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KARLHEINZ STIERLE

Metamorphosen des Mythos

Petrarcas Kanzone >Nel dolce tempo< (Rime XXIII)

I.

>Nel dolce tempo de la prima etade<' ist nach Petrarcas eigenem Zeugnis eines
seiner frühesten Gedichte (est de primis inventionibus nostris),2 das er immer wie-
der bearbeitete, bis er es schließlich 1356 nach vielen Veränderungen als voll-
endet ansah und in Reinschrift übertrug.3 Es ist zugleich Petrarcas exem-
plarische Kanzone. Als solche erscheint sie in der Kanzone >Lasso me!< (Rime
70), wo ihre Anfangszeile als letzte Zeile das Gedicht abschließt. Jede der fünf
Strophen dieser Kanzone endet mit der ersten Zeile einer zitierten Kanzone der
Dichter Arnaut Daniel, Guido Cavalcanti, Dante, Cino da Pistoia und schließ-
lich Petrarcas selbst. So enthält diese Kanzone in nuce eine exemplarische Gat-
tungsgeschichte der Form, die sie selbst erfüllt und in deren Erfüllung sie über
sich hinausweist auf das Paradigma, in dessen Horizont jede Kanzone Petrarcas
steht. Daß eine solche exemplarische Geschichte der Kanzone in der Kanzone
selbst möglich wird, hängt mit einer Besonderheit ihrer Bauform zusammen,
die Petrarca freilegt. Es scheint, als sei es spätestens seit Arnaut Daniel üblich
geworden, in der ersten Zeile der Kanzone ihre Thematik formelhaft zu ver-
dichten. Zumindest deutet Petrarca in dem programmatischen Zitatarrange-
ment von >Lasso me!< an, daß er selbst das Baugesetz der Kanzone so verstand
und dementsprechend auch seine eigenen Kanzonen anlegte. Darüber hinaus
aber scheint im Gesamtwerk der lyrischen Dichter jeweils eine Kanzone eine
Leitfunktion zu übernehmen und mit ihrer ersten Zeile als poetischer Devise
den unverwechselbar eigenen Akzent zu setzen, den das Werk sich im ganzen
zu eigen zu machen sucht. Indem aber eine Eingangszeile eine solche program-
matische Funktion übernimmt, situiert sie sich zugleich in einem vorgängigen

1
Der Text wird im folgenden zitiert nach Francesco Petrarca, Le Rime sparse e i Trionfi, hg. v.
Ezio Chiorboli, Bari 1930 (Scrittori d'Italia 126), S. 15-20; s. Anhang.
2
Cod. Vat. lat. 3196, fol. ll v , zitiert nach Carl Appel, Zur Entwickelung italienischer Dichtungen
Petrarcas, Halle 1891, S. 79. Die folgende Interpretation geht von Petrarcas endgültigem Text
aus. Zur Deutung der Stufen seiner Entstehung vgl. Dennis Dutschke, Francesco Petrarca:
Canzone XXIII from First to Final Version, Ravenna 1977.
3
Cod. Vat. lat. 3196, fol. 11': transscripta in ordine post multos et multos annos (10. Nov. 1356),
zitiert nach Appel (Anm. 2), S. 71.

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Metamorphosen des Mythos

Spielraum und eröffnet so eine intcrtextuelle Relation. Auch dies kommt in


Petrarcas die Kanzone selbst zum Thema machender Kanzone unmittelbar zur
Anschauung. Zwar ist jede der am Strophenende stehenden zitierten Eingangs-
strophen zugleich Selbstaussage eines lyrischen Ich, das sich in die Vielfalt frem-
der Stimmen projiziert und so seine eigene lyrische Stimme zum Echo fremder
Stimmen macht, wie es umgekehrt diese sich zur Vervielfältigung der eigenen
Stimme aneignet. Dennoch gibt die Korrelation der zitierten Verse zugleich
Auskunft über besondere Distanzen und Affinitäten. Die dritte Strophe endet
mit Dantes Cost net mio parlar voglio esser aspro aus der vierten Kanzone der
>Rime per la donna Pietra< (Rime CIII), einer lyrischen Ich-Aussage, wie in
den vorangegangenen Zitaten von Arnaut und Cavalcanti. Die vierte Strophe
beschließt der Anfang von Cino da Pistoias Kanzone >La dolce vista e bei
guardo suave<. Dem in Dantes >Devise< enthaltenen poetischen Programm ist
das Cinos prägnant entgegengesetzt. Der Dichtung im Zeichen des willentli-
chen aspro antwortet eine Dichtung, die hervorgeht aus der im Anblick der
Geliebten erfahrenen Süße und Sanftheit ihres Blicks: La dolce vista e bei
guardo suave.4 Das abschließende Selbstzitat der letzten Strophe: Nel dolce tempo
de la prima etade folgt nicht nur chronologisch auf Cino, es stellt die Eingangs-
zeile von Petrarcas exemplarischer Kanzone bewußt in den Horizont von Ci-
nos poetischem Programm. Daß Petrarca seine Affinität zu Cino durch die
Wiederkehr des programmatischen dolce bezeichnet, wird noch dadurch un-
terstrichen, daß Cino und Dante durch Entgegensetzung von aspro und dolce
miteinander konfrontiert werden. Doch wird die semantische Rckurrenz, die
einzige unter den zitierten Schlußzeilen, dadurch erst poetisch relevant, daß sich
Petrarca beim Bau seiner Eingangsstrophc auch rhythmisch so eng an Cinos
>La dolce vista e bei guardo suavc< gehalten hat, daß man von einer rhythmi-
schen Kontrafaktur sprechen könnte. Diese wird ihrerseits noch durch die laut-
liche Entsprechung der Satzklausel mit dem Ausgang a-e (suave-etade) be-
stärkt.
Daß Petrarca in solcher Weise seine exemplarische Kanzone mit Cinos exem-
plarischer Kanzone verknüpft, verweist auf eine von Petrarca gesehene be-
sondere Affinität. Die Frage, worin diese begründet liegt, kann den Boden
sichtbar machen, auf dem Petrarca mit seiner Kanzone steht, aber zugleich auch
verdeutlichen, daß Petrarca ein zentrales Thema Cinos mit so neuen Mitteln
instrumentiert, daß man von einem lyrischen Paradigmenwechsel sprechen
könnte.

4
Rime di Cino da Pistoia XCI, in: Carlo Salinari (Hg.), La poesia lirica del Duecento, Torino
1968 ['1951 ] (Classici Italiani), S. 521. Nach dieser Ausgabe wird Cino weiterhin zitiert.

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Karlheinz Stierle

II.

Cinos >La dolce vista e bei guardo suave< ist ein Gedicht der Trennung. Der
aus Pistoia verbannte Dichter besingt die dort zurückgebliebene Dame und
überläßt sich seinem Schmerz. Aber die Trennung ist zugleich eine Ent-
zweiung, die das Ich in sich selbst entzweit. Der Körper spricht Amor an und
bittet ihn um die Gewährung des Todes, damit die Seele, vom Körper befreit,
der ihre Qualen empfindet, zum Ort der Geliebten zurückkehren kann. Die
Auflösung des liebenden Ich in eine Vielfalt von Ich-Instanzen ist Cinos we-
sentliches Thema. Zwar ist auch schon in Dantes >Vita nuova< das Ich in sich
selbst vielfältig, weil es zugleich erzählendes und erzähltes Ich ist und weil das
Ich sich in ein körperliches und ein subtiles und bewegliches geistiges Ich zu
teilen vermag. Aber erst Cino konzentriert sein lyrisches Interesse ganz auf die
innere Komplexität des Ich und dessen vielfältige Stimmen. So spricht etwa in
>Io scnto pianger l'anima nel core< (Rime LIV, S. 563f.) der Körper als persona,
die nicht nur das Gespräch von anitna und Herz vernimmt, sondern auch, wie
Amor zur anima über den Körper spricht: Chefai / dentro a questa persona ehe si
more? Anima zeigt darauf der sprechenden persona ein Buch mit Abbildungen
der Martern, die sie erwarten, und schließlich verbinden sich anima und persona
in Erwartung ihres gemeinsamen Geschicks. In >Si mi stringe l'Amore< (Rime
XXXIX, S. 550-553) wird erneut der Widerstreit von Herz und Körper ly-
risch ausgetragen:

