proferre sermonem ubique, uerbaque ipsius ardebant, ut facile nec erat quicumque audiens
eam, qui se totaliter a calore uerborum ignitorum suorum posset abscondere.
(LM Prolog I, 9)

Obwohl ihre Schriften auf jede Weise zu rühmen sind und ich dazu nur sehr unzureichend
tauge, sind sie gering, gemessen an ihrer mündlichen Rede zu Lebzeiten. Der Herr hatte ihr
nämlich ein ungewöhnlich reiches Redetalent verliehen, das sie überall entfalten konnte.
Ihre Worte brannten, so daß es für einen, der ihr zuhörte, nicht leicht war, sich der Glut
ihrer feurigen Worte zu entziehen.

Das Modell für das Redetalent Caterinas ist die Hl. Katharina von Alexandrien,
die als Märtyrerin für ihren Glauben gestorben sein soll und die nicht nur dem
Namen nach in Genealogie zu Caterina da Siena steht, sondern auch explizit als
Vorbild genannt wird: „Perpendis ne lector, si meministi alterius Katerine marti­
ris et regine“ [LM I, 116; Mein Leser, erinnere dich an die andere Caterina, an die
Märtyrerin und Königin]. Die andere Caterina, Märtyrerin und Königin, stellt die
Folie dar, auf der Caterinas rhetorisches Vermögen behauptet werden kann. Denn
der Hl. Katharina sagt man nicht nur eine liebliche Erscheinung nach (gratiosa),
sondern betont zudem ihr Redetalent (eloquentia). Aufgrund dieses Talents kann
sie wortgewandt mit dem Kaiser diskutieren: „Stansque ante januam templi per
varias conclusiones syllogismorum allegorice et metaphorice, diserte et mystice
multa cum Caesare disputavit.“ [Und stund vor des Tempels Tür und hub an,
durch unterschiedliche Schlüsse der Syllogismen allegorisch und metaphorisch,
dialectisch und mystisch mit dem Kaiser mancherlei Ding zu disputieren.]42 Aus
dem Wettstreit mit den Meistern der Rhetorik  – den besten des Landes  – geht
Katharina als Siegerin hervor. Dieses Redetalent, das vor allem durch seine Über­

42 Jacobi a Voragine: Legenda Aurea. Vulgo historia lombardica dicta. Hrsg. v. Theodor
­Graesse, Reproductio phototypica editions tertiae 1890, Osnabrück 1965, S. 790. Die Überset­
zung zitiere ich nach der folgenden Ausgabe: Jacobus de Voragine: Legenda Aurea. Übers. von
­Richard Benz, Gütersloh 2007, S. 705.
 autre scène: Wer spricht?   105

zeugungskraft besticht, wird dabei nicht als Wunder ausgewiesen, sondern als
eine intellektuelle Fähigkeit, die ihrem Vermögen, Wunder zu bewirken, kei­
nesfalls widerspricht: „Habuit igitur beata Catherina sapientiam intellectualem
in cognitione divinorum, qua maxime usa est in disputatione contra rhetores”
[Sanct Katharina hatte intellectuale Weisheit in der Erkenntnis der göttlichen
Dinge, die erwies sie sonderlich in der Disputation wider die Meister]43. Mit der
vom Legendenschreiber vorgenommenen Deutung ihrer Heiligkeit wird die „elo­
quentia“ gleich mehrfach bestimmt. Überzeugungskraft schließt dabei die Süße
der Rede keinesfalls aus: „suavissimam in attrahendo, sicut patet in Porphyrio
et in regina, quos eloquii sui suavitate ad fidem attraxit; efficacissimam in con­
vincendo, sicut patet in rhetoribus, quos tam potenter convicit.“ [Ihre Rede war
auch lieblich, Menschen an sich zu ziehen; als an Porphyrio und der Kaiserin
offenbar ward, die sie durch die Süßigkeit ihrer Rede zu dem Glauben zog. Sie
war auch kräftig in Überredung; als an den Meistern erwiesen ist, die sie mit
großer Kraft überredete.]44 Um nichts steht also Katharina der Überzeugungskraft
des antiken Rhetors nach, im Gegenteil, ihre Überlegenheit wird dadurch zum
Ausdruck gebracht, dass sie über das rhetorische Vermögen hinaus auch noch
über die Süße der Rede verfügt. Wie dieser tritt sie den Wettstreit mit den Mitteln
der Rhetorik an und schlüpft mühelos in die Position des Fechters mit Worten.
Nicht nur christliche Ethik, liebevolle Hingabe, sondern auch antike Rheto­
rik, Überzeugung mit Argumenten, zeichnen die Darstellung der Hl. Katharina
aus.45
In der Gestalt der Heiligen vermischen sich antiker Rhetor und christliche
Predigerin. Die antike Figur wird übernommen, um damit die Leuchtkraft der
christlichen Heldin umso mehr herauszustellen. Alexandre Leupin spricht bei
einem solchen Verfahren (am Beispiel von Tertullian) von einer rhétorique sacrée:
Das gleiche Wort wird in einer anderen Bedeutung benutzt, ohne dass die neue
Bedeutung eigens thematisiert würde.46 Das Redetalent Katharinas ist Thema
ihrer Legende, aber die subtile Operation  – der Austausch von antiker Rheto­
rik und christlicher Ethik, den die Legende bewerkstelligen muss – wird auf der

43 Jacobi a Voragine: Legenda Aurea, S. 795. Übersetzung: Jacobus de Voragine: Legenda


aurea, S. 710.
44 Jacobi a Voragine: Legenda Aurea, S. 796. Übersetzung: Jacobus de Voragine: Legenda
aurea, S. 710  f.
45 Vgl. Walter Haug: Antike Rhetorik und christliche Ästhetik. In: Literaturtheorie im deut­
schen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darm­
stadt 1985, S. 7–24.
46 Vgl. Alexandre Leupin: Fiction et incarnation. Littérature et théologie au Moyen Âge, Paris
1993, Kap. 2: La coupure (Tertulien), S. 41–58, S. 48.
106   Caterinas Stimme

Ebene der histoire nicht erzählt. Dass diese Umkodierung von Rhetor in Prediger
mittels einer Frauenfigur vorgenommen wird, ist dabei mehr als ein Detail. Denn
damit sind die Voraussetzungen für ein Sprechen geschaffen, das – anders als die
eingeschlossene mystische Rede, die hors scène, d.  h. außerhalb der Bühne ist –
die rhetorische, philosophische und poetische Macht ‚auf der Bühne‘ inszeniert.
Die Legende der ‚alten Katharina‘ inszeniert ein Sprechen, das süß und macht­
voll zugleich ist. Diese Macht der Rede, die hier einer weiblichen Figur verlie­
hen worden ist,47 soll im Folgenden in der Legenda maior in der Wiederholung –
„secundam felicissimam Katerinam“ (LM I, 116) – lesbar gemacht werden. Wozu
der vorausgehende Text durch die Hervorhebung des Redetalents herausfordert,
ist die Nachahmung dieser Rede als rhétorique sacrée, in der sich Immanenz und
Transzendenz überkreuzen.
Die Wirkungsmacht der Worte Caterinas (lingua eruditissima) steht dabei in
Widerspruch zu ihrem Geschlecht. Zur Voraussetzung der medialen Befähigung
wird das Sprechen einer muliercula:

[…] aliosque, qui sapientes erant in oculis suis et humana sciencia prediti, postquam ipsam
audierant, superponere digitum ori suo et stupentes intra se musitare: ‚Quomodo hec litte­
ras scit, cum non didicerit? Vnde huic muliercule sapiencia tanta? Quis eam tam perfecte
instruxit? Quis docuit eam tam alta?‘
(LM Prolog I, 9)

wieder andere, die sich weltweise dünkten, legten, nachdem sie ihr zugehört hatten, den
Finger auf den Mund und murmelten vor sich hin: ‚Wie kann sie so gelehrt reden, die niemals
in eine Schule gegangen ist? Woher kommt die Weisheit in diesem schwachen Weib? Wer
hat sie so vollkommen unterrichtet? Wer hat sie so erhabene Dinge gelehrt?‘

Weisheit und Vollkommenheit stehen in Frage, sie müssen unerklärlich sein, um


die überirdische Macht behaupten zu können. Mit dem zitierten ‚Gerede‘ kommen
dabei weitere Stimmen in den Text, die die Sonderstellung der Mystikerin unter­
streichen48 und garantieren, dass Caterina zum zerbrechlichen Gefäß göttlicher
Rede werden kann: „in vase naturaliter infirmo et fragili“ [LM I, 91; anhand eines
Gefäßes […], das von Natur aus wertlos und zerbrechlich ist].49 Dabei war die

47 Caterina bezieht sich auf die alte Heilige, vgl. dazu Luongo: Catherine of Siena. Rewriting
Female Holy Authority, S. 102.
48 Vgl. André Vauchez: La spiritualité du Moyen Âge occidental. VIIIe–XIIIe siècle, Paris 1994,
S. 157  ff.
49 Vgl. Scott: „Io Catarina“, S. 91  ff. Auch Judith Klinger: ‚Als sei Ich ein Anderer‘. Mysti­
sches Subjekt, Geschlecht und Autorisierung bei Caterina von Siena. In: Geschlechter­varia­tio­
nen. Gender-Konzepte im Übergang zur Neuzeit. Hrsg. von dies./Susanne Thiemann, Potsdam
 autre scène: Wer spricht?   107

Geschlechterfrage von Anfang an Gegenstand der Heiligenvita: „Et quod amplius


est mirandum et meo uidere notandum: hanc habundanciam graciarum in diebus
istis in sexu fragiliori, femineo scilicet uidetur singularius operari, forsitan, ut
uirorum confundat superbiam.“ [LM Prolog I, 4; Aber was noch verwunderlicher
ist und was es meiner Ansicht nach festzuhalten gilt: diesen Überfluß der Gnaden
scheint er in unseren Tagen vornehmlich im schwächeren Geschlecht, im weib­
lichen nämlich, hervorzurufen, vielleicht, um den Stolz der Männer zu brechen.]
Damit wird der Ort eines Sprechens geschlechtlich kodiert als in sexu fragiliori
und die Rede als spezifisch weibliche Rede ausgewiesen. Als weibliche Heilige
inkarniert Caterina die göttliche Wahrheit [LM Prolog I, 5; sapiencia incarnata],
die sie ihrem Beichtvater offenbart (reuelata) und durch die sie ihn erzogen hat
(sum eductus). Die Legende, die das heilige Leben Caterinas erzählt, ist Rede
über Rede, die das Schweigegebot der Beichte (silencio) bricht und Caterina zum
„sancta exempla“ (LM I, 91) macht.
Auch hier verweist die Rede der Heiligen auf Diotima, die Lehrmeisterin der
Wahrheit und Führerin aus dem Irdischen zur Unsterblichkeit. Wie Caterina, so
ist auch diese im Besitz eines Wissens, das dasjenige der anderen übersteigt.50
Sokrates hatte die Rede einer Frauenfigur, die er als seine Lehrmeisterin aner­
kannte, wiedergegeben.51 Wie zwischen Sokrates und Diotima werden auch in
der Heiligenvita die Reden von Caterina und ihrem Beichtvater (als Textfigu­
ren) vermischt, basiert der Text auf einem mimetischen Effekt der Vermischung
von männlicher und weiblicher Stimme.52 Der weiblichen Instanz kommt die
Funktion der Wissenden zu, dem erzählenden und schreibenden Beichtvater
die Wiedergabe. Sokrates’ philosophische Rede, die in einem „gioco simbolico
sottile e ambiguo“53 gründet, wiederholt strukturell die Heiligenvita, wenn sie
die Wunder Caterinas mit ihren Worten wiedergibt. Wissen und Weisheit werden
durch die weibliche Instanz vermittelt, zu deren Aufzeichnungsmedium der Text
wird.

2006 (Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung. Neue Folge 1), S. 83–129,
S. 100  f.
50 Adriana Cavarero: Nonostante Platone. Figure femminili nella filosofia antica, Verona
2009 (Testi 4), S. 97.
51 Vgl. Kap. II, 1.1.
52 Vgl. Cavarero: Nonostante Platone, S. 99. Vgl. John W. Coakley: Women, Men, and Spiritual
Power. Female Saints and Their Male Collaborators, New York 2006, Kap. 9: Managing Holiness.
Raymond of Capua and Catherine of Siena, S. 170–192.
53 Cavarero: Nonostante Platone, S. 99.
108   Caterinas Stimme

1.1 angelus terrestris

Ausgangspunkt für die Legenda Maior ist – dem Schema der légendes hagiogra-
phiques entsprechend – ein Erzählen post mortem: Die von Caterinas Beichtvater
eingenommene Perspektive ermöglicht die Narration des Lebens der Heiligen von
Anfang bis Ende: „ac felicissimum transitum“ (LM Prolog I, 5). Das Erzählmodell
der Legenda Maior setzt den Tod der Heiligen als Überwindung des irdischen, his­
torischen und biographischen Lebens immer schon voraus: Erst die Rückschau
auf das irdische Leben legitimiert und begründet ihre Heiligkeit.54 Die Heiligen­
vita schließt mit der Datierung ihres Todes: „Et tandem die, qua supra diximus,
scilicet die xxviiij. mensis Aprilis, qua die celebratur festum beati Petri Martiris
ordinis predicatorum, circa horam terciarum migrauit ad Christum.“ [LM III, 348;
Und schließlich wanderte sie am besagten 29. April, am Fest des heiligen Petrus
des Märtyrers, zur Zeit der Terz zu Christus; vgl. LM III, 367]. Der Tod ist struk­
turell Voraussetzung für die Narration in einem erzähltechnischen Sinn. Erst in
dem Moment, in dem Caterina zu einer himmlischen Gestalt geworden ist, kann
der Beichtvater frei sprechen und sich und sein Beichtkind als Instanzen eines
Textes inszenieren. Der Tod erlaubt die parresia, d.  h. die freie Rede: „Et quia
scio, quod licitum est michi, postquam euolauit ad celum, ea potissime, que in
laudem eius cedunt, quamuis tunc secreta fuerant, reuelare, disputacionem, que
circa hoc erat inter eam et me, jnterserere hic decreui.“ [LM I, 42; Jetzt, da sie in
den Himmel eingegangen ist, darf ich alles, was ihr Ehre macht, frei bekennen,
auch was zu ihren Lebzeiten unter das Beichtsiegel gefallen wäre.] Die confession
mystique ist ein Akt der Nachträglichkeit eines Beichtvaters, den die Kirche zur
Beaufsichtigung seinem Beichtkind an die Seite gestellt hatte. Erst nach ihrem
Tod ist es möglich, dass der Beichtvater die Geständnisse öffentlich macht.
Das Narrativ der Heiligenvita zielt von Anfang an darauf, die Exemplarizität
seiner Heiligen zu be- und erzeugen. Bereits im Prolog unterstreicht Raimondo
die immer schon wirksame überirdische Verfassung von Caterina. Wovon die
Vita handeln soll, sind die „conuersacionis gesta“ einer „angelice uirginis celes­
tis pocius quam humane“ [LM Prolog I, 1; die Taten einer eher himmlischen als
irdischen Jungfrau]. Exemplarizität resultiert aus der Überhöhung ihres irdischen
Lebens. Die Legenda Maior etabliert eine Narration, die auf die Heilsökonomie

54 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 176. Auch Scott: Mystical Death, Bodily
Death, S. 156, S. 162. Und Walker Bynum: The Female Body and Religious Practice in the Later
Middle Ages, S. 197  f. Walker Bynum macht auf das Muster aufmerksam, durch das Geschlech­
terdualismen produziert werden: Frauenleben sind nur dann vollkommen, wenn der Tod ihre
immerwährende Unberühbarkeit sichert, Männerleben hingegen, wenn die Tugend gesiegt hat
oder Sühne geleistet wurde.
 autre scène: Wer spricht?   109

abzielt: Das dargestellte Leben wird als Kontinuum aufgefasst, in dem jede Hand­
lung auf das kommende Heil beziehbar ist. Jedes Detail ihres Lebens muss daher
auf ihre zukünftige Größe verweisen: „que omnia, sicut infra patebit, erant presa­
gia futurorum.“ [LM I, 31; In alledem kündigt sich Caterinas späteres Leben bereits
an, wie wir weiter unten sehen werden.] Das ist auch der Grund dafür, schon die
irdische Caterina entweder als himmlische Engelsfigur zu verhandeln, „ange­
lice uirginis celestis“ (LM Prolog I, 1) oder als himmlische Braut Christi, „sponsa
celestis imperatoris“ (LM I, 25), die mit sapiencia ausgestattet wird.55 Mit solch
göttlichen Attributen versehen, kann sie zu einer Figur des salute werden. Wie
Dante in der Commedia Beatrice, so inszeniert die Heiligenvita ihre Heilige als
Erscheinung, die gekommen ist, um der Menschheit Heil zu bringen: „saluatoris
humanitate“ (LM Prolog I, 7).56 Ihre Attribute bilden die nachträglich ihrem Leben
eingelesene Finalität ab: Sie tritt als ein Wesen auf, das vom Himmel herabgestie­
gen ist wie ein Engel: „‚Vidi angelum descendentem de celo […]‘“ [LM Prolog I, 1;
‚Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren […]‘].
Bezeichnet wird sie antithetisch als „angelus terrestris“ und als „homo celes­
tis“: „Profecto angelum descendentem de celo. Hec enim femina, de qua sermo,
non femina, sed pocius angelus terrestris uel, si malueris, homo celestis dicenda
erat quam femina.“ [LM Prolog I, 6; Wahrlich einen Engel, der vom Himmel her­
abfuhr. Denn diese Frau, von der die Rede ist, sollte man nicht als Frau, sondern
eher als irdischen Engel, oder, wenn Dir das besser gefällt, als himmlischen Men­
schen bezeichnen.] Die antithetische Benennung überkreuzt in Caterina das Irdi­
sche und das Himmlische: als irdischer Engel markiert sie den Weg von der Trans­
zendenz in die Immanenz, als himmlischer Mensch die umgekehrte Richtung von
der Immanenz in die Transzendenz. Caterina stellt den Übertragungsort dar, an
dem Immanenz und Transzendenz zueinander in Beziehung gebracht und über­
kreuzt werden.57 Ihre engelhafte Gestalt verbindet sie also mit dem Versprechen,
zum himmlischen Leben anzuleiten. Wie in der Vita nuova und der Commedia,

55 Zur Tradition der weiblichen Figur der Weisheit vgl. Barbara Newman: The Pilgrimage of
Christ-Sophia. In: Vox Benedictina 9/1 (1992), S. 9–37.
56 Vgl. Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 58 und S. 62.
Der character angelicus der Heiligen und der donna weist Parallelen zum character angelicus des
Königs auf, wie ihn Kantorowicz herausgestellt hat: „The body politic of kingship appears as a
likeness of the ‚holy spirits and angels‘, because it represents, like the angels, the Immutable
within Time. It has been raised to angelic heigths.“ (Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two
Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, New Jersey 1957, S. 8  f.)
57 Peter Strohschneider: Textheiligung. Geltungsstrategien legendarischen Erzählens im
Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg „Alexius“. In: Geltungsgeschichten. Über die
Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen. Hrsg. von Gert Melville/Hans Vor­
länder, Köln, Weimar, Wien 2002, S. 109–147, S. 113.
110   Caterinas Stimme

wo der Auftritt Beatrices Dante auf das Heilsversprechen (salute) hin orientiert,
wird mit Caterinas Heiligkeit das Versprechen und die Möglichkeit eines Weges
zum jenseitigen Leben geknüpft.
Das Versprechen der Heiligkeit erweist sich insbesondere im Fall der laizisti­
schen Heiligen als eine aufwendige Inszenierung. Aus der pinzochera, die den pre­
kären Anspruch des hagiographischen Textes buchstäblich in ihrer Lebensform
verkörpert, musste die Effizienz des Heiligen durch einen erheblichen narrativen
Aufwand erzeugt werden.58 Will man durch eine Narration die Transzendenz ihrer
Figur etablieren, muss das Wirken in der Welt gegenüber der Beziehung zu Gott
ins richtige Verhältnis gebracht werden. Der Form nach gehört der Gegenstand
der Legende zwar einer „gottfernen Verfassung des Lebens der Menschen“ an,
gleichzeitig aber soll durch sie: „weil alle schon außerhalb des Göttlichen sind –
[…] in den Bereich des Sakralen durch eine bestimmte fromme Technik gelangt
werden.“59 Das Gelingen der dargestellten Tugendhaftigkeit hängt von der perma­
nenten Übersteigerung des Irdischen ins Überirdische ab, wobei das Versprechen
ewigen Lebens als höchster Gewinn jeder Heiligenlegende implizit als Telos ein­
geschrieben ist. Eben dies macht aus der Legende keine Gattung, sondern einen
„Faszinationstyp“60. Durch die Narration muss die irdische Aktivität in Propor­
tion zur tranzendenten Welt gesetzt werden: In dem Maße, in dem die Erzählung
des Lebens der Caterina auf Steigerung zielt, wird ihre Verbindung zu Gott umso
plausibler.61 Das dementsprechende narrative Verfahren ist die Überbietung des

58 Vgl. Maiju Lehmijoki-Gardner: Worldly Saints. Social Interaction of Dominican Penitent


Women in Italy, 1200–1500, Helsinki 1999 (Bibliotheca historica 35), S. 39. Walker Bynum spricht
in diesem Zusammenhang von einem „undecisive change“. Caroline Walker Bynum: Women’s
Stories, Women’s Symbols. A Critique of Victor Turner’s Theory of Liminality. In: DIES.: Fragmen­
tation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York
1991, S. 27–52, S. 42.
59 Gerard Wildgruber: Legende. In: Arsen bis Zucker. Flaubert-Wörterbuch. Hrsg. von
­Barbara Vinken/Cornelia Wild, Berlin 2010, S. 180–184, S. 182 (Herv. im Orig.). Vgl. Stroh­
schneider: Textheiligung, S. 155  ff.: Die „Prekarität der Legende“ zeichnet ein Balanceakt aus:
Sie besteht in der riskanten Balance zwischen vergangener Immanenz und ewiger Transzendenz.
In diesem Anspruch allerdings bleibt die Legende „unauflöslich defizitär“: Sie scheitert am Ver­
such „einer repräsentationellen Verfügung über das sowohl normativ wie faktisch Unverfügba­
re“ (Strohschneider: Textheiligung, S. 140).
60 Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Faszinationstyp Hagiographie. Ein historisches Experiment
zur Gattungstheorie. In: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo
Kuhn zum Gedenken. Hrsg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 37–84. Vgl. auch Hans
Robert Jauss, Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In: Grundriß der romani­
schen Literaturen des Mittelalters. Bd. 1: Géneralités. Hrsg. von Maurice Delbouille, Heidel­
berg 1972, S. 107–138.
61 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 176.
 autre scène: Wer spricht?   111

Irdischen: Erzählt wird eine Folge von Ereignissen, in denen der Einbruch des
Göttlichen stattgefunden hat. Dabei übersteigt eines der erzählten Ereignisse
das andere an Größe, sodass Caterina mit immer neuen Tugenden auf dem Weg
ihrer Heiligkeit versehen werden kann.62 Die Unsagbarkeit der mystischen Begeg­
nungen mit Gott wird in das moralische Bild ihrer Tugendhaftigkeit übersetzt.
Die prinzipiell unverfügbaren, sich der Narration entziehenden Gotteserfah­
rungen Caterinas werden als narratives Kapital der Heiligenvita ausgeschöpft:
Die befremdlichen mystischen Exzesse dienen der Steigerung der Heiligkeit.
Die narrative Strategie des Textes zielt darauf, den Leser in die Faszination der
Wunder hineinzuziehen. Durch die zärtliche Adressierung  – „karissime lector“
(LM I, 91)  – aber auch durch den Zweifel  – „incredule“ (LM I, 91)  – wird eine
Gemeinschaft zwischen dem Leser und dem Erzähler gestiftet. Der Leser wird in
die Perspektive des Beichtvaters versetzt, es ist sein Blick, der die Wahrnehmung
für die überirdische, engelhafte Erscheinung vorgibt: Vidi angelum descendentem
de celo. Durch den Imperativ des Blickes wird Caterina zu einer Heiligen: sie ist
„angelo“ und „beata“63 in Einem und damit eine Figur, die am Versprechen des
Zugangs zur Transzendenz beteiligt ist. Im Moment der Verschriftlichung ihres
Lebens, eingelesen in das Muster der Heiligenvita, das durch die Legenda aurea
geprägt ist, wird sie zu einer Gestalt von überirdischer Macht, die in den Augen
des Erzählers wie ein Engel erscheint.
Dass erst die eingenommene Perspektive die Figur in dieser Weise bestimmt,
zeigt sich daran, dass sich Caterina selbst nie als himmlischen Engel beschrie­
ben hat. Caterina legt auf die Inszenierung ihres überirdischen Wesens keinen
Wert.64 Auch die spanische Mystikerin Teresa von Avila hat sich selbst nicht
im Bild des strahlenden Engels, sondern der Melancholie gesehen, als Engel
nämlich mit hängenden Flügeln: „para los demás, basta ser mujer para caérseme
las alas, cuantimás“ [Im übrigen reicht es schon, Frau zu sein, daß mir die Flügel
herunterfallen].65 Die eingenommene Blickrichtung teilt die Heiligenvita aber
auch mit zwei anderen großen Texten des Trecento, der Commedia und dem Can-

62 Eine ganz andere, humile Erzählweise hat die bei Fawtier belegte Wundererzählung von Ca­
terina da Siena: Miracoli di Santa Caterina da Siena. In: Robert Fawtier: Sainte Catherine de
Sienne. Essai de critique des sources. Bd. 1: Sources hagiographiques, Paris 1921, S. 218–233.
63 Tatiana Crivelli: „La donna che non si trova“. Guida ad un itinerario di ricerca. In: Selvagge
e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Dies., in Zusam­
menarbeit mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 7–14, S. 7.
64 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 177.
65 S. Teresa de Jesús: Libro de la Vida. Hrsg. von Dámaso Chicharro. Madrid 1990, X, 8
(S. 188) [Teresa von Avila: Das Buch meines Lebens. Hrsg. u. übers. Ulrich Dobhan, Elisabeth
Peeters, Freiburg, Basel, Wien 2001, S. 179].
112   Caterinas Stimme

zoniere, die sich in diesem Punkt von der Heiligenvita lediglich graduell durch ein
mehr oder weniger an Irdischem bzw. Göttlichem der inszenierten Herrin unter­
scheiden. Denn was in der Legenda Maior über Caterina gesagt wird, gilt auch für
Laura und Beatrice. Alle drei werden als Engelserscheinungen rezipiert.
Innerhalb der Literaturgeschichte wird die Genealogie der drei weiblichen
Sprecherinnen eher tentativ gesehen. Caterinas Briefe werden gelegentlich als
„commedia dell’anima“66 bezeichnet. Ein Vergleich liegt in Bezug auf die ver­
gleichbare Figuration von Caterina und Beatrice vor.67 Auch Giorgio Petrocchis
literaturgeschichtliche Einordnung zielt darauf, Caterina da Siena in der Marge
zwischen Petrarca und Dante zu platzieren.68 Diese Einordnung verläuft über die
Autornamen, sie lässt sich aber gerade durch die Inszenierung weiblicher Rede
plausibilisieren. Wenn Petrocchi dafür plädiert, religiöse Autoren in den Kanon
aufzunehmen, dann besteht dieser Versuch im Rückgängigmachen einer Rezep­
tion, die Caterina aus dem Kanon überhaupt erst ausgeschlossen hatte. Implizit
schließt er an eine bestandene Kanonizität Caterinas an, in der bis ins 16. Jahr­
hundert Caterina die auctoritas antiker Autoren wie Cicero, Plinius, Ovid, Seneca
oder Augustinus, aber auch neuerer Autoren wie Petrarca oder Ficino hatte, wenn
ihr Name in Bibliothekslisten gleichberechtigt neben ihnen aufgeführt und damit
diese nicht nur theologisch, sondern auch literarisch anerkannt worden war.69

66 de Sanctis: Storia della letteratura italiana, S. 114.


67 De Sanctis: Storia della letteratura italiana, S. 115.
68 Petrocchis Versuch, Caterina da Siena neben Dante und Petrarca als Autorin zu (re)habilitie­
ren, besteht darin, das Verhältnis von poesia und mistica neu zu bestimmen. Giorgio Petroc­
chi: Metodi di lettura degli scritti ascetici trecenteschi. In: Dante, Petrarch, Boccaccio. Studies in
the Italian Trecento in Honor of Charles S. Singleton. Hrsg. von Aldo S. Bernardo/Anthony L.
Pellegrini, Binghamton, New York 1983, S. 353–366, S. 354. Vgl. Francesco de Sanctis: Storia
della letteratura italiana. Hrsg. von Benedetto Croce, Bd. 1, Bari 1939, S. 114. Auch: Edmund
Garratt Gardner: Art. St. Catherine of Siena. In: The Catholic Encyclopedia. An International
Work of Reference on the Constitution, Doctrine, Discipline, and History of the Catholic Church.
Hrsg. von Charles George Herberman, Bd. 3, New York 1907, S. 447–448, S. 448: „The ‚Dia­
logue‘ especially, which treats of the whole spiritual life of man in the form of a series of collo­
quies between the Eternal Father and the human soul […], is the mystical counterpart of Dante’s
‚Divina Commedia‘.“
69 Vgl. Antonio Francesco Doni: La libraria. Hrsg. von Vanni Bramanti, Mailand 1972. Cate­
rinas Dialogo erscheint unter der Rubrik „Tavola generale di tutti i libri volgari“ (S. 197  ff.) zusam­
men mit Dantes Commedia und den Discorsi von Machiavelli. Ihre Briefe werden zusammen mit
Ovid, Seneca, Vergil, Augustinus aufgeführt (S. 173). Vgl. Scott: „Io Catarina“, S. 89: „By being
associated with admired Latin authors from the ancient Roman, early Christian, and Renais­
sance periods, Catherine acquired the reputation of being a valid and solid literary figure.“ Erst
im 19. Jahrhundert wurde – im gleichen Maße wie der literarische Kanon auf Dante und Petrarca
fixiert wurde – Caterina marginalisiert.
 autre scène: Wer spricht?   113

1.2 bocca virginea

Die Organisation der Überirdischkeit erfolgt durch den jungfräulichen Mund


(bocca virginea). Die Beichtsituation, in der der Beichtvater niederschreibt, was
die weibliche Stimme spricht, wird als Situation imaginiert, in der der jung­
fräuliche Mund als Ort der Rede und das Sprechen als Diktat inszeniert wird.
Entscheidend ist dabei nicht nur, dass Caterinas Rede von anderen in einem
„scriptorium“70 aufgeschrieben wird (das ist auch der Fall bei Petrarca, der einen
Sekretär hatte, auch wenn er den größten Teil seiner Gedichte selbst aufgeschrie­
ben hat71), sondern dass diesem Diktat „ein weiblicher Mund als sein Ursprung
zugeschrieben“72 werden kann. Der Beichtvater und die Sekretäre sind die Auf-
und Nachschreiber des von Gott inspirierten Diktats der Heiligen und ihrer Offen­
barungen, was sie aufschreiben, übernehmen sie aus ihrem Mund. Wie die Rede
der Herrin durch Amor so wird also auch hier die Rede vermittelt durch ein weib­
liches Medium.
Das übersinnliche Ereignis diktiert Caterina an ihre Schreiber Stefano
Maconi, Barduccio Canigiari, Neri di Landuccio Pagliaresi und Cristofano di Gano
Guidini. Diese schreiben mit ihren Händen buchstäblich von ihrem Mund die
göttlichen Worte ab, die wie ihre Briefe von Hand zu Hand weitergereicht werden:
„che io stesso in parte scrissi mentre questa vergine, in modo mirabile, dettava
con la sua bocca virginea.“ [die ich selbst teilweise geschrieben habe, während
diese Jungfrau auf wundersame Art mit ihrem jungfräulichen Mund diktierte.]73
Die Schreibszene wird durch die bocca virginea initiiert, hinter der das Gesetz
der Transzendenz steht. Als Stimme, die in Schrift übertragen wird, liefern die
Beschreibungen dieses Verfahrens zugleich Schreibszenen, die am Übergang von
Stimme und Schrift einen weiblichen Mund eingesetzt haben. Auch diese ‚Szene‘
wird auf die Gottesreferenz ausgerichtet, insofern sie nicht nach realistischen
Maßstäben, sondern nach denen eines Wunders organisiert ist:

70 Vgl. Silvia Nocentini: Lo „scriptorium“ di Tommaso Caffarini a Venezia. In: Hagiographica


12 (2005), S. 79–144. Vgl. auch Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 217.
71 Vgl. Florian Mehltretter: Kanonisierung und Medialität. Petrarcas Rime in der Frühzeit
des Buchdrucks (1470–1687). In Zusammenarbeit mit Florian Neumann, Berlin 2009, S. 17  ff.
72 Bettine Menke: „Mund“ und „Wunde“. Zur grundlosen Begründung von Texten. In: Stigma­
ta. Poetiken der Körperinschrift. Hrsg. von Dies./Barbara Vinken, München 2004, S. 269–294,
S. 282.
73 An.: Il processo Castellano, S. 235 (Übersetzung von mir, C. W.). Der Sekretär Stefano Maconi
tritt als Augenzeuge nicht nur darin auf, von Caterina bekehrt worden zu sein, sondern vor allem
als ihr Schreiber, der ihre Briefe und Teile ihres Libro geschrieben hat. (Il processo Castellano,
S. 233.) Vgl. Giuliana Cavallini: Catherine of Siena, London, New York 2005.
114   Caterinas Stimme

Vidi ego ipsam semel dictantem duobus scriptoribus diuersas epistolas diuersis personis
mictendas et de diuersis materiis nec aliquem ex eis expectare dictamen per quamcumque
paruulam morulam nec audire abea, nisi quod pertinebat ad se. Quod dum nimium admira­
rer, responsum est michi per plures, qui eam nouerant ante me et frequencius uiderant eam
dictantem, quod aliquando tribus, aliquando quatuor scriptoribus similiter dictauerat, ut
est dictum, et cum eadem celeritate nec non et memorie firmitate.
(LM Prolog I, 7)

Ich habe sie oft zwei Sekretären gleichzeitig zwei verschiedene Briefe diktieren sehen,
welche für verschiedene Empfängern [sic!] bestimmt und deren Inhalte völlig verschieden
voneinander waren, ohne daß deswegen einer der beiden nur einen Augenblick auf ihr
Diktat hätte warten oder etwas hören müssen, was nicht seinen Brief betraf. Das erstaunte
mich begreiflicherweise sehr, doch versicherten mir viele Leute, die Caterina schon länger
als ich kannten und denen ihre Diktate nichts Ungewöhnliches mehr waren, daß sie manch­
mal drei, ja vier Sekretären zugleich auf die gleiche Weise ebenso geläufig und mit ebenso
sicherem Gedächtnis diktiert habe.74

Die Simultanität der Schreibsituation erschließt einen Raum der Rede, in dem
das dargestellte Sprechen außerhalb der natürlichen Fähigkeiten situiert wird.
Innerhalb dieses göttlichen Rahmens ist Caterinas Macht des Diktats möglich: als
Medium, das die verba Dei höchster auctoritas empfängt und wiedergibt. In der
Inszenierung wird dabei weder erwähnt, dass auch für andere Heilige Diktatsze­
nen dieser Art behauptet worden waren, noch dass die Heilige typisiert wird in
Bezug auf ihre Vorbilder. Das Wunder göttlicher Transparenz beruht also immer
auch auf der Nachahmung von Wundererzählungen und einer wiederholten
Inszenierung des „commandment of divine love“75, das in der Nachschrift durch
die Beichtväter festgehalten wird. Der Text ist funktionalisiert für die Schau des
Göttlichen – „quem spiritu sancto manifeste dictante“ [LM Prolog I, 8; das ihr der
Hl. Geist eingab] –, in der die transzendentale Welt ohne Zweideutigkeiten durch
Caterina hindurch erscheinen kann. Schrift wird zum Wunder der Empfängnis
der uirgo sacra, das die Verkündigungsszene nachstellt. Wie Maria „Hörerin
der Worte des Herrn, die alles durch göttliche Vollmacht, nicht aus sich selber
vermag“76, ist, so steht auch Caterina keine andere Rolle als die der Hörenden
zu. Caterinas Text ist folglich nicht das Resultat ihrer Autorschaft, sondern des
Hörens auf die göttliche Eingebung: „Et tamen domino sic operante uirgo sacra in

74 Vgl. LM III, 332 und An.: Il processo Castellano, S. 304.


75 Thomas of Siena: The Legend of Maria of Venice. Eingeleitet und übers. von Daniel E. Born­
stein. In: Maiju Lehmijoki-Gardner: Dominican Penitent Women, New York 2005, S. 105–176,
S. 143.
76 Albrecht Koschorke: Die heilige Familie und ihre Folgen. Ein Versuch, Frankfurt a. M.
2000, S. 54.
 autre scène: Wer spricht?   115

illa extasi posita totum illum librum dictauit, ut daretur nobis inteligi, quod liber
ille non ex aliqua naturali uirtute, sed a sola sancti spiritus infusione processit.“
[LM III, 332; Und doch sorgte der Herr dafür, daß Caterina im Zustand der Ekstase
das ganze Buch diktierte, was bedeutet, daß jenes Werk keiner natürlichen Fähig­
keit, sondern allein der Eingebung des Heiligen Geistes entsprang.]
Dabei werden der natürliche Körper und die übernatürliche Tugend ‚der
Frau‘ einander gegenübergestellt: „quod in corpore muliebri tam macerato uigi­
lijs et inedia pocius dat michi signum miraculi et infusionis supercelestis quam
cuiuscumque naturalis uirtutis.“ [LM Prolog I, 7; Für eine Frau, welche obendrein
noch ihre vielen wachend verbrachten Nächte und ihr Fasten geschwächt hatten,
ist das nach meinem Dafürhalten eher das Zeichen eines Wunders, einer himmli­
schen Gabe als die Folge einer natürlichen Fähigkeit.] Die Schwäche des Körpers
ist die Voraussetzung dafür, dass es sich bei der Übertragung der Rede in Schrift
um ein Wunder handeln kann. Der geschwächte Körper verweist bereits auf die
überirdische Ordnung. Dementsprechend muss die Rede als Ekstase inszeniert
werden. Die Rede in Entrückung macht die mystische Szene lesbar als das Spre­
chen eines Subjekts, das nicht Herr seiner selbst ist: „Porro contenta in eo, ut
relatum est michi per eius scriptores, ipsa numquam dictauit, dum utebatur
corporeis sensibus, sed semper, dum actualiter in extasi posita loquebatur cum
sponso suo“. [LM Prolog I, 8; Wie mir ihre Schreiber erzählten, diktierte sie ihr
Buch niemals, wenn sie bei Sinnen war, sondern nur, wenn sie in der Ekstase mit
ihrem Bräutigam sprach.] Das in dieser Szene dargestellte Diktat erfolgt jenseits
realistisch operierender Systeme schon durch die simultane, divergente Adres­
sierung: Einerseits befindet sich Caterina im überirdischen Gespräch mit ihrem
himmlischen Bräutigam, andererseits diktiert sie gleichzeitig dieses Gespräch
ihren Schreibern. Die Darstellung wirkt unbeholfen, ist aber von der Komplexität
simultaner, sich kreuzender Redehaltungen und Übertragungen geprägt, die in
der doppelten Hinwendung  – zu einer abwesenden Instanz, zu den präsenten
Schreibern  – zeigen, wie die göttlichen Zeichen in die irdische Schrift übertra­
gen werden können: in der Gleichzeitigkeit von absenten Sendern und präsenten
Empfängern.77
Das Diktat imitiert hierbei das Lesen, ohne jedoch mit diesem zur Deckung
zu kommen. Dies schon deshalb nicht, weil der Verstand nicht daran beteiligt ist:
„Has autem epistolas ita dictabat uelociter absque cogitacionis eciam modico inte­
ruallo, ac si legeret inaliquo libro ante se posito, quitquid dicebat.“ [LM Prolog I,
7; Nun pflegte Caterina diese Briefe jeweils sehr rasch zu diktieren, ohne Pausen,

77 Vgl. Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl: Editorial zu Medien des Heiligen,
Archiv für Mediengeschichte 15 (2015), S. 5–9.
116   Caterinas Stimme

ohne nachzudenken und als läse sie in einem aufgeschlagenen Buch, was sie
den Schreibern diktierte.] Im 19. Jahrhundert zeigt sich, dass die Diktatszene das
Modell für eine weitere Caterina, die Mystikerin Katharina von Emmerick, ist. Bei
dieser Katharina wird das Buch als etwas benutzt, das für sie je schon transparent
ist und dessen Medium sie wiederum in der Nachschrift ihres Beichtvaters wird.78
Die Instanzen der Autorschaft fallen auseinander in empfangenes Wort,
in gesprochene Rede und niedergeschriebenen Text. Durch eine solche hetero­
nome Autorisation werden die Zugehörigkeiten unklar und man kann fragen, zu
wessen Stimme der diktierte Text überhaupt gehört. Durch die Jungfrau werden
göttliche und irdische Stimme aufeinander bezogen, ohne dabei jedoch jemals
zur Deckung zu gelangen. Die unsicheren Zuschreibungen verhindern damit
auch die Autorisierung des Textes durch eine weibliche Autorschaft. In der Dif­
ferenz von Rede und Schrift lässt sich nicht fixieren, wer der eigentliche Urheber
ist. Die Insistenz, mit der die Redeszene wiederholt berichtet wird, zeigt, wie sehr
es auf dieses Moment der Uneindeutigkeit ankommt. So beschreibt der Beicht­
vater in der Vita seiner Heiligen die Szene der Verschriftlichung ihrer Rede als
das immer wieder gleiche Schauspiel und mit den gleichen Topoi: als Diktat, als
Offenbarung, als Ekstase:

Vnde circa biennium ante transitum eius tanta claritas ueritatis sibi diuinitus est apperta,
quod coacta est ipsam per scripturam effundere ac scriptores suos rogare […], quod, cum
inextasi positam eam sentirent, ad scribendum essent parati, quitquid abore ipsius audi­
rent. Sicque in breui tempore compositus est quidam liber, qui continet quendam dyalogum
inter unam animam, que quatuor peticiones petebat adomino, et ipsum dominum sibi res­
pondentem ac eam de multis vtilissimis ueritatibus informantem.
(LM III, 349)

Ungefähr zwei Jahre vor ihrem Tod wurde ihr die Wahrheit so deutlich offenbart, daß sie
nicht anders konnte, als sie in einen Text zu fassen. Deswegen bat sie ihre Schreiber […],
sich während ihrer Ekstasen bereitzuhalten und all das niederzuschreiben, was sie sagte.
So entstand innerhalb kurzer Zeit ein gewisses Buch, das ein Gespräch zwischen einer
Seele, die vier Bitten an den Herrn richtete, und dem Herrn, der darauf antwortete und sie
über viele nützliche Wahrheiten belehrte, enthält.

