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Xin Liu

Sein, Logos und Veränderung


Quellen und Studien zur
Philosophie

Herausgegeben von
Jens Halfwassen, Dominik Perler
und Michael Quante

Band 139
Xin Liu

Sein, Logos und


Veränderung

Eine systematische Untersuchung zu Aristoteles’


Metaphysik
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Beijing Normal University, School of Philosophy

ISBN 978-3-11-066327-3
e-ISBN (PDF) 978-3-11-066492-8
e-ISBN 978-3-11-066349-5

Library of Congress Control Number: 2019945462

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Für meine Eltern
Vorwort
Ist Aristoteles’ Metaphysik metaphysica generalis (universale Ontologie) oder
metaphysica specialis (Theologie)? Was ist Aristoteles’ Metaphysik überhaupt?
Was ist ihr Gegenstand und Umfang? Wie sind die partikularen Einzelwissen-
schaften voneinander unterschieden und wie werden sie einheitlich begründet?
Um diese Fragen zu beantworten, entstand die vorliegende Arbeit, die versucht,
eine einheitliche und systematische Interpretation der aristotelischen Philoso-
phie im Allgemeinen und seiner Metaphysik im Besonderen zu entwickeln. In
erster Linie ist die islamisch‐scholastisch geprägte Auslegung zurückzuweisen,
die dazu führt, dass sich Aristoteles’ Metaphysik in eine metaphysica generalis
und eine metaphysica specialis trennt. Stattdessen erweist sich Aristoteles’ Me-
taphysik als Substanz‐ bzw. Prinzipienlehre. Im Hinblick auf den Gegenstand
lässt sich Aristoteles’ Metaphysik als Substanzlehre bezeichnen. Sie ist aus der
zweiten und der ersten Philosophie, nämlich aus der Physik und der Theologie,
zusammenfügt, indem die Physik als zweite Philosophie die Substanz in zwei-
ter Ordnung (die sensible Substanz) und die Theologie als erste Philosophie die
Substanz in erster Ordnung (die intelligible Substanz) zum Untersuchungsge-
genstand nimmt. Obwohl die Metaphysik über zwei Unterteilungen verfügt, bil-
det Aristoteles’ Metaphysik als Prinzipienlehre eine einheitliche Wissenschaft.
Denn die zweite und die erste Philosophie haben gemeinsam, dass sie nicht
nur die Substanz, sei sie sensibel oder intelligibel, sondern auch das Prinzip
der Substanz thematisieren. Methodisch gesehen, vollziehen sich die sich am
Prinzip orientierende Physik und die Theologie nicht deduktiv, wie dies bei den
partikularen Einzelwissenschaften der Fall ist, wo sich die Konklusion aus der
vorausgesetzten Prämisse syllogistisch ergibt, sondern induktiv, und zwar von
der Folge zur Ursache bzw. vom Vorausgesetzten zum Voraussetzungslosen.
Des Weiteren kommt die Einteilungsmethode des Chiasmus, die unbekannt
und in der ganzen Interpretationsgeschichte verborgen geblieben ist, wieder
ans Licht. Dabei differenziert sich die platonisch‐aristotelische Proportionalität-
sanalogie von der thomistisch‐scholastischen Attributionsanalogie. Aristoteles
bezeichnet die Proportionalitätsanalogie terminologisch als geometrische Ana-
logie, die eine viergliedrige Grundstruktur von a : b = c : d hat. Während der
Chiasmus bzw. die Dihairese die Einteilung der Substanzen und die Einteilung
der Wissenschaften ermöglicht, trägt die Analogie dazu bei, sowohl die ver-
schiedenen Typen von Substanzen als auch die partikularen Einzelwissenschaf-
ten zu vereinigen. Erstens: Anhand des Chiasmus sind die Substanzen in
Lebewesen, Gestirn und Geist dreifach einzuteilen und anhand der Analogie
sind die drei Typen von Substanzen strukturell vereinigt. Die ganze Substanz-
lehre des Aristoteles baut auf der hylemorphistischen Struktur auf, indem die
https://doi.org/10.1515/9783110664928-202
VIII Vorwort

analogische Struktur von Stoff‐Form, von Leiden‐Wirken und von Möglichsein‐


Wirklichsein einerseits allen Typen der sensiblen Substanzen immanent ist und
andererseits von der intelligiblen Substanz aufgehoben wird. Dadurch, dass sich
der göttliche Geist von Materialität, Passivität und Potentialität absolut befreit,
ist er mit Formalität, Aktivität und Aktualität ausgestattet. So ist der göttliche
Geist nichts anderes als die reine aktive Aktualisierung seiner selbst (actus
purus). Zweitens: Anhand des Chiasmus ist der ganze Wissenschaftsbereich in
die theoretische, die praktische und die poietische Wissenschaft dreifach einzu-
teilen. Auf der einen Seite ist anhand des Chiasmus die theoretische Wissen-
schaft in Physik, Theologie und Mathematik einzuteilen und die Mathematik ist
in Astronomie, Geometrie, Musik und Arithmetik chiastisch zu unterteilen. Auf
der anderen Seite ist anhand der Dihairese die praktische Wissenschaft in Ethik,
Ökonomik und Politik einzuteilen und die Ökonomik ist weiterhin dreifach zu
unterteilen. Bei der poietischen Wissenschaft geht es um eine Dreiteilung von
Physis, Techne und Praxis. Während die Wissenschaften anhand des Chiasmus
bzw. der Dihairese einzuteilen sind, weist die Analogie die strukturelle Ähnlich-
keit zwischen den Untersuchungsgegenständen aller Wissenschaftsdisziplinen
auf. Für die Interpretation zu Aristoteles’ Philosophie sind der Chiasmus bzw. die
Dihairese und die Analogie deswegen von entscheidender Bedeutung, weil das
komplette Wissenschaftsgebäude des Aristoteles auf der chiastischen bzw. der
dihairetischen Einteilung und der analogischen Einheit aufbaut, welche im
durchgänglichen Hylemorphismus gründet.
Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete und verbesserte Fassung meiner
Dissertation, die zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Phi-
losophie der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
im Wintersemester 2015/2016 eingereicht wurde. Dank eines Promotionsstipen-
diums des China Scholarship Councils (CSC) und eines Abschlussstipendiums
(Abschlussbeihilfe des STIBET Programms), das die Universität Heidelberg zu-
sammen mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) angeboten
hatte, konnte ich mich in meiner Promotionszeit ganz auf mein Forschungspro-
jekt konzentrieren. Dafür bin ich sehr dankbar.
Mein Dank gilt aber vor allem meinem Doktorvater Anton Friedrich Koch, und
zwar nicht nur für seine hervorragende Betreuung und wertschätzende Unterstüt-
zung, sondern auch und besonders dafür, dass er mir dieses herausfordernde
Thema zur Promotion anvertraute und die Freiheit gab, es wissenschaftlich zu un-
tersuchen. Von ganzem Herzen danke ich auch Jens Halfwassen dafür, dass er
nicht nur der zweite Gutachter meiner Dissertation ist, sondern mich auch maß-
geblich bei der Bearbeitung wie ein zweiter Betreuer unterstützte. In verschiede-
nen Veranstaltungen sowie im Kolloquium habe ich von ihm vieles gelernt.
Außerdem möchte ich mich bei Friedrike Schick (Tübingen) herzlich bedanken.
Vorwort IX

Seit über zehn Jahren verbindet mich mit ihr eine tiefe Freundschaft. In jeder Hin-
sicht hat sie mich jederzeit freundlich unterstützt. Mein tief empfundener Dank
gilt auch folgenden ausgezeichneten Forschern bzw. Lehrern: Colin G. King (Provi-
dence), Carlos Steel (Leuven), Vittorio Hösle (Notre Dame), Wouter Goris (Bonn),
Dag Nikolaus Hasse (Würzburg) und Matthias Perkams (Jena). Ich konnte von
ihnen viel über die griechische Philosophie, den Neuplatonismus, die mittelalter-
liche und die arabische Philosophie lernen. Auch meinem hervorragendem Lehrer
Roland Baumgarten (Berlin) für Griechisch und meiner ausgezeichneten Lehrerin
Verena Hug (Heidelberg) für Arabisch sowie dem Lehrer Antoine Choulhod (Hei-
delberg) für Arabisch möchte ich meinen Dank ausdrücken. Ohne ihre Hilfe wäre
es mir nicht möglich gewesen, die Quellen im griechischen und arabischen Origi-
nal zu lesen. Das Korrekturlesen einer Dissertation ist eine anstrengende Aufgabe,
die mit großer Sorgfalt erfüllt werden muss. Ich bin sehr froh, dass Friedrike
Schick, Sebastian Faber und Konrad Vorderobermeier diese Aufgabe für meine
Promotion übernommen haben. Danke dafür! Abschließend gilt mein Dank auch
dem Verlag Walter De Gruyter. Es ist für mich eine Auszeichnung, dass meine Dis-
sertation in der Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie“ erscheint. Von Her-
zen danke ich sowohl den Herausgebern als auch allen Mitarbeitern bzw.
Mitarbeiterinnen. Namentlich möchte ich Serena Pirrotta, Tim Vogel und Anne
Stroka für ihre Unterstützung meiner Publikation erwähnen. Letztendlich bedanke
ich mich bei meinen Eltern für ihre Geduld und ihre Liebe zu mir. Ihre Liebe und
Geduld, aber auch ihr Vertrauen lassen mich ohne Angst motiviert voranschreiten.
Dieses Buch ist daher meinen Eltern gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort VII

Abkürzungsverzeichnis XIII

Einleitung 1
1 Der Stand der Forschung zu Aristoteles’ Metaphysik 1
2 Der Aristotelismus: Die griechisch-arabisch-lateinische
Tradition 3
3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung 5
3.1 Griechisch-platonische Tradition gegen islamisch-
scholastische Interpretation 5
3.2 Aristoteles’ Meta-Physik gegen Platons Meta-
Mathematik 12
4 Zur Einteilung der vorliegenden Arbeit 14

1 Metaphysik 15
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 15
1.2 Analogie 33

2 Zweite Philosophie (Physik) 77


2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung (πρᾶγμα-δόξα-κίνησις) 77
2.1.1 Sachverhalt-Meinung (πρᾶγμα-δόξα) 79
2.1.2 Sachverhalt-Bewegung (πρᾶγμα-κίνησις) 100
2.1.3 Bewegung-Logos (κίνησις-λόγος) 119
2.1.4 Wahrheit und Falschheit (ἀληθές καὶ ψεῦδος) 139
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition (τόδε τι-γένεσις-
ὁρισμός) 153
2.2.1 Einzelding-Art: Bewegung-Herstellung-Naturentstehung
(τόδε τι-εἶδος: κίνησις-ποίησις-φύσις) 155
2.2.2 Art-Einzelding: Naturentstehung-Herstellung-Handlung
(εἶδος-τόδε τι: φύσις-ποίησις-πρᾶξις) 183
2.2.3 Eidos-Nous: Enstehung-Definition-Geist (εἶδος-νοῦς: γένεσις-
ὁρισμός-νοῦς) 209
2.2.4 Wirklichkeit und Möglichkeit (ἐνέργεια καὶ δύναμις) 245

3 Erste Philosophie (Theologie) 251


3.1 Analogie 251
3.2 Geist 271
XII Inhaltsverzeichnis

4 Schluss 293
4.1 Metaphysik als Substanzlehre 293
4.1.1 Chiastische Einteilung 293
4.1.2 Analogische Einheit 295
4.2 Theoretische, poietische, praktische Wissenschaft 298
4.2.1 Einteilung der Wissenschaften 299
4.2.2 Analogische Einheit 300
4.3 Metaphysik als Prinzipienlehre 304
4.3.1 Apodiktisch-syllogistische Einzelwissenschaft 304
4.3.2 Metaphysische Prinzipienlehre 305

Literaturverzeichnis 307

Namensregister 315

Sachregister 317
Abkürzungsverzeichnis
Aristoteles

APo. Analytica Posterioria


APr. Analytica Prioria
Cat. Categoriae
De An. De anima
De Cae. De caelo
EE Ethica Eudemia
EN Ethica Nicomachea
GA De generatione animalium
Gen. et Corr. De generatione et corruptione
HA Historia Animalium
Int. De Interpretatione
MA De motu animalium
Metaph. Metaphysica
Meteor. Meteorologica
MM Magna Moralia
PA De partibus animalium
Phys. Physica
Poet. Poetica
Pol. Politica
Rhet. Rhetorica
SE Sophistici Elenchi
Top. Topica

Platon

Leg. Leges
Phd. Phaedo
Prm. Parmenides
Resp. Respublica
Soph. Sophista
Tim. Timaeus

Sonstiges

HWP Historisches Wörterbuch der Philosophie


LSJ Greek-English Lexicon (Liddell, Scott and Jones)
TLG Thesaurus Linguae Graecae

https://doi.org/10.1515/9783110664928-204
Einleitung

1 Der Stand der Forschung zu Aristoteles’ Metaphysik

Ὅτι δ’ οὐ ποιητική, δῆλον καὶ ἐκ τῶν πρώτων φιλοσοφησάντων· διὰ γὰρ τὸ θαυμάζειν οἱ
ἄνθρωποι καὶ νῦν καὶ τὸ πρῶτον ἤρξαντο φιλοσοφεῖν, [. . .]. ὁ δ’ ἀπορῶν καὶ θαυμάζων
οἴεται ἀγνοεῖν [. . .]. ὥστ’ εἴπερ διὰ τὸ φεύγειν τὴν ἄγνοιαν ἐφιλοσόφησαν, φανερὸν ὅτι
διὰ τὸ εἰδέναι τὸ ἐπίστασθαι ἐδίωκον καὶ οὐ χρήσεώς τινος ἕνεκεν. [. . .] δῆλον οὖν ὡς δι’
οὐδεμίαν αὐτὴν ζητοῦμεν χρείαν ἑτέραν, ἀλλ’ ὥσπερ ἄνθρωπος, φαμέν, ἐλεύθερος ὁ
αὑτοῦ ἕνεκα καὶ μὴ ἄλλου ὤν, οὕτω καὶ αὐτὴν ὡς μόνην οὖσαν ἐλευθέραν τῶν ἐπιστη-
μῶν· μόνη γὰρ αὕτη αὑτῆς ἕνεκέν ἐστιν. – Metaph. A2, 982b11-28

Es gibt eine Wissenschaft, die weder poietisch noch praktisch orientiert ist. An-
getrieben von der Verwunderung fangen die Menschen jetzt wie vormals an, zu
philosophieren. Wer sich über eine Sache verwundert und in die Aporie gerät,
der glaubt, die Sache selbst nicht zu kennen. Wenn man philosophiert, um der
Unwissenheit zu entgehen, dann sucht man das Erkennen offensichtlich des
Wissens wegen, nicht aber um irgendeines Nutzens willen. Wie sich der freie
Mensch nicht um eines anderen willen, sondern nur um seiner selbst willen
verhält, so ist diese Wissenschaft, die unter allen Wissenschaften allein als
freie Wissenschaft gilt, allein um ihrer selbst willen.1 Diese freie Wissenschaft
ist nichts anderes als Aristoteles’ Metaphysik, die in der vorliegenden Arbeit
thematisiert und behandelt wird. Bevor wir auf unser Thema eingehen, ist es
angebracht, zunächst einen kurzen Blick auf den Stand der Forschung zu
werfen.
Auf der einen Seite gibt es eine Interpretationsrichtung, welche die Metaphy-
sik des Aristoteles als Ansammlung unterschiedlicher und gegensätzlicher The-
sen sowie als Anhäufung von Widersprüchen sieht.2 Einer der berühmtesten
Widersprüche der aristotelischen Substanzlehre besteht darin, dass die erste Sub-
stanz im fünften Kapitel der Kategorienschrift als Einzelding, in Z7 der Metaphy-
sik aber als Art bestimmt ist.3 Jedoch können wir den scheinbaren Widerspruch
auflösen, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen bilden die beiden Typen der

1 Der zitierte Satz ist hier nicht wörtlich, sondern sinngemäß wiedergegeben. Vgl. auch die
Bonitz-Übersetzung (1989: 15). In der folgenden Untersuchung wird der griechische Text – so-
fern nicht anders vermerkt – von der Verfasserin selbst übersetzt.
2 Aufgrund der Darstellung im Ueberweg vertreten N. Hartmann (1939) und P. Aubenque
(1961) die aporetische Aristoteles-Interpretation. Vgl. Ueberweg 1983: 184; Fonfara 2003: 5–6.
3 (1) Cat. 5, 2a11-14: Οὐσία δέ ἐστιν ἡ κυριώτατά τε καὶ πρώτως καὶ μάλιστα λεγομένη, ἣ μήτε
καθ’ ὑποκειμένου τινὸς λέγεται μήτε ἐν ὑποκειμένῳ τινί ἐστιν, οἷον ὁ τὶς ἄνθρωπος ἢ ὁ τὶς
ἵππος. (2) Metaph. Z7, 1032b1-2: εἶδος δὲ λέγω τὸ τί ἦν εἶναι ἑκάστου καὶ τὴν πρώτην οὐσίαν.

https://doi.org/10.1515/9783110664928-001
2 Einleitung

ersten Substanz deshalb keinen Widerspruch, weil der Terminus „πρῶτον“ mehr-
deutig ist und sich ein Unterschied in der Perspektive ergibt. Das Einzelding lässt
sich als erste Substanz bezeichnen, insofern es als Substanz der Kategorie, als
Subjekt dem Prädikat und als Substrat der Eigenschaft zugrunde liegt. Die Art
gilt deswegen als erste Substanz, weil sie nicht nur – als Wesensprädikat – das
gleichartige Einzelding zur Sprache, sondern dieses auch – als Entstehungsprin-
zip – überhaupt erst zustande bringt. Zum anderen sind das zugehörige Einzel-
ding und die Art nicht nur widerspruchlos, sondern auch und besonders hängen
sie eng miteinander zusammen und sind sachlich identisch, wenn man sich die
Naturentstehung vor Augen führt. Die Naturart kann sich nur am gleichartigen
Einzelding konkretisieren und aktualisieren. Das einzelne Naturseiende zeigt
nicht nur die Individualität auf, sondern bringt auch die Gleichartigkeit sowie
die Eigentümlichkeit der zugehörigen Art mit sich.
Auf der anderen Seite gibt es den Versuch, die Metaphysik bzw. die Philo-
sophie des Aristoteles systematisch auszulegen. Die Systematisierung aber, die
von Werner Jäger entworfen und entwickelt wurde, besteht nicht in einer syste-
matischen Untersuchung und ausführlichen Textanalyse des Corpus Aristoteli-
cum. Stattdessen kommt sie dadurch zustande, dass W. Jäger zunächst die
zeitlich-räumliche Lebensumgebung des Aristoteles analysiert, dessen Lebens-
phasen in Entwicklungsstadien teilt und dann die einzelnen Schriften bzw.
Teile von Schriften einem der Entwicklungsstadien zuordnet (Jäger 1955; Ueber-
weg 1983: 177). Mit Blick auf die Entwicklungsgeschichte kann man den oben
erwähnten Widerspruch so erklären, dass Aristoteles im früheren der beiden
Werke, nämlich in der Kategorienschrift, die erste Substanz als Einzelding an-
sieht, und in der Meisterzeit, in der er das Buch Z der Metaphysik aufzeichnet,
die erste Substanz für die Art hält. Indem die Schriften bzw. die Teile von
Schriften des Aristoteles nicht nach dem philosophischen Inhalt, sondern an-
hand des äußerlichen Lebenslaufs zeitlich und entwicklungsgeschichtlich
eingeordnet sowie zugeordnet werden, kann man den Widerspruch weder auf-
lösen noch überhaupt damit konfrontiert werden, sondern man kann ihn nur
überspringen. Der Satz vom Widerspruch lautet: Ein und dasselbe Seiende
kann nicht in derselben Hinsicht gleichzeitig sein und nicht sein (τὸ γὰρ αὐτὸ
ἅμα ὑπάρχειν τε καὶ μὴ ὑπάρχειν ἀδύνατον τῷ αὐτῷ καὶ κατὰ τὸ αὐτό – Metaph.
Γ3, 1005b19-20). Daraus folgt, dass die Gleichzeitigkeit (ἅμα) eine wichtige Be-
dingung für den Widerspruch ist. Wer anhand der zeitlichen Abfolge einen
Widerspruch zu erklären versucht, der trifft den widersprüchlichen Inhalt über-
haupt nicht, sondern schafft die formale Bedingung des Satzes vom Wider-
spruch ab. Auf eine sukzessiv entwicklungsgeschichtliche Art und Weise
können daher alle Typen von Widersprüchen aufgelöst werden, allerdings
nicht inhaltlich, sondern nur formal.
2 Der Aristotelismus: Die griechisch-arabisch-lateinische Tradition 3

Angesichts der Vielfältigkeit der in der Aristoteles-Forschung gewählten


Zugänge stellt sich die Frage, welche Vorgehensweise wir als geeignet erach-
ten. Die Metaphysik bzw. die Philosophie des Aristoteles kann weder fragmen-
tarisch noch aporetisch, sondern sie muss systematisch behandelt und
untersucht werden. Da sich die philosophische Untersuchung immer an der
jeweiligen Art der Philosophie orientiert, soll die Vorgehensweise der
Forschung mit der Art und Weise im Einklang stehen, wie ein bestimmter
Philosoph philosophiert. Wenn z. B. ein Philosoph selbst seine Philosophie
fragmentarisch darstellt, ist es schwierig, die einzelnen Thesen zu systemati-
sieren. Hingegen gibt es in der aristotelischen Philosophie sicher einen syste-
matischen und einheitlichen Entwurf, der in der Metaphysik fundiert ist und
über die einzelnen Disziplinen hinweg durchgeführt wird. Ein vorläufiger und
einfacher Beweis dafür lässt sich folgendermaßen formulieren: Wäre Aristote-
les’ Philosophie nicht systematisch entworfen und konzipiert, wie könnte
Aristoteles dann einerseits – nicht nur Platon folgend, sondern auch die
ganze griechische Tradition fortsetzend – die Metaphysik als Prinzipienlehre
vorantreiben und andererseits die verschiedenen apodiktisch-syllogistischen
Einzelwissenschaften einheitlich begründen? Wir müssen also die Philoso-
phie bzw. die Metaphysik des Aristoteles systematisch untersuchen. Die
Systematik besteht nicht in der geschichtlichen Entwicklung, sondern in der
organischen Einheit.

2 Der Aristotelismus: Die griechisch-arabisch-lateinische


Tradition
Aristoteles’ Metaphysik soll als organische Einheit angesehen und systematisch
untersucht werden. Nachdem wir uns die Vorgehensweise der Untersuchung
klargemacht und diese festgelegt haben, tritt ein weiteres Problem auf. Wenn
man die aristotelische Metaphysik zum Untersuchungsgegenstand nimmt, ge-
nügt es nicht, lediglich das Buch Metaphysik sowie die mit dem metaphysi-
schen Thema zusammenhängenden Texte von Aristoteles vor Augen haben,
sondern es sind die ganze Kommentierungs- und Interpretationstradition sowie
die Rezeptionsgeschichte mit zu berücksichtigen. Denn erst die ganze grie-
chisch-arabisch-lateinische Kommentierungstradition zu Aristoteles, die sich
von einer Sprache bzw. Kultur zur anderen transformiert, konstituiert den Aris-
totelismus in seiner Gesamtheit. Da der Aristotelismus mit der aristotelischen
Philosophie eng verbunden, ja, davon untrennbar ist, und einen großen Teil
derselben ausmacht, können wir diese lange Tradition nicht außer Betracht
lassen.
4 Einleitung

In der Geschichte der Philosophie vollzieht sich ein sukzessiver


Versöhnungsprozess: In der ganzen neuplatonisch-islamisch-scholastischen
Rezeptionsgeschichte tendieren die Intellektuellen aus verschiedenen Kultu-
ren sehr stark dazu, nicht nur Platon und Aristoteles zu harmonisieren, son-
dern auch Philosophie und Religion bzw. Vernunft und Offenbarung in
Einklang zu bringen. Zunächst waren die Neuplatoniker bestrebt, die
Harmonie von platonischer und aristotelischer Philosophie nachzuweisen.
Daher widmeten sie einerseits ihre Kraft und Leidenschaft dem Projekt
der Kommentierung von Aristoteles, andererseits aber stellte die aristotelische
Philosophie für sie lediglich eine Einführung in die Philosophie des Platon
dar. Nur aufgrund einer grundsätzlichen inhaltlichen Übereinstimmung kann
man so gesehen von der aristotelischen „Unterstufe“ zur platonischen „Ober-
stufe“ aufsteigen. Sodann haben die arabischen Kommentatoren bzw. Philo-
sophen und die mittelalterlichen Scholastiker den gemeinsamen Anspruch,
Platonismus und Aristotelismus zu harmonisieren, obgleich aus verschiede-
nen Gründen. Die arabischen Intellektuellen mussten die griechische Kultur
als Ganzes betrachten, um die fremde Kultur mit der eigenen islamischen Kul-
tur vergleichen zu können. Dagegen scheint die griechische Kultur den latein-
ischen Scholastikern weder fremd zu sein noch ihnen eigentümlich zu
erscheinen, sie ist vielmehr ihre geistige Heimat. Aufgrund der gemeinsamen
Herkunft erweist sich für die mittelalterlichen Scholastiker die griechische
Philosophie als einheitliches Vorbild. Schließlich werden Religion und Offen-
barung miteinbezogen. Denn der griechischen Philosophie, vor allem der aris-
totelischen Philosophie gegenüber, die im höchsten Maß rational konzipiert
ist, müssen sowohl der Islam als auch das Christentum erklären, wie sich die
Offenbarungsreligion zur rationalen Theologie und der Glaube zur Vernunft
verhalten.
In diesem ganzen Harmonisierungsprozess ergibt sich die Platonisierung
der aristotelischen Philosophie. Denn man zieht Grundsätze und Prinzipien von
Platon als Kriterium heran, um zu entscheiden, welcher Teil der aristotelischen
Philosophie in den Vordergrund rückt und welcher Teil davon in den Hinter-
grund tritt. Auf der einen Seite wird die aristotelische Physik von der metaphy-
sischen Untersuchung abgesondert und ausgeschlossen, denn sie hält am
weitesten Distanz von den platonischen intelligiblen Entitäten. Auf der anderen
Seite lässt sich die Kategorienlehre des Aristoteles hervorheben, da sie sich wie
die Ideenlehre Platons am Übereinstimmungsverhältnis von Idee und Begriff,
d. h. von Sein und Logos, orientiert. Indem die aristotelische Kategorienlehre
mit der platonischen Ideenlehre kombiniert wird, nimmt die Prädikationstheo-
rie nicht mehr das sinnlich wahrnehmbare und veränderliche Seiende zum Ge-
genstand, wie dies in Aristoteles’ Kategorienschrift der Fall ist, sondern die
3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung 5

intelligible Entität. Auf logische Weise kommt die thomistische Transzendenta-


lienlehre zustande, indem sie einerseits die Prädikationsstruktur, die in der
aristotelischen Kategorienlehre entwickelt wird, aufnimmt, und andererseits
den Prädikationsinhalt, der sich auf das platonische Intelligible bezieht, in sich
einbeschließt. Kurz und bündig gesagt, besteht die Transzendentalienlehre des
Thomas aus der Versöhnung von Aristoteles’ Kategorienlehre und Platons
Ideenlehre.
Die Ontologie, sei es bei Platon, sei es bei Aristoteles oder bei anderen Phi-
losophen, thematisiert immer das Verhältnis von Sein und Logos, nämlich die
Frage, wie der Logos bzw. das Denken das Seiende wahrhaft begreift. Dadurch,
dass die Philosophie, vor allem die Metaphysik des Aristoteles, platonisiert
wird, neigt sich die Waage der aristotelischen Ontologie, die ursprünglich die
Balance zwischen Sein und Logos bzw. zwischen Ontologie und Logik hält, der
Logik zu. In der Auslegung zur aristotelischen Metaphysik tritt anstelle der Phy-
sik die platonisierte Ontologie ins Zentrum, die eine sehr starke logische Orien-
tierung in sich trägt. Aufgrund dessen bildet die Ontologie zusammen mit der
Theologie die onto-theo-logische Verfassung, die den Kern des traditionellen
Aristotelismus ausmacht.

3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung

Nachdem wir kurz auf die Tradition zurückgeblickt haben, lässt sich die Frage
aufwerfen: Von welchem Standpunkt sollen wir ausgehen, um Aristoteles’ Me-
taphysik systematisch zu untersuchen? Insgesamt haben wir folgende zwei In-
terpretationsprinzipien: Zum einen distanzieren wir uns von der lateinisch-
scholastischen Interpretation und halten an der griechischen Tradition fest.
Zum anderen lässt sich innerhalb der griechischen Tradition der Unterschied
zwischen der platonischen Meta-Mathematik und der aristotelischen Meta-
Physik hervorheben. Die vorliegende systematische Untersuchung zu Aristote-
les’ Metaphysik wird durch die Entscholastisierung und die Entmathematisie-
rung zustande gebracht.

3.1 Griechisch-platonische Tradition gegen islamisch-scholastische


Interpretation

Die platonische Tradition fortsetzend ist Aristoteles der Meinung, dass die me-
taphysische Untersuchung vom Prinzipiat zum Prinzip, vom Bedingten zum
Unbedingten, oder vom Vorausgesetzten zum Voraussetzungslosen aufsteigen
6 Einleitung

sollte.4 Da sich die Metaphysik, sei sie platonisch oder aristotelisch, am Prinzip
orientiert, lässt sich die Metaphysik im ursprünglichen Sinne als Prinzipien-
lehre bezeichnen (ἀρχὴ πραγματεία). Da das Prinzip immer Prinzip vom
Seienden oder von Seienden sein muss (ἡ γὰρ ἀρχὴ τινὸς ἢ τινῶν – Phys. A2,
185a4-5), ist in der aristotelischen Prinzipienlehre vor allem vom Prinzip der be-
stimmten Substanz die Rede. Der eine Teil von Aristoteles’ Prinzipienlehre,
nämlich die sich am Prinzip orientierende Physik, die das Entstehungsprinzip
sowie die Bewegungsursache der sensiblen und vergänglichen Substanz zum
Thema hat, wird terminologisch die zweite Philosophie genannt. Der andere
Teil davon, nämlich die Theologie, die die intelligible und ewige Substanz
durch die Suche nach der Bewegungsursache der sensiblen und ewigen Subs-
tanz in Betracht zieht, ist die erste Philosophie. Daraus folgt, dass Aristoteles’
Metaphysik aus zwei Teilen besteht, nämlich aus der Physik und der Theologie.
Die Physik als zweite Philosophie thematisiert die Substanz in zweiter Ordnung
(die sensible Substanz) und die Theologie als erste Philosophie orientiert sich
an der Substanz in erster Ordnung (der intelligiblen Substanz).
Aristoteles’ Metaphysik, die sich aus der Physik und der Theologie zusam-
mensetzt, ist in metaphysica generalis und metaphysica specialis gespalten und
zwar dadurch, dass die universale Ontologie statt der Physik in die aristoteli-
sche Metaphysik eingeführt und die Theologie wegen ihres spezifischen Gegen-
standes als metaphysica specialis angesehen wird. Präzise gesagt: Auf der einen
Seite gilt die Metaphysik als universale Ontologie, insofern sie das Seiende als
Seiendes, d. h. das Seiende im Lichte seiner allgemeinen oder allgemeinsten
Bestimmungen, betrachtet und theoretisch untersucht. Auf der anderen Seite

4 (1) Resp. 510b4-9: Ἧι τὸ μὲν αὐτοῦ τοῖς τότε μιμηθεῖσιν ὡς εἰκόσιν χρωμένη ψυχὴ ζητεῖν
ἀναγκάζεται ἐξ ὑποθέσεων, οὐκ ἐπ’ ἀρχὴν πορευομένη ἀλλ’ ἐπὶ τελευτήν, τὸ δ’ αὖ ἕτερον—τὸ
ἐπ’ ἀρχὴν ἀνυπόθετον—ἐξ ὑποθέσεως ἰοῦσα καὶ ἄνευ τῶν περὶ ἐκεῖνο εἰκόνων, αὐτοῖς εἴδεσι
δι’ αὐτῶν τὴν μέθοδον ποιουμένη. (2) Resp. 511b3-c2: Τὸ τοίνυν ἕτερον μάνθανε τμῆμα τοῦ νοη-
τοῦ λέγοντά με τοῦτο οὗ αὐτὸς ὁ λόγος ἅπτεται τῇ τοῦ διαλέγεσθαι δυνάμει, τὰς ὑποθέσεις
ποιούμενος οὐκ ἀρχὰς ἀλλὰ τῷ ὄντι ὑποθέσεις, οἷον ἐπιβάσεις τε καὶ ὁρμάς, ἵνα μέχρι τοῦ ἀνυ-
ποθέτου ἐπὶ τὴν τοῦ παντὸς ἀρχὴν ἰών, ἁψάμενος αὐτῆς, πάλιν αὖ ἐχόμενος τῶν ἐκείνης
ἐχομένων, οὕτως ἐπὶ τελευτὴν καταβαίνῃ, αἰσθητῷ παντάπασιν οὐδενὶ προσχρώμενος, ἀλλ’ εἴ-
δεσιν αὐτοῖς δι’ αὐτῶν εἰς αὐτά, καὶ τελευτᾷ εἰς εἴδη. (3) Metaph. Γ3, 1005b5-14: ὅτι μὲν οὖν
τοῦ φιλοσόφου, καὶ τοῦ περὶ πάσης τῆς οὐσίας θεωροῦντος ᾗ πέφυκεν, καὶ περὶ τῶν συλλογισ-
τικῶν ἀρχῶν ἐστὶν ἐπισκέψασθαι, δῆλον · προσήκει δὲ τὸν μάλιστα γνωρίζοντα περὶ ἕκαστον
γένος ἔχειν λέγειν τὰς βεβαιοτάτας ἀρχὰς τοῦ πράγματος, ὥστε καὶ τὸν περὶ τῶν ὄντων ᾗ ὄντα
τὰς πάντων βεβαιοτάτας. ἔστι δ’ οὗτος ὁ φιλόσοφος. βεβαιοτάτη δ’ ἀρχὴ πασῶν περὶ ἣν
διαψευσθῆναι ἀδύνατον γνωριμωτάτην τε γὰρ ἀναγκαῖον εἶναι τὴν τοιαύτην (περὶ γὰρ ἃ μὴ
γνωρίζουσιν ἀπατῶνται πάντες) καὶ ἀνυπόθετον.
3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung 7

ist die Metaphysik als spezifische Wissenschaft, d. h. als erste Philosophie bzw.
Theologie, bestimmt, indem sie das spezifische Seiende, nämlich das Unbe-
wegte und Getrennte, thematisiert (Ueberweg 1983: 376). Aufgrund der oben er-
wähnten Art und Weise lässt sich die Metaphysik in metaphysica generalis und
metaphysica specialis zerlegen. Wir werden dafür argumentieren, dass man
zwar die Spur einer solchen scheinbaren Entzweiung im aristotelischen Text
finden kann,5 der Zwiespalt von metaphysica generalis und metaphysica specia-
lis aber nicht in Aristoteles’ Metaphysik selbst, sondern in der islamisch-
scholastisch geprägten Auslegung von Aristoteles’ Metaphysik verwurzelt ist.
Dank der ausgezeichneten Untersuchungen von Philip Merlan (1968b: 207)
und Jan. A. Aertsen (2012: 76–81) ist einleuchtend, dass Avicenna an einer onto-
logischen Konzeption der Metaphysik (metaphysica generalis) festhält und
Averroes Aristoteles’ Metaphysik für Theologie (metaphysica specialis) hält.6 In
der thomistischen Transzendentalienlehre wird das logisch-ontologische Ver-
hältnis der Transzendentalien zu Gott thematisiert. Die Transzendentalien, die
Oberbegriffe wie Einheit (unitas), Gutes (bonitas), Wahrheit (veritas) und Weis-
heit (sapientia) usw., sind nichts anderes als die Gottesattribute. Während die
Attribute Gottes in der Aussage als Prädikat auftreten, verhält sich Gott immer
als zugrundeliegendes Subjekt. In diesem Fall sind die Ontologie und die Theo-
logie nicht nur voneinander unterschieden, sondern sie schließen sich gegen-
seitig aus, weil die Ontologie als metaphysica generalis die allgemeinen
Bestimmungen Gottes (Prädikate) und die Theologie als metaphysica specialis
Gott selbst (Subjekt) zum Untersuchungsgegenstand hat. Nicht nur in seiner
Transzendentalienlehre, sondern auch in seiner Auslegung zu Aristoteles’

5 (1) Metaph. Γ1, 1003a21-22: Ἔστιν ἐπιστήμη τις ἣ θεωρεῖ τὸ ὂν ᾗ ὂν καὶ τὰ τούτῳ ὑπάρχοντα
καθ’ αὑτό. (2) Metaph. E1, 1026a29-31: εἰ δ’ ἔστι τις οὐσία ἀκίνητος, αὕτη προτέρα καὶ
φιλοσοφία πρώτη, καὶ καθόλου οὕτως ὅτι πρώτη. (3) Metaph. E1, 1026a23-25: ἀπορήσειε γὰρ
ἄν τις πότερόν ποθ’ ἡ πρώτη φιλοσοφία καθόλου ἐστὶν ἢ περί τι γένος καὶ φύσιν τινὰ μίαν.
6 Die beiden Forscher weisen ganz deutlich darauf hin, dass die Behauptung bzw. die Zusam-
menfassung in Duns Scotus’ Kommentar zur Metaphysik enthalten ist. Merlan (1968b: 207):
„The status controversiae in the Middle Ages was described by Duns Scotus in his Quaetiones
sublissimae super ll. Met. Arist. (Opera, v. VII 11–40 Vivès). According to this passage Avicenna
asserted that it is the ens which is the subject matter of metaphysics while Averroes asserted
that it is God and the intelligentiae separatae.“ Aertsen (2012: 80–81): „The controversy bet-
ween Avicenna and Averroes embodies the tension between the ontological and theological
determinations of First Philosophy and had a lasting effect on the discussions about the ‚pro-
per subject‘ of metaphysics in the Latin world. Its most extensive treatment is to be found in
the first question of Duns Scotus’s commentary on the Metaphysics – his account covers al-
most fifty pages in the critical edition: ,Whether the proper subject of metaphysics is being-as-
being, as Avicenna claimed, or God and the intelligences, as the Commentator Averroes
assumed.‘“
8 Einleitung

Metaphysik führt sich Thomas sowohl die metaphysica generalis als auch die
metaphysica specialis vor Augen, legt den Akzent aber auf die metaphysica ge-
neralis im Sinne einer universalen Ontologie.7
Avicenna und Thomas folgend tendieren die meisten Forscher dazu, Aristo-
teles’ Metaphysik als metaphysica generalis zu interpretieren. So scheint es, als
ob auch Aristoteles die allgemeinen Seinsbestimmungen vor Augen habe und
eine universale Ontologie aufstellen würde. Das ist allerdings unmöglich.
Dadurch, dass Aristoteles die Substantialität der Allgemeinheit von Grund
auf leugnet, thematisiert Aristoteles’ Substanz- bzw. Prinzipienlehre überhaupt
nicht die allgemeinen Bestimmungen des Seienden, ob nun die platonischen
höchsten Gattungen oder die thomistischen Transzendentalien. Averroes’ Inter-
pretation übernehmend, identifiziert z. B. Philip Merlan Aristoteles’ Metaphysik
mit der Theologie und sieht sie darum als metaphysica specialis an.8 Indem er
den Untersuchungsgegenstand der Metaphysik ὂν ᾗ ὂν als die intelligible Subs-
tanz (d. h. die unbewegte und getrennte Substanz), nämlich Gott, festlegt, ist
Merlan der Meinung, dass die Metaphysik als erste Philosophie, die die Subs-
tanz in erster Ordnung (die intelligible Substanz) zum Untersuchungsgegen-
stand hat, nichts anderes als die Theologie sein solle. Ich stimme mit Merlan
darin überein, dass der Untersuchungsgegenstand der Metaphysik ὂν ᾗ ὂν
nicht etwas Allgemeines im Sinne eines Universalbegriffs sein kann.9 Meines

7 Thomas Sententia Metaphysicae pr. [81566]: „Secundum igitur tria praedicta, ex quibus per-
fectio huius scientiae attenditur, sortitur tria nomina. Dicitur enim scientia divina sive theolo-
gia, inquantum praedictas substantias considerat. Metaphysica, inquantum considerat ens et
ea quae consequuntur ipsum. Haec enim transphysica inveniuntur in via resolutionis, sicut
magis communia post minus communia. Dicitur autem prima philosophia, inquantum primas
rerum causas considerat. Sic igitur patet quid sit subiectum huius scientiae, et qualiter se
habeat ad alias scientias, et quo nomine nominetur.“
8 Merlan 1957: 87–92; 1968a: 187–192; 1968b: 172, 178, 184–185. Merlan (1968b: 208): „[. . .] we
must disagree with his [Natorp’s] assertion that actually Aristotle meant by metaphysics only
the investigation of being-as-such, while theology (science of one particular sphere of being)
could not have been what Aristotle meant by metaphysics. [. . .] we must, however, disagree
with Jaeger’s solution, according to which the definition of metaphysics as metaphysica spe-
cialis and metaphysica generalis at the same time was the result of an ill-reconciled contradic-
tion in Aristotle’s thought as he was developing away from his Platonic, theological stage. [. . .]
In a way, the solution presented here is simply the opposite of Natorp’s (op. cit. 545). There
never was any metaphysica generalis in Aristotle.“ Merlan (1968b: 209): „Aristotle never inten-
ded to start a general metaphysics and therefore his science of being-as-such would be neopla-
tonic in character.“
9 Merlan (1957: 91): „Was ist also Alexanders Auffassung des ὂν ᾗ ὂν? Das Seiende gehört ihm
zu den Gegenständen, die – wie das Gute, die Zahlen, die Figuren – zu einander im Verhältnis
3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung 9

Erachtens aber zieht Aristoteles’ Metaphysik nicht nur die intelligible Substanz,
sondern auch die sensible Substanz in Betracht, und außerdem hat Aristoteles’
Metaphysik die Prinzipien der Substanz zum Thema.
Nach dem Standpunkt der vorliegenden Arbeit kann man Aristoteles’
Metaphysik weder für eine metaphysica generalis im Sinne einer universalen

des Früher-Später stehen [. . .], wobei also ein erstes Glied – in unserem Falle ‚das Seiende‘ –
vorhanden ist, dass in abgeschwächter Form in allen ‚späteren‘ Gliedern auftritt und dabei
gleichzeitig Ursache dessen ist, dass diese späteren Glieder sind was sie sind und daher nach
dem Ersten benannt werden [. . .]. Die Prädizierung, die sich für alle späteren Glieder einer derar-
tigen Reihe ergibt, nennt Alexander im Anschluss an Aristoteles Prädizierung τὰ ἀφ’ ἑνὸς καὶ
πρὸς ἓν (siehe z. B. 241, 5–9; 243, 32–244, 3 Hayduck). In diesem Sinne bezieht sich die Metaphy-
sik auf das κυρίως ὄν, i. e. das δι’ ὃ καὶ τὰ ἄλλα ὄντα. Und sie ist πρώτη und καθόλου zugleich,
weil auf dem Gebiete der ἀφ’ ἑνός τε καὶ πρὸς ἓν λεγόμενα das πρῶτον καὶ καθόλου ein solches
τῷ καὶ τοῖς ἄλλοις αὐτὸ εἶναι αἴτιον τοῦ εἶναι ist (244, 19–20; 246, 10–12). Hier sieht man mit
besonderer Deutlichkeit dass καθόλου nach Alexander in diesem Zusammenhang nicht einen
Allgemeinbegriff bezeichnet, sondern den Sinn ‚überall ursächlich anwesend‘ hat.“ Merlan
(1968a: 187): „It [the word καθόλου applied to the science of being-qua-being] cannot mean the
universality of a concept. [. . .] it will be universal in virtue of this priority (καθόλου τῷ προ-
τέραν).“ Merlan (1968a: 189): „Rather, this prime philosophy has priority over physics and is
first philosophy and universal (καθόλου) in the sense of being first (καθόλου οὕτως ὅτι πρώτη),
and its task is to investigate being-qua-being.“ Merlan (1968a: 191): „It is indeterminate and, in
this sense of the word, universal. But this universality is not the universality of a universal con-
cept; nor is it the universality of something abstract. On the contrary. Because being-as-such is
not determined and therefore not limited or – to use Spinoza’s language – because it is not de-
termined and therefore free from all negativity, it is that which is most concrete. It is free from
all negativity – in other words, from every ‚not‘. Because it is free from ‚not‘, it is entirely full of
itself, or, as we could say equally well, fullness. In comparison with it, all other existents are
secondary. Being-qua-being, however, is primary. Because it is primary, it is also most univer-
sal.“ Merlan (1968b: 173): „And now we can also discuss the meaning of καθόλου as used in Γ
and E1. It is not the abstract (general, universal); it is what is common to all cases as concrete. If
all men have hair, it is a καθόλου quality. Because being as an element is present everywhere, it
is καθόλου. It is one of the two basic constituents of the uppermost sphere of being (with non-
being as the other). This uppermost sphere of being somehow causes all the other spheres and
its elements are the elements of everything. Therefore, the true philosopher, i. e., the one dealing
with first philosophy – first philosophy being the one that deals with the first (uppermost)
sphere of being – deals with the elements of this uppermost sphere and thus with being. By im-
plication, he therefore deals with being as it is present everywhere. The thesis, ‚first philosophy
deals with the uppermost sphere of being and is general knowledge, because the elements of
this uppermost sphere, being (and non-being), are common to all [this is the meaning of
καθόλου] spheres of being and therefore to all beings‘, is perfectly consistent.“ Merlan (1968b:
205): „Neither of these terms (being-non-being; one-many) means what we could call a univer-
sal. Lacking all determination they are what is most real, i. e. present in all other reality. Lacking
all determination they are prior to all other reality. Because they are prior they are – in this
sense of the word – most universal.“
10 Einleitung

Ontologie halten noch allein als metaphysica specialis im Sinne von Theologie
interpretieren. Stattdessen ist die Verfasserin der Meinung, dass sich Aristoteles’
Metaphysik vor allem als Substanzlehre erweist. Aristoteles’ Metaphysik als Sub-
stanzlehre ist aus der zweiten und der ersten Philosophie, nämlich aus der Phy-
sik und der Theologie, zusammengefügt, je nachdem, ob sie die sensible oder die
intelligible Substanz zum Untersuchungsgegenstand nimmt. Obwohl die Meta-
physik über zwei Unterteilungen verfügt, bildet Aristoteles’ Metaphysik als Prin-
zipienlehre eine einheitliche Wissenschaft. Die wissenschaftliche Einheit der
zweiteiligen Metaphysik besteht in der gegenständlichen und methodischen Ge-
meinsamkeit. In Bezug auf den Gegenstand haben die zweite und die erste Philo-
sophie gemeinsam, dass sie nicht nur die Substanz, sei sie sensibel oder
intelligibel, sondern auch das Prinzip der Substanz zum Thema haben. Metho-
disch gesehen vollziehen sich die sich am Prinzip orientierende Physik und die
Theologie nicht deduktiv, wie dies bei den partikularen Einzelwissenschaften der
Fall ist, wo sich die Konklusion aus der vorausgesetzten Prämisse syllogistisch
ergibt, sondern induktiv, und zwar von der Folge zur Ursache (effectus→causa),
oder vom Vorausgesetzten zum Voraussetzungslosen (ὑπόθεσις→ἀνυπόθετον).
Erwähnenswert ist noch, dass es im Buch Metaphysik zwei klassische Äuße-
rungen gibt, mit denen sich der Beweis für eine metaphysica generalis erbrin-
gen lässt. Erstens: In Γ1 behauptet Aristoteles, dass die Metaphysik als
Wissenschaft das Seiende als Seiendes theoretisch untersucht (Ἔστιν ἐπιστήμη
τις ἣ θεωρεῖ τὸ ὂν ᾗ ὂν [. . .] – Metaph. Γ1, 1003a21). Die Metaphysik als Prinzi-
pienlehre betrachtet das Seiende als solches, d. h. das Prinzip des Seienden,
während die partikularen Einzelwissenschaften das Seiende nur im Hinblick
auf die Quantität, die Qualität oder eine beliebige ihm zukommende Kategorie
in Betracht ziehen. Im Vergleich dazu, dass die partikularen Einzelwissenschaf-
ten nur einen Teil des Seienden in den Fokus nehmen, erforscht die Metaphysik
das Seiende als Ganzes. Nichts anderes als das Prinzip macht es möglich, dass
ein konkretes Einzelding logisch-ontologisch vollständig zustande kommt. Die
Naturart als Entstehungsprinzip bringt nicht einen Teil, sondern das ganze Na-
turding hervor. Der der Naturart entsprechende Begriff, z. B. der „Mensch“, ver-
leiht dem einzelnen Menschen vollständige Bestimmung, indem der einzelne
Mensch anhand des Begriffs „Mensch“ benannt und durch die Vermittlung des
Begriffs wesentlich definiert wird. Aus den oben erwähnten Gründen soll unter
dem Ausdruck „das Seiende als solches“ nicht die allgemeine Seinsbestim-
mung, sondern das Prinzip vom Seienden verstanden werden. Das Prinzip
weist nicht nur auf das höchste Prinzip von Allem, nämlich Gott, hin, sondern
bezieht sich auch auf das Prinzip von Sein, Logos und Veränderung.
Zweitens: Wenn es zwischen metaphysica generalis und metaphysica specia-
lis, oder, anders formuliert, zwischen der allgemeinen Seinsbestimmung und dem
3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung 11

Unbewegten, eine unüberwindbare Kluft gibt, wie kann man dann die Behaup-
tung in E1 verstehen, dass die allererste Substanz, nämlich die unbewegte und ge-
trennte Substanz, allgemein ist (εἰ δ’ ἔστι τις οὐσία ἀκίνητος, αὕτη προτέρα καὶ
φιλοσοφία πρώτη, καὶ καθόλου οὕτως ὅτι πρώτη – Metaph. E1, 1026a29-31)? Die
intelligible Substanz wird mit der Allgemeinheit in Verbindung gebracht, und
zwar nicht auf die thomistische Art und Weise, nämlich dass in der Prädikation
Gott als Subjekt zugrunde liegt und die allgemeinen Bestimmungen als Prädikate
auftreten. Laut Aristoteles liegt die Allgemeinheit der intelligiblen Substanz nicht
in der allgemeinen Bestimmung, sondern in der universalen Wirksamkeit.
Die intelligible Substanz ist universal wirksam, insofern sie als geistige Tä-
tigkeit alle Typen der natürlichen Veränderung (Entstehung sowie Bewegung
der Lebewesen, Umwandlung der Grundelemente und Kreisbewegung der Him-
melskörper) und der menschlichen Tätigkeit (Wahrnehmung, Phantasie, Ver-
stand und Vernunft) durchdringt. Das unbewegte Bewegende als intelligible
Substanz setzt die Himmelskörper in kreisförmige Bewegung, und der Kreislauf
der Gestirne, vor allem der Sonne, beeinflusst wiederum das Entstehen und das
Vergehen der Lebewesen. Mit anderen Worten: Die intelligible Substanz wirkt
sich unmittelbar auf den himmlischen Bereich aus, mittelbar aber erstreckt sich
ihre Auswirkung auf den sublunaren Bereich. Darüber hinaus können sowohl
die Kontinuität und Zweckmäßigkeit der Naturentstehung als auch die Regel-
mäßigkeit der Umwandlung der Elemente und die Unaufhörlichkeit der himmli-
schen Kreisbewegung nur von der intelligiblen Substanz, nämlich vom absolut
Notwendigen, gewährleistet werden. In der natürlichen Entstehung werden
Kontingentes und Widernatürliches automatisch produziert. In der menschli-
chen Tätigkeit tauchen ständig Irrtum und Täuschung auf, weil alles, was man
sich in der Phantasie vorstellt und durch den Verstand auffasst, falsch sein
kann. Nichts anderes als das absolut Notwendige beseitigt die natürliche Kon-
tingenz und den menschlichen Zufall, damit die Notwendigkeit der Natur und
die Zweckmäßigkeit des Menschen garantiert werden können.
Die Physis gilt als Entstehungsprinzip, insofern die Naturart das gleichartige
Einzelding teleologisch zustande bringt. Der Logos kann als Wesensprinzip gel-
ten, insofern als die Wesensdefinition die Wesenheit des Einzeldings zur Entfal-
tung bringt. Einen Schritt weitergehend sind die Physis als Entstehungsprinzip
und der Logos als Wesensprinzip auf ein übergeordnetes Prinzip, nämlich den
Nous, zurückzuführen (φύσις καὶ λόγος→νοῦς).10 Die Rückführung der Physis

10 (1) Die Rückführung der Phyis auf den Nous (Metaph. Λ7, 1072b7-14): ἐπεὶ δὲ ἔστι τι κινοῦν
αὐτὸ ἀκίνητον ὄν, ἐνεργείᾳ ὄν, τοῦτο οὐκ ἐνδέχεται ἄλλως ἔχειν οὐδαμῶς. φορὰ γὰρ ἡ πρώτη
τῶν μεταβολῶν, ταύτης δὲ ἡ κύκλῳ · ταύτην δὲ τοῦτο κινεῖ. ἐξ ἀνάγκης ἄρα ἐστὶν ὄν · καὶ ᾗ
ἀνάγκῃ, καλῶς, καὶ οὕτως ἀρχή. τὸ γὰρ ἀναγκαῖον τοσαυταχῶς, τὸ μὲν βίᾳ ὅτι παρὰ τὴν
12 Einleitung

und des Logos auf den Nous ist keineswegs ein Abstraktionsverfahren, in dem
das Konkretum hin zum Abstraktum, genau gesagt, die lebendige Natur und der
konkrete Gedanke hin zur geistigen Abstraktion überschritten wird. Wie gezeigt
wurde, konkretisiert sich der Geist an der Natur und am Denken, indem die geis-
tige Tätigkeit an allen Typen der natürlichen Veränderung und der gedanklichen
Tätigkeit beteiligt ist. Da die geistige Tätigkeit überall wirksam ist, ist der Geist
die erste Substanz im wahrhaftesten Sinne. Die intelligible Substanz als erste
Substanz ist allgemein, und zwar nicht wegen der allgemeinen Bestimmung, son-
dern durch die universale Wirksamkeit (ἡ δὲ καθόλου πασῶν κοινή).11 Werden
die Physis und der Logos zum Prinzip erklärt, ist der Geist sowohl das Prinzip
der Natur als auch das des Denkens, sodass er als Prinzip des Prinzips (ἀρχὴ τῆς
ἀρχῆς), nämlich als höchstes Prinzip, zur Geltung kommt (καὶ ἡ μὲν ἀρχὴ τῆς
ἀρχῆς εἴη ἄν, ἡ δὲ πᾶσα ὁμοίως ἔχει πρὸς τὸ πᾶν πρᾶγμα – APo. B19, 100b15-17).

3.2 Aristoteles’ Meta-Physik gegen Platons Meta-Mathematik

In der vorliegenden Exegese differenzieren wir nicht nur Aristoteles’ Prinzipien-


lehre von der islamisch-scholastisch geprägten universalen Ontologie, sondern
auch Aristoteles’ Meta-Physik von Platons Meta-Mathematik.12 Nach der griechi-
schen Tradition gehören Platon und Aristoteles zu den Prinzipientheoretikern,
indem sie miteinander darin übereinstimmen, dass die metaphysische Untersu-
chung einen aufsteigenden Forschungsweg vom Prinzipiat zum Prinzip aufzeigt.

ὁρμήν, τὸ δὲ οὗ οὐκ ἄνευ τὸ εὖ, τὸ δὲ μὴ ἐνδεχόμενον ἄλλως ἀλλ’ ἁπλῶς. —ἐκ τοιαύτης ἄρα
ἀρχῆς ἤρτηται ὁ οὐρανὸς καὶ ἡ φύσις. (2) Die Rückführung des Logos auf den Nous (APo. B19,
100b5-17): Ἐπεὶ δὲ τῶν περὶ τὴν διάνοιαν ἕξεων αἷς ἀληθεύομεν αἱ μὲν ἀεὶ ἀληθεῖς εἰσιν, αἱ δὲ
ἐπιδέχονται τὸ ψεῦδος, οἷον δόξα καὶ λογισμός, ἀληθῆ δ’ ἀεὶ ἐπιστήμη καὶ νοῦς, καὶ οὐδὲν ἐπισ-
τήμης ἀκριβέστερον ἄλλο γένος ἢ νοῦς, αἱ δ’ ἀρχαὶ τῶν ἀποδείξεων γνωριμώτεραι, ἐπιστήμη δ’
ἅπασα μετὰ λόγου ἐστί, τῶν ἀρχῶν ἐπιστήμη μὲν οὐκ ἂν εἴη, ἐπεὶ δ’ οὐδὲν ἀληθέστερον ἐνδέ-
χεται εἶναι ἐπιστήμης ἢ νοῦν, νοῦς ἂν εἴη τῶν ἀρχῶν, ἔκ τε τούτων σκοποῦσι καὶ ὅτι ἀποδεί-
ξεως ἀρχὴ οὐκ ἀπόδειξις, ὥστ’ οὐδ’ ἐπιστήμης ἐπιστήμη. εἰ οὖν μηδὲν ἄλλο παρ’ ἐπιστήμην
γένος ἔχομεν ἀληθές, νοῦς ἂν εἴη ἐπιστήμης ἀρχή. καὶ ἡ μὲν ἀρχὴ τῆς ἀρχῆς εἴη ἄν, ἡ δὲ πᾶσα
ὁμοίως ἔχει πρὸς τὸ πᾶν πρᾶγμα.
11 Metaph. E1, 1026a25-27: οὐ γὰρ ὁ αὐτὸς τρόπος οὐδ’ ἐν ταῖς μαθηματικαῖς, ἀλλ’ ἡ μὲν γεω-
μετρία καὶ ἀστρολογία περί τινα φύσιν εἰσίν, ἡ δὲ καθόλου πασῶν κοινή.
12 Die beiden Bezeichnungen, nämlich Meta-Mathematik des Platons und Meta-Physik des
Aristoteles, wurden von Merlan (1957: 87–88; 1968a: 176–177, 181–183) mehrmals verwendet.
Merlan folgend wende ich die beiden Bezeichnungen an, um den Unterschied zwischen den
beiden metaphysischen Modellen hervorzuheben. Ich weiche von Merlan insofern ab, als ich
Aristoteles’ Meta-Physik nicht direkt mit der Theologie identifiziere. Vielmehr bin ich der Mei-
nung, dass Aristoteles’ Meta-Physik aus der Physik und der Theologie besteht.
3 Der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung 13

Der Unterschied liegt nun darin, dass Platon und Aristoteles jeweils verschiedene
Ausgangspunkte nehmen, um eine über die partikularen Einzelwissenschaften hi-
nausgehende Wissenschaft aufzustellen. Platon ist der Auffassung, dass man von
den logisch-geometrischen Gegenständen zum voraussetzungslosen Prinzip auf-
steigen sollte.13 Im Gegensatz dazu ist Aristoteles der Meinung, dass die meta-
physische Untersuchung von der sensiblen und veränderlichen Substanz ausgeht
und zur intelligiblen und unbewegten Substanz gelangen sollte. Vor dem platoni-
schen Hintergrund entsteht der Versuch des Aristoteles, der griechischen Meta-
physik ein neues Fundament zu geben, indem die produktive, immanente und
wirkliche Naturart die theoretische Stelle der mathematischen, logischen und geis-
tigen Idee einnimmt, welche eigenständig, transzendent ist und auf notwendige
Weise existiert. Demzufolge bildet nicht die pythagoreisch-platonische Mathema-
tik, sondern die Physik die Grundlage der aristotelischen Metaphysik, genau wie
der Name „Meta-Physik“ dies besagt.14
Während das Verhältnis von Sein und Logos/Denken das zentrale
Thema der platonischen Meta-Mathematik ist, thematisiert die aristotelische
Meta-Physik das dreifache Übereinstimmungsverhältnis von Sein, Logos und

13 Ein indirekter Beweis dafür liegt im Liniengleichnis, nämlich dass Platon nicht die Physik,
sondern die Geometrie und die Logik als Paradigma der syllogistischen Wissenschaft heran-
zieht (Resp. 510c1-d2). So wie sich die geometrisch-logischen Gegenstände zwischen dem sicht-
bar Seienden und den Ideen befinden, so nimmt das dianoetische Denken eine Mittelstellung
zwischen der Meinung und dem noetischen Denken ein (διάνοιαν δὲ καλεῖν μοι δοκεῖς τὴν τῶν
γεωμετρικῶν τε καὶ τὴν τῶν τοιούτων ἕξιν ἀλλ’ οὐ νοῦν, ὡς μεταξύ τι δόξης τε καὶ νοῦ τὴν
διάνοιαν οὖσαν – Resp. 511d2-5). Die ontologisch-epistemologische Übereinstimmung ergibt
sich, indem die mathematischen und logischen Entitäten durch das dianoetische Denken auf-
gefasst, über das sichtbare und veränderliche Seiende Meinungen geäußert und die Ideen
durch das noetische Denken erkannt werden. Da die Prinzipienlehre des Platon auf der Mathe-
matik und der Logik aufbaut, muss die platonische Prinzipienforschung davon ausgehen.
14 In der modernen Aristoteles-Forschung hebt Heidegger den engen Zusammenhang der
Physik mit der Metaphysik hervor. (1) Heidegger, „Vom Wesen und Begriff der Φύσις“ (1976:
241): „Meta-physik ist in einem ganz wesentlichen Sinne ‚Physik‘ – d. h. ein Wissen von der
φύσις (ἐπιστήμη φυσική).“ (2) Heidegger (1976: 242): „Die aristotelische ‚Physik‘ ist das verbor-
gene und deshalb nie zureichend durchdachte Grundbuch der abendländischen Philosophie.
Vermutlich ist es aber in seinen acht Büchern nicht einheitlich entworfen und zur selben Zeit
entstanden; diese Fragen sind hier gleichgültig; überhaupt hat es wenig Sinn zu sagen, die
‚Physik‘ gehe der ‚Metaphysik‘ voraus, da Metaphysik ebenso sehr ‚Physik‘ ist als die Physik
‚Metaphysik‘.“ (3) Gadamer, „Heideggers ‚theologische‘ Jugendschrift“ (2003: 85): „Die wahre
Mitte des aristotelischen Denkens bildet für HEIDEGGER die Physik. Sie hat das Sein der Be-
wegtheit zum Thema und nicht die platonisch-pythagoreische ‚Idealität‘ der mathematischen
Ordnungsgesetzlichkeiten. Das Sein der Bewegtheit stellt den Leitfaden dar. Im Begriff der
Energeia, dem Sein im Vollzug, sind die Hinsichten des Herstellens und des Handelns
bestimmend.“
14 Einleitung

Veränderung, das in der strukturellen Ähnlichkeit, nämlich in der Analogie,


fundiert ist. Bemerkenswert ist, dass die Veränderung in die Untersuchung
der aristotelischen Metaphysik einbezogen werden muss. Dies ist nicht nur
deswegen der Fall, weil die die Veränderung thematisierende Physik die
Grundlage für Aristoteles Metaphysik bietet, sondern auch deswegen, weil
die sich am Prinzip orientierende Physik wegen der Suche nach der Bewe-
gungsursache und dem Entstehungsprinzip zur metaphysischen Prinzipien-
lehre gehört. Durch die Versöhnung von platonischer und aristotelischer
Philosophie, anders gesagt, durch die Platonisierung der aristotelischen Phi-
losophie hat in dieser Lesart die Metaphysik des Aristoteles nicht mehr die
natürlichen Veränderungen bzw. die veränderlichen Naturdinge zum
Thema, sondern die unveränderlichen Oberbegriffe, die im Grunde genom-
men entweder die platonischen höchsten Gattungen oder die thomistischen
Transzendentalien sind. Dagegen verfolgen wir in der vorliegenden Ausle-
gung die Absicht, die ursprüngliche Verbindung der aristotelischen Physik
mit der Metaphysik, die in der Tradition verborgen ist, wieder ans Licht zu
bringen.

4 Zur Einteilung der vorliegenden Arbeit

Wie gesagt gibt es in der ursprünglichen Metaphysik des Aristoteles keine Entzwei-
ung in metaphysica generalis und metaphysica specialis. Aristoteles’ Metaphysik ist
keineswegs metaphysica generalis, da sie nicht die höchsten Seinsbestimmungen
zum Thema hat, und zwar weder die platonischen höchsten Gattungen in disjunk-
tiver Form (Einheit-Vielheit, Identität-Differenz, Ähnlichkeit-Unähnlichkeit, Gleich-
heit-Ungleichheit usw.) noch die thomistischen Gottesattribute (unum, verum,
bonum). Noch ist sie metaphysica specialis, die sich allein auf die Theologie be-
zieht. Stattdessen ist Aristoteles’ Metaphysik als Substanzlehre aus der Physik und
der Theologie zusammenfügt: Die Physik als zweite Philosophie zieht die sensible
Substanz, sei sie Lebewesen oder Himmelskörper, in Betracht, und die Theologie
als erste Philosophie betrachtet die intelligible Substanz, nämlich den Geist. Für
diese These erbringt die Arbeit in ihrer Gesamtheit den Beweis.
Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei Teile einteilen: Im ersten Teil werden
nicht nur Umfang und Gegenstand der aristotelischen Metaphysik festgelegt,
sondern auch eine wichtige Klassifikationsmethode, nämlich der Chiasmus, dar-
gestellt und ein zentraler Begriff dieser systematischen Untersuchung, d. h.
die Analogie, erklärt. Der Unterteilung der Metaphysik entsprechend ist der
zweite Teil der zweiten Philosophie – der Physik – und der dritte Teil der ersten
Philosophie – der Theologie – gewidmet.
1 Metaphysik

1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre

Wenn man sich mit der Metaphysik befasst, stellt sich in erster Linie die Frage,
was Metaphysik im Aristotelischen Sinne überhaupt ist. Ohne ihr einen Namen zu
geben, begründet Aristoteles tatsächlich eine Wissenschaft, die über die Physik hi-
nausgeht. Da wir den Anspruch haben, die aristotelische Metaphysik systematisch
darzustellen, nehmen wir dementsprechend die Klassifikation der Wissenschaften
als Ausgangspunkt. Denn erst durch diese Einteilung wird deutlich, wo die Meta-
physik lokalisiert ist, sodass sowohl Gegenstand als auch Umfang der Metaphysik
festgelegt werden können. Bemerkenswert ist, dass Aristoteles die Wissenschaft
dreifach unterteilt, nämlich in die theoretische, die poietische und die praktische
Wissenschaft (θεωρητική, ποιητική, πρακτική).15 Um den Gedankengang des Aris-
toteles nachzuvollziehen, soll nicht nur die Einteilung an sich, die Aristoteles in
der Metaphysik zum Ausdruck bringt, sondern auch das Kriterium der Einteilung
und die Vorgehensweise dabei betrachtet werden.
Außer der Dihairese (διαίρεσις), bei der sich die übergeordnete Gattung
in die untergeordneten Arten ausdifferenziert, gibt es noch eine andere

15 Metaph. E1, 1025b18–28; K7, 1064a10–19; Top. Z6, 145a15–18; Θ1, 157a8–12; EN Z2,
1139a27–29; Zeller 2013b: 177–178, Fußnote 5. Nicht Aristoteles, sondern die Stoiker haben erst-
mals die Philosophie in Physik, Ethik und Logik eingeteilt. Diese Einteilung beeinflusste wie-
derum das Verständnis von Aristoteles, sodass die griechischen Kommentatoren, wie
Ammonius, Simplicius und Philoponus, den Corpus Aristotelicum in die theoretische, die prak-
tische und die logische Wissenschaft einteilen. (1) Ammonii In Categoriarum 4.28–29: Τῶν δὲ
ἀκροαματικῶν τὰ μέν ἐστι θεωρητικὰ τὰ δὲ πρακτικὰ τὰ δὲ ὀργανικά. (2) Simplicii In Categoria-
rum 4.23–24: τῶν δὲ συνταγματικῶν τὰ μέν ἐστι διαλογικά, τὰ δὲ αὐτοπρόσωπα, καὶ τῶν αὐ-
τοπροσώπων τὰ μέν ἐστιν θεωρητικά, τὰ δὲ πρακτικά, τὰ δὲ ὀργανικά. (3) Philoponi In
Categoriarum 3.14–17: τῶν δὲ συνταγματικῶν τὰ μὲν αὐτοπρόσωπα, ἃ καὶ ἀκροαματικὰ καλεῖ-
ται, τὰ δὲ διαλογικὰ καὶ ἐξωτερικά. τῶν δὲ ἀκροαματικῶν τὰ μὲν θεωρητικὰ τὰ δὲ πρακτικὰ τὰ
δὲ ὀργανικά. Die Kommentatoren folgen nicht einfach dem stoischen Dogmatismus, sondern
sehen sich der Schwierigkeit gegenüber, die poietische Wissenschaft einzuordnen. Außerdem
ist von Aristoteles eine Vielzahl an logischen Schriften überliefert, die weder der theoreti-
schen, noch der poietischen oder der praktischen Wissenschaft zugehörig sind. Darum lässt
sich die poietische Wissenschaft aus- und die logische Wissenschaft einschließen. Übrigens
erwähnt Aristoteles zwar in Topica (A14, 105b19–25) eine Dreiteilung von Physik, Ethik und
Logik. Aber sie bezieht sich nicht auf die Klassifikation der Wissenschaft, sondern es ist davon
die Rede, dass es drei Typen von Prämissen (πρότασεις) gibt, nämlich die physikalischen, die
moralischen und die logischen Voraussetzungen.

https://doi.org/10.1515/9783110664928-002
16 1 Metaphysik

Klassifikationsmethode. Diese wird zwar von Aristoteles umfassend angew-


endet,16 aber erstaunlicherweise von den meisten Kommentatoren und For-
schern übersehen. Nur Porphyrius hebt die Einteilungsmethode hervor und
gibt ihr einen entsprechenden Namen, nämlich den Chiasmus (χιαστή).17 Um

16 Die chiastische Einteilungsmethode lässt sich zunächst anhand der Klassifikation der Wis-
senschaft sowie anhand der Klassifikation der theoretischen Philosophie und der Einteilung
der Substanz aufzeigen. Außerdem wendet Aristoteles den Chiasmus an, um Substanz und Ka-
tegorie (Cat. 2, 1a20–1b9), Univokation und Äquivokation (Cat. 1, 1a1–15), Wahrheit und
Falschheit (Metaph. Θ10, 1051b1–6; Int. 6, 17a23–31), Entstehung und Bewegung (Phys. E1,
224b35–225a20; Metaph. K11, 1067b14–1068a7) und vier Grundelemente (Gen. et Corr. B3,
330a30–330b7) voneinander zu unterscheiden. In der vorliegenden Arbeit wird jeder Einzelfall
schrittweise erörtert. Eigentlich ist die Anwendung der chiastischen Methode in der Philoso-
phie überhaupt nicht fremd. In den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (2001:
16–36) trifft Kant seine berühmte vierfache Einteilung, nämlich in analytische Sätze a priori,
analytische Sätze a posteriori, synthetische Sätze a priori und synthetische Sätze a posteriori.
Es mangelt Kant zwar an der methodischen Reflexion, aber nur aufgrund des Chiasmus kön-
nen die Sätze bzw. die Urteile vierfach eingeteilt werden.
17 (1) In Bezug auf den Unterschied von Substanz und Kategorie bringt Porphyrius den Chias-
mus terminologisch zum Ausdruck. (1.1) Porphyrii In Categoriarum 78.34–79.11: [. . .] ἐνὸν οὖν
πολλαχῶς οὕτως διελεῖν, εἰπὲ τοίνυν, ὁ Ἀριστοτέλης κατὰ ποίαν τάξιν τὴν διαίρεσιν ἐξέθετο;
Κατὰ τὴν χιαστὴν λέγω. Τίς γάρ ἐστιν ἡ χιαστή; Λέγω ὅτι ἡ οὐσία συμβεβηκὸς ἀντιδιαιροῦσα
καὶ τὸ καθόλου ἐπὶ μέρους. Σαφέστερον εἰπὲ ὃ λέγεις. Τὸ γὰρ οὕτως διελεῖν καὶ εἰπεῖν, τῶν
ὄντων τὰ μὲν ἢ καθόλου οὐσίαι ἢ ἐπὶ μέρους συμβεβηκότα, καὶ τὰ μὲν < ἢ > καθόλου συμβεβη-
κότα ἢ ἐπὶ μέρους οὐσίαι, χιάζοντος ἦν καὶ μήτε τὰ καθόλου κατὰ στοῖχον ἀριθμοῦντος μήτε τὰ
κατὰ μέρος, μήτε τὰς οὐσίας κατὰ στοῖχον μήτε τὰ συμβεβηκότα. Καὶ πόθεν δῆλον ὅτι οὕτως
διεῖλεν; Ὅτι τὰ ἐξηγητικὰ αὐτῶν ὀνόματα παραλαμβάνων ἃ συνέπλεξεν οὕτως ἐξέθετο, ὡς
ἀπεδείχθη. (1.2) Erwähnenswert ist, dass an dieser Stelle Ammonius und Philoponus nicht nur
Porphyrius folgend etwas Ähnliches kommentieren, sondern ein vollständiges Schema des
Chiasmus anschaulich darstellen. Siehe: Ammonii In Categoriarum 25.5–12: παραδείγμα; Philo-
poni In Categoriarum 28.9–23: διάγραμμα. (2) Ohne dieser Methode einen Namen zu geben, ver-
wendet Porphyrius sie bereits vorher, um Homonyma und Synonyma voneinander zu
unterscheiden. Porphyrii In Categoriarum 60.15–33: Φημὶ τοίνυν ὅτι παντὸς πράγματος ὄνομα
καὶ ὁρισμὸν ἢ ὑπογραφὴν ἔχοντος, οἷον τοῦδε μὲν τοῦ πράγματος ὄνομα ἔχοντος ἄνθρωπος
καὶ δηλουμένου δι’ αὐτοῦ, ἔστιν αὐτοῦ καὶ ὁ ὁρισμός· λέγομεν γὰρ ἄνθρωπον εἶναι ζῷον λογι-
κὸν θνητὸν νοῦ καὶ ἐπιστήμης δεκτικόν· δηλοῦται γὰρ ἕκαστον τῶν πραγμάτων καὶ δι’ ὀνόμα-
τος καὶ διὰ λόγου τοῦ ὁριστικοῦ καὶ παραστατικοῦ τῆς οὐσίας αὐτοῦ, ὡς ὅταν τὴν φωνὴν
λέγωμεν τὸ ἴδιον αἰσθητὸν ἀκοῆς· παντὸς οὖν πράγματος καὶ ὄνομα καὶ λόγον ὁριστικὸν
ἔχοντος σχέσεις ἐν τοῖς πράγμασι τῶν τοιούτων λόγων πρὸς τὰ ὀνόματα γίνονται τέσσαρες· τὰ
γὰρ πράγματα ἢ καὶ τοῦ ὀνόματος καὶ τοῦ λόγου τοῦ αὐτοῦ κοινωνεῖ, ἢ τοῦ μὲν ὀνόματος οὐ
μέντοι τοῦ λόγου, ἢ τοῦ μὲν λόγου τοῦ δὲ ὀνόματος οὔ, ἢ οὔτε τοῦ λόγου οὔτε τοῦ ὀνόματος.
καὶ ὅταν μὲν τοῦ αὐτοῦ ὀνόματος κοινωνῇ τὰ πράγματα τοῦ δὲ λόγου μηδαμῶς, ὁμώνυμα κα-
λεῖται, ὅταν δὲ καὶ τοῦ λόγου καὶ τοῦ ὀνόματος, συνώνυμα τὰ τοιαῦτα προσαγορεύεται διὰ τὸ
ὥσπερ σὺν τῷ ὀνόματι καὶ τὸν λόγον ἔχειν τὸν αὐτόν. ὅταν δὲ τοῦ μὲν λόγου κοινωνῇ τοῦ
αὐτοῦ τοῦ δὲ ὀνόματος μή, πολυώνυμα ταῦτα καλεῖται, ἐπειδὰν δὲ μήτε τοῦ ὀνόματος μήτε
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 17

z. B. das Lebendige zu klassifizieren, müssen zwei Paare von Unterschei-


dungskriterien vorliegen. Die beiden Paare sind Gegensatzpaare, nämlich
Vernünftigkeit-Unvernünftigkeit und Sterblichkeit-Unsterblichkeit. Ein Chi-
asmus kommt dadurch zustande, dass sich die zwei Gegensatzpaare, d. h. die
vier Elemente, miteinander kreuzen. Bei dem Versuch, beliebige dieser vier
Momente miteinander zu verknüpfen, ergeben sich insgesamt sechs Kombi-
nationsmöglichkeiten, von denen vier Möglichkeiten gültig sind (Tab. 1).
Zwei Kombinationen müssen deswegen ausgeschlossen werden, weil die bei-
den Gegensätze an sich nicht kompatibel sind.18

Tab. 1: Einteilung des Lebendigen.

θνητόν ἀθάνατον

λογικόν ἄνθρωπος θέος

ἄλογον ζῷον

Anhand des Chiasmus ist das Lebendige in drei Klassen einzuteilen, die jeweils
durch zwei unterschiedliche und kompatible Eigenschaften gekennzeichnet sind:
Gott ist vernünftig und unsterblich; der Mensch ist vernünftig und sterblich; das
Tier ist unvernünftig und sterblich. Da Porphyrius das Lebendige von Anfang an
als beseelte und wahrnehmungsfähige Substanz bestimmt (ἔστι γὰρ τὸ ζῷον
οὐσία ἔμψυχος αἰσθητική – Porphyrii Isagoge 10.6), wird die Pflanze, die kein
Wahrnehmungsvermögen hat, ausgeschlossen. Um die Pflanze ins Spiel zu brin-
gen, stellt Porphyrius einen anderen Chiasmus auf (Tab. 2). Dadurch, dass sich
Beseeltes-Unbeseeltes (ἔμψυχος-ἀψύχον) und Wahrnehmungsfähiges-Wahrneh-
mungsunfähiges (αἰσθητική-ἀναίσθητος) überkreuzen, ergibt sich Folgendes:
Das Tier ist beseelt und wahrnehmungsfähig; die Pflanze ist beseelt und nicht

τοῦ λόγου, ἑτερώνυμα καλεῖται. πέμπτος δέ ἐστι τρόπος, ὅταν τινὰ ἕτερα ὄντα ἀπὸ ἑτέρων γέ-
νηται μετέχοντά πως καὶ τοῦ ὀνόματος καὶ τοῦ λόγου, διαφέροντα δὲ τῷ μετασχηματισμῷ, ἃ
καὶ καλεῖται παρώνυμα. (3) In der Isagoge zieht Porphyrius die Einteilung des Lebendigen
bzw. des Lebewesens als Paradigma heran, um zu zeigen, wie sich die Einteilung nach der
chiastischen Methode vollzieht. Im Folgenden erörtern wir dieses Beispiel ausführlich.
Vgl. Porphyrii Isagoge 9.24–10.21.
18 Zur Art und Weise, wie ein Chiasmus gültig gebildet werden soll, sind folgende Textstellen
zu vergleichen: Gen. et Corr. B3, 330a30–330b1; Ammonii In Porphyrii Isagogen sive V Voces 95.
6–96.1; Ammonii In Categoriarum 25.5–26.10; Simplicii In Categoriarum 44.26–45.7; Philoponi In
Categoriarum 29.1–30.24; Olympiodori In Categorias Commentarius 43.3–44.34; Eliae (olim Da-
vidis) In Categoriarum 147.30–148.18.
18 1 Metaphysik

Tab. 2: Einteilung des Lebewesens.

αἰσθητική ἀναίσθητος

ἔμψυχος ζῷον φυτόν

ἀψύχον ὕλη πέφυκεν

wahrnehmungsfähig; der natürliche Stoff, z. B. Stein, Holz usw., ist weder be-
seelt noch wahrnehmungsfähig.19 Wie Porphyrius’ Beispiele zeigen, bringt der
Chiasmus eine vierfache Teilung zustande. Der Grund dafür, dass das Eintei-
lungsresultat dreifach zum Vorschein kommen kann, liegt darin, dass die vierte
Kombinationsmöglichkeit entweder irrelevant ist oder in manchen Fällen als Pa-
radox ausgeschlossen werden muss. Es gibt weder das Seiende, das unvernünftig
und unsterblich ist, noch das Seiende, das unbeseelt und wahrnehmungsfähig ist.
Die Physik, die eine theoretische Wissenschaft vertritt, sowie die poietische
und die praktische Wissenschaft (φυσική, ποιητική, πρακτική) sind differenziert, je
nachdem wie die natürliche Entstehung, die handwerkliche Herstellung oder die
menschliche Handlung thematisiert werden (φύσις, ποίησις, πρᾶξις). Weiterhin
sind Naturentstehung, Herstellung und Handlung anhand der verschiedenen Wir-
kursachen zu unterscheiden, nämlich danach, dass das Naturseiende kraft seiner
selbst entstanden ist, das Artefakt durch die Kunst hervorgebracht und die
menschliche Praxis durch das Zusammenspiel von Verstand und Zufall vollzogen
wird (φύσις, τέχνη, διάνοια/τύχη). Die Einteilung der Wissenschaften hängt von
der Klassifikation der Gegenstände ab, die wiederum nach der Wirkursache sortiert
werden (ἐπιστήμη→ἐπιστητόν/ὄν→ἀρχὴ τῆς κινήσεως).
Einerseits befindet sich die Wirkursache entweder in der gemachten Sache
(τῷ ποιουμένῳ) oder in dem Machenden bzw. Handelnden (τῷ ποιοῦντι ἢ τῷ

19 Porphyrii Isagoge 10.3–18: οἷον τῶν καθ’ αὑτὰς διαφορῶν πασῶν τῶν τοιούτων τοῦ ζῴου
οὐσῶν ἐμψύχου καὶ αἰσθητικοῦ, λογικοῦ καὶ ἀλόγου, θνητοῦ καὶ ἀθανάτου, ἡ μὲν τοῦ ἐμψύχου
καὶ αἰσθητικοῦ διαφορὰ συστατική ἐστι τῆς τοῦ ζῴου οὐσίας, ἔστι γὰρ τὸ ζῷον οὐσία ἔμψυχος
αἰσθητική, ἡ δὲ τοῦ θνητοῦ καὶ ἀθανάτου διαφορὰ καὶ ἡ τοῦ λογικοῦ τε καὶ ἀλόγου διαιρετικαί
εἰσι τοῦ ζῴου διαφοραί· δι’ αὐτῶν γὰρ τὰ γένη εἰς τὰ εἴδη διαιρούμεθα. ἀλλ’ αὗταί γε αἱ διαιρε-
τικαὶ διαφοραὶ τῶν γενῶν συμπληρωτικαὶ γίνονται καὶ συστατικαὶ τῶν εἰδῶν· τέμνεται γὰρ τὸ
ζῷον τῇ τε τοῦ λογικοῦ καὶ τῇ τοῦ ἀλόγου διαφορᾷ καὶ πάλιν τῇ τε τοῦ θνητοῦ καὶ τοῦ
ἀθανάτου διαφορᾷ. ἀλλ’ αἱ μὲν τοῦ θνητοῦ καὶ τοῦ λογικοῦ διαφοραὶ συστατικαὶ γίνονται τοῦ
ἀνθρώπου, αἱ δὲ τοῦ λογικοῦ καὶ τοῦ ἀθανάτου τοῦ θεοῦ, αἱ δὲ τοῦ ἀλόγου καὶ τοῦ θνητοῦ τῶν
ἀλόγων ζῴων. οὕτω δὲ καὶ τῆς ἀνωτάτω οὐσίας διαιρετικῶν οὐσῶν τῆς τε ἐμψύχου καὶ
ἀψύχου διαφορᾶς καὶ τῆς αἰσθητικῆς καὶ ἀναισθήτου ἡ μὲν ἔμψυχος καὶ αἰσθητικὴ συλ-
ληφθεῖσαι τῇ οὐσίᾳ ἀπετέλεσαν τὸ ζῷον, ἡ δὲ ἔμψυχος καὶ ἀναίσθητος ἀπετέλεσαν τὸ φυτόν.
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 19

πράττοντι). Je nachdem, ob die Wirkursache innerhalb oder außerhalb des zugrun-


deliegenden Seienden liegt, ist sie entweder innerlich oder äußerlich (ἐντός-
ἔξω).20 Andererseits vollzieht sich die Wirkursache entweder auf notwendige
Weise oder auf zufällige Weise (καθ’ αὑτό-κατὰ συμβεβηκός).21 Demzufolge sind
zwei Paare von Einteilungskriterien vorhanden.22 Indem sich Innerlichkeit-Äußer-
lichkeit und Notwendigkeit-Zufälligkeit miteinander überkreuzen, lassen sich die
Wirkursachen anhand des Chiasmus vierfach unterteilen (Tab. 3):

Tab. 3: Einteilung der Wirkursachen bzw. der


Wissenschaften.

τῷ ποιουμένῳ τῷ ποιοῦντι

φύσις τέχνη
καθ’ αὑτό

κατὰ συμβεβηκός αὐτόματον τύχη

Durch das chiastische Verfahren sind φύσις, τέχνη, αὐτόματον und τύχη je-
weils durch eine innere Notwendigkeit, eine äußere Notwendigkeit, eine innere
Zufälligkeit und eine äußere Zufälligkeit gekennzeichnet. Anhand der jeweili-
gen Wirkursache vollzieht sich eine natürliche Entstehung, eine handwerkliche
Herstellung, eine widernatürliche Zeugung und eine menschliche Handlung.
Während die natürliche Kontingenz außer Betracht bleibt, werden Naturentste-
hung/Naturding, Herstellung/Artefakt und menschliche Praxis thematisiert.
Den drei Untersuchungsgegenständen φύσις, ποίησις und πρᾶξις entsprechend

20 Je nach den verschiedenen Kontexten verwendet Aristoteles unterschiedliche Termini, um


die Innerlichkeit und die Äußerlichkeit der Wirkursache auszudrücken: τῷ ποιουμένῳ-τῷ
ποιοῦντι (Metaph. E1, 1025b18–24; K7, 1064a10–16); ἐν ἑαυτῷ-ἐν ἄλλοις καὶ ἔξωθεν (Physis-
Techne: Phys. B1, 192b27–30), ἐν αὐτῷ-ἐν ἄλλῳ (Physis-Techne: Metaph. Θ8, 1049b8–10, Θ2,
1046b2–4, Λ3, 1070b7–8); φύσει-ἀπὸ διανοίας (Physis-Techne: Phys. B6, 198a2–4; APo. B11,
94b27–95a9); ἐντός-ἔξω (Automaton-Tyche: Phys. B6, 197b32–37).
21 Die Nowendigkeit und die Zufälligkeit der Wirkursache werden auf vielfältige Weise ausge-
drückt: καθ’ αὑτό-κατὰ συμβεβηκός (Phys. B5, 196b24–29; B5, 197a32–35; B6, 198a5–10; Me-
taph. K8, 1065a26–32); ᾗ αὐτὸ-ᾗ ἄλλο (Metaph. Δ4, 1014b18–20; Θ8, 1049b8–10; Θ2, 1046b2–4;
APo. A4, 73b28–32); ἐξ ἀνάγκης καὶ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ-ἐν τοῖς ἐνδεχομένοις γίγνεσθαι (Phys. B5,
196b10–17, B5, 197a32–35; B8, 198b34–36).
22 De Cae. Δ1, 308a1–4; Metaph. E1, 1025b18–21; K7, 1064a15–16. In Bezug auf die Klassifika-
tion der Wissenschaft führt Aristoteles in E1 sowie in K7 der Metaphysik nur das eine Kriterium
von Innerlichkeit und Äußerlichkeit ein. An beiden Stellen fehlt das andere Kriterium von Not-
wendigkeit und Zufälligkeit.
20 1 Metaphysik

werden die drei Wissenschaftsdisziplinen als φυσική, ποιητική und πρακτική


benannt.
Die Physik als theoretische Wissenschaft zielt auf die Erkenntnis des Natursei-
enden ab, dessen Wirkursache innerlich und notwendig ist. Beim einzelnen Natur-
seienden sind sowohl die Bewegungsursache als auch das Entstehungsprinzip in
ihm selbst enthalten (Phys. B1, 192b13–15; Metaph. Δ4, 1014b18–20, 1015a13–15;
Θ8, 1049b8–10), so dass das einzelne Lebewesen immer etwas Gleichartiges er-
zeugt (ἄνθρωπος ἄνθρωπον γεννᾷ – Metaph. Z7, 1032a25; Z8, 1033b32). Außerdem
lässt sich die Notwendigkeit der natürlichen Wirkursachen damit aufzeigen, dass
die vier Grundelemente nach einer bestimmten Reihenfolge ineinander übergehen
(ὕδωρ→ἀὴρ→πῦρ→γῆ – Gen. et Corr. B4, 331a12–331b11). Der Himmelskörper läuft
unaufhörlich im Kreis (ὁ δ’ οὐρανὸς ἀΐδιος καὶ ἡ κύκλῳ φορά – Phys. Z10,
241b16–20; De Cae. B5, 287b24–28; Metaph. Λ6, 1071b10–11; Λ7, 1072a21–23), be-
darf aber einer äußerlichen Bewegungsursache. Aufgrund der vorliegenden Krite-
rien, bei denen die Wirkursache innerlich ist, soll der Himmelskörper nicht von
der Physik, sondern von der Astronomie thematisiert werden.
Die poietische Wissenschaft zieht das Artefakt in Betracht, dessen Wirkursa-
che zwar außerhalb der Sache bleibt, aber mit einer gewissen Notwendigkeit aus-
gestattet ist. So liegt die Wirkursache des Artefaktes nicht im hergestellten
Produkt, sondern im Hersteller. Außerdem ahmt die Techne die Physis darin nach,
ein bestimmtes Ziel zu setzen und es schrittweise zu erreichen. Denn das Artefakt
kann nicht durch den individuellen Willen, sondern nur kraft des allgemeinen Ver-
standes regelmäßig und kontinuierlich produziert werden. Indem der menschliche
Verstand die natürliche Zweckmäßigkeit imitiert, wird der Herstellung eine ge-
wisse Notwendigkeit zugeteilt.23 Die Herstellung wird in die wissenschaftliche Un-
tersuchung einbezogen, nicht um der Herstellung des konkreten Artefakts willen,
sondern um die notwendige Verwirklichung der technischen Gestalt zu erkennen.

23 Wenn man vorhat, etwas hervorzubrigen, muss man, ebenso wie die Natur, ein bestimmtes
Ziel setzen (ὥστ’ εἰ ἐν τῇ τέχνῃ ἔνεστι τὸ ἕνεκά του, καὶ ἐν τῇ φύσει – Phys. B8, 199b29–30,
199a17–18). Außer der Zielsetzung muss der Herstellungsprozess, ähnlich wie die Naturentste-
hung, schrittweise vorangehen, nämlich einen Schritt nach dem anderen (ἔτι ἐν ὅσοις τέλος
ἔστι τι, τούτου ἕνεκα πράττεται τὸ πρότερον καὶ τὸ ἐφεξῆς – B8, 199a8–9; ὁμοίως γὰρ ἔχει
πρὸς ἄλληλα ἐν τοῖς κατὰ τέχνην καὶ ἐν τοῖς κατὰ φύσιν τὰ ὕστερα πρὸς τὰ πρότερα – B8,
199a18–20). Mit anderen Worten muss die handwerkliche Zusammensetzung von Form und
Stoff wie die natürliche Produktion kontinuierlich geschehen, bis das Werk vollständig hervor-
gebracht wird. Ein Schiffbauer bearbeitet z. B. ein Stück Holz und stellt schließlich ein Schiff
her. Er macht es auf eine ähnliche Art und Weise, wie die Natur ein Schiff schaffen würde (καὶ
εἰ ἐνῆν ἐν τῷ ξύλῳ ἡ ναυπηγική, ὁμοίως ἂν τῇ φύσει ἐποίει – B8, 199b28–29). Denn aus der
formalen Perspektive sieht es so aus, dass die Gestalt des Schiffes mithilfe des Schiffbauers
aus dem Stoff heraustritt.
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 21

Im Laufe der Argumentation dient die Erörterung über die Herstellung auch dazu,
die hylemorphistische Struktur des Naturdings zu verdeutlichen, die sich am offen-
kundigsten beim Artefakt zeigt.
Die praktische Wissenschaft nimmt die Handlung zum Untersuchungsgegen-
stand, deren Wirkursache τύχη genannt wird. Die τύχη als Handlungsursache ist
nicht nur mit der äußeren Wahrscheinlichkeit verknüpft, sondern auch mit dem
menschlichen Verstand. Einerseits setzt Aristoteles die Tradition der griechischen
Philosophie fort, indem die τύχη die Zufälligkeit zugesprochen erhält. Jedoch ist
sie sowohl fern vom göttlichen Willen, womit das Schicksal gemeint ist, als auch
vom Naturzustand, der nach der platonischen Tradition mit Chaos und Kontingenz
verbunden ist.24 Stattdessen ist die Zufälligkeit der τύχη gegen die Wahrscheinlich-
keit der menschlichen Handlung gerichtet. Im praktischen Bereich tritt die Wahr-
scheinlichkeit ständig auf, da es immer möglich ist, sich anders zu verhalten.25
Andererseits kann man sich nur dann richtig entscheiden und vernünftig handeln,
wenn die Entscheidung (προαίρεσις), die sich an einem bestimmten Ziel orientiert
(οὗ ἕνεκα), durch eine vernünftige Überlegung (ἀπὸ διανοίας) getroffen wird,
sowie die daraus folgende Handlung davon geprägt ist.26 Darum weist die τύχη als
Wirkursache nicht nur die Wahrscheinlichkeit, sondern auch die Vernünftigkeit
der menschlichen Handlung auf. Das natürliche Zufällige kann zwar nicht zur
Kenntnis genommen werden, weil die theoretische Wissenschaft nur dasjenige
Seiende thematisiert, das sich immer oder in den meisten Fällen in gleicher
Weise verhält (Metaph. K8, 1065a4–6). Dennoch hindert uns die Wahrscheinlich-
keit der menschlichen Handlung nicht daran, Medizin, Ethik, Ökonomik und
Politik als Wissenschaftsdisziplinen aufzustellen. Da die ärztliche, die moralische,

24 Leg. 889b1–c6; Simplicii In Physicorum 355.13–356.17. Durch die Gleichsetzung der Natur
mit der Tyche hebt Platon einerseits den kontingenten Charakter des Naturzustandes hervor
und legt andererseits den Akzent auf die schöpferische Kraft der menschlichen Seele und des
Schöpfergottes. Dadurch, dass Aristoteles die Natur von der Tyche ablöst und die natürliche
Notwendigkeit in den Vordergrund bringt, kann nicht nur die Physik als strenge Wissenschaft
begründet werden, sondern auch die Metaphysik auf einer neuen Ebene aufbauen.
25 Aristoteles lässt nicht nur den Zufall sich von der Natur befreien, sondern verbindet auch
die Zufälligkeit mit der menschlichen Entscheidung (προαίρεσις) und der Handlung (πρᾶξις).
Neben der natürlichen Notwendigkeit, d. h. der Zweckmäßigkeit, gibt es noch einen gewissen
Spielraum, innerhalb dessen die menschliche Tätigkeit den strengen Naturdeterminismus un-
terbrechen kann.
26 (1) Phys. B5, 197a5–8: δῆλον ἄρα ὅτι ἡ τύχη αἰτία κατὰ συμβεβηκὸς ἐν τοῖς κατὰ προαίρεσιν
τῶν ἕνεκά του. διὸ περὶ τὸ αὐτὸ διάνοια καὶ τύχη· ἡ γὰρ προαίρεσις οὐκ ἄνευ διανοίας. (2) Me-
taph. K8, 1065a30–32: ἡ τύχη δ’ αἰτία κατὰ συμβεβηκὸς ἐν τοῖς κατὰ προαίρεσιν τῶν ἕνεκά του
γιγνομένοις, διὸ περὶ ταὐτὰ τύχη καὶ διάνοια· προαίρεσις γὰρ οὐ χωρὶς διανοίας. Ohne Verstand
kann man weder vergleichen noch sich entscheiden, ob das eine dem anderen gegenüber zu
bevorzugen ist.
22 1 Metaphysik

ökonomische und die politische Praxis mithilfe des Verstands durchgeführt


werden müssen, wird der entsprechenden Wissenschaft eine bestimmte Notwen-
digkeit zugemessen. Außerdem zielt die praktische Wissenschaft nicht darauf ab,
die absolute Wahrheit zu begreifen, sondern nur darauf, wie man in konkreten Fäl-
len richtig handeln soll,27 sodass sie nicht die gleiche Genauigkeit wie die theoreti-
sche Wissenschaft verlangt (EN A1, 1094b12–13).
Wie gesagt ist die Wissenschaft dreifach einzuteilen. Vor dem Hintergrund der
Dreiteilung ist die Physik weder der praktischen, noch der poietischen, sondern
der theoretischen Wissenschaft zugehörig, da sie nicht auf die menschliche Hand-
lung oder die handwerkliche Herstellung, sondern nur auf die spekulative Be-
trachtung der natürlichen Substanzen abzielt. Einen Schritt weitergehend ist die
theoretische Wissenschaft dreifach zu unterteilen (Tab. 4).

Tab. 4: Einteilung der theoretischen Wissenschaften.

χωριστά ἀχωρίστα

κίνητα φυσική

ἀκίνητα θεολογική μαθηματική

Anhand der Kriterien von Trennbarkeit-Untrennbarkeit und Bewegtem-


Unbewegtem teilen sich die Untersuchungsgegenstände chiastisch auf und
dementsprechend ist die theoretische Wissenschaft in Physik, Theologie und
Mathematik einzuteilen.28 Die Physik nimmt Seiendes zum Gegenstand, das
vom Stoff untrennbar ist und immer bewegt wird.29 Die Theologie thematisiert

27 Metaph. α1, 993b20–21; EN A1, 1095a4–6; B2, 1103b26–30; Z1, 1139a27–29; K10,
1179a35–1179b2; EE A1, 1214a10–12; Zeller 2013b: 177, Fußnote 3 und 4.
28 Die dreifache Einteilung der theoretischen Wissenschaft: Metaph. E1, 1026a6–23; K7,
1064a30–1064b6. Der Unterschied zwischen Physik und Theologie: Metaph. E1, 1026a27–31;
K7, 1064b9–14; Γ3, 1005a33–1005b11. Der Unterschied zwischen Physik und Mathematik: Me-
taph. Γ3, 1005a29–33; Phys. B2, 193b22–194a12.
29 In Bezug auf den Satz „ἡ μὲν γὰρ φυσικὴ περὶ χωριστὰ μὲν ἀλλ’ οὐκ ἀκίνητα“ (Metaph. E1,
1026a13–14) gibt es zwei verschiedene Lesarten. Während Schwegler und Zeller (2013b: 179, Fuß-
note 1) ἀχωρίστα an diese Stelle setzen, entscheiden sich die beiden Philologen Ross und Jäger für
χωριστά. Die Lesart von χωριστά kann nicht nur durch die parallele Stelle in K7 (1064a28–30)
überzeugen, sondern das χωριστόν wird auch im ursprünglichen Sinn von Aristoteles angewen-
det. Da die Einzelsubstanz von der Kategorie getrennt werden kann, ist sie eigenständig. In dem
besonderen Fall, dass die Einzelsubstanz zusammen mit dem χωριστόν auftritt (τόδε τι καὶ
χωριστόν – Metaph. Δ8, 1017b23–25; Z3, 1029a27–28; Z14, 1039a30–32; H1, 1042a29–31; K2,
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 23

das Getrennte und Unbewegte (Metaph. E1, 1026a15–16; K7, 1064a33–1064b1).


Die Mathematik zieht Seiendes in Betracht, das an sich weder von Materie noch
von sensibler Substanz trennbar ist (Metaph. N3, 1090a28–30; N6, 1093b25–29;
Phys. B2, 193b22–25). Nur durch Abstraktion können die mathematischen Entitä-
ten als das Getrennte und Unbewegte betrachtet werden (Metaph. E1, 1026a7–10;
Z10, 1036a9–12; K3, 1061a28–1061b4; M3, 1078a21–30; Phys. B2, 193b31–35). Die
Mathematik gehört zwar zur theoretischen Wissenschaft, aber nicht zur Metaphy-
sik. Denn sie macht nicht die Substanz, d. h. das Seiende als Ganzes, sondern
nur einen Teil, d. h. die quantitative Bestimmung des Seienden, zum Thema (Me-
taph. Γ1, 1003a22–26).
Die Physik und die Theologie können deswegen zusammen Aristoteles’ Meta-
physik ausmachen, weil die eine als zweite Philosophie die Substanz in zweiter

1060b19–22), weist der Begriff „χωριστόν“ die Eigenständigkeit der Einzelsubstanz auf. Was die
Physik thematisiert, ist nichts anderes als die selbständige Einzelsubstanz und deren Prinzipien.
In diesem Sinne ist die Lesart von χωριστά sowohl sprachlich als auch inhaltlich korrekt. Aber der
Begriff „χωριστόν“ ist mehrdeutig. Was mit Trennbarkeit gemeint ist, kommt zunächst darauf an,
wovon eine Sache getrennt wird. Außer der Trennbarkeit der Einzelsubstanz von der Kategorie
(οὐδὲν γὰρ αὐτῶν ἐστὶν οὔτε καθ’ αὑτὸ [πεφυκὸς] οὔτε χωρίζεσθαι δυνατὸν τῆς οὐσίας, ἀλλὰ μᾶλ-
λον, εἴπερ, τὸ βαδίζον τῶν ὄντων καὶ τὸ καθήμενον καὶ τὸ ὑγιαῖνον – Metaph. Z1, 1028a22–25; τῶν
μὲν γὰρ ἄλλων κατηγορημάτων οὐθὲν χωριστόν, αὕτη δὲ μόνη – Metaph. Z1, 1028a33–34) kann
die Form vom Stoff getrennt und rein logisch betrachtet werden ([. . .] ἄλλως δ’ ὁ λόγος καὶ ἡ
μορφή, ὃ τόδε τι ὂν τῷ λόγῳ χωριστόν ἐστιν – Metaph. H1, 1042a28–29; [. . .] ἄλλον δὲ τρόπον ἡ
μορφὴ καὶ τὸ εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον – Phys. B1, 193a30–31; τὸ γὰρ δυνάμει σὰρξ ἢ ὀστοῦν οὔτ’
ἔχει πω τὴν ἑαυτοῦ φύσιν, πρὶν ἂν λάβῃ τὸ εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον, ᾧ ὁριζόμενοι λέγομεν τί ἐστι
σὰρξ ἢ ὀστοῦν, οὔτε φύσει ἐστίν – Phys. B1, 193a36–193b3; ὥστε ἄλλον τρόπον ἡ φύσις ἂν εἴη
τῶν ἐχόντων ἐν αὑτοῖς κινήσεως ἀρχὴν ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος, οὐ χωριστὸν ὂν ἀλλ’ ἢ κατὰ τὸν
λόγον – Phys. B1, 193b3–5). Außerdem gibt es noch die intelligible Substanz, die per se von Mate-
rialität und Potentialität absolut getrennt ist (ἴσως γὰρ ἐκ τούτων ἔσται δῆλον καὶ περὶ ἐκείνης τῆς
οὐσίας ἥτις ἐστὶ κεχωρισμένη τῶν αἰσθητῶν οὐσιῶν – Metaph. Z17, 1041a7–9; ὅτι μὲν οὖν ἔστιν
οὐσία τις ἀΐδιος καὶ ἀκίνητος καὶ κεχωρισμένη τῶν αἰσθητῶν, φανερὸν ἐκ τῶν εἰρημένων – Me-
taph. Λ7, 1073a3–5; καὶ οὗτος ὁ νοῦς χωριστὸς καὶ ἀπαθὴς καὶ ἀμιγής, τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια – De
An. Γ5, 430a17–18; χωρισθεὶς δ’ ἐστὶ μόνον τοῦθ’ ὅπερ ἐστί, καὶ τοῦτο μόνον ἀθάνατον καὶ ἀΐδιον –
De An. Γ5, 430a22–23). Wenn wir der Lesart von Ross und Jäger folgen, dann wird derselbe Termi-
nus wegen seiner Mehrdeutigkeit in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet. In der Theolo-
gie und in der Mathematik soll das χωριστόν als Trennung oder Trennbarkeit der Form vom Stoff
zu verstehen sein, in der Physik aber als Trennbarkeit der Einzelsubstanz von der Kategorie. Um
die begriffliche Einheit beizubehalten, bevorzugen wir die andere Lesart von ἀχωρίστα, die sich
von der Erörterung in Physik B2, 194b9–15 indirekt unterstützen lässt. Aufgrund dessen ist der Un-
tersuchungsgegenstand der Physik als dasjenige Seiende bestimmt, welches sachlich nicht vom
Stoff abgesondert werden kann und immer bewegt wird. Übrigens bringt Merlan die zwei ver-
schiedenen Lesarten zum Ausdruck (1957: 87, Fußnote 3). Obwohl er nicht die Lesart von
ἀχωρίστα, sondern die Lesart von χωριστὰ akzeptiert, weist Merlan auf die Mehrdeutigkeit des
χωριστόν hin (1957: 89, Fußnote 7).
24 1 Metaphysik

Ordnung (d. h. die sensible Substanz) und die andere als erste Philosophie die
Substanz in erster Ordnung (d. h. die intelligible Substanz) thematisiert.30 Die
These, dass die Metaphysik über zwei Unterteilungen verfügt, lässt sich wiederum
durch die Einteilung der Substanzen nachweisen. Denn es gibt so viele Teile der
Metaphysik wie es Typen von Substanzen gibt (καὶ τοσαῦτα μέρη φιλοσοφίας
ἔστιν ὅσαι περ αἱ οὐσίαι – Metaph. Γ2, 1004a2–3; οὐ μὴν ἀλλ’ ὥσπερ ἡ μία
φιλοσοφία καὶ ὅλη περὶ πάσας ἕξει, οὕτω καὶ τὰ εἴδη αὐτῆς περὶ τὰ εἴδη τῶν οὐ-
σιῶν – Syriani In Metaphysica Commentaria 58.12–13).
In Bezug auf die Einteilung der Substanz hat Aristoteles zwei Kriterien an-
zubieten.31 Indem sich Vergänglichkeit-Ewigkeit und Bewegtes-Unbewegtes

30 (1) Phys. B2, 194b9–15: μέχρι δὴ πόσου τὸν φυσικὸν δεῖ εἰδέναι τὸ εἶδος καὶ τὸ τί ἐστιν; ἢ
ὥσπερ ἰατρὸν νεῦρον ἢ χαλκέα χαλκόν, μέχρι τοῦ τίνος [γὰρ] ἕνεκα ἕκαστον, καὶ περὶ ταῦτα ἅ
ἐστι χωριστὰ μὲν εἴδει, ἐν ὕλῃ δέ; ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ καὶ ἥλιος. πῶς δ’ ἔχει τὸ
χωριστὸν καὶ τί ἐστι, φιλοσοφίας ἔργον διορίσαι τῆς πρώτης. (2) PA A1, 641a32–641b4: Ἀπορή-
σειε δ’ ἄν τις εἰς τὸ νῦν λεχθὲν ἐπιβλέψας, πότερον περὶ πάσης ψυχῆς τῆς φυσικῆς ἐστι τὸ εἰπ-
εῖν ἢ περί τινος. Εἰ γὰρ περὶ πάσης, οὐδεμία λείπεται παρὰ τὴν φυσικὴν ἐπιστήμην φιλοσοφία.
Ὁ γὰρ νοῦς τῶν νοητῶν. Ὥστε περὶ πάντων ἡ φυσικὴ γνῶσις ἂν εἴη· τῆς γὰρ αὐτῆς περὶ νοῦ
καὶ τοῦ νοητοῦ θεωρῆσαι, εἴπερ πρὸς ἄλληλα, καὶ ἡ αὐτὴ θεωρία τῶν πρὸς ἄλληλα πάντων,
καθάπερ καὶ περὶ αἰσθήσεως καὶ τῶν αἰσθητῶν. (3) Metaph. E1, 1026a27–32: εἰ μὲν οὖν μὴ ἔστι
τις ἑτέρα οὐσία παρὰ τὰς φύσει συνεστηκυίας, ἡ φυσικὴ ἂν εἴη πρώτη ἐπιστήμη· εἰ δ’ ἔστι τις
οὐσία ἀκίνητος, αὕτη προτέρα καὶ φιλοσοφία πρώτη, καὶ καθόλου οὕτως ὅτι πρώτη· καὶ περὶ
τοῦ ὄντος ᾗ ὂν ταύτης ἂν εἴη θεωρῆσαι, καὶ τί ἐστι καὶ τὰ ὑπάρχοντα ᾗ ὄν. (4) Metaph. Z11,
1037a13–17: τούτου γὰρ χάριν καὶ περὶ τῶν αἰσθητῶν οὐσιῶν πειρώμεθα διορίζειν, ἐπεὶ τρόπον
τινὰ τῆς φυσικῆς καὶ δευτέρας φιλοσοφίας ἔργον ἡ περὶ τὰς αἰσθητὰς οὐσίας θεωρία· οὐ γὰρ
μόνον περὶ τῆς ὕλης δεῖ γνωρίζειν τὸν φυσικὸν ἀλλὰ καὶ τῆς κατὰ τὸν λόγον, καὶ μᾶλλον.
31 Im originalen Text (Metaph. Λ1, 1069a30–1069b2) ist jede Substanz durch zwei kompatible Ei-
genschaften gekennzeichnet. Demzufolge ist die eine Substanz sensibel und vergänglich (αἰσθητή
καὶ φθαρτή), die andere sensibel und ewig (αἰσθητή καὶ ἀΐδιος) und die dritte unbewegt und ewig
(ἀκίνητος καὶ ἀΐδιος). Auf diese Art und Weise wird die Bedingung des Chiasmus nicht erfüllt, der
zwei Gegensatzpaare verlangt. Obwohl das Vergängliche zusammen mit dem Ewigen den einen
Gegensatz bildet, steht das Sensible dem Unbewegten nicht direkt entgegen. Der andere Gegen-
satz kommt dadurch zustande, dass das Sensible mit dem Bewegten (αἰσθητόν = κινούμενον) und
das Unbewegte mit dem Intelligiblen zu identifizieren sind (ἀκίνητον = νοητόν). Die sensible Sub-
stanz, sei sie Lebewesen oder Himmelskörper, kann nur passiv bewegt werden, da sie entweder
eine innere Wirkursache oder eine äußere Bewegungsursache braucht. Das unbewegte Bewe-
gende ist deswegen die intelligible Substanz, weil es kraft der reinen aktiven Aktualisierung die
Materialität, die Passivität und die Potentialität aufhebt. Darum steht das Sensible dem Unbeweg-
ten im Sinne vom Intelligiblen entgegen oder das Unbewegte ist dem Sensiblen im Sinne vom
Bewegten entgegengesetzt. In der Rekonstruktion können wir entweder das eine Gegensatzpaar
von Sensiblem-Intelligiblem (αἰσθητόν-νοητόν) oder das andere Gegensatzpaar von Bewegtem-
Unbewegtem (κινούμενον-ἀκίνητον) als zweites Unterscheidungskriterium heranziehen. Zum Ge-
gensatzpaar von Bewegtem-Unbewegtem gibt es an einer Stelle der Physik starke textuelle Belege
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 25

(Sensibles-Intelligibles) kreuzen, ergeben sich aufgrund des Chiasmus drei


Substanztypen (Tab. 5):

Tab. 5: Einteilung der Substanzen.

ἀΐδιον φθαρτόν

κίνητον/αἰσθητόν οὐρανός ἄνθρωπος, ζῷον, φυτόν

ἀκίνητον/νοητόν πρῶτον κινοῦν ἀκίνητον

Das Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze) ist vergänglich und kann bewegt werden.
Der Himmelskörper ist unvergänglich und bewegt, indem er von einer externen
Bewegungsursache, nämlich vom ersten Bewegenden unaufhörlich angetrieben
wird. Da das erste Bewegende das himmlische Bewegte bewegt und von keinem
anderen bewegt werden kann, ist es nicht passiv bewegt, sondern immer aktiv
bewegend. Das erste Bewegende ist nicht nur unbewegt, sondern auch unver-
gänglich sowie ewig.32 Des Weiteren kann man Lebewesen und Himmelskörper
insofern für sensible Substanzen halten, als sie sinnlich wahrgenommen werden
können. Das unbewegte Bewegende ist als intelligible Substanz anzusehen, und
zwar wegen der Trennung von der Materie.
In Bezug auf ihren Gegenstand ist Aristoteles’ Metaphysik als Substanzlehre
zu bezeichnen. Die Metaphysik besteht aus Theologie und Physik, indem die Theo-
logie als erste Philosophie die intelligible Substanz thematisiert und die Physik als
zweite Philosophie die sensiblen Substanzen, die sich entweder im himmlischen
oder im sublunaren Bereich befinden, zum Thema macht. Die wissenschaftliche
Vorrangigkeit der Theologie gegenüber der Physik wurzelt darin, dass die intelli-
gible Substanz ontologische Priorität vor den sensiblen Substanzen genießt.

(διὸ τρεῖς αἱ πραγματεῖαι, ἡ μὲν περὶ ἀκινήτων, ἡ δὲ περὶ κινουμένων μὲν ἀφθάρτων δέ, ἡ δὲ περὶ
τὰ φθαρτά – Phys. B7, 198a29–31).
32 In diesem Kontext geht es offenkundig um die drei Typen von Substanzen, nämlich Lebe-
wesen, Gestirn und Geist. Aber in Bezug auf die sensible und ewige Substanz treten die Grun-
delemente statt des Gestirns hervor (Metaph. Λ1, 1069a32–33). Im Hinblick auf die unbewegte
und ewige Substanz ist nicht vom Geist, sondern von Ideen und mathematischen Entitäten die
Rede (Metaph. Λ1, 1069a33–36). Das hängt mit der Vorgehensweise des Aristoteles zusammen.
In den Ausführungen zu seiner eigenen These pflegt Aristoteles sich mit anderen Lehrmeinun-
gen auseinanderzusetzen. Im zusammenfassenden Buch Λ unternimmt Aristoteles ständig den
Rückblick auf die voraristotelischen Lehrmeinungen, nicht nur, um sie zu kritisieren, sondern
auch und besonders, um die ganze voraristotelische Philosophie in sein eigenes System zu
integrieren.
26 1 Metaphysik

ἔσται οὖν ἡ μὲν πρώτη φιλοσοφία περὶ τὴν νοητὴν οὐσίαν, ἡ δὲ περὶ οὐρανὸν πραγμα-
τευομένη περὶ τὴν ἀίδιον μὲν κινουμένην δέ, ἡ δὲ περὶ τὴν ἐν γενέσει καὶ φθορᾷ. ἔξεστι δὲ
καὶ δύο τὰς μερικωτέρας ποιεῖν, τὴν μὲν πρώτην ὀνομάζοντα φιλοσοφίαν, τὴν δὲ
φυσικήν, ὅση περὶ τὸ κινούμενον φθαρτόν τε καὶ ἀίδιον· ὅπως γὰρ ἂν τὰς οὐσίας διέλω-
μεν, οὕτω καὶ τὰς γνώσεις αὐτῶν ἀνὰ τὸν αὐτὸν λόγον διαιρήσομεν. – Syriani In Metaphy-
sica Commentaria 58.13–19

Darüber hinaus ist die Substanzlehre als Prinzipienlehre konzipiert, insofern


nicht nur die Substanzen, sondern auch und besonders deren Prinzipien ge-
sucht werden.33 Denn durch die Suche nach dem Prinzip werden die verschie-
denen Typen von Substanzen stufenweise hergeleitet und zum Vorschein
gebracht. Indem die Entstehungsprinzipien der Einzelsubstanz in Frage gestellt
werden, lassen sich die formale sowie die materielle Substanz ausfindig ma-
chen. Durch die Frage nach der Bewegungsursache der himmlischen Substanz
tritt das unbewegte Bewegende als intelligible Substanz auf.
Der allgemeinen Methodik nach geht die philosophische Untersuchung des
Aristoteles von dem aus, was uns bekannter und deutlicher ist und führt zu einer
Sache, die der Natur nach bekannter und deutlicher ist (πέφυκε δὲ ἐκ τῶν γνωρι-
μωτέρων ἡμῖν ἡ ὁδὸς καὶ σαφεστέρων ἐπὶ τὰ σαφέστερα τῇ φύσει καὶ γνωριμώ-
τερα – Phys. A1, 184a16–18).34 Im Großen und Ganzen weist der Forschungsweg
darauf hin, dass man von der sensiblen Substanz ausgehen muss und dann zur
intelligiblen Substanz übergehen kann.35 Denn die sensible Substanz ist uns zu-
gänglicher als die intelligible, ebenso wie das Einzelne uns zugänglicher ist als
das Allgemeine. Auf der einen Seite nimmt der Himmelskörper eine Mittelstel-
lung zwischen der sensiblen Naturwelt und dem intelligiblen Bereich ein. Da-
durch, dass sich der himmlische Kreislauf auf das natürliche Entstehen und
Vergehen auswirkt und der Himmelskörper selbst vom unbewegten Bewegenden
bewegt wird, schlägt der Himmelskörper die Brücke zwischen der sensiblen und
der intelligiblen Substanz. Auf der anderen Seite kann die metaphysische Unter-
suchung in der Tat nicht direkt auf die sensible Einzelsubstanz eingehen. Denn
die uns naheliegende Sachlage ist nicht die Einzelsubstanz, sondern der konkrete

33 Phys. A1, 184a10–16; Metaph. A1, 982a1–3; A2, 982a4–6, 982b7–10; A3, 983a24–26; Γ2,
1003b17–19; E1, 1025b3–7; H1, 1042a4–6; Λ1, 1069a18–19; M9, 1086a21–24.
34 APo. A1, 71b33–72a5; Phys. A1, 184a18–21; A5, 188b30–33, 189a4–9; De An. B2, 413a11–13;
Metaph. Δ11, 1018b29–34; Z3, 1029b3–12; M1, 1076a8–10; EN A2, 1095a30–1095b4.
35 Der methodischen Erklärung zufolge ist das ganze Buch Metaphysik derart strukturiert,
dass die Substanzbücher von Z, H, Θ die sensible Substanz zum Thema machen und das Buch
Λ die intelligible Substanz thematisiert. Innerhalb des Buchs Λ gibt es einen ähnlichen aufstei-
genden Forschungsweg. Nachdem die sensible Substanz in Λ1–5 zusammengefasst und be-
handelt worden ist, konzentriert sich Aristoteles in Λ6–10 auf die intelligible Substanz,
nämlich den Geist.
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 27

Sachverhalt. Was in der Wirklichkeit unmittelbar vorliegt, muss mit einer quantita-
tiv-qualitativen Bestimmung behaftet und durch eine zeitlich-räumliche Bedin-
gung beschränkt sein. Anders gesagt: Womit wir direkt konfrontiert sind, ist nicht
die Einzelsubstanz an sich (z. B. Sokrates), sondern der Sachverhalt, der sich aus
der zugrundeliegenden Einzelsubstanz und der kategorialen Eigenschaft zusam-
mensetzt (z. B. der weiße Sokrates).
Dadurch, dass Aristoteles die Methode konsequent durchsetzt, geht die
Prinzipienforschung nicht unmittelbar auf die sensible Substanz ein, woran
sich die zweite Philosophie orientiert, sondern auf den Sachverhalt, der in der
Kategorienlehre ein zentrales Thema wird. Die Kategorienschrift ist deshalb für
Aristoteles’ Philosophie fundamental, weil sie am offenkundigsten zeigt, wie
Aristoteles seine Prinzipienforschung ontologisch konzipiert. Vor allem werden
in der Kategorienschrift zwei Grundsätze festgelegt. Anhand der vertikalen Ent-
gegensetzung, die terminologisch als ontologische Differenz bezeichnet wird,36
ist die zugrundeliegende Einzelsubstanz von der ihr zukommenden Kategorie
zu unterscheiden (ὑποκείμενον-κατηγορία). Dem horizontalen Gegensatz zu-
folge differenzieren sich die zehn Kategorien in zwei Gruppen aus, nämlich in
Wesens- und Akzidenzkategorie (καθ’ αὑτό-κατὰ συμβεβηκός). Die beiden
Grundsätze sind deswegen onto-logisch konzipiert, weil sich sowohl die ontolo-
gische Differenz als auch die kategoriale Ausdifferenzierung im ontischen und
logischen Bereich durchgesetzt haben. Die ontologische Differenz von Substanz
und Kategorie (ὑποκείμενον-κατηγορία) verkörpert das Gefüge von Substrat
und Eigenschaft (ὑπομένον-ἀντικείμενον) in der ontischen Veränderung und
die Struktur von Subjekt und Prädikat (ὄνομα-ῥῆμα) in der logischen Aussage.
Der kategorialen Ausdifferenzierung von per accidens und per se zufolge unter-
scheidet sich im ontologischen Bereich der Sachverhalt von der Einzelsubstanz
(πρᾶγμα-τόδε τι), in der ontischen Veränderung die Bewegung von der Entste-
hung (κίνησις-γένεσις) und in der logischen Aussage die Akzidenzprädikation
von der Wesensprädikation (ὁμωνύμως-συνωνύμως).

36 Wir verwenden den Terminus „ontologische Differenz“, der von Heidegger erfunden und
entwickelt wird (Grundprobleme der Phänomenologie, 1997: 452–469), nicht im ursprünglich
heideggerischen Sinn. Denn er hat nicht mit dem heideggerischen Unterschied zwischen
Seiendem und Sein, zwischen Vorhandenheit und Zuhandenheit, oder zwischen Was-sein und
Wie-sein zu tun. Stattdessen geht es in unserem Kontext darum, dass die zugrundeliegende
Substanz von der ihr zukommenden Kategorie differenziert ist. Die ontologische Differenz, die
sich in den ontischen und den logischen Bereich ausdehnt, ist insofern eigentümlich, als Sub-
stanz-Kategorie (ontologisch), Substrat-Eigenschaft (ontisch) und Subjekt-Prädikat (logisch)
ein vertikales Gefüge von Erleiden-Machen strukturieren.
28 1 Metaphysik

Daraus folgt, dass die sensible Einzelsubstanz in zweierlei Hinsichten be-


trachtet werden muss, nämlich per accidens und per se. In beiden Fällen muss
das Prinzip von Sein, Veränderung und Logos dreifach thematisiert werden. Es
lässt sich unter einem anderen Blickwinkel nachweisen. Aristoteles legt den
Untersuchungsgegenstand der Metaphysik dadurch fest, dass die Metaphysik
nicht nur das Seiende als solches (τὸ ὂν ᾗ ὂν), sondern auch die eigentümli-
chen Vorhandenheiten in Betracht zieht (τὰ τούτῳ ὑπάρχοντα καθ’ αὑτό).37 In
erster Linie soll die Metaphysik das Seiende nicht teilweise betrachten, wie

37 Metaph. Γ1, 1003a21–22; Γ2, 1005a13–18; B1, 995b18–20. Um die per se passio zu bezeich-
nen, wendet Aristoteles je nach Kontext verschiedene Ausdrücke an: (1) In Bezug auf die Meta-
physik: τὰ συμβεβηκότα καθ’ αὑτὰ ταῖς οὐσίαις – Metaph. B1, 995b20; τὰ τούτῳ ὑπάρχοντα
καθ’ αὑτό – Metaph. Γ2, 1003a21–22; τὰ ὑπάρχοντα αὐτῷ ᾗ ὄν – Metaph. Γ2, 1005a13–14. (2) In
Bezug auf die Physik: [. . .] καὶ οὐ κατὰ συμβεβηκός γε οὔθ’ ἡ κοιλότης οὔθ’ ἡ σιμότης πάθος
τῆς ῥινός, ἀλλὰ καθ’ αὑτήν – Metaph. Z5, 1030b18–20. (3) In Bezug auf die Mathematik: ἴδια
πάθη: ἐπεὶ ὥσπερ ἔστι καὶ ἀριθμοῦ ᾗ ἀριθμὸς ἴδια πάθη, οἷον περιττότης ἀρτιότης, συμμετρία
ἰσότης, ὑπεροχὴ ἔλλειψις [. . .] – Metaph. Γ2, 1004b10–12; τὰ δὲ πάθη καὶ ἕξεις τῆς τοιαύτης
ἐστὶν οὐσίας, οἷον τὸ πολὺ καὶ τὸ ὀλίγον, καὶ μακρὸν καὶ βραχύ, καὶ πλατὺ καὶ στενόν, καὶ βαθὺ
καὶ ταπεινόν [καὶ βαρὺ καὶ κοῦφον] καὶ τὰ ἄλλα τὰ τοιαῦτα. ἔστι δὲ καὶ τὸ μέγα καὶ τὸ μικρὸν
καὶ μεῖζον καὶ ἔλαττον, καὶ καθ’ αὑτὰ καὶ πρὸς ἄλληλα λεγόμενα, τοῦ ποσοῦ πάθη καθ’ αὑτά –
Metaph. Δ13, 1020a19–25; λέγεται δὲ καὶ ἄλλως συμβεβηκός, οἷον ὅσα ὑπάρχει ἑκάστῳ καθ’
αὑτὸ μὴ ἐν τῇ οὐσίᾳ ὄντα, οἷον τῷ τριγώνῳ τὸ δύο ὀρθὰς ἔχειν – Metaph. Δ30, 1025a30–32;
οἰκεῖα πάθη – Metaph. M3, 1078a16. (4) In Bezug auf die Biologie: τὰ οἰκεῖα πάθη τοῦ γένους –
Metaph. I9, 1058a36–37; καίτοι καθ’ αὑτὸ τοῦ ζῴου αὕτη ἡ διαφορὰ καὶ οὐχ ὡς λευκότης ἢ
μελανία ἀλλ’ ᾗ ζῷον καὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν ὑπάρχει – Metaph. I9, 1058a32–34; τὸ δὲ ἄρρεν
καὶ θῆλυ τοῦ ζῴου οἰκεῖα μὲν πάθη, ἀλλ’ οὐ κατὰ τὴν οὐσίαν ἀλλ’ ἐν τῇ ὕλῃ καὶ τῷ σώματι, διὸ
τὸ αὐτὸ σπέρμα θῆλυ ἢ ἄρρεν γίγνεται παθόν τι πάθος – Metaph. I9, 1058b21–24; ἴδια πάθη:
πολλὰ δὲ συμβέβηκε καθ’ αὑτὰ τοῖς πράγμασιν ᾗ ἕκαστον ὑπάρχει τῶν τοιούτων, ἐπεὶ καὶ ᾗ
θῆλυ τὸ ζῷον καὶ ᾗ ἄρρεν, ἴδια πάθη ἔστιν (καίτοι οὐκ ἔστι τι θῆλυ οὐδ’ ἄρρεν κεχωρισμένον
τῶν ζῴων) – Metaph. M3, 1078a5–8. (5) In Bezug auf die Einzelwissenschaft: ἔτι δ’ ἄλλον τρό-
πον τὸ μὲν δι’ αὑτὸ ὑπάρχον ἑκάστῳ καθ’ αὑτό, τὸ δὲ μὴ δι’ αὑτὸ συμβεβηκός – APo. A4,
73b10–11; τρίτον τὸ γένος τὸ ὑποκείμενον, οὗ τὰ πάθη καὶ τὰ καθ’ αὑτὰ συμβεβηκότα δηλοῖ ἡ
ἀπόδειξις – APo. A7, 75a42–b2; τὸ μὲν γὰρ ὅτι ἑτέρας ἐπιστήμης (τὸ γὰρ ὑποκείμενον γένος
ἕτερον), τὸ δὲ διότι τῆς ἄνω, ἧς καθ’ αὑτὰ τὰ πάθη ἐστίν – APo. A9, 76a11–13. Die apodiktisch-
syllogistischen Einzelwissenschaften wie Physik, Arithmetik, Geometrie, Biologie usw. werden
dadurch einheitlich begründet, dass sie die wesentlichen Eigenschaften, d. h. die Eigentüm-
lichkeiten der jeweiligen Gattung zum Thema machen (Ἔστι δ’ ἴδια μὲν καὶ ἃ λαμβάνεται εἶναι,
περὶ ἃ ἡ ἐπιστήμη θεωρεῖ τὰ ὑπάρχοντα καθ’ αὑτά, οἷον μονάδας ἡ ἀριθμητική, ἡ δὲ γεωμετρία
σημεῖα καὶ γραμμάς – APo. A10, 76b3–5; καὶ γὰρ ἂν ἀποδεικτικὴ μία περὶ πάντων εἴη τῶν συμ-
βεβηκότων, εἴπερ πᾶσα ἀποδεικτικὴ περί τι ὑποκείμενον θεωρεῖ τὰ καθ’ αὑτὰ συμβεβηκότα ἐκ
τῶν κοινῶν δοξῶν. περὶ οὖν τὸ αὐτὸ γένος τὰ συμβεβηκότα καθ’ αὑτὰ τῆς αὐτῆς ἐστὶ θεωρῆσαι
ἐκ τῶν αὐτῶν δοξῶν – Metaph. B2, 997a18–22; APo. A4, 73b16–24; A6, 74b5–12; A10, 76b3–22).
Die Physik als zweite Philosophie muss nicht nur die natürlichen Substanzen, sondern auch
die natürliche Entstehung und die himmlische Kreisbewegung thematisieren, da die Entste-
hung und die Bewegung als passio propria den natürlichen Substanzen per se zukommen.
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 29

zum Beispiel die Mathematik, die nur die quantitative Bestimmung des Seien-
den thematisiert, sondern das Seiende als Seiendes thematisch machen, womit
das Prinzip des Seienden gemeint ist (Metaph. Γ1, 1003a26–32; E4, 1028a2–4).
Denn nichts anderes als die unmittelbaren Prinzipien ermöglichen, dass das
Seiende als solches, d. h. das Seiende als Ganzes, in die Wirklichkeit eintritt.
Außer dem Prinzip des Seienden thematisiert die Metaphysik noch die Eigen-
tümlichkeiten, die am Seienden per se vorliegen. Da die wesentlichen Eigen-
schaften immer als Gegensatzpaar vorkommen (Metaph. B1, 995b25–27), tritt
die Frage in den Vordergrund, welche disjunktiven Eigentümlichkeiten (passio-
nes per se disiunctae) der Untersuchungsgegenstand der Metaphysik sein sol-
len. Zunächst kommen die höchsten Gattungen von Platon zur Sprache, die
Gegensätze bilden wie Einheit-Vielheit, Sein-Nichtsein, Ruhe-Bewegung, Iden-
tität-Differenz, Ähnlichkeit-Unähnlichkeit, Gleichheit-Ungleichheit und Priori-
tät-Posteriorität.38 Von Grund auf lehnt Aristoteles es ab, die höchsten Gattungen
als Substanzen anzuerkennen, weil sie wegen der Allgemeinheit nicht konkret ver-
wirklicht, aristotelisch gesagt, nicht substantiviert werden können. Da sich Aristo-
teles’ Metaphysik an der Substanz orientiert, können die allgemeinen Gattungen
nicht metaphysisch, sondern nur dialektisch betrachtet werden.39 Methodisch

38 Metaph. B1, 995b18–27; Γ2, 1003b34–1004a2, 1004a9–22, 1004b27–1005a18. Im Dialog So-


phistes zählt Platon Sein, Bewegung, Ruhe, Identität und Differenz zu den fünf höchsten Gat-
tungen (254d4–5, 254e1–255a2) und identifiziert das Nichtsein mit der Differenz (257b3–4). Im
Dialog Parmenides kommen Einheit-Vielheit (137c4–5, 143a4–144a5), Identität-Differenz
(139b4-e5, 146a9–147b8), Ähnlichkeit-Unähnlichkeit (139e7–140b5, 147c1–148d4), Gleichheit-
Ungleichheit (140b6–d8, 149d8–151e2) und älter-jünger (140e1–141d6, 151e3–155d6) paarweise
vor. Nach der neuplatonischen Interpretation (Halfwassen 2006: 372–374) lässt sich die Kate-
gorie „älter-jünger“ (πρεσβύτερον-νεώτερον), die ursprünglich auf die zeitliche Bestimmug
hinweist (141c4–d6, 151e3–152a3), als ontologische Priorität-Posteriorität (πρότερον-ὕστερον
κατὰ φύσιν καὶ οὐσίαν – Metaph. Δ11, 1019a1–4) auslegen. Indem Platon die oben erwähnten
Kategorien in eine hierarchische Struktur einordnet, sind manche ontologisch vorrangig und
manche nachrangig. Ähnlichkeit und Gleichkeit z. B. können von der Identität abgeleitet wer-
den, denn die eine erweist sich als qualitative Identität und die andere als quantitative Identi-
tät. In gleicher Weise verhalten sich Unähnlichkeit und Ungleichheit zur Differenz.
39 Metaph. B1, 995b20–25. Unter dem Begriff „διαλέγεσθαι“ versteht Platon ursprünglich das in-
tersubjektive Gespräch. Wenn es keine ewige und unveränderliche Idee gäbe, die die begriffliche
Einheit garantiert, könnte man überhaupt nicht auf eine logische Weise miteinander sprechen
([. . .] μὴ ἐῶν ἰδέαν τῶν ὄντων ἑκάστου τὴν αὐτὴν ἀεὶ εἶναι, καὶ οὕτως τὴν τοῦ διαλέγεσθαι δύνα-
μιν παντάπασι διαφθερεῖ – Prm. 135b8–c2). In einem anderen Zusammenhang redet Platon von
der dialektischen Fähigkeit (τὸ τοίνυν ἕτερον μάνθανε τμῆμα τοῦ νοητοῦ λέγοντά με τοῦτο οὗ
αὐτὸς ὁ λόγος ἅπτεται τῇ τοῦ διαλέγεσθαι δυνάμει – Resp. 511b3–4). Damit ist grundsätzlich die
dialektische Wissenschaft gemeint (ὅτι μέντοι βούλει διορίζειν σαφέστερον εἶναι τὸ ὑπὸ τῆς τοῦ
διαλέγεσθαι ἐπιστήμης τοῦ ὄντος τε καὶ νοητοῦ θεωρούμενον ἢ τὸ ὑπὸ τῶν τεχνῶν καλουμένων –
Resp. 511c4–6). Bei Platon steht die Dialektik der Einzelwissenschaft, wie z. B. der Geometrie oder
30 1 Metaphysik

gesehen ist es die typische Vorgehensweise des Aristoteles, vor der systematischen
Entfaltung seiner eigenen These die anderen Lehrmeinungen darzustellen. In
Physik A5 (188a19–26) ist z. B. von Gegensätzen die Rede. Der Naturphilosophie
zufolge steht entweder das eine Seiende dem anderen entgegen, wie Feuer-Erde,
oder die eine Eigenschaft der anderen, wie warm-kalt, dick-dünn, voll-leer, win-
kelig-nicht winkelig, gradlinig-kreisförmig, oder es handelt sich um örtliche Ge-
gensätze wie etwa oben-unten, vor-hinter. Man kann aufgrund der Schilderung
in Physik A5 nicht den Schluss ziehen, dass Aristoteles die Gegensatzlehre der
griechischen Naturphilosophie vertritt. Aus demselben Grund kann nicht gefol-
gert werden, dass Aristoteles in Metaphysik Γ2 die höchsten Gattungen erörtert,
um die platonischen Gegensatzpaare zu thematisieren.40

der Techne, entgegen. Während sich diese nur aus der bestimmten Voraussetzung ergeben kann
(Resp. 511c6–d5), sucht jene nach dem voraussetzungslosen Prinzip (ἵνα μέχρι τοῦ ἀνυποθέτου
ἐπὶ τὴν τοῦ παντὸς ἀρχὴν ἰών – Resp. 511b6–7, 510b6–7). Darum gilt die Dialektik als höchste
Wissenschaft, insofern sie die Prinzipienforschung ist. Während Platon die Dialektik durchaus für
positiv hält, bewertet Aristoteles sie ziemlich negativ. Aristoteles’ Auffassung nach ist die dialekt-
ische Kunst nichts anderes als das Wechselspiel von Frage und Antwort, wobei jeder Satz sowohl
bejaht als auch verneint werden kann (ἡ δὲ διαλεκτικὴ ἐρώτησις ἀντιφάσεώς ἐστιν – APr. A1,
24a24–25; διαλεκτικὴ γὰρ ἰσχὺς οὔπω τότ’ ἦν ὥστε δύνασθαι καὶ χωρὶς τοῦ τί ἐστι τἀναντία ἐπισ-
κοπεῖν, καὶ τῶν ἐναντίων εἰ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη – Metaph. M4, 1078b25–27). Demzufolge bezeichnet
Aristoteles die Dialektik weder als metaphysische Prinzipienlehre noch als die wissenschaftliche
Disziplin, welche Apodiktik genannt wird (διαφέρει δὲ ἡ ἀποδεικτικὴ πρότασις τῆς διαλεκτικῆς,
ὅτι ἡ μὲν ἀποδεικτικὴ λῆψις θατέρου μορίου τῆς ἀντιφάσεώς ἐστιν, οὐ γὰρ ἐρωτᾷ ἀλλὰ λαμβάνει
ὁ ἀποδεικνύων, ἡ δὲ διαλεκτικὴ ἐρώτησις ἀντιφάσεώς ἐστιν – APr. A1, 24a22–25). Vielmehr ist die
Dialektik der Sophistik zugeordnet (περὶ μὲν γὰρ τὸ αὐτὸ γένος στρέφεται ἡ σοφιστικὴ καὶ ἡ δια-
λεκτικὴ τῇ φιλοσοφίᾳ [. . .] – Metaph. Γ2, 1004b22–23). Die These, dass die Dialektik und die Apo-
diktik einander gegenüberstehen, stellt Aristoteles am Anfang der ersten Analytik dar (APr. A1,
24a22–24b15). Zum Verhältnis von Dialektik und Sophistik ist die Erörterung in der Metaphysik
vergleichend heranzuziehen (Metaph. Γ2, 1004b17–26).
40 Ein zusätzlicher Beweis besteht darin, dass Aristoteles in demselben Zusammenhang nicht
nur die Disjunktionen der platonischen höchsten Gattungen, sondern auch die anderen Gegen-
sätze erwähnt. Es ist z. B. dem pythagoreischen Dualismus eigentümlich, dass die Endlichkeit der
Unendlichkeit und das Gerade dem Ungeraden entgegenstehen (Metaph. Γ2, 1004b31–33; A5,
986a17–19). Der Gegensatz von Liebe und Haß stammt von Empedokles (Γ2, 1004b33; A4,
985a21–29). Wärme und Kälte (Γ2, 1004b32) zieht Aristoteles zwar sehr häufig als argumentatives
Paradigma heran, sie bilden aber den grundsätzlichen Gegensatz der Medizin, die die gegensätz-
lichen Affektionen zu harmonisieren versucht. Darum zeigt sich, dass Aristoteles nicht Platon
nachfolgend eine Lehre von höchsten Gattungen weitertreibt, sondern sich mit allen voraristoteli-
schen Gegensatztheorien auseinandersetzt. Obwohl Aristoteles selten die platonischen höchsten
Gattungen in der disjunktiven Form ausspricht, bietet er doch im Buch Γ der Metaphysik
die Möglichkeit, an die platonische Dialektik anzuknüpfen. Auf dieser Grundlage bemühen sich
die Neuplatoniker, die arabischen Kommentatoren und die mittelalterlichen Scholatiker, die pla-
tonische und die aristotelische Metaphysik in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb ist es kein
1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre 31

Um zu definieren, was die eigentümlichen Zukommenheiten sind (τὰ συμβε-


βηκότα καθ’ αὑτὰ), kommt es zunächst darauf an, zu betrachten, welche wesent-
lichen Eigenschaften der sensiblen und der intelligiblen Substanz zukommen. Die
Entstehung der Lebewesen und die Kreisbewegung der Himmelskörper weisen da-
rauf hin, dass die sensible Natursubstanz per se veränderlich ist (Metaph. Λ2,
1069b3; De Cae. Γ1, 298a27–298b3). Außer der Veränderlichkeit gehört die logische
Aussage auch zur Eigentümlichkeit des Seienden. Denn sowohl das Prinzip des
Seienden als auch die Ursache der Bewegung können nur durch Begriff oder Urteil
zur Sprache kommen. Ein klarer Beweis dafür liegt darin, dass die ontologische
Differenz von Substanz und Kategorie die logische Unterscheidung von Subjekt
und Prädikat ausmacht. In der Prinzipienlehre müssen darum nicht nur die Verän-
derung und der Logos als Zukommenheiten per se, sondern auch die Disjunktion
der einen wie Vollendung-Privation (ἕξις-στέρησις) und des anderen, nämlich Af-
firmation-Negation (κατάφασις-ἀπόφασις), mitberücksichtigt werden. Bemerkens-
wert ist noch, dass sowohl die ontische Veränderung als auch die logische
Aussage auf die ontologische Substanz zurückgreifen müssten. Denn es gibt
weder Bewegung der Bewegung41 noch Aussage der Aussage,42 sondern immer
Bewegung und Aussage vom Seienden. Nichts anderes als die sensible Substanz
ist vergänglich und beweglich. Was aber begrifflich oder definitorisch ausgesagt
wird, ist keineswegs die Sprache, sondern entweder die Substanz oder deren Ei-
genschaft. Da die Substanz nicht nur als Prinzip des Seins gilt, sondern auch der
Veränderung und dem Logos zugrunde liegt, richten sich sowohl die ontische Ver-
änderung als auch die logische Aussage auf das ontologische Prinzip aus (Metaph.
Γ2, 1003b5–10).
Darum orientiert sich die Prinzipienforschung an dem Prinzip des Seins, der
Veränderung und des Logos (Metaph. Δ1, 1013a17–19). Die ganze metaphysische
Untersuchung entfaltet sich in drei Schritten, indem die sensible und vergängliche
Einzelsubstanz zwiefältig betrachtet werden muss und der sensible und ewige
Himmelskörper mit der intelligiblen Substanz in Verbindung gesetzt wird. Da das
Verfahren vom uns Bekannten und Deutlichen zum sachlich Bekannten und Deut-
lichen den aufsteigenden Forschungsweg vom Prinzipiat zum Prinzip aufweist,
geht die metaphysische Prinzipienforschung vom Sachverhalt aus, geht zur Sache
selbst über und zielt letztendlich auf die Ursache als Prinzip von Allem ab

Wunder, dass in der Rezeptionsgeschichte der aristotelischen Metaphysik das Buch Γ von ent-
scheidender Bedeutung ist.
41 Phys. Γ1, 200b32; E2, 225b13–16; E2, 225b33–226a6; Metaph. K9, 1065b7; K12, 1068a14–16,
1068a33–34, 1068b14–15.
42 Int. 4, 16b33–17a2; Soph. 262e5–6: Λόγον ἀναγκαῖον, ὅτανπερ ᾖ, τινὸς εἶναι λόγον, μὴ δὲ
τινὸς ἀδύνατον.
32 1 Metaphysik

(Sachverhalt→Sache→Ursache). Indem Aristoteles diesen methodischen Grundsatz


in allen einzelnen Disziplinen durchsetzt, kann der metaphysische Forschungsweg
ontologisch so dargestellt werden, dass das akzidentelle Kompositum auf das sub-
stanzielle Kompositum und Letzteres auf das einfache Seiende zurückgeht
(σύνθετον→σύνολον→ἁπλοῦν). Ontisch gesehen geht die akzidentelle Verände-
rung auf die substanzielle Veränderung zurück und die Veränderung der sen-
siblen Substanzen ist auf das unbewegte Bewegende als intelligible Substanz
zurückzuführen (κίνησις→γένεσις→κινοῦν ἀκίνητον).43 In Bezug auf den Logos
geht die zweiwertige Meinung auf die einwertige Demonstration zurück, und Letz-
tere wiederum auf die wahrhafte Wesensdefinition (δόξα→ἀπόδειξις→ὁρισμός). Im
Hinblick auf das Erkenntnisvermögen vollzieht sich die Rückführung derart, dass
die Wahrnehmung auf das dianoetische Denken und das dianoetische Denken auf
das noetische Denken zu reduzieren ist (αἴσθησις→διάνοια→νόησις).
Der Forschungsweg, der sich von der Folge zur Ursache und vom Prinzipiat
zum Prinzip fortsetzt, steht immer im Hintergrund. In Bezug auf die sensible
Einzelsubstanz legt die Prinzipienforschung den Akzent darauf, wie sich Sein,
Veränderung und Logos zueinander verhalten. So wie der ontologische Sachver-
halt, die ontische Bewegung und die logische Akzidenzprädikation voneinander
unterschieden sind, bilden die Einzelsubstanz, die Entstehung und die Wesens-
prädikation auch keine sachliche Einheit. Sachverhalt-Bewegung-Akzidenzpr
ädikation (πρᾶγμα-κίνησις-δόξα) und Einzelsubstanz-Entstehung-Wesensprädi-
kation/-definition (τόδε τι-γένεσις-ὁρισμός) können jeweils nur dann in Überein-
stimmung treten, wenn Sein, Veränderung und Logos durch ein ähnliches
Gefüge strukturiert sind. Denn die strukturelle Ähnlichkeit (ὁμοιότης, simili-
tudo), die terminologisch als Analogie (ἀναλογία/ἀνάλογον, analogia/proportio)
zu bezeichnen ist, weist auf die strukturelle bzw. die funktionale Einheit hin,
ohne die sachliche bzw. die wesentliche Verschiedenheit preiszugeben.
Darüber hinaus können die verschiedenen Typen von Substanzen nur durch
eine ähnliche Struktur vereinigt werden. Außer den oben erwähnten Substanzen,
nämlich Einzellebewesen, Himmelskörper und Geist (ζῷον, οὐρανός, νοῦς) gibt
Aristoteles durch die Übernahme der naturphilosophischen Tradition zu, dass die
vier Grundelemente (ὕδωρ, ἀὴρ, πῦρ, γῆ) Substanzen sind. Da das einzelne Lebe-
wesen immer von der Naturart produziert wird, ist die Art (εἶδος) als causa essendi

43 Der Gedankengang vollzieht sich in drei Schritten. Im ersten Schritt sind die Ortsbewegung
und die qualitative sowie quantitative Veränderung des einzelnen Lebewesens auf dessen Ent-
stehung zurückzuführen. Im zweiten Schritt zeigt Aristoteles, wie die Naturentstehung von der
himmlischen Kreisbewegung beeinflusst wird. Da die Kreisbewegung des Himmelskörpers
einer äußeren Bewegungsursache bedarf, wird im dritten Schritt das unbewegte Bewegende
argumentativ abgeleitet.
1.2 Analogie 33

Substanz. Weitergehend gilt die Gattung (γένος) als Substanz, insofern die Art an-
hand der Gattung und der spezifischen Differenz wesentlich definiert wird.44
Wenn wir die sechs verschiedenen Typen von Substanzen zusammen betrachten,
tritt die Frage auf, worin die Gemeinsamkeit liegt. Anders formuliert: Inwiefern
können Einzellebewesen, Art, Gattung, Grundelement, Himmelskörper und Geist
anhand desselben Begriffs „Substanz“ zusammengefasst und zum Ausdruck ge-
bracht werden? Die sensible Substanz ist grundsätzlich anders als die intelligible
Substanz (αἰσθητή↔νοητή). Die aus Form und Stoff zusammengesetzte Einzel-
substanz und die einfache intelligible Substanz, die sich dem Stoff entzieht, stehen
in keinem Verhältnis der Identität (σύνθετον↔ἁπλοῦν). Die ewig bewegten Him-
melskörper sind offensichtlich nicht mit der Einzelsubstanz zu identifizieren, die
nicht ewig, sondern veränderlich ist (ἀεικινήτον↔μεταβολή). Das gleichartige Na-
turseiende ist entstanden und vergänglich, während die Naturart das Gleichartige
produziert, ohne selbst zu entstehen und zu vergehen (γένεσις↔ἄνευ γενέσεως
καὶ φθορᾶς). Da sich keine sachliche Gemeinsamkeit ergibt, kann die Einheit der
verschiedenartigen Substanzen nur anhand der strukturellen Ähnlichkeit (ὁμοιό-
της, similitudo), d. h. der Analogie, begründet werden.