Si mi stringc l'Amore
mortalemente in ciascun membro, o lasso!
ehe sospirar non lasso,
ne altro gia non so dicer ne fare.
II corpo piange il core,
ch'e dipartito e dato gli ha consorte,
in loco di se, morte (vv. 1-7, S. 550)
Kein Lyriker vor Cino hat so sehr und so beharrlich den Innenraum des lyri-
schen Ich in der Dialektik seiner Ich-Instanzen ausgeleuchtet. Die Durchdrin-
gung der Liebesbetroffenheit im Ich selbst, die Erschütterung des Ich, spricht
sich nicht mehr unmittelbar aus in der Hinwendung zur Dame, sie wird Ge-
genstand einer zergliedernden und analysierenden Reflexionslyrik, die sich
dennoch nicht im Allgemeinen auflöst, sondern immer die Konkretheit der
Selbsterfahrung in ihrer komplexen Struktur gegenwärtig hält. Zugleich ist
Cino der erste, der, zumindest in Umrissen und ersten Schritten, der poetischen
Erschließung des subjektiven Innenraums den Außenraum der Landschaft als
Reflexionsmedium verfügbar macht. Die Einsamkeit der kommunikationslo-

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Metamorphosen des Mythos

sen erblickten Landschaft ist für den in ihr sich Ergehenden ein kommunika-
tiver Horizont des eigenen Fragens und Eingedenkens. Der Name der gelieb-
ten Dame, Selvaggia, ist bei Cino erstmals selbst von der Art, daß er Kon-
notationen des Landschaftlichen eröffnet. Cino, der in Dantes >De vulgari elo-
quentia< als einer der großen Kanzonendichter seiner Zeit gewürdigt wird,5 den
Petrarca sich zum Lehrmeister nahm und der auch der Renaissance noch frag-
los als einer der großen Lyriker am Ursprung der neuen italienischen Volks-
dichtung galt,6 ist heute von der Forschung aufgrund fragwürdiger lyrischer
Geschmackskriterien kläglich vernachlässigt. Weder gibt es von seinem um-
fangreichen Werk eine zuverlässige Ausgabe, noch hat sich die Philologie schon
wirklich der Aufgabe angenommen, über das Allgemeinste hinaus, die Bedeu-
tung dieses Werks zu erschließen.

III.

Petrarca stellt das Projekt seiner Dichtung, so wie es sich in >Nel dolce tempo<
exemplarisch verwirklicht, in den Horizont von Cinos neuer Dichtung des sich
absolut setzenden und in sich selbst zerfallenden Ich. Aber zugleich geht Petrar-
ca in der von Cino gewiesenen Richtung weit über diesen hinaus. Erst Petrarca
gelingt es, die Tiefe des poetischen Ich wirklich zur Anschauung zu bringen.
>Nel dolce tempo< ist das Gedicht einer bis zu den Grenzen der Ich-Gefährdung
und Ich-Zerstörung reichenden psychischen Spannung des durch die unerfüllt
bleibende Liebe in Grenzsituationen der Erfahrung getriebenen Ich. Die Dy-

5
Wenn Dante dort von sich selbst als Kanzonendichter spricht, so nennt er sich häufig nur in
Zusammenhang mit Cino als amicus eins (De vulgari eloquentia I,X 4; 11,11 9; II,V 4; II,VI 6).
Cino erhält die Ehre, mit seiner Kanzone >Avegna ehe io aggia piu per tempo< in der Liste der
für Dante herausragenden Werke in der Volkssprache zu erscheinen (II,VI 6).
6
In Bembos >Prose della volgar lingua< (1525) wird Dante, dem Dichter der cotnposizioni gravi,
Cino als Dichter der cotnposizioni piacevoli entgegengesetzt. In Petrarca sieht Bembo die Voll-
endung des lyrischen Dichtens, sofern er beide Stile zu verschmelzen wußte (Prose II,IX, in:
Prose e rime di Pietro Bembo, hg. v. Carlo Dionisotto, Torino 1966 ['I960] [Classici Italiani],
S. 146f.).
In den Sammelhandschriften volkssprachigcr Lyrik, die vom Trecento bis ins Cinquecento
reichen, ist Cino neben Petrarca und Dante der dritte große Lyriker. In der aldinischen Ausgabe
Petrarcas seit 1514 wird in einem Appendix der Musterkanzonen neben Cavalcantis >Donna mi
prega< und Dantes >Cosi nel mio parlar< auch Cinos >La dolce vista< abgedruckt. (Damit wird
der Kanon affirmiert, den schon Petrarca in >Lasso me!< aufgestellt hatte.) Zur Überlieferungs-
geschichte von Cinos Lyrik vgl. Gianfranco Folcna, Überlieferungsgeschichte der altitalieni-
schen Literatur, Kap. 10: »Die Überlieferung des Neuen Stils und der >realistischen< Dichter der
Toscana«, in: Karl Langosch u. Alexander Micha (Hg.), Geschichte der Textüberlieferung der
antiken und mittelalterlichen Literatur, Bd. II: Überlieferungsgeschichte der mittelalterlichen
Literatur, Zürich 1964, S. 396-415.

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Karlheinz Stierte

namik des Erschreckens vor dem in der Hingabe drohenden Selbstverlust wird
zur Bewegung der Metamorphose, die das Ich von Gestalt zu Gestalt in immer
tiefere und fremdere Dimensionen der Selbsterfahrung treibt. Petrarca setzt
eine Schwelle, indem er zur Artikulation dieser Erfahrung auf den antiken
Mythos, genauer Ovids poetische Inszenierung der mythischen Anschauungs-
form der Metamorphose, zurückgreift. Ovids >Metamorphosen< sind der Re-
ferenztext, mit dessen Hilfe Petrarca die Tiefe einer Selbsterfahrung illuminiert.
Deren Stationen sind Stationen der Selbstverwandlung, die sich spiegeln in
Ovids Bildern der mythischen Metamorphose.
Wie ein epischer Sänger kündigt das Ich der ersten Strophe den Gegenstand
seines Gesanges an: Es will des dolce tempo de la prima etade gedenken und der
Freiheit, die es unbehelligt von Amor genoß. Dann aber soll das Gedicht die
Geschichte seiner unglücklichen Liebe verkünden. Doch die Erinnerung steht so
sehr im Bann eines schreckensvollen Gedankens, daß sie sich dem Erinnernden
verweigert und diesen gleichsam in die Identitätslosigkeit stößt.
Die zweite Strophe vergegenwärtigt den Augenblick, wo es Amor gelingt,
das sich ihm verweigernde Ich zu überwältigen und es so seiner selbst zu ent-
fremden. Die Evokation dieses Augenblicks verdichtet sich erstmals im Bild
einer Metamorphose, die den Ovidischen Mythos von Apoll und Daphne und
der Verwandlung der sich Apoll entziehenden Nymphe in die rettende Gestalt
eines Lorbeers zugleich zitiert und defiguriert:7
Ei duo mi trasformaro in quel ch'i sono,
facendomi d'uom vivo un lauro verde
ehe per fredda stagion foglia non perde. (vv. 38-40)
Der Liebende der Laura sieht sich selbst in den Lorbeer (lauro) verwandelt. Das
sich entziehende Objekt des Begehrens scheint mit dem Begehrenden zu ver-
schmelzen. Doch verwandelt das Objekt des Begehrens nunmehr seine Natur,
denn dieses ist nun nicht mehr Laura selbst, sondern das Verlangen, dem Ver-
langen nach Laura eine dichterische Stimme zu geben und in der poetischen
Figur die Erfüllung zu finden, die dem liebenden Begehren verweigert ist. Die
Verwandlung ist in einem Entfremdung und Entdeckung der tieferen Bestim-
mung. Indem Laura sich entzieht, macht sie den Liebenden zum Dichter, des-
sen neue Identität sich im Lorbeer inkorporiert.
Die dritte Strophe vergegenwärtigt im Vollzug der Metamorphose den
Schrecken des Selbstentzugs. Der Überschuß an durch den Schrecken mo-
bilisierter imaginativer Energie läßt sich aber an eine bildhafte Konkretisation
nicht binden, sondern treibt zu einer neuen Gestalt der Verwandlung weiter.
Aus dem Lorbeer wird der Schwan. Das Ich, entzweit in ein zu hoch sich