Die Macht des Diktats, dessen Status als empfangene Rede und wortgetreue Nie­
derschrift immer wieder behauptet wird, zeigt sich eigentlich aber erst in seiner
Verselbstständigung. Wie Caterinas Sprechen, so wird auch die Autorschaft
des Beichtvaters durch den göttlichen Auftrag legitimiert. Das Gottesdiktat des
Johannes ist das entsprechende Vorbild. In der biblischen Szene wird Johannes

78 Vgl. Menke: „Mund“ und „Wunde“, S. 286.


 autre scène: Wer spricht?   117

der Schreibauftrag durch eine Stimme „laut wie eine Posaune“ erteilt: „Schreib
das, was du siehst in ein Buch“ (Apk. 1,10). Die Legenda Maior nimmt dies auf,
wenn es heißt: „‚Quod uides, scribe in libro.‘“ [LM Prolog II, 20; ‚Was Du siehst,
das schreibe in ein Buch.‘] Die göttliche Stimme wird in der Heiligenvita durch
die bocca virginea ersetzt, wenn der Beichtvater beschreibt, dass er Caterinas
Stimme in seinem Inneren hört. Selbst noch in Abwesenheit der bocca virginea
gibt Caterina die Worte vor, die der Beichtvater niederschreibt.79 Die äußere
Stimme wird hierbei zu einer inneren Stimme, die nicht nur die Legitimität des
Schreibens, sondern auch die Umkehrung der medialen Verhältnisse bedeutet:
Wenn Caterina dem Beichtvater eingibt, was er schreiben soll, dann ist nicht sie
das Medium, sondern er ihr Medium: „ita ut frequenter michi uisum fuerit ipsam
quodammodo esse presentem et quasi michi dictantem, que scribo.“ [LM I, 123;
Häufig habe ich das Gefühl, sie sei auf irgendeine Weise gegenwärtig und sage
mir vor, was ich schreiben soll.] Der Beichtvater schreibt nicht nur das Gesehene
und das Gehörte als Erinnertes nach, sondern Caterina diktiert ihm in diesem
Seelengespräch, was er schreiben soll: quasi michi dictantem, que scribo. Die
Heilige schreibt nicht nur an ihrem eigenen Buch, sie schreibt indirekt auch an
ihrer eigenen Legende mit. Dabei ruft das verinnerlichte Diktat jene Szene aus
dem Canzoniere auf, in dem Laura das Ich zum Sprechen bewegen wird: „che mi
facea parlare“80.
Durch die Zusicherung an die Rede der Jungfrau verdoppelt sich die Legi­
timität des Sprechens auch für den Beichtvater: Indem er Caterina einen Ort
des Sprechens verschafft, wird seine Rede nicht mehr allein durch die göttliche
Instanz, sondern jetzt auch durch Caterinas Rede legitimiert und die offensicht­
liche Inszenierung der Heiligen als „divine mouthpiece“81 strukturell umkehrbar.
Die Einsetzung der Vita als Text von göttlicher auctoritas wird durch diese innere
Stimme im Text permanent verschoben, insofern sie sich qua Text vom externen
göttlichen Schreibauftrag qua Stimme unterscheidet. Durch das Zugeständnis an
ihre auctoritas erschreibt sich damit der Beichtvater selbst auch einen anderen
Ort des Sprechens. Die zwei unterschiedlichen Instanzen der Rede – die Stimme
Caterinas und die Stimme des Beichtvaters –, die von der Kritik unterschieden

79 Zur Bestimmung des Seelengesprächs, bei dem „eine äußere Rede oder ein äußeres Ge­
spräch mit einem innerlichen, gleichsam ‚geistlichen‘ Sinn aufgenommen und weitergesponnen
wird“ vgl. Bernhard Teuber: Selbstgespräch, Zwiegespräch, Seelengespräch. Zur Ökonomie
spiritueller Kommunikation. In: Seelengespräche. Hrsg. Béatrice Jakobs, Volker Kapp. Berlin
2008, S. 57–79, S. 60  ff.
80 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­
sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972 (293, 5). Vgl. Kap. IV, 1.3.
81 Scott: Mystical Death, Bodily Death, S. 139.
118   Caterinas Stimme

werden, bilden nicht nur eine Opposition.82 Caterina kann als Medium göttlicher
Worte eingesetzt und behauptet werden, indem in ihrer Vita ihrem Sprechen ein
Ort gegeben wird. In dem Moment, wo dieses eine Figurenrede ist, kann sie zu
etwas anderem werden. Die Rückführung ihrer Redemacht auf den einen Gott,
die die einzige Möglichkeit für eine Frau darstellt, innerhalb des theologischen
Rahmens zu sprechen,83 verschiebt sich im Text durch das Gesetz seiner Darstel­
lung. Gerade darin aber liegt die Möglichkeit, die auctoritas innerhalb des theo­
logischen Rahmens als Autorschaft, bei der der auctor nicht das Selbst [autòs]
befestigt, sondern in Frage stellt, neu zu bestimmen.84

2 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir

2.1 Befragungen

Scheint das weibliche Medium die göttlichen Worte mühelos, simultan und wie
von selbst wiederzugeben und aufzuführen, so erweist sich deren Nachschrift
und Nacherzählung als widerständiger Prozess, bei dem die Jungfrau zuallerst
zum Sprechen gebracht werden muss. Dieses Sprechen muss auf die ‚Bühne der
Sichtbarkeit‘ gebracht und aus der mystischen krypta, von ihrem Ort außerhalb
der Bühne herausgeholt werden. Wie der mystische Körper, der den corps man-
quant substituieren soll, so ersetzt auch die Rede die disparition fondatrice. Die
wiedergegebene Rede der Mystikerin folgt spezifischen Bedingungen des Befra­
gens, die durch einen Willen zum Wissen gelenkt werden und auf die Effizienz der
Darstellung des Wunders zielen. Die Macht der Rede wird in eine Macht über die
Rede transformiert: „Porro factus ex hoc magis auidus inuestigandi modum mira­
culi plenius ipsam sacram virginem secrete interrogaui“. [LM II, 273; Das machte
mich nun aber um so begieriger, den genauen Hergang des Wunders zu erfahren,
und deswegen befragte ich Caterina in der Beichte]. Diese Befragung (inuestiga­
tione) Caterinas, in der es darum geht, die Logik des Wunders zu erforschen, folgt
spezifischen Kriterien, die Caterinas Rede innerhalb eines bestimmten Sprechens
als secretum organisiert. Das Geschehen muss in eine zeitliche Ordnung gebracht

82 Vgl. Scott: Mystical Death, Bodily Death, S. 144  ff. Zum selben Problem bei Hildegard von
Bingen vgl. Barbara Newman: Hildegard and Her Hagiographers. The Remaking of Female
Sainthood. In: Gendered Voices. Medieval Saints and their Interpreters. Hrsg. von Catherine M.
Mooney, Philadelphia 1999, S. 16–34, S. 20  ff.
83 Vgl. zu dieser Debatte und ihrem Widerspruch Scott: „Io Catarina“, S. 91.
84 Vgl. Gianluca Solla: Auctor. In: Denkfiguren. Für Anselm Haverkamp/Figures of Thought.
For Anselm Haverkamp. Hrsg. von Eva Horn/Michèle Lowrie, Berlin 2013, S. 39–41, S. 39.
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   119

werden: „Quo audito perpoposci abea, ut michi per ordinem ystoriam enarraret.
Et tunc, quitquid superius scripsi, michi ordinarie recitauit“. [LM II, 151; Danach
forderte ich Caterina auf, mir die Geschichte der Reihe nach zu erzählen. Und
dann berichtete sie mir Punkt für Punkt, was ich oben aufgeschrieben habe.] Die
ystoria, die sich als lückenlose Geschichte von der Geburt Caterinas bis zu ihrem
Tod liest, wird erst durch die Fragen des Beichtvaters in diese Ordnung gebracht.
So wird durch gezieltes und wiederholtes Nachfragen das mystische Erlebnis
ihrer Stigmatisierung narrativ erzeugt:

Post quod mox me fecit uocari et secrete me alloquens ait: ‚Noueritis, pater, quod stigmata
domini Ihesu sua misericordia iam ego in corpore meo porto.‘ Cumque respondissem,
quod ad gestus corporeos eius, dum esset inextasi, de hoc perpendissem, petiui, qualiter
hoc adomino factum fuisset, at illa respondit […]. […] Et ego: ‚Sentis ne nunc in locis illis
dolorem sensibilem?‘ Jlla uero post grande suspirium ait: ‚Tantus et dolor […].‘
(LM II, 195)

Bald darauf rief sie mich zu sich, um mir im Vertrauen etwas mitzuteilen. ‚Wisset, mein
Vater‘, sagte sie, ‚der Herr Jesus hat sich über mich erbarmt, und ich trage jetzt seine Wund­
male an meinem Leibe.‘ Ich erwiderte, ich hätte es aus ihrem Verhalten während der Ent­
rückung erraten. Als ich sie fragte, wie der Herr das getan habe, antwortete sie […]. […] Auf
meine Frage, ob sie denn nicht an jenen Stellen einen deutlichen Schmerz verspüre, ant­
wortete sie nach einem tiefen Seufzer: ‚Den Schmerz […] kann ich kaum mehr aushalten.‘

Das beharrliche Nachfragen des Beichtvaters lenkt die histoire der empfangenen
Stigmata (cicatrices). Gleichzeitig folgt er dabei ihrem Begehren, von den cicatri-
ces zu erzählen. Denn es ist Caterinas Wunsch, ihrem Beichtvater von den emp­
fangenen Stigmata zu berichten: me fecit uocari. Die Beichte wird jedoch nur zum
Substitut ihres ohnehin lesbaren Körpers. Denn der Beichtvater hatte ja bereits
alles gewusst: Er hatte die göttlichen Zeichen ihrem ekstatischen Körper abgele­
sen. Da Caterinas Stigmata letztlich unsichtbar bleiben, bedarf es jedoch eines
Textes, um nachträglich die unsichtbaren Zeichen in die sichtbaren Zeichen der
Schrift zu übersetzen.
Mit großer Genauigkeit werden in ihrer Rede alle Zeichen verfolgt: „Hec ego
notans et mecum non absque mesticia conferens attentus stabam, si uiderem
aliqua signa tanti doloris.“ [LM II, 196; Während ich ihren Worten lauschte und
nicht ohne Traurigkeit darüber nachdachte, achtete ich aufmerksam darauf,
ob ich Anzeichen ihres großen Schmerzes wahrnehmen könne.] Die Heiligenvita
ist nicht nur Nacherzählung des von Caterina in secretum Erzählten (que michi
uoluit enarrare), récit im récit, sondern auch die Inszenierung der Methoden,
nach denen Wunder befragt werden können. Dabei dienen die Ausforschungen
gleichzeitig dazu, die Heilige zum exemplum zu stilisieren, wie dieses überhaupt
erst hervorzubringen. Der Beichtvater dringt immer tiefer in die mystische krypta
120   Caterinas Stimme

ein, um mehr und mehr über die Geheimnisse der göttlichen Wahrheit zu erfah­
ren. Wiederholt fordert der Beichtvater sein Beichtkind auf, ihm Erklärungen für
ihr rätselhaftes Verhalten zu liefern und das in exstasis Gesehene zu erzählen. Die
an Caterina exemplarisch vorgeführte Wahrheit (ueritate, misterium) erschließt
sich durch die konkrete und kontinuierliche Befragung, die immer wieder über
Momente der Unterbrechung hinaus  – Weinen, Schluchzen, Schweigen  – das
Beichtkind zum Weiterreden veranlassen:

Sed ego ad huc hesitans ad ipsam accessi diligenterque inuestigaui, quid de hoc ipsa senti­
ret, ac supplicaui, ut michi super hoc plenarie diceret ueritatem, que mox prorumpens sin­
gultuosos in fletus diucius responsionem distulit michi dare. Tandem post moram inquid:
‚Numquid non, o pater […]?‘ […] Hys auditis auidior factus sum ad indagandum rei tam
mirabilis ueridicam seriem ipsa narrante, qua ex causa subintuli: ‚Numquid, mater […]?‘
(LM II, 213)

Weil ich selber nicht wußte, was ich davon halten sollte, ging ich zu Caterina und forschte
sie genau darüber aus. Als ich sie anflehte, mir nur die lautere Wahrheit zu sagen, brach sie
in Weinen und Schluchzen aus und konnte mir lange keine Antwort geben. Endlich sagte
sie mir: ‚Mein Vater […]?‘ […] Nun brannte ich darauf, mehr von ihr über diese wunderbare
Angelegenheit und deren wahren Ablauf zu erfahren und fragte sie deshalb: ‚Mutter […]?‘

Eine solche „nouvelle procédure d’examen“85 wird hierbei aber nicht nur, wie
Michel Foucault insistiert, darauf verwendet, verborgene Lüste, einen „corps de
désir et de plaisir“86, hervorzubringen. Sie dient vor allem dazu, das Sprechen
über diesen Körper in einen Raum des Sichtbaren zu übertragen. Die Prozedur
des examen zwingt nicht nur der Heiligen ihre Geheimnisse ab und zerrt sie in
den Raum der Schrift, um sie zum Gegenstand klerikaler Kontrolle zu machen,
sondern sie ermöglicht allererst ein Sprechen der Mystikerin, das nach dem
Modell von Abaelard und Heloisa ein hingebungsvolles Verhältnis stiftet.87
Das Interrogativ bestimmt die Art und Weise des Sagens und doch schafft
es den Raum für die Inszenierung einer Stimme, misterium und exlamatio fallen
hierbei zusammen: „‚Ha, domine, Deus meus, non appareant, obsecro, cicatrices
incorpore meo exterius, sufficit michi habere interius!‘“ [LM II, 195; ‚Ach Herr,
mein Gott, niemand soll diese Wunden an mir sehen, ich flehe dich an. Es reicht
mir, daß ich sie in mir trage!‘] Durch die wiedergegebene direkte Rede wird das

85 Michel Foucault: Les anormaux. Cours au Collège de France. 1974–1975, Paris 1999, S. 188.
86 Foucault: Les anormaux, S. 187. Vgl. Michel Foucault: Les techniques de soi. In: Ders.:
Dits et écrits 1954–1988. Bd. 2: 1976–1988. Hrsg. von Daniel Defert/François Ewald, Paris
2001, S. 1602–1632.
87 Vgl. Barbara Vinken: Die Autorität der Form in Abaelard und Heloise. In: DVJS 76,2 (2002),
S. 181–193.
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   121

Narrativ zum effizienten Mittel, auch dem verborgensten Sprechen und damit
einer Sprache der Liebe einen Ort zu geben. Das Dispositiv der Beichte und die
Ordnung des Geständnisses organisieren dabei eine paradoxe Redesituation, die
den verborgenen Geheimnissen („secreta“, LM II, 214) die Einschreibung in die
Geschichte weiblicher Rede ermöglicht. Zugleich aber folgt dieses Sichtbarma­
chen den Kriterien der Wahrheitsrede durch die Aufforderung zum vollständigen
Bloßlegen des Verborgenen: „‚Obsecro, ne abscondas a me quitquam!‘“ [LM II,
215; ‚Ich beschwöre dich, verheimliche mir nichts!‘] Das Geständnis der Wunder
wird durch das gleiche Gesetz der Vollständigkeit beherrscht wie das Geständnis
der Sünden: „il ne s’agit plus simplement d’avouer les péchés graves, mais de tout
avouer.“88
Die Bedingungen des Zustande-Kommens werden indes nicht verborgen,
wenn darauf verwiesen wird, dass ein Teil des Textes diejenigen Geständnisse
sind, die die Heilige durch Befragung in der Beichte ausgesagt hat: „sicut ipsa
michi postmodum fuit in secreto confessa“ [LM II, 309; wie sie mir wenig später
in der Beichte gestand]. Dabei oszilliert der Offenbarungswunsch des Beicht­
vaters zwischen dem Skrupel, die Geheimnisse preiszugeben und der Pflicht, sie
zu entblößen: „Nec talia, fateor, me deceret proferre aut scribere, si non esset
honor Dei et virginis huius sacre, que salua consciencia omitere nequeo.“ [LM II,
316; Diese Dinge dürfte ich eigentlich, ich gebe es zu, nicht veröffentlichen, aber
weil es zur Ehre Gottes und Caterinas geschieht, treibt mich mein Gewissen dazu,
darüber zu schreiben.] Die die Rede bestimmende Äußerungsregel – „mécanisme
de l’énonciation“89  – besteht im Gebot zu schweigen. Zwar muss alles gesagt
werden, aber diesem Sagen obliegt die Auflage seiner Exklusivität: „Hec autem
omnia sub secreto confessori soli narrabat, ceteris uero, quantum poterat, occul­
tabat.“ [LM II, 182; Das erzählte sie aber nur ihrem Beichtvater unter dem Siegel
der Verschwiegenheit, vor allen anderen versuchte sie das so weit wie möglich zu
verbergen.] Das Gesagte bleibt auch dann, wenn es sich nicht um Sünde, sondern
um Wunder handelt, ein „secreto confessionis“ (LM I, 28). Die gesamte Rede
changiert zwischen diesen beiden Regeln: der Exklusivität, die der Wahrung des
Geheimnisses dient und der Macht, die Befragte zum Sprechen zu bringen: „Tunc
astrinxi eam, quod clare michi aperiret, quicquid inde sciebat.“ [LM II, 322; Nun
drängte ich sie, mir alles offenzulegen, was sie wußte.] Die Sprechakte erfordern
ein Drängen (astringere), um dadurch die Jungfrau zur Enthüllung zu bewegen.

88 Foucault: Les anormaux, S. 164.


89 Vgl. Foucault: Les anormaux, S. 188: „Il faut tout dire, mais il ne faut dire qu’ici et à lui. Il
ne faut le dire que dans le confessionnal, à l’intérieur de l’acte de pénitence, ou à l’intérieur de la
procédure de direction de conscience.“
122   Caterinas Stimme

Jedoch werden die Bedingungen dieser Geständnispraxis immer auch in ihren


Aporien vorgeführt. So zieht sich die Befragte in die Unmöglichkeit zurück über
das, worüber sie zum Sprechen gebracht werden soll, Auskunft zu geben. Die
Unaussprechlichkeit (ineffabilia) der Dinge, die zum Sprechen gebracht werden
sollen, erweist sich als geeignetes Mittel, das Geständnis durch die Behauptung
der Unzugänglichkeit zu blockieren: „quia ineffabilia sunt.“ (LM II, 185) Die
Schwierigkeit der Mystikerin, das göttliche Sein in Sprache zu bringen, ist nicht
nur ein Mangel, sondern stellt sich – zumindest auf der Ebene des discours – als
Möglichkeit eines „sortir sans être vu“ heraus.90
Die diskursiven Bedingungen der Rede und ihrer Unterbrechungen zeigen
sich insbesondere dort, wo es zu Auslassungen der Rede kommt. Immer dann,
wenn der Beichtvater seine eigenen Unzulänglichkeiten betont, wird die effi­
ziente Redeordnung unterbrochen:

Nunc igitur noueris, quod de quibusdam materijs ipsa mecum pluries et pluries est locuta,
nec memorari possum formaliter de omnibus uerbis eius tum propter negligenciam et  –
prochpudor – ignauiam meam
(LM II, 123)

Nun solltest du aber bedenken, daß sich Caterina mit mir über manche Dinge öfter und
immer wieder unterhalten hat und daß ich nicht alle ihre Reden wörtlich im Gedächtnis
behalten habe. Schuld daran ist meine Unaufmerksamkeit und – Gott sei’s geklagt – meine
Trägheit.

Die durch das Geständnis erzeugte Rede ist keine lückenlose Rede, die Vita
nicht ihr lückenloses Protokoll.91 Zwar ist das Geständnis vollständig zu erbrin­
gen gemäß dem Imperativ ‚Du darfst nichts verschweigen!‘, aber die Nieder­
schrift erfolgt nicht mit der gleichen Strenge. Gerade diejenigen Worte, die den
Beichtvater erleuchtet haben, werden vom Text ausgelassen: „potissime circa
materiam, dequa ipsa michi loquebatur, quam taceo, quod quasi sum expertus
id, quod dominus promitens spiritum sanctum dixit discipulis […]“. [LM I, 91;
Das gilt besonders für die Dinge, über die Caterina mit mir gesprochen hatte und
die ich hier nicht mitteilen möchte. Es war, als ob mir das Wort des Herrn zuteil
würde, als er seinen Jüngern den Heiligen Geist versprach und zu ihnen sagte […]]
Die unvollständige Nachschrift dient dazu, die Vita zu einem Ort der Möglich­
keit auch seiner Erleuchtung, der Erleuchtungen des Beichtvaters und damit

90 Irigaray: La mystérique, S. 239.


91 Vgl. C. W.: Autorität der Schrift. Il Memoriale von Angela von Foligno. In: Das Buch in den
Büchern. Wechselwirkungen von Bibel und Literatur. Hrsg. von Andrea Polaschegg/Daniel
Weidner, München 2012, S. 151–165.
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   123

des Lesers zu machen. Das Narrativ des Geständnisses verselbstständigt sich,


um nun seinerseits den Erfahrungen des Beichtvaters mit dem Göttlichen einen
Platz zu verschaffen. Die Ordnung der Beichte befördert auf diese Weise nicht
nur Caterinas Visionen ans Tageslicht. Die Auslassungen, die als Nachlässigkeit
und Trägheit behauptet werden (negligencia, ignauia) sind gleichzeitig narrative
Leerstellen – als Inszenierungen von „Unlesbarkeit der Schrift“92 –, die möglich
machen, dass die Legende nicht nur von der Heiligkeit Caterinas, sondern auch
der des Beichtvaters handelt.
Die Teilhabe am Göttlichen für den lector karissime wird durch die Appellfunk­
tion der Heiligenvita ermöglicht, durch ihre „kommunikative Präsenzstiftung“93,
die einerseits durch die Adressierung des Lesers im Text angelegt ist, andererseits
aber auch dadurch, dass die Teilnahme im Text bereits durch die Übernahme
von Sprecherrollen vollzogen wird. Die Befragung erschließt sich nicht allein als
repressive Maßnahme, denn das würde ihrer Appellfunktion auch widersprechen.
Sie funktioniert als Dispositiv einer Rede, in der ein Nachsprechen und Wieder­
geben, Hören und Sprechen eingeübt und zu den Bedingungen der Darstellungen
überhaupt werden kann. Die narrative Struktur ist somit offen auch dafür, dass
Caterina die Beichtrede einfordern und sich freiwillig ihrem Beicht­vater anver­
trauen kann. Die Schilderung der Stigmatisierung geschieht unter den Bedingun­
gen der nouvelle procédure de l’examen, die Befragung hat jedoch zwei Seiten: Sie
entreißt das Göttliche der Sphäre des Unsichtbaren, Geheimen und Verborgenen,
aber dieser Vorgang ist nie vollständig. Dabei wird gerade durch diesen Vorgang
die Heiligenlegende zum Schauplatz der Szene der Stigmatisierung und der Rede
der Mystikerin, die als wörtliche Rede inszeniert wird:

‚Dominum vidi crucifixum super me magno cum lumine descendentem, propter quod ex
impetu mentis volentis suo creatori occurrere corpusculum coactum est erigere se. Tunc
ex sacratissimorum suorum cicatricibus uulnerum quinque inme radios sanguineos vidi
descendere, qui admanus, pedes et cor mei tendebant corpusculi. Quapropter aduertens
misterium continue exclamui: ‚Ha, domine, Deus meus, non appareant, obsecro, cicatrices
incorpore meo exterius, sufficit michi habere interius!‘ […]‘
(LM II, 195)

‚Ich schaute über mir den Herrn am Kreuz in strahlendem Glanze. Er neigte sich zu mir
herab, und ich wollte ihm, meinem Schöpfer, stürmisch entgegeneilen; deswegen mußte

92 Vgl. Peter Strohschneider: Unlesbarkeit von Schrift. Literaturhistorische Anmerkungen


zu Schriftpraxen in der religiösen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Regeln der Bedeu­
tung. Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte. Hrsg. Fotis Jannidis u.  a., Berlin, New York
2003, S. 591–627.
93 Stridde: Verbalpräsenz und göttlicher Sprechakt, S. 40.
124   Caterinas Stimme

ich mich aufrichten. Nun brachen fünf blutrote Strahlen aus seinen fünf hochheiligen
Wundmalen hervor, die auf meine Hände, meine Füße und mein Herz zielten. Im gleichen
Augenblick durchfuhr es mich, was dies bedeute, und ich schrie ohne Unterlaß: ‚Ach Herr,
mein Gott, niemand soll diese Wunden an mir sehen, ich flehe dich an. Es reicht mir, daß
ich sie in mir trage!‘ […]‘

Die Forderung nach der Unsichtbarkeit der göttlichen Zeichen setzt noch einmal
das Dispositiv der Rede ins Bild und damit die Bedingungen des Zur-Rede-Kom­
mens: Wie die Wundzeichen, die verborgen bleiben müssen, gehören auch die
Worte Caterinas der Ordnung des secretum an. Es gibt keinen authentischen
Ort mystischer Rede, ihre Exklamationen sind auch als wörtliche Rede wieder­
gegeben und zitiert und erst durch die Logik des Geständnisses nachträglich
überhaupt erst möglich geworden.94 Die Sprache der Liebe ist bei Caterina also
von einem Mangel gezeichnet: einem Mangel nicht nur des Selbst, sondern der
Stimme, die nur als eine in die Worte des Beichtvaters eingeschlossene Stimme
entfaltet werden kann.

2.2 Ekstase

Die Möglichkeit des Sprechens der Heiligen wird also am Dispositiv der Beichte
ausgerichtet und diesem eine Stimme zugrunde gelegt, durch die Caterina nicht
Herrin ihrer selbst zu sein scheint. Um in die klerikale Ordnung und darüber hinaus
auch in die anderen Diskurse aufgenommen zu werden, muss ihr Sprechen als
etwas inszeniert werden, das sich ihrer Kontrolle entzieht, als Ekstase oder Raptus:

Sed uidi ego semel eam raptam a sensibus humanis modo, quo supra est declaratum,
audiuique musitantem uoce submissa. Cumque apropinquassem, discreui uerbum eius for­
maliter et in Latino, videlicet: ‚Uidi archana Dei, vidi archana Dei.‘ Et iterum atque iterum:
‚Vidi archana Dei.‘ Nec aliud quitquam subinferebat, sed illud tantum modo repetabat.
(LM II, 185)

Einmal habe ich sie leise flüstern hören, während sie ihrer äußeren Sinne in der bereits
angedeuteten Weise beraubt war. Als ich näher trat, vernahm ich deutlich die lateinischen
Worte: ‚Vidi arcana Dei, vidi arcana Dei‘, immer wieder dieselben Worte: ‚Vidi arcana Dei‘;
nichts anderes kam über ihre Lippen.

94 Vgl. demgegenüber das leise Klagen in der Beschreibung der Stigmatisierung der Teresa von
Avila: „Veíale en las manos un dardo de oro largo […]. Era grande el dolor que me hacía dar
aquellos quejidos“ [Ich sah in seinen Händen einen langen goldenen Pfeil […]. Der Schmerz war
so stark, daß er mich diese Klage ausstoßen ließ]. S. Teresa de Jesús: Libro de la Vida, XXIX, 13
(S. 353). [Teresa von Avila, Das Buch meines Lebns, S. 427]
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   125

Ihre lateinischen Worte äußert sie in einem Zustand, der als Raub ihrer Sinne
(rapta a sensibus) bezeichnet wird. Wie die Hysterikerin, die ihre Krankheit auf­
führen muss, wird Caterina ihre Heiligkeit spielen.95 In der Beichte kann sie zum
Sprechen gebracht werden, in der Ekstase kommt das Reden wie von selbst: als
Sprechen von einer Empfindung, von der sie nichts weiß und das Jacques Lacan
„jaculations mystiques“96 nennt. Caterina kann daher ihr Buch immer nur als
etwas ausgeben, dessen Voraussetzungen außerhalb ihrer Macht liegen: „dettato
in astrazione“97. Die Zustände, in denen sie spricht und diktiert, in denen sie aber
nicht weiß, was sie spricht und diktiert, werden folglich nicht nur von ihr selbst,
sondern von ihren Sekretären und Beichtvätern sehr genau erfasst und beschrie­
ben:

Propter quod ipsa frequenter excessum illum, qui dicitur extasis, paciebatur in corpore,
sicut mille, ut ita dixerim, uicibus uidimus et experti sumus, ego et fratres mei, qui ab
ipsa eramus spiritaliter in domino geniti uerbo uite. Mox namque ut sacri sponsi memoria
paulisper recentificabatur in anima sancta illa, a sensibus se corporeis, quantum poterat,
retrahebat, et extremitates corporis, scilicet manus et pedes contrahebantur et tabescebant.
Primo quidem in digitis, sed tandem eciam in se ipsis locisque, ubi se applicabant, tam
rigide adherebant, quod frangi seu comminui potius potuissent, quam inde quomodolibet
commoueri. Occuli eciam claudebantur ex toto et collum rigiditate illa tabefiebat, ita ut non
paruum esset corporis sui periculum collum sibi tangere illo in tempore.
(LM II, 126)

Deswegen geriet ihr Körper häufig in jenen entrückten Zustand, den man Ekstase nennt.
Ich übertreibe nicht: sicher tausendmal haben meine Brüder und ich diese Verzückungen
bei Caterina erlebt, wir, die sie uns durch das lebensspendende Wort geistlich im Herrn
geboren hatte. Sie brauchte nur ein Weilchen an ihren heiligen Bräutigam zu denken, und
schon zog sich die Seele mit Ungestüm aus dem Bereich der körperlichen Sinne zurück. Ihre
Extremitäten, nämlich Hände und Füße, verkrampften sich und wurden kraftlos. Zuerst ver­
steiften sich die Finger, dann alle übrigen Glieder und Gelenke, und man hätte sie eher
hätte [sic!] brechen als irgendwie bewegen können. Die Augen waren geschlossen, und der

95 Vgl. dazu Cristina Mazzoni: Saint Hysteria. Neurosis, Mysticism, and Gender in European
Culture, Ithaca, London 1996, S. 17–53. Sowie: Elisabeth Bronfen: The Knotted Subject. Hyste­
ria and its Discontents, Princeton 1998, S. 178  ff. Auch: Jean-Martin Charcot: La foi qui guérit
(1897), Paris 2008.
96 Vgl. Jacques Lacan: Le séminaire. Livre XX: Encore. Hrsg. von Jacques-Alain Miller, Paris
1975, S. 71: „Il est clair que le témoignage essentiel des mystiques, c’est justement de dire qu’ils
l’éprouvent, mais qu’ils n’en savent rien.“ In die jaculations mystiques schließt Lacan seine eige­
nen Écrits ein, d.  h. dass auch Lacan in dieser Perspektive gelesen werden könnte.
97 S. Caterina da Siena: Il dialogo della divina provvidenza ovvero Libro della divina dottrina.
Hrsg. von Giuliana Cavallini, Siena 1995, S. 588.
126   Caterinas Stimme

Hals wurde in diesem Krampf so kraftlos, daß es einigermaßen lebensgefährlich für Cate­
rina gewesen wäre, hätte man ihn in diesem Zustand angefaßt.98

Die Darstellung der Ekstase, die Aufführung des Wunders, folgt der Ordnung des
tout voir, die neben dem tout dire die zweite Ordnung bildet, durch die die mysti­
schen Erfahrungen in das Feld der sichtbaren Institution übertragen werden und
ihre „représentation ecclésiale“99 ermöglicht wird.
Die Inszenierung, auch des Sprechens als Diktat, erfolgt mittels der Ekstase
(inextasi): „ac scriptores suos rogare […], quod, cum inextasi positam eam senti­
rent, ad scribendum essent parati, quitquid abore ipsius audirent.“ [LM III, 349;
Deswegen bat sie ihre Schreiber […], sich während ihrer Ekstasen bereitzuhalten
und all das niederzuschreiben, was sie sagte.] Für die Behauptung eines Spre­
chens aus dem Heiligen Geist heraus ist eine Trennung zwischen Körper und
Geist notwendig: „et spiritus eius tam fixe suo inherebat et omnium conditori,
quod partem inferiorem et sensitiuam pro maiori parte temporis relinquebat
absque actibus sensitiuis.“ [LM II, 178; Und während sich ihr Geist in den Schöp­
fer der Welt versenkte, blieb ihr irdischer Leib zumeist ohne Bewußtsein zurück.]
Einerseits sind solche Zustände der Bewusstlosigkeit überhaupt erst die Voraus­
setzung für das Diktat, andererseits blockieren sie immer auch die Rede:

Cepit et enim dominus ex tunc non tantum in locis secretis, ut prius consueuerat, sed
eciam in patentibus palam et familiariter se ostendere sponse sue tam eunti quam stanti
tantumque ignem sui amoris in eius corde accendere, quod ipsa met, que diuina hec pacie­
batur, fatebatur suo confessori de plano ad exprimendum, quod senciebat, nulla uocabula
inuenire.
(LM II, 178)

Denn der Herr begann sich Caterina nicht nur in der Abgeschiedenheit, wie bisher, sondern
in aller Öffentlichkeit freundschaftlich zu nähern. Wo sie ging und stand, entzündete er in
ihrem Herzen das Feuer, und sie selber sagte ihrem Beichtvater, daß es mit keinen Worten
auszudrücken sei, was sie während dieser Offenbarungen erlebte.

Die betonte Differenz zwischen der ekstatischen Erfahrung und der uocabula
verweist einerseits auf das grundlegende Darstellungsproblem mystischer Erfah­
rung, andererseits ist sie die Bedingung dafür, dass die göttlichen uocabula von
dem Mund der Jungfrau überhaupt gesprochen werden können.

98 Vgl. An: Il processo Castellano, S. 262.


99 De Certeau: La fable mystique, S. 118.
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   127

2.3 Analphabetismus

Nicht nur Caterinas Sprechen wird als Ekstase inszeniert, auch ihr Schrei­ben
gehört einer Ordnung an, in der das Subjekt nicht Herr seiner selbst ist. Denn die
Tatsache, dass Caterina selbst schreibt, liegt im Bereich des idioto humile100. Darin
fallen Schrei­ben und Analphabetismus zusammen: „Quamuis enim in proprio
sermone uulgari loquatur in eis, quia non cognouit literaturam, quia tamen
introiuit in potencias domini cum claui profunditatis profunde“. [LM  Prolog I,
7; Auch wenn Caterina ihre Briefe in ihrer Muttersprache diktierte, da sie nicht
schreiben konnte, so erschloß ihr der Schlüssel zum Abgrund die göttliche Macht
in all ihrer Tiefe.] Ihr Analphabetismus schließt dabei weder das Diktat noch das
Erkenntnisvermögen aus. Es handelt sich um einen Analphabetismus, der sich
auf die Wahl der Sprache bezieht. Das Diktat setzt nicht nur das Lesen-Können
nicht voraus, es erfolgt eben auch in der Sprache des Volkes (uulgare), die offen­
sichtlich die Kenntnis der lateinischen Schrift nicht erfordert.
Wird Caterinas Schrei­ben-Können an dieser Stelle ganz ausgeschlossen:
non cognouit literaturam, so wird ihr zumindest zugestanden, lesen zu können.
Auch hier wieder gehört das Lesen zur Kategorie des Wunders.101 Dieses Wunder
betrifft das volgare, d.  h. dass das Wunder selbst offensichtlich als volkssprach­
liches konstruiert wird, das vom Raum des Wissens des Beichtvaters  – seinem
Kirchenlatein – abgesetzt wird:

Verum quia mencio facta est hic de psalmodia, scire te uolo, lector, quod uirgo hec sacra lit­
teras quidem sciebat, sed eas homine uiatore docente nequaquam didicerat. Et dico litteras,
non quod sciret Latinum loqui, sed sciuit legere litteras et proferre. Narrabat et enim michi
de se met ipsa, quod, cum prodiuinis laudibus horis canonicis depromendis decreuisset
adiscere litteras, scripto sibi alphabeto per quandam suam sociam docebatur.
(LM I, 113)

Da ich das Psalmengebet bereits erwähnt habe, sollst du, mein Leser, auch wissen, daß die
heilige Jungfrau lesen konnte, obschon sie es von keinem lebenden Menschen gelernt hatte.
Wenn ich lesen sage, so handelt es sich um das Lesen auf italienisch [sic!]; Latein konnte
sie nicht. Sie hat mir selber erzählt, wie sie eines Tages beschlossen hatte, lesen zu lernen,
um das kirchliche Stundengebet zu beten und Gott auf diese Weise preisen zu können. Eine
Mitschwester schrieb ihr das ABC auf und lehrte sie es.

100 Vgl. Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 234.


101 Anders berichten die Miracoli di Santa Caterina da Siena von Caterinas Lesekompetenz. Hier
wird mit großer Selbstverständlichkeit (und ohne es als Wunder zu inszenieren) erwähnt, dass
Caterina ihre Zeit damit verbringt, zu lesen. (Vgl. Miracoli di Santa Caterina da Siena, S. 223). Zur
Frage der Autorschaft der Miracoli vgl. S. 267  f. Auch: Lehmijoki-Gardner: Domenican Penitent
Women, Kap. The Miracoli of Catherine of Siena, S. 87–104, S. 94.
128   Caterinas Stimme

Wiederum unterscheidet Raimondo zwischen zwei Stufen des Analphabetismus:


Lesen heißt Lesen-Können in volgare, was offensichtlich nicht Bestandteil der
Alphabetisierung ist. Das Wunder ist ein ganz und gar volkssprachliches Wunder.
Diese Unterscheidung zwischen lateinischer Alphabetisierung und volkssprach­
lichem Analphabetismus zeigt, weshalb trotz des offensichtlichen Lesen-Kön­
nens die Behauptung des Analphabetismus der Caterina fortgewirkt hat. Das
Beherrschen des Lesens wird letztlich als Manifestation des Göttlichen gedeutet:
„Mira res et diuine uirtutis manifestum indicium: antequam de oracione surgeret,
ita diuinitus est docta, quod, postquam ab ipsa surrexit oracione, omnem sciuit
litteram legere tam velociter et expedite sicut quicumque doctissimus.“ [LM I, 113;
Und einmal mehr offenbart sich uns Staunenden das Wirken der göttlichen Kraft:
bevor Caterina nämlich noch vom Gebet aufgestanden war, hatte ihr Gott das
beigebracht, was nötig war, um unmittelbar danach einen geschriebenen Text
so rasch und behende zu lesen, wie nur irgendein hochgelehrter Mann.] Für das
Lesen-Können wie ein doctissimus muss das Wirken Gottes beansprucht werden.
Die Beherrschung des ABC reicht zur Legitimation nicht aus. Den Beweis hierfür
findet der Beichtvater Caterinas in ihrer Unfähigkeit zu buchstabieren. Nur wer
das Gelesene auch buchstabieren kann, beherrscht das Lesen, alles andere fällt
unter die Ordnung des Wunders:

Quod ego ipse, dum fui expertus, stupebam potissime propter id, quod inueni, quia, cum
uelocissime legeret, si iubebatur silabicare, in nullo sciebat aliquid dicere, ymo uix litteras
cognoscebat, quod extimo pro signo miraculi tunc adomino ordinatum fuisse.
(LM I, 113)

Aber mehr noch staunte ich, als ich entdeckte, daß sie zwar sehr geläufig lesen konnte,
forderte man sie aber auf, die Worte zu buchstabieren, war sie dazu nicht in der Lage, ja sie
kannte mit knapper Not die einzelnen Buchstaben. Ich persönlich halte das für ein Wunder­
zeichen, das der Herr hier gewirkt hat.