ἴσως δ' ἄν τις ἀπορήσοι πῶς δυνατὸν πάσης οὐσίας τὸ ἴδιον ἀφορίζεσθαι. καθ' ἑκάστην γὰρ
οὐσίαν διάφορον καὶ τὸ ἰδίωμά ἐστιν ἕτερον· οὐκοῦν ἄλλα τῶν συνθέτων καὶ ἄλλα τῶν
ἁπλῶν ἀποδοθήσεται ἰδιώματα, καὶ ἄλλο μὲν τῶν ἀεικινήτων, ἄλλο δὲ τῶν ἐν μέρει μεταλαμ-
βανόντων κινήσεως, καὶ ἕτερον μὲν τῶν ἑστηκότων ἐν τοῖς εἴδεσιν ὡσαύτως, ἕτερον δὲ ἐπὶ
τῶν μεταβαλλομένων, καὶ ἐπὶ τῶν νοητῶν καὶ αἰσθητῶν ὡσαύτως. ἀλλ' ἔστι λέγειν ὅτι δυνα-
τὸν τὴν ἀνάλογον ὁμοιότητα ἀφορίζεσθαι πανταχοῦ. – Simplicii In Categoriarum 93.20–26

1.2 Analogie

Die Analogie (ἀναλογία/ἀνάλογον, analogia/proportio) war ursprünglich ein


mathematischer Begriff, der in der pythagoreischen Schule entwickelt wurde.
Sie zeigt die zahlenmäßige Proportion auf, die entweder durch die

44 An folgenden Stellen ist von den natürlichen Substanzen die Rede, die das Lebewesen,
den Himmelskörper und das Grundelement umfassen: Phys. B1, 192b8–13; De Cae. Γ1,
298a29–32; De An. B1, 412a11–13; Metaph. Z2, 1028b8–13; Z7, 1032a15–19; H1, 1042a7–11. In der
Kategorienschrift (Cat. 5, 1b11–19) bezeichnet Aristoteles die Art und die Gattung als Substanz.
Die Substantialität der Art besteht darin, dass die Art nicht nur als Wesensprädikat das gleich-
artige Einzelne zum Ausdruck, sondern auch als Entstehungsprinzip das Gleichartige zustande
bringt. Je nach den verschiedenen Kriterien wird der Gattung die Substantialität zu- oder abge-
sprochen. Jedoch erbringt Aristoteles in B3 der Metaphysik (998b4–8) einen Beweis dafür,
dass die Gattung trotz der Allgemeinheit die Substanz sein muss.
34 1 Metaphysik

Wiederholung der Mitte dreigliedrig (1 : 2 = 2 : 4) oder viergliedrig ist (1 : 2 = 4 :


8 – HWP: 214). Wenn vom aristotelischen Analogiemodell die Rede ist, kommen
in erster Linie zwei verschiedene Typen zur Erwähnung, und zwar analogia at-
tributionis (analogia praedicationis/analogia entis) und analogia proportionis.
Die beiden Benennungen stammen nicht von Aristoteles, sondern von den spä-
teren Scholastikern.45 Nachdem Thomas von Aquin auf Grundlage der aristote-
lischen Analogielehre die Attributionsanalogie entwickelt hat, nennen die
Scholastiker die ursprüngliche Analogie die Proportionalitätsanalogie, um die
beiden voneinander zu unterscheiden. Ein klarer Beweis dafür liegt darin, dass
die Bezeichnung „analogia proportionis“ eigentlich eine Verdoppelung (Hendi-
adyoin) ist. Denn auf Lateinisch sind sowohl analogia als auch proportio Über-
setzungen desselben griechischen Wortes, nämlich ἀναλογία. Während die
„analogia“ durch die unmittelbare Übertragung vom Griechischen ins Lateini-
sche gebildet wird, ahmt die „pro-portio“ sowohl die Struktur als auch den Sinn
von ἀνα-λογία nach. Pro portione und ἀνὰ τὸν λόγον weisen auf dieselbe Be-
deutung hin, nämlich die Bedeutung „aufgrund des Verhältnisses“.
Bemerkenswert ist noch, dass weder die Attributionsanalogie rein logisch
konzipiert ist noch die Proportionalitätsanalogie bloß einen ontologischen
Bezug aufweist, wie die Namen dies nahelegen. Denn zum einen ermöglicht die
analogia proportionis, die die strukturelle Gemeinsamkeit der verschiedenen
Seienden offenkundig macht, denselben Begriff (wie das Sein und das Gute)
nicht überkategorial, sondern quer zu den Kategorien zu gebrauchen (Metaph.
K3, 1061a7–10; EN A4, 1096a23–29; EE A8, 1217b25–33). Zum anderen nimmt
die analogia attributinonis zwar die gemeinsame Prädikationsmöglichkeit von
Gott und Geschöpf zum Ausgang, zielt aber darauf ab, die ontologische Vor-
rangstellung Gottes und die Nachrangstellung der Geschaffenen hervorzuhe-
ben. Deswegen wurde die analogia attributionis von den späteren Scholastikern
als analogia entis bezeichnet.
Vor allem sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass Aristoteles die Analo-
gie im ursprünglichen Sinne angewendet hat. Die Proportionalitätsanalogie ba-
siert auf dem mathematischen Modell. Aber nicht die mathematische, sondern
die ontologische Proportion, d. h. die strukturelle Ähnlichkeit, tritt in den Vorder-
grund, die sowohl Sein, Veränderung und Logos in Übereinkunft bringt als auch
die Einheit der Substanzen bildet. Um die aristotelische Proportionalitätsanalogie
zu verdeutlichen, müssen wir zunächst auf die thomistische Attributionsanalogie

45 Begrifflich gesehen entstammen sowohl analogia attributionis als auch analogia proportio-
nis der späteren Scholastik. Sylvester von Ferrara und Franz Suares haben die beiden Begriffe
erfunden. Bei E. Przywaras kommt der Terminus analogia entis zum ersten Mal vor (HWP:
224–226). Bei Thomas ist nur von analogia praedicationis die Rede.
1.2 Analogie 35

eingehen, die eng mit der aristotelischen Kategorienlehre zusammenhängt. Die


Analogie ist dadurch als eine Prädikationsweise zu interpretieren, dass Thomas’
Konzeption einerseits auf der Kategorienlehre des Aristoteles beruht, andererseits
aber davon abweicht. Außerdem hatte die Interpretation von Thomas wirkungs-
geschichtlich einen enormen Einfluss auf die Auslegung der aristotelischen Meta-
physik. Deshalb richten wir die Aufmerksamkeit zunächst auf die lateinische
Attributionsanalogie (Thomas von Aquin, De potentia Quaestio 7 Articulus 7 [zi-
tiert als „De potentia q.7 a.7“]; Summa contra Gentiles Liber 1 Capita 32–34 [zitiert
als „Summa contra Gentiles lib.1 cap.32–34“]; Summa Theologia Prima pars
Quaestio 13 Articulus 5–6 [zitiert als „Summa Theologia Ia. q.13 a.5–6“]) und
gehen anschließend auf die griechische Tradition ein.
Thomas stellt die Frage, ob die bestimmten Begriffe (nomina), d. h. die Trans-
zendentalien, wie Gutes (bonitas), Weisheit (sapientia), Schönheit (pulchritudo)
usw., von Gott und Geschöpf univoce oder aequivoce ausgesagt werden.46 In bei-
den Fällen gerät man in Verlegenheit. Die Menschheit wird von Sokrates und Pla-
ton univoce, d. h. wesentlich, prädiziert, da die beiden Menschen sind. Dagegen
wird die Schönheit von Gott und Geschöpf nicht univoce ausgesagt, weil die We-
sensgleichheit, die die Univokation (univoce, συνωνύμως) verlangt, nicht Gott und
dem Geschöpf zukommen kann. Bei Gott fallen existentia und essentia zusammen
(esse = forma), bei den Geschaffenen aber auseinander (esse ≠ forma).47 Denn vor
der Schöpfung existieren sie nur der Möglichkeit nach. Was die Schöpfung anbe-
langt, ist sie nichts anderes als die göttliche Aktion, die das Seiende von
der Möglichkeit in die Wirklichkeit bringt. Auf der einen Seite steht Gott als das
wirkliche, immaterielle und einfache Seiende (ens actu-immateriale-simpliciter),

46 De potentia q.7 a.7 (Thema/Fragestellung): „Septimo quaeritur utrum huiusmodi nomina


dicantur de Deo et creaturis univoce vel aequivoce.“
47 (1) De potentia q.7 a.7 s.c.6 [60235]: „Praeterea, cum in creatura aliud sit esse, et aliud sit
forma vel natura, per formam vel naturam nihil similatur ei quod est esse. [. . .] Deus autem est
hoc ipsum quod est suum esse.“ (2) De potentia q.7 a.7 co. [60238]: „Deus autem alio modo se
habet ad esse quam aliqua alia creatura; nam ipse est suum esse, quod nulli allii creaturae
competit.“ Die Abtrennung von Existenz und Essenz wird zuerst von arabischen Kommentato-
ren zum Ausdruck gebracht und dann von mittelalterlichen Scholastikern übernommen, um
die Eigentümlichkeit Gottes zu betonen. Sie steht deswegen direkt der aristotelischen Physik
und Metaphysik entgegen, weil Aristoteles anhand des theoretischen Musters der Naturentste-
hung gerade die Untrennbarkeit des einzelnen Naturdings von der Naturart hervorhebt. Der
aristotelischen Theorie zufolge liegt der Unterschied zwischen der natürlichen und der über-
natürlichen Substanz nicht darin, dass die Existenz und die Essenz bei der einen auseinander-
und bei der anderen zusammenfallen. Sondern die natürliche Substanz, die das Lebewesen
und das Gestirn umfasst (creatura), ist materiell, sinnlich wahrnehmbar und passiv bewegbar,
während die übernatürliche Substanz, d. h. das unbewegte Bewegende (Deus), geistig, denk-
bar und aktiv tätig ist.
36 1 Metaphysik

auf der anderen Seite aber das Geschöpf als das potentielle, materielle und man-
nigfaltige Seiende (ens in potentia-materiale-multipliciter). Außerdem zeigt sich die
wesentliche Ungleichheit von Gott und Geschöpf noch dadurch, dass Gott unend-
lich und ewig ist (infinitum-aeternus), das Geschöpf aber endlich und zeitlich (fini-
tum-temporalis).48
Die Schönheit kann von Gott und Geschöpf auch nicht aequivoce prädiziert
werden, obwohl die Äquivokation (aequivoce, ὁμωνύμως) keiner Wesensgleich-
heit, sondern einer bloßen Namensgleichheit bedarf. Im Fall, dass das Weißsein
von Sokrates und Tisch aequivoce, d. h. akzidentell, ausgesagt wird, gibt es keine
notwendige Verbindung zwischen Sokrates und dem Tisch. Die Schönheit kann
deshalb von Gott und Geschöpf nicht zufällig prädiziert werden, weil sich der pro-
duktive Kausalzusammenhang zwischen Schöpfer und Geschöpf ergibt.49 Da-
durch, dass Gott unvollkommene Produkte nach seinem Vorbild schafft, hat das
Geschöpf einen gewissen Anteil an Gott.50 Anders gesagt bringt die Schönheit Got-
tes die Schönheit der Geschaffenen zustande, wie die gesunde Medizin als Ursache
die Gesundheit des Körpers herstellt. Ebenso wie die Gesundheit der Medizin und

48 (1) In Bezug auf Aktualität und Potentialität (De potentia q.7 a.7 co. [60238]): „[. . .] si dica-
tur, quod omne quod est in potentia, reducitur ad actum per ens actu,– et ex hoc concluder-
etur quod Deus esset ens actu, cum per ipsum omnia in esse educantur,– erit fallacia
aequivocationis.“ (2) In Bezug auf Immaterialität-Materialität und Einfachheit-Komplexität (De
potentia q.7 a.7 co. [60238]): „Dato ergo per impossibile quod eiusdem rationis sit bonitas in
Deo et in creatura, non tamen bonum univoce de Deo praedicaretur; cum quod in Deo est im-
materialiter et simpliciter, in creatura sit materialiter et multipliciter.“ (3) In Bezug auf Unend-
lichkeit und Endlichkeit (De potentia q.7 a.7 co. [60238]): „Nulla autem creatura, cum sit finita,
potest adaequare virtutem primi agentis, cum sit infinita.“ (4) In Bezug auf Ewigkeit und Zeit-
lichkeit (De potentia q.7 a.7 s.c.1 [60230]): „Sed Deus est aeternus, et creaturae temporales.“
49 (1) De potentia q.7 a.7 co. [60238]: „Et praeterea oportet causatum esse aliqualiter simile
causae; unde oportet de causato et causa nihil pure aequivoce praedicari, sicut sanum de me-
dicina et animali.“ (2) Summa contra Gentiles lib.1 cap.33 n.2 [23809]: „Nam in his quae sunt a
casu aequivoca, nullus ordo aut respectus attenditur unius ad alterum, sed omnino per acci-
dens est quod unum nomen diversis rebus attribuitur: non enim nomen impositum uni signifi-
cat ipsum habere ordinem ad aliud. Sic autem non est de nominibus quae de Deo dicuntur et
creaturis. Consideratur enim in huiusmodi nominum communitate ordo causae et causati, ut
ex dictis patet. Non igitur secundum puram aequivocationem aliquid de Deo et rebus aliis
praedicatur.“ (3) Aertsen 2012: 268, Fußnote 139.
50 (1) Summa Theologia Ia. q.13 a.5 arg.2 [28822]: „Praeterea, secundum aequivoca non atten-
ditur aliqua similitudo. Cum igitur creaturae ad Deum sit aliqua similitudo, secundum illud
Genes. I, faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, videtur quod aliquid uni-
voce de Deo et creaturis dicatur.“ (2) Summa Theologia Ia. q.13 a.5 co. [28826]: „Quia omnis
effectus non adaequans virtutem causae agentis, recipit similitudinem agentis non secundum
eandem rationem, sed deficienter, [. . .].“
1.2 Analogie 37

des Körpers sind die Schönheit Gottes und die Schönheit der Geschaffenen nicht
zufällig gleichnamig.
Im Grunde genommen sind Schöpfer und Geschöpf unvergleichbar, aber
dieselben Transzendentalien können von Gott und Geschöpf gemeinsam ausge-
sagt werden (Deus bonus et creatura bona), und zwar weder wesentlich noch
akzidentell. Die Prädikationsweise, die eine Mittelstellung zwischen Univoka-
tion und Äquivokation einnimmt, lässt sich als analogia praedicationis bezeich-
nen.51 Während die Univokation die Wesensgleichheit und die Äquivokation
die wesentliche Ungleichheit impliziert, bringt die analogische Prädikation so-
wohl Gleichheit als auch Ungleichheit von Gott und Geschöpf zum Ausdruck.
Die Analogie als Prädikation ist deswegen einzuführen, weil das ontologische
Verhältnis von Gott und Geschöpf einer eigentümlichen Prädikationsweise bedarf.
Weitergehend ist die analogische Prädikation insofern asymmetrisch, als Gott on-
tologisch vorrangig und das Geschöpf nachrangig ist. Um diese Vor- bzw. Nach-
rangigkeit zu betonen, identifiziert Thomas die logische Analogieprädikation mit
dem ontologischen Auf-Eines-Hin-Verhältnis (dicitur per respectum ad unum ana-
logice),52 indem das Verhältnis des Geschöpfes zu Gott mit der Beziehung des

51 Summa Theologia Ia. q.13 a.5 co. [28826]: „Et iste modus communitatis medius est inter
puram aequivocationem et simplicem univocationem.“
52 (1) Summa Theologia Ia. q.13 a.6 co. [28835]: „Respondeo dicendum quod in omnibus nomini-
bus quae de pluribus analogice dicuntur, necesse est quod omnia dicantur per respectum ad
unum, et ideo illud unum opertet quod ponatur in definitione omnium.“ (2) Summa contra Genti-
les lib.1 cap.34 n.1 [23816]: „Sic igitur ex dictis relinquitur quod ea quae de Deo et rebus aliis di-
cuntur, praedicantur neque univoce neque aequivoce, sed analogice: hoc est, secundum
ordinem vel respectum ad aliquid unum.“ (3) Aertsen 2012: 269, Fußnote 142. (4) In seinem Meta-
physik-Kommentar hat Thomas an einigen Stellen ganz ähnlich kommentiert. (4.1) Sententia Me-
taphysicae lib.4 l.1 n.7 [82100]: „Dicit ergo primo, quod ens sive quod est, dicitur multipliciter.
Sed sciendum quod aliquid praedicatur de diversis multipliciter: quandoque quidem secundum
rationem omnino eamdem, et tunc dicitur de eis univoce praedicari, sicut animal de equo et
bove. Quandoque vero secundum rationes omnino diversas; et tunc dicitur de eis aequivoce prae-
dicari, sicut canis de sidere et animali. Quandoque vero secundum rationes quae partim sunt di-
versae et partim non diversae: diversae quidem secundum quod diversas habitudines important,
unae autem secundum quod ad unum aliquid et idem istae diversae habitudines referuntur; et
illud dicitur analogice praedicari, idest proportionaliter, prout unumquodque secundum suam
habitudinem ad illud unum refertur.“ (4.2) Sententia Metaphysicae lib.4 l.1 n.8 [82101]: „Item
sciendum quod illud unum ad quod diversae habitudines referuntur in analogicis, est unum nu-
mero, et non solum unum ratione, sicut est unum illud quod per nomen univocum designatur. Et
ideo dicit quod ens etsi dicatur multipliciter, non tamen dicitur aequivoce, sed per respectum ad
unum; non quidem ad unum quod sit solum ratione unum, sed quod est unum sicut una quae-
dam natura.“ (4.3) Sententia Metaphysicae lib.7 l.4 n.7 [82903]: „Non enim est rectum quod quod
quid est et definitio dicatur de substantia et de accidentibus, neque aequivoce, neque simpliciter
et eodem modo, idest univoce. [. . .] Sed dicitur analogice per respectum ad unum, scilicet ad
38 1 Metaphysik

Akzidenz zur Substanz in Verbindung gesetzt wird. Das analogische Prädikations-


verhältnis von Gott und Geschöpf ist nur dann mit der Beziehung von Substanz
und Akzidenz vergleichbar, wenn ein gemeinsamer Oberbegriff auch von Subs-
tanz und Akzidenz ausgesagt wird, wie die Schönheit von Gott und Geschöpf. So
wird das Sein insofern von Substanz und Akzidenz analogerweise prädiziert, als
die Substanz eigenständig seiend ist, das Akzidenz aber in seinem Sein von der
Substanz abhängig ist.53 Da das Akzidenz keine ontologische Selbständigkeit (in-
esse) hat und in logisch-ontologischer Abhängigkeit von der Substanz (per se
esse) steht, geht das Akzidenz als Nachrangiges auf die Substanz als Vorrangiges
zurück (posterius ad prium, accidens ad substantiam). Gleichfalls richten sich die
Geschaffenen auf den schaffenden Gott aus (creatura ad Deum), indem Thomas
das Verhältnis Priorität-Posteriorität (prius-poterius, πρότερον-ὕστερον), womit
Aristoteles die Vorrangigkeit der Substanz und die Nachrangigkeit des Akzidenz
zum Ausdruck bringt (Metaph. Z1, 1028a31–1028b2; Cat. 5, 2a34–2b9), auf Gott
und Geschöpf überträgt.
Obwohl derselbe Oberbegriff „Sein“ sowohl von Substanz als auch von
Akzidenz prädiziert wird, ist die eine per se und das andere nur per accidens
seiend, sodass das Sein des Akzidenz auf das Sein der Substanz zurückzu-
führen sein muss. Es ist auf Gott und Geschöpf transformierbar. Obwohl der-
selbe Begriff Schönheit sowohl von Gott als auch vom Geschöpf ausgesagt
wird, ist Gott absolut schön und das Geschöpf nur gewissermaßen schön, so-
dass die Schönheit der Geschaffenen auf die Schönheit Gottes rekurrieren
muss. Aufgrund dessen setzt Thomas die logische Analogieprädikation mit
dem ontologischen Auf-Eines-hin-Verhältnis gleich. Damit ist die Rückfüh-
rung des Akzidenz auf die Substanz (accidens ad substantiam) und der Ge-
schaffenen auf Gott (creatura ad Deum) gemeint, vorausgesetzt, dass bei
zwei Sachen die eine der anderen ontologisch vorgeordnet ist.

medicinam. Et similiter quod quid est et definitio, non dicitur nec aequivoce nec univoce, de sub-
stantia et accidente, sed per respectum ad unum. Dicitur enim de accidente in respectu ad sub-
stantiam, ut dictum est.“ (4.4) Sententia Metaphysicae lib.9 l.1 n.13 [83351]: „Unde manifestum
est, quod omnes isti modi potentiarum reducuntur ad unum primum, scilicet ad potentiam acti-
vam. Et inde patet quod haec multiplicitas non est secundum aequivocationem, sed secundum
analogiam.“ (4.5) Aertsen 1996: 140–141.
53 Dadurch, dass der Oberbegriff, das Sein, für das Prädikat der Substanz und das des Akzi-
denz gehalten wird, dreht Thomas die ganze Kategorienlehre des Aristoteles um. Denn die
zehn Kategorien, seien sie wesentlich, seien sie akzidentell, stellen zehn Typen von Prädikaten
dar. In der aristotelischen Kategorienlehre handelt es sich nicht darum, dass das Sein von Sub-
stanz/Wesenheit und Akzidenz prädiziert wird. Vielmehr geht es darum, dass die Substanz/
Wesenheit und das Akzidenz vom zugrundeliegenden Einzelnen ausgesagt werden.
1.2 Analogie 39

Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: In erster Linie ist die sogenannte
analogia praedicationis keineswegs die eigenständige Prädikationsweise, wie
Univokation oder Äquivokation, sondern sie bringt nur ein bestimmtes Verhält-
nis der Prädikationen zur Sprache. Falls die Schönheit allein von Gott oder nur
vom Geschöpf ausgesagt wird, spielt die analogische Prädikation keine Rolle.
Nur die Schönheit Gottes und die Schönheit der Geschaffenen stehen zueinander
in einem analogen Verhältnis. Zweitens verknüpft Thomas die logische Analogie-
prädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-Hin-Verhältnis, um die Vorrangig-
keit Gottes hervorzuheben. Obwohl Thomas nur von analogia praedicationis
redet, ist die Spur der analogia entis schon zu finden.
In der Theoriebildung der rationalen Theologie verwendet Thomas eine Viel-
zahl aristotelischer Begriffe und Termini, z. B. Vermögen-Verwirklichung (potentia-
actus, δύναμις-ἐνέργεια), Materialität-Immaterialität (materiale-immaeriale, μετὰ
ὕλης-ἄνευ ὕλης), Komplexität-Einfachheit (multipliciter-simpliciter, σύνθετον-ἁπ-
λοῦν), Endlichkeit-Unendlichkeit (finitum-infinitum, πεπερασμένον-ἄπειρον), Zeit-
lichkeit-Ewigkeit (temporalis-aeternus, χρόνος-ἀΐδιος), Äquivokation-Univokation
(aequivoce-univoce, ὁμωνύμως-συνωνύμως) usw. In der Erörterung über die prädi-
kative Analogie bezieht sich Thomas auf die Kategorienlehre des Aristoteles. Da
bei Thomas die Entfaltung seiner eigenen Theologie und die Auslegung der aristo-
telischen Philosophie miteinander eng zusammenhängen und aufeinander einwir-
ken, scheint es, als habe Aristoteles die Analogie auch im thomistischen Sinne
angewendet. Deswegen müssen wir uns auf die folgenden Fragen konzentrieren:
Erstens, ob die aristotelische Analogie nur als Prädikationsweise angesehen wird;
zweitens, ob und inwiefern die Analogie mit Pros-Hen identifiziert werden kann.
Zum einen kann die Analogie bei Aristoteles nicht auf die logische Prädikation be-
schränkt sein, denn die strukturelle Ähnlichkeit durchdringt Sein, Logos und Ver-
änderung. Zum anderen kann das Pros-Hen-Verhältnis nur dann mit der Analogie
gleichgesetzt werden, wenn die aristotelische Proportionalitätsanalogie die thomis-
tische Attributionsanalogie ersetzt. Ein klarer Beweis dafür liegt in einer Stelle der
Nikomachischen Ethik, wobei Von-Einem-her (ἀφ’ ἑνὸς) und Auf-Eines-hin (πρὸς
ἓν) zusammen mit der Analogie (κατ’ ἀναλογίαν) besprochen werden.

οὐκ ἔστιν ἄρα τὸ ἀγαθὸν κοινόν τι κατὰ μίαν ἰδέαν. ἀλλὰ πῶς δὴ λέγεται; οὐ γὰρ ἔοικε
τοῖς γε ἀπὸ τύχης ὁμωνύμοις. ἀλλ' ἆρά γε τῷ ἀφ' ἑνὸς εἶναι ἢ πρὸς ἓν ἅπαντα συντε-
λεῖν, ἢ μᾶλλον κατ' ἀναλογίαν; ὡς γὰρ ἐν σώματι ὄψις, ἐν ψυχῇ νοῦς, καὶ ἄλλο δὴ ἐν
ἄλλῳ. – EN A4, 1096b25–29

In dem Kontext geht es um die Frage, wie die verschiedenen Seienden gemein-
sam als das Gute bezeichnet werden. Das Gute ist nicht etwas Gemeinsames,
das anhand einer einzigen Idee gebildet wird. Die Gleichnamigkeit ist weder
auf eine einzige Idee zurückzuführen noch kommt sie den verschiedenen
40 1 Metaphysik

Dingen zufällig zu, sondern sie beruht auf der strukturellen bzw. der funktiona-
len Ähnlichkeit (ἄλλο ἐν ἄλλῳ). Die Vernunft und die Sehkraft werden z.
B. deswegen gleichermaßen als etwas Gutes bezeichnet, weil die Vernunft in
der Seele so funktioniert wie die Sehkraft in den Augen. Wie das Sehvermögen
die sinnliche Anschauung ermöglicht, so macht das Denkvermögen die intel-
lektuelle Anschauung möglich. Die Analogie (κατ’ ἀναλογίαν) führt zum ein-
heitlichen Begriffsgebrauch, sodass die Sehkraft und die Vernunft von einem
gemeinsamen Begriff, nämlich dem Guten, zusammengefasst werden (ἀφ’ ἑνὸς)
und darauf hinweisen (πρὸς ἓν συντελεῖν). Im vorliegenden Zusammenhang ist
deutlich einzusehen, dass Aristoteles die Analogie im Sinn der strukturellen
bzw. der funktionalen Ähnlichkeit gebraucht. Demnach zeigt die Proportionali-
tätsanalogie keineswegs die Rückführung der einen Sache auf die andere
(unum ad alterum), sondern die zwei Verhältnisse gehen auf ein gemeinsames
Drittes zurück (duo ad aliquod tertium).54

54 Neben der Rückführung der einen Sache auf die andere erwähnt Thomas ein anderes Mo-
dell, nämlich die Rückführung beider Sachen auf ein Drittes. (1) De potentia q.7 a.7 co.
[60238]: „Et ideo aliter dicendum est, quod de Deo et creatura nihil praedicetur univoce; non
tamen ea quae communiter praedicantur, pure aequivoce praedicantur, sed analogice. Huius
autem praedicationis duplex est modus. Unus quo aliquid praedicatur de duobus per
respectum ad aliquod tertium, sicut ens de qualitate et quantitate per respectum ad substan-
tiam. Alius modus est quo aliquid praedicatur de duobus per respectum unius ad alterum,
sicut ens de substantia et quantitate. In primo autem modo praedicationis oportet esse ali-
quid prius duobus, ad quod ambo respectum habet, sicut substantia ad quantitatem et quali-
tatem; in secundo autem non, sed necesse est unum esse prius altero. Et ideo cum Deo nihil
sit prius, sed ipse sit prior creatura, competit in divina praedicatione secundus modus analo-
giae, et non primus.“ (2) Summa contra Gentiles lib.1 cap.34 n.1 [23816]: „Quod quidem dupli-
citer contingit: uno modo, secundum quod multa habent respectum ad aliquid unum: sicut
secundum respectum ad unam sanitatem animal dicitur sanum ut eius subiectum, medicina
ut eius effectivum, cibus ut conservativum, urina ut signum. Alio modo, secundum quod
duorum attenditur ordo vel respectus, non ad aliquid alterum, sed ad unum ipsorum: sicut
ens de substantia et accidente dicitur secundum quod accidens ad substantiam respectum
habet, non quod substantia et accidens ad aliquid tertium referantur. Huiusmodi igitur no-
mina de Deo et rebus aliis non dicuntur analogice secundum primum modum, oporteret
enim aliquid Deo ponere prius: sed modo secundo.“ (3) Aertsen 2012: 269. Was aber Aristote-
les in der Kategorienlehre betont, ist weder die Rückführung des Akzidenz auf die Substanz,
noch dass das Akzidenz und die Substanz auf das Sein zurückzuführen sind. Sondern alle
Kategorien, entweder akzidentell oder substanziell, richten sich auf die zugrundeliegende
Einzelsubstanz aus. Dementsprechend werden alle Prädikate, seien sie akzidentell, seien sie
wesentlich, vom zugrundeliegenden Subjekt ausgesagt, sodass sowohl die Akzidenz- als
auch die Wesensprädikation durch dieselbe Prädikationsstruktur von Subjekt und Prädikat
konstituiert sein müssen.
1.2 Analogie 41

Daher liegt der wesentliche Unterschied zwischen Attributions- und Pro-


portionalitätsanalogie erstens darin, dass jene die ontologische Priorität,
diese aber die strukturelle Ähnlichkeit hervorhebt. Zweitens trägt die thomis-
tische Attributionsanalogie zur Prädikation bei, während die aristotelische
Proportionalitätsanalogie nicht zur Prädikation, sondern zur Begriffsbildung
dient. Thomas richtet seine Aufmerksamkeit darauf, auf welche Art und Weise
dieselben Transzendentalien (unum, bonum, verum) von Gott und Geschöpf
prädiziert werden können. Ohne die sachliche Verschiedenheit preiszugeben,
konstituiert das aristotelische Analogiemodell die Einheit des Begriffs. Denn
bei der aristotelischen Proportionalitätsanalogie geht es darum, wie es
kommt, dass die verschiedenen Seienden nicht zufällig durch denselben Be-
griff zu bezeichnen sind (z. B. Sein, Gutes, Gesundheit oder Heilkunst). Drit-
tens hat die Attributionsanalogie, formal gesehen, keine Verbindung mit dem
mathematischen Ursprung der Analogie. Bei der Proportionalitätsanalogie
aber steht das ursprünglich mathematische Verhältnis immer im Hintergrund.
Viertens handelt es sich bei der Attributionsanalogie um den sachlichen Ver-
gleich, während die analogia proportionis auf die Gleichheit der Verhältnisse
hinweist (ἡ ἀναλογία ἰσότης ἐστὶ λόγων). So verlangt die Proportionalitätsanalo-
gie mindestens vier Glieder (ἐν τέτταρσιν ἐλαχίστοις), damit A zu B und C zu D
in demselben Verhältnis stehen. Die Tatsache, dass Thomas das Verhältnis von
Gott und Geschöpf (Deus-creatura) mit dem Verhältnis von Substanz und Akzi-
denz (substantia-accidentia) vergleicht, weist andeutungsweise darauf hin, dass
die Attributionsanalogie letztendlich auf die Proportionalitätsanalogie zurück-
zuführen sein muss. Die Schönheit wird von Gott und Geschöpf so prädiziert,
wie das Sein von Substanz und Akzidenz ausgesagt wird. Aufgrund der Propor-
tionalitätsanalogie von Substanz-Akzidenz und Gott-Geschöpf ist die Attribu-
tionsanalogie aufzustellen.
Auf den ersten Blick scheint die von den Hochscholastikern entwickelte
analogia attributionis bzw. analogia entis dem platonischen Analogiemodell
sehr ähnlich zu sein. Denn die kreative Beziehung zwischen Schöpfer und Ge-
schöpf (Deus-creatura) kann problemlos anhand des Vorbild-Nachbild-
Musters (παράδειγμα-εἰκών) wiedergegeben werden, das Platon ausdrücklich
als Analogie bezeichnet (Tim. 29b3–7, 29b9–c3). Aber man kann die grund-
sätzliche Differenz der mittelalterlichen Attributionsanalogie von der griechi-
schen Proportionsanalogie nicht übersehen. Platon und Aristoteles stimmen
darin überein, dass die ontologische Entsprechung/Ähnlichkeit (ὁμοιότης)
ohne eine Verhältnisgleichheit (ἀναλογία) nicht aufgestellt werden kann.
Demzufolge ist es kein sprachlicher Zufall, dass sowohl Platon als auch Aris-
toteles die Ähnlichkeit und die Analogie terminologisch für identisch halten
42 1 Metaphysik

(ὁμοιότης = ἀναλογία).55 Ursprünglich muss die ontologische Entsprechung auf


eine bestimmte strukturelle Ähnlichkeit zurückgreifen, die für die platonisch-
aristotelische Proportionalitätsanalogie charakteristisch ist. Im Folgenden richten
wir die Aufmerksamkeit auf die Analogietheorie von Platon, nicht nur deswegen,
weil Platon als Erster die Analogie in die Philosophie einführt (HWP: 215), sondern
vornehmlich deshalb, weil Platon das Urmuster der Proportionalitätsanalogie pa-
radigmatisch darstellt.
Platon wendet die Analogie dreifach an, und zwar in der Ethik-Politik,56 in der
Kosmologie57 und in der Metaphysik. Wir legen den Akzent auf die metaphysische

55 Platon Resp. 368d1–7, 368e8–369a3: δικαιοσύνη ἐν ταῖς πόλεσι-δικαιοσύνη ἐν ἑνὶ ἑκάστῳ –


ὁμοιότης; 508b12–508c2: ἐν τῷ νοητῷ τόπῳ-ἐν τῷ ὁρατῷ τόπῳ – ἀνάλογον; 509c5–6: ἄγαθον-
ἥλιος – ὁμοιότης. Aristoteles PA B7, 652b23–26; B7, 653a10–12; Γ2, 662b23–26; GA A1,
715b16–21; Top. A17, 108a7–12; EN A6, 1096b28–29.
56 Die ethisch-politische Anwendung der Analogie zeigt sich in der strukturellen Ähnlichkeit
von Seele und Polis (Resp. 368e8–369a3, 368d1–7: ψυχή-πόλις – ὁμοιότης). Die strukturelle
Ähnlichkeit von Seele und Polis ist dadurch aufzustellen, dass die drei staatlichen Klassen,
nämlich Nähr-, Wehr- und Lehrstand, mit den drei Seelenteilen von Begierde, Mut und Ver-
nunft korrespondieren. Die Übereinstimmung besteht darin, dass die drei Kandinaltugenden
von Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit sowohl den drei Seelenteilen innewohnen als
auch den drei Staatsklassen zugeteilt sind. Die übergeordnete Tugend der Gerechtigkeit
kommt nur dann zustande, wenn die drei Seelenteile und die drei Staatsklassen naturgemäß
geordnet sind. Im Falle, dass die Vernunft mithilfe des Mutes die niedrigen Begierden domi-
niert, tritt die seelische Gerechtigkeit in Erscheinung. Analog dazu soll in der gerechten Polis
der vernünftige Philosophenkönig zusammen mit den mutigen Soldaten die normalen Staats-
bürger beherrschen. Kurz und bündig gesagt ist die Analogie von Seele und Polis folgenderma-
ßen zu formulieren: So wie die drei Seelenteile miteinander zusammenhängen, sollen sich
auch die drei gesellschaftlichen Klassen zu einer Polis zusammenfügen.
57 Platon hat eine kosmologische Verwendung der Analogie anzubieten. Die Analogie wird
deswegen als kosmologisches Ordnungsprinzip angesehen, weil Gott anhand der bestimmten
Proportion die sichtbare und ertastbare Welt schuf. Vorausgesetzt, dass die vier Grundele-
mente schon vor der Schöpfung existieren, setzt der Schöpfergott Luft und Wasser inmitten
von Feuer und Erde. Diese vier sind von Gott möglichst proportional einzuordnen, so dass
Feuer zu Luft, Luft zu Wasser und Wasser zu Erde in demselben Verhältnis steht (οὕτω δὴ
πυρός τε καὶ γῆς ὕδωρ ἀέρα τε ὁ θεὸς ἐν μέσῳ θείς, καὶ πρὸς ἄλληλα καθ’ ὅσον ἦν δυνατὸν ἀνὰ
τὸν αὐτὸν λόγον ἀπεργασάμενος, ὅτιπερ πῦρ πρὸς ἀέρα, τοῦτο ἀέρα πρὸς ὕδωρ, καὶ ὅτι ἀὴρ
πρὸς ὕδωρ, ὕδωρ πρὸς γῆν, συνέδησεν καὶ συνεστήσατο οὐρανὸν ὁρατὸν καὶ ἁπτόν – Tim.
32b3–8). Indem die vier Elemente miteinander verbunden und kombiniert sind, wird der Kör-
per des Kosmos durch die Analogie, d. h. durch dieselbe Proportion, erzeugt (καὶ διὰ ταῦτα ἔκ
τε δὴ τούτων τοιούτων καὶ τὸν ἀριθμὸν τεττάρων τὸ τοῦ κόσμου σῶμα ἐγεννήθη δι’ ἀναλογίας
ὁμολογῆσαν, [. . .] – Tim. 32b8–c2; καὶ δὴ καὶ τὸ τῶν ἀναλογιῶν περί τε τὰ πλήθη καὶ τὰς κινήσ-
εις καὶ τὰς ἄλλας δυνάμεις πανταχῇ τὸν θεόν, ὅπῃπερ ἡ τῆς ἀνάγκης ἑκοῦσα πεισθεῖσά τε
φύσις ὑπεῖκεν, ταύτῃ πάντῃ δι’ ἀκριβείας ἀποτελεσθεισῶν ὑπ’ αὐτοῦ συνηρμόσθαι ταῦτα ἀνὰ
λόγον – Tim. 56c3–7). Indem Gott weiterhin alle Dinge, die sich im ungeordneten Zustand
1.2 Analogie 43

Anwendung der Analogie, da Platon die Proportionalitätsanalogie im Kernstück


seiner Metaphysik, nämlich in der Zwei-Welten-Theorie, entfaltet. Dabei tritt die
mathematische Proportion in den Hintergrund, der ontologische Sinn der Analogie
aber in den Vordergrund. Denn es geht nicht um die zahlenmäßige Proportion,
sondern um das Entsprechungsverhältnis von Seins- und Erkenntnissphäre, das
zuerst zwiefältig zustande kommt. Dem Zwiespalt von Sein und Werden (οὐσία-γέ-
νεσις) entsprechend ist das Erkenntnisvermögen in Denken und Meinen (νόησις-
δόξα) einzuteilen (Tim. 29b9–c3, 29b3–4; Prm. 132c12–d4, 133c8–d5; Resp.
534a2–3). Indem das Sein zum Werden und das Denken zum Meinen in demselben
Verhältnis steht (οὐσία : γένεσις = νόησις : δόξα – Tim. 29b9–29c3; Resp. 534a3–8),
besteht die ontologisch-epistemologische Übereinstimmung darin, dass das Sein
nur gedacht und das Werden bloß in der Meinung geäußert werden kann (οὐσία :
νόησις = γένεσις : δόξα – Resp. 534a1–3).
Des Weiteren präzisiert Platon die strukturelle Entsprechung von Sein und
Denken, indem Seins- und Erkenntnisbereich viergliedrig einzuteilen sind. Im
Liniengleichnis (Resp. 509d8–9, 511e3, 534a6) ist der ganze Seinsbereich als
eine Linie vorzustellen. Dadurch dass die Linie ungleich in zwei Abschnitte ge-
gliedert wird, fallen Sein und Werden, d. h. denkbares und sichtbares Gebiet,
auseinander. Anhand desselben Verhältnisses diversifiziert sich der denkbare
Seinsbereich weiter in Ideen und mathematische Gegenstände und der sicht-
bare Seinsbereich in Lebewesen und Schattenbilder (Resp. 509d6–e1). Da der
gesamte Seinsbereich durch dieselbe Proportion dreimal geteilt wird, verhalten
sich das Gedachte zum Gesehenen, die Ideen zu den geometrisch-logischen Ge-
genständen und die Lebewesen zu den Schattenbildern analog (νοούμενον :
ὁρωμένον = εἴδη : πραγματευόμενοι περὶ τὰς γεωμετρίας τε καὶ λογισμοὺς =
ζῷα : εἰκόνα). Mittels derselben Proportion lässt sich andererseits das Er-
kenntnisvermögen in Denken und Meinen einteilen. Ebenso ist das Denken in
noetisches und dianoetisches Denken zu unterteilen, das Meinen aber in
Glauben und Vermuten (Resp. 511c4–d5). Wie das Denken zum Meinen steht,
so steht das noetische Denken zum dianeotischen Denken und das Glauben
zum Vermuten (νοῦς : δόξα = νόησις : διάνοια = πίστις : εἰκασία – Resp.
511d6–e4). Außer dass das Denken mit dem Sein und das Meinen mit dem Wer-
den in Übereinstimmung stehen, ergibt sich aufgrund der Vierteilung die

befanden, zu sich selbst und zueinander in eine harmonische Ordnung setzt, sind die Dinge
analog und symmetrisch (ὥσπερ γὰρ οὖν καὶ κατ’ ἀρχὰς ἐλέχθη, ταῦτα ἀτάκτως ἔχοντα ὁ θεὸς
ἐν ἑκάστῳ τε αὐτῷ πρὸς αὑτὸ καὶ πρὸς ἄλληλα συμμετρίας ἐνεποίησεν, ὅσας τε καὶ ὅπῃ δυνα-
τὸν ἦν ἀνάλογα καὶ σύμμετρα εἶναι – Tim. 69b2–5). Anhand der bestimmten Proportion hat der
platonische Schöpfergott nicht nur die irdischen Körper aus Grundelementen geschaffen, son-
dern auch die Dinge zueinander in ein harmonisches Verhältnis gebracht.
44 1 Metaphysik

vierfache Entsprechung von Erkennen und Sein. Noetisches Denken stimmt näm-
lich mit Ideen, dianoetisches Denken mit logisch-mathematischen Gegenstän-
den, Glauben mit Lebewesen und Vermuten mit Schattenbildern überein.
Anhand der Analogie ist nicht nur die Übereinstimmung von Seins- und Er-
kenntnissphäre zu erörtern, sondern auch der Urgrund der ontologisch-
epistemologischen Entsprechung. Das Sonnengleichnis bringt zum Ausdruck,
dass die Sonne den sinnlichen Bereich beherrscht und das Gute den intelligiblen
Bereich (Resp. 508b12–508c2, 509d1–4). Analog zur Sonne, die das Sehen und
das Gesehenwerden zur Deckung bringt, vereinigt das Gute das Denken und das
Gedachtwerden. Das Sichtbare kann nur durch die Beleuchtung des Lichts gese-
hen werden (φῶς – Resp. 507d11–e4), dessen Quelle die Sonne ist. Ähnlich muss
das Denkbare durch die Vermittlung der Wahrheit (ἀληθεία – Resp.
508e6–509a5) wahrhaft gedacht werden, die vom Guten herrührt. Außerdem er-
möglicht die Sonne nicht nur, dass die sichtbaren Dinge gesehen werden, son-
dern auch, diese entstehen und wachsen zu lassen (Resp. 509b2–4). Analog dazu
macht das Gute nicht nur die Erkenntnis der denkbaren Seienden möglich, son-
dern auch und vor allem verleiht es ihnen ihre Wesenheit sowie Substantialität
(Resp. 509b6–8). Wie die Sonne über das Werden hinausgeht, ist das Gute dem
Sein an Würde und Macht überlegen (Resp. 509b8–10). Insgesamt ist die Analo-
gie zwischen der intelligiblen und der sensiblen Welt dadurch konstituiert, dass
sich das Gute ebenso auf Denken und Gedachtwerden bezieht, wie sich die
Sonne zu Sehen und Gesehenwerden verhält (Τοῦτον τοίνυν, ἦν δ’ ἐγώ, φάναι με
λέγειν τὸν τοῦ ἀγαθοῦ ἔκγονον, ὃν τἀγαθὸν ἐγέννησεν ἀνάλογον ἑαυτῷ, ὅτιπερ
αὐτὸ ἐν τῷ νοητῷ τόπῳ πρός τε νοῦν καὶ τὰ νοούμενα, τοῦτο τοῦτον ἐν τῷ
ὁρατῷ πρός τε ὄψιν καὶ τὰ ὁρώμενα – Resp. 508b12–508c2).
Wie gezeigt wurde, trägt die platonische Proportionalitätsanalogie meta-
physisch dazu bei, die Entsprechung von Seins- und Erkennenssphäre zu ver-
deutlichen. Wie der Name besagt, konzentriert sich die Onto-logie immer auf
das Verhältnis von Sein (τὸ ὂν) und Logos (λόγος), nämlich darauf, wie der
Logos bzw. das Denken das Seiende wahrhaft begreift. Platons Meinung nach
ist die ontologisch-epistemologische Übereinstimmung jeweils in einem über-
geordneten Prinzip verwurzelt, nämlich im Sichtbaren bei der Sonne und im
Denkbaren beim Guten. Indem das übergreifende Prinzip im sichtbaren und
denkbaren Bereich aufgehoben wird, ist Aristoteles der Auffassung, dass das
übereinstimmende Verhältnis von Sein und Logos auf deren ähnliche Struktur
zurückgeht. Außerdem ist diese ähnliche Struktur nicht auf das Sein und den
Logos beschränkt, sondern sie breitet sich bis hinein in die Veränderung aus.
So ist es für die aristotelische Metaphysik charakteristisch, dass die Verände-
rung in die metaphysische Untersuchung einbezogen ist. Während Platon die
zweifache Korrespondenz von Sein und Logos/Denken zum zentralen Thema
1.2 Analogie 45

macht (ὂν-λόγος), hebt Aristoteles die dreifache Übereinstimmung von Sein,


Logos und Veränderung hervor (ὂν-λόγος-μεταβολή). Wir nennen die dreifache
Übereinstimmung die Analogie von Sein, Logos und Veränderung, die den
Hauptteil dieser Arbeit ausmacht. Da Aristoteles in den überlieferten Schriften
die Analogie nicht ausdrücklich in diesem Sinne verwendet, müssen wir genau
auf die Texte eingehen. Anhand einer ausführlichen Textanalyse und einer sys-
tematischen Rekonstruktion bringen wir die allgemeine und fundamentale
Struktur der aristotelischen Analogie ans Licht.
Im ersten Schritt müssen wir uns klarmachen, dass Aristoteles, um die
strukturelle Ähnlichkeit auszusprechen, mehrere äquivalenten Begriffe bzw.
Ausdrücke anwendet. Vor allem hält Aristoteles ἀναλογία und ὁμοιότης für
äquivalent und verwendet die beiden Begriffe als Synonyme:

ὅσα δὲ μὴ πορευτικὰ καθάπερ τὰ ὀστρακόδερμα τῶν ζῴων καὶ τὰ ζῶντα τῷ προσ-


πεφυκέναι, διὰ τὸ παραπλησίαν αὐτῶν εἶναι τὴν οὐσίαν τοῖς φυτοῖς, ὥσπερ οὐδ’ ἐν ἐκεί-
νοις οὐδ’ ἐν τούτοις ἐστὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν ἀλλ’ ἤδη καθ’ ὁμοιότητα καὶ κατ’
ἀναλογίαν λέγεται. – GA A1, 715b16–2158

Des Weiteren lässt sich der Ausdruck „anhand der Analogie“ (κατ’ ἀναλογίαν)
mit „Von-Einem-her“ (ἀφ’ ἑνὸς) und mit „Auf-Eines-hin“ (πρὸς ἓν) gleichset-
zen. Im Kontext der Ethik zieht Aristoteles das Gute als Paradigma heran, geht
aber davon aus, dass das Gute mehrdeutig ist.

ἔτι δ' ἐπεὶ τἀγαθὸν ἰσαχῶς λέγεται τῷ ὄντι (καὶ γὰρ ἐν τῷ τί λέγεται, οἷον ὁ θεὸς καὶ ὁ
νοῦς, καὶ ἐν τῷ ποιῷ αἱ ἀρεταί, καὶ ἐν τῷ ποσῷ τὸ μέτριον, καὶ ἐν τῷ πρός τι τὸ
χρήσιμον, καὶ ἐν χρόνῳ καιρός, καὶ ἐν τόπῳ δίαιτα καὶ ἕτερα τοιαῦτα), δῆλον ὡς οὐκ
ἂν εἴη κοινόν τι καθόλου καὶ ἕν· οὐ γὰρ ἂν ἐλέγετ' ἐν πάσαις ταῖς κατηγορίαις, ἀλλ' ἐν
μιᾷ μόνῃ. – EN A4, 1096a23–2959

58 (1) EN A4, 1096b28–29: [. . .] ἢ μᾶλλον κατ’ ἀναλογίαν; ὡς γὰρ ἐν σώματι ὄψις, ἐν ψυχῇ
νοῦς, καὶ ἄλλο δὴ ἐν ἄλλῳ. (2) Top. A17, 108a7–12: Τὴν δὲ ὁμοιότητα σκεπτέον ἐπί τε τῶν ἐν
ἑτέροις γένεσιν, [. . .] καὶ ὡς ἕτερον ἐν ἑτέρῳ τινί, οὕτως ἄλλο ἐν ἄλλῳ, οἷον ὡς ὄψις ἐν
ὀφθαλμῷ, νοῦς ἐν ψυχῇ, καὶ ὡς γαλήνη ἐν θαλάσσῃ, νηνεμία ἐν ἀέρι. (3) PA B7, 652b23–26:
Καὶ διὰ τοῦτο τὰ ἔναιμα ἔχει πάντα ἐγκέφαλον, τῶν δ’ ἄλλων οὐδὲν ὡς εἰπεῖν, πλὴν ὅτι κατὰ
τὸ ἀνάλογον, οἷον ὁ πολύπους· ὀλιγόθερμα γὰρ πάντα διὰ τὴν ἀναιμίαν. (4) PA B7, 653a10–12:
ποιεῖ δὲ καὶ τὸν ὕπνον τοῖς ζῴοις τοῦτο τὸ μόριον τοῖς ἔχουσιν ἐγκέφαλον, τοῖς δὲ μὴ ἔχουσι τὸ
ἀνάλογον. (5) PA Γ2, 662b23–26: Περὶ δὲ κεράτων λεκτέον· καὶ γὰρ ταῦτα πέφυκε τοῖς ἔχουσιν
ἐν τῇ κεφαλῇ. Ἔχει δ’ οὐδὲν μὴ ζῳοτόκον. Καθ’ ὁμοιότητα δὲ καὶ μεταφορὰν λέγεται καὶ ἑτέ-
ρων τινῶν κέρατα.
59 EE A8, 1217b25–33: πολλαχῶς γὰρ λέγεται καὶ ἰσαχῶς τῷ ὄντι τὸ ἀγαθόν. τό τε γὰρ ὄν,
ὥσπερ ἐν ἄλλοις διῄρηται, σημαίνει τὸ μὲν τί ἐστί, τὸ δὲ ποιόν, τὸ δὲ ποσόν, τὸ δὲ πότε, καὶ
πρὸς τούτοις τὸ μὲν ἐν τῷ κινεῖσθαι τὸ δὲ ἐν τῷ κινεῖν, καὶ τὸ ἀγαθὸν ἐν ἑκάστῃ τῶν πτώσεών
46 1 Metaphysik

Der Mehrdeutigkeit des Seienden entsprechend wird das Gute auf vielfältige
Weise ausgesagt. Wie sich das Seiende in die Kategorien ausdifferenziert, so ist
das Gute in die Kategorien auszudifferenzieren (τὸ δ’ ἀγαθὸν λέγεται καὶ ἐν τῷ
τί ἐστι καὶ ἐν τῷ ποιῷ καὶ ἐν τῷ πρός τι – EN A4, 1096a19–20). Mit dem Guten
ist daher so etwas gemeint wie der Gott/Geist in der Substanz, die Tugend/Ge-
rechtigkeit in der Qualität,60 das rechte Maß in der Quantität, die Nützlichkeit
in der Relation, die passende Gelegenheit in der Zeit, der gesunde Aufenthalts-
ort in Bezug auf den Ort, das Lehren und das Lernen in Bezug auf die Tätigkeit
usw. Der Sache nach sind der substanzielle Gott/Geist, die qualitative Tugend/
Gerechtigkeit, das quantitative Maß, die relationale Nutzung, die zeitliche Gele-
genheit, der räumliche Aufenthaltsort und die aktiv-passive Tätigkeit völlig un-
terschiedlich. Trotzdem werden Gott/Geist, die Tugend/Gerechtigkeit, das Maß,
die Nutzung, die Gelegenheit, der Aufenthaltsort, das Lehren und das Lernen
jeweils als das Gute bezeichnet. Darum lässt sich die Frage stellen, wie die ver-
schiedenen Seienden gemeinsam als das Gute bezeichnet werden können.

οὐκ ἔστιν ἄρα τὸ ἀγαθὸν κοινόν τι κατὰ μίαν ἰδέαν. ἀλλὰ πῶς δὴ λέγεται; οὐ γὰρ
ἔοικε τοῖς γε ἀπὸ τύχης ὁμωνύμοις. ἀλλ' ἆρά γε τῷ ἀφ' ἑνὸς εἶναι ἢ πρὸς ἓν ἅπαντα
συντελεῖν, ἢ μᾶλλον κατ' ἀναλογίαν; ὡς γὰρ ἐν σώματι ὄψις, ἐν ψυχῇ νοῦς, καὶ
ἄλλο δὴ ἐν ἄλλῳ. – EN A4, 1096b25–29

Aristoteles macht nachdrücklich klar, dass das Gute nicht etwas Gemeinsames
ist, das anhand einer einzigen Idee gebildet wird. Im Gegensatz zur überkatego-
rialen Einheit der Idee des Guten spricht Aristoteles vom querkategorialen
Guten, das alle zehn Kategorien durchdringt. Anders gesagt ist die Begriffsein-
heit, von der die Rede ist, nicht überkategorial (platonisch), sondern querkate-
gorial (aristotelisch). Eine querkategoriale Begriffseinheit, die weder auf die
platonische Idee zurückzuführen ist noch zufälligerweise gebildet wird, ergibt
sich, indem das Jeweilige aufgrund der Analogie bzw. der Strukturähnlichkeit
das Gute genannt wird. Die Sehkraft und die Vernunft werden deshalb nicht
auf zufällige Weise als das Gute bezeichnet (οὐκ ἀπὸ τύχης ὁμωνύμοις), weil
die Sehkraft in den Augen und die Vernunft in der Seele im analogen Verhältnis

ἐστι τούτων, ἐν οὐσίᾳ μὲν ὁ νοῦς καὶ ὁ θεός, ἐν δὲ τῷ ποιῷ τὸ δίκαιον, ἐν δὲ τῷ ποσῷ τὸ μέτ-
ριον, ἐν δὲ τῷ πότε ὁ καιρός, τὸ δὲ διδάσκον καὶ τὸ διδασκόμενον περὶ κίνησιν.
60 In der Nikomachischen Ethik bezeichnet Aristoteles das qualitativ Gute als Tugend, in der
Eudemischen Ethik aber als Gerechtigkeit. In Bezug auf das qualitativ Gute sind Gerechtigkeit
und Tugend deswegen konvertibel, weil laut Aristoteles die Gerechtigkeit nicht ein Teil der Tu-
gend, d. h. eine einzelne Tugend, sondern die Tugend überhaupt ist. Dementsprechend gilt die
Ungerechtigkeit nicht als einzelnes Schlechtes, sondern als das Schlechte schlechthin. Vgl. EN
E1, 1130a8–10, 1129b27–30.
1.2 Analogie 47

stehen (κατ’ ἀναλογίαν). Die Analogie greift auf die strukturelle Ähnlichkeit zu-
rück (ἄλλο ἐν ἄλλῳ) und führt zum einheitlichen Begriffsgebrauch. So werden
die beiden verschiedenen Seienden, d. h. die Sehkraft und die Vernunft, von
einem gemeinsamen Begriff, nämlich vom Guten, zusammengefasst (ἀφ’ ἑνὸς
εἶναι) und weisen auf es hin (πρὸς ἓν συντελεῖν).

Πάλιν δ' ἐπανέλθωμεν ἐπὶ τὸ ζητούμενον ἀγαθόν, τί ποτ' ἂν εἴη. φαίνεται μὲν γὰρ ἄλλο ἐν
ἄλλῃ πράξει καὶ τέχνῃ· ἄλλο γὰρ ἐν ἰατρικῇ καὶ στρατηγικῇ καὶ ταῖς λοιπαῖς ὁμοίως. τί οὖν
ἑκάστης τἀγαθόν; ἢ οὗ χάριν τὰ λοιπὰ πράττεται; τοῦτο δ' ἐν ἰατρικῇ μὲν ὑγίεια, ἐν στρα-
τηγικῇ δὲ νίκη, ἐν οἰκοδομικῇ δ' οἰκία, ἐν ἄλλῳ δ' ἄλλο, ἐν ἁπάσῃ δὲ πράξει καὶ προαιρέσει
τὸ τέλος· τούτου γὰρ ἕνεκα τὰ λοιπὰ πράττουσι πάντες. – EN A5, 1097a15–22

Durch den Ausdruck „ἀφ’ ἑνὸς καὶ πρὸς ἓν“ ist die aristotelische Begriffseinheit,
die weder auf die platonische Idee (d. h. die Gattungseinheit) zurückzuführen
noch auf zufällige Weise aufzustellen ist, gekennzeichnet. Die Begriffseinheit be-
ruht letztendlich auf der strukturellen Ähnlichkeit (ἄλλο ἐν ἄλλῳ). In der Heilkunst
ist die Gesundheit, in der Strategik der Sieg und in der Baukunst das Haus als das
Gute zu bezeichnen. Trotz des sachlichen Unterschieds werden die Gesundheit,
der Sieg und das Haus das Gute genannt, und zwar aufgrund der Analogie.
Des Weiteren bezeichnet Aristoteles die analogische Begriffseinheit, worauf die
Ausdrücke „Vom-Einen-her“, „Auf-Eines-hin“ und „nicht zufälliges Gleichnamiges“
hinweisen, offenkundig als ὁμώνυμον (d. h. „notwendiges Gleichnamiges“).

Σκοπεῖν δὲ καὶ τὰ γένη τῶν κατὰ τοὔνομα κατηγοριῶν, εἰ ταὐτά ἐστιν ἐπὶ πάντων· εἰ γὰρ μὴ
ταὐτά, δῆλον ὅτι ὁμώνυμον τὸ λεγόμενον. οἷον τὸ ἀγαθὸν ἐν ἐδέσματι μὲν τὸ ποιητικὸν
ἡδονῆς, ἐν ἰατρικῇ δὲ τὸ ποιητικὸν ὑγιείας, ἐπὶ δὲ ψυχῆς τὸ ποιὰν εἶναι, οἷον σώφρονα ἢ
ἀνδρείαν ἢ δικαίαν· ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ ἀνθρώπου. ἐνιαχοῦ δὲ τὸ ποτέ, οἷον τὸ ἐν τῷ καιρῷ
ἀγαθόν· ἀγαθὸν γὰρ λέγεται τὸ ἐν τῷ καιρῷ. πολλάκις δὲ τὸ ποσόν, οἷον ἐπὶ τοῦ μετρίου·
λέγεται γὰρ καὶ τὸ μέτριον ἀγαθόν. ὥστε ὁμώνυμον τὸ ἀγαθόν. – Top. A15, 107a3–1261

Die Seienden, die nicht zu derselben Gattung gehören, können auf notwendige
Weise das Gute genannt werden. Das Lust-Machende beim Essen, das Gesundheit-
Machende in der Heilkunst, die Tugend in der Seele (Besonnenheit, Tapferkeit

61 (1) Top. A15, 107a12–17: ὡσαύτως δὲ καὶ τὸ λευκὸν ἐπὶ σώματος μὲν χρῶμα, ἐπὶ δὲ φωνῆς
τὸ εὐήκοον. παραπλησίως δὲ καὶ τὸ ὀξύ· οὐ γὰρ ὡσαύτως ἐπὶ πάντων τὸ αὐτὸ λέγεται· φωνὴ
μὲν γὰρ ὀξεῖα ἡ ταχεῖα, καθάπερ φασὶν οἱ κατὰ τοὺς ἀριθμοὺς ἁρμονικοί, γωνία δ’ ὀξεῖα ἡ ἐλάσ-
σων ὀρθῆς, μάχαιρα δὲ ἡ ὀξυγώνιος. (2) APo. B17, 99a7–16: εἰ μὲν ὁμώνυμα, ὁμώνυμον τὸ
μέσον, εἰ δ’ ὡς ἐν γένει, ὁμοίως ἕξει. οἷον διὰ τί καὶ ἐναλλὰξ ἀνάλογον; ἄλλο γὰρ αἴτιον ἐν
γραμμαῖς καὶ ἀριθμοῖς καὶ τὸ αὐτό γε, ᾗ μὲν γραμμή, ἄλλο, ᾗ δ’ ἔχον αὔξησιν τοιανδί, τὸ αὐτό.
οὕτως ἐπὶ πάντων. τοῦ δ’ ὅμοιον εἶναι χρῶμα χρώματι καὶ σχῆμα σχήματι ἄλλο ἄλλῳ. ὁμώνυ-
μον γὰρ τὸ ὅμοιον ἐπὶ τούτων· ἔνθα μὲν γὰρ ἴσως τὸ ἀνάλογον ἔχειν τὰς πλευρὰς καὶ ἴσας τὰς
γωνίας, ἐπὶ δὲ χρωμάτων τὸ τὴν αἴσθησιν μίαν εἶναι ἤ τι ἄλλο τοιοῦτον. τὰ δὲ κατ’ ἀναλογίαν
τὰ αὐτὰ καὶ τὸ μέσον ἕξει κατ’ ἀναλογίαν.
48 1 Metaphysik

oder Gerechtigkeit), die passende Gelegenheit in der Zeit und das rechte Maß in
Bezug auf die Quantität sind als das Gute zu bezeichnen. Anhand der strukturellen
Ähnlichkeit bildet sich die analogische Begriffseinheit, die Aristoteles selbst als
ὁμώνυμον bezeichnet.62
Erwähnenswert ist, dass die griechischen Kommentatoren die Ausdrücke
„Analogie“, „Vom-Einen-her“, „Auf-Eines-hin“ und „notwendiges Gleichna-
miges“, die Aristoteles für äquivalent hält, nicht als Äquivalente interpretie-
ren. Porphyrius (Porphyrii In Categoriarum 65.12–66.21) macht z. B. die
Differenz nachdrücklich klar, indem er das notwendige Gleichnamige (τὰ
ὁμώνυμα ἀπὸ διανοίας), das dem zufälligen Gleichnamigen (τὰ ὁμώνυμα ἀπὸ
τύχης) entgegensteht, in vier verschiedene Gruppen einteilt. In der ersten
Gruppe sind Sokrates und der gemalte Sokrates deswegen gleichnamig und
gemeinsam als Sokrates benannt, weil die beiden an einer gewissen Ähn-
lichkeit, nämlich an der Gestalt des Sokrates, teilhaben (καθ’ ὁμοιότητα). In
der zweiten Gruppe können die Monade, der Punkt, die Quelle und das Herz
gleichnamig sein und gemeinsam als Prinzip bezeichnet werden, da die Mo-
nade zur Zahl, der Punkt zur Linie, die Quelle zum Fluss und das Herz zum
Lebewesen im analogischen Verhältnis stehen (κατὰ ἀναλογίαν). Wie sich
die Monade auf die Zahl bezieht, bezieht sich der Punkt auf die Linie. Wie
sich die Quelle zum Fluss verhält, verhält sich das Herz zum Lebewesen. In der
dritten Gruppe können die verschiedenen Seienden, z. B. das Buch, die Medizin
und das Seziermesser, deshalb durch einen gemeinsamen Begriff, nämlich durch

62 Die querkategoriale Verwendung und die analogische Begriffseinheit zeigen sich am offen-
kundigsten beim Begriff des Guten. Außerdem kann derselbe Begriff, wie z. B. die Gesundheit
oder die Heilkunst, völlig verschiedene Sachen bezeichnen, indem ein und derselbe Begriff
querkategorial angewendet wird. Die querkategoriale Begriffseinheit, die über die Gattungs-
einheit hinausgeht, kann nur durch die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Kategorien gebildet
werden. Das Spazierengehen und die bestimmte Farbe des Gesichts sind gemeinsam als das
Gesunde zu bezeichnen, weil sich das eine zur Kategorie des Machens (ποιεῖν) und das andere
zur Qualität (ποιόν) analog verhält (Top. A15, 107b6–12; Metaph. Γ2, 1003a34–1003b1). Der
Arzt und der gesunde Patient hängen insofern begrifflich mit der Heilkunst zusammen, als der
Arzt die Heilkunst nicht nur innehat (ἔχειν), sondern auch durchführen kann (ποιεῖν). Der gut
behandelte Patient lässt sich als Werk der Heilkunst ansehen, da die Wesenheit der Gesund-
heit bei ihm konkretisiert und verwirklicht wird (ἔργον-οὐσία: Metaph. Γ2, 1003b1–3). Nichts
anderes als die Analogie ermöglicht es, die Mehrdeutigkeit des Seienden, die auf die katego-
riale Ausdifferenzierung zurückgreift, zu vereinigen (Τὸ δὲ ὂν λέγεται μὲν πολλαχῶς, ἀλλὰ
πρὸς ἓν καὶ μίαν τινὰ φύσιν [. . .] – Metaph. Γ2, 1003a33–34, 1003b5–6; Ἔτι δ’ ἄλλος τρόπος
ἐστὶ κατὰ τὸ ἀνάλογον ἐκλέγειν. ἓν γὰρ λαβεῖν οὐκ ἔστι τὸ αὐτό, ὃ δεῖ καλέσαι σήπιον καὶ
ἄκανθαν καὶ ὀστοῦν· ἔσται δ’ ἑπόμενα καὶ τούτοις ὥσπερ μιᾶς τινος φύσεως τῆς τοιαύτης
οὔσης – APo. B14, 98a20–23).
1.2 Analogie 49

das Ärztliche (τὸ ἰατρικόν), gekennzeichnet sein, weil sie vom einen gemeinsamen
Ursprung, d. h. von der Arznei (ἀπὸ μιᾶς οὔσης τῆς ἰατρικῆς), herkommen (ἀπό
τινος ἑνὸς). Das Buch ist insofern ärztlich, als man davon die ärztlichen Erkennt-
nisse lernen kann. Die Medizin ist ärztlich, da sie dazu dient, die körperliche Ge-
sundheit wiederherzustellen. Das Seziermesser ist dadurch ärztlich, dass es, um
den Kranken zu heilen, den Körper seziert und als Instrument funktioniert. In der
vierten Gruppe können das Trinken-Essen, das Spaziergehen und das Lesen ge-
meinsam als etwas Gesundes bezeichnet werden, aber nur dann, wenn sie auf
einen gemeinsamen Zweck (πρὸς ἓν τέλος), nämlich auf die Gesundheit, abzie-
len.63 Durch die Analyse der aristotelischen Analogie ist einleuchtend, dass es bei

63 Porphyrius und Simplicius teilen das notwendige Gleichnamige in vier Gruppen ein. Am-
monius und Philoponus machen die Einteilung des notwendigen Gleichnamigen komplizierter
als Porphyrius und Simplicius, da sie zwei andere Einteilungskriterien, nämlich die παρώνυμα
und die zeitliche Dimension, in die Einteilung einführen. Porphyrii In Categoriarum 65.
12–66.21:Ἀλλ’ ἐπεὶ τὸν ὅρον ἀποδέδωκας τῶν ὁμωνύμων, δεῖ δὲ καὶ παράδειγμα τούτων κομί-
σαι, ἆρά γε εἷς τρόπος ἐστὶ τῶν ὁμωνύμων, ἵνα καθ’ ἕνα τρόπον τοῦτον λαβόντες τὸ παρά-
δειγμα αὐτάρκως αὐτῶν ἔχωμεν τὴν διδασκαλίαν, ἢ πλείους εἰσὶν ὁμωνύμων τρόποι; Πλείους.
Τίνες οὗτοι;Ὡς μὲν ἀνωτάτω εἰπεῖν δύο, ὧν ὁ μέν ἐστιν ἀπὸ τύχης, ὁ δὲ ἀπὸ διανοίας. διελόντι
δὲ καὶ ἀπὸ διανοίας εἴς τε τὸν καθ’ ὁμοιότητα καὶ τὸν ἐκ τῆς ἀναλογίας καὶ τὸν ἀφ’ ἑνὸς καὶ
πρὸς ἓν οἱ πάντες ἔσονται τρόποι.Τίς οὖν ἐστιν ὁ ἀπὸ τύχης τρόπος;(1) Ἃ ὡς ἔτυχεν καὶ ἀνεπισ-
τάτως διάφορα πράγματα τῆς αὐτῆς ἔτυχε προσηγορίας, ὥσπερ Ἀλέξανδρός τε ὁ Πριάμου καὶ
Ἀλέξανδρος ὁ Φιλίππου ὁ Μακεδόνων βασιλεύσας. ταῦτα γὰρ κατὰ τύχην ὁμώνυμα εἶναι λέγε-
ται, (2) οἱ δὲ ἄλλοι ἀπὸ διανοίας εἶεν ἂν ἠρτημένοι, (2.1) ὅτι ὅ τε καθ’ ὁμοίωσιν συνιστάμενος
τρόπος τῆς ὁμωνυμίας, ὅταν φέρε ἄνθρωπόν τε προσαγορεύσω τὸ ζῷον λογικὸν θνητὸν καὶ
εἰκόνα ἀνθρώπου, ὅταν ἰδὼν λέγω ὅτι ‚ἄνθρωπος τοῦτο‘, δηλονότι οὐχ ὡς ἔτυχεν καὶ τὸ ἐν τῇ
εἰκόνι γράμμα καλῶ ἄνθρωπον, ἀλλ’ ὅτι ὁμοίωμά ἐστι τοῦ ζῶντος ἀνθρώπου· ἀπὸ διανοίας οὖν
ἄνθρωπόν τε τὸν ζῶντα καὶ τὸν ἀνδριάντα ἢ τὴν εἰκόνα καλῶ ἄνθρωπον. (2.2) πάλιν ὅταν
ἀρχὴν ἀριθμῶν καλέσω τὴν μονάδα, ἀρχὴν δὲ γραμμῆς τὴν στιγμήν, ἀρχὴν δὲ ποταμῶν τὴν
πηγήν, ἀρχὴν δὲ τοῦ ζῴου τὴν καρδίαν, τὸ τῆς ἀρχῆς ὄνομα ἐπὶ ὁμωνύμων ταττόμενον ἐκ δια-
νοίας ἂν εἴην κατὰ ἀναλογίαν πᾶσι τούτοις κοινὸν τοῦτο θέμενος ὄνομα· ὡς γὰρ ἔχει ἐν
ἀριθμοῖς ἡ μονάς, οὕτως ἔχει ἐν γραμμαῖς μὲν ἡ στιγμή, ἐν ποταμοῖς δὲ ἡ πηγή, ἐν ζῴοις δὲ ἡ
καρδία. ὁ δὲ τοιοῦτος λόγος τῆς δείξεως κατὰ ἀναλογίαν λέγεται παρὰ τοῖς γεωμέτραις, καὶ διὰ
τοῦτο τὸ τῆς ἀρχῆς ὄνομα εἴληπται ἐν τοῖς κατὰ ἀναλογίαν ὁμωνύμοις. (2.3) τρίτος δέ ἐστι τρό-
πος τῶν ἀπὸ διανοίας τὸ ἀπό τινος ἑνὸς κοινὴν διαφόροις πράγμασι προσηγορίαν γενέσθαι·
οἷον μιᾶς οὔσης τῆς ἰατρικῆς ἀπὸ ταύτης κεκλήκαμεν τό τε βιβλίον ἰατρικὸν τό τε φάρμακον
καὶ τὸ σμιλίον, ἀλλ’ ἰατρικὸν μὲν τὸ βιβλίον, ὅτι ἰατρικῶν μαθημάτων ἀναγραφὴν ἔχει, τὸ δὲ
σμιλίον ἰατρικόν, ὅτι πρὸς τομὰς τὰς κατὰ ἰατρικήν ἐστιν ὄργανον, ἰατρικὸν δὲ τὸ φάρμακον,
ὅτι πρὸς τὰς ἰάσεις ἐστὶν χρήσιμον τῷ ἰατρῷ. ὥστε κοινὸν μὲν τοὔνομα, ὁ δὲ κατὰ τοὔνομα
λόγος καθ’ ἕκαστον < τῶν > κοινῶς προσαγορευομένων ἕτερος. ἀπὸ μιᾶς δὲ τῆς ἰατρικῆς
ἐκλήθη ταῦτα ἰατρικὰ θέντων οὐκ ἀπὸ τύχης ἀλλὰ ἀπὸ διανοίας πᾶσι τούτοις ὀνόματα τῶν
οὕτως ὀνομασάντων ταῦτα. (2.4) τέταρτος δὲ ἀπὸ διανοίας, ὅταν διάφορά τινα ἀπ’ ἐκείνου τῆς
κοινῆς προσηγορίας τύχῃ, ὥσπερ ὑγείας οὔσης ἣν τέλος ποιεῖται ὁ ὑγιαζόμενος, ἀπὸ ταύτης τό
τε σιτίον λέγεται ὑγιεινὸν καὶ ὁ περίπατος ὑγιεινὸς καὶ τὸ ἀνάγνωσμα ὑγιεινόν. τοῦτον δὲ τὸν
50 1 Metaphysik

τρόπον οἱ μὲν συνῆψαν τῷ ἀφ’ ἑνὸς τὸ ὅλον τοῦτο καλέσαντες ἀφ’ ἑνὸς καὶ πρὸς ἕν, οἱ δὲ οὐδὲ
ἐν τοῖς ὁμωνύμοις κατηρίθμουν, ἀλλ’ οὐδὲ ἐν τοῖς συνωνύμοις, ἀλλ’ ἐν μέσῳ ἐτίθεσαν τῶν
ὁμωνύμων τε καὶ συνωνύμων διὰ τὸ λόγου μετοχῇ τοῦ αὐτοῦ ἰατρικὰ καλεῖσθαι κοινῶς τὰ
διάφορα πράγματα ὑγείας τε περιποιήσει τῆς αὐτῆς ὑγιεινὰ καλεῖσθαι τὰ οὕτω προσαγο-
ρευθέντα κοινῶς πράγματα. Simplicii In Categoriarum 31.22–32.19: Εἰώθασι δὲ ἐνταῦθα γινόμε-
νοι οἱ ἐξηγηταὶ τοὺς τρόπους τῶν ὁμωνύμων ἀπαριθμεῖσθαι καὶ λέγουσιν ὅτι κατὰ τοὺς
ἀνωτάτω τρόπους διχῶς λέγεται τὰ ὁμώνυμα· (1) τὰ μὲν γάρ ἐστιν ἀπὸ τύχης, ὡς Ἀλέξανδρος ὅ
τε Πάρις καὶ ὁ Μακεδών, (2) τὰ δὲ ἀπὸ διανοίας, ὅταν διανοηθείς τις αὐτίας ἕνεκέν τινος τὰ
αὐτὰ ὀνόματα ἐπιτιθῇ. ἀλλὰ τὸ μὲν ἀπὸ τύχης, ἅτε τυχαῖον καὶ ἀόριστον, ἀδιαίρετον μένει· τὰ
δὲ ἀπὸ διανοίας διαιρεῖται τετραχῇ, (2.1) εἴς τε τὰ καθ’ ὁμοιότητα, οἷς καὶ Ἀριστοτέλης ἐν τῷ
τῶν ὁμωνύμων ἐχρήσατο παραδείγματι εἰπὼν < ζῷον ὅ τε ἄνθρωπος καὶ τὸ γεγραμμένον >, κοι-
νὸν μὲν ἔχοντα τὸ ὄνομα τοῦτο, τὸν δὲ λόγον ἕτερον, διότι ὁ μὲν ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν ὡς
οὐσία ἔμψυχος αἰσθητική, ἡ δὲ εἰκὼν τοῦ ἀνθρώπου ἢ ὁ ἀνδριὰς ζῷον οὕτως ὡς ὁμοίωμα οὐ-
σίας ἐμψύχου αἰσθητικῆς. (2.2) δεύτερος δὲ ἀπὸ διανοίας τρόπος ὁ κατὰ ἀναλογίαν, ὅταν ἀρχὴ
λέγηται ὁμωνύμως τῶν μὲν ἀριθμῶν ἡ μονάς, τῆς δὲ γραμμῆς ἡ στιγμή, τῶν δὲ ποταμῶν ἡ
πηγὴ καὶ τῶν ζῴων ἡ καρδία· ὡς γὰρ πρὸς ἀριθμὸν ἡ μονάς, οὕτως καὶ τὰ ἄλλα ἔχει, ὅπερ
ἐστὶν ἀναλογίας ἴδιον. (2.3) τρίτος δὲ ἀπὸ διανοίας τρόπος τὸ ἀπό τινος κοινὴν ἐν πολλοῖς καὶ
διαφόροις πράγμασι γενέσθαι κατηγορίαν, ὡς ἀπὸ τῆς ἰατρικῆς ἰατρικὸν μὲν τὸ βιβλίον, ὅτι ἰατ-
ρικῶν ἔχει μαθημάτων παραγραφήν, ἰατρικὸν δὲ τὸ σμιλίον, ὅτι ὄργανόν ἐστιν τῶν κατὰ τὴν
ἰατρικὴν τέχνην τομῶν, ἰατρικὸν δὲ τὸ φάρμακον, ὅτι πρὸς ἴασίν ἐστιν χρήσιμον, ὥστε τὸ μὲν
ὄνομα κοινόν, ὁ δὲ λόγος ἑκάστου ἕτερος. (2.4) τέταρτος δέ, ὅταν διάφορα πρὸς ἓν ἀναφέρηται
τέλος, ἀπ’ ἐκείνου τῆς προσηγορίας τυγχάνοντα, ὥσπερ σιτίον ὑγιεινὸν καὶ φάρμακον ὑγιεινὸν
καὶ γυμνάσιον καὶ τὰ ἄλλα ὅσα ἀπὸ τῆς ὑγείας ὡς ἀπὸ τέλους ὀνομάζεται. τούτους δὲ τοὺς δύο
τρόπους τινὲς συνάψαντες ὡς ἕνα τὸν ἀφ’ ἑνὸς καὶ πρὸς ἓν κατηρίθμησαν, τινὲς δὲ οὐδὲ ἐν
τοῖς ὁμωνύμοις αὐτὸν τεθείκασιν οὐδὲ ἐν τοῖς συνωνύμοις, ἀλλ’ ἀμφοῖν μεταξύ, διότι λόγου
μέν τινος μετέχει ἀπὸ μὲν τῆς ἰατρικῆς τὰ ἰατρικά, ἀπὸ δὲ τῆς ὑγείας τὰ ὑγιεινά (οὐ γὰρ ὄνομα
μόνον ἐστὶ κοινόν) καὶ διὰ τοῦτο τοῖς συνωνύμοις ἔοικεν, καθόσον δὲ οὐκ ἐπίσης μετέχει τὰ
μετέχοντα (οὐ γὰρ ὁμοίως ἰατρικὸν τὸ βιβλίον τὸ τὴν ἐπιστήμην τὴν ἰατρικὴν περιέχον καὶ τὸ
σμιλίον οὐδὲ ὁμοίως ὑγιεινὸν φάρμακον καὶ περίπατος), διὰ τοῦτο οὖν οὐκ ἔστιν συνώνυμα.
Ammonii In Categoriarum 21.16–22.10: Ἔστι δὲ ἡ διαίρεσις τῶν ὁμωνύμων αὕτη· (1) τῶν ὁμωνύ-
μων τὰ μὲν ἀπὸ τύχης (καὶ λέγεται ταῦτα κατὰ συμβεβηκός), οἷον εἴ τις κατὰ τύχην εὑρεθείη
ἐνταῦθα λεγόμενος Σωκράτης καὶ ἐν τῷ Βυζαντίῳ. καὶ ταῦτα μὲν μένουσιν ἀδιαίρετα. (2) τὰ δέ
εἰσιν ἀπὸ διανοίας, ὧν τὰ μὲν καὶ ἀλλήλοις εἰσὶν ὁμώνυμα < καὶ > ἀφ’ οὗ παρώνυμα λέγεται.
(2.1) καὶ ἐκ τούτων (2.1.1) τὰ μὲν ἀπὸ ποιητικοῦ λέγεται αἰτίου ὡς τὸ ἰατρικὸν σμιλίον ἢ βιβλίον
(ταῦτα δέ ἐστι τὰ ἀφ’ ἑνὸς καὶ πρὸς ἕν· ἀφ’ ἑνὸς μὲν ἀπὸ τοῦ ποιητικοῦ, πρὸς ἓν δὲ πρὸς τὸ
τελικόν), (2.1.2) τὰ δὲ ἀπὸ τοῦ τελικοῦ οἷον τὸ ὑγιεινὸν φάρμακον. (2.2) τὰ δὲ καὶ ἀλλήλοις ὁμώ-
νυμα καὶ ἀφ’ ὧν λέγεται ὁμώνυμα, (2.2.1) ὧν τὰ μὲν διαφέρει κατὰ χρόνον ἐκείνου ἀφ’ οὗ λέγε-
ται (καὶ τούτων (2.2.1.1) τὰ μὲν λέγεται κατὰ μνήμην, οἷον μεμνημένος τις ἰδίου πατρὸς ἢ
διδασκάλου ἤ τινος τοιούτου καλέσῃ τὸν ἑαυτοῦ παῖδα τῷ ἐκείνου ὀνόματι, (2.2.1.2) τὰ δὲ κατὰ
τύχην, ὡς ὅταν τις τὸν παῖδα Εὐτυχῆ εἴπῃ, (2.2.1.3) τὰ δὲ κατ’ ἐλπίδα, ὡς * ἐλπίζων γενέσθαι
ὠνόμασεν). (2.2.2) τὰ δέ εἰσιν οὐ διαφέροντα κατὰ χρόνον τοῦ ἀφ’ οὗ λέγεται· καὶ τούτων
πάλιν (2.2.2.1) τὰ μὲν κατὰ τὴν τῶν πραγμάτων ὁμοιότητα λέγεται, < ὡς ὅταν λέγωμεν τὸν
φρόνιμον ἄνθρωπον φρόνησιν >, (2.2.2.2) τὰ δὲ κατὰ μέθεξιν οἷον μουσικὴ γυνὴ καὶ μουσικὴ
ἐπιστήμη, γραμματικὴ γυνὴ καὶ γραμματικὴ ἐπιστήμη, (2.2.2.3) τὰ δὲ κατὰ ἀναλογίαν, οἷον ὡς
1.2 Analogie 51

Aristoteles keine solche Differenz gibt, wie sie die griechischen Kommentatoren
hervorheben. Stattdessen sind sowohl „notwendiges Gleichnamiges“ als auch
„Vom-Einen-her“ und „Auf-Eines-hin“ auf die Analogie zurückzuführen, die in
der strukturellen Ähnlichkeit verwurzelt ist. In der lateinischen Tradition stellt
Thomas zwar „Auf-Eines-hin“ unter die Analogie, interpretiert „das Eine“ aber
nicht im wahrhaft aristotelischen Sinne als „analogische Begriffseinheit“ (die auf
der strukturellen Ähnlichkeit basiert), sondern im scholastischen Sinne als „onto-
logisch Vorrangiges“. In der modernen Forschung ist z. B. Montagnes (1963: 21)

ἔχει τόδε πρὸς τόδε, οὕτω τόδε πρὸς τόδε, ὡς πόδες κλίνης καὶ πόδες ὄρους. καὶ τῶν μὲν κατὰ
τὴν τῶν πραγμάτων ὁμοιότητα (2.2.2.1.1) < τὰ μὲν διὰ τὴν τῆς ἐνεργείας ὁμοιότητα > οἷον Γορ-
γίας ἀπὸ τοῦ γοργεύεσθαι τόνδε τινά, (2.2.2.1.2) τὰ δὲ διὰ τὴν τῆς μορφῆς ὁμοιότητα οἷον ἐπὶ
τῆς εἰκόνος καὶ τοῦ παραδείγματος, τὰ δὲ κατὰ μεταφορὰν ὡς πόδες Ἴδης καὶ κορυφή. Philo-
poni In Categoriarum 21.14–22.14: Δύναται δὲ τὸ ὁμώνυμον διαιρεῖσθαι οὐ μόνον κατὰ τὴν ἔμ-
προσθεν ἀποδεδομένην διαίρεσιν, ἀλλὰ καὶ ποικιλώτερον κατὰ τὸν ὑποκείμενον τρόπον. τὰ
ὁμώνυμα ἢ ἀπὸ τύχης εἰσὶν ἢ ἀπὸ διανοίας· (1) καὶ ἀπὸ μὲν τύχης, ὡς εἰ τύχοι ἐν Ἀθήναις
κἀνταῦθά τινας τῷ αὐτῷ ὀνόματι κεχρῆσθαι, (2) ἀπὸ δὲ διανοίας, ὡς ὅταν πρός τινα σκοπὸν
ἀφορῶσα ἡ διάνοια ἐπιτίθησι τὰ ὀνόματα. καὶ τῶν ἀπὸ διανοίας ἢ τῷ μὲν ἀφ’ οὗ παρώνυμα
ἀλλήλοις δὲ ὁμώνυμα, ὡς ἀπὸ ἰατρικῆς τὰ ἰατρικὰ ὄργανα (παρωνύμως γὰρ ἀπ’ αὐτῆς ὀνομάζε-
ται, ἀλλήλοις δὲ ὁμωνύμως), ἢ καὶ τῷ ἀφ’ οὗ καὶ ἀλλήλοις ὁμώνυμα, ὡς ὅταν τις τῷ τοῦ πατ-
ρὸς ὀνόματι τοὺς παῖδας ἢ τοὺς ἐκγόνους καλέσῃ. (2.1) τῶν δὲ τῷ ἀφ’ οὗ παρωνύμων ἀλλήλοις
δὲ ὁμωνύμων (2.1.1) τὰ μὲν ἀπὸ ποιητικοῦ τινος αἰτίου ὀνομάζονται, ἃ ἀφ’ ἑνὸς λέγεται, ὡς
ἀπὸ ἰατρικῆς ἰατρικὰ ὄργανα (ἀπ’ ἐκείνης γὰρ παρωνύμως λέγονται), (2.1.2) τὰ δὲ ἀπὸ τοῦ τελι-
κοῦ καὶ λέγεται πρὸς ἕν, ὡς ὑγιεινὸν σιτίον καὶ δίαιτα καὶ γυμνάσιον· πρὸς ἓν τέλος γὰρ ὁρῶσι
τὴν ὑγείαν. (2.2) τὰ δὲ τῷ ἀφ’ οὗ καὶ ἀλλήλοις ὁμώνυμα ἢ ἀλλήλοις εἰσὶν (2.2.1) ἰσόχρονα καὶ
τῷ ἀφ’ οὗ ἢ ἀλλήλοις μὲν ἰσόχρονα τῷ δὲ ἀφ’ οὗ οὐκέτι. (2.2.1.1) καὶ τῶν ἀφ’ οὗ τὰ μὲν καθ’
ὁμοιότητα λέγεται (2.2.1.2) τὰ δὲ κατὰ ἀναλογίαν, ὡς λέγομεν κορυφὰς ὄρους καὶ πόδας κλίνης·
ὃν γὰρ λόγον ἔχουσιν οἱ πόδες πρὸς τὸ ὅλον ζῷον, οὕτω καὶ τὰ κάτω μέρη τῆς κλίνης. τῶν δὲ
καθ’ ὁμοιότητα (2.2.1.1.1) τὰ μὲν κατ’ ἐνέργειαν, ὡς ὅταν διὰ τὸ ἐοικέναι τὰς ἐνεργείας τῷ
πατρὶ καλέσωμέν τινα τῷ ἐκείνου ὀνόματι, (2.2.1.1.2) τὰ δὲ κατὰ μορφήν, ὡς ὅταν τὴν εἰκόνα
τοῦ Σωκράτους καλέσωμεν τῷ τοῦ Σωκράτους ὀνόματι. (2.2.2) τῶν δὲ ἀλλήλοις μὲν ἰσοχρόνων
τῷ δὲ ἀφ’ οὗ οὐκέτι (2.2.2.1) τὰ μὲν κατ’ ἐλπίδα, ὡς ὅταν τινὲς Πλάτωνας τοὺς υἱοὺς καλέσωσιν
ἐλπίζοντες αὐτοὺς γενέσθαι κατὰ Πλάτωνα, (2.2.2.2) τὰ δὲ κατὰ μνήμην, ὡς ὅταν τινὲς καλέ-
σωσι τὸν παῖδα τῷ τοῦ πάππου ὀνόματι, ἵνα φυλάττηται ἡ ἐκείνου μνήμη. ἐνταῦθα οὖν Ἀριστο-
τέλης ποῖον σημαινόμενον τοῦ ὁμωνύμου παραλαμβάνει; τὸ κατὰ τὴν μορφὴν ὅμοιον. τινὲς δέ
φασιν ὅτι τὸ ὡς ἀφ’ ἑνός· ὡς γὰρ ἀπ’ αἰτίου τοῦ ἀνθρώπου ἐστὶν ἡ εἰκών. ἑκάτερον δέ ἐστιν
ἀληθές.
52 1 Metaphysik

der Meinung, dass Aristoteles selbst nie das Auf-Eines-Hin-Verhältnis als Analogie
bezeichne.64 Offensichtlich ist diese Meinung unhaltbar, da Aristoteles im oben zi-
tierten Textstück der Nikomachischen Ethik „Auf-Eines-hin“ zusammen mit der
Analogie bespricht.
Die verschiedenen Seienden können nicht auf zufällige Weise, sondern auf
notwendige Weise als ein Gemeinsames bezeichnet werden, und zwar nur dann,
wenn sie an einer gemeinsamen Struktur teilhaben. Aufgrund der strukturellen Ge-
meinsamkeit können die verschiedenen Seienden von einem gemeinsamen Begriff
zusammengefasst werden und wiederum darauf verwiesen sein. Die Begriffseinheit
greift auf die strukturelle Gemeinsamkeit bzw. Ähnlichkeit zurück, die nichts ande-
res als die Analogie ist. Daraus folgt, dass Aristoteles nicht nur „Analogie“ und
„strukturelle Ähnlichkeit“, sondern auch „Vom-Einen-her“ sowie „Auf-Eines-hin“
und weiter noch „notwendiges Gleichnamiges“ als Äquivalente interpretiert und
als Synonyme verwendet.
Im zweiten Schritt gehen wir auf die Grundstruktur der Analogie ein, die fol-
gendermaßen darzustellen ist:

ἔσται ἄρα ὡς ὁ α ὅρος πρὸς τὸν β, οὕτως ὁ γ πρὸς τὸν δ, καὶ ἐναλλὰξ ἄρα, ὡς ὁ α πρὸς τὸν γ,
ὁ β πρὸς τὸν δ. – EN E6, 1131b5–7

Die Grundstruktur der Analogie lautet: Wie sich α zu β verhält, so verhält sich γ zu
δ (α : β = γ : δ) oder wie sich α zu γ verhält, so verhält sich β zu δ (α : γ = β : δ). Da
die Analogie die Gleichheit der Verhältnisse ist, verlangt sie mindestens vier Glie-
der (ἡ γὰρ ἀναλογία ἰσότης ἐστὶ λόγων, καὶ ἐν τέτταρσιν ἐλαχίστοις – EN E6,
1131a31–32). Es zeigt sich daran, dass die dreigliedrige Analogie auf die vierglied-
rige Analogie zurückzuführen sein muss. Von Grund auf ist die dreigliedrige Ana-
logie viergliedrig strukturiert, indem die Mitte zweimal angewendet wird.
Demzufolge stehen das Erste zur Mitte und die Mitte zum Dritten in einem analogi-
schen Verhältnis (α : β = β : γ). Da die vierfältige Struktur fundamental ist, verlangt
eine Analogie wenigstens vier Glieder (EN E6, 1131a32–1131b3).65

64 Montagnes (1963: 21): „Il faut au contraire partir du problème doctrinal de l’unité de l’être
et, de là, clarifier le langage dont on doit se servir. Or la source des spéculations philosophi-
ques au sujet de l’analogie se trouve dans la théorie aristotélicienne des sens mutiples de
l’être unifiés par référence à un premier, qu’Aristote n’appelle jamais analogie.“
65 In manchen Fällen lässt sich die Grundstruktur der Analogie mit dem adverbialen Aus-
druck ὁμοίως aufzeigen (De An. Γ7, 431a20–431b1; Poet. 21, 1457b16–30). Das Wort ὁμοίος hat
die gleiche Wurzel wie ὁμοιότης und ὁμοίως. Aufgrund des kategorialen Unterschieds sind die
drei Typen von Einheit unterschieden. Aristoteles bezeichnet die Wesenseinheit terminolo-
gisch als Identität (αὐτό), die quantitative Einheit als Gleichheit (ἴσος) und die qualitative Ein-
heit als Ähnlichkeit (ὁμοίος). (1) Metaph. Δ15, 1021a10–12: κατὰ γὰρ τὸ ἓν λέγεται πάντα, ταὐτὰ
μὲν γὰρ ὧν μία ἡ οὐσία, ὅμοια δ’ ὧν ἡ ποιότης μία, ἴσα δὲ ὧν τὸ ποσὸν ἕν. (2) Cat. 6, 6a26–35:
1.2 Analogie 53

Des Weiteren kommt die Grundstruktur der Analogie (α : β = γ : δ) ans


Licht, und zwar in zweierlei Formen:

Τὴν δὲ ὁμοιότητα σκεπτέον ἐπί τε τῶν ἐν ἑτέροις γένεσιν, ὡς ἕτερον πρὸς ἕτερόν τι,
οὕτως ἄλλο πρὸς ἄλλο (οἷον ὡς ἐπιστήμη πρὸς ἐπιστητόν, οὕτως αἴσθησις πρὸς αἰσθη-
τόν), καὶ ὡς ἕτερον ἐν ἑτέρῳ τινί, οὕτως ἄλλο ἐν ἄλλῳ (οἷον ὡς ὄψις ἐν ὀφθαλμῷ, νοῦς
ἐν ψυχῇ, καὶ ὡς γαλήνη ἐν θαλάσσῃ, νηνεμία ἐν ἀέρι). – Top. A17, 108a7–12

Die Strukturähnlichkeit bzw. die Analogie tritt in Erscheinung, und zwar ent-
weder in der Form von „das Eine in Bezug auf das Andere“ (ἄλλο πρὸς ἄλλο)
oder in der Form von „das Eine in dem Anderen“ (ἄλλο ἐν ἄλλῳ). Zum einen
bezieht sich das Denken genau so auf das Gedachte, wie die Wahrnehmung
auf das Wahrgenommene (auch De An. Γ4, 429a16–18). Zum anderen stehen die
Sehkraft in den Augen, der Geist in der Seele (auch EN A4, 1096b28–29), die
Ebenheit im Meer und die Ruhe in der Luft (auch Metaph. H2, 1043a22–26) zuein-
ander in einem analogischen Verhältnis. Aufgrund der oben erwähnten Beispiele
scheint dies so zu verstehen zu sein, dass die eine Form – „in Bezug auf etwas“
(πρὸς τι) – epistemologisch, und die andere Form – „in etwas“ (ἐν τινί) – ontolo-
gisch konzipiert ist.
Im epistemologischen Zusammenhang kommt die Analogie nur anhand
der πρὸς τι-Struktur zur Sprache, denn das seelische Vermögen, wie Vernunft
(νόησις), Verstand (διάνοια), Einbildungskraft (φαντασία) oder Wahrnehmung
(αἴσθησις), kann sich auf den entsprechenden Gegenstand hin ausrichten

Ἴδιον δὲ μάλιστα τοῦ ποσοῦ τὸ ἴσον τε καὶ ἄνισον λέγεσθαι. ἕκαστον γὰρ τῶν εἰρημένων
ποσῶν καὶ ἴσον καὶ ἄνισον λέγεται, οἷον σῶμα καὶ ἴσον καὶ ἄνισον λέγεται, καὶ ἀριθμὸς καὶ ἴσος
καὶ ἄνισος λέγεται, καὶ χρόνος καὶ ἴσος καὶ ἄνισος· ὡσαύτως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων τῶν ῥηθέν-
των ἕκαστον ἴσον τε καὶ ἄνισον λέγεται. τῶν δὲ λοιπῶν ὅσα μή ἐστι ποσόν, οὐ πάνυ ἂν δόξαι
ἴσον τε καὶ ἄνισον λέγεσθαι, οἷον ἡ διάθεσις ἴση τε καὶ ἄνισος οὐ πάνυ λέγεται ἀλλὰ μᾶλλον
ὁμοία, καὶ τὸ λευκὸν ἴσον τε καὶ ἄνισον οὐ πάνυ, ἀλλ’ ὅμοιον. ὥστε τοῦ ποσοῦ μάλιστα ἂν εἴη
ἴδιον τὸ ἴσον τε καὶ ἄνισον λέγεσθαι. (3) Cat. 8, 11a15–19: Τῶν μὲν οὖν εἰρημένων οὐδὲν ἴδιον
ποιότητος, ὅμοια δὲ καὶ ἀνόμοια κατὰ μόνας τὰς ποιότητας λέγεται· ὅμοιον γὰρ ἕτερον ἑτέρῳ
οὐκ ἔστι κατ’ ἄλλο οὐδὲν ἢ καθ’ ὃ ποιόν ἐστιν. ὥστε ἴδιον ἂν εἴη ποιότητος τὸ ὅμοιον ἢ ἀνό-
μοιον λέγεσθαι κατ’ αὐτήν. In den meisten Fällen wird das Wort ὁμοίος im terminologischen
Sinne angewendet, nämlich im Sinne einer qualitativen Einheit, im Ausnahmefall aber bezieht
es sich auf die Strukturähnlickeit bzw. die Analogie (Τὴν δὲ ὁμοιότητα σκεπτέον ἐπί τε τῶν ἐν
ἑτέροις γένεσιν, ὡς ἕτερον πρὸς ἕτερόν τι, οὕτως ἄλλο πρὸς ἄλλο – οἷον ὡς ἐπιστήμη πρὸς
ἐπιστητόν, οὕτως αἴσθησις πρὸς αἰσθητόν, καὶ ὡς ἕτερον ἐν ἑτέρῳ τινί, οὕτως ἄλλο ἐν ἄλλῳ –
οἷον ὡς ὄψις ἐν ὀφθαλμῷ, νοῦς ἐν ψυχῇ, καὶ ὡς γαλήνη ἐν θαλάσσῃ, νηνεμία ἐν ἀέρι. μάλιστα
δ’ ἐν τοῖς πολὺ διεστῶσι γυμνάζεσθαι δεῖ· ῥᾷον γὰρ ἐπὶ τῶν λοιπῶν δυνησόμεθα τὰ ὅμοια συνο-
ρᾶν. σκεπτέον δὲ καὶ τὰ ἐν τῷ αὐτῷ γένει ὄντα, εἴ τι ἅπασιν ὑπάρχει ταὐτόν, οἷον ἀνθρώπῳ καὶ
ἵππῳ καὶ κυνί· ᾗ γὰρ ὑπάρχει τι αὐτοῖς ταὐτόν, ταύτῃ ὅμοιά ἐστιν. – Top. A17, 108a7–17).
54 1 Metaphysik

(πρὸς τι), ohne darin vorzuliegen (ἐν τινί).66 Im metaphysischen Kontext aber
sind die beiden Formen der Analogie nur formal verschieden und sie unter-
scheiden sich nicht wesentlich voneinander.

λέγεται δὲ ἐνεργείᾳ οὐ πάντα ὁμοίως ἀλλ' ἢ τῷ ἀνάλογον, ὡς τοῦτο ἐν τούτῳ ἢ πρὸς


τοῦτο, τόδ' ἐν τῷδε ἢ πρὸς τόδε· τὰ μὲν γὰρ ὡς κίνησις πρὸς δύναμιν τὰ δ' ὡς οὐσία πρός
τινα ὕλην. – Metaph. Θ6, 1048b6–9

An der oben zitierten Stelle treten die beiden Formen der Analogie auf. Das an-
schließende Beispiel zeigt offensichtlich, dass „πρὸς τι“ nicht nur im epistemo-
logischen Sinne, sondern auch im ontologischen Sinne angewendet werden
kann. Wie sich die Bewegung (Verwirklichung, Tätigkeit) zum Vermögen ver-
hält, so verhält sich die Substanz (Wesenssubstanz, Form) zur Materie. Im me-
taphysischen Kontext sind die beiden Formen, nämlich πρὸς τι und ἐν τινί,
konvertibel und weisen auf die strukturelle Ähnlichkeit hin. Die Analogie tritt
auf, und zwar entweder in der Form von „πρὸς τι“ (κατ’ ἀναλογίαν δὲ ὅσα ἔχει
ὡς ἄλλο πρὸς ἄλλο – Metaph. Δ6, 1016b34–35) oder in der Form von „ἐν τινί“
(ὥστε στοιχεῖα μὲν κατ’ ἀναλογίαν τρία, αἰτίαι δὲ καὶ ἀρχαὶ τέτταρες· ἄλλο δ’ ἐν
ἄλλῳ, καὶ τὸ πρῶτον αἴτιον ὡς κινοῦν ἄλλο ἄλλῳ – Metaph. Λ4, 1070b25–27).67

66 Aristoteles’ Meinung nach soll die seelische Tätigkeit in der Kategorie der Relation (πρός
τι) lokalisiert sein. Vgl. Cat. 7, 6b2–3; De An. Γ4, 429a16–18; Metaph. Λ9, 1074b35–36.
67 (1) ἄλλο πρὸς ἄλλο: (1.1) De An. Γ7, 431a20–431b1: τίνι δ’ ἐπικρίνει τί διαφέρει γλυκὺ καὶ
θερμόν, εἴρηται μὲν καὶ πρότερον, λεκτέον δὲ καὶ ὧδε. ἔστι γὰρ ἕν τι, οὕτω δὲ ὡς ὁ ὅρος, καὶ
ταῦτα, ἓν τῷ ἀνάλογον καὶ τῷ ἀριθμῷ ὄντα, ἔχει < ἑκάτερον > πρὸς ἑκάτερον ὡς ἐκεῖνα πρὸς ἄλ-
ληλα· τί γὰρ διαφέρει τὸ ἀπορεῖν πῶς τὰ μὴ ὁμογενῆ κρίνει ἢ τὰ ἐναντία, οἷον λευκὸν καὶ μέλαν;
ἔστω δὴ ὡς τὸ Α τὸ λευκὸν πρὸς τὸ Β τὸ μέλαν, τὸ Γ πρὸς τὸ Δ [ὡς ἐκεῖνα πρὸς ἄλληλα]· ὥστε καὶ
ἐναλλάξ. εἰ δὴ τὰ ΓΑ ἑνὶ εἴη ὑπάρχοντα, οὕτως ἕξει, ὥσπερ καὶ τὰ ΔΒ, τὸ αὐτὸ μὲν καὶ ἕν, τὸ δ’
εἶναι οὐ τὸ αὐτό – κἀκεῖνα ὁμοίως. (1.2) Poet. 21, 1457b16–30: τὸ δὲ ἀνάλογον λέγω, ὅταν ὁμοίως
ἔχῃ τὸ δεύτερον πρὸς τὸ πρῶτον καὶ τὸ τέταρτον πρὸς τὸ τρίτον· ἐρεῖ γὰρ ἀντὶ τοῦ δευτέρου τὸ
τέταρτον ἢ ἀντὶ τοῦ τετάρτου τὸ δεύτερον. καὶ ἐνίοτε προστιθέασιν ἀνθ’ οὗ λέγει πρὸς ὅ ἐστι.
λέγω δὲ οἷον ὁμοίως ἔχει φιάλη πρὸς Διόνυσον καὶ ἀσπὶς πρὸς Ἄρη· ἐρεῖ τοίνυν τὴν φιάλην ἀσπίδα
Διονύσου καὶ τὴν ἀσπίδα φιάλην Ἄρεως. ἢ ὃ γῆρας πρὸς βίον, καὶ ἑσπέρα πρὸς ἡμέραν· ἐρεῖ τοίνυν
τὴν ἑσπέραν γῆρας ἡμέρας ἢ ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς, καὶ τὸ γῆρας ἑσπέραν βίου ἢ δυσμὰς βίου. ἐνίοις
δ’ οὐκ ἔστιν ὄνομα κείμενον τῶν ἀνάλογον, ἀλλ’ οὐδὲν ἧττον ὁμοίως λεχθήσεται· οἷον τὸ τὸν καρ-
πὸν μὲν ἀφιέναι σπείρειν, τὸ δὲ τὴν φλόγα ἀπὸ τοῦ ἡλίου ἀνώνυμον· ἀλλ’ ὁμοίως ἔχει τοῦτο πρὸς
τὸν ἥλιον καὶ τὸ σπείρειν πρὸς τὸν καρπόν, διὸ εἴρηται „σπείρων θεοκτίσταν φλόγα“. (2) ἄλλο ἐν
ἄλλῳ: (2.1) APo. B17, 99a7–16: εἰ μὲν ὁμώνυμα, ὁμώνυμον τὸ μέσον, εἰ δ’ ὡς ἐν γένει, ὁμοίως ἕξει.
οἷον διὰ τί καὶ ἐναλλὰξ ἀνάλογον; ἄλλο γὰρ αἴτιον ἐν γραμμαῖς καὶ ἀριθμοῖς καὶ τὸ αὐτό γε, ᾗ μὲν
γραμμή, ἄλλο, ᾗ δ’ ἔχον αὔξησιν τοιανδί, τὸ αὐτό. οὕτως ἐπὶ πάντων. τοῦ δ’ ὅμοιον εἶναι χρῶμα
χρώματι καὶ σχῆμα σχήματι ἄλλο ἄλλῳ. ὁμώνυμον γὰρ τὸ ὅμοιον ἐπὶ τούτων· ἔνθα μὲν γὰρ ἴσως
τὸ ἀνάλογον ἔχειν τὰς πλευρὰς καὶ ἴσας τὰς γωνίας, ἐπὶ δὲ χρωμάτων τὸ τὴν αἴσθησιν μίαν εἶναι ἤ
τι ἄλλο τοιοῦτον. τὰ δὲ κατ’ ἀναλογίαν τὰ αὐτὰ καὶ τὸ μέσον ἕξει κατ’ ἀναλογίαν. (2.2) De An. B8,
420a29–420b4: ταῦτα δὲ λέγεται κατὰ μεταφορὰν ἀπὸ τῶν ἁπτῶν· τὸ μὲν γὰρ ὀξὺ κινεῖ τὴν
1.2 Analogie 55

Aus dem Dargelegten ist einzusehen, dass Aristoteles die Ausdrücke, näm-
lich „notwendiges Gleichnamiges“ (ὁμώνυμα οὐκ ἀπὸ τύχης = ὁμώνυμα ἀπὸ
διανοίας) und „Von-Einem-her“ (ἀφ’ ἑνὸς) sowie „Auf-Eines-hin“ (πρὸς ἓν) als
Äquivalente ansieht und als Synonyme anwendet. Sie weisen auf die Analogie
(ἀναλογία) hin, die in der strukturellen Ähnlichkeit (ὁμοιότης) gründet. Die
Grundstruktur der Analogie zeigt sich darin, dass α zu β und γ zu δ in einem
ähnlichen Verhältnis (ὁμοίως) stehen (α : β = γ : δ). Die Grundstruktur tritt in
Erscheinung, und zwar in zweierlei Formen – entweder „in Bezug auf etwas“
(πρὸς τι) oder „in etwas“ (ἐν τινί). Genauer gesagt: Wie sich α auf β bezieht,
bezieht sich γ auf δ oder wie sich α in β befindet, befindet sich γ in δ.
Nachdem wir die Ausdrücke sowie die Termini, die die Analogie bezeich-
nen, erklärt und die Grundstruktur sowie die Formen der Analogie beleuchtet
haben, wollen wir im dritten Schritt auf die konkreten Anwendungsfälle der
aristotelischen Analogie eingehen. Da Aristoteles die Analogie vielfältig ge-
braucht, werden wir zunächst die Anwendung in der Ethik-Ökonomik-Politik
und in der Biologie erwähnen und dann auf die metaphysische Anwendung
Rücksicht nehmen.68
In der Ethik-Ökonomik-Politik zeigt sich am deutlichsten der mathematische
Ursprung der Analogie, die entweder die arithmetische Analogie (ἀριθμητικὴ

αἴσθησιν ἐν ὀλίγῳ χρόνῳ ἐπὶ πολύ, τὸ δὲ βαρὺ ἐν πολλῷ ἐπ’ ὀλίγον. οὐ δὴ ταχὺ τὸ ὀξύ, τὸ δὲ βαρὺ
βραδύ, ἀλλὰ γίνεται τοῦ μὲν διὰ τὸ τάχος ἡ κίνησις τοιαύτη, τοῦ δὲ διὰ βραδυτῆτα, καὶ ἔοικεν
ἀνάλογον ἔχειν τῷ περὶ τὴν ἁφὴν ὀξεῖ καὶ ἀμβλεῖ· τὸ μὲν γὰρ ὀξὺ οἷον κεντεῖ, τὸ δ’ ἀμβλὺ οἷον
ὠθεῖ, διὰ τὸ κινεῖν τὸ μὲν ἐν ὀλίγῳ τὸ δὲ ἐν πολλῷ, ὥστε συμβαίνει τὸ μὲν ταχὺ τὸ δὲ βραδὺ εἶναι.
68 Die logische Verwendung der Analogie, die im Historischen Wörterbuch der Philosophie zur
Erwähnung kommt, ist bei Aristoteles nicht zu finden. Die Textstelle (APr. B24), auf die im Wörter-
buch hingewiesen wird, bezieht sich nicht auf die Analogie, sondern darauf, wie anhand eines
Mittelbegriffs die Eigenschaft von der einen Sache zu der anderen übertragen werden kann. Aris-
toteles argumentiert zwar häufig anhand der Analogie, bei ihm aber kann es den sogenannten
analogischen Syllogismus „συλλογισμὸς κατ’ ἀναλογίαν“ nicht geben, der von Theophrast zum
Ausdruck gebracht wird (HWP: 216). Denn laut Aristoteles handelt es sich um zwei völlig verschie-
dene Vorgehensweisen. Die Analogie dient zur metaphysischen Prinzipienforschung, indem die
einzelnen Fälle zur analogischen Allgemeinheit aufsteigen (Einzelheit→Allgemeinheit). Dagegen
gilt der Syllogismus als Beweisführung der partikularen Einzelwissenschaft, wobei sich die ein-
zelne Konklusion aus der allgemein gültigen Prämisse syllogistisch ergibt (Allgemeinheit→Einzel-
heit). Außerdem macht Aristoteles in der zweiten Analytik nachdrücklich klar, dass die Analogie
nicht Syllogismus sei. Vgl. APo. A12, 77b40–78a6: Συμβαίνει δ’ ἐνίους ἀσυλλογίστως λέγειν διὰ τὸ
λαμβάνειν ἀμφοτέροις τὰ ἑπόμενα, οἷον καὶ ὁ Καινεὺς ποιεῖ, ὅτι τὸ πῦρ ἐν τῇ πολλαπλασίᾳ ἀναλο-
γίᾳ· καὶ γὰρ τὸ πῦρ ταχὺ γεννᾶται, ὥς φησι, καὶ αὕτη ἡ ἀναλογία. οὕτω δ’ οὐκ ἔστι συλλογισμός·
ἀλλ’ εἰ τῇ ταχίστῃ ἀναλογίᾳ ἕπεται ἡ πολλαπλάσιος καὶ τῷ πυρὶ ἡ ταχίστη ἐν τῇ κινήσει ἀναλογία.
ἐνίοτε μὲν οὖν οὐκ ἐνδέχεται συλλογίσασθαι ἐκ τῶν εἰλημμένων, ὁτὲ δ’ ἐνδέχεται, ἀλλ’ οὐχ
ὁρᾶται.
56 1 Metaphysik

ἀναλογία – EN B5, 1106a35–36; E7, 1131b32–1132a2, 1132a29–30) oder die geometri-


sche Analogie (γεωμετρικὴ ἀναλογία – EN E7, 1131b12–13) genannt wird. Da die
beiden Bezeichnungen scheinbar nur auf den mathematischen Ursprung der Ana-
logie hinweisen, tendiert man dazu, die arithmetische und die geometrische Ana-
logie miteinander zu vermischen und zu identifizieren (HWP: 216). Aber die zwei
Analogiemodelle sind nicht nur dem Namen nach, sondern auch und vor allem
der Sache nach different.
Die arithmetische Analogie legt ein methodisches Fundament, so dass die
Tugend als Mittelmaß zwischen Übermaß und Mangel definiert wird. Die
grundlegende Voraussetzung ist folgendermaßen zu formulieren:

ἐν παντὶ δὴ συνεχεῖ καὶ διαιρετῷ ἔστι λαβεῖν τὸ μὲν πλεῖον τὸ δ' ἔλαττον τὸ δ' ἴσον, καὶ
ταῦτα ἢ κατ' αὐτὸ τὸ πρᾶγμα ἢ πρὸς ἡμᾶς· τὸ δ' ἴσον μέσον τι ὑπερβολῆς καὶ ἐλλείψεως.
λέγω δὲ τοῦ μὲν πράγματος μέσον τὸ ἴσον ἀπέχον ἀφ' ἑκατέρου τῶν ἄκρων, ὅπερ ἐστὶν ἓν
καὶ τὸ αὐτὸ πᾶσιν, πρὸς ἡμᾶς δὲ ὃ μήτε πλεονάζει μήτε ἐλλείπει· τοῦτο δ' οὐχ ἕν, οὐδὲ
ταὐτὸν πᾶσιν. οἷον εἰ τὰ δέκα πολλὰ τὰ δὲ δύο ὀλίγα, τὰ ἓξ μέσα λαμβάνουσι κατὰ τὸ
πρᾶγμα· ἴσῳ γὰρ ὑπερέχει τε καὶ ὑπερέχεται· τοῦτο δὲ μέσον ἐστὶ κατὰ τὴν ἀριθμητικὴν
ἀναλογίαν. – EN B6, 1106a26–3669

Allgemein gesehen gibt es sowohl in jedem Diskreten, nämlich in jeder Zahl (διω-
ρισμένον = ἀριθμός – Cat. 6, 4b20–31), als auch in jedem Kontinuum (ἐν παντὶ
συνεχεῖ), d. h. in jeder Bewegung bzw. Handlung (ἡ μὲν γὰρ κίνησις συνεχές, ἡ
δὲ πρᾶξις κίνησις – EE B3, 1220b26–27), das Mehr, das Weniger und das Gleiche
(πλεῖον-ἔλαττον-ἴσον), welches die Mitte zwischen Übermaß und Mangel ist
(ὑπερβολῆ-ἐλλείψεως-μέσον). Die Mitte kann in zweierlei Hinsicht betrachtet
werden, nämlich entweder der Sache nach oder in Bezug auf uns. Mit der sach-
lichen Mitte ist gemeint, dass sie zu den beiden Extremen in gleicher Beziehung
steht. Sechs nimmt eine Mittelstellung zwischen zwei und zehn ein, dadurch
dass sechs zu zwei und zehn zu sechs in demselben zahlenmäßigen Verhältnis
stehen. Da eine solche objektive Mitte anhand einer bestimmten arithmetischen
Beziehung zustande kommt, wird das Verhältnis terminologisch die arithmeti-
sche Analogie genannt.

69 EE B3, 1220b21–35: διωρισμένων δὲ τούτων, ληπτέον ὅτι ἐν ἅπαντι συνεχεῖ καὶ διαιρετῷ
ἐστιν ὑπεροχὴ καὶ ἔλλειψις καὶ μέσον, καὶ ταῦτα ἢ πρὸς ἄλληλα ἢ πρὸς ἡμᾶς, οἷον ἐν γυμνασ-
τικῇ, ἐν ἰατρικῇ, ἐν οἰκοδομικῇ, ἐν κυβερνητικῇ, καὶ ἐν ὁποιᾳοῦν πράξει, καὶ ἐπιστημονικῇ καὶ
ἀνεπιστημονικῇ, καὶ τεχνικῇ καὶ ἀτέχνῳ. ἡ μὲν γὰρ κίνησις συνεχές, ἡ δὲ πρᾶξις κίνησις. ἐν
πᾶσι δὲ τὸ μέσον τὸ πρὸς ἡμᾶς βέλτιστον· τοῦτο γάρ ἐστιν ὡς ἡ ἐπιστήμη κελεύει καὶ ὁ λόγος.
πανταχοῦ δὲ τοῦτο καὶ ποιεῖ τὴν βελτίστην ἕξιν. καὶ τοῦτο δῆλον διὰ τῆς ἐπαγωγῆς καὶ τοῦ
λόγου. τὰ γὰρ ἐναντία φθείρει ἄλληλα· τὰ δ’ ἄκρα καὶ ἀλλήλοις καὶ τῷ μέσῳ ἐναντία. τὸ γὰρ
μέσον ἑκάτερον πρὸς ἑκάτερον ἐστίν, οἷον τὸ ἴσον τοῦ μὲν ἐλάττονος μεῖζον, τοῦ μείζονος δὲ
ἔλαττον. ὥστ’ ἀνάγκη τὴν ἠθικὴν ἀρετὴν περὶ μέσ’ ἄττα εἶναι καὶ μεσότητα τινά.
1.2 Analogie 57

Anhand der arithmetischen Analogie ist die Tugend so definiert, dass sie
weder Übermaß noch Mangel, sondern nur Mittelmaß (μεσότης) ist, das in kon-
kreten Fällen für uns geeignet ist.70 Denn die Tugend und die tugendhafte Hand-
lung, in denen es Übermaß, Mangel und Mittelmaß gibt, sollen immer auf das
Mittelmaß abzielen, das nicht der Sache nach, sondern auf uns bezogen ist. Wäh-
rend die sachliche Mitte objektiv ist, kann das praktische Mittelmaß nicht für alle
Menschen ein und dasselbe sein, da es immer mit dem Individuum und mit der
konkreten Situation zusammenhängt.71 Die allgemeine Definition der Tugend gilt
für alle einzelnen Tugenden, wie z. B. die vier Kardinaltugenden, nämlich Beson-
nenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit. Demzufolge befindet sich die Be-
sonnenheit zwischen Zuchtlosigkeit und Stumpfsinn, die Tapferkeit zwischen
Tollkühnheit und Feigheit, die praktische Weisheit (φρόνησις) zwischen Geris-
senheit und Einfältigkeit (EN B6, 1107a22–27; EE B3, 1220b37–1221a13). Die Vertei-
lungsgerechtigkeit (τὸ διανεμητικὸν δίκαιον) nimmt eine Mittelstellung zwischen
Gewinn und Schaden ein, indem demjenigen, der weniger hat, etwas hinzugege-
ben und demjenigen, der mehr oder am meisten besitzt, etwas weggenommen
wird (EN E7, 1132a14–19, 1132b2–6).
Die Verteilungsgerechtigkeit (τὸ διανεμητικὸν δίκαιον – EN E7, 1131b27–29),
die im wirtschaftlichen Verkehr geschieht, ist anhand der arithmetischen Ana-
logie als Ausgleich von Gewinn und Schaden bestimmt. Im Vergleich dazu
kommt die politische Gerechtigkeit (τὸ πολιτικὸν δίκαιον – EN E10, 1134a24–26;
Pol. Γ9, 1280a7–25), die im politischen Zusammenleben stattfindet, zur Entfal-
tung, und zwar anhand der geometrischen Analogie. Während die arithmeti-
sche Analogie in der dreifachen Struktur von Übermaß, Mangel und Mittelmaß
gründet und dreigliedrig ist, lässt sich die geometrische Analogie viergliedrig
strukturieren. Denn in der Geometrie verhält sich das Ganze ebenso zum Gan-
zen wie das Glied zum Glied.

70 (1) EN B6, 1106b36–1107a1: Ἔστιν ἄρα ἡ ἀρετὴ ἕξις προαιρετική, ἐν μεσότητι οὖσα τῇ πρὸς
ἡμᾶς. (2) EN B6, 1107a6–8: διὸ κατὰ μὲν τὴν οὐσίαν καὶ τὸν λόγον τὸν τὸ τί ἦν εἶναι λέγοντα
μεσότης ἐστὶν ἡ ἀρετή, κατὰ δὲ τὸ ἄριστον καὶ τὸ εὖ ἀκρότης. (3) EE B3, 1220b34–35: ὥστ’
ἀνάγκη τὴν ἠθικὴν ἀρετὴν περὶ μέσ’ ἄττα εἶναι καὶ μεσότητα τινά. (4) EE B5, 1222a6–12: ἐπεὶ δ’
ὑπόκειται ἀρετὴ εἶναι ἡ τοιαύτη ἕξις ἀφ’ ἧς πρακτικοὶ τῶν βελτίστων καὶ καθ’ ἣν ἄριστα διά-
κεινται περὶ τὸ βέλτιστον, βέλτιστον δὲ καὶ ἄριστον τὸ κατὰ τὸν ὀρθὸν λόγον, τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ
μέσον ὑπερβολῆς καὶ ἐλλείψεως τῆς πρὸς ἡμᾶς· ἀναγκαῖον ἂν εἴη τὴν ἠθικὴν ἀρετὴν καθ’
αὑτὸν ἕκαστον μεσότητα εἶναι καὶ περὶ μέσ’ ἄττα ἐν ἡδοναῖς καὶ λύπαις καὶ ἡδέσι καὶ λυπηροῖς.
71 EN B5, 1106a36–1106b7: τὸ δὲ πρὸς ἡμᾶς οὐχ οὕτω ληπτέον· οὐ γὰρ εἴ τῳ δέκα μναῖ φαγεῖν
πολὺ δύο δὲ ὀλίγον, ὁ ἀλείπτης ἓξ μνᾶς προστάξει· ἔστι γὰρ ἴσως καὶ τοῦτο πολὺ τῷ ληψομένῳ
ἢ ὀλίγον· Μίλωνι μὲν γὰρ ὀλίγον, τῷ δὲ ἀρχομένῳ τῶν γυμνασίων πολύ. ὁμοίως ἐπὶ δρόμου καὶ
πάλης. οὕτω δὴ πᾶς ἐπιστήμων τὴν ὑπερβολὴν μὲν καὶ τὴν ἔλλειψιν φεύγει, τὸ δὲ μέσον ζητεῖ
καὶ τοῦθ’ αἱρεῖται, μέσον δὲ οὐ τὸ τοῦ πράγματος ἀλλὰ τὸ πρὸς ἡμᾶς.
58 1 Metaphysik

καλοῦσι δὲ τὴν τοιαύτην ἀναλογίαν γεωμετρικὴν οἱ μαθηματικοί· ἐν γὰρ τῇ γεωμετρικῇ


συμβαίνει καὶ τὸ ὅλον πρὸς τὸ ὅλον ὅπερ ἑκάτερον πρὸς ἑκάτερον. – EN E7, 1131b12–1572

Die geometrische Analogie besteht darin, dass entweder das Ganze A zum Gan-
zen B und das Glied a zum Glied b (A : B = a : b) oder das Ganze A zum Glied a
und das Ganze B zum Glied b (A : a = B : b) im gleichen Verhältnis stehen. Da-
durch dass die staatliche Verfassung als das Ganze und das Würdige als das
Glied gilt, ist die Analogie der politischen Gerechtigkeit zwischen den verschie-
den Staaten aufzustellen. Je nach den unterschiedlichen Verfassungen hält
man etwas anderes für gerecht sowie würdig und strebt nach dem jeweiligen
Würdigen.

ἔτι ἐκ τοῦ κατ' ἀξίαν τοῦτο δῆλον· τὸ γὰρ δίκαιον ἐν ταῖς νομαῖς ὁμολογοῦσι πάντες κατ'
ἀξίαν τινὰ δεῖν εἶναι, τὴν μέντοι ἀξίαν οὐ τὴν αὐτὴν λέγουσι πάντες [ὑπάρχειν], ἀλλ' οἱ
μὲν δημοκρατικοὶ ἐλευθερίαν, οἱ δ' ὀλιγαρχικοὶ πλοῦτον, οἳ δ' εὐγένειαν, οἱ δ' ἀριστοκρα-
τικοὶ ἀρετήν. ἔστιν ἄρα τὸ δίκαιον ἀνάλογόν τι. – EN E6, 1131a24–2973

Die Demokratie zielt auf Freiheit ab, die Oligarchie auf Reichtum oder adlige Her-
kunft, die Aristokratie auf Tugend oder Gesetz und die Tyrannei auf Überwa-
chung sowie Kontrolle. Die strukturelle Ähnlichkeit zeigt sich darin, dass die
Verfassung zum Würdigen in gleicher Beziehung steht (Demokratie : Freiheit =
Oligarchie : Reichtum/Herkunft = Aristokratie : Tugend/Gesetz = Tyrannei : Über-
wachung/Kontrolle).
Bezüglich der politischen Gerechtigkeit ergibt sich nicht nur die Analogie
zwischen den verschiedenen Staaten, sondern auch die Analogie zwischen dem
Staat und der Familie. Vorausgesetzt, dass die Gerechtigkeit in verschiedenen
Gemeinschaften anhand einer ähnlichen Struktur konstituiert ist, wird die Ge-
rechtigkeit des Staats auf die der Familie übertragen.74 Wie die Gerechtigkeit

72 (1) De An. B1, 412b22–25: δεῖ δὴ λαβεῖν τὸ ἐπὶ μέρους ἐφ’ ὅλου τοῦ ζῶντος σώματος· ἀνάλο-
γον γὰρ ἔχει ὡς τὸ μέρος πρὸς τὸ μέρος, οὕτως ἡ ὅλη αἴσθησις πρὸς τὸ ὅλον σῶμα τὸ
αἰσθητικόν, ᾗ τοιοῦτον. (2) HA A1, 486a18–21: τὸν αὐτὸν δὲ τρόπον καὶ ἵππου καὶ τῶν ἄλλων
ζῴων, ὅσα τῷ εἴδει ταὐτὰ λέγομεν ἑαυτοῖς· ὁμοίως γὰρ ὥσπερ τὸ ὅλον ἔχει πρὸς τὸ ὅλον, καὶ
τῶν μορίων ἔχει ἕκαστον πρὸς ἕκαστον. (3) EN E6, 1131a18–22: ἀνάγκη ἄρα τὸ δίκαιον ἐν
ἐλαχίστοις εἶναι τέτταρσιν· οἷς τε γὰρ δίκαιον τυγχάνει ὄν, δύο ἐστί, καὶ ἐν οἷς, τὰ πράγματα,
δύο. καὶ ἡ αὐτὴ ἔσται ἰσότης, οἷς καὶ ἐν οἷς· ὡς γὰρ ἐκεῖνα ἔχει, τὰ ἐν οἷς, οὕτω κἀκεῖνα ἔχει.
(4) Krämer 1968: 297.
73 Reth. A8, 1366a2–8: τὸ δὴ τέλος ἑκάστης πολιτείας οὐ δεῖ λανθάνειν· αἱροῦνται γὰρ τὰ πρὸς
τὸ τέλος. ἔστι δὲ δημοκρατίας μὲν τέλος ἐλευθερία, ὀλιγαρχίας δὲ πλοῦτος, ἀριστοκρατίας δὲ
τὰ περὶ παιδείαν καὶ τὰ νόμιμα, τυραννίδος δὲ φυλακή. δῆλον οὖν ὅτι τὰ πρὸς τὸ τέλος ἑκάστης
ἤθη καὶ νόμιμα καὶ συμφέροντα διαιρετέον, εἴπερ αἱροῦνται πρὸς τοῦτο ἐπαναφέροντες.
74 (1) EE H10, 1242a21–22: τό τε γὰρ δίκαιόν τισι καὶ κοινωνοῖς, καὶ ὁ φίλος κοινωνός, ὃ μὲν
γένους, ὃ δὲ βίου. (2) EE H10, 1242a26–28: καὶ κοινωνία τοίνυν καὶ δίκαιόν τι, καὶ εἰ μὴ πόλις
1.2 Analogie 59

der Polis (τὸ πολιτικὸν δίκαιον – EN E10, 1134a24–26) auf der harmonischen Be-
ziehung des Regierenden zum Regiertwerdenden beruht (Pol. Γ4, 1277a25–27;
Γ13, 1283b42–1284a3), so besteht die Gerechtigkeit der Familie (τὸ οἰκονομικὸν
δίκαιον – EN E10, 1134b15–17) im harmonischen Verhältnis des Herren zum
Knecht, des Mannes zur Frau und des Vaters zum Sohn. Analog dazu, dass in
einer gerechten Polis der Herrscher regiert und der Bürger regiert wird, soll in
einer gerechten Familie der Herr über den Knecht, der Mann über die Frau und
der Vater über den Sohn herrschen (Herrscher : Bürger = Herr : Knecht = Mann :
Frau = Vater : Sohn).75 Der Herrscher zum Bürger, der Herr zum Knecht, der
Mann zur Frau und der Vater zum Sohn stehen deswegen im gleichen Verhält-
nis, weil sie an einer ähnlichen Struktur von Beherrschen und Beherrschtwer-
den teilhaben.76
Während die dreigliedrige arithmetische Analogie der aristotelischen Tu-
gendlehre bzw. der Ethik zugrunde liegt, macht die viergliedrige geometrische
Analogie die strukturelle Ähnlichkeit der politischen Gerechtigkeit in der Öko-
nomik-Politik nachdrücklich klar. In Bezug auf die politische Gerechtigkeit

εἴη·οἰκία δ’ ἐστί τις φιλία. (3) EN E10, 1134a23–30: πῶς μὲν οὖν ἔχει τὸ ἀντιπεπονθὸς πρὸς τὸ
δίκαιον, εἴρηται πρότερον· δεῖ δὲ μὴ λανθάνειν ὅτι τὸ ζητούμενόν ἐστι καὶ τὸ ἁπλῶς δίκαιον
καὶ τὸ πολιτικὸν δίκαιον. τοῦτο δ’ ἔστιν ἐπὶ κοινωνῶν βίου πρὸς τὸ εἶναι αὐτάρκειαν, ἐλευθέ-
ρων καὶ ἴσων ἢ κατ’ ἀναλογίαν ἢ κατ’ ἀριθμόν· ὥστε ὅσοις μή ἐστι τοῦτο, οὐκ ἔστι τούτοις
πρὸς ἀλλήλους τὸ πολιτικὸν δίκαιον, ἀλλά τι δίκαιον καὶ καθ’ ὁμοιότητα. (4) EN E15,
1138b5–13: κατὰ μεταφορὰν δὲ καὶ ὁμοιότητα ἔστιν οὐκ αὐτῷ πρὸς αὑτὸν δίκαιον ἀλλὰ τῶν
αὐτοῦ τισίν, οὐ πᾶν δὲ δίκαιον ἀλλὰ τὸ δεσποτικὸν ἢ τὸ οἰκονομικόν. ἐν τούτοις γὰρ τοῖς λόγοις
διέστηκε τὸ λόγον ἔχον μέρος τῆς ψυχῆς πρὸς τὸ ἄλογον· εἰς ἃ δὴ βλέπουσι καὶ δοκεῖ εἶναι
ἀδικία πρὸς αὑτόν, ὅτι ἐν τούτοις ἔστι πάσχειν τι παρὰ τὰς ἑαυτῶν ὀρέξεις· ὥσπερ οὖν ἄρχοντι
καὶ ἀρχομένῳ εἶναι πρὸς ἄλληλα δίκαιόν τι καὶ τούτοις.
75 (1) EN E10, 1134b8–9: τὸ δὲ δεσποτικὸν δίκαιον καὶ τὸ πατρικὸν οὐ ταὐτὸν τούτοις ἀλλ’
ὅμοιον. (2) EE H3, 1238b19–25: τοῦτο γὰρ ἕτερον εἶδος φιλίας, καὶ ὅλως ἄρχοντος καὶ
ἀρχομένου, καθάπερ καὶ τὸ δίκαιον ἕτερον· κατ’ ἀναλογίαν γὰρ ἴσον, κατ’ ἀριθμὸν δ’ οὐκ ἴσον.
ἐν τούτῳ τῷ γένει πατὴρ πρὸς υἱὸν καὶ ὁ εὐεργέτης πρὸς τὸν εὐεργετηθέντα. αὐτῶν δὲ τούτων
διαφοραὶ εἰσίν· ἄλλη πατρὸς πρὸς υἱὸν καὶ ἀνδρὸς πρὸς γυναῖκα, αὕτη μὲν ὡς ἄρχοντος καὶ
ἀρχομένου, ἣ δὲ εὐεργέτου πρὸς εὐεργετηθέντα. (3) EE H10, 1242a26–36: καὶ κοινωνία τοίνυν
καὶ δίκαιόν τι, καὶ εἰ μὴ πόλις εἴη· οἰκία δ’ ἐστί τις φιλία. δεσπότου μὲν οὖν καὶ δούλου ἥπερ καὶ
τέχνης καὶ ὀργάνων καὶ ψυχῆς καὶ σώματος, αἱ δὲ τοιαῦται οὔτε φιλίαι οὔτε δικαιοσύναι, ἀλλ’
ἀνάλογον, ὥσπερ καὶ τὸ ὑγιεινὸν οὐ δίκαιον, ἀλλ’ ἀνάλογον· γυναικὸς δὲ καὶ ἀνδρὸς φιλία ὡς
χρήσιμον καὶ κοινωνία· πατρὸς δὲ καὶ υἱοῦ ἡ αὐτὴ ἥπερ θεοῦ πρὸς ἄνθρωπον καὶ τοῦ εὖ ποιή-
σαντος πρὸς τὸν παθόντα καὶ ὅλως τοῦ φύσει ἄρχοντος πρὸς τὸν φύσει ἀρχόμενον· ἣ δὲ τῶν
ἀδελφῶν πρὸς ἀλλήλους ἑταιρικὴ μάλιστα ἡ κατ’ ἰσότητα.
76 (1) EN E10, 1134b13–15: κατὰ νόμον γὰρ ἦν, καὶ ἐν οἷς ἐπεφύκει εἶναι νόμος, οὗτοι δ’ ἦσαν
οἷς ὑπάρχει ἰσότης τοῦ ἄρχειν καὶ ἄρχεσθαι. (2) EN E15, 1138b10–13: ὥσπερ οὖν ἄρχοντι καὶ
ἀρχομένῳ εἶναι πρὸς ἄλληλα δίκαιόν τι καὶ τούτοις.
60 1 Metaphysik

bilden sich sowohl die Analogie zwischen den verschiedenen Staaten als auch
die Analogie von Staat und Familie.
Nichts anderes als die viergliedrige geometrische Analogie macht die Grund-
struktur der platonisch-aristotelischen Proportionalitätsanalogie aus. Aristoteles’
Analogiemodell, das von den mittelalterlichen Scholastikern die Proportionalität-
sanalogie genannt wird, wird von Aristoteles selbst terminologisch als „geometri-
sche Analogie“ bezeichnet. Anhand der geometrischen Analogie verhält sich das
Ganze A so zum Ganzen B, wie das Glied a zum Glied b (A : B = a : b). Anders
formuliert: Das Ganze A verhält sich so zum Glied a wie das Ganze B zum Glied b
(A : a = B : b) oder das Glied a verhält sich so zum Ganzen A wie das Glied b zum
Ganzen B (a : A = b : B). Damit lässt sich die Analogie in der Biologie aufzeigen.

[. . .] ἰχθύες δ' ὄρνιθος τῷ ἀνάλογον, ὃ γὰρ ἐκείνῳ πτερόν, θατέρῳ λεπίς. – PA A4,
644a21–2277

Im Sinne des analogischen Verhältnisses (a : A = b : B) stehen der Flügel zum


Vogel wie die Flosse zum Fisch (Flügel : Vogel = Flosse : Fisch). Denn Flügel
und Flosse haben dieselbe Fähigkeit, Vogel und Fisch sich räumlich bewegen
zu lassen. In der Biologie erweist sich die Analogie als die funktionale Ähnlich-
keit der Teile der verschiedenartigen Lebewesen (Ἔτι δ’ ἄλλος τρόπος ἐστὶ κατὰ
τὸ ἀνάλογον ἐκλέγειν. ἓν γὰρ λαβεῖν οὐκ ἔστι τὸ αὐτό, ὃ δεῖ καλέσαι σήπιον καὶ
ἄκανθαν καὶ ὀστοῦν· ἔσται δ’ ἑπόμενα καὶ τούτοις ὥσπερ μιᾶς τινος φύσεως τῆς
τοιαύτης οὔσης – APo. B14, 98a20–23).