7
Met. I, 455-565.

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Metamorphosen des Mythos

hinaufwagendes Hoffen, dem die Gestalt und das Schicksal des ins Meer stür-
zenden Phaeton zuwächst, und in ein Trauer-Ich, das die Gestalt des Cygnus
gewinnt, wird so einer neuen Erfahrung des Schreckens preisgegeben.8 Das
klagende Cygnus-Ich findet sich wieder als Schwan:
e giä mai poi la mia lingua non tacque,
tnentre poteo, del suo cader maligno;
ond'io presi col suon color d'un cigno. (vv. 58—60)
Das Klagen des Schwans ist die reine Unmittclbarkeit der noch unartikulierten
Stimme. Doch hält seine Erscheinung zugleich jene Bestimmung zur Dichtung
fest, die die erste Verwandlung freilegte. Die Weiße des Schwans vermag eben-
so die Weiße einer unbeschriebenen Seite zu konnotieren wie seine Federn jene
penne, von denen der Dichter in der ersten Strophe sagt, daß er schon tausend
abgenutzt habe, um seiner pen[n]osa vita dichterische Gestalt zu geben.
In der vierten Strophe widerfährt dem zum Schwan gewordenen Ich eine
neue Verwandlung. Die Geliebte verbietet dem Liebenden das Wort: Di cio non
far parola. Als das Ich dennoch redet, wird es in Stein verwandelt:
ed ella ne l'usata sua figura
tosto tornando, fecemi, oime lasso!,
d'un quasi vivo e sbigottito sasso. (vv. 78—80)
Die Bannung des Liebenden, dessen Schmerz nach Klage verlangt, in die
sprach- und regungslose Erstarrung des Steins ist ein Paroxysmus des Schrek-
kens.9 Vor Schrecken starr vernimmt das Stein-Ich die Stimme der aus ihrer
Fremdheit und Unnahbarkeit sprechenden Geliebten. Nur zu sich selbst in sein
eigenes Inneres sprechend, vermag das Ich die Bitte um Befreiung und Erlö-
sung auszusprechen. Die Lösung des Banns verwandelt das klagende in ein
seine Klage zurückhaltendes Ich, das, noch immer im Bann des Redeverbots,
seine unerhörte Erfahrung, die sich dem Stein-Ich gleichsam schon als eine
Schrift eingeprägt hatte, nun in den stummen Schrei des geschriebenen Worts
verwandelt. So wird die Metamorphose der Gestalt zugleich zur Metamor-
phose der Stimme in Schrift:
le vive voci m'erano interditte;
ond'io gridai con carta e con incostro:
- Non son mio, no; s'io moro, il danno e vostro —. (vv. 98—100)
Dies stumme Befolgen und Brechen des Schweigegebots vermag die Geliebte
nicht umzustimmen, ja sie entzieht sich nunmehr (Strophe 6) in eine absolute

8
Met. II, 150-328 und 358-380.
9
Die Geliebte hat hier den versteinernden Blick der Medusa. Zur versteinernden Kraft des
Medusenhaupts vgl. Met. IV, 655-662.

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Karlheinz Stierle

Unzugänglichkeit, die im Bild des sich entziehenden Lichts und der undurch-
dringlichen Dunkelheit vergegenwärtigt wird. So erfährt das Ich einen neuen
Kulminationspunkt seines Schmerzes, der ihn erneut in eine fremde Gestalt
zwingt, die doch dem eigenen Inneren zugehört. Das seinem Schmerz in ein-
samer Landschaft sich hingebende Ich überläßt sich seinen Tränen, ja es wird
mit ihnen ganz und gar eins, und diese verwandeln sich zur Quelle, wie bei
Ovid die in inzestuöser Liebe sich verzehrende Byblis zur Quelle verwandelt
wird:10
ne gia mai neve sotto al sol disparve,
com'io sentf me tutto venir meno,
e farmi una fontana a pie d'un faggio.
Gran tempo umido tenni quel viaggio.
Chi udi mai d'uom vero nascer fönte?
E parlo cose manifeste e conte. (vv. 115—120)
Das Spiel von Verwandlung und Rückverwandlung scheint kein Ende finden
zu können. Wieder erlöst die Dame den Liebenden (Strophe 7) und gibt ihm
seine ursprüngliche Gestalt zurück. Und noch einmal wagt er es, um Erhörung
zu bitten, und wird wiederum zu Stein verwandelt. Während aber der Körper,
Stein-Ich geworden, regungslos verharrt, löst sich das Stimme gewordene Ich
von ihm ab, und während bei Ovid die Nymphe Echo dem nach seinem
eigenen Trugbild sich verzehrenden Narziß antwortet,11 ist es bei Petrarca das
Stimme gewordene Ich des Liebenden, das das Verbot überschreitet und Laura
und den Tod anruft:
e cosi scossa
voce rimasi de l'antiche some,
chiamando Morte, e lei sola per nome. (vv. 138-140)
Als eine klagende Stimme lebt das körperlose Ich jahrelang in einsamen und
dunklen Höhlen einherirrend und bereut sein sfrenato ardire, ehe ihm endlich
(Strophe 8) die erneute Befreiung und Wiedervereinigung mit dem Körper
zuteil wird. Aber auch jetzt ist das Ich vor seinen Verwandlungen nicht geret-
tet. Der Schrecken des Selbstverlusts, den die Liebe dem Liebenden bedeutet,
findet noch einmal eine Figur der Verwandlung, in der die Erfahrung der
Selbstzerrissenheit und Selbstentfremdung zu ihrer höchsten Steigerung
kommt. Das sich selbst zurückgegebene Ich wird zur Gestalt eines neuen Ac-
taeon, der, von der Leidenschaft der Jagd nach seinem schönen Wild getrieben,
endlich die Geliebte aufspürt, wie sie sich in einer einsamen Quelle nackt dem
Bad hingibt. Wie Diana bei Ovid Actaeon mit Wasser besprengt und dieser
10
Met. IX, 649-665.
"Met. Ill, 37CM01.

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Metamorphosen des Mythos

darauf in einen Hirsch verwandelt wird, auf den sich seine Hunde stürzen,12 so
erfahrt nun auch das Ich, wie sich ihm seine Gestalt entzieht:
Vero diro (forse e' parra menzogna)
ch'i. send' trarmi de la propria imago (vv. 156—157)

Das Ich wird verwandelt in einen Hirsch, der fliehen muß vor seinen ihn
verfolgenden Hunden und der noch jetzt, im Jetzt der Sprechsituation, auf der
Flucht ist. Das Ich auf der Flucht vor seinen eigenen Begierden ist der Kul-
minationspunkt eines Imaginären der Selbstentfremdung und seines Schrek-
kens. Das Ich flieht und verfolgt sich selbst, ist Wild und Jäger in einem zeit-
verwandelnden und totalisierenden Präsens der permanenten Metamorphose.
Aber der congedo, der die Figuren der Verwandlung noch um jene der
Flamme und des Adlers vermehrt, in deren Gestalten das Ich sowohl seine
Liebe erfährt, wie er durch ihre Verwandlung ins Gedicht die Geliebte adler-
gleich emporhebt, führt in den Ursprung des Verwandlungsgeschehens zurück,
wo der Liebende der Laura sich selbst in der Metamorphose der Dichtung als
lauro erfuhr. Wenn diese Verwandlung aber zuerst im Aspekt des Erschrek-
kenden erschien, so am Ende, mit der vollständigen Verwandlung und Objek-
tivation des inneren Geschehens ins Gedicht, im Aspekt der dolce otnbra:
ne per nova figura il primo alloro
seppi lassar, ehe pur la sua dolce ombra
ogni men bei piacer del cor mi sgombra. (vv. 167—169)

So antwortet der Erinnerung des dolce tempo de la prima etade am Ende die dolce
ombra des vollendeten Gedichts, der glücklichen Zeit einer vollkommenen un-
entzweiten Selbstgenügsamkeit die ideale Gegenwart der im Gedicht aufge-
hobenen Liebe jenseits der Entzweiung und Entfremdung. Dennoch ist durch
das Gedicht diese Erfahrung nicht getilgt. Das Gedicht hat sein eigenes Werden
zum Thema und hebt es in sich auf. So setzt die Metamorphose des Lorbeers als
Gestalt des Schreckens in den Lorbeer als dolce ombra die im Bild des gejagten
Jägers Actaeon kulminierende Erfahrung des Schreckens nicht außer Kraft. Die
Metamorphosen, in denen Erfahrungen des psychischen Schreckens aufeinander
folgen, löschen sich nicht aus. Ihre Sukzessivität bedeutet keine narrative Ge-
stalt der Durcharbeitung, sondern eine lyrische Gestalt der komplexen Koprä-
senz als Artikulation einer Vielfalt von Kontexten, in denen ein vielfältiges Ich
eine Stimme für seine Erfahrung findet.13