Die Vita erzeugt damit eine Ambivalenz hinsichtlich des Status’ der Caterina: Sie
wird als „magistra uirtutum“ (LM Prolog I, 14), als Tugendlehrerin, behandelt,
aber diese Lehrtätigkeit gründet nicht auf ihrem Wissen, sondern vor allem in
den Wundern, die sich durch sie manifestieren.102 Die Begründung für ihre Wun­

102 Diese Ambivalenz beherrscht auch die früheste Rezeption der Vida von Teresa von Avila.
Die Behauptung der spontan eingegebenen göttlichen Schrift geht über die Sorgfalt und Sorge
des Schreibens hinweg, die Teresa an den Tag legt. So wird bspw. berichtet, dass sie nachts auf­
steht, um ihre Briefe zu korrigieren, wie auch, dass sie die Korrekturen der Beichtväter und Ko­
pisten in ihren Schriften rückgängig macht, vgl. Gillian T. W. Ahlgren: Teresa of Avila and the
Politics of Sanctity, Ithaca, New York 1996, Kap. 3: The Right to Write. Authority and Rhetorical
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   129

dertätigkeit, die der Text liefert, geht damit einher, ihr Wissen und Können zu
dissoziieren. Würde es jedoch ihre Bedeutung als himmlische Gestalt schmä­
lern, wenn sie zudem auch noch das Alphabet und das Lateinische beherrschen
würde? Bei Thomas von Aquin jedenfalls geht Heiligkeit mit Wissen und Alpha­
betisierung Hand in Hand.
Die Legende ist die Geschichte eines volkssprachlichen Analphabetismus.
Sie verfährt jedoch in der Darstellung dieses Analphabetismus keineswegs kon­
sequent. Denn trotz aller Bemühungen Caterinas Analphabetismus zu betonen,
wird immer wieder auch von ihrer Lektüre berichtet, die dem behaupteten Status
des Analphabetismus widerspricht: „Hoc facto cepit libros querere diuinum
officium contintentes et in ipsis legere psalmos, ymnos et reliqua, que pro cano­
nicis horis sunt ordinata.“ [LM I, 113; Nach diesem Ereignis verschaffte sich Cate­
rina die für die kirchlichen Tageszeiten erforderlichen Bücher und las aus ihnen
die Psalmen, Hymnen und alles, was zum Stundengebet gehört.] Wann immer ihr
Lesen-Können thematisiert wird, fällt es mit der Unterscheidung in Latein und
„suo proprio uulgari“ (LM I, 113) zusammen.
Demnach handelt es sich um einen spezifischen Analphabetismus, der ein
bestimmtes semiotisches Vermögen keinesfalls ausschließt. Die Widersprüche
manifestieren den Anspruch, die Behauptung des Analphabetismus trotz der
offensichtlichen Fähigkeiten Caterinas aufrecht zu halten. Die Möglichkeit, sie als
Wunder zu zeigen, rettet über diese Paradoxie hinweg, so dass schließlich auch
das Schrei­ben-Können das eine Mal ausgeschlossen, das andere Mal möglich ist.
Wie das Wunder ihres Lesens vollzieht sich auch das Wunder ihres Schreibens
in der Volkssprache: „Verum quia non solum apparuit in supradicta uirgine sin­
gulare de litteratura seu supradicta lectura miraculum, sed eciam descriptura“.
[LM I, 113; Aber diese Jungfrau erlernte nicht nur auf wundersame Art das Lesen,
sondern ebenso das Schrei­ben.]
Zur Paradoxie des Analphabetismus gehört, dass Caterina auch als Ausle­
gende dargestellt wird. Wiederum wird ihr Vermögen nicht einfach anerkannt,
sondern als Ausnahme dargestellt. Tatsächlich geht die Legenda Maior immerhin
so weit, Caterinas Dialogo mit der Civitas Dei von Augustinus zu vergleichen:

Tibi autem, lector carissime, dico, quod, si recolis duas illas ciuitates, quas in libro de ciui­
tate Dei nominat Augustinus, quarum alteram constituit amor proprius veniens usque ad

Strategy in Teresa’s Works, S. 67–84, S. 79. Vgl. auch S. 78: „For many of Teresa’s male contem­
poraries, the theory of divine inspiration was the only way to account for the fact that a woman
could explain such exalted doctrine.“
130   Caterinas Stimme

contemptum Dei, alteram uero Dei amor veniens usque ad contemptum sui, mox perpen­
des, qualis est hec doctrina.
(LM I, 102)

Dir aber, liebster Leser, will ich folgendes sagen: Wenn du dich an die beiden Städte erin­
nerst, die Augustin in seiner ‚Gottesstadt‘ erwähnt – in der einen regiert die Eigenliebe, die
zur Verachtung Gottes führt, in der anderen die Gottesliebe, die zur Verachtung des eigenen
Selbst führt –, dann begreifst du bald die Lehre Caterinas.

Auch wenn Raimondo Caterinas Lehre an die Civitas Dei des Augustinus an­
schließt, steht Caterina doch nicht die gleiche Auslegungshoheit zu. Und auch
wenn der Beichtvater dafür Bewunderung ausdrückt, so positioniert er sie durch
das zum Ausdruck gebrachte Befremden und die Exzeptionalität ihrer Auslegung
außerhalb der Tradition: „Et adducebat ad hoc uerba, que saluator dixit orando,
secundum vnam exposicionem, quam nusquam recolo me legisse nec audiuisse
nisi ab ea.“ [LM II, 208; Und sie führte zum Beleg dafür die Bitte des Heilands an,
die sie in einer Art und Weise auslegte, wie ich sie meines Wissens nach bei nie­
mandem sonst gelesen oder gehört habe.] Caterinas Auslegungen werden streng
von der Exegese durch die doctores unterschieden (LM II, 209) und damit wird
der Unterschied zwischen der volkssprachlichen expositio der Mystikerin und der
lateinischen expositio der Kirchenväter überhaupt erst konstituiert.
In einem längeren Einschub (adjunta)  – vermutet als ein Textstück, das
nicht aus der Hand des Beichtvaters stammt – berichtet die Vita vom Wunder des
Schreibens Caterinas:

[…] sumpto calamo siue penna et carta modica de papiro, cum numquam alias scripsisset
uel ad scribendum aliquatenus didicisset, consedit et scribere cepit ac sequencia uerba de
competenti satis lictera scripsit licet insuo proprio uulgari sermone incartula prelibata […],
que fuerunt ista videlicet: ‚Spiritus sancte, veni in cor meum […].‘
(LM I, 113)

Sie nahm eine Feder und ein Stück Papier und sie, die sonst niemals etwas geschrieben
hatte oder im Schrei­ben unterrichtet worden war, setzte sich nieder und fing an, die fol­
genden Worte auf besagtes Papier zu schreiben. Der gut zu lesende Text war auf italienisch
[sic!] geschrieben […]: ‚Heiliger Geist, komme in mein Herz. […]‘

Von dem erwähnten Schriftstück wird behauptet, dass es das einzige sei, das
jemals von Caterina mit eigener Hand, insuo proprio uulgari, verfasst wurde. Die
Begründung seiner Überirdischkeit liegt im Paradox einer vollkommenen Schrift
in volgare aus der Hand einer Analphabetin: „Jn signum autem euidentis miraculi
talis fuit qualitatis et forme eius supradicta scriptura, quod non posset similis
fieri per aliquem, nisi eciam per bonum temporis spacium tam silabicare quam
 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   131

eciam licteras componere et scribere didicisset.“ [LM I, 113; Was nun ganz offen­
kundig für ein Wunder spricht, ist, daß ihre Schrift von solcher Güte war, daß sie
nicht von jemandem stammen konnte, der erst vor kurzer Zeit Lesen und Schrei­
ben gelernt hatte.] Caterinas zitierte Liebesrede – denn der Gegenstand des von
ihr geschriebenen Textes ist die dulcissimo amore des dulcis dominator  – wird
durch die Bedingungen, unter denen sie entstanden ist, außerhalb der alphabeti­
schen Ordnung situiert. Die wunderbare Überhöhung widerspricht der Tatsache
ihrer Analphabetisierung nicht und somit kann sowohl Caterinas Schrift als auch
ihre Liebesrede der transzendenten Ordnung zugewiesen werden.
Die Schreibakte der Heiligen finden innerhalb der alphabetisierten Ordnung
der Kirchenmänner nur einen marginalen Platz, selbst dann, wenn diese genau
wie sie selbst schreibt. Damit bleibt dieses Schriftstück auch ihr einziges aus
eigener Hand: „Quibus uerbis conscriptis nusquam reperitur, quod ex tunc
aliquid aliud per seipsam scripserit“ [LM I, 113; Etwas anderes schrieb sie dann
nicht mehr mit eigener Hand, obwohl sie mit der Unterstützung von anderen
noch viel Bemerkenswertes veröffentlichte]. Ehrerbietung kommt der hand­
schriftlichen Aufzeichnung ihrer Liebesrede nicht durch Lesbarkeit, sondern als
Gegenstand der Anbetung zugute: Die Handschrift wird als Reliquie, „virginis
reliquiis“ (LM I, 113), behandelt.103
Die Partizipation am Wissen verweist somit auf die transzendente Ordnung,
was auch ihre Äußerungen unterstreichen, mit denen sich die Heilige immer
wieder demütig in ihrem Unvermögen und ihren Unzulänglichkeiten ausstellt:
„Tuncilla, ‚tantam‘, inquit, ‚conscienciam haberem uobis illud, quod uidi, defec­
tiuis istis uocabulis explanare […], et id, quod uerbis exprimi potest, quod quasi
contraria esse uidentur.‘“ [LM II, 185; ‚Ich hätte Gewissensbisse‘, erwiderte sie,
‚wollte ich Euch mit meinen unzulänglichen Worten erklären, was ich gesehen
habe. […] Ich habe fast den Eindruck, als ob es sich dabei um zwei unvereinbare
Dinge handele!‘] Der Topos der Unsagbarkeit fügt sich in den Analphabetismus
der von Gott auserwählten Jungfrau. Er zeugt nicht nur vom qualitativen Sprung
zwischen Rede und Erfahrung, zwischen Gott und Schrift, sondern ist Bestandteil
des theologischen Dispositivs, das die Voraussetzung für die Heiligenvita ist.
Dieser Ordnung widersprechen Beweise von Caterinas Gelehrtheit nicht.
Mehrfach bezeichnet ihr Beichtvater sie als „matrem et magistram“ (LM II, 197).
Offenbar war sie sogar fähig, die Kirchenväter zu studieren. Auffällig ist auch
hier, dass das Zugeständnis an ihr Studium zugleich zurückgenommen und als
voraussetzungsloses Können, als Wunder, dargestellt wird:

103 Vgl. Nocentini: Lo „scriptorium“ di Tommaso Caffarini a Venezia, S. 108.


132   Caterinas Stimme

Prout enim michi nimis indigno ipsa humiliter confessa est in secreto, illo tempore uitam et
mores sanctorum patrum Egiptiorum nec non et gesta quorundam sanctorum et potissime
beati Dominici nullo tradente hominum nullaque leccione precedente sola spiritus infu­
sione didicit et cognouit.
(LM I, 31)

Wie sie mir allzu Unwürdigen während der Beichte, ohne viel Aufhebens darum zu machen,
anvertraute, studierte sie in dieser Zeit die Lebensumstände der heiligen Väter von Ägypten
ebenso wie die Taten einiger Heiligen [sic!], vor allem des hl. Dominikus – und das ohne
menschliche Unterweisung oder Lektüre, sondern nur, indem sie den Eingebungen des Hei­
ligen Geistes folgte.

Verfügt also Caterina über ein Mehr an Wissen, eines, das durch die Eingebungen
des Heiligen Geistes gespeist wird, sola spiritus infusione, oder über ein Weniger
an Wissen, weil ihr der Zugang zum Raum der Schrift und der Erkenntnis ver­
sperrt wird? Die Paradoxie ist nicht aufzulösen. Solange aber ihr spezifischer
Analphabetismus – „different kind of literacy“104 – nicht an die Wissensdiskurse
angeschlossen wird, bleibt dieser außerhalb der Bühne, ein mystérique, unzu­
gänglich wie die Aufführungen der Hysterikerinnen im 19. Jahrhundert, die von
ihren Ärzten auf die ‚Bühne‘ gebracht worden sind.105
Der Widerspruch zwischen dem Können und der Aufrechterhaltung des
Analphabetismus war von Anfang an als Diskrepanz zwischen gelehrtem theo­
logischen Wissen und der Stimme der muliercula in der Vita Caterinas dem Leser
nahegelegt worden. Dass die Frage, wie es sein kann, dass eine Frau im Stil des
Augustinus schreibt, gestellt werden musste, dient der Rechtfertigung, dass eine
weibliche Heilige Gegenstand der Heiligenlegende ist. Als Spannung der Stilhöhe
ist sie Thema der Legende:

Jnsuper siquis respiciat librum, quem spiritu sancto manifeste dictante composuit in ydio­
mate proprio, quis possit ymaginari aut credere illum factum per feminam? Est quidem
stilus altissimus, ita ut uix inueniatur sermo latinus comprehendens altitudinem stili sui,
prout in presenciarum experior ego ipse, qui transferre ipsum satago in Latinum. Sentencie
tam alte pariter et profunde, quod si eas in Latino translatas perceperis, Aurelij Augustini
putes pocius fuisse quam cuiuscumque alterius.
(LM Prolog I, 8)

Wenn sich darüber hinaus jemand ihr Buch vor Augen hält, das ihr der Hl. Geist eingab
und das sie in ihrem eigenen Dialekt verfaßte: wer könnte sich vorstellen oder glauben,
daß es das Werk einer Frau ist? Es ist nämlich im hohen Stil verfaßt, so daß man kaum eine

104 Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 233  f.


105 Vgl. Georges Didi-Huberman: L’invention de l’hystérie. Charcot et l’iconographie photo­
graphique de la Salpêtrière, Paris 1982.
 Figuration der Stimme   133

lateinische Abhandlung finden könnte, die in der Höhe ihres Stils gehalten ist. Das erfahre
ich gerade jetzt, wo ich mich bemühe, ihr Buch ins Lateinische zu übertragen. Wenn du ihre
ebenso erhabenen wie tiefsinnigen Sentenzen in Latein vernehmen würdest, würdest Du
eher glauben, sie stammten von Aurelius Augustinus als von irgendwem sonst.

Der Vorgang der Übersetzung („transferre“) von der Volkssprache ins Lateini­
sche, die der Beichtvater anfertigt, bringt also die Doppelung erst eigens zu Tage
und zwar als Differenz zwischen weiblichem Analphabetismus und männlichem
Stil: „stilus eius, siquis diligenter aduertit, pocius uidetur Pauli quam Katherine,
melius alicuius apostoli quam cuiuscumque puelle.“ [LM Prolog I, 7; Ein aufmerk­
samer Leser würde eine solche Sprache eher bei Paulus als bei Caterina, eher bei
einem Apostel als bei einem jungen Mädchen vermuten!] Der Prolog stellt Cate­
rinas Stil auf Augenhöhe mit Paulus und Augustinus. Wie in der Commedia ist
er ein stilus altissimus in volgare und entspricht damit dem sermo humilis, wie
ihn Auerbach bestimmt.106 Die Autorin dieses Stils bleibt demgegenüber jedoch
die einfache puella, die Unwissende, die Analphabetin, die, auch dann, wenn sie
selbst schreibt, auf das göttliche Wunder und die Darstellung ihres Lebens durch
den Beichtvater angewiesen ist. Diese Diskrepanz zwischen magistra und mysté-
rique wird in der Legenda Maior nicht zum Thema, aber ist ihr eingeschrieben als
Widerstreit zwischen der Affirmation des Könnens einerseits und der Beschrän­
kung auf den Raum des Inintelligiblen andererseits, zwischen Latein und Volks­
sprache, zwischen Stimme und Schrift.

3 Figuration der Stimme

Die Redeordnung der Heiligenvita etabliert Zeichen und Figuren, die durch die
Stimme auf die Rhetorizität der weiblichen mystischen Liebesrede hinweisen.
Wird das göttliche Wort zur Figur eines Textes, verdoppelt sich die Differenz zwi­
schen zwei unterschiedlichen Ebenen der Erfahrung in Hinblick auf weitere Diffe­
renzierungen in der Sprache.107 Durch Figuration wird der göttlichen Stimme ein

106 Vgl. Erich Auerbach: Sermo humilis. In: ders.: Literatursprache und Publikum in der latei­
nischen Spätantike und im Mittelalter, Bern 1958, S. 25–64. Auch. Giovanni Pozzi: Il linguag­
gio della scrittura mistica. Santa Caterina. In: Dire l’ineffabile. Caterina da Siena e il linguaggio
della mistica. Atti del Convegno (Siena, 13–14 novembre 2003). Hrsg. von Lino Leonardi/Pietro
­Trionfe, Florenz 2006, S. 3–18.
107 Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, S. 496. Das mystische Schwei­
gen bringt nicht den Widerspruch zwischen Erfahrung und Sprache zum Ausdruck, sondern die
Nicht-Rede erweist sich als die notwendige Konsequenz eines Sprechens, das auf seine eigene
Differenz zutreibt. Als solches ist es eine „transsprachliche Position“, die dem Gotteswort korre­
134   Caterinas Stimme

Gesicht verliehen, die sich selbst schon als Gesicht gezeigt hatte: „Venit dominus
et faciem suam manifestans exterioribus sensibus sensibiliter indicauit experi­
mentumque dedit notorium eius, qui loquebatur in illa.“ [LM I, 91; Der Herr kam,
er zeigte sein Gesicht und bewies auch den äußeren Sinnen ummißverständlich,
daß er es war, der durch Caterina sprach.] Die Aussage, dass der Herr gekommen
ist, um sein Gesicht (faciem suam) zu zeigen, fasst die Stimme Gottes als sprach­
liche Figur und sie geht auf Caterina über, wenn sie nun ihrerseits mit der Stimme
Gottes spricht. Die mystische Rede wird nicht durch radikale Unähnlichkeit,
sondern als figurativer Akt konstituiert und es bleibt offen – ein Geheimnis des
Glaubens –, ob sie je anders als in Sprache existiert hat. Das mystische Sprechen
wird in Sprache durch Sprache eingesetzt. Wie das profane Amordiktat, bei dem
Amor dem Sprecher die Worte eingibt, die von ihm niedergeschrieben werden,
wird eine Redefigur für die Einsetzung der Rede behauptet, die in Differenz zum
einen Sprechen steht, aber dabei selbst schon ein sprachlicher Akt ist.
Die solchermaßen autorisierte Rede stellt sich ihrerseits als Textrede heraus.
Caterinas Antwort folgt nach dem Referenztext par excellence, durch den das
Muster der Rede – die Rede zwischen Braut und Bräutigam im Canticum cantico-
rum – vorgegeben ist.108 Den zweiten Teil der Legenda Maior leitet ein Zitat aus
dem Canticum canticorum ein, nachdem der erste Teil mit der mystischen Hoch­
zeit Caterinas geendet hatte, das die ystoria der Jungfrau mit auctoritas durch
den zitierten Text absichert.109 Das Zitat garantiert aber nicht nur durch den
zitierten Text die Autorität der Vita, sondern bestimmt auch das folgende Muster
der Rede, das die Wechselrede zwischen der Stimme des Bräutigams und der
Stimme der Braut konstituiert. Caterina werden dabei die Worte des Canticum
canticorum in den Mund gelegt, wenn sie mit diesem antwortet: „Ad hec uirgo
ista sacra respondit ad licteram“. [LM II, 119; Und die heilige Jungfrau antwortete
genauso wie im Text des Hohenlieds] Caterina ist in der Sprecherrolle der Braut,
die ihrem Bräutigam antwortet. Das Canticum liefert somit die Vorlage für die
Narration des Verhältnisses zwischen Beichtvater und Beichtkind, die wie Braut
und Bräutigam (oder wie die Seele mit Gott, Christus mit der Kirche) miteinander
sprechen.
Caterina wird also durch den Intertext eine bestimmte Redehaltung wie
auch der Inhalt ihrer Rede zugewiesen. Die Art und Weise ihres Sprechens wird

spondiert. Die mystische Rede und die durch sie produzierte Differenz wird hierbei ontologisch
bestimmt, insofern die entscheidende Referenzgröße das göttliche Wort ist.
108 Vgl. Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. 2: Frauenmystik und Franzis­
kanische Mystik der Frühzeit, München 1993, S. 47  ff.
109 Vgl. Walter Veit: Art. Autorität. I. In: Historisches Wörterbuch. Hrsg. von Joachim Ritter,
Bd. 1, Darmstadt 1971, Sp. 724–727, Sp. 724.
 Figuration der Stimme   135

bestimmt als respondit ad licteram, d.  h. sie bezieht sich auf die Auslegungsart
nach dem Schriftsinn. Ihre Rede spielt sich folglich nicht auf der Ebene des spi­
rituellen, sondern des literalen bzw. historischen Sinns ab. Kann sie aber gleich­
zeitig Medium der Auslegung sein und durch sie die göttliche Stimme, die sie
eingesetzt hat, sprechen? Das Problem ihrer Rede gründet  – zumindest hier  –
nicht im Zutreiben auf die Differenz zwischen Sein und Sprache,110 sondern in
der Beziehung zu einem vorausgehenden Text, in dem die Stimme der Braut
schon von jeher inszeniert war und der jetzt, durch das Zitat, ausgelegt wird.
Die Relation zwischen diesen Texten wird mit Verweis auf den Schriftsinn selbst
exegetisch: Die durch den Intertext vergebene Rolle der Braut manifestiert den
buchstäblichen Sinn. Im Unterschied zu den virgins of God, mit denen ein „new
social concept“111 bereitgestellt worden war, geht es nicht nur um ihren Lebens­
stil als Jungfrau, eine Lebensform für Frauen, die ihr Leben Gott widmen und in
selbstbestimmter Jungfräulichkeit leben, ohne den Rollen von Mutterschaft und
Ehefrau unterworfen zu sein.112 Entscheidend ist die Art und Weise des Sprechens
und wie ihre Sonderstellung in die Diskurse eingespeist wird.
Caterinas Brautrede ist zugleich eine Figur der Exegese, somit ihr Sprechen
auslegendes Sprechen. Diese Rolle hatte Raimondo Caterina bereits im Prolog
zugeschrieben, als der Erzähler seinen Gegenstand als Ergänzung der Auslegung
(expositio) der „sanctos doctores“ eingeführt hatte. Das Leben der Heiligen dient
der Auslegung der Offenbarung: „‚Vidi angelum descendentem de celo, haben­
tem clauem abissi et cathenam in manu sua magnam.‘“ [LM Prolog I, 1; ‚Und ich
sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und
eine große Kette in seiner Hand.‘; vgl. 1 Apk. 20,1]. Das Zitat des Canticum canti-
corum setzt also in komplexer Weise mit einer auslegenden, zitierenden Rede ein.
Als Berufung durch den Bräutigam zitiert der Beichtvater gleich zweimal dieselbe
Stelle aus dem Canticum. Diese beginnt mit der Rede des Bräutigams (alloquen-
tis), der seine Braut adressiert:

Uox Sponsi super celestis sponsam sibi dilectam et placitam alloquentis in canticis hec est,
que dicit: ‚Apperi michi, soror mea, amica mea, columba mea, inmaculata mea, quia caput
meum plenum est rore et cincinni mei guctis noctium.‘ Cui sponsa respondet: ‚Expoliaui me
tunica mea, quomodo induar illa? Laui pedes meos, quomodo inquinabo illos?‘
(LM I, 118; Vgl. Cant. 5, 2–3)

110 Vgl. Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, S. 498.


111 Susanna Elm: ‚Virgins of God‘. The Making of Asceticism in Late Antiquity, New York 1994,
S. 47.
112 Vgl. Elm: ‚Virgins of God‘, S. 55 und S. 269.
136   Caterinas Stimme

Das Hohelied läßt uns die Stimme des himmlischen Bräutigams vernehmen, der seine liebe
Herzensbraut anfleht: ‚Tue mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine
Fromme. Denn mein Haupt ist voll Taues und meine Locken voll Nachttropfen.‘ Die Braut
aber erwidert ihm: ‚Ich habe meinen Rock ausgezogen, wie soll ich ihn wieder anziehen?
Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder beschmutzen?‘

Die Adressierung der Braut mit der Stimme des himmlischen Bräutigams (uox
sponsi super celestis) wird aus dem Canticum zitiert. Die Auslegung durch den
Beichtvater zielt auf die Funktionalisierung der Stimme des Bräutigams durch
die Inszenierung eigenen Sprechens. Denn nicht nur das Zu-Wort-Kommen in der
Sprecherrolle, auch die Stimme (uox) dieser Rede ist eigens und in Abweichung
vom Text des Canticum canticorum Thema: „Propter quod uox sponsi superius
est adducta, qua sponsam inlecto contemplacionis temporalibus denudatam“.
[LM I, 118; Deswegen haben wir den Bräutigam zu Wort kommen lassen, weil sich
die Braut niedergelegt und zur Betrachtung zurückgezogen hat]
Der Beichtvater hat ausgerechnet diejenige Stelle aus dem Canticum can-
ticorum ausgewählt, in der der Stimme des Bräutigams eine wichtige Funktion
zukommt. In der weiteren Auslegung dieser Stelle wird über die Stimme reflektiert:
„Jlla uero ex noticia uocis sui pastoris et sponsi ab ipso“ [LM II, 118; Sie erkennt
natürlich die Stimme ihres Hirten und Bräutigams]. Diese Stimme bestimmt die
Vita als etwas, das Caterina aus ihrer verborgenen Kammer (de cubiculi secreto)
herausführen soll. Wie die Stimme gehen die eingeführten Bilder über das Zitat
des Canticum hinaus. Sie bestimmen die mystische Rede als Sprechen im Verbor­
genen, das mittels der Stimme des Bräutigams in die Öffentlichkeit (ad publicum)
gestellt werden soll. Die Auslegung legitimiert also die Rede des Sprechers: Es
geht um die Behauptung der Stimme des Beichtvaters, dem die Aufgabe zufällt,
Caterina aus der cubiculi secreto hervorzuholen und sie in „uerba […] et exemplo“
(LM Prolog I, 1) zu zeigen. Das Zitat ermöglicht damit nicht nur die ystoria der
Heiligen, sondern auch das Sprechen des Beichtvaters. Zwar lässt dieser im Fol­
genden ein drittes Mal Gott sprechen: „vocat eam et dicit: ‚Apperi michi (sicut
supra). […]‘“ [LM II, 119; rief er sie und sagte: ‚Tue mir auf (und so weiter). […]‘].
Der von Gott gesprochene Text ist jedoch auch hier zitierte Rede. Das Einlesen
der Vita von Caterina in das Canticum canticorum oder anders gesagt die Abbil­
dung der ystoria auf das Zitat aus dem Canticum ermöglicht es, durch das Muster
der Rede weitere Seelengespräche zu inszenieren. Caterina ist in ihnen „sponsam
suam“ (LM II, 119) oder „dilectissima filia“ (LM II, 121), Gott wird adressiert als
„superdulcissime domine“ (LM II, 120). In dieses dialogische Modell wird Cateri­
nas Selbstbeschreibung als gebrechliche Frau und die Unmöglichkeit, als Lehre­
rin aufzutreten, integriert:
 Figuration der Stimme   137

‚[…] quomodo fiet istud, quod modo dixisti, scilicet quod possim ego misella et omni ex
parte fragilis esse utilis animabus? Sexus enim contradicit, ut nosti ex pluribus causis, tum
quia docere alios ad eum non pertinet, tum quia contemptibilis est coram hominibus, tum
eciam, quia honestate cogente non decet talem sexum cum sexu alio conuersari.‘
(LM II, 121)

‚wie soll das zugehen, was du eben gesagt hast, daß ich den Seelen nützlich sein könnte?
Ich bin doch nur eine armselige und in jeder Hinsicht gebrechliche Frau. Mein Geschlecht
steht deinen Plänen aus vielerlei Gründen im Weg, wie du weißt, zum einen, weil es ihm
nicht zusteht, andere zu belehren, zum anderen, weil die Männer geringschätzig von ihm
denken, zum dritten, weil es gegen jeden Anstand verstößt, wenn die Frauen von sich aus
mit den Männern Umgang pflegen.‘

Der Beichtvater legt Caterina Worte in den Mund, mit denen sie sich selbst als
sexus fragilior beschreibt. Sie nimmt damit die demütige Sprechhaltung ein, die
der sermo humilis als an dem Stil der Bibel ausgerichtete Sprache vorgegeben hat.
Demgegenüber hatte Caterina in ihren Briefen stets die Virilität der Kirchenmän­
ner gefordert, so etwa in ihren Briefen an die Päpste.113 Die Sprecherrollen werden
nochmals präzisiert, wenn Caterina auch für Maria spricht und die Stimme Gottes
als Stimme des Erzengels Gabriel erklingt. Auf diese Weise wird der mystische
Dialog zwischen einer Seele und Gott, wie ihn das Zitat aus dem Canticum canti-
corum in Aussicht gestellt hatte, als Verkündigungsszene inszeniert, bei der der
Engel Gabriel Maria die Geburt von Christus verheißt (Luk. 1,28). Die Bedingung
dafür, dass eine weibliche Figur von Gott gesandt werden kann, ist das Gefäß für
die Lehre Gottes. Die Einsetzung der Rede und das Verleihen einer Stimme, die
nach dem Muster des Canticum canticorum erfolgt, wird auf Ebene des énoncé
zurückgenommen in die Figur der uasa fragilia (LM I, 122).
Die zitierte Stimme als Figuration des doppelten Gesichts erweist sich letzt­
lich als eine krypta, die mit dem sexus fragilior korrespondiert. Die exegetische
Funktion ist in den Inhalten der Rede nicht mehr zu erkennen. Auf der Ebene
der Inhalte wird die Sprecherrolle vereindeutigt  – Caterina als Gefäß für die
Lehre Gottes und der Beichtvater als derjenige, der davon schreibt –, wohingegen

113 Vgl. S. Caterina da Siena: Le lettere, Lett. 185, A Gregorio XI. Für Caterina ist es bspw.
durchaus möglich, sponsa christi und cavaliere in einer Person zu denken, vgl. Lett. 215 und
Giulio Ferroni: L’io e gli altri nelle lettere di Caterina da Siena. In: Les femmes écrivains en Ita­
lie au Moyen Âge et à la Renaissance. Actes du colloque international Aix-en-Provence, 12, 13, 14
novembre 1992, Aix-en-Provence 1994, S. 139–156, S. 148  ff. Es ist anzunehmen, dass hinter dem
häufigen Gebrauch von „virile“, „virilmente“ oder auch „cavaliere“ bei Caterina die paulinische
Auffassung von christus militans steht, auf die sie wesentlich häufiger zurückgreift als auf die
sponsa christi.
138   Caterinas Stimme

ihr durch das Zitat aus dem Canticum canticorum die Sprecherrollen von Braut,
Tochter, Schwester, Taube oder Immaculata zugekommen waren.

3.1 Süße Worte

Nicht nur die Stimme des himmlischen Bräutigams, auch die Süßigkeit der Stimme
der Braut hat das Canticum canticorum durch einen Chiasmus von Gesicht und
Stimme aufgerufen: „Dein Gesicht lass mich sehen, deine Stimme hören! Denn
süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht. [Cant. 2, 14; ostende mihi faciem tuam
sonet vox tua in auribus meis / vox enim tua dolcis et facies tua decora] Die Süßig­
keit der Stimme (vox dolcis) wird in der Vita zitiert, wenn von Caterina gesagt
wird, dass sie mit süßer Stimme spricht. Weinend vernehmen die Mitschwestern
Caterinas süße Rede (uerba dulcia). Ihre Rede ist von derartiger Süße, dass sie zu
Tränen rührt: „et cepit loqui silenter uerba uite super mel et fauum dulcia pariter
et profunda, que omnes socias audientes comouebant ad fletum.“ [LM II, 192;
und Caterina begann mit leiser Stimme Worte des Lebens zu sprechen, die süßer
als Honig und Honigseim sind und einen tiefen Sinn haben. Alle ihre Mitschwes­
tern, die das hörten, wurden dadurch zu Tränen gerührt.] Es bleibt jedoch hier
bei dieser bloßen Beschreibung der Wirkung der Worte, die honigsüßen Worte
selbst werden nicht zitiert. Gerade dann also, wenn es um die süße Rede, Cate­
rinas mystische Liebessprache, geht, deren Wirkung unbezweifelbar konstatiert
wird, kennzeichnen die Vita Auslassungen und Leerstellen.
Was hingegen wiedergegeben wird ist die Beschreibung der Visionen, an
denen der Beichtvater interessiert ist und die aus der Beichte hervorgehen sollen:
„Quamobrem idem confessor ad eam accessit petiuitque seriem uisionis sibi
narari.“ [LM II, 193; Der Beichtvater begab sich daraufhin zu Caterina und bat sie,
ihm den Verlauf der Erscheinung zu schildern.] Fällt die Ausführung ihrer süßen
Worte hier schlicht weg, so geht der Beichtvater an anderen Stellen mit ihren
Auslassungen expliziter um. Die Niederschrift von Caterinas Stimme betrifft
immer nur einen Teil des von ihr Gesagten. Die Vita erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, sie hat kein Problem damit, ihre eigenen Lücken zu benennen:
„Jnsuperque mirabilia Dei cernens in ipso raptu loquebatur quandoque submisse
miranda notabilia et nimis altas sentencias, de quibus quedam fuerunt scripte“.
[LM II, 184; Während ihrer Entrückungen schaute sie die Wunder Gottes und
machte zuweilen mit leiser Stimme wundersame und tiefsinnige Bemerkungen.
Einige davon wurden niedergeschrieben]. Die Vita wird zur unvollständigen, löch­
rigen Nachschrift der von der Heiligen in Ekstase gesprochenen Worte. Während
hier noch darauf verwiesen wird, dass die der Vita zugrunde liegenden Äuße­
rungen nur lückenhaft aufgeschrieben worden sind, wird an anderer Stelle deut­
 Figuration der Stimme   139

lich, dass der Beichtvater auch Gespräche mit Caterina schlicht vergessen hat:
„Nunc igitur noueris, quod de quibusdam materijs ipsa mecum pluries et pluries
est locuta, nec memorari possum formaliter de omnibus uerbis eius“. [LM II, 123;
Nun solltest du aber bedenken, daß sich Caterina mit mir über manche Dinge
öfter und immer wieder unterhalten hat und daß ich nicht alle ihre Reden wört­
lich im Gedächtnis behalten habe.]
Die süße Rede Caterinas als Gegenstand der Niederschrift ist immer auch von
Unzulänglichkeiten und Auslassungen bedroht. So wie sie nicht bei Sinnen ist,
wenn sie spricht, so wird das Gesagte größtenteils schlicht vergessen. Der Text,
der dieses Vergessen erwähnt, konstituiert durch Caterinas Worte einen Raum
hermeneutischer Unzugänglichkeit. Was nicht ausgelassen wird, wird ins Innere
verlagert und damit unsichtbar, verschlossen. Im Inneren ist ihre Stimme laut,
außen ist sie kaum zu hören: „dum sic a remotis venerabilis sacramenti altaris
sumpcionem summe siciens mente fortissime, voce uero corporea plane diceret,
‚ego vellem corpus domini Ihesu Christi‘“. [LM II, 187; Während sie nun ganz
hinten saß, dürstete es sie sehr nach dem heiligen Altarsakrament. In ihrem
Inneren schrie es laut, aber mit ihrer körperlichen Stimme sagte sie nur halb­
laut: ‚Ich will den Leib Jesu Christi.‘] Durch die Unterscheidung von Innen und
Außen wird ihre Rede nach Innen verschoben und damit schließlich unhörbar
gemacht. Dazu gehören auch Caterinas eigene Aussagen, die ihr der Beicht­vater
in den Mund legt: „Ac illa, ‚nequaquam‘, inquid, ‚est possibile me aliter aut aliud
dicere.‘“ [LM II, 185; ‚Ausgeschlossen, ich kann nichts anderes sagen‘, rief sie
aus.]
Solche Lücken der Rede werden durch Strategien der Verweigerung konterka­
riert. Der Beichtvater vergisst, was sie gesagt hat, das Beichtkind verweigert sich
dem Sprechen. Die Inszenierung einer jouissance qui soit au-delà, die Öffnung
auf einen corps de désir et de plaisir, wie ihn Foucault und Lacan für Teresa von
Avila angenommen haben,114 versperrt den hermeneutischen Zugriff, wenn die
Mystikerin das Reden über ihre Empfindungen verweigert: „Cum autem confessor
ab ea peteret, quid haberet aut quid sentiret, respondebat se non posse narrare
uel dicere illa, que senciebat.“ [LM II, 187; Als aber ihr Beichtvater von ihr wissen
wollte, was sie davon habe und was sie dabei empfinde, antwortete sie, es sei ihr
nicht möglich, das wiederzugeben, was sie empfinde.] Wie soll eine Analphabe­
tin auch dazu in der Lage sein, so komplizierte Empfindungen differenziert zu
artikulieren? Der Text stellt das non posse narrare und die ungeschriebenen altas
sentencias als seine eigene Unmöglichkeit und Nicht-Erzählbarkeit aus. Die Vita
dient also nicht nur dem Nachzeichnen der geschehenen Wunder einer Heiligen,

114 Vgl. Lacan: Le séminaire, XX, S. 70 und Foucault: Les anormaux, S. 187.
140   Caterinas Stimme

die er chronologisch anordnet, sondern auch dazu, die eigenen Voraussetzungen


und die Bedingungen der Rede mitzusprechen, die der Narration dieser Wunder
zugrunde liegen.
Das Problem der Darstellung betrifft demnach weniger die Differenz zwi­
schen dem Sein und der Sprache als die Differenz zwischen der Stimme und der
Schrift: Gegenüber der Stimme ist die Schrift defizitär, aber sie ist ihren Defiziten
nicht ausgeliefert, sondern kann sie zur Sprache bringen. Als Widerstreit zwi­
schen Negation und Affirmation ist dieses Problem als Darstellungsverfahren in
der Legende allgegenwärtig. So stehen die fehlende süße Rede und die Macht der
Rede einander gegenüber, die Auslassungen kontrastieren mit der Befehlsgewalt.
Caterinas Worte können immer auch Sprechakte sein, was sie sagt, kann gesche­
hen: „Dixit, et sicut dixerat, facta sunt.“ [LM II, 198; Wie sie es gesagt hatte, so
geschah es auch.] Ihre Rede ist eine parole efficace115, insofern sich darin – wie im
Sakrament – das göttliche arcanum manifestieren kann: „Sed feruor cordis eius,
assiduitas oracionis, efficacia sue admonicionis appertissime testabantur ipsam
archana Dei uidisse“ [LM II, 201; Aber die Glut ihres Herzens, die Beharrlichkeit
ihrer Rede und die Wirksamkeit ihrer Belehrung bezeugten mehr als deutlich, daß
sie die Geheimnisse Gottes gesehen hatte]. Wie ihre Vorgängerin, die Hl. Katha­
rina von Alexandrien, verfügt diese neue Caterina über das rhetorische Talent,
die Herzen zu berühren und wie ein Rhetor assiduitas oracionis zu sprechen.