Λέγω δ' ἀνάλογον, ὅτι τοῖς μὲν ὑπάρχει πλεύμων, τοῖς δὲ πλεύμων μὲν οὔ, ὃ δὲ τοῖς ἔχουσι
πλεύμονα, ἐκείνοις ἕτερον ἀντὶ τούτου· καὶ τοῖς μὲν αἷμα, τοῖς δὲ τὸ ἀνάλογον τὴν αὐτὴν
ἔχον δύναμιν ἥνπερ τοῖς ἐναίμοις τὸ αἷμα. – PA A5, 645b6–10

Mit dem Analogon ist Folgendes gemeint: Die anderen Arten von Lebewesen, die
weder den inhomogenen Teil (Lunge) noch den homogenen Teil (Blut) haben,

77 (1) APo. B14, 98a20–23: Ἔτι δ’ ἄλλος τρόπος ἐστὶ κατὰ τὸ ἀνάλογον ἐκλέγειν. ἓν γὰρ λαβεῖν
οὐκ ἔστι τὸ αὐτό, ὃ δεῖ καλέσαι σήπιον καὶ ἄκανθαν καὶ ὀστοῦν· ἔσται δ’ ἑπόμενα καὶ τούτοις
ὥσπερ μιᾶς τινος φύσεως τῆς τοιαύτης οὔσης. (2) HA A1, 486b17–22: Ἔνια δὲ τῶν ζῴων οὔτε
εἴδει τὰ μόρια ταὐτὰ ἔχει οὔτε καθ’ ὑπεροχὴν καὶ ἔλλειψιν, ἀλλὰ κατ’ ἀναλογίαν, οἷον πέπονθεν
ὀστοῦν πρὸς ἄκανθαν καὶ ὄνυξ πρὸς ὁπλὴν καὶ χεὶρ πρὸς χηλὴν καὶ πρὸς πτερὸν λεπίς· ὃ γὰρ ἐν
ὄρνιθι πτερόν, τοῦτο ἐν τῷ ἰχθύι ἐστὶ λεπίς. (3) PA A4, 644a16–23: Ὅσα μὲν γὰρ διαφέρει τῶν
γενῶν καθ’ ὑπεροχὴν καὶ τὸ μᾶλλον καὶ τὸ ἧττον, ταῦτα ὑπέζευκται ἑνὶ γένει, ὅσα δ’ ἔχει τὸ
ἀνάλογον, χωρίς· λέγω δ’ οἷον ὄρνις ὄρνιθος διαφέρει τῷ μᾶλλον ἢ καθ’ ὑπεροχήν· τὸ μὲν γὰρ
μακρόπτερον τὸ δὲ βραχύπτερον, ἰχθύες δ’ ὄρνιθος τῷ ἀνάλογον, ὃ γὰρ ἐκείνῳ πτερόν, θατέρῳ
λεπίς. Τοῦτο δὲ ποιεῖν ἐπὶ πᾶσιν οὐ ῥᾴδιον· τὰ γὰρ πολλὰ ζῷα ἀνάλογον ταὐτὸ πέπονθεν. (4)
PA Δ5, 678b9–11: Ὁμοίως δὲ καὶ τὰ μαλακόστρακα τούτοις τοὺς πρώτους ὀδόντας ἔχει καὶ τὸ
ἀνάλογον τῇ γλώττῃ σαρκῶδες. (5) HWP: 216; Krämer 1968: 297–298.
1.2 Analogie 61

sind mit dem Analogon ausgestattet, das die gleiche Funktion in sich trägt. Die
funktionale Ähnlichkeit betrifft nicht nur die homogenen Teile, z. B. Blut, Fleisch,
Knochen und Nerv, sondern auch die inhomogenen Teile, nämlich die Organe,
wie Herz, Kopf, Zähne und Haare.78

78 (1) Der homogene Teil: (1.1) Blut: HA A4, 489a20–34: Ἔχει δὲ καὶ ὑγρότητα πᾶν ζῷον, ἧς
στερισκόμενον ἢ φύσει ἢ βίᾳ φθείρεται. Ἔτι ἐν ᾧ γίνεται, τοῦτο ἄλλο. Ἔστι δὲ τοῦτο τοῖς μὲν
αἷμα καὶ φλέψ, τοῖς δὲ τὸ ἀνάλογον τούτων· ἔστι δ’ ἀτελῆ ταῦτα, οἷον τὸ μὲν ἲς τὸ δ’ ἰχώρ. Ἡ
μὲν οὖν ἁφὴ ἐν ὁμοιομερεῖ ἐγγίνεται μέρει, οἷον ἐν σαρκὶ ἢ τοιούτῳ τινί, καὶ ὅλως ἐν τοῖς αἱμα-
τικοῖς, ὅσα ἔχει αἷμα· τοῖς δ’ ἐν τῷ ἀνάλογον, πᾶσι δ’ ἐν τοῖς ὁμοιομερέσιν. Αἱ δὲ ποιητικαὶ δυ-
νάμεις ἐν τοῖς ἀνομοιομερέσιν, οἷον ἡ τῆς τροφῆς ἐργασία ἐν στόματι καὶ ἡ τῆς κινήσεως τῆς
κατὰ τόπον ἐν ποσὶν ἢ πτέρυξιν ἢ τοῖς ἀνάλογον. Πρὸς δὲ τούτοις τὰ μὲν ἔναιμα τυγχάνει
ὄντα, οἷον ἄνθρωπος καὶ ἵππος καὶ πάνθ’ ὅσα ἢ ἄποδά ἐστι τέλεα ὄντα ἢ δίποδα ἢ τετράποδα,
τὰ δ’ ἄναιμα, οἷον μέλιττα καὶ σφὴξ καὶ τῶν θαλαττίων σηπία καὶ κάραβος καὶ πάνθ’ ὅσα
πλείους πόδας ἔχει τεττάρων. PA B2, 648a4–5: Τὴν αὐτὴν δ’ ἔχει διαφορὰν καὶ τῶν ἀνάλογον
ὑπαρχόντων πρὸς τὸ αἷμα. PA B3, 650a32–35: Ἐπεὶ δὲ πάσης τροφῆς ἐστί τι δεκτικὸν καὶ τῶν
γινομένων περιττωμάτων, αἱ δὲ φλέβες οἷον ἀγγεῖον αἵματός εἰσι, φανερὸν ὅτι τὸ αἷμα ἡ τελε-
υταία τροφὴ τοῖς ζῴοις τοῖς ἐναίμοις ἐστί, τοῖς δ’ ἀναίμοις τὸ ἀνάλογον. PA Γ5, 668a1–4: Τοῦ δ’
εἰς τὸ πᾶν διαδεδόσθαι τὸ σῶμα τὰς φλέβας αἴτιον τὸ παντὸς εἶναι τοῦ σώματος ὕλην τὸ αἷμα,
τοῖς δ’ ἀναίμοις τὸ ἀνάλογον, ταῦτα δ’ ἐν φλεβὶ καὶ τῷ ἀνάλογον κεῖσθαι. PA Γ5, 668a23–24:
Τούτων δ’ αἴτιον ὅτι τὸ αἷμα καὶ τὸ ἀνάλογον τούτῳ δυνάμει σῶμα καὶ σὰρξ ἢ τὸ ἀνάλογόν
ἐστιν. GA A20, 728a34–728b2: ἔτι δ’ οὐ πᾶσι γίγνεται τοῖς θήλεσιν αὕτη ἡ ἔκκρισις ἀλλὰ τοῖς
αἱματικοῖς, καὶ οὐδὲ τούτοις πᾶσιν ἀλλ’ ὅσων αἱ ὑστέραι μὴ πρὸς τῷ ὑποζώματί εἰσι μηδ’ ᾠοτο-
κοῦσιν, ἔτι δ’ οὐδὲ τοῖς αἷμα μὴ ἔχουσιν ἀλλὰ τὸ ἀνάλογον· ὅπερ γὰρ ἐν ἐκείνοις τὸ αἷμα, ἐν
τούτοις ἑτέρα ὑπάρχει σύγκρισις. GA B4, 740a21–22: τροφὴ δὲ ζῴου ἡ ἐσχάτη αἷμα καὶ τὸ ἀνά-
λογον, τούτων δ’ ἀγγεῖον αἱ φλέβες. (1.2) Fleisch: De An. B11, 422b19–23: ἔχει δ’ ἀπορίαν πότε-
ρον πλείους εἰσὶν ἢ μία, καὶ τί τὸ αἰσθητήριον τὸ τοῦ ἁπτικοῦ, πότερον ἡ σὰρξ καὶ ἐν τοῖς
ἄλλοις τὸ ἀνάλογον, ἢ οὔ, ἀλλὰ τοῦτο μέν ἐστι τὸ μεταξύ, τὸ δὲ πρῶτον αἰσθητήριον ἄλλο τί
ἐστιν ἐντός. De An. B11, 423a13–17: λείπεται δὴ μικτὸν ἐκ τῆς καὶ τούτων εἶναι, οἷον βούλεται
εἶναι ἡ σὰρξ καὶ τὸ ἀνάλογον· ὥστε ἀναγκαῖον τὸ σῶμα εἶναι τὸ μεταξὺ τοῦ ἁπτικοῦ προσ-
πεφυκός, δι’ οὗ γίνονται αἱ αἰσθήσεις πλείους οὖσαι. PA B1, 647a19–21: καὶ τὸ τούτων αἰσθητή-
ριον, ἡ σάρξ, καὶ τὸ ταύτῃ ἀνάλογον σωματωδέστατόν ἐστι τῶν αἰσθητηρίων. PA B5, 651b3–5:
Ζῷον μὲν γάρ ἐστι κατὰ τὸ αἰσθητικὸν μόριον, ἡ δὲ σὰρξ καὶ τὸ ἀνάλογον αἰσθητικόν. PA B8,
653b19–22: Περὶ δὲ τῶν ἄλλων μορίων τῶν ὁμοιομερῶν σκεπτέον, καὶ πρῶτον περὶ σαρκὸς ἐν
τοῖς ἔχουσι σάρκας, ἐν δὲ τοῖς ἄλλοις τὸ ἀνάλογον· τοῦτο γὰρ ἀρχὴ καὶ σῶμα καθ’ αὑτὸ τῶν
ζῴων ἐστίν. PA B8, 653b33–36: Ἡ μὲν γὰρ τῶν ὀστῶν φύσις σωτηρίας ἕνεκεν μεμηχάνηται μα-
λακοῦ, σκληρὰ τὴν φύσιν οὖσα, ἐν τοῖς ἔχουσιν ὀστᾶ· ἐν δὲ τοῖς μὴ ἔχουσι τὸ ἀνάλογον, οἷον
ἐν τοῖς ἰχθύσι τοῖς μὲν ἄκανθα τοῖς δὲ χόνδρος. PA B8, 654a19–22: Ὑπάρχει δ’ ἐν αὐτοῖς καὶ τὸ
ἀνάλογον ταῖς τῶν ἰχθύων ἀκάνθαις, οἷον ἐν μὲν ταῖς σηπίαις τὸ καλούμενον σηπίον, ἐν δὲ ταῖς
τευθίσι τὸ καλούμενον ξίφος. GA B6, 743a8–11: διὰ μὲν οὖν τῶν φλεβῶν καὶ τῶν ἐν ἑκάστοις
πόρων διαπιδύουσα ἡ τροφή, καθάπερ ἐν τοῖς ὠμοῖς κεραμίοις τὸ ὕδωρ, γίγνονται σάρκες ἢ τὸ
ταύταις ἀνάλογον ὑπὸ τοῦ ψυχροῦ συνιστάμεναι, διὸ καὶ λύονται ὑπὸ πυρός. (1.3) Knochen: PA
B6, 652a2–6: Ἐπεὶ δὲ τὴν μὲν τῶν ὀστῶν ἀνάγκη φύσιν ὑπάρχειν τοῖς ζῴοις, ἢ τὸ ἀνάλογον
τοῖς ὀστοῖς, οἷον τοῖς ἐνύδροις τὴν ἄκανθαν, ἀναγκαῖον ἐνίοις ὑπάρχειν καὶ μυελόν, ἐμπεριλαμ-
βανομένης τῆς τροφῆς ἐξ ἧς γίνεται τὰ ὀστᾶ. GA B6, 745a7–9: εἰ γὰρ ταῦτ’ εἶχεν αὔξησιν ἀεὶ
62 1 Metaphysik

καὶ τῶν ζῴων ὅσα ἔχει ὀστοῦν ἢ τὸ ἀνάλογον ηὐξάνετ’ ἂν ἕως ἔζη· τοῦ γὰρ μεγέθους ὅρος ἐστὶ
ταῦτα τοῖς ζῴοις. (1.4) Nerv: GA B3, 737a36–b4: πάντα δὲ τὰ σώματα συνέχει τὸ γλίσχρον· ὅπερ
καὶ προϊοῦσι καὶ μείζοσι γιγνομένοις ἡ τοῦ νεύρου λαμβάνει φύσις ἥπερ συνέχει τὰ μόρια τῶν
ζῴων, ἐν μὲν τοῖς οὖσα νεῦρον ἐν δὲ τοῖς τὸ ἀνάλογον. (2) Der inhomogene Teil: (2.1) Herz: PA
B1, 647a30–31: Διόπερ ἐν μὲν τοῖς ἀναίμοις ζῴοις τὸ ἀνάλογον, ἐν δὲ τοῖς ἐναίμοις ἡ καρδία
τοιοῦτόν ἐστιν. PA Δ5, 678a35–678b2: οὔτε γὰρ φλέβας ἔχουσιν οὔτε κύστιν οὔτ’ ἀναπνέουσιν,
ἀλλὰ μόνον ἀναγκαῖον ἔχειν αὐτοῖς τὸ ἀνάλογον τῇ καρδίᾳ. MA 10, 703a14–16: ἐπεὶ δ’ ἡ ἀρχὴ
τοῖς μὲν ἐν τῇ καρδίᾳ τοῖς δ’ ἐν τῷ ἀνάλογον, διὰ τοῦτο καὶ τὸ πνεῦμα τὸ σύμφυτον ἐνταῦθα
φαίνεται ὄν. GA B1, 735a23–26: ὥστ’ εἰ ἡ καρδία πρῶτον ἔν τισι ζῴοις γίγνεται, ἐν δὲ τοῖς μὴ
ἔχουσι καρδίαν τὸ ταύτῃ ἀνάλογον, ἐκ ταύτης ἂν εἴη ἡ ἀρχὴ τοῖς ἔχουσι, τοῖς δ’ ἄλλοις ἐκ τοῦ
ἀνάλογον. GA B4, 738b15–18: τοῦτο δ’ ἐστὶν ὁ τόπος ὁ περὶ τὸ ὑπόζωμα πᾶσι τοῖς ἔχουσιν·
ἀρχὴ γὰρ τῆς φύσεως ἡ καρδία καὶ τὸ ἀνάλογον, τὸ δὲ κάτω προσθήκη καὶ τούτου χάριν. GA
B5, 741b15–17: Γίγνεται δὲ πρῶτον ἡ ἀρχή. αὕτη δ’ ἐστὶν ἡ καρδία τοῖς ἐναίμοις, τοῖς δ’ ἄλλοις
τὸ ἀνάλογον, ὥσπερ εἴρηται πολλάκις. GA B6, 742b35–743a1: διὸ πάντα τὰ ἔναιμα καρδίαν ἔχει
πρῶτον ὥσπερ ἐλέχθη κατ’ ἀρχάς· ἐν δὲ τοῖς ἄλλοις τὸ ἀνάλογον γίγνεται τῇ καρδίᾳ πρῶτον.
GA Δ1, 766a30–766b3: Εἰ οὖν τὸ μὲν ἄρρεν ἀρχή τις καὶ αἴτιον – ἔστι δ’ ἄρρεν ᾗ δύναταί τι,
θῆλυ δὲ ᾗ ἀδυνατεῖ – τῆς δὲ δυνάμεως ὅρος καὶ τῆς ἀδυναμίας τὸ πεπτικὸν εἶναι ἢ μὴ πεπτικὸν
τῆς ὑστάτης τροφῆς, ὃ ἐν μὲν τοῖς ἐναίμοις αἷμα καλεῖται ἐν δὲ τοῖς ἄλλοις τὸ ἀνάλογον, τού-
του δὲ τὸ αἴτιον ἐν τῇ ἀρχῇ καὶ τῷ μορίῳ τῷ ἔχοντι τὴν τῆς φυσικῆς θερμότητος ἀρχήν, ἀναγ-
καῖον ἄρα ἐν τοῖς ἐναίμοις συνίστασθαι καρδίαν καὶ ἢ ἄρρεν ἔσεσθαι ἢ θῆλυ τὸ γιγνόμενον, ἐν
δὲ τοῖς ἄλλοις γένεσιν οἷς ὑπάρχει τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν τὸ τῇ καρδίᾳ ἀνάλογον. GA E2,
781a21–23: οἱ γὰρ πόροι τῶν αἰσθητηρίων πάντων, ὥσπερ εἴρηται ἐν τοῖς περὶ αἰσθήσεως, τεί-
νουσι πρὸς τὴν καρδίαν, τοῖς δὲ μὴ ἔχουσι καρδίαν πρὸς τὸ ἀνάλογον. (2.2) Kopf: PA B7,
652b23–26: Καὶ διὰ τοῦτο τὰ ἔναιμα ἔχει πάντα ἐγκέφαλον, τῶν δ’ ἄλλων οὐδὲν ὡς εἰπεῖν,
πλὴν ὅτι κατὰ τὸ ἀνάλογον, οἷον ὁ πολύπους· ὀλιγόθερμα γὰρ πάντα διὰ τὴν ἀναιμίαν. PA B7,
653a10–12: ποιεῖ δὲ καὶ τὸν ὕπνον τοῖς ζῴοις τοῦτο τὸ μόριον τοῖς ἔχουσιν ἐγκέφαλον, τοῖς δὲ
μὴ ἔχουσι τὸ ἀνάλογον. PA Γ2, 662b23–26: Περὶ δὲ κεράτων λεκτέον· καὶ γὰρ ταῦτα πέφυκε
τοῖς ἔχουσιν ἐν τῇ κεφαλῇ. Ἔχει δ’ οὐδὲν μὴ ζῳοτόκον. Καθ’ ὁμοιότητα δὲ καὶ μεταφορὰν λέγε-
ται καὶ ἑτέρων τινῶν κέρατα. (2.3) Zähne: GA B6, 745b9–12: τὰ μὲν οὖν ἄλλα ζῷα ἔχοντα γίγνε-
ται ὀδόντας καὶ τὸ ἀνάλογον τοῖς ὀδοῦσιν, ἐὰν μή τι γίγνηται παρὰ φύσιν, διὰ τὸ ἀπολύεσθαι
τῆς γενέσεως τετελεσμένα τοῦ ἀνθρώπου μᾶλλον. (2.4) Haare: GA E3, 782a29–33: ἐπιπολῆς
γὰρ οὖσα ἐξατμίζοντος τοῦ ὑγροῦ στερεὰ γίγνεται καὶ γεώδης, αἱ δὲ τρίχες καὶ τὸ ἀνάλογον
αὐταῖς οὐκ ἐκ τῆς σαρκὸς γίγνονται ἀλλ’ ἐκ τοῦ δέρματος ἐξατμίζοντος καὶ ἀναθυνιωμένου ἐν
αὐτοῖς τοῦ ὑγροῦ. (3) Zusammenfassung: HA A1, 487a1–10: Ἔστι δὲ τῶν ὁμοιομερῶν τὰ μὲν
μαλακὰ καὶ ὑγρά, τὰ δὲ ξηρὰ καὶ στερεά, ὑγρὰ μέν, ἢ ὅλως ἢ ἕως ἂν ᾖ ἐν τῇ φύσει, οἷον αἷμα,
ἰχώρ, πιμελή, στέαρ, μυελός, γονή, χολή, γάλα ἐν τοῖς ἔχουσι, σάρξ τε καὶ τὰ τούτοις ἀνάλογον,
ἔτι ἄλλον τρόπον τὰ περιττώματα, οἷον φλέγμα, καὶ τὰ ὑποστήματα τῆς κοιλίας καὶ κύστεως·
ξηρὰ δὲ καὶ στερεὰ οἷον νεῦρον, δέρμα, φλέψ, θρίξ, ὀστοῦν, χόνδρος, ὄνυξ, κέρας (ὁμώνυμον
γὰρ τὸ μέρος, ὅταν τῷ σχήματι καὶ τὸ ὅλον λέγηται κέρας), ἔτι ὅσα ἀνάλογον τούτοις. HA B1,
497b6–13: Τῶν δ’ ἄλλων ζῴων τὰ μόρια τὰ μὲν κοινὰ πάντων ἐστίν, ὥσπερ εἴρηται πρότερον,
τὰ δὲ γενῶν τινων. Ταὐτὰ δὲ καὶ ἕτερά ἐστιν ἀλλήλων τὸν ἤδη πολλάκις εἰρημένον τρόπον.
Σχεδὸν γὰρ ὅσα γ’ ἐστὶ γένει ἕτερα τῶν ζῴων, καὶ τὰ πλεῖστα τῶν μερῶν ἔχει ἕτερα τῷ εἴδει,
καὶ τὰ μὲν κατ’ ἀναλογίαν ἀδιάφορα μόνον, τῷ γένει δ’ ἕτερα, τὰ δὲ τῷ γένει μὲν ταὐτὰ τῷ
εἴδει δ’ ἕτερα· πολλὰ δὲ τοῖς μὲν ὑπάρχει, τοῖς δ’ οὐχ ὑπάρχει. PA B2, 647b10–17: Τῶν δ’
1.2 Analogie 63

Da die verschiedenartigen Lebewesen mit einem ähnlichen Sinnesorgan


ausgestattet sind, haben sie ein ähnliches Wahrnehmungsvermögen (Sehen,
Tasten, Riechen und Lautgeben), das durch das Analogon gekennzeichnet ist.
Wie der Mensch kann das Tier die Farbe sehen und das Warme empfinden. Es
hat auch Geruchsvermögen, Stimme usw.79
Des Weiteren ist die funktionale Ähnlichkeit nicht auf den Körperteil und
das Wahrnehmungsvermögen beschränkt, sondern sie breitet sich in die Affek-
tion aus. Nämlich wohnen dem vegetativen und dem tierischen Samen die
Wärme gemeinsam inne, insofern sie als Lebensprinzip alle Körperteile zusam-
menbinden.80 Was daher die biologische Verwendung der Analogie anbelangt,
ist diese nichts anderes als die ähnliche Funktion, die entweder von den Orga-
nen bzw. den Sinnesvermögen oder von der Affektion geleistet wird.
Aristoteles’ Anwendung der Analogie in der Ethik zeigt den mathematischen
Ursprung am deutlichsten. Von der mathematischen Proportion her weist die

ὁμοιομερῶν μορίων ἐν τοῖς ζῴοις ἐστὶ τὰ μὲν μαλακὰ καὶ ὑγρά, τὰ δὲ σκληρὰ καὶ στερεά, ὑγρὰ
μὲν ἢ ὅλως ἢ ἕως ἂν ᾖ ἐν τῇ φύσει, οἷον αἷμα, ἰχώρ, πιμελή, στέαρ, μυελός, γονή, χολή, γάλα
ἐν τοῖς ἔχουσι, σάρξ, καὶ τὰ τούτοις ἀνάλογον· οὐ γὰρ ἅπαντα τὰ ζῷα τούτων τῶν μορίων τέ-
τευχεν, ἀλλ’ ἔνια τῶν ἀνάλογον τούτων τισίν. Τὰ δὲ ξηρὰ καὶ στερεὰ τῶν ὁμοιομερῶν ἐστιν,
οἷον ὀστοῦν ἄκανθα νεῦρον φλέψ. PA B9, 655b15–21: Ἀλλὰ καὶ περὶ τούτων καὶ τῶν ἐχομένων,
οἷον δέρματος καὶ κύστεως καὶ ὑμένος καὶ τριχῶν καὶ πτερῶν καὶ τῶν ἀνάλογον τούτοις καὶ εἴ
τι τοιοῦτόν ἐστι μέρος, ὕστερον ἅμα τοῖς ἀνομοιομερέσι θεωρητέον τὴν αἰτίαν αὐτῶν, καὶ
τίνος ἕνεκεν ὑπάρχει τοῖς ζῴοις ἕκαστον· ἐκ τῶν ἔργων γὰρ γνωρίζειν, ὥσπερ κἀκεῖνα, καὶ
ταῦτα ἀναγκαῖον ἂν εἴη.
79 (1) De An. B8, 420b5–14: περὶ μὲν οὖν ψόφου ταύτῃ διωρίσθω. ἡ δὲ φωνὴ ψόφος τίς ἐστιν
ἐμψύχου· τῶν γὰρ ἀψύχων οὐθὲν φωνεῖ, ἀλλὰ καθ’ ὁμοιότητα λέγεται φωνεῖν, οἷον αὐλὸς καὶ
λύρα καὶ ὅσα ἄλλα τῶν ἀψύχων ἀπότασιν ἔχει καὶ μέλος καὶ διάλεκτον. ἔοικε γάρ, ὅτι καὶ ἡ
φωνὴ ταῦτ’ ἔχει. πολλὰ δὲ τῶν ζῴων οὐκ ἔχουσι φωνήν, οἷον τά τε ἄναιμα καὶ τῶν ἐναίμων
ἰχθύες (καὶ τοῦτ’ εὐλόγως, εἴπερ ἀέρος κίνησίς τίς ἐστιν ὁ ψόφος), ἀλλ’ οἱ λεγόμενοι φωνεῖν,
οἷον < οἱ > ἐν τῷ Ἀχελῴῳ, ψοφοῦσι τοῖς βραγχίοις ἤ τινι ἑτέρῳ τοιούτῳ, φωνὴ δ’ ἐστὶ ζῴου
ψόφος οὐ τῷ τυχόντι μορίῳ. (2) De An. B9, 421a16–20: ἔοικε μὲν γὰρ ἀνάλογον ἔχειν πρὸς τὴν
γεῦσιν, καὶ ὁμοίως τὰ εἴδη τῶν χυμῶν τοῖς τῆς ὀσμῆς, ἀλλ’ ἀκριβεστέραν ἔχομεν τὴν γεῦσιν
διὰ τὸ εἶναι αὐτὴν ἁφήν τινα, ταύτην δ’ ἔχειν τὴν αἴσθησιν τὸν ἄνθρωπον ἀκριβεστάτην. (3) De
An. B9, 421a26–30: ἔστι δ’, ὥσπερ χυμὸς ὁ μὲν γλυκὺς ὁ δὲ πικρός, οὕτω καὶ ὀσμαί, ἀλλὰ τὰ
μὲν ἔχουσι τὴν ἀνάλογον ὀσμὴν καὶ χυμόν, λέγω δὲ οἷον γλυκεῖαν ὀσμὴν καὶ γλυκὺν χυμόν, τὰ
δὲ τοὐναντίον. ὁμοίως δὲ καὶ δριμεῖα καὶ αὐστηρὰ καὶ ὀξεῖα καὶ λιπαρά ἐστιν ὀσμή.
80 (1) PA A5, 645b3–6: Εἴρηται μὲν οὖν καὶ πρότερον ὅτι πολλὰ κοινὰ πολλοῖς ὑπάρχει τῶν
ζῴων, τὰ μὲν ἁπλῶς, οἷον πόδες πτερὰ λεπίδες, καὶ πάθη δὴ τὸν αὐτὸν τρόπον τούτοις, τὰ δ’
ἀνάλογον. (2) PA A4, 644a22–23: Τοῦτο δὲ ποιεῖν ἐπὶ πᾶσιν οὐ ῥᾴδιον· τὰ γὰρ πολλὰ ζῷα ἀνάλο-
γον ταὐτὸ πέπονθεν. (3) GA B3, 736b33–737a1: πάντων μὲν γὰρ ἐν τῷ σπέρματι ἐνυπάρχει ὅπερ
ποιεῖ γόνιμα εἶναι τὰ σπέρματα, τὸ καλούμενον θερμόν. τοῦτο δ’ οὐ πῦρ οὐδὲ τοιαύτη δύναμίς
ἐστιν ἀλλὰ τὸ ἐμπεριλαμβανόμενον ἐν τῷ σπέρματι καὶ ἐν τῷ ἀφρώδει πνεῦμα καὶ ἡ ἐν τῷ
πνεύματι φύσις, ἀνάλογον οὖσα τῷ τῶν ἄστρων στοιχείῳ.
64 1 Metaphysik

Analogie ein viergliedriges Verhältnis auf (a : A = b : B), das unmittelbar in der


Biologie verkörpert ist (Flügel : Vogel = Flosse : Fisch). Nach der Erörterung der
ethischen und der biologischen Analogie gehen wir auf die metaphysische Ver-
wendung ein. Mit der ethischen Analogie hat die metaphysische Analogie an der
Grundstruktur teil, da sie prinzipiell in der geometrischen Analogie fundiert ist.
Mit der biologischen Analogie hängt die metaphysische Analogie eng zusammen.
Wie in der Biologie der Flügel zum Vogel, die Flosse zum Fisch und der Teil (das
Organ der Ortsbewegung) zum Ganzen in einem analogischen Verhältnis stehen
(Flügel : Vogel = Flosse : Fisch = Teil : Ganzes), so verhalten sich in der Metaphysik
die disjunktiven Eigentümlichkeiten zum Zugrundeliegenden und die Form zum
Stoff sowie die Verwirklichung zum Vermögen auf analogische Weise (Eigentüm-
lichkeit : Zugrundeliegendes = Form : Stoff = Verwirklichung : Vermögen).
Inhaltlich trägt die Anwendung der Analogie in der Metaphysik dazu bei,
sowohl die Einheit der Kategorien als auch die strukturelle Ähnlichkeit der
Prinzipien zu beleuchten. Erstens bringt die Analogie die Gemeinschaft der
Einzelwissenschaften ans Licht, welche anhand der kategorialen Ausdifferen-
zierung voneinander unterschieden sind. Anders formuliert: Aufgrund der
analogischen Einheit sind die verschiedenen Einzelwissenschaften einheitlich
zu begründen.
Vor allem lässt sich die Mathematik betrachten, die die Quantität zum Un-
tersuchungsgegenstand nimmt. Indem sich die Quantität ins Teilbare und
Kontinuum (διωρισμένον-συνεχές), d. h. in Zahl und Größe (ἀριθμός-μέγεθος),
ausdifferenziert, ist die Mathematik in Arithmetik und Geometrie zu untertei-
len (Cat. 6, 4b20–25). Was die beiden Einzelwissenschaften zum Thema ma-
chen, ist weder die Zahl noch die Größe schlechthin, sondern die disjunktiven
Eigentümlichkeiten der Zahl und der Größe (APo. A10, 76a40–76b2; Rhet. A2,
1355b29–30). Demnach orientiert sich die Arithmetik am Geraden und Unger-
aden der Zahl (APo. A4, 73b20–21). Die Geometrie zieht in Betracht, ob die
Linie geradlinig oder gekrümmt ist und die Fläche eben oder nicht (APo. A4,
73b18–20). So bilden die beiden mathematischen Wissenschaften eine analo-
gische Einheit, indem den verschiedenen Untersuchungsgegenständen eine
ähnliche Struktur zugeteilt ist. Wie sich das Gerade-Ungerade in der Zahl be-
findet, so befindet sich das Gerade-Krumme in der eindimensionalen Linie
und das Ebene-Nichtebene in der zweidimensionalen Fläche (Metaph. N6,
1093b19–20).
Dieselbe Struktur ist nicht auf die Quantität beschränkt, sondern dehnt sich
in die anderen Kategorien aus, z. B. in die Qualität, sodass das Weiße-Schwarze
in der Oberfläche (Metaph. N6, 1093b20–21), die Gesundheit-Krankheit im Körper
und das Gute-Schlechte in der Seele auf ähnliche Weise vorhanden sind. Analog
1.2 Analogie 65

zu Quantität und Qualität liegt dasselbe Gefüge bei der Kategorie der Bewegung81
vor, dadurch, dass Bewegung und Ruhe den Naturdingen immanent sind.
Jede selbständige Einzelwissenschaft, wie z. B. Arithmetik, Geometrie, Astro-
nomie, Physik, Heilkunst, Ethik und Logik, macht etwas Spezifisches zum Unter-
suchungsgegenstand (τὰ μὲν ἴδια ἑκάστης ἐπιστήμης – APo. A10, 76a37–38),
nämlich die Eigenschaft der Zahl, die Gestalt der geometrischen Figur, die Kreisbe-
wegung des Gestirns, die Veränderung des Naturseienden, die Affektion des Kör-
pers, die Tugend der Seele und die Schlussfolgerung der Aussagen. Trotzdem
weisen Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Physik, Heilkunst, Ethik und Logik
eine analogische Gemeinsamkeit (τὰ δὲ κοινά, κοινὰ δὲ κατ’ ἀναλογίαν – APo. A10,
76a38–39; Rhet. A2, 1355b28–31) auf, indem jede Einzelwissenschaft die disjunkti-
ven Eigentümlichkeiten des jeweiligen Zugrundeliegenden thematisiert (passio
per se disiuncta entis), und zwar das Gerade-Ungerade der Zahl, das Gerade-
Krumme der Linie, die gegensätzlichen Stellen des himmlischen Kreislaufs, die
Bewegung-Ruhe des Naturdings, die Gesundheit-Krankheit des Körpers, das Gute-
Schlechte der Seele und die Richtigkeit-Falschheit der logischen Schlussfolgerung.
Die Analogie betrifft nicht nur die Struktur des Untersuchungsgegenstandes,
sondern auch die Untersuchungsmethode. Die wissenschaftliche Beweisführung
vollzieht sich anhand des Syllogismus, nämlich dass sich die bestimmte Konklu-
sion aus der vorausgesetzten Prämisse syllogistisch ergibt. Da sich die Einzelwis-
senschaften anhand des Syllogismus vollziehen, sind sie methodisch vereinigt
und werden gemeinsam als apodiktische Wissenschaft (ἀποδεικτικὴ ἐπιστήμη)
bezeichnet (APo. A1, 71b16–25; A6, 74b5–12; Metaph. B2, 997a5–11, 997a18–22).
Anhand der strukturellen Ähnlichkeit des Untersuchungsgegenstandes und der
methodischen Gemeinsamkeit sind die apodiktisch-syllogistischen Wissenschaf-
ten einheitlich zu begründen.
Zweitens ist einzusehen, dass die Prinzipien von Form-Stoff und von Ver-
wirklichung-Vermögen im analogischen Verhältnis zueinander stehen und den
unterschiedlichen Seienden eine analogische Begriffseinheit verleihen. In der
Prinzipienforschung hebt Aristoteles damit an, den Sachverhalt mit der Einzel-
substanz zu vergleichen. Anhand desselben Kriteriums von per accidens und
per se unterscheiden sich der Sachverhalt von der Einzelsubstanz und die Bewe-
gung von der Entstehung. Darum kann der Vergleich von Sachverhalt und Ein-
zelsubstanz äquivalent formuliert werden: Nämlich wie sich der Sachverhalt zur
Einzelsubstanz verhält, so verhält sich die Bewegung zur Entstehung. Wenn

81 Statt der Bewegung kommen Wirken und Leiden in der Kategorienliste vor. Denn das aktiv
Machende und das passiv Erleidende sind für alle Veränderungen und Tätigkeiten konstitutiv,
außer dass das unbewegte Bewegende wegen der Immaterialität die Passivität aufhebt.
66 1 Metaphysik

vom Prinzip und Element die Rede ist, treten die Bewegung und die Entstehung
in den Vordergrund. Zu der Frage, ob die Prinzipien und die Elemente von Be-
wegung und Entstehung identisch oder verschieden sind, hat Aristoteles fol-
gende Antwort anzubieten: Trotz der Gattungsverschiedenheit ist der Bewegung
und der Entstehung dieselbe Struktur zugeteilt, nämlich die vier Ursachen.82
Durch die Dihairese differenziert sich die übergeordnete Veränderung in
zwei Gattungen aus, nämlich in die akzidentelle und die substanzielle Verände-
rung. Terminologisch bezeichnet Aristoteles die akzidentelle Veränderung als
Bewegung und die substanzielle Veränderung als Entstehung. Einerseits ist die
eine Gattung, d. h. die Bewegung, in die drei Arten einzuteilen, und zwar an-
hand des kategorialen Unterschieds von Qualität, Quantität und Ort. Anderer-
seits spaltet sich die andere Gattung, nämlich die notwendige Entstehung, in
die natürliche Entstehung und die menschliche Herstellung, je nachdem, ob
die Wirkursache innerlich oder äußerlich ist. Letztlich kann jede Art von Bewe-
gung und Entstehung in die jeweiligen Unterarten ausdifferenziert sein. Unter
der qualitativen Veränderung stehen das Anderswerden und die Empfindung,
unter der quantitativen Veränderung das Wachstum und der Schwung, unter
der örtlichen Bewegung die geradlinige und die kreisförmige Bewegung, unter
der natürlichen Entstehung die vivipare und die ovipare Zeugung, und unter
der menschlichen Herstellung das Hausbauen und die Heilkunst. Die dihaireti-
sche Einteilung der Veränderung ist folgendermaßen darzustellen (Abb. 1):

82 In diesem Kontext (Metaph. Λ4, 1070a31–33) sieht die Fragestellung anders aus. Dem Origi-
naltext gemäß geht es in Λ4 um die Frage, ob die Prinzipien oder die Elemente der Wesenssub-
stanz und der akzidentellen Kategorien, welche gemeinsam als Relation bezeichnet werden
(πρός τι – Metaph. Λ4, 1070a36; EN A4, 1096a20–22), identisch oder verschieden sind. Die
Prinzipienforschung setzt die Bewegung und die Entstehung voraus. Weder die Wesenssub-
stanz noch die akzidentelle Kategorie können entstanden sein, sondern nur das Kompositum.
Einerseits ist die Einzelsubstanz als substanzielles Kompositum entstanden, indem sich die
Wesenssubstanz an der Einzelsubstanz konkretisiert (γένεσις: εἶδος→τόδε τι). Andererseits
wird der Sachverhalt als akzidentelles Kompositum dadurch zustande gebracht, dass die akzi-
dentelle Eigenschaft dem zugrundeliegenden Einzelnen zukommt (κίνησις: πρός τι→πρᾶγμα).
Wenn vom Prinzip oder vom Element die Rede ist, kann nicht die Wesenssubstanz mit der Ak-
zidenzkategorie verglichen werden (οὐσία-πρός τι), sondern die Verwirklichung der einen mit
der Verwirklichung der anderen (τόδε τι-πρᾶγμα). Da die Einzelsubstanz entstanden und der
Sachverhalt akzidentell veränderlich ist (γένεσις-κίνησις), lassen sich die Ursachen der Entste-
hung der Einzelsubstanz und die Ursachen der Bewegung des Sachverhalts thematisieren.
1.2 Analogie 67

μεταβολή

κίνησις γένεσις

ποιόν ποσόν ποῦ φύσις τέχνη

οἰκοδόμη
ἀλλοίωσις αὔξησις εὐθεῖα ζῳοτοκεῖ
-σις

αἴσθησις φθίσις περιφερής ᾠοτοκεῖ ἰάτρευσις

Abb. 1: Einteilung der Veränderung.

Bezeichnet die analogische Struktur der vier Ursachen die Gemeinsamkeit


der verschiedenen Gattungen, kommt sie in jeder Stufe der Dihairese zur Geltung.
Denn die analogische Einheit bezeichnet Aristoteles als die Allgemeinheit im
höchsten Maß.83 So bildet sich die Analogie, und zwar nicht nur zwischen Bewe-
gung und Entstehung, sondern auch jeweils innerhalb der Bewegung (Analogie
von qualitativer Veränderung, von quantitativer Veränderung und von Ortsbewe-
gung) und innerhalb der Entstehung (Analogie von Naturentstehung und Herstel-
lung), weiter noch innerhalb der Naturentstehung (Analogie von viviparer und
oviparer Zeugung) sowie innerhalb der Herstellung/Tätigkeit (Analogie von Haus-
bauen und Heilkunst). Da alle Typen der Veränderung und der Tätigkeit an der
gleichen Struktur teilhaben, ist es erst möglich, die prinzipiellen Begriffspaare,
wie Stoff-Form und Vermögen-Verwirklichung, einheitlich zu gebrauchen.
Aufgrund der Gattungsverschiedenheit sind die Prinzipien von Bewegung
und Entstehung jeweils andere (ἕτερον περὶ ἕκαστον γένος), im Allgemeinen
aber bilden sie die analogische Identität/Einheit (καθόλου ταὐτὰ κατ’ ἀναλογίαν –

83 Im philosophischen Wörterbuch, nämlich im fünften Buch der Metaphysik (Metaph. Δ6,


1016b31–35) unterscheidet Aristoteles vier Typen von Einheit, nämlich die Einheit der Zahl
nach (ἕν κατ’ ἀριθμόν), der Art nach (κατ’ εἶδος), der Gattung nach (κατὰ γένος) und der Ana-
logie nach (κατ’ ἀναλογίαν). Die analogische Einheit ist insofern die Allgemeinheit im höch-
sten Maß, als sie über die Gattungseinheit hinausgeht. Vgl. Metaph. Δ6, 1016b35–1017a3;
Theophrast Metaphysik 9a4–9: Ταὐτῷ δ’ ἐπιστάμεθα καὶ οὐσίᾳ καὶ ἀριθμῷ καὶ εἴδει καὶ γένει
καὶ ἀναλογίᾳ καὶ εἰ ἄρα παρὰ ταῦτα διαιρέσεις· διὰ πλείστου δὲ τὸ κατ’ ἀναλογίαν, ὡς ἂν
ἀπέχοντος πλεῖστον, τὰ μὲν δι’ ἡμᾶς αὐτούς, τὰ δὲ διὰ τὸ ὑποκείμενον, τὰ δὲ διὰ τἄμφω; Krä-
mer 1968: 300, Fußnote 26.
68 1 Metaphysik

Metaph. Λ4, 1070a31–33; Λ4, 1070b16–26; Λ5, 1071a24–35). Anders gesagt unter-
scheiden sich die Bewegung und die Entstehung zwar sachlich voneinander, es
ist ihnen aber dieselbe Struktur zugeteilt. Sie beschließt nicht nur die inneren Ur-
sachen, nämlich Stoff, Form und Privation in sich ein (ἐνυπάρχοντα αἴτια-ὕλη,
εἶδος, στέρησις), sondern auch die äußere Ursache, d. h. Wirkursache (ἐκτὸς
οἷον τὸ κινοῦν – Metaph. Λ4, 1070b22–23; Δ1, 1013a19–20). Daraus folgt, dass die
Bewegung und die Entstehung gemeinsamen Anteil an vier Ursachen (αἰτίαι τέτ-
ταρες) haben, die aus drei Elementen (στοιχεῖα τρία) und einem Bewegungsprin-
zip (ἀρχὴ τῆς κινήσεως) bestehen (Metaph. Λ4, 1070b23–26). Um die Analogie
von Bewegung und Entstehung zu verdeutlichen, ziehen wir die qualitative Ver-
änderung und das Hausbauen als Beispiel heran. Gelten beim Hausbauen die
Hausgestalt als Form, die Unordnung als Privation, die Baustoffe als Materie und
der Hausherr als Wirkursache (Metaph. Λ4, 1070b28–29), ist in der qualitativen
Veränderung das Licht, das Weiße oder das Warme als Form anzusehen, die
Dunkelheit, das Schwarze oder das Kalte als Privation, die Luft, die Fläche oder
der Körper als zugrundeliegende Materie und die natürliche oder die menschli-
che Kraft als Wirkursache.
In erster Linie weist die Analogie zwischen Bewegung und Entstehung auf
ihre gemeinsame Struktur der vier Ursachen hin. Dann durchdringt die Analogie
alle Arten von Bewegungen und Entstehungen, damit die qualitative Verände-
rung, die quantitative Veränderung, die räumliche Bewegung, die Naturentste-
hung und die Herstellung gleicherweise erörtert werden können. Innerhalb der
Bewegung verhalten sich die qualitative und die quantitative Veränderung sowie
die räumliche Bewegung deswegen auf analogische Weise, weil sich drei Typen
von Bewegungen mithilfe der vier Ursachen strukturieren lassen. Innerhalb der
Entstehung stehen die Naturentstehung und die Herstellung, z. B. die Zeugung
des Menschen und das Hausbauen, zueinander analog, indem sich dieselbe Struk-
tur von Form, Privation, Stoff und Wirkursache durchsetzt. Daher stimmen die
menschliche Art mit der Hausgestalt, die Abwesenheit mit der Unordnung, das
Fleisch, Knochen usw. mit dem Baustoff und der Vater mit dem Hausherren struk-
turell überein. Außerdem lässt sich dieselbe Analogie zwischen den Unterarten
derselben Art aufstellen. Innerhalb der Naturentstehung liegt die Analogie darin,
dass das vivipare und das ovipare Tier mit demselben Gefüge des Männlichen und
des Weiblichen ausgestattet sind. Das Männliche verhält sich als Form- bzw. Wirk-
ursache, das Weibliche aber als Stoffursache. Innerhalb der Herstellung steht das
Hausbauen zur Heilkunst dadurch analog, dass im Hinblick auf Form, Privation,
Materie und Wirkursache die Hausgestalt der Gesundheit, die Unordnung der
Krankheit, der Baustoff dem Körper und der Hausherr dem Arzt strukturell ent-
spricht. Nichts anderes als die Analogie führt zur Begriffseinheit, so dass die ver-
schiedenen Seienden durch ein und denselben Begriff gekennzeichnet sein
1.2 Analogie 69

können. Aufgrund dessen lassen sich Hausbauen und Heilkunst gemeinsam als
„Herstellung“ bezeichnen, vivipare und ovipare Zeugung gemeinsam als „Natur-
entstehung“, Naturentstehung und Herstellung gemeinsam als „Entstehung“, qua-
litative und quantitative Veränderung zusammen mit räumlicher Bewegung als
„Bewegung“, und letztendlich werden Bewegung und Entstehung von demselben
Oberbegriff „Veränderung“ zusammengefasst bzw. ausgesprochen.
Wegen der höchsten Allgemeinheit ist die analogische Struktur in der dihai-
retischen Abstufung durchgängig wirksam. Die Analogie, die die strukturelle
Ähnlichkeit zwischen unterschiedlichen Gattungen zum Vorschein bringt (Me-
taph. Λ5, 1071a24–27), setzt sich abwärts in die verschiedenen Arten derselben
Gattung und weiterhin in die verschiedenen Unterarten derselben Art durch. Be-
züglich der untersten Art, z. B. der menschlichen Art, ist nicht mehr von Analogie
die Rede.84 Die verschiedenen einzelnen Menschen bilden keine analogische Ein-
heit, sondern die Einheit der Art, die ontologisch durch die Naturentstehung
(„Der Mensch zeugt den Menschen“) zum Vorschein und logisch anhand der We-
sensprädikation („Ein beliebiger Mensch ist Mensch“) zum Ausdruck kommt.
Um die Begriffseinheit zu verdeutlichen, fassen wir die oben erwähnten
Beispiele (Metaph. Λ4, 1070b10–35; Phys. A7, 191a7–12)85 in der folgenden Ta-
belle zusammen (Tab. 6):

84 Metaph. Λ5, 1071a27–29: καὶ τῶν ἐν ταὐτῷ εἴδει ἕτερα, οὐκ εἴδει ἀλλ’ ὅτι τῶν καθ’ ἕκαστον
ἄλλο, ἥ τε σὴ ὕλη καὶ τὸ εἶδος καὶ τὸ κινῆσαν καὶ ἡ ἐμή, τῷ καθόλου δὲ λόγῳ ταὐτά. Frede und
Patzig betrachten diesen Satz als Beweis dafür, dass die Form individuell sei (Frede und Patzig
1988: 48–49). Im Text handelt es sich darum, dass die Materie als Individualisierungsprinzip
die individuelle Verschiedenheit derselben Art verursacht. Vom Kontext her wird der Akzent
auf die Einheit der Art gelegt, die anders als die analogische Einheit ist. Die Interpretation von
Frede und Patzig ist deswegen nicht gültig, weil sie mit dem vorliegenden Zusammenhang
überhaupt nicht übereinstimmt. Außerdem kann sich das Possessivpronomen (σὴ, ἐμή) weder
auf εἶδος noch auf κινῆσαν, sondern nur auf die Materie (ὕλη) beziehen. Schließlich garantiert
die ontologische Einheit der Art die logische Begriffseinheit (τῷ καθόλου δὲ λόγῳ ταὐτά).
Wenn die menschliche Art im einzelnen Individuum verschieden wäre, könnte sich keine be-
griffliche Einheit des Menschen bilden. Selbstverständlich kann man darüber diskutieren, ob
die Form das principium individuationis sein kann oder nicht. Aber man kann nicht anhand
dieses Satzes den Beweis erbringen, denn dieser ist weder sprachlich noch inhaltlich haltbar.
85 Licht-Dunkelheit-Luft – Metaph. Λ4, 1070b21; Weiß-Schwarz-Fläche – Λ4, 1070b20–21;
Warm-Kalt-Körper – Λ4, 1070b10–15. In Λ4 redet Aristoteles nicht von der Wirkursache der
Veränderung, sondern vom Resultat der Veränderung. Die körperliche Gesundheit lässt sich
dadurch wiederherstellen, dass Wärme und Kälte in ein harmonisches Verhältnis gebracht
werden (Λ4, 1070b14–15). Der Tag entsteht aus der Mischung der Luft mit dem Licht, die Nacht
aber aus der Mischung der Luft mit der Dunkelheit (Λ4, 1070b21).
70 1 Metaphysik

Tab. 6: Vier Ursachen.

εἶδος στέρησις ὕλη κινοῦν

κίνησις κατὰ das Licht die Dunkelheit die Luft die natürliche Kraft
ποιόν das Weiße das Schwarze die Fläche die menschliche Kraft
das Warme das Kalte der Körper

κατὰ die angemessene zu groß der Körper die Seele


ποσόν Größe zu klein

κατὰ der Zielort der Abfahrtsort der Körper die Seele


ποῦ des Sokrates des Sokrates

γένεσις φύσις die menschliche die Abwesenheit das Fleisch der Vater
Art der Knochen

das Männliche ohne Geschlechts- das das Männliche


verkehr Weibliche

τέχνη die Hausgestalt die Unordnung der Baustoff der Hausherr


die Gesundheit die Krankheit der Körper der Arzt

Der graduellen Analogie zufolge lassen sich die verschiedenen Seienden, wie
das Licht, das Weiße, das Warme, die angemessene Größe, der Zielort, die mensch-
liche Art, das Männliche, die Hausgestalt und die Gesundheit, gemeinsam als
„Form“ bezeichnen und deren Gegensatz als Privation. Dementsprechend können
die unterschiedlichen Zugrundeliegenden, wie die Luft, die Fläche, der Körper, der
Körper des Sokrates, das Fleisch, der Knochen, das Weibliche und der Baustoff
von demselben Begriff „Stoff“ zusammengefasst werden.
Des Weiteren können die gemeinsamen Prinzipien von Bewegung und Entste-
hung auf eine andere Art und Weise (ἄλλον τρόπον) zur Sprache kommen, indem
Stoff, Privation und Form auf die analogische Struktur von Möglichsein und Wir-
klichsein (δύναμις-ἐνέργεια) zurückzuführen sind.86 Das Begriffspaar von δύναμις-
ἐνέργεια ist insofern grundsätzlicher als Stoff-Form, als es nicht nur das Sein
(esse), sondern auch die Seinsweise der jeweiligen Prinzipien (modi essendi) zum
Ausdruck bringt. Einerseits sich das der Veränderung zugrundeliegende Vermögen

86 Metaph. Λ5, 1071a3–5. In diesem Text spricht Aristoteles zwar davon, dass die Prinzipien
von Möglichsein und Wirklichsein in die schon erwähnten drei Ursachen fallen (πίπτει δὲ καὶ ταῦτα
εἰς τὰ εἰρημένα αἴτια – Λ5, 1071a7–8). Aber in der Tat geht es darum, dass die drei Ursachen, näm-
lich Stoff, Privation und Form, auf die beiden Prinzipien, d. h. Möglichsein-Wirklichsein, zurückzu-
führen sind. Denn Stoff, Privation und Form können durch Möglichsein und Wirklichsein
gekennzeichnet sein, umgekehrt aber nicht.
1.2 Analogie 71

in Aktivität und Passivität spaltet (Metaph. Θ1, 1046a16–29; Phys. Γ3, 202b26–28).
Andererseits bleibt die Form entweder in der Möglichkeit oder in der Wirklichkeit,
je nachdem ob sie aktualisiert wird (Phys. Γ1, 201a9–10). Indem sich Aktivität-
Passivität des Vermögens und Möglichkeit-Wirklichkeit der Form miteinander
kreuzen, ergibt sich folgendes Schema (Tab. 7):

Tab. 7: Form, Privation und Stoff.

δύναμις τοῦ ποιεῖν δύναμις τοῦ πάσχειν

δυνάμει στέρησις

ἐνεργείᾳ εἶδος ὕλη

Aus dem Chiasmus folgt, dass jeweils die Form durch Aktivität und Aktualität,
die Privation durch Aktivität und Potentialität und der Stoff durch Passivität
und Aktualität gekennzeichnet sind. Der konkrete Stoff hat passives Vermögen,
um die Prägung der Form in sich aufzunehmen. Aber der Stoff ist nicht potenti-
ell, sondern ganz und gar real, denn um etwas Konkretes hervorzubringen,
muss er immer zur Verfügung stehen. Nicht der konkrete Stoff, sondern die
Form kann in der Möglichkeit existieren (στέρησις-δυνάμει),87 falls sie realisier-
bar ist, aber noch nicht realisiert wird. Was die Privation betrifft, ist diese
nichts anderes als die abwesende Form (ἀπουσία), die durch Aktivität und Po-
tentialität charakterisiert ist. Bei der anwesenden Form (παρουσία) fallen Akti-
vität und Aktualität/Aktualisierung zusammen.
Im Allgemeinen kann die Bewegung zusammen mit der Entstehung als die
Verwirklichung des möglichen Seienden als solchen definiert werden (ἡ τοῦ δυνά-
μει ὄντος ἐντελέχεια ᾗ τοιοῦτον, κίνησίς ἐστιν – Phys. Γ1, 201a10–11). Wie gesagt
ist das mögliche Seiende nicht der konkrete Stoff, sondern die Form, die sich im
Prozess der Veränderung immer als Potentielles verhalten muss. Die Form kann
deswegen weder völlig in der Möglichkeit bleiben noch durchaus in die Wirklich-
keit eintreten, weil die Veränderung bei der einen noch nicht anfängt und bei der

87 Der Originaltext lautet: ἐνεργείᾳ μὲν γὰρ τὸ εἶδος, ἐὰν ᾖ χωριστόν, καὶ τὸ ἐξ ἀμφοῖν στέρησις δέ,
οἷον σκότος ἢ κάμνον, δυνάμει δὲ ἡ ὕλη· τοῦτο γάρ ἐστι τὸ δυνάμενον γίγνεσθαι ἄμφω – Metaph.
Λ5, 1071a8–11). Der Stoff bleibt insofern in der Möglichkeit, als es ihm möglich ist, geformt oder
nicht geformt zu werden. Mit anderen Worten kann die Möglichkeit dem Stoff nur dann zukommen,
wenn dieser unter dem Aspekt der abwesenden Form betrachtet wird. Der konkrete Stoff liegt tat-
sächlich vor und existiert in der Wirklichkeit.
72 1 Metaphysik

anderen schon zu Ende geht. Was die aristotelische Definition der Veränderung
angeht, so ist diese weder der Anfang noch das Ende, sondern der Prozess vom
Anfang zum Ende. So können die Bewegung und die Entstehung gemeinsam als
ein Prozess definiert werden, in dem die Form von der Möglichkeit in die Wirklich-
keit gelangt (τὸ δυνάμει ὄν→τὸ ἐνεργείᾳ ὄν).
Sowohl „Stoff-Form“ als auch „Dynamis-Energeia“ bringen die Prinzipien von
Bewegung und Entstehung zum Ausdruck. Wird der Akzent auf die Substantialität
von Sachverhalt und Einzelsubstanz gelegt, tritt die Analogie von beweglichem/
veränderlichem Sachverhalt und entstandener Einzelsubstanz (d. h. von sachlicher
Bewegung/Veränderung und substanzieller Entstehung) in Erscheinung, und zwar
in der Gestalt von „Stoff-Form“. Hinsichtlich der Prozessualität lässt sich die Ana-
logie von Bewegung und Entstehung mit „Dynamis-Energeia“ aufzeigen.88

88 Die Einführung von δύναμις und ἐνέργεια trägt mehrere theoretische Funktionen in sich. Außer
dem oben erwähnten Perspektivenwechsel lässt sich die ontologische Priorität des Naturdings vor
dem Artefakt hervorheben, indem Potentialität-Aktualität in den Vordergrund rücken und Stoff-
Form in den Hintergrund treten. Denn die Selbstaktualisierung der potentiellen Naturart vollzieht
sich notwendiger als die nachträgliche Zusammensetzung von Form und Stoff. In Λ5 betont Aristote-
les, dass sich δύναμις und ἐνέργεια auf eine andere Art und Weise verhalten (ἄλλως – Metaph. Λ5,
1071a5–6, 1071a11). Aufgrund dessen machen sie es möglich, die drei Typen von Substanzen (Lebe-
wesen, Gestirn und Geist) in analogische Beziehung zu setzen. Im Vergleich zu den vergänglichen
Einzellebewesen sind die ewig bewegten Gestirne weder entstanden noch vergänglich und der Geist
als intelligible Substanz hebt die Materialität auf. In beiden Fällen kommt die hylemorphistische Er-
klärung nicht mehr zur Geltung, denn der Hylemorphismus setzt die Materialität und die Entstehung
voraus. Demzufolge kann die strukturelle Ähnlichkeit von Einzellebewesen, Gestirn und Geist nicht
in der Struktur von Stoff-Form, sondern im Gefüge von Vermögen-Verwirklichung (potentia-actus)
gründen. Während die irdische Entstehung und die himmlische Bewegung als unvollkommene Ver-
wirklichung des natürlichen Vermögens gelten (actus imperfectus/ἐνέργεια ἀτελής: ἥ τε κίνησις
ἐνέργεια μὲν εἶναί τις δοκεῖ, ἀτελὴς δέ – Phys. Γ2, 201b31–32; πᾶσα γὰρ κίνησις ἀτελής, ἰσχνασία
μάθησις βάδισις οἰκοδόμησις·αὗται δὴ κινήσεις, καὶ ἀτελεῖς γε – Metaph. Θ6, 1048b29–30), verhält
sich die geistige Tätigkeit als vollkommene Aktualisierung ihrer selbst (actus perfectus/ἁπλῶς ἐνέρ-
γεια = ἐνέργεια τοῦ τετελεσμένου: ἡ γὰρ κίνησις τοῦ ἀτελοῦς ἐνέργεια, ἡ δ’ ἁπλῶς ἐνέργεια ἑτέρα, ἡ
τοῦ τετελεσμένου – De An. Γ7, 431a6–7; ἁπλῆ οὐσία κατ’ ἐνέργειαν: καὶ ταύτης ἡ οὐσία πρώτη, καὶ
ταύτης ἡ ἁπλῆ καὶ κατ’ ἐνέργειαν – Metaph. Λ7, 1072a31–32; ἐντελέχεια: τὸ δὲ τί ἦν εἶναι οὐκ ἔχει
ὕλην τὸ πρῶτον·ἐντελέχεια γάρ. ἓν ἄρα καὶ λόγῳ καὶ ἀριθμῷ τὸ πρῶτον κινοῦν ἀκίνητον ὄν – Me-
taph. Λ8, 1074a35–37). Da sowohl den Naturdingen als auch den Himmelskörpern der Stoff inne-
wohnt, sind die Entstehung der einen und die Bewegung der anderen passiv und prozessual. Die
Veränderung im sublunaren Bereich ist insofern nicht vollendet, als sie immer zwischen
dem möglichen und dem wirklichen Zustand stattfindet. Die geistige Tätigkeit als actus perfectus ist
dadurch vor dem actus imperfectus ausgezeichnet, dass sie sich selbst nicht nur ein Ziel setzt, son-
dern dieses auch unmittelbar erreicht (1071a35–1071b1). Der Geist vollendet sich deswegen unmittel-
bar, weil er durch die Aufhebung der Materialität und der Passivität die Prozessualität mit aufhebt.
1.2 Analogie 73

Aus dem Dargelegten zeigt sich, dass die Analogie ursprünglich in der
ontologischen Strukturähnlichkeit gründet und letztendlich zur logischen bzw.
analogischen Begriffseinheit führt (τὰ ὀνόματα καθ’ ὁμοιότητα τῶν πραγμάτων –
De An. B9, 421a32–421b1). Die Analogie ermöglicht erst, in verschiedenen Seinsebe-
nen dieselben Begriffe anzuwenden, die die Prinzipien von Stoff-Form und
von Möglichsein-Wirklichsein betreffen. Wenn man in der Theoriebildung die
sachlichen Verschiedenheiten berücksichtigt, lässt sich die Gemeinsamkeit nur
durch die Analogie zusammenschauen (δῆλον δ’ ἐπὶ τῶν καθ’ ἕκαστα τῇ ἐπαγωγῇ
ὃ βουλόμεθα λέγειν, καὶ οὐ δεῖ παντὸς ὅρον ζητεῖν ἀλλὰ καὶ τὸ ἀνάλογον συνορᾶν –
Metaph. Θ6, 1048a35–37), die die Gattungs- oder Artdifferenz in sich einbeschließt.
Im Text bringt Aristoteles zum Ausdruck, dass die Natur der zugrundeliegenden
Materie anhand der Analogie zur Kenntnis genommen (ἡ δὲ ὑποκειμένη φύσις
ἐπιστητὴ κατ’ ἀναλογίαν – Phys. A7, 191a7–8) und die Wirklichkeit mithilfe des
Analogons einheitlich ausgesagt werden muss (λέγεται δὲ ἐνεργείᾳ οὐ πάντα
ὁμοίως ἀλλ’ ἢ τῷ ἀνάλογον – Metaph. Θ6, 1048b6–7). Im Grunde genommen aber
gilt die analogische Begriffseinheit nicht nur für Materie und Wirklichkeit, sondern
auch für die Möglichkeit, die eng mit der Materialität zusammenhängt, und für die
Form, die sich mit der Wirklichkeit gleichsetzen lässt. Denn die analogische Struk-
tur zwischen verschiedenen Seienden kann nur durch das Zusammenwirken von
Form und Stoff bzw. von Wirklichein und Möglichsein konstituiert sein.
Nach der summarischen Darstellung der aristotelischen Proportionalitätsanalo-
gie (d. h. geometrischen Analogie), die den Originaltexten folgt und diesen möglichst
naheliegt, gehen wir auf die systematische Entfaltung ein. Sie kommt dadurch zu-
stande, dass die einzelnen Argumente anhand des Verweisungszusammenhangs
der verschiedenen Texte sinngemäß zusammengefügt und rekonstruiert werden.
In erster Linie kommt die Analogie innerhalb von Logos, Veränderung und Sein
zur Entfaltung, um das logische Verhältnis zwischen Akzidenz- und Wesensprädika-
tion, das ontische Verhältnis der Bewegung zur Entstehung und das ontologische
Verhältnis von Sachverhalt und Einzelsubstanz einsichtig zu machen. Aufgrund der
ontologischen Differenz sind die zugrundeliegende Einzelsubstanz und die Kategorie
voneinander unterschieden (ὑποκείμενον-κατηγορία). Aufgrund des Einteilungskri-
teriums von per accidens und per se sind die zehn Kategorien in die akzidentelle
und die wesentliche Kategorie ausdifferenziert (κατὰ συμβεβηκός-καθ’ αὑτό). An-
hand desselben Einteilungskriteriums von per accidens und per se unterscheidet
sich daher in der Aussage die Akzidenzprädikation von der Wesensprädikation, in
der Veränderung die Bewegung von der Entstehung und im Seinsbereich der

In Bezug auf den Unterschied zwischen actus imperfectus und actus perfectus ist der berühmte
sprachliche Beweis in der Metaphysik Θ6, 1048b18–35 zu vergleichen.
74 1 Metaphysik

Sachverhalt von der Einzelsubstanz. Die Analogie von Akzidenz- und Wesensprä-
dikation besteht darin, dass die beiden an der gemeinsamen Prädikationsstruktur
von Subjekt und Prädikat (ὄνομα-ῥῆμα) teilhaben müssen, die in der ontologi-
schen Differenz von Einzelsubstanz und Kategorie fundiert ist (ὑποκείμενον-κατη-
γορούμενον). Die analogische Struktur von Bewegung und Entstehung zeigt sich
daran, dass sich in beiden Fällen das Zugrundeliegende und der Gegensatz im
Sinne von Vollendung-Privation zusammenfügen (ὑποκείμενον-ἀντίθεσις). Der
Sachverhalt und die Einzelsubstanz stehen insofern im analogischen Verhältnis,
als beide Komposita sind, die aus der Zusammensetzung von materialem (ὑπο-
κείμενον/ὕλη) und formalem Prinzip (κατηγορούμενον/μορφή) resultieren.
Daher verhalten sich die Akzidenzprädikation zur Wesensprädikation, die Bewe-
gung zur Entstehung und das akzidentelle Kompositum zum substanziellen Kom-
positum analog. In dieser Analogie zeigen sich jeweils die logische, die ontische
und die ontologische strukturelle Ähnlichkeit. Darüber hinaus können das logi-
sche Gefüge von Subjekt und Prädikat, das ontische Gefüge von Substrat und Ge-
gensatz und das ontologische Gefüge von Substanz und Kategorie in die
grundlegende Struktur von Stoff und Form vereinigt sein, die auf die funktionale
Struktur von Erleiden und Machen zurückgeht. Zur Veranschaulichung soll das
Dargelegte im folgenden Schema gezeigt werden (Abb. 2):

Abb. 2: Analogie innerhalb von Logos, Veränderung und Sein.


1.2 Analogie 75

Einen Schritt weitergehend bildet sich nicht nur die Analogie jeweils inner-
halb von Sein, Veränderung und Logos, sondern auch und besonders die Ana-
logie zwischen Sein, Veränderung und Logos. Zum einen verhalten sich
Sachverhalt, Bewegung und Meinung, die den akzidentellen Sachverhalt aus-
drückt, zueinander analog (πρᾶγμα-κίνησις-δόξα). Zum anderen setzen sich Ein-
zelsubstanz, Entstehung und die Definition, die die Wesenssubstanz definiert,
auch in analogische Beziehung (τόδε τι-γένεσις-ὁρισμός). Indem die Entste-
hung der Einzelsubstanz und die Definition der Wesenssubstanz zueinander
analog stehen, kommt die Grundstruktur von Form-Stoff und von Machen-
Erleiden ans Licht, die der Einheit der Substanzen zugrunde liegt. Die verschie-
denen Seienden, nämlich Einzelsubstanz, Wesenssubstanz, Grundelement,
Himmelskörper und Geist, lassen sich dadurch gemeinsam für Substanz halten,
dass an demselben Gefüge von Form-Stoff, von Machen-Erleiden und von Wir-
klichsein-Möglichsein die Entstehung des einzelnen Naturseienden, die We-
sensdefinition der Naturart, die Umwandlung der vier Grundelemente und die
Kreisbewegung des Himmelskörpers teilhaben. Die ganze Metaphysik des Aris-
toteles baut deswegen auf der analogischen Struktur von Form-Stoff, von Ma-
chen-Erleiden und von Wirklichsein-Möglichsein auf, weil die analogische
Struktur einerseits der sensiblen Substanz immanent ist und andererseits von
der intelligiblen Substanz aufgehoben wird. Die intelligible Substanz, nämlich
der Geist, hebt die analogische Struktur auf, indem er von Materialität, Passivi-
tät und Möglichkeit befreit ist. Denn der Geist ist nichts anderes als die reine
aktive Aktualisierung seiner selbst.
Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit soll zunächst die dreifache struktu-
relle Übereinstimmung von Sachverhalt, Bewegung und Meinung thematisiert
werden, die theoretisch fundamental für die Übereinstimmungswahrheit ist
(2.1). Dann gehen wir auf die Analogie von Einzelsubstanz, Entstehung und De-
finition ein, die dazu führt, die drei Modalitäten von Möglichkeit, Wirklichkeit
und Notwendigkeit zu begründen (2.2). Im dritten Teil wird zuerst die Analogie
im Hinblick auf Sein, Veränderung und Logos zusammengefasst (3.1). Aufgrund
dessen ist darzustellen, wie die analogische Struktur die sensiblen Substanzen
(Grundelement, Lebewesen, Himmelskörper) durchdringt und von der intelli-
giblen Substanz (Geist) aufgehoben wird. Anschließend werden wir sehen, dass
sich die analogische Struktur, die in der Substanz- bzw. der Prinzipienlehre
gründet, nicht nur auf die anderen theoretischen Wissenschaften (Physik, Ma-
thematik), sondern auch auf die poetische und die praktische Wissenschaft
und weiter noch auf die Epistemologie erstreckt. Am Schluss ist von der aristo-
telischen Theologie die Rede und der Akzent wird darauf gelegt, wie der Geist
argumentativ zur Entfaltung kommt (3.2).
2 Zweite Philosophie (Physik)

Im Rahmen der sinnlich wahrnehmbaren und vergänglichen Einzelsubstanz


legt die Prinzipienforschung den Akzent auf die dreifache Entsprechung von
Sein, Logos und Veränderung. In einem ersten Schritt (2.1) lässt sich aufzeigen,
wie sich die Einzelsubstanz verhält, wenn die Kategorie der zugrundeliegenden
Einzelsubstanz zukommt (κατὰ συμβεβηκός). Anhand der strukturellen Ähn-
lichkeit ergibt sich die dreifache Übereinstimmung von Sachverhalt, Aussage
und Bewegung (πρᾶγμα-δόξα-κίνησις). Aufgrund dessen ist das Einzelding als
Substanz zu bezeichnen, weil es als ontologische Substanz dem Sachverhalt,
als logisches Subjekt der Aussage und als ontisches Substrat der Bewegung
dreifältig zugrunde liegt. Im zweiten Schritt (2.2) betrachten wir die Einzelsub-
stanz an sich (καθ’ αὑτό). Einzelding, Entstehung und Definition kommen da-
durch in Übereinkunft (τόδε τι-γένεσις-ὁρισμός), dass sich die ontologische
Struktur von Stoff und Form in die Entstehung der Einzelsubstanz einerseits
und in die Definition der Wesenssubstanz andererseits ausdehnt. Wie Sachver-
halt, Bewegung und Aussage miteinander strukturell übereinstimmen, so ste-
hen auch Einzelding, Entstehung und Definition zueinander analog. Das
vollständige Schema lässt sich folgendermaßen darstellen (Abb. 3):

Abb. 3: Übereinstimmung von Sein, Logos und Veränderung.

2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung (πρᾶγμα-δόξα-κίνησις)

Die sinnlich wahrnehmbare Einzelsubstanz kann in zweierlei Hinsichten be-


trachtet werden, nämlich per accidens und per se. Daraus resultieren das
https://doi.org/10.1515/9783110664928-003
78 2 Zweite Philosophie (Physik)

akzidentelle Kompositum, wobei die zugrundeliegende Substanz mit der ihr zu-
kommenden Kategorie zusammengefügt ist (σύνθετον = ὑποκείμενον + κατηγο-
ρούμενον), und das substanzielle Kompositum, das aus Stoff und Form
zusammengesetzt wird (σύνολον = ὕλη + μορφή).89 In Bezug auf das akzidentelle
Kompositum gehen wir zunächst davon aus, dass der ontologische Sachverhalt

89 Das akzidentelle Kompositum ist durch σύνθετον gekennzeichnet und das substanzielle
Kompositum durch σύνολον. (1) σύνθετον: (1.1) Metaph. Z4, 1029b22–25: ἐπεὶ δ’ ἔστι καὶ κατὰ
τὰς ἄλλας κατηγορίας σύνθετα, ἔστι γάρ τι ὑποκείμενον ἑκάστῳ, οἷον τῷ ποιῷ καὶ τῷ ποσῷ καὶ
τῷ πο τὲ καὶ τῷ ποὺ καὶ τῇ κινήσει, σκεπτέον ἆρ’ ἔστι λόγος τοῦ τί ἦν εἶναι ἑκάστῳ αὐτῶν, καὶ
ὑπάρχει καὶ τούτοις τό τί ἦν εἶναι, οἷον λευκῷ ἀνθρώπῳ [τί ἦν λευκῷ ἀνθρώπῳ]. (1.2) Phys. A7,
190b10–13: ὥστε δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τὸ γιγνόμενον ἅπαν ἀεὶ συνθετόν ἐστι, καὶ ἔστι
μέν τι γιγνόμενον, ἔστι δέ τι ὃ τοῦτο γίγνεται, καὶ τοῦτο διττόν· ἢ γὰρ τὸ ὑποκείμενον ἢ τὸ ἀντι-
κείμενον. (2) σύνολον: (2.1) Metaph. B1, 995b35; B4, 999a33–34, 999b16, 999b24; K2,
1060b24–25; Z3, 1029a3–5: λέγω δὲ τὴν μὲν ὕλην οἷον τὸν χαλκόν, τὴν δὲ μορφὴν τὸ σχῆμα τῆς
ἰδέας, τὸ δ’ ἐκ τούτων τὸν ἀνδριάντα τὸ σύνολον. (2.2) Alexandri In Metaphysica Commentaria
(Im Folgenden zitiert als „Alexander“) 178.29–32: ἢ σύνολον λέγει τὸ συναμφότερον. εἰπὼν δὲ
σύνολον, πῶς σύνολόν τί ἐστιν ἐδήλωσε, προσθεὶς < ὅταν κατηγορηθῇ τι τῆς ὕλης,> τουτέστιν
ὅταν ἡ ὕλη μετά τινος εἴδους ληφθῇ. ἢ σύνολον τὸ ἔνυλον. (2.3) Alexander 640.36–37: ἔτι,
φησίν, < ἔστι τι παρὰ τὸ σύνολον, > λέγων σύνολον τὸ ἐξ ὕλης καὶ εἴδους, ἢ < οὔ; > Obwohl an
einigen Stellen das σύνθετον das substanzielle Kompositum (Metaph. Δ24, 1023a31–33) und das
σύνολον das akzidentelle Kompositum (Metaph. M2, 1077b8–9) bezeichnet, legt Aristoteles die
terminologische Anwendung beider Begriffe prinzipiell fest. In der vorliegenden Arbeit werden
σύνθετον sowie σύνολον eindeutig verwendet, nämlich dass sich das σύνθετον auf das akziden-
telle Kompositum und das σύνολον auf das substanzielle Kompositum bezieht. In Bezug auf den
Unterschied zwischen dem akzidentellen und dem substanziellen Kompositum kann man die
folgende Erläuterung vergleichen: (1) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.3 n.10 [82881]:
„Sicut enim in substantiis sensibilibus compositis est materia, quae subiicitur formae substan-
tiali, ita etiam alia praedicamenta habent suum subiectum. Est enim aliquod subiectum unicui-
que eorum, sicut qualitati et quantitati et quando et ubi et motui, sub quo comprehenditur agere
et pati. Unde sicut quoddam compositum est ignis ex materia et forma substantiali, ita est quae-
dam compositio ex substantiis et accidentibus.“ (2) Thomas Sententia Metaphysicae lib.9 l.11 n.4
[83469]: „Et ideo, si talis operatio intellectus ad rem debeat reduci sicut ad causam, oportet
quod in compositis substantiis ipsa compositio formae ad materiam, aut eius quod se habet per
modum formae et materiae, vel etiam compositio accidentis ad subiectum, respondeat quasi
fundamentum et causa veritatis, compositioni, quam intellectus interius format et exprimit voce.
Sicut cum dico, Socrates est homo, veritas huius enunciationis causatur ex compositione formae
humanae ad materiam individualem, per quam Socrates est hic homo: et cum dico, homo est
albus, causa veritatis est compositio albedinis ad subiectum: et similiter est in aliis.“ (3) Ross
(1924: 169): „There are σύνθετα or σύνολονα, not only within the category of substance (1029a5,
Δ24, 1023a31) but also corresponding to the other categories, i. e. not only combination of matter
and form but also (more complicated) combination of substance and accidental attribute. In fact
every term in any category other than substance presupposes an underlying substance in which
it inheres.“
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 79

mit der logischen Aussage übereinstimmt (2.1.1). Dann gehen wir auf die wech-
selseitige Beziehung von Sein und Veränderung ein (2.1.2). Anschließend richten
wir die Aufmerksamkeit darauf, wie die Veränderung bzw. die Bewegung begriff-
lich bestimmt ist (2.1.3). Am Ende fassen wir die vorhergehenden Abschnitte an-
hand der Übereinstimmungswahrheit zusammen, die am offenkundigsten die
ontisch-logisch-ontologische Übereinstimmung von Bewegung, Aussage und
Sachverhalt ans Licht bringt (2.1.4).

2.1.1 Sachverhalt-Meinung (πρᾶγμα-δόξα)

2.1.1.1 Die ontologische Differenz


In erster Linie ist es die ontologische Differenz, welche die strukturelle Ähn-
lichkeit von Sein und Logos ausmacht. Um Substanz und Kategorie vonein-
ander zu unterscheiden, führt Aristoteles zwei Kriterien ein, nämlich das
Seins- (ἐν ὑποκειμένῳ εἶναι) und das Aussagekriterium (καθ’ ὑποκειμένου
λέγεσθαι). Einerseits liegt das Seiende entweder im Zugrundeliegenden vor
oder nicht. Andererseits wird das Seiende entweder vom Zugrundeliegenden
ausgesagt oder nicht. Anhand der beiden Gegensatzpaare vollzieht sich die
vierfache Einteilung. Bevor sich der Chiasmus entwickelt, muss zunächst
klar sein, was mit den beiden Kriterien gemeint ist. Im Text steht eine Defini-
tion des Im-Zugrundeliegenden-Seins zur Verfügung, woraus die Bedeutun-
gen der anderen drei Ausdrücke abgeleitet werden können.

ἐν ὑποκειμένῳ δὲ λέγω ὃ ἔν τινι μὴ ὡς μέρος ὑπάρχον ἀδύνατον χωρὶς εἶναι τοῦ ἐν ᾧ


ἐστίν. – Cat. 2, 1a24–25

„Im Zugrundeliegenden“ nenne ich das, was im Bestimmten (Einzelnen) vorliegt.


Es ist weder wie ein Bestandteil vorhanden noch kann es von dem, worin es sich
befindet, getrennt werden. Wovon die Rede ist, ist nichts anderes als das Akzi-
denz. Denn Form und Stoff befinden sich zwar im zugrundeliegenden Einzelding,
aber die beiden konstituieren als Bestandteile das einzelne Artefakt und können
davon abgesondert werden.90 Durch die begriffliche Einschränkung kann das

90 Der Begriff „Teil“ ist mehrdeutig. Anhand der Grundbedeutung entfaltet sich derselbe Begriff
in verschiedenen Seinsbereichen. Aufgrund bestimmter Textauszüge (Phys. Δ3, 210a14–20; Me-
taph. Δ24, 1023a31–1023b2; Δ25, 1023b12–25; Z10, 1034b32–1035a9, 1035b31–1036a2) werden wir
die Mehrdeutigkeit des Teils analysieren und systematisch darstellen. An die platonische Tradi-
tion anknüpfend definiert Aristoteles das Ganze als solches, von dem kein einziger Teil abwe-
send ist (Τί δὲ τὸ ὅλον; οὐχὶ οὗ ἂν μέρος μηδὲν ἀπῇ ὅλον ἂν εἴη; Πάνυ γε – Prm. 137c7–8; Ὅλον
λέγεται οὗ τε μηθὲν ἄπεστι μέρος ἐξ ὧν λέγεται ὅλον φύσει – Metaph. Δ26, 1023b26–27). Da der
80 2 Zweite Philosophie (Physik)

Seiende, das im Zugrundeliegenden vorliegt, nur als Akzidenz zu verstehen sein


(ἐν ὑποκειμένῳ εἶναι = συμβεβηκόϛ). Dementsprechend impliziert das Seiende,
das nicht im Zugrundeliegenden vorhanden ist, das Gegenteil des Akzidenz,
nämlich die Substanz (οὐκ ἐν ὑποκειμένῳ εἶναι = οὐσία). Der Begriff „ὑποκείμε-
νον“ ist insofern zweideutig, als er im Seinskriterium das ontologisch Zugrunde-
liegende und im Aussagenkriterium das logisch Zugrundeliegende bezeichnet.91

Teil per definitionem Teil eines Ganzen ist (Τὸ μέρος που ὅλου μέρος ἐστίν – Prm. 137c6,
142b6–8), ist der Teil der Bestandteil, woraus das Ganze konstituiert ist oder der Teil ist das, in
das sich die Ganzheit zerlegen lässt (ἔτι εἰς ἃ διαιρεῖται ἢ ἐξ ὧν σύγκειται τὸ ὅλον – Metaph. Δ25,
1023b19–20; Z10, 1035a24–25, 1035b11–12). Da der Teil durch die Teilung der Ganzheit zustande
kommt, lässt sich die Teilbarkeit als Grundbedeutung des Teils festlegen. Je nachdem, ob das
Seiende quantitativ, substanziell oder definitorisch geteilt wird, kann der Teil dreifach zum Vor-
schein kommen. (1) Erstens ist die Zahl numerisch teilbar (ποσόν). Die numerische Teilbarkeit
kann weiter zwiefältig zu unterscheiden sein (Primo modo pars dicitur, in quam dividitur aliquid
secundum quantitatem: et hoc dupliciter – Thomas Sententia Metaphysicae lib.5 l.21 n.9 [82658]).
(1.1) Zum einen ist eine kleine Zahl der Teil einer großen Zahl, denn die große Zahl kann in die
kleine geteilt werden (Metaph. Δ25, 1023b12–15). (1.2) Zum anderen ist zwei als kleinste Maßein-
heit ein Teil aller geraden Zahlen, da alle geraden Zahlen durch zwei gemessen und auf zwei
reduziert werden können (μετροῦν, καταμετροῦν – Metaph. Δ25, 1023b15–17; Z10, 1034b32–33;
Alexander 423.39–424.6; 503.4–7). (2) Außer der numerischen Teilbarkeit der Zahl ist zweitens
von der Teilbarkeit der Substanz die Rede (οὐσία). Drei Typen von Substanzen, nämlich das
Kompositum, die Form/Art und die Gattung sind teilbar. (2.1) Indem sich die erzene Statue in
den Stoff Erz und die bestimmte Gestalt zerlegen lässt, sind Stoff und Form die Bestandteile des
zusammengesetzten Einzeldings (Metaph. Δ25, 1023b19–22; Z10, 1035a25–27). (2.2) Die Art oder
die Form kann auf die formalen Bestandteile zu reduzieren sein. Wenn die mathematischen En-
titäten zergliedert werden, wie z. B. der Kreis in die Halbkreise oder die Linie in die Linienhälf-
ten, ergeben sich der Halbkreis und die Linienhälfte jeweils als Bestandteil des ganzen Kreises
und der ganzen Linie (Metaph. Z10, 1035b9–12; Θ6, 1048a33). Der Seele wohnen die verschiede-
nen Vermögen inne, die als Seelenteile angesehen werden können (ὅτι μὲν οὖν ἡ τοιαύτη δύναμις
κινεῖ τῆς ψυχῆς, ἡ καλουμένη ὄρεξις, φανερόν. τοῖς δὲ διαιροῦσι τὰ μέρη τῆς ψυχῆς, ἐὰν κατὰ τὰς
δυνάμεις διαιρῶσι καὶ χωρίζωσι, πάμπολλα γίνεται, θρεπτικόν, αἰσθητικόν, νοητικόν, βουλευτικόν,
ἔτι ὀρεκτικόν· ταῦτα γὰρ πλέον διαφέρει ἀλλήλων ἢ ἐπιθυμητικὸν καὶ θυμικόν – De An. Γ10,
433a31–b4; Metaph. Z10, 1035b13–20; Alexander 424.29–31). (2.3) Außer der Teilbarkeit des kon-
kreten Einzeldings (Artefakt) und des formalen Seienden (mathematische Entitäten, Seele) diffe-
renziert sich die Gattung in verschiedene Arten aus, sodass die Arten zum Teil der Gattung gezählt
werden können (διὸ τὰ εἴδη τοῦ γένους φασὶν εἶναι μόρια – Metaph. Δ25, 1023b17–19; Phys. Δ3,
210a17–18). (3) Drittens ist die Definition teilbar (λόγος), insofern sie als sprachlicher Komplex gilt.
Da die Wesensdefinition aus Gattung und spezifischer Differenz konstituiert ist, kann sie in beide
Definitionselemente geteilt werden. Die Gattung ist der definitorische Bestandteil der Art und die
Art ist der substanzielle Teil der Gattung (διὸ τὸ γένος τοῦ εἴδους καὶ μέρος λέγεται, ἄλλως δὲ τὸ
εἶδος τοῦ γένους μέρος – Metaph. Δ25, 1023b22–25; Phys. Δ3, 210a17–20).
91 (1) Ammonii In Categoriarum 26.10–12: ἢ ὅτι τὸ ὑποκείμενον διχῶς λέγεται, τὸ μὲν πρὸς
ὕπαρξιν ὡς ἡ οὐσία τοῖς συμβεβηκόσι, τὸ δὲ πρὸς κατηγορίαν ὡς αἱ μερικαὶ οὐσίαι ταῖς
καθόλου. (2) Philoponi In Categoriarum 30.25–28: Πρὸς τούτοις ἐροῦμεν ὅτι τὸ ὑποκείμενον
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 81

In der Prädikation ist nicht von der ontologischen Substanz, sondern vom logi-
schen Subjekt die Rede. Was vom zugrundeliegenden Subjekt ausgesagt wird, ist
das allgemeine Prädikat (καθ’ ὑποκειμένου λέγεσθαι = καθόλου). Dasjenige, was
nicht vom zugrundeliegenden Subjekt ausgesagt wird – anders formuliert: nicht
als Prädikat verwendet wird –, weist die Einzelheit auf (οὐ καθ’ ὑποκειμένου λέ-
γεσθαι = μερικόν). Dadurch, dass sich Substanz-Akzidenz und Allgemeinheit-
Einzelheit miteinander überkreuzen, ergibt sich die folgende Vierteilung (Tab. 8):

Tab. 8: Ontologische Differenz.

οὐσία συμβεβηκός

καθόλου ἄνθρωπος, ζῷον τὸ λευκόν

μερικόν ὁ τὶς ἄνθρωπος τὸ τὶ λευκόν

Anhand des Chiasmus ist das Seiende in vier Klassen einzuteilen: die allgemeine
Substanz (καθόλου οὐσία), die nicht in dem Zugrundeliegenden vorhanden ist,
sondern von demselben ausgesagt wird; die einzelne Substanz (μερικὴ οὐσία),
die weder in dem Zugrundeliegenden vorhanden ist, noch von demselben ausge-
sagt wird; das allgemeine Akzidenz (καθόλου συμβεβηκός), das sowohl in dem
Zugrundeliegenden vorhanden ist als auch von demselben ausgesagt wird; und
das einzelne Akzidenz (μερικὸν συμβεβηκός), das zwar in dem Zugrundeliegen-
den vorhanden ist, aber nicht von demselben ausgesagt wird.92
Diese Unterscheidung führt zu wichtigen theoretischen Konsequenzen. Ers-
tens fallen die allgemeine Substanz (καθόλου οὐσία) und die einzelne Substanz
(μερικὴ οὐσία) auseinander. Mit der einen ist die Wesenssubstanz gemeint und
mit der anderen die Einzelsubstanz. Im Zusammenhang mit der Kategorienlehre
nennt Aristoteles die Wesenssubstanz die zweite Substanz (καθόλου οὐσία =
εἶδος, γένος = δεύτερα οὐσία)93 und die Einzelsubstanz die erste Substanz (μερικὴ

διττόν, τὸ μὲν πρὸς ὕπαρξιν ὑποκείμενον τὸ δὲ πρὸς κατηγορίαν· πρὸς ὕπαρξιν μὲν ἡ οὐσία
(αὕτη γὰρ ὑπόκειται πρὸς ὕπαρξιν τοῖς συμβεβηκόσι), πρὸς κατηγορίαν δὲ τὰ μερικά.
92 Cat. 2, 1a20–1b6; Porphyrii In Categoriarum 78.34–79.11; Ammonii In Categoriarum 25.5–12;
Simplicii In Categoriarum 44.11–25; Philoponi In Categoriarum 28.9–23; Olympiodori In Aristotlis
Categorias Commentarius 43.3–11; Eliae (olim Davidis) In Categoriarum 147.7–11.
93 Cat. 5, 2a14–19: δεύτεραι δὲ οὐσίαι λέγονται, ἐν οἷς εἴδεσιν αἱ πρώτως οὐσίαι λεγόμεναι
ὑπάρχουσιν, ταῦτά τε καὶ τὰ τῶν εἰδῶν τούτων γένη· οἷον ὁ τὶς ἄνθρωπος ἐν εἴδει μὲν ὑπάρχει
τῷ ἀνθρώπῳ, γένος δὲ τοῦ εἴδους ἐστὶ τὸ ζῷον· δεύτεραι οὖν αὗται λέγονται οὐσίαι, οἷον ὅ τε
ἄνθρωπος καὶ τὸ ζῷον.
82 2 Zweite Philosophie (Physik)

οὐσία = τόδε τι = πρώτη οὐσία).94 Bemerkenswert ist, dass die Wesenssubstanz


zwar die Allgemeinheit hervorhebt (εἶδος/γένος-καθόλου) und die Einzelsubstanz
die Individualität in den Vordergrund bringt (τόδε τι-καθ’ ἕκαστον), die beiden
aber beim einzelnen Naturding ursprünglich vereinigt sind.95
Zweitens ist nicht nur die Substanz, sondern auch das Akzidenz in Einzelheit
und Allgemeinheit gespalten. Zweifelsohne befindet sich das einzelne Akzidenz
im zugrundeliegenden Einzelding, wie z. B. die bestimmte grammatische Kennt-
nis (ἡ τὶς γραμματική) in der einzelnen Seele oder das eine Weiße (τὸ τὶ λευκόν)
beim Einzelkörper vorliegt. Die einzelne Beschaffenheit kann zwar dem konkre-
ten Einzelding inhärent sein, nicht aber vom Zugrundeliegenden prädiziert wer-
den. Kommt das Akzidenz als Prädikat dem Einzelding als Subjekt zu, geht das
einzelne Akzidenz unmittelbar in das allgemeine Prädikat über. Denn das Prädi-
kat trägt die Funktion in sich, das Subjekt verallgemeinernd auszusprechen.96 In
der Tat wohnt diesem Körper zwar das gewisse Weiße inne, in der Aussage aber
kann nur das verallgemeinerte Weiße zur Sprache kommen, nämlich dass dieser
Körper weiß ist.
Drittens dient die chiastische Einteilung dazu, die Einzelsubstanz von der Ka-
tegorie (μερικὴ οὐσία-κατηγορία), d. h. das Zugrundeliegende von dem Zukomm-
enden (ὑποκείμενον-συμβεβηκός), zu differenzieren. Die ontologische Differenz
von Substanz und Kategorie ist insofern theoretisch von großer Bedeutung, als das
ursprünglich Untrennbare trennbar gemacht wird. Beim konkreten Sachverhalt
sind die zugrundeliegende Einzelsubstanz und die zukommende Kategorie nicht
nur sachlich untrennbar, sondern auch schwierig voneinander zu unterscheiden.

94 Cat. 5, 2a11–14: Οὐσία δέ ἐστιν ἡ κυριώτατά τε καὶ πρώτως καὶ μάλιστα λεγομένη, ἣ μήτε
καθ’ ὑποκειμένου τινὸς λέγεται μήτε ἐν ὑποκειμένῳ τινί ἐστιν, οἷον ὁ τὶς ἄνθρωπος ἢ ὁ τὶς
ἵππος.
95 Es ist keineswegs ein Zufall, dass Aristoteles das einzelne Naturseiende, die Art und die
Gattung gemeinsam als Ousia bezeichnet. Das Zusammenfallen der Einzelsubstanz mit den
beiden Wesenssubstanzen lässt sich einerseits mit der Wesensprädikation aufzeigen, dass So-
krates Mensch und Lebewesen ist. Andererseits ist das notwendige Prädikationsverhältnis an-
hand der teleologischen Naturentstehung nachzuweisen. Ist ein einzelner Mensch geboren,
trägt er per se die menschliche Art und die Gattung Lebewesen in sich.
96 Simplicii In Categoriarum 17.14–24: οἷον ‚Σωκράτης ἄνθρωπός ἐστιν‘· ὑπόκειται μὲν ὁ Σωκ-
ράτης, κατηγορεῖται δὲ ὁ ἄνθρωπος. καὶ ὑπόκειται μὲν τὸ μερικώτερον, κατηγορεῖται δὲ τὸ
καθολικώτερον, καὶ ἀδύνατον ἐπὶ τῶν κυρίως κατηγορουμένων ἀντιστρέψαι· οὐ γὰρ δυνατὸν
εἰπεῖν ὅτι ὁ ἄνθρωπος Σωκράτης ἐστὶν οὐδὲ ὅτι τὸ ζῷον ἄνθρωπος. ἔστιν δὲ τὰ μὲν μόνως κα-
τηγορούμενα, ὡς καὶ ἐν τῇ Πορφυρίου Εἰσαγωγῇ εἴρηται, τὰ γενικώτατα γένη, τὰ δὲ μόνως
ὑποκείμενα, τὰ ἄτομα. καὶ γὰρ ἐκείνων μὲν τὰ ἄλλα μετέχει, διὸ καὶ λέγεται κατὰ τῶν μετεχόν-
των· ἐκεῖνα δὲ ἄλλων οὐ μετέχει, διὸ οὐδενὶ ἐκεῖνα πρὸς κατηγορίαν ὑπόκειται· τὰ δὲ ἄτομα
μετέχει μὲν τῶν ὑπὲρ αὐτὰ καὶ διὰ τοῦτο ὑπόκειται αὐτοῖς, ὑπ’ οὐδενὸς δὲ ὡς ὁλικώτερα με-
τέχεται καὶ διὰ τοῦτο οὐδενὸς κατηγορεῖται.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 83

Was in der Wirklichkeit unmittelbar vorliegt, ist nichts anderes als der sinnlich
wahrnehmbare Sachverhalt, wobei die Einzelsubstanz mit unendlich mannigfalti-
gen Eigenschaften behaftet ist. Dadurch, dass die mannigfaltigen Zukommenhei-
ten in zehn Klassen sortiert und eingeordnet werden, treten sie in Form der
kategorialen Struktur auf. Obwohl im konkreten Einzelfall die kategoriale Eigen-
schaft dem Einzelding zufällig zukommt, ist die Kategorie als Struktur mit der Ein-
zelsubstanz eng verknüpft (καθ’ αὑτὰ δὲ εἶναι λέγεται ὅσαπερ σημαίνει τὰ σχήματα
τῆς κατηγορίας – Metaph. Δ7, 1017a22–23).97 Denn in der Empirie gibt es keine
reine Einzelsubstanz, die von den quantitativen (mindestens drei Dimensionen)
sowie qualitativen Beschaffenheiten (mindestens Farbe) und der zeit-räumlichen
Befindlichkeit abzusondern ist.98 Wie kann sich, im Falle, dass die zehnfache Kate-
gorie als Struktur der Einzelsubstanz unentbehrlich und sachlich untrennbar ist,
die zukommende Kategorie von der zugrundeliegenden Substanz unterscheiden?
Um das Rätsel aufzulösen, setzt Aristoteles damit an, den ganzen Sachverhalt
nicht als teillose Totalität, sondern als teilbares Kompositum zu betrachten, das
sich in zwei Teile zerlegen lässt. Des Weiteren ist der einheitliche Sachverhalt nur
dann ins Zugrundeliegende und Zukommende, d. h. in die Substanz und die
Kategorie, aufzuspalten, wenn die ontologische Operation, nämlich das chias-
tische Einteilungsverfahren, in die Tat umgesetzt wird. Die Einzelsubstanz
lässt sich dadurch vom Sachverhalt absondern, dass sowohl das Seins- als
auch das Aussagekriterium verneint werden. Die Einzelsubstanz liegt deshalb
nicht im Zugrundeliegenden vor, weil sie nicht sich selbst, sondern den zukomm-
enden kategorialen Eigenschaften zugrunde liegt. Noch wird die Einzelsubstanz
vom Zugrundeliegenden ausgesagt, denn in der sinnvollen Aussage wird nicht
das Subjekt selbst (Sokrates ist Sokrates), sondern nur das zukommende Prädikat
vom Subjekt prädiziert (Sokrates ist Mensch oder Sokrates ist weiß).

97 Wir müssen die Struktur der Kategorie vom konkreten Inhalt unterscheiden. Die sachliche
Untrennbarkeit der Kategorie von der Einzelsubstanz weist darauf hin, dass die kategoriale Struk-
tur der Einzelsubstanz per se immanent ist. Denn die Quantität, die Qualität und der Zeit-Raum
bieten die festgelegte Rahmenbedingung an, worin sich das konkrete Einzelding befinden muss.
Welche konkrete kategoriale Eigenschaft dem Einzelding zukommt, ist zufällig. Die Kategorie als
Aussage- und Seinsstruktur kommt der Einzelsubstanz notwendig zu und der kategoriale Inhalt
ist nichts anderes als Akzidenz (συμβεβηκός κατὰ συμβεβηκότα). Anders gesagt ist die Kategorie
strukturell notwendig, inhaltlich aber zufällig. Außer der Wesenskategorie sind die neun anderen
Kategorien mit der formalen Notwendigkeit und der inhaltlichen Zufälligkeit verknüpft.
98 In der Wirklichkeit ist die Einzelsubstanz mit der Kategorie immer verbunden und nur in
Gedanken ist die Substanz von der kategorialen Eigenschaft trennbar. Sobald ein konkretes Ein-
zelding entstanden ist, kommen die quantitativen und die qualitativen Eigenschaften, z. B. eine
bestimmte Größe und eine gewisse Farbe, gleichzeitig zum Vorschein (οὐδέποτε γὰρ τῶν ὑπὸ
γένεσιν οὐσιῶν ἔστι τις ἄνευ ποιότητος ἢ ποσότητος ἢ τῶν τοιούτων – Alexander 461.2–3).
84 2 Zweite Philosophie (Physik)

Mithilfe der ontologischen Operation des Chiasmus lässt sich der einheitliche
Sachverhalt in zwei Teile zerlegen, und zwar in die zugrundeliegende Substanz
und die zukommende Kategorie. Darum wird die grundlegende Differenz von
Substanz und Kategorie weder ontisch noch rein logisch, sondern ontologisch
aufgestellt. Außerdem legt die ontologische Differenz sowohl der logischen
Aussage als auch der ontischen Veränderung ein metaphysisches Fundament,
indem sich die ontologische Struktur von Substanz und Kategorie auf die logi-
sche Subjekt-Prädikat-Struktur und das ontische Substrat-Eigenschaft-Gefüge
erstreckt. Mit anderen Worten: Die Differenz von Substanz und Kategorie, die on-
tologisch konzipiert ist, lässt sich sowohl logisch (2.1.1) als auch ontisch (2.1.2)
aufzeigen. Im Folgenden konzentrieren wir uns nur darauf, wie die logische Aus-
sage den ontologischen Sachverhalt widerspiegelt.
Unter einem elementaren Aussagesatz ist ein solcher Satz zu verstehen, der
nicht nur formal aus Nomen und Verb zusammengesetzt ist, sondern vielmehr auf
die Realität Bezug nehmen muss. Daraus folgt, dass die Aussage bzw. das Urteil
wahr oder falsch sein muss (λόγος ἀποφαντικὸς = δόξα).99 Wenn man z. B. den
Sachverhalt vom „musikalischen Sokrates“ zur Sprache bringt, ist die Aussage
derart zu formulieren, dass sie lautet: „Sokrates ist musikalisch“. Der ontologische
Sachverhalt wird im Aussagesatz wiedergegeben, indem sich die Einzelsubstanz
Sokrates in das Nomen/Subjekt und die zukommende Eigenschaft, das Musikali-
sche, in das Verb/Prädikat transformiert. Unmittelbar wird der Eigenname, der
der ontologischen Einzelsubstanz entspricht, als logisches Subjekt angewendet.
Da nicht der Eigenname vom Prädikat, sondern das Prädikat vom Eigennamen,
nämlich von „Sokrates“, ausgesagt wird, lässt sich der Eigenname als logisch Zu-
grundeliegendes, d. h. logisches Subjekt, bezeichnen (subiectum proportionis).
Außer dem Eigennamen können der Begriff und der Oberbegriff, die mit den We-
senssubstanzen, d. h. Art und Gattung, korrespondieren, im übertragenen Sinne
als logische Subjekte auftauchen. In Aussagen wie z. B. „Der Mensch ist vernünft-
iges Lebewesen“ und „Das Lebewesen ist beseelte und wahrnehmungsfähige
Substanz“ gelten der Begriff „Mensch“ sowie der Oberbegriff „Lebewesen“ als lo-
gische Subjekte (Cat. 5, 3a1–6). Während der Begriff (Mensch) und der Oberbegriff
(Lebewesen) in der Aussage nicht nur als Subjekte, sondern auch als Prädikate
fungieren können, kommt der Eigenname (Sokrates) nur als Subjekt zur Geltung.
Da der Eigenname die kleinste Maßeinheit bildet, die logisches Subjekt sein kann,

99 (1) Int. 4, 17a2–3: ἀποφαντικὸς δὲ οὐ πᾶς, ἀλλ’ ἐν ᾧ τὸ ἀληθεύειν ἢ ψεύδεσθαι ὑπάρχει. (2)
Int. 5, 17a8–9: Ἔστι δὲ εἷς πρῶτος λόγος ἀποφαντικὸς κατάφασις, εἶτα ἀπόφασις. (3) Simplicii
In Categoriarum 17.11–14: τοῦ γὰρ ἀποφαντικοῦ λόγου, ἐν ᾧ τὸ ἀληθὲς συνίσταται καὶ τὸ
ψεῦδος, τὸ μέν τί ἐστιν ὑποκείμενον, περὶ οὗ ὁ λόγος, τὸ δὲ περὶ ἐκείνου λεγόμενον, ὅπερ κα-
τηγορούμενον ὡς κατὰ τοῦ ὑποκειμένου λεγόμενον καλεῖται.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 85

wird der Eigenname, der die konkrete Einzelsubstanz bezeichnet, das letzte Sub-
jekt genannt (ultimum subiectum, ὑποκείμενον ἔσχατον – Metaph. Δ8, 1017b13–14,
1017b23–25; Z3, 1028b36–37). Andererseits bezieht sich das Verb immer auf das
Nomen, da das Prädikat vom zugrundeliegenden Subjekt ausgesagt werden
muss.100 Dadurch, dass die mannigfaltigen Eigenschaften in zehn Sorten zu klas-
sifizieren sind, bieten die Kategorien insgesamt zehn Prädikationsmöglichkeiten.
Das Sein und das Denken oder der Logos (πρᾶγμα = διάνοια = λόγος/δόξα –
Soph. 263d10–264b5) stimmen deswegen miteinander überein, weil der Sachver-
halt und die Aussage an einer ähnlichen Struktur teilhaben (ὁμοιώματα – Int.
16a7). Anders formuliert: Die ontologisch-logische Übereinstimmung kommt
dadurch zustande, dass sich die Struktur des Sachverhaltes auf die der Aussage
überträgt. Einerseits lässt sich der Sachverhalt als ontologisches Kompositum an-
sehen, insofern er aus Einzelsubstanz und Kategorie zusammengesetzt wird
(πρᾶγμα/σύνθετον = ὑποκείμενον + κατηγορούμενον).101 Andererseits ist die Aus-
sage, die den akzidentellen Sachverhalt zum Ausdruck bringt, als logische
Komplexität zu bezeichnen, denn die Aussage ist aus Subjekt und Prädikat konsti-
tuiert (λόγος/σύνθετος = ὄνομα + ῥῆμα).102 Die ontologische Einzelsubstanz ist

100 (1) Int. 3, 16b6–10: Ῥῆμα δέ ἐστι τὸ προσσημαῖνον χρόνον, οὗ μέρος οὐδὲν σημαίνει
χωρίς· ἔστι δὲ τῶν καθ’ ἑτέρου λεγομένων σημεῖον. [. . .] καὶ ἀεὶ τῶν ὑπαρχόντων σημεῖόν ἐστιν,
οἷον τῶν καθ’ ὑποκειμένου. (2) Poet. 1457a14–16: ῥῆμα δὲ φωνὴ συνθετὴ σημαντικὴ μετὰ χρόνου
ἧς οὐδὲν μέρος σημαίνει καθ’ αὑτό, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν ὀνομάτων.
101 Metaph. Z4, 1029b22–25: ἐπεὶ δ’ ἔστι καὶ κατὰ τὰς ἄλλας κατηγορίας σύνθετα, ἔστι γάρ τι
ὑποκείμενον ἑκάστῳ, οἷον τῷ ποιῷ καὶ τῷ ποσῷ καὶ τῷ ποτὲ καὶ τῷ ποὺ καὶ τῇ κινήσει, σκεπ-
τέον ἆρ’ ἔστι λόγος τοῦ τί ἦν εἶναι ἑκάστῳ αὐτῶν, καὶ ὑπάρχει καὶ τούτοις τὸ τί ἦν εἶναι, οἷον
λευκῷ ἀνθρώπῳ [τί ἦν λευκῷ ἀνθρώπῳ].
102 (1) Int. 5, 17a20–22: τούτων δ’ ἡ μὲν ἁπλῆ ἐστὶν ἀπόφανσις, οἷον τὶ κατὰ τινὸς ἢ τὶ ἀπὸ
τινός, ἡ δ’ ἐκ τούτων συγκειμένη, οἷον λόγος τις ἤδη σύνθετος. (2) Int. 10, 19b10–14: [. . .] ἔσται
πᾶσα κατάφασις ἢ ἐξ ὀνόματος καὶ ῥήματος ἢ ἐξ ἀορίστου ὀνόματος καὶ ῥήματος. ἄνευ δὲ ῥή-
ματος οὐδεμία κατάφασις οὐδ’ ἀπόφασις· τὸ γὰρ ἔστιν ἢ ἔσται ἢ ἦν ἢ γίγνεται ἢ ὅσα ἄλλα
τοιαῦτα, ῥήματα ἐκ τῶν κειμένων ἐστίν· προσσημαίνει γὰρ χρόνον. (3) Soph. 262d2–6: Δηλοῖ
γὰρ ἤδη που τότε περὶ τῶν ὄντων ἢ γιγνομένων ἢ γεγονότων ἢ μελλόντων, καὶ οὐκ ὀνομάζει
μόνον ἀλλά τι περαίνει, συμπλέκων τὰ ῥήματα τοῖς ὀνόμασι. διὸ λέγειν τε αὐτὸν ἀλλ’ οὐ μόνον
ὀνομάζειν εἴπομεν, καὶ δὴ καὶ τῷ πλέγματι τούτῳ τὸ ὄνομα ἐφθεγξάμεθα λόγον. (4) Soph.
262e13–14: Λέξω τοίνυν σοι λόγον συνθεὶς πρᾶγμα πράξει δι’ ὀνόματος καὶ ῥήματος. Die Aus-
sage muss aus Nomen und Verb zusammengesetzt werden. Der Unterschied dazwischen liegt
darin, dass das Nomen zeitlos und das Verb zeitlich bestimmt ist. Einerseits führt die Unverän-
derlichkeit des Nomens (ὄνομα ἀεί) zur Zeitlosigkeit (Ὄνομα μὲν οὖν ἐστὶ φωνὴ σημαντικὴ
κατὰ συνθήκην ἄνευ χρόνου, ἧς μηδὲν μέρος ἐστὶ σημαντικὸν κεχωρισμένον – Int. 2, 16a19–21;
ὄνομα δέ ἐστι φωνὴ συνθετὴ σημαντικὴ ἄνευ χρόνου ἧς μέρος οὐδέν ἐστι καθ’ αὑτὸ σημαντι-
κόν – Poet. 1457a10–12). Andererseits muss das Verb die zeitliche Bestimmung in sich tragen
(Ῥῆμα δέ ἐστι τὸ προσσημαῖνον χρόνον, οὗ μέρος οὐδὲν σημαίνει χωρίς· ἔστι δὲ τῶν καθ’ ἑτέ-
ρου λεγομένων σημεῖον. λέγω δ’ ὅτι προσσημαίνει χρόνον, οἷον ὑγίεια μὲν ὄνομα, τὸ δ’ ὑγιαίνει
86 2 Zweite Philosophie (Physik)

nicht mit dem logischen Subjekt zu identifizieren, sondern das ontologisch Zu-
grundeliegende kommt anhand des logisch Zugrundeliegenden logischerweise
zum Ausdruck. Ebenfalls ist die Kategorie mit dem Prädikat nicht identisch, son-
dern macht die Prädikation möglich, indem sich die ontologische Kategorie im lo-
gischen Prädikat spiegelt. Aus dem Vergleich des Sachverhaltes mit der Aussage
folgt daher keine sachliche Gleichheit, sondern die strukturelle Ähnlichkeit. Des
Weiteren betrifft die Entsprechung von Sachverhalt und Aussage nicht nur die
Struktur, sondern auch die Kombinationsart und -weise der jeweiligen Bestand-
teile. Wie sich die Kategorie zur Einzelsubstanz verhält, so verhält sich das Prädi-
kat zum Subjekt. Anhand der Analogie von Sachverhalt und Aussage sind die
Einzelsubstanz und das Subjekt durch denselben Begriff „ὑποκείμενον“ gekenn-
zeichnet, da beide die gleiche Funktion erfüllen, im ontologischen und logischen
Bereich zugrundezuliegen. Auf ähnliche Weise werden die Kategorie und das Prä-
dikat anhand desselben Terminus „συμβεβηκός“ begrifflich zusammengefasst, in-
sofern die Kategorie als einzelnes Akzidenz der ontologischen Einzelsubstanz und
als allgemeines Prädikat dem logischen Subjekt zukommt. Darum sind das Zu-
grundeliegende sowie das Zukommende ontologisch-logisch doppelt konzipiert.
Es ist selbstverständlich, dass das Verhältnis von Sein (τὸ ὂν) und Logos
(λόγος) für die ontologische Untersuchung (Ontologie) ein zentrales Thema wird.
Die Frage, wie Sein und Logos, d. h. Sachverhalt und Aussage, in Übereinkunft ge-
bracht werden können, setzt schon voraus, dass es dazwischen eine zu überwin-
dende Kluft gibt. Die aristotelische Ontologie entzieht sich dem Problem dadurch,
dass sie weder bloß ontisch noch formal logisch, sondern onto-logisch konzipiert
ist. Anders gesagt sind Sein und Logos nicht nachträglich vereinigt, sondern die
Übereinstimmung wird von vornherein gesetzt. Es zeigt sich darin, dass die ontolo-
gische Differenz von Substanz und Kategorie die logische Unterscheidung von
Subjekt und Prädikat mit sich bringt. Wie das Sein zum Logos steht, so auch die
Ontologie zur Logik. Demzufolge kommt die aristotelische Logik, die nach der Tra-
dition für ein Organon gehalten wird, nicht als äußerliches Werkzeug zur Geltung,
sondern als innerlicher und notwendiger Bestandteil der Ontologie.

ῥῆμα· προσσημαίνει γὰρ τὸ νῦν ὑπάρχειν – Int. 3, 16b6–9; ῥῆμα δὲ φωνὴ συνθετὴ σημαντικὴ
μετὰ χρόνου ἧς οὐδὲν μέρος σημαίνει καθ’ αὑτό, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν ὀνομάτων· τὸ μὲν γὰρ
ἄνθρωπος ἢ λευκόν οὐ σημαίνει τὸ πότε, τὸ δὲ βαδίζει ἢ βεβάδικεν προσσημαίνει τὸ μὲν τὸν
παρόντα χρόνον τὸ δὲ τὸν παρεληλυθότα – Poet. 1457a16–18). In der Auslegung der aristoteli-
schen Kategorienlehre ist die Zeitlichkeit des Verbs von entscheidender Bedeutung. Denn das
mit der zeitlichen Bestimmung verbundene Verb bzw. Prädikat weist darauf hin, dass sich die
Aussage nur auf den konkreten Sachverhalt bezieht, der sich in der Zeit ereignet. Daraus folgt,
dass die Kategorien des Aristoteles nicht auf die intelligiblen, sondern nur auf die sensiblen
Seienden gerichtet sind.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 87

2.1.1.2 Kategoriale Ausdifferenzierung


Wie gezeigt wurde, konzentriert sich die aristotelische Kategorienlehre in erster
Linie auf die ontologische Differenz von Einzelsubstanz und Kategorie. Auf dieser
Grundlage geht es im zweiten Schritt um die kategoriale Ausdifferenzierung. Wir
legen die Betonung nicht darauf, die Kategorien in die zehn Klassen einzuteilen,
sondern darauf, die zehn Kategorien in wesentliche und akzidentelle Kategorie zu
trennen. Anhand der Übereinstimmung von Sein und Logos kann der Gedanken-
gang folgendermaßen äquivalent umschrieben werden. Logisch betrachtet orien-
tiert sich die Kategorienlehre zunächst an der Unterscheidung von Subjekt und
Prädikat. Nachdem die Prädikationsstruktur (τὶ κατὰ τινὸς λέγεται) überhaupt fest-
gelegt worden ist, kommen die verschiedenen Prädikationsarten und -weisen (τὸ
ὂν πολλαχῶς λέγεται) zur Entfaltung. Nicht die zehn Prädikationsmöglichkeiten,
sondern der Unterschied von Wesens- und Akzidenzprädikation rückt in den Vor-
dergrund. In der Tat kommt die zwiefältige Ausdifferenzierung der Kategorien an-
hand des oben erwähnten Chiasmus schon dadurch ans Licht, dass sich die
prädikative Allgemeinheit in die Wesenssubstanz, nämlich das Wesensprädikat
(καθόλου οὐσία) und das Akzidenzprädikat (καθόλου συμβεβηκός), zerlegen lässt.
Um den prädikativen Unterschied von per se und per accidens zu präzisieren, führt
Aristoteles einen anderen Chiasmus ein (Tab. 9).

Tab. 9: Kategoriale Ausdifferenzierung.

λόγος αὐτός λόγος ἕτερος

ὄνομα αὐτόν συνώνυμα ὁμώνυμα

ὄνομα ἕτερον πολυώνυμα ἑτερώνυμα

Indem sich Namensgleichheit-Namensverschiedenheit und Definitionsgleichheit-


Definitionsverschiedenheit überkreuzen, kommt die vierfache Teilung zum Vor-
schein.103 Die συνώνυμα weisen darauf hin, dass die beiden Seienden sowohl die
gleiche Benennung als auch die gleiche Definition haben, wie Sokrates und
Mensch.104 Was die ὁμώνυμα angeht, sind dies die zwei Seienden, z. B. Sokrates

103 Porphyrii In Categoriarum 60.15–33; Ammonii In Categoriarum 15.16–16.6; Simplicii In Cate-


goriarum 22.22–33; Philoponi In Categoriarum 14.11–16, 24.12–19; Olympiodori In Categoriarum
26.13–27.24; Eliae (olim Davidis) In Categoriarum 141.23–34.
104 Cat. 1, 1a6–12. Wie Ammonius scharfsinnig bemerkt hat, sind die vielen Beispiele, die
Aristoteles eingeführt hatte, für den Kontext nicht geeignet (Τὰ παραδείγματα πάντα ἀσφαλῶς
εἴρηκεν ὁ φιλόσοφος – Ammonii In Categoriarum 19.17). Um die συνώνυμα zu verdeutlichen,
erhebt Aristoteles den Menschen und das Rind zum Paradigma. Aber in der Tat sind der
88 2 Zweite Philosophie (Physik)

und der gemalte Sokrates, die nicht an der Definitionsgleichheit, sondern nur an
der Namensgleichheit teilhaben (Cat. 1, 1a1–6). Den ὁμώνυμα entgegen stehen die
πολυώνυμα, wobei trotz der Namensverschiedenheit die Sache ein und dieselbe
ist. Derselbe Stern ist nämlich als Morgenstern und als Abendstern benannt. Im
Gegensatz zu den συνώνυμα bezeichnen die ἑτερώνυμα die Seienden, die weder in
gleicher Weise genannt noch definiert werden können, wie Sokrates und Pferd.
Indem Aristoteles die παρώνυμα hinzufügt, ergeben sich insgesamt fünf Typen
von Benennungsmöglichkeiten.
Die παρώνυμα lassen wir außer Betracht, weil sie nicht zur Prädikation, son-
dern zur Wortbildung dienen. Im Falle, dass zwei Wörter die gleiche Wurzel
haben, geht es darum, wie das eine von dem anderen abgeleitet wird, z. B. der
Grammatiker von der Grammatik oder der Tapfere von der Tapferkeit (Cat. 1,
1a12–15). Außerdem sind die πολυώνυμα und die ἑτερώνυμα auch nicht zu the-
matisieren. Denn die beiden haben nichts mit der Prädikationsweise zu tun, son-
dern betreffen die unmittelbare Übereinstimmung der Benennung mit der Sache.
Die πολυώνυμα weisen darauf hin, dass dasselbe Seiende mit verschiedenen
Namen bezeichnet wird und anhand der ἑτερώνυμα ist auszudrücken, dass die
verschiedenen Seienden mit verschiedenen Namen benannt werden. So bleiben
συνώνυμα und ὁμώνυμα übrig, die in der Prädikation eine entscheidende Rolle
spielen. Was die Ontologie zum Thema macht, sind weder die ableitende Wortbil-
dung von παρώνυμα noch die einfache Begriffsbildung von πολυώνυμα und
ἑτερώνυμα, wobei der Begriff der Sache direkt entspricht, sondern nur die Prädi-
kationsweisen von συνώνυμα und ὁμώνυμα. Denn das ontologische Verhältnis
von Einzelding, Art und Gattung (τόδε τι-εἶδος-γένος) kann nur anhand der prä-
dikativen Beziehung von Sache, Benennung/Begriff und Wesensdefinition
(πρᾶγμα-ὄνομα-ὁρισμός) zur Sprache gebracht werden.

Mensch und das Rind, die zwar zur gleichen Gattung gehören, weder namensgleich noch defi-
nitionsgleich, sodass sie nicht die συνώνυμα, sondern nur die ἑτερώνυμα sind. Strenggenom-
men können entweder die zwei gleichartigen Einzelnen, Sokrates und Platon, oder das der Art
zugehörige Einzelne und die Art, Sokrates und Mensch, oder die zugehörige Art und die Gat-
tung, Mensch und Lebewesen, die συνώνυμα bilden, denn in solchen Fällen ergeben sich so-
wohl die Namensgleichheit (gleicher Begriff) als auch die Definitionsgleichheit (gleiche
Definition/Wesenheit). Vgl. Ammonii In Categoriarum 15.22–28: ὥστε τέσσαρας εἶναι διαφοράς.
εἰ μὲν οὖν κατ’ ἄμφω κοινωνοῦσιν, ὀνομάζεται συνώνυμα ὡσανεὶ σὺν τῷ ὀνόματι καὶ τοῦ ὁρισ-
μοῦ μεταδιδόντα ἀλλήλοις, ὥσπερ κατηγορεῖται τὰ γένη τῶν οἰκείων εἰδῶν· ὁ γὰρ ἄνθρωπος
καὶ ζῷον λέγεται καὶ οὐσία ἐστὶν ἔμψυχος αἰσθητική. εἰ δὲ κατ’ ἄμφω διαφέροιεν, ὀνομάζεται
ἑτερώνυμα, ὥσπερ ἔχει ὁ ἄνθρωπος καὶ ὁ ἵππος· οὐ γὰρ τὸν ἄνθρωπον εἴποις ἵππον οὐδὲ τὸν
ἵππον ἄνθρωπον, οὐ μὴν οὐδὲ τὸν αὐτὸν ἔχουσιν ὁρισμόν, ἀλλ’ ἄλλον καὶ ἄλλον.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 89

Der Begriff (ὄνομα)105 und die Wesensdefinition (ὁρισμός = λόγος τῆς οὐσίας –
Metaph. Z12, 1037b25–26) lassen sich deswegen als Einteilungskriterium heranzie-
hen, weil das Seiende entweder als Begriff bezeichnet oder anhand der Wesensde-
finition determiniert wird. Mit anderen Worten muss das Seiende entweder
begrifflich oder definitorisch zum Ausdruck gebracht werden.106 Die Univokation
(univoce, συνωνύμως), die in den συνώνυμα gründet, weist darauf hin, dass der
Begriff sowie die Wesensdefinition vom Einzelnen ausgesagt werden. Sokrates ist
Mensch und vernünftiges Lebewesen (Cat. 5, 2a19–27, 3a33–3b9; Metaph. Z4,
1030a34–1030b3 – ὡσαύτως = καθ’ ἓν = συνωνύμως). Den ὁμώνυμα entsprechend
besagt die Äquivokation (aequivoce, ὁμωνύμως), dass nicht die Wesensdefinition,
sondern nur der Begriff vom Einzelnen prädiziert wird. Weder die Farbe, noch die

105 In der Aussage bezeichnet das ὄνομα das Nomen bzw. das logische Subjekt, von dem das
Verb bzw. das Prädikat ausgesagt wird (ὄνομα-ῥῆμα). Das eine ist zeitlos und das andere zeit-
lich bestimmt. Im vorliegenden Kontext aber wird das ὄνομα nicht mit dem ῥῆμα, sondern mit
dem λόγος verglichen. Das vom Nomen Bezeichnete ist einfach (ὄνομα-ἓν – Metaph. Γ4,
1006b11–13), während die Aussage aus mehreren Gliedern besteht (πᾶς δὲ λόγος μέρη ἔχει –
Metaph. Z10, 1034b20). In diesem Sinne steht das ὄνομα der φωνὴ nahe und weist ganz allge-
mein auf den Begriff hin, der im Urteil entweder als Subjekt oder als Prädikat auftreten kann.
Vgl. Ammonii In Categoriarum 18.19–24: πῶς οὖν φησι ταῦτα ὁμώνυμα εἶναι τὰ μόνον ὄνομα
κοινὸν ἔχοντα; ἐροῦμεν πρὸς τοῦτο ὅτι ὄνομα ἐνταῦθα λαμβάνει οὐ τὸ ἀντιδιαστελλόμενον
πρὸς τὸ ῥῆμα, ἀλλὰ τὸ κοινότερον, καθὸ πᾶσα φωνὴ σημαντικὴ ὄνομα λέγεται, ὡς ἐν τῷ Περὶ
ἑρμηνείας φησίν· „αὐτὰ μὲν οὖν καθ’ ἑαυτὰ τὰ ῥήματα ὀνόματά ἐστιν.“
106 (1) Top. A5, 101b38–102a1: [. . .] ἀποδίδοται δὲ ἢ λόγος ἀντ’ ὀνόματος ἢ λόγος ἀντὶ λόγου. (2)
Porphyrii In Categoriarum 63.6–64.3: Προφθάσαντες εἰρήκαμεν ὅτι πᾶν πρᾶγμα ἢ διὰ ὀνομάτων ση-
μαίνεται ἢ διὰ λόγου ὁριστικοῦ. δεῖ δὲ τὸν ὁριστικὸν λόγον σύζυγον εἶναι τῷ ὀνόματι καὶ ἐξηγητικὸν
τοῦ πράγματος, καθὸ τῷδε κέχρηται τῷ ὀνόματι. οἷον ἥδε ἡ οὐσία, ἔστω δὲ ἄνθρωπος ὑποκείμενος,
καλεῖται ἄνθρωπος, καὶ ἀθρόως μὲν οὕτως, καὶ ζῷον ἐπὶ κεφαλαίου ἔχει τοὔνομα τούτου· διὰ δὲ
λόγου ἰσοδυναμοῦντος εἰς δήλωσιν τῷ ὀνόματι ἀποδοθείη ἂν τῷ ζῷον λογικὸν θνητόν. ἔστι δὲ ὁ
ἄνθρωπος καὶ οὐσία ἔμψυχος αἰσθητική· ἀλλὰ καθὸ μὲν ἄνθρωπος καλεῖται σύζυγον ἔχων κατὰ τοὔ-
νομα τὸ τοῦ ἀνθρώπου λόγον, ζῷον λογικὸν θνητόν, καθὸ δὲ ζῷον, οὐσία ἔμψυχος αἰσθητική. [. . .]
Ὅτι τὸ μὲν ζῷον θνητὸν κατὰ τοὔνομα ἀπεδόθη τὸ τοῦ ἀνθρώπου. διὸ καὶ ἀδιάφορον εἰπεῖν τὴν
οὐσίαν ταύτην, ἔστω δὲ ἄνθρωπος, τοῦτο ζῷον λογικὸν θνητόν ἐστιν, ἢ τοῦτο, ἄνθρωπός ἐστιν· ἰσο-
δυναμεῖ γὰρ τῷ ὀνόματι τῷ τοῦ ἀνθρώπου ὁ ὁριστικὸς λόγος τὸ ζῷον λογικὸν θνητόν. (3) Ammonii
In Categoriarum 15.10–16: δηλοῦνται δὲ πάντα καὶ δι’ ὀνομάτων καὶ διὰ λόγων. καὶ τοῦτό γε εἰκότως,
εἴ γε τῶν ὄντων ἕκαστον καὶ ἕν τί ἐστι καὶ σύγκειται ἐκ πλειόνων μερῶν οἰκείων, ἃ συνελθόντα
ἐπλήρωσαν αὐτοῦ τὴν φύσιν· οἷον ὁ ἄνθρωπος καὶ ἕν τί ἐστι καὶ σύγκειται ἐκ γένους καὶ τῶν συστα-
τικῶν αὐτοῦ διαφορῶν· ὡς μὲν οὖν ἓν ὢν δηλοῦται ὑπὸ τῆς ἄνθρωπος φωνῆς, ἥτις ἁπλοῦν ἐστιν
ὄνομα, ὡς δὲ συγκείμενος ἔκ τινων δηλοῦται ὑπὸ τοῦ λόγου ἑκάστην τῶν τοῦ ἀνθρώπου ἰδιοτήτων
ἐπεξιόντος, οἷον ζῷον λογικὸν θνητόν. (4) Simplicii In Categoriarum 22.15–19: τῶν πραγμάτων ἕκασ-
τον καὶ δι’ ὀνόματος δηλοῦται καὶ διὰ λόγου ὑπογραφικοῦ ἢ ὁριστικοῦ, οἷον ὁ ἄνθρωπος καὶ διὰ τού-
του τοῦ ἄνθρωπος ὀνόματος καὶ διὰ τοῦ ὁριστικοῦ λόγου τοῦ λέγοντος ζῷον λογικὸν θνητόν, τοῦ
μὲν ὀνόματος κατὰ τὸ μονοειδὲς αὐτὸ δηλοῦντος, τοῦ δὲ λόγου κατὰ τὸ πολυμερές.
90 2 Zweite Philosophie (Physik)

Qualität, sondern nur das Weiße kann von Sokrates ausgesagt werden (Cat. 5,
2a27–34; Metaph. Γ2, 1003a33–34; Z4, 1030a34–1030b3).
Das Prädikationsverhältnis, wobei der Begriff oder die Wesensdefinition vom
Einzelnen prädiziert wird (τόδε τι-ὄνομα-λόγος), drückt nichts anderes aus als die
ontologische Beziehung von Einzelding, Art und Gattung (τόδε τι-εἶδος-γένος).
Die Einzelsubstanz als letztes Subjekt ist in der Aussage zugrundeliegend, die Art
entspricht dem Begriff und in der Wesensdefinition tritt die Gattung auf. Bemer-
kenswert ist, dass sich das Art-Gattung-Verhältnis nicht auf die Wesenskategorie
beschränkt, sondern sich in alle anderen Kategorien ausdehnen kann. Wie der
Mensch zum Lebewesen steht, so das Weiße zur Qualität und die Zahl zur Quanti-
tät.107 Sowohl in der wesentlichen Tatsache als auch im akzidentellen Sachverhalt
weist die Art die Besonderheit (εἶδος-ἴδιον) und die Gattung die Allgemeinheit
(γένος-κοινόν) auf, während das konkrete Einzelding die numerische Einheit und
die individuelle Einzelheit (τόδε τι-ἓν καὶ ταὐτὸν ἀριθμῷ ὂν) bezeichnet.108
Im Grunde genommen erweisen sich das Prädikationsverhältnis des Begriffs
und des Oberbegriffs zum einzelnen Subjekt als das ontologische Verhältnis der Art-
und Gattungsallgemeinheit zur Einzelheit, das die zehn Kategorien durchdringt. Der
Unterschied von Univokation und Äquivokation besteht darin, dass bei der Wesens-
kategorie die besondere Art als Begriff und die allgemeine Gattung als Oberbegriff
vom Einzelnen durchgängig prädiziert werden und dies bei anderen Kategorien
nicht der Fall ist. Aus der Tatsache, dass Sokrates Mensch und der Mensch Lebewe-
sen ist, ergibt sich notwendig, dass Sokrates Lebewesen ist (τόδε τι-ἄνθρωπος-
ζῷον). Bei der Äquivokation handelt es sich um etwas anderes. Aus der Prämisse,
dass Sokrates weiß ist und das Weiße der Qualität zugehörig ist, kann man nicht

107 (1) Phys. A7, 190b28–29: ἓν δὲ τὸ εἶδος, οἷον ἡ τάξις ἢ ἡ μουσικὴ ἢ τῶν ἄλλων τι τῶν οὕτω
κατηγορουμένων. (2) Ammonii In Categoriarum 39.3–7: εἰ γὰρ εἶπε τὰ γένη καὶ τὰ εἴδη, ἐπειδή-
περ ἐν ταῖς ἄλλαις κατηγορίαις εἰσὶ γένη καὶ εἴδη (οἷον ἐν τῷ ποιῷ γένος μὲν τὸ χρῶμα εἶδος δὲ
τὸ λευκὸν καὶ τὸ μέλαν), εἴχομεν ὑπολαβεῖν τὰς δευτέρας οὐσίας εἶναι καὶ ἐν τοῖς συμβεβηκόσι.
108 Die Einzelsubstanz impliziert die numerische Einheit und die Individualität (Cat. 5,
3b10–13). Die beiden Wesenssubstanzen, d. h. Art und Gattung, sind anhand der graduellen All-
gemeinheit voneinander unterschieden (Cat. 5, 2b12–13). Logischerweise wird die Art als Begriff
und die Gattung als Oberbegriff wiedergegeben. Die Gattung ist deshalb allgemeiner als die Art,
weil der Oberbegriff vom Begriff prädiziert werden kann, umgekehrt aber nicht. Je allgemeiner
eine Sache ist, desto weniger konkret ist sie. Die Gattung Lebewesen, die alle zugehörigen Arten
umfasst, kann nicht als Lebewesen überhaupt, sondern nur als eine bestimmte Art von Lebewe-
sen in die Wirklichkeit eintreten. Im Vergleich dazu ist die Art, die als Begriff gefasst wird, am
konkreten Einzelding präsent. Der Begriff des Hunds z. B. umfasst nicht nur logischerweise alle
realen Hunde, sondern er ist an jedem einzelnen Hund konkretisiert. Da der Oberbegriff, das
Tier als solches, nicht realisiert werden kann, muss die Gattung als unbestimmte und undiffe-
renzierte Allgemeinheit im logischen Bereich eingeschränkt werden.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 91

den Schluss ziehen, dass Sokrates eine Qualität ist (τόδε τι-λευκόν-ποιόν). Mit der
durchgängigen Prädikation, die Aristoteles terminologisch als Univokation bezeich-
net, lässt sich die ontologische Tatsache aufzeigen, dass das gleichartige Natur-
seiende, die Art und die Gattung notwendig zusammenfallen. Die Äquivokation,
wobei nicht der Oberbegriff, sondern nur der Begriff vom Einzelnen ausgesagt wird,
weist darauf hin, dass die vom Begriff symbolisierte Eigenschaft dem Einzelnen
nicht notwendig, sondern zufällig zukommt.
In der Univokation drückt das Wesensprädikat das Einzelne per se aus. Der
Äquivokation zufolge bringt das Akzidenzprädikat den zufälligen Sachverhalt zur
Sprache, der sich per accidens ereignet. Statt der Univokation tritt daher die per se-
Prädikation (συνωνύμως-κατὰ αὑτὸ λέγεται) und statt der Äquivokation die per acci-
dens-Prädikation (ὁμωνύμως-κατὰ συμβεβηκόϛ λέγεται) in Erscheinung.109 Die Akzi-
denzprädikation tritt wiederum in zweierlei Formen auf, je nachdem, ob ein
Akzidenz vom Einzelnen ausgesagt wird oder zwei verschiedenen Akzidenzen von
demselben Einzelnen ausgesagt werden. Am offenkundigsten lassen sich die drei
Formen der Prädikation mit verschiedenen Syllogismen aufzeigen. Erstens: Die
per se-Prädikation bringt den notwendigen Syllogismus zum Ausdruck. Während
die Art in der Mitte steht, bilden das Einzelne und die Gattung zwei Extreme. Ist Sok-
rates per se Mensch und der Mensch per se Lebewesen, ist Sokrates per se Lebewe-
sen (τόδε τι-εἶδος-γένος). Demzufolge sind die zwei Extreme, nämlich das Einzelne
und die Gattung, durch die Vermittlung der Art wesentlich identisch. Zweitens: Die
eine Form der per accidens-Prädikation kommt dadurch zum Vorschein, dass ein Ak-
zidenz vom Einzelnen prädiziert wird. Der Syllogismus wird dadurch gebildet, dass
das Einzelne als Mittelbegriff eingestellt wird, während das eine Extrem das wesent-
liche Prädikat und das andere das zufällige Prädikat ist. Aus der Prämisse, dass Sok-
rates wesentlich Mensch und zufällig weiß ist, kann man nicht folgern, dass der
Mensch im Wesentlichen weiß ist (ἄνθρωπος-Σωκράτης-λευκός). Denn die beiden

109 Κατὰ αὑτὸ λέγεται ist mehrdeutig (ὥστε καὶ τὸ καθ’ αὑτὸ πολλαχῶς ἀνάγκη λέγεσθαι –
Metaph. Δ18, 1022a24–25). (1) Das Eine (Metaph. Δ6, 1015b34–1016a17) kommt per se zur Sprache,
und zwar anhand der Kontinuität (συνεχῆ) und der Unteilbarkeit (ἀδιαίρετος). (2) Das Seiende
wird insofern per se ausgesagt, als ihm die Struktur der Kategorie notwendig innewohnt (Metaph.
Δ7, 1017a22–30). (3) Im vorliegenden Zusammenhang soll darunter die Wesensprädikation zu ver-
stehen sein, nämlich dass Kallias per se Mensch und Lebewesen ist (Metaph. Δ18, 1022a24–36).
Wie κατὰ αὑτὸ λέγεται ist κατὰ συμβεβηκόϛ λέγεται auch mehrdeutig. Das Eine (Metaph. Δ6,
1015b16–34) oder das Seiende (Metaph. Δ7, 1017a7–22) wird dadurch per accidens ausgesagt,
dass (1) ein Akzidenz von ihm prädiziert wird oder (2) zwei Akzidenzen von ihm prädiziert wer-
den. (3) Im vorhandenen Kontext ist von den beiden Fällen der akzidentellen Prädikation die
Rede. κατὰ αὑτὸ λέγεται-κατὰ συμβεβηκόϛ λέγεται Vgl. auch Int. 11, 21a5–33; Top. A5, 102b4–26;
Phys. A3, 186b18–23; B3, 195a32–195b3; E1, 224a21–23, 224b18–20; E2, 226a19–23; Metaph. Γ4,
1007a32–1007b18; Δ9, 1017b27–1018a4; E2, 1026b2–1027a28.
92 2 Zweite Philosophie (Physik)

Extreme kommen dem Einzelnen nicht auf die gleiche Art und Weise logisch-
ontologisch zu (οὐ γὰρ ὡσαύτως τὰ ἄκρα γίγνεται ταὐτά – Metaph. Z6, 1031a25).110
Darum weist die Gleichheit des Menschen mit dem Weißen, die anhand der Akzi-
denzprädikation zum Ausdruck kommt, keineswegs die wesentliche Einheit auf,
sondern nur die zufällige Kombination. Drittens: Die andere Form der per accidens-
Prädikation sieht derart aus, dass dem einzelnen Subjekt zwei verschiedene akziden-
telle Prädikate zukommen. In diesem Fall werden die beiden Extreme von demsel-
ben Subjekt gleicherweise zufällig prädiziert (τὰ ἄκρα γίγνεσθαι ταὐτὰ τὰ κατὰ
συμβεβηκός – Metaph. Z6, 1031a26–27). Der Syllogismus lässt sich dadurch aufstel-
len, dass Sokrates/Mensch im Zentrum steht und die zwei Akzidenzen, z. B. das
Weiße und das Musikalische, jeweils den Mittelbegriff zum Ausdruck bringen
(λευκός-ἄνθρωπος-μουσικός).111 Wenn der Mensch zufällig weiß und musikalisch
ist, können das Weiße und das Musikalische nicht wesentlich identisch sein,

110 Metaph. Z6, 1031a19–25. Um zu beweisen, dass das Akzidenz nicht mit der Wesenheit identisch
ist, führt Aristoteles in Z6 folgendes Argument ein, und zwar anhand der typischen aristotelischen
Methode, d. h. mithilfe einer reductio ad absurdum. Die Beweisführung vollzieht sich syllogistisch.
Im Obersatz wird vorausgesetzt, dass der weiße Mensch mit dessen Wesensdefinition bzw. Wesen-
heit identisch ist (ὁ λευκὸς ἄνθρωπος = τὸ λευκῷ ἀνθρώπῳ εἶναι – Z6, 1031a20–21). Im Untersatz
wird eine weitere Prämisse eingeführt, dass der weiße Mensch und der Mensch überhaupt gleich
sind (ὁ λευκὸς ἄνθρωπος = ὁ ἄνθρωπος – Z6, 1031a22–23). Zweifelsohne ist der Mensch mit dessen
Definition wesentlich identisch (ὁ ἄνθρωπος = τὸ ἀνθρώπῳ εἶναι – Z6, 1031a17–18). Wenn der weiße
Mensch einerseits mit der Definition des weißen Menschen und andererseits mit der Definition des
Menschen identifiziert wird, lässt sich der Schluss ziehen, dass die Definition bzw. die Wesenheit
des weißen Menschen und die des Menschen für gleich gehalten werden (τὸ λευκῷ ἀνθρώπῳ εἶναι
= τὸ ἀνθρώπῳ εἶναι – Z6, 1031a21–22, 1031a23–24). Die Konklusion ist deswegen absurd, weil es
etwas vollkommen anderes ist, den Menschen in seiner Wesenheit oder denselben aus der Perspek-
tive der akzidentellen Eigenschaft zu bestimmen. Per definitionem sind alle Menschen notwendig
vernünftige Lebewesen, während einige Menschen zufällig weiß sind. Auf diese Art und Weise ist
indirekt nachzuweisen, dass das Akzidenz mit der Wesenheit nicht gleichgesetzt werden kann. Der
ganze Syllogismus ist deshalb nicht schlüssig, weil der Untersatz falsch ist. Nichts anderes als die
Gleichsetzung des weißen Menschen mit dem Menschen überhaupt (ὁ λευκὸς ἄνθρωπος = ὁ
ἄνθρωπος) führt zur absurden Konklusion, nämlich dass die Wesenheit des einen mit der Wesenheit
des anderen zu identifizieren ist (τὸ λευκῷ ἀνθρώπῳ εἶναι = τὸ ἀνθρώπῳ εἶναι). Vgl. Alexander 480.
14–16: εἰ δὲ ὁ ἄνθρωπος καὶ ὁ λευκὸς ἄνθρωπος ὁ αὐτός, καὶ τὸ ἀνθρώπῳ εἶναι καὶ τὸ λευκῷ
ἀνθρώπῳ εἶναι ταὐτόν ἐστιν.
111 Metaph. Z6, 1031a25–28. Dass die zwei Akzidenzen demselben Zugrundeliegenden zukom-
men, lässt sich entweder mit dem einen Beispiel (weiß-Mensch-musikalisch) oder mit dem an-
deren Beispiel (weiß-Fläche-flach) aufzeigen. Wenn die Wesensdefinition bzw. die Wesenheit
der weißen Fläche und die Wesenheit der flachen Fläche identisch wären, schienen die We-
senheit des Weißen und die des Flachen ein und dieselbe zu sein (ὥστ’ εἰ τὸ ἐπιφανείᾳ λευκῇ
εἶναί ἐστι τὸ ἐπιφανείᾳ εἶναι λείᾳ, τὸ λευκῷ καὶ λείῳ εἶναι τὸ αὐτὸ καὶ ἕν – Metaph. Z4,
1029b21–22).
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 93

denn die Wesenheit des einen ist völlig anders als die des anderen. Die zwei
Akzidenzen können nur dann miteinander gleichgesetzt werden, wenn sie per
accidens derselben Substanz zukommen und von demselben Subjekt ausgesagt
werden.112
„Der Musiker ist weiß“ drückt nichts anderes aus, als dass demselben Men-
schen zwei verschiedene Akzidenzen zukommen. Die akzidentelle Aussage „So-
krates ist weiß“ weist darauf hin, dass ein Akzidenz Sokrates zukommt. In der
wesentlichen Aussage „Sokrates ist Mensch und Lebewesen“ kommen das ein-
zelne Individuum, die besondere Art und die allgemeine Gattung per se in Ein-
klang. Während die akzidentelle Prädikation das zufällige und nachträgliche
Zukommen des Akzidenz zum Einzelnen ausdrückt, weist die wesentliche Prä-
dikation die notwendige Identität der Einzelheit mit ihrer Wesenheit auf.
Anhand derselben Unterscheidung von per se und per accidens ist die we-
sentliche Prädikation von der akzidentellen Prädikation, das Wesensprädikat
vom Akzidenzprädikat und die Wesenskategorie von der Akzidenzkategorie zu
unterscheiden.113 Die zehn Kategorien fallen dadurch in zwei Klassen, dass die

112 (1) Phys. A2, 185b32–34: πολλὰ δὲ τὰ ὄντα ἢ λόγῳ (οἷον ἄλλο τὸ λευκῷ εἶναι καὶ μουσικῷ,
τὸ δ’ αὐτὸ ἄμφω· πολλὰ ἄρα τὸ ἕν) ἢ διαιρέσει, ὥσπερ τὸ ὅλον καὶ τὰ μέρη. (2) Alexander 480.
34–481.1: οἷον τὸ λευκῷ εἶναι καὶ τὸ μουσικῷ· κατὰ συμβεβηκὸς γὰρ ἄμφω τῷ ἀνθρώπῳ
ὑπάρχει. ἀλλ’ οὐδὲ τοῦτο, φησί, δοκεῖ. εἰ δὲ τὸ λευκῷ εἶναι καὶ τὸ μουσικῷ εἶναι οὐ δοκεῖ τὸ
αὐτὸ εἶναι (ἄλλης γὰρ φύσεως τὸ μουσικὸν καὶ ἄλλης τὸ λευκόν), πολλῷ μᾶλλον οὐκ ἔσται τὸ
ἀνθρώπῳ εἶναι καὶ τὸ λευκῷ ἀνθρώπῳ τὸ αὐτό. (3) Asklepii In Metaphysicorum (Im Folgenden
zitiert als „Asklepios“) 392.29–31: τὰ οὖν ἄκρα < κατὰ συμβεβηκὸς > ὑπάρχουσι < τὰ αὐτά, οἷον
τὸ λευκῷ εἶναι καὶ τὸ μουσικῷ >· διὸ ἄλλος ὁρισμὸς λευκοῦ καὶ ἄλλος μουσικοῦ· κατὰ δὲ τὸ
ὑποκείμενον τὰ αὐτὰ ὑπάρχουσι. (4) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.5 n.5 [82926]: „[. . .]
subiectum enim est quodammodo medium inter duo accidentia, quae praedicantur de ipso, in-
quantum illa duo accidentia non uniuntur nisi unitate subiecti, sicut album et musicum uni-
tate hominis de quo praedicantur: est ergo homo ut medium, album autem et musicum sunt
extremitates. Si autem album esset idem homini per essentiam, pari ratione et musicum; et ita
ista duo extrema album et musicum essent per essentiam idem; quia quaecumque uni et
eidem sunt eadem, etiam sibiinvicem sunt eadem. Hoc autem est falsum, quod istae extremita-
tes sint eaedem per essentiam: sed forsan hoc videtur esse verum, quod sint eaedem per acci-
dens. Hoc autem certum est quod album et musicum sunt idem per accidens.“
113 Es ist theoretisch von großer Bedeutung, das Begriffspaar von Univokation-Äquivokation
durch das Paar von per se-per accidens zu ersetzen. Während Univokation-Äquivokation nur
die zwei Prädikationsweisen bezeichnet, ist per se-per accidens umfangreich anwendbar. Auf-
grund der Unterscheidung von per se und per accidens ist die Eigenschaft in die wesentliche
und die akzidentelle Eigenschaft geteilt. Die eine als Eigentümlichkeit ist dem Zugrundeliegen-
den per se immanent und die andere als Akzidenz kommt dem Einzelding per accidens zu
(συμβεβηκός καθ’ αὑτὸ-συμβεβηκός κατὰ συμβεβηκότα – APo. A22, 83b19–20; Metaph. Δ30,
1025a4–34). Anhand desselben Kriteriums von per se-per accidens lässt sich die Wirkursache
in die notwendige und die zufällige Wirkursache zerlegen (ὥσπερ γὰρ καὶ ὄν ἐστι τὸ μὲν καθ’
94 2 Zweite Philosophie (Physik)

Wesenskategorie mit der Einzelsubstanz per se zusammenfällt und die anderen


neun Kategorien der Einzelsubstanz per accidens zukommen.
Die erste Kategorie οὐσία ist nach der sokratisch-platonischen Tradition die Ant-
wort auf die Wesensfrage (τί ἐστι). Wenn man fragt, was Sokrates ist, betrifft das
Menschsein seine Wesenheit (Cat. 5, 2b31–36; Metaph. Z1, 1028a36–1028b2). Außer
der wesentlichen Was-Frage kann man zum konkreten Einzelding noch folgende
Fragen stellen: Wie groß (ποσόν) und wie beschaffen (ποιόν) ist es, wie verhält es
sich zu dem anderen (πρός τι), wo (ποῦ) befindet es sich und wann (πότε) ist es vor-
handen? Aus der jeweiligen Antwort resultieren die Kategorien von Quantität, Quali-
tät, Relation, Ort und Zeitpunkt.114 Darüber hinaus gibt es in der aristotelischen
Kategorienliste vier verbale Kategorien. Während das Machen-Erleiden (ποιεῖν-πάσχ-
ειν) die Aktivität-Passivität der Veränderung sowie der Tätigkeit aufweist, implizie-
ren das Vorliegen und das Innehaben (κεῖσθαι-ἔχειν) einen bestimmten Zustand. Die
Kategorie κεῖσθαι bezeichnet eine solche Sachlage (θέσις), wie z. B. dass Sokrates
sitzt. Das Innehaben (ἔχειν) bringt sowohl den körperlichen Zustand zum Ausdruck,
z. B. dass Sokrates bewaffnet ist, als auch den seelischen Zustand, wie z. B. dass So-
krates tugendhaft ist.115

αὑτὸ τὸ δὲ κατὰ συμβεβηκός, οὕτω καὶ αἴτιον ἐνδέχεται εἶναι, οἷον οἰκίας καθ’ αὑτὸ μὲν αἴτιον
τὸ οἰκοδομικόν, κατὰ συμβεβηκὸς δὲ τὸ λευκὸν ἢ τὸ μουσικόν – Phys. B5, 196b24–27).
114 Bemerkenswert ist, dass weder πότε mit der Zeit (χρόνος) noch ποῦ mit dem Raum (τόπος)
identifiziert werden kann. Die Zeit ist als zahlenmäßige Messung der Bewegung bestimmt und der
Raum gilt als Grenze, die den beweglichen Körper begrenzt. Im Vergleich zur Messung und zur
Grenze der Bewegung bezeichnen Wann und Wo den bestimmten Zeitpunkt und Ort, worin sich das
konkrete Einzelding lokalisiert. Die beiden Kategorien haben den klarsten Beweis dafür anzubieten,
dass sich die aristotelischen Kategorien auf die empirischen Einzeldinge beziehen. Kant kritisiert die
Kategorienlehre des Aristoteles darin, dass einige Kategorien, wie z. B. Zeitpunkt und Ort, die mit
der sinnlichen Anschauung zusammenhängen, in die Kategorienliste einbezogen sind. Vgl. Kant,
Kritik der reinen Vernunft B107.15–28 (1998: 157): „[. . .] Außerdem finden sich auch einige modi der
reinen Sinnlichkeit darunter, (quando, ubi, situs, imgleichen prius, simul,) auch ein empirischer,
(motus,) die in dieses Stammregister des Verstandes gar nicht gehören, oder es sind auch die abge-
leiteten Begriffe mit unter die Urbegriffe gezählt (actio, passio,) und an einigen der letztern fehlt es
gänzlich.“ Die kantische Kritik betrifft die aristotelische Kategorienlehre deswegen überhaupt nicht,
weil die zehn Kategorien des Aristoteles ursprünglich auf die sinnlich wahrnehmbaren Einzeldinge
gerichtet sind. Problematisch ist dies nur am platonisierten oder scholastischen Aristotelismus.
Wenn die aristotelischen Kategorien mit den platonischen höchsten Gattungen (Oberbegriffen) oder
mit den scholastischen Transzendentalien gleichgesetzt werden, rückt der Widerspruch in den Vor-
dergrund, wie die zeitlosen Oberbegriffe, die ewigen Transzendentalien, oder kantisch gesagt, die
wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes (Kant, Kritik der reinen Vernunft B107.29–31 [1998:
157]), zeitlich-räumlich determiniert werden können.
115 In der Kategorienschrift werden das Liegen und das Sitzen zum Beispiel genommen, um die Ka-
tegorie des κεῖσθαι zu verdeutlichen (Cat. 4, 2a2–3). Mit der ἔχειν-Kategorie ist gemeint, dass z. B.
Sokrates die Schuhe trägt oder mit einer bestimmten Eigenschaft versehen ist (Cat. 4, 2a3). Um die
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 95

Die unwesentlichen Kategorien müssen entweder dem ontologisch Zugrundelie-


genden inhärieren oder vom logisch Zugrundeliegenden ausgesagt werden. Da die
neun Kategorien in ontologisch-logischer Abhängigkeit von der Einzelsubstanz ste-
hen, werden sie anhand der Relationskategorie (πρός τι) zusammengefasst und als
Akzidenzkategorie bezeichnet.116 Mit den neun akzidentellen Kategorien hat die we-
sentliche Kategorie gemeinsam, dass sie als Prädikat dem logischen Subjekt der Aus-
sage zukommt. Der Unterschied von Wesenskategorie zu Akzidenzkategorie liegt
darin, dass die Wesenskategorie ontologisch selbständig und von der Einzelsubstanz
unabhängig ist. Während die akzidentellen Kategorien durch die Aufhebung der
Einzelsubstanz mit aufgehoben werden müssen, ist die wesentliche Kategorie nicht
durch die Aufhebung des Einzeldings aufzuheben. Stattdessen gehen die Einzel-
dinge zugrunde, wenn die entsprechende Wesenskategorie, d. h. die Wesenheit,
weggenommen oder vernichtet wird. Die Wesenskategorie, d. h. die Art, gilt nicht
nur als Wesensprädikat, das das einzelne Subjekt wesentlich zur Sprache bringt,
sondern vielmehr ist sie die Wesenssubstanz, welche die Einzelsubstanz zustande
bringt. Die zehn Kategorien differenzieren sich dadurch in zwei Gruppen aus, dass
die Wesenskategorie mit der unabhängigen Wesenssubstanz identifiziert wird und
die anderen neun Kategorien anhand der abhängigen Relation zusammengefasst
und wiedergegeben werden.
Die kategoriale Ausdifferenzierung in Wesenheit und Relativität (οὐσία-πρός
τι) legt dem logischen Unterschied zwischen Wesens- und Akzidenzprädikat ein
ontologisches Fundament. Da das Wesens- sowie das Akzidenzprädikat vom zu-
grundeliegenden Subjekt ausgesagt werden müssen, ist der wesentlichen und

beiden Kategorien scharf voneinander zu unterscheiden, tendieren manche Kommentatoren dazu,


das κεῖσθαι als äußerliche Lage des Körpers (θέσις) und das ἔχειν als innerliche Haltung der Seele
(ἕξις) auszulegen. Die Eigenschaft, die der menschlichen Seele innewohnt, ist nichts anderes als die
innerliche Haltung der Seele, nämlich die Tugend (διὸ καὶ ἡ τῶν μερῶν ἀρετὴ ἕξις τίς ἐστιν – Me-
taph. Δ20, 1022b13–14). Dadurch, dass die Kategorie des Innehabens (ἔχειν) mit der Verinnerlichung
der Tugend (ἕξις) in Verbindung gesetzt wird, ist eine Brücke zwischen der aristotelischen Katego-
rienlehre und der Tugendlehre zu schlagen.
116 Metaph. Λ4, 1070a36; EN A4, 1096a19–22: τὸ δ’ ἀγαθὸν λέγεται καὶ ἐν τῷ τί ἐστι καὶ ἐν τῷ
ποιῷ καὶ ἐν τῷ πρός τι, τὸ δὲ καθ’ αὑτὸ καὶ ἡ οὐσία πρότερον τῇ φύσει τοῦ πρός τι· παραφυάδι
γὰρ τοῦτ’ ἔοικε καὶ συμβεβηκότι τοῦ ὄντος. Dass sich die neun akzidentellen Kategorien zusam-
men als Relation bezeichnen lassen, kann gut begründet werden. Da das einzelne Akzidenz in
der Einzelsubstanz vorliegt (alteri inesse – Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.1 n.9 [82819];
inhaerentia substantiae – lib.7 l.1 n.11 [82821]) und das allgemeine Akzidenz vom einzelnen Sub-
jekt ausgesagt werden muss ([. . .] quia oportet quod in definitione accidentis ponatur subiectum –
lib.7 l.3 n.15 [82886]), ist das Akzidenz in beiden Sinnen auf die Substanz zurückzuführen. Der
ontologisch-logischen Rückführung entspricht die allgemeine Bestimmung der Relationskatego-
rie, wobei die eine Sache immer die andere impliziert (Πρός τι δὲ τὰ τοιαῦτα λέγεται, ὅσα αὐτὰ
ἅπερ ἐστὶν ἑτέρων εἶναι λέγεται ἢ ὁπωσοῦν ἄλλως πρὸς ἕτερον – Cat. 7, 6a36–37, 6b6–8).
96 2 Zweite Philosophie (Physik)

der akzidentellen Prädikation dieselbe Prädikationsstruktur zugeteilt (τὶ κατὰ


τινὸς λέγεται).117 Demzufolge müssen sowohl der akzidentelle Sachverhalt als
auch die wesentliche Tatsache anhand der Subjekt-Prädikat-Aussage zur Sprache
gebracht werden. Auf diese Art und Weise kommt der Sachverhalt „der weiße So-
krates“ zum Ausdruck, nämlich dass Sokrates weiß ist. Ähnlich spiegelt sich die
Tatsache „der als Mensch seiende Sokrates“ in der Wesensprädikation derart,
dass Sokrates Mensch ist.
Die Univokation und die Äquivokation sind insofern strukturell ähnlich, als
ihnen dieselbe Prädikationsstruktur von Subjekt und Prädikat zugeschrieben ist. An-
hand des Unterschieds von per se und per accidens ergibt sich die doppelte Analogie
von Sein und Logos. Wie sich die Wesenssubstanz zur Einzelsubstanz verhält, so
verhält sich das Wesensprädikat zum letzten Subjekt. Gleicherweise stehen die Akzi-
denzkategorie zur Einzelsubstanz und das Akzidenzprädikat zum Einzelsubjekt im
analogischen Verhältnis. Aus der Übereinstimmung von Sein und Logos folgt, dass
die Einzelsubstanz als logisches Subjekt und die Wesenssubstanz als Wesensprädi-
kat ans Licht kommt. Das ganze Schema der ontologisch-logischen Entsprechung
lässt sich folgendermaßen darstellen (Abb. 4):

Abb. 4: Übereinstimmung von Sein und Logos.

117 Aristoteles verwendet verschiedene Ausdrücke, um die zweigliedrige Struktur der Aussage zu
bezeichnen: τὶ κατὰ τινὸς λέγεται – APo. B3, 90b33–34; Int. 5, 17a20–22; Int. 6, 17a23–26. τὸ συμ-
βεβηκὸς καθ’ ὑποκειμένου τινὸς λέγεται – Phys. A3, 186a34–186b1; Metaph. Γ4, 1007a34–1007b1.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 97

2.1.1.3 Wahrheit und Falschheit


Anhand des Kriteriums von per se und per accidens ist die Prädikation in Uni-
vokation und Äquivokation gespalten. Der Unterschied zwischen den beiden
Prädikationsweisen kann aus einer anderen Perspektive erörtert werden, und
zwar aufgrund der verschiedenen Wahrheitswerte. Die wesentliche Prädikation
und die akzidentelle Prädikation können dadurch voneinander unterschieden
sein, dass die eine einwertig und die andere zweiwertig ist.118
Der Univokation entsprechend ist die affirmative Aussage immer wahr und
deren Negation immer falsch (περὶ δὲ τὰ ἀδύνατα ἄλλως ἔχειν οὐ γίγνεται ὁτὲ
μὲν ἀληθὲς ὁτὲ δὲ ψεῦδος, ἀλλ’ ἀεὶ ταὐτὰ ἀληθῆ καὶ ψευδῆ – Metaph. Θ10,
1051b15–17; Θ10, 1051b9–10, 1052a4–11). Da sowohl die Wesenssubstanz als
auch die wesentliche Eigenschaft vom Einzelding sachlich untrennbar sind,
drückt die Affirmation der wesentlichen Tatsache immer etwas Wahres aus.
Wegen der wesentlichen Verbundenheit sind die folgenden affirmativen Aussa-
gen immer wahr, nämlich dass Sokrates Mensch, das Feuer warm, die Zahl
„Zwei“ gerade ist und die Winkelsumme des Dreiecks zwei rechten Winkeln

118 Außer der einwertigen Univokation und der zweiwertigen Äquivokation gibt es eine andere
Art der Wahrheit, nämlich die Wahrheit des noetischen Denkens (Metaph. Θ10, 1051b17–32,
1052a1–4). Da das noetische Denken ontologisch nicht mit der Materie behaftet ist und logisch
die zweigliedrige Prädikationsstruktur transzendiert, ist es einfach (ἀσύνθετον – Metaph. Θ10,
1051b17, 1051b18–19, 1051b27). Infolge der Einfachheit entzieht es sich sowohl der ontologischen
Täuschungsmöglichkeit (οὐκ ἀπατηθῆναι – Metaph. Θ10, 1051b25, 1051b27–28, 1051b31; οὐδὲ
ἀπάτη – Metaph. Θ10, 1052a2) als auch der logischen Falschheit (τὸ δὲ ψεῦδος οὐκ ἔστιν – Me-
taph. Θ10, 1052a1–2; Ἡ μὲν οὖν τῶν ἀδιαιρέτων νόησις ἐν τούτοις περὶ ἃ οὐκ ἔστι τὸ ψεῦδος, ἐν
οἷς δὲ καὶ τὸ ψεῦδος καὶ τὸ ἀληθές σύνθεσίς τις ἤδη νοημάτων ὥσπερ ἓν ὄντων – De An. Γ6,
430a26–28). Das noetische Denken ist insofern „einwertig“ wahr, als es wahrhaft denkt (τὸ δὲ
ἀληθὲς τὸ νοεῖν ταῦτα – Metaph. Θ10, 1052a1). Der wahrhaften Tätigkeit entgegen steht nicht
die logische Falschheit, sondern die ontologische Untätigkeit (ἀληθές/θιγεῖν/νοεῖν-μὴ θιγγάνειν/
μὴ νοεῖν/ἀγνοεῖν). Selbst wenn das Denken etwas Falsches (z. B. die Symmetrie ist asymmet-
risch) denkt, erbringt diese Tatsache den Beweis dafür, dass das Denken wahrhaft tätig ist. Dar-
aus folgt, dass es im noetischen Denken nicht um die logische Wahrheit oder Falschheit geht,
sondern darum, ob es tatsächlich wirksam ist oder nicht (Metaph. Θ10, 1051b25–32, 1052a1–4).
Aus einer phänomenologischen Perspektive hebt Heidegger die Wahrheit des noetischen Den-
kens, heideggerisch gesagt, die Unverborgenheit des Vernehmens, hervor. Heidegger lässt die
Übereinstimmungswahrheit, die durch den Vergleich der Aussage mit dem Sachverhalt zu-
stande gebracht wird, außer Betracht und konzentriert sich auf die wahrhafte Tätigkeit des
Nous. Heideggers Interpretation des platonisch-aristotelischen Wahrheitsbegriffs ist dadurch ge-
kennzeichnet, dass er den privativen Charakter der Wahrheit, nämlich die Un-verborgenheit
(ἀ-ληθεία), betont und seine Auslegung der Wahrheit nicht logisch, sondern ontologisch, d. h.
phänomenologisch, orientiert ist. Vgl. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristo-
teles (2003: 45–58); „Vom Wesen der Wahrheit“ (1976: 177–202); „Platons Lehre von der Wahr-
heit“ (1976: 203–238).
98 2 Zweite Philosophie (Physik)

gleich ist. Der wahren Affirmation entgegen steht die Negation, die immer
falsch ist. Während die Univokation immer wahr ist, kann die Äquivokation
entweder wahr oder falsch sein.
Im Bereich der Äquivokation lässt sich die Korrespondenz von Sein und
Logos mit der zweiwertigen Wahrheit aufzeigen, die terminologisch die Über-
einstimmungswahrheit genannt wird. Wie der Name „Übereinstimmungswahr-
heit“ besagt, geht es um die Korrespondenz der Aussage zum Sachverhalt. Je
nachdem, ob die logische Aussage dem ontologischen Sachverhalt entspricht
oder nicht, kommt die zweiwertige Aussage zustande, wahr oder falsch zu sein
(ἀληθές-ψεῦδος). Die Übereinstimmungswahrheit ist weder rein logisch noch
bloß ontisch, sondern onto-logisch konzipiert. Denn ob die Aussage inhaltlich
wahr oder falsch ist, kommt weder auf die formale Satzstruktur an, noch allein
auf das empirische Phänomen, sondern darauf, ob die Aussage mit dem Sach-
verhalt korrespondiert oder nicht. Anders formuliert: Die Übereinstimmungs-
wahrheit und -falschheit kommen dadurch zustande, dass die Aussage mit dem
Sachverhalt verglichen wird. Die logische Aussage und der ontologische Sach-
verhalt sind nur dann miteinander vergleichbar, wenn die beiden strukturell
ähnlich sind. Denn die Strukturähnlichkeit ermöglicht, dass das Denken das
Reale als Realität auffasst. Indem das Subjekt-Prädikat-Gefüge (ὄνομα-ῥῆμα) die
Substanz-Kategorie-Struktur (ὑποκείμενον-κατηγορούμενον) nachahmt, ergibt
sich die logisch-ontologische Entsprechung. Wie die Einzelsubstanz mit der
Kategorie kombiniert ist oder davon abgetrennt wird (κατὰ συμπλοκὴν-ἄνευ
συμπλοκῆς),119 können das Subjekt und das Prädikat in der Aussage zusam-
men- oder auseinanderfallen (σύνθεσις-διαίρεσις).120 Die logische Verbindung
und Trennung lassen sich anhand der Affirmation und der Negation wiedergeben
(κατάφασις-ἀπόφασις).121 Indem sich die ontologische bzw. die sachliche Zusam-
menfügung und Zergliederung mit der logischen Zusammenfügung und Zerglie-
derung überkreuzen (συγκεῖσθαι-διῃρῆσθαι), kommen die Wahrheit und die
Falschheit chiastisch zur Entfaltung (Tab. 10).