12
Met. III, 176-252.
13
Vgl. Dutschke (Anm. 2), S. 196: »Each successive metamorphosis has deepened the poet's ex-
perience and awareness of his condition. The figure of the poet has evolved from a point of
naivete in which the metamorphosis is met with a reaction of shock, to one in which the poet
fully realizes what has and is happening [sic!] to him and intellectually ponders the fact.«

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Karlheinz Stierle

Schon in den Petrarca-Kommentaren des Cinquecento sind die mythologi-


schen Referenzen dieser >Canzone delle metamorfbsi< und insbesondere die
dichte Folge der Verweisungen auf Ovids >Metamorphosen< im einzelnen
aufgewiesen. Die modernen Kommentare und die sich daran anschließenden
Untersuchungen zu Petrarcas >humanistischer< Wiederanknüpfung an antike
Mythologie sind hier im wesentlichen nicht weitergekommen. Aber gerade im
Blick auf Petrarca ist die Frage nach der Verwendung des antiken Mythos und
deren Voraussetzungen unabweisbar.14 Damit aber wird es notwendig, den
Raum des bloß konstatierenden Kommentars zu überschreiten und so erst das
Textverständnis in eine hermeneutische Auslegungsperspektive zu bringen. Die
Möglichkeit des Rückgriffs auf die antike Mythologie hat in Petrarcas volks-
sprachiger Dichtung programmatische Bedeutung. Er unterscheidet sich mit
ihm wesentlich von der vorausliegcnden Dichtungstradition des dolce stil nuo-
vo. Zweifellos verstand Petrarca auch seine Wiederanknüpfung an Traditionen
antiker Dichtung als so etwas wie die Wiedergeburt einer Dichtung von
höchstem Anspruch. Daß der Name der von ihm besungenen Laura zusam-
menfiel mit dem Lorbeer als Emblem des antiken Dichterruhms, ist für Petrar-
cas poetologisches Programm gewiß von hoher Bedeutung. Signifikant ist
auch, daß das Metamorphosensonett 34, das zumindest auch als Programm
einer Renaissance antiker Dichtung lesbar ist und wo der Dichter in seiner
Liebe zu Laura sich als eine figura Apollos in seiner Liebe zu Daphne begreift,
ursprünglich wohl als Eingangsgedicht den geplanten >Canzoniere< einleiten
sollte.15 Umso mehr hat freilich auch Gewicht, daß Petrarca diese Absicht wie-
der zurücknahm und nun im Sinne einer neuen Programmatik das in seiner
Bedeutung und inneren Widersprüchlichkeit oszillierende >Voi ch'ascoltate<
zum endgültigen Eingangsgedicht machte. Wenn Petrarca somit wohl für ei-
nen Augenblick gedacht haben mochte, eine unmittelbare Wiederanknüpfung
an antike Dichtung und Mythologie nach der Dunkelheit der Jahrhunderte, in
denen die antike Dichtung vergessen worden war, sei ein Gebot der Stunde, so
zeigt der Fortgang seiner Dichtung doch, daß der Rückgriff auf antike My-
thologie, insbesondere auf die Ovidsche Anschauungsform der Metamorpho-
sen, bei ihm unter unverwechselbar eigenen Voraussetzungen stand. Diese sind

14
Bodo Guthmüller geht in seinen Studien zur antiken Mythologie in der italienischen Renais-
sance, Weinheim 1986, auf die besondere Verarbeitung des Ovidschen Verwandlungsmythos bei
Petrarca nicht ein. Doch können seine Studien zur Rezeption Ovids in der Renaissance ex
negative eine Vorstellung von der Eigenständigkeit und Komplexität von Petrarcas Ovid-
Rezeption geben.
15
Zum Verhältnis von »Apollo s'ancor vive il bei desio< und dem Eingangssonett >Voi ch'ascoltate<
vgl. Alfred Noyer-Weidner, II sonetto I, in: ders., Umgang mit Texten, Bd. 1: Vom Mittelalter
bis zur Renaissance, Stuttgart 1986 (Text und Kontext: Romanische Literaturen und Allge-
meine Literaturwissenschaft 3), S. 262-288 (zuerst in Lectura Petrarce IV, 1984).

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Metamorphosen des Mythos

zu klären, wenn in Petrarcas exemplarischer Kanzonc seine exemplarische Be-


zugnahme auf Ovids >Metamorphosen< nicht in die falsche Perspektive eines
naiven Humanismus gerückt werden soll.
Ovids >Metamorphosen< sind zumeist Geschichten einer dramatisch sich ver-
dichtenden Konfiguration, die eine höchste psychische Spannung aus sich her-
austreibt. Wenn der Held einer Metamorphose jene höchste psychische Erre-
gung erreicht hat, in der diese gleichsam die ganze physische Existenz in sich
hineinzuziehen scheint, dann ist jener Augenblick erreicht, wo in rätselvollem
Umschlag das Innere selbst objektive Gestalt wird und in ihr seine Beruhigung
und seine Dauer findet. Umgekehrt kann jede Erscheinung der Natur als Me-
tamorphose lesbar werden, hinter der sich ein mythisches Geschick entzieht, das
die Ahnung des Dichters freizulegen vermag. Ovids Geschichten sind ein gan-
zer Kosmos der Metamorphosen. Jede Geschichte gilt der Verwandlung eines
Helden. Mit ihrem Vollzug ist die Geschichte geschlossen, weil von der Ver-
wandlung kein Weg zurückführt, und es ist die Kunst des Erzählers der Me-
tamorphosen, von einem Metamorphosengedicht zum folgenden überzuleiten.
Die Objektivation des Subjektiven ist bei Ovid zweifach gesichert: zum einen
durch die Irreversibilität der in die Beschaffenheit der wirklichen Welt einge-
henden Metamorphose, zum anderen durch die Objektivität der sich ganz dem
Geschehen anheimgebenden Erzählerinstanz.
Der Schauplatz der Ovidschen Metamorphosen ist die Welt. Der Schauplatz
von Petrarcas Metamorphosen ist das Ich. Die Reichweite dieser Differenz
markiert die Entfernung Petrarcas von Ovid und darüber hinaus die Ferne der
Petrarcaschen Verwandlung antiker Mythen von ihrem antiken Gebrauch.16
Das lyrische Ich von >Nel dolce tempo< besingt, anders als der epische Sänger,
dessen Rolle der Dichter zu Beginn der >Metamorphosen< einnimmt, sich
16
Noyer-Weidner unterstreicht in seinem Aufsatz >Zur Mythologieverwendung in Petrarcas Can-
zoniere (mit einem Ausblick auf die petrarkistische Lyrik)< (Umgang mit Texten, Bd. l [ Anm.
15), S. 202-223, zuerst in: Petrarca 1304-1374. Beiträge zu Werk und Wirkung, hg. v. Fritz
Schalk, Frankfurt a. M. 1975) »die neue Verlebendigung einer von mittelalterlichen Denk-
mustern gelösten Mythologie bei Petrarca« und bemerkt im Blick auf die Gestalt Apolls: »sein
menschlich liebender und leidender Apoll ist nur ein erster Fall der individuell freien Mythos-
deutung.« (S. 218). Worin die Freiheit der Deutung aber besteht, bedarf freilich noch der ge-
naueren Analyse. Petrarcas Musterkanzone, die Noyer-Weidner aus seiner Betrachtung aus-
grenzt, kann hier wohl die tiefsten Einblicke geben. Einen neuen Zugang zur realen Kom-
plexität der Mythenverwendung scheint mir die Analyse des Metamorphosengedichts bei Tho-
mas Greene, The Light in Troy. Imitation and Discovery in Renaissance Poetry, New Ha-
ven/London 1982, zu eröffnen. Greene spricht von der »impression of an immense distancing of
the Ovidian texts« (S. 131) und beschreibt subtil den Effekt der Entvisualisierung, den die
Interiorisierung des Ovidschen Mythos mit sich bringt: »The imagery of the canzone of me-
tamorphoses seems to designate psychic events that refuse to reveal themselves, remain in an
opacity casting a semiotic shadow like that darkening the speaker [. . .]. The metaphoric sha-
dows of the speaker's suffering seem to find a counterpart in his rhetorical expression« (S. 128).