3.2 Gesichter: Veni, domine, ad sponsam tuam

Formuliert das Canticum canticorum die Aufforderung an die Braut, zu ihrem


Bräutigam zu kommen, so werden in der Vita die Adressierungen umgekehrt,
wenn der Beichtvater von seiner Braut aufgefordert wird, herbeizukommen. In
der Vision des Beichtvaters erscheint Caterina von Strahlen umgeben wie ein
Engel. In dieser Vision korrespondieren Gesicht und Stimme, Hören und Sehen.
Caterinas Antlitz verwandelt sich in das Gesicht eines von einem Heiligenschein
umgebenen Engels:

[…] uidi faciem eius sicut faciem angeli emittentem radios et splendorem habentemque
figuram quodammodo aliam, ita ut in mente dicerem: ‚lsta non est facies Katherine.‘
Propter quod in mente tantum concepi hanc verborum sentenciam: ‚Vere, domine, hec est
sponsa tua fidelis et grata.‘ Et hec cogitans uerti me ad altare et eadem locucione mentali
tantummodo dixi: ‚Veni, domine, ad sponsam tuam.‘
(LM II, 316)

115 Irène Rosier-Catach: La parole efficace. Signe, rituel, sacré, Paris 2004, S. 79  ff.
 Figuration der Stimme   141

Da blickte ich in ihr Gesicht, das wie das Antlitz eines Engels Strahlen aussandte und in
seinem Glanz irgendwie eine andere Gestalt angenommen hatte. Ich sagte zu mir: ‚Das ist
nicht das Gesicht Caterinas‘, und dabei kam mir der folgende Satz in den Sinn: ‚Wahrlich,
Herr, das ist deine treue und geliebte Braut.‘ Nun wandte ich mich zum Altar und sprach
wiederum nur in meinem Inneren: ‚Komm, Herr, zu deiner Braut.‘

Das Gesicht Caterinas zeigt sich als andere Figur: figuram quodammodo aliam.
Die Formulierung aus dem Canticum canticorum „Veni, sponsa, de Libano“,
durch die die Commedia die Ankunft Beatrices am Übergang vom Purgatorio
zum Paradiso perspektiviert hatte,116 ist hier umgekehrt als Aufforderung an den
Herrn formuliert, den seine Braut zu kommen bittet: „‚Veni, domine, ad sponsam
tuam‘“ (LM II, 316). In Bezug auf den Sprecher bleibt uneindeutig, wer die Bitte
vorbringt. Ist es Caterina selbst, die aus ihrem umstrahlten Gesicht spricht oder
der Beichtvater, der ihre Sprecherrolle übernimmt?
Die Vision des Beichtvaters von Caterina als seine himmlische Braut verweist
zurück auf eine weitere Vision. Dort war sie ihm mit einem männlichen, bärti­
gen Gesicht erschienen. Walker Bynum hat in dieser Visionsdarstellung einen
Beleg dafür gefunden, dass die Darstellungen von Heiligkeit nach geschlechts­
spezifischen Aspekten ausgerichtet werden. Während die männlichen Biogra­
phen Umkehrungen des Geschlechts vornehmen würden, wie hier, wenn der
Beicht­vater der weiblichen Heiligen ein männliches Gesicht verleiht, würden
sich Frauen selbst entweder als androgyn oder als weiblich (als Braut, Mutter,
Geliebte) entwerfen. Sie wären, schreibt Walker Bynum, „more fully herself with
Christ“117. Bei diesen Zuschreibungen darf jedoch nicht übersehen werden, dass
es sich um figürliche Rede handelt und sich die Vita deshalb nicht auf die Frage
der Identität beschränken lässt: Das bärtige Gesicht ist die Figur einer Stimme,
die auf Christus und Gott als ihren Ursprung verweist. Denn es ist das Gesicht
der Sprechenden, das sich plötzlich in ein anderes Gesicht verwandelt. Caterina
hat ihren Beichtvater gerufen, um über Mystisches zu reden: „cupiens quedam
sibi adomino reuelata mecum conferre secrete“ [LM I, 90; um sich mit mir über
Dinge auszusprechen, die ihr der Herr offenbart hatte]. Aber im Folgenden wird
nicht ausbuchstabiert, worin die Offenbarungen bestanden haben, die Caterina
so dringend beichten möchte. Stattdessen tritt an die Stelle der Darstellung der
Offenbarung nun die Vision, die der Stimme Caterinas ein Gesicht gibt. Erneut
kommt es hier also zu einer Substitution: In der Vision wird nicht nur eine

116 Vgl. Kap. II, 2.1.


117 Vgl. Walker bynum: Women’s Stories, Women’s Symbols, S. 41.
142   Caterinas Stimme

Umkehr in Bezug auf das Geschlecht inszeniert, sondern vor allem eine Umkehr
der Rede durch eine rhetorische Figur, der Prosopopoiia:

Dumque sic cogitans infaciem loquentis intenderem, subito facies eius transformata est
infaciem uiri barbati, qui me fixis oculis intuendo nimium terruit. Eratque facies oblonga
etatis medie non prolixam habens barbam coloris triticei magestatemque perferens in
aspectu, ex qua se manifeste dominum ostendebat nec aliam protunc ibi faciem discernere
poteram preter illam.
(LM I, 90)

Und während ich darüber noch nachdachte, fiel mein Blick auf das Gesicht der Sprechen­
den, das mir plötzlich verändert schien: es war das Angesicht eines bärtigen Mannes,
dessen Augen mich durchdringend anschauten. Ich erschrak. Ja, das war das Antlitz eines
Mannes, länglich und von einem knappen Bart umrahmt, der die Farbe reifen Korns besaß.
Der Mann mochte in mittlerem Alter stehen, und seine Erscheinung war von solcher Majes­
tät, daß es sich ganz offensichtlich nur um den Herrn handeln konnte! Das Gesicht Cateri­
nas sah ich nicht mehr.

Hinter der Vision, die der Stimme Caterinas das Gesicht von Christus leiht, ver­
schwindet das Gesicht Caterinas. In der Vision von der engelhaften Braut hinge­
gen wird der sprachliche Akt bezeichnet und zurückgeholt in die Figuration von
Weiblichkeit. Mit der sponsa und dem bärtigen Gesicht hat also Caterinas Rede
zwei Gesichter bekommen. Was sie sagt, wird in der Vision von ihrem Gesicht als
Christus nicht zitiert, in der Vision jedoch, in der ihr Gesicht das Gesicht einer
Braut ist, verselbstständigt es sich zu einer Stimme, die über die Macht verfügt,
die Verhältnisse umzudrehen, wenn die Redehaltungen vertauscht werden. Mit
der Verschiebung von männlichem Gesicht zum Gesicht der sponsa wird folglich
sowohl eine Umkehr der Geschlechter als auch eine Verschiebung innerhalb der
Ordnung des Sprechens erreicht: Ist in der Christus-Vision Caterinas Sprechen
männlich figuriert, so in der zweiten Visionsschilderung der Braut weiblich.
In den Redeordnungen zeigt sich, dass die Differenz der Geschlechter figurativ
inszeniert und überschritten werden kann.
Die verschiedenen Sprecherrollen ermöglichen also auch die Ausgestal­
tung der unterschiedlichen Geschlechterrollen. Als Figur im Text kann Caterina
jeweils mit dem Geschlecht ausgestattet werden, das die Vita ihr durch rheto­
rische Operationen ermöglicht. Die Inversion der Adressierungen geht einher
mit Rede­figuren, die den Geschlechtern Gesichter geben: Caterina mit Bart, der
Beichtvater als Braut, die sie jeweils als das eine oder andere Geschlecht ‚erschei­
nen‘ lassen, ohne dass sie jedoch mit dem einen oder mit dem anderen Gesicht/
Geschlecht zur Deckung kommen würden.
Eine solche Redefigur wird auch da bemüht, wo Caterina sich selbst benennt.
In der Inszenierung des Namens von Caterina kommen Stimme und Schrift
 Figuration der Stimme   143

zusammen, wenn der Name ausgerechnet in Caterinas Gesicht erscheint: „‚[…]


Ego sum Katerina de Senis, sicut apparet in facie mea.‘“ [LM II, 372; ‚[…] Ich bin
Caterina von Siena – auf meinem Gesicht steht es geschrieben.‘] Das Gesicht als
Figur der Stimme ist der Name und letztlich die Vita selbst. Der Name ist eine
Schrift, der die Stimme verdeckt. Die Einschreibung des Namens in den Text ist
zugleich Schrift auf dem Gesicht als die Figuration dieser Stimme. Damit erweist
sich die Lebensbeschreibung der Heiligen als Selbstthematisierung des komple­
xen Zusammenhangs von Schrift und Stimme wie auch von Körper und Schrift.
Der im Gesicht der Heiligen erschienene Name verweist nicht nur auf die Identität
der Benannten, sondern markiert das Gesicht als Ort von Schrift. Sprechen und
Körper, Stimme und Schrift kommen an diesen Punkt zusammen und überlagen
sich. War in den bisher dargestellten Visionen jeweils die Identität Caterinas
durch die Vision verdeckt worden (Caterina wird figuram aliam bzw. ihr Gesicht
lässt sich nicht mehr erkennen: nec aliam protunc ibi faciem discernere poteram
preter illam), bringt hier die Vision gerade ihr Gesicht als Ort der Identifizierung
und Einschreibung des Namens hervor. Entscheidend ist, dass während in den
anderen Visionen die Gesichter nicht gesprochen haben, dieses Gesicht sich
selbst spricht: „Ego sum“. Die Sprecherrolle hat also ein Gesicht bekommen, das
der Ort einer Signatur, der kryptischen Einschreibung des Namens einer Autorin
ist.
Die Figürlichkeit wird also an solchen Stellen sichtbar. Verborgen wird sie
hingegen durch etymologische Begründungszusammenhänge, wie sie der Erzäh­
ler für den Namen der Heiligen anführt und damit das Gattungsschema bedient:

Postremo subiungebatur in uerbo Johannis pro fundamento huius prologi assumpto: ‚Et
cathenam magnam in manu sua.‘ Quod ut prius ad nostrum propositum per quid nominis
declaremus: quid mirum, si habebat Catherina cathenam? Numquid non illa duo nomina in
uoce concordant? Katerina et enim si cum sincopa dixeris, cathenam habebis, et si cathene
unicam superinserueris sillabam, Katerine nomen recipies.
(LM Prolog I, 10)

Zum Schluß wird dem Vers des Johannes, den wir als Grundlage für unseren Prolog genom­
men haben, hinzugefügt: ‚Und hatte eine große Kette in seiner Hand.‘ Um das erklären zu
können, erst einmal etwas zu unserem Thema: was bedeutet der Name ‚catena‘ (= Kette)?
Was Wunder, wenn Caterina eine Kette hatte? Stimmen denn diese beiden Worte nicht im
Klang überein? Wenn du nämlich Caterina mit einer Synkope aussprichst, erhältst du das
Wort ‚catena‘, und wenn du dem Wort ‚catena‘ eine einzige Silbe hinzufügst, wird daraus
Caterina.

In dieser für die légendes hagiographiques des Mittelalters üblichen Art und
Weise, den Namen des Heiligen etymologisch herzuleiten, war auch Jacobus de
Voragine vorgegangen, als er die Hl. Katharina einführte: „Vel Catherina quasi
144   Caterinas Stimme

catenula; ipsa enim sibi per bona opera quandam catenam fecit, per quam usque
ad coelum adscendit.“ [Oder Katharina ist gesprochen catenula, das ist eine Kette,
darum daß sie aus ihren guten Werken gleichsam eine Kette hat gestricket, daran
sie bis zum Himmel mochte emporsteigen.]118 Die Homophonie, die zwei Wörter
durch ihren Klang miteinander verbindet (catena / Catarina / Catherina), zielt auf
die Übereinstimmung von Signifikat und Signifikant: duo nomina in uoce concor-
dant. Über diese Reflexion der Zeichen hinaus beinhaltet die figürliche Ebene des
Textes jedoch die Möglichkeit, von noch etwas ganz anderem zu handeln. Von
der Frage nämlich, wie es möglich ist, überhaupt eine Stimme in einen Text zu
übersetzen.

3.3 figuram figurando

Insbesondere dann, wenn in die Vita ein Ausschnitt aus Caterinas Dialogo, somit
in ihre Lebensgeschichte ein weiteres Schriftstück eingefügt wird, lässt sich die
Frage nach der Stimme im Text nochmals stellen. Die Vita zitiert demnach nicht
nur das Leben, sondern einen Text, der nun wiederum, als récit im récit, die Frage
nach dem Status der Vita als Text über die Heilige noch einmal aufwirft. Stellt
sich an dieser Stelle heraus, dass die Vita nie etwas anderes war als der Rahmen
und nicht die Verschriftlichung des Lebens einer Heiligen? Ist die Vita die
Rahmung einer Schrift, die selbst nicht die Schrift Caterinas ist, aber ein durch
ihren Mund gesprochener Text, der wie die Textreliquie von der Vita umrahmt
wird? Das Kapitel, in das der Text eingefügt wurde, beginnt mit der Erinnerung
an die Schreibsituation. Es wird das oben schon genannte Diktat erwähnt, mittels
dessen Caterina im Zustand der Ekstase ihre Offenbarungen ihren Schreibern dik­
tiert:

Vnde circa biennium ante transitum eius tanta claritas ueritatis sibi diuinitus est apperta,
quod coacta est ipsam per scripturam effundere ac scriptores suos rogare […], quod, cum
inextasi positam eam sentirent, ad scribendum essent parati, quitquid abore ipsius audi­
rent.
(LM III, 349)

Ungefähr zwei Jahre vor ihrem Tod wurde ihr die Wahrheit so deutlich offenbart, daß sie
nicht anders konnte, als sie in einen Text zu fassen. Deswegen bat sie ihre Schreiber […],
sich während ihrer Ekstasen bereitzuhalten und all das niederzuschreiben, was sie sagte.

118 Jacobi a Voragine: Legenda aurea, S. 789. Übersetzung: Jacobus de Voragine: Legenda


aurea, S. 704.
 Figuration der Stimme   145

Das Zitat wird damit begründet, dass am Ende der Vita ihre Voraussetzungen
genannt werden sollen. Der Beichtvater bemüht den Begründungszusammen­
hang, der nicht, wie der Behauptung der Gattung nach, in den Taten der Heili­
gen, sondern in ihrem Text liegt: „Jn cuius quidem libri [Il dialogo, C. W.] ultimo
duo ponuntur, que judicaui fore perutile hic inserere […]. Nec ab re forsitan hic
hec duo ponuntur, quia motus est naturalis condicio infine intendi.“ [LM III, 349;
Das Buch endet mit zwei Kapiteln, von denen ich glaube, daß es sich sehr lohnt,
sie hier einzufügen […]. Es ist vielleicht nicht unpassend, wenn ich diese beiden
Kapitel hier einflechte, denn es entspricht dem natürlichen Trieb, die Vorausset­
zung am Ende zu bedenken.] Das Hin und Her zwischen den beiden Textebenen
erfolgt als Übertragung (transferam), zu der eine zweite Übertragung, nämlich das
Übersetzen aus dem volgare ins Lateinische, hinzukommt (de uulgari transtuli in
Latinum). Die Beteuerung der Worttreue im Vorgang des Übersetzens macht deut­
lich, dass dafür Übertragungsprozesse vollzogen werden: „transferre de uerbo ad
verbum“ [LM III, 350; wortwörtlich […] übersetzen]. Die doppelte Übertragung,
also eine zweifache Metapher, erzeugt eine Differenz der Schriften, durch die
jedoch nicht ihre Übereinstimmung zutage tritt, sondern sich im Gegenteil zeigt,
wie groß der Abstand zwischen ihnen ist.
Der mystische Text aus dem Mund der Heiligen hebt sich von der histori­
sierenden Darstellung der Heiligkeit deutlich durch seine Figürlichkeit ab. Die
Referenz der Vita führt nun nicht mehr auf eine historische Person aus Fleisch
und Blut, sondern auf eine Stimme im Text zurück, die als Stimme der Seele im
Dialog mit Gott inszeniert wird. In diesem Dialog – „‚commedia dell’anima“119 –
inszeniert Caterina das Gespräch zwischen einer göttlichen und einer irdischen
Stimme bzw. ihrer Seele. Durch Gottes Stimme wird diese Seele adressiert als
„dilectissima et karissima filia“ [LM III, 351; geliebte und teure Tochter]. Und
von derselben Sprecherinstanz wird das Ich mit der Wahrheit (doctrina uerita-
tis) ausgestattet: „‚Jsta ergo in ueritate induaris, dilectissima et dulcissima filia.‘“
[LM III, 354; ‚Damit bekleide dich, geliebte und teure Tochter, in Wahrheit.‘] Als
Figur der sprechenden Seele antwortet die liebste Tochter. Dabei wird der mysti­
sche Topos der Spiegelung im Anderen als Möglichkeit für die unio mystica, der
Einheit der Seele mit Gott, aufgerufen: „cum ineffabili desiderio speculando se in
diuina maiestate“ [LM III, 354; spiegelte sie sich mit unaussprechlichem Verlan­
gen in der göttlichen Majestät].120

119 de Sanctis: Storia della letteratura italiana, S. 114.


120 Die unio mystica gilt als ‚einheitliches‘ Kriterium für die Bestimmung der Mystik. Vgl. Su­
sanne Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungs­
feld von Latein und Volkssprache, Tübingen, Basel 1993, S. 30.
146   Caterinas Stimme

Die darauf folgende Rede leitet eine Reihe von Apostrophen ein, durch die
zunächst Gott als Vater, später als „trinitas eterna“ adressiert wird: „O trinitas
eterna! O deitas“ [LM III, 356; O ewige Dreifaltigkeit! O Gottheit!] Die Figur der
Invokation, „generative force of lyric“121, generiert hierbei die mystische Rede,
die der Dichtung immer ähnlicher wird. Denn der in der deutschen Überset­
zung des Dialogo von Urs von Balthasar mit „Schlußgebet“ überschriebene
Textteil verdichtet eine Reihe von Metaphern: Licht des Glaubens (lumen fidei),
Hand der Liebe (manus amoris), tiefes Meer (mare profundum), finsterer Körper
(corpor tenebroso), Trunkenheit der Seele (modo inebries animam meam), Spiegel
(speculum).122 Durch Apostrophen, Wiederholungen und Bilder wird der einge­
fügte Text zu „chants mystiques“123. Der Text im Text führt den auf das Dogma
gerichteten Inhalt der Legende auf eine sinnliche Ebene, wenn die Rhetorizität
der mystischen Rede auf ästhetische Erfahrung und Sinnlichkeit, nicht auf Wahr­
heit zielt.124 Im Versuch der Verführung rückt die mystische Rede in die Nähe des
Fabelhaften, des Fabulierens und damit der poetischen Rede. Als fable mystique
solidarisiert diese sich mit einem analphabetischen Sprechen, das nicht zum
Bestandteil der Archive gehört und das Certeau, wie bereits eingangs erwähnt,
als die abseitige Rede „à la femme, aux illettrés“125 bestimmt hatte.
Explizit wird in der zitierten Passage die Figuration der Rede auch als solche
kenntlich gemacht und als das dem Text zugrunde liegende Verfahren genannt:
„figuram figurando“ (LM III, 352). Die mystische Rede figuriert die mystische
krypta, in die die Mystikerin eingeschlossen bleibt. So in der Rede von Gott, der
die Seele, die er adressiert, mit folgendem Vorsatz versieht: „ne egrediaris de
cella cognicionis tui ipsius“ [LM III, 354; daß du nicht aus der Zelle der Selbst­
erkenntnis heraustrittst]. Die Figuration des Einschlusses, die mit dem Bild der
Zelle der Selbsterkenntnis bezeichnet wird, kennzeichnet den Ort der Mystikerin
als Ort ihres Selbst und ihrer Rede. Denn alle Rede vollzieht sich als Rhetorik: im
Kleid der Wahrheit (in ueritate induaris). Die Spiegelung in der göttlichen Majes­
tät, die aufgerufene Ebenbildlichkeit (ad ymaginem tuam), ist damit auch Spie­
gelung ihrer Rede, das auf Gott gerichtete Begehren (ineffabili desiderio) somit
zugleich Begehren nach derselben figürlichen Kraft. Auch die Seelenrede wird

121 Jonathan Culler: The Pursuit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction, London u.  a.
1981, S. 149.
122 Vgl. Caterina von Siena: Gespräch von Gottes Vorsehung. Eingeleitet von Ellen Sommer-
von Seckendorf und Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1994 (Lectio spiritualis, 4). Zur mysti­
schen Metaphorik vgl. Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit, S. 64  ff.
123 De Certeau: La fable mystique, S. 10.
124 Vgl. Largier: Die Kunst des Begehrens, S. 15  f.
125 De Certeau: La fable mystique, S. 24. Vgl. Kap. III, 1.
 Figuration der Stimme   147

folglich zu figürlicher Rede und in dieser Figuralität als solche markiert ebenfalls
zum umhüllenden Kleid der Wahrheit: „uestimentum cooperiens meam nudita­
tem“ [LM III, 357; Du Kleid, bedeckst meine Nacktheit]. Die Süße (dulcedine) der
Wahrheit ist ein Effekt der Schrift, der durch die figurative Macht verhüllt, was
sie begründet.
Die Apostrophe zeigt dabei, wie Erkenntnis figurativ vollzogen werden kann.
Christliche Wahrheit und antike Rhetorik stehen sich in der mystischen Rede
Caterinas nicht als Gegensätze gegenüber,126 sondern Erkenntnis (illuminatio,
cognoscere) wird zum figurativen Prozess. Die Deutung des Textes durch den
Beichtvater verdeckt diesen Vorgang, wenn er die Inszenierung auf die doctrina
ueritatis reduziert: darauf nämlich, dass Caterina hierin von nichts anderem spre­
chen würde als von ihrer Sehnsucht, endlich von ihrem Körper befreit zu werden,
um bei Christus zu sein. Die Rede der Mystikerin, ausdrücklich nochmal als Rede
des sexu femineo benannt, wird in das Schema der Legende eingepasst, sodass
von der Rhetorizität der Verführung nichts bleibt als von Anfang an ein Wunsch
nach ihrem eigenen Ende: „ad nupcialem spiritus vnionem relicto corpore tran­
seundo“ [LM III, 359; und sie ihren Körper hinter sich ließ, um sich zu ihrer geisti­
gen Hochzeit aufzumachen]. Das Spiel mit den rhetorischen Figuren, den Zitaten
und Sprecherrollen, die die Legenda Maior auszeichnet, wird durch die erzählte
Geschichte von Anfang bis Ende überlagert: der Geschichte eines einfachen Mäd­
chens, das zur Heiligen auserwählt wird. Das hermeneutische Narrativ ist das
Resultat einer komplexen Inszenierung sprachlicher Akte, bei denen sich die
Textrede durch Intertexte, d.  h. durch die Beziehung zu vorausgehenden Texten
speist. Die Stimme der Heiligen ist damit immer auch schon eine andere Stimme,
die der Vita eingeschrieben wird und als Prozess des figuram figurando entschlüs­
selbar wird.127 In der Legenda Maior erweisen sich die Bedingungen des Heiligen
als Bedingungen der Rede, die die Geschichte einer irdischen Jungfrau, die auf­
grund ihres fragilen Geschlechts zu Wundertaten von Gott auserwählt worden ist,
erzählbar machen. Der hermeneutische Rahmen der Heiligenvita ist die Voraus­
setzung für die Darstellung der Rede der Mystikerin und dafür, diesem anderen
Liebesdiskurs eine Bühne (scène) zu erschaffen.
Die Heiligenvita dient somit nicht nur der Darstellung des Weges der Heiligen
zu Gott, der zur Imitation einlädt, sondern auch der Inszenierung einer Stimme,
einer Rede, die jedoch immer schon Sprache der Anderen ist. Das Paradox einer

126 Vgl. Haug: Antike Rhetorik und christliche Ästhetik, S. 24.


127 Vgl. C. W.: Die Stimme des Heiligen. Konversion bis Hysterie. In: Medien des Heiligen,
Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (Hrsg.): Archiv für Mediengeschichte 15
(2015), S. 155–163.
148   Caterinas Stimme

analphabetischen Wissenden hat den Raum für die Aporien und Überkreuzun­
gen einer Rede geöffnet, die am Anfang der Verschriftlichung des Italienischen
den Widerstreit zwischen Stimme und Schrift sichtbar macht. Caterina als „prima
vera scrittrice italiana in volgare“128 ist Autorin und Figur, an der sich durch die
Inszenierung ihrer Rede Wissen und Nichtwissen, Stimme und Schrift überkreu­
zen. Im Diskursgeflecht des Trecento sind auf diese Weise die Voraussetzungen
des theologischen Rahmens markiert worden, die nicht zufällig auch hier eine
Stimme ins Spiel gebracht haben, die einer weiblichen Figur zugeschrieben
worden ist. Die Legenda Maior hat damit an einem anderen Liebesdiskurs mitge­
schrieben: am Liebesdiskurs eines selbstlosen Sprechens, der den theologischen
Rahmen, von dem er umspannt wird, gleichzeitig überschreitet.

128 Ferroni: L’io e gli altri nelle Lettere di Caterina da Siena, S. 139.


IV Lauras Rede
E ’n mezzo ’l cor mi sona una parola
Di lei
(Rvf 361, 11–12)1

Petrarca wurde als Begründer eines neuen Liebesdiskurses bezeichnet, weil er


nicht die Dame, wie noch in der Liebesdichtung vor ihm, sondern sich selbst
ins Zentrum rückt.2 Folgt man dieser Beobachtung, nimmt Petrarca sogar die
Rolle eines „fondateur de discursivité“3 an: als Wegbereiter eines „neuzeitlichen
Selbstverständnisses“4 oder als derjenige, der den „erkenntnistheoretische[n]
Subjektivismus eines Descartes oder Kant […] auf den Weg gebracht“5 hat. Die
Bilanz der Forschung in Bezug auf die diskurs­begründende Funktion Petrarcas
resultiert aus der Beobachtung einer neuen, für das Mittelalter undenkbaren
Ichbezogenheit. Damit spricht viel dafür, dass ­Petrarca ein Subjekt geschaffen
hat, dessen Darstellung affektiver Gefühls­zustände zum Modell für die kom­
mende Dichtung geworden ist. Mit dieser Inauguration einher geht der Verlust
der Transzendenz, der von Petrarca als Trauer, gleichwohl aber auch als Genuss
stilisiert wird. Zum Zentrum hat Petrarca ein Ich gemacht, das sich selbst an den
Ort des Verlusts um den Tod Christi projiziert.6 Die Tränen des Ich, die im Can-
zoniere vergossen werden, können als Ausdruck eines neuen Verhältnisses zum

1 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­
sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Aus-
gabe.
2 Vgl. Gerhard Regn: „Allegorice pro laurea corona“. Dante, Petrarca und die Konstitution
postmittelalterlicher Dichtungsallegorie. In: Romanistisches Jahrbuch 51 (2000), S. 128–152,
S. 143: „Nicht die Dame steht im Zentrum dichterischer Rede wie noch bei Dante, sondern der
Dichter selbst.“
3 Regn: „Allegorice pro laurea corona“, S. 129. Vgl. Michel Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur?
In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 1: 1954–1975. Hrsg. von Daniel Defert/François Ewald,
Paris 2001, S. 817–849, S. 832. Vgl. Michel Foucault: Les mots et les choses, Paris 1966.
4 Andreas Kablitz: Petrarcas Lyrik des Selbstverlusts. Zur Kanzone Rvf Nr. 360  – mit einem
Exkurs zur Geschichte christlicher Semantik des Eros. In: Geschichte und Vorgeschichte moder­
ner Subjektivität. Hrsg. von Reto Fetz/Roland Hagenbüchle/Peter Schulz, Berlin, New York
1998, S. 567–611, S. 567.
5 Michael Bernsen: Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter. Eine Untersu­
chung zum Diskurswandel der Liebesdichtung von den Provenzalen bis zu Petrarca, Tübingen
2001 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 313), S. 319.
6 Vgl. das Proömialsonett des Canzoniere „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono“ und die darin
formulierte Programmatik.
150   Lauras Rede

eigenen Selbst und zur Welt gelten.7 Dieser Moment der Entdeckung des Sub­
jekts wurde einerseits als gesteigerte Selbsterfahrung eines neuen Menschentyps
identifiziert,8 andererseits als „theologia crucis“ gelesen, bei der das Leiden des
Subjekts „in der Nachfolge der passio Christi“ steht.9 Die Epochensignatur fällt
mit der Ambivalenz eines Sprechers zusammen, der sich als von Gott abgefallen
erkennt und aus dieser Situation einen Ausgang suchen muss. Vor diesem Hin­
tergrund bezieht man die Verfassung des Ich, die mit paradoxen Bildern wie der
Süßigkeit des Schmerzes, der glücklichen Qual oder dem wohltätigen Gift zum
Ausdruck gebracht wird, auf diese paradoxe Struktur, die vom ersten bis zum
letzten Gedicht des Canzoniere, den Rerum vulgarium fragmenta, durchbuchsta­
biert worden ist. Damit sieht es so aus, als habe Petrarca durch die Zentrierung
auf den Sprecher eine Dichtung und mit ihr einen modernen neuen Menschentyp
erfunden, in der das antike dulce malum Ovids als ästhetischen Dauerzustand in
jedem Sonett neu und vor dem Horizont christlicher Vorstellungen anders kon­
stituiert wird.10 Selbst dann wenn seine Lyrik im Horizont des Selbstverlustes
gelesen wird,11 wird sie der Episteme der Renaissance implizit zugeordnet, inso­
fern als auch noch in der Negation des Sprechers die Möglichkeit zur diskursiven
Selbstbegründung liegt.
Die für diese epistemologische Situierung gezogenen Schlüsse gehen auf
­Petrarcas Canzoniere zurück, in dem sich der Sprecher als Zentrum stilisiert hat.
Auch wenn sich dieses Ich erst nach und nach und vor allem im Rezeptionsver­
lauf als das konstituiert, als das wir es heute sehen, benötigte der Liebesdiskurs
allerdings von Anfang an ein Gegenüber, eine zweite Instanz, die Figur der Laura.

7 Vgl. Barbara Vinken: Tränen zum Leben, Tränen zum Tode. Katharina von Siena, Petrarca,
Boccaccio, Theresa von Avila, Zola. In: Tränen. Hrsg. von Beate Söntgen/Geraldine Spieker­
mann, München 2008, S. 17–25, S. 20  f.
8 Karlheinz Stierle: Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts,
München, Wien 2003. Vgl. Raymond Klibansky/Erwin Panofsky/Fritz Saxl: Saturn and Me­
lancholy. Studies in the History of Natural Philosophy, Religion and Art, London 1964, S. 248  ff.
Auch: Karlheinz Stierle: Petrarca-Studien. Heidelberg 2012. (Schriften der Philosophisch-his­
torischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 48), S. 26 und S. 355. Das
Moment der Selbsterfahrung wird in eine ganze Reihe von Selbstbezügen gestellt: „Selbstver­
lust“, „Selbstzerrissenheit“, „Selbstentfremdung“, „Selbstgenügsamkeit“.
9 Andreas Kablitz: Laura und die alten Mythen. Zum Verhältnis von antikem Mythos und
christlicher Heilsgeschichte in Petrarcas Canzoniere. In: Petrarca-Lektüren. Gedenkschrift für
Alfred Noyer-Weidner. Hrsg. von Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn, Stuttgart 2003, S. 69–96,
S. 78.
10 Vgl. Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 164 sowie
auch S. 183  ff.
11 Vgl. Kablitz: Petrarcas Lyrik des Selbstverlusts, S. 572  ff.
 Lauras Rede   151

Seine Begegnung mit der historischen Laura datiert Petrarca auf den Karfreitag,
um sie damit – für seine Lieder – als eine Figur zu markieren, die durch ihre Ent­
zogenheit gekennzeichnet ist: Imaginiert sich der Sprecher an den Ort christlicher
Trauer, so wird die Geliebte an den Ort des entschwundenen corpus Christi pro­
jiziert. Sie wird zum Idol stilisiert, zum engelhaften Wesen, das für den Sprecher
unerreichbar ist, auf das es jedoch sein ganzes Sehnen und seine nicht endende
Trauer richten kann. Laura wurde daher als Spiegelfigur dieses Ich interpretiert,
durch die dieses zu sich selbst und die Dichtung zu einer neuen poetischen Kraft
finden kann. Was geschieht jedoch in dem Moment, in dem das Idol beginnt,
sich zu verselbstständigen und zwar ausgerechnet durch das, was die Dichtung
begründet, nämlich Gesang? Müsste dann nicht die diskursive Begründungskraft
Petrarcas neu befragt werden?
Die Datierung eines Bruchs innerhalb der Subjektgeschichte, die die Petrarca-
Kritik wiederholt vorgenommen hat, kann diskutiert werden, wenn der Blick vom
Ich auf sein Gegenüber gerichtet wird, um von dort aus den Canzoniere noch
einmal zu lesen. Anstatt also den Text vom lyrischen Subjekt aus zu untersuchen
und demzufolge von dessen Liebe zu Laura, soll umgekehrt der Blick von Laura
aus auf den Sprecher geworfen und damit nach der Funktion ihrer Liebe zum Ich
sowie nach dem dadurch veränderten Liebesdiskurs gefragt werden.
Die Lektürerichtung zielt wie in den vorangegangenen Kapiteln darauf, den
Text von der weiblichen, an zentraler Stelle zwischen dem Irdischen und dem
Göttlichen situierten Figur und ihrer Stimme zu perspektivieren. Das ist auch
in Bezug auf die Gattung Lyrik ungewöhnlich, insofern als dass sich zwar der
Sprecher als „problematisches Subjekt“12 erwiesen hatte, an diesem als Instanz
aber beharrlich festgehalten wird. Die Fokussierung der Stimme könnte also auch
Fragen zur Gattung neu ins Spiel bringen. Worum es in diesem Kapitel jedoch
in erster Linie geht, ist auch für Petrarca die Bestimmung einer Stimme, die an
der Sprechsituation beteiligt ist, deren konstitutive Funktion durch das lyrische
Subjekt verdeckt wird. Denn nicht nur das Ich erfindet sich als Gegenstand des
Sprechens, auch das von diesem erfundene Gegenüber, Laura, beginnt zu spre­
chen und zu singen. Durch ihre Rede kann in der Schrift des Textes eine zweite
Stimme vergegenwärtigt werden. Mit einem solchen der Dichtung eingelagerten
Sprechen setzt sie eine Rede fort, die sich bei Dante hatte identifizieren lassen.
Das aber heißt, dass der Canzoniere eine zweite, verborgenere Geschichte (mit-)
schreibt, die nicht die his-story der Brüche und Überbietungen ist, sondern her
story: das Fortschreiben einer unerhörten Stimme. Diese Stimme läuft jedoch

12 Karlheinz Stierle: Die Identität des Gedichts. Hölderlin als Paradigma. In: Poetik und Her­
meneutik. Bd. 8: Identität. Hrsg. von Ders., München 1979, S. 504–552, S. 520.
152   Lauras Rede

Gefahr, durch die Fokussierung auf den Sprecher zum Verschwinden gebracht zu
werden und ist (deshalb) von der Forschung bisher kaum ‚gehört‘ worden. Ohne
sie jedoch wäre der Canzoniere nicht zu dem geworden, was er ist: zum Text eines
Autors, den man zum Begründer eines neuen Diskurses erklärt hat.

1 Wessen Lorbeer?

In einem Brief an Giacomo da Colonna beschreibt Petrarca seine Laura als eine
„mulier clarissima“13, die durch seine Verse zu Ruhm gekommen ist. Schon durch
Petrarcas eigene Interpretation werden Lorbeer und Laura nicht nur zugunsten
des Dichterruhms, sondern auch für Lauras Ruhm aufeinander bezogen. Dass wir
von Laura wissen, verdanken wir dem Canzoniere, durch den Laura als lauro zur
Chiffre des Ruhms und als persona von unerreichbarer, vollkommener Schön­
heit zum Gegenstand für eine große Liebesgeschichte der Dichtung geworden
ist. In Laura überkreuzen sich Lorbeer und Verse; durch diese Überkreuzung ist
sie in der Welt zu Ruhm gekommen. Die Aussage des Briefes korrespondiert mit
einer Behauptung des Sprechers Francesco im Secretum: „me, quantulumcun­
que conspicis, per illam esse“ [Sec. III, 16; So klein du mich hier auch vor Augen
hast – was ich bin, bin ich nur durch sie.]14. Es ist nicht nur so, dass Laura durch
Petrarca berühmt geworden ist, auch Laura hat ihren Dichter zu Ruhm geführt.
Die gegenseitige Spiegelung scheint vollkommen und eine Verwandlung des Ich
in Laura stets möglich: „Quidni enim in amatos mores transformarer?“ [Sec. III,
16; Denn wie hätte ich nicht die Sitten meiner Geliebten annehmen sollen?] John
Freccero hat in diesem Zusammenhang von einer „mirror relationship Laura-
Lauro“15 gesprochen: „the poetic lady created by the poet, who in turn creates
him as poet laureate.“16 In dieser Interpretation ist Laura eine Spiegelung des Ich,
das sich selbst in seiner Dame als gekrönter Dichter reflektiert. Die Interpretation

13 „Est michi post animi mulier clarissima tergum / Et virtute suis et sanguine nota vetusto, /
Carminibusque ornata meis auditaque longe.“  [Meinen Geist verfolgt eine herrliche Frau, da­
heim durch Tugend und alten Adel bekannt, durch meine Lieder aber verherrlicht und weithin
berühmt.] (Francesco Petrarca: Epistulae Metricae. Briefe in Versen. Hrsg., übers. und erläu­
tert von Otto Schönberger/Eva Schönberger, Würzburg 2004, I, 6, 37–39)
14 Francesco Petrarca: Secretum meum. Mein Geheimnis. Lateinisch  – Deutsch. Hrsg.,
übers. und mit einem Nachwort von Gerhard Regn, Mainz 2004 (Excerpta classica XXI). Ich
zitiere im Folgenden nach dieser Ausgabe und Übersetzung.
15 John Freccero: The Fig Tree and the Laurel. Petrach’s Poetics. In: Diacritics 5 (1975), S. 34–
40, S. 37.
16 Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 37. Auch John Freccero: Dante. The Poetics of
Conversion. Hrsg. von Rachel Jacoff, Cambridge, Mass. 1986, S. 132.
 Wessen Lorbeer?   153

von Freccero hat damit die epistemologische Relevanz Petrarcas auf eine Verän­
derung der Zeichenstruktur zurückgeführt und dabei auf ein Problem der dieser
Struktur aufmerksam gemacht: Die Beziehung zu Laura bedeutet nach Freccero
eine Veränderung des Zeichenbegriffs des sensus spiritualis: Anstatt dass die
Zeichen allegorisch über sich hinaus und damit letztlich auf Gott verweisen,
zeigen sie jetzt auf sich selbst.17 Die gegenseitige Verwiesenheit von Laura und
Petrarca konstituiert eine Semiotik, bei der selbstreferentielle Zeichen die alle­
gorischen Zeichen, als Zeichen, die auf Gott verweisen, ablösen. Anders als der
Feigenbaum – the fig tree –, unter dem die Bekehrung des Augustinus in Mailand
stattfand, verweist der Lorbeerbaum – the laurel – auf Laura und somit wie­derum
auf den von Lorbeer gekrönten Dichter zurück.18 Diese Beobachtung eines sol­
chermaßen veränderten Zeichengebrauchs, durch den sich die Zeichen nicht
mehr auf Gott, sondern auf Laura richten, ist von epistemologischer Tragweite,
insofern ein alter Zeichengebrauch durch einen neuen ersetzt wird, um auf diese
Weise einen Autor und Laura als seinen Gegenstand hervorzubringen.
Passiert aber nicht noch weit mehr, wenn der Lorbeer, der durch den ver­
wandten Klang Laura / lauro mit Laura zusammenfällt, mit einer Stimme ausge­
stattet wird, wenn also mit anderen Worten Laura nicht nur auf den Ruhm des
Ich verweist, sondern zu sprechen und singen beginnt? Nimmt man all diejeni­
gen Stellen in den Blick, in denen Laura als singend und sprechend dargestellt
wird, wird sichtbar, dass die Stimme des Canzoniere durch eine zweite Rede die
Verselbstständigung der Laura-Figur impliziert. Nicht alle Zeichen verweisen
also auf den Sprecher, sondern sie referieren auch auf diese Stimme, wenn der
Lorbeer mit einer Stimme ausgestattet wird. Diese Stimme vernimmt der Sprecher
in seinem Herzen und kennzeichnet sie als die Stimme Lauras:

E ’n mezzo ’l cor mi sona una parola


Di lei […]
(Rvf 361, 11–12)

Und hör ein Wort im Herzen mir erschallen


Von ihr […]

17 Vinken hat für den politischen Petrarca den Blick auf das Problem der Zeichenstruktur ge­
lenkt. Barbara Vinken: Petrarcas Rom. Tropen und Topoi. In: Poststrukturalismus. Heraus­
forderung an die Literaturwissenschaft (DFG-Symposion 1995). Hrsg. von Gerhard Neumann,
Stuttgart, Weimar 1997 (Germanistische-Symposien-Berichtbände 18), S. 540–556, S. 541  ff.
18 Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 39.
154   Lauras Rede

Dem Sprecher, der den Ton der Gedichte angibt, wird eine zweite Stimme an die
Seite gestellt und auf diese Weise, durch das im Herzen des Ich erklingende Wort,
in den Text eine zweite Redeweise eingeführt. Diese parola wird durch den gesam­
ten Canzoniere hindurch immer wieder hörbar gemacht. Den Dichter trifft also
nicht allein der Blick der Dame, wie in der Tradition der Liebesdichtung des dolce
stil novo, sondern es erklingt in seinem Inneren eine Stimme, die weder seine
eigene noch eine göttliche Stimme ist. Nicht nur die begli occhi, sondern auch eine
angelica voce Lauras hat der Canzoniere hervorgebracht und durch diese Stimme
eine zweite Ebene in die Gedichte eingeführt: Laura ist nicht nur eine Figur, die
gesehen und durch den Blick zum Gegenstand idolatrischer Selbstbezüglichkeit
wird, idolum oder eídolon (griech. ‚Gestalt‘, ‚Bild‘), sondern sie ist darüber hinaus
immer zugleich eine Figur der Stimme, wenn sie selbst singt und spricht.19
Wenn im Folgenden nach dieser Stimme gefragt wird, geht dies mit einer zent­
ralen, methodischen Verschiebung einher: mit einem Perspektivwechsel, der den
Blick vom Ich und seiner Rede auf einen Nebenschauplatz lenkt, der sich indes
als alles andere als nebensächlich erweist. Damit ist nicht die spezifische Sprech­
situation des Ich gemeint.20 Mit der hier untersuchten zweiten Stimme geht es um
eine Position, die in den Text als ein Moment eingeschrieben wird, der nicht zu
diesem Ich gehört. Eine solche Rede konstituiert einen zweiten Text im Text, dem
sie zugehört und von dem wir wissen, dass er entweder nicht mitgesprochen wird
oder wir ihn nur aus der Perspektive des Ich wahrnehmen können. Die Rollen
zwischen Ich und Laura werden vertauscht, bemerkt Marco Santagata mit Blick
auf den zweiten Teil des Canzoniere, Laura in morte. Laura habe in dem Moment,
in dem sie aus dem Jenseits dem Ich erschienen sei, an Autonomie gewonnen.21
Diese Autonomie aber gewinnt Laura dadurch, dass sie zu singen beginnt. Wie
der Gesang der Sirenen, der allem Dichten vorausgegangen ist und der das Lie­
beskonzept, das Petrarca an die europäische Dichtung vererbt, in entscheidender
Weise prägt, hat dieser Gesang die Dichtung konsti­tuiert und kann in Hinblick
auf seine poetologische Funktion befragt werden.