119 Cat. 2, 1a16–19: Τῶν λεγομένων τὰ μὲν κατὰ συμπλοκὴν λέγεται, τὰ δὲ ἄνευ συμπλοκῆς.
τὰ μὲν οὖν κατὰ συμπλοκήν, οἷον ἄνθρωπος τρέχει, ἄνθρωπος νικᾷ· τὰ δὲ ἄνευ συμπλοκῆς,
οἷον ἄνθρωπος, βοῦς, τρέχει, νικᾷ.
120 Int. 1, 16a12–18: περὶ γὰρ σύνθεσιν καὶ διαίρεσίν ἐστι τὸ ψεῦδός τε καὶ τὸ ἀληθές. τὰ μὲν
οὖν ὀνόματα αὐτὰ καὶ τὰ ῥήματα ἔοικε τῷ ἄνευ συνθέσεως καὶ διαιρέσεως νοήματι, οἷον τὸ
ἄνθρωπος ἢ λευκόν, ὅταν μὴ προστεθῇ τι· οὔτε γὰρ ψεῦδος οὔτε ἀληθές πω. σημεῖον δ’ ἐστὶ
τοῦδε· καὶ γὰρ ὁ τραγέλαφος σημαίνει μέν τι, οὔπω δὲ ἀληθὲς ἢ ψεῦδος, ἐὰν μὴ τὸ εἶναι ἢ μὴ
εἶναι προστεθῇ ἢ ἁπλῶς ἢ κατὰ χρόνον.
121 Int. 6, 17a28–33; Int. 5, 17a8–9: Ἔστι δὲ εἷς πρῶτος λόγος ἀποφαντικὸς κατάφασις, εἶτα
ἀπόφασις.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 99

Tab. 10: Wahrheit und Falschheit.

συγκεῖσθαι διῃρῆσθαι

συγκεῖσθαι ἀληθές ψεῦδος

διῃρῆσθαι ψεῦδος ἀληθές

Wenn die Kategorie mit der Einzelsubstanz und das Prädikat mit dem Sub-
jekt verbunden sind, sagt die Aussage etwas Wahres aus (der musikalische Sok-
rates – „Sokrates ist musikalisch“). Wenn die Kategorie von der Einzelsubstanz
und das Prädikat vom Subjekt zergliedert werden, ist die Aussage ebenfalls wahr
(der unmusikalische Sokrates – „Sokrates ist unmusikalisch“). Falls die Kategorie
mit der Einzelsubstanz kombiniert ist, aber das Prädikat vom Subjekt getrennt
wird, drückt der Satz etwas Falsches aus (der musikalische Sokrates – „Sokrates
ist unmusikalisch“). Falls die Kategorie von der Einzelsubstanz abgesondert
wird, aber das Prädikat dem Subjekt zukommt, ist die Aussage falsch (der unmu-
sikalische Sokrates – „Sokrates ist musikalisch“). Die wahre Aussage weist auf
nichts anderes hin, als dass die logische Verbindung und Trennung mit der sach-
lichen Verbindung und Trennung in Übereinstimmung treten. Dementgegen
weist die falsche Aussage darauf hin, dass die logische Verbindung und Tren-
nung mit der sachlichen Verbindung und Trennung nicht in Einklang stehen.122

122 (1) Metaph. Θ10, 1051b1–6: [. . .] τὸ δὲ κυριώτατα ὂν ἀληθὲς ἢ ψεῦδος, τοῦτο δ’ ἐπὶ τῶν
πραγμάτων ἐστὶ τῷ συγκεῖσθαι ἢ διῃρῆσθαι, ὥστε ἀληθεύει μὲν ὁ τὸ διῃρημένον οἰόμενος διῃ-
ρῆσθαι καὶ τὸ συγκείμενον συγκεῖσθαι, ἔψευσται δὲ ὁ ἐναντίως ἔχων ἢ τὰ πράγματα, πότ’ ἔστιν
ἢ οὐκ ἔστι τὸ ἀληθὲς λεγόμενον ἢ ψεῦδος; τοῦτο γὰρ σκεπτέον τί λέγομεν. (2) Metaph. Θ10,
1051b32–1052a1: ἀλλὰ τὸ τί ἐστι ζητεῖται περὶ αὐτῶν, εἰ τοιαῦτά ἐστιν ἢ μή· τὸ δὲ εἶναι ὡς τὸ
ἀληθές, καὶ τὸ μὴ εἶναι τὸ ὡς τὸ ψεῦδος, ἓν μέν ἐστιν, εἰ σύγκειται, ἀληθές, τὸ δ’ εἰ μὴ σύγκει-
ται, ψεῦδος· τὸ δὲ ἕν, εἴπερ ὄν, οὕτως ἐστίν, εἰ δὲ μὴ οὕτως, οὐκ ἔστιν. (3) Metaph. E4,
1027b18–23: τὸ δὲ ὡς ἀληθὲς ὄν, καὶ μὴ ὂν ὡς ψεῦδος, ἐπειδὴ παρὰ σύνθεσίν ἐστι καὶ διαίρεσιν,
τὸ δὲ σύνολον περὶ μερισμὸν ἀντιφάσεως. τὸ μὲν γὰρ ἀληθὲς τὴν κατάφασιν ἐπὶ τῷ συγκει-
μένῳ ἔχει τὴν δ’ ἀπόφασιν ἐπὶ τῷ διῃρημένῳ, τὸ δὲ ψεῦδος τούτου τοῦ μερισμοῦ τὴν ἀντίφα-
σιν. (4) Int. 6, 17a26–29: ἐπεὶ δὲ ἔστι καὶ τὸ ὑπάρχον ἀποφαίνεσθαι ὡς μὴ ὑπάρχον καὶ τὸ μὴ
ὑπάρχον ὡς ὑπάρχον καὶ τὸ ὑπάρχον ὡς ὑπάρχον καὶ τὸ μὴ ὑπάρχον ὡς μὴ ὑπάρχον [. . .]. (5)
Int. 9, 19a32–35: ὥστε, ἐπεὶ ὁμοίως οἱ λόγοι ἀληθεῖς ὥσπερ τὰ πράγματα, δῆλον ὅτι ὅσα οὕτως
ἔχει ὥστε ὁπότερ’ ἔτυχε καὶ τὰ ἐναντία ἐνδέχεσθαι, ἀνάγκη ὁμοίως ἔχειν καὶ τὴν ἀντίφασιν. (6)
Alexander 599.8–13: οὐ γάρ ἐστι τὰ ἁπλᾶ σύνθετα, ἵνα λέγωμεν ὡς ὅταν συγκέηται ὁ κατηγο-
ρούμενος καὶ ὑποκείμενος καὶ φῶμεν αὐτὸν συγκεῖσθαι ἀληθεύομεν, μὴ συγκειμένου δὲ καὶ λε-
γομένου συγκεῖσθαι ψευδόμεθα, ὥσπερ ἐπὶ τοῦ λευκοῦ ξύλου ἔχει καὶ ἐπὶ πάντων τῶν
συνθέτων· ἐπὶ τούτων μὲν γὰρ λέγοντες περὶ τοῦ λευκοῦ ξύλου ὅτι τὸ ξύλον λευκόν ἐστιν
ἀληθεύομεν, μὴ λευκὸν δὲ ψευδόμεθα.
100 2 Zweite Philosophie (Physik)

Die Wahrheit und die Falschheit befinden sich nicht in der Sache, sondern in
der Aussage, die im diskursiven Denken verwurzelt ist (Cat. 5, 4a21–28; De An. Γ3,
427b9–11, 13–14, 428a18–19; Metaph. E4, 1027b25–28; Z15, 1039b33–1040a2; Θ10,
1051b13–15). Trotzdem müssen Wahrheit und Falschheit auf die Realität Bezug
nehmen, da der tatsächliche Sachverhalt den Wahrheitswert einer Aussage deter-
miniert und nicht umgekehrt (Cat. 12, 14b19–22; Metaph. Θ10, 1051b6–9). Führen
wir uns die Entstehung der Wahrheit oder Falschheit vor Augen, ist einzusehen,
dass die Übereinstimmungswahrheit nicht nur in dem Sachverhalt gründet, son-
dern die Zweiwertigkeit der Aussage von der Veränderung des Sachverhaltes ver-
ursacht wird. Falls die Aussage unveränderlich bleibt und sich der akzidentelle
Sachverhalt verändert, spricht die Aussage, die ursprünglich wahr gewesen ist,
etwas Falsches aus. Derselbe Satz „Sokrates sitzt“ ist nur dann falsch, wenn Sokra-
tes nicht mehr sitzt, sondern aufsteht (Cat. 5, 4a34–b2). Der Wechsel von der
Wahrheit zur Falschheit ist letztendlich in der sachlichen Veränderung (κινούμε-
νον πράγματος) fundiert. Von daher geht die ontologische Untersuchung in das
Verhältnis von Sachverhalt und Veränderung über.

2.1.2 Sachverhalt-Bewegung (πρᾶγμα-κίνησις)

2.1.2.1 Sein und Veränderung


Nachdem die Übereinstimmung von Sein und Logos erörtert worden ist, wenden
wir uns der Korrespondenz von Sein und Veränderung zu. Die aristotelische Er-
klärung der Veränderung ist keineswegs eine bloße Beschreibung des Veränder-
ungsphänomens, sondern eine ontologische Erörterung des Umschlags, da sich
die beiden Grundsätze der aristotelischen Philosophie, nämlich die ontologische
Differenz und die kategoriale Ausdifferenzierung, in die ontische Veränderung
hinein fortsetzen. In diesem Teil geht es zunächst darum, wie die Struktur der
Veränderung auf der Grundlage der ontologischen Differenz von Substanz und
Kategorie aufbaut. Anschließend lässt sich aufzeigen, dass die Veränderung in
die akzidentelle und die substanzielle Veränderung aufzuteilen ist, und zwar an-
hand der kategorialen Ausdifferenzierung von per accidens und per se. Schließ-
lich ist davon die Rede, inwiefern die akzidentelle und die substanzielle
Veränderung, d. h. die Bewegung und das Entstehen-Vergehen, strukturell ähn-
lich und wesentlich different sind.
Die Veränderung steht in Einklang mit dem Sein, insofern die Veränderung
aus der zugrundeliegenden Substanz und der zukommenden Kategorie konsti-
tuiert ist. Vor allem fallen das ontologisch und das ontisch Zugrundeliegende
unmittelbar zusammen, indem die dem Sachverhalt zugrundeliegende Einzel-
substanz auch der Veränderung zugrunde gelegt wird.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 101

ἡ δέ γε οὐσία ἓν καὶ ταὐτὸν ἀριθμῷ ὂν δεκτικὸν τῶν ἐναντίων ἐστίν· οἷον ὁ τὶς ἄνθρωπος,
εἷς καὶ ὁ αὐτὸς ὤν, ὁτὲ μὲν λευκὸς ὁτὲ δὲ μέλας γίγνεται, καὶ θερμὸς καὶ ψυχρός, καὶ
φαῦλος καὶ σπουδαῖος. – Cat. 5, 4a17–21

Die Einzelsubstanz ist nämlich der Zahl nach ein und dasselbe Seiende, das die
Gegensätze in sich trägt. Ein bestimmter Mensch, z. B. Sokrates, ist als Seiender
ein und derselbe, obwohl er bald weiß und bald schwarz aussieht, sich bald
warm und bald kalt anfühlt, oder manchmal schlecht und manchmal tugendhaft
handelt. In der Veränderung verhält sich die Einzelsubstanz wie ein Substrat
(ὑπομένον), das unveränderlich verharrt und die numerische Einheit (ἓν ἀριθμῷ)
beibehält (Cat. 5, 4a10–11; Phys. A7, 190a13–16). Aufgrund dessen gehen das
Kalte aus dem Warmen hervor, das Schwarze aus dem Weißen und die Tugend-
haftigkeit aus der Schlechtigkeit. Die kategoriale Eigenschaft kann weder aus
dem absoluten Nichts123 noch aus dem Beliebigen124 entstanden sein, sondern
die eine Eigenschaft tritt nur aus deren entsprechendem Gegensatz hervor.125

123 Dem Grundsatz der griechischen Naturphilosophie zufolge (Phys. A4, 187a32–187b1; A8,
191b13–17) ist es überhaupt nicht möglich, dass irgendetwas aus dem absoluten Nichts ent-
standen ist, sei es kategoriale Eigenschaft, sei es Substanz.
124 Wenn alles einen ähnlichen Ursprung hätte (ὀμοῦ πάντα) oder unbestimmt wäre (ἄπει-
ρον), könnte alles aus allem stammen. Demnach würde der Mensch aus dem Schwarzen oder
das Schwarze aus dem Tisch entstanden sein. Aristoteles’ Auffassung nach ist das absurd und
unmöglich.
125 Die eine Eigenschaft ist aus der anderen gegensätzlichen entstanden, wie z. B. das Musikali-
sche aus dem Unmusikalischen, oder das Weiße aus dem Schwarzen. Vgl. Cat. 5, 4a28–34,
15b1–16; Phys. A4, 187a31–32; A7, 190a21–31; E2, 225b16–33; Θ4, 255b5–13; Gen. et Corr. A3,
317a32–317b1; A4, 319b24–26 (Εἰ δὲ μή, ἔσται ἀλλοίωσις, οἷον ὁ μουσικὸς ἄνθρωπος ἐφθάρη,
ἄνθρωπος δ’ ἄμουσος ἐγένετο, ὁ δ’ ἄνθρωπος ὑπομένει τὸ αὐτό); Metaph. H5, 1044b24–26 ([. . .]
οὐ πάντα ἂν τἀναντία γίγνοιτο ἐξ ἀλλήλων, ἀλλ’ ἑτέρως λευκὸς ἄνθρωπος ἐκ μέλανος ἀνθρώπου
καὶ λευκὸν ἐκ μέλανος). Im Fall, dass sich ein Mittelzustand zwischen den beiden gegensätzli-
chen Eigenschaften befindet, kann die Eigenschaft (weiß) entweder aus dem entsprechenden
Gegensatz (schwarz) oder aus der mittleren Eigenschaft (braun) entstanden sein. Vgl. (1) Phys.
A5, 188a30–188b26: [. . .] εἰ τοίνυν τοῦτ’ ἔστιν ἀληθές, ἅπαν ἂν γίγνοιτο τὸ γιγνόμενον καὶ
φθείροιτο τὸ φθειρόμενον ἢ ἐξ ἐναντίων ἢ εἰς ἐναντία καὶ τὰ τούτων μεταξύ. τὰ δὲ μεταξὺ ἐκ
τῶν ἐναντίων ἐστίν, οἷον χρώματα ἐκ λευκοῦ καὶ μέλανος· ὥστε πάντ’ ἂν εἴη τὰ φύσει γιγνόμενα
ἢ ἐναντία ἢ ἐξ ἐναντίων. (2) Phys. E1, 224b28–35 (Phys. E1, 224b28–30 = Metaph. K11,
1067b12–14): ἡ δὲ μὴ κατὰ συμβεβηκὸς οὐκ ἐν ἅπασιν, ἀλλ’ ἐν τοῖς ἐναντίοις καὶ τοῖς μεταξὺ καὶ
ἐν ἀντιφάσει· τούτου δὲ πίστις ἐκ τῆς ἐπαγωγῆς. ἐκ δὲ τοῦ μεταξὺ μεταβάλλει· χρῆται γὰρ αὐτῷ
ὡς ἐναντίῳ ὄντι πρὸς ἑκάτερον· ἔστι γάρ πως τὸ μεταξὺ τὰ ἄκρα. διὸ καὶ τοῦτο πρὸς ἐκεῖνα κἀ-
κεῖνα πρὸς τοῦτο λέγεταί πως ἐναντία, οἷον ἡ μέση ὀξεῖα πρὸς τὴν ὑπάτην καὶ βαρεῖα πρὸς τὴν
νητήν, καὶ τὸ φαιὸν λευκὸν πρὸς τὸ μέλαν καὶ μέλαν πρὸς τὸ λευκόν. (3) Phys. E1, 225b3–5 =
Metaph. K11, 1068a5–7: τὰ δ’ ὑποκείμενα ἢ ἐναντία ἢ μεταξύ (καὶ γὰρ ἡ στέρησις κείσθω ἐναν-
τίον), καὶ δηλοῦται καταφάσει, τὸ γυμνὸν καὶ νωδὸν καὶ μέλαν. (4) Phys. E2, 226b2–3: ἢ γὰρ ἐξ
ἐναντίου ἢ εἰς ἐναντίον κίνησίς ἐστιν, ἢ ἁπλῶς ἢ πῄ. (5) Simplicii In Physicorum 863.17–24: ὅτι δὲ
102 2 Zweite Philosophie (Physik)

Aufgrund eines beharrlichen Substrats wandeln sich die gegensätzlichen Eigen-


schaften ineinander um, sodass das Unten ins Oben, das Schwarze ins Weiße,
das Kalte ins Warme, die Krankheit in die Gesundheit, und das Unmusikalische
ins Musikalische übergeht (Cat. 5, 4a28–34; Phys. Θ4, 255b5–13).
Daraus folgt, dass die Veränderung aus der zugrundeliegenden Einzelsub-
stanz und dem kategorialen Gegensatz besteht (ὑποκείμενον-ἀντικείμενον).126
Um dies zu verdeutlichen, nimmt Aristoteles die qualitative Veränderung zum
Paradigma. Die Veränderung vollzieht sich, wenn z. B. der unmusikalische Sok-
rates musikalisch wird oder umgekehrt. Sokrates wird entweder durch das
Lernen zum musikalischen Menschen, oder er ist wiederum aufgrund von Ver-
gesslichkeit unmusikalisch geworden. In beiden Fällen verändert sich Sokrates
als Einzelsubstanz gar nicht, während das Abwechseln der gegensätzlichen
Eigenschaften die Veränderung ausmacht.
Die Korrespondenz von Sein und Veränderung zeigt sich nicht nur darin,
dass die ontologische Substanz und das ontische Substrat zur Deckung kom-
men, sondern auch darin, dass die Kategorien zum Maßstab genommen
werden, um die Veränderung zu klassifizieren. Im Prinzip sollen die Veränder-
ungstypen mit den Seinsarten deckungsgleich sein (ὥστε κινήσεως καὶ μεταβο-
λῆς ἔστιν εἴδη τοσαῦτα ὅσα τοῦ ὄντος – Phys. Γ1, 201a8–9; Metaph. K9,
1065b13–14), in der Tat aber ist die Veränderung nicht in alle zehn Klassen,
sondern nur in vier Klassen einzuteilen.127 Denn für die extentionale Bestim-
mung der Veränderung können nicht alle Kategorien als Einteilungskriterium

τοῦτο οὕτως ἔχει, δείκνυσιν ἐκ τοῦ πᾶσαν κίνησιν δεδεῖχθαι < ἐξ ἐναντίου > εἰς ἐναντίον γινομέ-
νην < ἢ ἁπλῶς ἢ πῇ >. ἔστι δὲ ἡ πῇ ἐκ τοῦ μεταξὺ γινομένη κατὰ τὴν ἐν τῷ αὐτῷ εἴδει ἐπίτασιν.
ἐδείχθη δὲ καὶ ἡ ἀπὸ τοῦ μεταξὺ ἢ εἰς τὸ μεταξὺ μεταβολὴ ἀπὸ ἐναντίου καὶ εἰς ἐναντίον οὖσα. εἰ
οὖν τὸ λευκὸν ἧττον γινόμενον λευκὸν εἰς τὸ μεταξὺ μεταβάλλει ὡς εἰς τὸ ἐναντίον ἑαυτοῦ,
δῆλον ὅτι ὡς εἰς μέλαν μεταβάλλει· τὸ γὰρ ἧττον λευκὸν μίξει τοῦ μέλανος γίνεται τοιοῦτον. (6)
Gen. et Corr. A4, 319b8–14: Ἐπειδὴ οὖν ἐστί τι τὸ ὑποκείμενον καὶ ἕτερον τὸ πάθος ὃ κατὰ τοῦ
ὑποκειμένου λέγεσθαι πέφυκεν, καὶ ἔστι μεταβολὴ ἑκατέρου τούτων, ἀλλοίωσις μέν ἐστιν, ὅταν
ὑπομένοντος τοῦ ὑποκειμένου, αἰσθητοῦ ὄντος, μεταβάλλῃ ἐν τοῖς αὑτοῦ πάθεσιν, ἢ ἐναντίοις
οὖσιν ἢ μεταξύ, οἷον τὸ σῶμα ὑγιαίνει καὶ πάλιν κάμνει ὑπομένον γε ταὐτό, καὶ ὁ χαλκὸς στρογ-
γύλος, ὁτὲ δὲ γωνιοειδὴς ὁ αὐτός γε ὤν. (7) Metaph. Λ2, 1069b3–6: εἰ δ’ ἡ μεταβολὴ ἐκ τῶν ἀντι-
κειμένων ἢ τῶν μεταξύ, ἀντικειμένων δὲ μὴ πάντων (οὐ λευκὸν γὰρ ἡ φωνή) ἀλλ’ ἐκ τοῦ
ἐναντίου, ἀνάγκη ὑπεῖναί τι τὸ μεταβάλλον εἰς τὴν ἐναντίωσιν.
126 Phys. A7, 190b10–13: ὥστε δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τὸ γιγνόμενον ἅπαν ἀεὶ συνθετόν
ἐστι, καὶ ἔστι μέν τι γιγνόμενον, ἔστι δέ τι ὃ τοῦτο γίγνεται, καὶ τοῦτο διττόν· ἢ γὰρ τὸ ὑποκεί-
μενον ἢ τὸ ἀντικείμενον.
127 (1) Phys. Γ1, 200b32–34: οὐκ ἔστι δὲ κίνησις παρὰ τὰ πράγματα· μεταβάλλει γὰρ ἀεὶ τὸ με-
ταβάλλον ἢ κατ’ οὐσίαν ἢ κατὰ ποσὸν ἢ κατὰ ποιὸν ἢ κατὰ τόπον. (2) Metaph. Λ2, 1069b9–10:
εἰ δὴ αἱ μεταβολαὶ τέτταρες, ἢ κατὰ τὸ τί ἢ κατὰ τὸ ποῖον ἢ πόσον ἢ ποῦ.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 103

gelten, sondern nur diejenigen, die per se oder im abgeleiteten Sinne den Ge-
gensatz in sich aufnehmen.128 Wie oben erwähnt verharrt das Substrat in der
Veränderung (τὸ μὲν ὑπομένει), wobei die gegensätzlichen Eigenschaften inein-
ander übergehen (τὸ δ’ οὐχ ὑπομένει – Phys. A7, 190a13–21; Metaph. Λ2,
1069b3–9). Demnach kann die eine Eigenschaft nicht aus einer beliebigen an-
deren, sondern nur aus der gegensätzlichen Eigenschaft hervortreten. Das
Weiße kann nicht aus dem Tiefen der Töne, sondern nur aus dem Schwarzen
der Fläche entstanden sein. Welche Kategorie angewendet werden kann, um
die Veränderung zu klassifizieren, entscheidet sich daran, ob sie den Gegensatz
zulässt. Aufgrund des Gegensatz-Kriteriums lokalisiert sich die Veränderung in
den vier Kategorien, nämlich Qualität, Quantität, Ort und Substanz. Demzu-
folge ergeben sich die vier Typen von Veränderungen, nämlich die qualitative
Veränderung, die quantitative Veränderung, die örtliche Bewegung und der
substanzielle Umschlag.

128 (1) Phys. E1, 225b5–E2, 225b16 = Metaph. K12, 1068a8–16: εἰ οὖν αἱ κατηγορίαι διῄρηνται
οὐσίᾳ καὶ ποιότητι καὶ τῷ ποὺ [καὶ τῷ ποτὲ] καὶ τῷ πρός τι καὶ τῷ ποσῷ καὶ τῷ ποιεῖν ἢ πάσχ-
ειν, ἀνάγκη τρεῖς εἶναι κινήσεις, τήν τε τοῦ ποιοῦ καὶ τὴν τοῦ ποσοῦ καὶ τὴν κατὰ τόπον.
Κατ’ οὐσίαν δ’ οὐκ ἔστιν κίνησις διὰ τὸ μηδὲν εἶναι οὐσίᾳ τῶν ὄντων ἐναντίον. οὐδὲ δὴ τοῦ
πρός τι· ἐνδέχεται γὰρ θατέρου μεταβάλλοντος < ἀληθεύεσθαι καὶ μὴ > ἀληθεύεσθαι θάτερον
μηδὲν μεταβάλλον, ὥστε κατὰ συμβεβηκὸς ἡ κίνησις αὐτῶν. οὐδὲ δὴ ποιοῦντος καὶ
πάσχοντος, ἢ κινουμένου καὶ κινοῦντος, ὅτι οὐκ ἔστι κινήσεως κίνησις οὐδὲ γενέσεως γένε-
σις, οὐδ’ ὅλως μεταβολῆς μεταβολή. (2) Phys. E2, 226a23–26 = Metaph. K12, 1068b15–18: ἐπεὶ
δὲ οὔτε οὐσίας οὔτε τοῦ πρός τι οὔτε τοῦ ποιεῖν καὶ πάσχειν, λείπεται κατὰ τὸ ποιὸν καὶ τὸ
ποσὸν καὶ τὸ ποὺ κίνησιν εἶναι μόνον· ἐν ἑκάστῳ γὰρ ἔστι τούτων ἐναντίωσις. (3) Simplicii In
Physicorum 408.5–14: εἰ οὖν ἀπορεῖ τις, πῶς < κινήσεως καὶ μεταβολῆς εἴδη τοσαῦτα > εἶπεν
εἶναι < ὅσα τοῦ ὄντος >, εἴπερ ἐν τέτρασι μόναις κατηγορίαις εἶναι τὴν κίνησιν ἀποδείξει τῇ
οὐσίᾳ τῇ ποιότητι τῇ ποσότητι τῇ ποῦ, ἴστω ὅτι εἰπὼν < ἕκαστον > τῶν γενῶν ἢ εἰδῶν ἐν οἷς ἡ
κίνησις < διχῶς ὑπάρχει πᾶσι > κατὰ τὴν ἐν ἑκάστῳ ἀντίθεσιν, ἐπειδὴ τοσαυταχῶς ἐστιν ἡ κί-
νησις, ὁσαχῶς τὰ ἐν οἷς ἡ κίνησις, εἰκότως ἐπήγαγεν < ὥστε κινήσεως καὶ μεταβολῆς ἐστιν
εἴδη τοσαῦτα ὅσα τοῦ ὄντος > οὐ πᾶν τὸ ὂν λαβών, ἀλλὰ τὸ πρὸς τὴν κίνησιν ἰσοστοιχοῦν.
τοῦτο δὲ ἦν τὸ ἐν ᾧ ἡ κίνησις. τοῦτο δὲ ἦν τὸ ἐν τοῖς τέτρασι γένεσι τοῦ ὄντος. (4) Simplicius
In Physicorum 858.8–16: Προθέμενος δεῖξαι ὅτι οὐκ ἐν πάσαις ἐστὶ ταῖς κατηγορίαις κίνησις,
ἀλλ’ ἐν τρισὶ μόναις, τῷ τε ποιῷ καὶ τῷ ποσῷ καὶ τῷ ποῦ, καὶ δείξας ὅτι οὔτε ἐν οὐσίᾳ, οὔτε
ἐν τῷ πρός τι οὔτε ἐν τῷ ποιεῖν καὶ πάσχειν, ἐπειδὴ κινήσεις μὲν αὗταί τινές εἰσι, κινήσεως
δὲ κίνησις οὐκ ἔστι καθ’ αὑτό, ὅπερ διὰ πλειόνων ἀπέδειξε, συμπεραίνεται λοιπὸν ὅτι μὴ
οὔσης κινήσεως ἐν ταῖς ἄλλαις κατηγορίαις, λείπεται κατὰ τὸ ποιὸν καὶ τὸ ποσὸν καὶ τὸ ποῦ
κίνησιν εἶναι μόνον, καὶ τὴν αἰτίαν τοῦ ἐν τούτοις εἶναι κίνησιν προστίθησιν εἰπὼν < ἐν
ἑκάστῳ γάρ ἐστι τούτων ἐναντίωσις >· ἡ γὰρ κίνησις ἐξ ἐναντίου εἰς ἐναντίον ἦν μεταβολή.
(5) Simplicii In Categoriarum 432.18–21: ὅλως δέ, ᾧ διαφέρουσιν αἱ τέσσαρες κατηγορίαι ἀλ-
λήλων, ἥ τε οὐσία καὶ τὸ ποσὸν καὶ τὸ ποιὸν καὶ τὸ ποῦ, τούτῳ καὶ < αἱ > κατὰ ταύτας κινήσεις
διοίσουσιν.
104 2 Zweite Philosophie (Physik)

Zunächst wohnt der Qualität der Gegensatz per se inne. Obwohl weder zwei
beliebige Beschaffenheiten (weiß-musikalisch) noch irgendwelche zwei Eigen-
schaften derselben Gattung (rot-grün) entgegengesetzt sind,129 kann die Quali-
tät in den anderen Fällen den kategorialen Gegensatz bilden. Per se steht das
Weiße dem Schwarzen entgegen, die Gesundheit der Krankheit, das Musikali-
sche dem Unmusikalischen und das Gerechte dem Ungerechten.130 Bei der Qua-
lität zeigt sich nicht nur der Gegensatz am offenkundigsten, sondern die
kategoriale Entgegensetzung kommt leicht zur Sprache, indem das Prädikat in
der Aussage negiert wird (musikalisch→unmusikalisch). Deshalb lässt sich die
qualitative Veränderung im Laufe der Argumentation bevorzugen und zum Pa-
radigma nehmen.
Wie in der Qualitätskategorie ist der Gegensatz auch in der Ortskategorie
(ποῦ) enthalten. Rechts-links und vor-hinter stehen einander zwar räumlich
entgegen, hängen aber von der subjektiven Beobachtungsperspektive ab.
Außer der subjektiven Entgegensetzung gibt es in der Natur den objektiven Ge-
gensatz des Orts. Oben-unten ist deswegen per se gegensätzlich, weil jedes der
vier Grundelemente der Natur nach eine eigentümliche Stellung besitzt. Da-
durch, dass die Luft naturgemäß aufsteigt und die Erde hinabfällt, befindet
sich die Luft oben und die Erde unten. Darum gründet der räumliche Gegensatz
von oben und unten in den natürlichen Orten der Grundelemente. Der jedem
Grundelement eigentümliche Ort ist durch die Bewegung geschaffen, und die Be-
wegung muss auf die wesentliche Eigenschaft des Grundelementes zurückzufüh-
ren sein. Der Aufstieg der Luft wird vom Leichten und das Hinabfallen der Erde
vom Schweren verursacht. Wie das Oben dem Unten per se entgegensteht, so
auch das Leichte dem Schweren. Der Gegensatz, der bei der Ortskategorie auf-
tritt, gilt entweder als räumlicher Gegensatz von oben und unten (ἄνω-κάτω)
oder kommt als Gegensatz von Leichtem und Schwerem vor (κοῦφον-βάρος –
Phys. Δ1, 208b8–22; Θ4, 255b13–17).
Im Vergleich zur Kategorie der Qualität und des Orts kann die Quantität
nicht per se, sondern nur im abgeleiteten Sinne den Gegensatz zulassen. Die
quantitative Kategorie ist in die kontinuierliche Größe (μέγεθος) und die dis-
krete Zahl (ἀριθμός) ausdifferenziert, aber weder einer gewissen Größe noch

129 Cat. 8, 10b15–17: οὐκ ἐπὶ πάντων δὲ τὸ τοιοῦτον· τῷ γὰρ πυῤῥῷ ἢ ὠχρῷ ἢ ταῖς τοιαύταις
χροιαῖς οὐδέν ἐστιν ἐναντίον ποιοῖς οὖσιν.
130 Cat. 8, 10b12–15: Ὑπάρχει δὲ καὶ ἐναντιότης κατὰ τὸ ποιόν, οἷον δικαιοσύνη ἀδικίᾳ ἐναν-
τίον καὶ λευκότης μελανίᾳ καὶ τἆλλα ὡσαύτως, καὶ τὰ κατ’ αὐτὰς δὲ ποιὰ λεγόμενα, οἷον τὸ
ἄδικον τῷ δικαίῳ καὶ τὸ λευκὸν τῷ μέλανι.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 105

der bestimmten Zahl kann der Gegensatz innewohnen.131 Obwohl die abso-
lute Quantität, wie z. B. eine bestimmte Fläche oder die „Zehnzahl“, keinen
Gegensatz in sich aufnimmt, kann sich die relative Quantität gegensätzlich
verhalten. Bei der unbestimmten Größe steht das Große dem Kleinen entge-
gen (μέγα-μικρόν), und beim unbestimmten Zahlenverhältnis das Mehr dem
Weniger (πολὺ-ὀλίγον). Groß-klein und mehr-weniger sind entgegengesetzt,
und zwar nicht aufgrund der Quantität, sondern wegen der Relation.132
Zusammen mit der Quantität kann die Wesenskategorie, die die Wesens-
substanz logischerweise widerspiegelt, nicht per se den Gegensatz in sich tra-
gen. Denn die Wesenssubstanz lässt nicht zu, den kategorialen Gegensatz in
sich zu enthalten.133 Obwohl Sokrates musikalisch oder unmusikalisch sein
kann, ist es durchaus unmöglich, dass er als Mensch (soweit er noch lebt)

131 (1) Cat. 5, 3b27–32: οὐκ ἴδιον δὲ τῆς οὐσίας τοῦτο, ἀλλὰ καὶ ἐπ’ ἄλλων πολλῶν οἷον ἐπὶ τοῦ
ποσοῦ· τῷ γὰρ διπήχει οὐδέν ἐστιν ἐναντίον, οὐδὲ τοῖς δέκα, οὐδὲ τῶν τοιούτων οὐδενί, εἰ μή
τις τὸ πολὺ τῷ ὀλίγῳ φαίη ἐναντίον εἶναι ἢ τὸ μέγα τῷ μικρῷ· τῶν δὲ ἀφωρισμένων ποσῶν
οὐδὲν οὐδενὶ ἐναντίον ἐστίν. (2) Cat. 6, 5b11–14: Ἔτι τῷ ποσῷ οὐδέν ἐστιν ἐναντίον, (ἐπὶ μὲν
γὰρ τῶν ἀφωρισμένων φανερὸν ὅτι οὐδέν ἐστιν ἐναντίον, οἷον τῷ διπήχει ἢ τριπήχει ἢ τῇ
ἐπιφανείᾳ ἢ τῶν τοιούτων τινί, – οὐδὲν γάρ ἐστιν ἐναντίον), εἰ μὴ τὸ πολὺ τῷ ὀλίγῳ φαίη τις
εἶναι ἐναντίον ἢ τὸ μέγα τῷ μικρῷ.
132 (1) Cat. 6, 5b14–16: τούτων δὲ φαίη τις εἶναι ἐναντίον ἢ τὸ μέγα τῷ μικρῷ. τούτων δὲ οὐδέν
ἐστι ποσὸν ἀλλὰ τῶν πρός τι· οὐδὲν γὰρ αὐτὸ καθ’ αὑτὸ μέγα λέγεται ἢ μικρόν, ἀλλὰ πρὸς ἕτερον
ἀναφέρεται [. . .]. (2) Cat. 6, 5b26–29: ἔτι τὸ μὲν δίπηχυ καὶ τρίπηχυ καὶ ἕκαστον τῶν τοιούτων
ποσὸν σημαίνει, τὸ δὲ μέγα ἢ μικρὸν οὐ σημαίνει ποσὸν ἀλλὰ μᾶλλον πρός τι· πρὸς γὰρ ἕτερον
θεωρεῖται τὸ μέγα καὶ τὸ μικρόν· ὥστε φανερὸν ὅτι ταῦτα τῶν πρός τί ἐστιν. (3) Cat. 6, 6a8–11:
οὐκ ἔστιν ἄρα τὸ μέγα τῷ μικρῷ ἐναντίον, οὐδὲ τὸ πολὺ τῷ ὀλίγῳ, ὥστε κἂν μὴ τῶν πρός τι
ταῦτά τις ἐρεῖ ἀλλὰ τοῦ ποσοῦ, οὐδὲν ἐναντίον ἕξει. Groß-klein und mehr-weniger können nur
dann als Gegensatzpaare zum Vorschein kommen, wenn sie sich korrelativ verhalten. In diesem
Fall bietet die Relationskategorie eine leere Struktur, die durch die unbestimmte Größe oder das
unbestimmte Zahlenverhältnis erfüllt wird.
133 In der Kategorienschrift behauptet Aristoteles, dass weder der Einzelsubstanz noch den
Wesenssubstanzen der Gegensatz innewohnen könne (Ὑπάρχει δὲ ταῖς οὐσίαις καὶ τὸ μηδὲν
αὐταῖς ἐναντίον εἶναι. τῇ γὰρ πρώτῃ οὐσίᾳ τί ἂν εἴη ἐναντίον; οἷον τῷ τινὶ ἀνθρώπῳ οὐδέν
ἐστιν ἐναντίον, οὐδέ γε τῷ ἀνθρώπῳ ἢ τῷ ζῴῳ οὐδέν ἐστιν ἐναντίον – Cat. 5, 3b24–27). In
der Tat können sowohl das Einzelding als auch die Art und die Gattung irgendwie mit dem
Gegensatz zusammenhängen, und zwar in einem anderen Sinne von Gegensatz. Vom logi-
schen Subjekt, das der ontologischen Einzelsubstanz entspricht, können gegensätzliche
Prädikate ausgesagt werden (Sokrates ist musikalisch oder unmusikalisch). Die eine Wesens-
substanz, d. h. die Art, lässt den prädikativen Gegensatz zwar nicht zu, der Gegensatz kann
aber in der Form von Vollendung-Privation auftreten. Die andere Wesenssubstanz, d. h. die
Gattung, kann sich in die gegensätzlichen Eigenschaften dihairetisch ausdifferenzieren,
da der Gegensatz von Vernünftigkeit und Unvernünftigkeit in der Gattung Lebewesen enthal-
ten ist.
106 2 Zweite Philosophie (Physik)

unmenschlich wird. Nicht die Wesenssubstanz an sich, sondern nur deren Zu-
stände können entgegengesetzt sein. Das Einzelding ist dadurch entstanden
oder vergänglich, dass die Wesenssubstanz, d. h. die Form, am Stoff entweder
anwesend (παρουσία, praesentia) oder abwesend (ἀπουσία, absentia) ist. Die
Anwesenheit der Form im Stoff gilt als Vollendung der Wesenheit (ἕξις) und die
Abwesenheit der Form als Privation (στέρησις). Daher bezeichnet der Gegensatz
der Wesenskategorie die gegensätzlichen Zustände der Form, und zwar Anwe-
senheit-Abwesenheit bzw. Vollendung-Privation.
Angesichts des Gegensatz-Kriteriums treten vier Kategorien in den Vor-
dergrund, worin die Veränderung ausdifferenziert ist. Demzufolge ergeben
sich die qualitative, die quantitative, die örtliche und die substanzielle Ver-
änderung. Während bei der substanziellen Veränderung der Gegensatz als
Form-Privation auftaucht (εἶδος-στέρησις), wandeln sich bei der akzidentel-
len Veränderung die gegensätzlichen Eigenschaften ineinander um (ἀντικεί-
μενον). In der qualitativen Veränderung steht das Weiße dem Schwarzen
entgegen, in der quantitativen Veränderung die Vollendung der Unvollkom-
menheit und in der Ortsbewegung das Oben dem Unten oder das Leichte
dem Schweren.134
Um die These zu bestätigen, dass es nur vier Typen von Veränderungen
gibt, kann man einen weiteren Beweis erbringen. Die Beweisführung vollzieht
sich derart, dass die anderen Möglichkeiten ausgeschlossen werden müssen.
Da bei den anderen sechs Kategorien der Gegensatz entweder auf den qualitati-
ven, den quantitativen oder den räumlichen Gegensatz reduzierbar ist oder der
Eigenschafts- und Zustandsgegensatz überhaupt nicht zugelassen sind, wird
die vierfache Einteilung der Veränderung gerechtfertigt.
Die Paare, wie z. B. tüchtig-schlecht, groß-klein, mehr-weniger und
rechts-links, können der Relationskategorie (πρός τι) unterworfen sein, da die
beiden Seiten in jedem Paar symmetrisch sind und sich korrelativ verhalten.
Indem die korrelativen Paare miteinander im Gegensatz stehen, scheint es,

134 (1) Phys. Γ1, 201a3–8 = Metaph. K9, 1065b9–13: ἕκαστον δὲ διχῶς ὑπάρχει πᾶσιν, οἷον τὸ
τόδε (τὸ μὲν γὰρ μορφὴ αὐτοῦ, τὸ δὲ στέρησις), καὶ κατὰ τὸ ποιόν (τὸ μὲν γὰρ λευκὸν τὸ δὲ
μέλαν), καὶ κατὰ τὸ ποσὸν τὸ μὲν τέλειον τὸ δ’ ἀτελές. ὁμοίως δὲ καὶ κατὰ τὴν φορὰν τὸ μὲν
ἄνω τὸ δὲ κάτω, ἢ τὸ μὲν κοῦφον τὸ δὲ βαρύ. (2) Cat. 14, 15b1–16: Ἔστι δὲ ἁπλῶς μὲν κίνησις
ἠρεμίᾳ ἐναντίον· ταῖς δὲ καθ’ ἕκαστα, γενέσει μὲν φθορά, αὐξήσει δὲ μείωσις· τῇ δὲ κατὰ
τόπον μεταβολῇ ἡ κατὰ τόπον ἠρεμία μάλιστα ἔοικεν ἀντικεῖσθαι, καὶ εἰ ἄρα ἡ εἰς τὸν ἐναντίον
τόπον μεταβολή, οἷον τῇ κάτωθεν ἡ ἄνω, τῇ ἄνωθεν ἡ κάτω. [. . .] ὥστε ἀντίκειται τῇ < κατὰ τὸ
ποιὸν κινήσει ἡ > κατὰ τὸ ποιὸν ἠρεμία < ἢ > ἡ εἰς τὸ ἐναντίον τοῦ ποιοῦ μεταβολή, οἷον τὸ λευ-
κὸν γίγνεσθαι τῷ μέλαν γίγνεσθαι· ἀλλοιοῦται γὰρ εἰς τὰ ἐναντία τοῦ ποιοῦ μεταβολῆς
γιγνομένης.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 107

als ob die Gegensätze in die Relationskategorie eintreten würden.135 Aber im


Grunde genommen fällt das jeweils Entgegengesetzte in die Qualitäts-, die
Quantitäts- oder die Ortskategorie. Per se bildet tüchtig-schlecht den qualitati-
ven Gegensatz, groß-klein zusammen mit mehr-wenig den quantitativen Ge-
gensatz und rechts-links den räumlichen Gegensatz. Nur per accidens sind
alle solchen Gegensätze der Relationskategorie zugehörig, denn sie sind nicht
wegen der Relation, sondern in Bezug auf den qualitativen, quantitativen
oder örtlichen Inhalt entgegengesetzt.136 Ebenso verhält es sich mit der Zeit.
Laut Aristoteles gilt die Zeit als Zahl der Bewegung, und zwar nach früher
und später (Phys. Δ11, 219b1–2, 220a24–26). Wenn von früher-später (πρότερον-
ὕστερον) die Rede ist, kommt der zeitliche Gegensatz scheinbar ans Licht.
Wenn die Veränderung als Übergang von der einen Eigenschaft zu der anderen
entgegengesetzten Eigenschaft angesehen wird, fängt der Prozess mit einem
qualitativen, quantitativen oder räumlichen Zustand an und endet mit dem je-
weiligen gegensätzlichen Zustand. Obwohl früher-später den zeitlichen Über-
gang vom Anfang bis zum Ende bezeichnen kann, ist nicht die Zeit, sondern
die Eigenschaft umgeschlagen. Von Grund auf steht weder das Frühere dem
Späteren, noch der Anfang dem Ende entgegen, sondern die kategorialen Ei-
genschaften verhalten sich zueinander gegensätzlich.
Aristoteles’ Auffassung nach machen die beiden verbalen Kategorien, Wir-
ken und Leiden (ποιεῖν-πάσχειν), das Gefüge der Veränderung aus. Der natür-
liche Umschlag sowie die menschliche Tätigkeit vollziehen sich nur dann,
wenn das aktiv Machende und das passiv Leidende zusammenwirken. Da das
Bewirken und das Bewirktwerden bzw. das Bewegen und das Bewegtwerden
die konstitutiven Bestandteile der Veränderung sind, können die beiden Kate-
gorien nicht noch einmal in die Klassifikation der Veränderung hineingesetzt

135 Cat. 7, 6b15–17: Ὑπάρχει δὲ καὶ ἐναντιότης ἐν τοῖς πρός τι, οἷον ἀρετὴ κακίᾳ ἐναντίον, ἑκά-
τερον αὐτῶν πρός τι ὄν, καὶ ἐπιστήμη ἀγνοίᾳ. οὐ πᾶσι δὲ τοῖς πρός τι ὑπάρχει ἐναντίον.
136 (1) Phys. E2, 225b11–13: Κατ’ οὐσίαν δ’ οὐκ ἔστιν κίνησις διὰ τὸ μηδὲν εἶναι οὐσίᾳ τῶν ὄντων
ἐναντίον. οὐδὲ δὴ τοῦ πρός τι· ἐνδέχεται γὰρ θατέρου μεταβάλλοντος < ἀληθεύεσθαι καὶ μὴ >
ἀληθεύεσθαι θάτερον μηδὲν μεταβάλλον, ὥστε κατὰ συμβεβηκὸς ἡ κίνησις αὐτῶν. (2) Simplicii
In Physicorum 835.2–11: εἰ οὖν μεταβάλλει τι κατὰ τὸ πρός τι μὴ κινηθέν, οὐκ ἔστιν ἡ κατὰ τὸ
πρός τι μεταβολὴ κίνησις, πλὴν εἰ κατὰ συμβεβηκός. ἐκεῖνο γὰρ καθ’ αὑτὸ μεταβάλλει, ᾧ τοῦτο
συμβεβήκει δεξιὸν εἶναι, καὶ οὕτως τοῦτο γίνεται ἐκ δεξιοῦ ἀριστερόν. καὶ αὐτὰ δὲ τὰ καθ’ αὑτὰ
κινούμενα καὶ διὰ τῆς οἰκείας κινήσεως τὴν κατὰ τὸ πρός τι σχέσιν ἀμείβοντα ἢ κατὰ τόπον κινο-
ύμενα τοῦτο ποιεῖ, ὡς ὁ ἐκ δεξιοῦ ἀριστερὸς γινόμενος, ἢ κατὰ ποιότητα, ὡς ὁ ἐξ ἀνομοίου
ὅμοιος, ἢ κατὰ ποσότητα, ὡς τὸ ἴσον ἐξ ἀνίσου γινόμενον. ὥστε ἡ τῆς σχέσεως ἀλλαγὴ κατὰ τὴν
κατά τι ἐκείνων κίνησιν γίνεται.’ ταῦτα μὲν ὁ Ἀλέξανδρος καλῶς περὶ τῶν πρός τι τὰ τοῦ Ἀριστο-
τέλους σαφηνίζων ἔγραψεν. (3) Phys. H3, 246b10–12: ἐπεὶ οὖν τὰ πρός τι οὔτε αὐτά ἐστιν ἀλ-
λοιώσεις, οὔτε ἔστιν αὐτῶν ἀλλοίωσις οὐδὲ γένεσις οὐδ’ ὅλως μεταβολὴ οὐδεμία [. . .].
108 2 Zweite Philosophie (Physik)

werden. Sonst ergäbe sich ein Regress, nämlich die Veränderung der Verände-
rung, die Bewegung der Bewegung oder die Entstehung der Entstehung.137
Die Kategorie des Vorliegens und des Innehabens (κεῖσθαι-ἔχειν) stellen
den ruhigen Zustand zur Schau. Während das Vorliegen eine bestimmte Sach-
lage, wie z. B. Sitzen oder Liegen des Sokrates, aufweist, bezeichnet das Inne-
haben den Zustand, wobei das Einzelne entweder mit der Eigenschaft oder mit
der Tugend ausgestattet ist. Die Kategorie des Innehabens zeigt sich z. B. darin,
dass Sokrates bewaffnet oder gerecht ist. Da das Vorliegen und das Innehaben
der Beweglichkeit per se entgegenstehen, können die beiden Zustandskatego-
rien nicht mit der Veränderung in Verbindung gesetzt werden.138
Durch die Überprüfung der zehn Kategorien werden die vier Typen von Ve-
ränderungen festgelegt. Aufgrund des Kriteriums des Zulassens von Gegensätzen
ist die Veränderung anhand der vier Kategorien in vier Typen geteilt. Da sich die
Veränderung in der aristotelischen Physik, d. h. in der Naturforschung, auf das
Naturseiende bezieht, sind die vier Veränderungstypen im Hinblick auf das Natur-
seiende eigenständig benannt. Die qualitative Veränderung wird das Anderswer-
den (ἀλλοίωσις) genannt. Die quantitative Veränderung lässt sich als Wachstum
und Schwung (αὔξησις-φθίσις) bezeichnen. Die räumliche Veränderung hat zwei
Grundformen, nämlich die geradlinige und die kreisförmige Ortsbewegung
(εὐθεῖα-περιφερής). Davon ist die Kreisbewegung terminologisch als φορά be-
nannt. Die substanzielle Veränderung schließt das Entstehen und das Vergehen
(γένεσις-φθορά) in sich (Cat. 14, 15a13–14; Phys. E2, 226a26–226b1; Gen. et Corr.

137 (1) Phys. E2, 225b13–16: οὐδὲ δὴ ποιοῦντος καὶ πάσχοντος, ἢ κινουμένου καὶ κινοῦντος, ὅτι
οὐκ ἔστι κινήσεως κίνησις οὐδὲ γενέσεως γένεσις, οὐδ’ ὅλως μεταβολῆς μεταβολή. (2) Phys.
E2, 225b33–226a6: ἔτι εἰς ἄπειρον βαδιεῖται, εἰ ἔσται μεταβολῆς μεταβολὴ καὶ γενέσεως γένε-
σις. ἀνάγκη δὴ καὶ τὴν προτέραν, εἰ ἡ ὑστέρα ἔσται, οἷον εἰ ἡ ἁπλῆ γένεσις ἐγίγνετό ποτε, καὶ
τὸ γιγνόμενον ἐγίγνετο, ὥστε οὔπω ἦν τὸ γιγνόμενον ἁπλῶς, ἀλλά τι γιγνόμενον γιγνόμενον
ἤδη, καὶ πάλιν τοῦτ’ ἐγίγνετό ποτε, ὥστ’ οὐκ ἦν πω τότε γιγνόμενον γιγνόμενον. ἐπεὶ δὲ τῶν
ἀπείρων οὐκ ἔστιν τι πρῶτον, οὐκ ἔσται τὸ πρῶτον, ὥστ’ οὐδὲ τὸ ἐχόμενον· οὔτε γίγνεσθαι
οὖν οὔτε κινεῖσθαι οἷόν τε οὔτε μεταβάλλειν οὐδέν. (3) Thomas In Physicorum lib.5 l.3 n.9
[72199]: „Deinde cum dicit: neque agentis etc., probat quod non sit motus in genere actio-
nis et passionis. Actio enim et passio non differunt subiecto a motu, sed addunt aliquam ratio-
nem, ut in tertio dictum est. Unde idem est dicere quod motus sit in agere et pati, et quod
motus sit in motu.“
138 Auf eine andere Art und Weise argumentiert Thomas für die These. Seiner Meinung nach
unterliegen die beiden Kategorien, Vorliegen und Innehaben, der Relationskategorie. Wenn
die Bewegung nicht in der Relation stattfinden kann, befindet sie sich dementsprechend
weder im Vorliegen noch im Innehaben. Vgl. Thomas In Physicorum lib.5 l.3 n.3 [72193]:
„Situs autem ordinem quendam partium demonstrat; ordo vero relatio est: et similiter ha-
bere dicitur secundum quandam habitudinem corporis ad id quod ei adiacet: unde in his non
potest esse motus, sicut nec in relatione.“
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 109

A4, 319b31–320a5; Metaph. Λ2, 1069b9–14). Im Folgenden geht es darum, einsich-


tig zu machen, dass sich die vier Typen von Veränderungen, die als Resultat
durch die ontologische Analyse zustande gebracht werden, mit dem natürlichen
Phänomen decken.
In der sichtbaren und betastbaren Naturwelt ereignet sich der substanzielle
Umschlag, indem das einzelne Lebewesen ständig entsteht und vergeht. Die na-
türliche Ortsbewegung lässt sich damit aufzeigen, dass die Himmelskörper unauf-
hörlich im Kreis laufen und die Grundelemente nach ihren eigentümlichen Orten
streben, nämlich dass das Feuer sowie die Luft aufsteigen und das Wasser sowie
die Erde hinabfallen. Dazu gehört auch die zufällige Ortsbewegung der Menschen
oder der Tiere. Sokrates bewegt sich räumlich, wenn er von zu Hause aufbre-
chend zum Marktplatz geht. Des Weiteren verändert sich das Lebewesen insofern
quantitativ, als der Mensch, das Tier oder die Pflanze zur jeweiligen passenden
Größe heranwächst. Wenn die optimale und vollkommene Größe nicht erreicht
wird, tritt der Schwung auf. Die qualitative Veränderung betrifft das Lebewesen,
wenn die Farbe der Pflanzen, der Tiere oder der Menschen verändert ist. Damit ist
auch gemeint, dass der tierische oder der menschliche Körper von der Krankheit
in die Gesundheit und die menschliche Seele von der Schlechtigkeit in die Tüch-
tigkeit übergeht. Im gewissen Sinne kann die Wahrnehmung auch zur qualitati-
ven Veränderung gezählt werden. In den Augen wandeln sich die verschiedenen
Farben oder Gestalten ineinander um, bei den Ohren das Tiefe und das Höhe der
Töne, und beim Tasten das Warme und das Kalte der Affektion.
Aristoteles’ Erklärung der Bewegung steht dem empirischen Phänomen
zwar nicht entgegen, sie ist aber keineswegs die einfache Beschreibung des on-
tischen Bewegungsphänomens. Auch zieht Aristoteles die Bewegung nicht rein
logisch in Betracht und sieht sie nicht als unveränderliche Idee an, weil die
Idee zwar ontologische Stabilität sowie epistemologische Erkennbarkeit garan-
tiert, die mannigfaltigen empirischen Bewegungen aber außer Betracht lässt.
Dagegen konzipiert Aristoteles die Bewegung bzw. die Veränderung auf eine
ontologische Art und Weise, indem die Struktur der Veränderung von Substrat
und Gegensatz auf das ontologische Gefüge von Substanz und Kategorie zu-
rückgreift. In der Veränderung muss ein unveränderliches Substrat zugrunde
liegen, das nichts anderes als die Einzelsubstanz ist (ὑπομένον→ὑποκείμενον).
In der Veränderung wandeln sich allerdings die gegensätzlichen Eigenschaften
ineinander um, die auf eine bestimmte Kategorie zurückzuführen sind (ἀντικεί-
μενον→κατηγορούμενον). Darum kommen sowohl das ontische Substrat mit
der ontologischen Substanz als auch die ontische Eigenschaft mit der ontolo-
gischen Kategorie zur Deckung. Die Analogie der Veränderung zum Sein lässt
sich dadurch aufstellen, dass die ontische Struktur von Substrat und
110 2 Zweite Philosophie (Physik)

Eigenschaft (ὑπομένον-ἀντικείμενον) mit dem ontologischen Gefüge von Sub-


stanz und Kategorie (ὑποκείμενον-κατηγορούμενον) korrespondiert.
Indem Aristoteles das ontische Phänomen der Veränderung ontologisch be-
gründet und erörtert, ist die herkömmliche Vorstellung der Bewegung zu über-
winden. Laut Heraklit ist alles fließend und nichts bleibt stehen. Aus der These
„πάντα ῥεῖ“ folgen sowohl die Instabilität als auch die Unendlichkeit der Bewe-
gung. Geht die Bewegung unaufhörlich und immer voran, ist sie weder stabil
noch erkennbar. Falls die empirische Bewegung als ein ständig fließender
Fluss vorgestellt wird und nie zu einem Ruhezustand gelangen kann, bewegt
sie sich unendlich.
Gegen die These, dass alles instabil und fließend ist, legt Aristoteles der Ver-
änderung ein unveränderliches Substrat zugrunde, um die substanzielle Identität
beizubehalten. Demzufolge ergibt sich keineswegs die Veränderung der Verände-
rung, sondern die Veränderung der Substanz. Um die Unendlichkeit der empiri-
schen Bewegung zurückzuweisen, führt Aristoteles den Gegensatz ein, der
den Veränderungsprozess vollständig abschließt.139 Deshalb befinden sich alle
Typen der Veränderung im Rahmen der abgeschlossenen Gegensätze. Aristoteles
macht nachdrücklich klar, dass die empirische Veränderung von dem einen
Zustand aus- und in den anderen Zustand übergehen muss. Anders formuliert:
Die empirische Veränderung kann nicht unendlich sein, denn sie muss einen
Anfang nehmen und zu Ende gehen (ἀρχή→τελευτή).140 Am Anfang steht die
eine Eigenschaft und am Ende die andere entgegengesetzte Eigenschaft. Die
gegensätzlichen Eigenschaften begrenzen die akzidentelle Veränderung, wäh-
rend der Gegensatz von Vollendung und Privation die Grenze der substanziellen

139 (1) Phys. Z10, 241a26–241b2: μεταβολὴ δ’ οὐκ ἔστιν οὐδεμία ἄπειρος· ἅπασα γὰρ ἦν ἔκ
τινος εἴς τι, καὶ ἡ ἐν ἀντιφάσει καὶ ἡ ἐν ἐναντίοις. ὥστε τῶν μὲν κατ’ ἀντίφασιν ἡ φάσις καὶ ἡ
ἀπόφασις πέρας (οἷον γενέσεως μὲν τὸ ὄν, φθορᾶς δὲ τὸ μὴ ὄν), τῶν δ’ ἐν τοῖς ἐναντίοις τὰ
ἐναντία· ταῦτα γὰρ ἄκρα τῆς μεταβολῆς, ὥστε καὶ ἀλλοιώσεως πάσης (ἐξ ἐναντίων γάρ τινων
ἡ ἀλλοίωσις), ὁμοίως δὲ καὶ αὐξήσεως καὶ φθίσεως· αὐξήσεως μὲν γὰρ τὸ πέρας τοῦ κατὰ τὴν
οἰκείαν φύσιν τελείου μεγέθους, φθίσεως δὲ ἡ τούτου ἔκστασις. (2) Phys. Θ2, 252b10–12: μετα-
βολὴ γὰρ ἅπασα πέφυκεν ἔκ τινος εἴς τι, ὥστε ἀνάγκη πάσης μεταβολῆς εἶναι πέρας τὰ ἐναντία
ἐν οἷς γίγνεται, εἰς ἄπειρον δὲ κινεῖσθαι μηδέν. (3) Metaph. B4, 999b8–12: ἔτι δὲ γενέσεως
οὔσης καὶ κινήσεως ἀνάγκη καὶ πέρας εἶναι (οὔτε γὰρ ἄπειρός ἐστιν οὐδεμία κίνησις ἀλλὰ
πάσης ἔστι τέλος, γίγνεσθαί τε οὐχ οἷόν τε τὸ ἀδύνατον γενέσθαι· τὸ δὲ γεγονὸς ἀνάγκη εἶναι
ὅτε πρῶτον γέγονεν).
140 Um zu beweisen, dass die Veränderung in der Empirie nicht unendlich sein kann, führt
Aristoteles eine andere Dimension ein, nämlich die Zeit. Da die empirische Entstehung sowie
die Bewegung in der begrenzten Zeit geschehen, können sie nicht unendlich vorangehen ([. . .]
φανερὸν ὅτι οὐδὲ κίνησις ἔσται ἄπειρος ἐν πεπερασμένῳ χρόνῳ – Phys. Z7, 238b19–20). Die
ausführliche Beweisführung findet sich in Z7 der Physik.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 111

Veränderung ausmacht. Da die akzidentelle und die substanzielle Veränderung


begrenzt sein müssen (πεπερασμένον), ist die empirische Veränderung durchaus
endlich (πέρας). Die ontische Veränderung ist dadurch ontologisch strukturiert,
dass das Substrat unveränderlich zugrunde liegt und das Veränderliche durch
den abgeschlossenen Gegensatz begrenzt ist.

2.1.2.2 Klassifikation der Veränderung


Nicht nur die ontologische Differenz, sondern auch die kategoriale Ausdifferen-
zierung weiten sich in die Erörterung der Veränderung aus. Zum einen spiegelt
sich das ontologische Gefüge von Substanz und Kategorie in der ontischen
Struktur von Substrat und Eigenschaft. Zum anderen wird die kategoriale Aus-
differenzierung von per accidens und per se zum Vorschein gebracht, dadurch
dass die Veränderung in die akzidentelle und die substanzielle Veränderung
gespalten ist. Wie die Akzidenz- und die Wesensprädikation voneinander diffe-
renziert sind, so lassen sich die akzidentelle und die substanzielle Veränderung
gleicherweise anhand des Chiasmus unterscheiden. Die beiden Kriterien, die
ein gültiger Chiasmus verlangt, beruhen auf dem Grundsatz der Veränderung,
nämlich dass sich das Seiende immer von Etwas zu Etwas verändert (πᾶσα με-
ταβολή ἐστιν ἔκ τινος εἴς τι).141 Einerseits ist das Seiende entweder aus dem Zu-
grundeliegenden oder aus dem Nicht-Zugrundeliegenden hervorgegangen.

141 Der Ausdruck „ἔκ τινος εἴς τι“ wird vielfältig angewendet. (1) Im vorliegenden Zusammen-
hang ist mit dem τι das Zugrundeliegende gemeint. Demnach verändert sich das Seiende ent-
weder vom Zugrundeliegenden zum Zugrundeliegenden, oder vom Nichtsein zum Sein oder
vom Sein zum Nichtsein (Phys. E1, 224b35–225a6, 224b7–10; Metaph. K11, 1067b14–18). (2)
Wenn unter dem τι die Eigenschaft zu verstehen ist, wandelt sich die eine Eigenschaft in die
andere gegensätzliche Eigenschaft um. Die qualitative Veränderung z. B. ist nichts anderes als
die Umwandlung der gegensätzlichen Eigenschaften, und zwar vom Schlechten ins Gute, vom
Kranken ins Gesunde, oder vom Schwarzen ins Weiße (Phys. E1, 224a34–224b5; Phys. E2,
225b16–33 = Metaph. K12, 1068a16–33; Phys. Z10, 241a26–28; Metaph. Λ2, 1069b15–20). (3) Im
Rahmen der Vier-Ursachen-Lehre bezeichnet das „ἔκ τινος“ entweder die konkrete Materie
(λέγω γὰρ ὕλην τὸ πρῶτον ὑποκείμενον ἑκάστῳ, ἐξ οὗ γίγνεταί τι ἐνυπάρχοντος μὴ κατὰ συμ-
βεβηκός – Phys. A9, 192a31–32; πάντα δὲ τὰ γιγνόμενα ὑπό τέ τινος γίγνεται καὶ ἔκ τινος καὶ τί·
[. . .] τὸ δ’ ἐξ οὗ γίγνεται, ἣν λέγομεν ὕλην – Metaph. Z7, 1032a13–17) oder die Privation (αἴτιον
δὲ ὅτι γίγνεται ἐκ τῆς στερήσεως καὶ τοῦ ὑποκειμένου, ὃ λέγομεν τὴν ὕλην – Metaph. Z7,
1033a8–10) und „εἴς τι“ entweder die Form schlechthin (πᾶν γὰρ μεταβάλλει τὶ καὶ ὑπό τινος
καὶ εἴς τι· ὑφ’ οὗ μέν, τοῦ πρώτου κινοῦντος· ὃ δέ, ἡ ὕλη· εἰς ὃ δέ, τὸ εἶδος – Metaph. Λ3,
1069b36–1070a2) oder die konkretisierte Form, nämlich das Ziel oder das Werk (ἔτι δὲ γενέ-
σεως οὔσης καὶ κινήσεως ἀνάγκη καὶ πέρας εἶναι. οὔτε γὰρ ἄπειρός ἐστιν οὐδεμία κίνησις ἀλλὰ
πάσης ἔστι τέλος, γίγνεσθαί τε οὐχ οἷόν τε τὸ ἀδύνατον γενέσθαι – Metaph. B4, 999b8–11).
Wenn der Akzent auf der Substantialität liegt, ist die Entstehung derart anzusehen, dass das
Einzelding aus der konkreten Materie hervorgegangen und zur bestimmten Form vollendet ist
112 2 Zweite Philosophie (Physik)

Andererseits vollendet sich das Seiende entweder zum Zugrundeliegenden oder


zum Nicht-Zugrundeliegenden. Indem die vier Momente miteinander chiastisch
kombiniert sind, ergibt sich die vierfache Einteilung (Phys. E1, 224b35–225a6;
Metaph. K11, 1067b14–18; Tab. 11).

Tab. 11: Einteilung der Veränderung.

εἰς ὑποκείμενον εἰς μὴ ὑποκείμενον

ἐξ ὑποκειμένου κίνησις φθορά

ἐκ μὴ ὑποκειμένου γένεσις

Dem Schema zufolge verändert sich das Seiende vom Zugrundeliegenden


zum Zugrundeliegenden, vom Nicht-Zugrundeliegenden zum Zugrundelie-
genden, vom Zugrundeliegenden zum Nicht-Zugrundeliegenden oder vom
Nicht-Zugrundeliegenden zum Nicht-Zugrundeliegenden. Im Kontext ist das
Zugrundeliegende als dasjenige bestimmt, was in der affirmativen Aussage
offenkundig gemacht wird (λέγω δὲ ὑποκείμενον τὸ καταφάσει δηλούμενον –
Phys. E1, 225a6–7; Metaph. K11, 1067b18). Die affirmative Aussage trägt dazu
bei, das logische Subjekt auf positive Weise zu explizieren. Darum ist das,
was in der Affirmation aufgezeigt wird, das logische Subjekt. Da Sein und
Logos, d. h. Sachverhalt und Aussage, miteinander strukturell übereinstim-
men, ist mit dem Subjekt die Substanz gemeint.
Nachdem sich die Bedeutung des ὑποκείμενον als Einzelsubstanz bzw. Ein-
zelding gezeigt hat, ist die Veränderung in drei Klassen einzuteilen (Phys. E1,
225a10–12; Metaph. K11, 1067b19–21). Die vierte Möglichkeit wird deswegen
ausgeschlossen, weil der Übergang vom Nichts ins Nichts überhaupt nicht ge-
schehen kann. Die Veränderung, bei der ein Übergang vom Einzelding zum Ein-
zelding stattfindet, wird als Bewegung bezeichnet (κίνησις). Die Bewegung, die
mit der akzidentellen Veränderung terminologisch für äquivalent gehalten
wird, umfasst die qualitative und die quantitative Veränderung sowie die Orts-
bewegung (Phys. E1, 225b5–9, Metaph. K12, 1068a8–10). Der Übergang vom
Nichtsein zum Sein, d. h. vom Nicht-Einzelding zum Einzelding, wird termino-
logisch als Entstehen gefasst (γένεσις). Dem entgegen steht das Vergehen
(φθορά), das als Übergang vom Sein zum Nichtsein, nämlich vom Einzelding

(ὕλη→εἶδος). Prozessual gesehen ist die Entstehung als Prozess bestimmt, in dem die Form
vom privativen Zustand zum vollkommenen Zustand übergeht (στέρησις→τέλος).
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 113

zum Nicht-Einzelding, angesehen wird. Im Gegensatz zur akzidentellen Verän-


derung sind das Entstehen und das Vergehen zwei Formen der substanziellen
Veränderung (Phys. E1, 225a7–20; Metaph. K11, 1067b19–25).
Anhand des Chiasmus ist die Veränderung in drei Klassen einzuteilen, näm-
lich in die Bewegung, das Entstehen und das Vergehen. Wie Bewegung und Ruhe
einander entgegengesetzt sind (κίνησις↔ἠρεμία), so auch Entstehen und Verge-
hen (γένεσις↔φθορά – Phys. E1, 225a32–34 = Metaph. K11, 1067b37–1068a1; E2,
226a6–9 = Metaph. K12, 1068b6–7). Unter Ruhe und Vergehen versteht Aristoteles
den privativen bzw. den abwesenden Zustand, der dem beweglichen und dem
entstandenen Seienden zufällig zukommt.142 Des Weiteren stimmt die Entzweiung
der Veränderung in Bewegung und Entstehung damit überein, dass die Katego-
rien in die akzidentelle und die substanzielle Kategorie ausdifferenziert sind.
Während sich die akzidentellen Eigenschaften in der Bewegung verändern, voll-
zieht sich die Entstehung des einzelnen Naturseienden dadurch, dass die Wesens-
substanz, die in der Aussage als Wesensprädikat auftritt, d. h. die Naturart, am
gleichartigen Einzelnen aktualisiert wird. Anhand desselben Kriteriums von per
accidens und per se ist daher sowohl die Akzidenzkategorie von der Wesenskate-
gorie als auch die Bewegung von der Entstehung unterschieden.

2.1.2.3 Analogie von akzidenteller und substanzieller Veränderung


Anhand des Chiasmus ist die Veränderung in die akzidentelle und die substan-
zielle Veränderung geteilt. Die eine als Bewegung und die andere als Entstehen-
Vergehen verhalten sich zueinander analog. Da die Analogie die formale Identi-
tät und die inhaltliche Differenz in sich schließt, sind die Bewegung und das
Entstehen-Vergehen sowohl einander strukturell ähnlich, als auch ihrem Wesen
nach voneinander different. Nach der einen Seite haben die akzidentelle und
die substanzielle Veränderung gemeinsam, dass sie an derselben Veränderungs-
struktur teilhaben. Da die ontologische Strukturähnlichkeit zur logischen Be-
griffseinheit führt, können die Bewegung und das Entstehen-Vergehen, die
jeweils eine eigenständige Gattung bilden (ἀλλ’ ἕκαστον τούτων ἕτερον περὶ
ἕκαστον γένος ἐστίν – Metaph. Λ4, 1070b19–20), von einer übergeordneten

142 Das ruhige Seiende ist insofern unbeweglich, als es von Natur aus bewegbar ist und nur in
einer gewissen Zeit nicht bewegt wird. In diesem Sinne werden die Ruhe zur Privation der Bewe-
gung und das Vergehen zur Privation des Entstehens gezählt, während das absolute Unbewegte
überhaupt nicht bewegt werden kann. (1) Phys. E2, 226b10–16: ἀκίνητον δ’ ἐστὶ τό τε ὅλως ἀδύ-
νατον κινηθῆναι, ὥσπερ ὁ ψόφος ἀόρατος, [. . .] καὶ τὸ πεφυκὸς μὲν κινεῖσθαι καὶ δυνάμενον, μὴ
κινούμενον δὲ τότε ὅτε πέφυκε καὶ οὗ καὶ ὥς, ὅπερ ἠρεμεῖν καλῶ τῶν ἀκινήτων μόνον· ἐναντίον
γὰρ ἠρεμία κινήσει, ὥστε στέρησις ἂν εἴη τοῦ δεκτικοῦ. (2) Phys. A9, 192a26–28: [. . .] τὸ γὰρ
φθειρόμενον ἐν τούτῳ ἐστίν, ἡ στέρησις· ὡς δὲ κατὰ δύναμιν, οὐ καθ’ αὑτό.
114 2 Zweite Philosophie (Physik)

Gattung zusammengefasst und von demselben Oberbegriff „Veränderung“ be-


zeichnet werden. Nach der anderen Seite ist dieselbe Struktur „Zugrundelie-
gendes-Gegensatz“ (ὑποκείμενον-ἀντίφασις), die die akzidentelle und die
substanzielle Veränderung durchdringt, jeweils auf andere Weise beinhaltet.
Anhand der inhaltlichen Differenz lassen sich die Bewegung und das Entste-
hen-Vergehen voneinander unterscheiden.
Vor allem stimmen die Bewegung und das Entstehen-Vergehen insofern
strukturell überein, als in beiden Fällen das zugrundeliegende Substrat und der
abwechselnde Gegensatz vorhanden sind. Das Einzelding liegt der akzidentellen
Veränderung zugrunde (ὑποκείμενον→τόδε τι) und die Materie der substanziellen
Veränderung (ὑποκείμενον→ὕλη). In der Bewegung sind die akzidentellen Eigen-
schaften entgegengesetzt (ἀντίφασις→ἀντικείμενον), wie z. B. weiß-schwarz, groß-
klein oder oben-unten. Beim Entstehen und Vergehen machen Anwesenheit und
Abwesenheit der Wesenssubstanz den Gegensatz aus (ἀντίφασις→ἀπουσία-παρου-
σία).143 Während die akzidentellen Gegensätze die gegensätzlichen Zustände der
Einzelsubstanz bezeichnen, bezieht sich Anwesenheit-Abwesenheit auf die gegen-
sätzlichen Zustände der Wesenssubstanz.
Im Hintergrund der strukturellen Ähnlichkeit wird der Akzent auf die sach-
liche Differenz gelegt. Im Folgenden liegt das Augenmerk darauf, wie das Zu-
grundeliegende und der Gegensatz bei der akzidentellen und der substanziellen
Veränderung jeweils anders zur Entfaltung kommen. Während die der Bewe-
gung zugrundeliegende Einzelsubstanz unveränderlich verharrt, muss die der
Entstehung zugrundeliegende Materie durch die natürliche Entstehung oder die
menschliche Herstellung modifiziert und geformt werden. In der Bewegung sind
die akzidentellen Eigenschaften entgegengesetzt, indem die qualitative,
die quantitative oder die örtliche Kategorie den Gegensatz erlaubt. Dagegen
lässt die Wesenskategorie bzw. die Wesenssubstanz nicht zu, dass der Gegen-
satz auf das Einzelne zutrifft. Während die entgegengesetzten akzidentellen

143 (1) Phys. A7, 191a6–7: ἱκανὸν γὰρ ἔσται τὸ ἕτερον τῶν ἐναντίων ποιεῖν τῇ ἀπουσίᾳ καὶ πα-
ρουσίᾳ τὴν μεταβολήν. (2) Thomas In Physicorum lib.1 l.13 n.7 [71647]: „Sic igitur patet quod in
motu requiruntur duo contraria et unum subiectum. Sed in generatione et corruptione requiritur
praesentia unius contrarii et absentia eius, quae est privatio.“ (3) Phys. B3, 195a11–14: ἔτι δὲ τὸ
αὐτὸ τῶν ἐναντίων ἐστίν· ὃ γὰρ παρὸν αἴτιον τοῦδε, τοῦτο καὶ ἀπὸν αἰτιώμεθα ἐνίοτε τοῦ ἐν-
αντίου, οἷον τὴν ἀπουσίαν τοῦ κυβερνήτου τῆς τοῦ πλοίου ἀνατροπῆς, οὗ ἦν ἡ παρουσία αἰτία
τῆς σωτηρίας. (4) Simplicii In Physicorum 319.7–13: εἰπὼν δὲ ὅτι πάντα τοῦ αὐτοῦ καὶ ἀλλήλων
ἐστὶν αἴτια, προστίθησιν ὅτι καὶ < τὸ αὐτὸ τῶν ἐναντίων >, ἀλλ’ οὐχ ὡσαύτως ἔχον ἀλλ’ ἐναντίως
διακείμενον. < ὃ γὰρ παρὸν > σωτηρίας ἐστὶν < αἰτιόν > τινι ὡς ὁ κυβερνήτης τῇ νηί, < τοῦτο ἀπὸν
ἀνατροπῆς >. καὶ δῆλον ὅτι παρὸν μὲν καθ’ αὑτὸ αἴτιόν ἐστιν, ἀπὸν δὲ κατὰ συμβεβηκός. οὕτως
δὲ ἔλεγεν ἐν τῷ πρώτῳ, τὸ εἶδος τῇ παρουσίᾳ καὶ ἀπουσίᾳ τῆς γενέσεως εἶναι καὶ τῆς φθορᾶς
αἴτιον.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 115

Eigenschaften (musikalisch-unmusikalisch) nacheinander dem Einzelnen (Sok-


rates) inhärieren können, ist es demselben unmöglich, nicht Mensch zu sein, so-
lange er noch lebt. Außerdem ist die Wesenssubstanz weder entstanden noch
vergänglich, da nicht die menschliche Art, sondern nur der einzelne Mensch zu-
grunde gehen kann.144 Was der Wesenssubstanz entgegensteht, ist weder Ge-
gensatz noch Vernichtung derselben, sondern der gegensätzliche Zustand. In
der substanziellen Veränderung stehen daher die Anwesenheit und Abwesen-
heit der Wesenssubstanz zueinander im Gegensatz (παρουσία-ἀπουσία). Anhand
der vollständigen Verwirklichung ist die Wesenheit am Einzelding anwesend
und durch die Beraubung ist sie abwesend. Darum tritt der gegensätzliche Zu-
stand auch in Form von Vollendung-Privation auf (ἕξις-στέρησις).
Den Unterschied zwischen dem akzidentellen Gegensatz (ἀντικείμενον) und
dem Zustandsgegensatz (ἕξις-στέρησις) kann man aus einer anderen Perspektive
betrachten. Die beiden sind dadurch grundsätzlich unterschieden, dass der eine
die ontologisch-logische Verschiedenheit (ἕτερον) und der andere den ontolo-
gisch-logischen Widerspruch bezeichnet. Beim akzidentellen Gegensatz stehen
einander zwei verschiedene Eigenschaften, z. B. weiß-schwarz oder gesund-
krank, entgegen. Zwischen den beiden Extremen ist es möglich, dass ein Drittes
in der Mitte steht, wie das Braune zwischen dem Schwarzen und dem Weißen
vorliegt. Terminologisch wird diese Art der Entgegensetzung als konträrer Gegen-
satz benannt (contrarius). Im Vergleich dazu bezeichnet der Zustandsgegensatz
weder zwei verschiedene Formen, noch den Gegensatz von Form und deren Ver-
nichtung, sondern gegensätzliche Zustände der Form. Da die Form entweder
ganz abwesend oder vollständig anwesend sein muss, ist der Mittelzustand nicht
zugelassen. Der Gegensatz, bei dem das eine Moment das andere ausschließt,
wird der kontradiktorische Gegensatz genannt (contradictio).
Anhand der Analogie von Sein und Logos kann der Unterschied zwischen
beiden Gegensätzen in einem weiteren Schritt verdeutlicht werden. Der Gegen-
satz von Musikalischem und Unmusikalischem spiegelt sich in der Aussage der-
art, dass dasselbe Prädikat bejaht und verneint wird. Sokrates ist nämlich
musikalisch oder nicht musikalisch. Aus der Bejahung und der Verneinung des
Prädikates resultieren die affirmative und die negative Aussage. Der akziden-
telle Gegensatz führt zum prädikativen Gegensatz, der die logische Entgegen-
setzung von Affirmation und Negation zustande bringt.

144 Nicht nur die wesentliche Form, sondern auch die akzidentelle Eigenschaft ist unvergäng-
lich. Was entstehen und vergehen kann, ist allein das Kompositum. Während das substan-
zielle Kompositum, nämlich das einzelne Lebewesen oder Artefakt, aus Stoff und Form
zusammengesetzt wird, kommt das akzidentelle Kompositum dadurch zustande, dass die akzi-
dentelle Eigenschaft dem Einzelding zukommt. Vgl. Metaph. Z9, 1034b7–19.
116 2 Zweite Philosophie (Physik)

Dass die Wesenskategorie keinen prädikativen Gegensatz zulässt, besagt


nichts anderes, als dass die Wesenskategorie in der Aussage nicht verneint wer-
den kann. Die logische Unverneinbarkeit der Wesenskategorie geht auf die on-
tologische Untrennbarkeit der Wesenssubstanz vom Einzelding zurück. Bei der
Naturentstehung zeigt sich, dass die Art als Wesenheit mit dem gleichartigen
Einzelding zusammenfällt. Obwohl der Wesensprädikation die allgemeine Prä-
dikationsstruktur (τὶ κατὰ τινὸς λέγεται) zugeteilt ist, drückt sie nicht die zufäl-
lige Zukommenheit des Akzidenz aus, sondern das notwendige Vorhandensein
der Wesenheit am Einzelding.
Das Einzelding kommt durch die Verinnerlichung des Wesens zustande
(ἕξις) und anhand der Wesensprädikation zur Sprache („Sokrates ist Mensch“).
Das Einzelding geht wegen der Beraubung des Wesens zugrunde (στέρησις)
und der Vernichtung des Einzeldings entsprechend wird das logische Subjekt
in der Aussage negiert („Nicht Sokrates ist ein Mensch“). In der Wesensprädika-
tion kann nicht das Prädikat, sondern nur das Subjekt negativ ausgesprochen
werden. Die logische Negierbarkeit des einzelnen Subjektes ist auf die ontologi-
sche Tatsache zurückzuführen, dass in der Natur nicht die menschliche Art,
sondern die einzelnen Menschen vergehen. Zum einen stimmt das Entstehen
des Einzeldings mit der Wesensprädikation insofern überein, als das Einzelding
ontologisch und logisch bejaht wird. Zum anderen kommen das Vergehen des
Einzeldings und das Negieren des Subjekts in Übereinkunft, dadurch, dass das
Einzelding in beiden Fällen aufgehoben wird.
Die Negation bezieht sich in der Wesensprädikation auf das Subjekt, in der
Akzidenzprädikation aber auf das Prädikat. In der substanziellen Veränderung
bilden Entstehen-Vergehen bzw. Verinnerlichung-Beraubung den Gegensatz,
der durch die Bejahung und die Verneinung des logischen Subjekts zum Aus-
druck kommt (γένεσις-φθορά/ἕξις-στέρησις→ἀντίφασις).145 In der akzidentellen
Veränderung sind die Eigenschaften entgegengesetzt, woraus der prädikative
Gegensatz von Affirmation und Negation resultiert (ἀντικείμενον→ἀντίφασις:
κατάφασις-ἀπόφασις).146

145 (1) Phys. E1, 225a12–14 = Metaph. K11, 1067b21–23: ἡ μὲν οὖν οὐκ ἐξ ὑποκειμένου εἰς ὑπο-
κείμενον μεταβολὴ κατ’ ἀντίφασιν γένεσίς ἐστιν, ἡ μὲν ἁπλῶς ἁπλῆ, ἡ δὲ τὶς τινός. (2) Phys.
E1, 225a34–225b3 = Metaph. K11, 1068a1–5: ἐπεὶ δὲ πᾶσα κίνησις μεταβολή τις, μεταβολαὶ δὲ
τρεῖς αἱ εἰρημέναι, τούτων δὲ αἱ κατὰ γένεσιν καὶ φθορὰν οὐ κινήσεις, αὗται δ’ εἰσὶν αἱ κατ’
ἀντίφασιν, ἀνάγκη τὴν ἐξ ὑποκειμένου εἰς ὑποκείμενον μεταβολὴν κίνησιν εἶναι μόνην.
146 (1) Int. 6, 17a31–35: ὥστε δῆλον ὅτι πάσῃ καταφάσει ἐστὶν ἀπόφασις ἀντικειμένη καὶ πάσῃ
ἀποφάσει κατάφασις. καὶ ἔστω ἀντίφασις τοῦτο, κατάφασις καὶ ἀπόφασις αἱ ἀντικείμεναι.
(2) Metaph. Γ4, 1007b17–23.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 117

Einerseits steht die akzidentelle Veränderung mit der akzidentellen Prädika-


tion in Übereinstimmung. Da die akzidentellen Eigenschaften an demselben Sub-
strat ineinander übergehen, können von demselben Subjekt verschiedene oder
gegensätzliche Prädikate ausgesagt werden. Andererseits hängt die substanzielle
Veränderung mit der wesentlichen Prädikation zusammen. Die teleologische
Naturentstehung, nämlich dass der Mensch den Menschen zeugt (ἄνθρωπος
ἄνθρωπον γεννᾷ – Phys. B2, 194b3; B7, 198a26–27; PA A1, 640a25–26; Metaph.
Z7, 1032a25; Z8, 1033b32; Λ3, 1070a8, 1070a27–28), erbringt den Beweis für die
Wesensprädikation, dass ein beliebige Mensch Mensch ist (ὁ γὰρ τὶς ἄνθρωπος
καὶ ἄνθρωπός ἐστιν – Cat. 5, 2a25–26). Der oben erwähnte Unterschied zwischen
der akzidentellen und der substanziellen Veränderung lässt sich im folgenden
Schema (Tab. 12) zusammenfassen und anschaulich darstellen:

Tab. 12: Analogie von akzidenteller und substanzieller Veränderung.

Veränderung (μεταβολή)

Benennung akzidentelle Veränderung = substanzielle Veränderung =


(ὄνομα) Bewegung (κίνησις) Entstehen + Vergehen
(γένεσις + φθορά)

Zugrundeliegendes zugrundeliegendes Einzelding: zugrundeliegende Materie:


(ὑποκείμενον) verharren nicht verharren

Gegensatz ἀντικείμενον ἕξις-στέρησις/


(ἀντίφασις) contrarius παρουσία-ἀπουσία
contradictio

Negation Prädikat negieren: Subjekt negieren:


(ἀπόφασις) Sokrates ist musikalisch→ Sokrates ist Mensch→
Sokrates ist nicht musikalisch Nicht Sokrates ist ein Mensch

Prädikation κατὰ συμβεβηκός λέγεται καθ’ αὑτό λέγεται


(λόγος) Äquivokation Univokation

Die Bewegung und das Entstehen-Vergehen können deswegen von demselben


Oberbegriff „Veränderung“ zusammengefasst werden, weil die akzidentelle
und die substanzielle Veränderung einander strukturell ähnlich sind (μετα-
βολή = κίνησις + γένεσις/φθορά). Wie gesagt ergibt sich die Analogie nicht nur
zwischen den beiden höchsten Gattungen, sondern sie setzt sich auch in die
Arten zweier Gattungen und die Unterarten der Arten fort. Indem sowohl der
118 2 Zweite Philosophie (Physik)

qualitativen und der quantitativen Veränderung als auch der örtlichen Bewe-
gung dieselbe Struktur „Zugrundeliegendes-Gegensatz“ zugeteilt ist, werden
sie gemeinsam „Bewegung“ genannt (κίνησις = ἀλλοίωσις + αὔξησις/φθίσις +
φορά). Dadurch, dass die natürliche Zeugung und die menschliche Herstellung
an demselben Gefüge von Stoff und Form-Privation teilhaben, sind sie einheit-
lich als Entstehung zu bezeichnen (γένεσις = φύσις + ποίησις).
Die Begriffe, wie z. B. Veränderung, Bewegung und Entstehung, umfassen,
dadurch dass die einheitliche Begriffsbildung nicht in der platonischen Gattungs-
einheit, sondern in der analogischen Einheit gründet, sowohl die logische Einheit
als auch die sachliche Vielfalt. Platon führt die Idee der Bewegung ein, um das
veränderliche Phänomen zu stabilisieren und die Bewegung an sich zu erkennen.
Jedoch führt dies direkt dazu, dass die vielfältigen Bewegungen zu einem einzi-
gen Begriff abstrahiert werden. Außerdem wird die Prozessualität der Bewegung
dadurch aufgehoben, dass sich die Idee der Bewegung als Inbegriff der empiri-
schen Bewegungen selbst nicht verändern darf.147 Gegen die platonische Abs-
traktion zieht Aristoteles die Veränderung ganz konkret in Betracht, indem die
Veränderung anhand vier Kategorien einzuteilen ist und sich in vier Arten kon-
kretisiert. Um die Prozessualität der Veränderung aufzuweisen, hat Aristoteles

147 Aufgrund der heraklitischen Bewegungsvorstellung lehnt es Platon ab, das emprische Be-
wegungsphänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Platons Meinung nach ist das Werdende
weder Sein noch Nichtsein, sondern befindet sich zwischen dem wahrhaften Sein und dem
absoluten Nichts (εἰ δὲ δή τι οὕτως ἔχει ὡς εἶναί τε καὶ μὴ εἶναι, οὐ μεταξὺ ἂν κέοιτο τοῦ εἰλ-
ικρινῶς ὄντος καὶ τοῦ αὖ μηδαμῇ ὄντος; Μεταξύ. Οὐκοῦν ἐπὶ μὲν τῷ ὄντι γνῶσις ἦν, ἀγνωσία
δ’ ἐξ ἀνάγκης ἐπὶ μὴ ὄντι, ἐπὶ δὲ τῷ μεταξὺ τούτῳ μεταξύ τι καὶ ζητητέον ἀγνοίας τε καὶ ἐπισ-
τήμης, εἴ τι τυγχάνει ὂν τοιοῦτον; Πάνυ μὲν οὖν. Ἆρ’ οὖν λέγομέν τι δόξαν εἶναι – Resp.
477a6–b3). Da es dem Werdenden am vollständigen Seinsstatus mangelt, kann das Werdende
nicht vom Logos aufgefasst werden, der mit dem wahrhaft Seienden, nämlich mit der Idee,
übereinstimmt (Ἱκανῶς οὖν τοῦτο ἔχομεν, κἂν εἰ πλεοναχῇ σκοποῖμεν, ὅτι τὸ μὲν παντελῶς ὂν
παντελῶς γνωστόν, μὴ ὂν δὲ μηδαμῇ πάντῃ ἄγνωστον – Resp. 477a2–4). Um die Bewegung
ontologisch zu stabilisieren und epistemologisch zu erkennen, stellt Platon die Idee der Bewe-
gung auf (Μέγιστα μὴν τῶν γενῶν ἃ νυνδὴ διῇμεν τό τε ὂν αὐτὸ καὶ στάσις καὶ κίνησις – Soph.
254d4–5). Daraus resultiert, dass die empirische Bewegung weder stabil noch erkennbar und
die Idee der Bewegung sowohl stabil als auch erkennbar ist. Anhand der Ideenlehre ist es un-
möglich, die Veränderlichkeit der Bewegung und die Stabilität bzw. die Erkennbarkeit dersel-
ben in Einklang zu bringen. Platon ist sich dieses Problems bewusst und tendiert deshalb
dazu, die Bewegung als geistige Tätigkeit zu bestimmen. Die geistige Tätigkeit, sei sie mensch-
lich oder göttlich, vollzieht sich derart, dass der Gegensatz von Veränderlichkeit und Stabilität
vereinigt ist. Um diese Aporie aufzulösen, schlägt Aristoteles einen anderen Weg ein. Anhand
der ontologischen Erörterung kommen die Beweglichkeit und die Stabilität dadurch in Über-
einkunft, dass der bewegliche Teil (Eigenschaft) und der unbewegliche Teil (Substrat) in der
Bewegung enthalten sind.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 119

ein anderes Begriffspaar, nämlich δύναμις-ἐνέργεια, anzubieten, auf das wir im


nächsten Teil der Arbeit die Aufmerksamkeit richten.

2.1.3 Bewegung-Logos (κίνησις-λόγος)

Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen der akzidentellen und der substanziellen


Veränderung kommt darin zum Vorschein, dass sich das Zugrundeliegende
und der Gegensatz zusammenfügen. Auf eine andere Art und Weise lässt sich
die Analogie von Bewegung und Entstehen-Vergehen aufzeigen, und zwar mit
dem Begriffspaar δύναμις-ἐνέργεια. Denn das Möglichsein und das Wirklichsein
drücken den prozessualen Charakter der Veränderung präziser aus (εἷς μὲν δὴ
τρόπος οὗτος, ἄλλος δ’ ὅτι ἐνδέχεται ταὐτὰ λέγειν κατὰ τὴν δύναμιν καὶ τὴν
ἐνέργειαν· τοῦτο δ’ ἐν ἄλλοις διώρισται δι’ ἀκριβείας μᾶλλον – Phys. A8,
191b27–29). Darüber hinaus sind die beiden Begriffe umfangreich anwendbar.
Das Vermögen und die Verwirklichung, die auf der natürlichen Veränderung
beruhen, erstrecken sich nicht nur auf den Bereich der menschlichen Herstel-
lung und der Handlung, sondern auch auf den Bereich der empfindenden und
der geistigen Tätigkeit, d. h. Wahrnehmung und Denken. Indem δύναμις-ἐνέρ-
γεια in allen Seinsbereichen zur Geltung kommt, sind die theoretische (vor
allem die Physik), die poietische und die praktische Wissenschaft vereint. Da
Vermögen-Verwirklichung und Möglichkeit-Wirklichkeit ursprünglich im Seins-
feld der Veränderung auftreten, gehen wir zunächst auf die Definition der Ver-
änderung ein. Anschließend ist einzusehen, dass sich die allgemein gültige
Bestimmung in allen Typen der natürlichen Veränderung und der menschli-
chen Tätigkeit durchsetzt. Schließlich ist von der analogischen Begriffseinheit
die Rede, denn δύναμις und ἐνέργεια entfalten sich zwar in verschiedenen Be-
reichen, aber anhand der strukturellen Ähnlichkeit ist die begriffliche Einheit
zu bilden.
Aristoteles definiert die Bewegung bzw. die Veränderung dreifältig, indem
die verschiedenen Dimensionen der Bewegung akzentuiert werden. Die erste
Definition lautet:

[. . .] ἡ τοῦ δυνάμει ὄντος ἐντελέχεια ᾗ τοιοῦτον, κίνησίς ἐστιν [. . .]. – Phys.


Γ1, 201a10–11

In erster Linie ist bemerkenswert, dass in dieser Definition statt der ἐνέργεια die
ἐντελέχεια vorkommt. An der parallelen Stelle scheint es, dass die beiden Be-
griffe konvertibel sind (τὴν τοῦ δυνάμει ᾗ τοιοῦτόν ἐστιν ἐνέργειαν λέγω κίνη-
σιν – Metaph. K9, 1065b16). Von der griechischen Wortbildung her gelten
120 2 Zweite Philosophie (Physik)

ἐνέργεια sowie ἐντελέχεια als Komposita, die aus der Präposition „in“ (ἐν) und
dem entsprechenden Nomen zusammengesetzt werden. Während die eine aus
dem „Werk“ stammt (ἔργον), hat die andere die Wurzel im „Ziel“ (τέλος).148
Wenn ἔργον und τέλος für identisch gehalten werden, sind ἐνέργεια und ἐντελέ-
χεια austauschbar (τὸ γὰρ ἔργον τέλος, ἡ δὲ ἐνέργεια τὸ ἔργον, διὸ καὶ τοὔνομα
ἐνέργεια λέγεται κατὰ τὸ ἔργον καὶ συντείνει πρὸς τὴν ἐντελέχειαν – Metaph.
Θ8, 1050a21–23). Durch die Nachahmung der griechischen Wortbildung können
die ἐν-έργεια und die ἐν-τελέχεια entweder als „Im-Werk/Ziel-Sein“ oder als
„Ins-Werk/Ziel-Setzen“ übersetzt werden.149 Das Seiende, das sich im Werk be-
findet oder dessen Ziel erreicht wird, ist das verwirklichte Werk oder das volle-
ndete Ziel. Das Im-Werk/Ziel-Sein ist vom Veränderungsprozess befreit und weist
auf das Veränderungsresultat, d. h. den Ruhezustand, hin.150 Die Bewegung
sollte nicht durch den Zustand, sondern durch den Prozess charakterisiert sein.
In der Bewegungsdefinition ist daher mit der ἐνέργεια das Ins-Werk-Setzen oder
die Verwirklichung und mit der ἐντελέχεια das Ins-Ziel-Setzen oder die Vollen-
dung gemeint.
Trotz der Gleichsetzung ist die ἐντελέχεια anstelle der ἐνέργεια deshalb in
die Definition einzuführen, weil der Akzent auf den teleologischen Charakter ge-
legt wird.151 Die Natur verfährt zwar zweckmäßig, aber es ist möglich, dass

148 Simplicii In Physicorum 414.36–415.2: ὡς γὰρ εἶπον, τὸ τῆς ἐντελεχείας ὄνομα τὴν τοῦ ἐν-
τελοῦς συνέχειαν δηλοῖ, καὶ ὅταν ἐπὶ ἐνεργείας κυρίως λέγηται, οὐκ ἐπὶ τῆς τυχούσης, ἀλλ’ ἐπὶ
τῆς τοῦ τελείου καὶ κατὰ τὸ ἐνεργείᾳ ἱσταμένου καὶ ἐντελεχείᾳ ὄντος ἀποδιδομένης.
149 Bei der Präposition „in“ ergibt sich auf Lateinisch eine wichtige semantische Unterschei-
dung von Ablativ und Akkusativ, die auf Griechisch oder auf Deutsch in der Form von Dativ
und Akkusativ wiedergegeben wird. Das eine beantwortet die Frage „Wo“ und das andere be-
zeichnet die Richtung „Wohin“. Wenn das Substantiv, das nach der Präposition vorkommt, im
Kasus des lateinischen Ablativ oder des griechischen bzw. des deutschen Dativ steht, zeigt der
ganze Ausdruck einen bestimmten Zustand auf. Steht das Nomen nach der Präposition im Ak-
kusativ, weist das ganze Wort auf einen Prozess hin. Die grammatische Unterscheidung ist
zwar in den beiden Komposita verborgen, die sprachliche Analyse trägt aber dazu bei, den in-
haltlichen Unterschied zwischen Zustand und Prozess besser zu erkennen.
150 Außer dem dinglichen Werk und dem konkreten Ziel kann mit dem Ergon und dem Telos
undinglich, unkörperlich und rein geistig gemeint sein. In diesem Fall soll unter dem Im-Werk
/Ziel-Sein nicht das hervorgebrachte Werk oder das erreichte Ziel, sondern die unmittelbare
Selbstvollendung des Geistes zu verstehen sein. Wenn der Geist den Selbstzweck unmittelbar
zur Vollkommenheit bringt, ist er im vollkommensten Werk oder im eigenen Ziel vorhanden.
Ἐνεργεία bzw. ἐντελέχεια im Sinne der unmittelbaren Vollendung des geistigen Selbstzwecks
wird als actus perfectus bezeichnet.
151 Simplicii In Physicorum 414.23–25: μήποτε δὲ τὴν ἐντελέχειαν ὁ Ἀριστοτέλης ἐπὶ τῆς τελε-
ιότητος ἀκούει. καὶ εἴ ποτε ἐπὶ ἐνεργείας αὐτὴν τίθησιν, οὐ τῆς τυχούσης ἀλλὰ τῆς τελείας,
καθ’ ὅτι ἔχει τέλειον, διότι ἕκαστον τότε ἐν τῇ ἑαυτοῦ τελειότητι ἔχεται, ὅτε τὰς κατὰ φύσιν
ἑαυτοῦ ἐνεργείας ἀποδίδωσι.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 121

Irrtümliches und Zufälliges auftauchen und in der menschlichen Praxis spielt


der Zufall eine Rolle. Trotz der Kontingenz, die in der Natur und in der
menschlichen Welt vorkommt, sind die Entstehung der Lebewesen, die Um-
wandlung der vier Grundelemente, die Kreisbewegung der Gestirne und die
menschliche Tätigkeit mit einer bestimmten Notwendigkeit verbunden. Die
Notwendigkeit zeigt sich darin, dass das Naturseiende und der Mensch nicht
nur das eigene Ziel setzen können, sondern dieses immer oder in den meisten
Fällen erreichen.
Nach der begrifflichen Erklärung lässt sich die Definition der Bewegung
folgendermaßen umschreiben: Die Bewegung ist das Ins-Ziel-Setzen bzw.
die Verwirklichung des möglichen Seienden als solchen. Unmittelbar stellt
sich eine weitere Frage: Worauf bezieht sich das mögliche Seiende? Um dies
zu verdeutlichen, muss eine chiastische Einteilung aufgestellt werden.
Dafür müssen wir zunächst die zwei Unterscheidungskriterien ans Licht
bringen.
Indem das Vermögen ins aktive und passive Vermögen ausdifferenziert ist
(δύναμις τοῦ ποιεῖν-δύναμις τοῦ πάσχειν),152 gilt der Gegensatz von Aktivität
und Passivität als erstes Einteilungskriterium.

Δύναμις λέγεται ἡ μὲν ἀρχὴ κινήσεως ἢ μεταβολῆς ἡ ἐν ἑτέρῳ ἢ ᾗ ἕτερον, οἷον ἡ οἰκοδο-
μικὴ δύναμίς ἐστιν ἣ οὐχ ὑπάρχει ἐν τῷ οἰκοδομουμένῳ, ἀλλ' ἡ ἰατρικὴ δύναμις οὖσα
ὑπάρχοι ἂν ἐν τῷ ἰατρευομένῳ, ἀλλ' οὐχ ᾗ ἰατρευόμενος. – Metaph. Δ12, 1019a15–18153

Das (aktive) Vermögen ist das Prinzip der Bewegung oder der Veränderung,
das sich entweder in einem anderen befindet oder sich (in der Sache selbst)
wie ein anderes verhält. Das aktive Vermögen, ein Haus zu bauen, liegt nicht
in den Baustoffen, sondern im Hausherren vor (ἐν ἑτέρῳ). Wenn ein Arzt sich
selbst heilt (ὅταν τις ἰατρεύῃ αὐτὸς ἑαυτόν), fallen der Arzt und der Patient

152 δύναμις τοῦ ποιεῖν καὶ πάσχειν – Metaph. Θ1, 1046a19–29; Δ12, 1019a15–23; Soph.
247d8–e4. ποιητικὸν καὶ παθητικόν – Phys. Γ1, 200b29–30, 201a23; Γ3, 202b26–27. κινητικόν
καὶ κινητόν – Phys. Γ1, 200b30–31. potentia faciendi et potentia patiendi – Thomas Sententia
Metaphysicae lib.9 l.1 n.14 [83352]; potentia activa et potentia passiva – lib.9 l.1 n.9 [83347],
lib.9 l.1 n.10 [83348].
153 (1) Metaph. Θ1, 1046a9–11: [. . .] ὅσαι δὲ πρὸς τὸ αὐτὸ εἶδος, πᾶσαι ἀρχαί τινές εἰσι, καὶ
πρὸς πρώτην μίαν λέγονται, ἥ ἐστιν ἀρχὴ μεταβολῆς ἐν ἄλλῳ ἢ ᾗ ἄλλο. (2) Metaph. Θ1,
1046a26–28: [. . .] ἡ δ’ ἐν τῷ ποιοῦντι, οἷον τὸ θερμὸν καὶ ἡ οἰκοδομική, ἡ μὲν ἐν τῷ
θερμαντικῷ ἡ δ’ ἐν τῷ οἰκοδομικῷ. (3) Metaph. Θ8, 1049b5–8: λέγω δὲ δυνάμεως οὐ μόνον
τῆς ὡρισμένης ἣ λέγεται ἀρχὴ μεταβλητικὴ ἐν ἄλλῳ ἢ ᾗ ἄλλο, ἀλλ’ ὅλως πάσης ἀρχῆς κινητι-
κῆς ἢ στατικῆς.
122 2 Zweite Philosophie (Physik)

zusammen.154 In diesem Sonderfall lokalisiert sich die ärztliche Fähigkeit schein-


bar im Patienten. Aber die aktive Fähigkeit, Körper zu heilen, kann nur dann in
die Tat umgesetzt werden, wenn sich der Arzt nicht als der behandelte Patient,
sondern als der behandelnde Arzt verhält (ᾗ ἕτερον).
Der Hausherr bringt das Hausbauen in Gang und der Arzt macht den kranken
Körper gesund. Was sich auf das hergestellte Haus und auf den behandelten Patien-
ten direkt auswirkt, sind keineswegs der Hersteller und der Behandelnde, sondern
die Hausgestalt und das Warme. Das unmittelbar Bewegende ist nichts anderes als
die Form (εἶδος δὲ ἀεὶ οἴσεταί τι τὸ κινοῦν), die entweder als wesentliche Form oder
als akzidentelle Eigenschaft fungiert.155 Die Form verhält sich dadurch aktiv, dass
sich die Hausgestalt als wesentliche Form in die Baustoffe prägt oder das Warme als
akzidentelle Eigenschaft dem kranken Körper zukommt. Die aktive Wirksamkeit der
Form ist auf das ihr immanente Aktivvermögen zurückzuführen. Während der we-
sentlichen oder der akzidentellen Form das Aktivvermögen innewohnt, ist das Zu-
grundeliegende mit dem Passivvermögen behaftet.

ἡ μὲν γὰρ τοῦ παθεῖν ἐστὶ δύναμις, ἡ ἐν αὐτῷ τῷ πάσχοντι ἀρχὴ μεταβολῆς παθητικῆς ὑπ'
ἄλλου ἢ ᾗ ἄλλο. – Metaph. Θ1, 1046a11–13156

Das passive Vermögen, d. h. das Vermögen des Erleidens, das im Erleidenden


selbst vorliegt, ist das Prinzip der passiven Veränderung. Demnach wird das
Passivvermögen entweder von einem Anderen verwirklicht, das aktiv tätig ist,
oder es kann von sich selbst zur Entfaltung gebracht werden, und zwar als ein
anderes, d. h. als ein Aktives, falls das passive und das aktive Vermögen zu-
sammenfallen. Die Baustoffe z. B. liegen zwar dem Hausbauen zugrunde, das
Haus aber muss vom äußerlich Wirkenden errichtet werden (ὑπ’ ἄλλου). In
demjenigen Fall, dass ein Arzt sich selbst heilt, spaltet er sich in den aktiv

154 Im Laufe der Argumentation kommt dieser Sonderfall mehrmals vor. Alexanders Interpre-
tationsvorschlag folgend machen wir die unausgesprochene Voraussetzung ausdrücklich. Vgl.
Alexander 389.13–18: ἐπεὶ δὲ ἐνδέχεταί τινα καὶ αὑτῷ αἴτιον μεταβολῆς γενέσθαι τῆς κατά τι,
ἔχοντα τὴν ἀρχήν, καθ’ ἣν ἡ μεταβολὴ καὶ ὑφ’ ἧς, ὡς ὅταν ἰατρὸς αὑτὸν ὑγιάζῃ, διὰ τοῦτο προ-
σέθηκε τῷ ἐν ἑτέρῳ τὸ < ἢ ᾗ ἕτερον·> οὐ γὰρ ᾗ νοσεῖ, ταύτῃ τὴν δύναμιν τοῦ αὑτὸν ἰᾶσθαι ἔχει·
οὐ γὰρ ταὐτὸν ἰατρῷ τε εἶναι καὶ ἰατρευομένῳ τε καὶ νοσοῦντι.
155 Phys. Γ2, 202a9–12: εἶδος δὲ ἀεὶ οἴσεταί τι τὸ κινοῦν, ἤτοι τόδε ἢ τοιόνδε ἢ τοσόνδε, ὃ
ἔσται ἀρχὴ καὶ αἴτιον τῆς κινήσεως, ὅταν κινῇ, οἷον ὁ ἐντελεχείᾳ ἄνθρωπος ποιεῖ ἐκ τοῦ δυνά-
μει ὄντος ἀνθρώπου ἄνθρωπον.
156 (1) Metaph. Θ1, 1046a22–24: ἡ μὲν γὰρ ἐν τῷ πάσχοντι. διὰ γὰρ τὸ ἔχειν τινὰ ἀρχήν, καὶ
εἶναι καὶ τὴν ὕλην ἀρχήν τινα, πάσχει τὸ πάσχον, καὶ ἄλλο ὑπ’ ἄλλου. (2) Metaph. Δ12,
1019a19–23: ἡ μὲν οὖν ὅλως ἀρχὴ μεταβολῆς ἢ κινήσεως λέγεται δύναμις ἐν ἑτέρῳ ἢ ᾗ ἕτερον,
ἡ δ’ ὑφ’ ἑτέρου ἢ ᾗ ἕτερον. καθ’ ἣν γὰρ τὸ πάσχον πάσχει τι, ὁτὲ μὲν ἐὰν ὁτιοῦν, δυνατὸν αὐτό
φαμεν εἶναι παθεῖν, ὁτὲ δ’ οὐ κατὰ πᾶν πάθος ἀλλ’ ἂν ἐπὶ τὸ βέλτιον.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 123

heilenden Arzt und den passiv erleidenden Patienten. Der Patient wird von sich
selbst behandelt, wenn er sich nicht als passiv behandelter Patient, sondern als
aktiv behandelnder Arzt verhält (ᾗ ἄλλο). Das der Entstehung (Hausbauen)
oder der Bewegung (Körperheilen) Zugrundeliegende hat insofern das passive
Vermögen, als es imstande ist, die formale Prägung in sich aufzunehmen.
Während die Form, sei sie akzidentell oder wesentlich, auf das Aktivvermö-
gen zurückgreift, ist das Zugrundeliegende, nämlich das Einzelding oder der Stoff,
mit dem passiven Vermögen ausgestattet. Aber die Passivität hat nicht zur Folge,
dass das Einzelding oder der Stoff in der Möglichkeit bleibt. In der ärztlichen Be-
handlung ist der Patient, d. h. der kranke Körper, immer vorhanden, und um ein
Haus zu bauen, müssen die Baustoffe zur Verfügung stehen. Was in
der Möglichkeit existiert, ist weder der Einzelkörper noch der konkrete Baustoff,
sondern die Gesundheit oder die Hausgestalt. Demzufolge ist der kranke Körper
als der Möglichkeit nach gesunder Körper, der Stein als mögliches Haus und das
Kind als potentieller Mensch/Erwachsener anzusehen (Metaph. Θ7, 1049a5–16).
Im Allgemeinen kann nicht die materiale Grundlage, sondern allein die Form
als mögliches Seiendes bezeichnet werden. Wenn die Form realisierbar ist und
nicht realisiert wird, ist sie möglicherweise seiend. Die potentielle Form ist termi-
nologisch als Privation benannt (τὸ δυνάμει εἶδος-στέρησις), da es ihr an der voll-
ständigen Aktualisierung mangelt. Auf diese Art und Weise tritt das zweite
Unterscheidungskriterium in Erscheinung, nämlich Aktualität-Potentialität. Wäh-
rend das Einzelding und der konkrete Stoff zugrunde liegen und real vorliegen,
existieren die akzidentelle und die wesentliche Form entweder potentiell oder ak-
tuell, je nachdem, ob sie sich aktualisieren oder nicht.
Auf der einen Seite ist das Vermögen ins aktive und passive Vermögen geteilt.
Auf der anderen Seite bleibt die Form entweder in der Möglichkeit oder tritt in die
Wirklichkeit ein. Indem sich Aktivität-Passivität und Möglichkeit-Wirklichkeit mitei-
nander überkreuzen, ergibt sich folgender Chiasmus (Tab. 13). Erstens ist das Zu-
grundeliegende, sei es Einzelding oder Stoff, durch Aktualität und Passivität
charakterisiert. Das Einzelding und der Stoff liegen wirklich vor, indem das eine der
akzidentellen Veränderung und der andere der substanziellen Veränderung zu-
grunde liegt. Wegen des passiven Vermögens wird der Körper von der ärztlichen Be-
handlung affiziert und nach der Hausgestalt wird der Baustoff in Ordnung gebracht.
Zweitens ist die Form, sei sie akzidentell oder wesentlich, durch Aktualität und Akti-
vität gekennzeichnet, insofern die Gesundheit, die Hausgestalt und die menschliche
Art aktuell vorhanden sind und sie die qualitative Veränderung, die Herstellung und
die Naturentstehung aktiv betreiben. Drittens ist die Privation mit dem Kennzeichen
von Potentialität und Aktivität versehen. Während das Zugrundeliegende immer
wirklich existiert, kann die Form entweder potentiell oder aktuell sein. Die poten-
tielle Form ist die Privation, die mit dem Aktivvermögen ausgestattet ist, da die
124 2 Zweite Philosophie (Physik)

Tab. 13: Zugrundeliegendes, Form und Privation.

δύναμις τοῦ ποιεῖν δύναμις τοῦ πάσχειν

τὸ δυνάμει ὄν στέρησις

τὸ ἐνεργείᾳ ὄν κατηγορούμενον ὑποκείμενον


εἶδος ὕλη

Privation als potentielle Form sowie die aktuelle Form imstande sind, aktiv zu wir-
ken. Form und Privation, die gemeinsamen Anteil am Aktivvermögen haben, sind
anhand der verschiedenen Modalitäten voneinander unterschieden, indem die eine
aktuell und die andere potentiell ist. Anders formuliert: Die beiden Modalitäten,
nämlich Möglichkeit und Wirklichkeit, sind nichts anderes als die Seinsweisen der
Form.
Wie gezeigt wurde, richtet sich der Modus der Möglichkeit auf die Form aus.
Indem das mögliche Seiende als potentielle Form festgelegt wird, ist die Definition
folgendermaßen zu formulieren: Die Veränderung ist die Verwirklichung der po-
tentiellen Form als solcher (ᾗ τοιοῦτον). In der Veränderung verwirklicht sich die
Form, und zwar nicht als wirkliche, sondern als mögliche Form (ἡ τοῦ δυνατοῦ
καὶ ᾗ δυνατὸν ἐντελέχεια κίνησίς ἐστιν – Phys. Γ1, 201b4–5 = Metaph. K9,
1065b33). Im Hausbauen werden z. B. die Baustoffe nach einem möglichen Haus
geordnet und zusammengesetzt (Phys. Γ1, 201b7–15 = Metaph. K9, 1066a1–7).
Wenn die Hausgestalt nicht mehr möglicherweise existiert, sondern sich tatsäch-
lich an den Baustoffen verwirklicht, ist der Prozess des Hausbauens beendet. In
der Herstellung wird das Eisen als eine potentielle Statue bearbeitet.157 Sobald
die Hermes-Gestalt nicht mehr potentiell, sondern real zum Vorschein kommt,
ist die Herstellung zu Ende gebracht. Gleicherweise gibt es keine Ortsbewegung
mehr, wenn Sokrates, der von Theben nach Athen fährt, in Athen angekommen
ist. In der Entstehung und Bewegung muss ein bestimmtes Ziel gesetzt werden.
Im beweglichen Prozess schreitet das Seiende zum Ziel fort, ohne es vollständig
zu erreichen. Sobald das Ziel erreicht ist, ist der veränderliche Prozess vollendet
und der Ruhezustand tritt zutage. Deshalb bezeichnet Aristoteles die Verände-
rung als unvollendete Verwirklichung (ἐνέργεια ἀτελής, actus imperfectus),158

157 Phys. Γ1, 201a27–31 = Metaph. K9, 1065b21–25: [. . .] ἡ δὲ τοῦ δυνάμει ὄντος ἐντελέχεια,
ὅταν ἐντελεχείᾳ ὂν ἐνεργῇ οὐχ ᾗ αὐτὸ ἀλλ’ ᾗ κινητόν, κίνησίς ἐστιν. λέγω δὲ τὸ ᾗ ὡδί. ἔστι γὰρ
ὁ χαλκὸς δυνάμει ἀνδριάς, ἀλλ’ ὅμως οὐχ ἡ τοῦ χαλκοῦ ἐντελέχεια, ᾗ χαλκός, κίνησίς ἐστιν.
158 (1) Phys. Γ2, 201b31–32: [. . .] ἥ τε κίνησις ἐνέργεια μὲν εἶναί τις δοκεῖ, ἀτελὴς δέ. (2) Me-
taph. Θ6, 1048b29–30: πᾶσα γὰρ κίνησις ἀτελής, ἰσχνασία μάθησις βάδισις οἰκοδόμησις· αὗται
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 125

die die Zielsetzung und die unvollständige Zielerreichung umfasst. Die Unvoll-
ständigkeit der Veränderung ist auf das mögliche Seiende zurückzuführen (αἴ-
τιον δ’ ὅτι ἀτελὲς τὸ δυνατόν, οὗ ἐστιν ἐνέργεια – Phys. Γ2, 201b32–33), das im
Laufe der Veränderung mit vorhanden sein muss. Darum besteht die erste Defi-
nition der Veränderung aus beiden unentbehrlichen Momenten, nämlich Zielset-
zung und unvollständiger Zielerreichung.159 Genauer gesagt: Einerseits hebt das
Ins-Ziel-Setzen (ἐν-τελέχεια) den teleologischen Charakter der natürlichen Ent-
stehung und Bewegung hervor. Andererseits weist das mögliche Seiende als sol-
ches (δύνατον ᾗ τοιοῦτον) auf die Unvollständigkeit der empirischen
Veränderung hin (ἀ-τελής).
Die Veränderung als ständig vorantreibender Prozess ist zwar unvollendet,
geht aber irgendwann zu Ende. Die Veränderung muss nicht nur beendet werden,
sondern auch einen Anfang nehmen. Die Antriebskraft, die die Veränderung in
Gang bringt, lässt den Prozess anfangen (αἴτιον ποιητικόν→ἀρχή) und in der Ziel-
erreichung geht die Veränderung zu Ende (τέλος→τελευτή). Die Veränderung,
die sowohl Anfang als auch Ende hat, ist weder der Anfang noch das Ende,160
sondern der Durchlauf vom Anfang zum Ende (ἀρχή→τελευτή), denn bei dem
einen fängt die Veränderung noch nicht an und bei dem anderen ergibt sich die
Veränderung nicht mehr. Des Weiteren ist die Form am Anfang abwesend, priva-
tiv seiend und existiert in der Möglichkeit (ἀρχή-ἀπουσία-στέρησις-τὸ δυνάμει ὄν)
und am Ende ist sie anwesend, vollständig vorhanden und vollendet sich zum
Werk (τελευτή-παρουσία-ἕξις-τὸ ἐνεργείᾳ ὄν = ἔργον). Da die Veränderung als
Prozess zwischen Anfang und Ende stattfindet, wird sie als Übergang bezeichnet,
in dem die Form von der Abwesenheit zur Anwesenheit (ἀπουσία→παρουσία),

δὴ κινήσεις, καὶ ἀτελεῖς γε. (3) Simplicii In Physicorum 434.25–30: ἀλλ’ εἰ μήτε ἐν δυνάμει μήτε
ἐνεργείᾳ, πῶς ἐνέργεια λέγεται ἡ κίνησις; ἢ οὐχ ἁπλῶς ἐνέργεια, ἀλλ’ ἐνέργεια ἀτελής, οὐχ ὡς
μεταβολὴ ἀτελής, ἀλλ’ ἐντελέχεια ἀτελὴς καὶ εἶδος ἀτελές. διαφέρει δὲ ἡ κίνησις τοῦ τε ἐνερ-
γείᾳ καὶ τῆς τελείας ἐνεργείας, ὅτι ἐπὶ μὲν τούτων ἔφθαρται τὸ δυνάμει, ἐπὶ δὲ τῆς κινήσεως
μένοντος τοῦ δυνάμει ἡ τῆς κινήσεως ἐνέργεια ἐπιτελεῖται. ἀλλ’ ἐπὶ τὰ ἑξῆς ἰτέον.
159 Wenn mit der Definition die dihairetische Definition gemeint ist, kann die Veränderung
streng genommen nicht definiert, sondern nur beschrieben werden. Die Veränderung kann
deshalb nicht durch die Dihairese wesentlich determiniert werden, weil es keine andere Gat-
tung gibt, die der Veränderung übergeordnet ist. Was diese beschreibende Bestimmung be-
sagt, ist der Zustandswechsel der Form. Die materiale Grundlage, die der Veränderung
zugrunde liegt, wird nicht in der ersten „Definition“ erwähnt. Da der konkrete Stoff real vor-
liegt, entzieht er sich dem Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit.
160 Metaph. K9, 1065b20–21; Phys. Γ1, 201b5–7 = Metaph. K9, 1065b34–35: ὅτι μὲν οὖν ἐστιν
αὕτη [κίνησις], καὶ ὅτι συμβαίνει τότε κινεῖσθαι ὅταν ἡ ἐντελέχεια ᾖ αὐτή [κίνησις], καὶ οὔτε
πρότερον οὔτε ὕστερον, δῆλον.
126 2 Zweite Philosophie (Physik)

von der Privation zur Vollendung (στέρησις→ἕξις) oder von der Potentialität zur
Aktualität übergeht (τὸ δυνάμει ὄν→τὸ ἐνεργείᾳ ὄν).161 Mit dieser Bestimmung
lässt sich der prozessuale Charakter der Veränderung schematisch so aufzeigen
(Abb. 5):

Abb. 5: Prozessualität der Veränderung.

Indem die Veränderung als Übergang vom Möglichsein zum Wirklichsein be-
stimmt ist, tritt die Prozessualität in den Vordergrund. Eine zweite Definition ist
deswegen hinzuzufügen, weil die Substantialität der Veränderung aus der dy-
namischen Perspektive betrachtet und betont wird.

ἔτι δὲ γνωριμώτερον, ἡ τοῦ δυνάμει ποιητικοῦ καὶ παθητικοῦ [ἐντελέχεια], ᾗ τοιοῦτον. –


Phys. Γ3, 202b26–27

Demnach ist die Veränderung die Verwirklichung des Machenkönnenden und des
Erleidenkönnenden als solchen. Im Allgemeinen ist die Veränderung aus der
Form und dem Zugrundeliegenden konstituiert (εἶδος-ὑποκείμενον). Dynamisch
gesehen gilt die Form als Bewegendes (εἶδος = κινοῦν) und das Zugrundeliegende
als Bewegtes (ὑποκείμενον = κινητόν). Kraft des aktiven Vermögens kann die Form
aktiv wirken und wegen der Passivität muss auf das Zugrundeliegende eingewirkt
werden. Die Privation kommt nur dann ins Spiel, wenn sich die Form nicht aktua-
lisiert und lediglich möglicherweise existiert. In diesem Fall wird die Form
nicht zum tatsächlichen Bewegenden, sondern zum Bewegenkönnenden gezählt
(στέρησις = κινητικόν), da sich die Form zwar bewegen kann, die aktive Fähigkeit

161 (1) Metaph. Λ2, 1069b14–20: ἀνάγκη δὴ μεταβάλλειν τὴν ὕλην δυναμένην ἄμφω· ἐπεὶ δὲ
διττὸν τὸ ὄν, μεταβάλλει πᾶν ἐκ τοῦ δυνάμει ὄντος εἰς τὸ ἐνεργείᾳ ὄν (οἷον ἐκ λευκοῦ δυνάμει
εἰς τὸ ἐνεργείᾳ λευκόν, ὁμοίως δὲ καὶ ἐπ’ αὐξήσεως καὶ φθίσεως), ὥστε οὐ μόνον κατὰ συμβε-
βηκὸς ἐνδέχεται γίγνεσθαι ἐκ μὴ ὄντος, ἀλλὰ καὶ ἐξ ὄντος γίγνεται πάντα, δυνάμει μέντοι
ὄντος, ἐκ μὴ ὄντος δὲ ἐνεργείᾳ. (2) Simplicii In Physicorum 432.15–19: εἰ δὲ τοιαύτη τίς ἐστιν ἡ
κίνησις, καλῶς ὁ Ἀριστοτέλης οὐκ ἐν τοῖς γένεσιν αὐτὴν ἔθετο τοῦ ὄντος, ὥσπερ ὁ Πλωτῖνος.
τὰ γὰρ γένη καὶ αἱ κατηγορίαι τελείων εἰσὶ καὶ ὡρισμένων, ἡ δὲ κίνησις ἐν πᾶσι θεωρεῖται τοῖς
γένεσι, κατὰ τὴν ἀπὸ τοῦ δυνάμει εἰς τὸ ἐνεργείᾳ μεταβολήν.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 127

aber nicht in die Wirklichkeit bringt. Indem die dynamischen Funktionen hervor-
zuheben sind, sieht die Struktur der Bewegung folgendermaßen aus (Abb. 6):

Abb. 6: Substantialität der Veränderung.

Auf der vertikalen Seite besteht die Bewegung aus zwei dynamischen Momen-
ten, nämlich Machen und Erleiden (ποιεῖν-πάσχειν) bzw. Bewegen und Bewegt-
werden (κινεῖν-κινεῖσθαι). Auf der horizontalen Seite kommt das aktive
Bewegen zwiefältig zum Vorschein, und zwar entweder als Bewegenkönnendes
oder als wirklich Bewegendes (κινητικὸν μὲν γάρ ἐστιν τῷ δύνασθαι, κινοῦν δὲ
τῷ ἐνεργεῖν – Phys. Γ3, 202a16–17). Die Aktivität der Form hindert nicht, dass
die Form in der Möglichkeit existiert, falls sie sich nicht aktualisiert. Demzu-
folge wird die Prozessualität der Bewegung dadurch zur Schau gestellt, dass
das Bewegenkönnende in seine vollständige Verwirklichung übergeht (κινητι-
κόν→κινοῦν). Die Substantialität der Bewegung, die ursprünglich in der Zusam-
menfügung von Form und Zugrundeliegendem gründet (εἶδος-ὑποκείμενον),
zeigt sich in den dynamischen Funktionen. Indem die Form mit dem aktiven
Bewegenden und das Zugrundeliegende mit dem passiven Bewegten gleichge-
setzt werden, ist die Bewegung durch das Zusammenwirken von Bewegendem
und Bewegtem gekennzeichnet (κινοῦν-κινητόν). Die Bewegung lässt sich inso-
fern anhand der zweiten Definition besser zur Kenntnis nehmen (γνωριμώτερον),
als Aristoteles nicht nur die Prozessualität, sondern auch die Substantialität aus-
drücklich macht, und zwar im Hinblick auf die dynamische Funktion der Form
und des Zugrundeliegenden. Wenn die aktive Form und das passive Zugrundelie-
gende gleichzeitig aufeinander wirken, ergibt sich die Bewegung. So ist die Be-
wegung als ein und dieselbe Verwirklichung von Bewegendem und Bewegtem
bestimmt (Phys. Γ3, 202a13–21, 202b19–22).
Des Weiteren zeigt sich, dass die Form nicht mit dem Zugrundeliegenden
identifiziert werden kann, wenn das Machen und das Erleiden nicht vereinigt
sind. In der menschlichen Herstellung und Handlung fallen das Bewirkende und
das Bewirkte auseinander, wie Gestalt-Erz oder Gesundheit-Körper. Im Gegensatz
128 2 Zweite Philosophie (Physik)

dazu fällt in der natürlichen Entstehung das Machende mit dem Leidenden,162
das Bewegende mit dem Bewegten,163 und die Form mit dem Zugrundeliegenden
zusammen.164 Die mögliche Form und das wirkliche Substrat sind deswegen ver-
schmolzen, weil sie von Natur aus zusammengewachsen sind. Erst anhand der
ontologischen Analyse ist einzusehen, dass sich das einzelne Lebewesen in ein
aktiv Bewegendes und ein passiv Bewegtes zerlegen lässt.165 Indem sich das Na-
turseiende aktiv auswirkt und gleichzeitig die eigene Auswirkung als Einwirkung
erfährt, setzt das Naturseiende sich selbst in Bewegung. Das natürliche Seiende
wird dadurch von dem Artefakt abgesondert, dass die Ursache der Bewegung
und der Ruhe sowie das Prinzip der Verwirklichung und der Vollendung in ihm
selbst enthalten sind, und zwar nicht per accidens sondern per se.166 Aufgrund
dessen ist die natürliche Veränderung nichts anderes als die zweckmäßige Aktu-
alisierung ihrer selbst.

διὸ ἡ κίνησις ἐντελέχεια τοῦ κινητοῦ ᾗ κινητόν, συμβαίνει δὲ τοῦτο θίξει τοῦ κινητικοῦ,
ὥσθ' ἅμα καὶ πάσχει. – Phys. Γ2, 202a7–9

Die Naturbewegung wird als die Verwirklichung des passiven Bewegten als sol-
chen definiert. Die dritte Definition betrifft nur die natürliche Veränderung, da
das Naturseiende wirkt und gleichzeitig bewirkt wird. Obwohl bei der natürli-
chen Veränderung das aktive Bewegende (ὑπὸ τοῦ κινητικοῦ – Phys. Γ3,
202a14–15, 202b21–22), das die Veränderung in Gang bringen kann, und das pas-
sive Bewegte, das zugrunde gelegt werden muss, zusammenfallen, ergibt sich

162 Phys. Γ2, 202a5–7: τὸ γὰρ πρὸς τοῦτο ἐνεργεῖν, ᾗ τοιοῦτον, αὐτὸ τὸ κινεῖν ἐστι· τοῦτο δὲ
ποιεῖ θίξει, ὥστε ἅμα καὶ πάσχει.
163 Phys. Γ1, 201a23–25: ὥστε καὶ τὸ κινοῦν φυσικῶς κινητόν· πᾶν γὰρ τὸ τοιοῦτον κινεῖ κινο-
ύμενον καὶ αὐτό.
164 (1) Phys. B1, 192b32–34: φύσιν δὲ ἔχει ὅσα τοιαύτην ἔχει ἀρχήν. καὶ ἔστιν πάντα ταῦτα
οὐσία· ὑποκείμενον γάρ τι, καὶ ἐν ὑποκειμένῳ ἐστὶν ἡ φύσις ἀεί. (2) Metaph. Z8, 1034a2–5:
ὥστε φανερὸν ὅτι οὐθὲν δεῖ ὡς παράδειγμα εἶδος κατασκευάζειν [. . .], ἀλλὰ ἱκανὸν τὸ γεννῶν
ποιῆσαι καὶ τοῦ εἴδους αἴτιον εἶναι ἐν τῇ ὕλῃ.
165 Phys. Θ4, 255a12–18: ἔτι πῶς ἐνδέχεται συνεχές τι καὶ συμφυὲς αὐτὸ ἑαυτὸ κινεῖν; ᾗ γὰρ
ἓν καὶ συνεχὲς μὴ ἁφῇ, ταύτῃ ἀπαθές· ἀλλ’ ᾗ κεχώρισται, ταύτῃ τὸ μὲν πέφυκε ποιεῖν τὸ δὲ
πάσχειν. οὔτ’ ἄρα τούτων οὐθὲν αὐτὸ ἑαυτὸ κινεῖ (συμφυῆ γάρ), οὔτ’ ἄλλο συνεχὲς οὐδέν, ἀλλ’
ἀνάγκη διῃρῆσθαι τὸ κινοῦν ἐν ἑκάστῳ πρὸς τὸ κινούμενον, οἷον ἐπὶ τῶν ἀψύχων ὁρῶμεν,
ὅταν κινῇ τι τῶν ἐμψύχων.
166 (1) Phys. B1, 192b13–15, 20–23: τούτων μὲν γὰρ ἕκαστον ἐν ἑαυτῷ ἀρχὴν ἔχει κινήσεως καὶ
στάσεως, τὰ μὲν κατὰ τόπον, τὰ δὲ κατ’ αὔξησιν καὶ φθίσιν, τὰ δὲ κατ’ ἀλλοίωσιν· [. . .], ὡς
οὔσης τῆς φύσεως ἀρχῆς τινὸς καὶ αἰτίας τοῦ κινεῖσθαι καὶ ἠρεμεῖν ἐν ᾧ ὑπάρχει πρώτως καθ’
αὑτὸ καὶ μὴ κατὰ συμβεβηκός. (2) Phys. Θ4, 255a24–26: καὶ κινητὸν δ’ ὡσαύτως φύσει τὸ δυνά-
μει ποιὸν ἢ ποσὸν ἢ πού, ὅταν ἔχῃ τὴν ἀρχὴν τὴν τοιαύτην ἐν αὑτῷ καὶ μὴ κατὰ συμβεβηκός.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 129

der natürliche Umschlag im Bewegten (ἐν τῷ κινητῷ).167 Wegen der inneren Ent-
zweiung des einzelnen Naturseienden scheint das passive Bewegte gegenüber
dem aktiven Bewegenden ein anderes (ᾗ ἄλλο) zu sein.168 In der dritten
Definition ist die Bewegung als unvollständige Verwirklichung des Bewegten be-
stimmt, um die Passivität hervorzuheben. Das Charakteristikum der Passivität
bei der natürlichen Veränderung hängt mit der Materie zusammen, die von
einem äußerlichen oder innerlichen anderen bewegt werden muss. Da alles Ver-
änderliche in der Natur mit dem materialen Substrat behaftet ist, vollzieht sich
die natürliche Veränderung im passiven Bewegten (κινητόν/κινούμενον).
Der Materialität und der Passivität zufolge wird die Veränderung als unvoll-
ständige Verwirklichung des Bewegten bestimmt. Aufgrund der strukturellen
Ähnlichkeit durchdringt die allgemeine Definition alle Typen der Veränderung.169
In erster Linie betrifft sie die drei Arten der akzidentellen Veränderung, nämlich
die qualitative und die quantitative Veränderung sowie die räumliche Bewegung.

οἷον [ἡ ἐντελέχεια] τοῦ μὲν ἀλλοιωτοῦ ᾗ ἀλλοιωτόν, ἀλλοίωσις; τοῦ δὲ αὐξητοῦ καὶ τοῦ
ἀντικειμένου φθιτοῦ (οὐδὲν γὰρ ὄνομα κοινὸν ἐπ' ἀμφοῖν) αὔξησις καὶ φθίσις; τοῦ δὲ γε-
νητοῦ καὶ φθαρτοῦ γένεσις καὶ φθορά; τοῦ δὲ φορητοῦ φορά. – Phys. Γ1, 201a11–15

167 (1) Phys. Γ3, 202a13–14: Καὶ τὸ ἀπορούμενον δὲ φανερόν, ὅτι ἐστὶν ἡ κίνησις ἐν τῷ κινητῷ. (2)
Phys. E1, 224b4–5: ἡ δὴ κίνησις δῆλον ὅτι ἐν τῷ ξύλῳ, οὐκ ἐν τῷ εἴδει. (3) Phys. E1, 224b25–26:
[. . .] καὶ ὅτι ἡ κίνησις οὐκ ἐν τῷ εἴδει ἀλλ’ ἐν τῷ κινουμένῳ καὶ κινητῷ κατ’ ἐνέργειαν.
168 Metaph. Θ1, 1046a9–13; Δ12, 1019a15–20. Obwohl das Bewegende und das Bewegte, näm-
lich die Form und das Zugrundeliegende, aufeinander wirken, sind das Machen und das Erlei-
den beim Naturseienden sachlich untrennbar und ontologisch auch schwierig zu unterscheiden.
Daher lässt sich der Sonderfall, dass ein kranker Arzt sich selbst heilt, in die Erörterung über die
natürliche Entstehung einführen, um das Zusammen- und das Auseinanderfallen von Machen-
dem und Erleidendem zu verdeutlichen. Während der behandelnde Arzt und der behandelte Pa-
tient zufällig zur Deckung kommen, fallen beim Lebewesen die bewegende Form und das
bewegte Substrat notwendig zusammen.
169 Phys. Γ3, 202b23–29: τί μὲν οὖν ἐστιν κίνησις εἴρηται καὶ καθόλου καὶ κατὰ μέρος· οὐ γὰρ ἄδη-
λον πῶς ὁρισθήσεται τῶν εἰδῶν ἕκαστον αὐτῆς· ἀλλοίωσις μὲν γὰρ ἡ τοῦ ἀλλοιωτοῦ, ᾗ ἀλλοιωτόν,
ἐντελέχεια. ἔτι δὲ γνωριμώτερον, ἡ τοῦ δυνάμει ποιητικοῦ καὶ παθητικοῦ, ᾗ τοιοῦτον, ἁπλῶς τε
καὶ πάλιν καθ’ ἕκαστον, ἢ οἰκοδόμησις ἢ ἰάτρευσις. τὸν αὐτὸν δὲ λεχθήσεται τρόπον καὶ περὶ τῶν
ἄλλων κινήσεων ἑκάστης. Das Begriffspaar καθόλου-κατὰ μέρος oder ἁπλῶς-καθ’ ἕκαστον als ter-
minus technicus bezeichnet Allgemeinheit-Einzelheit. Wie Simplicius sorgfältig bemerkt hat, sollte
mit dem Ausdruck „καθ’ ἕκαστον“ nicht die numerische Einzelheit, sondern die einzelne Art ge-
meint sein (Ἀποδοὺς δὲ καὶ τὸν τρίτον ὅρον ἀξιοῖ καὶ ἀπὸ τούτου τὰς κατὰ μέρος κινήσεις ὑπο-
γράφειν, ἃς καθ’ ἕκαστον οὐ κυρίως ἐκάλεσεν. οὐ γὰρ περὶ τῆς μιᾶς κατ’ ἀριθμὸν λέγει, ἀλλὰ περὶ
τῶν κατ’ εἶδος διαφερουσῶν – Simplicii In Physicorum 450.27–29). Aber in diesem Kontext ergibt
sich deshalb keine begriffliche Verwirrung, weil Aristoteles offensichtlich darauf hinweist, dass
unter dem ἕκαστον die einzelne Art zu verstehen sei (οὐ γὰρ ἄδηλον πῶς ὁρισθήσεται τῶν εἰδῶν
ἕκαστον αὐτῆς – Phys. Γ3, 202b24–25). Außerdem kommt die Bewegungsdefinition, die für jede
Art der Bewegung gilt, für alle einzelnen Fälle der jeweiligen Art auch zur Geltung.
130 2 Zweite Philosophie (Physik)

Das natürliche Anderswerden ist die unvollständige Aktualisierung dessen, was


qualitativ, d. h. der Eigenschaft nach, verändert werden kann. Das Wachsen und
dessen Gegenteil, das Schwinden, lassen sich als Aktualisierung desjenigen anse-
hen, das aufgewachsen und geschwunden sein kann. Da die Pflanzen reif und die
Menschen älter werden, gehören das Reifen und das Altern zum natürlichen
Wachstum (ἅδρυνσις-γήρανσις – Phys. Γ1, 201a19; Metaph. K9, 1065b20). Die Orts-
bewegung ist der Prozess, in dem das räumliche Bewegbare zum Zielort fortschrei-
tet, ohne dorthin zu gelangen. Sie bezieht sich nicht nur auf die geradlinige
Bewegung, z. B. das Laufen oder das Springen, sondern schließt auch die kreisför-
mige Bewegung ein, wie das Umwälzen (βάδισις/ἅλσις-κύλισις – Phys. Γ1,
201a18–19; Metaph. K9, 1065b19–20).
Außerdem ist die allgemeine Definition für die substanzielle Veränderung
gültig:

[ἡ ἐντελέχεια] τοῦ δὲ γενητοῦ καὶ φθαρτοῦ γένεσις καὶ φθορά. – Phys. Γ1, 201a14–15

Das natürliche Entstehen und Vergehen ist die Selbstaktualisierung des Seien-
den, das von sich aus entstanden und vergänglich sein kann. Des Weiteren
kann sich die allgemeine Definition, die ursprünglich für die natürliche Bewe-
gung und Entstehung gilt, auf die menschliche Herstellung erstrecken.