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Karlheinz Stierle

selbst. So ist auch der epische Gestus nur ein zitierter Gestus im Kontext der
lyrischen Rede. Die Metamorphose wird zur Erfahrung des lyrischen Ich. Das
bedeutet, daß eine Vielfalt von der Metamorphose verfallener Gestalten jetzt in
einer sekundären Metamorphose sich in Gestalten der Identität des eigenen Ich
verwandelt. Mit dieser Beziehung der Metamorphosensubjekte auf ein sie
übergreifendes, sich selbst darstellendes Meta-Subjekt wird zugleich die Me-
tamorphose aus ihrer Statik zurückgenommen, werden die einzelnen Me-
tamorphosengeschichten zu Scheitelpunkten einer dynamischen permanenten
Metamorphose gemacht, die in keiner Gestalt innezuhalten vermag, sondern
sich beständig selbst verwandelt. Die Metamorphose wird so zur Figur des in
sich entzweiten, sich selbst entzogenen und sich selbst suchenden Ich.
Gibt Ovid der zur äußersten Intensität gesteigerten psychischen Erfahrung in
der Metamorphose eine objektive, plastische Gestalt, so macht Petrarca, gleich-
sam in gegenläufiger Bewegung, die Objektivität der mythischen Figur zum
Moment der Selbsterfahrung eines seine eigene Tiefe durchdringenden Ich.
Schon Castelvetro hat in seinem Kommentar des >Canzoniere< darauf verwie-
sen, daß die Metamorphose des Ich zur Quelle in der 6. Strophe von >Nel dolce
tempo< nicht nur auf die Geschichte der Byblis bei Ovid zurückverweist, son-
dern darüber hinaus in der sprachlichen Gestalt der dargestellten Metamor-
phose eine zentrale Stelle von Augustins >Confessiones< präsent hält. Ehe Au-
gustin in höchster Verzweiflung die Stimme vernimmt, die ihm den rettenden
Befehl gibt: tolle, lege, gibt er sich unter einem Feigenbaum seiner Ver-
zweiflung und seinen Tränen hin: Ego sub quadam ßd arbore stravi me nescio
quomodo et dimisi habenas lacrimis, et promperunt ßumina oculorum meorum
(8, 12, 28). Daß an dieser Stelle im Text Petrarcas eine sich überlagernde Dop-
pelreferenz sowohl auf Ovid wie auf Augustin aufscheint,17 ist ein Fingerzeig
von wesentlicher Bedeutung, dem die Interpretation folgen kann. Noch an
anderer, soweit ich sehe, bisher unbemerkt gebliebener Stelle tritt die für
Petrarcas Kanzone wesentliche innere Gegenwärtigkeit Augustins zutage. Von
der vom Körper gelösten Stimme heißt es zu Beginn von Strophe 8:

Spirto doglioso errante (mi rimembra),


per spelunche deserte e pellegrine,
piansi molt'anni il mio sfrenato ardire. (vv. 141-143)
In Augustins >Confessiones< ist die Höhle die bestimmende Metapher des Ge-
dächtnisses. Das Gedächtnis, das seiner selbst und der Natur des im Gedächtnis
Bewahrten innezusein sucht, erfährt sich in ihrem Bild: Ubi ergo aut quare, cum
dicerentur, agnovi et dixi: »Ita est, verum est«, nisi quia iam erant in memoria, sed tarn
remota et retrusa quasi in caveis abditioribus, ut, nisi admonente aliquo eruerentur, ea

' Vgl. auch Greene (Anm. 16), S. 129ff.

34
Metamorphosen des Mythos

fortasse cogitare non possem? (10,10,17). Augustin gibt in seiner Theorie der
memoria, die er im 10. Buch der >Confessiones< entwickelt, dem platonischen
Höhlcngleichnis eine antiplatonische Wende: Nicht im Draußen, im Licht, liegt
die Wahrheit, sondern im Drinnen. Man muß die Höhle nicht verlassen, um
zur Wahrheit zu gelangen, sondern tiefer in sie eindringen. So wird die Welt
zum Weltinnenraum des Gedächtnisses, aus dessen tiefster Tiefe die erfahrene
Präsenz Gottes spricht. Erst in dieser Umwendung wird die neue, christlich
zentrierte Erfahrung des Ich von seiner eigenen unauslotbaren Tiefe denkbar
und artikulierbar als abyssus humanae conscientiae (10,2,2).
Augustins Lehre vom Weltinnenraum der memoria leitet die Aktualisierung
der Anschauungsform der Metamorphose in >Nel dolcc tempo<. Die Verwand-
lung ist eine Figur der Erinnerung und Selbstdurchdringung, jetzt aber nicht
mehr eines von der Frage nach Gott, sondern von der Frage nach der fremden,
sich entziehenden Geliebten und schließlich dem fremden, sich entziehenden
Selbst bedrängten Ich. Das im unerfüllbaren Begehren sich selbst fremd ge-
wordene Ich sucht sich in der Erinnerung seiner zu vergewissern. Doch ver-
weigert die Erinnerung dem seine Identität suchenden Ich den Dienst, weil sie
im Bann eines Schreckens steht, der am Ursprung der Selbstentzweiung liegt.
Die Erinnerung, die die Selbstcntfremdung aufheben soll, ist selbst schon von
der Erfahrung der Selbstentfremdung durchdrungen:
E se qui la memoria non m'aita,
come suol fare, iscusilla i martiri,
et un penser, ehe solo angoscia dälle (vv. 15—17)
Dies ist die Situation, in der den Verwandlungsmythen eine neue Funktion
zufällt. Sie dienen dazu, in der Annäherung jene Erfahrung zur Sprache zu
bringen, die die Erinnerung selbst verweigert. So wird die Metamorphose zur
Metamorphose der Erinnerung. Es ist eine der wegweisenden Einsichen Au-
gustins, daß das Gedächtnis nicht ein bloßer Spiegel oder eine Wachstafel des
Erinnerten ist, sondern eine aktive, weltvcrwandelnde Kraft: Affectiones quoque
animi mei eadem memoria continet non illo modo, quo eas habet ipse animus, cum
patitur eas, sed alio multum diverso, sicut sese habet vis memoriae (10,14,21). So
entspringt bei Petrarca die Anschauungsform der Metamorphose der ver-
wandelnden Kraft einer Erinnerung, die sich in eins entzieht und erschließt.
Der Mythos wird damit, um einen Begriff Derridas zu verwenden, den dieser
in Rousseaus Abhandlung über den Ursprung der Sprache freigelegt hatte,
zum Supplement der versagenden und sich versagenden Erinnerung.18 Es ent-
spricht zugleich der Palimpsest-Natur der Erinnerung, daß diese sich nicht in

18
Jacques Derrida, De la grammatologie, Paris 1979 ['1967], deuxieme partie: »Nature, culture,
ecriture«, chap. 2: »ce dangereux supplement«, S. 203—234.