19 Auch die Forschung, die die körperliche Sinnlichkeit Lauras betont, hebt letztlich auf die Vi­
sualität ab. Vgl. dazu Bernhard König: Dolci rime leggiadre. Zur Verwendung und Verwandlung
stilnovistischer Elemente in Petrarcas Canzoniere (Am Beispiel des Sonnets In qual parte del ciel).
In: Petrarca 1304–1374. Beiträge zu Werk und Wirkung. Hrsg. von Fritz Schalk, Frankfurt a. M.
1974, S. 113–138 und Stephan Leopold: Die Erotik der Petrarkisten. Poetik, Körperlichkeit und
Subjektivität in romanischer Lyrik Früher Neuzeit, München 2009, Kap. Lauras Körper, S. 61–88.
20 Vgl. Eva Horn: Subjektivität in der Lyrik. ‚Erlebnis und Dichtung‘, ‚lyrisches Ich‘. In: Einfüh­
rung in die Literaturwissenschaft. Hrsg. von Miltos Pechlivanos, Stuttgart 1995, S. 299–310.
21 Marco Santagata: Il frammenti dell’anima. Storia e racconto nel canzoniere di Petrarca,
Bologna 1992, S. 248.
 Wessen Lorbeer?   155

Nicht immer wissen wir, was Lauras süße Rede ist, auch kennen wir ihre
„opre sante“ [Rvf 287, 14; fromm Betragen] nicht. Die Spuren dieser anderen
Rede und dieses anderen Wirkens haben sich jedoch in den Canzoniere einge­
schrieben. Gerade dasjenige Moment des Textes, das keinen Ort innerhalb der
symbolischen Ordnung hat, scheint in Lauras Stimme hervor. Die nicht zitierte
Rede Lauras ist der Moment, in dem das Nichtgesagte den Text als eine zweite
Liebesgeschichte begründet, die die unglückliche Liebesgeschichte des Subjekts
aufnimmt, spiegelt und umkehrt. Als Gesang im Gesang kündet die engelhafte
Stimme Lauras von einem anderen Text, von einem anderen Canzoniere, durch
den hindurch wir den bekannten Canzoniere noch einmal anders lesen können:
als eine Liedersammlung, die die Einheit eines Ich zwar beansprucht, der jedoch
gleichzeitig Momente eingeschrieben sind, die diese Einheit in Frage stellen und
damit die behauptete Subjektivität noch einmal neu perspektiviert werden kann.

1.1 in vita, in morte

Was Petrarcas Lyrikbuch eine Sonderstellung in der Liebeslyrik des 14. Jahrhun­


derts einbrachte, waren erstens die Behauptung einer Liebe aus Fleisch und Blut
und zweitens ein zeitliches Narrativ, das diese Liebe vom Moment der Begegnung
bis hin zum Tod schildert: als Liebe zum Tod einerseits, aber andererseits über
diesen hinaus als ewige Liebe, um diese Liebe dauerhaft zu machen. In seinem
Brief an Giacomo da Colonna hat Petrarca mit Vehemenz bestritten, Laura letzt­
lich nur seines Ruhms wegen erfunden zu haben und demgegenüber seine wirk­
liche Liebe beteuert:

finxisse me michi speciosum Lauree nomen, ut esset et de qua ego loquerer et propter quam
de me multi loquerentur; re autem vera in animo meo Lauream nichil esse, nisi illam forte
poeticam, ad quam aspirare me longum et indefessum studium testatur; de hac autem spi­
rante Laurea, cuius forma captus videor, manufacta esse omnia, ficta carmina, simulata
suspiria.

Erdichtet hätte ich für mich den wohlklingenden Namen Laura, um etwas zu haben, worüber
ich selber zu reden hätte und dessentwegen die Menge von mir reden würde; in Wahrheit
jedoch sei diese Laura meines Herzens ein Nichts, ausser sie meine vielleicht jenen Dich­
terlorbeer, nach dem ich lechzte, wie eine andauernde, unermüdliche Gier es bezeuge. Und
nur dieses fächelnden Lorbeers wegen, durch dessen Schönheit ich wie gebannt dastünde,
sei all das andere zurechtgemacht, seien die Lieder erdichtet, die Seufzer erheuchelt.22

22 Francesco Petrarca: Le Familiari. Edizione critica. 4 Bde. Hrsg. von Vittorio Rossi, Flo­
renz 2008 (Edizione Nazionale delle Opere di Francesco Petrarca X–XIII), II, 9, 18. Im Folgenden
156   Lauras Rede

Offensichtlich musste die Neuheit des Canzoniere erst behauptet werden, wenn
Petrarca gegen den Vorwurf, nur des Ruhms willen zu dichten, Einspruch erhebt.
Er musste den Text gegenüber dem Einwand, Lüge zu sein, als Wahrheit darstel­
len. Die Verflechtung dieses Anspruchs zeigt auch die Notiz über Lauras Tod, den
Petrarca auf dem Vorsatzblatt seines Vergil-Kodex’, codice di Virgilio, hinterlas­
sen hat.23 Die hier vorgenommene Datierung der Begegnung mit Laura und ihres
Todes erfolgt im Canzoniere in vergleichbar profaner Weise, nämlich ebenfalls
als Datum (vgl. Rvf 211 und 336). Diese Daten bilden die Klammer der Liebes­
geschichte in vita und in morte di Madonna Laura, die auf diese Weise in den
zeitlichen Verlauf einer love story eingepasst wird. Dass die Lebensdaten ausge­
rechnet auf dem codice di Virgilio vermerkt werden, ist aufschlussreich, bringt
sie doch zwei Texte miteinander in eine enge, materielle Beziehung. Man könnte
davon ausgehend behaupten, dass Petrarca dem Codex das Leben Lauras zu dem
Zweck ‚einschreibt‘, sich durch seine Dichtung als neuer Vergil, poeta laureatus,
zu behaupten.24 Das Notieren der Laura-Daten auf dem Codex funktioniert wie
eine Inschrift: Der alte Text wird durch eine zweite Schrift ergänzt, die diesen
durch die neue Geschichte von Laura und dem Ich des Canzoniere kommentieren
oder auch widerlegen könnte.25
Eine solche Inschrift lässt sich funktional auch als Selbstschutz bestimmen.
In diesem Sinn könnte Petrarca seine Notiz gegen den endgültigen Verlust der
Geliebten durch den Tod verfasst haben. Die Erfahrung wird durch Lektüre in
eine zu dulce malum gewordene Erinnerung transformiert. Der Eintrag des Todes­
datums auf der Frontseite ist verbunden mit dem Eintrag, dass er dies alles „amara
quadam dulcedine“26 schreibe, also wiederum im Ton des Bitter­süßen, der den
Canzoniere kennzeichnet. Petrarca aktiviert hierfür eine Reihe von Topoi der Stoa,

zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung ist nach folgender Ausgabe zitiert: Francesco
Petrarca: Familiaria. Bücher der Vertraulichkeiten. 2 Bde. Hrsg. von Berthe Widmer, Berlin,
New York 2005, 2009.
23 Ernest Hatch Wilkins: Vita del Petrarca e la formazione del „Canzoniere“. Hrsg. von Remo
Ceserani, Mailand 1964, S. 107. Übersetzung: Ernest Hatch Wilkins: Life of Petrarch, Chicago
1961, S. 77.
24 Vgl. Ernest Hatch Wilkins: The coronation of Petrarch. In: Speculum 18/2 (1943), S. 155–197;
Hélène Vonner: Dall’Africa alla gloria poetica. Mise en abyme della confessione del deside­
rio terreno. In: Francesco Petrarca. L’opera latina. Tradizione e fortuna. Atti del XVI convegno
internazionale. Chianciano  – Pienza, 19–22 luglio 2005. Hrsg. von Luisa Secchi Tarugi, Flo­
renz 2006, S. 171–182, S. 180. Die Studien stellen jedoch keinen Bezug zwischen Vergilkodex und
Laura­geschichte her.
25 Damit werden die Gründung Roms und der Körper Lauras aufeinander beziehbar. Vgl. dazu
Leopold: Die Erotik der Petrarkisten, S. 81  ff.
26 Wilkins: Vita del Petrarca, S. 107.
 Wessen Lorbeer?   157

die in sogenannten hypomnêmata, Notizbüchern, aufgeschrieben wurden, um


sich vor negativen Affekten zu schützen.27 In gleicher Schutzfunktion richtet sich
der Gebrauch der Notiz Petrarcas gegen die ‚Wirren‘ der eigenen Zeit: „tempus
esse de Babilone fugiendi crebra horum inspectione ac fugacissime etatis esti­
matione commonear, quod, preuia Dei gratia, facile erit preteriti temporis curas
­superuacuas spes inanes et inexpectatos exitus acriter ac uiriliter cogitanti.“ [and
that it is time, now that the strongest tie is broken, to flee from Babylon; and this,
by the prevenient grace of God, should be easy for me, if I meditate deeply and
manfully on the futile cares, the empty hopes, and the unforeseen events of my
past years.]28 Die Praxis der hypomnêmata wird aufgerufen und in die eigene
Gegenwart übertragen. Damit wird deutlich: Petrarca schreibt nicht mehr in einer
tropologischen Zeit der Erfüllung, sondern in der irdischen Zeit, die als unzuverläs­
sig wahrgenommen wird und der durch Notiz und Lektüre beizukommen ist. Der
Laura-Dichtung wird damit eine Funktion zugewiesen, die stellvertretend durch
die Notiz und durch ihre Überschreibung Vergils behauptet wird: Sie besteht in der
Möglichkeit, gegen die Flüchtigkeit der eigenen Zeit einen Text buchstäblich vor
Augen zu stellen – „sub oculis meis“29 – und durch die Erfahrung der Lektüre die
erlittene Geschichte in den bittersüßen Genuss des Lesens zu überführen.
Die Datierung der Liebesgeschichte und ihre Unterteilung in zwei Teile, in
vita und in morte di Madonna Laura, verkürzt allerdings die komplexe, doppelte
Einschreibung auf ihre bloße histoire. Einer solch linearen Logik gegenüber hat
Teodolinda Barolini den Canzoniere als „opra d’aragna“30 identifiziert: Nicht in
gelungener conversio, sondern in einer „transition manquée“31 besteht das Nar­
rativ, das uns Petrarca mit dem Verweis auf das Netz der Spinne überlassen hat.

27 Vgl. Pierre Hadot: Exercices spirituels. In: Ders.: Exercices spirituels et philosophie an­
tique, Paris 1987 (Bibliothèque de l’évolution de l’humanité), S. 13–58. Daran anschließend:
­Michel Foucault: Les techniques de soi. In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 2: 1976–1988.
Hrsg. von Daniel Defert/François Ewald, S. 1602–1632, bes. S. 1605  ff.
28 Wilkins: Vita del Petrarca, S. 107. Übersetzung: Ders.: Life of Petrarch, S. 77.
29 Wilkins: Vita del Petrarca, S. 107.
30 Teodolinda Barolini: Petrarch at the Crossroads of Hermeneutics and Philology. E ­ ditorial
Lapses, Narrative Impositions, and Wilkins’ Doctrine of the Nine Forms of the Rerum Vulga­rium
fragmenta. In: Petrarch and the Textual Origins of Interpretation. Hrsg. von Dies./H. Wayne
Storey, Leiden, Boston 2007 (Columbia studies in the classical tradition 31), S. 21–44, S. 30. Run­
dung und Geschlossenheit des Canzoniere betont demgegenüber Bernhard König: Das letzte
Sonett des Canzoniere. Zur ‚architektonischen‘ Funktion und Gestaltung der ultime rime Petrar­
cas. In: Interpretation. Das Paradigma der europäischen Renaissance-Literatur. Festschrift für
Alfred Noyer-Weidner zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn, Wies­
baden 1983, S. 239–257.
31 Barolini: Petrarch at the Crossroads of Hermeneutics and Philology, S. 27.
158   Lauras Rede

Das Sonett 173 liefert die entsprechende poetologische Referenz auf das Werk der
Spinne, in dem die süßen und bitteren Fäden wie zu einem Netz verflochten sind:

Poi, trovandol di dolce e d’amar pieno,


Quant’ al mondo si tesse, opra d’aragna
Vede […]
(Rvf 173, 5–7)

Wenn sie da Süß und Herbes viel, umsponnen


Ringsum die Welt von Spinnenweben siehet
(Rvf 173, 5–6)

Dieselbe Metapher benutzt Petrarca auch in seinen Briefen, den Familiari. Dort
vergleicht er sich bei der Durchsicht seiner von der Zeit zersetzten Schriften mit
einem Diener der Göttin Minerva, der zum Opfer von Arachne wird:

multa michi scriptorum diversi generis supellex domi est, sparsa quidem et neglecta. Per­
quisivi situ iam squalentes arculas, et scripturas carie semesas pulverulentus explicui.
Importunus michi mus nocuit atque edacissimum tinee vulgus; et palladias res agentem
inimica Palladis turbavit aranea. (Fam. I, 1, 3)

Ein riesiger Vorrat an Schriften mancher Gattung liegt hier im Haus, ungeordnet und unge­
nützt. Durchstöbert habe ich von Schmutz starrende Kästchen, deren Inhalt durch langes
Lagern verrottet ist, und habe – selber von Staub bedeckt – halb vermoderte Papiere aus­
einandergefaltet. Die widerliche Maus hat mich geschädigt, so auch der unersättliche
Schwarm von Motten, und während ich Minerva diente, hat die Feindin Minervas, die
Spinne, mir ein Wirrwarr gestiftet.

Die opra d’aragna ist ein Werk der Zeit, das von der gefräßigen musaranea
bedroht wird.32 Derjenige Text, der gegen die Vergänglichkeit geschrieben ist,
läuft selbst Gefahr, von der Zeit konsumiert zu werden. Die Wiederbegegnung des
Briefschreibers Petrarca mit seiner eigenen Dichtung besteht nicht nur in ihrer
Lektüre, sondern auch in der Entdeckung der Vergänglichkeit der Materialität
der Texte, die von der Zeit zerstört werden.33 Nicht mit, sondern gegen die Zeit
wird er seinen Canzoniere stellen, der alles auf einen Eigennamen – den Namen
Laura – setzt und damit zugleich eine Umschrift des Ruhms vornehmen wird.

32 Ich danke Edi Zollinger für diesen Hinweis.


33 Zu den verschiedenen Kommentierungen dieser „opra d’aragna“ und den biblischen Refe­
renzen vgl. Paolo Cherchi: „Opra d’aragna“ (Rvf, CLXXIII). In: Studi sul canone letterario del
Trecento. Per Michelangelo Picone. Hrsg. von Johannes Bartuschat/Luciano Rossi, Ravenna
2003, S. 135–145, S. 136  f.
 Wessen Lorbeer?   159

1.2 L’aura

Im Canzoniere inszeniert Petrarca den Namen der Geliebten Laura im Wechsel­


spiel zu lauro, sodass der Name der Dame, Laura, und der Lorbeer des Dichters
zusammenfallen.34 Die Wortspiele ergeben sich durch weitere Homophone
wie l’aura, l’oro usw. Damit wird die Lebens- als Liebesgeschichte immer noch
von einer anderen, nämlich semiotischen bzw. phonetischen Struktur ergänzt.
Während die eine Ebene auf den plot zielt, richtet die andere Ebene den Text auf
den Klang, auf das Ohr, aus. Wie Saussure, der in der lateinischen Dichtung bis
zum 16. Jahrhundert verborgene, den Text wie eine zweite Ebene konstituierende
Anagramme bzw. Hypogramme entdeckt hat,35 hatte Petrarca den laut­lichen
Prozess der Gedichte auch über die Versifikation hinaus ausgearbeitet. Man
könnte sagen, dass Petrarca, der sich mit seiner Liedersammlung in Volksspra­
che im medientechnischen Umbruch zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
positioniert,36 mit dem Namen Lauras die Differenz zwischen Stimme und Schrift
markiert. Oder aber er hat, indem er die „seconde façon d’être d’un nom“37 aktua­
lisiert, seine Liedersammlung an die Latinität zurückgebunden. Für Saussure
stand außer Frage, dass das dichterische Verfahren, das er für konstitutiv hielt
und für das er annahm, dass es parallel zu den Dichtungsprozessen der Metri­
sierung und Versifikation verläuft, auf die lateinische Dichtung zurückgeht.
Indem also Petrarca durch das beharrliche phonetische Spiel mit den lautlichen
Ähnlichkeiten des Namens Laura arbeitet, hat er auf ein lateinisches Verfahren
zurückgegriffen. Dies kann nur eine Vermutung bleiben, aber die Tatsache, dass
die Canzoniere-Ausgaben vor der Entscheidung stehen, das Laura-Anagramm
sichtbar zu machen oder nicht, zeigt die Relevanz der Anagrammatik zumindest
für die Rezeption des Canzoniere. Und vielleicht steht dahinter die gleiche Per­
manenz eines „secret de fabrication“38 wie das, das Saussure leidenschaftlich
verfolgt hat.
Petrarcas berühmtestes Beispiel für die Homophonie und ihre Sichtbarma­
chung ist das fünfte Gedicht des Zyklus, insofern hier der Name quer durch den

34 Vgl. Cesare Segre: I sonetti dell’aura. In: Lectura Petrarca 3 (1983), S. 57–78.
35 Jean Starobinski: Les mots sous les mots. Les anagrammes de Ferdinand de Saussure, Paris
1971.
36 Vgl. Florian Mehltretter: Kanonisierung und Medialität. Petrarcas Rime in der Frühzeit
des Buchdrucks (1470–1687). In Zusammenarbeit mit Florian Neumann, Berlin 2009, S. 173.
37 Starobinski: Les mots sous les mots, S. 31.
38 Starobinski: Les mots sous les mots, S. 59.
160   Lauras Rede

Text verläuft: LAU-RE-TA.39 Der im Sonett sichtbar gemachte Name „Laureta“ als
Name für die Herrin setzt im Text noch ein zweites Mal ein, ohne jedoch aus­
geführt zu werden.40 Das seit dem 16. Jahrhundert in den Drucken markierte
Anagramm des Namens der Geliebten steuert frühzeitig den Rezeptionsprozess:
Laura ist Gegenstand der Dichtung wie zugleich der damit verdiente Ruhm:
Laura  – lauro, Name der Dame und Lorbeer des Dichters, werden durch Paro­
nomasie zueinander in Bezug gesetzt. Durch dieses Wortspiel kann Laura also
immer auch in etwas anderes als die Dame übersetzt werden.41 Es ist die Präsenz
des Namens, nicht die Präsenz der Dame, die hier evoziert wird. Wie der Name
von Göttern ist Laura den Gedichten eingeschrieben. Führt dies zur Einheit eines
„Laura-System[s]“42 oder unterläuft nicht gerade das Anagramm die Einheit des
poetischen Textes, die es garantieren soll?
Die Funktion des Namens hat Petrarca im Secretum aufs Genaueste reflektiert
und sie als geheimen Konflikt – „secretum meum“ – zwischen den Gesprächspart­
nern ‚Francesco‘ und ‚Augustinus‘ inszeniert. Die bekannte und viel diskutierte
Offenheit des Textes – Francesco wendet sich, obwohl er von den Argumenten
seines Gegenübers überzeugt scheint, abrupt seinen irdischen Angelegenheiten
zu: den „sparsa anime fragmenta“ [Sec. III, 103; die verstreuten Bruchstücke
meiner Seele]43 – scheint topisch die „rime sparse“ der „Rerum vulgarum frag­
menta“ vorzubereiten.44 Aber auch thematisch wird im Secretum die Dichtung
Petrarcas diskutiert:

39 Vgl. C. W.: „Anagramm (Ferdinand de Saussure)“, in: Rom rückwärts. Europäische Übertra­
gungsschicksale. Hrsg. von Judith Kasper/ Cornelia Wild, München 2015, S. 130–135.
40 Vgl. Andreas Kablitz: Die Herrin des Canzoniere und ihre Homonyme. Zu Petrarcas Um­
gang mit der Laura-Symbolik. In: Romanische Forschungen 101 (1989), S. 14–41, S. 18. Vgl. auch
­Stierle: Francesco Petrarca, S. 654  ff.
41 Vgl. Alfred Noyer-Weidner: Il nome di Laura nel Canzoniere petrarchesco. Intorno
all’enigma onomastico del sonetto V ed alle sue funzioni poetiche. In: Literarhistorische Be­
gegnungen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Bernhard König. Hrsg. von Andreas Kablitz/
Ulrich Schulz-Buschhaus, Tübingen 1993, S. 293–309, S. 307  f.
42 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 196. Vgl. Roberto Antonelli: Einleitung zu:
Francesco Petrarca: Canzoniere. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Gianfranco Contini, Turin
2007, S. V–XXV, S. XVIII.
43 Vgl. Joachim Küpper: Das Schweigen der Veritas. Zur Kontingenz von Pluralisierungsprozes­
sen in der Frührenaissance (Überlegungen zum Secretum). In: Ders.: Petrarca. Das Schweigen
der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin, New York 2002, S. 1–53.
44 Vgl. Bernsen: Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter, S. 306  ff., bes. S. 308.
Wie Bernsen zeigt, nimmt das Eröffnungssonett „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono“ die Ar­
gumente des Secretum auf.
 Wessen Lorbeer?   161

[…] quis digne satis execretur aut stupeat hanc alienate mentis insaniam cum, non minus
nominis quam ipsius corporis splendore captus, quicquid illi consonum fuit incredibili
vanitate coluisti? Quam ob causam tanto opere sive cesaream sive poeticam lauream, quod
illa hoc nomine vocaretur, adamasti, ex eoque tempore sine lauri mentione vix ullum tibi
carmen effluxit, non aliter quam si vel Penei gurgitis accola vel Cirrei verticis sacerdos exis­
teres. (Sec. III, 32)

Wer könnte den Wahnwitz deines verrückten Sinns genug verfluchen oder genügend bestau­
nen, da du vom Glanz ihres Namens nicht weniger eingenommen warst als vom Glanz ihres
Körpers selbst und in unglaublicher Verblasenheit alles verehrt hast, was ihm gleichklang?
Deswegen hast du so intensiv den Kaiserlorbeer und den Dichterlorbeer geliebt – weil sie so
hieß! Und seitdem ist dir kaum ein Gedicht entronnen, in dem der Lorbeer nicht vorgekom­
men wäre, ganz als würdest du an den tiefen Wassern des Peneios wohnen oder wärst ein
Priester auf dem Kirrha-Gipfel.

Glanz und Gleichklang sind die falschen Genüsse, denen sich Francesco hinzu­
geben scheint. Aus der moraltheologischen Perspektive von Augustinus ist die
Liebe von Francesco eine Verkehrung der Liebe zu Gott in die Bindungen der
irdischen Liebe und damit Umschrift göttlicher Zeichen ins Weltliche: „pudebit
animum immortalem caduco applicuisse corpusculo“ [Sec. III, 10; dann wirst du
dich schämen, deine unsterbliche Seele an ein hinfälliges Körperlein geheftet zu
haben]. Frecceros Behauptung idolatrischer Zeichen ist also auch Thema des Sec-
retum.45 Francesco sei der irdischen Liebe verfallen, indem er süße Gottesliebe
in irdische Liebe verkehrt habe und jetzt blindlings versuche, in den irdischen
Dingen die ewige Süße zu finden: „O cece, necdum intelligis quanta dementia
est sic animum rebus subiecisse mortalibus“. [Sec. III, 13; Du Blinder! Du ver­
stehst noch immer nicht, wie groß die Dummheit ist, seinen Geist den sterblichen
Dingen derart unterworfen zu haben]. Aber es sind nicht nur die moraltheolo­
gischen Ansichten, die Petrarca hier seiner Augustinus-Figur in den Mund legt,
sondern es ist umgekehrt auch die Behauptung, dass alles an der Benennung und
am Namen hängt: „quod illa hoc nomine vocaretur“ [Sec. III, 32; weil sie so hieß!].
Für dieses Argument schließt Petrarca an die Namensetymologie des Mittelalters
an, an der auch Dante in der Vita nuova die Verwendung des Namens festgemacht
hatte: „lo nome d’Amore è sì dolce a udire, che impossibile mi pare che la sua
propria operazione sia nelle più cose altro che dolce, con ciò sia cosa che li nomi
seguitino le nominate cose, sì come è scritto: ‚Nomina sunt consequentia rerum‘
[Der Name Amors ist so süß zu hören, daß mir unmöglich scheint, daß sein ihm
eigentümliches Wirken in den meisten Dingen anders als süß sein sollte, wo sich
doch die Namen nach den benannten Dingen richten, so wie geschrieben steht:

45 Vgl. Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 34  ff.


162   Lauras Rede

‚Nomina sunt consequentia rerum […]‘].“46 In der Versicherung der Deckung von
Namen („lo nome d’Amore“) und Sache („cose altro che dolce“) ist, semiotisch
gesprochen, die Einheit von Zeichen und Referent garantiert. Als semiotischer
Konflikt wird dies von Petrarca aufgenommen, wenn seine Augustinus-Figur
die Verzückung an der Sprache zur falschen Süßigkeit erklärt und die Namen
nicht mehr als vestigia Dei behandelt werden. Die Bemerkung im Secretum,
dass Francesco in fast jedem seiner Gedichte den lauro, den Lorbeer, erwähnen
würde, weil er ihren Namen enthält, gibt vor, wie der Canzoniere gelesen werden
kann.
Auch im Secretum ermöglicht ein subtiles Verfahren der confusione47 die Ver­
mischung der Redehaltungen. Dass unklar ist, mit welcher Stimme Augustinus
spricht, ermöglicht Petrarca, seiner Augustinus-Figur seine eigenen Auffassun­
gen unter der Hand zu unterstellen.48 Augustinus spricht also nicht nur in seiner
Rolle als Augustinus, sondern auch als Petrarca, ohne dass diese Verschiebung
eigens markiert würde. Dieses Verfahren lenkt die Perspektive des Lesers, der die
Ambiguität der Rede unbewusst übernimmt. Die Tatsache, dass sich die Wahrheit
nicht mehr an den Positionen festmachen lässt, wird durch die Zersetzung der
Eindeutigkeit der Rede auf subtile Weise vorbereitet. Denn dieses doppelte Spiel
der Rede ist der Grund dafür, dass der Dialog nicht abgeschlossen werden kann.
Die Unabschließbarkeit ist ein Effekt der Zweideutigkeit der Rede der Sprecher
und damit einer sprachlichen Ordnung, die auf Pluralität angelegt ist.49
Die Bedeutung des Namens der Laura korrespondiert nur noch mit einem
anderen Namen, der Unsterblichkeit für sich reklamiert: mit dem Namen des
Autors Petrarca. Hierfür legt Petrarca seiner Augustinus-Figur die entsprechen­
den Worte in den Mund: „Gloriam hominum et immortalitatem nominis plus

46 Dante Alighieri: Vita nova. Hrsg. von Guglielmo Gorni, in: Dante Alighieri: Opere.
Hrsg. von Marco Santagata, Bd. I: Rime, Vita nova, De vulgari eloquentia, Mailand: Mondadori
2015, 6,4. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung folgt Dante Alighieri:
Vita Nova/ Das neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrik Kunkel,
München 1988.
47 Vgl. Adriana Cavarero: Nonostante Platone. Figure femminili nella filosofia antica, Verona
2009 (Testi 4), S. 99.
48 Freccero hat dieses Verfahren als Dramatisierung Petrarcas eigener Ansichten erkannt.
Vgl. Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 34: „both voices are Petrarch’s, the inconclusi­
ve conversation about moral paralysis constitutes an elegant dramatization of its own subject
­matter.“
49 Von dieser Unmöglichkeit wurde auf die Pluralität der Diskurse als Signum der Neuzeit ge­
schlossen. Vgl. Bernhard Huss/Gerhard Regn: Nachwort zu: Francesco Petrarca: Africa.
Lateinisch / Deutsch. Hrsg., übers. und mit einem Nachwort von Dies., Mainz 2007 (Excerpta
classica XXIV), S. 516  f.
 Wessen Lorbeer?   163

debito cupis.“ [Sec. III, 72; Ruhm unter den Menschen und die Unsterblichkeit
deines Namens begehrst du mehr, als sich gebührt.]50 Als moraltheologische
Kritik getarnt, entfaltet Petrarca ex negativo, was die Augustinus-Figur kritisiert:
seine eigene Unsterblichkeit. Petrarca dreht also Augustinus fast schon parodis­
tisch die Worte im Munde herum, die sich folglich immer auch umgekehrt lesen
lassen. Was sich im Secretum andeutet, wird im Canzoniere manifest: Mit dem
Rufen des Namens wird die Macht der Dichtung begründet.

1.3 nennen / rufen (chiamar)

Das fünfte Gedicht des Zyklus macht sein eigenes Tun als Akt der Adressierung
kenntlich, indem es durch Rufen (chiamar), Stimme (voce), Schrift (scrivere)
und Sprache (lingua mortal) seine eigenen medialen Bedingungen zum Gegen­
stand erklärt und als Sprachhandlung inszeniert.51 Metapoetisch reflektiert
das Gedicht über das Loben, was zugleich eine Reflexion über den Namen ist.
Das nachträglich hervorgehobene Anagramm bringt zum Vorschein, was dem
Gedicht als seine eigene Praxis von jeher eingeschrieben war: die Zweideutigkeit
des poetischen Gegenstandes, der selbst bereits „das Produkt einer historischen
Metamorphose des Mythos“52, in diesem Fall der Metamorphose von Daphne in
den Lorbeer, ist. Schon in der ersten und zweiten Strophe wird der poetische Akt
als Adressierung bestimmt, der im Rufen / Nennen / Benennen der Dame und
ihres Namens besteht:

[…] a chiamar voi


E ’l nome che nel cor mi scrisse Amore,
(Rvf 5, 1–2)

[…] euch zu nennen […]


Beim Namen, den mir Amor eingeschrieben.

50 Vgl. zur Hybridisierung der Augustinus-Rede Marc Föcking: „Dyalogum quendam“. Petrar­
cas Secretum und die Arbeit am Dialog im Trecento. In: Möglichkeiten des Dialogs. Hrsg. von
Klaus W. Hempfer, Stuttgart 2002, S. 75–114, S. 96  ff.
51 Für zahlreiche Anregungen bei der Lektüre dieses Gedichts danke ich Laura Perfetti Braun.
52 Anselm Haverkamp: Lauras Metamorphosen (Eichs Lauren). Dekonstruktion einer lyrischen
Figur in der Prosa der Maulwürfe. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und
Geistesgeschichte 58 (1984), S. 317–346, S. 321.
164   Lauras Rede

Zwischen dem Rufen („chiamar voi“) und der Inschrift des Namens („nel cor mi
scrisse Amore“) besteht ein Gegensatz, der durch die Schrift einerseits und den
Klang andererseits verstärkt wird:

Quando io movo i sospiri a chiamar voi


E ’l nome che nel cor mi scrisse Amore,
LAUdando s’ incomincia udir di fore
Il suon de’ primi dolci accenti suoi.
(Rvf 5, 1–4; Herv. im Orig.)

Wann meine Seufzer, euch zu nennen, steigen,


Beim Namen, den mir Amor eingeschrieben
Ins Herz, ‚LAUdate!‘ ruft der Klang der lieben
Drei ersten Laut und bricht alsbald das Schweigen.

Was Amor dem Sprecher ins Herz geschrieben hat, muss durch den poetischen
Akt erneuert werden.53 Dieser kann demzufolge nichts anderes als Wiederho­
lung sein: das Wiederholen einer Schrift, die bereits (durch Amor) geschrieben
worden ist. Petrarcas Canzoniere ist damit auch das Lesen einer schon bestehen­
den Herzensschrift. Das Sonett erweist sich nicht nur durch seine Anagramme
als Aufschreibesystem, sondern  – auf der Ebene der histoire  – durch die Ver­
handlung von Schrift und Lektüre. Lesen und Schrei­ben sind die ausgewiesenen
und eingeschriebenen Bedingungen des Sonetts, die bereits in den ersten Versen
reflektiert werden. Diese Reflexion wird fortgesetzt durch eine Theoretisierung
des Nennens. Immer dann wenn der Name genannt oder gerufen wird, zeigt sich
die Differenz zwischen der Schrift Amors und der neuen Schrift, die die Dichtung
Petrarcas ist.
Durch seine Stellung in der ersten Strophe und seine Wiederaufnahme im
ersten Terzett: „pur ch’ altri vi chiami“ [Rvf 5, 10; sowie euch einer nennet] ist das
„chiamar voi“ das eigentliche Thema des Gedichts:

Cosí LAUdare e REverire insegna


La voce stessa, pur ch’ altri vi chiami,
O d’ ogni reverenza e d’ onor degna:
(Rvf 5, 9–11, Herv. im Orig.)

53 Vgl. auch Rvf 331, 40–41: „Di sua man propria avea descritto Amore/ Con lettre di pietà“ [Hatt
Amor selber vormals eigenhändig / Das mit des Jammers Zeichen eingeschrieben], sowie die
Inschrift auf Lauras Stirn: „Ne la fronte a madonna avrei ben letto: / – Al fin se’ giunto d’ ogni
tua dolcezza / Et al principio del tuo amaro molto. –“ [Rvf 331, 52–54; Hätt ich wohl auf der Herrin
Stirn gelesen: / ‚Du bist gelangt zu deiner Freuden Ende, / Zu deines langen Jammers dunkler
Pforte.‘]
 Wessen Lorbeer?   165

So muß zu loben und zu huldgen lehren


Das bloße Wort, sowie euch einer nennet,
O aller Huldgung Wert und aller Ehren!

Dass Petrarca hier medientheoretisch einen Kommentar zu den Gedichten in


volgare verbirgt  – als Differenz zwischen gesprochenem und geschriebenem
Namen –, ist vielleicht nur die Randerscheinung eines umfassenderen Konzepts
von Lyrik als Appellation, d.  h. der Adressierung des Subjekts und des Namens.54
Lieben und Nennen erweisen sich als dieselbe rhetorische Tätigkeit, insofern
„chiamar“ und „amore“ durch die Strophenführung ineinander gespiegelt
werden und „chiAMAR“ zum Anagramm von „AMAR(e)“ wird. Diese Beziehung
ist jedoch nicht – wie die Inschrift – von Dauer, sondern als lingua mortal den
Bedingungen des Irdischen ausgesetzt. Die Zunge, die den Namen spricht, ist,
anders als die immergrünen Lorbeerzweige, vergänglich und maßt sich dennoch
an, über unsterbliche Dinge zu sprechen:

Se non che forse Apollo si disdegna


Ch’ a parlar de’ suoi sempre verdi rami
Lingua mortal presuntuosa vegna.
(Rvf 5, 12–14)

Wenn nicht vielleicht Apollo zürnt, zu hören,


Wie Menschenwort zu reden kühn entbrennet
Von seinem Blätterschmuck, dem ewig hehren.

Der Gegensatz zwischen dem Ewigen und dem Sterblichen, den Petrarca im
zweiten Terzett herstellt, ruft den doppelten Körper einer Dichtung auf, dessen
Aporien verhindern, dass poetische Zeichen dauerhaft gemacht werden können.
Als lingua mortal bleibt die Dichtung den irdischen und damit vergänglichen
Zeichen verpflichtet. Der Akt des Nennens verspricht jedoch die Möglichkeit der
Verdoppelung („Vostro stato REal […] / Raddoppia […] il mio valore“; Rvf 5, 5–6
[  […] als REgentin euch sich neigen / […] fühl ich mich zum Werk getrieben!]),
d.  h. gleichzeitig irdisch und göttlich, sterblich und unsterblich zu werden. Adam
benennt Eva, wie Petrarca Laura benennt. Was aber angerufen wird, ist, was das
Gedicht selbst tut, das Loben, das mit dem Namen zusammenfällt und im Rezep­
tionsprozess als Anagramm im Gedicht sichtbar gemacht worden ist („LAU-RE-
TA“). Bei Petrarca geht es nicht wie bei Dante um das Unaussprechliche, sondern
um das Ausgesprochene, das als solches auf sich – den Akt des Sprechens selbst –

54 Vgl. Jonathan Culler: The Pursuit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction. London
u.  a. 1981, Kap. 7: Apostrophe, S. 135–154.
166   Lauras Rede

zurückverweist: „ché sol del suo nome / Vo empiendo l’aere che sí dolce sona.“
[Rvf 97, 10–11; und nur ihres Namens Süße, / Des lieblich tönenden, ruf’ ich den
Lüften] Der Akzent liegt vor allem auf dem süßen Klang des Namens. Das Sonett
gründet im Anruf der Dame, aber dieser Anruf kann nie etwas anderes sein als
dieses Rühmen selbst.
Mit der Verschiebung auf den Akt des Nennens kann das Liebespaar Teil
einer diskursiven Ordnung werden, die neben der Anrede einer Person auch den
Namen selbst zum Gegenstand hat. Auf diese Weise konstituiert sich ein Spre­
chen über Laura, und es wird gleichzeitig plausibel, warum ihr eigentlicher Name
nur so selten erscheint. Denn der Akt des Nennens ist die Chiffre für die Dame,
sodass sich konsequenterweise das Loben anstatt auf die donna, auf die Worte
richtet, mit denen der Name der Geliebten ausgesprochen wird:

Benedette le voci tante ch’ io


Chiamando il nome di mia donna ho sparte,
E i sospiri e le lagrime e ’l desio;
(Rvf 61, 9–11, Herv. C.W.)

Gesegnet euch die vielen Wort’, in denen


Ich meiner Herrin Namen rings geehret!
Und alle Seufzer, alle Wünsch’ und Tränen!

Der Widerklang des Namens im Herzen ist süßer als die Begegnung mit der Dame
selbst:

[…] ’l suo chiaro nome


Che sona nel mio cor sí dolcemente.
(Rvf 268, 49–50)

Ihr Nam […]


Des Laute süß im Herzen widerhallen.