οἷον τὸ οἰκοδομητόν, καὶ ἡ τοῦ οἰκοδομητοῦ ἐνέργεια, ᾗ οἰκοδομητόν, οἰκοδόμησίς


ἐστιν. – Phys. Γ1, 201b8–10 (Phys. Γ1, 201a16–18; Metaph. K9, 1065b17–19)

Demzufolge bezeichnet das Hausbauen nichts anderes als die unvollständige


Verwirklichung des Baustoffs, der zu einem Haus gemacht werden kann. Darü-
ber hinaus kann die allgemeine Definition der Veränderung insofern auf die
menschliche Handlung übertragen werden, als das Heilen und das Lernen im
weiteren Sinne zur qualitativen Veränderung gehören (ὁμοίως δὲ καὶ μάθησις καὶ
ἰάτρευσις).170 Analog dazu, dass das Weiße und das Schwarze in der Fläche ab-
wechseln, wandeln sich am Körper das Kalte-Warme bzw. die Krankheit-
Gesundheit um, in der Seele aber die Unwissenheit-Erkenntnis. Nach Aristoteles’
Verständnis kann die Gesundheit nicht von außen hinzugefügt werden, sondern
die innere Möglichkeit des Körpers, gesund zu sein, wird durch das Heilen ver-
wirklicht. Beim Lernen kann man ebenfalls nicht die äußerlichen mannigfaltigen
Erkenntnisse verinnerlichen, sondern man erinnert sich daran, was in der Seele

170 (1) Phys. Γ1, 201a18; Metaph. K9, 1065b19. (2) Simplicii In Physicorum 417.22–24: ἐπιστῆσαι
δὲ ἄξιον, ὅτι τὰ ἐκτεθέντα παραδείγματα τῶν εἰδῶν ἐστι τῆς κινήσεως μάθησις μὲν καὶ ἰάτρευ-
σις ἀλλοίωσίς τις, ἡ μὲν περὶ ψυχὴν ἡ δὲ περὶ σῶμα.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 131

nur noch als Mögliches vorhanden ist. Darum vollzieht sich das Lernen als see-
lische Tätigkeit, wenn das Erkennbare tatsächlich zur Kenntnis genommen wird.
Die Definition der Veränderung kommt dadurch universal zur Geltung,
dass sie sowohl die natürliche Bewegung (κίνησις) und Entstehung (γένεσις)
als auch die menschliche Herstellung (ποίησις) und Handlung (πρᾶξις) umfasst.
Aristoteles bestimmt die Veränderung aus beiden Perspektiven: Zum einen ist
die Veränderung dadurch prozessual zu determinieren, dass die Form von
der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergeht (δυνάμει-ἐνεργείᾳ). Zum anderen
lässt sich die Substantialität dynamisch aufzeigen, indem die Form wirkt und
das Zugrundeliegende bewirkt wird (ποιεῖν-πάσχειν). Das Möglichsein und das
Wirklichsein bilden insofern einen horizontalen Gegensatz, als das eine am An-
fang und das andere am Ende der Veränderung steht. Die Veränderung als den
Durchlauf vom Anfang zum Ende, d. h. den Übergang vom Möglichsein zum
Wirklichsein, zu bezeichnen, weist darauf hin, dass die Veränderung bzw. die
Bewegung sukzessiv fortschreitet (ἐφεξῆς).171 Die Form und das Zugrundelie-
gende stellen einen vertikalen Gegensatz auf, indem die eine als aktives Bewe-
gendes und das andere als passives Bewegtes aufeinander wirken. Beim
einzelnen Naturseienden sind das Bewegende und das Bewegte zwar anhand
der verschiedenen Funktionen unterscheidbar, die beiden Momente aber wer-
den ursprünglich zusammengehalten (συνεχές).172 Die Prozessualität und die
Substantialität der Veränderung kommen dadurch zur Entfaltung, dass die eine
als horizontaler Gegensatz und die andere als vertikaler Gegensatz aufgestellt
wird. Aus der Zusammenfügung beider Gegensätze resultiert eine Kreuzstruk-
tur, die für die aristotelische Theorie der Bewegung charakteristisch ist. Dem-
nach entfaltet sich die Veränderung als sukzessiver Prozess (ἐφεξῆς) des
Zusammenwirkens (συνεχές) von Bewegendem und Bewegtem. Beim Klavier-
spielen z. B. vollzieht sich die Musik von der möglichen Melodie zum wirklichen
Kunstwerk nur dann, wenn der spielende Musiker und das gespielte Klavier

171 (1) Phys. E3, 226b34–227a4: ἐφεξῆς δὲ οὗ μετὰ τὴν ἀρχὴν ὄντος ἢ θέσει ἢ εἴδει ἢ ἄλλῳ τινὶ
οὕτως ἀφορισθέντος μηδὲν μεταξύ ἐστι τῶν ἐν ταὐτῷ γένει καὶ οὗ ἐφεξῆς ἐστιν (λέγω δ’ οἷον
γραμμὴ γραμμῆς ἢ γραμμαί, ἢ μονάδος μονὰς ἢ μονάδες, ἢ οἰκίας οἰκία· ἄλλο δ’ οὐδὲν κωλύει
μεταξὺ εἶναι). τὸ γὰρ ἐφεξῆς τινὶ ἐφεξῆς καὶ ὕστερόν τι. (2) Phys. Θ6, 259a19–20: εἰ γὰρ ἄλλο
καὶ ἄλλο κινήσει, οὐ συνεχὴς ἡ ὅλη κίνησις, ἀλλ’ ἐφεξῆς.
172 (1) Phys. E3, 227a10–13: τὸ δὲ συνεχὲς ἔστι μὲν ὅπερ ἐχόμενόν τι, λέγω δ’ εἶναι συνεχὲς
ὅταν ταὐτὸ γένηται καὶ ἓν τὸ ἑκατέρου πέρας οἷς ἅπτονται, καὶ ὥσπερ σημαίνει τοὔνομα, συ-
νέχηται. τοῦτο δ’ οὐχ οἷόν τε δυοῖν ὄντοιν εἶναι τοῖν ἐσχάτοιν. (2) Phys. Θ6, 259a17–19: ἀλλὰ
μὴν εἴ γε συνεχής, μία. μία δ’ ἡ ὑφ’ ἑνός τε τοῦ κινοῦντος καὶ ἑνὸς τοῦ κινουμένου. Unter dem
συνεχές ist das Zusammenhalten von Bewegendem und Bewegtem zu verstehen, unter dem
ἐφεξῆς aber die Kontinuität.
132 2 Zweite Philosophie (Physik)

gleichzeitig und kontinuierlich zusammenwirken. In der Ortsbewegung sind so-


wohl die horizontale Dimension als auch die vertikale Zusammenfügung einzu-
sehen. Sokrates kann sich von zu Hause zum Marktplatz bewegen, indem seine
Füße und der Boden kontinuierlich aufeinander wirken.
Trotz des sachlichen Unterschieds können die natürliche Veränderung, die
menschliche Herstellung und Handlung insofern einheitlich definiert werden, als
die analogische Struktur, d. h. die Kreuzgestalt, alle Arten der Veränderung durch-
dringt. In der natürlichen Bewegung und Entstehung fallen das Bewegenkön-
nende und das Bewegte zusammen (κινητικόν = κινητόν), in der menschlichen
Herstellung und Handlung aber auseinander (κινητικόν ≠ κινητόν). Während die
technische und die praktische Tätigkeit der Menschen die Kreuzstruktur am offen-
sichtlichsten aufweisen, ist der vertikale Gegensatz in der natürlichen Verände-
rung verborgen. Denn das Bewegenkönnende und das Bewegte, die die mögliche
Form und das wirkliche Zugrundeliegende in dynamischer Funktion darstellen,
sind beim Naturseienden zwar ontologisch differenziert, sachlich aber verein-
igt. Jedoch haben die natürliche Veränderung und die menschliche Tätigkeit
an der horizontalen Dimension teil. Indem der Akzent auf die Prozessualität
gelegt wird, sind die Physis, die Techne und die Praxis gemeinsam als Durch-
lauf vom Möglichsein zum Wirklichsein bestimmt. Dynamisch gesehen ist es
nichts anderes als der Übergang vom Bewegenkönnenden zur vollständigen
Verwirklichung der bewegenden Form (κινητικόν→κινοῦν).
Ähnlich wie in der Natur das Bewegende und das Bewegte vereinigt sind,
verhält sich der Nous derart, dass sich das Denken und das Gedachtwerden mit-
einander decken. Darüber hinaus hebt die geistige Tätigkeit die Prozessualität
auf, die der empirischen Veränderung immanent ist, da sie das innere Ziel un-
mittelbar erreicht. Anders gesagt ist die intelligible Tätigkeit vor der empiri-
schen Veränderung ausgezeichnet, indem sie Prozess und Zustand, Vollzug
und Vollendung, Verwirklichung und Wirklichkeit unmittelbar in Übereinkunft
bringt. Der Unmittelbarkeit zufolge ergeben sich gleichzeitig (ἅμα)173 das Den-
ken und das Gedachthaben, das Überlegen und das Überlegthaben, das Sehen
und das Gesehenhaben. Wenn man gut lebt, dann hat man zur gleichen Zeit
gut gelebt. Wenn man glücklich ist, ist man direkt glücklich gewesen. Die Tätig-
keit, die den inneren Selbstzweck unmittelbar zur Vollkommenheit bringt, wird
als vollständige Verwirklichung bezeichnet (actus perfectus). Im Vergleich dazu

173 Mit dem ἅμα ist ursprünglich „zeitlich“ gemeint (Ἅμα δὲ λέγεται ἁπλῶς μὲν καὶ κυριώτατα
ὧν ἡ γένεσις ἐν τῷ αὐτῷ χρόνῳ· οὐδέτερον γὰρ πρότερον οὐδὲ ὕστερόν ἐστιν ἅμα δὲ κατὰ τὸν
χρόνον ταῦτα λέγεται – Cat. 13, 14b24–26; ἁπλῶς δὲ ἅμα, ὧν ἡ γένεσις ἐν τῷ αὐτῷ χρόνῳ –
Cat. 13, 15a11–12) und im übertragenen Sinne „räumlich“ (ἅμα μὲν οὖν λέγω ταῦτ’ εἶναι κατὰ
τόπον, ὅσα ἐν ἑνὶ τόπῳ ἐστὶ πρώτῳ – Phys. E3, 226b21–22).
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 133

muss die empirische Veränderung zur unvollendeten Verwirklichung gezählt


werden (ἐνέργεια ἀτελής, actus imperfectus), da sowohl die menschliche Her-
stellung und Handlung als auch die natürliche Entstehung und Bewegung die
Prozessualität nicht überwinden können.174 Durch das Bauen, das Heilen und
das Lernen hat man nicht unmittelbar ein Haus gebaut, den Körper gesund ge-
macht und die Erkenntnisse gelernt. Wenn sich Sokrates z. B. aufmacht, von
Theben nach Athen zu fahren, ist er nicht unmittelbar am Zielort, in Athen
angekommen. In der Natur kann es auch nicht geschehen, dass das Einzellebe-
wesen entsteht und gleichzeitig entstanden ist, oder es bewegt wird und unmit-
telbar bewegt worden ist.
Im Allgemeinen sieht Aristoteles die Bewegung als Verwirklichung des Be-
wegten an. Sie ist deswegen unvollendet, weil das passive Vermögen der Materie
und die Potentialität der Form eine wichtige Rolle spielen. Wegen der Passivität
kann der Stoff nicht geprägt und dem zugrundeliegenden Einzelding keine Eigen-
schaft hinzugefügt werden. Trotz der Aktivität ist es immer möglich, dass sich
die substanzielle oder die akzidentelle Form nicht aktualisiert. Die Struktur der
Bewegung lässt sich dadurch als eine Kreuzgestalt darstellen, dass Vermögen-
Verwirklichung die vertikale Zusammenfügung und Möglichkeit-Wirklichkeit den
horizontalen Prozess aufweisen. Dadurch, dass δύναμις-ἐνέργεια alle Typen der
Veränderung kennzeichnet, werden die drei Wissenschaften in Einklang ge-
bracht. Wie in der Einleitung schon erörtert, haben die Physik, die eine theo-
retische Wissenschaft vertritt, die poietische und die praktische Wissenschaft
jeweils die natürliche Veränderung, die technische Herstellung und die prak-
tische Handlung zum Thema. Die analogische Struktur von δύναμις-ἐνέργεια
hat die Möglichkeit anzubieten, dass die Bewegung und die Entstehung der
Naturseienden sowie die Herstellung und die Handlung der Menschen, die
sachlich unterschieden sind, einheitlich zur Entfaltung kommen.
Wenn das Möglichsein und das Wirklichsein angewendet werden, um die Ver-
änderung zu determinieren, kommt die Frage auf, wie die beiden Begriffe definiert
werden können. Stellt man die Frage auf diese Art und Weise, ist das Definitions-
verfahren in den unendlichen Regress geraten.175 Die Grundbegriffe können nicht

174 Metaph. Θ6, 1048b18–36; De An. Γ7, 431a6–7: ἡ γὰρ κίνησις τοῦ ἀτελοῦς ἐνέργεια, ἡ δ’
ἁπλῶς ἐνέργεια ἑτέρα, ἡ τοῦ τετελεσμένου.
175 Thomas Sententia Metaphysicae lib.9 l.5 n.4 [83397]: „Posset enim aliquis quaerere ab eo,
ut ostenderet quid sit actus per definitionem. Sed ipse respondet dicens, quod inducendo in
singularibus per exempla manifestari potest illud quod volumus dicere, scilicet quid est actus,
et non oportet cuiuslibet rei quaerere terminum, idest definitionem. Nam prima simplicia defi-
niri non possunt, cum non sit in definitionibus abire in infinitum. Actus autem est de primis
simplicibus; unde definiri non potest.“
134 2 Zweite Philosophie (Physik)

anhand der Dihairese definiert werden. Da Dynamis und Energeia die verschiede-
nen Gattungen durchdringen, gibt es keine einzige übergeordnete Gattung, derer
die dihairetische Definition bedarf. Statt der allgemein gültigen Definition soll
man auf die konkrete Anwendung eingehen, um die strukturelle Ähnlichkeit zwi-
schen den einzelnen Fällen zusammenzufassen (τὸ ἀνάλογον συνορᾶν).176 Die
Verwendung beider Begriffe ist nicht auf den Bereich der theoretischen Physik
sowie den Bereich der poietischen und der praktischen Wissenschaft beschränkt,
sondern wird auf die apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften, wie Geo-
metrie und Logik, übertragen. Obwohl sich Dynamis und Energeia in mehreren
Seinsbereichen entwickeln, korrespondieren sie jeweils miteinander. Wie sich
beim veränderlichen Seienden das Vermögen zur Verwirklichung verhält (κατὰ
κίνησιν, in rebus mobilibus – Metaph. Θ1, 1046a1–2), so steht in der Geometrie
die Potentialität zur Aktualisierung (ἐν γεωμετρίᾳ, in geometrice – Metaph. Θ1,
1046a6–9; Δ12, 1019b33–35) und in der Logik die Möglichkeit zur Wirklichkeit
(ἄλλον τρόπον, in logice – Metaph. Δ12, 1019b21–33).177 Aufgrund dieser Korres-
pondenz sind Dynamis und Energeia gegenseitig bestimmt.
Zunächst ist davon die Rede, dass die Bewegung und die Handlung gemein-
sam als Verwirklichung des aktiven Vermögens angesehen werden. In der quali-
tativen Veränderung wandelt sich die eine Form, z. B. schwarz, kalt oder krank,
in die andere um, nämlich weiß, warm oder gesund.178 Die menschliche Tätigkeit
wie Wachsein, Sehen oder Denken ist nichts anderes als die Aktualisierung des
aktiven Wach-, Seh- oder Denkvermögens.179 In der Herstellung wird der Schwer-
punkt nicht mehr darauf gelegt, dass der Hersteller seine aktive Fähigkeit zur

176 (1) Metaph. Θ6, 1048a35–37: τὸ δὲ ἐνεργείᾳ. δῆλον δ’ ἐπὶ τῶν καθ’ ἕκαστα τῇ ἐπαγωγῇ ὃ
βουλόμεθα λέγειν, καὶ οὐ δεῖ παντὸς ὅρον ζητεῖν ἀλλὰ καὶ τὸ ἀνάλογον συνορᾶν. (2) Alexan-
der 579.8–14: εἰπὼν δὴ ὅτι < ἔστιν ἐνέργεια τὸ ὑπάρχειν τὸ πρᾶγμα μὴ οὕτως ὥσπερ λέγομεν
δυνάμει > καὶ μὴ ἐνεργεῖν, τὸ δὲ ἐνεργείᾳ ὂν καὶ ἤδη ἐνεργοῦν, λέγει ὅτι δῆλον δέ ἐστιν ὃ
βουλόμεθα ἐνέργειαν λέγειν < ἐπὶ τῶν καθ’ ἕκαστα τῇ ἐπαγωγῇ, καὶ οὐ χρὴ παντὸς πράγματος
ὅρον ζητεῖν· > οὐ γὰρ πάντα τοῖς ὅροις γινώσκομεν, ἐπεὶ μηδὲ πάντων εἰσὶν ὅροι, ὡς δέδεικ-
ται ἐν τῷ Ζ τῆσδε τῆς πραγματείας, ἀλλ’ ἔνια καὶ δι’ ἐπαγωγῆς καὶ δι’ ἀναλογίας συνορῶμεν
καὶ γινώσκομεν. (3) Top. A17, 108a12–14: μάλιστα δ’ ἐν τοῖς πολὺ διεστῶσι γυμνάζεσθαι
δεῖ· ῥᾷον γὰρ ἐπὶ τῶν λοιπῶν δυνησόμεθα τὰ ὅμοια συνορᾶν.
177 Metaph. Δ12, 1019b21–33. Auf eine andere Art und Weise treten das Mögliche und das Un-
mögliche auf (τὰ δὲ ἄλλον τρόπον, οἷον δυνατόν τε καὶ ἀδύνατον – 1019b22–23), und zwar in
der Form von Möglichkeit und Unmöglichkeit. Damit ist die logische Anwendung von δυνατόν
gemeint.
178 Schwarz-weiß – Phys. Γ1, 201a5–6; kalt-warm – Phys. Θ4, 255b6–7, Metaph. Λ4,
1070b10–15; krank-gesund – Metaph. Λ4, 1070b26–28.
179 Schlafen-Wachen – Metaph. Θ6, 1048b1–2, Λ9, 1074b17–18; Nichtsehen-Sehen – Metaph.
Θ6, 1048b2; Nichtdenken-Denken – Metaph. Θ6, 1048a34–35, Phys. Θ4, 255b1–5; De An. B1,
412a23–26.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 135

Entfaltung bringt. Es geht stattdessen darum, wie das passive Vermögen der Ma-
terie verwirklicht wird, aus der das Artefakt entstanden ist. Wie sich das Passiv-
vermögen zur Verwirklichung verhält, so verhält sich der Stoff zur Wirk- bzw. zur
Formursache, und zwar wie z. B. der Baustoff zum Hausherren, das Holz zur Her-
mes-Statue oder der unbearbeitete Rohstoff zum angefertigten Artefakt.180 Mit
der technischen Herstellung hat die natürliche Entstehung gemeinsam, dass die
Aktualisierung des passiven Vermögens in den Vordergrund rückt. Die Eigentüm-
lichkeit der Naturentstehung liegt allerdings darin, dass die Formursache als Ak-
tualität, die Wirkursache als Aktualisierung und die Zielursache als Aktuelles im
einzelnen Naturseienden per se vereinigt sind (ἔρχεται δὲ τὰ τρία εἰς τὸ ἓν πολλά-
κις – Phys. B7, 198a24–27). Demzufolge werden die drei formalen Prinzipien von
demselben Begriff „ἐνέργεια“ zusammengefasst, und das materiale Prinzip ist
durch das Passivvermögen (ἡ γὰρ οὐσία ὕλη καὶ δύναμις οὖσα – Metaph. Θ8,
1050b27–28) gekennzeichnet. Darüber hinaus sind das formale und das materiale
Prinzip beim Naturseienden verschmolzen, da sie von Natur aus zusammenge-
wachsen sind. In der Naturentstehung verhält sich die aktive Verwirklichung zur
passiven Fähigkeit ebenso, wie die Naturart zur Materie. In der Tat ist die Natur-
art von der Materie untrennbar und nur in Gedanken kann sie von der Materie
abgesondert werden (τὸ ἀποκεκριμένον ἐκ τῆς ὕλης πρὸς τὴν ὕλην – Metaph.
Θ6, 1048b2–3; Z7, 1032b11–12). Abgesehen vom Unterschied zwischen der Ver-
wirklichung des aktiven Vermögens und der des passiven Vermögens können Be-
wegung, Handlung, Herstellung und Naturentstehung gemeinsam als Prozess
bestimmt sein, in dem die bestimmte Form, nämlich die akzidentelle Eigenschaft,
die körperliche Affektion, die technische Gestalt oder die natürliche Art, aus
der Möglichkeit hervorgeht und in die Wirklichkeit eintritt.
Dieselbe Struktur, dass das Formale von der Möglichkeit in die Wirklichkeit
übergeht (ἔκ τινος εἴς τι), ist in der Geometrie zu finden. Dabei wird das Möglich-
sein-Wirklichsein nicht im wahrhaften, sondern im übertragenen Sinne (κατὰ με-
ταφορὰν) verwendet.181 Denn die ursprüngliche Anwendung dieser beiden
Begriffe nimmt die Veränderung zur Voraussetzung, die mathematischen

180 Holz-Hermes-Statue – Metaph. Θ6, 1048a32–33; Baustoff-Hausherr – Metaph. Θ6,


1048a37–1048b1; Unbearbeitetes-Bearbeitetes – Metaph. Θ6, 1048b3–4.
181 (1) Metaph. Δ12, 1019b33–35: κατὰ μεταφορὰν δὲ ἡ ἐν γεωμετρίᾳ λέγεται δύναμις. ταῦτα
μὲν οὖν τὰ δυνατὰ οὐ κατὰ δύναμιν. (2) Metaph. Θ1, 1046a6–9: τούτων δ’ ὅσαι μὲν ὁμωνύμως
λέγονται δυνάμεις ἀφείσθωσαν. ἔνιαι γὰρ ὁμοιότητί τινι λέγονται, καθάπερ ἐν γεωμετρίᾳ καὶ
δυνατὰ καὶ ἀδύνατα λέγομεν τῷ εἶναί πως ἢ μὴ εἶναι. (3) Alexander 394.34–37: ἐπεὶ δὲ λέγεταί
τις καὶ ἐν γεωμετρίᾳ δύναμις (τὰ γὰρ τετράγωνα δυνάμεις καλοῦσιν· ὃ γὰρ δύναται ἡ πλευρά,
τοῦτο δύναμις, ἑκάστη δὲ δύναται τὸ ἀπ’ αὐτῆς τετράγωνον), κατὰ μεταφορὰν δή φησι καὶ οὐ
κυρίως λέγεσθαι δύναμιν τὸ ἐν γεωμετρίᾳ.
136 2 Zweite Philosophie (Physik)

Entitäten aber sind weder veränderlich noch beweglich. Nicht die geometrische
Figur bewegt sich vom potentiellen Zustand zum aktuellen, sondern die geistige
Tätigkeit bringt das, was in der mathematischen Entität möglicherweise vorhanden
ist, in die Wirklichkeit (αἴτιον δὲ ὅτι ἡ νόησις ἐνέργεια).182 Daraus ergibt sich die
strukturelle Ähnlichkeit zwischen der technischen Herstellung und der gedankli-
chen Tätigkeit. Wie die Hermes-Gestalt, die im Holz potentiell vorliegt, vom Hand-
werker zustande gebracht wird, ist die Linienhälfte, die sich möglicherweise in
einer ganzen Linie befindet, durch die Teilungsaktion zu verwirklichen (Metaph.
Θ6, 1048a32–33). Per definitionem ist die Winkelsumme des Dreiecks zwei rechten
Winkeln gleich und im Halbkreis ist jeder Winkel ein rechter. Wenn man den
Beweis erbringt, sind die Axiome artikuliert, die vor der Beweisführung potentiell
vorhanden sind. Es zeigt sich, dass das Möglichsein und das Wirklichsein in der
Geometrie auf die geistige Tätigkeit zurückgreifen. Ist das dianoetische Denkver-
mögen nicht wirksam, halten die Linie, das Dreieck und der Halbkreis den Status
quo ante aufrecht. Durch die Tätigkeit des dianoetischen Denkens ist die Linie zu
teilen und das Axiom nachzuweisen. Indem das Denken von der Potentialität zur
Aktualität übergeht, vollzieht sich die „Veränderung“ der geometrischen Figuren,

182 Metaph. Δ11, 1019a4–11; Z13, 1039a6–7; Θ9, 1051a30–33. An der einen Stelle (Metaph. Θ9,
1051a30–33) hat Thomas ganz richtig kommentiert (Sententia Metaphysicae lib.9 l.10 n.12
[83465]: Sic igitur concludit philosophus manifestum esse, quod quando aliqua reducuntur de
potentia in actum, tunc invenitur earum veritas. Et huius causa est, quia intellectus actus est.
Et ideo ea quae intelliguntur, oportet esse actu. Propter quod, ex actu cognoscitur potentia.
Unde facientes aliquid actu cognoscunt, sicut patet in praedictis descriptionibus) und an der
anderen Stelle (Metaph. Θ1, 1046a6–9) hat er einen neuen Interpretationsvorschlag anzubieten
(Sententia Metaphysicae lib.9 l.1 n.7 [83345]: Ex linea etiam, quae est radix quadrati, ducta in
seipsam fit quadratum. [. . .] Unde radix quadrati habet aliquam similitudinem cum materia,
ex qua fit res. Et propter hoc per quamdam similitudinem dicitur potens in quadratum, sicut
dicitur materia potens in rem). Diese Interpretation steht aber mit dem Grundsatz der aristote-
lischen Mathematik bzw. Geometrie nicht in Einklang. Thomas meint, dass es eine Analogie
zwischen der Entstehung der geometrischen Figuren und der Entstehung des Einzeldings
gebe. Wie die konkrete Statue aus der Materie entstanden ist, stammt der Körper aus der Flä-
che, die Fläche aus der Linie und die Linie aus dem Punkt. Der aristotelischen Theorie zufolge
kann der Übergang vom Punkt zur Linie, von der Linie zur Fläche und von der Fläche zum
Körper nicht wirklich stattfinden. Denn keine Entität kann über ihre eigene Grenze hinausge-
hen. Der Punkt kann weder die Punktualität transzendieren, noch können die diskreten
Punkte eine kontinuierliche Linie konstituieren. Gleichfalls kann die eindimensionale Linie
nicht zur zweidimensionalen Fläche überspringen. Es ist auch unmöglich, dass sich die zwei-
dimensionale Fläche auf den dreidimensionalen Körper ausdehnt. Laut Aristoteles sind die
geometrischen Figuren an sich weder entstanden noch veränderlich. Ihre Veränderlichkeit
greift auf die geistige Tätigkeit zurück, wobei man eine Linie teilt oder für die Axiome Beweise
erbringt.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 137

nämlich, dass die teilbare Linie in die Teilung, oder das Axiom in die Beweisfüh-
rung übergeht.
Des Weiteren zeigen sich Dynamis-Energeia in der Logik, und zwar in Form
von Möglichkeit-Wirklichkeit. Alles, was mit dem Vermögen und der Möglichkeit
zusammenhängt, enthält in sich den Gegensatz (Metaph. Θ3, 1047a17–29; Θ9,
1051a5–14; Int. 12, 21b12–17). Das Einzelding, sei es künstlich oder natürlich,
kann entstanden sein oder nicht, und es kann bewegt werden oder in Ruhe blei-
ben. Es ist dem Einzelnen, z. B. Sokrates, möglich, nach Hause zu gehen oder
nicht, und gesund oder krank zu werden. Analog zur ontologischen Möglichkeit,
die die entgegengesetzten Zustände von Sein-Nichtsein, nämlich von Verwirkli-
chung-Nichtverwirklichung, aufweist, bezeichnet die logische Möglichkeit die ge-
gensätzlichen Werte der Aussage, nämlich die Wahrheit-Falschheit (ἀληθές-
ψεῦδος).183 Die Aussage, die den akzidentellen Sachverhalt zum Ausdruck
bringt, ist immer zweiwertig. In der Möglichkeit hat der Aussagesatz „Sokrates
sitzt“ zwei Werte, in der Wirklichkeit aber muss derselbe Satz entweder wahr
oder falsch sein, je nachdem, ob die Aussage dem Sachverhalt entspricht oder
nicht. Die Analogie der Logik zur Ontologie ist dadurch aufzustellen, dass sich
die logische Möglichkeit auf die Wirklichkeit, d. h. die unbestimmte Zweiwertig-
keit auf den bestimmten Wert der Aussage, so bezieht, wie sich die unbestimmte
Materie zur bestimmten Form des Einzeldings verhält.
Aus dem Dargelegten wurde ersichtlich, dass δύναμις-ἐνέργεια in der na-
türlichen Veränderung und der menschlichen Tätigkeit verwurzelt ist. Die An-
wendung beider Grundbegriffe geht über die Ontologie hinaus und dehnt sich
in die Geometrie und die Logik aus. Der Anschaulichkeit halber fassen wir alle
Beispiele, die im Laufe der Argumentation eingeführt wurden, im folgenden
Schema zusammen (Tab. 14):

183 Metaph. Δ12, 1019b21–33. Die logische Möglichkeit zeigt sich darin, dass der Gegensatz
einer Aussage nicht notwendig falsch ist (τὸ δ’ ἐναντίον τούτῳ, τὸ δυνατόν, ὅταν μὴ ἀναγ-
καῖον ᾖ τὸ ἐναντίον ψεῦδος εἶναι – 1019b27–29). Es ist möglich, zu behaupten, dass der
Mensch sitzt. Das Gegenteil dieser Aussage, nämlich „Der Mensch sitzt nicht“, ist nicht unbe-
dingt falsch (1019b29–30). Wenn man tatsächlich nicht sitzt, ist die der Tatsache entspre-
chende Aussage wahr. Anders formuliert: Die logische Möglichkeit weist darauf hin, dass die
Aussage entweder wahr oder falsch sein kann (τὸ ἐνδεχόμενον ἀληθὲς εἶναι – 1019b32–33).
138 2 Zweite Philosophie (Physik)

Tab. 14: Dynamis und Energeia.

δύναμις ἐνέργεια

in rebus mobilibus κίνησις δύναμις τοῦ ποιεῖν


τὸ μέλαν τὸ λευκόν
τὸ ψυχρόν τὸ θερμόν
τὸ νόσον ἡ ὑγίεια

πρᾶξις τὸ καθεῦδον τὸ ἐγρήγορον


τὸ μῦον μὲν ὄψιν δὲ ἔχον τὸ ὁρῶν
τὸ μὴ θεωροῦν, ἂν δυνατὸς ᾖ θεωρῆσαι τὸ θεωροῦν

ποίησις δύναμις τοῦ πάσχειν


τὸ οἰκοδομικόν τὸ οἰκοδομοῦν
ἐν τῷ ξύλῳ Ἑρμῆς
τὸ ἀνέργαστον τὸ ἀπειργασμένον

φύσις ἡ ὕλη τὸ ἀποκεκριμένον


ἐκ τῆς ὕλης

in geometrice ἐν τῇ ὅλῃ ἡ ἡμίσεια


ἐν τρίγωνῳ δύο ὀρθαὶ
ἐν ἡμικυκλίῳ ὀρθὴ καθόλου

in logice ἀληθές καὶ ψεῦδος ἀληθές ἢ ψεῦδος

Den einzelnen Beispielen fügt Aristoteles eine Erklärung hinzu:

ταύτης δὲ τῆς διαφορᾶς θάτερον μόριον ἔστω ἡ ἐνέργεια ἀφωρισμένη, θάτερον δὲ τὸ δυ-
νατόν. λέγεται δὲ ἐνεργείᾳ οὐ πάντα ὁμοίως ἀλλ' ἢ τῷ ἀνάλογον, ὡς τοῦτο ἐν τούτῳ ἢ
πρὸς τοῦτο, τόδ' ἐν τῷδε ἢ πρὸς τόδε· τὰ μὲν γὰρ ὡς κίνησις πρὸς δύναμιν τὰ δ' ὡς οὐσία
πρός τινα ὕλην. – Metaph. Θ6, 1048b4–9

Aus der inneren Entzweiung derselben Sache folgt, dass der eine Teil als ἐνέργεια
und der andere als δύνατον bezeichnet wird. In verschiedenen Bereichen können
ἐνέργεια und δύναμις nicht gleicherweise ausgesagt werden, außer anhand der
Analogie (Metaph. Λ5, 1071a4–6). Die strukturelle Ähnlichkeit lässt sich mit zwei
äquivalenten Formen aufzeigen: A befindet sich in B wie C in D, oder A bezieht
sich auf B wie C auf D. Zwischen der Bewegung und der Entstehung ergibt sich
die Analogie derart, dass die Verwirklichung zum Vermögen und die Wesenssub-
stanz, d. h. die Form, zur Materie in demselben Verhältnis stehen. Trotz der sach-
lichen Differenz hat das Möglichseiende gemeinsam, dass es realisierbar ist und
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 139

noch nicht realisiert wird. Der analogischen Einheit zufolge sind die verschiede-
nen Seienden, wie das Schwarze, das Kalte, die Krankheit, das Schlafen, das
Nichtsehen (Augen schließen), das Nichtdenken (denken können), der Baustoff,
das Holz, die unbearbeitete Materie, die menschliche Biomasse, die Linie, das
Dreieck, der Halbkreis und die proportionale Zweiwertigkeit und dergleichen als
δύνατον benannt. Nichts anderes als die Realisierung macht die Realität aus und
bringt das Reale hervor. Demnach sind das Weiße, das Warme, die Gesundheit,
das Waschen, das Sehen, das Denken, das Haus, die Hermes-Statue, das bearbei-
tete Artefakt, die menschliche Art, die Hälfte der Linie, die zwei Rechten im Drei-
eck, der rechte Winkel im Halbkreis und ein bestimmter Wert der Aussage
gemeinsam durch ἐνέργεια gekennzeichnet. Obwohl sich Dynamis und Energeia
auf den ontologischen, den mathematischen und den logischen Bereich ausbrei-
ten, bilden sie eine begriffliche Einheit, ohne die sachliche Differenz preiszuge-
ben. Die begriffliche Einheit ist auf die strukturelle Ähnlichkeit
zurückzuführen. Auf der Grundlage der Analogie kommen Dynamis und Ener-
geia paarweise vor, indem in jedem Seinsbereich und in jedem Einzelfall die
eine immer mit der anderen korrespondiert. Sie verhalten sich zueinander
und bestimmen sich gegenseitig, und zwar nach demselben Paradigma.
Wegen des Mangels an Realisierung ist die Dynamis mit der Unbestimmtheit
versehen und die Energeia verleiht dem möglichen Seienden die Bestimmt-
heit. Zusammenfassend lassen sich die natürliche Veränderung sowie die
menschliche Tätigkeit durch Dynamis und Energeia charakterisieren. Da-
durch, dass die beiden Begriffe wechselseitig bestimmt sind, wird der unend-
liche Regress des Definitionsverfahrens abgeschlossen.

2.1.4 Wahrheit und Falschheit (ἀληθές καὶ ψεῦδος)

2.1.4.1 Übereinstimmungswahrheit
Im gesamten Teil 2.1 legen wir den Schwerpunkt auf die dreifache Korrespondenz
von Sein, Logos und Veränderung. Am offenkundigsten zeigt sich die ontolo-
gisch-logisch-ontische Übereinstimmung in der Übereinstimmungswahrheit. Da
der Begriff Wahrheit durch die lange Tradition viele Bedeutungen in sich trägt,
muss man sich zunächst begrifflich klarmachen, was Aristoteles unter der Wahr-
heit versteht. Was die aristotelische Übereinstimmungswahrheit anbelangt, ist
sie weder die absolute Wahrheit noch die Wahrheit als solche (verum tantum).184

184 Nicht häufig verwendet Aristoteles den Begriff „Wahrheit“ im Sinne der absoluten Wahr-
heit. Im Buch α der Metaphysik nennt Aristoteles die Philosophie die „Wissenschaft der
140 2 Zweite Philosophie (Physik)

Wie der Name besagt, geht es darum, ob die Aussage mit dem entsprechenden
Sachverhalt inhaltlich übereinstimmt oder nicht. Die Wahrheit oder die Falsch-
heit kommt dadurch zustande, dass die Aussage mit dem Sachverhalt verglichen
wird. Die logische Aussage und der ontologische Sachverhalt sind nur dann mit-
einander vergleichbar, wenn die beiden eine ähnliche Struktur haben. Die struk-
turelle Ähnlichkeit von Sein und Logos ist darin fundiert, dass die ontologische
Differenz von Substanz und Kategorie (ὑποκείμενον-κατηγορούμενον) die logi-
sche Unterscheidung von Subjekt und Prädikat (ὄνομα-ῥῆμα) ausmacht. Auf-
grund dessen ist das ontologische Vorbild mit dem logischen Abbild, d. h. der
Sachverhalt mit der Aussage, formal vergleichbar.
Außer der formalen Wahrheitsbedingung beruht die Übereinstimmungs-
wahrheit auf einer sachlichen Grundlage, nämlich auf der Veränderbarkeit des
Sachverhaltes (κινούμενον πράγματος), sodass die Veränderung in die Problema-
tik der Wahrheit einbezogen ist. Außer der sachlichen Veränderlichkeit muss die
entsprechende Aussage negiert werden können. Zum einen kann das Einzelne,
wie z. B. Sokrates, gehen oder nicht gehen, die Linie geteilt oder nicht geteilt wer-
den.185 Zum anderen kann das logische Subjekt entweder affirmativ oder negativ
zum Ausdruck gebracht werden. Daraus resultieren die chiastische Vierteilung
und die Zweiwertigkeit von Wahrheit und Falschheit. Falls die Aussage nicht mit
dem Sachverhalt in Übereinkunft kommt, ist das, was sie aussagt, falsch. Die
Falschheit kommt nur dann zum Ausdruck, wenn der Sachverhalt verändert
oder die Aussage verneint werden kann. Während die zweiwertige Wahrheit aus
dem veränderbaren Sachverhalt und der negierbaren Aussage konstituiert ist,
führt die logische oder die ontologische Unveränderlichkeit zur Einwertigkeit,
entweder immer wahr oder immer falsch zu sein.186 Deshalb lokalisiert sich die

Wahrheit“ (ὀρθῶς δ’ ἔχει καὶ τὸ καλεῖσθαι τὴν φιλοσοφίαν ἐπιστήμην τῆς ἀληθείας – Metaph.
α1, 993b19–20). Während die theoretische Philosophie auf die Wahrheit abzielt, orientiert sich
die praktische Philosophie am Werk (θεωρητικῆς μὲν γὰρ τέλος ἀλήθεια πρακτικῆς δ’ ἔργον –
993b20–21).
185 Int. 12, 21b12–17: δοκεῖ δὲ τὸ αὐτὸ δύνασθαι καὶ εἶναι καὶ μὴ εἶναι· πᾶν γὰρ τὸ δυνατὸν
τέμνεσθαι ἢ βαδίζειν καὶ μὴ βαδίζειν καὶ μὴ τέμνεσθαι δυνατόν· λόγος δ’ ὅτι ἅπαν τὸ οὕτω δυ-
νατὸν οὐκ ἀεὶ ἐνεργεῖ, ὥστε ὑπάρξει αὐτῷ καὶ ἡ ἀπόφασις· δύναται γὰρ καὶ μὴ βαδίζειν τὸ βα-
διστικὸν καὶ μὴ ὁρᾶσθαι τὸ ὁρατόν.
186 (1) Metaph. Θ10, 1051b13–17: περὶ μὲν οὖν τὰ ἐνδεχόμενα ἡ αὐτὴ γίγνεται ψευδὴς καὶ
ἀληθὴς δόξα καὶ ὁ λόγος ὁ αὐτός, καὶ ἐνδέχεται ὁτὲ μὲν ἀληθεύειν ὁτὲ δὲ ψεύδεσθαι· περὶ δὲ
τὰ ἀδύνατα ἄλλως ἔχειν οὐ γίγνεται ὁτὲ μὲν ἀληθὲς ὁτὲ δὲ ψεῦδος, ἀλλ’ ἀεὶ ταὐτὰ ἀληθῆ καὶ
ψευδῆ. (2) Alexander 598.17–27: οὕτω δὴ περὶ τούτων διορισάμενος λέγει ὅτι < εἰ δὴ τὰ μὲν ἀεὶ
σύγκειται καὶ ἀδύνατα διαιρεθῆναι > (ἀεὶ γὰρ σύγκειται τὸ σφαιροειδὲς τῷ ἡλίῳ καὶ τὸ ἀσύμ-
μετρον τῇ διαμέτρῳ καὶ ἀδύνατόν ἐστιν αὐτοῖν ταῦτα διαιρεθῆναι), < τὰ δ’ ἀεὶ διῄρηται καὶ ἀδύ-
νατα συντεθῆναι > (ἀεὶ γὰρ διῄρηται ἀνθρώπου τὸ ἄψυχον καὶ ἀδύνατόν ἐστιν αὐτῷ τοῦτο
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 141

Übereinstimmungswahrheit in der Akzidenzprädikation, wobei sich die Aussage


sowie der ausgedrückte Sachverhalt verändern können. Die ontologische Verän-
derbarkeit des Sachverhaltes und die logische Verneinung der Akzidenzprädika-
tion weisen auf die Möglichkeit hin, sachlich und sprachlich anders zu sein
(Metaph. Θ10, 1051b13–15). Von daher gehen wir auf die andere Wahrheitsbedin-
gung ein.
Aus der Perspektive der Modalität ist die Wahrheitsbedingung als Mög-
lichkeit zu bezeichnen. Anhand des Chiasmus kommen die Wahrheit und die
Falschheit nur dann zur Sprache, wenn Einzelsubstanz-Eigenschaft sowie
Subjekt-Prädikat miteinander zusammengesetzt und voneinander getrennt
werden können (τὰ δ’ ἐνδέχεται τἀναντία). Wenn die Möglichkeit (δύνατον),
anders zu sein, als Wahrheitsbedingung angesehen wird, muss man die Wirk-
lichkeit (ἐνέργεια) zum Kriterium nehmen, um zu beurteilen, ob eine Aussage
tatsächlich wahr oder falsch ist. Der Satz „Sokrates sitzt“ kann insofern für
wahr gehalten werden, als Sokrates nicht möglicherweise, sondern wirklich
sitzt. Was mit der affirmativen oder der negativen Aussage verglichen werden
soll, ist nicht der mögliche, sondern der wirkliche Sachverhalt, nämlich der
tatsächlich sitzende Sokrates. In Bezug auf den potentiellen Sachverhalt kann
weder von Wahrheit noch von Falschheit die Rede sein, denn es fehlt an
einem Maßstab, womit die eine von der anderen zu unterscheiden ist. Um die
Wahrheit oder die Falschheit der Aussage festzulegen, braucht man nicht von
mehreren Möglichkeiten des Sachverhaltes auszugehen, sondern soll dies ein-
zig und allein anhand der Wirklichkeit beurteilen.
Kraft der Strukturähnlichkeit ist die Realität dem Denken zugänglich. Das
Denken oder der Logos fasst die Realität auf, indem das logische Abbild das onto-
logische Urbild widerspiegelt. Durch die Korrespondenz mit dem wirklichen
Sachverhalt drückt die Aussage etwas Wahres aus. Steht die Aussage dem Sach-
verhalt entgegen, ist die Aussage falsch. Einerseits ist die Übereinstimmungswahr-
heit darin verwurzelt, dass die ontische Bewegung, die logische Aussage und der
ontologische Sachverhalt miteinander strukturell korrespondieren. Andererseits
bringen die Wahrheit und die Falschheit die ontisch-logisch-ontologische Überein-
stimmung am deutlichsten ans Licht. In diesem Sinne bezeichnet Aristoteles das
Wahre und das Falsche als das wahrhafteste Seiende (τὸ κυριώτατα ὂν – Metaph.
Θ10, 1051a34–1051b2).

συντεθῆναι), < τὰ δ’ ἐνδέχεται τἀναντία > (συγκειμένου γὰρ τοῦ καθῆσθαι τῷ Σωκράτει ἐνδέ-
χεται διαιρεθῆναι αὐτοῦ), ἐστὶ δὲ τὸ μὲν εἶναι καὶ τὸ ἀληθές, ἵνα πάλιν τοῦτο ὑπομνησθεῖμεν,
τὸ συγκεῖσθαι τὸν κατηγορούμενον τῷ ὑποκειμένῳ καὶ ἓν εἶναι, τὸ δὲ μὴ εἶναι καὶ τὸ ψεῦδός
ἐστι τὸ μὴ συγκεῖσθαι ἀλλὰ πλείω εἶναι καὶ κεχωρισμένα ἀπ’ ἀλλήλων.
142 2 Zweite Philosophie (Physik)

2.1.4.2 Übereinstimmung von Sachverhalt, Äquivokation und Bewegung


Anhand derselben Unterscheidung von per accidens und per se spaltet sich das
Sein in Sachverhalt und Einzelding, der Logos in Äquivokation und Univokation,
die Veränderung in Bewegung und Entstehung. Was die Korrespondenzwahrheit
aufweist, ist die strukturelle Übereinstimmung von Sachverhalt, Äquivokation
und Bewegung (πρᾶγμα-δόξα-κίνησις). Trotz des sachlichen Unterschieds ergibt
sich die folgende Strukturähnlichkeit: Wie sich im Sachverhalt die Substanz zur
Kategorie verhält (πρᾶγμα = ὑποκείμενον + κατηγορούμενον), so verhält sich in
der Äquivokation das Subjekt zum Prädikat (δόξα = ὄνομα + ῥῆμα) und in der Be-
wegung das Substrat zur gegensätzlichen Eigenschaft (κίνησις = ὑπομένον + ἀντι-
κείμενον). Auf der einen Seite liegt die Substanz der Kategorie, das Subjekt dem
Prädikat und das Substrat der Eigenschaft zugrunde, sodass die ontologische Sub-
stanz (substantia), das logische Subjekt (subiectum) und das ontische Substrat
(substratum) durch denselben Begriff, d. h. das Zugrundeliegende (ὑποκείμενον),
bezeichnet werden können. Auf der anderen Seite kommt die Kategorie der Einzel-
substanz zu, drückt das Prädikat das logische Subjekt aus, und die Eigenschaft
wirkt sich auf das Substrat aus. Da die Kategorie, das Prädikat und die Eigenschaft
in verschiedenen Bereichen ähnlich funktionieren, sind sie gemeinsam durch das
Zukommende (συμβεβηκός) gekennzeichnet. Weiterhin ergibt sich die ontische,
die logische und die ontologische Zusammensetzung nur dann, wenn das Zukom-
mende aktiv und das Zugrundeliegende passiv aufeinander wirken. Daraus folgt,
dass die Analogie von Sachverhalt, Äquivokation und Bewegung ihre Wurzel in
der dynamischen Struktur von Machen und Erleiden hat (ποιεῖν-πάσχειν).
Innerhalb der dreifachen Korrespondenz ist die ontologische Differenz von
Substanz und Kategorie deshalb fundamental, weil sich dieselbe ontologische
Struktur auf die logische Zweiteilung von Subjekt und Prädikat und auf den on-
tischen Zwiespalt von Substrat und Eigenschaft ausbreitet. Anders formuliert:
Die Ontologie bringt die Logik und die Ontik (Physik) zustande, die Logik und
die Ontik aber bringen die Ontologie zum Vorschein. Zum einen werden die
Logik und die Ontik gleicherweise begründet, indem die ontologische Differenz
und die kategoriale Ausdifferenzierung sowohl die logische Prädikation als
auch die ontologische Erklärung der Veränderung durchdringen. Zum anderen
lässt sich das ontologische Grundprinzip einerseits anhand der Syntax der grie-
chischen Sprache und andererseits mithilfe der metaphysischen Erörterung des
Bewegungsphänomens einsichtig machen. Die Logik und die Physik haben
nämlich zwei Zugänge anzubieten, den ontologischen Sachverhalt entweder lo-
gischer- (λογικῶς) oder physikalischerweise (φυσικῶς) in den Vordergrund zu
bringen. Der Sachverhalt „der musikalische Sokrates“ kann entweder in der
Aussage wiedergegeben werden, dass Sokrates musikalisch ist. Oder man kann
denselben Sachverhalt als Resultat der Veränderung ansehen. Sokrates ist
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 143

dadurch musikalisch, dass er sich vom Unmusikalischen ins Musikalische um-


wandelt. Die aristotelische Metaphysik zeichnet sich dadurch aus, dass das on-
tologische Prinzip sowohl der Logik als auch der Ontik ein Fundament legt,
ohne dem sprachlichen und dem empirischen Phänomen entgegenzustehen.
Aufgrund der ontisch-logisch-ontologischen Übereinstimmung kann die
Einzelsubstanz, die ursprünglich ontologisch konzipiert ist, logischerweise als
grammatisches Subjekt und physikalischerweise als unveränderliches Substrat
bezeichnet werden.187 In der Metaphysik Z3 ist die Einzelsubstanz als letztes
Subjekt der Aussage (ultimum subiectum proportionis) bestimmt.

τὸ δ' ὑποκείμενόν ἐστι καθ' οὗ τὰ ἄλλα λέγεται, ἐκεῖνο δὲ αὐτὸ μηκέτι κατ' ἄλλου. – Me-
taph. Z3, 1028b36–37

Das logische Zugrundeliegende ist dasjenige, von dem die anderen (Prädikate)
ausgesagt werden, es selbst aber wird von keinem anderen (Subjekt) ausgesagt.188
Damit ist nicht nur das logische Subjekt, sondern vielmehr das letzte Subjekt der
Aussage gemeint. Nichts anderes als das letzte Subjekt, von dem alle anderen Prä-
dikate prädiziert werden, wird von keinem anderen Subjekt ausgesagt.
Strenggenommen soll die Einzelsubstanz, d. h. das konkrete Einzelding,
anhand des Eigennamens logischerweise wiedergegeben werden und die We-
senssubstanzen, nämlich die Art und die Gattung, lassen sich jeweils als Begriff
und Oberbegriff bezeichnen. Der Begriff sowie der Oberbegriff werden vom Ein-
zelnen prädiziert, z. B. dass Sokrates Mensch und Lebewesen ist. Im übertrage-
nen Sinne aber kann etwas Weiteres von den beiden ausgesagt werden,
nämlich dass der Mensch vernünftiges Lebewesen und das Lebewesen beseelte

187 Bei dem Sachverhalt „der musikalische Sokrates“ ist die Einzelsubstanz von der katego-
rialen Eigenschaft sachlich untrennbar. Die Einzelsubstanz kann von der Kategorie abgeson-
dert und separat betrachtet werden, und zwar entweder auf die logische oder auf die ontische
Art und Weise. Einerseits tritt die Einzelsubstanz in Form des logischen Subjekts auf, die kate-
goriale Eigenschaft aber in Form des Prädikats, wenn der ganze Sachverhalt in der Aussage
wiedergegeben wird (der musikalische Sokrates→„Sokrates ist musikalisch“). Andererseits
kann die Einzelsubstanz von der Qualität, d. h. vom Musikalischen, getrennt werden, wenn
die qualitative Veränderung stattfindet. Wenn der musikalische Sokrates unmusikalisch wird,
verharrt Sokrates. Das in der Veränderung unveränderlich Beharrende widerspiegelt die onto-
logische Einzelsubstanz (der musikalische Sokrates→der unmusikalische Sokrates).
188 (1) Metaph. Z3, 1029a7–9; Δ8, 1017b13–14, 1017b23–25. (2) Thomas Sententia Metaphysicae
lib.7 l.2 n.4 [82839]: „Patet autem, quod subiectum hic dicitur, quod in praedicamentis nomi-
natur substantia prima, ex hoc, quod eadem definitio datur de subiectum hic, et ibi de sub-
stantia prima.“ (3) Thomas Sententia Metaphysicae lib.5 l.10 n.1 [82463]: „Haec enim omnia
praedicta dicuntur substantia, quia non dicuntur de alio subiecto, sed alia dicuntur de his. Et
haec est descriptio primae substantiae in praedicamentis.“
144 2 Zweite Philosophie (Physik)

und wahrnehmungsfähige Substanz ist. Im Gegensatz dazu kann der Eigen-


name, wie z. B. „Sokrates“, in der Aussage nur als Subjekt und nie als Prädikat
angewendet werden.189 In der Aussage können der Begriff und der Oberbegriff
entweder in Form des Subjekts oder des Prädikats auftreten, und dagegen gilt
der Eigenname nur als logisches Subjekt. Da der Eigenname die kleinste Maß-
einheit bildet, in der ein logisches Subjekt auftreten kann, wird er das letzte
Subjekt genannt (Cat. 5, 3a34–3b5). Das letzte Subjekt, der Eigenname, weist
nichts anderes als die Einzelsubstanz auf, nämlich Sokrates.190 Was logisch

189 Cat. 5, 3a36–37: ἀπὸ μὲν γὰρ τῆς πρώτης οὐσίας οὐδεμία ἐστὶ κατηγορία, – κατ’ οὐδενὸς
γὰρ ὑποκειμένου λέγεται. Man kann sagen, dass Sokrates Mensch oder Lebewesen ist, es ist
aber sinnlos, zu behaupten, dass Sokrates Sokrates ist, denn der zweite Sokrates als Eigen-
name darf nicht an die Prädikatsstelle gesetzt werden.
190 Einerseits gilt das letzte Subjekt weder als Begriff (Art) noch als Oberbegriff (Gattung),
sondern als Eigenname, der mit der Einzelsubstanz übereinstimmt. Andererseits kann das
letzte logische Zugrundeliegende weder konkrete Materie noch prima materia sein, die sach-
lich zugrunde liegen. Anders gesagt kommt das letzte logische Zugrundeliegende mit dem letz-
ten ontologischen Zugrundeliegenden nicht zur Deckung. Denn weder die konkrete Materie
noch die prima materia können als letztes Subjekt in der Aussage auftreten. Die Prädikations-
struktur von Subjekt und Prädikat bildet die ontologische Differenz von Substanz und Katego-
rie logischerweise ab. Die konkrete Materie aber kann überhaupt nicht anhand der Aussage
zur Sprache gebracht werden, und zwar weder als logisches Subjekt noch als Prädikat, da sie
weder die Kategorie (λέγω δ’ ὕλην ἣ καθ’ αὑτὴν μήτε τὶ μήτε ποσὸν μήτε ἄλλο μηδὲν λέγεται
οἷς ὥρισται τὸ ὄν – Metaph. Z3, 1029a20–21) noch die Einzelsubstanz ist, sondern nur der ma-
teriale Bestandteil der Einzelsubstanz. Während die konkrete Materie durch die Form logisch-
ontologisch bestimmt und jeweils verschieden ist, bietet die prima materia für die Entstehung
nur eine gemeinsame ontologische Grundlage (Ex his igitur, quae hic dicuntur, accipitur quod
prima materia est una omnium generabilium et corruptibilium; sed propriae materiae sunt di-
versae diversarum – Thomas Sententia Metaphysicae lib.8 l.4 n.2 [83301]). Um die prima mate-
ria zu charakterisieren, die durchaus formlos und bestimmungslos ist (Et dicit, quod opertet
non latere circa materiale principium, quia licet omnia sint ex eodem primo materiali princi-
pio, quod est materia prima de se nullam habens formam, [. . .] – Thomas Sententia Metaphysi-
cae lib.8 l.4 n.1 [83300]), wendet Aristoteles einen Ausdruck an, der ähnlich zu sein scheint,
wie das letzte logische Zugrundeliegende zum Ausdruck kommt (εἰ δέ τί ἐστι πρῶτον ὃ μηκέτι
κατ’ ἄλλο λέγεται ἐκείνινον, τοῦτο πρώτη ὕλη – Metaph. Θ7, 1049a24–26; τὰ μὲν γὰρ ἄλλα τῆς
οὐσίας κατηγορεῖται, αὕτη δὲ τῆς ὕλης, ὥστε τὸ ἔσχατον καθ’ αὑτὸ οὔτε τὶ οὔτε ποσὸν οὔτε
ἄλλο οὐδέν ἐστιν – Metaph. Z3, 1029a23–25). Damit ist allerdings nicht das letzte Subjekt ge-
meint, sondern der Ausdruck bezeichnet die abstrakte Selbstbezüglichkeit der prima materia
(ipso predicantur). Die prima materia bildet nichts anderes als eine gemeinsame und abstrakte
Benennung. Da es der prima materia an bestimmter Begrifflichkeit mangelt, kann die prima
materia nicht als letztes Subjekt zur Geltung kommen. Daraus folgt, dass das letzte logische
Zugrundeliegende, d. h. das letzte Subjekt, weder die dem Kompositum zugrundeliegende Ma-
terie, noch das allerletzte ontologische Zugrundeliegende, d. h. prima materia, sondern nur
die Einzelsubstanz ist.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 145

zugrunde liegt, tut dies auch ontisch, insofern die Einzelsubstanz als Substrat
in der Veränderung unveränderlich beharrt (substratum mutationis).

ἡ δέ γε οὐσία ἓν καὶ ταὐτὸν ἀριθμῷ ὂν δεκτικὸν τῶν ἐναντίων ἐστίν· οἷον ὁ τὶς ἄνθρωπος,
εἷς καὶ ὁ αὐτὸς ὤν, ὁτὲ μὲν λευκὸς ὁτὲ δὲ μέλας γίγνεται, καὶ θερμὸς καὶ ψυχρός, καὶ
φαῦλος καὶ σπουδαῖος. – Cat. 5, 4a17–21

Wie der zitierte Satz besagt, ist die Einzelsubstanz der Zahl nach ein und dasselbe
Seiende, das die gegensätzlichen Eigenschaften in sich aufnehmen kann. Trotz
des Zustandswechsels vom Schwarzen zum Weißen, vom Kalten zum Warmen
oder vom Schlechten zum Tüchtigen kann der bestimmte Mensch, z. B. Sokrates,
seine numerische Einheit beibehalten (Πᾶσα δὲ οὐσία δοκεῖ τόδε τι σημαίνειν. ἐπὶ
μὲν οὖν τῶν πρώτων οὐσιῶν ἀναμφισβήτητον καὶ ἀληθές ἐστιν ὅτι τόδε τι σημαί-
νει· ἄτομον γὰρ καὶ ἓν ἀριθμῷ τὸ δηλούμενόν ἐστιν – Cat. 5, 3b10–13).
Es zeigt sich, dass die Einzelsubstanz entweder aus der logischen oder der
ontischen Perspektive betrachtet werden kann. Das logische Subjekt und das
ontische Substrat sind einzuführen, um die ontologische Substanz einsichtig zu
machen. Diese Vorgehensweise ist deswegen durchführbar, weil das logische
und das ontische Gefüge in der ontologischen Struktur gründen. Darum weisen
das Subjekt und das Substrat auf die Substanz hin und sind darauf zurückzu-
führen. Im Folgenden richten wir die Aufmerksamkeit darauf, inwiefern die
Einzelsubstanz als erste Substanz (πρώτη οὐσία) angesehen wird.
Die erste Substanz gilt deswegen als wahrhafteste (κυριώτατα) Substanz, weil
sie allen anderen zugrunde liegt (ἔτι αἱ πρῶται οὐσίαι διὰ τὸ τοῖς ἄλλοις ἅπασιν
ὑποκεῖσθαι κυριώτατα οὐσίαι λέγονται – Cat. 5, 2b37–3a1). Wie die Einzelsubstanz
der Kategorie paradigmatisch zugrunde liegt, so liegt das logische Subjekt dem
Prädikat und das ontische Substrat den gegensätzlichen Eigenschaften zugrunde.
Die Abhängigkeit der Kategorie von der Einzelsubstanz zeigt sich darin, dass das
Prädikat vom Subjekt ausgesagt wird (καθ’ ὑποκειμένου λέγεσθαι) und die Eigen-
schaft im einzelnen Substrat vorliegt (ἐν ὑποκειμένῳ εἶναι).191 Ohne die zugrunde-
liegende Einzelsubstanz kann die Kategorie weder als Prädikat ausgesprochen
werden noch als Eigenschaft existieren.192 Mit anderen Worten lässt sich die

191 (1) Cat. 5, 2a34–35: τὰ δ’ ἄλλα πάντα ἤτοι καθ’ ὑποκειμένων λέγεται τῶν πρώτων οὐσιῶν
ἢ ἐν ὑποκειμέναις αὐταῖς ἐστίν. (2) Cat. 5, 2b3–5: ὥστε τὰ ἄλλα πάντα ἤτοι καθ’ ὑποκειμένων
τῶν πρώτων οὐσιῶν λέγεται ἢ ἐν ὑποκειμέναις αὐταῖς ἐστίν. (3) Cat. 5, 2b15–17: ἔτι αἱ πρῶται
οὐσίαι διὰ τὸ τοῖς ἄλλοις ἅπασιν ὑποκεῖσθαι καὶ πάντα τὰ ἄλλα κατὰ τούτων κατηγορεῖσθαι ἢ
ἐν ταύταις εἶναι διὰ τοῦτο μάλιστα οὐσίαι λέγονται.
192 Cat. 5, 2b5–6: μὴ οὐσῶν οὖν τῶν πρώτων οὐσιῶν ἀδύνατον τῶν ἄλλων τι εἶναι; ὥστε τὰ
ἄλλα πάντα ἤτοι καθ’ ὑποκειμένων τῶν πρώτων οὐσιῶν λέγεται ἢ ἐν ὑποκειμέναις αὐταῖς
ἐστίν. μὴ οὐσῶν οὖν τῶν πρώτων οὐσιῶν ἀδύνατον τῶν ἄλλων τι εἶναι· πάντα γὰρ τὰ ἄλλα
146 2 Zweite Philosophie (Physik)

ontologische Vorrangigkeit der Substanz vor der Kategorie damit aufzeigen, dass
das logische und das ontische Zukommende durch die Aufhebung des logischen
und des ontischen Zugrundeliegenden mit aufgehoben werden müssen.
Im Vergleich zur Kategorie/Eigenschaft ist das Einzelding als Substanz anzu-
sehen. Weitergehend lässt sich die Einzelsubstanz als erste Substanz bezeichnen,
die Wesenssubstanz, d. h. Art und Gattung, aber als zweite Substanz. Die Ausdrü-
cke, nämlich die erste und die zweite Substanz, weisen keineswegs auf die
ontologische Vorrangigkeit der Einzelsubstanz und die Nachrangigkeit der We-
senssubstanz hin. Vielmehr hängt dies damit zusammen, auf welche Art und
Weise die beiden Substanzen zum Vorschein gebracht werden. Ist die Einzelsub-
stanz als logisches Subjekt und als ontisches Substrat bestimmt, wird die Wesens-
substanz dementsprechend als logisches Prädikat und als ontische Eigenschaft
angesehen. Das Prädikat, sei es wesentlich oder akzidentell, muss das bestimmte
Subjekt voraussetzen, um es prädikativ auszudrücken. Die Eigenschaft, sei sie
wesentlich oder akzidentell, bedarf eines Substrates, um ihm zu inhärieren. Im
Falle, dass die Wesenssubstanz in der Form des Wesensprädikats auftritt oder zur
wesentlichen Eigenschaft gezählt wird, muss sie im zugrundeliegenden Subjekt
oder Substrat fundieren. Da die Wesenssubstanz der Einzelsubstanz ontisch und
logisch zukommen muss, ist das Zukommende durch die zweite Substanz und
das Zugrundeliegende durch die erste Substanz gekennzeichnet.
Bringt das logische Prädikat die ontische Eigenschaft zur Sprache, sollte das
Wesensprädikat die wesentliche Eigenschaft ausdrücken. Die Wesenssubstanz
aber, die in der Aussage als Wesensprädikat auftaucht, ist nicht die Eigenschaft,
sondern die wesentliche Substanz. Zweifelsohne ist die Wesenssubstanz keines-
wegs die akzidentelle Eigenschaft (substantia ≠ per accidens accidentia), die sich
verändern und vom Einzelding getrennt werden kann. Noch darf die Wesenssub-
stanz mit der wesentlichen Eigenschaft vermischt sein (substantia ≠ per se acciden-
tia), denn die wesentliche Eigenschaft, z. B. die Vernünftigkeit, hängt von der
Wesenssubstanz, d. h. von der menschlichen Art ab, umgekehrt aber nicht. Ohne
die Wesenssubstanz ist die wesentliche Eigenschaft, die Vernünftigkeit, die auf die
menschliche Art notwendig zutrifft, gegenstandslos. In der Aussage tritt die We-
senssubstanz zwar in der Form des Wesensprädikats auf, in der Tat aber ist sie
nicht die Eigenschaft, die der Einzelsubstanz entweder per accidens oder per se zu-
kommt, sondern die wesentliche Substanz, welche die Einzelsubstanz logisch und
ontologisch bestimmt. Anders formuliert: Die Substantialität der Wesenssubstanz,

ἤτοι καθ’ ὑποκειμένων τούτων λέγεται ἢ ἐν ὑποκειμέναις αὐταῖς ἐστίν· ὥστε μὴ οὐσῶν τῶν
πρώτων οὐσιῶν ἀδύνατον τῶν ἄλλων τι εἶναι.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 147

nämlich der Art, besteht darin, dass die Art die zu ihr gehörigen Einzeldinge nicht
nur zur Sprache, sondern auch zustande bringt. Einerseits werden die mannigfalti-
gen Einzeldinge, die an sich weder begrifflich noch definitorisch aufgefasst werden
können, durch die Vermittlung der Wesenssubstanz sowohl begrifflich genannt als
auch wesentlich determiniert. Andererseits hat die natürliche Art die Fähigkeit, die
gleichartigen Einzeldinge regelmäßig und kontinuierlich zu reproduzieren. Die Pri-
orität der Art und die Posteriorität des Einzeldings zeigen sich darin, dass die Art
nicht durch die Aufhebung der Einzeldinge mit aufgehoben werden kann. Gerade
umgekehrt: Wegen der Vernichtung einer Art würden alle zu ihr gehörigen Einzel-
dinge zugrunde gehen (ἀλλὰ καὶ καθ’ ὅσον συναναιρεῖ μὲν αὐτά, οὐ συναναιρεῖται
δὲ ὑπ’ αὐτῶν, προτέρα ἐστίν – Alexander 461.9–11).193 Anhand desselben Krite-
riums (Mit-Aufgehobenwerden-Können) ist die Wesenssubstanz der Einzelsub-
stanz vorrangig und die Einzelsubstanz hat den ontologischen Primat vor der
kategorialen Eigenschaft (εἶδος > τόδε τι > πάθος). Vor der systematischen Entfal-
tung der aristotelischen Substanzlehre können wir zum Verhältnis zwischen Ein-
zel- und Wesenssubstanz nur eine vorläufige Erklärung bieten, und zwar im
Hinblick auf die zwei verschiedenen Kriterien der Substantialität.

2.1.4.3 Kriterien der Substanzen

συμβαίνει δὴ κατὰ δύο τρόπους τὴν οὐσίαν λέγεσθαι, τό θ' ὑποκείμενον ἔσχατον, ὃ μηκέτι
κατ' ἄλλου λέγεται, καὶ ὃ ἂν τόδε τι ὂν καὶ χωριστὸν ᾖ· τοιοῦτον δὲ ἑκάστου ἡ μορφὴ καὶ
τὸ εἶδος. – Metaph. Δ8, 1017b23–26

Sowohl mit der Erzählung der Kategorienschrift (Cat. 5, 2a11–19)194 als auch
mit dem Inhalt der zentralen Substanzbücher der Metaphysik (Metaph. Z3,

193 Metaph. Δ11, 1019a1–4: τὰ μὲν δὴ οὕτω λέγεται πρότερα καὶ ὕστερα, τὰ δὲ κατὰ φύσιν καὶ
οὐσίαν, ὅσα ἐνδέχεται εἶναι ἄνευ ἄλλων, ἐκεῖνα δὲ ἄνευ ἐκείνων μή· ᾗ διαιρέσει ἐχρήσατο Πλά-
των. Aristoteles betont, dass dieses Prinzip auf Platon zurückgeht (ᾗ διαιρέσει ἐχρήσατο Πλά-
των – 1019a4). Die ontologische Vorrangigkeit (πρότερα καὶ ὕστερα κατὰ φύσιν καὶ οὐσίαν)
des einen gegenüber dem anderen entscheidet sich daran, ob das eine durch die Aufhebung
des anderen mit aufgehoben werden kann oder nicht.
194 Die Kategorienschrift wird ins Frühwerk des Aristoteles eingeordnet. Dies hat nicht not-
wendigerweise zur Folge, dass der Inhalt der Kategorienschrift im Widerspruch zum Inhalt der
Metaphysik stehen würde, die Aristoteles in seiner Reife- bzw. Meisterzeit abfasst. In der vor-
liegenden Arbeit beabsichtigt die Autorin zu zeigen, wie Aristoteles seine Philosophie systema-
tisch entwirft und als eine organische Ganzheit konstituiert. Wenn der aristotelischen
Philosophie die systematische Einheit fehlt, kann er weder seine Metaphysik noch die apodik-
tisch-syllogistischen Einzelwissenschaften einheitlich begründen.
148 2 Zweite Philosophie (Physik)

1028b33–36)195 übereinstimmend, macht Aristoteles im philosophischen Wörter-


buch, nämlich im Buch Δ der Metaphysik (Metaph. Δ8)196 explizit, dass die Subs-
tanz auf zwei Arten und Weisen ausgesagt werden solle. Zum einen ist die
Substanz als letztes Subjekt der Aussage darzustellen (ὑποκείμενον ἔσχατον, ulti-
mum subiectum proportionis). Im Sinne der vorliegenden Beweisführung ist damit
nichts anderes als die eigenständige Einzelsubstanz gemeint (τόδε τι ὂν καὶ
χωριστὸν). In der Kategorienschrift ist sie als die erste Substanz benannt (τόδε τι-
πρώτη οὐσία) und in der Metaphysik Z3 wird sie als das aus Stoff und Form Zusam-
mengesetzte bezeichnet (τόδε τι-σύνολον). Zum anderen weist die Substanz auf
die Form und die Art des Einzeldings hin (μορφὴ καὶ εἶδος). Da die Form/Art die
Einzelsubstanz zustande und deren Wesenheit zur Sprache bringt, wird sie als

195 (1) Metaph. Z3, 1028b33–36: Λέγεται δ’ ἡ οὐσία, εἰ μὴ πλεοναχῶς, ἀλλ’ ἐν τέτταρσί γε μά-
λιστα· καὶ γὰρ τὸ τί ἦν εἶναι καὶ τὸ καθόλου καὶ τὸ γένος οὐσία δοκεῖ εἶναι ἑκάστου, καὶ τέταρτον
τούτων τὸ ὑποκείμενον. (2) Metaph. H1, 1042a12–13: ἄλλας δὲ δὴ συμβαίνει ἐκ τῶν λόγων οὐσίας
εἶναι, τὸ τί ἦν εἶναι καὶ τὸ ὑποκείμενον. (3) Metaph. H1, 1042a21–22: ἔτι τοίνυν οὔτε τὸ καθόλου
οὐσία οὔτε τὸ γένος. Aristoteles zählt zwar vier Kandidaten zur Substanz, aber durch die Ableh-
nung der zwei Möglichkeiten sind die vier Typen auf zwei Typen der Substanzen zu reduzieren.
Aristoteles sieht weder das Allgemeine noch die Gattung als Substanz an, weil die beiden allge-
mein sind und wegen der Trennung vom konkreten Einzelding keine Substantialität erhalten.
Da die Gattung der Gattungsallgemeinheit zugehörig ist, wird die Gattung im Buch Z der Meta-
physik nicht separat, sondern zusammen mit der Allgemeinheit behandelt. Per definitionem sind
mit dem καθόλου alle allgemeinen Prädikate gemeint (λέγω δὲ καθόλου μὲν ὃ ἐπὶ πλειόνων
πέφυκε κατηγορεῖσθαι, καθ’ ἕκαστον δὲ ὃ μή, οἷον ἄνθρωπος μὲν τῶν καθόλου Καλλίας δὲ τῶν
καθ’ ἕκαστον – Int. 7, 17a39–17b1; τοῦτο γὰρ λέγεται καθόλου ὃ πλείοσιν ὑπάρχειν πέφυκεν –
Metaph. Z13, 1038b11–12), die das akzidentelle Prädikat, die Art, die Gattung, die platonische
Idee, das Sein und das Eine umfassen. Während die akzidentelle Allgemeinheit in der Substanz-
lehre außer Betracht bleibt und die Substantialität der Artallgemeinheit zugegeben wird, lehnt
es Aristoteles ab, die Gattungsallgemeinheit (Metaph. Z13, 1038b8–1039a3), die platonische Idee
(Metaph. Z14, 1039a24–1039b19; Z16, 1040b27–1041a5), das Sein und das Eine (Metaph. Z16,
1040b16–27; B3, 998b14–28) als Substanz anzuerkennen. Die Frage, ob und inwieweit die Gat-
tung als Substanz bezeichnet werden kann, werden wir später ausführlich erörtern.
196 In Δ8 der Metaphysik werden auch vier Typen von Substanzen erwähnt: die Einzelsubstanz
(substantia prima, inklusive der Grundelemente und der Daimonen – 1017b10–14; Thomas Sen-
tentia Metaphysicae lib.5 l.10 n.1 [82463]), die Form als Wesensursache (αἰτία τοῦ εἶναι/causa es-
sendi – 1017b14–16; Thomas lib.5 l.10 n.2 [82464]), die mathematischen Entitäten, d. h. Punkt-
Linie-Fläche, als Einschränkungsprinzip (πέρας/terminus – 1017b16–21; Alexander 373.27–374.36;
Thomas lib.5 l.10 n.3 [82465]), und die Wesensdefinition (τὸ τί ἦν εἶναι/essentia vel quidditas
rei – 1017b21–23; Thomas lib.5 l.10 n.5 [82467]). Aristoteles’ Auffassung nach sind die mathemati-
schen Entitäten keine Substanzen, sondern quantitative Bestimmungen, die aus der gedankli-
chen Abstraktion stammen. Die Form tritt einerseits als Wesensursache in der Wirklichkeit auf
und kann andererseits wesentlich definiert werden. Darum unterliegt die Wesensdefinition der
Wesenssubstanz, d. h. der Form. Auf diese Art und Weise sind die vier Kandidaten auf zwei
Typen zu reduzieren, nämlich auf die Einzel- und die Wesenssubstanz.
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 149

Wesenssubstanz bezeichnet. In der Kategorienschrift wird die Gattung neben der


Art zur Wesenssubstanz gezählt (εἶδος καὶ γένος), während in der Metaphysik der
Akzent auf die Wesensdefinition der Art (τὸ τί ἦν εἶναι) gelegt und die Gattung als
Definitionselement erwähnt wird.
In der Tat stellen die zwei Typen von Substanzen, nämlich das Zugrundelie-
gende und die Art, die auf die Einzel- und die Wesenssubstanz hinweisen, zwei ver-
schiedene Kriterien der Substanz zur Schau. Damit können die anderen Sorten der
Substanzen schrittweise hergeleitet werden. Zum einen legt das Zugrundeliegende
(ὑποκείμενον) das materiale Kriterium dar, insofern es mit der Materialität und der
Passivität verbunden ist.197 Zum anderen weist die Art (εἶδος) das formale Kriterium
auf, da die Art mit der Formalität und der Aktivität zusammenhängt. Anhand des
materialen Kriteriums wird das Einzelding als Einzelsubstanz angesehen, denn es
bietet nicht nur die materiale Grundlage, sondern muss auch der Kategorie zu-
grunde gelegt werden (ὑποκεῖσθαι). Aufgrund der Formalität und der Aktivität lässt
sich die Naturart für die Wesenssubstanz halten. Kraft der aktiven Produktivität
bringt die Naturart die gleichartigen Einzeldinge hervor, indem sie der späteren Ge-
neration die Wesenheit sowie die Eigentümlichkeit übermittelt. Daraus folgen zwei
verschiedene Kriterien: Die Substantialität der Einzelsubstanz gründet in der Mate-
rialität, die die passive Fundierungsfunktion hat. Die Substantialität der Wesens-
substanz ist in der Formalität verwurzelt, die aktiv wirksam und produktiv ist.
Dem Kriterium ὑποκείμενον wohnen nicht nur die Materialität und die Passivi-
tät inne, sondern auch die Relativität.198 Was das Zugrundeliegende (ὑπο-κείμενον)
ist, richtet sich in erster Linie danach, welchem Vorliegenden (κείμενον) es zu-
grunde liegt (ὑπο). Wegen des relativen Charakters wird das ὑποκείμενον zum

197 Von der Wortbildung her ist es einleuchtend, dass der griechische Begriff ὑποκείμενον
sowie die lateinische Übersetzung subiectum als Partizip Präsens Passiv gelten und die Passivi-
tät mit sich bringen. Ontologisch gesehen kommt die Passivität dadurch zum Vorschein, dass
die Substanz der Kategorie, das Subjekt dem Prädikat und das Substrat der Eigenschaft passiv
zugrunde gelegt werden muss (πάσχειν).
198 Aus der Relativität folgt, dass ὑποκείμενον von Natur aus mehrdeutig ist. Im konkreten
Falle argumentiert Aristoteles sehr sorgfältig, um die Mehrdeutigkeit des ὑποκείμενον, die
manchmal zur Verwirrung und Unklarheit führt, zu vermeiden. Dadurch, dass Aristoteles mit
Absicht das logische Argument einführt (νῦν μὲν οὖν τύπῳ εἴρηται τί ποτ’ ἐστὶν ἡ οὐσία, ὅτι
τὸ μὴ καθ’ ὑποκειμένου ἀλλὰ καθ’ οὗ τὰ ἄλλα – Metaph. Z3, 1029a7–9), ist mit dem letzten
logischen Zugrundeliegenden eindeutig die Einzelsubstanz gemeint. Denn das ὑποκείμενον
als letztes Subjekt der Aussage schließt die anderen Möglichkeiten aus. Aristoteles ist sich des
ganzen Problems völlig bewusst. Er betont ausdrücklich, dass das logische Argument dafür
nicht hinreichend ist, das ontische Zugrundeliegende, d. h. die Materie, als Substanz zu be-
stimmen (δεῖ δὲ μὴ μόνον οὕτως· οὐ γὰρ ἱκανόν· αὐτὸ γὰρ τοῦτο ἄδηλον, καὶ ἔτι ἡ ὕλη οὐσία
γίγνεται – Metaph. Z3, 1029a9–10).
150 2 Zweite Philosophie (Physik)

Kriterium genommen, um die passiv zugrundeliegenden Substanzen zu bestim-


men. Denn durch die graduelle Abstufung der Grundlegung können die anderen
materialen Substanzen schrittweise abgeleitet werden. Wie die Einzelsubstanz der
Eigenschaft zugrunde liegt (τόδε τι-κατηγορούμενον), so verhält sich die konkrete
Materie zur Form (ὕλη-μορφή) und die prima materia zur konkreten Materie
(πρώτη ὕλη-ὕλη).
Zunächst ist die Einzelsubstanz als materiales Prinzip des Sachverhaltes
bestimmt. Im zweiten Schritt geht das Argument von der Einzelsubstanz aus.
Anhand der ontologischen Analyse lässt sich das konkrete Einzelding in Stoff
und Form zerlegen. Stoff und Form gelten jeweils als materiale und formale
Substanz, da die substanziellen Bestandteile der Einzelsubstanz auch Substan-
zen sein müssen. Sonst würde die Einzelsubstanz aus demjenigen entstanden
sein, was nicht substanziell, sondern akzidentell ist. Es ist aber unmöglich,
dass etwa ein Tisch aus dem Weißen oder eine Katze aus dem Warmen entsteht.
Die Relativität des ὑποκείμενον ermöglicht, sowohl die Einzelsubstanz auf die
konkrete Materie als auch die konkrete Materie auf die abstrakte Urmaterie zu
reduzieren. Die Letztere ist nichts anderes als die prima materia, die nicht mehr
auf ein Weiteres zurückgehen kann (σύνολον→ὕλη→πρώτη ὕλη). Wegen des
Kriteriums und der damit zusammenhängenden Vorgehensweise kommt die
prima materia ins Spiel. Aus der Rückführung, die die Relativität des Zugrunde-
liegenden verursacht, folgt, dass die ganze Substanzlehre des Aristoteles in den
unendlichen Regress geraten würde. Rein theoretisch gesehen könnte es immer
ein Weiteres geben, das grundlegender als die vorliegende Substanz ist. Um die
schlechte Unendlichkeit zu vermeiden, muss Aristoteles die prima materia als
letztes Substrat einführen (ὕλη ἔσχατον, ultimum substratum entis).199

199 Auf zwei Arten und Weisen bringt Aristoteles die prima materia ans Licht. In Bezug auf
die Entstehung der vier Grundelemente kommt die prima materia als Urmaterie dadurch zum
Vorschein, dass sie als gemeinsame materiale Grundlage in der Umwandlung der Grundele-
mente zugrunde liegt und unveränderlich erhalten bleibt. Im vorhandenen Kontext ist von der
Reduktion die Rede, die das Abstraktionsverfahren ist. Metaph. Z3, 1029a10–19: εἰ γὰρ μὴ αὕτη
[ὕλη] οὐσία, τίς ἐστιν ἄλλη διαφεύγει· περιαιρουμένων γὰρ τῶν ἄλλων οὐ φαίνεται οὐδὲν ὑπο-
μένον· τὰ μὲν γὰρ ἄλλα τῶν σωμάτων πάθη καὶ ποιήματα καὶ δυνάμεις, τὸ δὲ μῆκος καὶ πλάτος
καὶ βάθος ποσότητές τινες ἀλλ’ οὐκ οὐσίαι (τὸ γὰρ ποσὸν οὐκ οὐσία), ἀλλὰ μᾶλλον ᾧ ὑπάρχει
ταῦτα πρώτῳ, ἐκεῖνό ἐστιν οὐσία. ἀλλὰ μὴν ἀφαιρουμένου μήκους καὶ πλάτους καὶ βάθους
οὐδὲν ὁρῶμεν ὑπολειπόμενον, πλὴν εἴ τί ἐστι τὸ ὁριζόμενον ὑπὸ τούτων, ὥστε τὴν ὕλην
ἀνάγκη φαίνεσθαι μόνην οὐσίαν οὕτω σκοπουμένοις. Wenn alle zukommenden kategorialen
Eigenschaften, nämlich sowohl Bewegung bzw. Vermögen (δυνάμεις) als auch qualitative Be-
schaffenheiten bzw. Affektionen (ποιήματα καὶ πάθη) und quantitative Dimensionen (ποσότη-
τές) aufgehoben würden, dann wäre nichts übriggeblieben, außer dass die Materie zugrunde
gelegt wird. Wäre die Materie nicht vorhanden, ergäbe sich nichts, worauf die Gestalt, die drei
2.1 Sachverhalt-Meinung-Bewegung 151

Die Wesenssubstanz, d. h. die Art, ist doppelt gekennzeichnet, und zwar


durch die ontologische Produktivität und die logische Definierbarkeit. Dank der
Wirksamkeit erzeugt die Naturart die Einzeldinge zweckmäßig und kontinuierlich.
Die Naturentstehung dient dazu, die Wesenheit und die Eigentümlichkeit der Art
auf die einzelnen Exemplare zu übertragen. Die teleologische Naturentstehung er-
bringt einen klaren Beweis dafür, dass die Naturart dem gleichartigen Einzelding,
d. h. die Wesenssubstanz der Einzelsubstanz, immanent ist. Nur in Gedanken
kann die Naturart vom konkreten Einzelding abstrahiert und rein logisch betrach-
tet werden. Der logischen Abstraktion zufolge kann die Art entweder begrifflich
oder definitorisch ausgesagt werden. Der ontologischen Art entsprechend bildet
sich unmittelbar der Begriff, z. B. der Mensch (εἶδος-ὄνομα). Indem sich die Gat-
tung in die spezifische Differenz ausdifferenziert, ist die Art wesentlich zu definie-
ren, wie z. B. dass der Mensch vernünftiges Lebewesen ist (λόγος τῆς οὐσίας-
ὁρισμός-τὸ τί ἦν εἶναι). Die Wesensdefinition, die sich durch die Dihairese voll-
zieht, ist deswegen allgemein gültig, weil die formale Bestimmung „Vernünftig-
keit“ sowie die intelligible Materie „Lebewesen“ vom Geist gesetzt werden. Mit
anderen Worten bringt die Wesensdefinition die geistige Struktur der Wesenssub-
stanz zur Entfaltung. Auf dem logischen Weg tritt die Wesenssubstanz zuerst als
Begriff auf und durch die definitorische Entfaltung lässt sich der einheitliche Be-
griff in die zweiteilige Definition zerlegen. Anhand der Wesensdefinition kommt
endlich die Ursache bzw. der Urheber des Logos, nämlich der Geist, zur Sprache
(εἶδος/ὄνομα→λόγος τῆς οὐσίας→ἀρχή ἐπιστήμης: νοῦς – EE Θ2, 1248a27–29).
Mithilfe des materialen und des formalen Kriteriums können wir einen Über-
blick über die aristotelische Substanzlehre geben, die im folgenden Schema
(Abb. 7) dargestellt ist:

Dimensionen und die anderen Eigenschaften aufbauen könnten. Falls die drei Dimensionen,
Länge, Weite und Höhe, aufgehoben werden, taucht nicht die konkrete Materie, sondern die
prima materia auf. Denn der konkreten Materie wohnen die drei Dimensionen unentbehrlich
inne. Es zeigt sich, dass der Aufhebungsprozess (περιαιρούμενον) keineswegs das empirische
Verfahren, sondern die gedankliche Operation ist. Dadurch, dass alle Eigenschaften in Gedan-
ken aufgehoben werden, ist nur dasjenige übriggeblieben (ὑπολειπόμενον), was total formlos
und bestimmungslos ist. Das letzte Substrat, das allen anderen Beschaffenheiten zugrunde
liegt, ist nichts anderes als die prima materia (ἔσχατον ὕλη = πρώτη ὕλη). Aus der Vorgehens-
weise der Rückführung bzw. der Abstraktion resultiert die prima materia, die als letztes mate-
riales Substrat angesehen wird. Während das letzte ontische Substrat endlich auf die prima
materia zurückkommt (ultima substantia entis→prima materia), kann das letzte logische Sub-
jekt höchstens auf das Einzelding zu reduzieren sein (ultimum subiectum proportionis→subs-
tantia particularis). Daraus folgt, dass die Urmaterie und die Einzelsubstanz, das letzte
Substrat und das letzte Subjekt, anders gesagt, das letzte ontische und das letzte logische Zu-
grundeliegende, nicht deckungsgleich sind.
152 2 Zweite Philosophie (Physik)

Abb. 7: Systematische Entwicklung der Substanzlehre.

Auf der einen Seite ist der Sachverhalt auf die Einzelsubstanz, die Einzelsub-
stanz auf die Form und die konkrete Materie, und die Letztere auf die prima ma-
teria zurückzuführen. Auf der anderen Seite wird die Wesenssubstanz, d. h. die
Art, zunächst als Begriff bezeichnet und dann wird der Begriff wesentlich
definiert. Durch die Suche nach der Ursache der Wesensdefinition gelangt die
Prinzipienforschung schließlich zum Nous. Erwähnenswert ist zudem, ob das
materiale und das formale Kriterium vereint sein können. Die beiden Kriterien
werden dadurch genannt, dass sie mit dem bestimmten Kennzeichen von Stoff
und Form versehen sind. Sind Stoff und Form voneinander differenziert (Metaph.
Δ28, 1024b9–16), müssen das materiale und das formale Kriterium voneinander
unterschieden sein. Der Unterschied zwischen Form und Stoff gründet eigentlich
in der funktionalen Verschiedenheit von Machen und Erleiden. Die Form wirkt
sich aktiv aus, und der Stoff kann nur die formale Prägung passiv erleiden. Da
das Wirken und das Erleiden zwar zusammenfallen können, nicht aber miteinan-
der verschmolzen sind, lassen sich die beiden Kriterien nicht vereinen. Bei den
beiden extremen Fällen zeigt es sich am offenkundigsten. Die prima materia ist
insofern mit der absoluten Passivität ausgestattet, als sie allen anderen Seienden
zugrunde gelegt wird. Im starken Gegensatz dazu steht die geistige Tätigkeit, die
sich rein aktiv aktualisiert.
Wie das Schema zeigt, entwickelt sich die aristotelische Substanzlehre
nicht zeitlich, sondern entfaltet sich ganz und gar systematisch, und zwar
durch die Suche nach dem Prinzip. Die Kategorienlehre des Aristoteles steht
deshalb in Verbindung mit seiner Prinzipienforschung, weil die Einzelsubstanz
als materiales Prinzip der Kategorie bestimmt ist. Im vorliegenden Teil (2.1)
haben wir die Einzelsubstanz als das der Kategorie Zugrundeliegende behan-
delt. Im folgenden Teil (2.2) suchen wir nach den Entstehungsprinzipien der
Einzelsubstanz und den Definitionsprinzipien der Wesenssubstanz. Anhand
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 153

des oben erwähnten Leitfadens lassen sich die anderen Substanzen als Prinzi-
pien schrittweise herleiten und zur Schau stellen.

2.2 Einzelding-Entstehung-Definition (τόδε τι-γένεσις-ὁρισμός)

Sachverhalt-Einzelding, Äquivokation-Univokation und Bewegung-Entstehung


sind jeweils voneinander unterschieden, indem die Kategorie, das Prädikat und
die Eigenschaft in per accidens und per se gespalten sind. Beim akzidentellen
Kompositum stimmen Sachverhalt, Akzidenzprädikation und Bewegung des-
wegen miteinander strukturell überein (σύνθετον: πρᾶγμα-δόξα-κίνησις), weil
die ontologische Differenz von Einzelsubstanz und Kategorie (πρᾶγμα = ὑπο-
κείμενον + κατηγορούμενον) zur logischen Zwiefalt von Subjekt und Prädikat
(δόξα = ὄνομα + ῥῆμα) einerseits und zum ontischen Unterschied von Substrat
und Eigenschaft (κίνησις = ὑπομένον + ἀντικείμενον) andererseits führt. Beim
substanziellen Kompositum ergibt sich zwischen Einzelding, Entstehung und
Definition auch eine strukturelle Ähnlichkeit (σύνολον: τόδε τι-γένεσις-ὁρισ-
μός) dadurch, dass die ontologische hylemorphistische Struktur die ontische
Entstehung der Einzelsubstanz (τόδε τι/γένεσις = ὕλη αἰσθητή + μορφή) und
die logische Definition der Wesenssubstanz (εἶδος/ὁρισμός = ὕλη νοητή +
διαφορά) durchdringt.
Die aristotelische Metaphysik ist deshalb als Prinzipienlehre konzipiert, weil
sie sich am Prinzip orientiert. Im ersten Schritt (2.1) zeigt sich die Einzelsubstanz
als materiales Prinzip der Kategorie, indem das Prinzip des akzidentellen Kompo-
situms in Frage gestellt wird.200 Im nächsten Schritt (2.2) werden die Prinzipien
des substanziellen Kompositums thematisiert. Dadurch, dass die Entstehung der
Einzelsubstanz ontologisch analysiert wird, kommen das materiale Prinzip und
das formale Prinzip zum Vorschein. Dabei wird der Akzent darauf gelegt, wie
sich das formale Prinzip zum einzelnen Prinzipiat, die Naturart zum gleicharti-
gen Einzelding und die Wesenssubstanz zur Einzelsubstanz verhalten.

200 Metaph. Λ5, 1070b36–1071a2: Ἐπεὶ δ’ ἐστὶ τὰ μὲν χωριστὰ τὰ δ’ οὐ χωριστά, οὐσίαι ἐκεῖνα.
καὶ διὰ τοῦτο πάντων αἴτια ταὐτά, ὅτι τῶν οὐσιῶν ἄνευ οὐκ ἔστι τὰ πάθη καὶ αἱ κινήσεις. Die
eigenständige Einzelsubstanz (χωριστά) ist deshalb das materiale Prinzip der abhängigen Ka-
tegorie (οὐ χωριστά), weil es ohne den substanziellen Träger weder Eigenschaften noch Bewe-
gungen geben kann. Das materiale Prinzip ist in den Vordergrund gerückt, und zwar anhand
des Ausdrucks „ἄνευ οὐκ“ (sine qua non). Er weist darauf hin, dass das materiale Prinzip die
notwendige Bedingung der Veränderung ist, aber nicht hinreichend (Phys. B2, 194a12–15; B9,
200a5–11), denn was sich verändert, ist nichts anderes als die gegensätzlichen Akzidenzen
oder die gegensätzlichen Zustände der Form.
154 2 Zweite Philosophie (Physik)

Da das formale Prinzip durch die Suche nach den Prinzipien des Einzel-
dings hervortritt (τόδε τι→εἶδος), steht zunächst die Vier-Ursachen-Lehre im
Vordergrund (2.2.1). Die vier Ursachen entfalten sich, indem sich die Analogie
von Bewegung, Herstellung und Naturentstehung ergibt (κίνησις→ποίη-
σις→φύσις). Die Entstehungsprinzipien des Artefaktes und des Naturseienden
lassen sich nur dann von den Bewegungsursachen argumentativ ableiten,
wenn der Bewegung, der Techne und der Physis dieselbe Struktur, nämlich
Form-Stoff bzw. Machen-Erleiden, zugeteilt ist.
Methodisch gesehen kommt die hylemorphistische Struktur, an der die Be-
wegung, die Herstellung und die Naturentstehung teilhaben, dadurch ans Licht,
dass die ontologische Analyse in der Vier-Ursachen-Lehre durchgeführt wird.
Außer der analytischen Vorgehensweise kann die Naturentstehung syllogistisch
betrachtet und untersucht werden. Der notwendige Syllogismus vollzieht sich
nicht nur in der Mathematik und in der Logik, sondern auch in der Natur. Denn
im Allgemeinen impliziert der notwendige Syllogismus nichts anderes als die
mathematische, die logische oder die ontologische Übertragung der Allgemein-
heit bzw. der Besonderheit auf die Einzelheit. Die Analogie zwischen dem
mathematisch-logischen und dem ontologischen Syllogismus basiert auf der
Notwendigkeit der Schlussfolgerung. Wie in der Mathematik oder in der Logik
die Konklusion aus der Prämisse notwendig folgt, so muss der einzelne Mensch
aus der menschlichen Art stammen. In der Natur ist einzusehen, dass die Natur-
art ihre besondere Eigentümlichkeit dem gleichartigen Einzelding zweckmäßig
übermittelt. Daher ziehen wir die Naturentstehung nicht nach dem technischen
Modell in Betracht, sondern sehen sie als den notwendigen ontologischen Syllo-
gismus an (2.2.2). Im Wesentlichen geht es darum, dass sich die Naturart am
gleichartigen Einzelding teleologisch aktualisiert (εἶδος→τόδε τι). Des Weiteren
breitet sich der notwendige Syllogismus der Naturentstehung auf die menschli-
che Herstellung und die Handlung aus, insofern sich die menschliche Tätigkeit
bemüht, die natürliche Notwendigkeit, d. h. die Zweckmäßigkeit, nachzuahmen
(καὶ εἰ ἐνῆν ἐν τῷ ξύλῳ ἡ ναυπηγική, ὁμοίως ἂν τῇ φύσει ἐποίει· ὥστ’ εἰ ἐν τῇ
τέχνῃ ἔνεστι τὸ ἕνεκά του, καὶ ἐν τῇ φύσει – Phys. B8, 199b28–30). Die natürliche
Notwendigkeit imitierend versuchen die Menschen, das gleiche Artefakt, z. B. das
Schiff, zu reproduzieren oder die positive Eigenschaft, die Gesundheit, regelmä-
ßig herzustellen. Darum vollziehen sich die natürliche Entstehung, die mensch-
liche Herstellung und die Handlung teleologisch (φύσις→ποίησις→πρᾶξις).
Nachdem das (formale) Prinzip der Einzelsubstanz als Naturart festgelegt
worden ist, fragen wir nach dem Prinzip der Art. Die Art nimmt deshalb eine
Mittelstelle zwischen dem Einzelding und der Gattung ein, weil die Art das
Prinzip des Einzeldings und das Prinzipiat der Gattung ist. Anders gesagt: Die
ontologische Beziehung von Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 155

(ἕκαστον-ἴδιον-κοινόν) spiegelt sich darin, dass sich Einzelding, Art und Gat-
tung in der Natur (τόδε τι-εἶδος-γένος) sowie Eigenname, Begriff und
Definition in der Logik (Σωκράτης-ὄνομα-λόγος) gleicherweise verhalten.
Demzufolge stimmen das Einzelding mit dem Eigennamen (τόδε τι-Σωκρά-
της), die Art mit dem Begriff (εἶδος-ὄνομα) und die Gattung mit der Definition
(γένος-λόγος) überein. Anhand der Mittelstellung kann die Art zwiefältig zum
Vorschein kommen, je nach der ontologischen Konkretisierung oder der logi-
schen Abstraktion. Außer dass sich die Naturart im einzelnen Naturseienden
konkretisiert, kann sie vom konkreten Einzelnen abstrahiert und rein logisch
betrachtet werden. Im Fall der logischen Abstraktion wird die Naturart nicht
nur begrifflich, sondern auch definitorisch zum Ausdruck gebracht. Darum ist
die Definition der Art zu thematisieren (2.2.3). Die Art, d. h. die Wesenssub-
stanz, kann nur dann wesentlich bestimmt sein, wenn sich die Definition der
Wesenssubstanz zur Produktion der Einzelsubstanz analog verhält (γένεσις-
ὁρισμός). Dadurch, dass die Wesenssubstanz anhand der Dihairese definiert
wird, gelangt der definitorische Logos endlich zum Urheber des Logos, näm-
lich zum Nous (λόγος τῆς οὐσίας→νοῦς).

2.2.1 Einzelding-Art: Bewegung-Herstellung-Naturentstehung


(τόδε τι-εἶδος: κίνησις-ποίησις-φύσις)

Wie gesagt zieht die Physik als theoretische Wissenschaft das Naturseiende in
Betracht, das vom Stoff untrennbar und veränderlich ist. Man kann das natür-
liche Einzelding nur dann begreifen, wenn man die Prinzipien des Entstehens
und Vergehens sowie die Ursachen der natürlichen Veränderung erkennt (τόδε
τι→ἀρχή).

ἐπεὶ γὰρ τοῦ εἰδέναι χάριν ἡ πραγματεία, εἰδέναι δὲ οὐ πρότερον οἰόμεθα ἕκαστον πρὶν
ἂν λάβωμεν τὸ διὰ τί περὶ ἕκαστον (τοῦτο δ' ἐστὶ τὸ λαβεῖν τὴν πρώτην αἰτίαν), δῆλον
ὅτι καὶ ἡμῖν τοῦτο ποιητέον καὶ περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς καὶ πάσης τῆς φυσικῆς μετα-
βολῆς, ὅπως εἰδότες αὐτῶν τὰς ἀρχὰς ἀνάγειν εἰς αὐτὰς πειρώμεθα τῶν ζητουμένων
ἕκαστον. – Phys. B3, 194b17–23201

201 (1) Phys. B3, 194b22–23: [. . .] ὅπως εἰδότες αὐτῶν τὰς ἀρχὰς ἀνάγειν εἰς αὐτὰς πειρώμεθα
τῶν ζητουμένων ἕκαστον. (2) Thomas In Physicorum lib.2 l.5 n.1 [71707]: „Sed nos non opina-
mur nos scire unumquodque, nisi cum accipimus propter quid, quod est accipere causam:
unde manifestum est quod hoc observandum est nobis circa generationem et corruptionem et
omnem naturalem mutationem, ut cognoscamus causas, et reducamus unumquodque de quo
quaeritur propter quid, in proximam causam.“ (3) Metaph. A3, 983a24–26: Ἐπεὶ δὲ φανερὸν
ὅτι τῶν ἐξ ἀρχῆς αἰτίων δεῖ λαβεῖν ἐπιστήμην. τότε γὰρ εἰδέναι φαμὲν ἕκαστον, ὅταν τὴν
156 2 Zweite Philosophie (Physik)

Die Naturforschung des Aristoteles geht zwar von den mannigfaltigen Einzeldingen
aus, zielt aber auf die allgemein gültigen Prinzipien ab (καθ’ ἕκαστον→καθόλου). In
diesem Sinne gilt die aristotelische Physik als Prinzipienlehre im sublunaren Be-
reich. Es handelt sich hauptsächlich darum, wodurch das einzelne Naturding ent-
standen und beweglich sein kann. Anhand der Vier-Ursachen-Lehre hat Aristoteles
die Wodurch-Frage (διὰ τι, propter quid) zu beantworten. Aus den vier Prinzipien
wird das Einzelding zustande gebracht, und durch die vier Ursachen verändert sich
das Einzelding qualitativ, quantitativ oder räumlich.
Die aristotelische Vier-Ursachen-Lehre tritt in zweierlei Form auf.202 In
dem einen Kontext (Phys. A7, 190b17–191a22203; Metaph. Λ2, 1069b32–34204;
Λ4, 1070b22–26205; Λ5, 1071a33–35206) kommen die vier Prinzipien von
Form, Privation, Stoff und Wirkendem (εἶδος-στέρησις-ὕλη-κινοῦν) dadurch
ans Licht, dass den drei inneren Prinzipien eine äußere Wirkursache hinzu-
zufügen ist. In dem anderen Zusammenhang (APo. B11, 94a20–24207; Phys.

πρώτην αἰτίαν οἰώμεθα γνωρίζειν. Wir können nur dann das konkrete Einzelding wahrhaft zur
Kenntnis nehmen, wenn wir die Entstehungsprinzipien und die Bewegungsursachen dessel-
ben erkennen.
202 Krämer macht zwar darauf aufmerksam, dass es bei Aristoteles zwei verschiedene Versio-
nen der Vier-Ursachen-Lehre gibt. Aber er legt den Schwerpunkt nicht auf den Unterschied
beider Versionen, sondern betont, dass die zwei Formen der vier Ursachen die gleiche Wurzel
in der altakademischen Prinzipienlehre haben. Vgl. Krämer (1972: 331): „Diese Prinzipienlehre
tritt bekanntlich in zweierlei Form auf: triadisch mit Hyle-Eidos-Steresis Phys. A und Met. Λ,
sonst stets tetradisch (nach Material-, Formal-, Bewegungs- und Zweckursache). Bei beiden
Formen handelt es sich nun um Fortbildungen akademischer Prinzipientheorien, an die sich
Aristoteles nacheinander angeschlossen hat, wobei die tetradische Form kontinuierlich aus
der triadischen hervorgegangen ist.“
203 Wir zitieren den langen Text deswegen nicht, weil unsere argumentative Rekonstruktion
hauptsächlich auf der Erörterung in A7 der Physik aufbaut. Bemerkenswert ist, dass an dieser
Stelle von drei Prinzipien die Rede ist. Da die Wirkursache nicht erwähnt wird, sind die zusam-
menhängenden Texte, Λ4 und Λ5 der Metaphysik, einzuführen und zu ergänzen.
204 Metaph. Λ2, 1069b32–34: τρία δὴ τὰ αἴτια καὶ τρεῖς αἱ ἀρχαί, δύο μὲν ἡ ἐναντίωσις, ἧς τὸ
μὲν λόγος καὶ εἶδος τὸ δὲ στέρησις, τὸ δὲ τρίτον ἡ ὕλη.
205 Metaph. Λ4, 1070b22–26: ἐπεὶ δὲ οὐ μόνον τὰ ἐνυπάρχοντα αἴτια, ἀλλὰ καὶ τῶν ἐκτὸς οἷον
τὸ κινοῦν, δῆλον ὅτι ἕτερον ἀρχὴ καὶ στοιχεῖον, αἴτια δ’ ἄμφω, καὶ εἰς ταῦτα διαιρεῖται ἡ ἀρχή,
τὸ δ’ὡς κινοῦν ἢ ἱστὰν ἀρχή τις καὶ οὐσία, ὥστε στοιχεῖα μὲν κατ’ ἀναλογίαν τρία, αἰτίαι δὲ καὶ
ἀρχαὶ τέτταρες.
206 Metaph. Λ5, 1071a33–35: καὶ πάντων, ὡδὶ μὲν ταὐτὰ ἢ τὸ ἀνάλογον, ὅτι ὕλη, εἶδος, στέρη-
σις, τὸ κινοῦν, καὶ ὡδὶ τὰ τῶν οὐσιῶν αἴτια ὡς αἴτια πάντων, ὅτι ἀναιρεῖται ἀναιρουμένων.
207 APo. B11, 94a20–24: Ἐπεὶ δὲ ἐπίστασθαι οἰόμεθα ὅταν εἰδῶμεν τὴν αἰτίαν, αἰτίαι δὲ τέττα-
ρες, μία μὲν τὸ τί ἦν εἶναι, μία δὲ τὸ τίνων ὄντων ἀνάγκη τοῦτ’ εἶναι, ἑτέρα δὲ ἡ τί πρῶτον
ἐκίνησε, τετάρτη δὲ τὸ τίνος ἕνεκα, πᾶσαι αὗται διὰ τοῦ μέσου δείκνυνται.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 157

B3, 194b23–35 = Metaph. Δ2, 1013a24–35208; Phys. B3, 195a15–26 = Metaph.

208 Phys. B3, 194b23–35 = Metaph. Δ2, 1013a24–35: ἕνα μὲν οὖν τρόπον αἴτιον λέγεται τὸ ἐξ οὗ
γίγνεταί τι ἐνυπάρχοντος, οἷον ὁ χαλκὸς τοῦ ἀνδριάντος καὶ ὁ ἄργυρος τῆς φιάλης καὶ τὰ τούτων
γένη· ἄλλον δὲ τὸ εἶδος καὶ τὸ παράδειγμα, τοῦτο δ’ ἐστὶν ὁ λόγος ὁ τοῦ τί ἦν εἶναι καὶ τὰ τούτου
γένη (οἷον τοῦ διὰ πασῶν τὰ δύο πρὸς ἕν, καὶ ὅλως ὁ ἀριθμός) καὶ τὰ μέρη τὰ ἐν τῷ λόγῳ. ἔτι ὅθεν
ἡ ἀρχὴ τῆς μεταβολῆς ἡ πρώτη ἢ τῆς ἠρεμήσεως, οἷον ὁ βουλεύσας αἴτιος, καὶ ὁ πατὴρ τοῦ τέ-
κνου, καὶ ὅλως τὸ ποιοῦν τοῦ ποιουμένου καὶ τὸ μεταβάλλον τοῦ μεταβαλλομένου. ἔτι ὡς τὸ
τέλος· τοῦτο δ’ ἐστὶν τὸ οὗ ἕνεκα, οἷον τοῦ περιπατεῖν ἡ ὑγίεια· διὰ τί γὰρ περιπατεῖ; φαμέν „ἵνα
ὑγιαίνῃ“, καὶ εἰπόντες οὕτως οἰόμεθα ἀποδεδωκέναι τὸ αἴτιον. An dieser Stelle ist die maßgebende
Vier-Ursachen-Lehre am vollständigsten dargestellt. In erster Linie setzt die Vier-Ursachen-Lehre
voraus, dass weder die Form noch der Stoff, sondern die aus Form und Stoff zusammengesetzte
Einzelsubstanz entstanden und vergänglich sein kann (Μετὰ ταῦτα ὅτι οὐ γίγνεται οὔτε ἡ ὕλη
οὔτε τὸ εἶδος, λέγω δὲ τὰ ἔσχατα. πᾶν γὰρ μεταβάλλει τὶ καὶ ὑπό τινος καὶ εἴς τι· ὑφ’ οὗ μέν, τοῦ
πρώτου κινοῦντος· ὃ δέ, ἡ ὕλη· εἰς ὃ δέ, τὸ εἶδος. εἰς ἄπειρον οὖν εἶσιν, εἰ μὴ μόνον ὁ χαλκὸς γίγνε-
ται στρογγύλος ἀλλὰ καὶ τὸ στρογγύλον ἢ ὁ χαλκός· ἀνάγκη δὴ στῆναι – Metaph. Λ3,
1069b35–1070a4; Z9, 1034b7–19; B4, 999b6–8, 12–14). Darum dienen die vier Ursachen ursprüng-
lich dazu, die Entstehungsursachen der Einzelsubstanz zu erklären. Da die entstandene Einzelsub-
stanz und der veränderliche Sachverhalt strukturell ähnlich sind, gelten die vier Ursachen nicht
nur als Entstehungsprinzipien, sondern auch als Bewegungsursachen. (1) Die vier Ursachen wer-
den deshalb ursprünglich im Bereich von Einzelsubstanz und Sachverhalt angewendet, weil alle
vier Ursachen vollständig vorhanden sein müssen, um die Entstehung der einen und die Bewe-
gung des anderen zu erklären. Die Vier-Ursachen-Lehre ist nicht auf die sensible Einzelsubstanz
beschränkt, sondern gilt für alle Substanzen. In Bezug auf die anderen Substanzen oder in den
anderen Seinsbereichen liegen nicht alle vier Ursachen vor, sondern der Akzent wird auf eine Ur-
sache oder einige Ursachen gelegt. (2) Dadurch dass das Definitionsverfahren der Wesenssubstanz
zum Herstellungsprozess der Einzelsubstanz analog steht, ist die Wesenssubstanz anhand der De-
finition hylemorphistisch zu erklären. Bei der Wesenssubstanz kommen das formale und das ma-
teriale Prinzip zum Vorschein, indem die spezifische Differenz zur intelligiblen Materie und die
Form zur sensiblen Materie im analogischen Verhältnis stehen. (3) Per se gehören die vier Grunde-
lemente, Feuer, Wasser, Erde und Luft, zum stofflichen Prinzip. In der Umwandlung der vier Grun-
delemente treten die Form- und die Stoffursache in den Vordergrund. (4) Im kosmologischen
Gottesbeweis verhält sich der Himmelskörper als materiales Substrat, das von der Wirkursache,
d. h. vom unbewegten Bewegenden bzw. vom Geist, angetrieben wird. (6) Außer dass der absolute
Geist als die allererste Bewegungsursache ewig tätig ist, gilt er als endgültige Zielursache, die
nichts anderes als das absolute Gute ist. Um dessentwillen verwirklicht sich der Geist und setzt
alle anderen Seienden in die Wirklichkeit. (7) Im praktischen Bereich lässt sich die Zielursache
hervorheben. Um der Gesundheit willen begibt man sich auf einen Spaziergang. In der vernünfti-
gen Handlung zielen die Menschen überhaupt auf das Gute ab ([. . .] ἐν ἁπάσῃ δὲ πράξει καὶ προαι-
ρέσει τὸ τέλος· τούτου γὰρ ἕνεκα τὰ λοιπὰ πράττουσι πάντες. ὥστ’ εἴ τι τῶν πρακτῶν ἁπάντων
ἐστὶ τέλος, τοῦτ’ ἂν εἴη τὸ πρακτὸν ἀγαθόν, εἰ δὲ πλείω, ταῦτα – EN A7, 1097a18–24). (8) Während
es sich im praktischen Bereich hauptsächlich um das Ziel, nämlich das Gute, handelt, ist in Bezug
auf die unbeweglichen mathematischen Entitäten nur von der Form bzw. vom Wesen die Rede
(ἢ γὰρ εἰς τὸ τί ἐστιν ἀνάγεται τὸ διὰ τί ἔσχατον, ἐν τοῖς ἀκινήτοις. οἷον ἐν τοῖς μαθήμασιν· εἰς
ὁρισμὸν γὰρ τοῦ εὐθέος ἢ συμμέτρου ἢ ἄλλου τινὸς ἀνάγεται ἔσχατον – Phys. B7, 198a16–18).
158 2 Zweite Philosophie (Physik)

Δ2, 1013b16–28209; Phys. B7, 198a22–24210; GA A1, 715a4–11211; E1, 778a29–b10212;


Metaph. A3, 983a24–32213; B2, 996b5–8214; H4, 1044a32–1044b1215) werden die

209 Phys. B3, 195a15–26 = Metaph. Δ2, 1013b16–28: ἅπαντα δὲ τὰ νῦν εἰρημένα αἴτια εἰς τέττα-
ρας πίπτει τρόπους τοὺς φανερωτάτους. τὰ μὲν γὰρ στοιχεῖα τῶν συλλαβῶν καὶ ἡ ὕλη τῶν
σκευαστῶν καὶ τὸ πῦρ καὶ τὰ τοιαῦτα τῶν σωμάτων καὶ τὰ μέρη τοῦ ὅλου καὶ αἱ ὑποθέσεις τοῦ
συμπεράσματος ὡς τὸ ἐξ οὗ αἴτιά ἐστιν, τούτων δὲ τὰ μὲν ὡς τὸ ὑποκείμενον, οἷον τὰ μέρη, τὰ
δὲ ὡς τὸ τί ἦν εἶναι, τό τε ὅλον καὶ ἡ σύνθεσις καὶ τὸ εἶδος· τὸ δὲ σπέρμα καὶ ὁ ἰατρὸς καὶ ὁ
βουλεύσας καὶ ὅλως τὸ ποιοῦν, πάντα ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς μεταβολῆς ἢ στάσεως [ἢ κινήσεως]· τὰ
δ’ ὡς τὸ τέλος καὶ τἀγαθὸν τῶν ἄλλων τὸ γὰρ οὗ ἕνεκα βέλτιστον καὶ τέλος τῶν ἄλλων ἐθέλει
εἶναι· διαφερέτω δὲ μηδὲν εἰπεῖν αὐτὸ ἀγαθὸν ἢ φαινόμενον ἀγαθόν.
210 Phys. B7, 198a22–24: ἐπεὶ δ’ αἱ αἰτίαι τέτταρες, περὶ πασῶν τοῦ φυσικοῦ εἰδέναι, καὶ εἰς
πάσας ἀνάγων τὸ διὰ τί ἀποδώσει φυσικῶς, τὴν ὕλην, τὸ εἶδος, τὸ κινῆσαν, τὸ οὗ ἕνεκα.
211 GA A1, 715a4–11: ὑπόκεινται γὰρ αἰτίαι τέτταρες, τό τε οὗ ἕνεκα ὡς τέλος καὶ ὁ λόγος τῆς
οὐσίας (ταῦτα μὲν οὖν ὡς ἕν τι σχεδὸν ὑπολαβεῖν δεῖ), τρίτον δὲ καὶ τέταρτον ἡ ὕλη καὶ ὅθεν ἡ
ἀρχὴ τῆς κινήσεως – περὶ μὲν οὖν τῶν ἄλλων εἴρηται (ὁ τε γὰρ λόγος καὶ τὸ οὗ ἕνεκα ὡς τέλος
ταὐτὸν καὶ ἡ ὕλη τοῖς ζῴοις τὰ μέρη· παντὶ μὲν τῷ ὅλῳ τὰ ἀνομοιομερῆ, τοῖς δ’ ἀνομοιομερέσι
τὰ ὁμοιομερῆ, τούτοις δὲ τὰ καλούμενα στοιχεῖα τῶν σωμάτων), [. . .].
212 GA E1, 778b7–10: οἱ δ’ ἀρχαῖοι φυσιολόγοι τοὐναντίον ᾠήθησαν· τούτου δ’ αἴτιον ὅτι οὐχ
ἑώρων πλείους οὔσας τὰς αἰτίας, ἀλλὰ μόνον τὴν τῆς ὕλης καὶ τὴν τῆς κινήσεως – καὶ ταύτας
ἀδιορίστως· τῆς δὲ τοῦ λόγου καὶ τῆς τοῦ τέλους ἀνεπισκέπτως εἶχον.
213 Metaph. A3, 983a24–32: Ἐπεὶ δὲ φανερὸν ὅτι τῶν ἐξ ἀρχῆς αἰτίων δεῖ λαβεῖν ἐπιστήμην
(τότε γὰρ εἰδέναι φαμὲν ἕκαστον, ὅταν τὴν πρώτην αἰτίαν οἰώμεθα γνωρίζειν), τὰ δ’ αἴτια λέγε-
ται τετραχῶς, ὧν μίαν μὲν αἰτίαν φαμὲν εἶναι τὴν οὐσίαν καὶ τὸ τί ἦν εἶναι (ἀνάγεται γὰρ τὸ διὰ
τί εἰς τὸν λόγον ἔσχατον, αἴτιον δὲ καὶ ἀρχὴ τὸ διὰ τί πρῶτον), ἑτέραν δὲ τὴν ὕλην καὶ τὸ ὑποκεί-
μενον, τρίτην δὲ ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως, τετάρτην δὲ τὴν ἀντικειμένην αἰτίαν ταύτῃ, τὸ οὗ
ἕνεκα καὶ τἀγαθόν (τέλος γὰρ γενέσεως καὶ κινήσεως πάσης τοῦτ’ ἐστίν), [. . .]. Aristoteles entwi-
ckelt die Vier-Ursachen-Lehre hauptsätzlich in den Büchern Α, Β der Physik und in den Büchern
Α. Λ der Metaphysik. In Α7 der Physik sowie in Λ4 und Λ5 der Metaphysik kommen die vier Ur-
sachen als Form, Privation, Stoff und Wirkendes vor, in Β3 der Physik und Α3 der Metaphysik
aber als Form-, Stoff-, Wirk- und Zielursache. Außer der Verschiedenheit zweier Versionen der
Vier-Ursachen-Lehre vergleichen wir das Argument der Physik A mit dem Argument der Meta-
physik A, und zwar in Hinsicht auf die Vorgehensweise. Obwohl Aristoteles sich an den beiden
Stellen mit den voraristotelischen Philosophen auseinandersetzt, sind die Vorgehensweisen bei-
der Texte nicht gleich. In Physik A vollzieht sich die Auseinandersetzung nach der logischen Rei-
henfolge, indem Aristoteles vom Gegensatz-Prinzip ausgeht, um daraus das materiale Prinzip
abzuleiten. Im Gegensatz dazu entfaltet sich die Prinzipienlehre in Metaphysik A gemäß der zeit-
lichen und historischen Abfolge, nämlich Stoffursache→Bewegungsursache→Formursache→Ziel-
ursache. Dies ist insofern eine geschichtliche Reihe, als die Naturphilosophen, welche mit Stoff
die ganze Welt zu erklären versuchen, offenbar zeitlich vor Platon stehen, der die Form als das
Weltprinzip setzt. In Physik A fasst Aristoteles durch die Auseinandersetzung mit den Vorsokrati-
kern die historischen Lehrmeinungen zusammen und modifiziert sie, um seine eigene Theorie
zu entwickeln. Nachdem Aristoteles die Vier-Ursachen-Lehre in der Physik fruchtbar gemacht
hat, zieht er aufgrund seiner eigenen Lehre sowohl die vorsokratische Naturphilosophie als auch
die platonische Ideenlehre in Betracht (τεθεώρηται μὲν οὖν ἱκανῶς περὶ αὐτῶν ἡμῖν ἐν τοῖς περὶ
φύσεως – Metaph. Α3, 983a33–983b1). Die Rekonstruktion der vorangehenden Untersuchungen
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 159

bekannten vier Ursachen, nämlich Stoff-, Form-, Wirk- und Zielursache (ὕλη-
εἶδος-ἀρχὴ τῆς κινήσεως-τέλος), entwickelt. Dabei sind Form und Stoff funda-
mental, woraus die Wirk- und die Zielursache hergeleitet werden.
Von Grund auf hängen die zwei Formen der vier Ursachen mit der argumenta-
tiven Vorgehensweise zusammen. Präziser gesagt beruhen die zwei Versionen der
Vier-Ursachen-Lehre auf zwei verschiedenen Analogien. Zum einen kann das tet-
radische Prinzip nur dann aus dem triadischen hervortreten, wenn die Analogie
von Bewegung und Entstehen-Vergehen ins Spiel kommt (κίνησις-γένεσις/
φθορά – Phys. A7; Metaph. Λ4; Metaph. Λ5, 1071a24–35; Λ2, 1069b3–14; H1,
1042a32–1042b8). Zum anderen stammt die tetradische Ursache aus der duadi-
schen Stoff- und Formursache, denn anhand der Analogie von Techne und Physis
ist die Struktur der menschlichen Herstellung auf die der natürlichen Entstehung
übertragbar (ποίησις-φύσις – Phys. B1–3). So kommt die Vier-Ursachen-Lehre da-
durch zur Entfaltung, dass die strukturelle Ähnlichkeit von Bewegung, Herstel-
lung und Naturentstehung schrittweise dargestellt wird. Zusammen mit der
Erörterung der dreifachen Analogie lassen sich die zwei Versionen der vier Ursa-
chen verdeutlichen.
Wenn sich die Untersuchung an dem Naturseienden bzw. an der Naturentste-
hung orientiert, stellt sich die Frage: Warum muss das ganze Argument unbedingt
von der Bewegung aus- und in die Herstellung übergehen und endlich zur Natur-
entstehung gelangen (κίνησις→ποίησις→φύσις)? Die Notwendigkeit des Durchlaufs
gründet in der Sache selbst. Bei der Veränderung des Sachverhaltes handelt es
sich darum, wie sich die Einzelsubstanz und die akzidentelle/kategoriale Eigen-
schaft zusammenfügen (κίνησις/πρᾶγμα = ὑποκείμενον + κατηγορούμενον). In
Bezug auf die Herstellung des Artefakts geht es darum, dass Stoff und Form zu-
sammengesetzt werden (ποίησις/τόδε τι = ὕλη + μορφή). Was die Entstehung des
Naturseienden anbelangt, ist sie weder die äußerliche und zufällige Zusammenfü-
gung von Substanz und Kategorie noch die äußerliche und substanzielle

in Metaphysik A ist deshalb weder naturphilosophisch noch platonisch, sondern ganz und gar
aristotelisch, weil das vorsokratische Grundelement sowie die platonische Idee weder zur Entste-
hung noch zur Bewegung des konkreten Einzeldings dienen. Da wir die Herleitungsweise und
das Unterscheidungskriterium der vier Ursachen herausfinden möchten, gehen wir auf die Phy-
sik A, B und die Metaphysik Λ ein und rekonstruieren aufgrund dessen die Argumente.
214 Metaph. B2, 996b5–8: ἐνδέχεται γὰρ τῷ αὐτῷ πάντας τοὺς τρόπους τοὺς τῶν αἰτίων
ὑπάρχειν, οἷον οἰκίας ὅθεν μὲν ἡ κίνησις ἡ τέχνη καὶ ὁ οἰκοδόμος, οὗ δ’ ἕνεκα τὸ ἔργον, ὕλη δὲ
γῆ καὶ λίθοι, τὸ δ’ εἶδος ὁ λόγος.
215 Metaph. H4, 1044a32–1044b1: ὅταν δή τις ζητῇ τὸ αἴτιον, ἐπεὶ πλεοναχῶς τὰ αἴτια λέγεται,
πάσας δεῖ λέγειν τὰς ἐνδεχομένας αἰτίας. οἷον ἀνθρώπου τίς αἰτία ὡς ὕλη; ἆρα τὰ καταμήνια; τί
δ’ ὡς κινοῦν; ἆρα τὸ σπέρμα; τί δ’ ὡς τὸ εἶδος; τὸ τί ἦν εἶναι. τί δ’ ὡς οὗ ἕνεκα; τὸ τέλος.
160 2 Zweite Philosophie (Physik)

Zusammensetzung von Stoff und Form, sondern die innere Entzweiung ins mate-
riale und formale Prinzip. Beim Naturseienden sind die beiden Prinzipien nicht
nur sachlich untrennbar, sondern auch ontologisch schwierig zu unterscheiden,
sodass man sich dem Artefakt zuwenden muss, um den Unterschied klar zu fas-
sen. Die Naturentstehung ist zwar das Vorbild der technischen Herstellung, das
technische Produkt aber macht die dem Naturseienden immanente Distinktion
von Form und Stoff anschaulich. Anhand der Analogie der Naturentstehung zur
Herstellung kann das innere Gefüge der natürlichen Einzelsubstanz offensichtlich
in Erscheinung treten. Darum ist es notwendig, dass die Erörterung über die Na-
turentstehung einen Rückblick auf die Herstellung wirft. Sodann führt die Klärung
der substanziellen Veränderung auch über den Rekurs auf die akzidentelle Verän-
derung. Im Vergleich zum Entstehen und Vergehen des Einzeldings sind uns die
qualitative oder die quantitative Veränderung oder die räumliche Bewegung ver-
trauter. Obwohl die Naturentstehung gegenüber der Herstellung und die Herstel-
lung gegenüber der Bewegung ontologisch vorrangig sind, muss das Argument
vom Nachrangigen ausgehen und zum Vorrangigen aufsteigen. Denn jenes ist uns
klar und deutlich, dieses aber der Natur nach klar und deutlich.

2.2.1.1 Bewegung-Enstehen/Vergehen (κίνησις-γένεσις/φθορά)


Es ist schon erörtert worden, dass trotz der Gattungsverschiedenheit die Bewe-
gung und das Entstehen-Vergehen eine strukturelle Ähnlichkeit aufweisen. Diese
zeigt sich darin, dass der Gegensatz mit dem Zugrundeliegenden zusammenge-
fügt ist. Anhand der Analogie werden die vier Prinzipien der akzidentellen und
der substanziellen Veränderung zum Vorschein gebracht. Das Argument geht zu-
nächst vom Gegensatz „Vollendung-Privation“ aus. Dann wird das materiale Zu-
grundeliegende aus dem Gegensatz hergeleitet. Aufgrund dessen, dass das
äußerliche Wirkende den drei inneren Prinzipien, d. h. Vollendung-Privation-
Zugrundeliegendes, hinzuzufügen ist, werden sowohl die Bewegungsursachen
als auch die Entstehungsprinzipien schließlich zur Vierzahl gezählt.

καὶ ἔστι μὲν ὡς τἀναντία, οἷον εἴ τις λέγοι τὸ μουσικὸν καὶ τὸ ἄμουσον ἢ τὸ θερμὸν καὶ τὸ
ψυχρὸν ἢ τὸ ἡρμοσμένον καὶ τὸ ἀνάρμοστον, ἔστι δ’ ὡς οὔ· ὑπ’ ἀλλήλων γὰρ πάσχειν τἀ-
ναντία ἀδύνατον. λύεται δὲ καὶ τοῦτο διὰ τὸ ἄλλο εἶναι τὸ ὑποκείμενον· τοῦτο γὰρ οὐκ
ἐναντίον. – Phys. A7, 190b30–35

Bei der akzidentellen Veränderung wandeln sich die gegensätzlichen Eigen-


schaften ineinander um. Die akzidentellen Gegensätze, wie z. B. musikalisch-
unmusikalisch, harmonisch-disharmonisch, warm-kalt, gesund-krank oder
tüchtig-schlecht, können nur dann wechselnd in Erscheinung treten, wenn ein
Drittes, z. B. ein einzelner Mensch, die Melodie, die Fläche, der Körper oder die
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 161

Seele zugrunde gelegt wird (ὑποτιθέναι τι τρίτον).216 Denn die gegensätzlichen


Eigenschaften sind zwar auseinander entstanden, aber ohne das substanzielle
Zugrundeliegende würden sie sich gegenseitig vernichten. Darum ist es not-
wendig, einen Träger der akzidentellen Wechselwirkung zugrundezulegen,
dem kein Gegensatz innewohnt. Ähnlich wie das zugrundeliegende Einzelding
aus dem akzidentellen Gegensatz abgeleitet wird, folgt die Materie aus dem
substanziellen Gegensatz. Wie Sokrates der Umwandlung des Musikalischen
ins Unmusikalische zugrunde liegt, muss die Materie der substanziellen Verän-
derung zugrunde gelegt werden.

λέγω δὲ ἀντικεῖσθαι μὲν τὸ ἄμουσον, ὑποκεῖσθαι δὲ τὸν ἄνθρωπον, καὶ τὴν μὲν ἀσχημοσύ-
νην καὶ τὴν ἀμορφίαν καὶ τὴν ἀταξίαν τὸ ἀντικείμενον, τὸν δὲ χαλκὸν ἢ τὸν λίθον ἢ τὸν
χρυσὸν τὸ ὑποκείμενον. – Phys. A7, 190b13–17

Bei der substanziellen Veränderung sind die Gestalt der Gestaltlosigkeit


(σχῆμα-ἀσχημοσύνη), die Form der Formlosigkeit (μορφή-ἀμορφία), die Ord-
nung der Unordnung (τάξις-ἀταξία) und die Naturart der Privation (εἶδος-στέ-
ρησις) entgegengesetzt (Phys. A5, 188b17–20; A7, 191a1–3, 191a8–12; Metaph.
Λ4, 1070b28–30). Den oben erwähnten substanziellen Gegensätzen müssen das
Erz, das Holz, der Baustoff und die Biomasse als Materie jeweils zugrunde ge-
legt werden. Damit kann das gestaltlose Erz in die Hermes-Statue, das formlose
Holz in das gestaltete Bett, der ungeordnete Baustoff in das geordnete Haus
oder die menschliche Biomasse in die Vollendung der menschlichen Art umge-
schlagen sein.
In beiden Fällen betrifft die Veränderung den Gegensatz, der entweder
als akzidenteller Gegensatz oder als substanzieller Gegensatz von Form und
Privation auftaucht. Außerdem muss ein unveränderliches Zugrundeliegen-
des in die Veränderung gesetzt werden. Ohne den materiellen Träger können
die akzidentelle sowie die substanzielle Veränderung überhaupt nicht

216 Ein Drittes muss deswegen zugrunde gelegt werden (ὑποτιθέναι τι τρίτον – Phys. A6,
189a23–26, 189a34–189b1; A7, 190b30–34; Gen. et Corr. A7, 324a15–19; Metaph. H1, 1042a32–34;
Λ2, 1069b7–9; Λ10, 1075a30–32), weil die akzidentellen Gegensätze ohne die zugrundeliegende
Substanz sich gegenseitig vernichten würden. Denselben Grundsatz verwendet Aristoteles in der
Diagnose und der Kritik der vorangehenden Philosophie. Weder die Liebe ist aus dem Hass ent-
standen noch stammt der Hass aus der Liebe, sondern an einem substanziellen Träger wechseln
sie ab (οὐ γὰρ ἡ φιλία τὸ νεῖκος συνάγει καὶ ποιεῖ τι ἐξ αὐτοῦ, οὐδὲ τὸ νεῖκος ἐξ ἐκείνης, ἀλλ’
ἄμφω ἕτερόν τι τρίτον – Phys. A6, 189a24–26). Außerdem wird die Prinzipienlehre des Platon
als Gegenbeispiel erwähnt. Aristoteles’ Meinung nach tritt die Formursache als Gegensatz auf
und der zugrundeliegenden Stoffursache wohnt kein Gegensatz inne. Dagegen meint Platon,
dass die wirkende Formursache ein und dieselbe ist und die erleidende Stoffursache die unbe-
stimmte Zweiheit bildet. Vgl. Phys. A4, 187a16–20; A6, 189b11–16; Metaph. A6, 988a7–14.
162 2 Zweite Philosophie (Physik)

geschehen. Den gegensätzlichen Eigenschaften liegt die Einzelsubstanz zu-


grunde, dem Gegensatz von Form und Privation aber die Materie.217 Analog zur
akzidentellen Veränderung, die sich aus der Einzelsubstanz und dem akzidentel-
len Gegensatz zusammenfügt (κίνησις = ὑποκείμενον + ἀντικείμενον), besteht die
substanzielle Veränderung daraus, dass die Materie mit den gegensätzlichen Zu-
ständen der Form kombiniert ist (γένεσις/φθορά = ὕλη + εἶδος/στέρησις). Der for-
male Gegensatz, sei er akzidentell, sei er substanziell, ist der Zahl nach zwei
(δύο), und das materiale Zugrundeliegende, das entweder als Einzelsubstanz
oder als Stoff vorkommt, bildet die numerische Einheit (ἕν).218 Daraus resultiert,
dass die Bewegung und das Entstehen-Vergehen aus drei Prinzipien stammen.

τούτων μὲν οὖν ταὐτὰ στοιχεῖα καὶ ἀρχαί (ἄλλων δ' ἄλλα), πάντων δὲ οὕτω μὲν εἰπεῖν οὐκ
ἔστιν, τῷ ἀνάλογον δέ, ὥσπερ εἴ τις εἴποι ὅτι ἀρχαὶ εἰσὶ τρεῖς, τὸ εἶδος καὶ ἡ στέρησις καὶ
ἡ ὕλη. – Metaph. Λ4, 1070b16–19219

217 Metaph. H1, 1042a32–1042b3. In allen Typen von Veränderungen, bei denen sich die Gegen-
sätze ineinander umwandeln, muss das den Veränderungen Zugrundeliegende vorhanden sein
(ἐν πάσαις γὰρ ταῖς ἀντικειμέναις μεταβολαῖς ἐστί τι τὸ ὑποκείμενον ταῖς μεταβολαῖς –
1042a32–34). Da die Veränderung ohne den substanziellen Träger überhaupt nicht geschehen
kann, muss das Einzelding der qualitativen, der quantitativen Veränderung oder der Ortsbewe-
gung zugrunde gelegt werden. Die Ortsbewegung besteht daraus, dass ein Zugrundeliegendes,
z. B. Sokrates, von zu Hause zum Marktplatz läuft (οἷον κατὰ τόπον τὸ νῦν μὲν ἐνταῦθα πάλιν δ’
ἄλλοθι – 1042a34–35). Die quantitative Veränderung erscheint z. B. darin, dass Sokrates älter
wird oder jünger aussieht (κατ’ αὔξησιν ὃ νῦν μὲν τηλικόνδε πάλιν δ’ἔλαττον ἢ μεῖζον –
1042a35–36). Die qualitative Veränderung zeigt sich darin, dass Sokrates bald gesund und bald
krank ist (κατ’ ἀλλοίωσιν ὃ νῦν μὲν ὑγιὲς πάλιν δὲ κάμνον – 1042a36–1042b1). In der substanziel-
len Veränderung sind das Entstehen und das Vergehen entgegengesetzt (ὁμοίως δὲ καὶ κατ’ οὐ-
σίαν ὃ νῦν μὲν ἐν γενέσει πάλιν δ’ ἐν φθορᾷ – 1042b1–2), denen die Materie zugrunde liegt. Da
das Entstehen als Anwesenheit oder Verinnerlichung der Form (παρουσία-ἕξις) und das Verge-
hen als Abwesenheit oder Beraubung derselben (ἀπουσία-στέρησις) bezeichnet wird, liegt die
Materie nicht nur Entstehen-Vergehen, sondern auch Anwesenheit-Abwesenheit oder Verinner-
lichung-Beraubung zugrunde (νῦν μὲν ὑποκείμενον ὡς τόδε τι πάλιν δ’ ὑποκείμενον ὡς κατὰ
στέρησιν – 1042b2–3). Analog dazu, dass das Einzelding dem räumlichen, dem quantitativen
oder dem qualitativen Gegensatz zugrunde liegt, wird die Materie den entgegengesetzten Zu-
ständen der Form zugrunde gelegt.
218 (1) Phys. A7, 190a14–17: ὅτι δεῖ τι ἀεὶ ὑποκεῖσθαι τὸ γιγνόμενον, καὶ τοῦτο εἰ καὶ ἀριθμῷ
ἐστιν ἕν, ἀλλ’ εἴδει γε οὐχ ἕν· τὸ γὰρ εἴδει λέγω καὶ λόγῳ ταὐτόν· οὐ γὰρ ταὐτὸν τὸ ἀνθρώπῳ καὶ
τὸ ἀμούσῳ εἶναι. (2) Phys. A7, 190b23–27: ἔστι δὲ τὸ μὲν ὑποκείμενον ἀριθμῷ μὲν ἕν, εἴδει δὲ δύο.
ὁ μὲν γὰρ ἄνθρωπος καὶ ὁ χρυσὸς καὶ ὅλως ἡ ὕλη ἀριθμητή· τόδε γάρ τι μᾶλλον, καὶ οὐ κατὰ συμ-
βεβηκὸς ἐξ αὐτοῦ γίγνεται τὸ γιγνόμενον· ἡ δὲ στέρησις καὶ ἡ ἐναντίωσις συμβεβηκός.
219 Drei Bewegungsursachen – Phys. A7, 190b29–191a3; drei Entstehungsprinzipien – Phys. A7,
191a3–8; Zusammenfassung – Phys. A7, 191a15–17: πρῶτον μὲν οὖν ἐλέχθη ὅτι ἀρχαὶ τἀναντία
μόνον, ὕστερον δ’ ὅτι ἀνάγκη καὶ ἄλλο τι ὑποκεῖσθαι καὶ εἶναι τρία; Phys. A7, 191a20–21: ἀλλ’ ὅτι αἱ
ἀρχαὶ τρεῖς καὶ πῶς τρεῖς, καὶ τίς ὁ τρόπος αὐτῶν, δῆλον; Metaph. Λ2, 1069b32–34: τρία δὴ τὰ
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 163

Anhand der Analogie ergeben sich sowohl drei Bewegungsursachen als auch
drei Entstehungsprinzipien. Die Ursache der akzidentellen Veränderung kann
durch Form, Privation und Stoff charakterisiert sein, indem die eine Eigen-
schaft, wie z. B. musikalisch, harmonisch, gesund oder tüchtig, als positive
Form und die andere entgegengesetzte Eigenschaft, nämlich unmusikalisch,
disharmonisch, krank oder schlecht, als Privation angesehen wird (Metaph. Λ4,
1070b10–15; Z7, 1032b2–6). Da Form, Privation und Stoff zur Bewegung und
zum Entstehen-Vergehen einen konstitutiven Beitrag leisten, werden sie als in-
nere Prinzipien bezeichnet (ἐνυπάρχοντα αἴτια, principia intrinseca). Außerdem
bedürfen die Bewegung und das Entstehen-Vergehen des äußerlichen Prinzips
(ἐκτὸς οἷον τὸ κινοῦν, principium extrinsecum), welches als Antriebskraft die
Veränderung in Gang bringt. Dadurch dass den drei Prinzipien eine Wirkursa-
che hinzuzufügen ist, erweisen sich die Prinzipien von Bewegung und Entste-
hen-Vergehen als tetradisch (ὥστε στοιχεῖα μὲν κατ’ ἀναλογίαν τρία, αἰτίαι δὲ
καὶ ἀρχαὶ τέτταρες).220

αἴτια καὶ τρεῖς αἱ ἀρχαί, δύο μὲν ἡ ἐναντίωσις, ἧς τὸ μὲν λόγος καὶ εἶδος τὸ δὲ στέρησις, τὸ δὲ
τρίτον ἡ ὕλη.
220 Metaph. Λ4, 1070b22–26. In diesem Kontext zählt Aristoteles die Form, die Privation und
den Stoff zu den inneren Ursachen (ἐνυπάρχοντα αἴτια – Metaph. Λ4, 1070b22; κατασυντεταγ-
μένα αἴτια – Alexander 680.39; principia intrinseca – Thomas Sententia Metaphysicae lib.12 l.4
n.15 [84040]), die anhand des Terminus „στοιχεῖον“ zusammengefasst werden, und die Wirk-
ursache gilt ihm als äußerliche Ursache (ἐκτὸς [αἴτιον] οἷον τὸ κινοῦν – Metaph. Λ4,
1070b22–23; τὸ ἐκτός, οἷον τὸ κινοῦν ἤτοι τὸ ποιητικόν – Alexander 681.1; principia extrin-
seca – Thomas [84040]), die die „ἀρχή“ genannt wird. Der Unterschied zwischen dem Element
und dem Prinzip liegt darin (δῆλον ὅτι ἕτερον ἀρχὴ καὶ στοιχεῖον – Metaph. Λ4, 1070b23), dass
die Form, sei sie anwesend, sei sie abwesend, und der Stoff die konstitutiven Bestandteile des
Einzeldings oder Sachverhaltes sind, während sich die Wirkursache in der menschlichen Her-
stellung oder der Handlung außer der Sache befindet. Da Aristoteles in der Prinzipienlehre
drei verschiedene Termini, nämlich Prinzip (ἀρχή), Ursache (αἴτιον) und Element (στοιχεῖον)
anwendet, ist es sinnvoll und wichtig, sich die Begrifflichkeit klarzumachen. Erstens gibt es
im Rahmen der Vier-Ursachen-Lehre keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen ἀρχή und
αἴτιον, denn sowohl die eine (ἀρχή – Metaph. Δ1, 1013a17–20) als auch das andere (αἴτιον –
Metaph. Λ4, 1070b22–24) umfassen die inneren und die äußeren Ursachen. Während ἀρχή
und αἴτιον Stoff-, Form-, Wirk- und Zielursache bezeichnen können, ist στοιχεῖον nur auf die
Stoffursache bezogen (στοιχεῖον δ’ ἐστὶν εἰς ὃ διαιρεῖται ἐνυπάρχον ὡς ὕλην, οἷον τῆς συλλα-
βῆς τὸ α καὶ τὸ β – Metaph. Z17, 1041b31–33; Phys. B3, 195a16–20). Zweitens ist erwähnens-
wert, dass das στοιχεῖον zwar für eine Stoffursache gehalten werden kann, aber nicht immer
materiell ist. Denn im Allgemeinen ist mit dem στοιχεῖον der immanente Bestandteil einer
Sache gemeint (ἁπάντων δὲ κοινὸν τὸ εἶναι στοιχεῖον ἑκάστου τὸ πρῶτον ἐνυπάρχον ἑκάστῳ –
Metaph. Δ3, 1014b14–15), der entweder nach der Materie (ὁμοίως δὲ καὶ τὰ τῶν σωμάτων
στοιχεῖα λέγουσιν οἱ λέγοντες εἰς ἃ διαιρεῖται τὰ σώματα ἔσχατα, ἐκεῖνα δὲ μηκέτ’ εἰς ἄλλα
εἴδει διαφέροντα – Metaph. Δ3, 1014a31–34) oder nach der Form (Στοιχεῖον λέγεται ἐξ οὗ
164 2 Zweite Philosophie (Physik)

καὶ πάντων ὡδὶ μὲν ταὐτὰ τὸ ἀνάλογον, ὅτι ὕλη, εἶδος, στέρησις, τὸ κινοῦν [. . .]. – Me-
taph. Λ5, 1071a33–34

Der Analogie zufolge sind die Bewegung sowie das Entstehen-Vergehen anhand
der vier Prinzipien strukturiert, welche materiales Zugrundeliegendes, Form, Pri-
vation und Wirkendes sind. Nach der Vier-Ursache-Lehre ist in der qualitativen
Veränderung der Körper als Stoff, die Gesundheit als Form, die Krankheit als Pri-
vation und der Arzt als Wirkursache zu bezeichnen (Metaph. Λ4, 1070b28). In der
Herstellung entsprechen der Baustoff der Materie, die Hausgestalt der Form, die
Unordnung der Privation und der Hausherr dem Wirkenden (Metaph. Λ4,
1070b28–30). Anhand der vorliegenden vier Prinzipien ist die Naturentstehung
derart verfasst, dass der Knochen und das Fleisch mit der Materie, die mensch-
liche Art mit der Form, die unvollständige Realisierung mit der Privation und der
Vater mit der Wirkursache übereinstimmen (Metaph. Λ5, 1071a13–15).
Wegen der argumentativen Übertragung der akzidentellen Veränderung
auf die substanzielle Veränderung entwickelt sich die Prinzipienlehre Schritt
für Schritt und scheint endlich tetradisch zu sein. Bei der Bewegung sowie
beim Entstehen-Vergehen liegen zunächst die zwei gegensätzlichen Prinzi-
pien vor und dann ist ein drittes Zugrundeliegendes abzuleiten (πρῶτον μὲν
οὖν ἐλέχθη ὅτι ἀρχαὶ τἀναντία μόνον, ὕστερον δ’ ὅτι ἀνάγκη καὶ ἄλλο τι ὑπο-
κεῖσθαι καὶ εἶναι τρία – Phys. A7, 191a15–17, 190b29–191a1). Dadurch, dass das
wirkende Prinzip hinzukommt, ist das Prinzip von Bewegung und Entstehen-
Vergehen schließlich tetradisch strukturiert, nämlich durch Form, Privation,
Stoff und Wirkendes. Im Vergleich zur maßgebenden Vier-Ursachen-Lehre
liegt die Eigentümlichkeit dieser Version darin, dass die Privation anstelle der
Zielursache auftaucht. Dies ist nichts anderes als ein klarer Beweis für die

σύγκειται πρώτου ἐνυπάρχοντος ἀδιαιρέτου τῷ εἴδει εἰς ἕτερον εἶδος, οἷον φωνῆς στοιχεῖα ἐξ
ὧν σύγκειται ἡ φωνὴ καὶ εἰς ἃ διαιρεῖται ἔσχατα, ἐκεῖνα δὲ μηκέτ’ εἰς ἄλλας φωνὰς ἑτέρας τῷ
εἴδει αὐτῶν, [. . .] – Metaph. Δ3, 1014a26–30) nicht mehr geteilt werden kann. Da στοιχεῖον auf
den unreduzierbaren gleichartigen Teil hinweist, kann der Teil entweder der materiale oder
der formale Bestandteil sein. An folgenden Stellen (Metaph. Z10, 1034b24–26; Z12, 1038a6–8;
Δ24, 1023a35–1023b2) bedeutet στοιχεῖον nicht das stoffliche, sondern das formale Element.
Drittens sind alle Ursachen Prinzipien (ἰσαχῶς δὲ καὶ τὰ αἴτια λέγεται· πάντα γὰρ τὰ αἴτια
ἀρχαί – Metaph. Δ1, 1013a16–17), umgekehrt aber nicht. Die ἀρχή hat einen größeren begriff-
lichen Umfang als das αἴτιον. Denn die ἀρχή weist nicht nur das Entstehungs- und das Seins-
prinzip (wie das αἴτιον) auf, sondern auch das Erkenntnisprinzip (πασῶν μὲν οὖν κοινὸν τῶν
ἀρχῶν τὸ πρῶτον εἶναι ὅθεν ἢ ἔστιν ἢ γίγνεται ἢ γιγνώσκεται – Metaph. Δ1, 1013a17–19). Gene-
rell gesehen ist das Prinzip des Syllogismus die Hypothese oder die Prämisse (Metaph. Δ1,
1013a14–16; Phys. B9, 200a22–24). Im notwendigen Syllogismus gilt die Wesensdefinition als
allgemeines Prinzip der einzelnen Demonstration.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 165

argumentative Übertragung der akzidentellen Veränderung auf die substan-


zielle Veränderung, die nur anhand der strukturellen Ähnlichkeit vollzogen
werden kann. Erst vor dem Hintergrund des akzidentellen Gegensatzes ist der
substanzielle Gegensatz von Form und Privation in den Vordergrund gerückt.
Ohne den Vergleich mit der Bewegung können die Privation und das damit
zusammenhängende Vergehen überhaupt nicht ins Spiel kommen. Die vier
Prinzipien treten nur dann in der Form von Form, Privation, Stoff und Wirken-
dem auf, wenn sich die Analogie zwischen der akzidentellen und der substan-
ziellen Veränderung ergibt.
Die strukturelle Ähnlichkeit, die die argumentative Übertragung möglich
macht, beruht weder auf der Struktur der Bewegung noch auf der des Entste-
hens und Vergehens, sondern auf dem gemeinsamen Gefüge von Machen und
Erleiden (ποιεῖν-πάσχειν). Der akzidentelle sowie der substanzielle Gegensatz
können nicht aneinander leiden (ὑπ’ ἀλλήλων γὰρ πάσχειν τἀναντία ἀδύνα-
τον – Phys. A7, 190b33), denn die eine Eigenschaft löscht die andere, ihr ent-
gegengesetzte aus, so wie sich die Anwesenheit und die Abwesenheit der
Form zueinander verhalten. Um die wechselseitige Auswirkung zu tragen,
muss ein erleidendes Seiendes vorliegen, das als zugrundeliegende Einzelsub-
stanz oder Materie gilt (πάσχειν-ὑποκείμενον-τόδε τι/ὕλη). Wenn das Zugrun-
deliegende mit Passivität ausgestattet ist, muss das Zukommende, sei es die
akzidentelle/kategoriale Eigenschaft, sei es die wesentliche Form, durch Akti-
vität gekennzeichnet sein (ποιεῖν-συμβεβηκός-κατηγορούμενον/εἶδος). Da die
Passivität die Aktivität zur Voraussetzung haben muss, weist das Erleiden
immer auf das entsprechende Wirken hin (πάσχειν→ποιεῖν). Wie sich die ge-
gensätzlichen Eigenschaften wechselseitig auf das Einzelding auswirken, so
verhalten sich die Form und die Privation zur Materie.
Indem Eigenschaft und Form aktiv wirken, Einzelding und Materie aber
passiv leiden, stehen die Eigenschaft zum Einzelding und die Form zur Materie
im produktiven Kausalzusammenhang. Daher zeigt sich, dass die Analogie von
Bewegung und Entstehung in der dynamischen Funktion von Machen und Er-
leiden fundiert ist. Die dynamische Struktur ist nicht nur der akzidentellen Ver-
änderung und der menschlichen Herstellung immanent, sondern auch der
natürlichen Entstehung. Anhand der Analogie von Techne und Physis wird das
einzelne Naturseiende im Lichte der hylemorphistischen Struktur von Form-
Stoff bzw. Machen-Erleiden betrachtet und analysiert.