35
Karlheinz Stierte

narrative Sukzessivität auflöst, sondern die Kopräsenz der in die textuelle Suk-
zessivität transponierten Metamorphosen als ein Reflexionsmedium des sich
selbst unergründlichen Ich festhält. Die Formsprache der in der Sukzessivität
des Textes die Pluralität der Kontexte festhaltenden lyrischen Rede ist bei
Petrarca eine Möglichkeit, diese Selbsterfahrung der geschichteten Erinnerung
zur ästhetischen Präsenz zu bringen.
Augustin nennt das erschließende Eindringen in den Abgrund des eigenen
Bewußtseins cogitare. Bei Petrarca entspricht dem das Verb pensare, das zuvor
schon in der Lyrik des dolce Stil nuovo, an vereinzelten Stellen der Trobador-
lyrik und vor allem im Roman Chretiens und im Lai der Marie de France die
Licbesbetroffenheit bezeichnet hatte. Erst Petrarca aber schöpft das vielfältige
Bedeutungspotential dieses Verbs, das Denken ebenso bedeuten kann wie An-
denken, Erinnern, Vorstellen, Empfinden und Imaginieren, ganz aus, indem er
es mit dem Vorstellungsinhalt von cogitare verknüpft und in seinen lyrischen
Gedichten selbst Weisen des pensare zur Anschauung bringt.19 So wird bei
Petrarca auch die Anschauungsform der Metamorphose zu einer Anschau-
ungsform des pensare und so zu einem Reflexionsmedium, in dem das Ich sich
jener Erfahrung anzunähern sucht, die die Erinnerung nicht preisgibt. In
Petrarcas Aneignung wird der antike Mythos der Metamorphosen zum mo-
dernen Mythos der memoria. Daß Petrarca sich mit dieser Wendung der Dich-
tung der Antike überlegen weiß, steht wohl außer Frage. Er folgt hier noch
ganz dem >modernen<, d.h. mittelalterlichen Bewußtsein seiner Zeit, der Dich-
tung der Antike überlegen zu sein, wie es sich noch mit Selbstverständlichkeit
in Dantes >Divina Commedia< artikuliert. Auch Dantes >Commedia< ist im
übrigen das imaginäre Supplement der dem Weltenwanderer sich versagenden
Erinnerung und somit zugleich ein Werk, dessen Ort der subjektive Raum der
memoria ist. Als ein Indiz dieses Bewußtseins der Überlegenheit kann man es
wohl auffassen, wenn Petrarcas Ich den Lorbeer, der es selbst wurde, nicht
mehr am Penäus, sondern an einem >schöneren Fluß< wurzeln läßt: non di
Peneo, ma d'un piu altero ßume. Das Ich findet in sich selbst Erfahrungen so
außergewöhnlicher, wunderbarer Art, daß nur die Sprache des Mythos zu-
reicht, sie zu benennen. Der Ursprung dieses Wunderbaren ist die Negation,
die Versagung der Geliebten, die im Ich zur Quelle des Imaginären wird. Das
Ich, dessen Sehnsucht nach der idealen Geliebten unerfüllt bleiben muß, erfährt
in sich selbst den Schrecken des Selbstverlusts, dessen imaginäre Steigerung im
Mythos der Metamorphose sein Äquivalent findet. Schon bei Ovid hat die
Metamorphose ein zweifaches Gesicht. Sie kommt zur Ruhe in der Verwand-

19
Vgl. Karlheinz Stierle, Petrarcas Landschaften. Zur Geschichte ästhetischer Landschaftserfah-
rung, Krefeld 1979 (Schriften und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln), S. 41f., S. 50ff.,
S. 83-91.

36
Metamorphosen des Mythos

lung psychischer Energie in Natur, auf der anderen Seite aber in ihrer Ver-
wandlung in die in sich selbst ruhende Gestalt des dichterischen Werks. Natur
und Kunst sind das zweifache Telos, das der Mythos der Metamorphose bei
Ovid erfüllt. Auch bei Petrarca bleibt die mythische Anschauungsform der
Metamorphose ambivalent: Ist sie einerseits eine Weise, die subjektive Erfah-
rung des Schreckens ins Absolute zu steigern, so andererseits ein Relais, ein
Katalysator zwischen dem Schrecken und seiner Verwandlung ins Gedicht.
Petrarcas >Nel dolce tempo< ist in erster Linie ein Mythos des Übergangs vom
Bewußtsein zu einer Dichtung des Bewußtseins, in der das Bewußtsein sich
selbst überschreitet. Wie Dantes >Divina Commedia< lesbar ist als ihre eigene
Entstehungsgeschichte, so ist auch >Nel dolce tempo< lesbar als Gedicht seines
eigenen Werdens.20
Ursprung des Gedichts ist die Erinnerung oder vielmehr der Schrecken, der
die Erinnerung bindet, so daß die Imagination mythische Äquivalente der Er-
innerung finden muß. So unterwirft das Gedicht sich dem Schrecken und be-
hauptet sich gegen ihn. Dies wird manifest in der Weise, wie das zum Urheber
des Gedichts werdende lyrische Ich sich seiner selbst entfremdet und sich jenseits
der Entfremdung wiederfindet.
Das Ich will zum Sänger seiner eigenen Erinnerung werden, um in der
poetischen Durcharbeitung seiner leidvollen Geschichte sich von dieser zu be-
freien: perche cantando U duol si disacerba. Andererseits scheint ein solcher Versuch
dichterischer Selbstbefreiung bisher immer wieder mißlungen zu sein, so oft
das Ich ihn auch unternahm. Das Gedicht als schriftliches Werk scheiterte eben-
so wie die unmittelbare, der Stimme anvertraute Klage:
ben ehe mio duro scempio
sia scritto altrove, si ehe millc penne
ne son gia stanche, e quasi in ogni valle
rimbombi il suon de' miei gravi sospiri (vv. 10-13)
Beide, Stimme und Schrift, hatten nicht Kraft, sich der penosa vita zu entheben,
die zugleich eine pen[n]osa vita ist. Schrift und Stimme sollen sich jetzt so zum
Gedicht vereinen, daß es gelingt, den Schmerz zu bannen. Doch gerade dabei
versagt und versagt sich die entscheidende Instanz der memoria, die, selbst im
Bann eines Schreckens stehend, dem Ich seine Identität entzieht.
Im Zeichen der Selbstentfremdung steht die erste Metamorphose als An-
näherung an die sich versagende Erinnerung. Amor und die Geliebte rauben

20
Damit unterscheide ich mich von der Deutung von Sara Sturm-Maddox, die das lyrische Ich
Petrarcas als persona auffaßt, die als »player of roles« agiert und im »reenactment of mythological
story« eine »defense against temporality« sucht (dies., Petrarch's Metamorphoses. Text as Subtext
in the Rime Sparse, Columbia, Miss. 1985, S. 129).

37
Karlheinz Stierle

dem Ich die Gestalt. Die neue Identität im Zeichen des Lorbeers und somit im
Zeichen des dichterischen Auftrags ist, noch ehe sie positiv ergriffen werden
kann, eine Erfahrung der Selbstentzogenheit und des Schreckens. Diese wird
aber überboten durch die neue Verwandlung in den Schwan. Dem um sich
selbst, seine gestürzte Hoffnung trauernden Schwan, dessen Stimme nicht zur
Ruhe kommt, bleibt nur die reine, sprachlose Klage eines Singens, das sich
nicht mehr in Worte fassen läßt:

ehe volendo parlar, cantava sempre


merce chiamando con estrania voce (vv. 62-63)

Hinter der Klage als sprachloser Stimme scheint aber schon in der Sprache der
Konnotationen die Möglichkeit einer Klage als stimmloser Sprache der Schrift
auf. Nicht nur verweisen die bianche piume des Schwanengefieders auf die mille
penne der ersten Strophe (an die übrigens, wie fern auch immer, der Peneo
erinnert), das Weiß des Schwans verweist auf das Weiß der Seite, impliziert
aber zugleich, vorbereitet durch das agghiacäa, die Kälte winterlicher Erstar-
rung. Bereits Petrarca bringt hier alle jene Konnotationen ins Spiel, die Mal-
larme mit dem Schwan als Emblem einer winterlichen Dichtung der frigidite
verbinden wird. Vom ambivalenten Bild des Schwans, der zugleich die Sprach-
losigkeit der Stimme wie die Stimmlosigkeit der Sprache zu vergegenwärtigen
vermag, führt die vierte Strophe weiter zum eigentlichen Zentrum des Ge-
dichts, dem Redeverbot der Dame. Das Ich muß reden von seiner Dame,
obwohl diese seinem Reden immer neu zuvorkommt:

de la dolce ed acerba mia nemica


e bisogno ch'io dica;
ben ehe sia tal ch'ogni parlare avanzi. (vv. 69—71)

Die Rede des Ich wird zur fatalen Transgression des Schweigegebots der Da-
me: Di do non far parola. Als das Ich dagegen verstößt und der in fremder
Gestalt erscheinenden Dame seine Liebe erneut offenbart, wird es in Stein
verwandelt. Auch zurückverwandelt bleibt die Versteinerung der Angst. So ist
ihm die Stimme genommen, und es bleibt ihm allein die Schrift. In seiner
neuen Identität schreibt das Ich, statt zu sprechen oder zu klagen:

Ma, perche tempo e corto,


la penna al buon voler non po gir presso,
onde piu cose ne la mente scritte
vo trapassando, c sol d'alcune parlo,
ehe meraviglia fanno a chi l'ascolta. (vv. 90-94)