Petrarca inszeniert die Herrin und mit dieser die Möglichkeit der Anrufung ihres
Namens. Die Liebesbeziehung wird durch einen sprachlichen Akt substituiert,
das Nennen des Namens zum eigentlichen Liebesakt. Laura wird also gleich
zweimal aufgerufen: einmal durch ihren Namen, das andere Mal durch den Akt
des Nennens selbst. Das „chiamar“ als Sprechakt inszeniert den Sprecher als
ein Subjekt, das spricht und benennt. Es bedarf einer komplexen Sprachhand­
lung, um eine Figur wie Laura zu erzeugen. Petrarca erschafft nicht nur die Figur,
sondern inszeniert auch das Verfahren, das sie erzeugt. In Dantes Vita nuova
war es die demutsvolle Erinnerung an den Namen, durch den dieser eingeführt
worden war: „ricordare lo nome di quella gentilissima“ [Vn. 2, 10; des Namens
 Wessen Lorbeer?   167

jener Holdseligen gedenken].55 Bei Petrarca hingegen wird ein Subjekt eingesetzt,
das über die rhetorische Macht verfügt, den Dingen selbst Namen zu geben, sie
‚in die Welt‘ zu rufen und diese Macht als Verfahren, als chiamar, auszu­stellen.
Die Nennung des Namens ist die Grundlage dieser Dichtung, und zwar umso
mehr nach der Behauptung von Lauras Tod. Denn was bleibt, ist der Name, der
auch ohne die Möglichkeit der Rückschreibung auf eine lebendige Person gegen­
über dem hinfälligen Körper ein Eigenrecht beansprucht: „Né di sé m’ ha lasciato
altro che ’l nome.“ [Rvf 291, 14; Und mir von sich den Namen nur gelassen.]
Lauras Verschwinden ist aus diesem Grund für die Benennung kein Hindernis,
im Gegenteil, dieses wird umso mehr zur Voraussetzung für das Rufen:

Cercando co ’l penser l’ alto diletto


Che Morte ha tolto, ond’ io la chiamo spesso!
(Rvf 281, 7–8, Herv. C. W.)

Im Geist mein Höchstes suchend, mein Verlangen,


Das tot nun; drum mein Mund so oft es nennet!

Umgekehrt heißt das, dass nur der Name überdauern wird. Durch die fortdau­
ernde gloria des Namens besiegelt Petrarca die „memoria eterna“ der Dichtung.
Dieser Akt erfolgt in Lauras Namen:

E, se mie rime alcuna cosa ponno,


Consecrata fra i nobili intelletti,
Fia del tuo nome qui memoria eterna.
(Rvf 327, 12–14)

Und wenn es meinen Reimen ward beschieden,


Sei hoch gefeiert unter edeln Geistern
Hier ewig deines Namens Angedenken.

Sind die Verse (rime) mit dem Namen (nome) verschränkt, sichern sie ihren
Ewigkeitswert als sprachliche Zeichen. Allerdings bleibt fraglich, ob mit diesen
Benennungsszenen die Dame oder der Dichter im Zentrum dichterischer Rede
stehen, ob es also tatsächlich zu einer Ablösung der Dame als Zentrum poetischer
Rede durch den Dichter gekommen ist, der sich fortan selbst zum neuen Zentrum
seiner Dichtung macht.

55 Vgl. Michelangelo Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia. In: Selvagge
e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Tatiana Crivel­
li, mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 33–48, S. 37.
168   Lauras Rede

2 Stimme

An nur wenigen Stellen der rime sparse wird, wie bereits erwähnt, der Name der
Herrin unmittelbar in den Text eingeschrieben. Umso mehr unterstreichen die
Momente, in denen er explizit genannt wird, den Namen. So im Sonett „Dodici
donne onestamente lasse“:

Poi le vidi in un carro trïumfale,


Laurëa mia con suoi santi atti schifi
Sedersi in parte e cantar dolcemente.
(Rvf 225, 9–11, Herv. C. W.)

Dann sah ich sie im Siegeswagen thronen,


Und meine Laura mit dem frommen Wesen,
Zur Seite sitzend, holde Weisen singen;

In diesem Sonett taucht der Name „Laura“ im Text auf, und zwar als der Name
einer weiblichen Figur, die königlich und – was entscheidend ist – süß singend
auf einem Triumphwagen sitzt. Mit diesem Bild ruft Petrarca eine literarische
Figur auf, denn anstelle eines Menschen aus Fleisch und Blut zitiert er Beatrice
aus Dantes Divina Commedia. Diese hatte Dante an zentraler Stelle der Comme-
dia, in Canto XXX des Purgatorio, auf dem Triumphwagen thronend gezeigt, auf
dem sie erschienen war, um anschließend den Wanderer Dante ins Paradies zu
begleiten.
Die rare Erwähnung des Namens Laura fällt mit dem Verweis auf ihr poeti­
sches Vermögen zusammen. Gleichzeitig verbindet die Inszenierung ihres Gesangs
Laura mit ihrer literarischen Vorgängerin. Denn diesen stattet Petrarca nicht zufäl­
lig ausgerechnet mit dem Attribut des ‚Süßen‘ aus: „le vidi […] cantar dolcemente“
[Rvf 225, 9–11; sah ich sie […] holde Weisen singen]. Mit diesem ‚Süßen‘ wird die
Dichtung im dolce stil novo zitiert, die die Tonart des „dolce“ privilegiert hatte.56
Singt also Laura ebenso süß, wie die Stilnovisten oder Beatrice singen konnten?
Was passiert, wenn das Liebesobjekt einen ebenso süßen Gesang anstimmt wie
der Sprecher? Kommt hiermit eine zweite Stimme ins Spiel, die, auch wenn der
Inhalt dieses Gesangs ausgespart, dennoch vom Text behauptet und als funk­
tions­tragendes Element affirmiert wird? Ein solcher Gesang erweist sich als eine
metatextuelle Figur: eine allegorische Thematisierung und Ausführung eines
Selbstbezugs der Sprache in der poetischen Sprache, der an der weiblichen Figur
durchgespielt wird. Denn offensichtlich ist, dass zum Gesang des Ich noch eine

56 Vgl. Dante: Purg. XXIV, 55–57; Purg. XXVI, 97–99, sowie Kap. II, S. 63.
Stimme   169

zweite Stimme hinzukommt. Gianfranco Contini bestimmt sie als eine überirdi­
sche Stimme: „Laura cantasse cose soprannaturali e immaginazioni celesti“57.
Anders als die Allegorie der Veritas, die im Secretum vor dem Gespräch von
Augustinus und Francesco auftritt, aber schweigt, ist Laura nicht stumm. Sie
spricht, grüßt und singt. Eine Forschung, die ihren Blick allein auf den Sprecher
des lyrischen Textes richtet, übersieht, dass hier eine zweite Stimme, die Stimme
der Herrin – „Sí dolce in vista e sí soave in voce“ [Rvf 284, 8; Mit süßem Blick, mit
holder Stimm] – inszeniert wird. Denn die Tatsache, dass Petrarca seiner Laura
sowohl einen Namen als auch eine Stimme verliehen hat, einen eigenen Gesang
von so süßer Erhabenheit, dass er ans Göttliche grenzt, zeigt, dass hier eine
andere, differente Stimme hörbar wird, die einerseits Bestandteil des Liebesdis­
kurses ist, aber dabei andererseits zugleich die Bedingungen lyrischen Sprechens
ausstellt. Mit dem Zitat aus der Commedia hat Petrarca auch die Sprechsituation
aufgenommen und sie für den Canzoniere genutzt. Wie der Gesang Beatrices
süß und engelhaft (Inf. II, 56–57) ist, so erweist sich auch Lauras Gesang als ein
süßer Gesang. Wie Beatrice ist Laura eine Dame, die singt und spricht: „Qui cantò
dolcemente“ [Rvf 112, 9; Hier sang sie süß] / „Qui disse una parola“ [Rvf 112, 12;
Sprach da ein Wörtchen].

2.1 angelica voce

Laura wird zum Ausnahmewesen erklärt, das wie ein Engel auftritt.58 Dieser
Topik entsprechend wird auch ihre Stimme der Sphäre des Göttlichen zugeord­
net. Ihre Worte folgen nicht dem Gesetz irdischer voce humana, sondern überirdi­
scher angelica voce. Wie ihr Gehen, so ist auch das Sprechen der Laura über alle
irdischen Bedingungen erhaben:

Non era l’andar suo cosa mortale,


Ma d’angelica forma; e le parole
Sonavan altro che pur voce umana.
(Rvf 90, 9–11, Herv. C. W.)

57 Contini: Petrarca: Le Rime, S. 819.


58 Petrarca bezieht sich auf den Topos der engelhaften Gestalt, der die Dichtung der Provenza­
len kennzeichnet. Vgl. Guinizellis Canzone IV: „Al cor gentil rempaira sempre amore“, 58–59:
„Tenne d’angel sembianza / che fosse del Tuo regno“. In: Guido Guinizelli: Rime. Hrsg. von
Pietro Pelosi, Neapel 1998. Vgl. auch Marco Santagata: Amate e amanti. Figure delle lirica
amorosa fra Dante et Petrarca, Bologna 1999 (Saggi 507), Kap. La donna del miracolo, S. 13–61.
170   Lauras Rede

Ihr Gang war nicht ein irdisch sterblich Wesen,


Vielmehr von Engelart; aus ihrem Munde
Ertönten Worte, nicht wie Menschenlaute;

Lauras Gangart und Gestalt und auch ihre Worte werden als überirdisch darge­
stellt. Mit dieser sublimen Bestimmung der Laura-Figur treten die irdischen und
die göttlichen Dinge in einen Gegensatz, denn die über das Menschliche erha­
benen Worte sind doch zugleich die Worte der Dichtung. In diesem typischen
Laura-Sonett – typisiert durch die „begli occhi“ und das Motiv der „pietà“ – wird
Laura im ersten Vers nur durch das Wortspiel mir l’aura eingeführt und durch
ihr goldenes Haar, das im Windhauch zu Locken zerzaust wird, aufgerufen:
„i capei d’oro […] / Che ’n mille dolci nodi gli avolgea“ [Rvf 90, 1–2; die goldnen
Locken […] / Und kreisten sich in tausend süßen Ringen]. Durch die Assoziation
von „rime sparse“ [Rvf 1, 1, Herv C. W.; meine Reime] und „i capei d’oro a l’aura
sparsi“ [Rvf 90, 1; zerstreut im Wind; vgl. auch „le chiome a l’ aura sparse“, Rvf
143, 9, Herv. C. W.; Ihr Haar seh ich im Wind zerstreut] werden Haare und Reime
aufeinander bezogen und die Assoziation durch die poetologische Markierung
der verknoteten goldenen Löckchen zusätzlich unterstrichen. Das Goldhaar ruft
die goldenen Buchstaben auf – „lettre d’oro“ [Rvf 93, 2; goldnen Zeichen] –, mit
denen der Canzoniere geschrieben sein will.59 Bereits durch diese Umschrift von
Lauras Körper in die Reime wird allerdings der Gegensatz zwischen Göttlichem
und Irdischem, den das Gedicht semantisch herausstellt, aufgehoben: denn als
Körper der Reime muss Laura zwangsläufig auch dessen irdische Qualitäten
übernehmen. Petrarca inszeniert sie sowohl als engelhaftes Ausnahmewesen als
auch, durch den poetischen Sprechakt, ihre irdische Verfassung.
Zu demselben poetischen Akt gehört, dass Laura mit einer ebenso süßen
Stimme wie die Dichtung singt und sich damit ihre Stimme als Teil des Liebes­
diskurses erweist. Ein signifikantes Beispiel stellt das Sonett 159 dar, das zu den
„Kerngedichten“60 des Canzoniere zählt. Nach provenzalischer Tradition über­
trägt Petrarca die antike Liebeslehre, nach welcher Amor den Liebenden mit
seinem Pfeil trifft,61 auf die Herrin, ihr Äußeres  – „divina bellezza“ [Rvf 159,  9;

59 Vgl. Judith Frömmer: Killing Blondes. Zum Zuschnitt der blonden Kriegerin im Epos der ita­
lienischen Renaissance. In: Haare zwischen Fiktion und Realität. Interdisziplinäre Untersuchun­
gen zur Wahrnehmung der Haare. Hrsg. von Birgit Haas, Münster, Berlin u.  a. 2008. S. 54–69,
S. 55  f.
60 König: Dolci rime leggiadre, S. 116.
61 Vgl. Publius Ovidius Naso: Amores. Liebesgedichte. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg.
von Michael von Albrecht, Stuttgart 1997, I, 1, 21–26: „questus eram, pharetra cum protinus ille
solute / legit in exitium spicula facta meum/ lunavitque genu sinuosum fortiter arcum / ‚quod‘
Stimme   171

Himmelsschönheit]  –, ordnet er dem Göttlichen zu. Aber nicht nur die süße
Wendung des Blicks, auch die süße Rede der donna wird hervorgehoben durch
die Dreiheit der Äußerungsformen: sospira / parla / ride:

Non sa come Amor sana e come ancide,


Chi non sa come dolce ella sospira
E come dolce parla e dolce ride.
(Rvf 159, 12–14)

Nicht weiß, wie Amor schlägt und heilt, zu sagen,


Wer es nicht weiß, wie süß vom Mund ihr gehet
Das Wort, wie süß ihr Lächeln und ihr Klagen.

Mit ihren süßen Seufzern, ihrer süßen Rede und ihrem süßen Lächeln schließt
Petrarca an die mittelalterliche Liebeslehre an. Der letzte Vers des Sonetts
„E  come dolce parla e dolce ride“ verweist darüber hinaus intertextuell auf
eine Ode von Horaz, in der es über die Geliebte heißt: „dulce ridentem Lalagen
amabo, / dulce loquentem.“ [das süße Lachen Lalages werde ich lieben, ihr süßes
Geplauder.]62 Petrarca zitiert also mit Lauras Stimme Horaz, was auch schon
dadurch motiviert ist, als dieser in der Ars poetica den süßen Stil für die Dich­
tung eingefordert hatte.63 Durch die Wiederaufnahme der Verse aus der antiken
Ode legt Petrarca damit nicht nur seinem Sprecher, sondern auch Laura die süße
Rede einer anderen weiblichen Figur in den Mund. Schon bevor Laura so süß
sang, hatte Lalage den süßen Gesang angestimmt. Die süßen Worte spiegeln in
doppelter Weise den Intertext, denn auch das Gedicht selbst reflektiert sich in
dem zitierten Gesang, wenn es die Süßigkeit des Klanges ist, den das Gedicht
beschreibt. Die Wiederaufnahme durch das Zitat geschieht sowohl auf der Ebene
der Objekte als auch auf der Ebene des Diskurses: Lauras Lachen und Sprechen

que ‚canas, vates, accipe‘ dixit ‚opus.‘/ me miserum! certas habuit puer ille sagittas: / uror, et
in vacuo pectore regnat Amor.“ [Ich war mit meiner Klage zu Ende; da öffnete er schon den
Köcher und wählte einen Pfeil, geschaffen, mich zu verderben. Kräftig spannte er mit dem Knie
den Bogen, rundete ihn zum Halbmond und sprach: Da hast du Stoff zum Singen, Musensohn!
Ich Ärmster! Der Pfeil jenes Knaben ist unfehlbar ins Ziel gegangen: Ich stehe in Flammen, und
Amor herrscht über mein eben noch freies Herz.]
62 Horaz: Oden und Epoden. Carmina. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Bernhard
Kytzler, Stuttgart 1988, I, 22, 23–24. Vgl. König: Dolci rimunde leggiadre, S. 136  f.
63 Horaz: Ars poetica / Die Dichtkunst, Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Eckart
Schäfer, Stuttgart 1972, 99–100: „non satis est pulchra esse poema: dulcia sunto“ [Es genügt
nicht, daß Dichtungen schön sind; sie seien gewinnend].
172   Lauras Rede

spiegelt sich in den süßen Reden der Liebesobjekte, wie Petrarcas Sonett im
Klang von Ode und Hymne.
Aber auch bei Horaz war der Liebesdiskurs bereits zitierte Rede. Denn das
Zitat nimmt seinerseits Verse von Catull auf: „te / spectat et audit/ dulce riden­
tem“ [dich / ansieht und hört / dein süßes Lachen]64. Und dieser wiederum hatte
seine Verse von der griechischen Dichterin Sappho aus dem Fragment 31 über­
nommen, in dem Sappho bereits mit der Liebesrede den Blick zur süßen Rede des
Liebesobjekts hingeführt hatte:

Es scheint mir Göttern gleich jener


Mann zu sein, der dir gegenüber
sitzt und nahe dir, wenn du süß redest [âdu phoneísas],
zuhört,
und wenn du liebreizend zulächelst – das wahrlich
hat mein Herz in der Brust erschüttert:
Sobald ich auf dich blicke, kurz,
vermag ich keinen Laut mehr zu sprechen,
aber meine Zunge zerbricht […].65

Durch den Umweg über Horaz und Catull führt die süße Rede Lauras auf Sappho
zurück. Die intertextuelle Montage der Rede Lauras zeigt, das Petrarca nicht nur
die süße Rede Beatrices zitiert, sondern an Sappho erinnert, wenn das Gedicht die
süße Sprache und das liebreizende Lächeln der Frau betont. Petrarca selbst hatte
in den Trionfi Sappho Seite an Seite mit den nobili poeti dargestellt und ihr auch
den süßen Stil keinesfalls abgesprochen: „Una giovene greca a paro a paro / coi
nobili poeti iva cantando, / ed avea un suo stil soave e raro.“ [Ein griechisch Mäg­
delein sah vorbei ich schleichen/ Und Hand in Hand mit edlen Dichtern singen, /
Mit einem Griffel zwar und sondergleichen.]66 Bevor also Petrarcas Ich im Stil
des dulce malum singt, war dieses bereits an eine Stimme gebunden, die Stimme
Sapphos, die als erste einen süßen Stil und im Ton des dulce malum gesungen
hat. Nicht nur der süße Gesang und der Lorbeer, auch der bittersüße Eros war in

64 Catull: Carmina. Gedichte. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Niklas Holzberg,
Düsseldorf 2009 (Sammlung Tusculum), 51, 3–5. Vgl. Julia Haig Gaisser: Catullus and his Re­
naissance Readers, Oxford 1993, S. 18  ff.
65 Sappho: Gedichte. Griechisch-deutsch. Hrsg. und übers. von Andreas Bagordo, Düssel­
dorf 2009 (Sammlung Tusculum), Fr. 31 Voigt, 1–9; (Herv. C. W., Herv. des Originals nicht über­
nommen).
66 Petrarca: Trionfi, Rime estravaganti, Codice degli abbozzi. Hrsg. von Vinicio Pacca/Laura
Paolino, Mailand 1996, IV, 25–27. Die Übersetzung folgt: Francesco Petrarca: Das lyrische
Werk. Canzoniere, Triumphe. Verstreute Verse. Italienisch / Deutsch. Übers. von Karl Förster
und Hans Grote, Zürich 2002, S. 575.
Stimme   173

der Dichtung Sapphos bereits aufgetaucht: „Eros wiederum quält mich, der Glie­
derlösende, bittersüßes [glukuprikon] unbezwingbares Getier“67. Die Referenz
auf Sappho bemerkt immerhin schon Hugo Friedrich, ohne sie jedoch ernst zu
nehmen: „Die Formel [des dulce malum, C. W.] geht (was für Petrarca natürlich
keine Bedeutung hat) auf Sappho zurück“68. Es bleibt offen, warum Sappho für
Pertrarca keine Bedeutung hat, ob z.  B. die Einschränkung der Sappho-Referenz
aus der Annahme resultiert, dass Petrarca Sappho nicht gelesen haben konnte,
insofern Sappho als kanonisierte Autorin der Antike zwar bekannt war, die feh­
lende Textüberlieferung dies jedoch verhindert haben könnte. Oder passt Sappho
nicht zur Grundthese Friedrichs, die Tradition der italienischen Dichtung in der
platonischen Philosophie zu verwurzeln?
Vor dem Hintergrund dieser Folie kann man sehen, welche Verschiebungen
durch das Gedicht aus dem Canzoniere vorgenommen werden. Bei Sappho ist
die Liebesbeziehung ein Dreieck: Der Sprecher / die Sprecherin adressiert eine
weitere Figur, die einem Mann gegenübersitzt und dabei süß spricht und lächelt.
Von dieser beobachteten Liebesszene (der Blicke und der Stimme) aus werden die
Affekte der Sprecherin reflektiert und in das Bild vom Zerbrechen der Zunge als
Bild für die Ohnmacht eigener Rede gefasst. Dieses poetologische Moment findet
sich auch im Canzoniere:

Veggio senz’ occhi e non ho lingua e grido;


E bramo di perir e cheggio aita;
Et ho in odio me stesso et amo altrui.

Pascomi di dolor, piangendo rido;


(Rvf 134, 9–12)

Ich seh ohn Augen, ohne Zung ich flehe,


Muß Untergang und Hilfe gleich ersehnen;
Ich hasse mich, andrem in Lieb ergeben,

Zehre von Schmerz und lächle unter Tränen,

Auch hier bewirkt die Liebe den Ausfall der Sinne, aber jetzt hat die Rede unter
Schmerz und Lachen sie kompensiert. Das Moment des dulce malum, das
Sapphos Liebesdiskurs kennenzeichnet, ist zum Substitut für die Klage über

67 Sappho: Gedichte. Griechisch/Deutsch. Hrsg. und übers. von Andreas Bagordo, Düsseldorf
2009 (Sammlung Tusculum), S. 220 (fr. 130).
68 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 217 (Herv. im Orig.). Vgl. auch einen weiteren
Hinweis auf Sappho und Catull, S. 163.
174   Lauras Rede

die zerbrochene Zunge geworden. Und auch die Liebesbeziehung erfährt eine
Umschrift. Während sich die Szene bei Petrarca unmittelbar zwischen einem Ich
und Laura abspielt, wird bei Sappho die Liebesszene zwischen einer Frau und
ihrem Gegenüber aus der Distanz der Sprecherin erfasst. Die Kommentatoren
haben das Gedicht als „Eifersuchtsgedicht“ bezeichnet.69 Man könnte es auch
als ein Beispiel für die Struktur des désir mimétique verstehen: Durch eine médi-
tation interne kann sich die Sprecherin an den Ort des Mannes, der angelächelt
wird, imaginieren. Joan DeJean hat demgegenüber allerdings deutlich gemacht,
dass die Intimität der Gemeinschaft zwischen den Frauen, die Sapphos Dichtung
kennzeichnet, einem solchen mimetischen Begehren widerspricht.70 Umgekehrt
lässt sich Sapphos Gedicht auch als „desire that refuses triangulation“71 inter­
pretieren. Dann nämlich, wenn man die männliche Figur als eine imaginäre ver­
steht, als figure of speech, die nicht wirklich anwesend ist. Erst die wörtliche
und romantische Lektüre macht daraus ein Dreieck des Begehrens: durch die
Verbuchstäb­lichung der dargestellten Szene und durch das Einbringen eines
Erwartungshorizonts, das die Geschlechter auf eindeutige Rollen festlegt.72 Das
Gedicht schildert also nur als Nachbildung einer realen Liebesbegebenheit eine
Eifersuchtsszene, rhetorisch wird es zu einer „allegory of reading“73: einem
Akt, der die Zeichen des Begehrens liest, die im Kreis der Mädchen, thiasos,
zirkulieren.74
Petrarca hat die dreigliedrige Begehrensstruktur in eine Zweierbeziehung –
die Liebe eines Ich zu seiner Dame – übersetzt. Zunächst könnte man meinen,
er habe sein Ich den Platz des Mannes einnehmen lassen, der bei Sappho stumm
ist und diese stumme Figur sprechend gemacht. Aber die Darstellung der Affekte
des Ich bei Petrarca hat doch zuviel von der Sprecherrolle bei Sappho, sodass es
plausibler ist, dass die Nachahmung auf der Ebene des discours und des Stils,

69 Vgl. Andreas Bagordo: Einleitung zu: Sappho: Gedichte. Griechisch / Deutsch. Hrsg. und
übers. von ders., Düsseldorf 2009 (Sammlung Tusculum), S. 7–44, S. 98.
70 Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 51: „the man is evoked
in order to demonstrate his superfluousness: the erotic experience concerns the two women
alone, united by binds that are purely personal, with none of the sociocultural function associa­
ted with the triangular desire.“
71 DeJean: Fictions of Sappho, S. 324.
72 DeJean: Fictions of Sappho, S. 323.
73 DeJean: Fictions of Sappho, S. 324.
74 Vgl. Bagordo: Einleitung zu Sappho: Gedichte, S. 11  f. Vgl. Holt Parker: Sappho’s Public
World. In: Women Poets in Ancient Greece and Rome, hrsg. von Ellen Greene, Oklahoma 2005,
S. 3–24.
Stimme   175

des dulce malum, geschieht.75 Dieses zitierend anverwandelnde Verfahren wird


durch einen Parallelismus der Perspektive unterstrichen: Der Blick auf die süße
Rede Lauras („come dolce parla e dolce ride“) zitiert den Blick der Sprecherin
bei Sappho („wenn du süß redest […] wenn du liebreizend zulächelst“). Petrarca
hat sowohl die Perspektive aus dem Fragment Sapphos als auch ihren süßen Stil
imitiert und damit letztlich auch den dolce stil novo auf seinen Bezug zum Bit­
ter-Süßen Sapphos befragt.76 Die an der Oberfläche des Textes inszenierte süße
Stimme Lauras ruft dabei noch eine ganz andere Art der Begründung auf: die
Beziehung zu anderen Texten und d.  h. zu anderen Stimmen.
Die Stimme Lauras als geborgte und zitierte Stimme wird im Canzoniere zum
Körper der Dichtung selbst. Durch Umwandlung ihrer Stimme in den Text wird
das Ich zu sich, aber damit auch zu sich als Klang, Stimme, Ton geführt. Selbst­
erkenntnis des Sprechers und süße Stimme Lauras hängen miteinander zusam­
men. Sollte Beatrice Dante zum Paradies und zum Schrei­ben anleiten, so ist Lauras
Führerschaft auf das Subjekt bezogen, dient ihre Stimme der Erkenntnis des
Ich:

La frale vita, ch’ ancor meco alberga,


Fu de’ begli occhi vostri aperto dono
E de la voce angelica soave.
Da lor conosco l’esser ov’ io sono;
(Rvf 63, 5–8)

Das schwache Leben, das noch in mir bleibet,


War eurer schönen Augen offne Gabe
Und eurer Engelsstimme, voll von Güte.
Durch sie erkenn ich, was ich bin und habe;

Die als transzendent behauptete Stimme, „la voce angelica soave“, die von
­Petrarca in Fragment 63 inszeniert wird, führt den Sprecher nicht über sich
hinaus, sondern auf sich selbst zurück: „Da lor l’esser conosco ov’io sono“ [Durch
sie erkenn ich, was ich bin und habe]. Wie Beatrice in der Vita nuova wird offen­

75 Vgl. Sappho: Gedichte, Fr. 130, S. 220. Ovid nimmt dies auf und von ihm geht es in die Tradi­
tion ein. Vgl. Ovid: Amores, II, 9 (b), 26: „usque adeo dulce puella malum est.“ [Ein solch süßes
Übel ist das Mädchen.]
76 Vgl. Sappho: Gedichte, Fr. 130, S. 220. Der Stil des Bittersüßen ist Thema in Rvf 205,1: „Dolci
ire, dolci sdegni et dolci paci“ [Süß Zorn und Unmut, süß ein friedlich Neigen]. Außerdem gilt
immer wieder als Referenz: „Sí dolce è del mio amaro la radice!“ [Rvf 229, 14; So süß erweist die
Wurzel sich des Herben.]
176   Lauras Rede

sichtlich auch Laura die Macht zugestanden, im Ich zu wirken.77 Hierbei dient ihre
Macht allerdings einzig einem Subjekt, das sich durch die Stimme selbst erkennt.
Wie im Garten von Mailand unter dem Feigenbaum Augustinus die Stimme eines
Kindes vernimmt, die ihn dazu führt, die Hl. Schrift aufzuschlagen,78 so führt
hier umgekehrt die Stimme Lauras das Ich auf sein irdisches Leben, die frale vita,
zurück. Die behauptete süße Ehre, die dem Ich widerfährt, ist somit nicht die
Folge einer Wendung (conversio) zu Gott, sondern einer Wendung zum Blick der
Herrin.
Das Gedicht setzt mit der Wendung des Blicks ein und ruft damit bereits im
ersten Vers das Grußmotiv auf, das in Vers 4 explizit wird: „onde, benignamente /
[s]alutando, teneste in vita il core“ [Rvf 63, 3–4; und mit holden Grüßen / Hieltet
ihr sanft mein Herz zurück im Leben]. Die Haltung der donna ist die Haltung der
pietà, wie sie im Eingangssonett „Voi ch’ ascoltate in rime sparse il suono / Di
quei sospiri“ [Rvf 1, 1–2; Die ihr, wie sie durch meine Reime gehen / Den Seuf­
zern lauscht] erhofft wird: „spero trovar pietà“ [Rvf 1, 8; Mitleid […] zugestehen].
Den Gruß kennzeichnen indes sowohl der Blick der begli occhi als auch Lauras
Stimme. Wenn es diese süße Engelsstimme hört, kann das Ich sich selbst zuwen­
den. Weil sie engelhaft ist, vermittelt die Stimme einerseits den Weg in die Tran­
szendenz, sie bindet andererseits jedoch den Sprecher an sein irdisches Leben
zurück: „teneste in vita il core“ [Rvf 63, 4; Hieltet ihr sanft mein Herz zurück im
Leben]. Der ins Überirdische erhobene, engelhafte Gesang wird zum Grund nicht
des neuen Lebens, sondern des alten, der frale vita, aber gerade diese Rückwen­
dung bringt dem Sprecher seinen süßen Ruhm ein: „Ch’ogni cosa da voi m’è dolce
onore“ [Rvf 63, 14; Denn süßer Ruhm ist’s, was ihr möget geben]. Es ist daher
nur allzu konsequent, wenn die überirdische Verfasstheit der Stimme der Dame
darüber hinaus nicht nur eine conversio ad se bewirkt, sondern auch die Trans­
formation des Ich, wie sich in einem weiteren Sonett des Canzoniere zeigt, in dem
die Verwandlung des Sprechers thematisiert wird. Im Sonett 213 stellt Petrarca
Laura dar, wie sie singend am Ich vorüberschreitet, „cantar“ [singen] reimt auf
„andar“ [gehen], gehen und sprechen fallen zusammen, beides ist himmlisch
(„celeste“). Dabei sind es die Worte, ein „dir pien d’intelletti dolci et alti“ [Rvf 213,
12; Worte, drin Süße sich und Hoheit einen], die zur Verwandlung des Ich führen:

77 Zur Teilhabe des Ich an der überirdischen Schönheit Lauras vgl. Karin Westerwelle: Spiri­
tualität und Bildlichkeit der Laura-Erscheinung in Petrarcas Kanzone (CXXVI): ‚Chiare, fresche
e dolci acque‘. In: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe
für Klaus Schreiner. Hrsg. von Andrea Löther u.  a. München 1996, S. 285–302.
78 Vgl. Aurelius Augustinus, Confessiones / Bekenntnisse. Lateinisch / Deutsch. Übers., hrsg.
und kommentiert von Kurt Flasch, Stuttgart 2009, VIII, 12.
Stimme   177

E ’l cantar che ne l’anima si sente,


L’ andar celeste
[…]
Co ’l dir pien d’intelletti dolci et alti,
Co i sospiri soave mente rotti:
Da questi magi transformato fui.
(Rvf 213, 6–7; 12–14)

Ein Sang, der in der Seele nachtönt leise;


Ein Engelgang;
[…]
Worte, drin Süße sich und Hoheit einen,
Und Seufzer dann, die holdgebrochen schwellen –
Die Zauberer verwandelten mein Leben.

Die angebetete Dame ist deshalb begehrenswert, weil sie über so süße Worte
verfügt, dass das Ich durch diese verwandelt wird. Ihre süße Rede, „dolci et
alti“ (V. 12), fällt dabei mit dem Ton des Gedichts, den süßen Seufzern, „i sospiri
soave“ (V. 13), zusammen. Die ,zweite Rede‘ wird als poetische Voraussetzung
erzählt: Eine Erscheinung und ein Sagen von sublimer Erhabenheit bewirkt, dass
nicht nur der Sprecher, sondern das Sonett verwandelt wird. Die Inszenierung
von Lauras Sprechen bringt also eine zweite Stimme ins Spiel, die einerseits im
Unterschied zur hinfälligen irdischen „lingua mortal“ [Rvf 5, 14; Menschenwort
[Rvf 5, 13]] göttlich überhöht ist, aber andererseits gerade deswegen das Subjekt
und die Sprache in die irdischen Bedingungen der frale vita verstrickt. Denn
die engelsgleiche Stimme Lauras führt nicht über die lingua mortal hinaus, das
Gegenteil ist der Fall: Sie zieht den Sprecher umso mehr in diese hinein und ‚ver­
wickelt‘ dieses buchstäblich in seine eigenen sprachlichen Bedingungen. Was
mit der im Canzoniere wiederholt gebrauchten Metapher des Netzes, dem opra
d’aragna und den Haarknoten aufgerufen wird, ist die Verwicklung des Ich in die
Stimme Lauras und damit zugleich in den Text selbst. Der als überirdisch konno­
tierte Gesang dient dazu, die süße Stimme in die Dichtung buchstäblich zu inkor­
porieren. Aber der Ort dieser Inkorporation kann immer nur die Dichtung sein,
die als lingua mortal des Ich seine Bedingungen thematisiert und durch die Insze­
nierung der Stimme sein Verfahren poetologisch reflektiert. Daher muss Laura
nicht nur singen, sie muss engelhaft und süß singen. Der Sprecher ist gleichzeitig
ein Hörer: Er gibt sich dem Lauschen ihrer Worte hin, er wird selbst zu demjeni­
gen, der seine eigene Dichtung hört.
Diese Situation wird besonders deutlich in den sogenannten pianto-Sonet­
ten. Der Gesang Lauras nimmt sowohl den Ton des Bittersüßen der Liedersamm­
lung an und als er auch sein Thema aufgreift, wenn Petrarca auf die Klage der
Herrin verweist:
178   Lauras Rede

L’atto d’ogni gentil pietate adorno


E ’l dolce amaro lamentar ch’i’ udiva
(Rvf 157, 5–6)

Ihr Tun, geschmückt mit jeder Huld und Hehre,


Und ihre Klagen, bitter-süß und leise

Selbst schon im poetischen Ton des dulce malum verfasst, geht die bittersüße
Klage Lauras dem Sprechen des Ich voraus und liegt ihr doch zugrunde. Dabei
ist sie bereits zitierte Rede, denn sie zitiert die Klage Sapphos, die den gleichen
Tonfall in den Liebesdiskurs eingeführt hat. Wird das Ich in die Haltung des
Hörers gebracht, dann hört es mit der Stimme Lauras immer auch die anderen in
dieser Stimme hörbaren Töne:

Né sí pietose e sí dolci parole


S’ udiron mai, né lagrime sí belle
Di sí belli occhi uscir mai vide il sole.
(Rvf 158, 12–14)

Daß nie gelauscht so frommen, wonnereichen


Worten die Welt, noch Tränen je gesehen
So schön die Sonn aus schönen Augen schleichen.

Außer den begli occhi werden vor allem auch die „pietose e sí dolci parole“ zu
Momenten im Text, an denen erkennbar wird, mit welchen Mitteln Petrarca den
lautlichen Körper des Canzoniere erzeugt. Laura verfügt also nicht nur über ein
„angelico riso“ [z.  B. Rvf 292, 6; Lächeln voll Unschuld und voll Engelsfrieden],
der an den santo riso von Dantes Beatrice erinnert. Sie zitiert mit ihren „dolci
parole“ (V. 12) den Tonfall des Canzoniere, der selbst den Tonfall des Liebesdis­
kurses aus den Intertexten wiederholt.

2.2 Sirenen

Verweist die Stimme auf den poetischen Akt, dann zitiert sie damit die Sprache
der Liebe von Sappho. Diese Bezugnahme geht wiederum mit Referenzen auf die
Sirene einher, deren Stimme in der Literatur immer wieder als etwas Bedroh­liches
dargestellt worden ist und daher gleichzeitig begehrt und abgewehrt worden
ist.79 Als ,andere‘ Stimme singt sie immer auch von etwas anderem als von sich

79 Vgl. Maurice Blanchot: Le chant des sirènes. In: ders.: Le livre à venir, Paris 1959, S. 9–37.
Stimme   179

selbst. Wie Odysseus aus der Odyssee lässt sich das Subjekt des Canzoniere von
der verführerischen Stimme der Sirene verlocken.80 Das Herz begehrt nach dieser
Stimme wie Odysseus, der sich im Unterschied zu seinen Seemännern nicht die
Ohren mit Wachs verstopft hatte, um den verlockenden Gesang der Sirenen hören
zu können.81 Petrarcas Sonett 167 ist dem Klang der Stimme gewidmet und endet
nicht zufällig mit „sirena“ als letztem Wort:

Quando Amor i belli occhi a terra inchina


E i vaghi spirti in un sospiro accoglie
Co le sue mani, e po’ in voce gli scioglie
Chiara, soave, angelica, divina;

Sento fa del mio cor dolce rapina,


Et sí dentro cangiar penseri e voglie,
C’i’dico – Or fien di me l’ultime spoglie
Se ’l ciel sí honesta morte mi destina.

Ma ’l suon che di dolcezza i sensi lega


Co ’l gran desir d’udendo esser beata,
l’anima al dipartir presta, raffrena.

Cosí mi vivo, e cosí avolge e spiega


Lo stame de la vita che m’ è data,
Questa sola fra noi del ciel sirena.
(Rvf 167, 1–14)

Wenn Amor ihr gebeut, den Blick zu senken,


In einen Seufzer sammelt mit den Händen
Der Sehnsucht Hauch, als Wort sie zu entsenden,
Klar, lieblich, englisch, göttlich, kaum zu denken,

Fühl ich mein Herz in Lust sich von mir lenken


Und Wünsche drin sich und Gedanken wenden;
Dann sprech ich: Möcht es so doch mit mir enden,
Will mir so hehren Tod der Himmel schenken!

Der Klang doch, der so süß die Sinne bindet,


Zügelt den Geist, bereit schon zu entschweben,
Durch große Lust nach solcher Laute Schöne.

80 Petrarca hat sich als Odysseus inszeniert. Vgl. Fam. I, 1. Vgl. hierzu Stierle: Francesco
­Petrarca, S. 41  ff.
81 Homer: Odyssee. Griechisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Roland Hampe, Stuttgart 1979,
12, 160  ff.
180   Lauras Rede

So leb ich, und so breitet denn und windet


Des Lebens Faden auf, der mir gegeben,
Diese des Himmels einzige Sirene.

Die Stimme der Sirene ist mit Adjektiven ausgeschmückt, die die Stimme Lauras
kennzeichnen: „chiara“, „soave“, „angelica“, „divina“ und es ist auch nur eine
Sirene, die im Canzoniere singt, nicht zwei wie in der Odyssee. Die Herkunft der
Sirenenstimme wird topisch auf Amor bezogen, der ihren Seufzer, „un sospiro“, in
seinen Händen sammelt wie in einem Gefäß, um ihn von dort aus zu versenden.
Auch hier richtet Petrarca das Sonett darauf aus, dessen eigenes Fabrikations­
geheimnis als Wirkung der sirenenhaften Stimme zu inszenieren. Klang („suon“)
und Sprechen („dire“) sind die verwendeten Worte, die den Sprechakt benennen,
das Hören („udire“) gibt die Rezeptionsform vor. Was erzählt wird, ist die Liebe
zu dieser Stimme: der „gran desir“, der stärker ist als der Tod des Ich und dazu
führt, dass sich der Sprecher auf die „dolce rapina“ [süßer Raub] seines Herzens
einlässt.82 Das Sonett unterscheidet sich damit nicht vom restlichen Canzoniere,
der immer wieder dieses Narrativ bemüht. Nur markiert hier die Sirenenstimme
die Grenze zwischen dem Akt des Erzählens und dem, was das Sonett selbst ist:
süßer Klang.83 Maurice Blanchot hatte den Grund für den ambivalenten Status
der Sirene in unserer Kultur im Übergang von Ode zu Episode gesehen: „ode
devenue épisode.“84 Das Liebesnarrativ muss, um als solches zu funktionieren,
seine ‚Odenhaftigkeit‘ überschreiben, aber gleichzeitig bricht diese an einigen
Stellen hervor, um daran zu erinnern, dass Dichtung doch nichts anderes sein
kann als dieser Klang.
Unterhalb der Liebestopik  – Amors Pfeile, dem Getroffen-Werden des Ich
oder der Liebeswunde  – verbirgt sich also ein engelhafter Sirenengesang. Um
ein liebendes Ich darstellen zu können, das sich in seinem Liebesobjekt selbst

82 Vgl. Joachim Küpper: Schiffsreise und Seelenflug. Zur Refunktionalisierung christlicher


Bilderwelten im Canzoniere (Mit einem Post-Scriptum zur Singularität des Lyrikers Petrarca
sowie zur epistemologischen Differenz von Literarhistorie und Diskursarchäologie). In: Ders.:
Petrarca. Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin, New York 2002, S. 89–
114, S. 109.
83 Vgl. Helmut Pfeiffer: Stimmgabel, Stimme, Phantasma. Marginalien zum Sirenenkapitel
des Ulysses. In: Ereignis und Exegese. Musikalische Interpretation, Interpretation der Musik.
Festschrift für Hermann Danuser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Camilla Bork u.  a., Schliengen
2011, S. 191–202. Vgl. auch Bettine Menke: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoff­
mann, Kleist und Kafka, München 2000, S. 611.
84 Blanchot: Le chant des sirènes, S. 12.
Stimme   181

erkennt, kann diese Stimme nur verleugnet werden. Sie wird als eigenes Spiegel­
bild behauptet oder ist Anlass zur Flucht:

E l’ angelico canto e le parole,


Co ’l dolce spirto ond’ io non posso aitarme,
Son l’aura inanzi a cui mia vita fugge.
(Rvf 133, 12–14, Herv. C. W.)