2.2.1.2 Herstellung-Naturentstehung (ποίησις-φύσις)


Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Bewegung, Herstellung und Naturentste-
hung gründet in dynamischen Gefügen von Machen und Erleiden. Denn alle
166 2 Zweite Philosophie (Physik)

Veränderungen, akzidentell, technisch oder natürlich, sind auf eine vertikale Art
und Weise strukturiert, indem das aktive Machende und das passive Leidende
nicht nur einander gegenüberstehen, sondern auch und vor allem aufeinander
wirken. Innerhalb der Entstehung sind Techne und Physis, d. h. die menschliche
Herstellung und die natürliche Entstehung, dadurch zu unterscheiden (τέχνη/
ποίησις-φύσις),221 dass sich das Prinzip von Entstehung und Vollendung bzw. die
Ursache von Bewegung und Ruhe anderswo lokalisieren (ἀρχὴ κινήσεως καὶ στά-
σεως).222 Beim hergestellten Artefakt befindet sich das wirkende Prinzip im

221 Insgesamt erwähnt Aristoteles vier verschiedene Wirkursachen, und zwar Physis, Techne,
Spontaneität und Zufall (ἢ γὰρ τέχνῃ ἢ φύσει γίγνεται ἢ τύχῃ ἢ τῷ αὐτομάτῳ – Metaph. Λ3,
1070a6–7; Gen. et Corr. B6, 333b4–7; Phys. B4–6). Indem die Spontaneität und der Zufall als zu-
fällige Wirkursachen außer Betracht gelassen werden, ist von den beiden notwendigen Wirkur-
sachen die Rede. In Z7 der Metaphysik weist Aristoteles darauf hin, dass die Entstandenen
entweder durch die Natur oder durch die Herstellung entstanden sind (οὕτω μὲν οὖν γίγνεται τὰ
γιγνόμενα διὰ τὴν φύσιν, αἱ δ’ ἄλλαι γενέσεις λέγονται ποιήσεις – Metaph. Z7, 1032a25–27). Wäh-
rend die φύσις eindeutig auf die Naturentstehung hinweist (αἱ γενέσεις φυσικαὶ – Metaph. Z7,
1032a15–16; ἡ γένεσις ἐκ φύσεώς – Metaph. Z7, 1032a16–17; τὰ γιγνόμενα διὰ τὴν φύσιν – Me-
taph. Z7, 1032a26; τὸ γεννᾶν: ἐπειδὴ δὲ τὸ γεννᾶν ἐπὶ μόνης φύσεως λέγεται, εἰκότως καὶ γένεσις
ἐπ’αὐτῶν, ἐπὶ δὲ τῶν ἄλλων οὐ λέγεται τὸ γεννᾶν· οὐ γὰρ λέγεται γεννᾶν ὁ οἰκοδόμος τὸν οἶκον,
ἀλλὰ ποιεῖν αὐτὸν λέγεται – Asklepios 397.31–34; generatio secundum naturam – Thomas Sen-
tentia Metaphysicae lib.7 l.6 n.14 [82960]), sind die ποιήσεις (factiones – [82960]) in drei Gruppen
geteilt (πᾶσαι δὲ εἰσὶν αἱ ποιήσεις ἢ ἀπὸ τέχνης ἢ ἀπὸ δυνάμεως ἢ ἀπὸ διανοίας – Metaph. Z7,
1032a27–28). Erstens kann das Artefakt, ein Haus, oder die bestimmte Eigenschaft, die Gesund-
heit, durch die Techne hergestellt werden (ἀπὸ τέχνης, ab arte). Zweitens ist darauf hingewie-
sen, dass die Handlung aus der bestimmten Fähigkeit stammt (ἀπὸ δυνάμεως, a potestate).
Dank des aktiven Vermögens kann man sich z. B. duschen oder nicht duschen und sitzen oder
nicht sitzen (ἀπὸ δυνάμεως δέ εἰσι τὰ ὁπότερ’ ἔτυχεν, οἷον λούσασθαι καὶ μὴ λούσασθαι, καθίσαι
καὶ μὴ καὶ τὰ τοιαῦτα – Alexander 488.32–34). Drittens kommen der tugendhafte Seelenzustand
und die daraus folgende moralische Handlung dadurch zustande, dass man vernünftig überlegt
und handelt (ἀπὸ διανοίας, a mente). Während die Techne das Artefakt herstellt, bringt der Ver-
stand die Tugenden hervor (ἀπὸ τέχνης μὲν οὖν γίνεσθαι λέγει τὰ τεχνητὰ καὶ ὅλως ὅσα κατὰ
τέχνην γίνεται, ἀπὸ διανοίας δὲ τὰς ἀρετάς – Alexander 488.28–30). Natürlich hängt die Techne
mit dem Verstand zusammen. Die technische Herstellung vollzieht sich deswegen notwendig
und zweckmäßig, weil sie nicht durch den individuellen Willen, sondern durch die allgemein
gültige Vernunft durchgeführt wird. Im vorliegenden Kontext ist die begriffliche Anwendung der
ποίησις auf die technische Herstellung beschränkt. Τέχνη und ποίησις werden äquivalent ver-
wendet, damit es allein um den Vergleich von Techne und Physis geht.
222 Um das Naturseiende zu bestimmen, spricht Aristoteles an mehreren Stellen nicht nur über
die Ursache der Bewegung, sondern bezieht auch die Ursache der Ruhe mit ein. (1) Phys. B1,
192b13–15: τούτων μὲν γὰρ ἕκαστον ἐν ἑαυτῷ ἀρχὴν ἔχει κινήσεως καὶ στάσεως, τὰ μὲν κατὰ
τόπον, τὰ δὲ κατ’ αὔξησιν καὶ φθίσιν, τὰ δὲ κατ’ ἀλλοίωσιν. (2) Phys. B1, 192b20–23: [. . .] ὡς
οὔσης τῆς φύσεως ἀρχῆς τινὸς καὶ αἰτίας τοῦ κινεῖσθαι καὶ ἠρεμεῖν ἐν ᾧ ὑπάρχει πρώτως καθ’
αὑτὸ καὶ μὴ κατὰ συμβεβηκός. (3) Phys. B3, 194b29–32 = Metaph. Δ2, 1013a29–32: ἔτι ὅθεν ἡ ἀρχὴ
τῆς μεταβολῆς ἡ πρώτη ἢ τῆς ἠρεμήσεως, οἷον ὁ βουλεύσας αἴτιος, καὶ ὁ πατὴρ τοῦ τέκνου, καὶ
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 167

ὅλως τὸ ποιοῦν τοῦ ποιουμένου καὶ τὸ μεταβάλλον τοῦ μεταβαλλομένου. (4) Phys. B3,
195a21–23 = Metaph. Δ2, 1013b23–25: τὸ δὲ σπέρμα καὶ ὁ ἰατρὸς καὶ ὁ βουλεύσας καὶ ὅλως τὸ
ποιοῦν, πάντα ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς μεταβολῆς ἢ στάσεως [ἢ κινήσεως]. (5) Metaph. Δ12, 1019a32–35:
λεγομένης δὲ τῆς δυνάμεως τοσαυταχῶς, καὶ τὸ δυνατὸν ἕνα μὲν τρόπον λεχθήσεται τὸ ἔχον
κινήσεως ἀρχὴν ἢ μεταβολῆς καὶ γὰρ τὸ στατικὸν δυνατόν τι ἐν ἑτέρῳ ἢ ᾗ ἕτερον. (6) Metaph.
Θ8, 1049b5–8: λέγω δὲ δυνάμεως οὐ μόνον τῆς ὡρισμένης ἣ λέγεται ἀρχὴ μεταβλητικὴ ἐν ἄλλῳ
ἢ ᾗ ἄλλο, ἀλλ’ ὅλως πάσης ἀρχῆς κινητικῆς ἢ στατικῆς. Im Kontext der Physik (B1, 192b8–15)
führt die Erwähnung der Ruheursache zu einer großen Interpretationsschwierigkeit. Obwohl
unter der Ruhe nicht die absolute Ruhe, sondern nur das Ende der Bewegung zu verstehen ist,
kann die relative Ruhe weder den Himmelskörpern noch den Grundelementen zukommen, die
jedoch zu den natürlichen Seienden gehören (Metaph. Λ1, 1069a32–33; Λ6, 1071b3–4). Aristote-
les’ Auffassung nach kann weder die himmlische Kreisbewegung (Metaph. Θ8, 1050b20–24)
noch die Umwandlung der vier Elemente zu Ende gehen (Metaph. Θ8, 1050b28–30; Gen. et Corr.
B10, 336b34–337a7; Simplicii In Physicorum 264.21–22: καὶ γὰρ τὸ κυκλοφορητικὸν σῶμα φυσικὸν
καὶ αὐτὸ ὂν κινήσεως μὲν ἀρχὴν ἔχει ἐν ἑαυτῷ, στάσεως δὲ οὐκ ἔχει ἀπαύστως κινούμενον). Der
Kreislauf, der sich entweder im kosmologischen Makro- oder im elementaren Mikrobereich ereig-
net, ist deswegen allen anderen Veränderungen vorrangig und vorbildlich, weil er den ewig be-
wegenden Nous nachahmt und sich in der unendlichen Zeit bewegt (ὥστε δὲ γίγνεσθαι μίαν,
οὐκ ἐνδέχεται ἄπειρον εἶναι τῷ χρόνῳ πλὴν μιᾶς· αὕτη δ’ ἐστὶν ἡ κύκλῳ φορά – Phys. Z10,
241b18–20). Daraus resultiert der Widerspruch, dass die Himmelskörper und die Grundelemente
als Naturseiende per definitionem die Ursache der Ruhe in sich haben sollten, tatsächlich aber
ihr Kreislauf nicht beendet werden kann (ἐφιστάνει δὲ ὁ Ἀλέξανδρος, ὅτι „ < τούτων ἕκαστον >
εἶπεν < ἐν ἑαυτῷ ἔχειν ἀρχὴν κινήσεως καὶ στάσεως >, ἃ προείρηκε, τουτέστι τὰ ζῷα καὶ τὰ φυτὰ
καὶ τὰ ἁπλᾶ τῶν σωμάτων, ἀλλ’ οὐχὶ πάντα τὰ φυσικά· καὶ γὰρ τὸ κυκλοφορητικὸν σῶμα
φυσικὸν καὶ αὐτὸ ὂν κινήσεως μὲν ἀρχὴν ἔχει ἐν ἑαυτῷ, στάσεως δὲ οὐκ ἔχει ἀπαύστως κινούμε-
νον.“ – Simplicii In Physicorium 264.18–22). Darauf haben schon die antiken Kommentatoren hin-
gewiesen, und es wurden verschiedene Interpretationsvorschläge gemacht. (1) Simplicius
versucht, die Ruhe bei Himmelskörpern durch einen Perspektivwechsel zu erklären. Er meint,
dass nicht der Himmelskörper selbst, sondern nur dessen Mittelpunkt stehenbleibt (μήποτε δὲ
καὶ τὰ οὐράνια, κἂν μὴ μεταβάλλῃ ἀπὸ κινήσεως εἰς στάσιν, ἀλλ’ ὅμως ἔχει στάσιν καὶ αὐτὰ κατὰ
τὸ κέντρον κατὰ τὸν ἄξονα κατὰ τοὺς πόλους κατὰ τὴν ὁλότητα – Simplicii In Physicorium 264.
22–25). Aber es geht nicht darum, ob das Ganze oder ein Teil des Himmelskörpers in Ruhe sein
kann, sondern darum, ob es möglich ist, dass der Kreislauf überhaupt von der Bewegung in den
Ruhezustand übergeht. (2) Thomas hebt hervor, dass die Physis als Wirkursache bei verschiede-
nen Naturseienden nicht auf gleiche Art und Weise funktioniert (non eodem modo – Thomas In
Physicorum lib.2 l.1 n.5 [71676]). Aber die Funktionsverschiedenheit (diversimode) kann die oben
erwähnte Aporie nicht auflösen. (3) Dagegen bieten wir einen anderen Interpretationsvorschlag:
Die Erwähnung der Ruhe-Ursache ist notwendig und theoretisch von großer Bedeutung. Denn
die Himmelskörper und die Grundelemente werden von den anderen Naturseienden, d. h. ein-
zelnen Lebewesen, abgegrenzt, indem die Ruhe-Ursache eingeführt wird. Da sie kein innerliches
Prinzip haben, in Ruhe zu sein, lassen sie sich von der Definition (Phys. B1, 192b13–15) aus-
schließen. In diesem Zusammenhang (Phys. B1, 192b8–13) handelt es sich daher nicht um den
Unterschied zwischen den Naturseienden (Lebewesen, Himmelskörper und Grundelement) und
den Nicht-Naturseienden, wie Aristoteles im Text behauptet (Phys. B1, 192b8–13), sondern es
168 2 Zweite Philosophie (Physik)

äußerlichen Hersteller, beim Naturseienden aber in diesem selbst (ἡ μὲν οὖν


τέχνη ἀρχὴ ἐν ἄλλῳ, ἡ δὲ φύσις ἀρχὴ ἐν αὐτῷ).223 Die Betrachtung der

geht nur um den Vergleich zwischen dem natürlichen Einzellebewesen und dem technischen
Produkt. Dies ist folgendermaßen zu begründen: Erstens stimmt das einzelne Lebewesen mit der
Bestimmung des Naturseienden insofern überein, als sich Mensch, Tier und Pflanze bewegen
und ruhig bleiben können. Zweitens ist weder der kosmologische noch der elementare Körper,
sondern nur das Lebewesen mit dem Artefakt vergleichbar, da nur das natürliche Einzelding an-
hand der Zusammensetzung von Form und Stoff erörtert werden kann. Drittens trifft diese Be-
stimmung des Naturseienden auf den Himmelskörper keineswegs zu, denn dieser hat nicht nur
keine Ruhe-Ursache, sondern auch keine innere Bewegungsursache. Daraus folgt, dass nichts
anderes als die Analogie von Naturentstehung und Herstellung zu thematisieren ist.
223 Metaph. Λ3, 1070a7–8. Kurz und bündig gesagt liegt der Unterschied zwischen Naturent-
stehung und Herstellung in der Differenz von Innerlichkeit und Äußerlichkeit der Wirkursa-
che. Die Bewegungsursache sowie das Entstehungsprinzip sind dem natürlichen Seienden
immanent, dem handwerklichen Artefakt aber äußerlich. Im Text (Phys. B1, 192b13–32) ver-
wendet Aristoteles zwei Kriterien, um das Naturseiende von den anderen Seienden zu differen-
zieren. Außer der Innerlichkeit-Äußerlichkeit (ἐν ἑκάστῳ-ἐν ἄλλοις) wird der Gegensatz von
Zufälligkeit und Notwendigkeit (καθ’ αὑτό-κατὰ συμβεβηκός) eingeführt, und zwar dadurch,
dass ein Sonderfall zur Erwähnung kommt. Während sich die natürliche Kraft auf notwendige
Weise verhält (ἔτι ὅθεν ἡ κίνησις ἡ πρώτη ἐν ἑκάστῳ τῶν φύσει ὄντων ἐν αὐτῷ ᾗ αὐτὸ
ὑπάρχει – Metaph. Δ4, 1014b18–20; [. . .] καὶ κατὰ τοσοῦτον, ὡς οὔσης τῆς φύσεως ἀρχῆς τινὸς
καὶ αἰτίας τοῦ κινεῖσθαι καὶ ἠρεμεῖν ἐν ᾧ ὑπάρχει πρώτως καθ’ αὑτὸ καὶ μὴ κατὰ συμβεβηκός –
Phys. B1, 192b20–23), behandelt der Arzt seinen eigenen kranken Körper nur zufällig ([. . .] ὅτι
γένοιτ’ ἂν αὐτὸς αὑτῷ τις αἴτιος ὑγιείας ὢν ἰατρός· ἀλλ’ ὅμως οὐ καθὸ ὑγιάζεται τὴν ἰατρικὴν
ἔχει, ἀλλὰ συμβέβηκεν τὸν αὐτὸν ἰατρὸν εἶναι καὶ ὑγιαζόμενον – Phys. B1, 192b23–26). Denn es
ist durchaus ein Zufall, dass der behandelnde Arzt und der behandelte Patient in eins fallen.
Anhand der beiden Kriterien – Innerlichkeit/Äußerlichkeit und Zufälligkeit/Notwendigkeit –
teilen sich die Naturentstehung, die Handlung im Sonderfall und die Herstellung chiastisch
auseinander. Vor allem hat die Naturentstehung nicht nur die innere Wirkursache, sondern
sie aktualisiert sich auch notwendigerweise (καὶ γὰρ ἡ φύσις ἐν ταὐτῷ [γίγνεται· ἐν ταὐτῷ
γὰρ] γένει τῇ δυνάμει· ἀρχὴ γὰρ κινητική, ἀλλ’ οὐκ ἐν ἄλλῳ ἀλλ’ ἐν αὐτῷ ᾗ αὐτό – Metaph. Θ8,
1049b8–10; Phys. B1, 192b20–23). Im Vergleich dazu hat der Sonderfall, dass ein Arzt sich
selbst heilt, zwar die Wirkursache in sich, aber er verhält sich nicht per se, sondern per acci-
dens (τὰ δ’ ἐν αὑτοῖς μὲν ἀλλ’ οὐ καθ’ αὑτά, ὅσα κατὰ συμβεβηκὸς αἴτια γένοιτ’ ἂν αὑτοῖς –
Phys. B1, 192b30–32). Bei der Herstellung aber ist die Wirkursache nicht nur äußerlich,
sondern das Bewirkende kommt dem bewirkten Stoff auch nur zufällig zu (ὁμοίως δὲ καὶ τῶν
ἄλλων ἕκαστον τῶν ποιουμένων· οὐδὲν γὰρ αὐτῶν ἔχει τὴν ἀρχὴν ἐν ἑαυτῷ τῆς ποιήσεως,
ἀλλὰ τὰ μὲν ἐν ἄλλοις καὶ ἔξωθεν, οἷον οἰκία καὶ τῶν ἄλλων τῶν χειροκμήτων ἕκαστον – Phys.
B1, 192b27–30; κλίνη δὲ καὶ ἱμάτιον, καὶ εἴ τι τοιοῦτον ἄλλο γένος ἐστίν, ᾗ μὲν τετύχηκε τῆς
κατηγορίας ἑκάστης καὶ καθ’ ὅσον ἐστὶν ἀπὸ τέχνης, οὐδεμίαν ὁρμὴν ἔχει μεταβολῆς ἔμφυτον,
ᾗ δὲ συμβέβηκεν αὐτοῖς εἶναι λιθίνοις ἢ γηΐνοις ἢ μικτοῖς ἐκ τούτων, ἔχει – Phys. B1,
192b16–20). Zusammenfassend gesagt wohnt der Techne eine äußerliche und zufällige Wirkur-
sache inne (τέχνη-ἔξωθεν καὶ κατὰ συμβεβηκός; a principio extrinseco secundum accidens),
dem Sonderfall der Praxis eine innerliche und zufällige Wirkursache (πρᾶξις/ἰάτρευσις-ἔνωθεν
καὶ κατὰ συμβεβηκός; a principio intrinseco secundum accidens) und der Physis eine innere
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 169

Herstellung leistet einen theoretischen Beitrag dazu, die innere Struktur der
Naturentstehung zu verdeutlichen. Obwohl die natürliche Entstehung der
menschlichen Herstellung vorbildlich ist (ἡ τέχνη μιμεῖται τὴν φύσιν – Phys.
B2, 194a21–22), muss die Physis im Lichte der Techne betrachtet werden, da
sie sich verbergen mag. Beim Artefakt fallen Form und Stoff bzw. Wirken und
Leiden offensichtlich auseinander, beim Naturseienden aber zusammen. Des
Weiteren ist durch die aristotelische Diagnose der vorangehenden Philosophie
einzusehen, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, das Naturseiende
als das aus Stoff und Form Zusammengesetzte anzusehen und die Naturent-
stehung anhand der vier Ursachen darzulegen. Das Entstehungsprinzip des
einzelnen Naturseienden kann nur dann hylemorphistisch zur Sprache kom-
men, wenn die Entstehung des Naturdings mit der Herstellung des Artefaktes
verglichen wird (Phys. B1–2; Metaph. Δ4).
Die maßgebende Vier-Ursachen-Lehre ist zuerst dyadisch konzipiert, denn bei
der Herstellung sowie der Naturentstehung gelten die Form- und die Stoffursache
als Grundstein. Um die Form in den Stoff zu prägen, bedürfen sowohl die Herstel-
lung als auch die Naturentstehung der bestimmten Antriebskraft. Außerdem
müssen die menschliche Produktion sowie die natürliche Zeugung das bestimmte
Ziel erreichen und vollendet sein. Aus beiden substanziellen Ursachen treten die
Wirkursache als Antriebskraft und die Zielursache als Zweck hervor. Dadurch dass
die Physis zur Techne analog steht, kommen die vier Ursachen des Naturseienden
zur Entfaltung, nämlich Stoff-, Form-, Wirk- und Zielursache. Im Folgenden richten
wir die Aufmerksamkeit darauf, wie sich die strukturelle Übertragung der Herstel-
lung auf die Naturentstehung schrittweise entwickelt.
In erster Linie ist die Analogie von Techne und Physis folgendermaßen
aufzustellen:

ὥσπερ γὰρ τέχνη λέγεται τὸ κατὰ τέχνην καὶ τὸ τεχνικόν, οὕτω καὶ φύσις τὸ κατὰ φύσιν
[λέγεται] καὶ τὸ φυσικόν [. . .]. – Phys. B1, 193a31–33

und notwendige Wirkursache (φύσις-ἐν ἑαυτῷ καὶ καθ’ αὑτό; a principio in seipso per se). Ge-
genüber der Herstellung und der Handlung ist die Naturentstehung durch die Innerlichkeit
und die Notwendigkeit der Wirkursache ausgezeichnet. Die Einführung eines Sonderfalls
zeigt, dass die Innerlichkeit der Wirkursache zwar die notwendige Bedingung der Naturentste-
hung, aber nicht hinreichend ist. Um sie wahrhaft zu charakterisieren, muss die Notwendig-
keit, d. h. die Zweckmäßigkeit der Natur, in den Vordergrund gerückt werden. Andererseits ist
dieser Sonderfall dem natürlichen Selbstvollzug am ähnlichsten (Phys. A8, 191b6–8). Während
sich das Bewegende und das Bewegte bei der natürlichen Entstehung und Bewegung per se
vereinen (Phys. Γ1, 201a23–25), fallen der behandelnde Arzt und der behandelte Patient nur
per accidens zusammen. Aber um die Analogie von Techne und Physis zu verdeutlichen, ge-
nügt es, die Innerlichkeit und die Äußerlichkeit der Wirkursache zu erwähnen.
170 2 Zweite Philosophie (Physik)

Wie die Techne als das durch die Techne Hergestellte und das Technische be-
nannt ist, so die Physis als das durch die Natur Erzeugte und das Natürliche.
Anders formuliert: Die Herstellung zum technischen Hergestellten und die Na-
turentstehung zum natürlichen Seienden stehen im analogischen Verhältnis.224
Die strukturelle Ähnlichkeit lässt sich zunächst mit dem fundamentalen Gefüge
von Stoff und Form aufzeigen (Phys. B1, 193a9–17, 193a28–193b8).
Damit das Artefakt hervorgebracht werden kann, muss der Stoff unmittelbar
vorliegen. Der Stoff ist per se unwirksam, da er seine eigene Natur nicht von sich
aus verwirklichen kann. Aus dem Holz kann nicht das Bett automatisch entstan-
den sein, sondern nur das Holz (Phys. B1, 193a12–14, 193b8–9). Bei der Herstellung
bedarf der unwirksame Stoff der äußerlichen Formung oder Gestaltung (ἀρρύθμισ-
τον-διάθεσις κατὰ ῥυθμὸν225). Zum einen lässt sich der Stoff durch unmittelbares
Vorliegen (τὸ πρῶτον ἐνυπάρχον) und Unwirksamkeit (ἀρρύθμιστον) kennzeich-
nen (Phys. B1, 193a9–12; Metaph. Δ4, 1014b26–30). Zum anderen weist die Form
auf die aktive Verwirklichung hin (ἐντελεχείᾳ – Phys. B1, 193a34–193b8). Damit
wird das Artefakt durch die handwerkliche Zusammensetzung von Stoff und Form
produziert. Analog zum technischen Kompositum kommt das natürliche Komposi-
tum (De An. B1, 412a15–16) dadurch zustande, dass sich das materiale und das

224 Die Kommentatoren sehen den oben zitierten Satz als Beweis für die Analogie von Techne
und Physis an. (1) Simplicii In Physicorum 276.7–15: ὡς ἐπὶ τῶν κατὰ τέχνην γεγονότων < τέχνη
λέγεται τὸ κατὰ τέχνην > γεγονὸς < καὶ τὸ τεχνικόν > (θαυμαστὴν γὰρ τέχνην τοῦ ἀνδριάντος
τὴν μορφὴν αὐτοῦ λέγομεν), < οὕτως καὶ > ἐπὶ τῶν φύσει καὶ διὰ φύσιν ὄντων < φύσις > ἂν εἴη
< τὸ κατὰ φύσιν > τε < καὶ φυσικόν > . θαυμαστὴν γὰρ εἰ τύχοι καὶ τοῦ ξύλου φύσιν λέγομεν τὴν
κατὰ τὸ εἶδος. ἀνάλογον γὰρ ὡς ἡ τέχνη πρὸς τὸ κατὰ τέχνην, οὕτως ἡ φύσις ἔχει πρὸς τὸ κατὰ
φύσιν καὶ ἐναλλάξ, φασὶ γεωμετρῶν παῖδες. ἔν τε γὰρ τῷ κατὰ τέχνην ὄντι ἡ τέχνη καὶ ἐν τῷ
κατὰ φύσιν ἡ φύσις. (2) Thomas In Physicorum lib.2 l.2 n. 3 [71682]: „Sicuti enim illud est ars,
quod competit alicui inquantum est secundum artem et artificiosum; ita illud est natura, quod
competit alicui inquantum est secundum naturam et naturale.“
225 Simplicius und Heidegger folgend wählen wir statt κατὰ νόμον (bei Ross) die Lesart κατὰ
ῥυθμὸν. Da die Unwirksamkeit und die Wirkung entgegengesetzt sind (ἀρρύθμιστον-ῥυθμὸν),
kann der Unterschied von Stoff und Form anhand des Gegensatzes stärker und deutlicher ge-
macht werden. (1) Simplicii In Physicorum 274.3–5: τοῦτο δὲ συμβαίνει, διότι τὸ μὲν εἶδος καὶ
[ἡ] κατὰ τρόπον καὶ κατὰ νόμον, τουτέστι κατὰ τὸ ταῖς τέχναις νενομισμένον [. . .]. (2) Simplicii
In Physicorum 275.3–5: τινὲς δὲ ἀντὶ τοῦ < κατὰ νόμον διάθεσιν > τὴν < κατὰ ῥυθμὸν > γράφουσι.
καὶ ἔστι τοῦτο γνωριμώτερον· ῥυθμὸς γὰρ ἡ μορφὴ λέγεται. (3) Heidegger, „Vom Wesen und
Begriff der Φύσις“ (1976: 273–274): „Wir erkennen in dieser Unterscheidung (Stoff-Form) doch
leicht die vorher besprochene wieder: πρῶτον ἀρρύθμιστον, das erstliche Verfassungslose,
und ῥυθμός, die Verfassung. Allerdings ersetzt Aristoteles diese Unterscheidung nicht einfach
durch die von ὕλη und μορφή. [. . .] Die Unterscheidung ὕλη-μορφή ist nicht einfach nur eine
andere Formel für ἀρρύθμιστον-ῥυθμός, sondern sie verlegt die Frage nach der φύσις in eine
völlig neue Ebene, auf der eben jene ungefragte Frage nach dem κίνησις-Charakter der φύσις
beantwortet und die φύσις erst zureichend als οὐσία, als Art der Anwesung begriffen wird.“
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 171

formale Prinzip des einzelnen Menschen, d. h. Körper und Seele, zusammenfügen.


Einerseits liegt der Körper, der aus Fleisch und Knochen besteht, unmittelbar vor
und der Seele unwirksam zugrunde. Andererseits wirkt sich die Seele als Form
des Körpers aktiv aus, indem sie die seelischen Vermögen, d. h. Ernährung, Wahr-
nehmung, Phantasie und Denken, aktualisiert. Demzufolge verhält sich der Kör-
per zur Seele ebenso wie das Holz zur Bett-Gestalt oder das Erz zur Hermes-Statue.
Die Herstellung sowie die Naturentstehung sind als Zusammensetzung von
Stoff und Form anzusehen (σύνθεσις). Damit ist nicht die Mischung im vorso-
kratischen Sinne gemeint (μῖξις/σύγκρισις), wobei die materialen Elemente in
gleichgültiger Weise gemischt und zergliedert werden (Metaph. A3, 984a13–16;
B3, 998a28–30; H2, 1042b36–1043a1; H3, 1043b7–8). In Bezug auf die Zusam-
mensetzung legt Aristoteles den Akzent nicht auf „zusammen“ (σύν), sondern
auf „setzen“ (θέσις). Indem sich die Form in den Stoff setzt bzw. einprägt, ist
die Form mit dem Stoff zusammengefügt. Das Setzen der Form macht die Zu-
sammensetzung von Form und Stoff möglich (θέσις→εἶδος ποιεῖν→σύνθεσις).226
Ein Haus z. B. wird gebaut, indem die Hausgestalt mithilfe des Hausherren die
Baustoffe in Ordnung bringt.227 Ein sinnvolles Wort (σύλλαβη) bildet sich da-
durch, dass der Sinnzusammenhang den Vokal (α) und den Konsonanten (β)
miteinander sinngemäß in Verbindung setzt.228 Der organische Körper ist da-
durch konstituiert, dass die Seele die elementaren Körperteile zusammenbindet
und die körperlichen Affektionen vom Warmen-Kalten harmonisch ordnet.229
Ohne aktives Wirken der Hausgestalt, des Sinnes oder der Seele stellen die Bau-
stoffe, die Buchstaben oder die Körperteile einen Haufen (σωρός)230 dar. Ein

226 (1) Phys. B3, 195a19–21: [. . .] τούτων δὲ τὰ μὲν ὡς τὸ ὑποκείμενον, οἷον τὰ μέρη, τὰ δὲ ὡς
τὸ τί ἦν εἶναι, τό τε ὅλον καὶ ἡ σύνθεσις καὶ τὸ εἶδος. (2) Metaph. Z8, 1033a32–34: λέγω δ’ ὅτι
τὸν χαλκὸν στρογγύλον ποιεῖν ἐστὶν οὐ τὸ στρογγύλον ἢ τὴν σφαῖραν ποιεῖν ἀλλ’ ἕτερόν τι,
οἷον τὸ εἶδος τοῦτο ἐν ἄλλῳ. (3) Metaph. H3, 1043b8–10: ὁμοίως δὲ οὐδὲ τῶν ἄλλων οὐθέν,
οἷον εἰ ὁ οὐδὸς θέσει, οὐκ ἐκ τοῦ οὐδοῦ ἡ θέσις ἀλλὰ μᾶλλον οὗτος ἐξ ἐκείνης. (4) Metaph. H3,
1043b16–18: δέδεικται δὲ καὶ δεδήλωται ἐν ἄλλοις ὅτι τὸ εἶδος οὐθεὶς ποιεῖ οὐδὲ γεννᾷ, ἀλλὰ
ποιεῖται τόδε, γίγνεται δὲ τὸ ἐκ τούτων. (5) Metaph. H3, 1043b22–23: τὴν γὰρ φύσιν μόνην ἄν
τις θείη τὴν ἐν τοῖς φθαρτοῖς οὐσίαν.
227 Metaph. H3, 1043b4–6: οὐ φαίνεται δὴ ζητοῦσιν ἡ συλλαβὴ ἐκ τῶν στοιχείων οὖσα καὶ
συνθέσεως, οὐδ’ ἡ οἰκία πλίνθοι τε καὶ σύνθεσις.
228 Metaph. Z17, 1041b16–17: ἔστιν ἄρα τι ἡ συλλαβή, οὐ μόνον τὰ στοιχεῖα τὸ φωνῆεν καὶ
ἄφωνον ἀλλὰ καὶ ἕτερόν τι.
229 Metaph. Z17, 1041b17–19: καὶ ἡ σὰρξ οὐ μόνον πῦρ καὶ γῆ ἢ τὸ θερμὸν καὶ ψυχρὸν ἀλλὰ
καὶ ἕτερόν τι.
230 Metaph. Z16, 1040b8–10; Z17, 1041a11–12; H6, 1045a8–12. Ein Haufen scheint dadurch ein-
heitlich zu sein, dass die mannigfaltigen Sachen entweder nebeneinander gelegt werden (ὡς
σωρὸς κατὰ παράθεσιν – Asklepios 451.20; Quandoque vero ex multis fit compositum, ita quod
totum compositum non est unum simpliciter, sed solum secundum quid; sicut patet in cumulo
172 2 Zweite Philosophie (Physik)

Haufen scheint zwar auf chaotische Weise einheitlich zu sein, aber es mangelt
ihm an der systematisch-organischen Einheit. Die Form als Ganzheit geht des-
halb über die Gesamtheit der materialen Bestandteile hinaus (τὸ πᾶν ἀλλ’ ἔστι
τι τὸ ὅλον παρὰ τὰ μόρια – Metaph. H6, 1045a9–10), weil das Ganze alle zuge-
hörigen Teile ontologisch umfasst und logisch bestimmt.231 Umgekehrt können
alle Teile die Ganzheit weder einschließen noch determinieren. Anders formu-
liert: In der Entstehung wirkt sich die Form als Ganzheit aktiv aus und die Ma-
terie als Bestandteil nimmt die Prägung, die Gestaltung oder die Ordnung der
Form passiv in sich auf. Der Unterschied von Form und Stoff, der sich anhand
der Herstellung zeigt, geht darauf zurück, dass beide in der Entstehung verschie-
dene Funktionen tragen. Indem die Form mit der Aktivität und der Stoff mit der
Passivität zusammenhängen, ist der substanzielle Unterschied von Form und
Stoff (μορφή-ὕλη) auf die funktionale Verschiedenheit von Machen und Erleiden
(ποιεῖν-πάσχειν) zurückzuführen.232 Da ein produktiver Kausalzusammenhang im

vel acervo lapidum, cum partes sunt in actu, cum non sint continuae. Unde simpliciter quidem
est multa, sed solum secundum quid unum, prout ista multa associantur sibi in loco – Thomas
Sententia Metaphysicae lib.7 l.17 n.25 [83243]) oder miteinander vermischt sind (ὡς σωρὸς κατὰ
ἁφὴν – Alexander 542.14).
231 (1) Metaph. H6, 1045a8–12: πάντων γὰρ ὅσα πλείω μέρη ἔχει καὶ μὴ ἔστιν οἷον σωρὸς τὸ
πᾶν ἀλλ’ ἔστι τι τὸ ὅλον παρὰ τὰ μόρια, ἔστι τι αἴτιον, ἐπεὶ καὶ ἐν τοῖς σώμασι τοῖς μὲν ἁφὴ
αἰτία τοῦ ἓν εἶναι τοῖς δὲ γλισχρότης ἤ τι πάθος ἕτερον τοιοῦτον. (2) Alexander 543.13–15: οὐκ
ἄρα οὔτε στοιχεῖόν ἐστι τὸ εἶδος οὔτε ἐκ στοιχείων· ὥστε ἔστι τι τοῦτο τὸ τὴν ὕλην κινοῦν καὶ
ποιοῦν σάρκα καὶ συλλαβήν.
232 Zunächst hebt Aristoteles hervor, dass Form und Stoff der Gattung nach verschieden seien,
denn weder ist die eine auf den anderen reduzierbar, noch können die beiden auf denselben
Ursprung zurückkommen (ἕτερα δὲ τῷ γένει λέγεται ὧν ἕτερον τὸ πρῶτον ὑποκείμενον καὶ μὴ
ἀναλύεται θάτερον εἰς θάτερον μηδ’ ἄμφω εἰς ταὐτόν, οἷον τὸ εἶδος καὶ ἡ ὕλη ἕτερον τῷ γένει –
Metaph. Δ28, 1024b9–12). Für die These, dass die Form weder das Element (d. h. der Stoff) ist
noch aus dem Element entsteht (Δείξας ἐν τῷ τέλει τοῦ πρὸ τούτου βιβλίου ὅτι ἡ συλλαβή, ἤτοι
αὐτὸ τὸ τῆς συλλαβῆς εἶδος, ἕτερόν ἐστι τῶν στοιχείων, καὶ ὅτι οὔτε στοιχεῖόν ἐστι τὸ εἶδος
οὔτε ἐκ στοιχείων, πάλιν τὰ περὶ ἐκείνων διαρθροῖ, λέγων ὅτι ἡ συλλαβή – Alexander 552.12–15),
argumentiert Aristoteles in Z17 der Metaphysik (1041b19–25) ausführlich. Wenn die Form das
stoffliche Element wäre, würde der Entstehungsprozess in den unendlichen Regress geraten.
Falls das Fleisch aus Feuer und Erde stammt und die beiden Elemente jeweils aus weiteren Ele-
menten entstanden wären, würde sich die Entstehung unendlich fortsetzen (εἰ τοίνυν ἀνάγκη
κἀκεῖνο ἢ στοιχεῖον ἢ ἐκ στοιχείων εἶναι, εἰ μὲν στοιχεῖον, πάλιν ὁ αὐτὸς ἔσται λόγος· ἐκ τούτου
γὰρ καὶ πυρὸς καὶ γῆς ἔσται ἡ σὰρξ καὶ ἔτι ἄλλου, ὥστ’ εἰς ἄπειρον βαδιεῖται – Metaph. Z17,
1041b19–22). Wenn die Form aus dem Element bzw. dem Stoff herkäme, könnte die Form entwe-
der aus einem einzigen Element oder aus mehreren Elementen stammen (εἰ δὲ ἐκ στοιχείου,
δῆλον ὅτι οὐχ ἑνὸς ἀλλὰ πλειόνων, ἢ ἐκεῖνο αὐτὸ ἔσται, [. . .] – Metaph. Z17, 1041b22–23). Ent-
sprechend kann das Argument zweifach rekonstruiert werden. Im ersten Fall wird die Form mit
dem Stoff gleichgesetzt und die Gleichsetzung führt zum unendlichen Regress. Da die Form auf
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 173

Hintergrund steht, sind Form und Stoff nicht nur different, sondern auch und
vor allem einander vertikal entgegengesetzt.
Die hylemorphistische Struktur ist nicht nur der Techne, sondern auch der
Physis zugeteilt, indem das hergestellte Artefakt sowie das entstandene Natur-
seiende als Kompositum von Stoff und Form angesehen werden.233 Des Weiteren
dürfen in der menschlichen Herstellung sowie in der natürlichen Entstehung das
materiale und das formale Prinzip nicht voneinander getrennt bleiben, sondern
sie müssen in Verbindung gesetzt werden, damit die Entstehung geschieht. Aus
diesem Grund bedarf es des wirkenden Prinzips. Zusammen mit der Wirkursache
kommt die Zielursache zum Vorschein. Dadurch dass der Techniker das Artefakt
herstellt und die Naturart das gleichartige Einzelding erzeugt, ist die Absicht des
Herstellers zu realisieren und der Selbstzweck der Natur zu erreichen.
Bei der Techne führt die Äußerlichkeit der Wirkursache zum äußeren
Zweck. Der Techniker produziert das Artefakt, nicht nur um des Werks willen,
sondern es dient vor allem zur menschlichen Nutzung. Man errichtet ein Haus
nicht nur um des Hauses willen, sondern vielmehr, um darin zu wohnen. Man
geht spazieren, nicht nur um zu laufen, sondern vielmehr, um gesund zu wer-
den. Der Arzt heilt den Kranken nicht, um seine Heilkunst zu verbessern, son-
dern um der Gesundheit des Patienten willen (Phys. B1, 193b13–14). In der
Herstellung und Handlung spielen der äußerliche Zweck und die menschliche
Nutzung immer eine wichtige Rolle.234 Demgegenüber steht der Selbstzweck

das eine Element und das eine Element auf das andere zu reduzieren ist, kommt die gleiche Wi-
derlegung zur Geltung. Im zweiten Fall entstände die Form aus mehreren Elementen und die
Rückführung auf die Unendlichkeit wäre auch gültig (ὥστε πάλιν ἐπὶ τούτου τὸν αὐτὸν ἐροῦμεν
λόγον καὶ ἐπὶ τῆς σαρκὸς ἢ συλλαβῆς – Metaph. Z17, 1041b24–25). Darüber hinaus wäre die
Form vielfältig, indem die Form aus mehreren Elementen bestände. Da die Vielfältigkeit der Ein-
fachheit der Form (ἁπλοῦν) entgegensteht, kommt die Form auf keinen Fall durch die Mischung
der Elemente zustande.
233 (1) Phys. B1, 193a28–31: ἕνα μὲν οὖν τρόπον οὕτως ἡ φύσις λέγεται, ἡ πρώτη ἑκάστῳ ὑπο-
κειμένη ὕλη τῶν ἐχόντων ἐν αὑτοῖς ἀρχὴν κινήσεως καὶ μεταβολῆς, ἄλλον δὲ τρόπον ἡ μορφὴ
καὶ τὸ εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον. (2) Phys. B2, 194a12–13: ἐπεὶ δ’ ἡ φύσις διχῶς, τό τε εἶδος καὶ ἡ
ὕλη. (3) De An. B1, 412a15–22; B2, 414a14–19; Metaph. Z11, 1037a5–10.
234 Phys. B2, 194a33–194b8. Während der Selbstzweck den natürlichen Seienden immanent
ist, stellen wir das bestimmte Artefakt um des Werks willen her (ἐν μὲν οὖν τοῖς κατὰ τέχνην
ἡμεῖς ποιοῦμεν τὴν ὕλην τοῦ ἔργου ἕνεκα, ἐν δὲ τοῖς φυσικοῖς ὑπάρχει οὖσα – 194b7–8). Inner-
halb der Techne macht Aristoteles eine weitere Unterscheidung zwischen der nützlichen Her-
stellung und der das Prinzip erkennenden Herstellung (δύο δὲ αἱ ἄρχουσαι τῆς ὕλης καὶ
γνωρίζουσαι τέχναι, ἥ τε χρωμένη καὶ τῆς ποιητικῆς ἡ ἀρχιτεκτονική – 194a36–194b2). Um das
Nützliche hervorzubringen, muss man zunächst dessen Prinzip zur Kenntnis nehmen. In die-
sem Sinne gehört die nützliche Herstellung zu der das Prinzip erkennenden Herstellung (διὸ
καὶ ἡ χρωμένη ἀρχιτεκτονική πως – 194b2–3). Der Unterschied dazwischen ist folgendermaßen
174 2 Zweite Philosophie (Physik)

der Naturentstehung, der durch die innere Wirkursache gesetzt wird.235 Durch
die innere Antriebskraft vollziehen sich die natürliche Entstehung und Bewe-
gung automatisch. Dadurch dass die Naturart das gleichartige Einzelding re-
gelmäßig und kontinuierlich reproduziert, vollzieht sich die Naturentstehung
teleologisch. Aufgrund der Zweckmäßigkeit gilt die Physis nicht nur als
Selbstvollzug (ἡ φύσις ἡ λεγομένη ὡς γένεσις ὁδός ἐστιν εἰς φύσιν – Phys. B1,
193b12–13), sondern auch als Selbstvollendung (ἡ δὲ φύσις τέλος καὶ οὗ
ἕνεκα – Phys. B2, 194a28–29). Das Naturseiende ist nämlich entstanden und
wird bewegt, und zwar von sich aus und um seiner selbst willen.
Im weiteren Sinne können die Wirk- und die Zielursache einander hori-
zontal entgegengesetzt sein. Sobald die Wirkursache als Antriebskraft den
Entstehungsprozess in Gang bringt, fängt die Entstehung zeitlich an (αἴτιον
ποιητικόν236→ἀρχή). Wenn das Produkt hervorgebracht ist, ist die Produktion
gleichzeitig zu Ende gegangen (τέλος→τέλειον/τελευτή).237 Aber um die Form
vollständig in den Stoff zu prägen, muss die Wirkursache das ganze Entstehungs-
verfahren hindurch dominieren. Darum kann die dauerhaft herrschende An-
triebskraft nur insofern den einmaligen Entstehungsanfang bezeichnen, als das
ontologische Prinzip, d. h. die Wirkursache, es ermöglicht, dass die Entstehung

zu formulieren: Die nützliche Herstellung dient zur Formung und zur Gestaltung der Materie
(ἡ δὲ ὡς ποιητική, τῆς ὕλης – 194b4–5), um z. B. ein Bett aus dem Holz herzustellen (ὁ δ’ ἐκ
ποίου ξύλου καὶ ποίων κινήσεων ἔσται – 194b6–7). Wie der Name besagt, orientiert sich die
andere Herstellung daran, das Prinzip zu erkennen (ἡ μὲν τοῦ εἴδους γνωριστική, ἡ
ἀρχιτεκτονική – 194b3–4). Anhand der Erkenntnis der Schifffahrt kann der Kapitän das Schiff
fahren und es in die richtige Richtung lenken (ὁ μὲν γὰρ κυβερνήτης ποῖόν τι τὸ εἶδος τοῦ πη-
δαλίου γνωρίζει καὶ ἐπιτάττει – 194b5–6). Aristoteles trifft die Unterscheidung sehr fein, die
allerdings für unser Argument nicht ganz so wichtig ist. Wir legen den Schwerpunkt darauf,
dass das Artefakt einen äußeren Zweck mitbringen muss. Sobald es vom Menschen produziert
wird, ist das menschliche Ziel schon darin enthalten. In der Tat kümmert man sich mehr um
die Nutzung als um die Sache selbst. Da die technischen Produkte der äußerlichen Wirkursa-
che bedürfen, ist der zusätzliche menschliche Zweck mit im Spiel.
235 (1) Phys. B2, 194a28–30: ἡ δὲ φύσις τέλος καὶ οὗ ἕνεκα, ὧν γὰρ συνεχοῦς τῆς κινήσεως
οὔσης ἔστι τι τέλος, τοῦτο < τὸ > ἔσχατον καὶ τὸ οὗ ἕνεκα. (2) Phys. B8, 199b15–17: φύσει γάρ,
ὅσα ἀπό τινος ἐν αὑτοῖς ἀρχῆς συνεχῶς κινούμενα ἀφικνεῖται εἴς τι τέλος.
236 Es gibt mehrere Ausdrucksweisen, die die Wirkursache äquivalent bezeichnen: ἡ ἀρχὴ
τῆς κινήσεως – Metaph. A3, 983a30; ἡ ἀρχὴ τῆς γενέσεως – Metaph. Z8, 1033a24–25; τὸ αἴτιον
ποιητικόν – Alexander 541.1–2; τὸ ποιητικὸν – Philoponi In Physicorum 298.3; ἔχει δὲ καὶ τὸ
ποιοῦν αἴτιον, εἴπερ γενητόν ἐστι – Simplicii In Physicorum 363.29–30. Erwähnenswert ist,
dass der Ausdruck ἀρχὴ τῆς κινήσεως an manchen Stellen auch das Prinzip der Entstehung
bedeutet.
237 (1) Metaph. Δ16, 1021b28–30: διὸ καὶ ἡ τελευτὴ κατὰ μεταφορὰν λέγεται τέλος, ὅτι ἄμφω
ἔσχατα· τέλος δὲ καὶ τὸ οὗ ἕνεκα ἔσχατον. (2) Metaph. Δ24, 1023a34: τέλος μὲν γάρ ἐστιν ἡ
μορφή, τέλειον δὲ τὸ ἔχον τέλος.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 175

zeitlich anfängt. Wie sich die Wirkursache zum Anfang verhält, so verhält sich
die Zielursache zum Ende. Das Ziel kommt zwar am Ende hervor, muss aber von
Anfang an vorausgesetzt werden, denn um dessen willen vollzieht sich die Ent-
stehung. Die ontologisch vorangehende Zielursache weist deswegen auf das zeit-
liche Ende hin, weil die Zielerreichung die Entstehung zum Abschluss bringt.238
Da die Wirkursache als Antriebskraft funktioniert und die Zielursache als voll-
kommenes Werk auftritt (ποιητικόν-βέλτιστον), können die Wirk- und die Zielur-
sache (αἴτιον-τέλος) nur im übertragenen Sinne als Anfang und Ende der
Entstehung (ἀρχή-τελευτή) bezeichnet werden. Ursprünglich ist die Antriebskraft
dem Werk nicht entgegengesetzt und nur im abgeleiteten Sinne kann der Anfang
dem Ende entgegengesetzt sein. Am Anfang, d. h. vor der Entstehung, ist die
Form abwesend und privativ (ἀρχή-ἀπουσία-στέρησις) und am Ende, d. h. nach
der Entstehung, ist sie anwesend und vollkommen (τελευτή-παρουσία-ἕξις).
Darum können die Wirk- und die Zielursache nur dann einen horizontalen Ge-
gensatz bilden, wenn sie als Gegensatzpaare, wie Anfang-Ende, Abwesenheit-
Anwesenheit oder Privation-Vollendung wiedergegeben werden.239
Aus dem oben Dargelegten kann man den folgenden Schluss ziehen: An-
hand der Analogie von Techne und Physis kommen die vier Entstehungsprinzi-
pien zum Vorschein, nämlich als Stoff-, Form-, Wirk- und Zielursache. Es
handelt sich darum, dass das konkrete Einzelding durch die Kunst oder durch
die Natur entstanden ist. Zweifelsohne sind dabei die Stoff- und die Formursa-
che fundamental. Denn diese beiden gelten nicht nur als Entstehungsprinzi-
pien, sondern sie konstituieren als Bestandteile die Einzelsubstanz, sodass die
eine die materiale Substanz (οὐσία ὑλική) und die andere die formale Substanz

238 Das Ende kommt mit dem Ziel bzw. der Vollendung nicht immer zur Deckung. Das Ende
des menschlichen Lebens (τελευτή) ist der Tod. Aber das menschliche Ziel (τέλος) liegt über-
haupt nicht im Tod. Denn der Mensch ist lebend und lebendig, nicht um zu sterben, sondern
um die menschliche Wesenheit zu vervollkommnen und zu verwirklichen. Nach dem menschli-
chen Ziel soll man auf eine vernünftige Weise denken und handeln. Nicht der beliebige Schluss
bringt den Zweck hervor, sondern das vollkommene Ziel bringt den Entstehungsprozess erst zu
Ende. Strenggenommen soll die Zielursache nicht mit dem Ende (ἔσχατον, ultimum), sondern
mit der Vollendung gleichzusetzen sein, wobei sich das Seiende vervollkommnet (βέλτιστον, op-
timum). Vgl. Phys. B2, 194a30–33: διὸ καὶ ὁ ποιητὴς γελοίως προήχθη εἰπεῖν „ἔχει τελευτήν,
ἧσπερ οὕνεκ’ ἐγένετο“ βούλεται γὰρ οὐ πᾶν εἶναι τὸ ἔσχατον τέλος, ἀλλὰ τὸ βέλτιστον.
239 (1) Metaph. A3, 983a30–32: τρίτην δὲ ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως, τετάρτην δὲ τὴν ἀντικει-
μένην αἰτίαν ταύτῃ, τὸ οὗ ἕνεκα καὶ τἀγαθόν (τέλος γὰρ γενέσεως καὶ κινήσεως πάσης τοῦτ’
ἐστίν). (2) Phys. B3, 195a8–14 = Metaph. Δ2, 1013b9–16: ἔστιν δέ τινα καὶ ἀλλήλων αἴτια, οἷον
τὸ πονεῖν τῆς εὐεξίας καὶ αὕτη τοῦ πονεῖν· ἀλλ’ οὐ τὸν αὐτὸν τρόπον, ἀλλὰ τὸ μὲν ὡς τέλος τὸ
δ’ ὡς ἀρχὴ κινήσεως. ἔτι δὲ τὸ αὐτὸ τῶν ἐναντίων ἐστίν· ὃ γὰρ παρὸν αἴτιον τοῦδε, τοῦτο καὶ
ἀπὸν αἰτιώμεθα ἐνίοτε τοῦ ἐναντίου, οἷον τὴν ἀπουσίαν τοῦ κυβερνήτου τῆς τοῦ πλοίου ἀνατ-
ροπῆς, οὗ ἦν ἡ παρουσία αἰτία τῆς σωτηρίας.
176 2 Zweite Philosophie (Physik)

(οὐσία κατὰ τὸ εἶδος) ist.240 Einerseits weist der vertikale Gegensatz von Stoff-
und Formursache auf die Substantialität hin, da Stoff und Form Substanzen
sind. Andererseits bringt der horizontale Gegensatz von Wirk- und Zielursache
insofern die Prozessualität zum Ausdruck, als die Antriebskraft den Anfang
und das Werk das Ende der Entstehung bezeichnet. Indem sich der vertikale
und der horizontale Gegensatz zusammenfügen, ergibt sich eine Kreuzstruktur.
Da die vier Ursachen durch die zwei Gegensatzpaare strukturiert sind, wird
die Möglichkeit völlig ausgeschlossen, eine fünfte Ursache hinzuzufügen.241

240 Terminologisch wird der Stoff als die materiale Substanz bezeichnet (οὐσία ὑλική – Me-
taph. Θ7, 1049a36), die Form als die formale Substanz (ἡ κατὰ τὸ εἶδος οὐσία – Metaph. H3,
1044a10–11) und das Einzelding als die aus Stoff und Form zusammengesetzte Einzelsubstanz
(ἡ μετὰ τῆς ὕλης [οὐσία] – Metaph. H3, 1044a11). Die substanziellen Bestandteile der
Einzelsubstanz müssen deswegen auch Substanzen sein, weil es nicht möglich ist, dass die
Einzelsubstanz aus der Nicht-Substanz stammt. Aus der Kombination der quantitativen (groß-
klein oder viel-wenig) oder der qualitativen Eigenschaft (schwarz-weiß oder musikalisch-
unmusikalisch) kann das konkrete Einzelding überhaupt nicht hervorgebracht werden. In der
Tat trägt die Vier-Ursachen-Lehre theoretisch dazu bei, die materiale und die formale Substanz
aus der Einzelsubstanz herzuleiten. Φύσις und τέχνη sind nichts anderes als zwei verschie-
dene Weisen, womit die Form mit der Materie kombiniert sein kann. Durch die Suche nach
den Prinzipien der Einzelsubstanz treten die formale und die materiale Substanz in Erschei-
nung. Aufgrund dessen ist von drei Sorten von Substanzen die Rede, und zwar Stoff, Form
und Kompositum. Vgl. Metaph. Z3, 1029a1–5; Z13, 1038b1–3; H1, 1042a24–31; H2, 1043a2–28;
Λ3, 1070a9–13; De anima B1, 412a6–9; B2, 414a14–19.
241 In Bezug auf die aristotelische Vier-Ursachen-Lehre wird eine Frage immer wieder gestellt:
Warum gibt es genau vier Ursachen, weder mehr noch weniger (ὅτι δὲ τοσοῦτοί εἰσιν οἱ τῶν
αἰτίων τρόποι καὶ οὔτε πλείονες οὔτε ἐλάττονες – Simplicii In Physicorum 316.29–30)? Manche
Forscher meinen, dass Aristoteles nichts anderes gemacht habe, als die vorhandenen Früchte
der Forschung nebeneinanderzustellen und einfach zusammenzufassen (Ross 1924: 126). Ge-
nauer gesagt nehme Aristoteles von dem einen die Stoffursache auf, von dem anderen aber die
Formursache, von dem dritten wiederum die Wirkursache, und die Zielursache sei erst die eigen-
tümliche Erfindung des Aristoteles selbst. Auf diese Art und Weise, also durch die Zusammen-
fassung der vorhandenen Materialien seien die vier Ursachen zum Vorschein gekommen. Die
Forscher tendieren dazu, den Ursprung der vier Ursachen auf die voraristotelische Philosophie
zurückzuführen, weil Aristoteles die vier Prinzipien in der Tat gerade durch die Auseinanderset-
zung mit den Vorgängern darstellt. Trotzdem ist diese Meinung unhaltbar. Wie könnte es über-
haupt geschehen, dass ein konkretes Einzelding durch die Zusammensetzung des elementaren
Stoffs, wie Wasser, Feuer, mit einem solchen Formprinzip, das im Sinne der platonischen Idee
jenseits des empirischen Seienden unveränderlich besteht, entstanden wäre? Denn weder Pla-
tons Ideenlehre, wonach die Idee als Formprinzip bestimmt ist, noch die vorsokratische Natur-
philosophie, bei der die elementaren Stoffe als Materieprinzip zugrunde gelegt werden,
orientiert sich an der Entstehung der einzelnen Substanzen, die allererst in der aristotelischen
Vier-Ursachen-Lehre selbst thematisiert wird. Dies macht Hegel in den Vorlesungen über die Ge-
schichte der Philosophie klar (1971: 63): „[. . .] so hat Thales noch nicht diese Gedankenbestim-
mung gehabt; er kannte Arche als Anfang in der Zeit, aber nicht als das Zugrundeliegende.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 177

Das Verhältnis von Bewegung, Herstellung und Naturentstehung lässt sich


folgendermaßen zusammenfassen: Die ganze Argumentation besteht aus zwei
Schritten. Im ersten Schritt geht es um die Analogie zwischen der akzidentellen
und der substanziellen Veränderung (κίνησις-γένεσις/φθορά). Wie sich der ak-
zidentelle Gegensatz zum Einzelding verhält, so bezieht sich der substanzielle
Gegensatz von Form und Privation auf die Materie. Im zweiten Schritt geht es
um die Analogie zwischen der menschlichen Herstellung und der natürlichen
Entstehung (ποίησις-φύσις), worin das Artefakt sowie das Naturseiende als das
aus Form und Stoff Zusammengesetzte angesehen werden. Bewegung, Herstel-
lung und Naturentstehung stehen deswegen im analogischen Verhältnis (κίνη-
σις-ποίησις-φύσις), weil das fundamentale Gefüge von Machen und Erleiden
(ποιεῖν-πάσχειν) durchgängig zur Geltung kommt. Die Veränderung, sei sie ak-
zidentell oder substanziell, ergibt sich nur dann, wenn die akzidentelle Eigen-
schaft, die technische Gestalt oder die natürliche Art aktiv wirken und das
Einzelding oder die Materie passiv bewirkt werden.
Die Physik sollte die natürliche Entstehung und Bewegung thematisieren,
aber die technische Herstellung ist immer in die Naturforschung einbezogen.
Denn beim einzelnen Lebewesen sind Form-Stoff sowie Machen-Erleiden nicht
unmittelbar durchsichtig, das Artefakt aber zeigt die hylemorphistische Struktur
am offenkundigsten. Dadurch dass der Mensch nach dem Muster des Artefaktes
in Betracht gezogen wird, ist der einzelne Mensch als Kompositum von Seele und
Körper auszulegen. Wie Form und Stoff zusammengesetzt werden (μορφή-ὕλη),
so fügen sich Seele und Körper zusammen (ψυχή-σῶμα). Jedoch vollzieht sich
die Naturentstehung nicht nach dem technischen Modell, sondern auf eine an-
dere Art und Weise. Was sich in der Natur tatsächlich ereignet, ist keineswegs
die Zusammenfügung von Seele und Körper, sondern nur, dass ein Mensch
einen anderen Menschen zeugt (ἄνθρωπος ἄνθρωπον γεννᾷ). Auf der phänome-
nalen Ebene geschieht nichts anderes, als dass der Vater (zusammen mit der
Mutter) ein Kind zeugt. Im Wesentlichen aber geht es darum, dass sich die

Thales führte nicht einmal die Gedankenbestimmung von Ursache in seine Philosophie ein;
erste Ursache ist aber eine noch weitere Bestimmung. [. . .] Der theoretische Ansatz der Ideen-
lehre weist überhaupt nicht auf die Ursache des Seienden oder der empirischen Phänomene
hin, sondern Platon stellt die Ideen für die Einzelnen auf, ursprünglich um für das ethische und
politische Chaos in Athen eine Lösung zu finden.“ Logischerweise muss die Sache umgekehrt
gedacht werden. Nicht durch die Materialiensammlung aus der voraristotelischen Philosophie,
sondern anhand seiner eigenen theoretischen Disziplin versucht Aristoteles, die damalige grie-
chische Philosophie erneut zu „sortieren“ und damit zu systematisieren. Dass die vier Ursachen
systematisch und notwendigerweise abzuleiten sind, kann nicht auf der Zusammenfassung der
historischen Lehrmeinungen aufbauen, sondern der systematische Gedanke des Aristoteles
steht diesbezüglich im Hintergrund.
178 2 Zweite Philosophie (Physik)

besondere Art am gleichartigen Einzelding konkretisiert. Die Tatsache, dass der


Mensch weder andere Arten von Tieren noch Pflanzen, sondern nur den Men-
schen zeugen kann, drückt die natürliche Notwendigkeit aus. Dank des teleologi-
schen Charakters der Natur reproduziert die menschliche Art die Menschen
zweckmäßig und kontinuierlich. Obwohl sich die menschliche Art nur mithilfe
einzelner Menschen verwirklichen kann, leistet nicht das individuelle Einzelne,
sondern die besondere Art die Notwendigkeit und die Kontinuität der Naturent-
stehung. Im Grunde genommen vollzieht sich die Physis nicht gleicherweise wie
die Techne, bei der Form und Stoff äußerlich und nachträglich zusammengesetzt
werden, sondern derart, dass sich die Naturart am gleichartigen Einzelnen aktua-
lisiert und konkretisiert (εἶδος→τόδε τι ὁμοειδές).
Anhand der Analogie von Techne und Physis haben sowohl das technische
als auch das natürliche Seiende drei Elemente, nämlich Form, Stoff und Zusam-
mengesetztes (μορφή-ὕλη-σύνολον). Aus der Perspektive der dynamischen Funk-
tion betrachtet sind sie Machen, Erleiden und Zusammenwirken (ποιεῖν-πάσχειν-
σύνθεσις). Bei der Techne stimmen das Machen mit der Form und das Erleiden
mit dem Stoff überein. Dadurch, dass die aktive und die passive Kraft aufeinan-
der wirken, wird das technische Kompositum, nämlich das konkrete Artefakt,
hervorgebracht. Bei der Physis steht das Erzeugen in Einklang mit der Naturart
(ποιεῖν = εἶδος) und das Erzeugte, d. h. das zusammengesetzte Seiende, ist das
einzelne Naturding (σύνολον = τόδε τι). Was der Satz „Der Mensch zeugt den
Menschen“ besagt, ist nichts anderes, als dass die menschliche Art als aktives
Produzierendes den einzelnen Menschen produziert (ποιεῖν→σύνολον). Aus
der produzierenden Naturart und dem Produkt ist das dritte Element, nämlich
die passiv erleidende Materie, abzuleiten (πάσχειν = ὕλη). Der Herstellung
und der Naturentstehung ist zwar dieselbe dreifältige Struktur von Machen,
Erleiden und Zusammenwirken zugeteilt, aber nicht gleicherweise. Während
das Artefakt durch die Zusammensetzung aus Form und Stoff hergestellt wird
(μορφή + ὕλη→σύνολον; ποιεῖν + πάσχειν→σύνθεσις), lässt sich die Materie
des Naturseienden aus Form und Kompositum herleiten (μορφή + σύνολο-
ν→ὕλη; ποιεῖν + σύνθεσις→πάσχειν). Aristoteles gibt zwar zu, dass die Materie
real und unmittelbar vorliegt, ihre Wirklichkeit und Bestimmtheit
aber müssen aus der Aktualisierung der Naturart resultieren. Ohne die Mate-
rialität preiszugeben, wird die materialistische Weltanschauung umgedreht,
indem die Materie nicht als solche, sondern als die an ihr noch nicht aktuali-
sierte Form theoretisch betrachtet wird.
Anhand des Gefüges von Bewirken und Bewirktwerden ergibt sich die Ana-
logie von Bewegung, Herstellung und Naturentstehung. Um die Naturentste-
hung einsichtig zu machen, ist es nötig, die Bewegung und die Herstellung zu
erforschen. Trotz der strukturellen Ähnlichkeit ist die Naturentstehung weder
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 179

die akzidentelle Verbindung der Eigenschaft mit dem Einzelding noch die äu-
ßerliche Zusammensetzung von Form und Stoff, sondern die Konkretisierung
der besonderen Art am gleichartigen Einzelnen (καθόλου→καθ’ ἕκαστον). Die
oben erwähnten Typen sind schematisch wie folgt darzustellen (Abb. 8):

Abb. 8: Analogie von Bewegung, Herstellung und Naturentstehung.

Techne und Physis sind zwar strukturell ähnlich, im Wesentlichen aber nicht de-
ckungsgleich. Die menschliche Herstellung hängt wenig von der Sache ab, son-
dern viel eher vom Hersteller, denn er determiniert die Gestalt und den Zweck, um
das Nützliche zu produzieren. Im Vergleich dazu gilt die natürliche Entstehung
als Selbstvollzug, indem die Art ihre innere Natur am materialen Substrat vervoll-
ständigt. Die innere Einheit des Naturseienden verlangt, die Naturentstehung auf
eine präzise Art und Weise zu charakterisieren. Dafür ist das Begriffspaar von δύ-
ναμις-ἐνέργεια einzuführen. Aufgrund dessen lässt sich die Naturentstehung nicht
als nachträgliche Kombination der Form mit dem Stoff auslegen, sondern als tele-
ologische Selbstaktualisierung des inneren Vermögens bestimmen. Das Gefüge
von Vermögen und Verwirklichung ist darin der hylemorphistischen Struktur
überlegen, dass es die Entzweiung von Form und Stoff vereinigt.242
Aristoteles führt den begrifflichen Wechsel durch, indem die drei formalen
Ursachen, Form-, Wirk- und Zielursache in eines, d. h. in die ἐνέργεια, fallen243

242 Metaph. H6, 1045b17–22: ἔστι δ’, ὥσπερ εἴρηται, ἡ ἐσχάτη ὕλη καὶ ἡ μορφὴ ταὐτὸ καὶ ἕν,
δυνάμει, τὸ δὲ ἐνεργείᾳ, ὥστε ὅμοιον τὸ ζητεῖν τοῦ ἑνὸς τί αἴτιον καὶ τοῦ ἓν εἶναι· ἓν γάρ τι
ἕκαστον, καὶ τὸ δυνάμει καὶ τὸ ἐνεργείᾳ ἕν πώς ἐστιν, ὥστε αἴτιον οὐθὲν ἄλλο πλὴν εἴ τι ὡς
κινῆσαν ἐκ δυνάμεως εἰς ἐνέργειαν.
243 Phys. B7, 198a22–27: ἐπεὶ δ’ αἱ αἰτίαι τέτταρες, περὶ πασῶν τοῦ φυσικοῦ εἰδέναι, καὶ εἰς
πάσας ἀνάγων τὸ διὰ τί ἀποδώσει φυσικῶς, τὴν ὕλην, τὸ εἶδος, τὸ κινῆσαν, τὸ οὗ ἕνεκα.
180 2 Zweite Philosophie (Physik)

und die Stoffursache mit der δύναμις verknüpft ist (ἡ γὰρ οὐσία ὕλη καὶ δύ-
ναμις οὖσα – Metaph. Θ8, 1050b27). Außer der Formalität muss das aristote-
lische εἶδος zur Bewegung und zur Entstehung beitragen.244 Dadurch dass
sich die Form auswirkt (εἶδος ποιοῦν), funktioniert die verwirklichende
Formursache als Wirkursache (αἴτιον ποιητικόν). Das zeigt sich darin, dass
sich die verschiedenen Naturarten in jeweils gleichartigen einzelnen Exemp-
laren manifestieren. Da die Form- und die Wirkursache beim Lebewesen zusam-
menfallen, werden sie von demselben Begriff ἐνέργεια zusammengefasst.245
Weiterhin ist die ἐνέργεια auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, da sich die natür-
liche Entstehung und Bewegung zweckmäßig vollziehen. Indem die Zweckmäßig-
keit in den Mittelpunkt rückt, gilt die Verwirklichung (ἐνέργεια) als Ins-Ziel-Setzen
(ἐντελέχεια).246
Anhand der ἐνέργεια kommen die drei formalen Ursachen in Einklang,
indem die Formursache als Wirklichkeit (εἶδος: ἐνέργεια), die Wirkursache als
Verwirklichung (ποιοῦν: ἐν-έργεια) und die Zielursache als Wirkliches (τέλος:
ἔργον) ans Licht kommen. Andererseits lässt sich die Stoffursache, die mit dem
passiven Vermögen versehen ist, mit der möglichen Form identifizieren (ὕλη =
δύναμις οὖσα = τὸ δυνάμει ὄν).247 Es ist dem Naturseienden eigentümlich, dass

ἔρχεται δὲ τὰ τρία εἰς ἓν πολλάκις· τὸ μὲν γὰρ τί ἐστι καὶ τὸ οὗ ἕνεκα ἕν ἐστι, τὸ δ’ ὅθεν ἡ
κίνησις πρῶτον τῷ εἴδει ταὐτὸ τούτοις· ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ.
244 Das aristotelische εἶδος ist dadurch von der platonischen ἰδέα unterschieden, dass die
Naturart nicht nur auf die logische Formalität (Bestimmtheit) hinweist, sondern auch und vor
allem die ontologische Aktivität bzw. Produktivität in sich trägt. Mittels der inneren Antriebs-
kraft kann das gleichartige Einzelding aus der Art naturgemäß entstanden sein und sich auto-
matisch bewegen. Da die platonische Idee nach der aristotelischen Interpretation von den
konkreten Einzeldingen abgetrennt und nur für die logische Entität gehalten wird, kann sie
als abstrakte Allgemeinheit zur Entstehung und zur Konkretisierung der Einzelsubstanz kei-
nen Beitrag leisten. Vgl. Metaph. Z8, 1033b26–29: φανερὸν ἄρα ὅτι ἡ τῶν εἰδῶν αἰτία, ὡς
εἰώθασί τινες λέγειν τὰ εἴδη, εἰ ἔστιν ἄττα παρὰ τὰ καθ’ ἕκαστα, πρός γε τὰς γενέσεις καὶ τὰς
οὐσίας οὐθὲν χρησίμη· οὐδ’ ἂν εἶεν διά γε ταῦτα οὐσίαι καθ’ αὑτάς.
245 (1) Metaph. Θ8, 1049b24–29: ἀεὶ γὰρ ἐκ τοῦ δυνάμει ὄντος γίγνεται τὸ ἐνεργείᾳ ὂν ὑπὸ
ἐνεργείᾳ ὄντος, οἷον ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου, μουσικὸς ὑπὸ μουσικοῦ, ἀεὶ κινοῦντός τινος πρώ-
του· τὸ δὲ κινοῦν ἐνεργείᾳ ἤδη ἔστιν. εἴρηται δὲ ἐν τοῖς περὶ τῆς οὐσίας λόγοις ὅτι πᾶν τὸ γιγ-
νόμενον γίγνεται ἔκ τινος τι καὶ ὑπό τινος, καὶ τοῦτο τῷ εἴδει τὸ αὐτό. (2) Metaph. Θ8,
1050b2–3: ὥστε φανερὸν ὅτι ἡ οὐσία καὶ τὸ εἶδος ἐνέργειά ἐστιν.
246 Metaph. Θ8, 1050a21–23: τὸ γὰρ ἔργον τέλος, ἡ δὲ ἐνέργεια τὸ ἔργον, διὸ καὶ τοὔνομα
ἐνέργεια λέγεται κατὰ τὸ ἔργον καὶ συντείνει πρὸς τὴν ἐντελέχειαν.
247 Da die Wirkursache der menschlichen Herstellung äußerlich ist, fallen die potentielle
Form, die in der Seele des Herstellers vorliegt, und die wirkliche Materie auseinander. Da die
natürliche Art dem Stoff immanent ist, gilt der Stoff als die noch nicht aktualisierte Art. Vgl.
Metaph. H1, 1042a26–28; H2, 1042b8–11; Phys. B1, 193a14–17: [. . .] ὡς τὸ μὲν κατὰ συμβεβηκὸς
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 181

die Form im Stoff (εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ),248 d. h. das wirkende Vermögen in sich


selbst (ἀρχὴ γὰρ κινητική, ἀλλ’ οὐκ ἐν ἄλλῳ ἀλλ’ ἐν αὐτῷ ᾗ αὐτό – Metaph. Θ8,
1049b9–10; M1, 1076b1–3; Phys. B1, 192b8–15, 192b20–23, 193a28–31; Γ1,
200b12–13), potentiell vorliegt. Beim Naturseienden vereinen sich die Materie
und die Privation als potentielle Form miteinander, obwohl die eine durch
Wirklichkeit und Passivität und die andere durch Potentialität und Aktivität ge-
kennzeichnet ist. In der Naturentstehung sind die vier Ursachen dadurch

ὑπάρχον, τὴν κατὰ νόμον διάθεσιν καὶ τὴν τέχνην, τὴν δ’ οὐσίαν οὖσαν ἐκείνην ἣ καὶ διαμένει
ταῦτα πάσχουσα συνεχῶς.
248 (1) εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ: (1.1) Metaph. Z8, 1033b5–8: φανερὸν ἄρα ὅτι οὐδὲ τὸ εἶδος, ἢ ὁτι δήποτε
χρὴ καλεῖν τὴν ἐν τῷ αἰσθητῷ μορφήν, οὐ γίγνεται, οὐδ’ ἔστιν αὐτοῦ γένεσις, οὐδὲ τὸ τί ἦν
εἶναι. τοῦτο γάρ ἐστιν ὃ ἐν ἄλλῳ γίγνεται ἢ ὑπὸ τέχνης ἢ ὑπὸ φύσεως ἢ δυνάμεως. (1.2) Metaph.
Z8, 1033b29–32: ἐπὶ μὲν δή τινων καὶ φανερὸν ὅτι τὸ γεννῶν τοιοῦτον μὲν οἷον τὸ γεννώμενον,
οὐ μέντοι τὸ αὐτό γε, οὐδὲ ἓν τῷ ἀριθμῷ ἀλλὰ τῷ εἴδει, οἷον ἐν τοῖς φυσικοῖς – ἄνθρωπος γὰρ
ἄνθρωπον γεννᾷ. (1.3) Metaph. Z8, 1034a2–8: ὥστε φανερὸν ὅτι οὐθὲν δεῖ ὡς παράδειγμα εἶδος
κατασκευάζειν (μάλιστα γὰρ ἂν ἐν τούτοις ἐπεζητοῦντο· οὐσίαι γὰρ αἱ μάλιστα αὗται) ἀλλὰ ἱκα-
νὸν τὸ γεννῶν ποιῆσαι καὶ τοῦ εἴδους αἴτιον εἶναι ἐν τῇ ὕλῃ. τὸ δ’ ἅπαν ἤδη, τὸ τοιόνδε εἶδος ἐν
ταῖσδε ταῖς σαρξὶ καὶ ὀστοῖς, Καλλίας καὶ Σωκράτης· καὶ ἕτερον μὲν διὰ τὴν ὕλην (ἑτέρα γάρ),
ταὐτὸ δὲ τῷ εἴδει (ἄτομον γὰρ τὸ εἶδος). (1.4) Asklepios 406.9–13: < ἱκανὸν > τοίνυν ἐστὶ < τὸ γε-
ννῶν >, τουτέστι τὸ ποιητικὸν αἴτιον, ἐνθεῖναι τὸ εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ, τουτέστι τὸ αἴτιον τοῦ εἴδους.
ἡνίκα < δὲ > κατ’ ἐνέργειαν τὸ εἶδος τοῦτο ἐν τῇ ὕλῃ, τότε < ἤδη ἅπαν τὸ τοιόνδε εἶδος < ἐν >
ταῖσδε ταῖς σαρξὶ καὶ τοῖς ὀστέοις > θεωρεῖται < Καλλίας καὶ Σωκράτης > . (1.5) Phys. B1,
192b32–34: φύσις μὲν οὖν ἐστὶ τὸ ῥηθέν· φύσιν δὲ ἔχει ὅσα τοιαύτην ἔχει ἀρχήν. καὶ ἔστιν πάντα
ταῦτα οὐσία· ὑποκείμενον γάρ τι, καὶ ἐν ὑποκειμένῳ ἐστὶν ἡ φύσις ἀεί. (1.6) Simplicii In Physico-
rum 270.11–15: ἢ εἰπὼν ὅτι εἰσὶ πάντα ταῦτα οὐσίαι, τουτέστι τό τε ὑποκείμενον καὶ τὸ ἐν ὑποκει-
μένῳ, τοῦτο δείκνυσι διὰ μέσης τῆς φύσεως, λέγων ὅτι < ἡ φύσις ὑποκείμενόν τι καὶ ἐν
ὑποκειμένῳ ἐστὶν ἀεί > . εἰ οὖν ἡ φύσις οὐσία, τὸ δὲ ὑποκείμενον φύσις καὶ τὸ ἐν ὑποκειμένῳ
φύσις, τουτέστιν ἡ ὕλη καὶ τὸ εἶδος, οὐσία ἂν εἶεν ταῦτα πάντα. (1.7) Thomas In Physicorum lib.2
l.1 n.6 [71677]: „Et talia sunt omnia subiecta naturae: quia natura est subiectum, secundum
quod natura dicitur materia; et est in subiecto, secundum quod natura dicitur forma.“ (2) Bemer-
kenswert ist, dass der Ausdruck ἐν ὑποκειμένῳ zweideutig ist. Zum einen liegt das einzelne Ak-
zidenz in der zugrundeliegenden Einzelsubstanz vor (Cat. 2, 1a24–25). Zum anderen setzt sich
die Art oder die Form in das materiale Substrat: (2.1) Metaph. Z8, 1033a34: τὸ εἶδος τοῦτο ἐν
ἄλλῳ; 1033b6: [εἶδος] ἐν τῷ αἰσθητῷ; 1033b14–16: εἰ δή ἐστι σφαῖρα τὸ ἐκ τοῦ μέσου σχῆμα
ἴσον, τούτου τὸ μὲν ἐν ᾧ ἔσται ὃ ποιεῖ, τὸ δ’ ἐν ἐκείνῳ, τὸ δὲ ἅπαν τὸ γεγονός, οἷον ἡ χαλκῆ
σφαῖρα. (2.2) Alexander 495.36–496.1: καὶ εἴπερ ἐστὶ σφαῖρα σχῆμα τὸ πάντῃ ἴσον ἀπέχον τοῦ
κέντρου, τούτου τοῦ σχήματος τὸ μὲν ἔσται ὑποκείμενον, ἐν ᾧ τὸ εἶδος ἔσται, ὃ ποιεῖ ὁ ποιῶν
περὶ αὐτό, τὸ δὲ ἔσται εἶδος ἐν τῷ ὑποκειμένῳ ὄν, τὸ δ’ ἐκ τούτων ἔσται ἡ γεγονυῖα χαλκῆ
σφαῖρα. (2.3) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.7 n.9 [82991]: „Si igitur quid est sphaerae
quantum ad ipsam formam est quod sit figura aequalis ex medio, idest quod sit quaedam figura
solida a cuius medio ad extremitates omnes lineae ductae sint aequales, oportet quod huius,
scilicet sphaerae aereae hoc quidem, scilicet materia, sit in quo erat id quod facit generans, scili-
cet forma; et hoc sit in illo, scilicet forma, quae scilicet est figura ex medio aequalis, et hoc sit
omne, idest totum quod factum est, scilicet aerea sphaera.“
182 2 Zweite Philosophie (Physik)

vereinigt, dass die Formursache als Aktualität, die Wirkursache als Aktualisie-
rung, die Zielursache als Aktuelles und die Stoffursache als potentielle Form in
Erscheinung tritt, welche aktualisierbar und noch nicht aktualisiert ist. Da das
formale und das materiale Prinzip zusammengewachsen sind (σύμφυσις – Me-
taph. Δ4, 1014b22–26; Phys. E3, 227a23–24),249 ist die Physis naturgemäß als
Selbstaktualisierung des inneren Vermögens bestimmt, welches am materialen
Substrat potentiell vorhanden ist.
Wie gezeigt wurde, konstituiert das Gefüge von Machen und Erleiden die
analogische Struktur,250 die sich in Bewegung, Herstellung und Naturentstehung
durchsetzt. Dasselbe Gefüge beschränkt sich nicht auf die Bewegung und die
Entstehung der einzelnen Lebewesen, sondern erstreckt sich auch auf die Um-
wandlung der vier Grundelemente und auf die Kreisbewegung der Himmelskör-
per. Dadurch, dass das unbewegte Bewegende das Gestirn in Bewegung setzt,
verhalten sich das eine als aktives Bewegendes und das andere als passives
Bewegtes nach demselben Muster. Darüber hinaus ist der absolute Geist insofern
durch dieselbe Struktur gekennzeichnet, als sich das Denken des Denkens in der
Entzweiung von Denken und Gedachtwerden fundiert.
Der Gegensatz von Machen und Erleiden (ἐναντίον)251 unterscheidet sich von
allen anderen Gegensätzen. Während der Gegensatz der Grundelemente (Wasser-
Feuer, Luft-Erde) sowie der Gegensatz der Akzidenzen (kalt-warm, feucht-
trocken, gerecht-ungerecht) symmetrisch sind, bilden Machen und Erleiden ein
asymmetrisches Verhältnis. In den meisten Fällen hat das Machen, das Ma-
chende oder die Aktivität die ontologische Priorität vor dem Erleiden, dem Erleid-
enden oder der Passivität, wie die Form dem Stoff ontologisch und logisch
vorrangig ist.252 Weiterhin ist der asymmetrische Gegensatz vertikal konstituiert,

249 Derselbe Begriff wird auch im negativen Sinne angewendet. Vgl. Metaph. Z16, 1040b15;
Ross 1924: 220; Frede und Patzig 1988: 302.
250 Phys. A5, 188b36–189a2: [. . .] ὥστε ταὐτὰ λέγειν πως καὶ ἕτερα ἀλλήλων, ἕτερα μὲν
ὥσπερ καὶ δοκεῖ τοῖς πλείστοις, ταὐτὰ δὲ ᾗ ἀνάλογον· λαμβάνουσι γὰρ ἐκ τῆς αὐτῆς συσ-
τοιχίας· τὰ μὲν γὰρ περιέχει, τὰ δὲ περιέχεται τῶν ἐναντίων.
251 Gen. et Corr., A7, 324a7–9, 324a11–14; Metaph. Δ10, 1018a31–35: τὰ δ’ ἄλλα ἐναντία λέγεται
τὰ μὲν τῷ τὰ τοιαῦτα ἔχειν, τὰ δὲ τῷ δεκτικὰ εἶναι τῶν τοιούτων, τὰ δὲ τῷ ποιητικὰ ἢ
παθητικὰ εἶναι τῶν τοιούτων, ἢ ποιοῦντα ἢ πάσχοντα, ἢ ἀποβολαὶ ἢ λήψεις, ἢ ἕξεις ἢ στερήσ-
εις εἶναι τῶν τοιούτων.
252 Innerhalb des akzidentellen Kompositums, wobei die ontische Bewegung, die logische
Aussage und der ontologische Sachverhalt in Einklang kommen, ergibt sich eine Ausnahme.
Nicht die aktive Eigenschaft ist das formale Prinzip der Einzelsubstanz, sondern die passive
Einzelsubstanz ist das materiale Prinzip der kategorialen Eigenschaft. Denn trotz der Aktivität
hängen die Eigenschaft, das Prädikat oder die Kategorie von der Einzelsubstanz ab, die on-
tisch, logisch und ontologisch zugrunde liegt.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 183

indem der produktive Kausalzusammenhang im Hintergrund steht. Durch die


Übernahme und die Modifikation der platonischen Schöpfungstheorie macht
Aristoteles es möglich, die Natur derart zu erklären, dass die Natur die schöpfer-
ische Kraft in sich trägt. Das Naturseiende kann entstanden sein, ohne einen
übernatürlichen Schöpfer zu setzen.
Die These des Aristoteles führt zu wichtigen theoretischen Konsequenzen. Ers-
tens ersetzt Aristoteles das Entstehungsmodell der stofflichen Mischung-Ablösung,
womit die vorsokratischen Naturphilosophen das Entstehen-Vergehen zu erklären
versuchen, durch die hylemorphistische Zusammensetzung-Zergliederung. Das
ganze Entstehungsproblem wird im Lichte des produktiven Kausalzusammen-
hangs betrachtet und aufgelöst. Zweitens bedarf die Naturart keiner äußerlichen
Wirkursache, um das gleichartige Einzelding zu produzieren, sodass der Schöpfer-
gott aufzuheben ist. Zum einen wird die göttliche Schöpfung theoretisch aufgeho-
ben. Zum anderen wird die menschliche Schöpfung zur Imitation der Natur
gezählt, sodass die Herstellung der Naturentstehung untergeordnet ist. Auf dieser
theoretischen Grundlage entwickelt sich ein neues Weltbild. Demnach liegt die Na-
turwelt weder chaotisch vor noch ist sie vom Schöpfergott geschaffen, sondern die
Natur als Selbstorganisation funktioniert automatisch und teleologisch.

2.2.2 Art-Einzelding: Naturentstehung-Herstellung-Handlung (εἶδος-τόδε τι:


φύσις-ποίησις-πρᾶξις)

Aufgrund der dreifachen Analogie von Bewegung, Herstellung und Naturent-


stehung (κίνησις→ποίησις→φύσις) kommt die innere Struktur der Physis hyle-
morphistisch zur Entfaltung. Die Physis kann zwar anhand der Techne
theoretisch analysiert werden, aber nicht die Physis imitiert die Techne, son-
dern die Techne ahmt die Physis nach. Daraus folgt, dass nicht die Natur tech-
nisch, sondern die Techne naturgemäß betrachtet und erörtert werden soll. Die
Natur ereignet sich notwendig, da sich die Naturart zweckmäßig im gleicharti-
gen Einzelnen aktualisiert (εἶδος→τόδε τι). Dadurch, dass die menschliche Her-
stellung und Handlung die Zweckmäßigkeit der Naturentstehung nachahmen
(Phys. B8, 199a8–20, 199b28–33), können die technische Gestalt (Hermes-
Gestalt) und die bestimmte Eigenschaft (Gesundheit) wie die natürliche Art auf
notwendige Weise realisiert werden. Teleologisch gesehen ist die natürliche
Entstehung, die menschliche Herstellung oder Handlung nichts anderes als die
notwendige Verwirklichung der natürlichen Art, der technischen Gestalt oder
der akzidentellen Eigenschaft. Anhand der ontologischen Notwendigkeit hän-
gen die Physis, die Techne und die Praxis miteinander zusammen. Im Folgen-
den legen wir den Schwerpunkt darauf, zu zeigen, wie sich die Notwendigkeit
184 2 Zweite Philosophie (Physik)

der Naturentstehung in die menschliche Herstellung und Handlung ausdehnt


(φύσις→ποίησις→πρᾶξις). Zunächst ist davon die Rede, worin die Notwendig-
keit der Naturentstehung liegt.253
In der Entstehung müssen sowohl das materiale als auch das formale Prinzip
vorhanden sein, denn ohne das eine oder ohne das andere kann das Einzelding
nicht real entstehen. Demzufolge besteht die natürliche Notwendigkeit aus bei-
den Elementen, nämlich aus der materialen Zwangsläufigkeit (τὸ ἀναγκαῖον ἐν
τῇ ὕλῃ = τὸ ἀναγκαῖον ἐξ ὑποθέσεως) und der formalen Zweckmäßigkeit (τὸ
ἀναγκαῖον οὗ ἕνεκα ἐν τῷ λόγῳ = τὸ ἀναγκαῖον ἁπλῶς).254 Die Materie gilt deswe-
gen als notwendige Bedingung der Entstehung, weil das konkrete Einzelding
ohne den Stoff überhaupt nicht real entstanden sein kann (οὐκ ἄνευ, sine qua
non).255 Die teleologische Verwirklichung der Form kommt auch zur Geltung,
und zwar als hinreichende Bedingung der Entstehung. Denn nicht der Stoff, son-
dern die Naturart dominiert den ganzen Entstehungsprozess, indem die Naturart
den Stoff formt und das Gleichartige hervorbringt. Da die Zielsetzung und die
Zielerreichung der Naturart den Primat vor dem Stoffprinzip haben, besitzt die
formale Zweckmäßigkeit die Notwendigkeit in höherem Maß als die materiale
Zwangsläufigkeit.

253 Die natürliche Notwendigkeit kommt folgendermaßen zum Ausdruck: τὸ ἐξ ἀνάγκης εἶναι ἐν
τῇ γενέσει – Phys. B9, 199b35–200a1; τὸ ἀναγκαῖον [. . .] ἐν τοῖς κατὰ φύσιν γιγνομένοις – Phys.
B9, 200a15–16; τὸ ἀναγκαῖον ἐν τοῖς φυσικοῖς – Phys. B9, 200a30–31. Im Hinblick auf die voraris-
totelische Philosophie ist es nicht selbstverständlich, die Notwendigkeit in der Natur als gegeben
anzusetzen. Dadurch, dass Platon das Werdende vom wahrhaften Seienden bzw. die empirische
Welt von der Ideenwelt streng abgrenzt, ist das natürliche Seiende mit der Kontingenz verknüpft
und die Idee notwendig an und für sich seiend. Laut Platon ist nicht die wandelbare Natur, son-
dern die unveränderliche Idee mit der Notwendigkeit verbunden. Andererseits tendieren die meis-
ten Naturphilosophen dazu, anhand des materialen Prinzips das Weltganze zu erklären, wobei
nur von der Zwangsläufigkeit der Materie die Rede ist. Platons Ideenlehre entgegen meint Aristote-
les, dass sich die Natur notwendig ereignet. Die Naturphilosophie fortsetzend gibt Aristoteles zu,
dass die natürliche Notwendigkeit teilweise aus der materialen Zwangsläufigkeit besteht, da kein
einzelnes Naturseiendes ohne Materie real entstanden sein kann. Aber vielmehr liegt die Notwen-
digkeit in der Zweckmäßigkeit der natürlichen Verwirklichung. Ohne die aktive Aktualisierung der
Naturart bleibt die Materie nur in der Möglichkeit. Es ist der großartige Beitrag des Aristoteles zur
Philosophie, neben der logischen und der mathematischen Notwendigkeit (in scientiis demonstra-
tivis necessiarum a priori – Thomas In Physicorum lib.2 l.15 n.5 [71804]) einen anderen Typ der Not-
wendigkeit (necessiarum in generatione rerum naturalium – [71804]) ans Lichte zu bringen.
254 Phys. B9, 199b34–35, 200a13–15, 200a30–32.
255 Phys. B9, 200a5–10; Simplicii In Physicorum 386.29–34: τοῦτο οὖν ἀποδοκιμάζει τὸ ἀναγ-
καῖον ἐπὶ τῆς ὕλης λεγόμενον, ἐγκρίνει δὲ τὸ ἐξ ὑποθέσεως. δι’ οὗ δείκνυσιν ὅτι οὐκ ἄνευ τῆς
ὕλης γίνεται τὰ γινόμενα, οὐ μέντοι διὰ τὴν ὕλην ὡς διά τινα κυρίως αἰτίαν, ἀλλ’ ὡς δι’ ὕλην
μόνον καὶ δι’ ὑλικὴν αἰτίαν. τὰ γὰρ ἐξ ὑποθέσεως ὡς ὕστερα τῶν προϋποτιθεμένων καὶ ἧττον
αἴτιά ἐστι, τὸ δὲ κυρίως αἴτιον τὸ τέλος ἐστὶ καὶ τὸ οὗ ἕνεκα.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 185

Obwohl das einzelne Naturseiende zwangsläufig mit dem Stoff behaftet ist,
gründet die Notwendigkeit der Naturentstehung nicht im materialen Substrat,
sondern in der formalen Zielsetzung und Zielerreichung. Einen Schritt weiter
lässt sich die Zweckmäßigkeit anhand des notwendigen Syllogismus nachweisen.
Der Syllogismus bezeichnet ein deduktives Verfahren, wobei der Einzelfall aus
dem vorausgesetzten allgemeinen Grundsatz, die Folge aus der Ursache oder das
Prinzipiat aus dem Prinzip deduziert werden (αἴτιον→αἰτίατον). Der notwendige
Syllogismus ist derart strukturiert, dass sich die wahre Konklusion aus der wah-
ren Prämisse notwendigerweise ergibt (πρότασις→συμπεράσμα). Wenn die Prä-
missen notwendig wahr sind, dann ist es die Konklusion ebenso. Der notwendige
Syllogismus kann nicht nur mathematisch-logisch konzipiert sein, sondern auch
ontologisch aufgestellt werden, weil er im Bereich der Mathematik, der Logik
und der Ontologie gemeinsam auf die notwendige Deduktion der Einzelheit aus
der Allgemeinheit/Besonderheit hinweist (καθόλου→καθ’ ἕκαστον).

ὥστε, ὥσπερ ἐν τοῖς συλλογισμοῖς, πάντων ἀρχὴ ἡ οὐσία· ἐκ γὰρ τοῦ τί ἐστιν οἱ συλλο-
γισμοί εἰσιν, ἐνταῦθα δὲ αἱ γενέσεις. ὁμοίως δὲ καὶ τὰ φύσει συνιστάμενα τούτοις
ἔχει. – Metaph. Z9, 1034a30–33256

In der Mathematik folgt die Winkelsumme, die zwei rechten Winkeln gleich
ist, notwendig aus dem Dreieck (τὸ τρίγωνον→δύο ὀρθαῖς – Phys. B9,
200a15–24), und in der Logik lässt sich die einzelne Demonstration aus der
allgemein gültigen Definition folgern (τί ἐστιν/ὁρισμός→ἀπόδειξις).257 Ist der
Mensch überhaupt als vernünftiges Lebewesen bestimmt, ist jeder einzelne

256 (1) Phys. B7, 198b4–9: ὥστε ἐπεὶ ἡ φύσις ἕνεκά του, καὶ ταύτην εἰδέναι δεῖ, καὶ πάντως
ἀποδοτέον τὸ διὰ τί, οἷον ὅτι ἐκ τοῦδε ἀνάγκη τόδε (τὸ δὲ ἐκ τοῦδε ἢ ἁπλῶς ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ),
καὶ εἰ μέλλει τοδὶ ἔσεσθαι (ὥσπερ ἐκ τῶν προτάσεων τὸ συμπέρασμα), καὶ ὅτι τοῦτ’ ἦν τὸ τί ἦν
εἶναι, καὶ διότι βέλτιον οὕτως, οὐχ ἁπλῶς, ἀλλὰ τὸ πρὸς τὴν ἑκάστου οὐσίαν. (2) Phys. B9,
200a34–200b5: καὶ τὸ τέλος τὸ οὗ ἕνεκα, καὶ ἡ ἀρχὴ ἀπὸ τοῦ ὁρισμοῦ καὶ τοῦ λόγου, ὥσπερ ἐν
τοῖς κατὰ τέχνην, ἐπεὶ ἡ οἰκία τοιόνδε, τάδε δεῖ γενέσθαι καὶ ὑπάρχειν ἐξ ἀνάγκης, καὶ ἐπεὶ ἡ
ὑγίεια τοδί, τάδε δεῖ γενέσθαι ἐξ ἀνάγκης καὶ ὑπάρχειν – οὕτως καὶ εἰ ἄνθρωπος τοδί, ταδί· εἰ
δὲ ταδί, ταδί. ἴσως δὲ καὶ ἐν τῷ λόγῳ ἔστιν τὸ ἀναγκαῖον. (3) Thomas In Physicorum lib.2 l.15
n.5 [71804]: „Dicit ergo primo quod aliquo modo similiter invenitur necessarium in scientiis
demonstrativis, et in iis quae generantur secundum naturam.“ (4) Thomas Expositio Posterio-
rum Analyticorum lib.1 l.3 n.1 [79487]: „Cuius quidem ratio est, quia, sicut iam ostensum est,
oportet principia conclusioni praecognoscere. Principia autem se habent ad conclusiones in
demonstrativis, sicut causae activae in naturalibus ad suos effectus (unde in II physicorum
propositiones syllogismi ponuntur in genere causae efficientis).“
257 Im notwendigen Syllogismus ist die Prämisse keine beliebige Aussage (ἒνδοξον), die wahr
oder falsch sein kann, sondern bezieht sich auf die Wesensdefinition, die immer wahr ist (ἀρχή-
τί ἐστιν-ὁρισμός-ἀεὶ ἀληθὲς). Nicht nur der Obersatz, sondern auch der Untersatz hält sich von
der Irrtumsmöglichkeit fern. Wenn es weder dem Obersatz noch dem Untersatz möglich ist,
186 2 Zweite Philosophie (Physik)

Mensch per definitionem vernünftig. In ähnlicher Weise lässt sich der notwendige
Syllogismus im Zusammenhang mit der Naturentstehung aufzeigen, insofern das
gleichartige Einzelne aus der Naturart notwendig folgt (εἶδος→τόδε τι ὁμοειδές).
Der notwendige Syllogismus, der sich in der Mathematik, in der Logik und in der
Natur vollzieht, beruht auf der notwendigen Schlussfolgerung. Analog zum not-
wendigen mathematisch-logischen Syllogismus kann die Naturentstehung als
der notwendige ontologische Syllogismus bezeichnet werden. Während der not-
wendige mathematisch-logische Syllogismus auf die wahre Erkenntnis des Ein-
zelnen abzielt (γινώσις: ἕκαστον ἁπλῶς – APo. A2, 71b9–15), orientiert sich der
notwendige ontologische Syllogismus an der teleologischen Entstehung des Ein-
zelnen (γένεσις: ἕκαστον ἁπλῶς – Phys. B9, 200a34–200b5).
Der notwendige ontologische Syllogismus beschränkt sich nicht auf die Natur-
entstehung, sondern gilt auch für die Herstellung und die Handlung. Indem die
menschliche Tätigkeit die natürliche Zeugung imitiert, beabsichtigt der Hersteller,
das gleichartige Artefakt, z. B. Auto, zu reproduzieren und der Arzt zielt darauf ab,
die Gesundheit wieder hervorzubringen. Da sich nicht nur Physis, sondern auch
Techne und Praxis zweckmäßig und notwendig vollziehen, ergeben sich dement-
sprechend drei Typen der notwendigen ontologischen Syllogismen. Im folgenden
Satz fasst Aristoteles zusammen, auf welche Art und Weise die Naturentstehung,
die Herstellung und die Handlung jeweils syllogistisch konstituiert sind.

δῆλον δ' ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ πάντα γίγνεται ἐκ συνωνύμου, ὥσπερ τὰ
φύσει; ἢ ἐκ μέρους συνωνύμου, οἷον ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας, ᾗ ὑπὸ νοῦ· ἡ γὰρ τέχνη τὸ εἶδος; ἢ ἐκ
μέρους συνωνύμου ἢ ἔχοντός τι μέρος, ἐὰν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γίγνηται· τὸ γὰρ αἴτιον τοῦ
ποιεῖν πρῶτον καθ' αὑτὸ μέρος. – Metaph. Z9, 1034a21–26

Vor der ausführlichen Erörterung muss die Satzstruktur zunächst analysiert wer-
den, die in der Forschung sehr umstritten ist. Dazu gibt es hauptsächlich zwei
Interpretationsvorschläge. Sie unterscheiden sich durch die verschiedenen Punk-
tierungsmöglichkeiten und gehen auf ein unterschiedliches Verständnis des In-
halts zurück. Sprachlich geht es darum, ob der Satz dreiteilig oder zweiteilig zu
untergliedern sein soll. Im überlieferten Text liegen insgesamt drei Konjekturen
(ἢ) vor, die aber verschiedene Funktionen haben. Die beiden Interpretationen
kommen darin überein, dass die dritte Konjektur keinen Beitrag zur Disjunktion
leistet, sondern sich nur auf die Gesundheit bezieht. Darum kann man die dritte
Konjektur weglassen, wie Asklepios vorschlägt (ἢ ἐκ μέρους γινομένου ὁμωνύμου
ἔχοντός τι μέρος – Asclepii In Metaphysicorum 410.8–10). Meines Erachtens ist es

falsch zu sein (μὴ ἐνδέχεσθαι τοῦτ’ ἄλλως ἔχειν – APo. A2, 71b9–15), dann tritt die Konklusion
als notwendige wahre Aussage hervor (ἀναγκαῖον).
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 187

sinnvoll, dass diese Konjektur an der Stelle erhalten bleibt. Denn das Entweder-
oder hängt damit zusammen, dass das Warme als Formursache die körperliche
Gesundheit entweder gänzlich oder teilweise ausmacht.258
Wie oben gezeigt wurde, kommt die eine Lesart dadurch zustande, dass
der ganze Satz durch die ersten beiden Konjekturen dreifach geteilt ist.
Kommentatoren wie Alexander,259 Asklepios,260 Thomas von Aquin261 und

258 Metaph. Z9, 1034a26–29: θερμότης γὰρ ἡ ἐν τῇ κινήσει θερμότητα ἐν τῷ σώματι ἐποίησεν·
αὕτη δὲ ἐστὶν ἢ ὑγίεια ἢ μέρος, ἢ ἀκολουθεῖ αὐτῇ μέρος τι τῆς ὑγιείας ἢ αὐτὴ ἡ ὑγίεια.
259 (1) Alexander 498.35–499.3: Δείξας διὰ πλειόνων ὅτι οὐ μόνον ὁ ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου γί-
νεται ἀλλὰ καὶ ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας (ἡ γὰρ τέχνη, καθ’ ἣν ἡ οἰκία γίνεται, οὐδὲν ἄλλο ἐστὶν ἀλλ’ ἢ τὸ
τῆς οἰκίας εἶδος), ὁμοίως καὶ ἡ ὑγίεια ἐξ ὑγιείας, λέγει ὅτι ἐκ τῶν εἰρημένων δῆλόν ἐστιν ὡς
πάντα τρόπον τινὰ ἐξ ὁμωνύμου ἤτοι συνωνύμου γίνεται, εἰ μὴ κατὰ συμβεβηκός τι γίνεται. (2)
Alexander 499.31–34: καὶ ἡ μὲν τῶν λεγομένων διάνοια αὕτη ἂν εἴη, καταστήσαις δ’ ἂν τὴν λέξιν
ὧδε· πάντα γίνεται ἐξ ὁμωνύμου, ὅταν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γένηται· εἶτα ἐπάγει < ὥσπερ τὰ
φύσει > καὶ τὰ ἑξῆς.
260 Asklepios 407.10–31: Δείξας διὰ τῶν προλαβόντων ὅτι τὸ ποιητικὸν αἴτιον ὁμοειδές ἐστι
τῷ γινομένῳ, φησὶν ὅτι δῆλόν ἐστιν ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τρόπον τινὰ ἅπαντα γίνεται ἐξ ὁμω-
νύμων, τουτέστιν ἐξ ὁμοειδῶν· ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ, καὶ ἵππος ἵππον. ὁμοίως δὲ καὶ
ἐπὶ τῶν τεχνητῶν· τὸ γὰρ εἶδος τοῦ οἴκου τὸ ἐν τῇ φαντασίᾳ τοῦ οἰκοδόμου ὁμοειδές ἐστι τῷ
γινομένῳ. ὥστε καὶ ἐπὶ τῶν τεχνητῶν καὶ ἐπὶ τῶν φυσικῶν ὁμοειδές ἐστι τὸ γινόμενον τῷ
ποιοῦντι. καὶ ἐπὶ τῶν ἐκ σήψεως γὰρ γινομένων ὁ αὐτός ἐστι λόγος· ἔστι γάρ τις λόγος φυσικὸς
ὁ ποιῶν ἐκ τῆς σήψεως τὸ ζωύφιον, ἔχων ἐν ἑαυτῷ τὸ εἶδος τοῦ ζωυφίου. ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ
τῆς ὑγείας· ὁ γὰρ ἰατρὸς ἐποίησε τὴν τρῖψιν, ἡ δὲ τρῖψις τὴν θερμότητα, ἡ δὲ θερμότης ποιεῖ
τὴν ὑγείαν, καὶ ἢ αὐτὴ γίνεται ὑγεία, καὶ πάλιν οὕτω τὸ ποιητικὸν αἴτιον ὁμοειδὲς γίνεται τῷ
γινομένῳ, ἤγουν μέρος γίνεται τῆς ὑγείας συγκιρναμένη τῇ ἐν τῷ σώματι θερμότητι καὶ αὔ-
ξουσα αὐτήν· καὶ οὕτως πάλιν μέρος τοῦ ποιητικοῦ μέρει τοῦ γινομένου γίνεται ὁμοειδές. ἢ
γὰρ ὅλον γίνεται ἢ μέρος ὁμοειδὲς τὸ ποιοῦν τῷ γινομένῳ. [. . .] ὥστε καὶ ἐνταῦθα τὸ εἶδός ἐστι
τὸ γεννῶν, ὥσπερ καὶ ἐκεῖσε τὸ ὁμοειδὲς γεννᾷ τὸ ὁμοειδές.
261 (1) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.13 [83014]: „Dixerat enim superius quod omne
quod generatur, generatur a simili secundum speciem. Hoc autem non eodem modo se habet in
omnibus: et ideo manifestare intendit, quomodo hoc diversimode in diversis inveniatur. [. . .]
Sciendum est autem circa primum, quod omne quod generatur ab aliquo, aut generatur per se,
aut generatur ab eo per accidens.“ (2) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.17 [83018]: „Et
ideo dicit, palam ex dictis est quod aut fiunt omnia quodammodo ex totaliter univoco, sicut na-
turalia, ut ignis ab igne, et homo ab homine. Aut ex eo quod est ex parte univocum, quantum ad
formam, et ex parte aequivocum quantum ad esse formae in subiecto; sicut domus fit ex domo
quae est ars in artifice, aut ab intellectu, sive artis habitu. Ipsa enim ars aedificativa est species
domus. Aut tertio modo fiunt aliqua ex parte formae praeexistentis in generante, sive ex ipso ge-
nerante, habente partem praedictam.“ Wie Alexander und Asklepios hat Thomas den Satz zwar
dreiteilig gelesen, aber inhaltlich anders interpretiert. Seiner Meinung nach ist die Gesundheit
nicht auf die notwendige Heilkunst, sondern auf die zufällige Spontaneität zurückzuführen. Auf-
grund dessen hält Thomas die Naturentstehung für generatio totaliter univoca (Sententia Meta-
physicae lib.7 l.8 n.14 [83015]), die Herstellung für generatio partim ex univoco (Sententia
Metaphysicae lib.7 l.8 n.15 [83016]) und das Hervorbringen der Gesundheit keineswegs für
188 2 Zweite Philosophie (Physik)

Schwegler262 vertreten diese Meinung. Damit ist Folgendes gemeint: Alle Seien-
den entstehen entweder aus συνωνύμου, wie die Naturdinge, oder (ἢ) teilweise
aus συνωνύμου, wie die Artefakte, oder (ἢ) auf eine spezifische Art und Weise (ἐκ
μέρους συνωνύμου ἢ ἔχοντός τι μέρος), wie die Gesundheit. Mit der sprachlichen
Analyse übereinstimmend ist der Inhalt so auszulegen, dass die drei Typen not-
wendiger Entstehung, Physis, Techne und Praxis, zur Erwähnung kommen.
Eine andere Lesart haben Alexander263 und Asklepios264 anzubieten, für
die sich die meisten modernen Interpreten (Christ,265 Bonitz,266 Seidl,267
Ross,268 Jäger,269 Frede und Patzig270) entscheiden:

generatio univoca (Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.16 [83017]), da die Wirkursache derselben
nicht notwendig ist (Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.13 [83014]). Dagegen lassen Alexander
und Asklepios die natürliche Entstehung, die technische Herstellung und die ärztliche Heilung,
die die Gesundheit notwendigerweise produziert, zur συνώνυμον-artigen Entstehung gehören.
262 Schwegler (1848: 88–89): „Drei Arten der Verwandtschaft bestehen zwischen dem Ge-
wordenen (dem Product) und Demjenigen, woraus es wird. a. Vieles wird ἐξ ὁμωνύμου,
ὥσπερ τὰ φύσει. Producirendes und Product sind sich hier schlechthin gleich. Das Pferd, ein
Fisch, eine Pflanze werden ein jedes aus einem gleichnamigen Einzelding. b. Anderes wird
aus einem theilweise Gleichnamigen – ἔκ τινος ἐκ μέρους ὁμωνύμου z. B. ein Haus. Das
Haus wird aus der Idee (εἶδος) des Hauses, die im Verstande (νοῦς) des Baumeisters ist. Folg-
lich wird das Haus aus einem Gleichnamigen. Denn nicht das ganze Haus, das Haus als σύ-
νολον, das wirkliche, aus Stoff und Form zusammengesetzte, steinerne oder hölzerne Haus
ist aus der Idee des Hauses, sondern nur die Idee oder Form des Hauses, also nur ein (der
ideelle) Theil desselben. c. Anderes wird ἐκ μέρους, d. h. so, dass Dasjenige, woraus es wird,
wirklicher Bestandtheil des Gewordenen bleibt. In dieser Weise wird die Gesundheit aus der
Wärme, [. . .].“
263 Alexander 499.8–31: πάντα οὖν, φησί, τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου γίνεται. τὸ δὲ < τρόπον
τινὰ > καὶ μετ’ ὀλίγον τὸ < ἢ ἐκ μέρους ὁμωνύμου > πρόσκειται διὰ τὰ ἀπὸ τέχνης. οὐ γὰρ οὕτως
ἐξ οἰκίας ἐνεργείᾳ οὔσης οἰκία γίνεται, ὥσπερ ὁ ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου. ἔστιν οὖν ἡ οἰκία τρό-
πον τινὰ ἐκ συνωνύμου, ἢ ἐκ μέρους συνωνύμου, τουτέστι τρόπον μέν τινα ἐκ συνωνύμου (ὁ
γὰρ λόγος τῆς οἰκίας κατηγορεῖται καὶ κατὰ τῆσδε τῆς οἰκίας), τρόπον δέ τινα οὐκ ἐκ συνωνύ-
μου· οὐ γὰρ ὑφέστηκεν ἡ οἰκία ἐξ ἧς γίνεται· διὸ τρόπον τινὰ αὖθις οὐκ ἐκ συνωνύμων. [. . .] τὸ
δὲ < ἢ ἐκ μέρους συνωνύμου ἢ ἔχοντός τι μέρος > τοιαύτην ἔχει τὴν ἔννοιαν· τὸ γὰρ θερμόν, ἐξ
οὗ γέγονεν ἡ ὑγίεια, ἢ μέρος τι τῆς ὑγιείας ἐστὶν ἢ ἔχει μέρος αὐτῆς. Dieser Satz zeigt offen-
sichtlich, dass Alexander die beiden Ausdrücke „τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου“ und „ἐκ μέρους
συνωνύμου“ für äquivalent hält. Die sich zwischen beiden Ausdrücken befindende Konjektur
„ἢ“ bedeutet nur „anders gesagt“. Anhand dieser Lesart lautet der Satz: Auf die bestimmte Art
und Weise sind alle Artefakte aus dem Gleichartigen entstanden, wie das Naturseiende“, an-
ders gesagt, alle Artefakte sind teilweise aus dem Gleichartigen entstanden.
264 Asklepios 409.33–410.17: Δείξας ὅτι ὁμοειδές ἐστι τὸ γεννῶν τῷ γεννωμένῳ, φησὶν ὅτι <
δῆλον ἡμῖν γέγονεν ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ ἅπαντα γίνεται ἐξ ὁμωνύμων >, του-
τέστιν ἐκ συνωνύμων· ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ, ταῦτα δὲ συνώνυμα. καλῶς δὲ προ-
σέθηκε τὸ < τρόπον τινά >· οὐ γὰρ ἐπὶ πάντων εὐοδεῖ αὐτῷ ὁ λόγος, καὶ μάλιστα ἐπὶ τῶν
τεχνητῶν καὶ τῶν ἐκ σήψεως. οὐ γὰρ τὸ εἶδος τοῦ ἀβακίου τὸ ἐν τῷ τέκτονι συνώνυμόν ἐστι
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 189

τῷ γινομένῳ ἀβακίῳ· διὸ καὶ αὐτὸς ἐπήγαγεν < ὥσπερ τὰ φύσει, ἢ ἐκ μέρους >, φησίν, < ὁμωνύ-
μου, οἷον ἡ οἰκία γίνεται ἐξ οἰκίας, ἢ ὑπὸ νοῦ >· ἡ γὰρ τέχνη τὸ εἶδος ποιεῖ τῆς οἰκίας, τοῦ νοῦ
ἔχοντος ἐν ἑαυτῷ τὸ εἶδος τοῦ ἀβακίου. καλῶς οὖν εἶπε καὶ τὸ < ἐκ μέρους >· οὔτε γὰρ ἡ οἰκία
ἡ αὐτή ἐστι τῷ τέκτονι, ὥσπερ ὁ Ἕκτωρ τῷ Πριάμῳ, ἀλλὰ κατὰ μέρος, κατὰ τὴν φαντασίαν, ἣν
ἔχει ἐν ἑαυτῷ ὁ τέκτων τοῦ ἀβακίου. < ἢ ἐκ μέρους > γινομένου ὁμωνύμου < ἔχοντός τι μέρος,
ἐὰν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γένηται > . τὸ γὰρ θερμὸν τὸ ἐκ τῆς τρίψεως γινόμενον μέρος ἐστὶ τοῦ
ποιήσαντος καὶ ποιεῖ μέρος τι θερμασίας ἐν τῷ σώματι ὅμοιον ἑαυτῷ, αὖξον αὐτὴν ἢ καὶ γε-
ννῶν διαφορουμένης τῆς ὑγρότητος [. . .]. Während beide Interpretationsvorschläge bei
Alexander miteinander vermischt sind, bietet Asklepios offenkundig zwei verschiedene Inter-
pretationsmöglichkeiten, indem er dieselbe Stelle zweimal kommentiert. In der zweiten Lesart
kommt die Naturentstehung zwar zur Sprache, nämlich dass der Mensch den Menschen zeugt.
Aber die Einführung dieses klassischen Beispiels dient nicht dazu, die Naturentstehung zu er-
örtern, sondern zur Begründung dafür, dass der Begriff „ὁμωνύμων“ durch den Terminus „συ-
νωνύμων“ ersetzt werden soll.
265 Christs Lesart (1895): δῆλον δ’ ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ πάντα γίγνεται ἐξ
ὁμωνύμου, ὥσπερ τὰ φύσει [ἢ ἐκ μέρους ὁμωνύμου], οἷον ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας, ᾗ ὑπὸ νοῦ (ἡ γὰρ
τέχνη τὸ εἶδος), ἢ ἐκ μέρους ὁμωνύμου ἢ ἔχοντός τι μέρος, ἐὰν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γίγνηται.
Eigentlich liest Christ den Text auf eine ähnliche Art und Weise wie Jäger.
266 Der Lesart bei Christ folgend übersetzt Bonitz (1989: 37) den Satz folgendermaßen: „Aus
dem Gesagten ist auch klar, dass alles gewissermaßen aus Gleichnamigem entsteht, wie das,
was durch die Natur entsteht, (ähnlich) wie z. B. das Haus aus einem Hause bzw. durch die
Vernunft (denn die Kunst ist die Form) oder aus einem gleichnamigen Teile oder aus etwas,
das einen Teil enthält, falls es nicht akzidentell entsteht.“
267 Anhand des griechischen Textes, der von Christ editiert wurde, und aufgrund der Überset-
zung von Bonitz kommentiert Seidl wie folgt (1989: 411–412): „Unterscheidung des durch
Kunst Werdenden, das aus Gleichnamigem entsteht, vom spontan Werdenden (das nicht aus
Gleichnamigem entsteht): bei dem durch Kunst Werdenden geht, wie bei dem von Natur, die
konkrete, mit dem Stoff verbundene Form aus der von ihm verschiedenen Form- und Bewe-
gungsursache (im Künstler) hervor, die mit jener namensgleich (äquivok) ist, z. B. geht das
konkrete Haus aus dem Haus in der Vernunft des Baumeisters hervor, oder die Gesundheit des
kranken Leibes aus der in der Vernunft des Arztes gedachten Gesundheit; in gewisser Weise
auch aus einem gleichnamigen, stofflichen Teil, z. B. die Gesundheit aus einem Teil des Lei-
bes, der eine (letzte mittelhafte) Bewegungsursache, z. B. Wärme, enthält.“
268 Ross’s Lesart (1924): δῆλον δ’ ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ πάντα γίγνεται ἐξ
ὁμωνύμου, ὥσπερ τὰ φύσει, ἢ ἐκ μέρους ὁμωνύμου (οἷον ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας, ᾗ ὑπὸ νοῦ· ἡ γὰρ
τέχνη τὸ εἶδος) [ἢ ἐκ μέρους] ἢ ἔχοντός τι μέρος, – ἐὰν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γίγνηται. Ross’
Interpretation ist der Alexanders sehr ähnlich (499.8–15), insofern die Konjektur ἢ als „more
exactly“ übersetzt wird. Ross (1924: 191–192): „All artefacta are produced from a thing having
the same name as themselves, as are natural products, or (more exactly) from an element in
themselves which has the same name as themselves (e. g. a house is produced from a house,
inasmuch as it is produced by reason, for the art of building is identical with the formal ele-
ment in a house), or from something involving an element in them (and having the same
name as it).“
190 2 Zweite Philosophie (Physik)

δῆλον δ' ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ πάντα γίγνεται ἐκ συνωνύμου, ὥσπερ τὰ
φύσει, ἢ ἐκ μέρους συνωνύμου, οἷον ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας, ᾗ ὑπὸ νοῦ· ἡ γὰρ τέχνη τὸ εἶδος; ἢ
ἐκ μέρους συνωνύμου ἢ ἔχοντός τι μέρος, ἐὰν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γίγνηται· τὸ γὰρ αἴτιον
τοῦ ποιεῖν πρῶτον καθ' αὑτὸ μέρος.

Durch die zweite Konjektur ist der ganze Satz zwiefältig geteilt. Die erste Kon-
jektur drückt nichts anderes aus, als dass die beiden Ausdrücke „τρόπον τινὰ
ἐξ συνωνύμου“ und „ἐκ μέρους συνωνύμου“ äquivalent sind. Demzufolge soll

269 Jägers Lesart (1957): δῆλον δ’ ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ πάντα γίγνεται ἐξ
ὁμωνύμου, ὥσπερ τὰ φύσει, [ἢ ἐκ μέρους ὁμωνύμου] (οἷον ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας, ᾗ ὑπὸ νοῦ· ἡ γὰρ
τέχνη τὸ εἶδος) ἢ ἐκ μέρους < ὁμωνύμου > ἢ ἔχοντός τι μέρος, ἐὰν μὴ κατὰ συμβεβηκὸς γίγνη-
ται. Wie gesagt hält Alexander (499.8–15) „τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου“ und „ἐκ μέρους συνω-
νύμου“ inhaltlich für identisch und die Konjektur ἢ impliziert für ihn nichts anderes als eine
andere Ausdrucksweise. Aufgrund dessen teilt Jäger den Satz in zwei Hälften und setzt den
zweiten äquivalenten Ausdruck „ἐκ μέρους συνωνύμου“ in die Paraphrase.
270 Frede und Patzigs Einschätzung scheint mir ein bisschen schwankend zu sein. Einer-
seits folgen sie der Lesart von Ross, wobei von der Techne und Spontaneität die Rede ist.
Frede und Patzig (1988: 156): „Zunächst jedenfalls sollte man eher meinen, es würden nur
zwei Möglichkeiten unterschieden. Denn Aristoteles behauptet ganz allgemein, dass in ge-
wisser Hinsicht eine jede Sache aus etwas Gleichnamigem entsteht, und zwar so, dass es ent-
weder aus einem gleichnamigen Teil seiner selbst entsteht oder aber aus etwas, welches
einen solchen gleichnamigen Teil besitzt. Wenn Aristoteles tatsächlich drei Möglichkeiten
hätte unterscheiden wollen, sollte man erwarten, dass er ἢ ἐξ ὁμωνύμου . . . ἢ ἐκ μέρους
ὁμωνύμου . . . ἢ ἔχοντός τι μέρος geschrieben hätte.“ Frede und Patzigs Meinung nach hin-
dert τρόπον τινὰ in dem Ausdruck τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου daran, diese Entstehungsweise
als Naturentstehung zu interpretieren. Ihre Interpretation basiert darauf, dass sie „in gewis-
ser Hinsicht aus dem Gleichnamigen“ (τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου) mit dem Ausdruck „aus
einem gleichnamigen Teil“ (ἐκ μέρους συνωνύμου) identifizieren und „Teil“ ganz streng als
Substantiv verstehen. Andererseits haben Frede und Patzig schon die Tendenz, die Naturent-
stehung in den Satz einzubeziehen. Ein klarer Beweis liegt darin, dass sie nicht wie Ross das
Subjekt des Satzes als „alle Artefakte“ bestimmen, sondern es als alle Gegenstände ansehen.
Frede und Patzig (1988: 158): „Es scheint natürlicher, den Satz so zu verstehen, dass er be-
hauptet, es werde nun klar, dass in gewisser Hinsicht überhaupt alle Gegenstände, und
nicht nur Naturgegenstände, aus einem Gleichnamigen entstehen.“ Frede und Patzig (1988:
157): „Aus den Kapiteln 7 und 8 ergibt sich, dass alles, was aus Kunst, vor allem aber alles,
was von Natur entsteht, in gewisser Hinsicht aus Gleichnamigen entsteht. Ein Mensch er-
zeugt einen Menschen, und selbst ein Haus entsteht aus einem Haus, insofern nämlich die
Form des Hauses in der Seele des Baumeisters das Entstehen eines Hauses bewirkt. Aber
eben weil das, was spontan entsteht, nicht auf diese Weise entsteht, weder von Natur noch
aus Kunst, sondern aus einer Materie, könnte man meinen, dass es auch nicht aus einem
Gleichnamigen entstehe.“ Frede und Patzig (1988: 156) erwähnen die Interpretationsmög-
lichkeit, den Satz dreifach zu teilen und zu verstehen, sehen sie aber als falsche Interpreta-
tion an.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 191

der Satz so zu verstehen sein: Alle Artefakte entstehen gewissermaßen (τρόπον


τινὰ) aus συνωνύμου, wie die Naturdinge, anders gesagt (ἢ-die erste Konjek-
tur), teilweise aus συνωνύμου, wie das Hausbauen. Oder (disjunktives Oder,
ἢ-die zweite Konjektur) teilweise aus συνωνύμου kommt die Gesundheit zu-
stande, deren Formursache, das Warme, entweder die ganze Gesundheit oder
einen Teil davon konstituiert. Der Zweiteilung zufolge geht es inhaltlich nicht
um den dreifachen Vergleich von Physis, Techne und Praxis, sondern darum,
wie sich die Techne zur Spontaneität verhält (τέχνη-αὐτόματον: Ross 1924:
189–194; Frede und Patzig 1988: 155–159; Seidl 1989: 411–412). Nach dieser In-
terpretation ist die Spontaneität deswegen einbezogen, weil sie die körperliche
Gesundheit zufällig verursachen kann (Metaph. Z7, 1032a12–13, 1032b21–26; Z9,
1034a9–10). Während ein Haus ohne die äußerliche Wirkursache, den Hausher-
ren, nicht zu errichten ist, kann die Gesundheit außer der ärztlichen Behand-
lung vom Körper selbst spontan hergestellt werden (Metaph. Z9, 1034a9–10,
1034a16–19). Man kann zwar die Spur der Spontaneität in Z9 finden, aber der
Einbezug derselben macht diese Lesart inhaltlich nicht haltbar. Denn die Spon-
taneität als zufällige Wirkursache, die nicht wissenschaftlich betrachtet und
untersucht werden soll, lässt sich durch die Beschränkung „μὴ κατὰ συμβεβη-
κὸς γίγνηται“ ausschließen. Wenn man an dieser Lesart festhält, muss man den
zweiten Teil des Satzes nicht mit der Spontaneität, sondern mit der Heilkunst
in Verbindung setzen. Denn die ärztliche Praxis zielt darauf ab, die Gesundheit
auf notwendige Weise wiederherzustellen. Nach der zweiten Lesart geht es im
zitierten Satz nur um den Vergleich von Techne und Praxis.
Bemerkenswert ist, dass sowohl Alexander als auch Asklepios beide Inter-
pretationsmöglichkeiten anzubieten haben. Es hängt nicht nur davon ab, dass
der überlieferte Text unklar ist, sondern auch damit zusammen, wie man den
ganzen Sinnzusammenhang der Kapitel 7–9 der Metaphysik Z verstehen soll. Es
ist gar kein Zufall, dass die drei Beispiele, nämlich das Zeugen des Menschen,
das Errichten des Hauses und das Heilen des Körpers, zur Sprache kommen. Sie
stellen die drei Typen der notwendigen Entstehung paradigmatisch dar, die in
der natürlichen oder der menschlichen Zweckmäßigkeit fundiert sind. In der Phy-
sik sowie in der Metaphysik gibt es mehrere Stellen, wo Aristoteles die Naturent-
stehung, die Herstellung und die Handlung zusammen behandelt (Phys. B1,
192b13–32; B2, 194a21–27; B9, 200a34–200b5; Metaph. Z7, 1032b11–14; Z9,
1034a21–26; Λ4, 1070b25–34). Außerdem stehen die drei Untersuchungsgegen-
stände, nämlich Physis, Techne und Praxis (φύσις-ποίησις-πρᾶξις), in Einklang
mit der dreifachen Einteilung der Wissenschaft (φυσική/θεωρητική-ποιητική-
πρακτική). Aus den oben erwähnten Gründen bevorzugen wir die Dreiteilung des
zitierten Satzes und wählen die erste Lesart.
192 2 Zweite Philosophie (Physik)

Der Satz ist folgendermaßen zu formulieren: Von den Gesagten271 ist


schon plausibel gemacht worden, dass alles (πάντα)272 entweder aus

271 Wie der Kommentator „das Gesagte“ auslegt, kommt darauf an, wie er den ganzen Sinnzu-
sammenhang von Z7–9 versteht. Nach der zweiten Lesart ist der Satz (1034a21–26) zweigliedrig
und es geht um den Vergleich zwischen Techne und Spontaneität. Indem der Satz im Rahmen
von Z9 betrachtet und interpretiert wird, meinen Kommentatoren wie Frede und Patzig
(1988: 157), Ross (1924: 191–192) und Seidl (1989: 411–412), dass mit dem Gesagten die voraufgeh-
enden Bemerkungen in Kapitel 9 gemeint seien. Denn am Anfang des Kapitels 9 (Z9, 1034a9–21)
ist tatsächlich davon die Rede, worin der Unterschied zwischen Hausbauen und Körperheilen
liegt. Während der Hausherr als äußerliche Wirkursache ein Haus bauen kann, reicht der Arzt
nicht aus, um den kranken Körper zu heilen. Denn die innere Wirkursache, d. h. die Spontaneität
des Körpers, spielt auch eine Rolle. Nach der ersten Lesart ist der Satz dreigliedrig und es handelt
sich um den dreifachen Vergleich von Physis, Techne und Praxis. In diesem Fall interpretieren
die Kommentatoren, wie Alexander, Asklepios und Thomas, den Satz nicht innerhalb des Kapi-
tels 9 allein, sondern im Rahmen von Z7–9. Aufgrund dessen weist der Satz (1034a21–26) als Zu-
sammenfassung auf den einführenden Inhalt in Z7 und Z8 hin. Bei Alexander (Δείξας διὰ
πλειόνων ὅτι οὐ μόνον ὁ ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου γίνεται ἀλλὰ καὶ ἡ οἰκία ἐξ οἰκίας [. . .], ὁμοίως
καὶ ἡ ὑγίεια ἐξ ὑγιείας – Alexander 498.35–499.1) impliziert „das Gesagte“ sehr wahrscheinlich
den Inhalt an der Stelle (Z7, 1032b11–14), wo die gleichen Ausdrücke auftreten, nämlich dass das
Haus aus dem Haus und die Gesundheit aus der Gesundheit entstanden sind. Da Asklepios die
Homogenität hervorhebt (Δείξας διὰ τῶν προλαβόντων ὅτι τὸ ποιητικὸν αἴτιον ὁμοειδές ἐστι τῷ
γινομένῳ, φησὶν ὅτι δῆλόν ἐστιν ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τρόπον τινὰ ἅπαντα γίνεται ἐξ ὁμωνύμων,
τουτέστιν ἐξ ὁμοειδῶν· ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ, καὶ ἵππος ἵππον. ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ
τῶν τεχνητῶν· [. . .] ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῆς ὑγείας· [. . .] ὥστε καὶ ἐνταῦθα τὸ εἶδός ἐστι τὸ γεννῶν,
ὥσπερ καὶ ἐκεῖσε τὸ ὁμοειδὲς γεννᾷ τὸ ὁμοειδές – Asklepios 407.10–31), bezieht er sich auf an-
dere Stellen, nämlich Z7, 1032a22–25 und Z8, 1033b29–32, wobei von ὁμοειδές die Rede ist. Tho-
mas liest den Satz zwar dreiteilig, hält aber fest, dass es um die Naturentstehung, die Herstellung
und die Spontaneität geht (Sciendum est autem circa primum, quod omne quod generatur ab
aliquo, aut generatur per se, aut generatur ab eo per accidens – Sententia Metaphysicae lib.7 l.8
n.13 [83014]). Anhand seiner Lesart und Interpretation kann „das Gesagte“ nur auf den Anfangs-
satz des Kapitels 7 (Z7, 1032a12–13) verweisen. Denn dort spricht Aristoteles über die verschiede-
nen Wirkursachen (Dicit ergo primo, quod eorum quae fiunt, quaedam fiunt a natura, quaedam
ab arte, et quaedam a casu sive automato, idest per se vano – Sententia Metaphysicae lib.7 l.6 n.1
[82947]).
272 Dass die Kommentatoren das Subjekt des Satzes jeweils anders bestimmen, hängt wiede-
rum mit der Frage zusammen, wie man den ganzen Satz versteht. Nach der ersten Lesart inter-
pretieren die antiken und die mittelalterlichen Kommentatoren (Alexander 498.35–499.3;
Asklepios 407.10–31; Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.17 [83018]) die πάντα/omnia
als alle Seienden, die die Naturseienden, die Artefakte und die durch die Heilkunst produzierte
Gesundheit umfassen. Anhand der zweiten Lesart sehen Ross (1924: 189, 191) und Seidl (1989:
411) das Subjekt als alle Artefakte. Frede und Patzig (1988: 158) entscheiden sich zwar für die
zweite Lesart, finden es aber „natürlicher“, das Subjekt des Satzes als alle Gegenstände zu be-
zeichnen. Ross hat sprachlich begründet, aus welchem Grund das Subjekt nur auf alle Artef-
akte hinweisen kann. Indem das Wörtchen ὥσπερ nicht als „wie“, sondern als „im Vergleich
zu“ zu verstehen ist, muss das Subjekt etwas anderes als ein Naturseiendes sein. Vgl. Ross
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 193

συνωνύμου273 entsteht, wie das Naturseiende; oder teilweise aus συνωνύμου,

(1924: 191): „πάντα, then, means ‚all artefacta‘, i. e. things of the type of artefacta, whether ac-
tually produced by art or spontaneously. The reference to natural products (ὥσπερ τὰ φύσει)
is by way of comparison – just as artefacta are referred to by way of comparison in the account
of natural products (a34, b4).“ Aber es gibt weder eine sprachliche noch eine sachliche Not-
wendigkeit, das Wort ὥσπερ als „comparison“ zu verstehen. Dagegen scheint mir vielmehr na-
türlicher, ὥσπερ einfach als οἷον anzusehen.
273 An dieser Stelle sind alle Kommentatoren und Forscher mit dem Problem konfrontiert,
dass das Wort ὁμώνυμον im vorliegenden Zusammenhang nicht passt. (1) Deshalb ersetzt Ale-
xander ὁμώνυμον durch συνώνυμον (πάντα τρόπον τινὰ ἐξ ὁμωνύμου ἤτοι συνωνύμου γίνε-
ται – Alexander 499.2–3; πάντα οὖν, φησί, τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου γίνεται – Alexander
499.8), Asklepios durch ὁμοειδές (τρόπον τινὰ ἅπαντα γίνεται ἐξ ὁμωνύμων, τουτέστιν ἐξ
ὁμοειδῶν – Asklepios 407.11–12) oder durch συνώνυμον (Δείξας ὅτι ὁμοειδές ἐστι τὸ γεννῶν
τῷ γεννωμένῳ, φησὶν ὅτι < δῆλον ἡμῖν γέγονεν ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι τρόπον τινὰ ἅπαντα
γίνεται ἐξ ὁμωνύμων >, τουτέστιν ἐκ συνωνύμων – Asklepios 409.33–35) und Thomas durch
„generatur a simili secundum speciem“ (Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.13 [83014]) oder
durch „generatio univoca totaliter“ (Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.14 [83015], lib.7 l.8 n.17
[83018]). (2) In Bezug auf ὁμώνυμον macht Bonitz folgende Anmerkungen im Index Aristoteli-
cus (1870: 514): „Ex primaria et vulgari voc ὁμώνυμος significatione explicari videtur, quod
aliquoties ὁμώνυμος legitur, ubi ex Aristotelico usu συνώνυμος requiras, τρόπον τινὰ πάντα
γίγνεται ἐξ ὁμωνύμου. Μζ9, 1034a22, 23, b1. Bz (cf. Μλ3, 1075a5, Ζγβ1, 735a20), πρὸς ὁμωνύμον
τὸ μικτόν, Γα10, 328b21.“ (3) Ross sowie Frede und Patzig meinen, dass Aristoteles an dieser
Stelle ὁμώνυμον nicht terminologisch verwendet und es mit συνώνυμον gleichgesetzt werden
kann. (3.1) Ross (1924: 192): „ἐξ ὁμωνύμου τὰ φύσει are actually produced ἐκ συνωνύμου (Λ3,
1070a5), from that which shares their nature as well as their name, but Aristotle occasionally
ignores the distinction between ὁμώνυμον and συνώνυμον, which did not exist in ordinary
Greek usage; cf. A. 987b9 n., De Gen. et Corr. 328b21.“ (3.2) Frede und Patzig (1988: 158): „Statt
ὁμώνυμον in der hier vorliegenden allgemeineren Bedeutung verwendet Aristoteles selbst be-
zeichnenderweise auch συνώνυμον (Λ3, 1070a5). Der gewöhnliche griechische Sprachge-
brauch unterscheidet nicht zwischen ὁμώνυμον und συνώνυμον, und auch Ps-Alexander setzt
in seinem Kommentar zu dieser Stelle ohne weiteres ὁμώνυμον mit συνώνυμον gleich.“ (4) Da-
gegen entscheiden wir uns dafür, den Terminus „συνώνυμον“ in diesen Satz einzusetzen. Das
beruht nicht nur auf den Textstellen, auf die Bonitz, Frede und Ross hinweisen: μετὰ ταῦτα
ὅτι ἑκάστη ἐκ συνωνύμου γίγνεται οὐσία, τὰ γὰρ φύσει οὐσίαι καὶτὰ ἄλλα – Metaph. Λ3,
1070a4–6; ἐγέννησε μὲν τοίνυν τὸ συνώνυμον οἷον ἄνθρωπος ἄνθρωπον, αὔξεται δὲ δι’ ἑαυ-
τοῦ – GA B1, 735a20–21. Vielmehr gibt es einen sachlichen Grund, wofür wir nachher ausführ-
lich argumentieren werden. Kurz und bündig gesagt macht das συνώνυμον, das die
Wesensgleichheit mit sich bringt, es erst möglich, dass sich Physis, Techne und Praxis als not-
wendiger Syllogismus vollziehen. Denn die Wesensgleichheit lässt sich ontologisch damit auf-
zeigen, dass das Gleichartige aus der Wesenheit notwendigerweise entstanden ist. Im
Gegenteil dazu weist das ὁμώνυμον, das nur die Namensgleichheit verlangt, nichts anderes
als die akzidentelle Prädikation und Veränderung auf. Aristoteles wendet den Terminus sehr
präzise und streng an und deswegen sollten wir seine Terminologie ernst nehmen. Es ist über-
haupt nicht vorstellbar, dass Aristoteles einerseits die Unterscheidung von συνώνυμον und
ὁμώνυμον stark betont und andererseits dieselbe ganz und gar übersieht.
194 2 Zweite Philosophie (Physik)

wie das Artefakt, z. B. das Haus; oder die Gesundheit stammt teilweise aus συ-
νωνύμου. Die Eigentümlichkeit der ärztlichen Behandlung liegt darin, dass
die Formursache, das Warme, die Gesundheit entweder gänzlich oder teil-
weise verursacht, während die natürliche Art das ganze Naturseiende und die
technische Gestalt das ganze Artefakt konstituiert. Zur Veranschaulichung
stellen wir zunächst das Schema auf (Tab. 15) und erörtern es anschließend
ausführlich.

Tab. 15: Analogie von Physis, Poiesis und Praxis.

Bereich φύσις ποίησις πρᾶξις


(φυσική/θεωρητική) (ποιητική) (πρακτική)

Notwendige ἐκ συνωνύμου ἐκ μέρους συνωνύμου ἐκ μέρους συνωνύμου ἢ


Entstehung generatio generatio partim ex ἔχοντός τι μέρος
totaliter univoca univoco

Syllogismus Menschen Haus bauen Gesundheit herstellen


zeugen
Formursache die menschliche die Hausgestalt in der Seele die Gesundheit in der
Art des Hausherren Seele des Arztes
Wirkursache der Vater der Hausherr der Arzt oder der Körper
Ziel(ursache) das Kind die Hausgestalt im Stoff die Gesundheit im Körper

Analog zum logischen Syllogismus muss der ontologische Syllogismus aus drei
Elementen bestehen. Der Syllogismus ist ontologisch strukturiert, indem die
Formursache mit dem Obersatz (εἶδος-πρότασις/terminus major), die Wirkursache
mit dem Untersatz (κινοῦν-μέσον/terminus minor) und das Ziel mit der Konklu-
sion (τέλος-συμπεράσμα/conclusio) strukturell übereinstimmen. Des Weiteren ist
der notwendige Syllogismus im συνώνυμον verwurzelt, das es ermöglicht, die
Schlussfolgerung notwendig zu ziehen. Ursprünglich bezeichnet der Terminus
συνώνυμον das logische Verhältnis der zwei Seienden, die nicht nur namens-
gleich, sondern auch definitionsgleich sind (συνώνυμα δὲ λέγεται ὧν τό τε
ὄνομα κοινὸν καὶ ὁ κατὰ τοὔνομα λόγος τῆς οὐσίας ὁ αὐτός – Cat. 1, 1a6–7). Das
συνώνυμον-artige Verhältnis, das die Gleichnamigkeit und die Wesensgleichheit
verlangt, kommt nicht nur anhand der notwendigen Prädikation zur Sprache
(καθ’ αὑτό λέγεται), sondern auch durch die notwendige Entstehung zum Vor-
schein (καθ’ αὑτό γίγνεται). Einerseits wird das Wesensprädikat vom einzelnen
Subjekt notwendig prädiziert, z. B. dass der einzelne Mensch Mensch ist.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 195

Andererseits stammt der einzelne Mensch immer aus der menschlichen Art. Da
das συνώνυμον die logisch-ontologische Notwendigkeit aufweist, bringt derselbe
Terminus die wesentliche Prädikation und die notwendige Entstehung in Ein-
klang. Im Grunde genommen weist das συνώνυμον auf die definitorische We-
sensgleichheit hin, die zur notwendigen Schlussfolgerung, sei sie logisch, sei sie
ontologisch, führt.
In erster Linie lässt sich die Naturentstehung als generatio univoca totaliter be-
zeichnen (φύσις: γένεσις ἐκ συνωνύμου).274 In der Naturentstehung entspricht
dem Obersatz die Naturart als Formursache, dem Untersatz der Vater als Wirkur-
sache und der Konklusion das Kind als Ziel. Erstens haben die Form- und die Ziel-
ursache den gleichen Namen und die gleiche Definition, dadurch dass die
menschliche Art dem einzelnen Menschen sowohl den einheitlichen Begriff als
auch die allgemeine Definition verleiht.275 Zweitens ist nicht nur die Formursa-
che, sondern auch die Wirkursache mit dem erzeugten Resultat namens- und de-
finitionsgleich. Denn der erzeugende Vater sowie das erzeugte Kind müssen

274 Im Allgemeinen wird die Naturentstehung als generatio univoca totaliter (Thomas Senten-
tia Metaphysicae lib.7 l.8 n.14 [83015], lib.7 l.8 n.17 [83018]) bezeichnet, insofern das Erzeu-
gende und das Erzeugte nicht nur den gleichen Namen, sondern auch die gleiche Wesenheit
haben. Trotzdem gibt es Fälle, bei denen die durch die Natur Entstandenen zwar wesensgleich
sind, aber nicht namensgleich. Außer der gleichartigen und gleichnamigen Naturentstehung,
nämlich dass der Mensch den Menschen zeugt, gibt es noch die gewissermaßen gleichartige
Naturentstehung (πως ὁμώνυμον/συνώνυμον – Metaph. Z9, 1034b1), wenn z. B. die Frau aus
dem Mann oder der Mann aus der Frau entstanden ist (οὐ γὰρ πάντα οὕτω δεῖ ζητεῖν ὡς ἐξ
ἀνθρώπου ἄνθρωπος·καὶ γὰρ γυνὴ ἐξ ἀνδρός – Metaph. Z9, 1034b1–3; [. . .] ἐπειδὴ καὶ ἀνὴρ τίκ-
τεται ἐκ γυναικὸς καὶ γυνὴ γεννᾶται ἐξ ἀνδρός – Asklepios 411.3–4). Diese Entstehung ist inso-
fern gewissermaßen gleichartig und nicht gleichnamig, als Frau und Mann zwar wesensgleich
sind, aber Frau nicht Mann und Mann nicht Frau ist (ἰδοὺ γὰρ γυνὴ ἐξ ἀνδρὸς γίνεται, καὶ
ὅμως οὐ λέγεται ἡ γυνὴ ἀνήρ – Alexander 500.23–24). Außerdem gibt es einen extremen Fall,
bei dem ein Lebewesen von bestimmter Art überhaupt nicht aus seiner Art hervorgebracht
werden kann (διὸ ἡμίονος οὐκ ἐξ ἡμιόνου – Metaph. Z9, 1034b3–4). Es geschieht zwar nicht
naturwidrig, wenn ein Pferd einen Maulesel gebiert (ἂν μή τι παρὰ φύσιν γένηται, οἷον ἵππος
ἡμίονον καὶ ταῦτα δὲ ὁμοίως – Metaph. Z8, 1033b33–34; ἐὰν μὴ πήρωμα ᾖ – Metaph. Z9,
1034b3). Aber diese seltsame Naturentstehung kann man weder als gleichartige noch als
gleichnamige Entstehung ansehen, da die Erzeugenden, ἵππος καὶ ὄνον (Pferd und Esel) mit
dem Erzeugten ἡμίονος (Maulesel) nicht zur gleichen Naturart gehören. Noch kann ἡμίονος
nach dem ἵππος oder ὄνον genannt werden (οὐκ ὠνόμασται – Metaph. Z8, 1033b34–1034a1).
275 Cat. 5, 2a19–27: φανερὸν δὲ ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τῶν καθ’ ὑποκειμένου λεγομένων ἀναγ-
καῖον καὶ τοὔνομα καὶ τὸν λόγον κατηγορεῖσθαι τοῦ ὑποκειμένου· οἷον ἄνθρωπος καθ’ ὑποκει-
μένου λέγεται τοῦ τινὸς ἀνθρώπου, καὶ κατηγορεῖταί γε τοὔνομα, – τὸν γὰρ ἄνθρωπον κατὰ
τοῦ τινὸς ἀνθρώπου κατηγορήσεις·– καὶ ὁ λόγος δὲ τοῦ ἀνθρώπου κατὰ τοῦ τινὸς ἀνθρώπου
κατηγορηθήσεται, – ὁ γὰρ τὶς ἄνθρωπος καὶ ἄνθρωπός ἐστιν·– ὥστε καὶ τοὔνομα καὶ ὁ λόγος
κατὰ τοῦ ὑποκειμένου κατηγορηθήσεται.
196 2 Zweite Philosophie (Physik)

Menschen und vernünftige Lebewesen sein. Da Form-, Wirk- und Zielursache,


nämlich menschliche Art, Vater und Sohn eine Wesenseinheit bilden, vollzieht
sich die Naturentstehung durchgängig notwendig und wird die generatio univoca
totaliter genannt.
Im Vergleich dazu ist die Herstellung (ποίησις: γένεσις ἐκ μέρους συνωνύ-
μου) nur teilweise als συνώνυμον-artige Entstehung zu bezeichnen (τρόπον μέν
τινα ἐκ συνωνύμου, partim ex univoco), teilweise aber nicht (τρόπον δέ τινα οὐκ
ἐκ συνωνύμου, partim ex aequivoco).276 Bezüglich der Herstellung baut der

276 (1) Alexander 499.8–15: τὸ δὲ < τρόπον τινὰ > καὶ μετ’ ὀλίγον τὸ < ἢ ἐκ μέρους ὁμωνύμου >
πρόσκειται διὰ τὰ ἀπὸ τέχνης. ἔστιν οὖν ἡ οἰκία τρόπον τινὰ ἐκ συνωνύμου ἢ ἐκ μέρους συνωνύ-
μου, τουτέστι τρόπον μέν τινα ἐκ συνωνύμου· ὁ γὰρ λόγος τῆς οἰκίας κατηγορεῖται καὶ κατὰ
τῆσδε τῆς οἰκίας; τρόπον δέ τινα οὐκ ἐκ συνωνύμου· οὐ γὰρ ὑφέστηκεν ἡ οἰκία ἐξ ἧς γίνεται· οὐ
γὰρ οὕτως ἐξ οἰκίας ἐνεργείᾳ οὔσης οἰκία γίνεται, ὥσπερ ὁ ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου. διὸ τρόπον
τινὰ αὖθις οὐκ ἐκ συνωνύμων. – Mit dem Ausdruck ἐκ μέρους συνωνύμου ist laut Alexander Fol-
gendes gemeint: Auf die eine Weise besteht das Haus aus dem Gleichartigen, insofern die Defini-
tion des Hauses vom einzelnen Haus prädiziert werden kann. Auf die andere Weise kann das
eine Haus nicht aus dem anderen Haus entstanden sein wie der eine Mensch von dem anderen
Menschen erzeugt wird. Denn das Artefakt selbst kann nicht das gleichartige Einzelne aktiv her-
stellen. (2) Asklepios 410.3–8: διὸ καὶ αὐτὸς ἐπήγαγεν < ὥσπερ τὰ φύσει, ἢ ἐκ μέρους >, φησίν, <
ὁμωνύμου, οἷον ἡ οἰκία γίνεται ἐξ οἰκίας, ἢ ὑπὸ νοῦ >· ἡ γὰρ τέχνη τὸ εἶδος ποιεῖ τῆς οἰκίας, τοῦ
νοῦ ἔχοντος ἐν ἑαυτῷ τὸ εἶδος τοῦ ἀβακίου. καλῶς οὖν εἶπε καὶ τὸ < ἐκ μέρους >· οὔτε γὰρ ἡ
οἰκία ἡ αὐτή ἐστι τῷ τέκτονι, ὥσπερ ὁ Ἕκτωρ τῷ Πριάμῳ, ἀλλὰ κατὰ μέρος, κατὰ τὴν
φαντασίαν, ἣν ἔχει ἐν ἑαυτῷ ὁ τέκτων τοῦ ἀβακίου. – Asklepios weist nachdrücklich darauf hin,
dass es wichtig sei, ἐκ μέρους (καλῶς οὖν εἶπε καὶ τὸ ἐκ μέρους) zu ergänzen. Nur teilweise
(κατὰ μέρος) entsteht das Haus aus dem Haus, insofern das konkrete Haus nach dem Entwurf
des Hauses, der dem Hausherren innewohnt, gebaut wird. (3) Thomas Sententia Metaphysicae
lib.7 l.8 n.15 [83016]: „[. . .] sicut forma domus praecedit in artifice, non secundum esse mate-
riale, sed secundum esse immateriale, quod habet in mente artificis, non in lapidibus et lignis.
Et haec generatio est partim ex univoco quantum ad formam, partim ex aequivoco quantum ad
esse formae in subiecto.“ Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.17 [83018]: „Aut ex eo quod est ex
parte univocum, quantum ad formam, et ex parte aequivocum quantum ad esse formae in sub-
iecto; sicut domus fit ex domo quae est ars in artifice, aut ab intellectu, sive artis habitu. Ipsa
enim ars aedificativa est species domus.“ – Im Hinblick auf die Form ist das Artefakt aus dem
Gleichartigen entstanden (partim ex univoco quantum ad formam) und in Bezug auf das kon-
krete Haus, wobei die Form in die zugrundeliegende Materie eingeprägt wird, kann ein Haus
nicht vom Gleichartigen, nämlich vom Haus, hervorgebracht werden (partim non ex univoco
quantum ad esse formae in subiecto). (4) Zusammenfassung: Hinsichtlich der Materie kann
weder das Bett aus dem Holz noch das Haus aus dem Baustoff automatisch hervortreten (Phys.
B1, 193a12–14, 193b9–11). Aber aus der formalen Perspektive ist das konkrete Bett oder Haus aus
dem Entwurf des Bettes oder Hauses entstanden (Metaph. Z7, 1032b12; Z9, 1034a23), wenn die
Herstellung als die Verwirklichung der technischen Gestalt angesehen wird. In diesem Sinne ist
die Techne als teilweise gleichartige Entstehung zu bezeichnen. Mit der Techne hat die Praxis,
d. h. die ärztliche Praxis, dies gemeinsam, dass die Gesundheit auch teilweise aus dem Gleich-
artigen produziert wird (ἐκ μέρους συνωνύμου). Da das Warme entweder die Ganzheit oder
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 197

Syllogismus auf demselben Schema auf. Die Formursache, die Hausgestalt, gilt
als Oberterminus, die Wirkursache, der Hausherr, als Unterterminus und die
Zielursache, das Haus, als Konklusion. Die Form- und die Zielursache fallen
deswegen zusammen, weil dieselbe Hausgestalt als Formursache in der Seele
des Hausherren vorliegt und als Zielursache am konkreten Haus realisiert wird.
Die technische Gestalt befindet sich in der menschlichen Seele (τόπος γὰρ
εἰδῶν ἡ ψυχή).277 Anders gesagt: Die technische Gestalt muss vom menschli-
chen Verstand entworfen (ὑπὸ νοῦ) und durch die menschlichen Hände in die
Tat umgesetzt werden. Da das Wirkende außer der bewirkten Sache bleibt, kön-
nen der Hersteller als Wirkursache und das hergestellte Artefakt als Zielursache
nicht zur Deckung kommen. Da der Hausherr und das Haus weder namensgleich
noch definitionsgleich sind, verhalten sie sich zueinander weder συνώνυμον-
artig noch ὁμώνυμον-artig. Während das συνώνυμον die Wesensgleichheit ver-
langt, fordert das ὁμώνυμον die Gleichnamigkeit.278 Aber in der Herstellung
haben der Techniker und das Artefakt weder die Benennung noch die Wesensde-
finition gemeinsam. Daraus folgt, dass der Syllogismus bei der Techne nicht
durchgängig ist, wie es bei der Naturentstehung geschieht. Die Beziehung der
Formursache zum Ziel lässt sich mit dem συνώνυμον aufzeigen, insofern der in-
telligible Entwurf und die konkrete Existenz der Hausgestalt sowohl gleichnamig
als auch wesensgleich sind. Die Wirkursache verhält sich zum Werk nicht συνώ-
νυμον-artig, weil der Techniker und das Werk keinen Anteil an Wesensgleichheit
haben. Darum ist die Herstellung nur teilweise durch das συνώνυμον gekenn-
zeichnet (γένεσις ἐκ μέρους συνωνύμου, generatio partim ex univoco).
Im Vergleich zur Naturentstehung und Herstellung ist der Syllogismus bei der
ärztlichen Behandlung insofern eigentümlich, als er zwei verschiedene Mittelbe-
griffe/Wirkursachen zulässt.279 Die Formursache/Prämisse, d. h. das Warme

einen Teil der Gesundheit ausmacht, ist der Ausdruck „[ὅλως] ἢ ἔχοντός τι μέρος“ hinzuzufü-
gen. Während dieses „μέρος“ für ein Substantiv gehalten wird, legen wir das „μέρος“ in dem
Ausdruck „ἐκ μέρους συνωνύμου“ als adverbiale Anwendung aus.
277 (1) Metaph. Z7, 1032a32–1032b1: ἀπὸ τέχνης δὲ γίγνεται ὅσων τὸ εἶδος ἐν τῇ ψυχῇ. (2) De
An. Γ4, 429a27–28: καὶ εὖ δὴ οἱ λέγοντες τὴν ψυχὴν εἶναι τόπον εἰδῶν. (3) Alexander 490.
17–18: τόπος γὰρ εἰδῶν ἡ ψυχή, ὡς ἐν τῇ Περὶ ψυχῆς εἴρηται. (4) Thomas Sententia Metaphysi-
cae lib.7 l.6 n.24 [82970]: Dicit ergo primo, quod illa fiunt ab arte, quorum species factiva est
in anima.
278 Cat. 1, 1a1–4: Ὁμώνυμα λέγεται ὧν ὄνομα μόνον κοινόν, ὁ δὲ κατὰ τοὔνομα λόγος τῆς οὐ-
σίας ἕτερος, οἷον ζῷον ὅ τε ἄνθρωπος καὶ τὸ γεγραμμένον· τούτων γὰρ ὄνομα μόνον κοινόν, ὁ
δὲ κατὰ τοὔνομα λόγος τῆς οὐσίας ἕτερος.
279 Aristoteles ist sich ganz und gar bewusst, dass die Gesundheit entweder durch die ärzt-
liche Kunst oder vom Körper spontan hervorgebracht werden kann (τὸ δὴ ποιοῦν καὶ ὅθεν
ἄρχεται ἡ κίνησις τοῦ ὑγιαίνειν, ἂν μὲν ἀπὸ τέχνης, τὸ εἶδός ἐστι τὸ ἐν τῇ ψυχῇ, ἐὰν δ’ ἀπὸ
198 2 Zweite Philosophie (Physik)

(εἶδος/πρότασις-θερμότης), orientiert sich am Ziel, die Gesundheit wiederherzustel-


len (τέλος/συμπεράσμα-ὑγίεια). Dasselbe Ziel kann entweder durch die ärztliche
Therapie oder vom Körper selbst spontan erreicht werden (κινοῦν/μέσον-ἰατρός ἢ
αὐτόματον). Unabhängig davon, ob die Gesundheit durch die Behandlung des Arz-
tes notwendig oder durch die Spontaneität des Körpers zufällig produziert wird,
verhält sich die Prämisse zur Konklusion (πρότασις→συμπεράσμα), die Formursa-
che zum Ziel (εἶδος→τέλος), d. h. das Warme zur Gesundheit (θερμότης→ὑγίεια),
συνώνυμον-artig. Das Warme ist deshalb mit der Gesundheit sowohl namensgleich
als auch definitionsgleich, weil die Gesundheit nichts anderes als das Warme im
Körper ist (Metaph. Z9, 1034a26–29). Die körperliche Gesundheit wird dadurch zu-
stande gebracht, dass das Warme zum Kalten sowie das Trockene zum Feuchten
symmetrisch stehen.280 Das harmonische Verhältnis der Affektionen kann nur

ταὐτομάτου, ἀπὸ τούτου ὅ ποτε τοῦ ποιεῖν ἄρχει τῷ ποιοῦντι ἀπὸ τέχνης, ὥσπερ καὶ ἐν τῷ
ἰατρεύειν ἴσως ἀπὸ τοῦ θερμαίνειν ἡ ἀρχή, τοῦτο δὲ ποιεῖ τῇ τρίψει – Metaph. Z7, 1032b21–26;
Ἀπορήσειε δ’ ἄν τις διὰ τί τὰ μὲν γίγνεται καὶ τέχνῃ καὶ ἀπὸ ταὐτομάτου, οἷον ὑγίεια, τὰ δ’ οὔ,
οἷον οἰκία – Metaph. Z9, 1034a9–10). Obwohl die Heilkunst die Gesundheit notwendigerweise
herstellt und die Spontaneität dies nur zufälligerweise bewerkstelligt, betont Aristoteles in
einem anderen Zusammenhang die Gemeinsamkeit der beiden, wobei das Überlegen (νόησις)
und das Handeln (ποίησις) miteinander verglichen werden (Z7, 1032b15–1033a1). Die beiden
Begriffe werden nicht terminologisch verwendet, sondern in diesem Kontext sehr spezifisch
bestimmt. Die νόησις bezeichnet die geistige Tätigkeit, in der man sich die Handlungsschritte
überlegt. Während man in der Überlegung mit dem Prinzip anfängt und zum Ziel fortschreitet
(ἡ μὲν ἀπὸ τῆς ἀρχῆς καὶ τοῦ εἴδους νόησις – Z7, 1032b16), beginnt die Handlung mit dem letz-
ten Schritt der Überlegung und vollendet sich zum ursprünglichen Prinzip (ἡ δ’ ἀπὸ τοῦ τελε-
υταίου τῆς νοήσεως ποίησις – Z7, 1032b16–17). Um den kranken Körper zu heilen, entwickelt
der Arzt zunächst folgenden Gedankengang: Die Gesundheit muss auf die angemessene Tem-
peratur bzw. das symmetrische Verhältnis der Affektionen zurückzuführen sein, die Symmet-
rie auf das Warme und das Warme auf die Reibung (νόησις: ὑγιεία→ὁμαλυνθῆναι ἢ
συμμετρία→θερμότης→τρῖψις). In der Praxis führt der Arzt zunächst die Reibung aus, um das
Warme im Körper wiederherzustellen. Die Körperwärme führt zur angemessenen Temperatur
bzw. zur körperlichen Harmonie, die nichts anderes als die Gesundheit ist (ποίησις:
τρῖψις→θερμότης ἢ θερμότης ἐν τῷ σώματι→ὁμαλυνθῆναι ἢ συμμετρία→ὑγιεία). Obwohl der
Arzt das Warme notwendig und der Körper selbst es nur zufällig zustande bringen, müssen
sowohl die Heilkunst (mit Überlegung) als auch die Spontaneität (ohne Überlegung) demsel-
ben Heilungsprozess folgen. Darin sind die notwendige und die zufällige Wirkursache der Ge-
sundheit einander gleich. Vgl. auch Frede und Patzig (1988: 117): „Nur deshalb kann
Aristoteles den Eindruck entstehen lassen, Kunstprozesse und spontane Prozesse liefen weit-
hin in gleichen Bahnen, weil der Arzt nur den Anstoß zu einer Entwicklung gibt, die im Prinzip
auch ohne seine Einwirkung und Überlegung ähnlich ablaufen könnte.“
280 (1) Alexander 491.5–8: καὶ ὁ ἰατρὸς ἐννοεῖ τὸ εἶδος τῆς ὑγιείας ὅτι ἐστὶ τοδί, καὶ εἰ μέλλει
ἔσεσθαι ὑγίεια δεῖ ὁμαλυνθῆναι, τὸ ὁμαλυνθῆναι δέ ἐστι τὸ συμμετρίαν γενέσθαι τῶν τοῦ ζῴου
ξηρῶν καὶ ὑγρῶν, θερμῶν καὶ ψυχρῶν [. . .]. (2) Asklepios 398.17–18: ὁμοίως δὲ καὶ ὁ οἰκοδόμος
τοῦ οἴκου, καὶ ὁ ἰατρὸς τῆς ὑγείας, ὅτι συμμετρία ἐστὶν ὁμοιομερῶν καὶ ὀργανικῶν.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 199

anhand der angemessenen Temperatur hergestellt werden, die begrifflich das


Warme genannt wird (ὁμαλυνθῆναι-θερμότης). Da das Warme mit dem Warmen
im Körper nicht nur gleichnamig, sondern auch wesensgleich ist, ergibt sich zwi-
schen der Formursache und dem Ziel die συνώνυμον-Beziehung. Die Wirkursache,
sei sie notwendig oder zufällig, bezieht sich auf das Ziel weder συνώνυμον-artig
noch ὁμώνυμον-artig, denn der Arzt sowie die Spontaneität sind mit der Gesund-
heit weder namensgleich noch wesensgleich.
Wie das technische Produkt besteht die Gesundheit teilweise aus dem συνώ-
νυμον (ἐκ μέρους συνωνύμου, partim ex univoco). Wegen der Äußerlichkeit des
Wirkenden können das Artefakt und die bestimmte Eigenschaft nicht aus der
Wirkursache, sondern nur aus der Formursache notwendigerweise folgen. Außer-
dem gibt es bei der Heilkunst noch eine Eigentümlichkeit. Während sich die
menschliche Art am einzelnen Menschen und die Hausgestalt am konkreten Haus
vollständig aktualisieren, kann das Warme als Formursache entweder das Ganze
der körperlichen Gesundheit oder einen Teil davon ausmachen.281 Denn die ange-
messene Temperatur ist für die Gesundheit zwar notwendig, in manchen Fällen
aber nicht hinreichend. Durch die Auswirkung des Warmen auf den kranken Kör-
perteil kann der Kranke entweder vollständig oder nur teilweise gesund gemacht
werden. Um die Eigentümlichkeit der Heilkunst präzise zu erörtern, ergänzt Aristo-
teles den Ausdruck „ἢ ἔχοντός τι μέρος“. Insgesamt ist die ärztliche Praxis (ἰάτρευ-
σις-πρᾶξις) mit beiden Kennzeichen versehen. Erstens stammt die Gesundheit, wie
das technische Produkt, teilweise aus dem συνώνυμον (ἐκ μέρους συνωνύμου).
Zweitens konstituiert das Warme als Formursache282 das Ganze oder einen Teil der
Gesundheit ([ὅλως] ἢ ἔχοντός τι μέρος).