Das Ich, dem die Sprache verboten ist, flüchtet sich in die stimmlose Schrift:

38
Metamorphosen des Mythos

Le vive voci m'erano interditte;


ond'io gridai con carta e con incostro:
- Non son mio, no; s'io moro, il danno e vostro. — (vv. 98—100)

Die Schrift ist die Sprache der Erstarrung, es ist gefrorene Rede, aber auch die
Rede der Introversion. Die zurückgestautc Klage, die nicht Stimme werden
kann, dringt in sich selbst und wird Schrift. Die Schrift im Gegensatz zur sich
als Stimme verströmenden Klage ist das Medium der nach innen gerichteten,
sich der Erstarrung anheimgebenden Melancholie. Es gibt wohl vor Petrarcas
>Nel dolce tempo< kein anderes Werk, in dem die mediale Differenz von Stim-
me und Schrift so tiefsinnig bedacht ist. Die Schrift als introvertierte, dem
Redeverbot entspringende stimmlose Sprache, zugleich Sprache der Erstarrung
und der Melancholie, wie sie am Ende der fünften Strophe erscheint, entspricht
genau jener Vorstellung der Schrift, die Rousseau in seiner Abhandlung über
den Ursprung der Sprache entwickeln wird. Der Begriff des Supplements, mit
dem Rousseau die Differenz von Stimme und Schrift zu erfassen sucht und
dessen Tragweite allererst durch Derridas Philosophie der Schrift erschlossen
wurde, wird hier in geradezu frappanter Weise veranschaulicht.21
Wenn aber einerseits die Schrift des >versteinerten< Ich einen Kulminations-
punkt der Selbstentfremdung bezeichnet, so andererseits dennoch zugleich ei-
nen verborgenen Zielpunkt der Identität. Petrarca, der den Namen des Vaters
Petracco zu seinem eigenen Namen frei umformte, verstand diesen als das
Emblem seiner dichterischen Bestimmung. Im Gedicht sah er die zeit-
überdauernde Form, das Monument seiner Stimme, vergleichbar dem zeit-
überdauernden Stein jener antiken Marmorsarkophagc, nach deren Vorbild die
Bologneser Glossatoren ihre Sarkophage außerhalb der Kirche aufstellen lie-
ßen. Petrarcas marmorner Sarkophag, der »mit dem christlichen Grabkult des
Trecento nichts zu tun hat«22 und den er selbst entworfen hatte, ist die Ma-
terialisierung seines Namens, dessen Medium, der Marmor, sich mit dem An-
spruch seiner zeitüberdauernden Geltung verbindet, deren sachlicher Grund in
der Schrift gewordenen Materialisierung seiner dichterischen Stimme liegt.
Aber in der Erstarrung der Schrift hat das Gedicht in seinem Werden noch
nicht seinen Zielpunkt gefunden. Das zurückverwandelte, im Banne des
Schweigegebots stehende Ich, dem die Geliebte, als es dieses erneut bricht, sich
gänzlich entzieht, löst sich auf in die strömende, aber sprachlos bleibende Ge-
walt seines Schmerzes. Wieder erhält das Ich seine Gestalt zurück, und wieder
verstößt es gegen das Redeverbot und wird erneut zu Stein, um dann als
körperloses Stimmen-Ich klagend die Einsamkeiten verlassener Höhlen zu
durchziehen. Die letzte Verwandlung, die dem Ich widerfährt und die es in die

21
Vgl. Anm. 18.
22
Wolfgang Liebenwein, Petrarcas Grab, in: Petrarca-Preis 1980-1984, München 1984, S. 74-94.

39
Karlheinz Stierle

Doppelfigur von flüchtendem Wild und verfolgenden Hunden bannt, ist ein
Bild des Schreckens in Permanenz, der klaglos, ohne Stimme und ohne Spra-
che bleibt. Aber die Präsenz der letzten noch andauernden Metamorphose
löscht nicht die Präsenz der ersten Verwandlung in den Lorbeer. Erst im con-
gedo erhält das Dichten des Gedichts seine ganze Rechtfertigung. Als uccel
[ . . . ] / alzando lei ehe ne' miei detti onoro (vv. 165f.) verstößt das Ich gegen das
Gebot der Dame Di do non far parola und behauptet sich so in seinem dich-
terischen Auftrag. In der dichterischen Verwandlung und Enthebung kann nun
auch der dolce tempo de la prima etade im Zeichen des dolce lauro wiedergefun-
den werden. Der trotz aller Widerwärtigkeiten gelingende Gesang gibt der
Trauer, dem Schrecken, der Versagung, die sich in den Bildern der Metamor-
phose spiegeln, eine neue Wirklichkeit, die sie in die Eigenständigkeit der dich-
terischen Figur enthebt, ohne sie gleichwohl zu negieren.
Petrarca löst Ovids Anschauungsform der Metamorphose gleichsam von
ihren Blockierungen. Wenn dort die Metamorphose jeweils einmalig und ir-
reversibel ist, so dynamisiert sie Petrarca, indem er der Hinverwandlung die
Rückverwandlung entsprechen läßt und indem er die einmalige Metamor-
phose in einen offenen Prozeß der Metamorphosen überfuhrt. Als Supplemen-
te der Erinnerung sind diese zugleich in ihrer Dynamik Anschauungsformen
einer Krise in Permanenz. Aber über alle Metamorphosenerzählungen im Stil
Ovids hinaus macht Petrarca die Metamorphose zur bestimmenden poetischen
Figur seines Gedichts. Das Gedicht wird zu einem Kontinuum der Metamor-
phosen, das alle seine Aspekte durchdringt. Erinnerung verwandelt sich in
Metamorphosen, diese verwandeln sich ins Gedicht. Das Gedicht ist die Me-
tamorphose seiner Metamorphosen, die ihrerseits Supplemente der versagen-
den und sich versagenden Erinnerung sind. Laura wird als Ursprung des Dich-
tens zum lauro, der lauro als Schreckbild der Verwandlung und Selbstentfrem-
dung wird zum lauro der dolce ombra. Die Schrift ist eine Metamorphose der
Stimme, aber die Feder ist auch als Schreibfeder eine Metamorphose der Feder
des Schwans, wie die Weiße seines Gefieders sich zur Weiße der zu beschrei-
benden Seite verwandelt. Schließlich aber ist nicht nur die Schrift eine Meta-
morphose der Stimme, die Stimme als dichterische Stimme ist zugleich eine
Metamorphose der Schrift. Petrarcas Metamorphose ist eine Kopräsenz der
Gestalten. Die frühere wird durch die spätere nicht getilgt, sondern zu einer
komplexen Form zusammengeführt. Die Anschauungsform der Metamor-
phose wird in der Konkretisation bildlicher Überlagerungen zur imaginären
Synthese. Das Gedicht ist weder Schrift noch Stimme, es ist die imaginäre
Vereinigung von Schrift und Stimme, von Erinnerung und mythischer Me-
tamorphose, von Schrecken und Bannung des Schreckens, von Versagung der
Rede und Wiedergewinnung.

40
Metamorphosen des Mythos

Schauen wir noch einmal zu Cino zurück. Indem Petrarca sich den antiken
Mythenkreis der Ovidschen >Metamorphosen< aneignete, gewann er sich ein
Instrument der poetischen Artikulation, das erst wahrhaft geeignet war, den
von Cino eröffneten Innenraum des in sich selbst entzweiten Ich poetisch zu
erschließen. Freilich beschränkt dieser Weg sich bei Petrarca auf wenige Bei-
spiele, unter denen >Nel dolce tcmpo< das herausragcnde ist. Der zum Rc-
flexionsmedium gewordenen mythischen Metamorphose gewinnt Petrarca ein
anderes Reflexionsmedium hinzu, das schon bei Cino in Ansätzen erscheint: die
Landschaft. Mit der Landschaft als Projektionsraum des in seinem pensare be-
fangenen Ich mehr noch als mit der Wiedergewinnung des antiken Mythos hat
Petrarca damit der zukünftigen lyrischen Dichtung einen Weg gewiesen.23

Anhang

Per Amore in varie guise trasformato.