Der englische Gesang, der Rede Wonne.


Nebst süßem Hauch, wovor kein Ding mich schützet,
Sie sind die Luft, vor der mein Leben flüchtet.

Die durch die Paronomasie von „l’aura“ erzeugte Doppeldeutigkeit – Lufthauch


und Geliebte – zeigt den Sprecher als immer zugleich auf der Flucht vor dieser
Stimme und affiziert durch sie und damit eine nicht auflösbare Ambivalenz
gegenüber dem engelhaften Gesang und den anderen Worten, die als sospiro
soave stets auch die eigenen Worte sind. Lauras angelico canto erzeugt somit eine
paradoxe Struktur: Das Netz der Spinne, opra d’aragna, die Verwicklung des Sub­
jekts in die Schrift, verursacht gleichzeitig eine Verwicklung in die Stimme, die
­angeliche parole:

Cosí caddi a la rete, e qui m’ han còlto


Gli atti vaghi e l’ angeliche parole
E ’l piacer e ’l desire e la speranza.
(Rvf 181, 12–14)

So fiel ich in das Netz, umstrickt von Wonne,


Von süßen Weisen, wie von Engelszungen,
Von Wohlgefallen, Wunsch und frohem Hoffen.

Die Inszenierung der anderen Stimme ermöglicht eine Reflexion über die Bedin­
gungen des poetischen Textes: Die Ambivalenz des Ich, das sich mal lustvoll der
Verführung durch den Gesang hingibt, mal dieser entflieht, wird eingeholt durch
die Wiederholung des Sprechakts, immer wieder nur diesen paradoxen Zustand
benennen bzw. besingen zu können. Der Sprecher zielt darauf, selbst diesen Sire­
nengesang zu singen, der gleichzeitig die Ursache seines Leidens ist. Aus diesem
Paradox heraus erklärt sich der Wunsch danach, wie Laura sprechen zu können –
„E, se come ella parla e come luce / Ridir potessi“ [Rvf 283, 12–13; Und könnt ich,
wie sie spricht, wie glanzgezieret / Sie leuchtet, wiedersagen]. Der Canzoniere ist
eben nichts anderes als dieser Wunsch des Wieder-Sagens („ridir“) von süßen
Worten, ist Artikulation der Wiederholung der Stimme Lauras, die dabei nie voll­
ständig die eigene, die Stimme des Ich sein kann. Auch im Sonett 286 wird der
Wunsch Lauras Rede und ihre süßen Seufzer wiedergeben zu können, formuliert:
182   Lauras Rede

Se quell’ aura soave de’ sospiri


Ch’ i’ odo di colei che qui fu mia
Donna, or è in cielo […]

Ritrar potessi; […]

Per la dolcezza che del suo dir prendo,


Ch’ avria vertú di far piangere un sasso.
(Rvf 286, 1–3; 5; 13–14)

Könnt ich die leisen Seufzer wiedergeben


Der Herrin, die nun weilt in Himmelshöhen, […]

O, wecken müßt es […];

Von ihrer Rede Süßigkeit entzündet,


Die einem Felsen wohl entlockte Zähren.
(Rvf 286, 1–2; 5; 13–14)

Schon mit dem ersten Vers ist durch die Einschreibung des Namens  – „quel
[L]’aura“ – der Gegenstand des Dichtens benannt, bevor er im dritten Vers auf­
taucht als „mia / Donna“. Aber die poetische Sehnsucht ist nicht nur auf diesen
Namen, sondern darüber hinaus auch auf Lauras Gesang und dessen Wiederhol­
barkeit gerichtet: „Se […] / [r]itrar potessi“ (Rvf 286, 1; 5). Die Wiederholung zielt
auf die Macht der Dichtung, die von der Macht der süßen Rede Lauras ausgeht.
Lauras sirenische Stimme zitiert damit den sprachlichen Vorgang, der dem
Gedicht selbst zugrunde liegt: etwas Unbelebtes oder einen Namen zum Leben
zu erwecken, somit als prosopon poiein einem Unbelebten ein Gesicht oder eine
Maske zu verleihen. Mit Laura verfügt Petrarca über die poetische Macht der „Ver­
lebendigung der schriftlichen toten Texte in der Stimme“85. Paul De Man hatte
dies als Kennzeichen der Autobiographie angesehen,86 als die auch der Canzo-
niere in Hinblick auf eine authentische Liebesgeschichte gelesen worden ist.
Lauras Gesang ist die Voraussetzung für die Erweckung in / der Sprache, aber
es zeugt von der Macht der Sprache, dass sie selbst schon das Ergebnis dieser
Figur ist: eine Stimme, der mit den schönen Augen und dem sprechenden Mund

85 Bettine Menke: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka,
München 2000, S. 11  f. Prosopopoiia als Figur der Stimme ist Menke zufolge das Gegenmodell zur
Allegorie als Figur der Schriftlichkeit.
86 Vgl. Paul de Man: Autobiography as De-facement. In: Modern Language Notes 94/5 (1979),
S. 919–930, S. 926; Michael Riffaterre: Prosopopeia. In: Yale French Studies 69 (1985),
S. 107–123.
 Doppelter Ruhm   183

ein Gesicht verliehen worden ist und die einen Namen bekommen hat. Durch
ihre Stimme ist der Name Laura so erinnerbar wie ein Gesicht. Die süßen Worte
und der engelsgleiche Gesang sind diejenigen poetischen Figurationen, die die
Rezeption des Canzoniere als Autobiographie und als Liebesgeschichte möglich
gemacht haben.

3 Doppelter Ruhm

Petrarca bildet mit der Grußszene jenen Moment nach, den die Stilnovisten in
ihren Gedichten wiederholt dargestellt haben und den Dante in der Vita nuova
ausgeführt hatte: Das Vorüberschreiten einer donna gentile, die sittsam grüßt,
worauf das Ich, von diesem Gruß berührt, zu dichten beginnt. Selbst in der Nega­
tion  – jener berühmten Grußverweigerung Beatrices  – ist die Wirkung dieses
Grußes noch festgehalten. Hugo Friedrich hat die Grußszene als „Ursituation“87
der italienischen Liebesdichtung identifiziert: Gruß und Heilswirkung werden
im salute zusammengeführt. Die zentrale Bedeutung der Grußszene lag Fried­
rich zufolge in der Inszenierung eines metaphysischen Ursprungs der Dichtung
und in der Wirkung auf den Sprecher: „höchste Erhöhung der Herrin und Voll­
endung des Liebenden durch inneres Haben der Entrückten.“88 Das Wirken
(opera) ­Beatrices wäre damit auch bei Dante schon nur auf die lyrische Subjek­
tivität bezogen, die Funktion der Figurenrede ausgespart. Friedrich folgt hiermit
entlang der Narration der Szene, wie sie von Dante vorgegeben ist: Eine Dame
schreitet vorüber, grüßt und führt damit den Gegrüßten zum Dichten. Was damit
jedoch noch nicht gesehen wurde, ist, dass hier eine Szene inszeniert wird, die
in einer Sprachhandlung gründet: Der Gruß besteht in einer Rede, die auch als
nichtzitierte Rede ein Sprechen inszeniert, das eine zweite Stimme, die Stimme
der Herrin, in den Text einführt. Die Naturalisierung der Figuren verdeckt, dass
die Grußszene – zugleich Umwendung der Herrin und ihrer Rede – immer auch
ein rhetorischer Akt ist und somit die Grußszene nicht nur ein zentrales Motiv ist,
sondern der Ort der Figuration von Dichtung schlechthin.
Mit Beatrices Gruß, der den Grußszenen im Canzoniere vorausgeht, hat Dante
in der Vita nuova die in der Grußszene implizierte Figürlichkeit zum ersten Mal
kenntlich gemacht.89 Der Text inszeniert mit dem Gruß die Wendung zugleich als

87 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 114.


88 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 115.
89 C. W.: Die Grußszene und die Stimme in Dantes Vita nuova. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 91
(2016), S. 141–154.
184   Lauras Rede

Wechsel der Perspektive: Der Sprecher wendet sich zu seiner Dame um, die ihn
adressiert und dadurch nun selbst, aus ihrer Perspektive, auf ihn zurückblickt.
Die grüßende Herrin vollzieht eine Umwendung der Blickrichtung, die damit
zugleich auch einen Perspektivwechsel des Textes möglich macht. Diese kurze
Bewegung, die vom Text nicht als solche thematisiert wird, sondern in der Figur
des Grußes ihre Figürlichkeit, das Wenden nämlich als Trope (griech. ‚Wendeʻ,
‚Wendungʻ), verdeckt, konstituiert diejenige Dichtung, die den Gruß in den Mittel­
punkt gerückt hat. Die Verbindung von salute und salvare / salvezza – durch die
die Beziehung von Gruß und Heilswerdung letztlich auch der selva oscura (selva /
salve) des Eingangsgesangs im Inferno hergestellt wurde – ist eine Figur, die ihre
Grammatik (und eben nicht nur ihre Etymologie) ins Spiel bringt. Der saluto lässt
sich etymologisch als Quelle des Heils und der Glückseligkeit verstehen, aber als
Inszenierung einer Apostrophe ist er eine rhetorische Figur. Gruß, Singen und
Sagen kommen auch dann noch in der Rede des Liebesobjekts zusammen, wenn
die Grußszene als Zitat aufgenommen wird.

3.1 Gruß/Apostrophe

In der Grußszene wird der Akt des Benennens, der die Gedichte des Canzoniere
auszeichnet, invertiert: Spricht darin der Sprecher die Dame an, benennt sie,
wendet sich ihr zu, so wird mit dem Gruß dieser von der Dame adressiert. Das
chiamar als der Akt der Benennung durch den Sprecher wird damit umgekehrt:
Die verehrte Dame wendet sich mit ihren süßen Worten – dolci parole (Rvf 158,
12)  – an den Dichter, der fortan von Liebe dichten wird. Die Fiktion vom Gruß
bestand ja darin, dass die Dame den Dichter ins Leben ruft. Der Gruß, der im
Canzoniere in einer Vielzahl von Gedichten zitiert wird, verhandelt aber auch die
Macht der Anrufung, durch die die Stimme noch einmal auf dem Spiel steht.
Dante bestimmt die Grußszene als einen Moment, in dem sein Ich zum ersten
Mal die Worte Beatrices vernimmt: „che le sue parole si mossero per venire alli
miei orecchi“ [Vn. 1, 12]. Denn auf das Wenden des Blicks der Dame folgt die
Wendung der Stimme: „e passando per una via, volse gli occhi verso quella parte
ov’io era molto pauroso, e per la sua ineffabile cortesia, la quale è oggi meritata
nel grande secolo, mi salutòe virtuosamente tanto, che mi parve allora vedere
tutti li termini della beatitudine.“ [Vn. 1, 12–13; Und als sie auf einer Straße vor­
überging, wandte sie die Augen nach der Stelle, wo ich, ganz ängstlich, stand,
und in ihrer unaussprechlichen Huld, die jetzt im Reich der Ewigkeit belohnt
wird, grüßte sie mich mit solcher Tugend, daß ich also den Inbegriff aller Selig­
keit zu schauen meinte.] Nicht nur der Gruß, sondern auch „ineffabile cortesia“
und „mirabile donna“ sind die typischen Topoi der Liebesdichtung der Stilnovis­
 Doppelter Ruhm   185

ten. Der „saluto“ impliziert dabei ein Sprechen Beatrices, das zwar verschwiegen
wird, aber dennoch auf eine weitere Ebene des Textes hin öffnet, nämlich auf
den Diskurs der Herrin, die Wirkung ihres Mundes: „il saluto di questa donna, lo
quale era delle opera­zioni della sua bocca“ [Vn. 10, 31; den Gruß dieser Frau, der
zu den Wirkungen ihres Mundes gehörte].
Rainer Warning bemerkt, dass die donna gentile bei Guido Cavalcanti keine
eigene Stimme hat. In dem Grußsonett „Chi è questa che vèn“ verfügen aus­
schließlich der Sprecher, der von der vorüberschreitenden Dame affiziert wird,
und die Umstehenden, die die Szene kommentieren, über einen eigenen Rede­
part.90 Die Grußszene hingegen beschränkt sich auf die Darstellung der Wendung
des Blicks:

O Deo, che sembra quando li occhi gira!91

Der Gruß ist reduziert auf die Bewegung der Augen, in der das Ankommen und
das Wenden zusammengeführt sind. Dante hat diesen Moment aufgenommen,
aber der Herrin zusätzlich eine Stimme verliehen. Ob bei diesem Gruß Sprache im
Mittelpunkt steht, mag fraglich bleiben, aber die Tatsache, dass auch die Wirkun­
gen des Mundes und Beatrices parole als ihr Grüßen in den Blick gerückt werden,
kann nicht übersehen werden. Damit erschliesst sich eine Dimension des Grußes,
die man, denkt man den Gruß als etwas, das von den Augen ausgeht, übersieht.
Der Gruß muss auf seine Bedeutung für die Rede hin erst noch befragt und davon
ausgehend, der Gruß als Zeichen der Erfüllung – „nelle sue salute abitava la mia
beatitudine“ [Vn. 5, 7; ihrem Gruße meine Glückseligkeit innewohnte] – im Hin­
blick auf Petrarca neu bestimmt werden.
Die Bedeutung dieser Szene war bereits vor ihrem Explizit-Werden als Hori­
zont des Textes angekündigt worden: „quando alli miei occhi apparve prima la
gloriosa donna della mia mente, la quale fu chiamata da molti Beatrice, li quali
non sapeano che si chiamare.“ [Vn. 1, 2; als meinen Augen zum ersten Mal die
glorreiche Herrin meines Geistes erschien, welche von vielen, die sie nicht anders
zu nennen wußten, Beatrice genannt wurde.] Mit dieser Rahmung rückt B ­ eatrices
Erscheinung, nicht aber die Möglichkeit ihres Sprechens in den Blick. Auch der
Akt des Nennens ist, im Unterschied zu Petrarcas Laura, eher eine Verlegenheit,

90 Vgl. Rainer Warning: Imitatio und Intertextualität. Zur Geschichte lyrischer Dekonstruk­tion
der Amortheologie: Dante, Petrarca, Baudelaire. In: Interpretation. Das Paradigma der europäi­
schen Renaissance-Literatur. Festschrift für Alfred Noyer-Weidner zum 60. Geburtstag. Hrsg. von
Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn, Wiesbaden 1983, S. 288–317, S. 297.
91 Guido Cavalcanti: Rime. Con le rime di Iacopo Cavalcanti. Hrsg. von Domenico de Ro­
berts, Turin 1986 (Nuova raccolta di classici italiani annotati 10), IV, 5.
186   Lauras Rede

mangels eines besseren Namens wurde sie Beatrice genannt: „la quale fu chia­
mata da molti Beatrice, li quali non sapeano che si chiamare.“ [Vn. 1, 2; welche
von vielen, die sie nicht anders zu nennen wußten, Beatrice genannt wurde]. Die
Grußszene selbst erzeugt jedoch Beatrices Namen oder zumindest wird dieser
der Szene wie eine Inschrift eingeschrieben: „tanto, che mi parve allora vedere
tutti li termini della beatitudine.“ [Vn. 1, 12, Herv. C. W.; daß ich also den Inbegriff
aller Seligkeit zu schauen meinte] Mit der Glückseligkeit des Subjekts ist auch der
Name der Dame ins Spiel gekommen, beatitudine, Beatrice, und als Arbeit an den
Signifikanten wird die Rhetorizität der Grußszene unterstrichen, was durch das
Sprechen Beatrices noch deutlicher wird. Im Grußsonett „Negli occhi porta la mia
donna Amore“ wird die Grußszene als Rede, parlar, der Herrin explizit inszeniert:

Ogne dolcezza, ogne pensero umile


nasce nel core a chi parlar la sente,
ond’è laudato chi prima la vide.
(Vn. 12, 3, 9–11, Herv. C. W.)

Jede Milde, jedweder demütige Gedanke


keimt im Herzen dessen, der sie sprechen hört,
weswegen ausgezeichnet wird, wer sie zuvor gesehen hat.

Wer auch immer das Sprechen, „parlare“, der Herrin hört, wird von diesem zu
dolcezza und humiltas geführt. Die Rezeptionshaltung ist vom Sonett als Hören
vorgegeben und was gehört werden soll, sind die Worte der Herrin, ihr „dolcis­
simo parlare“ [Vn. 12, 8; wonnigsüßes Reden], das über die Macht verfügt, Süßes
zu erzeugen. Natürlich kann man die Worte der Herrin in der Vita nuova auch auf
die Amorlehre beziehen. Dieser zufolge diktiert Amor dem Ich die Worte der Dich­
tung, wie es auch in der Vita nuova und später im Canzoniere behauptet wird: „le
parole che Amore m’avea imposte a dire“ [Vn. 6, 1; die Worte […], die Amor mir
zu sagen befohlen] und „Più volte Amor m’avea già detto: Scrivi, / Scrivi quel che
vedesti in lettre d’ oro“ [Rvf 93, 1–2; Amor sprach oft zu mir: Schreib eigenhän­
dig, / Was du gesehn, schreib es in goldnen Zeichen]. Im parlare der Geliebten
würde sich somit das Ich als „Sprachrohr selbstidentischer Rede der göttlichen
Herrin“92 inszenieren: Aus dem Mund der Herrin spricht dann Amor und insofern
das Ich dieses Sprechen lobt, verschwindet es selbst hinter dieser Rede. Kann
man aber sagen, dass die diktierten Worte mit den Worten des Ich, die nicht die
eigenen, sondern die Worte der Herrin sind, zur Deckung kommen?

92 Warning: Imitatio und Intertextualität, S. 303.


 Doppelter Ruhm   187

Im Erzählteil zur Grußszene hat die Stimme des Textes den Blick des Lesers
auf die Stimme im Text gelenkt: „la prima volta che le sue parole si mossero per
venire alli miei orecchi“ [Vn. 1, 13, Herv. C. W.; das erste Mal [war], daß ihre Worte
sich bewegten, um an mein Ohr zu dringen]. Zwar wird der Blick durch Beatrice
zum Ohr geleitet, um von dort die Affekte des Ich hervorzurufen, die in der Süßig­
keit des salute liegen: „tanta dolcezza“ [Vn. 1, 13; solche Wonne]. Der salute ist
jedoch auch ein Werk des Mundes der Frauenfigur, nicht nur der Augen. Die Affi­
zierung des Sprechers erfolgt aus einer präzisen Anordnung heraus, in der Sehen
und Hören, Worte und Zustände einander gegenseitig bedingen. Allem voran
geht die Wendung des Blicks („volse gli occhi“), die mit dem Hören der Stimme
zusammenfällt. In der Vita nuova erweitert Dante den Gruß der Herrin, dolcis-
simo salutare, zum parlare und führt damit unseren Blick von den Augen auf
den Mund. Dabei bleibt jedoch unausgesprochen, was Beatrice sagt, ihre parole
werden nicht zitiert. Die Vita nuova weist also deutliche Leerstellen auf, wenn
zwar gesagt wird, dass Beatrice gesprochen hat, der Inhalt jedoch nicht wiederge­
geben wird. Anscheinend kommt es weniger auf den Inhalt der Rede Beatrices als
auf den Akt selbst an: durch Beatrices Gruß adressiert Dante den Sprecher und
verändert damit die Blickrichtung. Wie Jonathan Culler mit Quintilian zeigt, ist
die Apostrophe die Figur dieser Wendung, die von der Bedeutung der Szene weg
unseren Blick auf ihre sprachliche Struktur lenkt.93
Dante selbst hat die im Gruß verborgene Rhetorizität auf der Erzählebene
reflektiert: „Dico anche di lui [Beatrice] che ridea, e anche che parlava; le quali
cose paiono essere proprie dell’uomo, e spezialmente essere risibile; e però
appare ch’io ponga lui essere uomo.“ [Vn. 16, 2; Ich behaupte auch von ihm, daß
er lachte, und ferner, daß er sprach; beides Dinge, die dem Menschen eigentüm­
lich scheinen, und vorzüglich die Fähigkeit zu lachen; und daher zeigt sich, daß
ich unterstelle, er sei ein menschliches Wesen.] Lachen und Sprechen geben einer
fiktiven Figur ein Gesicht, sodass es scheint, als ob sie aus Fleisch und Blut wäre.
Das ist nichts anderes als eine Umschreibung des sprachlichen Effekts der Pro­
sopopoiia als Fiktion einer Adressierung, insofern die Prosopopoiia „Trope des
Apostrophs“94 ist. Die Gegenwärtigkeit der Herrin beruht auf der Wirkung der
Sprache, die die Fiktion einer Adressierung ermöglicht, wie sie Dante auch schon
bei Ovid vorgefunden hat: „Per Ovidio parla Amore, sì come se fosse persona
umana“ [Vn. 16, 9; Bei Ovid spricht die Liebe, so als ob sie ein menschliches
Wesen wäre]. Die Autorität Ovids sichert ab, was Dante poetisch ausgestaltet hat.

93 Vgl. Culler: The Pursuit of Signs, S. 135–154.


94 Paul de Man: Hypogramm und Inschrift. In: Die paradoxe Metapher. Hrsg. von Anselm
Haver­kamp, Frankfurt a. M. 1998, S. 375–413, S. 402.
188   Lauras Rede

Nichts anderes ist die Grußszene als das Anthropomorphisieren von Sprache, die
Übersetzung von figurativen Gesten in die Repräsentation menschlicher Natur.95
Der Gruß ist somit nicht nur in doppelter Weise als Heilsversprechen und Gruß
lesbar, sondern auch in einem rhetorischen Sinn als eine Szene, in der durch Apo­
strophe und Stimme die Sprache ein Gesicht bekommt.
Einerseits verrät uns die Vita nuova nicht, welche Beatrices Worte sind.
Andererseits lässt sich die Vita auch als Nachschrift eben dieser Worte verstehen:
„verrò a quelle parole le quali sono scritte nella mia memoria“ [Vn. 1, 11, Herv
C. W.; ich werde […] zu jenen Worten gelangen, die […] verzeichnet stehen]. Sind
es Beatrices Worte – le sue parole –, die sie im Gruß an Dante gerichtet hat und an
die sich das erzählende Ich jetzt wieder erinnert? Auch hier sind die Bezüge von
„quelle parole“ und „le sue parole“ keinesfalls zwingend, werden aber durch die
Grußszene möglich gemacht. Auf die Frage, welche Worte von dem Ich erinnert
werden, gibt der Text keine eindeutige Antwort. Sieht es zu Beginn der Vita nuova
so aus, als wäre die Nachschrift der „parole“ die Nachschrift von Worten, die in
der Erinnerung des erzählenden Ichs fixiert sind und jetzt von diesem erinnert
werden, so wird mit der Grußszene durch mindestens eine zweite Ebene der Rede
die Sicherheit des Anfangs aufgehoben.
Die Grußszene, von der nachträglich behauptet wird, dass sie der Nieder­
schrift vorausgegangen ist und sie begründet, stülpt Beatrices parole die Worte
des Textes über. Auch diese „Worte“ werden im Text genannt: „le parole le quali
è mio intendimento d’asemplare in questo libello“ [Vn. 1, 1, Herv. C. W.; diejeni­
gen Worte […], welche ich in diesem Büchlein nachzuzeichnen gedenke]. Nahezu
unbemerkbar ist durch die Ambiguität der parole eine Differenz der Sprecher ent­
standen, mit der der Text als Verfahren und in gewisser Weise auch als Thema
operiert. Der Gruß impliziert damit mehr als ein Heilsversprechen. Er beinhal­
tet die Einführung einer anderen Stimme, die grüßt und verführt und dadurch
über ihre eigene Wirkungsweise Auskunft gibt. Auch wenn sie als transzendentes
Sprechen begründet wird, ist sie doch, in dem Moment, in dem sie zum Prinzip
des Textes geworden ist, dessen sprachlichen Gesetzen unterworfen. Die Ambi­
guität zwischen der Stimme im Text und der Stimme des Textes ist der Grußszene
eingeschrieben, die folglich nicht nur eine „Urszene“ ist, weil sie die Wirkung auf
den Sprecher zeigt, sondern auch insofern sie die Möglichkeiten des Textes und
seines Sagens befragt.

95 Am Beispiel Baudelaires lässt sich dieser Vorgang noch einmal verfolgen. Vgl. Paul de Man:
Anthropomorphism and Trope in the Lyric. In: Ders.: The Rhetoric of Romanticism, New York
1984, S. 239–262.
 Doppelter Ruhm   189

Im sogenannten Grußsonett des Canzoniere hat Petrarca die Grußszene von


Dante und Beatrice nachgebildet, hat er die Differenz von Stimme im Text und
Stimme des Textes mit dem Gruß noch einmal aufgerufen. Nach der Erscheinung
der donna war diese redend weitergelaufen:

[…] et ella oltra, parlando,


Passò, che la parola i’ non soffersi
(Rvf 111, 9–10, Herv. C. W.)

[…] und sie schritt weiter auf dem Wege


Und sprach, daß ich ihr Wort nicht konnt ertragen

Wie Beatrice in der Vita nuova schreitet Laura an dem Ich vorüber. Auch hier wird
dabei das Sprechen der donna gentile inszeniert, wenn ihr Blick genauso wie ihre
Worte genannt werden, wodurch ein Spielraum zwischen Gehen und Reden, zwi­
schen „parlare“ und „passare“, entsteht.96 Das Versprechen der heilbringenden
Wirkung des Grußes wird jetzt allerdings zu einer paradoxen Figur: die „parole“
sind für den Sprecher nur schwer zu tragen. Neben dolcezza und gentilezza, ist
soffrire die durch den Gruß der Herrin ausgelöste Wirkung.97
Bereits eingangs konstituiert das Sonett eine Beziehung zwischen Dame und
Ich, insofern das aufgerufene Bild das Herz des Sprechers im Gesicht der Dame
ist: „La donna che ’l mio cor nel viso porta“ [Rvf 111, 1; Die Herrin, die mein Herz
trägt in den Blicken]. Die Grußszene ist damit nichts anderes als dieses Bild, das
die Dame in ihrem Gesicht trägt. Petrarca bemüht den Topos der provenzalischen
Liebesdichtung, demzufolge die Augen der Herrin Ort narzisstischer Selbst­
bespiegelung sind.98 Von dieser Metapher auf der Ebene des Blicks  – ich sehe
im Gesicht der anderen mein Herz  – kann man jedoch die Stimme unterschei­
den. Denn auch hier divergieren die Stimme im Text (Lauras Apostrophe) und die
Stimme des Textes (das Ich, das im Gesicht seiner Herrin seine Liebe erkennt).
Denn was Laura spricht, wissen wir nicht, wir sehen nur in ihrem Gesicht die
Selbstbespiegelung des Ich. Darum sind die Worte Lauras auch so unerträglich:
Weil sie zeichentheoretisch nicht das Gleiche sind wie das, was der Sprecher in
ihrem Antlitz sieht. Der Blick des Ich, das im Gesicht seiner Herrin sein eigenes
Begehren erkennt, kann von dem Wort der Herrin nicht zurückgespiegelt werden.

96 Vgl. Warning: Imitatio und Intertextualität, S. 310.


97 Warning hat die Szene auf die lyrische Subjektivität bezogen: Lauras Rede diene dem Sub­
jekt, die Adressierung durch das parlar ziele auf den Sprecher. Vgl. Warning: Imitatio und In­
tertextualität, S. 310.
98 Vgl. Kap. II, 1.2.
190   Lauras Rede

Der Akt der Adressierung, Lauras „parola“, setzt zudem die Zeitlichkeit außer
Kraft. Die Narration des Sprechers über die Vergänglichkeit ist in der Apostrophe
aufgehoben und in eine andere Zeitstruktur übertragen worden, die Jonathan
Culler „discursive time“99 nennt: Anstelle von linearer Zeit gilt in der Apostro­
phe die Zeit der Rede oder des Schreibens. Die Fiktion der Adressierungen wird
verdoppelt: Die Invokation der Dame  – „[l]a donna“  – tritt in Spannung zum
diskursiven Ereignis der Vokation des Ich, durch das nun umgekehrt dieses zum
Objekt der Anrufung, „quel saluto“, wird. Die Dame wird dabei zum Bild dieser
Stimme, zur Prosopopoiia als Animierung einer Stimme und als ein Sprechend-
Machen von Leblosem.100 Die Grußszene inszeniert die Verführung, in der das
Subjekt gefangen ist, wobei diese keine reale, sondern eine Verführung durch
Sprache ist, die ein weibliches Gesicht bekommt. Die Engführung von Sprechen
und Gehen ist somit keinesfalls Zufall. Petrarca übersetzt die Grußszene in eine
Handlung, die als Handlung durch Sprache zu einer Sprachhandlung wird: Der
Gruß ist Sprechakt der Adressierung, der das Subjekt des Textes überhaupt erst
zum Subjekt macht und dieses zugleich der Macht der Herrin, ihrer „voce ange­
lica soave“ [Rvf 63, 7; Engelsstimme, voll von Güte], unterwirft.
Die Struktur des Gedichts gründet in der zeitlichen Differenz der Ebenen,
dem „parlando“ (der Herrin) und dem nachträglichen Durcharbeiten, dem
„saluto ripensando“ (des Ich):

Or mi ritrovo pien di sí diversi


Piaceri, in quel saluto ripensando,
Che duol non sento né senti’ ma’ poi.
(Rvf 111, 12–14)

Nun fühl ich ein so mannigfach Behagen,


Wenn solchen Gruß ich wiederum erwäge,
Daß keinen Schmerz ich fühl und nie mehr fühlte.

Die Grenzen der Selbstbespiegelung zeigen sich in dem Moment, in dem die
Herrin zu sprechen und sich mit dieser Rede gegenüber ihrer medialen Rolle, auf
die sie festgelegt war, zu verselbstständigen beginnt. Schien auf den ersten Blick
das parlar der Herrin den identifikatorischen Akt zu bestätigen, zeigt sich, dass
erinnertes und erinnerndes Sprechen nicht zur Deckung kommen. Die Bedeutung
der anderen, zweiten Stimme manifestiert sich auch dann, wenn sie verweigert
wird. Im Sonett „Tornami a mente“ [Rvf 336; Sie kehrt zum Herzen] wird noch­

99 Culler: The Pursuit of Signs, S. 150.


100 Vgl. Culler: The Pursuit of Signs, S. 153.
 Doppelter Ruhm   191

mals an das Grußmotiv erinnert, wenn die Umwendung der Herrin zum Sprecher
vom ersten Vers an präsent ist. Das Erinnerungsbild, als das Laura, umgeben von
Strahlen, im Blick des Ich erscheint, ist der Auslöser für die Bitte des Sprechers,
nicht nur Laura zu sehen („la vidi“), sondern auch ihre süße Rede („sua dolce
favella“) hören zu können:

Qual io la vidi in su l’ età fiorita,


Tutta accesa de’ raggi di sua stella.
[…]
– Ell’ è ben dessa; anchor è in vita, –
E ’n don le cheggio sua dolce favella.
(Rvf 336, 3–4; 7–8)

Leuchtend, wie ich sie sah in Blütentagen,


Von Strahlen, die aus ihrem Sterne rinnen.
[…]
‚Sie ist es selbst! sie lebt!‘ muß sagen
Und flehn, die süße Rede zu beginnen.

Mit dem Bild des leuchtenden Strahlenkranzes um Laura zitiert Petrarca Dantes
Beatrice und ruft damit gleichzeitig ihre „dolce favella“ auf. Petrarca nimmt Bea­
trices Sprechen auf, das sie „con angelica voce, in sua favella“ [Inf. II, 57; mit
engelhafter / Stimme, auf ihre Weise [Inf. II, 56–57]] geäußert hatte.101 Lauras
Rede wird dabei durch das Adjektiv dolce erweitert, sodass auch hier die Tonlage
des Liebesdiskurses aufgerufen wird und eine Art Zweistimmigkeit des Gesangs
entsteht. In dem Moment, in dem Laura spricht, sie also nicht nur grüßt und
singt, sondern auch einen eigenen Redepart, favella, bekommt, wird eine zweite
Stimme eingespielt, die sich wie die Stimme des Sprechers anhört, aber trotzdem
nicht deckungsgleich mit ihr ist.
Lauras Rede wird zum entscheidenden Kriterium für ihre Lebendigkeit. Denn
nur wenn sie spricht, kann sie auch als lebend behauptet werden. Das Todes­
datum  – „mille trecento quarant’ otto, / Il dí sesto d’ aprile, in l’ ora prima“
[Rvf 336, 12–13; Tausend dreihundert acht und vierzig, wehe! / Am sechsten Tag
Aprils, in erster Stunden] – korrespondiert formal mit der Begegnung von Laura
und dem Sprecher als dem Beginn der Verwicklung des Herzens in das Laby­
rinth von Lauras dolci parole (Rvf 211, 10): „Mille trecento ventisette, a punto /
Su l’ ora prima il dí sesto d’ aprile, / Nel laberinto intrai“ [Rvf 211, 12–14; Dreizehn
hundert sieben und zwanzig eben, / Am sechsten Tag Aprils in erster Stunden, /
Trat ich ins Labyrinth]. Zwischen diesen beiden Daten inszeniert Petrarca Lauras

101 Vgl. Kap. II, 1.3.


192   Lauras Rede

Stimme, als wäre ohne sie die Dichtung nicht möglich. Dieser Gruß aus dem Jen­
seits kündet von der Dichtung als Schrift, die Totes lebendig erscheinen lässt,
obwohl sie nichts anderes als Dichtung von Geistern ist. Die Nüchternheit des
Todesdatums, die das strahlende Bild Lauras in „su l’ età fiorita“ [Rvf 336, 3; in
Blütentagen] konterkariert, ist die Konsequenz dieser metapoetischen Reflexion
des Sonetts über seine eigenen Möglichkeiten, die durch den Gruß zustande
gekommen war.

3.2 sua dolce favella

Was aber wissen wir vom Inhalt der süßen Rede, der dolce favella? Kennen wir
den Text, den Laura spricht? Nach den Beobachtungen zur Stimme und ihrer
Inszenierung soll im Folgenden der Inhalt der Rede Lauras untersucht werden.
Denn Teile der Rede des Canzoniere werden Laura in den Mund gelegt, die somit
neben ihrer Adressierung auch als Sprecherin des poetischen Textes verhandelt
wird. Auch dadurch öffnet der Text auf eine zweite Ebene der Rede, wenn eine
weitere (weibliche) Sprecherinstanz auftritt, die genau das macht, was das Ich
tut: singen und sprechen. Die Konstruktion zielt zum einen auf die Differenz zu
einer anderen Stimme, zum anderen auf die Differenz zu ihrem Sagen, das der
Sprecher gleichzeitig herbeisehnt und abwehrt. Von der stummen Rede in den
Grußszenen der Vorläufer hebt sich eine Laura ab, die zum Ich des Canzoniere
spricht. Insbesondere im zweiten Teil, in morte di madonna Laura, tritt Laura
sowohl als singender Engel als auch als sprechende Figur auf. Ihr eigener Text,
dolce favella, den der Sprecher so vehement eingefordert hat, ist demnach nicht
immer eine nichtzitierte Rede geblieben.
In direkter Rede kündet Laura von ihrem Tod und ihrer Ewigkeit. Ihr Spre­
chen setzt mit einer Frage ein, die den Sprecher als Geliebten adressiert und an
seine Erinnerung appelliert:

– Non ti sovèn di quella ultima sera, –


Dice ella, – ch’ i’ lasciai li occhi tuoi molli,
E sforzata dal tempo me n’ andai?

I’ non te ’l potei dir allor né volli,


Or te ’l dico per cosa esperta e vera:
Non sperar di vedermi in terra mai.
(Rvf 250, 9–14)

‚Gedenkst du noch der letzten Abendstunde‘,


Spricht sie, ‚als ich dein Auge ließ in Zähren,
Und, von der Zeit gedrängt, von dir geschieden?
 Doppelter Ruhm   193

Da konnt ich nicht, noch mocht ich dich belehren;


Jetzt sag ich dir, als wahr und sichre Kunde:
Nicht hoffe, je zu sehen mich hienieden!‘

Lauras ‚Text‘ ist erinnernde Rede, wenn sie an die gemeinsame Zeit appelliert.
Gleichzeitig haben ihre Worte das Sagen selbst zum Gegenstand: „I’ non te ’l potei
dir allor né volli“ [Rvf 250, 12; Da konnt ich nicht, noch mocht ich dich beleh­
ren]. Nicht nur der Sprecher bewegt sich in der Zeit, wenn er zwischen Einst und
Jetzt unterscheidet, auch Laura selbst verfügt über die Macht, die Vergangenheit
in den Blick zu nehmen. Laura tritt als eine Führerin auf, die aus der Totenwelt
in die Gegenwart zurückgekommen ist, um jetzt, mit dieser zeitlichen Verzöge­
rung und Verspätung, ihr Sprechen oder Nichtsprechen in der Vergangenheit
zu begründen. Ihr Auftritt ist umso mehr engelhafte Erscheinung – „Con quella
dolce angelica sua vista / Madonna“ [Rvf 250, 2–3; Die Herrin durch ihr englisches
Erscheinen [Rvf 250, 2]] – und ihr Sprechen wird zum Kommentar der längst ver­
gangenen, nunmehr ausschließlich erinnerbaren Grußszene.
War das Sprechen in der Grußszene von Laura nicht gewollt oder von ihr nicht
gekonnt, so ist ihre direkte Rede nun ein Wahr-Sprechen: „Or te ’l dico per cosa
esperta e vera“ [Rvf 250, 13; Jetzt sag ich dir, als wahr und sichre Kunde]. Damit
wird die Überirdischkeit Lauras unterstrichen, allerdings ist sie nicht erschienen,
um dem Ich von den jenseitigen Dingen zu künden, sondern im Gegenteil. Sie
ist erschienen, um die Hoffnungslosigkeit der Erfüllung der Liebe auf Erden und
den Abschied auf ewig vorauszusagen: „Non sperar di vedermi in terra mai.“ [Rvf
250, 14; Nicht hoffe, je zu sehen mich hienieden!] Petrarca hat mit diesem Sonett
die „Liebe […] auf den letzten Blick“102 vorweggenommen, die Baudelaire sein Ich
in dem berühmten, die Moderne datierenden Sonett „A une passante“ sprechen
lassen wird: „Ne te verrai-je plus que dans l’éternité?“103 Hier ist es allerdings die
Rede Lauras, die die Figur des Abschieds einbringt, die dem Abschied ein Gesicht
gibt und die Frage, die das Ich Baudelaires aufgreifen wird, bereits vorwegge­
nommen hat. Was wird jedoch mit dieser Figur des Abschieds verabschiedet? Die
Liebe, das Irdische oder die Stimme Lauras?
In der Tat hatte Laura Trennung und Abschied bereits im Sonett 123 vorweg­
genommen, als sie wie Beatrice mit einem „dolce riso“ [Rvf 123, 1; süßem Lächeln

102 Walter Benjamin: Über einige Motive bei Baudelaire. In: Ders.: Gesammelte Schriften.
Hrsg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Bd. 1, 2, Frankfurt a. M. 1974, S. 605–
653, S. 623.
103 Charles Baudelaire: Œuvres complètes. Hrsg. von Claude Pichois, Bd. 1, Paris 1975,
XCIII: „A une passante“, 11.
194   Lauras Rede

[Rvf 123, 2]] dem Ich „come in paradiso“ [Rvf 123, 5; wie des Himmelsreichs]
erschienen war und gefragt hat:

Chi m’ allontana il mio fedele amico?


(Rvf 123, 14)

Wer will von meinem treuen Freund mich trennen?