281 (1) Metaph. Z7, 1032b26–28: ἡ θερμότης τοίνυν ἡ ἐν τῷ σώματι ἢ μέρος τῆς ὑγιείας ἢ ἕπε-
ταί τι αὐτῇ τοιοῦτον ὅ ἐστι μέρος τῆς ὑγιείας, ἢ διὰ πλειόνων. (2) Metaph. Z9, 1034a26–29:
θερμότης γὰρ ἡ ἐν τῇ κινήσει θερμότητα ἐν τῷ σώματι ἐποίησεν· αὕτη δὲ ἐστὶν ἢ ὑγίεια ἢ
μέρος, ἢ ἀκολουθεῖ αὐτῇ μέρος τι τῆς ὑγιείας ἢ αὐτὴ ἡ ὑγίεια. In Z7 behauptet Aristoteles, dass
das Warme oder die ihm zugehörige angemessene Temperatur nur einen Teil der Gesundheit
konstituieren. In Z9 aber bringt er zum Ausdruck, dass das Warme entweder das Ganze oder
einen Teil der Gesundheit ausmacht. Diesem Entweder-Oder entspricht die Konjektur ἢ im
Ausdruck „ἐκ μέρους συνωνύμου ἢ ἔχοντός τι μέρος“.
282 Bemerkenswert ist, dass das Warme als Formursache der Gesundheit im Kontext auch als
die unmittelbare Wirkursache gekennzeichnet ist (τοῦτο δ’ ἔσχατόν ἐστι, τὸ ποιοῦν τὸ μέρος
τῆς ὑγιείας – Metaph. Z7, 1032b28–29; τὸ γὰρ αἴτιον τοῦ ποιεῖν πρῶτον καθ’ αὑτὸ μέρος – Me-
taph. Z9, 1034a25–26). Die unmittelbare Wirkursache, die entweder die Gesundheit überhaupt
oder einen Teil davon konstituiert, ist nichts anderes als die Formursache, das Warme. Mit der
Wirkursache ist im strengen Sinne der Arzt oder die Spontaneität gemeint. Darum darf man
die unmittelbare Wirkursache, d. h. die Formursache, und die vermittelnde Wirkursache nicht
miteinander vermischen.
200 2 Zweite Philosophie (Physik)

Fassen wir folgendermaßen zusammen: Alle Seienden entstehen aus dem


συνώνυμον, sei es gänzlich (totaliter), wie die Physis, sei es teilweise (partim),
wie die Techne und die Praxis. Die Naturentstehung, die Herstellung oder die
Handlung vollziehen sich zwar anhand der bestimmten Wirkursache, nämlich
dass der erzeugende Vater, der herstellende Hausherr oder der behandelnde
Arzt die jeweilige Entstehung oder Veränderung in Gang bringt. Aber unabhän-
gig von der Vermittlung geht es allein darum, wie das Gleichförmige aus der
entsprechenden Form stammt (εἶδος→τόδε τι ὁμοειδές). Wie der einzelne
Mensch aus der menschlichen Art entstanden ist, wird das konkrete Haus an-
hand der Hausgestalt errichtet und die körperliche Gesundheit tritt aus der all-
gemeinen Bedingung der Gesundheit hervor.283 Aus der formalen Perspektive
gilt die Entstehung als die Verwirklichung der Naturart, der technischen Gestalt
oder der Eigenschaft Gesundheit. Die Form aktualisiert sich – sei sie natürlich
oder technisch, sei sie die Eigenschaft – dadurch notwendig, dass sie das
Gleichförmige teleologisch in die Wirklichkeit bringt.
Wie gesagt besteht die Analogie des ontologischen Syllogismus zum logi-
schen Syllogismus darin, dass sich die Ursache zur Folge (ἀρχή→τέλος) ebenso
verhält, wie die Prämisse zur Konklusion (πρότασις→συμπεράσμα). Wie die
wahre Demonstration eine notwendige Schlussfolgerung aus der Wesensdefini-
tion ist (ὁρισμός→ἀπόδειξις), so stammt das Gleichförmige aus der Form zweck-
mäßig (εἶδος→ὁμοειδές), und zwar der einzelne Mensch aus der menschlichen
Art, das konkrete Haus aus der Hausgestalt oder die körperliche Gesundheit
aus der formalen Bedingung derselben. Zusammen mit dem notwendigen logi-
schen Syllogismus sind die drei Typen der notwendigen ontologischen Syllogis-
men schematisch so darzustellen (Tab. 16):

283 In der Natur stammt das Gleichartige notwendig aus der Naturart (Menschen erzeugen –
Phys. B1, 193b8–9, 193b12; Metaph. Z9, 1034b2; Θ8, 1049b25–26). In ähnlicher Weise ist in der
menschlichen Herstellung (Haus bauen – Metaph. Z7, 1032b12; Z9, 1034a23–24) und in der
Handlung (Körper heilen – Metaph. Z7, 1032b11) das Gleichförmige aus der Form entstanden.
Wenn die Entstehung überhaupt als Aktualisierung und Konkretisierung der Art bzw. der
Form anzusehen ist, tritt die Homogenität der Entstehung in den Vordergrund. Einen Schritt
weiter kann sich die Struktur der Veränderung auf die empfindende und die denkende Tätig-
keit, nämlich Sehen und Denken, übertragen. Vgl. Alexander 490.10–17: ὥστε συμβαίνει τρό-
πον τινὰ τὴν ὑγίειαν γίνεσθαι ἐκ τῆς ὑγιείας καὶ τοῦ εἴδους αὐτῆς τοῦ ἐν τῇ ψυχῇ τοῦ ἰατροῦ
ὄντος. ἡ ἐν τῷ νοσοῦντι γὰρ ὑγίεια γινομένη ἐκ τοῦ εἴδους καὶ τοῦ λόγου τῆς ὑγιείας τοῦ ἐν τῇ
ἰατροῦ ψυχῇ ὄντος γίνεται· ὁμοίως δὲ καὶ ἥδε ἡ μετὰ τῆς ὕλης οἰκία ἐκ τῆς ἄνευ ὕλης οἰκίας
τῆς ἐν τῷ οἰκοδόμῳ γίνεται. ὥσπερ γὰρ ἡ ὄψις ἐν ἑαυτῇ ἔχει τὰ τῶν χρωμάτων εἴδη ἄνευ τῆς
ὑποκειμένης αὐτοῖς ὕλης, οὕτως καὶ ἡ ψυχὴ τὰ τῶν ἐπιστητῶν εἴδη· τόπος γὰρ εἰδῶν ἡ ψυχή,
ὡς ἐν τῇ Περὶ ψυχῆς εἴρηται.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 201

Tab. 16: Analogie von Logos, Physis, Poiesis und Praxis.

Notwendige syllogismi syllogismi syllogismi syllogismi


Syllogismen demonstrativi operativi operativi operativi

Bereich λόγος φύσις ποίησις πρᾶξις

Obersatz ὁρισμός εἶδος εἶδος ἐν τῇ ψυχῇ θερμότης


Untersatz λόγος ἀποφαντικός φύσις τέχνη ἰατρός
Konklusion ἀπόδειξις τόδε τι ὁμοειδές τόδε τι τεχνικόν θερμότης ἐν τῷ
σώματι

Beispiel () Mensch-vernünftig () die () die Hausgestalt () das Warme
() Sokrates-Mensch menschliche Art () der Hausherr () der Arzt
() Sokrates-vernünftig () der Vater () das () das Warme im
() der Sohn konkrete Haus Körper

Wissenschaft λογική φυσική/ ποιητική πρακτική


θεωρητική

Das συνώνυμον, das die logische Wesensgleichheit (λόγος τῆς οὐσίας) und
die ontologische Gleichartigkeit (ὁμοειδές) in sich schließt, ermöglicht, das Ein-
zelne aus seiner Wesenheit logisch-ontologisch notwendigerweise abzuleiten.
Nichts anderes als das συνώνυμον legt dem notwendigen Syllogismus ein Funda-
ment, der sowohl logisch als auch ontologisch konzipiert sein kann. Alle Seienden
sind nicht aus dem Gleichnamigen (ὁμώνυμον), sondern aus dem Gleichartigen
(συνώνυμον) entstanden, und zwar entweder gänzlich oder teilweise. Da in der
Naturentstehung sowie in der menschlichen Herstellung und Handlung das
Gleichartige zweckmäßig produziert wird, gehören nicht nur Physis, sondern
auch Techne und Praxis zum notwendigen ontologischen Syllogismus.284

284 Die Konklusion beruht auf dem Satz (Metaph. Z9, 1034a30–33): ὥστε, ὥσπερ ἐν τοῖς συλλο-
γισμοῖς, πάντων ἀρχὴ ἡ οὐσία· ἐκ γὰρ τοῦ τί ἐστιν οἱ συλλογισμοί εἰσιν, ἐνταῦθα δὲ αἱ γενέσεις.
ὁμοίως δὲ καὶ τὰ φύσει συνιστάμενα τούτοις ἔχει. Zu der Frage, ob der notwendige ontologische
Syllogimus alle drei Typen von Entstehungen betrifft, gibt es mannigfaltige Interpretationsvor-
schläge, die in drei Klassen einzuteilen sind. (1) Frede und Patzigs Meinung nach geht es nur
um den Vergleich zwischen dem logischen/dem apodiktischen und dem ontologischen Syllogis-
mus, der nichts anderes als die Naturentstehung ist. Frede und Patzig (1988: 160): „Aristoteles
zieht hier einen Vergleich zwischen der Art und Weise, in der sich in (apodiktischen) Syllogis-
men die Folgerungen aus den Prämissen ergeben, und der Art und Weise, wie sich das, was ent-
steht, aus dem, was ihm vorausgeht, ergibt. In beiden Fällen soll sich das Resultat aus der
ousia, die hier wieder mit dem „Was etwas ist“ gleichgesetzt wird, ergeben. Bei den apodikti-
schen Syllogismen beruht die Folgerung auf den in den Prämissen gemachten Annahmen über
202 2 Zweite Philosophie (Physik)

die Definition der jeweiligen Sache; bei den Entstehungsprozessen das Ergebnis auf jenem in
dem, was vorausgeht, enthaltenen Teil der Sache, welcher das, was die Sache selbst ist, d. h. die
ousia, in gewisser Weise schon enthält, so wie der Same, wenigstens der Möglichkeit nach,
schon die Form des aus dem Samen entstehenden Lebewesens enthält (Vgl. 1034a34–b1).“ (2)
Alexander, Thomas und Seidl gehen auf den Inhalt tiefer ein und analysieren den Satz präziser.
Indem sie αἱ γενέσεις als Herstellungen interpretieren, handelt es sich zunächst um den Ver-
gleich des logischen Syllogismus mit der technischen Herstellung. Im zweiten Schritt kommt die
Ähnlichkeit von Herstellung und Naturentstehung zur Sprache. (2.1) Alexander 500.6–12: καὶ
ὥσπερ ἐν τοῖς συλλογισμοῖς ἀρχαὶ καὶ αἴτια εἰσιν οἱ ὅροι (τοῦτο γὰρ ἐδήλωσε διὰ τοῦ < οὐσία καὶ
τί ἐστιν >), αἴτιοι δ’ εἰσὶ τῶν συμπερασμάτων (ἐκ γὰρ τῶν ὅρων γίνονται αἱ ἀποδείξεις), οὕτω καὶ
ἐπὶ τῶν ἀπὸ τέχνης αἴτιά εἰσιν αἱ γενέσεις αὐτῶν. ὁμοίως δὲ τούτοις ἔχει τὰ ἀπὸ φύσεως· τὸ μὲν
γὰρ σπέρμα ποιεῖ ὥσπερ ὁ τεχνίτης· ὥσπερ γὰρ ἐκεῖνος ἐν ἑαυτῷ ἔχει τὸ εἶδος τῆς οἰκίας ἢ
ἄλλου τινὸς οὗ ἐστι ποιητής, οὕτω καὶ τὸ σπέρμα ἔχει ἐν ἑαυτῷ δυνάμει τὸ εἶδος. (2.2) Thomas
Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.20 [83021]: „Quare patet, quod sicut in syllogismis, omnium
principium est substantia, idest quod quid est rei (nam syllogismi demonstrativi sunt ex quid
est, cum in demonstrationibus medium sit definitio), et hic, scilicet in operativis, generationes
sunt ex quod quid est. In quo ostenditur similitudo intellectus speculativi et practici. Sicut enim
intellectus speculativus procedit ad demonstrandum passiones de subiectis ex consideratione
eius quod quid est, ita intellectus procedit ad operandum ex specie artificii, quae est eius quod
quid est, ut supra dictum est.“ Sententia Metaphysicae lib.7 l.8 n.21 [83022]: „Deinde cum dicit
similiter itaque manifestat quod dixerat de artificialibus, in rebus naturalibus; dicens, quod si-
militer se habent ea quae sunt constituta secundum naturam, his quae fiunt per artem. Sperma
enim operatur ad generationem, sicut contingit in his quae fiunt per artem.“ (2.3) Seidl (1989:
412): „Analogie mit den Schlussfolgerungen in Beweisen: Sie gehen ähnlich aus dem Begriff der
Wesenheit (des Soseins) der Wissenschaftsgegenstände hervor, der in den obersten Beweisprä-
missen (in den Mitteltermen definiert) vorliegt, wie die entstehenden Kunstprodukte aus der We-
sensform, die in der Vernunft des Künstlers liegt.“ zu 1034a33–b4: „Ähnlichkeit des von Natur
Werdenden mit dem Kunstschaffen [. . .].“ (3) Asklepios, Schwegler und Ross stimmen darin übe-
rein, dass der ontologische Syllogismus, der sich zum logischen Syllogismus analog verhält, alle
drei Sorten von Entstehung, nämlich Naturentstehung, Herstellung und Handlung, durchdringt.
In dieser Interpretation beziehen sich die γενέσεις auf die Herstellung und die Handlung (oder
die Entstehung, die sich anhand der Spontaneität ereignet). (3.1) Asklepios 410.27–35: ὥσπερ
οὖν ἐν τοῖς συλλογισμοῖς ἀρχαὶ ὑπάρχουσιν οἱ ὁρισμοὶ καὶ τὰ εἴδη, οὕτως καὶ ἐπὶ τῶν γινομένων
αἱ ἀρχαὶ τὰ εἴδη ὑπάρχουσιν, εἴ γε ὁμοειδῆ τὰ γινόμενα τοῖς ποιοῦσιν ἐδείχθησαν. Ὥσπερ ἐπὶ τῶν
τεχνητῶν γίνεται ὑγεία καὶ ἀπὸ τέχνης καὶ ἐκ ταὐτομάτου, ὁμοίως τούτοις καὶ ἐπὶ τῶν φύσει
συνισταμένων ἔχει. ὥσπερ γὰρ ὁ ἰατρὸς ποιεῖ τὴν ὑγείαν, οὕτως καὶ τὸ ἀνθρώπειον σπέρμα ποιεῖ
τὸ ἔμβρυον. (3.2) Schwegler (1848: 89): „ἐνταῦθα δὲ (δὴ?) αἱ γενέσεις = οὕτως ἐνταῦθα (d. h. bei
demjenigen, was ἀπὸ τέχνης oder ἀπὸ ταὐτομάτου wird) αἱ γενέσεις ἐισὶν ἐκ τοῦ τί ἐστιν. Die
Entstehung der Natur- und Kunstproducte wird verglichen mit der Hervorbringung (Ableitung)
des Schlusssatzes aus den Vordersätzen. (Auch die Handlung vergleicht Arist. mit einem Syllo-
gismus – vgl. die von Waitz Org. I, 372 angef. St. St.) Der Syllogismus ist die Ableitung eines Ein-
zelnen aus einem synonymen Allgemeinen, die Subsumtion des Einzelnen unter das
Allgemeine, das Zusammenschliessen des Einzelnen mit dem Allgemeinen vermittelst des Be-
sondern; ebenso ist das einzelne Naturproduct eine Selbstindividualisierung der Gattung: beide
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 203

Nach der notwendigen Schlussfolgerung vollziehen sich Physis, Techne und


Praxis. Aber in Bezug auf die Substanz ist nur von Physis und Techne die Rede.
Denn in der ärztlichen Praxis wird kein Substanzielles, wie z. B. das Naturseiende
oder das Artefakt, hervorgebracht, sondern nur die Eigenschaft Gesundheit zu-
stande gebracht. Dabei handelt es sich nicht darum, dass die Einzelsubstanz in
die Wirklichkeit eintritt, sondern um den akzidentellen Umschlag von der Krank-
heit zur Gesundheit. In Bezug auf die Klassifikation der Veränderung ist die Praxis
nicht der substanziellen, sondern der akzidentellen Veränderung zugehörig. Da
die Substanzlehre weder die akzidentelle Veränderung noch deren Produkt thema-
tisiert, bleibt die Praxis außer Betracht und die Physis sowie die Techne lassen
sich in Betracht ziehen.
Die Techne ist zwar ontologisch nachrangig, argumentativ aber vorrangig.
Sie ist in die Erörterung über die Physis einbezogen, damit der Stoff des

also, das logische Product und das Naturproduct sind Producte eines synonymen Allgemeinen,
(denn die Art und das einzelne Exemplar sind mit der Gattung synonym). Vgl. Met. V, 2, 9: τὸ
πῦρ καὶ ἡ γῆ καὶ τὰ τοιαῦτα πάντα τῶν σωμάτων καὶ τὰ μέρη τοῦ ὅλου καὶ αἱ ὑποθέσεις τοῦ
συμπεράσματος ὡς τὸ ἐξ οὗ (= ὡς ὕλη).“ (3.3) Ross (1924: 193): „In syllogism, i. e. in the scientific
syllogism, a property is shown to belong to a subject in virtue of the subject’s essence or defini-
tion (An. Post. 90b31). So too in generation the product springs from its own essence. This ap-
plies to all three kinds of production described in II. 20–30. a. In natural production it is the
specific essence of the father (which is identical with that of the offspring) that produces the
offspring. b. In artistic production the essence of the product, conceived by the artist, is the
cause. c. In spontaneous production heat, for example, which is the cause of the production of
health, is the inner essence of which health is the manifestation.“ (4) Wir fassen alle Interpreta-
tionen folgendermaßen zusammen: Andeutungsweise geben Frede und Patzig zu verstehen,
dass mit dem notwendigen ontologischen Syllogismus nur die Naturentstehung gemeint ist. Ale-
xander, Thomas und Seidl meinen, dass sich die Herstellung sowie die Naturentstehung syllo-
gistisch vollziehen. Einen Schritt weiter machen Asklepios, Schwegler und Ross klar, dass sich
der ontologische Syllogismus auf alle drei Typen von Entstehung, nämlich Physis, Techne und
Praxis, erstreckt. Wir folgen dem letzten Interpretationsvorschlag, obwohl Alexanders Analyse,
die γενέσεις als ποιήσεις zu deuten, dem Text nahesteht. Laut Alexander steht der logische Syl-
logismus zunächst zur Herstellung analog und dann überträgt sich die Struktur der Techne auf
die der Physis. In diesem Fall scheint es, als ob die notwendige Entstehung die menschliche Her-
stellung zum Paradigma nehmen würde. Das ist allerdings unmöglich, denn nicht die Physis
imitiert die Techne, sondern die Techne ahmt die Physis nach. Kraft der teleologischen Notwen-
digkeit verhält sich die Naturentstehung einerseits analog zum notwendigen logischen Syllogis-
mus. Andererseits kann die natürliche Entstehung der menschlichen Herstellung und Handlung
die Notwendigkeit übermitteln. Darum ziehen wir den Schluss, dass der notwendige ontologi-
sche Syllogismus alle drei Sorten von Entstehung umfasst.
204 2 Zweite Philosophie (Physik)

Naturseienden von der Form abgetrennt betrachtet und separat analysiert wer-
den kann. Denn die natürliche Art und das stoffliche Substrat des Naturseien-
den sind per se zusammengewachsen. Die Vereinigung von formalem und
materialem Prinzip ist zwar uns (ἡμῖν) schwierig zugänglich, der Natur nach
(φύσει) aber primär, denn die Untrennbarkeit der Form von der Materie ge-
währleistet die ontologische Notwendigkeit. Demnach verwirklicht sich die
Natur immer ordentlich und regelmäßig, indem die menschliche, die tierische
oder die pflanzliche Art das jeweilige Einzelne zweckmäßig erzeugen. Dagegen
kann die technische Gestalt nicht streng notwendig in die Tat umgesetzt wer-
den. Denn bei der Techne spielen nicht nur die äußerliche Wirkursache und
der menschliche Zweck eine wichtige Rolle, sondern es gilt auch, dass ein und
dieselbe Form mit verschiedenen Stoffen verbunden sein kann und umgekehrt
ein und derselbe Stoff mit verschiedenen Formen. Da die Verwirklichung der
Naturart die Notwendigkeit in höherem Maß besitzt als die Verwirklichung der
Gestalt (ἀεὶ > ἐπὶ τὸ πολύ), ist die Physis der Techne ontologisch vorrangig
(φύσις > τέχνη).285 Gemäß dieser Graduierung von Notwendigkeit hat nicht nur
die Naturentstehung die Priorität vor der Herstellung, sondern auch die

285 Aristoteles’ Auffassung nach hat die Natur deswegen den ontologischen Primat vor der
Techne, weil die Natur nicht als Anhäufung von Zufällen oder Kontingenzien anzusehen, son-
dern mit der Notwendigkeit verbunden ist. Die natürliche Notwendigkeit lässt sich mit der in-
neren Zielsetzung und der teleologischen Zielerreichung aufzeigen. Da die Natur das
Entstehungsprinzip und die Bewegungsursache verinnerlicht, ist der äußerliche Schöpfergott
aufzuheben. Indem die menschliche Herstellung und Handlung die natürliche Entstehung imi-
tieren, können die Menschen das gleichförmige Artefakt regelmäßig und zweckmäßig reprodu-
zieren. Wegen der Aufhebung der göttlichen Techne und der Imitation der menschlichen
Techne ist die Natur der Techne überhaupt vorrangig. Die Vorrangigkeit der Physis vor der
Techne führt zu wichtigen theoretischen Konsequenzen. Im aristotelischen Weltbild ist die Na-
turwelt weder durch die einmalige göttliche Schöpfungsaktion geschaffen noch wird sie von
einem übergeordneten bzw. transzendenten Gott in Ordnung gebracht. Vielmehr verwirklicht
sich die Natur teleologisch, indem sie das innere Ziel setzt und es auf notwendige Weise errei-
chen kann. Der aristotelischen Naturphilosophie zufolge ist die Welt ewig da, und zwar ohne
Anfang und ohne Ende. Darum gibt es keinen essentiellen Unterschied zwischen Ewigkeit und
Allzeitlichkeit. Dagegen zeigt Platon ein anderes Weltbild. Mit der Schöpfungsaktion bzw. der
äußerlichen Ordnung hat die werdende Welt einen Anfang. Dem ontologischen Anfang ent-
sprechend gibt es auch einen zeitlichen Anfang der Welt, wobei der Kosmos vom Chaos in die
Ordnung übergegangen ist. Da der Kosmos geschaffen ist, oder, schwach gesagt, geordnet
wird, ergibt sich ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Ewigkeit und Zeitlichkeit. Vor der
Schöpfung bzw. Ordnung sind die vorbildlichen Ideen ewig seiend und danach existieren die
nachbildlichen empirischen Dinge zeitlich. Aufgrund der platonischen Schöpfungstheorie hat
die Allzeitlichkeit auch einen Anfang, sodass die Allzeitlichkeit sowie die Zeitlichkeit nicht mit
der Ewigkeit identifiziert werden können.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 205

Naturart vor der Gestalt (εἶδος > παράδειγμα),286 schließlich das Naturseiende
vor dem Artefakt (τὸ ὄν φύσει > τὸ ὄν τέχνῃ). Vor dem Hintergrund des Ver-
gleichs der Naturentstehung mit der Herstellung bzw. des Naturseienden mit
dem Artefakt lässt sich das einzelne Lebewesen zur echten Einzelsubstanz (μά-
λιστα οὐσία) zählen.287

286 Obwohl das εἶδος im technischen Beispiel auftaucht (λέγω δ’ ὅτι τὸν χαλκὸν στρογγύλον
ποιεῖν ἐστὶν οὐ τὸ στρογγύλον ἢ τὴν σφαῖραν ποιεῖν ἀλλ’ ἕτερόν τι, οἷον τὸ εἶδος τοῦτο ἐν
ἄλλῳ – Metaph. Z8, 1033a31–33) und sich das παράδειγμα ausnahmsweise auf die aristoteli-
sche Formursache bezieht (ἄλλον δὲ τὸ εἶδος καὶ τὸ παράδειγμα – Phys. B3, 194b26), legt Aris-
toteles die begriffliche Anwendung prinzipiell fest. Terminologisch verwendet Aristoteles das
εἶδος im Sinne der Naturart, die nicht vom materialen Substrat abgesondert werden kann
(ἀλλὰ ἱκανὸν τὸ γεννῶν ποιῆσαι καὶ τοῦ εἴδους αἴτιον εἶναι ἐν τῇ ὕλῃ – Metaph. Z8, 1034a4–5).
Mit dem παράδειγμα ist die platonische Idee gemeint, die von den zugehörigen Einzeldingen
getrennt ist und als technische Gestalt zum Vorschein kommen kann (τὰ μὲν εἴδη ταῦτα
ὥσπερ παραδείγματα ἑστάναι ἐν τῇ φύσει, τὰ δὲ ἄλλα τούτοις ἐοικέναι καὶ εἶναι ὁμοιώματα,
καὶ ἡ μέθεξις αὕτη τοῖς ἄλλοις γίγνεσθαι τῶν εἰδῶν οὐκ ἄλλη τις ἢ εἰκασθῆναι αὐτοῖς – Prm.
132d1–4). Aristoteles setzt sich mit der platonischen Ideenlehre auseinander, um zu beweisen,
dass die natürliche Art der technischen Gestalt überlegen ist. Wegen der Vereinigung der Na-
turart mit der Materie produziert die Art ihre Exemplare auf notwendige Weise. Aus der Tren-
nung der technischen Gestalt vom Stoff folgt, dass die technische Herstellung nicht immer,
sondern nur in den meisten Fällen notwendig durchgeführt wird. Die ontologische Vorrangig-
keit der Physis vor der Techne zeigt sich also auch darin, dass die natürliche Art den Primat
vor der technischen Gestalt hat.
287 In Z7–9 der Metaphysik kommt der Ausdruck μάλιστα οὐσία, d. h. „die Substanz im höch-
sten Maß“, zweimal vor. An der einen Stelle stimmen die antiken Kommentatoren und Thomas
miteinander überein, dass mit der μάλιστα οὐσία das einzelne Naturseiende gemeint ist. (1)
Metaph. Z8, 1034a2–5: ὥστε φανερὸν ὅτι οὐθὲν δεῖ ὡς παράδειγμα εἶδος κατασκευάζειν, μά-
λιστα γὰρ ἂν ἐν τούτοις ἐπεζητοῦντο· οὐσίαι γὰρ αἱ μάλιστα αὗται, ἀλλὰ ἱκανὸν τὸ γεννῶν
ποιῆσαι καὶ τοῦ εἴδους αἴτιον εἶναι ἐν τῇ ὕλῃ. (1.1) Alexander 497.28–31: ὥστε δῆλον ὅτι < οὐ
δεῖ ὡς παράδειγμα εἶδος κατασκευάζειν· μάλιστα γὰρ ἂν ἐν τούτοις ἐπεζητοῦντο, > τουτέστιν
αἱ ἐνέργειαι τῶν εἰδῶν μάλιστα ἐν τοῖς αἰσθητοῖς ἐφαίνοντο ἂν καὶ ἀτόμοις· < ταῦτα γὰρ μά-
λιστα οὐσίαι. > (1.2) Asklepios 406.6–8: ὥστε δῆλον ἡμῖν ἐντεῦθεν ὅτι οὐ δεῖ παραδείγματα καὶ
ἰδέας ὑποτίθεσθαι. μάλιστα δὲ συνεβάλλοντο αὗται εἰς τὰς συνθέτους οὐσίας. (1.3) Thomas Sen-
tentia Metaphysicae lib.7 l.7 n.18 [83000]: „Maxime enim huiusmodi exemplaria requirerentur
in praedictis substantiis naturalibus, quae sunt maxime substantiae respectu artificialium.
Sufficiens autem est in praedictis generans ad faciendum similitudinem speciei; et est suffi-
ciens ponere causam speciei in materia, idest quod illud quod facit hoc generatum consequi
talem speciem non sit species extra materiam, sed species in materia.“ – Bemerkenswert ist,
dass Alexander „ἐν τούτοις“ (1034a3), worin sich die höchsten Substanzen befinden, als „ἐν
τοῖς αἰσθητοῖς καὶ ἀτόμοις“ auslegt. Diese Interpretation ist deswegen nicht zu akzeptieren,
weil nicht nur das einzelne Naturseiende, sondern auch das Artefakt einbezogen wird. Ross
weist ganz richtig darauf hin, dass sich „ἐν τούτοις“ (1034a3) eigentlich auf „ἐν τοῖς φυσικοῖς“
(1033b32) bezieht. Dadurch, dass das Naturseiende vom Artefakt abgegrenzt wird, ist die wahr-
hafte Substanz nichts anderes als das lebendige Seiende (τὰ φυσικὰ, „living things“ – Ross
206 2 Zweite Philosophie (Physik)

1924: 189). An der anderen Stelle sind die Kommentatoren über die Bedeutung der μάλιστα
οὐσία nicht einig. Während Alexander und Thomas die wahrhafte Substanz mit dem zusam-
mengesetzten einzelnen Naturding identifizieren, hält Asklepios sie für die natürliche Art. (2)
Metaph. Z7, 1032a15–19: αἱ δὲ γενέσεις αἱ μὲν φυσικαὶ αὗταί εἰσιν ὧν ἡ γένεσις ἐκ φύσεώς
ἐστιν, τὸ δ’ ἐξ οὗ γίγνεται, ἣν λέγομεν ὕλην, τὸ δὲ ὑφ’ οὗ τῶν φύσει τι ὄντων, τὸ δὲ τὶ
ἄνθρωπος ἢ φυτὸν ἢ ἄλλο τι τῶν τοιούτων, ἃ δὴ μάλιστα λέγομεν οὐσίας εἶναι. (2.1) Alexander
487.30–35: καὶ ἔστιν ἡ μὲν ὕλη ἐξ οὗ γίνεται τὸ γινόμενον, ὑφ’ οὗ δὲ τῶν φύσει τι ὄντων, ὃ δὲ
γίνεταί ἐστιν ἄνθρωπος ἢ ἵππος ἢ ἄλλο τι τῶν φύσει τι ὄντων, ἃ δὴ καὶ μάλιστα, λέγω δὴ τὰ ἐξ
ὕλης καὶ εἴδους, ὡς καὶ ἐν ταῖς Κατηγορίαις καὶ ἐν τῇ Φυσικῇ καὶ ἐν ταύτῃ τῇ πραγματείᾳ, <
μάλιστα οὐσίας εἶναι λέγομεν, > εἶπεν. (2.2) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.6 n.6
[82952]: „Deinde cum dicit hoc autem exemplificat in generationibus naturalibus tria prae-
missa; dicens, quod in generatione naturali, hoc quidem est, ex quo fit quod generatur, quod
dicitur materia. Hoc autem a quo generatur aliquid eorum quae sunt secundum naturam,
quod dicitur agens. Hoc vero est aliquid, scilicet quod generatur, ut homo aut planta, aut ali-
quid talium, quae maxime dicimus esse substantias, idest substantias particulares compositas,
de quibus magis est manifestum quod sint substantiae, ut supra habitum est.“ (2.3) Asklepios
397.14–21: < αἱ > τοίνυν < γενέσεις >, φησίν, < αἱ φυσικαὶ αὗταί εἰσιν, ὧν ἡ γένεσίς ἐστιν ἐκ
φύσεως > . τὸ γὰρ σπέρμα καὶ τὸ καταμήνιον δημιουργούμενον ὑπὸ τῆς φύσεως οὕτω παράγε-
ται, καὶ γίνεται ἄνθρωπος. < τὸ δὲ ἐξ οὗ γίνεται, ἣν λέγομεν ὕλην· τὸ δὲ ὑφ’ οὗ τῶν φύσει
ὄντων >· τὸ δὲ τὶ φυσικὰ ὑπάρχουσι τὰ ὑπὸ φύσεως γινόμενα εἴδη, οἷον < ἄνθρωπος ἢ φυτὸν ἤ
τι ἄλλο τῶν τοιούτων, ἅτινα εἴδη κυρίως μάλιστα λέγομεν εἶναι οὐσίας >· ἕκαστον γὰρ τῶν
πραγμάτων κατὰ τὸ εἶδος τὸ ἑαυτοῦ χαρακτηρίζεται. – Asklepios’ Interpretation beruht auf der
Voraussetzung, dass πάντα δὲ τὰ γιγνόμενα ὑπό τέ τινος γίγνεται καὶ ἔκ τινος καὶ τί (Metaph.
Z7, 1032a13–14). Indem Asklepios ὑπό τινος als Wirkursache, ἔκ τινος als Stoffursache und τί
als Formursache interpretiert (πάντα δὲ τὰ γινόμενα ἔχουσι καὶ ποιητικὸν αἴτιον καὶ ὑλικὸν καὶ
εἰδικόν. διὰ μὲν γὰρ τὸ < ὑπό τινος > τὸ ποιητικόν, διὰ δὲ τὸ < ἔκ τινος > τὸ ὑλικόν, διὰ δὲ τὸ τὶ
τὸ εἰδικὸν ἐδήλωσε – Asklepios 397.9–12), wird die wahrhafte Substanz, nämlich τὶ ἄνθρωπος
dementsprechend als menschliche Art angesehen. Ein großer Vorteil dieses Interpretationsvor-
schlags liegt darin, dass er den nächsten Satz sinnvoll und den ganzen Kontext nachvollzieh-
bar macht (διὸ καὶ ἐπήγαγε λέγων < τὸ δὲ τὶ λέγω καθ’ ἑκάστην κατηγορίαν >· ἢ γὰρ οὐσία ἐστὶ
τὸ γινόμενον, οἷον ἄνθρωπος ἢ ἀβάκιον, ἢ ποσὸν μέγεθος, τουτέστιν αὔξησις, ἢ ποιόν, καθ’ ὅ
φαμεν ὅτι γέγονε λευκόν – Asklepios 397.12–14). Denn der nächste Satz scheint eine Erklärung
über τὶ zu sein (τὸ δὲ τὶ λέγω καθ’ ἑκάστην κατηγορίαν· ἢ γὰρ τόδε ἢ ποσὸν ἢ ποιὸν ἢ πού –
Metaph. Z7, 1032a14–15). Wenn von der Kategorie die Rede ist, kann sie sich nicht auf das kon-
krete Einzelding, sondern nur auf die Form beziehen, die entweder als wesentliche Form
(τόδε) oder als akzidentelle Eigenschaft (ποσόν ἢ ποιόν ἢ ποῦ) vorkommt. Wegen dieser Be-
stimmung ist es schwierig, das τὶ als Einzelding zu interpretieren. Gerade deswegen bezeich-
net Alexander dieses τὶ (1032a14) auch als Form (πάντα οὖν τὰ ἀπὸ φύσεως καὶ τέχνης καὶ
αὐτομάτου ὑπό τέ τινος τοῦ ποιοῦντος γίνεται καὶ ἔκ τινος ὕλης καί τι εἶδος γίνεται· ἢ γὰρ
οὐσία, φησί, γίνεται, ἢ ποσὸν ἢ ποιὸν ἤ τι τῶν ἄλλων κατηγοριῶν· γίνεται δέ τι τούτων ὡς
εἶδος – Alexander 487.7–10). Indem Alexander das τὶ an der einen Stelle als Form (Metaph. Z7,
1032a13–14) und an der anderen Stelle als Einzelding (Metaph. Z7, 1032a17–19) interpretiert,
wird der Sinnzusammenhang zwischen beiden Stellen unterbrochen. Im Gegensatz dazu hat
Thomas eine durchgängige Interpretation anzubieten. Thomas setzt die Kategorie in
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 207

Angesichts der ontologischen Priorität der Physis vor der Techne ist die wahr-
hafte Einzelsubstanz nicht das einzelne Artefakt, sondern das Einzellebewesen.
Dementsprechend ist die Wesenssubstanz im wahrhaften Sinne nicht die techni-
sche Gestalt, sondern die natürliche Art. Aufgrund dessen ist das Problem, wie
sich die Wesenssubstanz zur Einzelsubstanz verhält, schließlich im Rahmen des
Naturseienden aufzulösen. In der Natur lässt sich die Vorrangigkeit der Wesens-
substanz vor der Einzelsubstanz damit aufzeigen, dass die Naturart nicht nur die
logische, sondern auch die ontologische Priorität vor dem gleichartigen Einzelnen
hat. Die Naturart als Wesensprädikat bringt das zugehörige Einzelne wesentlich
zum Ausdruck und als Entstehungsprinzip das gleichartige Einzelne zustande. Die
absolut wahre Aussage, dass jeder beliebige Mensch Mensch ist, gründet in der
Tatsache, dass ein Mensch allein aus der menschlichen Art stammen kann. Mit
anderen Worten: Das wesentliche Prädikationsverhältnis, das Platon als Erster an-
hand der Ideenlehre zum Ausdruck bringt, wird von Aristoteles ontologisch be-
gründet. Die logische Wesensprädikation und die ontologische Naturentstehung

Verbindung mit der Veränderung. Demnach geht es nicht um die Wesens-, die Quantitäts-, die
Qualitäts- oder die Ortskategorie, sondern um die substanzielle, die quantitative, die qualita-
tive oder die örtliche Veränderung (Et, quia supra dixerat quod hoc aliquid proprie est in sub-
stantiis, ideo hic docet generalius esse sumendum, ut per aliquid intelligatur quodlibet
praedicamentum, in quo potest esse generatio simpliciter vel secundum quid, per se vel per
accidens – Sententia Metaphysicae lib.7 l.6 n.3 [82949]). In der Veränderung, die anhand der
vier Kategorien einzuteilen ist, gibt es die Wirkursache sowie die Stoffursache und das durch
die Veränderung Zustandekommende. Thomas betont, dass drei Sachen in diesem Kontext
(Metaph. Z7, 1032a13–14) erwähnt werden, nämlich die Wirk-, die Stoffursache und das Kom-
positum, welches entstanden ist („Inter autem haec tria, duo se habent ut generationis princi-
pia, scilicet materia et agens; tertium autem se habet ut generationis terminus, idest
compositum quod generatur.“ – Sententia Metaphysicae lib.7 l.6 n.7 [82953]; „Omnia enim
quae fiunt, fiunt ab aliquo agente, et ex aliquo, sicut ex materia, et iterum fiunt aliquid quod
est terminus generationis“ – Sententia Metaphysicae lib.7 l.6 n.3 [82949]). (3) Wir folgen Tho-
mas’ Interpretationsvorschlag, dass das τὶ durchgängig das konkrete Einzelding bedeutet. Wie
Thomas und Asklepios halten wir den einen Satz (Metaph. Z7, 1032a13–14) für eine allgemeine
Prämisse und den anderen (Metaph. Z7, 1032a17–19) für eine konkrete Erörterung, sodass τὶ
und τὶ ἄνθρωπος die gleiche Bedeutung haben müssen. Wenn man γίγνεται τί in der Prämisse
ernst nimmt, kann sich das τί nur auf das Einzelding beziehen. Denn nicht die Form, sondern
nur das konkrete Einzelne ist entstanden und vergänglich (Metaph. Z8, 1033b16–18). Außer-
dem bringt Aristoteles an anderer Stelle (Metaph. Z8, 1033a24–34) die drei Momente der Ent-
stehung noch einmal zur Sprache, die deutlich auf die Wirkursache, die Stoffursache und das
entstandene Kompositum hinweisen. Wie Alexander behauptet, stimmt die Konklusion, die
wahrhafte Substanz als einzelnes Naturseiendes zu bestimmen, mit der Erörterung in der Kate-
gorienschrift (Cat. 5, 2a11–14) und in der Physik (Phys. B1, 192b8–13) überein. Im Vergleich zum
einzelnen Artefakt lässt sich das einzelne Lebewesen als wahrhafte Substanz (μάλιστα οὐσία)
bezeichnen.
208 2 Zweite Philosophie (Physik)

kommen nicht nur in Übereinkunft, sondern darüber hinaus ist die wesentliche
Prädikation in der notwendigen Naturentstehung verwurzelt. Da die Art in der Prä-
dikation als Wesensprädikat funktioniert und in der Entstehung als Wesenssub-
stanz gilt, ist das logische Wesensprädikat mit der ontologischen Wesenssubstanz
identisch, anders gesagt, ist das Wesensprädikat substantiviert.
Wie gesagt wird die natürliche Art im logisch-ontologischen Sinne als pri-
märe Substanz bezeichnet. Trotz der Priorität der Naturart und der Posteriorität
des natürlichen Einzeldings muss die Substantialität doppelt charakterisiert sein.
Ohne die Art/Wesenssubstanz ist das Einzelding weder begrifflich zu nennen
noch wesentlich zu definieren, sodass das konkrete Einzelding unaussagbar und
unerkennbar ist. Ohne das konkrete Einzelding mangelt es der Art/Wesenssub-
stanz an der Substantialität und sie gerät zur abstrakten Allgemeinheit. Indem
sich die besondere Art am gleichartigen Einzelding aktualisiert und konkretisiert,
fallen bei der Naturentstehung die besondere Art und das konkrete Einzelding
per se zusammen. Darum ist jedes Einzellebewesen nicht nur ein individuelles
Lebendes, sondern bringt auch die Gleichartigkeit (ὁμοειδές) mit sich, die von
der einen Generation zu der anderen Generation unfehlbar überliefert ist. Auf-
grund des produktiven Kausalzusammenhangs können die produzierende Art
und das produzierte Einzelding nicht voneinander getrennt werden (ἔτι δόξειεν
ἂν ἀδύνατον χωρὶς εἶναι τὴν οὐσίαν καὶ οὗ ἡ οὐσία – Metaph. A9, 991b1–2; M5,
1079b35–36).
Die Untrennbarkeit der Wesenssubstanz von der Einzelsubstanz stellt die
Rechtfertigung für die terminologische Praxis des Aristoteles dar. Ein und der-
selbe Terminus οὐσία kann deswegen zwei Typen von Substanzen bezeichnen,
weil Wesens- und Einzelsubstanz, anders gesagt, Essenz und Existenz des Na-
turseienden per se vereinigt sind. Einerseits existiert die Essenz ganz real,
indem sie durch den natürlichen Erzeugungsprozess in die Realität eintritt. An-
dererseits wohnt dem einzelnen Existierenden die Essenz inne, indem die
Naturart durch die Produktion dem einzelnen Exemplar ihre Wesenheit und Ei-
gentümlichkeit übermittelt. Im Hintergrund der aristotelischen Prinzipienlehre
schlägt der produktive Kausalzusammenhang eine Brücke zwischen Essenz
und Existenz. Im Grunde genommen greift die Verknüpfung des Prinzips mit
dem Prinzipiat auf die ontologische Produktivität der Form (εἶδος-ἐνέργεια) zu-
rück, in der das Produzierende und das Produzierte naturgemäß zusammen-
hängend sind. Da die Naturentstehung als Selbstaktualisierung der besonderen
Art am gleichartigen Einzelding gilt (καθόλου→καθ’ ἕκαστον), ist die Naturart
mit dem Einzelding, die Essenz mit der Existenz, oder die Besonderheit mit der
Einzelheit per se verknüpft.
Die Trennung von Existenz und Essenz tritt zuerst in der platonischen Ideen-
lehre auf, und zwar in Form der zwei Welten. Auf der einen Seite existieren die
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 209

werdenden Dinge, die zwar sinnlich wahrnehmbar, aber nicht erkennbar sind.
Auf der anderen Seite sind die Ideen wahrhaft seiend, die unveränderlich, denk-
bar und erkennbar sind. Die werdenden Dinge und die seienden Ideen können
nicht in Verbindung gesetzt werden (Prm. 133a8–134e7). Der Zwiespalt wird ver-
schärft, wenn derselbe Begriff οὐσία auf Lateinisch zwiefältig übersetzt wird, näm-
lich die Einzelsubstanz als substantia/existentia und die Wesenssubstanz als
essentia. In Bezug auf das χωρίς-Problem setzt sich die aristotelische Substanz-
lehre mit der platonischen Ideenlehre auseinander. In der Tat versucht Aristoteles,
der griechischen Metaphysik ein neues Fundament zu legen. Demzufolge sollen
die von den konkreten Naturseienden untrennbaren Naturarten die theoretische
Stelle der mathematischen, der logischen oder der rein geistigen Ideen einneh-
men, die von den konkreten Einzeldingen abstrahiert und getrennt werden.
Darum baut die aristotelische Metaphysik tatsächlich auf der Physik auf, während
die erste Philosophie des Platon auf der Mathematik basiert.

2.2.3 Eidos-Nous: Enstehung-Definition-Geist (εἶδος-νοῦς: γένεσις-ὁρισμός-


νοῦς)

Die metaphysische Prinzipienlehre des Aristoteles orientiert sich am Prinzip von


Sein, Veränderung und Logos. Die Art als Wesens- bzw. Entstehungsprinzip des
Einzeldings kommt ans Licht, und zwar auf zwei Arten und Weisen: Indem das
Einzelding in Hinsicht auf vier Ursachen ontologisch analysiert wird, ist das Ein-
zelding auf das Wesensprinzip zurückzuführen (τόδε τι→εἶδος); oder die Art als
Entstehungsprinzip zeigt sich darin, dass die Naturart das gleichartige Einzelding
produziert (εἶδος→τόδε τι). Wenn die Art als Prinzip des Einzeldings zur Geltung
kommt, lässt sich die Frage aufwerfen, was das Prinzip der Art sein soll. Wäh-
rend das Prinzip des Einzeldings durch die Naturentstehung zum Vorschein
kommt (φυσικῶς), ist das Prinzip der Art logisch, d. h. definitorisch, aufzuschlüs-
seln (λογικῶς – Metaph. Z4, 1029b13; Z17, 1041a28). Anhand der Wesensdefini-
tion entfalten sich die intelligiblen Prinzipien der Art, nämlich die Gattung und
die spezifische Differenz. Wie die Vier-Ursachen-Lehre dazu dient, das formale
und das materiale Prinzip des einzelnen Naturseienden herauszufinden, leistet
die Wesensdefinition den theoretischen Beitrag dazu, die Prinzipien der Art of-
fenkundig zu machen. Darum gehört die Erörterung über die Wesensdefinition
auch zur Prinzipienlehre.
Die physische und die logische Prinzipienforschung, nämlich die Lehre von
den vier Ursachen und von der Wesensdefinition, sind miteinander verbunden,
und zwar durch die Vermittlung der Art. Denn die besondere Art nimmt eine Mit-
telstellung zwischen dem einzelnen Individuum und der allgemeinen Gattung
210 2 Zweite Philosophie (Physik)

ein (τόδε τι/ἕκαστον-εἶδος/ἴδιον-γένος/κοινόν), indem sie doppelt charakterisiert


ist. Zum einen ist die Naturart der Materie immanent, denn sie konkretisiert sich
nur am entsprechenden Stoff (οὐσία μετὰ ὕλης-εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ-εἶδος ἔνυλον-
τόδε τι πέφυκεν). Zum anderen kann die Art/Form von ihren einzelnen Exempla-
ren abstrahiert und rein logisch betrachtet werden, damit sie entweder begrifflich
oder definitorisch zur Sprache kommt (οὐσία ἄνευ ὕλης-εἶδος κατὰ τὸν λόγον-
εἶδος ἄυλον-ὄνομα/ὁρισμός).288 Anhand der Naturart ist die Brücke zwischen der
veränderlichen Naturwelt und dem unveränderlichen Ideenkosmos (d. h. Ge-
meinsamkeit aller Begriffe) zu schlagen. Durch die Vermittlung der Art/Form
geht die Physis in den Logos über. Die ontologische Art/Form wird auf logische
Weise wiedergegeben, und zwar entweder als Begriff oder als Definition. Da die
Art/Form mit dem Begriff unmittelbar korrespondiert (εἶδος = ὄνομα), wenden

288 (1) οὐσία μετὰ ὕλης-οὐσία ἄνευ ὕλης: (1.1) Metaph. Z7, 1032b11–14: ὥστε συμβαίνει τρόπον
τινὰ τὴν ὑγίειαν ἐξ ὑγιείας γίγνεσθαι καὶ τὴν οἰκίαν ἐξ οἰκίας, τῆς ἄνευ ὕλης τὴν ἔχουσαν
ὕλην· ἡ γὰρ ἰατρική ἐστι καὶ ἡ οἰκοδομικὴ τὸ εἶδος τῆς ὑγιείας καὶ τῆς οἰκίας, λέγω δὲ οὐσίαν
ἄνευ ὕλης τὸ τί ἦν εἶναι. (1.2) Phys. B2, 194a12–15: ἐπεὶ δ’ ἡ φύσις διχῶς, τό τε εἶδος καὶ ἡ ὕλη,
ὡς ἂν εἰ περὶ σιμότητος σκοποῖμεν τί ἐστιν, οὕτω θεωρητέον· ὥστ’ οὔτ’ ἄνευ ὕλης τὰ τοιαῦτα
οὔτε κατὰ τὴν ὕλην. (2) εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ-εἶδος κατὰ τὸν λόγον: (2.1) Metaph. Z8, 1034a4–5: [. . .]
ἀλλὰ ἱκανὸν τὸ γεννῶν ποιῆσαι καὶ τοῦ εἴδους αἴτιον εἶναι ἐν τῇ ὕλῃ. (2.2) Phys. B1, 193b3–5:
ὥστε ἄλλον τρόπον ἡ φύσις ἂν εἴη τῶν ἐχόντων ἐν αὑτοῖς κινήσεως ἀρχὴν ἡ μορφὴ καὶ τὸ
εἶδος, οὐ χωριστὸν ὂν ἀλλ’ ἢ κατὰ τὸν λόγον. (2.3) Simplicii In Physicorum 276.24–277.9: ἐπειδὴ
δὲ διττόν ἐστι τὸ εἶδος τὸ μὲν κατὰ τὴν μορφὴν τὸ δὲ κατὰ τὸν λόγον ὄν, ὁριζόμενοι τί ἐστιν
ἕκαστον ἀποδίδομεν τὸ μὲν κατὰ τὴν μορφὴν μόνην τὸ κατὰ τὸ ἐπιπολῆς σχῆμα καὶ χρῶμα καὶ
μέγεθος, τὸ δὲ κατὰ τὸν λόγον τὸ κατὰ τὸν μονοειδῆ τύπον τοῦ ἀνειλιγμένου ὁρισμοῦ, ὃ καὶ
συντρέχει τῷ ὁρισμῷ, ὥσπερ καὶ τὸ ὄνομα, τοῦτο δὲ καὶ τὴν μορφὴν περιέχει· τοῦτο οὖν < τὸ
εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον > ἢ τὴν τοιαύτην μορφὴν εἶναι τὴν φύσιν λέγει. διὸ καὶ προστίθησι τῷ
εἴδει τὴν μορφὴν λέγων < ἄλλον δὲ τρόπον ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος > καὶ πάλιν < ἡ μορφὴ καὶ τὸ
εἶδος οὐ χωριστὸν ὄν >· καὶ ἐν τῇ τέχνῃ δὲ κατὰ ἄλλον τρόπον ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος ταὐτόν
ἐστιν, ὅτι κατὰ τὴν μορφὴν ὁ τοῦ τεχνητοῦ λόγος. καὶ ἔστι καὶ τοῦτο δεικτικὸν τοῦ τὴν φύσιν
τὸ εἶδος εἶναι. εἰ γὰρ ἡ φύσις ἡ ἑκάστου ἐν τῷ εἶναι ἑκάστου, τὸ δὲ εἶναι ἑκάστου ἐν τῷ κατὰ
τὸν λόγον καὶ τὸν ὁρισμὸν εἴδει ἐστί (διὸ καὶ ἀντιστρέφουσιν οἱ ὁρισμοὶ πρὸς τὰ ὁριστά), ἡ
φύσις τὸ εἶδος ἂν εἴη. ὥστε κατὰ μὲν τοὺς προτέρους λόγους ἡ ὕλη ἂν εἴη ἡ φύσις ἐν τοῖς
φυσικοῖς, κατὰ δὲ τὸν νῦν ῥηθέντα τὸ εἶδος, ὅπερ ἀχώριστόν ἐστι τοῦ ὑποκειμένου λόγῳ μόνῳ
χωρίζεσθαι δυνάμενον ἀπ’ αὐτοῦ. χωριστὰ γὰρ ταῦτα λέγεται, ὅσα καὶ χωρισθέντα ὧν
χωρίζεσθαι λέγεται μένει τὴν αὑτῶν ἔχοντα φύσιν· ὧν δὲ ὁ χωρισμὸς φθορά ἐστι, ταῦτα οὐκ
ἔστι χωριστά. τοιοῦτον δὲ τὸ ἐν τῇ ὕλῃ εἶδος· κατὰ γὰρ τοῦτο τὸ εἶναι τοῖς φυσικοῖς, ἀλλ’ οὐχὶ
κατὰ τὸ χωριστὸν εἶδος. (2.4) Thomas In Physicorum lib.2 l.2 n.3 [71682]: Ergo natura rerum
naturalium habentium in se principium motus, alio modo etiam forma est: quae licet non se-
paretur a materia secundum rem, tamen differt ab ea ratione. (3) εἶδος ἔνυλον-εἶδος ἄυλον:
Asklepios 398.18–20: < εἶδος δὲ λέγω τὸ τί ἦν εἶναι ἑκάστου >, τουτέστιν αὐτὸ τὸ ἄυλον εἶδος,
ἐξ οὗ καὶ τὸ ἔνυλον χαρακτηρίζεται· καὶ οἱ ὁρισμοὶ γὰρ κατὰ τὰ εἴδη λαμβάνονται.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 211

wir uns nun der Wesensdefinition zu, um die logischen bzw. die geistigen Prinzi-
pien der Art einsichtig zu machen.
Aristoteles’ theoretische Betrachtung der Wesensdefinition besteht aus drei
Schritten. Im ersten Schritt geht das Argument davon aus, drei verschiedene
Aussagenformen, nämlich Meinung, Demonstration und Wesensdefinition, mit-
einander zu vergleichen (δόξα-ἀπόδειξις-ὁρισμός). Die Meinung bringt den
zufälligen Sachverhalt zum Ausdruck, z. B. dass Sokrates musikalisch ist (δόξα-
πάθος κατὰ συμβεβηκός). Die wesentliche Tatsache hingegen lässt sich de-
monstrieren, wie z. B. dass das Feuer warm, die Seele lebendig oder die Nase
stupsig ist (ἀπόδειξις-πάθος καθ’ αὑτήν). In beiden Fällen muss das Zugrunde-
liegende vorausgesetzt werden, dem das akzidentelle oder das wesentliche Prä-
dikat hinzuzufügen ist. Im Gegenteil dazu kann die Art/Form nicht anhand der
Hinzufügung (ἐκ προσθέσεως, ex additione) wesentlich definiert werden, weil
nicht die Form das zugrundeliegende Einzelne, sondern dieses jene logisch-
ontologisch voraussetzen muss. Daraus folgt, dass die Wesenheit der Art/Form
weder durch die Meinung geäußert noch demonstriert werden kann, sondern
eine andere Vorgehensweise angenommen werden muss.
Im zweiten Schritt vergleicht Aristoteles die Wesensdefinition nicht mit
der Meinung und der Demonstration, sondern das Definitionsverfahren mit
dem Entstehungsprozess (ὁρισμός-γένεσις). Die Vier-Ursachen-Lehre ist dar-
auf gerichtet, wodurch (διὰ τι) die Einzelsubstanz tatsächlich hervorgebracht
wird. Analog dazu orientiert sich die Suche nach der Wesensdefinition daran,
wodurch (διὰ τι) die Wesenssubstanz logisch bzw. geistig konstituiert ist. Auf-
grund derselben Fragestellung und Vorgehensweise ergibt sich die Analogie,
wobei die ontologische Entstehung der Einzelsubstanz und die logische Defi-
nition der Wesenssubstanz strukturell ähnlich sind. Wie die Einzelsubstanz
aus der Zusammensetzung der sensiblen Materie und der Form entstanden ist
(τόδε τι/γένεσις = ὕλη αἰσθητή + μορφή), wird die Wesenssubstanz durch die
Zusammenfügung der intelligiblen Materie und der spezifischen Differenz de-
finiert (εἶδος/ὁρισμός = ὕλη νοητή + διαφορά). Die Definitionselemente der
Art, nämlich die Gattung und die spezifische Differenz, sind dadurch festzule-
gen, dass die Wesensdefinition nicht die logische Komplexität von Subjekt
und Prädikat, sondern das ontologische Kompositum von Stoff und Form zum
Paradigma nimmt.
Wenn man die Wesenssubstanz nach dem Herstellungsmuster determiniert,
stellt sich im dritten Schritt die Frage: Worin liegt die Einheit der Definition, die
aus mehreren Definitionselementen besteht? Anhand der Erörterung über die de-
finitorische Einheit kommt der Geist zur Sprache, denn nichts anderes als das
noetische Denken führt das dihairetische Definitionsverfahren durch. Kraft des
Geistes vollzieht sich die Dihairese derart, dass sich die Gattung zunächst in die
212 2 Zweite Philosophie (Physik)

Differenzen ausdifferenziert und sich dann mit der spezifischen Differenz zusam-
menfügt. Darüber hinaus strukturiert der Geist die beiden Definitionselemente
hylemorphistisch, indem sich die intelligible Materie zur sensiblen Materie und
die spezifische Differenz zur wesentlichen Form analog verhalten. Durch die
Suche nach der Einheit der Definition ist der Logos auf dessen Prinzip, nämlich
den Nous, zurückzuführen (λόγος→νοῦς). Die Rückführung stellt den logischen
bzw. den geistigen Zugang zum Geist (λογικῶς) dar, während der Geist/Gott als
unbewegter Beweger anhand des kosmologischen Gottesbeweises physisch bzw.
ontologisch (φυσικῶς) nachzuweisen ist.

2.2.3.1 Meinung-Demonstration-Definition (δόξα-ἀπόδειξις-ὁρισμός)


Im Allgemeinen gehören Meinung, Demonstration und Wesensdefinition zur
Aussage (λόγος), die das bestimmte Seiende zum Ausdruck bringt (λόγος
τινος). Da sich die logische Formulierung nach der ontologischen Grundlage
richtet, geht der Unterschied der Ausdrucksweisen auf die sachliche Differenz
zurück. Darum muss man sich zunächst klarmachen, welches Seiende jeweils
in der Meinung geäußert, demonstriert oder definiert werden kann.
Anhand des Kriteriums von per se und per accidens ist die Kategorie in die
Wesenskategorie/Wesenssubstanz und die zukommende Kategorie/Eigenschaft
ausdifferenziert (οὐσία-συμβεβηκός/πάθος). Mithilfe desselben Kriteriums ist
die Eigenschaft in die wesentliche und die akzidentelle Eigenschaft einzuteilen
(πάθος καθ’ αὑτήν-πάθος κατὰ συμβεβηκός), je nachdem, ob sie dem Zugrunde-
liegenden per se oder per accidens zukommt.289 Aus der zweimaligen Einteilung

289 Im vorliegenden Kontext beschränkt sich der Terminus πάθος nicht auf die qualitative Ka-
tegorie, sondern damit sind alle zukommenden Kategorien gemeint. Die Eigenschaft (πάθος)
kann mit dem Zukommenden (συμβεβηκός) terminologisch für äquivalent gehalten werden,
insofern alle Eigenschaften dem Zugrundeliegenden zukommen müssen. Indem die Eigen-
schaft dem Einzelnen entweder zufällig oder notwendig zukommt, ist die Eigenschaft in die
akzidentelle und die wesentliche Eigenschaft geteilt (συμβεβηκότα γάρ ἐστι πάντα, ἀλλὰ τὰ
μὲν καθ’ αὑτά, τὰ δὲ καθ’ ἕτερον τρόπον – APo. A22, 83b19–20). Die akzidentelle Eigenschaft
bzw. das per accidens Zukommende ist das, was im zugrundeliegenden Einzelnen vorliegt,
und zwar weder immer noch häufig, sondern nur zufällig (Συμβεβηκὸς λέγεται ὃ ὑπάρχει μέν
τινι καὶ ἀληθὲς εἰπεῖν, οὐ μέντοι οὔτ’ ἐξ ἀνάγκης οὔτε < ὡς > ἐπὶ τὸ πολύ, [. . .] – Metaph. Δ30,
1025a14–15). Wie das Weiße auf Kallias per accidens zutrifft, ist es ebenso ein Zufall, dass Sok-
rates sitzt. Die wesentliche Eigenschaft bzw. das per se Zukommende ist das Seiende, das zwar
die Wesenheit einer Sache nicht betrifft, aber in der Sache selbst per se vorliegt (λέγεται δὲ καὶ
ἄλλως συμβεβηκός, οἷον ὅσα ὑπάρχει ἑκάστῳ καθ’ αὑτὸ μὴ ἐν τῇ οὐσίᾳ ὄντα, [. . .] – Metaph.
Δ30, 1025a30–32). Obwohl zwei Rechte keineswegs die Wesenheit des Dreiecks konstituieren,
befinden sie sich notwendig im Dreieck. Gleichfalls drückt das Stupsnasige nicht die Wesen-
heit, sondern nur die wesentliche Eigenschaft der Nase aus, da das Stupsnasige der Nase
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 213

ergeben sich drei verschiedene Seiende, nämlich die Wesenskategorie, die we-
sentliche Eigenschaft und die akzidentelle Eigenschaft, die jeweils terminolo-
gisch als Wesenssubstanz, Eigentümlichkeit und Akzidenz bezeichnet werden.
Die Aussage, die das Akzidenz ausdrückt, wird die Meinung genannt (δόξα-πάθος
κατὰ συμβεβηκός), z. B. dass Sokrates weiß ist.290 Die Aussage, die die Eigentüm-
lichkeit zur Sprache bringt, ist die Demonstration (ἀπόδειξις-πάθος καθ’ αὑτήν),
wie z. B. dass das Feuer warm, die Seele lebendig oder die Nase stupsig ist.291 Die
Demonstration ist deswegen mit dem Kennzeichen der Verdoppelung ausgestattet,
weil das Warme im Feuer, die Lebendigkeit in der Seele oder das Stupsige in der
Nase per se enthalten ist.292 Die Aussage, die die Wesenssubstanz definitorisch be-
stimmt, ist nichts anderes als die Wesensdefinition (ὁρισμός-λόγος τῆς οὐσίας).
Aufgrund des sachlichen Unterschieds von Akzidenz, Eigentümlichkeit und
Wesenssubstanz sind Meinung, Demonstration und Wesensdefinition voneinander
differenziert (Metaph. Z15, 1039b31–1040a2). Im Folgenden gehen wir zunächst
auf den Unterschied von Meinung und Demonstration ein. Es geht dabei nicht nur
um zwei verschiedene Ausdrucksweisen; vielmehr hängt die Unterscheidung zwi-
schen Meinung und Demonstration direkt damit zusammen, wie die unterschied-
lichen Wissenschaftsdisziplinen begründet werden sollen. Da die Meinung, die die

per se zukommt. Der Unterschied zwischen der akzidentellen und der wesentlichen Eigen-
schaft lässt sich auch dadurch charakterisieren, dass jene vom Zugrundeliegenden trennbar
und diese davon untrennbar ist. Während Sokrates sitzen oder nicht sitzen oder Kallias weiß
oder nicht weiß sein kann, ist es durchaus unmöglich, dass das Dreieck ohne zwei Rechte exis-
tierte oder das Stupsnasige ohne die Nase ausgesagt würde. Das Wort συμβεβηκός als Zukom-
mendes weist nicht unbedingt auf das Akzidenz hin, denn es kann dem Zugrundeliegenden
entweder zufällig oder notwendig zukommen. Strenggenommen ist nicht das Zukommende
oder die Eigenschaft überhaupt, sondern nur das per accidens Zukommende (συμβεβηκός
κατὰ συμβεβηκότα) oder die akzidentelle Eigenschaft (πάθος κατὰ συμβεβηκός) mit dem Akzi-
denz zu identifizieren. Dementsprechend lässt sich das per se Zukommende (συμβεβηκός καθ’
αὑτό) oder die wesentliche Eigenschaft (πάθος καθ’ αὑτήν) terminologisch als Eigentümlich-
keit festlegen. Der Unterschied zwischen per accidens und per se von συμβεβηκός/πάθος findet
sich in folgenden Stellen: Phys. A3, 186b18–21; Metaph. Δ30, 1025a4–34; Z5, 1030b16–26; M3,
1077b34–1078a9. Vgl. auch Tugendhat 1958: 60, besonders Fußnote 28.
290 In Teil 2.1.1 haben wir schon darüber gesprochen, dass mit der Meinung (δόξα) die Aus-
sage gemeint ist, die entweder wahr oder falsch sein kann. Die Falschheit kommt dadurch zu-
stande, dass die Aussage unveränderlich bleibt und sich das Akzidenz verändert. Die
Veränderung des Akzidenz bringt die Zweiwertigkeit der Meinung zustande und dementspre-
chend bringt die Meinung das Akzidenz bzw. den akzidentellen Sachverhalt zur Sprache.
291 Während die Meinung das Wahre oder das Falsche ausdrücken kann, ist die affirmative
Demonstration (ἀπόδειξις) immer wahr. Was demonstriert wird, ist nichts anderes als die Ei-
gentümlichkeit, die per se am Zugrundeliegenden vorhanden ist.
292 Mit der Verdoppelung (συνδεδυασμένον – Metaph. Z5, 1030b16; συνδυαζομένον – Metaph.
Z5, 1031a6) ist z. B. das warme Feuer, die lebendige Seele oder die stupsnasige Nase gemeint.
214 2 Zweite Philosophie (Physik)

akzidentelle Eigenschaft zum Ausdruck bringt, wahr oder falsch sein kann, ist sie
mit der Übereinstimmungswahrheit verbunden. Indem sich die wesentliche Eigen-
schaft aus dem Zugrundeliegenden notwendig ergibt, legt die Demonstration den
apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften ein Fundament.
Wie gesagt ist die zukommende Eigenschaft in Akzidenz und Eigentüm-
lichkeit geteilt. Das Akzidenz, z. B. das Weiße, wird vom Subjekt „Kallias“
oder „Mensch“ deshalb zufällig prädiziert, weil das Weiße vom Menschen ab-
getrennt und von der Fläche ausgesagt werden kann (Metaph. Z5, 1030b20–21,
1030b25). Dagegen wird die Eigentümlichkeit, das Stupsige, vom Subjekt
„Nase“ notwendig ausgesagt, denn das Stupsige kommt keinem beliebigen Zu-
grundeliegenden zu, sondern es ist per se der Nase immanent (Metaph. Z5,
1030b16–20; Phys. A3, 186b18–23). Ohne die Nase kann das Stupsige nicht
ausgesagt werden und ebenso ist das Männliche ohne das Lebewesen nicht
aussagbar.293 Die Eigentümlichheit (propria passio) und das ihr eigentümliche
Zugrundeliegende (proprium subiectum) sind nicht voneinander zu trennen
(Metaph. Z5, 1030b24–25).
Anhand des Akzidenz bildet sich die akzidentelle Prädikation, wobei das
Subjekt mit dem Prädikat nicht definitionsgleich, sondern nur gleichnamig ist.
Genauer gesagt: Das akzidentelle Prädikat, das Weiße kann entweder von Kal-
lias oder von dem Menschen (ὄνομα) prädiziert werden, aber nicht von der Defi-
nition des Menschen (λόγος). Während Kallias oder der Mensch weiß sein
kann, ist es unmöglich, zu behaupten, dass das vernünftige Lebewesen als sol-
ches weiß ist. Dagegen kann die Eigentümlichkeit als wesentliches Prädikat so-
wohl von dem Begriff als auch von der Wesensdefinition desselben ausgesagt
werden (Metaph. Z5, 1030b23–24). Das Männliche ist dasjenige Lebewesen
(ὄνομα), welches die Nachkommenschaft in dem anderen erzeugt. Ist das Lebe-
wesen als beseelte und wahrnehmungsfähige Substanz bestimmt, kommt
das Männliche dementsprechend derart zur Sprache, nämlich dass es die be-
seelte und wahrnehmungsfähige Substanz ist, welche die Nachkommenschaft
in dem anderen erzeugt (λόγος).294 Während das Akzidenz nicht von der

293 Außer der Untrennbarkeit des Stupsigen von der Nase und des Männlichen vom Lebewesen
erwähnt Aristoteles noch andere Beispiele, nämlich dass auch das Weibliche vom Lebewesen
(Metaph. Z5, 1030b25–26, 1031a4), die Gleichheit von der Quantität (Metaph. Z5, 1030b21–23)
und das Ungerade von der Zahl (Metaph. Z5, 1031a3–4) nicht zu trennen sind.
294 (1) Alexander 477.4–11: καὶ ἐν μὲν τῷ τῆς σιμότητος ὁρισμῷ εἴληπται τὸ ὄνομα τῆς ῥινός,
ἐν ἄλλοις δὲ ἐνδέχεται ληφθῆναι οὐ μόνον τὸ ὄνομα τοῦ ὑποκειμένου, ἀλλὰ καὶ τὸν ὁρισμόν·
οἷον εἴ τις ὁρίζεται τὸ ἄρρεν, εἰ μὲν ἐρεῖ ‘ἄρρεν ἐστὶ ζῷον ὃ πέφυκεν ἐν ἄλλῳ γεννᾶν’, εἴληφε τὸ
ὄνομα τοῦ ὑποκειμένου τῷ ἄρρενι τὸ ζῷον, εἰ δὲ λέγει ὅτι ἄρρεν ἐστὶν οὐσία ἔμψυχος αἰσθητικὴ
πεφυκυῖα ἐν ἄλλῳ γεννᾶν, τὸν ὁρισμὸν εἶπε τοῦ ὑποκειμένου τῷ ἄρρενι καὶ οὐχὶ τὸ ὄνομα.
(2) Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.4 n.14 [82910]: „Semper enim in definitionibus potest
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 215

Definition, sondern nur vom Begriff ausgesagt wird, kann die Eigentümlichkeit
sowohl von der einen als auch von dem anderen prädiziert werden.
Des Weiteren macht das Akzidenz, das dem Zugrundeliegenden zukommen
kann oder nicht, es möglich, dass die Aussage entweder wahr oder falsch ist,
denn die Veränderbarkeit des Akzidenz ist der Korrespondenzwahrheit fundamen-
tal. Wäre der Sachverhalt unveränderlich, ergäbe sich keine Täuschungs- bzw.
Falschheitsmöglichkeit, die der zweiwertigen Übereinstimmungswahrheit unent-
behrlich ist. In Bezug auf das Akzidenz bzw. die akzidentelle Prädikation rückt die
Wahrheitstheorie in den Vordergrund. Demgegenüber dient die Eigentümlichkeit
theoretisch dazu, die Untersuchungsgegenstände der Einzelwissenschaften festzu-
legen. Das Stupsige z. B. lässt sich paradigmatisch als Untersuchungsgegenstand
der Physik bezeichnen. Alle natürlichen Seienden können insofern nach dem Pa-
radigma des Stupsigen zum Ausdruck gebracht werden (πάντα τὰ φυσικὰ ὁμοίως
τῷ σιμῷ λέγονται), als das Stupsige die notwendige Verbundenheit der Eigentüm-
lichkeit mit dem Zugrundeliegenden impliziert. Das Stupsige wohnt per se kei-
nem anderen als der Nase inne (Metaph. E1, 1025b30–1026a6; K7, 1064a19–28;
Phys. B2, 194a12–15). Wie das Stupsige auf das Substrat Nase zurückgreift
(σιμόν→ῥίς), so geht die Bewegung auf die zugrundeliegende Einzelsubstanz
(κίνησις→τόδε τι) und die Entstehung auf die zugrundeliegende Materie zu-
rück (γένεσις→ὕλη). Zum Stupsigen, d. h. zur Konkavheit der Nase, steht die
Veränderung der natürlichen Substanzen analog. Demzufolge hat die Physik
sowohl die Bewegung und die Entstehung der einzelnen Lebewesen als auch
die Kreisbewegung der Himmelskörper, weiter noch die Umwandlung der vier
Grundelemente zum Untersuchungsgegenstand.
Wie die Physik die Veränderung der natürlichen Substanzen in Betracht zieht,
sind analog das Geschlecht des Lebewesens in der Biologie, die Gestalt der Linie
in der Geometrie und die Eigenschaft der Zahl in der Arithmetik zu erforschen.
Nach demselben Paradigma des Stupsigen ist der Gegenstand der Einzelwissen-
schaft als Eigentümlichkeit bestimmt, die dem entsprechenden Zugrundeliegen-
den per se zukommt (propria passio). Darüber hinaus ist die Eigentümlichkeit des
Zugrundeliegenden mit der Disjunktion ausgestattet. Das lässt sich an Beispielen
aufzeigen, wie etwa daran, dass die einzelne Natursubstanz entweder bewegt oder
in Ruhe ist, das Lebewesen männlich oder weiblich, die Linie geradlinig oder

poni ratio loco nominis: sicut si dicimus quod homo est animal rationale mortale, potest poni
loco nominis animalis definitio, ut dicatur quod homo est substantia animata sensibilis rationa-
lis mortalis. Similiter si dicam quod masculus est animal potens generare in alio, possum etiam
dicere quod masculus est substantia animata sensibilis potens generare in aliquo alio.“ An die-
ser Stelle (Metaph. Z5, 1030b23–24) haben Alexander und Thomas einen ähnlichen Interpreta-
tionsvorschlag anzubieten, dem wir folgen.
216 2 Zweite Philosophie (Physik)

gekrümmt und die Zahl gerade oder ungerade.295 Trotz des sachlichen Unter-
schieds sind die Untersuchungsgegenstände der Einzelwissenschaften einan-
der strukturell ähnlich, indem die Physik, die Biologie, die Geometrie und die
Arithmetik die jeweiligen disjunktiven Eigentümlichkeiten des Zugrundelie-
genden (passiones per se disiunctae) theoretisch betrachten und untersuchen.
Da die Eigentümlichkeit dem eigenen Zugrundeliegenden per se zukommt, er-
gibt sich die eigentümliche Eigenschaft aus der zugrundeliegenden Einzelheit
oder Gattung notwendig. Demzufolge vollziehen sich die Einzelwissenschaf-
ten syllogistisch (APo. A10, 76b3–16). Indem die disjunktiven Eigentümlich-
keiten anhand des Syllogismus demonstriert werden, sind die verschiedenen
Einzelwissenschaften einander sowohl gegenständlich als auch methodisch
strukturverwandt. Darum werden die Einzelwissenschaften gemeinsam als apo-
diktisch-syllogistische Wissenschaften bezeichnet.
Den Unterschied von Meinung und Demonstration fassen wir im folgenden
Schema zusammen (Tab. 17):

Tab. 17: Unterschied von Meinung und Demonstration.

δόξα ἀπόδειξις

Gegenstand πάθος κατὰ συμβεβηκός πάθος καθ’ αὑτήν

Beispiel λευκός-ἄνθρωπος σιμόν-ῥίς, ἄρρεν-ζῷον

Trennbarkeit τὸ λευκὸν ἄνευ τοῦ ἀνθρώπου ἐνδέχεται οὐ τὸ ἄρρεν ἄνευ τοῦ ζῴου

Prädikation μόνον ὄνομα ἢ ὁ λόγος ἢ τοὔνομα

Gegensatz δόξα: ἀληθές-ψεῦδος τόδε τι: κίνησις-ἠρεμία


ζῷον: ἄρρεν-θῆλυ
γραμμή: εὐθύ-καμπύλον
ἀριθμός: ἄρτιον-περιττόν

Wissenschaft Korrespondenztheorie der Wahrheit Einzelwissenschaften:


Physik, Biologie, Mathematik

295 Die passio per se disiuncta wird von Aristoteles durch die folgenden Beispiele
illustriert: Männlichkeit-Weiblichkeit des Lebewesens (Metaph. Z5, 1030b21–22, 1030b25–26,
1031a4; I9, 1058a29–34, 1058b21–24), Geradheit-Ungeradheit der Zahl (APo. A4, 73b20–21,
A10, 76b6–8; Phys. B2, 194a3–4; Metaph. Z5, 1031a2–6), Geradlinigkeit-Gekrümmtheit der
Linie (APo. A4, 73b19–20, A10, 76b9–11; Phys. B2, 194a4), Gleichheit-Ungleichheit der Quanti-
tät (Cat. 6, 6a26–27; Metaph. Z5, 1030b22) und Ähnlichkeit-Unähnlichkeit der Qualität (Cat. 9,
11a15–19).
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 217

Im nun folgenden Schritt vergleichen wir die Meinung und die Demonstration
mit der Wesensdefinition, indem das Akzidenz und die Eigentümlichkeit der We-
senssubstanz entgegengesetzt sind. Im Fall, dass Aristoteles nicht die Unterschei-
dung zwischen der akzidentellen und der wesentlichen Eigenschaft, sondern den
Unterschied zwischen der Eigenschaft, sei sie akzidentell, sei sie wesentlich, und
der Wesenssubstanz in den Vordergrund bringt, führt er die folgende neue Termi-
nologie ein: Im weiteren Sinne kann man die Wesensfrage (τί ἐστι) nicht nur in
Bezug auf die Wesenskategorie/Wesenssubstanz, sondern auch in Bezug auf die
zukommende Kategorie stellen (Metaph. Z4, 1030a17–20). Die Wesenskategorie
wird im ursprünglichen und absoluten Sinne (πρώτως καὶ ἁπλῶς) definiert, die zu-
kommende Kategorie aber ist nur im abgeleiteten Sinne (ἑπομένως) definierbar.
Die Definition der Wesenskategorie ist die Wesensdefinition, die terminologisch
als „τὸ τί ἦν εἶναι“ bezeichnet wird (λόγος τῆς οὐσίας = ὁρισμός = τὸ τί ἦν εἶναι,
definitio substantiarum = quod quid erat esse – Metaph. Z4, 1030a6–7; Z5,
1031a11–14). Im Vergleich dazu ist die Definition der zukommenden Kategorie die
Aussage, die die Washeit der kategorialen Eigenschaft zur Sprache bringt (ὁρισμός
τῶν συμβεβηκότων = τὸ τί ἐστι, definitio accidentium = quod quid est).296

296 An verschiedenen Stellen verwendet Aristoteles drei Paare von Ausdrücken, um die Defi-
nition der Wesenskategorie/Wesenssubstanz von der Definition der zukommenden Kategorie
zu unterscheiden. Zur Veranschaulichung fassen wir die begriffliche Anwendung in einer Ta-
belle zusammen:

ὁρισμός τῶν οὐσιῶν ὁρισμός τῶν συμβεβηκότων

τὸ τί ἐστι τὸ τί ἐστι πρώτως καὶ τὸ τί ἐστι ἑπομένως τοῖς ἄλλοις


Metaph. Z, ἁπλῶς τῇ οὐσίᾳ
a–

τὸ τί ἦν εἶναι τὸ τί ἦν εἶναι πρώτως τὸ τί ἦν εἶναι τοῖς ἄλλοις, οἷον ποιῷ ἢ ποσῷ


Metaph. Z, καὶ ἁπλῶς τῇ οὐσίᾳ = τὸ τί ἐστι
a–,
b–;
Z, a–

APo. B, τί ἐστι ὅτι ἔστι


b–a

Die vielfältigen Termini führen leicht zu begrifflicher Verwirrung und Unklarheit. Deshalb ent-
scheiden wir uns, die zukommende Kategorie als Washeit (τὸ τί ἐστι = quod quid est = definitio ac-
cidentium) und die Definition der Wesenssubstanz terminologisch als τὸ τί ἦν εἶναι ( = quod quid
erat ess = definitio substantiae) zu bezeichnen.
218 2 Zweite Philosophie (Physik)

Wegen der sachlichen Verschiedenheit können die zukommende und die we-
sentliche Kategorie nicht gleicherweise determiniert werden. Da die zukommende
Kategorie in der zugrundeliegenden Substanz vorhanden ist (ἐν ὑποκειμένῳ ἐστι),
muss das entsprechende Prädikat vom zugrundeliegenden Subjekt ausgesagt
werden (καθ’ ὑποκειμένου λέγεται).297 Die ontologische Abhängigkeit der zu-
kommenden Kategorie von der Substanz führt zur logischen Abhängigkeit des Prä-
dikates vom Subjekt. In der kategorialen Aussage, die aus Subjekt und Prädikat
besteht, kann das eine nur von dem anderen, d. h. das Prädikat nur vom Subjekt,
ausgesagt werden (ἔτι πᾶσα ἀπόδειξις τὶ κατὰ τινὸς δείκνυσιν, οἷον ὅτι ἔστιν ἢ οὐκ
ἔστιν – APo. B3, 90b33–34). Anders formuliert: In der Definition bzw. Aussage der
zukommenden Kategorie muss ein Zugrundeliegendes als Subjekt hinzugefügt
werden ([. . .] quod in definitione accidentis ponatur subiectum – Thomas Sententia
Metaphysicae lib.7 l.3 n.15 [82886]).298 Durch die Hinzufügung eines Subjektes (ἐκ
προσθέσεως)299 kommt die Eigenschaft, sei sie akzidentell oder wesentlich, zum
Ausdruck. Dem Akzidenz wird das äußere Subjekt hinzugefügt und der Eigentüm-
lichkeit das innere Subjekt. Das Subjekt des Akzidenz ist insofern äußerlich und
zufällig, als dasselbe Akzidenz, das Weiße, von mehreren Subjekten, z. B. von der
Fläche oder von dem Menschen, ausgesagt werden kann (Metaph. Z4, 1029b16–19,
1029b32–33). Dagegen ist die Eigentümlichkeit auf ein inneres und notwendiges

297 Im Allgemeinen kann man folgendermaßen formulieren: Befindet sich das eine in dem
anderen (τόδε ἐν τῷδε – Metaph. Z5, 1030b18), muss jenes von diesem ausgesagt werden
(ἄλλο κατ’ ἄλλου λέγηται – Metaph. Z4, 1030a3–6, 1030a10–11). Das gilt nicht nur für die Ei-
gentümlichkeit, die am eigenen Zugrundeliegenden per se vorhanden ist, sondern auch für
das Akzidenz. Denn die Eigenschaft, sei sie wesentlich oder akzidentell, muss dem ontologi-
schen Zugrundeliegenden inhärieren und vom logischen Zugrundeliegenden ausgesagt wer-
den. Die Vorhandenheit des einen an dem anderen (τόδε ἐν τῷδε) legt der logischen
Prädikationsstruktur ein ontologisches Fundament, damit das eine von dem anderen ausge-
sagt wird (ἄλλο κατ’ ἄλλου λέγηται).
298 Die Formulierung des Thomas ([. . .] quod in definitione accidentis ponatur subiectum –
Sententia Metaphysicae lib.7 l.3 n.15 [82886]) ist deswegen zu bevorzugen, weil nicht nur das
Akzidenz (per accidens accidentia), sondern auch die Eigentümlichkeit (per se accidentia)
darin einbezogen sind. Demzufolge muss das Subjekt in die Definition der akzidentellen oder
der wesentlichen Eigenschaft eingeführt werden, wie z. B. dass der Mensch weiß ist oder das
Ungerade Zahl ist. (1) Metaph. Z4, 1029b30–33: τὸ μὲν γὰρ τῷ αὐτὸ ἄλλῳ προσκεῖσθαι λέγεται
ὃ ὁρίζεται, οἷον εἰ τὸ λευκῷ εἶναι ὁριζόμενος λέγοι λευκοῦ ἀνθρώπου λόγον. (2) Metaph. Z5,
1031a2–5: εἰ γὰρ καὶ τῶν ἄλλων κατηγοριῶν, ἀνάγκη ἐκ προσθέσεως εἶναι, οἷον τοῦ [ποιοῦ καὶ]
περιττοῦ· οὐ γὰρ ἄνευ ἀριθμοῦ, οὐδὲ τὸ θῆλυ ἄνευ ζῴου.
299 Um die Eigenschaft auszudrücken, muss ein Subjekt hinzuzufügen sein. Außer der
πρόσθεσις (Metaph. Z4, 1029b29–30, Z5, 1030b14–16, Z5, 1031a2–5) verwendet Aristoteles noch
ein paar Synonyme, um die Hinzufügung zu bezeichnen: προσκεῖσθαι – Z4, 1029b31; πρόσεσ-
τιν – Z4, 1029b19; προστιθέντας – Z4, 1030a33.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 219

Subjekt gerichtet, z. B. dass nichts anderes als die Nase stupsig ist (Metaph. Z5,
1030b14–20). Da das Stupsige der Nase per se zukommt, muss es vom eigentüm-
lichen Subjekt ausgesagt werden. Wie das Weiße nicht ohne Hinzufügung der Flä-
che oder des Menschen ausgesagt werden kann, ist es auch unmöglich, das
Stupsige auszudrücken, ohne die Nase zu erwähnen.300
Während die zukommende Kategorie nur anhand der Hinzufügung des Zu-
grundeliegenden (προστιθέντας = μετὰ προσθήκης) zum Ausdruck kommen kann,
wird die Wesenskategorie ohne Hinzufügung determiniert (ἀφαιροῦντας = ἄνευ
προσθήκης).301 Sowohl das Akzidenz als auch die Eigentümlichkeit müssen vom

300 Metaph. Z5, 1030b30–31, K7, 1064a23–26. An manchen Stellen drückt sich Aristoteles
nicht präzise aus, wenn er das Stupsige als konkave Nase bestimmt (ἔστι γὰρ τὸ σιμὸν κοίλη
ῥίς – Metaph. E1, 1025b33; K7, 1064a26). Wenn das Stupsige mit der Nase gleichgesetzt wird
und dasselbe per se die Nase impliziert, führt das zur Verdoppelung und zur unendlichen Wie-
derholung der Nase (Metaph. Z5, 1030b28–1031a1). Um die Gleichsetzung der Eigenschaft mit
der Einzelsubstanz zu vermeiden (πάθος ≠ ὑποκείμενον), muss das Stupsige strenggenommen
als Konkavheit der Nase (wörtlich: Konkavheit in der Nase) definiert werden (ἔστι γὰρ τὸ σιμὸν
κοιλότης ἐν ῥινί – Metaph. Z5, 1030b31–32; SE 182a4–6). Darum kann das Stupsige nicht zur
Sprache gebracht werden, ohne die Nase zu erwähnen.
301 Die beiden Begriffe, προστίθημι-ἀφαιρέω oder πρόσθεσις-ἀφαίρεσις, treten paarweise auf
und bedeuten grundsätzlich Hinzufügung-Wegnahme. Anhand der Grundbedeutung dehnt sich
die begriffliche Anwendung in die verschiedenen Bereiche aus. (1) Im praktischen Bereich kommt
die Verteilungsgerechtigkeit dadurch zustande, dass demjenigen, der weniger hat, etwas hinzuge-
geben und etwas von demjenigen, der mehr oder am meisten besitzt, weggenommen wird (τούτῳ
ἄρα γνωριοῦμεν τί τε ἀφελεῖν δεῖ ἀπὸ τοῦ πλέον ἔχοντος, καὶ τί προσθεῖναι τῷ ἔλαττον ἔχοντι· ᾧ
μὲν γὰρ τὸ μέσον ὑπερέχει, τοῦτο προσθεῖναι δεῖ τῷ ἔλαττον ἔχοντι, ᾧ δ’ὑπερέχεται, ἀφελεῖν ἀπὸ
τοῦ μεγίστου – EN E4, 1132b2–6). (2) Im übertragenen Sinne sind Hinzufügung und Wegnahme in
der Veränderung verwendbar. Im Wachstum wird die Hinzufügung als quantitative Vermehrung
angesehen. In der Herstellung nimmt der Handwerker die nutzlosen Stoffe weg, damit die Her-
mes-Statue aus dem Holz hervorgebracht wird (τὰ δὲ προσθέσει, οἷον τὰ αὐξανόμενα, τὰ δ’
ἀφαιρέσει, οἷον ἐκ τοῦ λίθου ὁ Ἑρμῆς – Phys. A7, 190b6–7). (3) In der Arithmetik ist damit Folgen-
des gemeint: Durch die Wegnahme oder die Hinzufügung der kleinsten Maßeinheit ist eine be-
stimmte Zahl, z. B. Fünf, nicht mehr Fünf, sondern wird Vier oder Sechs. In ähnlicher Weise darf
der der Wesensdefinition zugehörige Bestandteil nicht weggenommen und der andere Teil, der
dazu nicht gehört, nicht hinzugefügt werden (καὶ ὥσπερ οὐδ’ ἀπ’ἀριθμοῦ ἀφαιρεθέντος τινὸς ἢ
προστεθέντος ἐξ ὧν ὁ ἀριθμός ἐστιν, οὐκέτι ὁ αὐτὸς ἀριθμός ἐστιν ἀλλ’ ἕτερος, κἂν τοὐλάχιστον
ἀφαιρεθῇ ἢ προστεθῇ, οὕτως οὐδὲ ὁ ὁρισμὸς οὐδὲ τὸ τί ἦν εἶναι οὐκέτι ἔσται ἀφαιρεθέντος τινὸς
ἢ προστεθέντος – Metaph. H3, 1043b36–1044a2). (4) Im metaphysischen Kontext (Metaph. Z4,
1030a33) weisen die beiden Begriffe auf die zwei verschiedenen Definitionsweisen hin. In die Defi-
nition des Akzidenz oder der Eigentümlichkeit muss das Zugrundeliegende eingeführt werden. In
der Definition der Wesenssubstanz wird das zugrundeliegende Einzelne nicht erwähnt, da die
Wesenssubstanz die Einzelsubstanz weder ontologisch noch logisch voraussetzt. Die Wesenssub-
stanz wird dadurch wesentlich determiniert, dass die Wesenheit von den Einzelnen abgesondert
und rein logisch betrachtet wird. Anhand der Hinzufügung ist die Eigenschaft auszudrücken und
220 2 Zweite Philosophie (Physik)

Zugrundeliegenden ausgesagt werden. Denn unabhängig davon, ob die Kate-


gorie der Substanz, äquivalent gesagt, das Prädikat dem Subjekt per accidens
oder per se zukommt, muss das Prädikat vom Subjekt prädiziert werden.
Darum muss das Zugrundeliegende als Subjekt in die Aussage einzuführen
sein, um das Akzidenz auszusagen und die Eigentümlichkeit zu demonstrie-
ren. Im Gegensatz dazu kann die Art nicht durch die Hinzufügung des Zugrun-
deliegenden definiert werden, weil sie weder dem zugrundeliegenden
Einzelding zufällig zukommt, wie das Akzidenz, noch sich in demselben
per se befindet, wie die Eigentümlichkeit (λέγω δὲ πρώτην ἣ μὴ λέγεται τῷ
ἄλλο ἐν ἄλλῳ εἶναι καὶ ὑποκειμένῳ ὡς ὕλῃ – Metaph. Z11, 1037b3–4; Metaph.
Z4, 1030a12–14; Z5, 1031a1–5). Die Art steht keineswegs in Abhängigkeit vom
zugrundeliegenden Einzelding, sondern umgekehrt hängt das gleichartige
Einzelding logisch-ontologisch von der Art ab. Wegen der Unabhängigkeit der
Art vom zugrundeliegenden Einzelding ist die menschliche Art nicht anhand
des einzelnen Menschen, sondern durch die allgemeine Gattung definitorisch
bestimmt. Die Wesensdefinition bildet sich nicht nach der Prädikationsstruk-
tur, wobei das eine von dem anderen, d. h. das zukommende Prädikat vom zu-
grundeliegenden Subjekt, ausgesagt wird,302 sondern richtet sich nach dem
Herstellungsmuster aus.
Die unterschiedlichen Ausdrucksweisen bauen auf den verschiedenen onto-
logischen Strukturen auf. Einerseits stimmt die Prädikationsstruktur von Subjekt
und Prädikat (ὄνομα-ῥῆμα) mit dem ontologischen Gefüge von Substanz und

durch die Wegnahme, die in diesem Zusammenhang die Abstraktion bedeutet, ist die Wesenssub-
stanz zu definieren. (4.1) Alexander 474.20–23: [. . .] < ἢ προστιθέντας ἢ ἀφαιροῦντας, > προσ-
τιθέντας μὲν ἐπὶ τοῦ ποσοῦ ἢ τοῦ ποιοῦ καὶ τῶν ἄλλων, τί ἦν εἶναι λέγοντας ποιῷ ἢ τί ἦν εἶναι
ποσῷ, ἀφαιροῦντας δὲ ἤτοι ἁπλῶς δὲ καὶ ἄνευ προσθήκης λέγοντας ἐπὶ τῆς οὐσίας. (4.2) Askle-
pios 387.6–9: [. . .] καὶ τὸ μὲν < προστιθέντα > περὶ τῶν συμβεβηκότων λέγει, τὸ δὲ < ἀφαιροῦντα >
περὶ τῶν οὐσιῶν, οἷον λέγεται ὁρισμὸς ποσοῦ ἢ ποιοῦ, ἐπὶ δὲ τῆς οὐσίας δεῖ ἀφαιρεῖν τὸ τῆς οὐ-
σίας ὄνομα καὶ λέγειν ὁρισμὸν τοῦ ὄντος, ἐπειδὴ κατὰ τοῦ ἁπλῶς ὄντος λέγεται ἡ οὐσία.
302 (1) APo. B3, 90b33–38: ἔτι πᾶσα ἀπόδειξις τὶ κατὰ τινὸς δείκνυσιν, οἷον ὅτι ἔστιν ἢ οὐκ
ἔστιν· ἐν δὲ τῷ ὁρισμῷ οὐδὲν ἕτερον ἑτέρου κατηγορεῖται, οἷον οὔτε τὸ ζῷον κατὰ τοῦ δίποδος
οὔτε τοῦτο κατὰ τοῦ ζῴου, οὐδὲ δὴ κατὰ τοῦ ἐπιπέδου τὸ σχῆμα· οὐ γάρ ἐστι τὸ ἐπίπεδον
σχῆμα, οὐδὲ τὸ σχῆμα ἐπίπεδον. (2) De An. Γ6, 430b26–29: ἔστι δ’ ἡ μὲν φάσις τι κατά τινος,
ὥσπερ καὶ ἡ ἀπόφασις, καὶ ἀληθὴς ἢ ψευδὴς πᾶσα· ὁ δὲ νοῦς οὐ πᾶς, ἀλλ’ ὁ τοῦ τί ἐστι κατὰ τὸ
τί ἦν εἶναι ἀληθής, καὶ οὐ τὶ κατά τινος. (3) Metaph. Z4, 1030a3–11: ὅταν δ’ ἄλλο κατ’ ἄλλου
λέγηται, οὐκ ἔστιν ὅπερ τόδε τι, οἷον ὁ λευκὸς ἄνθρωπος οὐκ ἔστιν ὅπερ τόδε τι, εἴπερ τὸ τόδε
ταῖς οὐσίαις ὑπάρχει μόνον· ὥστε τὸ τί ἦν εἶναί ἐστιν ὅσων ὁ λόγος ἐστὶν ὁρισμός. ὁρισμὸς δ’
ἐστὶν οὐκ ἂν ὄνομα λόγῳ ταὐτὸ σημαίνῃ [. . .], ἀλλ’ ἐὰν πρώτου τινὸς ᾖ· τοιαῦτα δ’ ἐστὶν ὅσα
λέγεται μὴ τῷ ἄλλο κατ’ ἄλλου λέγεσθαι.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 221

Kategorie unmittelbar überein (ὑποκείμενον-κατηγορούμενον). Andererseits


steht das Definitionsverfahren analog zum Entstehungsprozess. Wie das Einzel-
ding hergestellt wird, so lässt sich die Art gleicherweise definieren. Die Analogie
von Entstehung und Definition (γένεσις-ὁρισμός) ist darin fundiert, dass dieselbe
hylemorphistische Struktur die Entstehung/Herstellung der Einzelsubstanz und
die Definition der Wesenssubstanz durchdringt.
Wie die Definition der zukommenden Kategorie von der Definition der We-
senskategorie/Wesenssubstanz unterschieden ist, lässt sich schematisch so
darstellen (Tab. 18):

Tab. 18: Unterschied zwischen Definition der zukommenden Kategorie und Definition der
Wesenssubstanz.

ὁρισμός τῶν συμβεβηκότων ὁρισμός τῶν οὐσιῶν

Begrifflichkeit τὸ τί ἦν εἶναι τῷ ποιῷ ἢ τῷ ποσῷ τὸ τί ἦν εἶναι τῇ οὐσίᾳ


= τὸ τί ἐστι = τὸ τί ἦν εἶναι

Gegenstand ἕκαστον τῶν κατηγορουμένων οὐσία = εἶδος


ποσὸν ποιὸν καὶ ὅσα ἄλλα τοιαῦτα τόδε τι

Definitionsmethode προστιθέντας ἀφαιροῦντας


μετὰ προσθήκης ἄνευ προσθήκης

Erklärung πρόσθεσις ἀφαίρεσις


ἄλλο κατ’ ἄλλου λέγηται μὴ τῷ ἄλλο κατ’ ἄλλου λέγεσθαι
τὶ κατὰ τινὸς λέγεται οὐ τὶ κατά τινος

Analogie πρᾶγμα: κατηγορούμενον γένεσις: μορφή


ὑποκείμενον ὕλη αἰσθητή
λόγος: ῥῆμα ὁρισμός: διαφορά
ὄνομα ὕλη νοητή

Fassen wir den dreifachen Vergleich von Meinung, Demonstration und Wesens-
definition zusammen: Die unterschiedlichen Seienden führen zu den ent-
sprechenden verschiedenen Ausdrucksweisen. Wegen der sachlichen Differenz
von Akzidenz, Eigentümlichkeit und Wesenssubstanz können sie nicht auf
ein und dieselbe Weise zur Sprache gebracht werden. Das Akzidenz kann von
einem zufälligen Subjekt ausgesagt werden, z. B. dass Kallias weiß ist. Die Ei-
gentümlichkeit wird anhand des inneren Subjekts demonstriert, nämlich dass
nichts anderes als die Nase stupsig ist. Die Wesenssubstanz, z. B. die
222 2 Zweite Philosophie (Physik)

menschliche Art, ist als zweifüßiges Lebewesen bestimmt, ohne dass der zu-
grundeliegende einzelne Mensch in der Definition erwähnt würde. Während
das Akzidenz und die Eigentümlichkeit anhand der Hinzufügung des Subjekts
zum Ausdruck kommen, lässt sich die Wesenssubstanz definieren, ohne das
äußerliche oder das innerliche Subjekt einzuführen. Sie wird dadurch wesent-
lich definiert, dass sich die Gattung zunächst in die spezifische Differenz aus-
differenziert und dann mit der letzten Differenz zusammenfügt. Anhand der
Dihairese (κατὰ τὰς διαιρέσεις) ist die einheitliche Art in die Gattung und die
letzte Differenz gespalten (Einheit per se→Zweiheit). Im Vergleich zur Defini-
tion legen die Demonstration sowie die Meinung die sprachliche Komplexität
dar, die aus Subjekt und Prädikat besteht. Da die Eigentümlichkeit dem Zu-
grundeliegenden per se immanent ist, wird sie vom passenden Subjekt not-
wendig ausgesagt (Zweiheit per se→Einheit). In der Meinung, d. h. in der
akzidentellen Prädikation, werden Subjekt und Prädikat zufällig zusammen-
gesetzt (Zweiheit per accidens→Einheit).
Die klare Unterscheidung von Definition, Demonstration und Meinung
trägt zunächst dazu bei, die Prädikationstheorie, die durch die platonische
Ideenlehre begründet wird, einen großen Schritt voranzutreiben. Es ist eine
großartige Entdeckung Platons, dass das Einzelding nur durch die Prädika-
tion des allgemeinen Begriffs zum Ausdruck gebracht werden kann, der onto-
logisch als Idee bestimmt ist (εἶδος γάρ πού τι ἓν ἕκαστον εἰώθαμεν τίθεσθαι
περὶ ἕκαστα τὰ πολλά, οἷς ταὐτὸν ὄνομα ἐπιφέρομεν – Resp. 596a6–7). Sobald
der allgemeine Begriff, d. h. das Prädikat, ohne Differenzierung als Idee be-
zeichnet wird, gerät man sofort in Verlegenheit, wie Platon selbst im Dialog
Phädon (102a9–103a3) dargestellt hat.303 Die formale Satzstruktur von Subjekt
und Prädikat versteckt die inhaltliche Differenz, weil die unterschiedlichen
Prädikate mit den jeweiligen Subjekten anders kombiniert sind. An derselben
Satzstruktur haben die folgenden drei Typen von Aussagen teil: „Sokrates ist
musikalisch/hoch“, „das Feuer ist warm“ (oder „die Seele ist lebendig“), und
„Sokrates ist Mensch“. Trotz derselben Struktur von Subjekt und Prädikat ist
das, was inhaltlich zum Ausdruck kommt, vollkommen anders. Mit der ersten
Aussage ist der zufällige Sachverhalt gemeint (δόξα), insofern Sokrates un-
musikalisch oder im Vergleich zu einem größeren Menschen klein sein kann.

303 Wenn man das akzidentelle Prädikat für die Idee bzw. für die Substanz hält, führt das
zum Widerspruch. Indem Simmias größer als Sokrates und kleiner als Phädon ist, hat derselbe
Simmias gleichzeitig an der Idee des Großen und der Idee des Kleinen teil.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 223

Was anhand des Warmen und der Lebendigkeit demonstriert wird (ἀπόδειξις),
ist die Eigentümlichkeit des Feuers und der Seele. Das warme Feuer oder die
lebendige Seele gilt deswegen als Verdoppelung, weil die wesentliche Eigen-
schaft mit der Substanz notwendig verbunden ist. Mit der Aufhebung des
Warmen oder der Lebendigkeit würde das Feuer oder die Seele zugrunde gehen.
Die Wesensprädikation („Sokrates ist Mensch“) ist dadurch vor der Demonstra-
tion („das Feuer ist warm“) ausgezeichnet, dass das Wesensprädikat nicht mehr
die wesentliche Eigenschaft, sondern die wesentliche Substanz. Während das
Warme als Eigenschaft dem Feuer eigentümlich zukommt, ist der Mensch nicht
nur das Wesensprädikat, sondern auch und vor allem die Wesenssubstanz, und
zwar wegen der ontologischen Produktivität. Die Wesensdefinition („Der Mensch
ist vernünftiges Lebewesen“) gehört zwar formal zur logischen Aussage, aber sie
entzieht sich der allgemeinen Prädikationsstruktur.
Indem Aristoteles Meinung, Demonstration und Wesensdefinition vonei-
nander klar unterscheidet, kommt nicht nur die Prädikationstheorie, die von
Platon begründet wird, sondern auch die Wissenschaftstheorie, die zur eige-
nen Leistung des Aristoteles gehört, voran. Die Theorie der Übereinstim-
mungswahrheit gründet in der Meinung, die den zufälligen Sachverhalt zur
Sprache bringt. Die sachliche Veränderlichkeit, wobei es sich anders verhal-
ten kann, und die logische Affirmation-Negation machen die ontologische
Zweiwertigkeit von Wahrheit und Falschheit möglich. Die Meinung drückt
etwas Wahres aus, wenn sie dem Sachverhalt entspricht, oder etwas Fal-
sches, wenn sie dem Sachverhalt entgegensteht. Mithilfe der Demonstration
werden die Einzelwissenschaften einheitlich begründet. Nach dem Para-
digma nämlich, dass die Eigentümlichkeit aus dem Zugrundeliegenden auf
notwendige Weise folgt, wird in einzelnen wissenschaftlichen Bereichen
die Konklusion aus dem Axiom notwendigerweise abgeleitet (APo. A10,
76b11–16). In jeder Einzelwissenschaft wird die jeweilige Eigentümlichkeit
der zugrundeliegenden Gattung syllogistisch demonstriert. Im Vergleich zur
apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaft sucht die Metaphysik als
Prinzipienlehre nicht nach der Konklusion/Folge, sondern nach der Prämisse
bzw. dem Prinzip. In der Suche nach den definitorischen Prinzipien der We-
senssubstanz gelangt die metaphysische Untersuchung nicht rückwärts zur
materialen Einzelsubstanz, sondern vorwärts zur intelligiblen Substanz.
Denn nichts anderes als der Geist kann die Wesenssubstanz auf die dihaireti-
sche Art und Weise allgemein gültig definieren.
Epistemologisch gesehen ist der Sachverhalt, den die Meinung äußert,
sinnlich wahrnehmbar. Aber die Aussage zu bilden, wobei das Subjekt mit
dem Prädikat kombiniert ist, kann nur durch das diskursive Denken vollzogen
224 2 Zweite Philosophie (Physik)

werden (διάνοια).304 Nicht nur die zufällige Zusammensetzung von Subjekt


und Prädikat, sondern auch der notwendige Syllogismus muss vom dianoeti-
schen Denken durchgeführt werden (διάνοια). Dagegen vollzieht sich das di-
hairetische Definitionsverfahren anhand des noetischen Denkens (νόησις).
Wir bringen den dreifachen Vergleich von Meinung, Demonstration und
Wesensdefinition zu Ende, indem wir uns das vollständige Schema vor Augen
führen (Tab. 19):

Tab. 19: Unterschied von Meinung, Demonstration und Wesensdefinition.

δόξα ἀπόδειξις ὁρισμός

Definitions- συμβεβηκός συμβεβηκός/πάθος οὐσία καθ’ αὑτό


gegenstand κατὰ συμβεβηκότα καθ’ αὑτήν

Beispiel πρᾶγμα: λευκός σιμόν: κοιλότης ἄνθρωπος: δίπουν


Καλλίας ῥίς ζῷον

Definitions- ἐκ προσθέσεως ἐκ προσθέσεως: ἄνευ προσθήκης


methode συνδεδυασμένον/
συνδυαζομένον

Struktur κατηγορούμενον κατηγορούμενον εἶδος: διαφορά


ὑποκείμενον ὑποκείμενον γένος

Zweiheit per accidens Zweiheit per se Einheit per se


→Einheit →Einheit →Zweiheit

Wissenschaftliche συμπλοκή συλλογισμός διαίρεσις


Methode

Erkenntnisvermögen αἴσθησις, διάνοια διάνοια νόησις

Entsprechende Korrespondenztheorie Physik, Mathematik Metaphysik


Wissenschaft der Wahrheit

304 Metaph. Γ5, 1009a22–25. Man sieht zwar, dass Sokrates sitzt. Aber nicht die Wahrneh-
mung, sondern das diskursive Denken ist imstande, das Subjekt und das Prädikat miteinander
zu verbinden oder voneinander zu trennen.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 225

2.2.3.2 Entstehung-Definition (γένεσις-ὁρισμός)


Während das Akzidenz in der Meinung geäußert und die Eigentümlichkeit de-
monstriert wird, kann nichts anderes als die Wesenssubstanz bzw. die Art we-
sentlich definiert werden (τοῦ γὰρ καθόλου καὶ τοῦ εἴδους ὁ ὁρισμός – Metaph.
Z11, 1036a28–29).305 Das konkrete Einzelding ist per se undefinierbar, durch die
Vermittlung der Art aber kann die Wesensdefinition auf das gleichartige Einzel-
ding zutreffen. Ist der Mensch als vernünftiges Lebewesen bestimmt, gilt die
Wesensdefinition der menschlichen Art für alle einzelnen Menschen.306 Auf-
grund dessen bezeichnet die Wesensdefinition unmittelbar die Wesenssubstanz
und mittelbar die zugehörige Einzelsubstanz (καὶ γὰρ τὸ τί ἐστιν ἕνα μὲν τρό-
πον σημαίνει τὴν οὐσίαν καὶ τὸ τόδε τι – Metaph. Z4, 1030a18–19).
Wie gesagt kann die Wesensdefinition nicht anhand der logischen Aus-
drucksweise erörtert werden, weil ihr keine Prädikationsstruktur innewohnt,
die der Meinung und der Demonstration zugeschrieben ist. Jede Aussage bildet
einen sprachlichen Komplex, der aus mehreren Teilen besteht (Metaph. Z10,
1034b20; Int. 5, 17a20–22). Da die Wesensdefinition als Wesensaussage der Sub-
stanz zur Aussage gehört, hat sie auch Teile (ὁρισμός = λόγος τῆς οὐσίας = μέρη
ἔχει). Indem die Definition als logischer Komplex angesehen wird, wendet sich
Aristoteles dem Vergleich des logischen Kompositums mit dem ontologischen
Kompositum zu.

305 Weder Eigentümlichkeit oder Akzidenz (APo. B3, 90b14–17; Metaph. Z4, 1030a11–14) noch
Einzelsubstanz (Metaph. Z15), sondern nur Wesenssubstanz (τοῦ γὰρ καθόλου καὶ τοῦ εἴδους ὁ
ὁρισμός – Metaph. Z11, 1036a28–29; ὁρισμὸς μὲν γὰρ τοῦ τί ἐστι καὶ οὐσίας – APo. B3, 90b30–31;
Sic ergo patet quod quod quid erat esse non erit alicuius, quod non sit de numero specierum
alicuius generis, sed solum his, idest solum speciebus. Species enim sola definitur, cum omnis
definitio sit ex genere et differentiis. Illud autem, quod sub genere continetur et differentiis con-
stituitur est species; et ideo solius speciei est definitio – Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.3
n.22 [82893]) kann wesentlich definiert werden. In Z15 der Metaphysik erbringt Aristoteles den
Beweis dafür, dass die Einzelheit in allen Formen undefinierbar ist. Sowohl das zusammenge-
setzte Einzelding (1039b20–1040a7), als auch die unvergängliche Idee (1040a8–27), weiter noch
der Himmelskörper (1040a27–1040b2) können nicht per se wesentlich definiert werden. Im
Grunde genommen ist die Undefinierbarkeit des Einzelnen darauf zurückzuführen, dass die Ver-
änderlichkeit des Einzelnen der unveränderlichen Notwendigkeit der Wesenheit und die Indivi-
dualität des Einzelnen der Allgemeinheit des Logos entgegenstehen. Vgl. (1) Metaph. Z15,
1040a34–1040b1: κοινὸς ἄρα ὁ λόγος. (2) APo. B13, 97b26: αἰεὶ δ’ ἐστὶ πᾶς ὅρος καθόλου. (3) APo.
B13, 97b28–29: ῥᾷόν τε τὸ καθ’ ἕκαστον ὁρίσασθαι ἢ τὸ καθόλου, διὸ δεῖ ἀπὸ τῶν καθ’ ἕκαστα
ἐπὶ τὰ καθόλου μεταβαίνειν.
306 Asklepios 382.8–11: οὐδὲ τῶν καθ’ ἕκαστα ὑπάρχουσιν οἱ ὁρισμοί, ἐπειδὴ οὐ πρώτως
θέλουσιν ὑπάρχειν τῷ ὁριστῷ τὰ ἐν τῷ ὁρισμῷ, οἷον Σωκράτει τὸ λογικὸν καὶ τὸ ζῷον, ἀλλὰ
διὰ μέσου τοῦ ἀνθρώπου· ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων τῶν καθ’ ἕκαστα.
226 2 Zweite Philosophie (Physik)

Ἐπεὶ δὲ ὁ ὁρισμὸς λόγος ἐστί, πᾶς δὲ λόγος μέρη ἔχει, ὡς δὲ ὁ λόγος πρὸς τὸ πρᾶγμα,
καὶ τὸ μέρος τοῦ λόγου πρὸς τὸ μέρος τοῦ πράγματος ὁμοίως ἔχει [. . .]. – Metaph. Z10,
1034b20–22

Wie sich die Aussage zur Sache verhält, so verhält sich der Teil der Aussage
zum Teil der Sache. Beim akzidentellen Sachverhalt steht die Akzidenzprädika-
tion zum Sachverhalt dadurch analog (δόξα-πρᾶγμα/σύνθετον), dass das logi-
sche Subjekt mit dem ontologischen Zugrundeliegenden und das zukommende
Prädikat mit der zukommenden Eigenschaft strukturell übereinstimmen. Bei
der wesentlichen Tatsache wird die Wesensdefinition mit dem Einzelding ver-
glichen (ὁρισμός-τόδε τι/σύνολον). Da das aus Form und Stoff zusammenge-
setzte Einzelding sinnlich wahrgenommen werden kann, wird es das sensible
Kompositum genannt (σύνολον αἰσθητόν). Analog dazu gibt es das intelligible
Kompositum (σύνολον νοητόν), das zwar nicht wahrnehmbar, aber denkbar ist.
So kommt die Wesensdefinition zur Entfaltung, und zwar vor dem Hintergrund
des Vergleichs zwischen dem sensiblen und dem intelligiblen Kompositum.
Das Kompositum ist ins Sensible und Intelligible entzweit (compositum sensi-
bilis-compositum intelligibilis – Metaph. Z10, 1036a2–5). Auf der einen Seite ist das
sensible Kompositum entweder technisch oder natürlich entstanden, je nach den
verschiedenen Wirkursachen (compositum sensibilis artificialis-compositum sensi-
bilis naturalis). Auf der anderen Seite ist das intelligible Kompositum entweder
mathematisch oder definitorisch konzipiert, und zwar wegen der sachlichen Diffe-
renz zwischen der einzelnen mathematischen Entität und der allgemeinen Defini-
tion (compositum intelligibilis mathematica-compositum intelligibilis definitiva).
Da das Kompositum aus der Materie entstanden ist und sich in dieselbe zer-
legen lässt (Metaph. Z10, 1035b11–12, 1035b18–22; Δ25, 1023b19–22), tritt die Ma-
terie dem Kompositum entsprechend zunächst zwiefältig in Erscheinung, und
zwar entweder als sensible oder als intelligible Materie (Metaph. Z10, 1036a9–12;
Z11, 1037a4–5). Während das Artefakt sowie das Naturseiende mit der sensiblen
Materie behaftet sind (materia sensibilis), wohnt der geometrischen Figur und
der Wesensdefinition die intelligible Materie inne (materia intelligibilis). Daraus
ergeben sich weiterhin vier Typen der Materie: die Materie des Artefaktes, die
von der technischen Gestalt trennbar ist (materia sensibilis artificialis); die Mate-
rie des Naturseienden, die mit der Naturart per se zusammengewachsen ist (ma-
teria sensibilis naturalis); die intelligible Materie der mathematischen Entität, die
den formalen Bestandteil der geometrischen Figur aufweist (materia intelligibilis
mathematica); und die intelligible Materie, die der Wesensdefinition zugrunde
liegt (materia intelligibilis definitiva). Wird die Wesensdefinition als intelligibles
Kompositum bezeichnet, muss sie die intelligible Materie haben (ἔστι γὰρ καὶ ἐν
τῷ λόγῳ ἔνια μόρια ὡς ὕλη τοῦ λόγου – Phys. B9, 200b7–8). Dazu stellt sich die
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 227

Frage, ob in der Wesensdefinition die sensible Materie oder die intelligible ma-
thematische Materie enthalten sein kann. Dadurch, dass Aristoteles das Artefakt,
das Naturseiende und die geometrische Figur schrittweise überprüft, zieht er den
Schluss, dass die intelligible Materie im definitorischen Sinne weder mit der sen-
siblen Materie noch mit der intelligiblen mathematischen Materie identifiziert
werden kann.
Zunächst kann der Stoff des Artefaktes weder Teil der Form noch Teil der
Definition sein. Denn beim Artefakt sind die technische Gestalt und der Stoff
voneinander trennbar. Demnach kann sich dieselbe kreisförmige Gestalt in ver-
schiedene Stoffe einprägen, und zwar entweder in Erz oder in Stein oder in
Holz. Der austauschbare Stoff kann nicht für die Wesenheit des Kreises gehal-
ten werden, die sich unveränderlich erhält.307
Einen Schritt weiter wird die umfassendere These, nämlich dass die sensible
Materie auf keinen Fall in die Wesensdefinition eingehen kann, stärker gemacht,
indem das Argument vom Artefakt zum Naturseienden übergeht.308 Wenngleich
die Form von der Materie nicht separiert werden kann, kann man den gleichen
Schluss ziehen. Obwohl sich die menschliche Art nur in Fleisch, Knochen und
Ähnlichem verwirklichen kann, konstituieren solche materialen Bestandteile
weder die Art noch deren Definition (Metaph. Z11, 1036a34–1036b7). Da das sen-
sible Kompositum mit der sensiblen Materie ausgestattet ist (ἔστι γάρ τις ὃς συ-
νείληπται τῇ ὕλῃ), lässt es sich in seine materialen Bestandteile zerlegen ([. . .]
διὰ γὰρ τοῦτο ἔνια μὲν ἐκ τούτων ὡς ἀρχῶν ἐστὶν εἰς ἃ φθείρονται – Metaph.
Z10, 1035a24–25).309 Die Wesensdefinition aber ist deshalb nicht auf die sensible

307 Metaph. Z11, 1036a31–34: ὅσα μὲν οὖν φαίνεται ἐπιγιγνόμενα ἐφ’ ἑτέρων τῷ εἴδει, οἷον
κύκλος ἐν χαλκῷ καὶ λίθῳ καὶ ξύλῳ, ταῦτα μὲν δῆλα εἶναι δοκεῖ ὅτι οὐδὲν τῆς τοῦ κύκλου οὐ-
σίας ὁ χαλκὸς οὐδ’ ὁ λίθος διὰ τὸ χωρίζεσθαι αὐτῶν.
308 Metaph. Z11, 1036a34–1036b3. Der argumentative Übergang vollzieht sich durch ein ge-
dankliches Experiment. Man kann sich vorstellen, dass alle Kreisförmigen aus Erz beständen.
Aber die Untrennbarkeit der Kreisform vom Erz ergibt sich nur in Gedanken und in der Tat
können die beiden voneinander separiert werden. Während die Kreisform vom Erz trennbar
ist, ist die menschliche Art vom Knochen, dem Fleisch und den anderen Teilen des Körpers
untrennbar. Indem Aristoteles die Trennbarkeit des Artefaktes und die Untrennbarkeit des Le-
bewesens hervorhebt, kritisiert er den jungen Sokrates, der meint, dass der Mensch ohne die
Bestandteile seines Körpers existieren kann wie die Kreisform ohne das Erz (Z11, 1036b24–28).
Aristoteles’ Auffassung nach ist das Lebewesen deswegen dem Artefakt nicht ähnlich (τὸ δ’
οὐχ ὅμοιον – Z11, 1036b28), weil der Mensch z. B. als wahrnehmungsfähiges Lebewesen ohne
die Sinnesorgane nichts wahrnehmen kann (αἰσθητὶκον γάρ τι τὸ ζῷον [. . .], διὸ οὐδ’ ἄνευ τῶν
μερῶν ἐχόντων πώς – Z11, 1036b28–30). Ich folge Frede und Patzig (1988: 210–211) darin, das
αἰσθητὶκον statt αἰσθητὸν an diese Stelle zu setzen.
309 Metaph. Z10, 1035a22–27. Im vorliegenden Zusammenhang bezeichnet der Terminus συ-
νειλημμένον das Kompositum, das aus Form und Stoff zusammengesetzt wird, wie z. B. der
228 2 Zweite Philosophie (Physik)

Materie reduzierbar, weil sie als logische Entität nicht mit der sensiblen Materie
kombiniert sein kann (ὅσα δὲ μὴ συνείληπται τῇ ὕλῃ ἀλλὰ ἄνευ ὕλης, ὧν οἱ λόγοι
τοῦ εἴδους μόνον, ταῦτα δ’ οὐ φθείρεται, ἢ ὅλως ἢ οὔτοι οὕτω γε – Metaph. Z10,
1035a28–31). Fleisch und Knochen sind zwar konstitutive Bestandteile des einzel-
nen Menschen, aber sie dürfen nicht in der Definition der menschlichen Art er-
wähnt werden. Denn die Wesensdefinition kommt dadurch zustande, dass die
Art nicht nur von der sensiblen Materie, sondern auch von den konkreten Einzel-
nen abstrahiert und rein logisch determiniert wird. Demzufolge können die Defi-
nitionselemente der Art nicht materiell, sondern nur formal bestimmt sein.
Daraus kann man folgern, dass die sensible Materie weder Teil der Form noch
Teil der Wesensdefinition, sondern nur Bestandteil des sensiblen Kompositums
ist (καὶ τοῦ μὲν συνόλου μέρη, τοῦ εἴδους δὲ καὶ οὗ ὁ λόγος οὐκέτι – Metaph.
Z10, 1035a17–21, 1035b31–1036a1).
Wie gezeigt wurde, kann weder die trennbare Materie des Artefaktes noch die
untrennbare Materie des Lebewesens in die Wesensdefinition eingeführt werden.
Anders formuliert: In der Definition spielt die sensible Materie keine Rolle. Danach
geht das Argument weiter voran, indem die intelligible Materie der mathemati-
schen Entität einbezogen wird. Da der mathematische Gegenstand in Gedanken
konzipiert ist, kann dessen Materie nicht sinnlich wahrgenommen, sondern nur
formal gedacht werden (ἔσται γὰρ ὕλη ἐνίων καὶ μὴ αἰσθητῶν – Metaph. Z11,
1036b34–35). Die intelligible Materie einer geometrischen Figur, z. B. eines Kreises,
kommt dadurch zustande, dass ein Kreis in seine Bestandteile, zwei Halbkreise,
geteilt ist.310 Was zergliedert wird, ist keineswegs der abstrakte Kreis, sondern der
einzelne Kreis.311 Der Halbkreis verhält sich zum ganzen Kreis ebenso, wie sich die
Hälfte des Tisches zum ganzen Tisch verhält. Der Tisch lässt sich tatsächlich in
zwei Hälften zerlegen und der Kreis ist gedanklich teilbar. Daraus folgt, dass die
intelligible Materie im mathematischen Sinne nichts anderes als der formale Be-
standteil der einzelnen konkreten geometrischen Figur ist. Der Bestandteil setzt
das Ganze ontologisch-logisch voraus, indem der Halbkreis durch die Teilung

erzene Kreis (ὅσα μὲν οὖν συνειλημμένα τὸ εἶδος καὶ ἡ ὕλη ἐστίν – Z10, 1035a25–26,
1035a31–1035b1). In manchen Fällen impliziert dasselbe Wort auch das Kompositum, das aus
Eigenschaft und Einzelsubstanz zusammengesetzt wird, z. B. das Stupsige/die konkave Nase
(ὅσα μὲν οὖν συνειλημμένα [. . .], οἷον τὸ σιμὸν ἢ ὁ χαλκοῦς κύκλος – Z10, 1035a25–26; E1,
1025b32–33) oder der weiße Sokrates (Z11, 1037b4–7).
310 Nach der aristotelischen Mathematik existiert der Halbkreis nur in der Möglichkeit und
durch die gedankliche Operation tritt der Halbkreis erst in die Wirklichkeit ein. Denn ohne den
geistigen Teilungsakt bleibt der Kreis immer als solcher. Vgl. Metaph. Z10, 1036a6–7.
311 Metaph. Z11, 1037a1–4: καὶ παντὸς γὰρ ὕλη τις ἔστιν ὃ μὴ ἔστι τί ἦν εἶναι καὶ εἶδος αὐτὸ
καθ’ αὑτὸ ἀλλὰ τόδε τι. κύκλου μὲν οὖν οὐκ ἔσται τοῦ καθόλου, τῶν δὲ καθ’ ἕκαστα ἔσται μέρη
ταῦτα, ὥσπερ εἴρηται πρότερον.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 229

eines ganzen Kreises zustande kommt und nach dem Namen des Kreises als
„Halb-Kreis“ (ἡμι-κύκλιον) benannt ist. Deshalb soll nicht der Kreis durch den
Halbkreis, sondern der Halbkreis durch den Kreis definitorisch bestimmt sein (τὸ
γὰρ ἡμικύκλιον τῷ κύκλῳ ὁρίζεται – Metaph. Z10, 1035b9–11; Z11, 1036b32–34).
Aus den oben erwähnten Gründen zieht Aristoteles konsequent einen star-
ken Schluss:

[. . .] καὶ ὅτι ἐν μὲν τῷ τῆς οὐσίας λόγῳ τὰ οὕτω μόρια ὡς ὕλη οὐκ ἐνέσται. – Metaph. Z11,
1037a24–25

In der Wesensdefinition ist weder die sensible Materie noch die intelligible Ma-
terie enthalten, aus welcher sich die mathematischen Entitäten konfigurieren.
Wegen der Formalität darf die intelligible Materie, die der Wesensdefinition zu-
grunde liegt, nach der einen Seite nicht mit der sensiblen Materie vermischt
sein (materia intelligibilis definitiva ≠ materia sensibilis). Nach der anderen Seite
ist die intelligible Materie der Wesensdefinition dadurch von der intelligiblen
Materie des mathematischen Gegenstandes unterschieden (materia intelligibilis
definitiva ≠ materia intelligibilis mathematica), dass jene als Gattung auf die All-
gemeinheit hinweist (γένος→καθόλου) und diese als formaler Bestandteil gegen
die Einzelheit gerichtet ist (ὕλη→μόρια τῆς συνόλου).
Aus den verschiedenen Typen von Materie sind die unterschiedlichen Kompo-
sita konstituiert.312 Indem das Kompositum zur Kenntnis genommen wird, kommt

312 Aus der Materie folgt notwendigerweise das Kompositum, aber nicht unbedingt das sinnlich
wahrnehmbare Kompositum. Das Wort σύνολον wird auf Lateinisch als concretum übersetzt,
das vom Verb concresco stammt. Wörtlich bedeutet concresco nichts anderes als zusammen-
wachsen, sodass concretum die Zusammensetzung von Form und Stoff impliziert. Da die hyle-
morphistische Struktur auch dem intelligiblen Seienden, z. B. der mathematischen Entität,
zugeschrieben ist, schließt das σύνολον die geometrische Figur in sich. Das Kompositum, d. h.
etwas Konkretes, ist zwar nicht unbedingt mit der Sensiblität verknüpft, hängt aber immer mit
der Individualität zusammen. Das Konkrete als bestimmtes Individuum tritt dadurch in die Wirk-
lichkeit ein, dass sich die Form an der sensiblen oder der intelligiblen Materie konkretisiert. Zu-
sammenfassend ist das Konkrete (σύνολον) mit dem Individuum (ἕκαστον) zu identifizieren, das
entweder sensibel oder intelligibel ist. Dagegen ist Ross der Meinung, dass das σύνολον weder
mit dem sinnlichen Wahrnehmbaren noch mit dem Individuum identifiziert werde (Ross 1924:
197): „τὸ σύνολον is not to be identified either with the sensible or with the individual.“ Wir
folgen aber Frede und Patzigs Widerlegung zu Ross’ Auslegung, und zwar folgendermaßen
(1988: 177): „Vermutlich hat er (Ross) recht, wenn er behauptet, man dürfe hier den konkreten
Gegenstand nicht mit dem Wahrnehmbaren identifizieren. [. . .] Unrecht dagegen dürfte Ross
haben, wenn er die Identifikation von Konkretem und Individuellem an dieser Stelle bestreitet.“
Damit stimmen wir mit Frede und Patzigs Interpretation überein, nämlich, dass man der Identi-
fikation des Konkreten mit dem Individuum zugeben sollte.
230 2 Zweite Philosophie (Physik)

das Erkenntnisvermögen ins Spiel. Das sensible Kompositum, nämlich das ein-
zelne Artefakt oder das einzelne Naturseiende, können sinnlich wahrgenommen
werden (μετὰ αἰσθήσεως γνωρίζονται). Mithilfe der Teilungsfunktion des dianoeti-
schen Denkens (μετὰ νοήσεως γνωρίζονται-ἀντὶ τοῦ διανοητοῦ τὸ νοητὸν εἰπών)
ist die Reduktion der geometrischen Figur auf ihre Bestandteile durchzuführen.313
Wie der Name besagt, hat das dianoetische Denken die Fähigkeit, die formale
Ganzheit zu spalten (διά-νοια), damit der Kreis in die Halbkreise oder die Linie in
die Linienhälften geteilt ist. Während das dianoetische Denken (διάνοια) für die
Operation der mathematischen Entitäten zuständig ist, ermöglicht das noetische
Denken (νόησις), die Substanz allgemein zu definieren. Nichts anderes als der
Geist führt die Gattung in die Definition ein und bestimmt sie als das, was der spe-
zifischen Differenz zugrunde liegt. Da die Gattung vom Geist (intellectus) gesetzt
wird, ist sie die intelligible Materie im wahrhaften Sinne.
Wie das Schema (Abb. 9) zeigt, ergeben sich insgesamt vier Typen von Kom-
posita. Während sich das technische, das natürliche und das mathematische
Kompositum auf das konkrete Einzelne beziehen (καθ’ ἕκαστον), orientiert sich
das definitorische Kompositum an der allgemeinen Bestimmung (καθόλου). Trotz
des wesentlichen Unterschieds sind das technische, das natürliche und das ma-
thematische Kompositum deswegen einbezogen, weil die hylemorphistische
Struktur des definitorischen Kompositums anhand der Analogie zu den drei an-
deren Komposita erhellt werden muss. Mit Form-Stoff, Seele-Körper und Gestalt-
Bestandteil hat die Wesensdefinition an derselben hylemorphistischen Struktur
teil, worauf wir uns im Folgenden konzentrieren.

313 Metaph. Z10, 1036a2–7. Strenggenommen ist die intelligible Materie der mathematischen
Entitäten gar keine intelligible Materie im wahrhaften Sinne, sondern nur der formale Bestand-
teil der geometrischen Figur. Präzise gesagt sollte sie nicht die intelligible Materie, sondern die
nicht sensible Materie genannt werden. Denn es ist offenkundig keine geistige Tätigkeit, einen
Kreis zu teilen. Während Alexander den Teilungsakt dem dianoetischen Denken zuschreibt,
meint Thomas, dass nicht das dianoetische/diskursive Denken, sondern die Einbildungskraft
dafür zuständig ist (Dicuntur autem intelligibilia, huiusmodi singularia, secundum quod absque
sensu comprehenduntur per solam phantasiam, quae quandoque intellectus vocatur secundum
illud in tertio de anima: intellectus passivus corruptibilis est – Sententia Metaphysicae lib.7 l.10
n.13 [83065]). Wir bevorzugen Alexanders Interpretationsvorschlag, und zwar aus folgenden
Gründen: Nach Alexanders Interpretation setzt Aristoteles die platonische Tradition fort, näm-
lich, dass die mathematischen Gegenstände durch das dianoetische Denken (dianoia) erkannt
werden müssen. Da die geometrische Figur mit Bildern zusammenhängt, ist es auch nachvoll-
ziehbar, dass Thomas auf die Einbildungskraft (phantasia) Bezug nimmt. Aber Aristoteles’ Ein-
sicht nach baut die Phantasie auf der Wahrnehmung auf (De An. Γ3, 427b14–16) und sie kann
falsche Vorstellungen produzieren (De An. Γ3, 428a11–12). Da sich die geometrische Figur so-
wohl von der Wahrnehmung als auch von der Täuschungsmöglichkeit fernhält, kann man nicht
durch die Phantasie die mathematischen Gegenstände erkennen.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 231

Abb. 9: Vier Typen von Komposita.

Durch die Übernahme der platonischen Tradition ist Aristoteles der Mei-
nung, dass die Wesenssubstanz anhand der Dihairese definiert werden soll
(ὁρισμός κατὰ τὰς διαιρέσεις – Metaph. Z12, 1037b27–29). Das dihairetische De-
finitionsverfahren ist nichts anderes als der begriffliche Einteilungsprozess. Er
erfolgt dadurch, dass mehrere verschiedene Differenzen eingeführt werden. Die
Differenzen, die zum Einteilungskriterium genommen werden,314 treten in jeder
Einteilungsstufe nicht nur paarweise auf, sondern auch und besonders in Form
des konträren Gegensatzes (αἱ γὰρ διαφοραὶ ἐναντίαι αἷς διαφέρει τὸ γένος –
Metaph. Z12, 1037b20–21).315 Denn kraft des streng konträren Gegensatzes kann

314 Frede und Patzig (1988: 238): „Es ist richtig, dass auch nach aristotelischem Sprachgebrauch
die differentia zunächst das ist, wodurch sich Gattungen oder Teile einer Gattung unterscheiden,
was als das Kriterium einer Einteilung auftritt, und nicht das, was Ergebnis der Teilung ist.“
315 APo. B13, 97a19–22; PA A3, 642b21–24, 643a31–33; Metaph. Z12, 1037b20–21; Thomas Sen-
tentia Metaphysicae lib.7 l.12 n.2 [83109]: „Genus vero non videtur participare differentiis. Se-
queretur enim quod idem participaret simul contrariis. Differentiae enim sunt contrariae
quibus genus differt, idest per quas genus dividitur; [. . .].“
232 2 Zweite Philosophie (Physik)

die Gattung in die erste Differenz, und die erste Differenz in die zweite Differenz
vollständig ausdifferenziert werden. Um dies mit einem Beispiel zu erläutern:
Die Gattung Lebewesen differenziert sich zuerst ins Zweifüßige und Nichtzwei-
füßige (ζῷον→δίπουν καὶ μὴ δίπουν) aus. Dann ist das Zweifüßige ins Beflügelte
und Unbeflügelte (δίπουν→πτερωτὸν καὶ ἄπτερον) geteilt.316 Die dihairetische
Zweiteilung soll fortgesetzt werden, bis das Trennbare zum Untrennbaren ge-
langt (διαιρετός εἰς ἀδιαίρετα – Metaph. Z12, 1038a15–16; H3, 1043b35). Denn

316 Metaph. Z12, 1037b30–33. Um die dihairetische Methode paradigmatisch darzustellen, führt
Aristoteles eine vorläufige Definition ein, nämlich, dass der Mensch als zweifüßiges unbeflügeltes
Lebewesen bestimmt sei. Nachher (Z12, 1038a9–15) korrigiert er diese Definition, und zwar anhand
der folgenden methodischen Reflexion: In der ersten Einteilungsstufe ist die Gattung in die ersten
Differenzen ausdifferenziert. In der zweiten Einteilungsstufe soll nicht die Gattung, sondern die
erste Differenz in die zweite Differenz geteilt werden (ἀλλὰ μὴν καὶ δεῖ γε διαιρεῖσθαι τῇ τῆς
διαφορᾶς διαφορᾷ – Z12, 1038a9–10; Dicit ergo primo, quod in definitionibus in quibus sunt mul-
tae differentiae, opertet non solum dividi genus in differentiam, sed etiam dividi differentiam pri-
mam in differentiam secundam – Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.12 n.15 [83122]). Im oben
erwähnten Beispiel vollzieht sich die Dihairese insofern nicht richtig, als Beflügeltes-Unbeflügeltes
nicht die spezifischen Differenzen des Befußten, sondern die des Lebewesens sind. (1) Metaph.
Z12, 1038a12–13: ὥστ’ οὐ λεκτέον τοῦ ὑπόποδος τὸ μὲν πτερωτὸν τὸ δὲ ἄπτερον. (2) Alexander
521.19–22: οἷον εἰ τὸ ζῷον διαιρεῖται εἰς ὑπόπουν καὶ ἄπουν, τὸ ζῷον ὑπόπουν δεῖ διαιρεῖν εἰς τὴν
οἰκείαν διαφοράν, ᾗ ὑπόπουν ἐστί, καὶ μὴ λέγειν ὡς τοῦ ὑπόποδος τὸ μὲν πτερωτόν ἐστι τὸ δὲ
ἄπτερον, εἰ μέλλομεν καλῶς διαιρεῖν· οὐ γάρ εἰσι τοῦ ὑπόποδος αὗται διαφοραί. (3) Asklepios 426.
20–26: Φησὶν ὅτι μετὰ τὴν πρώτην διαίρεσιν τοῦ γένους δεῖ ἡμᾶς τὴν διαφορὰν διαιρεῖν, καθάπερ
ἐν τῇ θεωρίᾳ εἰρήκαμεν· < οἷον ζῴου διαφορὰ ὑπάρχει τὸ ὑπόπουν, πάλιν τοῦ ζῴου τοῦ ὑπόποδος
δεῖ ἡμᾶς τὴν διαφορὰν εἰδέναι, καθὸ ὑπόπουν >, τουτέστιν αὐτὸ τὸ ὑπόπουν διαιρεῖν. ὥστε οὐ δεῖ
ἡμᾶς λέγειν < ὅτι τοῦ ὑπόποδος τὸ μέν ἐστι πτερωτόν, τὸ δὲ ἄπτερον >· διαφοραὶ γὰρ αὗται ζῴου
ὑπάρχουσιν, οὐ τοῦ ὑπόποδος· ἀγνοοῦντες οὖν καὶ ἀδυνατοῦντες ποιοῦσι τοῦτο. Auf die richtige
Art und Weise ist das Lebewesen zunächst ins Befußte und Unbefußte einzuteilen (ζῷον→ὑπό-
πουν καὶ ἄπουν) und dann soll sich das Befußte ins Gespaltene und Ungespaltene zerlegen lassen
(ὑπόπουν→σχιζόπουν καὶ ἄσχιστον). Denn nichts anderes als Gespaltenes-Ungespaltenes sind die
spezifischen Differenzen des Befußten (ἀλλ’ ἢ τὸ μὲν σχιζόπουν τὸ δ’ ἄσχιστον αὗται γὰρ διαφοραὶ
ποδός ἡ γὰρ σχιζοποδία ποδότης τις – Z12, 1038a14–15). Erwähnenswert ist noch, dass der Mensch
als befußtes unbeflügeltes Lebewesen bezeichnet wird, und zwar nicht anhand der Dihairese, son-
dern anhand des Chiasmus. Dadurch dass sich Befußtes-Unbefußtes und Beflügeltes-Unbeflügel-
tes miteinander überkreuzen, ist das Lebewesen chiastisch zu klassifizieren.

Befußtes Unbefußtes

Beflügeltes Vogel

Unbeflügeltes Mensch Fisch

Daraus ergeben sich drei Typen von Lebewesen: der befußte und beflügelte Vogel, der befußte
und unbeflügelte Mensch, der unbefußte und unbeflügelte Fisch.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 233

weder ist die Gattung unendlich teilbar, noch ist die Definition unbegrenzt (οὐ
γὰρ ἄπειροι οἱ λόγοι – Metaph. H3, 1043b35–36). Das Untrennbare ist die letzte
Differenz (τελευταία διαφορὰ), die die Wesenheit der Sache ausspricht (Metaph.
Z12, 1038a18–20, 1038a23–26). Der Mensch ist als zweifüßiges und unbeflügeltes
Lebewesen bestimmt (ζῷον δίπουν ἄπτερον), indem mehrere Differenzen der ver-
schiedenen Einteilungsstufen zusammengefasst werden.317 Oder man kann an-
hand einer spezifischen Differenz den Menschen als zweifüßiges Lebewesen
definieren (ζῷον δίπουν). Grundsätzlich gibt es keinen Unterschied, ob die We-
senssubstanz durch mehr oder weniger Differenzen definiert wird. Von großer
Bedeutung ist hingegen, dass die Definition aus mindestens zwei Elementen be-
stehen muss, nämlich der Gattung und der letzten/spezifischen Differenz. In der
oben erwähnten Definition des Menschen gilt das Lebewesen als Gattung und
das Zweifüßige als spezifische Differenz.318
Anhand der differentia specifica et genus die Wesenssubstanz zu defi-
nieren ist keine Erfindung des Aristoteles. Im Dialog Sophistes hat Platon
die dihairetische Methode paradigmatisch dargestellt. Was Aristoteles theo-
retisch beiträgt, ist die Entdeckung der hylemorphistischen Struktur der
Wesensdefinition.

ὥστ' οὐσίας ἔστι μὲν ἧς ἐνδέχεται εἶναι ὅρον καὶ λόγον, οἷον τῆς συνθέτου, ἐάν τε αἰσθητὴ
ἐάν τε νοητὴ ᾖ· ἐξ ὧν δ' αὕτη πρώτων, οὐκέτι, εἴπερ τὶ κατὰ τινὸς σημαίνει ὁ λόγος ὁ
ὁριστικὸς καὶ δεῖ τὸ μὲν ὥσπερ ὕλην εἶναι τὸ δὲ ὡς μορφήν. – Metaph. H3, 1043b28–32

Der Stoff und die Form werden zusammengesetzt, um das konkrete Einzelding
hervorzubringen. Die Gattung und die spezifische Differenz fügen sich zusam-
men, um die Wesenssubstanz allgemein zu definieren. Obwohl die Entste-
hung des Einzeldings offensichtlich etwas anderes ist als die Definition der

317 Metaph. Z12, 1037b30–1038a1. Um die Mehrheit der Differenz anzuzeigen, redet Aristote-
les beispielsweise davon, dass der Mensch das befußte, zweifüßige und unbeflügelte Lebe-
wesen ist (εἰ δὲ καὶ μετέχει, ὁ αὐτὸς λόγος, εἴπερ εἰσὶν αἱ διαφοραὶ πλείους, οἷον πεζὸν
δίπουν ἄπτερον – Z12, 1037b21–22). Aristoteles’ Meinung nach decken sich das Befußte und
das Zweifüßige miteinander, sodass eines davon ausreicht, um den Menschen zu bestimmen
(Z12, 1038a20–23, 1038a30–33).
318 (1) Metaph. Z12, 1038a1–4: ὅλως δ’ οὐδὲν διαφέρει διὰ πολλῶν ἢ δι’ ὀλίγων λέγεσθαι, ὥστ’
οὐδὲ δι’ ὀλίγων ἢ διὰ δυοῖν· τοῖν δυοῖν δὲ τὸ μὲν διαφορὰ τὸ δὲ γένος, οἷον τοῦ ζῷον δίπουν τὸ
μὲν ζῷον γένος διαφορὰ δὲ θάτερον. (2) Metaph. Z12, 1037b29–30: οὐδὲν γὰρ ἕτερόν ἐστιν ἐν
τῷ ὁρισμῷ πλὴν τὸ πρῶτον λεγόμενον γένος καὶ αἱ διαφοραί. (3) Top. A8, 103b14–16: καὶ εἰ μὲν
τῶν ἐν τῷ ὁρισμῷ λεγομένων, γένος ἢ διαφορὰ ἂν εἴη, ἐπειδὴ ὁ ὁρισμὸς ἐκ γένους καὶ διαφο-
ρῶν ἐστιν. (4) Top. Z4, 141b25–27: [. . .] εἴπερ δεῖ μὲν διὰ τοῦ γένους καὶ τῶν διαφορῶν ὁρί-
ζεσθαι τὸν καλῶς ὁριζόμενον [. . .].
234 2 Zweite Philosophie (Physik)

Wesenssubstanz, stimmen beide miteinander strukturell überein. Die Defini-


tion der Wesenssubstanz verhält sich zur Entstehung der Einzelsubstanz
dadurch analog, dass die Wesensdefinition als intelligibles Kompositum an-
gesehen wird und nach dem Gefüge des sensiblen Kompositums strukturiert
ist. Die Analogie der Definition zur Entstehung besteht darin, dass sich das
Paar Gattung-Differenz zum Paar Stoff-Form analog verhält (quod genus et dif-
ferentia propotionantur materiae et formae – Thomas Sententia Metaphysicae
lib.8 l.2 n.7 [83268]).319 Wie sich die sensible Materie zur Form verhält, so ver-
hält sich die intelligible Materie zur spezifischen Differenz.