Nel dolce tempo de la prima etade,
ehe nascer vide et ancor quasi in erba
la fera voglia ehe per mio mal crebbe,
perche cantando il duol si disacerba,
cantero com'io vissi in libertade,
mentre Amor nel mio albergo a sdegno s'ebbe; 6
poi seguiro si come a lui ne'ncrebbe
troppo altamente, e ehe di cio m'avenne,
di ch'io son fatto a molta gente essempio;
ben ehe mio duro scempio
sia scritto altrove, si ehe millc penne n
ne son giä stanche, e quasi in ogni valle
rimbombi il suon de' miei gravi sospiri,
ch'aquistan fede a la penosa vita.
E se qui la memoria non m'aita,
come suol fare, iscusilla i martin,
et un penser, ehe solo angoscia dalle, n
tal ch' ad ogni altro fa voltar le spalle
e mi face obliar mc stesso a forza,
ch' e' ten di me quel d'entro, et io la scorza. 20

23
Vgl. Hugo Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt 1964, Kap. 4: »Francesco
Petrarca«, bes. S. 210-214: »Lyrische Landschaften«, sowie Karlheinz Stierle, Petrarcas Land-
schaften (Anm. 19) und ders., Di pensier in pensier, di monte in monte. Landschaftserfahrung
und Selbsterfahrung in Petrarcas Canzoniere, Italienisch 22 (Nov. 1989), S. 21-33.

41
Karlheinz Stierte

Γ dico ehe dal di che'l primo assalto


mi diede Amor,molt'anni eran passati,
si ch'io cangiava il giovenil aspetto;
e d'intorno al mio cor pensier gelati
fatto avean quasi adamantine smalto
ch'allentar non lassava il duro affetto: 26
lagrima ancor non mi bagnava il petto
ne rompea il sonno, e quel ehe in me non era
mi pareva un miracolo in altrui.
Lasso, ehe son! ehe fui!
La vita el fin, e Ί di loda la sera. 31
Che, sentendo il crudel, di ch'io ragiono,
in fin allor percossa di suo strale
non essermi passato oltra la gonna,
prese in sua scorta una possente donna,
ver' cui poco gia mai mi valse ο vale
ingegno o forza o dimandar perdono. 37
Ei duo mi trasformaro in quel ch'i' sono,
facendomi d'uom vivo un lauro verde,
ehe per fredda stagion foglia non perde. 40

Qual mi fec'io quando primer m'accorsi


de la trasfigurata mia persona,
e i capei vidi far di quella fronde
di ehe sperato avea gia lor corona,
e i piedi in ch'io mi stetti, e mossi, e corsi,
(com'ogni membro a I'anima risponde) 46
diventar due radici sovra 1'onde,
non di Peneo, ma d'un piu altero fiume,
e'n duo rami mutarsi ambe le braccia!
Ne meno ancor m'agghiaccia
1'esser coverto poi di bianche piume, 51
allor ehe folminato e morto giacque
il mio sperar, ehe tropp'alto montava.
Che, perch'io non sapea dove ne quando
mel ritrovasse, solo, lagrimando,
la 've tolto mi fu, di e notte andava,
ricercando dallato e dentro a 1'acque, 57
e gia mai poi la mia lingua non tacque,
mentre poteo, del suo cader maligno;
ond'io presi col suon color d'un cigno. 60

42
Metamorphosen des Mythos

Cosi lungo l'amate rive andai,


ehe volendo parlar, cantava sempre,
merce chiamando con estrania voce;
ne mai in si dolci o in si soavi tempre
risonar seppi gli amorosi guai,
ehe Ί cor s'umiliasse, aspro e feroce. ^
Qual fu a sentir, ehe Ί ricordar mi coce?
Ma molto piu di quel ehe per inanzi
de la dolce et acerba mia nemica
e bisogno ch'io dica;
71
ben ehe sia tal ch'ogni parlare avanzi.
Questa, ehe col mirar gli animi fura,
m'aperse il petto, e'l cor prese con mano,
dicendo a me: — Di cio non far parola. —
Poi la rividi in altro abito sola,
tal ch'i' non la conobbi, o senso umano!,
77
anzi le dissi Ί ver pien di paura;
ed ella ne l'usata sua figura
tosto tornando, fecemi, oime lasso!,
80
d'un quasi vivo e sbigottito sasso.

Ella parlava si turbata in vista,


ehe tremar mi fea dentro a quella petra,
udendo: - Γ non son forse chi tu credi. —
E dicea meco: — Se costei mi spetra,
nulla vita mi fia noiosa o trista:
86
a farmi lagrimar, signor mio, riedi. —
Come, non so; pur io mossi indi i piedi,
non altrui incolpando ehe me stesso,
mezzo, tutto quel di, tra vivo e morto.
Ma, perche Ί tempo e corto,
91
la penna al buon voler non po gir presso;
onde piu cose ne la mente scritte
vo trapassando, e sol d'alcune parlo,
ehe meraviglia fanno a chi l'ascolta.
Morte mi s'era intorno al cor avolta,
ne tacendo potea di sua man trarlo,
97
o dar soccorso a le vertuti afflitte:
le vive voci m'erano interditte;
ond'io gridai con carta e con incostro:
— Non son mio, no; s'io moro, il danno c vostro. — 100

43
Karlheinz Stierle

Ben mi credea dinanzi a gli occhi suoi


d'indegno far cosi di merce degno;
e questa spene m'avea fatto ardito:
ma talora umiltä spegne disdegno,
talor l'enfiamma; e cio sepp'io da poi,
lunga stagion di tenebre vestito; 106
ch'a quei preghi il mio lume era sparito.
Ed io non ritrovando intorno intorno
ombra di lei, ne pur de' suoi piedi orma,
come uom ehe tra via dorma,
gittaimi stance sovra 1'erba un giorno. in
Ivi, accusando il fugitive raggio,
a le lagrime triste allargai freno,
e lasciaile cader come a lor parve;
ne gia mai neve sotto al sol disparve,
com'io send me tutto venir meno,
e farmi una fontana a pie' d'un faggio. 117
Gran tempo umido tenni quel viaggio.
Chi udi mai d'uom vero nascer fonte?
E parlo cose manifeste e conte. 120

L'alma, ch'e sol da Dio fatta gentile,


ehe giä d'altrui non po venir tal grazia,
simile al suo fattor stato ritene;
pero di perdonar mai non e sazia
a chi col core e col sembiante umile,
dopo quantunque offese, a merce vene. 126
E se contra suo stile ella sostene
d'esser molto pregata, in lui si specchia,
e fal perche peccar piu si pavente;
ehe non ben si ripente
de Tun mal chi de l'altro s'apparecchia. 131
Poi ehe madonna da pietä commossa
degno mirarme, e ricognovve e vide
gir di pari la pena col peccato,
benigna mi redusse al primo stato.
Ma nulla ha mondo in ch'uom saggio si fide;
ch'ancor poi ripregando, i nervi e 1'ossa 137
mi volse in dura selce; e cosi scossa
voce rimasi de l'antiche some,
chiamando Morte, e lei sola per nome. 140

44
Metamorphosen des Mythos

Spirto doglioso errante (mi rimembra)


per spelunchc deserte e pellegrine
piansi molt'anni il mio sfrenato ardire;
et ancor poi trovai di quel mal fine,
e ritornai ne le terrene membra,
credo, per piu dolore ivi sentirc. 146
Γ scgui' tanto avanti il mio desire
ch'un di cacciando, si com'io solca,
mi mossi; e quella fera bella e cruda
in una fonte ignuda
si stava, quando Ί sol piu forte ardea. isi
Ιο, perche d'altra vista non m'appago,
stetti a mirarla; ond'ella ebbe vergogna;
c, per fame vendetta, o per celarse,
1'acqua ncl viso co le man mi sparse.
Vcro diro (forsc e' parr mcnzogna)
ch'i' send' trarmi de la propria imago, 157
et in un cervo solitario e vago
di selva in sclva ratto mi trasformo;
ct ancor de' miei can fuggo lo stormo. 160

Canzon, i' non fu' mai quel nuvol d'oro


ehe poi discese in preziosa pioggia,
si ehe Ί foco di Giovc in parte spensc;
ma fui ben fiamma ch'un bei guardo accense,
e fui l'uccel ehe piu per 1'aere poggia,
alzando lei, ehe ne' miei detti onoro; 166
ne per nova figura il primo alloro
seppi lassar, ehe pur la sua dolce ombra
ogni men bei piacer del cor mi sgombra. 169

45

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