Das Beatrice-Zitat setzt sich in ihrer ganzen Erscheinung fort: Laura ist tugend­
haft, von „angelica vista“ [Rvf 123, 9; Englischer Blick], ihre Haltung ist demüti­
ger „atto umile“ [Rvf 123, 9; demütige Gebärden]. Ihr schöner Blick ist nicht pro­
vozierend, sondern auf den Boden gerichtet. Ihr Sprechen erfolgt in Form einer
­Katachrese der schweigenden Rede: „E tacendo dicea“ [Rvf 123, 13; Und sprach],
als hätte sie hier noch keine Sprache, die aus dem Schweigen ausbrechen könnte.
Dennoch ist Lauras Sprecherrolle ganz vertrauliche Anrede, wenn sie das Gegen­
über als „il mio fedele amico“ (Rvf 123, 14) apostrophiert, als würde zwischen ihr
und dem Ich eine gegenseitige Freundschaft bestehen. Auf ein solches Band der
Freundschaft lässt später auch eine Formulierung schließen wie „co le parole /
Intellette da noi soli ambedui.“ [Rvf 341, 10–11, Herv. C. W.; Und deinen Worten –
freundlichen Geschenken, / Uns beiden nur verständlich] Zwischen beiden Spre­
chern scheint sich ein Einverständnis einzustellen, wie es durch das „nostro ben“
[Rvf 341, 13; uns zu beglücken] gekennzeichnet wird.
Durch die umgekehrte Perspektive, Lauras Blick auf das Ich, bringt der Can-
zoniere die Möglichkeit eines beiderseitigen Glücks ins Spiel. Ist Laura aus der
Perspektive des Ich himmlisch entrückt, so scheint aus der Perspektive Lauras
die Möglichkeit einer gemeinsamen Liebe auf. Die Apostrophe adressiert das
Ich, das nun seinerseits zum Objekt der Liebe wird: „Amico, or t’ am’ io et or t’
onoro“ [Rvf 362, 7; ‚Mein Freund, jetzt muß ich lieben dich und loben […]‘]. Es
ist Lauras Liebe, die hier aus ihrem Mund verkündet und durch die die Perspek­
tive des Textes umgekehrt wird: Jetzt schenkt Laura dem Ich Liebe (amore) und
Anerkennung (onore). Die Stimme bekommt nicht nur ein Gesicht, in dem das
Herz des Liebenden erscheint, sondern ihr wird auch die Möglichkeit von Liebe
zu sprechen gegeben. Durch diesen Wechsel der Perspektive vollzieht sich eine
Umkehrung des Liebesdiskurses. Mit der auf Unerfüllbarkeit gründenden Liebe
geht eine Rede über die Liebe einher, die Erfüllung verspricht, wenn Laura das
Ich nicht nur bei der Hand nimmt, sondern auch das Wort ergreift:

Per man mi prese e disse – In questa spera


Sarai ancor meco, se ’l desir non erra:
I’ son colei che ti die’ tanta guerra,
E compiei mia giornata inanzi sera.
 Doppelter Ruhm   195

Mio ben non cape in intelletto umano:


Te solo aspetto e, quel che tanto amasti
E là giuso è rimaso, il mio bel velo. –
(Rvf 302, 5–11)

Sie gab die Hand und sprach: ‚In diesem Kreise


Wirst du, irrt nicht mein Wunsch, mir einst verbunden;
Ich bin’s, durch die du solchen Kampf gefunden,
Und die vorm Abend schloß des Tages Reise.

Kein menschlicher Verstand begreift mein Glücke;


Dein harr ich nur und, das du liebtest lange,
Des schönen Kleids, das drunten aufgehoben.‘

Die ersehnten Worte Lauras werden in das Begehren Lauras („desir“) und
ihr Glück („mi ben“) verwandelt. Dabei spielt nicht nur der Inhalt ihrer Rede,
sondern auch ihr Stil eine entscheidende Rolle. Wenn ihre Rede als „detti sí
pietosi e casti“ [Rvf 302, 13; so mild und keuscher Worte] ausgewiesen wird, dann
ist auch das Gesagte Petrarcas eigenem Stil, den „pietose rime“ [Rvf 120, 1; Das
mitleidvolle Lied], äußerst ähnlich. Im spiegelbildlichen Stil Petrarcas äußert
Laura ihr Begehren, womit durch die Rede eine Subjektposition der aktiv Lieben­
den angedeutet wird, die sie in der Geschichte der Liebenden selbst nicht einneh­
men kann: „Sarai ancor meco, se ’l desir non erra“ [Rvf 302, 6; Wirst du, irrt nicht
mein Wunsch, mir einst verbunden].

3.3 Mit ihren Worten

Mit Lauras Worten und der Umkehr der Perspektive inszeniert der Canzoniere die
bittersüße Klage des Ich, aber auch die Möglichkeit des Trosts. In einer Serie von
Gedichten tritt Laura post mortem (Rvf 279, 342, 359) als Trostspenderin auf. Wie
Beatrice, die Dante als Führerin erschienen war, so kommt Laura aus dem Jenseits
und spricht zu dem weinenden Ich. In Sonett 279 wird das Ich schreibend gezeigt,
Laura sprechend: „Là ’v’ io seggia d’ amor pensoso e scriva“ [Rvf 279, 5; Sitz ich
und schreib, in Liebe hingegeben]. Petrarca markiert die dargestellte Handlung
in doppelter Weise poetologisch als Schrift und als Stimme. Indem seine eigenen
Bedingungen durch das inszenierte Rückerinnern und die Anspielungen auf das
Schrei­ben benannt werden, reflektiert das Gedicht den Vorgang des Dichtens als
einen nachträglichen, immer schon zeitlich versetzten poetischen Akt. Laura tritt
darin als Verkünderin einer anderen, ewigen Zeit auf, die dem Ich, das der irdi­
schen Zeitlichkeit ausgesetzt ist, in Aussicht gestellt wird:
196   Lauras Rede

– Deh perché inanzi ’l tempo di consume? –


Mi dice con pietate: – a che pur versi
De gli occhi tristi un doloroso fiume?

Di me non pianger tu; ch’ e’ miei dí fêrsi,


Morendo, eterni; e ne l’ interno lume,
Quando mostrai di chiuder, gli occhi apersi.
(Rvf 279, 9–14)

‚Warum ach! vor der Zeit dich so verbluten?‘


Spricht sie voll Mitleids. ‚Warum nur vergießen
Aus trüben Augen schmerzensvolle Fluten?

Nicht klag um mich; ich starb, um zu genießen


Ein ewig Dasein, und in ewgen Gluten
Erschloß mein Aug ich, da ich’s schien zu schließen.‘

Der Ausruf „Deh“ erzeugt eine Hinwendung des Sprechers zur Rede Lauras und
ihrer Aufforderung, nicht um sie zu trauern: „Di me non pianger“ (V. 12). Dabei
wird die Liebesgeschichte noch ein zweites Mal, jetzt aus der Perspektive von
Laura, erzählt. Im Sonett 342 wird an diese Perspektive angeschlossen, wenn
wiederum Laura aus dem Jenseits kommt, um das Ich zu trösten:

Con quella man che tanto desïai


M’ asciuga li occhi, e co ’l suo dir m’ apporta
Dolcezza ch’ uom mortal non sentí mai.

– Che val – dice – a saver chi si sconforta?


Non pianger piú; non m’ hai tu pianto assai?
Ch’ or fostú vivo com’ io non son morta!
(Rvf 342, 9–14)

Dann trocknet mit der Hand sie, mild entschlossen,


Die Augen mir und bringt mit frommen Grüßen
Freude, wie sie kein Sterblicher genossen.

‚Was hilft‘, spricht sie, ‚Mutlosem alles Wissen?


Nicht wein! hast du nicht Tränen gnug vergossen?
Wärst lebend du, wie ich dem Tod entrissen!‘

Der Trost entspringt ihren Worten („suo dir“), die auch hier als direkte Rede
inszeniert werden: „Non pianger più“. Das Sonett zitiert die Consolatio philo-
sophiae, wo die Philosophie in Gestalt einer Frau, als mulier, erscheint, die wie
Laura dem weinenden Ich die Tränen von den Wangen wischt und eine Trostrede
 Doppelter Ruhm   197

hält. „Tum illa propius accedens in extrema lectuli mei parte consedit meumque
intuens vultum luctu gravem atque in humum maerore deiectum his versibus
de nostrae mentis perturbatione conquesta est.“ [Da trat sie näher an mich
heran, setzte sich auf das Ende meines Bettes, blickte auf mein kummerschwe­
res, auf die Erde geneigtes Antlitz und klagte in folgenden Versen über die Ver­
wirrung meines Geistes]104 Petrarca nimmt aber nicht nur die Motive, sondern
auch die Redehaltungen auf, denn wie die Dame Philosophie wird Laura zur
einer sprechenden Figur. Der Raum und die Zeit dienen überhaupt nur als Hin­
tergrund für die Rede Lauras in den Terzetten, die eine süße Wirkung auf das Ich
haben:

e col suo dir m’ apporta


Dolcezza
(Rvf 342, 10–11)

und bringt mit frommen Grüßen


Freude

Wie Beatrice, die Dante mahnt, nicht mehr zu weinen, als Vergil ihn verlassen hat
(„non pianger anco, non piangere ancora“, [Purg. XXX, 56; sollst du nicht schon /
weinen. Weine jetzt noch nicht“ (Purg. XXX, 55–56)]105, so tut dies auch Laura. Die
Opposition von Leben und Tod wird mit den beiden Sprechern aufgerufen, aber
als überkreuzt ausgewiesen: Laura in morte ist nicht mehr einfaches Spiegelbild,
sondern ein Gegenüber des Ich in vivo aus dem Jenseits, dem durch ihre Worte
ein jenseitiges Leben in Aussicht gestellt wird. In Laura kann sich das Ich also
nicht als sich selbst spiegeln, in seiner frale vita, sondern immer nur in seinem
Streben nach Ewigkeit.106 Durch die in den Terzetten geschilderten Handlungen
und Worte der Laura wird der Blick vom Ich hin zu Laura und ihrem Sprechen
gelenkt. Es sind folglich auch nicht die Worte des Ich, sondern ihre Worte, die
das Sonett beenden. Die in der ersten Strophe erwähnte bittere, tiefe Wunde des
Herzens des Ich, „la sua piaga aspra e profonda“, wird durch die Worte Lauras
eingeholt und damit die bittere Wunde in süße Worte umgewandelt. Das Gedicht

104 Boethius: Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. und
übers. von Olof Gigon, München, Zürich 1990 (Sammlung Tusculum), I, 1p, 47–50.
105 Vgl. Kap. III, 2.3.
106 Barbara Ventarola liest diese Szene als Ankündigung erotischer Erfüllung, durch die die
Trosterscheinung Boethius zwar aufgerufen, aber zum „Phantasma des begehrlichen Ichs“ ab­
gewandelt wird. Barbara Ventarola: Kairos und Seelenheil. Textspiele der Entzeitlichung in
Francesco Petrarcas ‚Canzoniere‘, Stuttgart 2008 (Text und Kontext 28), S. 262.
198   Lauras Rede

verdeckt durch diese Fokussierung auf die diskursive Transformation allerdings


die Differenz, die zwischen den beiden Sprechern besteht und dieser Wandlung
zugrunde liegt.

3.4 Spiegelungen: tua salute e mia

Inszeniert wird Lauras direkte Rede noch einmal in der Kanzone 359, in der Laura
zum wiederholten Mal am Bettrand des Sprechers erscheint. Mit dem Lorbeer,
lauro, den Laura dem Ich verspricht, wird mit dem Ruhm des Dichters und dem
poetischen Lorbeer die ganze Laura-Poetik nochmals aufgerufen. Auch wenn
also hier ihr Name nicht fällt, wird dieser durch die Homophonie eingebracht.
Ihre Rede wird eigens qualifiziert als „suo dolce ragionare“ [Rvf 359, 4; eignem
süßen Flüstern], in der Wissen und Ästhetik zusammenkommen. Auch scheint
das Trostmotiv durch, wenn Laura dem Ich mit ihrer Hand die tränenerfüllten
Augen trocknet. Der Dialog ist die längste Rede zwischen Laura und dem Spre­
cher. Sie beginnt damit, dass Laura einen Palm- und Lorbeerzweig aus ihrem
Busen hervorzieht und damit die Dichterkrönung zitiert:

Un ramoscel di palma
Et un di lauro trae de sul suo bel senso,
Et dice – Dal sereno
Ciel empireo e di quelle sante parti
Mi mossi, e vengo sol per consolarti. –
(Rvf 359, 7–11)

Und aus des Busens Hülle


Zieht sie von Palm und Lorbeer zween der Zweige,
Und spricht: ‚Herab ich steige
Vom Empireum und den heilgen Höhen
Zu dir, nur um mit Trost dir beizustehen,‘

Die Trostgeste steht gegen die Affirmation der Tränen, die der Sprecher rekla­
miert und als Tränen um sich selbst ausweist. „Rispondo – Io non piango altro
che me stesso […]“ [Rvf 359, 23; Drauf ich: ‚Nur mir, sonst niemand gilt mein
Weinen […]].107 Der Abstand zwischen Laura und dem Subjekt wird auch dadurch
vergrößert, dass sie rückblickend in seiner Rede zum Ausnahmewesen („anime
rare“) und als erhaben („alta“) schon zu Lebzeiten sublimiert wird. Wie Augus­
tinus im Secretum Francesco wird Laura das Ich ermahnen, sein Liebesbegeh­

107 Vgl. vinken: Tränen zum Leben, Tränen zum Tode, S. 20.


 Doppelter Ruhm   199

ren nicht nach den irdischen Dingen („cose mortali“) auszurichten. Das Streben
nach den cose mortali führt nicht zum ersehnten dauerhaften Ruhm. Das Irdi­
sche zerfällt zu Staub, wie auch die Seiten der Manuskripte Petrarcas von der
Zeit zersetzt werden. Das von Laura mitgeführte Versprechen kündigt sich im
doppelten Zeichen des Ruhms an: „Un ramoscel di palma / Et un di lauro trae
del suo bel seno“ [Rvf 359, 7–8; Und aus des Busens Hülle / Zieht sie von Palm
und Lorbeer zween der Zweige]. Palmzweig und Lorbeerzweig verweisen auf die
zwei Seiten der Macht, auf irdischen Sieg (victoria) und göttlichen Triumph (tri-
umpho):

Palma è vittoria; et io, giovene ancora,


Vinsi il mondo e me stessa: il lauro segna
Trïunfo, ond’ io son degna
(Rvf 359, 49–51)

Die Palm ist Sieg; des Lebens Eitelkeiten


Und mich besiegt ich jung. Im Lorbeer grünet
Triumph, den ich verdienet –

Dieses Doppelzeichen ist Laura selbst: Lauro / Laura. Es ist also der doppelte
Ruhm, der zu dem Ich spricht, wenn von Laura ihrer beider salute in Aussicht
gestellt werden:

Salvando inseme tua salute e mia. –


(Rvf 359, 66)

Wahrend dein Heil zugleich dir mit dem meinen.

Die Figur des zweifachen Ruhms, irdisch und himmlisch, vergänglich und ewig,
wird im beiderseitigen Heilsversprechen noch einmal verdoppelt, sodass es zu
einer gegenseitigen Reflexion kommt: Nicht nur das Ich spiegelt sich in Laura,
auch Laura spiegelt sich im Ich, wenn sie nicht nur das Heil des Ich, sondern ihr
beiderseitiges Heil, „tua salute e mia“, erklärt. Strukturell ist damit die Blickrich­
tung umkehrbar: Der Blick des Ich auf Laura wird durch Laura erwidert. Durch
diese Umkehrung der Perspektive der Sprecher kann man auch den Text umge­
kehrt lesen: Die Laurafigur ist dann nicht ein Objekt für das Ich, das sich in ihm
spiegelt und durch dieses Spiegelbild sich selbst, sondern Laura spiegelt sich im
Ich, sodass dieses nun umgekehrt zum Ort der Selbsterfindung für Laura werden
kann. Nicht alle Zeichen sind also auf den Sprecher und damit auf sich selbst
gerichtet.
Die diskursive Kraft des Canzoniere geht von der Einheit der Rede des Sub­
jekts aus, aber diese Rede wird durch eine den Zyklus durchquerende Stimme
200   Lauras Rede

permanent unterlaufen. Das führt logischerweise zu Irritationen in der Konzep­


tion von Identität. Wie Beatrice oder Caterina hat sich Laura innerhalb einer
Struktur verselbstständigt, die ihr eine zentrale Rolle zugeschrieben, aber diese
nicht auf die poetische Figuration von Gesang, Stimme und Rede bezogen hatte.
Mit den süßen Worten kann sie das Ich in Stein verwandeln und Petrarca durch
die weibliche Figur noch einmal die rhetorische Kraft der poetischen Sprache
inszenieren:

e poi sospira
Dolcemente, e s’ adira
Con parole che i sassi romper pònno:
E, dopo questo, si parte ella e ’l sonno.
(Rvf 359, 68–71)

und klaget
Und seufzet leis und saget
Manch zürnend Wort, um Felsen zu bewegen;
Drauf geht sie weg, mit ihr des Traumes Segen.

Dieses Bild nimmt Petrarca in seiner letzten Kanzone, „Vergine bella“, auf, wenn
mit der Klage des Sprechers die Verwandlung durch Medusa in Stein erfolgt:

Medusa e l’ error mio m’ han fatto un sasso


D’ umor vano stillante
(Rvf 366, 111–112)

Zum Stein schuf mich Medusa und mein Wähnen,


Daß eitle Flut ihn tränke.

In der letzten Kanzone des Gedichtzyklus adressiert der Sprecher im Unterschied


zu allen anderen Gedichten nicht mehr Laura, sondern die himmlische Jungfrau.
Die Opposition von irdischer und himmlischer Sphäre, die durch die Rede Lauras
durchkreuzt worden war, wird damit auf eine andere Instanz verschoben, die in
der Transzendenz Gottes abgesichert wird. Anders als Laura, die sich durch ihre
zwei Seiten ausgezeichnet hatte, bemüht Petrarca mit der Marienkanzone eine
eindeutige Figur. Diese Veränderung war der Grund dafür gewesen, den Sonder­
status der Kanzone herauszustellen und sie als „Epilog“ des gesamten Zyklus
aufzufassen.108 Auffällig ist auch die Form des Gedichts. Petrarca konstituiert sie
formal durch eine immer wieder neue Anrufung und damit als einen lyrischen

108 König: Das letzte Sonett des Canzoniere, S. 250.


 Doppelter Ruhm   201

„Grenzfall“109. Die Kanzone besteht aus Variationen ein und derselben Figur:
einer Apostrophe Mariens. Der Platz des himmlischen, engelhaften Wesens wird
jetzt von Maria eingenommen, Laura hingegen selbst zerfällt zu Staub: „Vergine,
tale è terra e posto ha in doglia / Lo mio cor“ [Rvf 366, 92–93; O Jungfrau, sie
ist Staub und füllt mit Schmerzen / Mein Herz].110 Die poetische Funktion der
Stimme Lauras zwischen Stimme und Schrift wird gegen die Apostrophe der
Transzendenz ausgetauscht:

Vergine bella O Jungfrau schön


Vergine saggia O weise Jungfrau
Vergine pura O reine Jungfrau
Vergine benedetta O Jungfrau benedeiet
Vergine santa O heilge Jungfrau
Vergine glorïosa O Jungfrau, hochgelobte!
Vergine sola al mondo, senza essempio O einzge Jungfrau, einig ohn Exempel
Vergine dolce e pia O Jungfrau, süße, reine!
Vergine chiara e stabile in eterno O lichte Jungfrau du, unwandelbare!
Vergine sacra et alma“ O Jungfrau, hochbeglücket!
donna del ciel Du Himmelskönigin
Vergine d’ alti sensi O Jungfrau reicher Gaben!
Vergine, in cui ho tutta mia speranza“ O Jungfrau du, drauf ich mein Hoffen baue
Vergine umana e nemica d’ orgoglio O milde Jungfrau, Feindin stolzer Triebe
Vergine unica e sola O Jungfrau, unbesieget!
(Rvf 366, 1; 14, 27; 35; 40; 48; 53; 61; 66, 87; 98, 100; 105; 118; 133)

Mit der Adressierung der Transzendenz stellt Petrarca die seine Dichtung kons­
tituierende Stimme der weiblichen Figur, die weder in der Medialität des Erzäh­
lens noch im auktorialen Diskurs aufgehoben worden war oder werden konnte,
in Frage. Denn durch die Dissoziation von Maria und Laura wird die Möglichkeit
eines Sprechens im Namen des anderen und damit die Möglichkeit der paradoxen
Verdoppelung der Autorschaft in die schriftgewordene weibliche Stimme aufge­
geben. Von der letzten Kanzone aus kann man dadurch rückblickend erkennen,
was von Anfang an im Canzoniere problematisch war: das Auftauchen nämlich
einer Stimme, die nicht die eigene ist und die durch die Figur der Selbstüberstei­
gerung in ihrer Differenz überschrieben werden sollte. Der zugleich himmlischen
und irdischen Laura wird mit der Apostrophe Mariens ein Platz zugewiesen, wie

109 Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1968, S. 214.


110 Vgl. Joachim Küpper: Palinodie und Polysemie in der Mariencanzone (Mit einigen Gedanken
zu den Bedingungen der Unterschiede von antiker und abendländischer Kunst). In: Ders.: Pet­
rarca. Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin, New York 2002, S. 162–201.
202   Lauras Rede

er irdischer nicht sein könnte: „tale è terra“ [Rvf 366, 92; sie ist Staub]. Gegenüber
der ewigen, göttlichen Liebe bleibt die Liebe zu Laura irdisch und vergänglich:

Ché se poca mortal terra caduca


Amar con sí mirabil fede soglio,
Che devrò far di te, cosa gentile?
(Rvf 366, 121–123)

Da ich so wunderbar getreuen Sinnes


Ein Häuflein nichtgen Erdenstaubes liebe,
Was, hehres Wesen, gegen dich beginnen?

Durch diese Rückschreibung der Laura-Liebe auf eine pure irdische Liebe wird
die Figur der Laura von ihrem doppelten Status zwischen dem Irdischen und
Göttlichen getrennt, abgeschnitten von einer Stimme, für den der Canzoniere
einen Ort gefunden und den sie figuriert hatte mit dem engelhaften Gesang aus
einem Mund voller Perlen und Rosen und süßen Worten: „La bella bocca ange­
lica, di perle / Piena e di rose e di dolci parole“ [Rvf 200, 10–11; Den engelhaften
Mund, in dem beisammen / Mit Perl und Rosen süße Worte liegen].
Petrarca trennt damit die beiden Sphären, die auf Laura projiziert wurden,
in zwei Instanzen, eine göttliche, himmlische (Maria) und eine irdische, erdge­
bundene (Laura) und bereitet damit der Behauptung der nur einen poetischen
Stimme (des Sprechers) den Weg. Die Marienkanzone dient der Inszenierung der
poetischen Macht einer Stimme, die jetzt das Ich differenzlos erfüllt. Die Apo­
strophe der Transzendenz bringt also nicht die transzendente Macht der Dich­
tung hervor, sondern im Gegenteil: Sie stellt aus, dass die Voraussetzung für
die diskursive Erneuerung durch Petrarca in der Legitimation eines Sprechens
besteht, das darauf zielt, sich als das eine darzustellen. In der Marienkanzone
hat Petrarca die Fragilität des Sprechens im anderen Namen aufgegeben. Damit
wird Petrarca zum fondateur de discursivité, dem Wegbereiter eines „neuzeit­
lichen Selbstverständnisses“111, und verdeckt, was diesem Gründungsmoment
zugrunde liegt: eine zweifache Rede oder Stimme, durch die ein doppeltes Heils­
versprechen, tua salute e mia prinzipiell möglich war.
In der Marienkanzone hat Petrarca Laura aus ihrer doppelten Position zwi­
schen Stimme und Schrift herausgestrichen, indem er ihr eine ganz und gar
irdische Rolle zuschreibt. Die letzte Kanzone nimmt das Paradox auf, das Auer­
bach auch schon für die Commedia formuliert hatte, als er vom Zerbrechen des

111 Vgl. Kap. IV, 1.


 Doppelter Ruhm   203

Rahmens sprach112: Erst die absolute Hinwendung zum Göttlichen bringt die irdi­
sche Verfassung des Subjekts hervor. In dem Moment, in dem der Sprecher die
himmlische Jungfrau adressiert, wird das Spiel mit dem poetischen Lorbeer Ernst.
Mit dieser Kanzone zeigt sich, dass Petrarca das rhetorische Potential, das dem
Liebesdiskurs durch die Doppelfigur zugrunde liegt, verspielt. Das Verhältnis von
Dichtung und Theologie ist damit kein raffiniertes Verfahren der Überkreuzun­
gen und Spiegelungen mehr, sondern Theologie im Mantel der Dichtung. Damit
erfüllt sich, was Boccaccio für Dante behauptet hatte: Allegoria teologica und alle-
goria poetica fallen in ein und derselben Stimme deckungsgleich zusammen.113
Ohnehin hatte die ruhmvolle Positionierung Dantes nicht zuletzt B ­ occaccios
„eccellente maestro, messer Francesco Petrarca“114 gegolten und seine zukünf­
tige Rolle angebahnt. Diese Einstimmigkeit vollzieht Petrarca vollends in seiner
‚letzten‘ Kanzone, wenn er die Marienanbetung zum Gegenstand der Dichtung
macht. Petrarca hat damit letztlich die Möglichkeit der süßen Rede Lauras, die
als komplexe Spiegelung in den Canzoniere eingeschrieben war, aufgegeben. In
dem Moment, in dem das Ich sich nicht mehr in seiner Liebe zu Laura spiegelt,
sondern sich ganz und gar in der Hinwendung zu Maria mit dem Göttlichen ver­
bindet, wird Laura, und damit das Ich selbst, zur Inkarnation des rein Irdischen
und mit der Inszenierung des letzten Atemzugs des Sprechers  – „’l mïo spirto
ultimo“ (Rvf 366, 137) – im Gegenzug der Körper der Dichtung zum ewig wahren.
Petrarcas Kanzone „Vergine bella“ stellt damit einen Endpunkt für die
Sprache der Liebe dar. Sie markiert das Verschwinden dessen, was das Trecento
hindurch die Dichtung konstituiert hatte: die Differenz einer Stimme, die sich
am Schnittpunkt zwischen dem Irdischem und dem Himmlischem abgezeich­
net hatte. Die Funktion des Canzoniere für den Liebesdiskurs liegt somit darin,
einer Stimme Raum gegeben zu haben, die allerdings in dem ‚letzten‘ Gedicht
des Zyklus nicht mehr erklingt. Die Zweistimmigkeit des Textes wird zugunsten
eines Subjekts, das sich selbst als doppelt imaginieren kann, als unsterblich und
sterblich zugleich, aufgegeben. Die Differenz der Stimmen, die Petrarca mit der
Figur der Laura wieder und wieder durchgespielt hatte, verschwindet und berei­
tet den Platz für die Krönung zum Dichter ohne Laura. Das Neue, das Petrarca
schaffen wollte, besteht nicht nur im Dialog mit der antiken Literatur,115 sondern
auch in der Auseinandersetzung mit Stimmen, die er aus dem vorausgegangenen

112 Vgl. Kap. I, 3.
113 Vgl. Kap. I, 2.
114 Giovanni Boccaccio: Tutte le opere. Hrsg. von Vittore Branca. Bd. 6: Esposizioni sopra la
Comedia di Dante. Hrsg. von Giorgio Padoan, Mailand 1965 (I classici Mondadori), S. 36.
115 Vgl. Regn: „Allegorice pro laurea corona“, S. 131.
204   Lauras Rede

Liebesdiskurs aufgenommen hat. Damit schließt er an das Problem des Rahmens


christlicher Typologie an, der in dem Moment zerbrochen war, in dem sich die
ästhetischen Differenzen nicht mehr in die Schemata des theologischen Diskur­
ses integrieren lassen konnten und etabliert vor diesem Hintergrund ein neues,
neuzeitliches poetisches Sprechen. Aus dieser Perspektive lässt sich die Konstitu­
ierung der Macht des Subjekts des Canzoniere als das Resultat der Verdrängung
eines dem Text eingeschriebenen Gesangs, einer Stimme, einer Rede lesen, die
den Liebesdiskurs im Trecento konstituiert hatte.
Für den Liebesdiskurs erweist sich die Dichtung Petrarcas damit als der ver­
borgene Fluchtpunkt für eine Rede, in der das Objekt des Begehrens nicht spricht:
„l’autre (l’objet aimé) […] ne parle pas“116. Die Stimme des Liebesobjekts, die sich
gegenüber der Erzählstimme verselbstständigt und als Differenz die Texte des Tre­
cento bestimmt hatte, wird in die Erinnerung verschoben und der poetische Text
zum Nachzeichnen ihres Verschwindens: „La voix de l’être aimé, je ne la connais
jamais que morte, remémorée, rappelée à l’intérieur de ma tête, bien au-delà de
l’oreille; voix ténue et cependant monumentale, puisqu’elle est de ces objets qui
n’ont d’existence qu’une fois disparus.“117 In welcher Art und Weise jedoch trotz
dieses abschließenden Befunds jene andere Stimme, die den weiblichen Figuren
zugeordnet worden war, hörbar bleibt, müsste erst noch gefragt werden. Festge­
halten werden kann jedoch: Den Ruhm der Dichtung erschreibt Petrarca durch
das Verdrängen einer Stimme, deren konstitutive Funktion für den Liebesdiskurs
in dieser Studie an drei zentralen Beispielen aufgezeigt worden ist.

116 Barthes: Fragments d’un discours amoureux, S. 7 (Herv. im Orig.).


117 Barthes: Fragments d’un discours amoureux, S. 131.
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Register
Amordiktat 5, 44, 113, 134 Daphne 25, 163
Amorlehre 47, 58, 62, 186 Diktat 60–62, 113–117, 126, 127, 144
Anagramm  100, 159, 160, 163–165 Diotima 3, 7, 50, 51, 55, 61, 107
Analphabetismus 127, 128, 129, 130–133 disparition fondatrice 118
passio animae 67 dittator 47, 48, 59, 60
Anrufung 82, 87, 88, 166, 184, 190, 200 divina providentia 37
Apostrophe 57, 59, 80–82, 84, 146, 147, 184, dolce parola 3, 7, 169, 189
187, 189, 190, 194, 201 dolcezza 10, 11, 164, 179, 182, 186, 187, 189,
Arachne ( cf. opra d’aragna) 158 196, 197
arcana Dei 21, 124 dolce stil novo 46, 52, 56, 58, 154, 168, 175
auctor 5, 6, 46, 118 donna ancelica 95
auctorias 5, 19, 36, 38, 42, 46, 62, 63, 82, donna gentile / donne gentili 7, 8, 46, 57,
94, 112, 114, 117, 118, 134 183, 185, 189
Aufschreibesystem 61, 62, 164 dulce malum 150, 156, 172, 173, 175
Autobiographie 182, 183
écriture féminine 5, 46
Befehlsmacht 56, 57 Ekstase 8, 98, 115, 116, 124–127, 138, 144
Begehren (Dreieck des) 173, 174 Engel (engelhaft) 8, 9, 11, 26, 56, 57, 63, 73,
begli occhi 154, 170, 175, 176, 178 84, 109, 111, 112, 135, 137, 140, 141, 142,
Beichtkind 13, 108, 120, 134, 139 151, 155, 169, 170, 175, 176, 178, 180,
Beichtvater 5, 13, 97, 98–100, 103, 107, 108, 181, 183, 190–193, 201, 202
111, 113, 114, 116–142, 145, 147 Erlösung 18–20, 26, 43, 86, 87
Bernard de Ventadorn 53 Eros 50, 51, 172, 173
bitter (Bitterkeit) 72, 90, 158, 197
bittersüß 156, 157, 172, 173, 175, 177, 178, fable mystique 97, 103, 146
195 Familienszene 82
bocca favella 56, 57, 191, 192
– angelica 8, 9 femmina balba  71
– virginea 8, 113, 117 fideli d’amore 1
Braut (Christi) 62–65, 67 figura (Christi) 29, 31, 55, 60, 64, 142,
Bühne des Sprechens (cf. scène) 96, 97, 106, fin’amors 7, 8, 46, 59
118, 147 fondateur de discoursivité 149, 202
fôret de symboles 19
Canticum canticorum 65, 72, 134, 134–141 fortuna 29, 37
Codice di Virgilio 156 frale vita 77, 85, 86, 175, 177, 197
confession mystique 108
confusione (Verwirrung) 50, 55, 162 gaber 7
conversio 25, 157, 176 gabbo 7, 74
Corone, tre 14 Gloria  25, 27, 28, 29, 34, 8892, 162, 167
corps manquant 101 Gesicht 11, 48–50, 59, 134, 137, 138,
corpus (Christi, mysticum) 83, 102, 139, 151 140–144, 182, 183, 187–190, 193
cortesia 10, 77, 184 Geständnis (-praxis) 108, 121, 122, 123, 124
Gottesliebe 130, 161
Grußszene 10, 183–190, 192, 193
222   Register

Herz 11, 53, 54, 67, 74, 77, 90, 124, 126, 130, Minnedame 1, 8, 10, 47, 149, 152, 154,
140, 153, 154, 155, 164, 166, 171, 172, 159, 160, 163, 166, 167, 169, 174, 176,
176, 179, 180, 186, 189, 190, 191, 194, 183–186, 189, 190
197, 201 muliercula 106, 132
Heiligenvita 13, 95–100, 103, 104, 107, 108, Mund 5–11, 13, 42, 49–52, 55, 57, 58, 66, 67,
109, 111, 112, 119, 123, 131, 133, 147 77, 79, 82, 99, 103, 104, 106, 113, 126,
Heiliger Geist 130 134, 137, 139, 144, 145, 161–163, 167,
Heilsökonomie 108 170, 171, 182, 185–187, 192, 194, 202
Heilsversprechen 110, 188, 199 musaranea 158
hors scène 96, 97, 103, 106 Muse 9, 10, 99
humile 56, 61, 111, 127 Mutter 25, 27, 29, 49, 61, 62, 72, 80, 82, 88,
hypomnêmata 157 92, 120, 135, 141
Muttersprache 127
Idolum / eídolon 154 mystérie  5f., 96, 132
Imitabilität 13, 25, 95 Mystische Szene 96, 97, 115
Imperium 36–38, 64, 85 Mystikerin 95–98, 101–103, 106, 111, 116,
118, 120, 122, 130 139, 146, 147
jouissance 11, 95, 96, 139
Jungfrau, jungfräulich 9, 63, 108, 113, Nachschrift 61, 72, 114, 116, 118, 122, 138,
116–118, 121, 126, 127, 129, 131, 134, 135, 188
147, 200, 201, 203 Nachtigall 12
Neues Testament 33, 66
Katharina von Alexandrien 104–106, 143,
144 objet du désir 43
Kirchenväter 15, 16, 20, 26 Odysseus 4, 9, 74, 179
Körper, zwei 12, 23, 64, 83–86, 165 Offenbarung 41, 43, 116, 121, 126, 135, 141,
Krone/ Krönung 37, 84, 87 144
Krypta (mystische) 118, 119, 137, 146 officium poetae 34, 39
Ohnmacht 4, 74, 78, 86, 173
Latinität 159 Ohr 9, 10, 19, 159, 179, 187
libro della mia memoria 75 Ordnung, göttliche 31, 41, 45, 86, 115
Liebe, höfische 1, 45, 57, 61, 62 opra d’aragna 157, 177, 181
Liebesdiskurs 1, 2, 5, 7, 8, 11, 12, 57, 72, 83,
147–151, 172, 173, 178, 191, 194, 203, palma 37, 198, 199
204 Paradies 19, 44, 48, 50, 54
Liebeslehre 47, 51, 53, 59, 170, 171 parlar(e) 11, 23, 46, 47, 55, 61, 70, 71, 82, 90,
lingua mortal 163, 165 117, 165, 186, 187, 189, 190
Lippen 48, 50, 61, 80, 124 parola femminile 3
Logos 51 parresia (Wahrheitsrede) 108
Lorbeer / lauro / l’aura 25, 26, 29, 87, 92, passio Christi 30, 150
152, 153, 155, 159–163, 165, 172, 198, patria 28
199 Platonismus 29, 50, 52, 173
Love story 156 poema sacro 41, 42, 87
poeta laureatus 27, 156
magistra uirtutum 128, 131, 133 Predigerin 105
Maria (Jungfrau) 114, 137, 201, 202, 203 prosopon poiein / Prosopopoiia  142, 182,
Minerva 158 187, 190
Register   223

Provenzalen, provenzalisch 46, 59, 149, 169, soave 1, 50, 56, 72, 169, 172, 175, 177,
170, 189 179–182, 190
puella 133, 175 Sphinx 69, 99
pur amour 95 Spiegelung 2, 49, 50, 53, 72, 96, 145, 146,
152, 189, 190, 198, 203
Rahmen, zerbrochener 31, 33 sponsa (cf. Braut) 62, 63, 64, 81, 119,
réécriture 6, 74 135–137, 140, 141, 142
rhétorique sacrée 105, 106 Stilnovisten 77, 168, 183
rime sparse 160, 168, 170, 176 Stoa 156
riscrittura (cf. réécriture) 72
Rom 27, 28, 37, 38, 85, 86, 91, 156 Theologie 15, 17, 19, 20, 23–25, 27, 28, 33,
Ruhm 25, 27, 28, 29, 34, 39, 43, 45, 56, 57, 34–36, 38, 39, 43, 47, 59, 68, 83, 85, 88,
64, 79, 83, 87, 90, 92, 93, 152, 153, 155, 95, 98, 203
156, 158, 160, 163, 176, 183, 198, 199 – ästhetische 15, 17, 19, 59
– politische 15, 28, 36, 83, 85
sacer 97 Teresa von Avila 103, 111, 124, 128, 139
Säkularisierung 12, 17, 24, 32 translatio (imperii et studii) 27, 28
saluto (Gruß) 1, 10, 11, 95, 184, 185, 187, Triumphwagen 63, 168
190 Troja 28, 90
salute 76, 109, 110, 183–185, 187, 190, 199 Typologie 18, 20, 29, 30, 32, 33–36, 38, 60,
Sappho 6, 7 63, 204
Schleier 18, 63, 65, 66, 67, 68, 73
Schreibakt 9, 47, 54, 65, 89, 92, 131 uerba dulcia 100, 138
Schreibszene 61, 113 uirgo sacra 114, 127, 134
Schreiber 8, 47, 54, 59, 61, 113, 115, 116, 126, unio mystica 145
144 Urszene 6, 9, 188
scène (cf. Bühne) 3, 96, 97, 101, 106, 147
Schriftsinn (sensus)  15, 16, 18–20, 22, 23, Verdopplung 42, 165, 201
27, 28, 29, 32, 34, 36, 63, 70, 71, 77, 111, Verhüllung 67–69, 147, 208
135, 153 Verkündung 36, 63, 66, 79, 91, 99, 103, 114,
– historicus / literalis 16, 18, 19, 29 137, 194, 195
– allegoricus/ mysticus  15, 16, 18, 32, 36 Verwandlung 18, 25, 71, 152, 176, 200
– spiritualis  15, 16, 27, 34, 153 Vision 41, 63, 92, 97, 99, 100, 123, 138,
– moralis  22, 26, 32, 71, 111 140–143
Scriptorium 113 voce  1, 8, 56, 78, 87, 89, 97, 139, 154, 163,
Sekretär 113, 114, 127 164, 169, 175, 179, 190, 191
Selbstermächtigung 12, 44, 94 – femminile 8
Selbstverlust 150 – humana 169
Selbsterkenntnis 146 – angelica 56, 97, 154, 169, 175, 179, 180,
selva oscura 19, 90, 184 190, 191
sermo humilis 133, 137 Volkssprache / volgare (uulgare) 19, 25, 63,
sexu fragiliori 107 92, 94, 127–129, 130, 133, 145, 148, 165
Sibylle (von Cumae) 91–93, 99, 100
Sirene 4, 9–11, 70, 71, 99, 154, 178, 179, 180 Wunder 8, 99, 105, 107, 111, 113, 114, 115,
Sirenengesang 9, 180 118, 119, 121, 126–131, 133, 138–140, 147
Die vorliegende Untersuchung ist meine überarbeitete Habilitationsschrift, die
unter dem Titel „Himmlische Stimme, irdische Schrift. Beatrice, Laura und Cate­
rina da Siena“ im Sommersemester 2014 von der Ludwig-Maximilians-Universität
München angenommen worden ist. Für ihre Gutachten bedanke ich mich bei
Prof. Dr. Barbara Vinken, Prof. Dr. Helmut Pfeiffer, Prof. Dr. Martin von Koppen­
fels, Prof. Dr. Barbara Kuhn und Prof. Dr. Florian Mehltretter. Die Arbeit hat mir
meine Stelle als Assistentin am Institut für Romanische Philologie der Ludwig-
Maximilians-Universität München, ein Habilitationsstipendium im Rahmen der
Bayerischen Gleichstellungsförderung sowie die Bayerische Akademie der Wis­
senschaften ermöglicht.

Ich danke all denjenigen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben,
vor allem Stefan, Paul und Ella.

München, August 2016

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