319 (1) Außer der zitierten Stelle gibt es noch folgende Textstellen, wo Aristoteles von dieser
Analogie redet. (1.1) Metaph. Z12, 1038a5–9: εἰ οὖν τὸ γένος ἁπλῶς μὴ ἔστι παρὰ τὰ ὡς γένους
εἴδη, ἢ εἰ ἔστι μὲν ὡς ὕλη δ’ ἐστίν (ἡ μὲν γὰρ φωνὴ γένος καὶ ὕλη), αἱ δὲ διαφοραὶ τὰ εἴδη καὶ
τὰ στοιχεῖα ἐκ ταύτης ποιοῦσιν, φανερὸν ὅτι ὁ ὁρισμός ἐστιν ὁ ἐκ τῶν διαφορῶν λόγος. (1.2)
Metaph. H2, 1043a2–7: φανερὸν δὴ ἐκ τούτων ὅτι εἴπερ ἡ οὐσία αἰτία τοῦ εἶναι ἕκαστον, ὅτι ἐν
τούτοις ζητητέον τί τὸ αἴτιον τοῦ εἶναι τούτων ἕκαστον. οὐσία μὲν οὖν οὐδὲν τούτων οὐδὲ
συνδυαζόμενον, ὅμως δὲ τὸ ἀνάλογον ἐν ἑκάστῳ· καὶ ὡς ἐν ταῖς οὐσίαις τὸ τῆς ὕλης κατηγο-
ρούμενον αὐτὴ ἡ ἐνέργεια, καὶ ἐν τοῖς ἄλλοις ὁρισμοῖς μάλιστα. (1.3) Metaph. H2, 1043a14–22:
διὸ τῶν ὁριζομένων οἱ μὲν λέγοντες τί ἐστιν οἰκία, ὅτι λίθοι πλίνθοι ξύλα, τὴν δυνάμει οἰκίαν
λέγουσιν, ὕλη γὰρ ταῦτα· οἱ δὲ ἀγγεῖον σκεπαστικὸν χρημάτων καὶ σωμάτων ἤ τι ἄλλο τοιοῦ-
τον προτιθέντες, τὴν ἐνέργειαν λέγουσιν· οἱ δ’ ἄμφω ταῦτα συντιθέντες τὴν τρίτην καὶ τὴν ἐκ
τούτων οὐσίαν. ἔοικε γὰρ ὁ μὲν διὰ τῶν διαφορῶν λόγος τοῦ εἴδους καὶ τῆς ἐνεργείας εἶναι, ὁ
δ’ ἐκ τῶν ἐνυπαρχόντων τῆς ὕλης μᾶλλον· ὁμοίως δὲ καὶ οἵους Ἀρχύτας ἀπεδέχετο ὅρους· τοῦ
συνάμφω γάρ εἰσιν. (1.4) Metaph. H6, 1045a33–35: ἔστι δὲ τῆς ὕλης ἡ μὲν νοητὴ ἡ δ’ αἰσθητή,
καὶ ἀεὶ τοῦ λόγου τὸ μὲν ὕλη τὸ δὲ ἐνέργειά ἐστιν, οἷον ὁ κύκλος σχῆμα ἐπίπεδον. (2) Alexan-
der (2.1) 519.19–35 (zu Z12, 1037b24–27): ἴσμεν γὰρ ὡς οὐδεὶς εὖ ἔχων ζητήσειε διὰ τί ἕν ἐστιν ὅ
τε χαλκὸς καὶ ἡ περὶ αὐτὸν σφαῖρα· ἡ γὰρ ἐν τῷ χαλκῷ σφαῖρα οὐδὲν ἄλλο ἐστὶν ἀλλ’ ἢ στρογ-
γύλος χαλκός, καὶ ἔστιν ὁ μὲν χαλκὸς ὡς ὕλη, τὸ δὲ στρογγύλον ὡς εἶδος, πέφυκε δὲ τὸ εἶδος
καὶ ἡ ὕλη ἓν εἶναι μηδενὸς συνεχίζοντος αὐτά· τοῦτο γάρ ἐστι τῇ ὕλῃ τὸ ὕλῃ εἶναι καὶ τῷ εἴδει
τὸ εἴδει, ἵνα ὅταν ᾖ ἡ ὕλη καὶ τὸ εἶδος, ὃ πέφυκε δέχεσθαι, εὐθὺς ἑνοῦσθαί τε ᾖ καὶ ἓν εἶναι. ὡς
οὖν ἐπὶ τούτων ἔχει, οὕτω καὶ ἐπὶ τῶν φυσικῶν, λέγω δὴ γένους καὶ διαφορῶν· εἴρηκε γὰρ ἐν
τῇ Ἀποδεικτικῇ, εἴ τι μέμνημαι, ὅτι πᾶσαι αἱ πρὸ τῆς τελευταίας διαφορᾶς διαφοραὶ μετὰ τοῦ
γένους ὕλῃ ἀναλογοῦσιν, εἶδος δέ ἐστιν ἡ τελευταία διαφορά, οἷον τὸ ζῷον λογικὸν ὕλη ἐστὶ
τοῦ ἀνθρωπείου εἴδους, ὁμοίως καὶ τὸ ζῷον λογικὸν θνητόν, τὸ δὲ νοῦ καὶ ἐπιστήμης δεκτικὸν
τὸ εἶδος· ὥστε ἐπειδὴ τὸ ζῷον λογικὸν θνητὸν ὕλη ἐστί, τὸ δὲ νοῦ καὶ ἐπιστήμης δεκτικὸν
εἶδος, πέφυκε δὲ τὸ εἶδος καὶ ἡ ὕλη ἓν εἶναι, διὰ τοῦτο ταῦτα ἕν εἰσιν. ὅτι δὲ ἡ τελευταία
διαφορά ἐστι τὸ εἶδος, τὰ δὲ πρὸ αὐτῆς ὕλη, καὶ αὐτὸς μετ’ ὀλίγον ἐρεῖ. παραπλησίως δὲ τού-
τοις καὶ τὸ μὲν ζῷον πεζὸν ὕλη ἐστί, τὸ δὲ δίπουν εἶδος. (2.2) 562.13–17 (zu H6, 1045a33–35):
ἀλλ’ εἰ καὶ ἡ ἐνέργεια τῆς ὕλης τὸ τί ἦν εἶναί ἐστιν, οὐ χρὴ λανθάνειν ὅτι τῶν ὑλῶν ἡ μέν ἐστι
νοητὴ ἡ δὲ αἰσθητή· ἐπειδὴ γὰρ καὶ τὰ γένη ὕλῃ ἀναλογεῖ, τὸ μὲν ζῷόν ἐστι νοητὴ ὕλη καὶ ὕλη
τοῦ εἴδους, αἱ δὲ σάρκες καὶ τὰ ὀστᾶ αἰσθητή· καὶ πάλιν τὸ μὲν σχῆμα νοητή, ὁ δὲ χαλκὸς
αἰσθητή. (3) Asklepios 424.18–37 (zu Z12, 1038a5–9): οὕτως ἐγκαλέσας τοῖς Πλατωνικοῖς
ἀμεθόδως διαιροῦσιν ἐντεῦθεν ἐπιλύεται τὴν περὶ τῶν ὁρισμῶν ἀπορίαν, καί φησιν ὅτι ὥσπερ
ἡ φωνὴ ὕλη ἐστὶ τῶν στοιχείων καὶ τοῦ βαρέος φθόγγου καὶ τοῦ ὀξέος καὶ τῆς σημαντικῆς καὶ
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 235

τῆς ἀσήμου, καὶ ἕν τι ἀποτελεῖ *** εἴδους (οὔτε γὰρ δυνατὸν λέγειν τὴν ἄνθρωπος φωνὴν δύο
εἶναι· ἓν γὰρ τί ἐστι τὸ ὅλον τοῦτο φωνὴ σημαντική), οὕτως δέ φημι καὶ ἐπὶ τῶν ὁρισμῶν, ὅτι
τὰ γένη τὰ παραλαμβανόμενα ἀεὶ εἰς τὸν ὁρισμὸν ὕλῃ ἀναλογοῦσιν, ἡ δὲ τελευταία διαφορὰ
εἴδει. ὥσπερ οὖν τὸ εἶδος προσελθὸν τῇ ὕλῃ ἕν τι ποιεῖ πρᾶγμα καὶ οὐ δυνατόν ἐστι διαμερίζειν
τὸ εἶδος τοῦ Σωκράτους τῆς ὕλης αὐτοῦ, ἀλλὰ τὸ συναμφότερον ἕν τι ὑπάρχει, οὕτως φημὶ καὶ
ἐπὶ τῶν ὁρισμῶν, ὅτι πᾶσαι αἱ διαφοραὶ πρὸ τῆς τελευταίας διαφορᾶς ὕλῃ ἀναλογοῦσιν, οἷον
τὸ ζῷον, τὸ λογικόν, τὸ θνητόν, ἡ δὲ τελευταία ἡ λέγουσα νοῦ καὶ ἐπιστήμης δεκτικὸν εἴδει.
διὸ μιμεῖται τὸ εἶδος· προσερχόμενον γὰρ τῇ ὕλῃ ἑνοῖ αὐτὴν καὶ ἕν τι ποιεῖ τὸν ὁρισμόν, καὶ
οὐκέτι λοιπὸν δυνατὸν δηλοῦν ἕτερόν τι παρὰ τὸ ἓν ὑποκείμενον· καὶ τότε εὐλόγως εἷς λέγεται
εἶναι ὁ ὁρισμός. ὁμοίως δὲ οὗτος ὁ λόγος ἁρμόσει καὶ ἐπὶ πάντων τῶν ὁρισμῶν, λεγόντων ὅτι ἡ
τελευταία διαφορὰ εἴδει ἁρμόττει, τὸ δὲ γένος καὶ αἱ ἄλλαι διαφοραὶ ὕλῃ, καὶ προσερχομένη
αὐτὴ καὶ εἶδος ποιοῦσα ἕν τι ποιεῖ τὸν ὁρισμόν, ὥσπερ τὸ εἶδος καταλάμψαν τὴν ὕλην ἕν τι
πρᾶγμα αὐτὴν ἐποίησε, φημὶ τὸν Σωκράτη· ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων. (4) Porphyrii Isagoge
sive quinque voces (4.1) Περὶ διαφορᾶς 11.10–17: τί μὲν γάρ ἐστιν ὁ ἄνθρωπος ἐρωτωμένων
ἡμῶν οἰκεῖον εἰπεῖν ζῷον, ποῖον δὲ ζῷον πυνθανομένων λογικὸν καὶ θνητὸν οἰκείως ἀποδώσο-
μεν. τῶν γὰρ πραγμάτων ἐξ ὕλης καὶ εἴδους συνεστώτων ἢ ἀνάλογόν γε ὕλῃ καὶ εἴδει τὴν σύσ-
τασιν ἐχόντων, ὥσπερ ὁ ἀνδριὰς ἐξ ὕλης μὲν τοῦ χαλκοῦ, εἴδους δὲ τοῦ σχήματος, οὕτως καὶ ὁ
ἄνθρωπος ὁ κοινός τε καὶ εἰδικὸς ἐξ ὕλης μὲν ἀναλόγου συνέστηκεν τοῦ γένους, ἐκ μορφῆς δὲ
τῆς διαφορᾶς, τὸ δὲ ὅλον τοῦτο, ζῷον λογικὸν θνητόν, ὁ ἄνθρωπος, ὡς ἐκεῖ ὁ ἀνδριάς. (4.2)
Περὶ τῆς διαφορᾶς τοῦ γένους καὶ τῆς διαφορᾶς 15.6–7: καὶ τὸ μὲν γένος ἔοικεν ὕλῃ, μορφῇ δὲ
ἡ διαφορά. (5) Thomas Sententia Metaphysicae lib.8 l.2 n.7 [83268] (zu H2, 1043a5–7): „Sicut
enim in genere substantiae, differentia, quae praedicatur de genere, et advenit ei ad constitu-
tionem speciei, comparatur ad ipsum ut actus et forma, ita etiam in alliis definitionibus. Non
enim est intelligendum, quod differentia sit forma, aut genus sit materia, cum genus et diffe-
rentiae praedicentur de specie, materia autem et forma non praedicentur de composito: sed
hoc dicitur, quia genus sumitur ab eo quod est materiale in re, differentia vero ab eo quod est
formale. [. . .] Et inde est quod genus habet differentias postestate, et quod genus et differentia
propotionantur materiae et formae, ut Prophyrius dicit. Et proper hoc etiam hic dicitur quod
actus, idest differentia, praedicatur de materia, idest de genere; et similiter est in aliis generi-
bus.“ (6) Seidl (6.1) 1989: 426 (zu Z12, 1038a5–9): „Somit bilden Gattung und spezifische Diffe-
renz(en) eine Einheit, was zur Lösung der Aporie führt. Es ist zu beachten, dass beide zwar
nicht identisch sind mit Stoff- und Formursache der zu definierenden Dinge, wohl aber in
einem zu diesen analogen Verhältnis stehen. Die Begriffe Stoff und Form verwendet ja Aristo-
teles auf verschiedensten Bedeutungsebenen. (An sich haben alle Begriffe ihren Erkenntnisur-
sprung aus der Formursache; denn die Stoffursache ist an sich das Unbestimmte,
Unerkennbare). Analog der gemeinsamen Bedeutung des Stoffs auf allen Ebenen ist die des
Unbestimmten-Bestimmbaren, Möglichen (Potentialen), woraus etwas Wirkliches, Bestimmtes
hervorgehen kann, hingegen von der Form die des zur Wirklichkeit bringenden, bestimmen-
den Prinzips.“ (6.2) Seidl 1989: 455 (zu H6, 1045a20–35): „Die Lösung liegt darin, dass sich von
jenen Bestandteilen das als Gattung Bezeichnete zu dem als letzter Differenz Bezeichneten so
verhält wie der Stoff zur Form bzw. wie das Mögliche (Potentiale) zum Wirklichen (Aktualen).
Analogie mit Erz und Rundung an einem Kunstding (sc. einer ehernen Kugel), die sein Stoff
und seine Form sind, a22–29. Ursache für die Einheit eines Dinges (und seiner Definition) ist
das, wodurch es aus der Möglichkeit zur Wirklichkeit kommt, die Wirk- bzw. Wesens-,
236 2 Zweite Philosophie (Physik)

Analog zur sensiblen Materie ist die intelligible Materie durch Unbestimmt-
heit und Passivität charakterisiert. Wie der Baustoff dem Hausbauen zugrunde
gelegt wird, so die Gattung der Definition.320 Weder der Baustoff wird von sich
selbst geformt noch ist die Gattung per se bestimmt. Dadurch, dass sich die
Hausgestalt am Baustoff konkretisiert und verwirklicht, ist das Haus zu errich-
ten. Indem die spezifische Differenz, z. B. das Zweifüßige, der Gattung Lebewe-
sen zukommt, ist die bestimmte Art, der Mensch, wesentlich zu definieren. Der
sensiblen und der intelligiblen Materie entgegen stehen die Form und die spezi-
fische Differenz, die gemeinsam durch Bestimmtheit und Aktivität gekennzeich-
net sind. Trotz des sachlichen Unterschieds tragen die Form sowie die
spezifische Differenz die gleiche Funktion in sich. Wie sich die Hausgestalt
aktiv in die Baustoffe prägt, so übt das Zweifüßige eine aktive Wirkung auf die
zugrundeliegende Gattung Lebewesen aus.

Formursache, a29–33.“ (7) Tugendhat (1958:148): „Und doch nimmt jetzt Aristoteles auch die
Definition des εἶδος selbst, in der es in Gattung und spezifische Differenz(en) auseinanderge-
legt wird, in den Bereich der αἰτία hinein. [. . .] Es ist diese Analogie zwischen γένος-διαφορά-
εἶδος und ὕλη-εἶδος-σύνολον, aus der sich nun auch das Auftreten der αἰτία wie von selbst
ergibt. Aristoteles erklärt in H6, dass überall, wo ein δυνάμει ὄν in ein ἐνεργείᾳ ὄν heraustritt,
also sowohl bei der ὕλη αἰσθητή als auch bei der Gattung als der ὕλη νοητή, die ἐνέργεια die
αἰτία sei (1045a14ff., insbes. a30–35).“ (8) Steinfath erwähnt den Inhalt der Analogie, zögert
aber, den Schluss zu ziehen, dass es tatsächlich eine Analogie zwischen Gattung-Differenz
und Materie-Form gibt. Steinfath (1996: 246–247): „Wenn Aristoteles fragt, ‚was es nun wohl
ist, das den Menschen zu einer Einheit macht, und wodurch er eine Einheit und nicht Vieles
ist, zum Beispiel Lebewesen und Zweifüßiges‘ (a14–15), dann ist es naheliegend, ihn so zu ver-
stehen, als wollte er im weiteren die Gattung ‚Lebewesen‘ als Materie und Potentialität und die
Differenz ‚zweifüßig‘ als Gestalt und Aktualität begreifen. Er würde so den in Z12 eher beiläufig
erwähnten und argumentativ nicht ausgeschöpften Vergleich von Gattung und Materie und
die Gleichsetzung von letzter Differenz und Form in H6 vertiefen. [. . .] Zum einen ist ihr Anhalt
im Text kein völlig sicherer. Ausdrücklich sagt Aristoteles nur, dass in der Definition stets das
eine Materie, das andere Form oder Aktualität ist (a22–25, 34). Eine explizite Identifizierung
oder Analogisierung von Gattung und Differenz mit beidem fehlt. [. . .] Zum anderen wirft die
Deutung der Gattung als Materie und der Differenz als Form sachlich Probleme auf, von denen
allerdings unklar ist, wieweit sie Aristoteles bewußt waren. Vor dem Hintergrund der relativ
komplexen Analyse der Einheit des Zusammengesetzten kann es schon verwundern, dass er
überhaupt glauben konnte, die Einheit von Gattung und Differenz analog zum Verhältnis von
Materie und Form oder Potentialität und Aktualität aufschlüsseln zu können.“ (9) Stenzel
1924: 133–144; Cherniss 1944: 38–43; Gill 2010: 104–113.
320 (1) Phys. B3, 194b23–26: ἕνα μὲν οὖν τρόπον αἴτιον λέγεται τὸ ἐξ οὗ γίγνεταί τι ἐνυ-
πάρχοντος, οἷον ὁ χαλκὸς τοῦ ἀνδριάντος καὶ ὁ ἄργυρος τῆς φιάλης καὶ τὰ τούτων γένη. (2)
Metaph. Δ28, 1024b4–6: ἔτι ὡς ἐν τοῖς λόγοις τὸ πρῶτον ἐνυπάρχον, ὃ λέγεται ἐν τῷ τί ἐστι,
τοῦτο γένος, οὗ διαφοραὶ λέγονται αἱ ποιότητες.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 237

Die Analogie von Entstehung und Definition ist darauf zurückzuführen,


dass dieselbe hylemorphistische Struktur das sensible und das intelligible Kom-
positum durchdringt. Die strukturelle Ähnlichkeit ist in der funktionalen
Gleichheit fundiert. Die Materie, ob sensibel oder intelligibel, ist mit der Passi-
vität verbunden (ὕλη αἰσθητή ἢ ὕλη νοητή→πάσχειν). Das Formale, das entwe-
der als Form oder als spezifische Differenz gilt, hängt mit der Aktivität
zusammen (μορφή ἢ διαφορά→ποιεῖν).

2.2.3.3 Definition-Geist (ὁρισμός-νοῦς)


Wird die Wesenssubstanz anhand der Gattung und der spezifischen Differenz defi-
niert, lässt sich die Frage aufwerfen, wie die Einheit der mehrteiligen Definition ge-
währleistet werden kann. Ist der Mensch als zweifüßiges Lebewesen bestimmt,
inwiefern bildet die Definition, die aus zwei Teilen besteht, eine Einheit (APo. B6,
92a29–33; B13, 97b13–15; Metaph. Z11, 1037a18–20; Z12, 1037b10–14; H6, 1045a7–8,
1045a14–15)? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf den Ursprung der
Definitionselemente eingehen.
Die intelligible Materie stammt deswegen aus dem Geist, weil der Geist die
Gattung als Zugrundeliegendes in die Definition setzt. Die spezifische Differenz
wird auch vom Geist gesetzt, da sie mehrfältig konzipiert sein kann. Der Mensch
kann als vernünftiges, zweifüßiges, sterbliches oder politisches Lebewesen defi-
niert werden, je nachdem, ob die Qualität, die Quantität, die zeitliche oder die
räumliche Kategorie als Einteilungskriterium herangezogen wird. Die Vielfältig-
keit der spezifischen Differenz weist darauf hin, dass sie nicht per se in der Gat-
tung vorliegt, sondern der zugrundeliegenden Gattung eine bestimmte Differenz
eigens hinzuzufügen ist, und zwar durch den Geist. Nicht nur die beiden Defini-
tionselemente, sondern die zu definierende Wesenssubstanz wird auch vom
Geist gesetzt. Denn die Wesenssubstanz, z. B. die menschliche Art, ist den einzel-
nen Menschen per se immanent und nur durch die gedankliche Abstraktion tritt
sie in Form des Begriffs auf.
Der Geist als noetisches Denken hat die Fähigkeit, nicht nur den Begriff zu
bilden (εἶδος→ὄνομα), sondern auch und besonders, diesen hylemorphistisch zu
strukturieren und wesentlich zu definieren (ὄνομα→ὁρισμός). Indem der zu be-
stimmende Begriff als intelligibles Kompositum angesehen wird (σύνολον νοητόν/
σύνθετον νοούμενον – Metaph. Λ9, 1075a5–6), entfaltet sich die Wesensdefinition
derart, dass die spezifische Differenz mit der Gattung zusammengefügt ist. Die
eine gilt als aktives Wirkendes, die andere aber als passives Erleidendes, und zwar
nicht dinglich, sondern geistig. Der Geist (νοῦς, intellectus) setzt die spezifische
Differenz als intelligibles Bestimmendes (διαφορά-νοοῦν) und die Gattung als in-
telligibles Zugrundeliegendes (γένος-νοούμενον). In der Definition kommen die
238 2 Zweite Philosophie (Physik)

spezifische Differenz und die intelligible Materie, nämlich das intelligible Wir-
kende und das intelligible Erleidende, unmittelbar zur Deckung, und zwar nicht
nur deswegen, weil sie als geistige Entitäten von der sensiblen Materie befreit sind
(Metaph. Λ9, 1074b38–1075a5; De An. Γ4, 430a2–5). Vielmehr liegt der Hauptgrund
für die Einheit der Wesensdefinition darin, dass die beiden Definitionselemente
vom Geist gesetzt werden. Indem sowohl die spezifische Differenz als auch die in-
telligible Materie einen geistigen Ursprung haben, sind die beiden Definitionsele-
mente immer schon durch den Geist vereinigt.
Außer dass der Geist das Definitionsgefüge hylemorphistisch strukturiert,
führt er das Definitionsverfahren dihairetisch durch. Der Geist macht es möglich,
die Gattung in die konträren Gegensätze einzuteilen (διαίρεσις), die verschiede-
nen Differenzen hierarchisch einzuordnen (τάξις – Metaph. Z12, 1038a33–34) und
die letzte Differenz mit der Gattung zusammenzufügen (σύνθεσις). Darum ist das
dihairetische Definitionsverfahren eine geistige Tätigkeit der menschlichen
Seele, die sich zeitlich vollzieht (Metaph. Λ9, 1075a7–8). Die Ausdifferenzierung
der Gattung, die hierarchische Einordnung der Differenzen und die Zusammen-
setzung der Gattung mit der letzten Differenz gehen Schritt für Schritt sukzessiv
voran (διαίρεσις→τάξις→σύνθεσις). Der menschliche Geist bringt den Begriff des-
wegen prozessual zur Entfaltung, weil das menschliche Denken nicht alles auf
einmal auffassen kann, sondern von einem Schritt zum nächsten voranschreiten
muss (Metaph. Λ9, 1075a6).
Unter dem Blickwinkel der Prozessualität kann die Einheit der Wesensdefini-
tion endgültig erklärt werden. Analog dazu, dass die Naturentstehung als Selbst-
aktualisierung der natürlichen Art und die Herstellung als Verwirklichung der
technischen Gestalt angesehen werden, gilt die Wesensdefinition als Artikulation
der spezifischen Differenz, die an der Gattung potentiell vorhanden ist. Anders
formuliert: Nicht nur die Naturentstehung und die Herstellung, sondern auch die
Wesensdefinition können als Prozess bezeichnet werden, in dem das Formale
von der Potentialität zur Aktualität übergeht. Prozessual gesehen wird die
menschliche Art dadurch determiniert, dass die spezifische Differenz, z. B. Ver-
nünftigkeit, Zweifüßigkeit, Sterblichkeit oder Gemeinschaftlichkeit, vom poten-
tiellen Zustand ausgeht und in die Wirklichkeit eintritt. Obwohl die spezifische
Differenz vor der Definition potentiell vorliegt und nach der Definition aktuell
vorhanden ist, bleibt sie sachlich ein und dieselbe, wie die natürliche Art und die
technische Gestalt. Anhand des modalen Unterschieds von Möglichkeit und
Wirklichkeit ist die definitorische Einheit nicht metaphorisch, sondern endgültig
sachlich nachzuweisen.
Abschließend lässt sich die Einheit der Wesensdefinition dadurch erläutern,
dass die anderen theoretischen Möglichkeiten begründet ausgeschlossen werden
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 239

können. Erstens bildet die Wesensdefinition als organisches Ganzes keineswegs


eine chaotische Einheit, wie z. B. ein Haufen. Während die mannigfaltigen Dinge
in einem Haufen unordentlich nebeneinander liegen und miteinander vermischt
sind, zeigt sich die definitorische Einheit darin, dass alle zugehörigen Teile vom
übergeordneten Prinzip in eine organische Einheit einzuordnen sind (Metaph.
H3, 1044a2–6; H6, 1045a8–12).
Zweitens ist die einheitliche Definition als sprachlicher Komplex nicht mit
der einheitlichen Erzählung zu identifizieren (APo. B10, 93b35–37; Metaph. Z4,
1030a7–10, 1030b7–10; Poet. 1457a29–31). In der Ilias z. B. werden die verschie-
denen Ereignisse durch die literarische Fiktion zusammengefasst und nach der
zeitlichen Abfolge kontinuierlich dargestellt. Die ganze Erzählung, die die
mannigfaltigen Ereignisse zusammenhängend zur Sprache bringt, ist zwar ge-
wissermaßen einheitlich, weist aber keineswegs die definitorische Einheit auf
(ὁ δ’ ὁρισμὸς λόγος ἐστὶν εἷς οὐ συνδέσμῳ καθάπερ ἡ Ἰλιὰς ἀλλὰ τῷ ἑνὸς
εἶναι – Metaph. H6, 1045a12–14).
Drittens kann die Einheit der Definition nicht nach dem Muster der platoni-
schen Teilhabe erklärt werden (per participationem, κατὰ μέθεξιν – Metaph. Z4,
1030a13–14; Z12, 1037b18–24; H6, 1045a15–22, 1045b7–9). Die Artidee zu defi-
nieren, heißt nichts anderes, als dass die Artidee an der Gattungsidee und der
Differenzidee teilhat. Demzufolge hat der Mensch Anteil am Lebewesen und
Zweifüßigen. Wenn nun die Gattungsidee und die Differenzidee voneinander
getrennt sind und als eigenständige Entitäten bezeichnet werden (ἄλλως τε δὴ
καὶ εἰ ἔστιν, ὥσπερ φασί τινες, αὐτό τι ζῷον καὶ αὐτὸ δίπουν – Metaph. Z14,
1039a30–32; Z15, 1040a18–21; Z16, 1040b30–34; H6, 1045a15–17) – aristotelisch
gesagt, wenn die beiden Prädikate, das Lebewesen und das Zweifüßige, subs-
tantiviert werden –, ist die Artidee wegen der Teilhabe nicht mehr einheitlich,
sondern ontologisch gespalten.321 Aristoteles’ Auffassung nach hängt die plato-
nische Teilhabe mit der Substantivierung des Prädikats zusammen, die dem
Satz vom Widerspruch entgegensteht. Werden mehrere Prädikate von demsel-
ben Subjekt ausgesagt und für selbständige Substanzen gehalten, ist das vom

321 Metaph. H6, 1045a17–20: διὰ τί γὰρ οὐκ ἐκεῖνα αὐτὰ ὁ ἄνθρωπός ἐστι, καὶ ἔσονται κατὰ
μέθεξιν οἱ ἄνθρωποι οὐκ ἀνθρώπου οὐδ’ ἑνὸς ἀλλὰ δυοῖν, ζῴου καὶ δίποδος, καὶ ὅλως δὴ οὐκ
ἂν εἴη ὁ ἄνθρωπος ἓν ἀλλὰ πλείω, ζῷον καὶ δίπουν. Derselbe Widerspruch betrifft nicht nur die
Artidee, sondern auch die zugehörigen Einzelnen. Anhand der Teilhabe an der Idee des Men-
schen hat der einzelne Mensch Anteil an den beiden Definitionselementen, platonisch gesagt,
an den beiden höheren Ideen. Demzufolge ist der einzelne Mensch, der die numerische Einheit
bewahrt, in die Gattung und die Differenz gespalten.
240 2 Zweite Philosophie (Physik)

Subjekt bezeichnete Seiende ontologisch sowohl eines als auch vieles. Es ist
überhaupt nicht widersprüchlich, dass die Art als substanzielle Einheit durch
beide Definitionselemente (Prädikate) logisch bestimmt ist. Aber die Substanti-
vierung der Definitionselemente hat den Widerspruch zur Folge, dass die Art in
derselben Hinsicht gleichzeitig sowohl eines als auch vieles ist.
Viertens kann die akzidentelle Prädikation die notwendige Einheit der Defi-
nition nicht gewährleisten.322 Da das Weiße mit dem Menschen per accidens
verknüpft ist, drückt die entsprechende Aussage, dass der Mensch weiß ist,
eine zufällige Einheit von Subjekt und Prädikat aus (unum per accidens).323
Wegen des Mangels an Notwendigkeit kann die Verbindung des Akzidenz mit
der Substanz die notwendige Einheit der Definition nicht garantieren.
Indem das intelligible Kompositum nicht mit dem akzidentellen (σύνθετον =
ὑποκείμενον + κατηγορούμενον/πάθος), sondern mit dem substanziellen Kompo-
situm (σύνολον = ὕλη + μορφή) verglichen wird, kommt nicht nur die Struktur
der Wesensdefinition ans Licht, sondern es wird auch die definitorische Einheit
geklärt. Auf der Grundlage desselben hylemorphistischen Gefüges ist das sub-
stanzielle Kompositum, das als sensibles Kompositum bezeichnet wird, herzu-
stellen (σύνολον αἰσθητόν = ὕλη + μορφή) und das intelligible Kompositum
wesentlich zu definieren (σύνολον νοητόν = γένος + διαφορά). Darum können die

322 Metaph. Z4, 1030a11–14; Z12, 1037b14–18; H6, 1045b15–16. Da Aristoteles in Z4 die plato-
nische Teilhabe und seine eigene Akzidenzprädikation zusammenhängend zur Sprache ge-
bracht hat (ταῦτα γὰρ δοκεῖ οὐ κατὰ μετοχὴν λέγεσθαι καὶ πάθος οὐδ’ ὡς συμβεβηκός – Z4,
1030a13–14), halten manche Forscher die beiden für identisch (Ross 1924: 206–207; Frede und
Patzig 1988: 225–227). Damit können wir nicht übereinstimmen. Im Rahmen der Ideenlehre ist
es zwar schwierig, die Wesensprädikation (Sokrates ist Mensch) von der Akzidenzprädikation
(Sokrates ist groß) zu unterscheiden. Aber mit der Teilhabe zielt Platon nicht auf den akziden-
tellen Sachverhalt ab, sondern auf das Wesentliche, nämlich dass Sokrates Mensch oder die
Seele lebendig ist. Ein klarer Beweis für den Unterschied von Teilhabe und Akzidenzprädika-
tion liegt darin, dass sowohl die niedrigen Ideen (die Idee des Menschen) als auch die höch-
sten Gattungen (Sein, Bewegung, Ruhe, Differenz und Identität), weiter noch das Eine, das auf
dem Gipfel der Seinshierarchie steht, dem konkreten Einzelnen nicht zufällig, sondern not-
wendig zukommen. Sokrates ist per se Mensch, mit sich selbst identisch, von den anderen un-
terschieden und einheitlich existierend. Darum sollte man die platonische Teilhabe, die sich
ursprünglich an der Wesensprädikation orientiert, nicht mit der aristotelischen Akzidenzprädi-
kation vermischen.
323 Metaph. Z12, 1037b14–18; Thomas Sententia Metaphysicae lib.7 l.12 n.2 [83109]: „Tunc
autem ex his duobus fit unum per accidens quod est albus homo.“ Im Text argumentiert Aris-
toteles auf zweierlei verschiedene Weisen. Da das Akzidenz dem Zugrundeliegenden nur zufäl-
lig zukommt, ist die Verbindung des einen mit dem anderen zerlegbar. Wenn sich das
Akzidenz, z. B. das Weiße, nicht im Menschen befindet, bilden das Akzidenz und die Substanz
eine Zweiheit bzw. Vielheit (Z12, 1037b14–16). Wenn das Weiße auf den Menschen zutrifft,
kommt der weiße Mensch als zufällige Einheit zustande (Z12, 1037b16–18).
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 241

analogischen Begriffe, wie Form-Stoff, Aktivität-Passivität und Möglichkeit-


Wirklichkeit, sowohl die Entstehung der Einzelsubstanz als auch die Definition
der Wesenssubstanz charakterisieren. Die Naturentstehung ist als Verwirkli-
chung der Naturart bestimmt, welche möglicherweise am materialen Substrat
existiert. Analog dazu ist die Wesensdefinition nichts anderes als die geistige Ent-
faltung der spezifischen Differenz, welche in der Gattung enthalten ist und po-
tentiell vorliegt. Die definitorische Einheit gründet letztendlich darin, dass sich
die intelligible Form, d. h. differentia specifica, von der Möglichkeit zur Wirklich-
keit bewegt (ἓν γάρ τι ἕκαστον, καὶ τὸ δυνάμει καὶ τὸ ἐνεργείᾳ ἕν πώς ἐστιν, ὥστε
αἴτιον οὐθὲν ἄλλο πλὴν εἴ τι ὡς κινῆσαν ἐκ δυνάμεως εἰς ἐνέργειαν – Metaph.
H6, 1045b20–22).324
Im vorliegenden Teil (2.2) thematisieren wir die dreifache Beziehung von
Einzelding, Entstehung und Definition (τόδε τι-γένεσις-ὁρισμός). Die Art nimmt
in diesem Zusammenhang insofern eine Sonderstellung ein, als die ontologische
Art und der logische Begriff unmittelbar zusammenfallen (εἶδος = ὄνομα). Zum
einen aktualisiert sich die Naturart in der Materie, um das Gleichartige zu erzeu-
gen (εἶδος ἔνυλον-ἐν τῇ ὕλῃ-ὁμοειδές). Zum anderen kann sie in Gedanken ab-
strahiert und wesentlich definiert werden (εἶδος ἄυλον-ἐν τῇ ἐπινοίᾳ-ὁρισμός).
Die Naturart in Gestalt des gleichartigen Einzeldings ist sinnlich wahrnehmbar
(αἰσθητόν), als Begriff aber denkbar und definierbar (νοητόν). Indem die Natur-
art das Gleichartige ontologisch produziert und logisch bestimmt, schlägt sie
kraft ihrer doppelten Charakteristik eine Brücke zwischen der Physis und dem
Logos (φύσις-εἶδος/ὄνομα-λόγος). Des Weiteren existiert das konkrete Einzel-
ding in der Natur (τόδε τι→φύσις), die Naturart als Begriff ist der Seele imma-
nent (ὄνομα→ψυχή), und die allgemein gültige Definition wird vom Geist
durchgeführt (ὁρισμός→νοῦς). Demzufolge nimmt die Seele eine Mittelstellung
zwischen der Natur und dem Geist ein (φύσις-ψυχή-νοῦς). Dem Untersuchungs-
gegenstand entsprechend befindet sich die theoretische Betrachtung über die

324 (1) Metaph. H6, 1045a23–1046a2: εἰ δ’ ἐστίν, ὥσπερ λέγομεν, τὸ μὲν ὕλη τὸ δὲ μορφή, καὶ
τὸ μὲν δυνάμει τὸ δὲ ἐνεργείᾳ, οὐκέτι ἀπορία δόξειεν ἂν εἶναι τὸ ζητούμενον. ἔστι γὰρ αὕτη ἡ
ἀπορία ἡ αὐτὴ κἂν εἰ ὁ ὅρος εἴη ἱματίου στρογγύλος χαλκός· εἴη γὰρ ἂν σημεῖον τοὔνομα τοῦτο
τοῦ λόγου, ὥστε τὸ ζητούμενόν ἐστι τί αἴτιον τοῦ ἓν εἶναι τὸ στρογγύλον καὶ τὸν χαλκόν. οὐ-
κέτι δὴ ἀπορία φαίνεται, ὅτι τὸ μὲν ὕλη τὸ δὲ μορφή. τί οὖν τούτου αἴτιον, τοῦ τὸ δυνάμει ὂν
ἐνεργείᾳ εἶναι, παρὰ τὸ ποιῆσαν, ἐν ὅσοις ἔστι γένεσις; οὐθὲν γάρ ἐστιν αἴτιον ἕτερον τοῦ τὴν
δυνάμει σφαῖραν ἐνεργείᾳ εἶναι σφαῖραν, ἀλλὰ τοῦτ’ ἦν τὸ τί ἦν εἶναι ἑκατέρῳ. (2) Metaph. H6,
1045b16–23: αἴτιον δ’ ὅτι δυνάμεως καὶ ἐντελεχείας ζητοῦσι λόγον ἑνοποιὸν καὶ διαφοράν. ἔστι
δ’, ὥσπερ εἴρηται, ἡ ἐσχάτη ὕλη καὶ ἡ μορφὴ ταὐτὸ καὶ ἕν, δυνάμει, τὸ δὲ ἐνεργείᾳ, ὥστε
ὅμοιον τὸ ζητεῖν τοῦ ἑνὸς τί αἴτιον καὶ τοῦ ἓν εἶναι· ἓν γάρ τι ἕκαστον, καὶ τὸ δυνάμει καὶ τὸ
ἐνεργείᾳ ἕν πώς ἐστιν, ὥστε αἴτιον οὐθὲν ἄλλο πλὴν εἴ τι ὡς κινῆσαν ἐκ δυνάμεως εἰς ἐνέργε-
ιαν. ὅσα δὲ μὴ ἔχει ὕλην, πάντα ἁπλῶς ὅπερ ἕν τι.
242 2 Zweite Philosophie (Physik)

Seele zwischen der Physik und der Metaphysik, wobei die eine die natürliche
Substanz, nämlich die Natur, und die andere die übernatürliche Substanz, d. h.
den Geist, zum Thema hat (Simplicii In Libros Aristotelis De anima Commentaria
2.29–3.28).
Im Grunde genommen handelt es sich um das Verhältnis von Einzelheit,
Besonderheit und Allgemeinheit (ἕκαστον-ἴδιον-κοινόν, individuum-specialis-
generalis). Dasselbe Verhältnis tritt einerseits in ontologischer Form von Einzel-
ding, Art und Gattung (τόδε τι-εἶδος-γένος) auf und wird andererseits durch die
logische Trinität von Eigenname, Begriff und Definition (Σωκράτης-ὄνομα-ὁρισ-
μός) wiedergegeben. Abschließend versuchen wir, systematisch zu erklären, in-
wiefern das individuelle Einzelding, die besondere Art und die allgemeine
Gattung als Substanz bezeichnet werden können.
Erstens: Das Naturseiende gilt als Einzelsubstanz, insofern es das mate-
riale Prinzip des Sachverhaltes ist. Die Substantialität der Einzelsubstanz
lässt sich ontisch, logisch und ontologisch aufzeigen, indem das Substrat der
Eigenschaft, das Subjekt dem Prädikat und die Einzelsubstanz der Kategorie
zugrunde liegt. Anhand des Kriteriums des Zugrundeliegens (ὑποκείμενον) ist
das Einzelding das materiale Prinzip des Sachverhaltes, der Aussage und der
Bewegung.
Zweitens: Wenn das einzelne Naturseiende zur Einzelsubstanz gezählt
wird, ist die Naturart als Wesensprinzip (causa essendi) die Substanz in höhe-
rem Maß. Denn nichts anderes als die Naturart verleiht dem gleichartigen Na-
turseienden sowohl Existenz als auch Essenz. Kraft der aktiven Produktivität
bringt die Naturart die gleichartigen Einzeldinge zweckmäßig hervor. Außer-
dem übertragen sich die Begrifflichkeit sowie die Wesensdefinition der Art auf
das zugehörige Einzelding. Das Einzelding kann nur nach der Art begrifflich be-
zeichnet und nur durch die Vermittlung der Naturart wesentlich definiert wer-
den. Die Art ist deshalb das Entstehungs- (αἴτιον τοῦ γίγνεσθαι) und das
Wesensprinzip des Einzeldings (αἴτιον τοῦ εἶναι), weil sie das Einzelding onto-
logisch produziert und logisch wesentlich definiert.325

325 (1) Metaph. A9, 991b3–4 = M5, 1080a2–3: ἐν δὲ τῷ Φαίδωνι οὕτω λέγεται, ὡς καὶ τοῦ εἶναι
καὶ τοῦ γίγνεσθαι αἴτια τὰ εἴδη ἐστίν. (2) Metaph. Z17, 1041b27–31: οὐσία δὲ ἑκάστου μὲν
τοῦτο, τοῦτο γὰρ αἴτιον πρῶτον τοῦ εἶναι. ἐπεὶ δ’ ἔνια οὐκ οὐσίαι τῶν πραγμάτων, ἀλλ’ ὅσαι
οὐσίαι, κατὰ φύσιν καὶ φύσει συνεστήκασι, φανείη ἂν [καὶ] αὕτη ἡ φύσις οὐσία, ἥ ἐστιν οὐ
στοιχεῖον ἀλλ’ ἀρχή. (3) Metaph. H2, 1043a2–4: φανερὸν δὴ ἐκ τούτων ὅτι εἴπερ ἡ οὐσία αἰτία
τοῦ εἶναι ἕκαστον, ὅτι ἐν τούτοις ζητητέον τί τὸ αἴτιον τοῦ εἶναι τούτων ἕκαστον. (4) Metaph.
H3, 1043b13–18: εἰ οὖν τοῦτ’ αἴτιον τοῦ εἶναι, καὶ οὐσία τοῦτο, αὐτὴν ἂν τὴν οὐσίαν οὐ λέ-
γοιεν. ἀνάγκη δὴ ταύτην ἢ ἀΐδιον εἶναι ἢ φθαρτὴν ἄνευ τοῦ φθείρεσθαι καὶ γεγονέναι ἄνευ τοῦ
γίγνεσθαι. δέδεικται δὲ καὶ δεδήλωται ἐν ἄλλοις ὅτι τὸ εἶδος οὐθεὶς ποιεῖ οὐδὲ γεννᾷ, ἀλλὰ
ποιεῖται τόδε, γίγνεται δὲ τὸ ἐκ τούτων.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 243

Drittens: Im Vergleich zum Einzelding und zur Art hält Aristoteles die Gat-
tung teilweise für Substanz und teilweise nicht, je nach den verschiedenen
Kriterien. Unter der Bedingung dessen, dass sich die Substantialität auf die Ei-
gentümlichkeit beschränkt, ist die Gattungsallgemeinheit als Gemeinsamkeit
nicht substanziell (Metaph. Z13, 1038b9–15, 1038b16–23). Dem konkreten Einzel-
nen entspricht die Individualität (τόδε τι-καθ’ ἕκαστον), der besonderen Art die
Eigentümlichkeit (εἶδος-ἴδιον) und der allgemeinen Gattung die Gemeinsamkeit
(γένος-κοινόν).326 Nach der begrifflichen Erklärung lässt sich das ἴδιον-Argument
in Z13 der Metaphysik folgendermaßen syllogistisch rekonstruieren: Die Substanz
des Einzeldings ist die dem Einzelding eigentümliche Art, die nicht in der ande-
ren Art vorhanden sein kann (πρῶτον μὲν γὰρ οὐσία ἑκάστου ἡ ἴδιος ἑκάστῳ, ἣ
οὐχ ὑπάρχει ἄλλῳ – Metaph. Z13, 1038b9–10). Die Gattungsallgemeinheit als Ge-
meinsames kommt von Natur aus mehreren Arten zu (τοῦτο γὰρ λέγεται καθόλου
ὃ πλείοσιν ὑπάρχειν πέφυκεν – Metaph. Z13, 1038b11–12). Da die Gemeinsamkeit
mit der Eigentümlichkeit nicht gleichgesetzt werden kann (κοινός ≠ ἴδιος), ist die
allgemeine Gattung nicht für Substanz zu halten (καθόλου ≠ οὐσία), die nur auf
die besondere Art gerichtet ist. Des Weiteren ist es der wahrhaften Substanz, der
Naturart eigentümlich, dass sie sich konkretisieren und aktualisieren kann.
Wenn die Verwirklichbarkeit zum Kriterium genommen wird, ist die Substantiali-
tät der Gattung zurückzuweisen. Denn nicht das Lebewesen als solches, sondern
nur die bestimmte Art des Lebewesens tritt in die Wirklichkeit ein.327 Da es der

326 (1) Cat. 5, 2b12–13: Τῶν δὲ δευτέρων οὐσιῶν μᾶλλον οὐσία τὸ εἶδος τοῦ γένους· ἔγγιον γὰρ
τῆς πρώτης οὐσίας ἐστίν. ἐὰν γὰρ ἀποδιδῷ τις τὴν πρώτην οὐσίαν τί ἐστι, γνωριμώτερον καὶ
οἰκειότερον ἀποδώσει τὸ εἶδος ἀποδιδοὺς ἢ τὸ γένος· οἷον τὸν τινὰ ἄνθρωπον γνωριμώτερον
ἂν ἀποδοίη ἄνθρωπον ἀποδιδοὺς ἢ ζῷον, – τὸ μὲν γὰρ ἴδιον μᾶλλον τοῦ τινὸς ἀνθρώπου, τὸ δὲ
κοινότερον. (2) Porphyrii Isagoge sive quinque voces (2.1) Περὶ τῆς διαφορᾶς τοῦ γένους καὶ τοῦ
ἰδίου 16.10–16: καὶ τὸ μὲν γένος κατὰ πλειόνων εἰδῶν κατηγορεῖται, τὸ δὲ ἴδιον ἑνὸς εἴδους, οὗ
ἐστιν ἴδιον. καὶ τὸ μὲν ἴδιον ἀντικατηγορεῖται οὗ ἐστιν ἴδιον, τὸ δὲ γένος οὐδενὸς ἀντικατηγο-
ρεῖται· οὔτε γὰρ εἰ ζῷον, ἄνθρωπος, οὔτε εἰ ζῷον, γελαστικόν· εἰ δὲ ἄνθρωπος, γελαστικόν, καὶ
ἔμπαλιν. ἔτι τὸ μὲν ἴδιον παντὶ τῷ εἴδει ὑπάρχει, οὗ ἐστιν ἴδιον, καὶ μόνῳ καὶ ἀεί, τὸ δὲ γένος
παντὶ μὲν τῷ εἴδει, οὗ ἂν ᾖ γένος, καὶ ἀεί, οὐ μέντοι καὶ μόνῳ. (2.2) Περὶ τῆς διαφορᾶς τοῦ
εἴδους καὶ τοῦ ἰδίου 20.18–20: καὶ τὸ μὲν εἶδος προϋφέστηκεν τοῦ ἰδίου, τὸ δὲ ἴδιον ἐπιγίνεται
τῷ εἴδει· δεῖ γὰρ ἄνθρωπον εἶναι, ἵνα καὶ γελαστικὸν ᾖ. Die Art ist insofern durch die Eigentüm-
lichkeit gekennzeichnet, als das Eigentümliche einer einzigen Art zukommt. Da die Gattung
alle ihr zugehörigen Arten umfasst und auf das gemeinsame Merkmal der Arten hinweist, gilt
die Gattung als Gemeinsamkeit.
327 Phys. A8, 191b18–23: οὕτω δὲ καὶ τοῦτο γίγνεσθαι, τὸν αὐτὸν τρόπον οἷον εἰ ἐκ ζῴου ζῷον
γίγνοιτο καὶ ἐκ τινὸς ζῴου τι ζῷον· οἷον εἰ κύων [ἐκ κυνὸς ἢ ἵππος] ἐξ ἵππου γίγνοιτο. γίγνοιτο
μὲν γὰρ ἂν οὐ μόνον ἐκ τινὸς ζῴου ὁ κύων, ἀλλὰ καὶ ἐκ ζῴου, ἀλλ’ οὐχ ᾗ ζῷον· ὑπάρχει γὰρ
ἤδη τοῦτο.
244 2 Zweite Philosophie (Physik)

Gattung an Konkretisierungsmöglichkeit mangelt, hat die Gattung keinen ontolo-


gischen Status.
Auf der anderen Seite ist die Substantialität der Gattung zu legitimieren,
indem Aristoteles anhand der Wesensdefinition argumentiert.328 Die Wesens-
definition besteht daraus, dass die Gattung und die spezifische Differenz zu-
sammengefügt sind. Die Gattung ist nicht nur Element der Definition, sondern
auch und mehr noch bildet sie das Prinzip der ganzen Definition.329 Die Gat-
tung liegt insofern der Definition zugrunde, als es durch die Aufhebung der
Gattung keine Definitionsmöglichkeit gibt.330 Anders gesagt: Die Gattung
wird deshalb als intellektuelles Prinzip der Art angesehen, weil sie als intelli-
gible Materie der zu definierenden Art zugrunde liegt. Wenn die Art als wahr-
hafte Substanz bezeichnet wird, muss die Gattung als definitorisches Prinzip
der Art auch Substanz sein. Außerdem kann die Substantialität der Gattung
nicht nur logisch, sondern auch ontologisch gerechtfertigt werden. Es ist gar
kein Zufall, dass der Mensch aus dem Lebewesen stammt.331 Denn zusammen
mit der Realisierung der Art kommt die Gattung notwendig zum Vorschein
und durch die Aufhebung der Gattung würden alle zugehörigen Arten zu-
grunde gehen. Daher muss die Gattung als Herkunft der Art (γένους εἴδη –
Metaph. Z12, 1038a5) auch Substanz sein. Obwohl er in dieser Frage schwankt,
tendiert Aristoteles prinzipiell dazu, die Gattung als Substanz anzuerkennen.

328 Die Konklusion, dass die Gattung Substanz ist, muss man deswegen ernst nehmen und
für wahr halten, weil sie als Prämisse eines gültigen Syllogismus gilt. Darin lässt sich nachwei-
sen, dass das Sein und das Eine nicht Prinzipien sind. (1) Die Gattung ist Prinzip (Metaph. B3,
998b3–8). (2) Weder das Sein noch das Eine ist Gattung (B3, 998b22–27). (3) Daraus resultiert,
dass das Sein und das Eine nicht Prinzipien sind (B3, 998b27–28). Da die Art Wesenssubstanz
ist, muss die Gattung als definitorisches Prinzip der Wesenssubstanz auch Substanz sein.
329 Metaph. B3, 998b4–8: εἰ δ’ ἕκαστον μὲν γνωρίζομεν διὰ τῶν ὁρισμῶν, ἀρχαὶ δὲ τὰ γένη
τῶν ὁρισμῶν εἰσίν, ἀνάγκη καὶ τῶν ὁριστῶν ἀρχὰς εἶναι τὰ γένη. κἂν εἰ ἔστι τὴν τῶν ὄντων
λαβεῖν ἐπιστήμην τὸ τῶν εἰδῶν λαβεῖν καθ’ ἃ λέγονται τὰ ὄντα, τῶν γε εἰδῶν ἀρχαὶ τὰ γένη
εἰσίν.
330 Top. Z4, 141b22–34: οὐ δεῖ δὲ λανθάνειν ὅτι τοὺς οὕτως ὁριζομένους οὐκ ἐνδέχεται τὸ τί
ἦν εἶναι τῷ ὁριζομένῳ δηλοῦν, ἐὰν μὴ τυγχάνῃ ταὐτὸν ἡμῖν τε γνωριμώτερον ὂν καὶ ἁπλῶς
γνωριμώτερον, εἴπερ δεῖ μὲν διὰ τοῦ γένους καὶ τῶν διαφορῶν ὁρίζεσθαι τὸν καλῶς ὁριζόμε-
νον, ταῦτα δὲ τῶν ἁπλῶς γνωριμωτέρων καὶ προτέρων τοῦ εἴδους ἐστίν. συναναιρεῖ γὰρ τὸ
γένος καὶ ἡ διαφορὰ τὸ εἶδος, ὥστε πρότερα ταῦτα τοῦ εἴδους. ἔστι δὲ καὶ γνωριμώτερα· τοῦ
μὲν γὰρ εἴδους γνωριζομένου ἀνάγκη καὶ τὸ γένος καὶ τὴν διαφορὰν γνωρίζεσθαι (ὁ γὰρ
ἄνθρωπον γνωρίζων καὶ ζῷον καὶ πεζὸν γνωρίζει), τοῦ δὲ γένους ἢ τῆς διαφορᾶς γνωριζομένης
οὐκ ἀνάγκη καὶ τὸ εἶδος γνωρίζεσθαι, ὥστε ἀγνωστότερον τὸ εἶδος.
331 Metaph. Z14, 1039b8–9: οὐ γὰρ κατὰ συμβεβηκὸς ἐκ ζῴου ἅνθρωπος; Metaph. Z14,
1039b10–11: οὐ γὰρ κατ’ ἄλλο λέγεται· εἰ δὲ μή, ἐξ ἐκείνου ἔσται ὁ ἄνθρωπος καὶ γένος αὐτοῦ
ἐκεῖνο.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 245

Aber es muss zur Voraussetzung genommen werden, dass die allgemeine Gat-
tung weder von der besonderen Art noch von dem konkreten Einzelding zu
trennen ist.332
Die Vereinigung von Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit lässt sich
sowohl ontologisch als auch logisch nachweisen. In der Natur wird das gleich-
artige Einzelding von der Naturart zweckmäßig produziert, die notwendiger-
weise aus der Gattung stammt. Demzufolge werden die Art vom gleichartigen
Einzelding und die Gattung sowohl von der zugehörigen Art als auch vom
gleichartigen Einzelding wesentlich ausgesagt. Einzelding, Art und Gattung fal-
len per se zusammen und dementsprechend bilden Sokrates, Mensch und Lebe-
wesen eine Univokation. Die Naturentstehung sowie die Wesensprädikation
weisen auf den notwendigen ontologisch-logischen Syllogismus hin, wobei
sich die Einzelheit aus der Besonderheit und die Besonderheit aus der Allge-
meinheit auf notwendige Weise ergeben.

2.2.4 Wirklichkeit und Möglichkeit (ἐνέργεια καὶ δύναμις)

Die vorliegende Arbeit zielt hauptsächlich darauf ab, das dreifache Übereinstim-
mungsverhältnis von Sein, Veränderung und Logos einsichtig zu machen (ὄν-με-
ταβολή-λόγος). Zum einen (2.1) bringt die Entsprechung von Sachverhalt,
Bewegung und Meinung die Übereinstimmungswahrheit ins Blickfeld (πρᾶγμα-
κίνησις-δόξα): Es geht um die Frage, ob die Aussage über den veränderlichen
Sachverhalt wahr oder falsch ist (ἀληθές-ψεῦδος). Zum anderen (2.2) kommen
Einzelsubstanz, Entstehung und Definition in Übereinkunft (τόδε τι-γένεσις-ὁρισ-
μός), indem die Entstehung der Einzelsubstanz und die Definition der Wesens-
substanz an derselben hylemorphistischen Struktur teilhaben. Die Naturart
produziert einerseits das gleichartige Einzelding und bringt andererseits den
Geist ins Spiel, der die allgemein gültige Definition der Art zustande bringt (τόδε
τι←εἶδος→νοῦς). Wie die Naturart in der Mitte zwischen Einzelding und Geist

332 In erster Linie orientiert sich die aristotelische Kritik an der platonischen Ideenlehre nicht
an der Allgemeinheit der Idee, sondern daran, dass die Artidee von der Gattungs- und Diffe-
renzidee sowie das Einzelne von der Artidee zu trennen sind (Metaph. Z14, 1039a24–26,
1039a30–32; Z16, 1040b30–34). Die Trennung der Gattung von der Art und der Art vom Einzel-
nen macht es unmöglich, dass die allgemeine Gattung, die besondere Art und das partikulare
Einzelne zusammenfallen. Wegen der Trennung können die Ideen weder zur Entstehung noch
zur Bewegung beitragen. Da sich die Ideen nicht am konkreten Einzelnen konkretisieren und
verwirklichen können, hält Aristoteles die platonischen Ideen nicht für ontologische Substan-
zen, sondern nur für logische Entitäten (φάντασμα – Metaph. A9, 990b14–15; M4, 1079a11).
246 2 Zweite Philosophie (Physik)

steht, so nimmt die Wirklichkeit eine Mittelstellung zwischen Möglichkeit und


Notwendigkeit ein. Aus der modalen Perspektive zeigt sich, dass die Möglichkeit
und die Notwendigkeit aus der Wirklichkeit argumentativ hergeleitet werden.
Zweifelsohne steht die Modalität der Wirklichkeit im Zentrum, indem Aris-
toteles das wahrhafte Sein, d. h. die Substanz, mit dem Wirklichsein identifi-
ziert (οὐσία = τὸ ἐνεργείᾳ ὄν: ὥστε φανερὸν ὅτι ἡ οὐσία καὶ τὸ εἶδος ἐνέργειά
ἐστιν – Metaph. Θ8, 1050b2–3). Das wirkliche Seiende greift einerseits auf das
Notwendige zurück und weist andererseits auf das mögliche Seiende hin. Was
sich in der Wirklichkeit ereignet, sind nicht nur die geistige Tätigkeit der
menschlichen Seele, und zwar noetisches Denken, dianoetisches Denken,
Phantasie und Wahrnehmung (νόησις, διάνοια, φαντασία, αἴσθησις), sondern
auch die menschliche Herstellung und Handlung (ποίησις, πρᾶξις), weiter
noch die Veränderung der Lebewesen, die Umwandlung der Grundelemente
und die Kreisbewegung der Himmelskörper (κίνησις, γένεσις). Im weiteren
Sinne bezeichnet die Wirklichkeit alles, was regelmäßig in die Realität eintritt.
Aber die seelische Tätigkeit ist mit der Möglichkeit der Täuschung verbunden,
da alles, was man im diskursiven Denken auffasst oder sich in der Phantasie
vorstellt, falsch sein kann. Darum kann nichts anderes als der absolute Geist
die Wesenssubstanz allgemein gültig definieren. Der Wahrheitsanspruch wird
nicht durch das menschliche Denken, sondern durch den absoluten Geist
befriedigt, der sich der Täuschungs- und der Falschheitsmöglichkeit entzieht
(οὐδὲ ἀπάτη – Metaph. Θ10, 1051b17–32, 1052a1–4). Außerdem sind die
menschliche Herstellung sowie die Handlung mit dem Zufall verknüpft (τύχη)
und die Natur bringt Irrtümliches oder Schlechtes automatisch zustande (αὐ-
τόματον). Deshalb können Homogenität (ὁμοειδές – Metaph. Z7, 1032a22–25;
Z8, 1033b29–32) und Kontinuität der Naturentstehung (ἀεὶ γένεσις – Metaph.
Λ10, 1075b16–17) nicht vom Naturseienden selbst, sondern müssen vom Über-
natürlichen gewährleistet werden. In der Tat müssen nicht nur die Zweckmä-
ßigkeit der Naturentstehung, die die menschliche Herstellung und die
Handlung imitieren, sondern auch die Regelmäßigkeit der elementaren Um-
wandlung sowie die Ewigkeit der himmlischen Kreisbewegung auf die abso-
lute Notwendigkeit des Geistes zurückzuführen sein. Obwohl sich die Seele
und die Natur teleologisch auslegen lassen, kann die eine getäuscht oder irre-
geführt werden und die andere ist mit Kontingenz und Irrtum behaftet. Die
zufälligen und irrtümlichen Ereignisse erbringen einen klaren Beweis dafür,
dass die Zweckmäßigkeit der menschlichen Tätigkeit und der natürlichen Ak-
tualisierung nicht vom wirklichen Seienden, sondern von einem absoluten
Notwendigen garantiert werden muss.
Außer der Rückführung auf das Notwendige impliziert die Verwirklichung
der Form rückwärts den potentiellen Zustand derselben. Nach der herkömmlichen
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 247

Interpretation ist die Form durch Aktivität und Wirklichkeit gekennzeichnet, die
Materie aber durch Passivität und Möglichkeit. Während man mit Recht die Akti-
vität der Form und die Passivität dem Stoff zuschreibt, ist es jedoch nicht völlig
korrekt, die Form mit der Wirklichkeit und den Stoff mit der bloßen Möglichkeit
zu kombinieren. Dem Chiasmus zufolge überkreuzen sich Aktivität-Passivität und
Wirklichkeit-Möglichkeit (Tab. 20):

Tab. 20: Form, Privation, konkrete Materie und prima materia.

δύναμις τοῦ ποιεῖν δύναμις τοῦ πάσχειν

τὸ ἐνεργείᾳ ὄν εἶδος/μορφή ὕλη

τὸ δυνάμει ὄν στέρησις πρώτη ὕλη

Da die modi essendi, Wirklichkeit und Möglichkeit, vom aktiven oder passiven Ver-
mögen des Seienden unabhängig sind, kann die Form mit der Möglichkeit verbun-
den sein, während die konkrete Materie immer in der Wirklichkeit existiert. Zum
einen kann die Form, die sich aktualisieren soll, nicht aktualisiert werden, sodass
sie nur der Möglichkeit nach vorliegt. Zum anderen muss die konkrete Materie der
Entstehung wirklich zur Verfügung stehen. Denn das passive Vermögen, das die
konkrete Materie mit sich bringt, hindert ihn nicht daran, real zu existieren. Allein
die prima materia umfasst die Passivität und die Möglichkeit, da sie passiv zu-
grunde gelegt und nicht verwirklicht wird. Darum ist die Modalität bzw. die Seins-
weise der konkreten Materie nicht die Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit.
Was möglicherweise vorhanden sein kann, ist die nicht aktualisierte Form, die mit
einem terminus technicus die Privation genannt wird.
Einerseits müssen die Privation und die konkrete Materie strikt voneinan-
der unterschieden werden, da die eine durch Aktivität und Potentialität ge-
kennzeichnet ist (στέρησις = ποιεῖν + δύνατον, potentia activa in potentia) und
die andere mit Passivität und Aktualität ausgestattet ist (ὕλη = πάσχειν + ἐνερ-
γείᾳ, potentia passiva in actu). Darum stehen die Privation als abwesende Form
und die konkrete Materie zueinander gegensätzlich, indem die formale Aktivität
der materialen Passivität und die Möglichkeit der Form der Wirklichkeit der Ma-
terie gegenüberstehen.333 Andererseits kommen die Privation und die Materie

333 Die Differenz zwischen der Privation und dem Zugrundeliegenden lässt sich mit den folgen-
den Beispielen aufzeigen. Es ist evident, dass die Krankheit als potentielle Gesundheit nicht mit
dem zugrundeliegenden Körper identifiziert werden kann (Phys. Γ1, 201a34–201b3 = Metaph. K9,
248 2 Zweite Philosophie (Physik)

faktisch zur Deckung, wenn die Naturart an der Materie nicht verwirklicht wird.
Wenn das formale und das materiale Prinzip beim Naturseienden vereinigt
sind, fallen nicht nur die anwesende Form, sondern auch die abwesende Form,
d. h. die Privation, mit der Materie zusammen. Falls sich die menschliche Art
nicht in Knochen, Fleisch usw. aktualisiert, gilt der menschliche Körper als po-
tentieller Mensch. Die zugrundeliegende Materie des Naturseienden kann
daher entweder als wirklicher Stoff oder als mögliche Form angesehen werden,
je nachdem, ob man den Akzent auf die materiale Wirklichkeit oder die formale
Potentialität legt.
Aristoteles gibt zwar die materiale Wirklichkeit zu, hebt aber den formalen As-
pekt hervor. Während die vorsokratischen Naturphilosophen dazu tendieren, das
Weltganze materialistisch zu erklären, ändert Aristoteles die Weltanschauung da-
durch revolutionär und grundsätzlich, dass die Materie nicht mehr aus der mate-
rialen Perspektive, sondern unter dem formalen Blickwinkel betrachtet wird. Bei
der Naturentstehung, die zugleich als Vorbild gilt, ist die reale Materie, die unmit-
telbar auf der Hand liegt und direkt vor Augen steht, nichts anderes als die noch
nicht aktualisierte Art. Demzufolge ist die Naturentstehung als Verwirklichung der
potentiellen Naturart anzusehen. Nicht nur der Selbstvollzug der Physis, sondern
auch die Techne und die Praxis des Menschen, weiter noch die sensible und die
intelligible Tätigkeit der Seele können gemeinsam als Prozess bestimmt werden,
in dem etwas Formales, nämlich die natürliche Art (Mensch), die technische Form
(Hermes-Gestalt), die bestimmte Eigenschaft (Gesundheit), die Wahrnehmung
oder das Denken, von der Potentialität zur Aktualität übergeht. Nichts anderes als
die Seinsweise der Form verändert sich, und zwar von der Möglichkeit zur Wirk-
lichkeit. Es zeigt sich, dass die beiden Modalitäten nicht auf die Materialität, son-
dern auf die Formalität gerichtet sind.
Daraus folgen wichtige theoretische Konsequenzen. Wenn sich die Mög-
lichkeit und die Wirklichkeit auf die Form beziehen, kommen sie in der Aus-
sage nicht direkt dem Subjekt zu, sondern dem Prädikat, das die Form
logischerweise widerspiegelt. Während das Prädikat vom logischen Subjekt
ausgesagt wird, müssen die Möglichkeit und die Wirklichkeit vom Prädikat

1065b28–32). Außerdem sind der Stoff Erz und die potentielle Hermes-Statue nicht für identisch
zu halten (οὐ γὰρ τὸ αὐτὸ τὸ χαλκῷ εἶναι καὶ δυνάμει τινί κινητῷ – Phys. Γ1, 201a31–35 = Metaph.
K9, 1065b26–28), obwohl die beiden vor der Herstellung sachlich ein und dasselbe zu sein schei-
nen. Der Unterschied liegt darin, dass die mögliche Hermes-Statue darauf abzielt, eine Hermes-
Statue zu verwirklichen. Dagegen ist derselbe Stoff für mehrere Möglichkeiten offen, insofern
das Erz nicht nur zur Herstellung einer Statue, sondern auch zur Herstellung anderer Artefakte
wie Tisch, Bett usw. benutzt werden kann. Eine ausführliche Erörterung über den Unterschied
von Privation und Materie findet sich in A9 der Physik.
2.2 Einzelding-Entstehung-Definition 249

prädiziert werden. Logisch gesehen ist die Modalität nicht das Attribut des
Subjekts, sondern das Attribut des Prädikates, denn die beiden Modalitäten
weisen auf die Zustände des Verbs hin.334 Deshalb gehören die Möglichkeit
und die Wirklichkeit zwar nicht zur Kategorienliste, aber sie durchdringen
alle zehn Kategorien.335 Im Satz, z. B. „Es ist möglich, dass Sokrates sitzt“, be-
zieht sich die Möglichkeit nicht auf Sokrates, sondern auf das Sitzen. Außer-
dem ist einzusehen, dass die Möglichkeit aus der Wirklichkeit stammt. Aus
der Tatsache, dass Sokrates mindestens einmal wirklich sitzt, kann man er-
schließen, dass Sokrates möglicherweise sitzt. Was überhaupt nicht verwirk-
licht werden kann, ist ontologisch unmöglich und logisch unaussagbar. Laut
Aristoteles ist die Unrealisierbarkeit mit der ontologischen Unmöglichkeit
und der logischen Unaussagbarkeit zu identifizieren.
Der Kern der aristotelischen Substanzlehre liegt gerade darin, das wahr-
hafte Sein, d. h. die Substanz, mit dem Wirklichsein zu identifizieren (οὐσία =
τὸ ἐνεργείᾳ ὄν). Von der Wirklichkeit der Naturentstehung aus erstreckt sich
die Prinzipienforschung einerseits zur Potentialität der Art und andererseits zur
Notwendigkeit des Geistes. Im Vergleich dazu schafft Platon ein anderes Welt-
bild. Gemäß der Ideenlehre gilt nicht das wirkliche Einzelding, sondern die not-
wendige Idee als wahrhaftes Sein. Platon lehnt die Realität dadurch ab, dass
sich alles, was in der Wirklichkeit vorkommt, zwischen dem wahrhaften Sein
und dem absoluten Nichts befindet. Kraft der Unveränderlichkeit und der Not-
wendigkeit ist die Idee allein für Substanz zu halten. Die Allgemeinheit wird
deshalb zum Kriterium der Substanz genommen, weil nicht das Einzelding,
sondern nur die Allgemeinheit unveränderlich und notwendig ist. Je allgemei-
ner eine Idee ist, desto substanzieller ist sie. Nach der graduellen Allgemeinheit
sind die Ideen in den Ideenkosmos hierarchisch einzuordnen. Wenn man nach
der Substanz im höchsten Maß (μάλιστα οὐσία) sucht, muss man zum Allge-
meinsten aufsteigen. Die Suche nach der Allgemeinheit, die sich nur durch die

334 Kant, Kritik der reinen Vernunft B99–100 (1998: 151): „Die Modalität der Urteile ist eine
ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, dass sie nichts zum
Inhalt des Urteils beiträgt, (denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was
den Inhalt eines Urteils ausmachte,) sondern nur den Wert der Copula in Beziehung auf das
Denken überhaupt angeht.“
335 Simplicii In Physicorum 413.17–25: τὸ μὲν γὰρ διαιρετικὸν ἦν, ὅτι ἔστι τὸ μὲν ἐντελεχείᾳ
μόνον, τὸ δὲ δυνάμει καὶ ἐντελεχείᾳ, ὅπερ καθ’ ἑκάστην εἶναι κατηγορίαν εἴρηται. τούτου οὖν
φησι τοῦ δυνάμει καὶ ἐντελεχείᾳ καθ’ ἕκαστον γένος θεωρηθέντος καὶ διακριθέντος εἰς τὸ δυ-
νάμει καὶ ἐντελεχείᾳ < τὴν τοῦ δυνάμει ὄντος ἐνέργειαν, ᾗ τοιοῦτόν ἐστι, λέγω κίνησιν > . καὶ
γὰρ ἐν οὐσίᾳ ἐστὶ τὸ μὲν δυνάμει ἄνθρωπος οἷον τὸ σπέρμα, τὸ δὲ ἐντελεχείᾳ οἷον ὁ Σωκράτης,
καὶ ἐν ποσῷ δυνάμει τι δίπηχυ καὶ ἐντελεχείᾳ, καὶ ἐν ποιῷ δυνάμει λευκὸν καὶ ἐντελεχείᾳ.
ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν λοιπῶν γενῶν.
250 2 Zweite Philosophie (Physik)

Abstraktion vollziehen kann, führt zur (prädikativen) Unendlichkeit, wie das


Argument des Dritten Menschen zeigt. Denn rein theoretisch gesehen ist es
immer möglich, eine allgemeinere Idee aufzustellen. Um den unendlichen Re-
gress zu Ende zu bringen, muss eine absolute Negation eingeführt werden.
Demzufolge kann das höchste Prinzip nur auf eine negative Art und Weise zur
Sprache gebracht und zur Kenntnis genommen werden.
Während die aristotelische Meta-Physik auf der natürlichen Veränderung
und der menschlichen Tätigkeit aufbaut, handelt es sich in der platonischen
Meta-Mathematik um reine geistige Entität, d. h. reine Begrifflichkeit. Da die
Mathematik aufgrund der Unveränderlichkeit der Logik näher steht als die Phy-
sik, hätte nicht Aristoteles, sondern Platon die formale Logik begründen können.
Aber in der Tat ist es gerade umgekehrt. Denn die Logik hat zwar mit der Forma-
lität zu tun, kann aber nicht rein formal begründet werden. Zum einen beruht die
Prädikatslogik, worunter die elementare Aussage zu verstehen ist, grundsätzlich
auf der ontologischen Differenz von Substanz und Kategorie. Zum anderen muss
die Modallogik die Veränderlichkeit zur ontologischen Voraussetzung nehmen.
Im Gegensatz dazu hält Platon einerseits das allgemeine Prädikat und die Idee/
Substanz für identisch (κατηγορούμενον = ἰδέα), sodass die Übereinstimmung
der ontologischen Substanz mit dem logischen Subjekt und die Entsprechung
der zukommenden Kategorie mit dem logischen Prädikat unterbrochen werden.
Ohne die Idee in Bewegung zu setzen, schafft Platon andererseits den Weg ab,
der Modallogik ein ontologisches Fundament zu legen. Die Seinsweisen,
nämlich Möglichkeit-Wirklichkeit, setzen Vermögen-Verwirklichung voraus, die
die grundsätzlichen Prinzipien der Veränderung sind. Ohne Veränderung würde
alles determiniert und wäre alles notwendig.
Aristoteles als Begründer der Logik orientiert sich in erster Linie nicht daran,
die formalen Regeln der Logik zu entwickeln, sondern eher daran, wie man die
veränderliche Wirklichkeit anhand des Begriffs oder der Aussage präzise ausdrü-
cken und theoretisch untersuchen kann. Dadurch, dass Aristoteles Veränderung,
Logos und Sein in Einklang bringt, sind die Physik und die Logik anhand des
ontologischen Grundsatzes zu begründen. Indem sich das einheitliche Seinsprin-
zip in die metaphysische Auslegung der Veränderung und in die Logik entfaltet,
sind die beiden großen Disziplinen der griechischen Philosophie, Physis und
Logos, in die aristotelische Metaphysik integriert.
3 Erste Philosophie (Theologie)

3.1 Analogie

Zusammenfassend ist die sensible Einzelsubstanz seiend, werdend und auszu-


sagen, und zwar entweder per accidens oder per se. Anhand dieser Unterschei-
dung steht nicht nur der Sachverhalt zur Einzelsubstanz, sondern auch die
Bewegung zur Entstehung, weiter noch die Äquivokation zur Univokation ana-
log. Darüber hinaus bilden sowohl Sachverhalt-Bewegung-Meinung als auch
Einzelsubstanz-Entstehung-Wesensdefinition eine strukturelle Ähnlichkeit. Das
vollständige Schema ist folgendermaßen darzustellen (Tab. 21):

Tab. 21: Analogie von Sein, Veränderung und Logos.

ὄν μεταβολή λόγος

σύνθετον πρᾶγμα κίνησις δόξα


ποιεῖν κατηγορούμενον ἀντικείμενον ῥῆμα
πάσχειν ὑποκείμενον ὑπομένον ὄνομα

σύνολον τόδε τι γένεσις ὁρισμός


ποιεῖν εἶδος μορφή διαφορά
πάσχειν τόδε τι ὁμοειδές ὕλη γένος

Der Hylemorphismus durchdringt alle sechs Strukturen. Denn nach demselben


Urmuster von Form und Stoff, das im funktionalen Gefüge von Machen und Erlei-
den gründet, verhält sich die Kategorie zur Einzelsubstanz, die Eigenschaft zum
Substrat, das Prädikat zum Subjekt, die Naturart zum gleichartigen Einzelding,
die Form zur sensiblen Materie und die spezifische Differenz zur intelligiblen
Materie. Die Analogie besteht nicht nur im Gefüge von Form-Stoff (μορφή-ὕλη)
und von Machen und Erleiden (ποιεῖν-πάσχειν), sondern in der Struktur
von Möglichsein und Wirklichsein (δύναμις-ἐνέργεια). Werden das akzidentelle
und das substanzielle Kompositum unter dem Aspekt der Veränderung betrach-
tet, lassen sich die Bewegung sowie die Entstehung für den Prozess halten, in
dem das Formale von der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergeht.
Wie gesagt leistet die ontologische strukturelle Ähnlichkeit den theoreti-
schen Beitrag dazu, einen einheitlichen Begriff zu bilden. Wenn die verschiede-
nen Sachen in unterschiedlichen Seinsbereichen die gleiche Funktion in sich
tragen, können sie mit demselben Begriff versehen sein. Wir nehmen den

https://doi.org/10.1515/9783110664928-004
252 3 Erste Philosophie (Theologie)

Terminus ὑποκείμενον zum Paradigma, um die analogische Einheit des Begriffs


einsichtig zu machen. Trotz verschiedener Anwendungsfälle weist ὑποκείμενον
auf eine Grundbedeutung der Passivität (πάσχειν) hin.336 Aufgrund dessen wer-
den die Substanz, die der zukommenden Kategorie zugrunde gelegt wird, sowie
das Substrat, das die Wechselwirkung der gegensätzlichen Eigenschaften erlei-
det, und das Subjekt, das vom Prädikat zum Ausdruck gebracht wird, gemein-
sam als ὑποκείμενον bezeichnet. Insofern das gleichartige Einzelding die
Wesenheit und die Eigentümlichkeit seiner Art in sich trägt, und die Materie
die formale Prägung und die Gestaltung in sich aufnimmt, liegt das Einzelding
der Art zugrunde, und die Materie der Form. Außerdem ist die terminologische
Verwendung vom ὑποκείμενον nicht auf den sensiblen Seinsbereich beschränkt.
Die Gattung ist deswegen als intelligible Materie (ὕλη νοητή) benannt, weil sie
der spezifischen Differenz definitorisch zugrunde gelegt wird. Indem die Gattung
disjunktiv ausdifferenziert ist, leidet sie an dem konträren Gegensatz. Nicht zu-
letzt wendet Aristoteles den Begriff ὑποκείμενον in einem spezifischen Sinne an,
nämlich im Sinne von Form (Metaph. Z3, 1029a1–3). Obwohl die Form dem Ein-
zelding und dem Stoff logisch-ontologisch zugrunde liegt, stellt sich die Frage,
inwiefern die Form als ὑποκείμενον angesehen werden kann. Es stimmt deshalb
nicht mit der Grundbedeutung des Zugrundeliegenden, nämlich der Passivität,
überein, weil die aristotelische Form/Art nicht nur mit der Aktualität, sondern
auch mit der Aktivität zusammenhängt. Die Form/Art ist nichts anderes als die
aktive Aktualisierung. Um die Passivität des Zugrundeliegenden aufrechtzuerhal-
ten, beruht die Erörterung nicht auf der ontologischen Entstehung, sondern auf
der logischen Definition. Anhand der Gattung und der spezifischen Differenz
kann der Begriff definitorisch zur Entfaltung gebracht werden. Ist der Mensch als
vernünftiges Lebewesen wesentlich bestimmt, verhält sich der Begriff „Mensch“
zu beiden Definitionselementen, wie sich das passive Bestimmte zum aktiven Be-
stimmenden verhält.337
Die Analogie gilt nicht nur für die sensible Einzelsubstanz, die sich entweder
per accidens oder per se in Betracht ziehen lässt. Sondern für die verschiedenen
Typen der Substanz kommt die strukturelle Ähnlichkeit auch zur Geltung. Das Ein-
zellebewesen, die Naturart, die vier Grundelemente, der Himmelskörper und der
Geist können deswegen gemeinsam als Substanz bezeichnet werden, weil die Ent-
stehung der Einzelsubstanz, die Definition der Wesenssubstanz, die Umwandlung

336 Meteor. A2, 339a29: [. . .] τὸ γὰρ ὑποκείμενον καὶ πάσχον τοῦτον προσαγορεύομεν τὸν τρό-
πον. Gen. et Corr. A6, 324a15–16, 21–22; B9, 335b29–32; Metaph. M2, 1077a35–36.
337 Top. Δ6, 127b1–4: Ἔτι εἰ ἐν ὑποκειμένῳ τῷ εἴδει τὸ ἀποδοθὲν γένος λέγεται, καθάπερ τὸ
λευκὸν ἐπὶ τῆς χιόνος, ὥστε δῆλον ὅτι οὐκ ἂν εἴη γένος· καθ’ ὑποκειμένου γὰρ τοῦ εἴδους
μόνον τὸ γένος λέγεται. Vgl. Wieland 1962: 153.
3.1 Analogie 253

der vier Grundelemente und der Kreislauf des Himmelskörpers an derselben Struk-
tur von Machen-Erleiden teilhaben (Tab. 22).

Tab. 22: Analogie von verschiedenen Typen der Substanz.

τόδε τι εἶδος ὕδωρ-ἀὴρ-πῦρ-γῆ ὁ οὐρανὸς ἀΐδιος


γένεσις ὁρισμός γένεσις τοῖς ἁπλοῖς σώμασι ἡ κύκλῳ φορά

ποιεῖν μορφή διαφορά παθῆ ἐναντία νοῦς


πάσχειν ὕλη αἰσθητή ὕλη νοητή πρώτη ὕλη οὐρανός

Was sich in der Natur ereignet, ist keineswegs die nachträgliche Zusammen-
setzung von Form und Stoff, sondern die zweckmäßige Verwirklichung der
Naturart am gleichartigen Einzelding. Von der aktualisierenden Art und dem
vorhandenen Kompositum ist die erleidende Materie abzuleiten (ποιεῖν +
σύνολον→πάσχειν). Aber um die Struktur von Wirken und Leiden offenkun-
dig zu machen, wird das technische Modell in der Erörterung bevorzugt.
Demnach besteht die Analogie von Entstehung der Einzelsubstanz und Defi-
nition der Wesenssubstanz darin, dass sich die spezifische Differenz ebenso
zur Gattung verhält wie sich die Form zur Materie verhält. Denn die Form
oder die spezifische Differenz als formales Prinzip ist mit der Aktivität ver-
knüpft, und die sensible oder die intelligible Materie als stoffliches Prinzip
mit der Passivität behaftet. Durch das Zusammenwirken von formalem und
materialem Prinzip wird einerseits die Einzelsubstanz hervorgebracht und
andererseits die Wesenssubstanz definiert. Darüber hinaus stimmt die Kreis-
bewegung des Himmelskörpers mit der Entstehung der Einzelsubstanz und
mit der Definition der Wesenssubstanz strukturell überein, insofern der Geist
als Bewegendes (κινοῦν) und das Gestirn als Bewegtes (κινούμενον) Anteil an
der Struktur von Aktivität-Passivität haben. Das Verhältnis des Himmelskör-
pers zum unbewegten Bewegenden werden wir später (3.2) im Rahmen des
kosmologischen Gottesbeweises ausführlich erläutern.
Erwähnenswert ist die Entstehung der Grundelemente. Die vier Grundele-
mente sind dadurch auseinander entstanden, dass sie sich nach einer bestimm-
ten Abfolge ineinander umwandeln. Mit gewissen Modifikationen stehen die
Entstehung der Grundelemente und die Bewegung in einem analogischen Ver-
hältnis. Aristoteles’ Auffassung nach sind die vier Grundelemente, Feuer, Luft,
Wasser und Erde, nicht einfache Seiende (ἁπλοῦν), sondern Komposita (μικτόν –
Gen. et Corr. B3, 330b21–22), die jeweils aus der zugrundeliegenden Urmaterie
und zwei kompatiblen Eigenschaften zusammengesetzt werden (Gen. et Corr. B1,
329a24–35). Dem Grundsatz der griechischen Naturphilosophie zufolge kann das
254 3 Erste Philosophie (Theologie)

Seiende nicht aus dem absoluten Nichts, sondern nur aus der zugrundeliegenden
Materie entstanden sein.338 Im Mikrobereich ist diese die prima materia, die
auf nichts anderes zurückgeführt werden kann und den vier Grundelementen
gemeinsam zugrunde liegt.339 Außerdem gibt es wie vier Grundelemente auch
vier Grundeigenschaften, nämlich das Warme, das Kalte, das Trockene und
das Feuchte. Theoretisch gesehen gibt es insgesamt sechs Möglichkeiten, die
vier Grundeigenschaften miteinander in Verbindung zu setzen. Da das Warme
dem Kalten und das Trockene dem Feuchten per se entgegensteht, werden die
beiden Kombinationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Indem sich die beiden
Gegensätze, warm-kalt und trocken-feucht, miteinander chiastisch kreuzen,
ergeben sich vier Paar Eigenschaften, die die vier Grundelemente kennzeich-
nen (Gen. et Corr. B3, 330a30–330b3; Tab. 23).

338 (1) Phys. A4, 187a32–187b1: εἰ γὰρ πᾶν μὲν τὸ γιγνόμενον ἀνάγκη γίγνεσθαι ἢ ἐξ ὄντων
ἢ ἐκ μὴ ὄντων, τούτων δὲ τὸ μὲν ἐκ μὴ ὄντων γίγνεσθαι ἀδύνατον (περὶ γὰρ ταύτης ὁμογ-
νωμονοῦσι τῆς δόξης ἅπαντες οἱ περὶ φύσεως), τὸ λοιπὸν ἤδη συμβαίνειν ἐξ ἀνάγκης ἐνόμι-
σαν, ἐξ ὄντων μὲν καὶ ἐνυπαρχόντων γίγνεσθαι, διὰ μικρότητα δὲ τῶν ὄγκων ἐξ ἀναισθήτων
ἡμῖν. (2) Phys. A8, 191b13–17: ἡμεῖς δὲ καὶ αὐτοί φαμεν γίγνεσθαι μὲν μηθὲν ἁπλῶς ἐκ μὴ
ὄντος, πὼς μέντοι γίγνεσθαι ἐκ μὴ ὄντος, οἷον κατὰ συμβεβηκός (ἐκ γὰρ τῆς στερήσεως, ὅ
ἐστι καθ’ αὑτὸ μὴ ὄν, οὐκ ἐνυπάρχοντος γίγνεταί τι· θαυμάζεται δὲ τοῦτο καὶ ἀδύνατον
οὕτω δοκεῖ γίγνεσθαί τι, ἐκ μὴ ὄντος). (3) Phys. A9, 192a31–32: λέγω γὰρ ὕλην τὸ πρῶτον
ὑποκείμενον ἑκάστῳ, ἐξ οὗ γίγνεταί τι ἐνυπάρχοντος μὴ κατὰ συμβεβηκός. (4) Phys. B1,
193a9–12: δοκεῖ δ’ ἡ φύσις καὶ ἡ οὐσία τῶν φύσει ὄντων ἐνίοις εἶναι τὸ πρῶτον ἐνυπάρχον
ἑκάστῳ, ἀρρύθμιστον < ὂν > καθ’ ἑαυτό, οἷον κλίνης φύσις τὸ ξύλον, ἀνδριάντος δ’ ὁ χαλκός.
(5) Metaph. B4, 999b6–8: ἀνάγκη γὰρ εἶναί τι τὸ γιγνόμενον καὶ ἐξ οὗ γίγνεται καὶ τούτων
τὸ ἔσχατον ἀγένητον, εἴπερ ἵσταταί τε καὶ ἐκ μὴ ὄντος γενέσθαι ἀδύνατον. (6) Metaph. Z7,
1032a13–17: [. . .] πάντα δὲ τὰ γιγνόμενα ὑπό τέ τινος γίγνεται καὶ ἔκ τινος καὶ τί· [. . .] αἱ δὲ
γενέσεις αἱ μὲν φυσικαὶ αὗταί εἰσιν ὧν ἡ γένεσις ἐκ φύσεώς ἐστιν, τὸ δ’ ἐξ οὗ γίγνεται, ἣν
λέγομεν ὕλην.
339 (1) Meteor. 339a36–339b2: φαμὲν δὴ πῦρ καὶ ἀέρα καὶ ὕδωρ καὶ γῆν γίγνεσθαι ἐξ ἀλλήλων,
καὶ ἕκαστον ἐν ἑκάστῳ ὑπάρχειν τούτων δυνάμει, ὥσπερ καὶ τῶν ἄλλων οἷς ἕν τι καὶ ταὐτὸν
ὑπόκειται, εἰς ὃ δὴ ἀναλύονται ἔσχατο. (2) Simplicii In Physicorum 273.20–25: πρῶτον δὲ < ἀρ-
ρύθμιστον > εἶπε, διότι ἐν ἑκάστῳ τῶν συνθέτων πλείονα πολλάκις ἐστὶν ὑποκειμένων ἔχοντα
λόγον, ὡς ἐν τοῖς τῶν ζῴων σώμασι προσεχῶς μὲν τῷ ὅλῳ εἴδει ὑπόκειται τὰ ὀργανικά, ἐκεί-
νοις δὲ τὰ ὁμοιομερῆ καὶ ἐκείνοις τὰ τέτταρα καλούμενα στοιχεῖα καὶ ἐκείνοις ἡ πρώτη ὕλη,
ἥπερ ἐστὶ τὸ πρῶτον ἀρρύθμιστον καθ’ αὑτό. (3) Simplicii In Physicorum 853.3–10: [. . .] ἐπειδὴ
πᾶν τὸ γινόμενον ἔκ τινος ὑποκειμένου γίνεται καὶ ὕλης τινός, ἥτις τὸ εἶδος δεχομένη γίνεται
τοῦτο ὃ γίνεται, [. . .], ἔσται τι ὑποκείμενον ἐξ οὗ ἡ γένεσις καὶ ἡ μεταβολή, ὥσπερ καὶ τῷ πυρὶ
γινομένῳ ὑπόκειταί τις ὕλη, ἐξ ἧς γίνεται, καὶ τῷ ἀνδριάντι ὁ χαλκός, καὶ τῇ ἀλλοιώσει ὑπόκει-
ται ἢ σῶμα ἢ ψυχή, οὕτω καὶ τῷ γινομένῳ. (4) Phys. B1, 193a9–21; Gen. et Corr. B1, 329a27–35;
Metaph. Δ4, 1015a7–10; H4, 1044a15–23.
3.1 Analogie 255

Tab. 23: Vier Grundeigenschaften und


vier Grundelemente.

θερμόν ψυχρόν

ξηρόν πῦρ γῆ
ὑγρόν ἀὴρ ὕδωρ

Unter der Bedingung, dass ein und derselbe Urstoff den vier Grundelementen ge-
meinsam zugrunde liegt, ist das Feuer trocken und warm, die Luft warm und
feucht, das Wasser feucht und kalt und die Erde kalt und trocken (Gen. et Corr. B3,
330b3–6, 331a3–6). Das Wasser steht dem Feuer völlig entgegen, da außer der
gleichen Urmaterie die beiden Eigenschaftspaare gegensätzlich sind, nämlich
warm gegen kalt und trocken gegen feucht (Gen. et Corr. B4, 331a16–18). Der
strikte Gegensatz von Wasser und Feuer führt dazu, dass das eine das andere
auslöscht. Darum kann nicht das Wasser, sondern nur die Luft direkt aus dem
Feuer entstanden sein. Dem Feuer und der Luft wohnt nicht nur dieselbe Urmate-
rie inne, sondern auch eine gleiche Eigenschaft, das Warme. Indem das Trockene
dem Feuchten entgegensteht, unterscheidet sich das Feuer von der Luft. Gerade
deswegen kann die Luft nur aus dem Feuer stammen, weil in der Entstehung
oder Veränderung die eine Eigenschaft aus der anderen gegensätzlichen Eigen-
schaft herkommen und darauf zurückgehen muss (ἡ γὰρ γένεσις εἰς ἐναντία καὶ
ἐξ ἐναντίων).340 Wie das Weiße aus dem Schwarzen, das Gesunde aus dem Kran-
ken hervortritt, kann das Feuchte nur dem Trockenen entstammen. Dadurch,
dass das Feuchte aus dem Trocken herkommt und das Warme verharrt, die Luft
aus dem Feuer entstanden ist (Gen. et Corr. B4, 331a26–29). Einen Schritt weiter ist
die Luft warm und feucht, das Wasser aber feucht und kalt. Während das Feuchte
unveränderlich verharrt, geht die Luft dadurch ins Wasser über, dass sich das
Warme ins Kalte umwandelt (Gen. et Corr. B4, 331a29–32). Anschließend ist dem
Wasser und der Erde dieselbe Eigenschaft des Kalten zugeteilt. Indem das Tro-
ckene statt des Feuchten anwesend ist, wird das Wasser in die Erde umgewandelt
(Gen. et Corr. B4, 331a34–36). Weitergehend hat die Erde mit dem Feuer gemein-

340 Gen. et Corr. B4, 331a14; Metaph. H5, 1044b23–26; Λ2, 1069b3–6; GA A18, 724a26–28,
724b2–4. Übrigens hängt dies mit der zwiefältigen Bedeutung von ἔκ τινος zusammen: αἴτιον
δὲ ὅτι γίγνεται ἐκ τῆς στερήσεως καὶ τοῦ ὑποκειμένου, ὃ λέγομεν τὴν ὕλην – Metaph. Z7,
1033a8–10. Während die Einzelsubstanz nur aus der zugrundeliegenden Materie zustande ge-
bracht werden kann, tritt die eine Eigenschaft aus der anderen entgegensetzten Eigenschaft
hervor. Im vorliegenden Kontext ist vom letzteren Fall die Rede.
256 3 Erste Philosophie (Theologie)

sam, dass beide trocken sind. Dadurch, dass das Trockene beharrt und das Kalte
vom Warmen ersetzt wird, ist das Feuer aus der Erde entstanden (Gen. et Corr. B4,
331a36–331b2).
Es leuchtet ein, dass die Entstehung der Grundelemente nichts anderes ist als
die kreisförmige Umwandlung, nämlich vom Feuer zur Luft, von der Luft zum
Wasser, vom Wasser zur Erde und von der Erde zum Feuer (Ὥστε φανερὸν ὅτι
κύκλῳ τε ἔσται ἡ γένεσις τοῖς ἁπλοῖς σώμασι, καὶ ῥᾷστος οὗτος ὁ τρόπος τῆς μετα-
βολῆς διὰ τὸ σύμβολα ἐνυπάρχειν τοῖς ἐφεξῆς – Gen. et Corr. B4, 331b2–4; B10,
337a1–6; Metaph. Θ8, 1050b28–30). Die Entstehung der vier Grundelemente und
die Bewegung, z. B. die qualitative Veränderung, bilden dadurch eine Analogie,
dass jene die Struktur dieser modifizierend nachahmt. Bei der qualitativen Verän-
derung fügen sich die zugrundeliegende Einzelsubstanz und die gegensätzlichen
Eigenschaften zusammen (ὑποκείμενον-ἀντικείμενον). In ähnlicher Weise liegt die
Urmaterie der Umwandlung zugrunde und jedes Grundelement ist mit den zwei
kompatiblen Eigenschaften ausgestattet. In der Umwandlung bzw. Entstehung der
Grundelemente erhält sich die Urmaterie unveränderlich und die eine Eigenschaft
verharrt. Sobald sich die andere Eigenschaft in ihren Gegensatz umwandelt, ist ein
anderes Grundelement entstanden. Denn mit der Aufhebung der wesentlichen Ei-
genschaft geht die eine Substanz zugrunde und die andere Substanz kommt
gleichzeitig zustande.341 Des Weiteren ist für die Entstehung der Grundelemente
die hylemorphistische Struktur von Machen und Erleiden auch grundlegend, denn
einerseits wird die prima materia als materiales, ontologisch irreduzibles, Substrat
zugrunde gelegt; andererseits wirken die gegensätzlichen Eigenschaften aufeinan-
der, um den ganzen Entstehungsprozess in Gang zu bringen.
Der aristotelische Hylemorphismus ist insofern universal, als er sich nicht auf
die Substanzlehre beschränkt. Anhand der metaphysischen Begründung erstreckt
sich das hylemorphistische Gefüge nicht nur auf die theoretische Wissenschaft,
sondern auch auf die poietische und die praktische Wissenschaft, weiter noch auf
die Erkenntnistheorie. Die wissenschaftlichen Disziplinen sind ihrerseits wiederum
jeweils in Unterteilungen differenziert. So ist beispielsweise die theoretische

341 Der Unterschied zwischen der qualitativen Veränderung und der Entstehung der Grunde-
lemente ist folgendermaßen zu erklären: In der qualitativen Veränderung wandeln sich die Ge-
gensätze an demselben Substrat ineinander um, die symmetrisch und ersetzbar sind. Sokrates
z. B. verändert sich vom Unmusikalischen ins Musikalische. Wenn der unmusikalische Sokra-
tes musikalisch ist, bleibt Sokrates als Mensch ein und derselbe. Beim Grundelement sind die
zwei immanenten Eigenschaften zwar kompatibel, aber nicht symmetrisch. Denn die eine Ei-
genschaft als Eigentümlichkeit ist dem Grundelement wesentlich, wie z. B. das Warme dem
Feuer. Mit der Aufhebung der wesentlichen Eigenschaft geht die entsprechende Substanz un-
mittelbar zugrunde. Wenn sich das Feuer dem Warmen entzieht, ist es nicht mehr Feuer.
3.1 Analogie 257

Wissenschaft in Physik, Mathematik und Theologie und die praktische Wissen-


schaft in Ethik, Ökonomik und Politik zu unterteilen. Wenn die theoretische, die
poietische, die praktische Wissenschaft und die Epistemologie in der gleichen
Struktur von Form-Stoff und Wirken-Leiden (Aktivität-Passivität) gründen, kommt
die hylemorphistische Struktur in allen Unterteilungen durchgängig zur Geltung.
In erster Linie ist davon die Rede, wie die drei theoretischen Wissenschaften auf
analoge Weise strukturiert sind. Zunächst stellen wir das Schema dar (Abb. 10)
und die ausführliche Erklärung kommt anschließend.

Abb. 10: Einteilung der theoretischen Wissenschaften.

Die Physik überschneidet sich insofern mit der metaphysischen Prinzipienfor-


schung, als sie wie die Metaphysik sowohl die Entstehungsprinzipien der Einzel-
substanzen342 als auch die Bewegungsursache der himmlischen Substanzen
thematisiert.343 Im Falle, dass die Physik die Eigentümlichkeit der natürlichen

342 Wie wir in Teil 2.2.1 ausführlich dargelegt haben, entfaltet Aristoteles sowohl in der Physik
als auch in der Metaphysik die zwei Versionen der Vier-Ursachen-Lehre. In Physik A7, 8 und in
Metaphysik Λ4, 5 kommen die vier Prinzipien in der Gestalt von Form, Privation, Stoff und
Wirkursache zum Vorschein. In Physik B1–3 und in Metaphysik A tritt aber die Standardversion
von Form-, Stoff-, Wirk- und Zielursache auf.
343 Sowohl im letzten Buch der Physik (Θ5–10) als auch am Ende der Metaphysik (Λ6–10) ist von
der intelligiblen Substanz die Rede. Den ausführlichen und vollständigen Beweis für die Existenz
des unbewegten Bewegenden erbringt Aristoteles eigentlich im letzten Buch der Physik. An man-
chen Stellen der Metaphysik (Λ7, 1072a23–26; Λ8, 1073a22–36) scheint das Argument so voranzu-
gehen, als ob die Existenz der intelligiblen Substanz schon bewiesen worden sei.
258 3 Erste Philosophie (Theologie)

Substanzen (per se passio entis naturalis), nämlich die Bewegung und die zeit-
räumliche Bedingung der Bewegung, zum Thema macht und sich ihre Beweis-
führung anhand des Syllogismus vollzieht, gilt sie als Einzelwissenschaft (Phys.
Γ1, 200b12–25).344 Je nachdem, ob die Naturforschung entweder zum Prinzip
bzw. zur Ursache der natürlichen Veränderung aufsteigt oder zum Prinzipiat bzw.
zur zeit-räumlichen Bedingung absteigt, ist die aristotelische Physik teilweise me-
taphysisch (αἰτίατον→αἴτιον) und teilweise apodiktisch-syllogistisch (ἀρχή/πρότα-
σις→συμπεράσμα) konzipiert. Die physisch-metaphysische Prinzipienlehre kommt
dadurch zwiefältig zur Entfaltung, dass gemäß der Unterscheidung zwischen sub-
stanzieller und akzidenteller Veränderung entweder die Entstehungsprinzipien
oder die Bewegungsursachen zum Thema gemacht werden. Auf der einen Seite ist
die prinzipiell leitende Naturforschung in die Untersuchung der Entstehung und
in die der Bewegung ausdifferenziert. Auf der anderen Seite lässt sich die Mathe-
matik in die Arithmetik und in die Geometrie unterteilen, wobei die eine die dis-
krete Zahl und die andere die kontinuierliche Größe thematisiert.
Zunächst liegt die Analogie von Physik und Mathematik darin, dass die beiden
das Kompositum zum Untersuchungsgegenstand nehmen, das aus dem formalen
und dem materialen Prinzip zusammengesetzt wird. Wie die Naturart und die sen-
sible Materie des einzelnen Naturdings per se zusammenfallen, fügen sich die ma-
thematische Gestalt und die intelligible Materie zusammen. Während die
natürliche Entstehung das sensible Kompositum zustande bringt, ist das intelli-
gible Kompositum, d. h. der mathematische Gegenstand, anhand der gedanklichen
Operation konstituiert.
Des Weiteren verhält sich sowohl die Entstehung zur Bewegung als auch die
Arithmetik zur Geometrie analog. Einerseits steht die Entstehung insofern analog

344 Die Physik als Einzelwissenschaft thematisiert nicht nur die Zeit (χρόνος) und den Raum
(τόπος), sondern auch die Leerheit (κενόν), die Kontinuität (συνεχές) und die Unendlichkeit
(ἄπειρον). Um die These der Atomisten zu widerlegen, muss Aristoteles mit der Problematik
der Leerheit konfrontiert sein. Dadurch, dass die unendliche Teilbarkeit des endlichen körper-
lichen Seienden für unmöglich gehalten wird, ist die These von Zenon zurückzuweisen. Aber
in der eigenen Theorie des Aristoteles spielen die Kontinuität und die Unendlichkeit eine wich-
tige Rolle, indem sie zwar der sensiblen Substanz abgesprochen, der intelligiblen Substanz
aber zugesprochen sind. Das unbewegte Bewegende, d. h. der Geist, bewegt sich kontinuier-
lich (Metaph. Λ7, 1072b29) und in der unendlichen Zeit (Metaph. Λ7, 1073a7; Phys. Θ10,
267b24–25). Von daher ist plausibel gemacht worden, dass Physica Γ1, 200b12–25 das Pro-
ömium der Physik als Einzelwissenschaft ist, während Physica A1, 184a1–184b5 als die Einlei-
tung der ganzen Prinzipienlehre gilt. Denn Aristoteles stellt nicht nur im Anfangskapitel das
methodische Paradigma der Prinzipienforschung auf, sondern sucht auch im ganzen ersten
Buch der Physik nach den Prinzipien der sensiblen Substanzen, indem er sich mit der voraris-
totelischen Philosophie auseinandersetzt.
3.1 Analogie 259

zur Bewegung, als die Entstehungsprinzipien sowie die Bewegungsursachen auf


das Zugrundeliegende und den Gegensatz von Vollendung und Privation zurück-
zuführen sind. Andererseits ergibt sich zwischen Arithmetik und Geometrie eine
strukturelle Ähnlichkeit, indem das intelligible Zugrundeliegende zusammen mit
den disjunktiven Eigentümlichkeiten die mathematischen Gegenstände struktu-
riert. Wie die Arithmetik das Gerade und das Ungerade der Zahl zum Gegenstand
macht, so die Geometrie das Geradlinige und das Krumme der Linie. Da das ent-
standene Einzelding, der veränderliche Sachverhalt, die arithmetische Zahl und
die geometrische Figur gemeinsamen Anteil am Gefüge von Zugrundeliegendem
und Gegensatz haben, bilden die Entstehung, die Bewegung, der arithmetische
und der geometrische Gegenstand eine analogische Einheit.
Die Theologie steht zur Physik und zur Mathematik insofern analog, als sich
Gott zum Gestirn gleicherweise verhält, wie sich die Naturart zur sensiblen Materie
und die mathematische Gestalt zur intelligiblen Materie verhalten. Analog dazu,
dass die natürliche Form den Naturstoff formt und die mathematische Gestalt die
gedankliche Materie gestaltet, setzt das erste unbewegte Bewegende (Gott) die
Himmelskörper in Bewegung, die nur passiv bewegt werden können (πρῶτον κι-
νοῦν-κινούμενον). Daraus folgt, dass die strukturelle Ähnlichkeit von theologi-
schen, physischen und mathematischen Gegenständen im funktionalen Gefüge
von Wirken und Leiden gründet.
Schließlich erweitert sich dieselbe Struktur von Aktivität und Passivität auf die
aristotelische Zeit- (Phys. Δ10–14) und Raumtheorie (Phys. Δ1–5). Vor allem haben
Zeit und Raum an derselben Struktur von Umfassen und Umfasstwerden Anteil
(περιέχειν-περιεχεῖσθαι). Alle Seienden, die in der Zeit beweglich sind, müssen von
der Zeit umfasst werden wie die Seienden, die sich an einem bestimmten Ort befin-
den, von dem Ort (Phys. Δ12, 221a28–30, 221a17–18). Der Ort ist zwar weder Form,
noch Stoff (Phys. Δ4, 212a2–6), aber das Verhältnis des Orts zum Einzelkörper steht
analog zur Form-Stoff-Beziehung.345 Denn der Ort als Grenze begrenzt den beweg-
lichen Körper, wie die Form die Materie formt. Der Ort kann nur dann als formales
Prinzip des beweglichen Körpers angesehen werden, wenn der eine als Grenze um-
fasst und der andere als Begrenztes umfasst wird.346 Wie beim Ort die Grenze zum

345 Form und Stoff sind die inneren Prinzipien, die bei der wahrhaften Einzelsubstanz, d. h.
dem Lebewesen, nicht trennbar sind (Phys. Δ2, 209b22–23). Im Gegensatz dazu ist der Ort kein
inneres Prinzip der Einzelsubstanz und kann vom Körper getrennt werden (Phys. Δ2, 209b24–28).
346 (1) Phys. Δ2, 209b28–33: καὶ γὰρ δοκεῖ τοιοῦτό τι εἶναι ὁ τόπος οἷον τὸ ἀγγεῖον (ἔστι γὰρ
τὸ ἀγγεῖον τόπος μεταφορητός). τὸ δ’ ἀγγεῖον οὐδὲν τοῦ πράγματός ἐστιν. ᾗ μὲν οὖν χωριστὸς
[ἐστι] τοῦ πράγματος, ταύτῃ μὲν οὐκ ἔστι τὸ εἶδος. ᾗ δὲ περιέχει, ταύτῃ δ’ ἕτερος τῆς ὕλης.
δοκεῖ δὲ ἀεὶ τὸ ὄν που αὐτό τε εἶναί τι καὶ ἕτερόν τι ἐκτὸς αὐτοῦ. (2) Phys. Δ4, 211b10–11: ἀλλὰ
διὰ μὲν τὸ περιέχειν δοκεῖ ἡ μορφὴ εἶναι. (3) Phys. Δ4, 212a28–29: καὶ διὰ τοῦτο δοκεῖ ἐπίπεδόν
260 3 Erste Philosophie (Theologie)

Begrenzten steht (πέρας-πεπερασμένον),347 so auch die Zeit zur Bewegung, inso-


fern die eine misst und die andere gemessen wird (μετρεῖν-μετρεῖσθαι – Phys.
Δ12, 221b21–23, 220b32–221a9). Wenn die Zeit die Bewegung misst, macht jene
diese zur quantitativen Bestimmung, nämlich zur Zahl (Phys. Δ12, 221b16–20).
Die Zeit ist zwar als Zahl der Bewegung bestimmt (ἀριθμὸς κινήσεως – Phys. Δ11,
219b1–2, 220a24–26), aber sie ist nicht imstande, die Bewegung aktiv zu zählen,
sondern nur passiv gezählt zu werden (ἀριθμούμενον – Phys. Δ11, 219b5–8, Δ14,
223a24–25). Was nach der Abfolge vom Frühen und Späten aktiv zählt, ist nichts
anderes als die Seele, präzise gesagt, der Geist der Seele (ψυχὴ καὶ ψυχῆς νοῦς –
Phys. Δ14, 223a21–29).348 Indem die Zeit die Bewegung misst und der Geist wie-
derum die Zeit zahlenmäßig zählt, ergibt sich dieselbe Struktur von Aktivität
und Passivität sowohl zwischen Zeit und Bewegung als auch zwischen Geist und
Zeit. Daraus resultiert, dass anhand desselben Verhältnisses von Umfassen und

τι εἶναι καὶ οἷον ἀγγεῖον ὁ τόπος καὶ περιέχον. Der Syllogismus kann folgendermaßen aufzu-
stellen sein: (1) Der Ort ist das Umfassende. (2) Das Umfassende scheint die Form zu sein, und
zwar im Hinblick auf die Aktivität. (3) Es lässt sich der Schluss ziehen, dass sich der Ort wie
die Form verhält.
347 (1) Phys. Δ5, 212b27–29: καὶ ἔστιν ὁ τόπος καὶ πού, οὐχ ὡς ἐν τόπῳ δέ, ἀλλ’ ὡς τὸ πέρας ἐν
τῷ πεπερασμένῳ. οὐ γὰρ πᾶν τὸ ὂν ἐν τόπῳ, ἀλλὰ τὸ κινητὸν σῶμα. (2) Phys. Δ4, 212a29–30:
ἔτι ἅμα τῷ πράγματι ὁ τόπος· ἅμα γὰρ τῷ πεπερασμένῳ τὰ πέρατα. (3) Phys. Δ4, 212a6–7: τὸ
πέρας τοῦ περιέχοντος σώματος καθ’ ὃ συνάπτει τῷ περιεχομένῳ.
348 Es ist allgemein anerkannt, dass Aristoteles eine Zeittheorie der objektiven Zeit vertritt. Da
die Zeit als Messung der Bewegung bestimmt ist, scheint sie ganz und gar objektiv zu sein. Aber
ein Problem tritt sofort auf: Wenn die Zeit die Bewegung misst, was misst die Zeit? Auf diese Art
und Weise gelangen wir zum unendlichen Regress, den Aristoteles unbedingt vermeiden muss.
Deshalb muss die gezählte Zeit auf die zählende Tätigkeit der Seele zurückzuführen sein. Die un-
endliche Rückführung wird dadurch abgeschlossen, dass die Aktivität statt der Passivität hervor-
tritt. In der aristotelischen Zeittheorie fallen nicht nur die subjektive und die objektive Zeit
zusammen, sondern auch die Teilbarkeit und die Kontinuität (διῄρηται-συνεχές). Die subjektive
Zeit als die von der Seele gezählte Zahl ist diskret, während die objektive Zeit als Messung der
Bewegung kontinuierlich ist. Aristoteles argumentiert die Teilbarkeit und die Kontinuität der Zeit
aus einer anderen Perspektive. Die Zeit ist deswegen sowohl diskret als auch kontinuierlich, weil
anhand der Gegenwart die Vergangenheit und die Zukunft sowohl voneinander getrennt als auch
miteinander kombiniert werden. (1) Phys. Δ11, 220a3–6: χρόνος μὲν γὰρ ὁ τῆς φορᾶς ἀριθμός, τὸ
νῦν δὲ ὡς τὸ φερόμενον, οἷον μονὰς ἀριθμοῦ. καὶ συνεχής τε δὴ ὁ χρόνος τῷ νῦν, καὶ διῄρηται
κατὰ τὸ νῦν· ἀκολουθεῖ γὰρ καὶ τοῦτο τῇ φορᾷ καὶ τῷ φερομένῳ. (2) Phys. Δ11, 220a9–12: ἀκο-
λουθεῖ δὲ καὶ τοῦτό πως τῇ στιγμῇ· καὶ γὰρ ἡ στιγμὴ καὶ συνέχει τὸ μῆκος καὶ ὁρίζει· ἔστι γὰρ τοῦ
μὲν ἀρχὴ τοῦ δὲ τελευτή. ἀλλ’ ὅταν μὲν οὕτω λαμβάνῃ τις ὡς δυσὶ χρώμενος τῇ μιᾷ, ἀνάγκη ἵσ-
τασθαι, εἰ ἔσται ἀρχὴ καὶ τελευτὴ ἡ αὐτὴ στιγμή. (3) Cat. 6, 5a7–8: ὁ γὰρ νῦν χρόνος συνάπτει
πρός τε τὸν παρεληλυθότα καὶ τὸν μέλλοντα.
3.1 Analogie 261

Umfasstwerden die räumliche Grenze zum Begrenzten und das zeitliche Zäh-
lende zum Gezählten stehen.349
Anschließend richten wir die Aufmerksamkeit auf die poietische Wissen-
schaft, worin die natürliche Entstehung und die menschliche Praxis einbezogen
sein müssen. Denn einerseits dient die Analyse der Herstellung dazu, die innere
Struktur der Naturentstehung zu verdeutlichen. Andererseits hat die handwerkli-
che Herstellung mit der menschlichen Handlung, z. B. der ärztlichen Praxis, ge-
meinsam, dass es der äußerlichen Wirkursache bedarf, um ein Artefakt
herzustellen oder den kranken Körper zu heilen (Abb. 11).

Abb. 11: Einteilung der poietischen Wissenschaft.

Zweifelsohne weist die technische Herstellung (ποίησις) den Hylemorphismus am


offenkundigsten auf. Da beim Artefakt Form und Stoff nicht nur voneinander on-
tologisch unterscheidbar, sondern auch sachlich trennbar sind, verwendet Aristo-
teles die Herstellung als Paradigma, um die innere Struktur der Naturentstehung
zu entfalten (Phys. B1–2). Vor allem zeigt sich die Analogie von Herstellung und

349 Aristoteles versucht auch mit dem Paarbegriff von Möglichsein-Wirklichsein den Ort
(Phys. Δ5, 212b3–13) und die Zeit (Phys. Δ14, 223a20–21) zu erläutern. Obwohl die Argumente
nicht ausführlich entfaltet werden, ist der Gedankengang des Aristoteles nicht schwierig nach-
zuvollziehen. Wenn der Ort als formales Prinzip des beweglichen Körpers angesehen wird,
kann die örtliche Form entweder möglich sein, insofern der bewegliche Körper den Ort noch
nicht erreicht, oder wirklich sein, wenn er schon zu diesem gelangt. Wenn die Zeit als gezählte
Zahl auf die zählende Seele zurückgreift, bleibt die Zeit insofern in der Möglichkeit, als die
Seele die Bewegung nicht zählt. Durch die seelische Tätigkeit des Zählens wird die zeitliche
Zahl produziert, die die Bewegung misst.
262 3 Erste Philosophie (Theologie)

Naturentstehung (τέχνη-φύσις) zwiefältig, und zwar sowohl ontologisch als auch


biologisch. Zum einen spiegelt sich die technische Struktur von Form und Stoff
unmittelbar im ontologischen Gefüge von Seele und Körper, indem die Seele als
formales Prinzip und der Körper als materiales Prinzip des Lebewesens bezeichnet
werden (De An. B1–2).350 Zum anderen lässt sich die Analogie zwischen der Her-
stellung eines Artefaktes und der Zeugung eines konkreten Lebewesens biologisch
wiedergeben. Denn die beiden natürlichen Zeugungsprinzipien, nämlich
das Männliche und das Weibliche, kommen auch anhand des technischen Mus-
ters zur Sprache (GA A2, A18, A20, A22, B4). In der Natur ist es allgemein gültig,
dass das konkrete Lebewesen durch das Zusammenwirken von männlichem und
weiblichem Prinzip erzeugt wird. Da das Männliche als Wirkursache und das
Weibliche als Stoffursache gilt (GA A2, 716a2–13; A21, 730a27–28), verhält sich das
eine zum anderen wie der Betthersteller zum Holz, der Töpfer zum Topf, der Haus-
herr zum Baustoff und der Wirkende zur Materie (GA A22, 730b5–8).351 Während
die Gestalt vom äußerlichen Techniker nachträglich in die Materie eingeprägt
wird, kommen bei der Naturzeugung Form- und Wirkursache in Übereinkunft.
Mithilfe eines männlichen Form-Trägers aktualisiert sich die Naturart an einem
weiblichen Substrat. Da die Form- bzw. die Wirkursache mit der Aktivität und die
Stoffursache mit der Passivität verknüpft ist, lässt sich das Männliche als Form-
bzw. Wirkursache auf das Machende und das Weibliche als Stoffursache auf das
Erleidende zurückführen (GA A18, 724a35–724b19; A20, 729a24–33; A21,
729b12–22; B4, 740b18–25). Mit der technischen Form-Stoff-Struktur stimmt nicht
nur das ontologische Seele-Körper-Gefüge überein, sondern auch die biologischen
Prinzipien des Männlichen und des Weiblichen.
Des Weiteren steht die Herstellung nicht nur zur Naturentstehung, sondern
auch zur Handlung im analogischen Verhältnis. Die menschliche Praxis, z. B. die
Heilkunst, zielt darauf ab, die körperliche Harmonie vom Warmen und Kalten
sowie vom Trockenen und Feuchten wiederherzustellen (Phys. H3, 246b4–6). Am
körperlichen Substrat gehen die gegensätzlichen Eigenschaften, warm-kalt und

350 In der Seelenlehre legt Aristoteles den Schwerpunkt zunächst auf die hylemorphistische
Struktur. Diese tritt entweder in der Form von Seele-Körper auf (ψυχή-σῶμα) oder es sind nach
demselben Modell der vernünftige und der unvernünftige Seelenteil strukturiert (λόγον-ἄλο-
γον). Des Weiteren legt Aristoteles den Akzent darauf, wie die Seele das bestimmte Vermögen
verwirklicht. Aristoteles richtet seine Aufmerksamkeit nicht nur auf die formale Beschaffenheit
(die Tugend), sondern auch auf die Tätigkeit der Seele (die Verwirklichung der Tugend).
351 Aristoteles gibt den beiden Prinzipien andere Namen. Das männliche Prinzip ist auch
als Vater oder Erde benannt, und das weibliche als Mutter oder Sonne bzw. Himmel (GA
A2, 716a15–17; Metaph. A6, 988a2–7; Phys. A9, 192a13–14). An einer Stelle lässt sich
das Männliche nicht nur mit der Wirkursache, sondern auch mit der Form identifizieren,
und das Weibliche als Stoff mit dem Körper gleichsetzen (GA A20, 729a9–11).
3.1 Analogie 263

trocken-feucht, ineinander über. Dadurch, dass der Körper als stoffliches Prinzip
zugrunde gelegt wird und sich die gegensätzlichen Affektionen als Akzidenzen
abwechseln, entspricht die innere Struktur der Heilkunst dem allgemeinen
Hylemorphismus. Im Laufe der Argumentation kommt die Heilkunst zwar häufig
zusammen mit der Herstellung zur Erwähnung, die Praxis aber ist von der Techne
unterschieden, dadurch dass es nicht um die substanzielle Entstehung, sondern
um die qualitative Veränderung geht. Denn durch die Heilkunst ist keine Einzel-
substanz zu produzieren, sondern der Arzt führt im kranken Körper die positive
Eigenschaft Gesundheit herbei.
Die poietische Wissenschaft nimmt insofern eine Mittelstellung zwischen der
theoretischen und der praktischen Wissenschaft ein, als durch die Vermittlung der
Techne die theoretische Betrachtung der Physis und die menschliche Praxis in Be-
rührung kommen. Von der ärztlichen Praxis aus geht die Erörterung in die
ethisch-ökonomisch-politische Praxis über. Denn im praktischen Bereich bildet
sich zunächst die Analogie von Heilkunst und Tugendlehre, dadurch dass sich die
Affektion zum Körper und die Tugend zur Seele analog verhalten.352 Nach der Erör-
terung über die Analogie von Heilkunst und Tugendlehre ist davon die Rede, dass
die drei Unterteilungen der praktischen Wissenschaft zueinander analog stehen. Je
nachdem, wie das Individuum, die Familie oder die Polis zum Thema gemacht
werden, ist die praktische Wissenschaft in die Ethik, die Ökonomik und die Politik
dreifach zu unterteilen. Die Ethik, d. h. die Tugendlehre, baut auf einer bestimmten
Seelentheorie auf, wobei die ganze Seele in einen vernünftigen und einen unver-
nünftigen Teil zu gliedern ist. Die Ökonomik zieht die drei Verhältnispaare in Be-
tracht, nämlich Mann-Frau, Vater-Sohn und Herr-Knecht (Pol. A3, 1253b1–8; A12,
1259a37–39). Die politische Wissenschaft ist dadurch zu erörtern, dass Familie und
Polis, d. h. Haus- und Staatsverwaltung, in eine analogische Beziehung gesetzt
werden (Abb. 12).
In erster Linie kommt die strukturelle Ähnlichkeit der Tugendlehre zur Heil-
kunst derart zum Vorschein, dass sich die gegensätzlichen Tugenden in der Seele
umwandeln, wie sich die gegensätzlichen Affektionen beim Körper verändern. In

352 Vgl. Jäger (1955: 41): „Die Erklärung der Krankheit, Schwäche und Häßlichkeit aus der
Asymmetrie des Körpers und seiner Teile oder Verhältnisse übernahm Platon aus der Medizin
seiner Zeit, an die er seine ethische Wissenschaft, die Therapie der Seele, durchgängig an-
lehnte und in der er das Vorbild wahrer Wissenschaft und strenger Methode erblickte. Die pla-
tonische Tugendlehre ist eine nach medizinischem Muster aufgestellte Lehre von der Kachexie
und Euhexie der Seele, ihr Prinzip ist der Begriff des Maßes (μέτρον) und der Symmetrie oder
Harmonie.“ An diese platonische Tradition und Vorgehensweise knüpft Aristoteles an. Indem
die Affektionen des Körpers und die Tugenden der Seele in einem analogischen Verhältnis ste-
hen, sind die einen immer zusammen mit den anderen zu erörtern.
264 3 Erste Philosophie (Theologie)

Abb. 12: Einteilung der praktischen Wissenschaften.

der Heilkunst soll die Gesundheit als vollkommene Eigenschaft erzielt, und die
Krankheit als Privation beseitigt werden. In der Tugendlehre aber liegt der Akzent
nicht mehr darauf, dass die eine Eigenschaft bzw. Tugend der anderen gegensätz-
lichen überlegen ist, sondern man strebt nach der Balance beider Extreme. Der tu-
gendhafte Zustand der Seele sowie die daraus folgende Handlung orientieren sich
weder am Übermaß noch am Mangel, sondern am Mittelmaß, das keine sachliche
Mitte ist, sondern für uns geeignet ist.
Während die Analogie von Heilkunst und Tugendlehre aus der Zusammenfü-
gung von Gegensatz und Substrat besteht, ist eine ähnliche Struktur zwischen
Haus- und Staatsverwaltung im naturgemäßen Verhältnis von Beherrschen und
Beherrschtwerden fundiert, das in zweierlei Hinsichten begründet werden kann.
Einerseits: Bei einem konkreten Individuum, das sich hylemorphistisch in Seele
und Körper zerlegen lässt, soll die eine von Natur aus herrschen, der andere aber
beherrscht werden (Pol. A5, 1254a34–36; EE H9, 1241b17–19; H10, 1242a28–31). An-
dererseits: Der Entzweiung der Seele zufolge muss der vernünftige Teil regieren
und der unvernünftige Teil regiert werden (Pol. A13, 1260a2–7; EN E15, 1138b8–9;
A13, 1102a26–1103a10).353 Die naturgemäße Herrschaft der Seele über den Körper

353 Vor allem ist die menschliche Seele in einen unvernünftigen und einen vernünftigen Teil
zergliedert (EN A13, 1102a26–32). Sowohl der unvernünftige als auch der vernünftige Teil kön-
nen weiter zu unterteilen sein. Zum einen lässt sich der unvernünftige Seelenteil in die Fähig-
keit, die Nahrung aufzunehmen und erwachsen zu werden, und in das Begehrensvermögen
zerlegen (EN A13, 1102a32–1103a1). Zum anderen spaltet sich die Vernunft in das theoretische
Vermögen, das Seiende wissenschaftlich zu betrachten, und in das praktische Vermögen,
womit man moralisch gut handeln kann. Aus dem Zwiespalt des vernünftigen Teils resultiert
der Unterschied zwischen der dianoetischen und der ethischen Tugend, der der aristotelischen
Tugendlehre fundamental ist (EN A13, 1103a1–10).
3.1 Analogie 265

und die der Vernunft über die Unvernünftigkeit können sich in das familiäre und
das politische Verhältnis ausweiten, sodass in der Familie der Mann die Frau,
der Vater den Sohn, in der Hausverwaltung der Herr den Knecht354 und in der
Polis der Regierende die Regierten beherrschen soll (EN E15, 1138b5–13; EE
H3, 1238b21–25; H10, 1242a28–32; Pol. A13, 1260a5–12). Darüber hinaus verhält
sich Gott so zum Menschen, wie sich der Vater zum Sohn verhält (EE H3,
1238b16–21; H10, 1242a32–35). Daraus resultiert, dass trotz des sachlichen Un-
terschieds Paare wie Seele-Körper, Vernunft-Unvernünftigkeit, Mann-Frau,
Vater-Sohn, Herr-Knecht, Herrscher-Bürger und Gott-Mensch an derselben
Struktur von Aktivität und Passivität teilhaben. Dadurch, dass der Mensch die
natürliche Harmonie von Beherrschen und Beherrschtwerden imitiert, kom-
men die intersubjektive, die familiäre und die gesellschaftliche Harmonie zu-
stande. In der Gemeinschaft soll jedes einzelne Individuum seiner eigenen
Natur gemäß regieren oder regiert werden. Das harmonische Herrschaftsver-
hältnis, das im menschlichen Zusammenleben auftritt, lässt sich begrifflich
als Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) oder Freundschaft (φιλία) bezeichnen (EN E15,
1138b11–13; EE H9, 1241b11–17, 1241b32–40). Einerseits erhält die begriffliche
Einheit die sachliche Differenz aufrecht, indem sich die Gerechtigkeit bzw. die
Freundschaft als intersubjektive Tugend (EE H10, 1242a21–22) in der Familie,
in der Hausverwaltung und im Staat verkörpert. Andererseits ermöglicht die
analogische Struktur von Familie und Polis bzw. von Haus- und Staatsverwal-
tung, den Begriff der Gerechtigkeit oder der Freundschaft einheitlich zu
gebrauchen.
Außer der theoretischen, der poietischen und der praktischen Wissenschaft
gilt der Hylemorphismus weitergehend für die sogenannte Erkenntnistheorie.
Die Epistemologie entwickelt sich bei Aristoteles deswegen nicht als eine selb-
ständige Wissenschaftsdisziplin, weil die Erörterung der Erkenntnisfähigkeit
und -tätigkeit unter der metaphysischen Auslegung der Veränderung steht. Die
aristotelische Erkenntnistheorie besteht hauptsächlich aus der Analyse der
sinnlichen Wahrnehmung und des noetischen Denkens.355 Einerseits steht die

354 Um die Herrschaft des Herrn über den Knecht zu rechtfertigen, vergleicht Aristoteles
Herr-Knecht nicht nur mit Seele-Körper, sondern auch mit Techniker-Werkzeug. Wie sich die
Seele zum Körper und der Techniker zum Werkzeug verhalten, so verhält sich der Herr zum
Knecht (EE H9, 1241b17–22; H10, 1242a28–32). Wie der Körper als Organ mit der Seele zusam-
mengewachsen ist, kann der Knecht als Teil und Organ des Herrn von diesem nicht abgeson-
dert werden. Aristoteles definiert den Knecht als Werkzeug ohne Seele (τὸ δ’ ὄργανον ὥσπερ
δοῦλος ἄψυχος – EE H9, 1241b22–24).
355 In der sogenannten Epistemologie des Aristoteles steht die Analyse der Sinneswahrneh-
mung im Zentrum. Denn die Wahrnehmung bietet nicht nur der Phantasie und dem diskursi-
ven Denken das Material, sondern die sinnliche Wahrnehmung bringt auch anhand der
266 3 Erste Philosophie (Theologie)

Sinneswahrnehmung zur qualitativen Veränderung analog. Andererseits ist das


noetische Denken anhand der Analogie zur Sinneswahrnehmung einsichtig zu
machen.356
Die Sinneswahrnehmung ist doppelt charakterisiert, indem sie einerseits die
äußerlichen Affektionen passiv empfindet und andererseits spontan wahrnehmen
kann. Aufgrund dessen ist die Wahrnehmung sowohl mit der natürlichen Bewe-
gung als auch mit der intellektuellen Anschauung vergleichbar. Indem die Rezepti-
vität der Empfindung in den Vordergrund tritt (κινεῖσθαι καὶ πάσχειν), ist die
Sinneswahrnehmung nach der einen Seite als qualitative Veränderung eines be-
stimmten Sinnesorgans zu determinieren (αἴσθησις-ἀλλοίωσις – Phys. H2,
244b10–12; H3, 245b3–6; De An. Γ5, 416b33–35). Nach der anderen Seite nimmt die
Tätigkeit, etwas wahrzunehmen, die Spontaneität in sich auf, denn sie ist ohne
Weiteres die Aktualisierung eines bestimmten Seelenvermögens (δύναμις τῆς
ψυχῆς). In beiden Fällen kommt die Struktur von Wirken und Leiden zur Geltung.
Im Falle, dass die Wahrnehmung als passiver Vorgang angesehen wird, geht es
darum, dass die äußerlich wahrnehmbaren Affektionen auf das Sinnesorgan ein-
wirken, wie die Akzidenzen auf das zugrundeliegende Substrat einwirken. Beim
Sehen z. B. bewegt die Farbe, die dem Einzelding inhäriert, direkt die Luft, die
vom Licht angeleuchtet worden ist, und durch die Vermittlung der Luft berührt die
Farbe indirekt die Augen (De An. B7, 419a13–15). Indem das Sichtbare, das Hörbare
und das Tastbare wirksam sind, empfinden die Augen die Farbe, die Ohren die
Töne und die Hände die Härte eines Körpers. Wie sich das Warme-Kalte am Körper
umwandelt, so wechseln sich das Weiße-Schwarze in den Augen ab, die Tiefe-
Höhe der Töne in den Ohren und das Weiche-Harte in den Händen. Durch die Ver-
mittlung der Luft (oder des Wassers) wirkt die sinnlich wahrnehmbare Affektion
auf das Sinnesorgan ein, das diese Einwirkung erleiden kann (ποιεῖν-πάσχειν:
αἰσθητόν-αἰσθητήριον).

strukturellen Ähnlichkeit das noetische Denken zur Entfaltung. Die Phantasie kann nur dann
entstanden sein, wenn man durch die Wahrnehmung einen bestimmten Inhalt aufnimmt
(αἴσθησις→φαντασία: De An. Γ3, 427b14–17, 428b10–17, 428b30–429a2). Je nachdem, ob die In-
halte der phantastischen Vorstellungen auf vergangene oder zukünftige Sachlagen bezogen
sind, kommt die Erinnerung oder die Hoffnung zustande (φαντασία→μεμνῆσθαι ἢ ἐλπίζειν –
Phys. H3, 247a9–12; De An. Γ3, 427b17–21). Außerdem kann das, was man gegenwärtig wahr-
nimmt, begrifflich festgelegt und in der Aussage geäußert werden. Dies ist eine Tätigkeit des
diskursiven Denkens (αἴσθησις→διάνοια). Sieht man den sitzenden Sokrates, kann man die
entsprechende Aussage bilden, nämlich, dass Sokrates sitzt. In Hinsicht auf die Aktivität bzw.
die Spontaneität verhält sich die aktive Sinneswahrnehmung zum noetischen Denken analog
(αἴσθησις→νόησις).
356 Wahrnehmung als qualitative Veränderung: Phys. H3; De An. B5–12. Analogie von Wahr-
nehmung und Denken: De An. Γ4–5.
3.1 Analogie 267

Die Wahrnehmung verhält sich jedoch nicht als völlig passive Empfindung,
sondern in der Tat nimmt das Wahrnehmungsfähige immer aktiv und spontan
wahr. Denn beim Sehen sind die Augen nicht wie eine bloß passiv zugrundelie-
gende Fläche, auf der das Weiße und das Schwarze zwecklos ineinander überge-
hen, sondern der Sehende wirft den Blick absichtlich auf etwas Bestimmtes und
stellt es sich vor Augen. Um die Differenz von Rezeptivität und Spontaneität der
Wahrnehmung zu verdeutlichen, führt Aristoteles in De anima B5 eine Metapher
ein.357 Da die Wahrnehmung als empfindende oder wahrnehmende Tätigkeit
immer auf dem bestimmten Vermögen beruht, ist zunächst vom Vermögen die
Rede. Einerseits gründet die Rezeptivität der Empfindung im Passivvermögen des
Sinnesorgans, wie ein Kind der Kenntnisnahme nur die materiale Grundlage bie-
tet. Andererseits ist die Spontaneität der Wahrnehmung im Aktivvermögen der
Seele verwurzelt, das die Wahrnehmungstätigkeit in Gang bringt, so wie ein gut
ausgebildeter Erwachsener arithmetische oder grammatische Erkenntnisse nicht
nur aufnimmt, sondern auch aktiv verwenden kann. Im letzten Fall verhält sich
das seelische Vermögen so zum Einzelding, wie sich das Wahrnehmenkönnende
zum Wahrnehmbaren verhält (ποιεῖν-πάσχειν: αἰσθητικόν-αἰσθητόν).
Die Wahrnehmung ist deswegen teilweise als aktiv und teilweise als passiv
charakterisiert, weil sie sich durch das Zusammenwirken von Seele und Körper
vollziehen muss. Die Wahrnehmungstätigkeit wird von der Seele geleitet, die Sin-
neswahrnehmung aber muss immer von den Organen vermittelt werden. Da dem
Sinnesorgan das passive Vermögen (potentia passiva) und der Seele das aktive
Vermögen (potentia activa) innewohnt, lässt sich die Wahrnehmung durch die kör-
perliche Rezeptivität und die seelische Spontaneität doppelt kennzeichnen. Hin-
sichtlich der Passivität ist die Empfindung mit der Bewegung vergleichbar,
insofern die Wirkursache nicht im zugrundeliegenden Sinnesorgan oder Substrat,
sondern in der Affektion oder Eigenschaft vorliegt. Hinsichtlich der Aktivität bildet
sich die Analogie von Wahrnehmung und Denken (αἴσθησις-νόησις), indem das
Wahrnehmenkönnende zusammen mit dem Denkenkönnenden als Prinzip des
Wirkens und das Wahrgenommene zusammen mit dem Gedachten als Prinzip
des Erleidens bezeichnet werden.

357 Die berühmte Metapher in De An. B5 (417a21–30) kommt dadurch zur Entfaltung, dass das
passive Vermögen der Materie (potentia passiva – 417a22–24), die aktive Potentialität der Seele
(potentia activa – 417a24–28) und die aktive Aktualisierung des Geistes (actus purus –
417a28–29) in Verbindung gesetzt und miteinander verglichen werden. Im vorliegenden Zu-
sammenhang (417a31–417b16) wird der Akzent auf den Vergleich der materialen Passivität mit
der seelischen Aktivität gelegt, damit das Argument von der Rezeptivität des Sinnesorgans zur
Spontaneität des seelischen Vermögens übergehen kann.
268 3 Erste Philosophie (Theologie)

[. . .] καὶ ὁμοίως ἔχειν, ὥσπερ τὸ αἰσθητικὸν πρὸς τὰ αἰσθητά, οὕτω τὸν νοῦν πρὸς τὰ
νοητά. – De An. Γ4, 429a16–18

Die Analogie von Wahrnehmung und Denken besteht darin: Wie sich das Wahr-
nehmungsfähige auf das Wahrgenommene bezieht, so bezieht sich das Denkfä-
hige auf das Gedachte.358 Auf der einen Seite steht das seelische Vermögen,
etwas aktiv wahrzunehmen oder zu denken. Auf der anderen Seite kann das
Einzelding wahrgenommen und etwas Allgemeines gedacht werden (De An. B5,
417b19–28; Phys. A5, 189a4–9). Im analogischen Verhältnis stehen die Wahr-
nehmung zum äußerlichen Einzelding und das Denken zum allgemeinen Be-
griff. Die Analogie von Wahrnehmung und Denken liegt nicht nur in der
Struktur von Aktivität und Passivität, sondern auch im Gefüge von Potentialität
und Aktualität. Die menschliche Tätigkeit bleibt insofern in der Möglichkeit, als
die partikuläre Affektion nicht wahrgenommen oder der allgemeine Begriff
nicht gedacht wird.359 Da sich der menschliche Geist durch die Analogie zur
Sinneswahrnehmung entfaltet, wohnen dem noetischen Denken des Menschen
wie der Wahrnehmung die Passivität (ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός – De An.
Γ5, 430a24–25; Γ4, 429a13–16, 429b22–29) und die Potentialität (τὸ δυνάμει
ὄν – De An. Γ4, 429a21–24, 429a27–29, 429b5–9, 429b29–430a2) inne. Im Ver-
gleich dazu kommt der absolute Geist als reine aktive Verwirklichung (actus
purus) dadurch in Berührung, dass die beiden Eigentümlichkeiten des mensch-
lichen Geistes aufgehoben werden.
Des Weiteren führt die Analogie von der sinnlichen Wahrnehmung und
dem noetischen Denken zur begrifflichen Einheit, damit die eine als die sinn-
liche Anschauung und das andere als die intellektuelle Anschauung bezeich-
net wird. Außer der strukturellen Ähnlichkeit haben die beiden Typen von

358 (1) PA A1, 641a36–641b4: Ὁ γὰρ νοῦς τῶν νοητῶν. Ὥστε περὶ πάντων ἡ φυσικὴ γνῶσις ἂν
εἴη· τῆς γὰρ αὐτῆς περὶ νοῦ καὶ τοῦ νοητοῦ θεωρῆσαι, εἴπερ πρὸς ἄλληλα, καὶ ἡ αὐτὴ θεωρία
τῶν πρὸς ἄλληλα πάντων, καθάπερ καὶ περὶ αἰσθήσεως καὶ τῶν αἰσθητῶν. (2) Themistius In de
anima paraphrasis 94.5–8: εἰ δὴ τὸ νοεῖν ἀνάλογόν ἐστι τῷ αἰσθάνεσθαι (δι’ ἀμφοῖν γὰρ κρίνει
τε καὶ γνωρίζει καθάπερ καὶ πρότερον ἔφαμεν ἡ ψυχή), πάσχοι ἄν τι καὶ ὁ νοῦς ὑπὸ τῶν νοη-
τῶν, ὥσπερ ὑπὸ τῶν αἰσθητῶν ἡ αἴσθησις, τὸ πάσχοι δ’ ἂν καὶ ἐνταῦθα ἀκουστέον παραπλη-
σίως. (3) Thomas Sentencia De anima lib.3 l.7 n.5 [80958]: „Primo proponit similitudinem
intellectus ad sensum. [. . .] Ex hoc autem sequitur quod, cum sentire sit quoddam pati a sensi-
bili, aut aliquid simile passioni, quod intelligere sit vel pati aliquid ab intelligibili, vel aliquid
alterum huiusmodi, simile scilicet passioni.“ (4) Thomas Sentencia De anima lib.3 l.7 n.6
[80959]: „Et sic oportet, quod sicut se habet sensitivum ad sensibilia, similiter se habeat
intellectivum ad intelligibilia; quia utrumque est in potentia ad suum obiectum, et est suscep-
tivum eius.“
359 Prozessualität der Wahrnehmung: De An. B5, 417a9–14; Prozessualität des menschlichen
Denkens: De An. Γ4, 429a27–29.
3.1 Analogie 269

Anschauung als Erkenntnisvermögen gemeinsam, dass sie sich der Irrtums-


möglichkeit bzw. der Fehlbarkeit entziehen. Während die Sinneswahrneh-
mung und das noetische Denken wahrhaft tätig sind, konstituiert die
Phantasie die wahre oder die falsche Vorstellung und das dianoetische Den-
ken bildet die wahre oder die falsche Aussage.360
Da das funktionale Gefüge von Wirken und Erleiden für alle natürlichen
Veränderungen und menschlichen Tätigkeiten fundamental und konstitutiv ist,
lässt sich die ontologische Struktur von Physis, Techne und Praxis auf das epis-
temologische Gefüge der seelischen Tätigkeit übertragen.

Ἐπεὶ δ' ὥσπερ ἐν ἁπάσῃ τῇ φύσει ἐστὶ τὸ μὲν ὕλη ἑκάστῳ γένει (τοῦτο δὲ ὃ πάντα δυνάμει
ἐκεῖνα), ἕτερον δὲ τὸ αἴτιον καὶ ποιητικόν, τῷ ποιεῖν πάντα, οἷον ἡ τέχνη πρὸς τὴν ὕλην
πέπονθεν, ἀνάγκη καὶ ἐν τῇ ψυχῇ ὑπάρχειν ταύτας τὰς διαφοράς. – De An. Γ5, 430a10–14

Wie sich die natürliche Art zur Materie, die technische Gestalt zum Stoff und
die Eigenschaft Gesundheit zum Körper verhält, so verhalten sich das Wahrneh-
mungsfähige zum Wahrgenommenen und das Denkfähige zum Gedachten.
Daraus folgt, dass die hylemorphistische Struktur von Form-Stoff, Aktivität-
Passivität und Potentialität-Aktualität nicht nur für die natürliche Entstehung,
die menschliche Herstellung und die Handlung gilt, sondern auch für die Er-
kenntnistätigkeit der Seele.361
Indem Physis, Techne und Praxis dieselbe Struktur zugeteilt ist, durchdringt
der Hylemorphismus die theoretische, die poietische und die praktische Wissen-
schaft. Darüber hinaus kommt die hylemorphistische Struktur nicht nur ontolo-
gisch, sondern auch epistemologisch zur Geltung, indem Aristoteles aufgrund
des Gefüges der Veränderung die sinnliche und die intelligible Anschauung

360 Die wahrhafte Tätigkeit der sinnlichen Wahrnehmung (αἴσθησις): De An. Γ3, 427b11–13,
428a11. Die wahrhafte Tätigkeit des noetischen Denkens (νοῦς): De An. Γ3, 427b8–9; Metaph.
Θ10, 1051b22–32. Die Wahrheit und die Falschheit der Phantasie (φαντασία): De An. Γ3,
427b17–21, 428a1–4, 428a11–12, 428a18. Die Wahrheit und die Falschheit des dianoetischen
Denkens (διάνοια/δόξα/λόγος): De An. Γ3, 427b9–11, 13–14; 428a18–19; Cat. 5, 4a21–28; Me-
taph. E4, 1027b25–28; Z15, 1039b33–1040a2; Θ10, 1051b13–15.
361 In Sophistes (248a10–e5) erwähnt Platon eine Analogie von Entstehen und Erkennen. An-
hand derselben Struktur von Machen und Erleiden stehen die Entstehung des körperlichen
Seienden und das Erkennen der wahrhaften Substanz zueinander analog. Wie das aktive und
das passive Vermögen in der Entstehung zusammenwirken (δύναμις τοῦ ποιεῖν-δύναμις τοῦ
πάσχειν – 248c7–8), verhält sich die Seele insofern aktiv, als sie erkennt, und die Substanz
insofern passiv, als sie erkannt wird (τὴν μὲν ψυχὴν γιγνώσκειν, τὴν δ’ οὐσίαν γιγνώσκεσθαι –
248c11–d2, 248d10–e5).
270 3 Erste Philosophie (Theologie)

theoretisch erklärt. Die analogische Struktur von Bewegung, Wahrnehmung und


Denken lässt sich schematisch so darstellen (Abb. 13):

Abb. 13: Vergleich von Physik und Epistemologie.

Was Aristoteles zur Philosophie beiträgt, ist nicht nur, die Metaphysik als Prinzi-
pienlehre zu entwickeln, sondern auch, die Einzelwissenschaften als eigenstän-
dige Wissenschaftsdisziplinen zu begründen. In beiden Hinsichten unterscheidet
sich die Metaphysik von der Einzelwissenschaft. Während die Metaphysik die Sub-
stanz und deren Prinzip(ien) zum Untersuchungsgegenstand nimmt (οὐσία καὶ
ἀρχή), thematisiert die Einzelwissenschaft die disjunktiven Eigentümlichkeiten
der zugrundeliegenden Substanz oder der Gattung (τὰ τούτῳ ὑπάρχοντα καθ’
αὑτό: ἀντικείμενα). Die Physik zieht die Bewegung-Ruhe des Naturseienden in Be-
tracht, die Arithmetik das Gerade-Ungerade der Zahl, die Geometrie das Geradli-
nige-Gekrümmte der Linie, die Medizin die Gesundheit-Krankheit des Körpers, die
Ethik das Gute-Schlechte der Seele/Handlung und die Logik die Richtigkeit-
Falschheit der Schlussfolgerung. Methodisch gesehen folgt die Metaphysik der
aufsteigenden Induktion (ἐπαγωγή).362 Vom vorhandenen Einzelding ausgehend,

362 Auf den methodischen Unterschied von Induktion (ἐπαγωγή) und Deduktion (συλλογισ-
μός) macht Aristoteles in der zweiten Analytik (A1, 71a5–11), in der Topik (A8, 103b2–8; A12,
105a10–19; Θ1, 156a3–9), in der Metaphysik (K7, 1064a7–10) und in der Nikomachischen Ethik
(Z3, 1139b27–31) aufmerksam. In Bezug auf die metaphysische Induktion kann man folgende
Texte vergleichen: Metaph. K7, 1064a8–10; Θ6, 1048a35–1048b4; Wieland (1962: 99): „Nun
lässt zwar Aristoteles die Induktion (ἐπαγωγή) ausdrücklich als möglichen Weg der Prinzipien-
forschung zu (Vgl. EN A7, 1098b3–4: τῶν ἀρχῶν δ’ αἳ μὲν ἐπαγωγῇ θεωροῦνται, αἳ δ’ αἰσθήσει,
αἳ δ’ ἐθισμῷ τινί, καὶ ἄλλαι δ’ ἄλλως).“
3.2 Geist 271

orientiert sich die metaphysische Untersuchung an den allgemeinen Prinzipien,


die im höchsten Maß die analogische Allgemeinheit bzw. Einheit bilden (καθ’
ἕκαστον→καθόλου ἀναλογίᾳ). Im Gegensatz dazu vollzieht sich die apodiktische
Einzelwissenschaft nach der absteigenden Deduktion (συλλογισμός – APo. A4,
73a21–24; A6, 74b5–12; A12, 77a36–40). Aus der allgemeinen Prämisse, die die
Wurzel in der Gattungseinheit hat, ergibt sich die einzelne Konklusion syllogis-
tisch (καθόλου γένει→καθ’ ἕκαστον). Obwohl die Metaphysik und die Einzelwis-
senschaft sowohl gegenständlich als auch methodisch different sind, müssen die
partikularen Einzelwissenschaften auf einer gemeinsamen metaphysischen
Grundlage aufbauen. Die apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften kön-
nen nur dann einheitlich und systematisch begründet werden, wenn die Meta-
physik die analogische Struktur der Substanzen festlegt und sich die strukturelle
Ähnlichkeit in die Untersuchungsgegenstände der Einzeldisziplinen hinein
fortsetzt.

3.2 Geist

Die sensiblen Substanzen, nämlich Lebewesen, Naturart und Grundelement,


kommen dadurch einheitlich zur Entfaltung, dass die Entstehung der Einzelsub-
stanz, die Definition der Wesenssubstanz und die Umwandlung der Grundele-
mente gemeinsamen Anteil an der Struktur von Form-Stoff, von Machen-Erleiden
und von Aktualität-Potentialität haben. Zu der intelligiblen Substanz hat Aristo-
teles zwei Zugänge anzubieten, und zwar logisch und physikalisch. Anhand der
logischen Vorgehensweise (λογικῶς) ist der absolute Geist dadurch zu erörtern,
dass der göttliche Geist mit dem menschlichen Geist verglichen wird. Der physi-
kalische Zugang (φυσικῶς) ist nichts anderes als der kosmologische Gottesbe-
weis, wobei der Effekt auf die Ursache, d. h. das himmlische Bewegte auf das
unbewegte Bewegende, zurückgreift. In beiden Fällen lässt sich die intelligible
Substanz dadurch argumentativ herleiten, dass sie die analogische Struktur von
Stoff-Form, von Erleiden-Machen und von Potentialität-Aktualität aufhebt.
Indem Materialität, Passivität und Potentialität aufgehoben werden, ist der abso-
lute Geist bzw. das unbewegte Bewegende durch Formalität, Aktivität und Wirk-
lichkeit gekennzeichnet. Wir nehmen den Vergleich des göttlichen Geistes mit
dem menschlichen Geist zum Ausgang, und anschließend gehen wir auf die Be-
weisführung vom unbewegten Bewegenden ein.
Der absolute Geist hat mit dem menschlichen Geist gemeinsam, dass die
beiden weder mit dem Körper vermischt sind (ἀπαθῆ) noch davon affiziert
272 3 Erste Philosophie (Theologie)

werden (ἀπαθές).363 Der menschliche Geist hält sich zwar von der äußerlichen
Körperlichkeit fern, er trägt aber die innere Passivität in sich. Da das menschli-
che Denken etwas anderes zum Gegenstand nehmen muss (ἀεὶ ἄλλου ἡ ἐπισ-
τήμη – Metaph. Λ9, 1074b35–36), lässt es sich ins aktive Denkende und passive
Gedachtwerdende zerlegen (νοοῦν-νοούμενον). Während der menschliche Geist
gegen den allgemeinen Begriff gerichtet ist, denkt der absolute Geist nichts ande-
res als sich selbst. Denn durch die Veränderung der gedanklichen Gegenstände
würde sich der absolute Geist auch verändern. Würde sich das vollkommene Sei-
ende verändern, ginge es unmittelbar in die Unvollkommenheit über (Metaph.
Λ9, 1074b25–27). Jedoch ist es unmöglich, dass das Vollkommene seine Vollkom-
menheit verliert. Darum muss das vollkommenste Seiende, d. h. der absolute
Geist, das Göttlichste und Ehrwürdigste denken (τὸ θειότατον καὶ τιμιώτατον
νοεῖ – Metaph. Λ9, 1074b25–26). Dem vollkommenen Gedachten entsprechend
ist das Denkende auch das ontologisch Kräftigste (τὸ κράτιστον). Da der absolute
Geist ohne Weiteres nur sich selbst denkt, ist er als Denken des Denkens tätig
(ἔστιν ἡ νόησις νοήσεως νόησις – Metaph. Λ9, 1074b33–35).
Insofern der absolute Geist als Denken des Denkens gilt, ist der Unterschied
von Denken und Gedachtwerden, d. h. von Aktivität und Passivität, aufzuhe-
ben. Durch die Aufhebung der Passivität ist der absolute Geist von der Potentia-
lität befreit, die im Vermögen des menschlichen Denkens verwurzelt ist. Das
menschliche Denken ist insofern mit der Potentialität verknüpft, als sich das
aktive Denkvermögen nicht aktualisieren (De An. B5, 417a24–28, 417a32–417b5;
Γ4, 429a21–24; Metaph. Θ6, 1048a34–35) und das passive Gedachtwerdende,
nämlich der Begriff, nicht definitorisch artikuliert werden kann. Im Gegensatz

363 De An. Γ4, 429a15–21. Mit dem ἀπαθές ist die Immaterialität gemeint, die für den mensch-
lichen und den göttlichen Geist gilt. Aber der Terminus ἀπαθές wird in verschiedenen Kontex-
ten vielfältig angewendet, je nachdem, wie derselbe Begriff den unterschiedlichen Seienden
zukommt. An der zitierten Stelle ist vom menschlichen Geist die Rede. Der menschliche Geist
kann zwar nicht vom Körper affiziert werden (ἀπαθές), muss aber vom gedachten Gegenstand
bewirkt werden. Mit anderen Worten ist der menschliche Geist mit einem passiven Element
behaftet (ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός – De An. Γ5, 430a24–25). Dem νοῦς παθητικὸς der Seele
entgegen hebt der absolute Geist das passive Gedachte auf (De An. Γ5, 430a22–25), indem er
sich selbst denkt. Im kosmologischen Gottesbeweis ist auch einzusehen, dass sich das unbe-
wegte Bewegende als allererste Bewegungsursache aktiv auswirkt. Anhand der absoluten Akti-
vität kann das unbewegte Bewegende weder mit dem Stoff gemischt (ἀμιγῆ), noch von dem
anderen affiziert (ἀπαθῆ/ἀπαθές) oder davon verändert (ἀναλλοίωτον) werden (Phys. Θ5,
256b24–27; Metaph. Λ7, 1073a11). Während das ἀπαθές der Seele als Immaterialität zu verste-
hen sein soll, bezeichnet das ἀπαθές des Geistes die absolute Aktivität, die alle passiven Ele-
mente aufhebt (ἀ-παθές). Aufgrund dessen kann der absolute Geist weder vom Körper noch
vom Gegenstand des Denkens affiziert werden.
3.2 Geist 273

dazu nimmt das göttliche Denken sich selbst zum Gegenstand, sodass die Diffe-
renz zwischen dem aktiven Denkenden und dem passiven Gedachtwerdenden
aufgehoben wird. Da das Denken und das Gedachtwerden beim absoluten Geist
undifferenziert sind (ἀδιαίρετον – Metaph. Λ9, 1075a6–7),364 lassen sie sich zu-
sammenhalten (συνεχές). Kraft des Zusammenhalts aktualisiert sich das göttli-
che Denken kontinuierlich und ewig (ὥστε ζωὴ καὶ αἰὼν συνεχὴς καὶ ἀΐδιος
ὑπάρχει τῷ θεῷ – Metaph. Λ7, 1072b28–30).365
Zusammenfassend haben der menschliche und der göttliche Geist an der
Immaterialität und der aktiven Tätigkeit teil. Im Gegensatz zum menschlichen
Denken, das die gesetzten Begriffe thematisiert (ἀνθρώπινος νοῦς→νοητόν –
Metaph. Λ9, 1075a7),366 orientiert sich das göttliche Denken an sich selbst (νοῦς

364 An dieser Stelle redet Aristoteles davon, dass jedes Unteilbare dasjenige sei, welches
keine Materie habe. Aber vor dem Hintergrund des Vergleichs zwischen dem menschlichen
und dem göttlichen Geist spielt die Materie keine Rolle, denn die beiden sind immateriell.
Darum soll man in diesem Kontext den Terminus ὕλη nicht wörtlich als Materie, sondern als
die mit der Materialität verbundene Passivität und Möglichkeit verstehen. Während der
menschliche Geist Anteil an der Passivität und der Potentialität hat, transzendiert der absolute
Geist die beiden Eigentümlichkeiten des menschlichen Geistes. Was daher im wahrhaften
Sinne unteilbar und undifferenziert sein kann, ist nur der absolute Geist.
365 Ontologisch gesehen weist das συνεχές darauf hin, dass ein und dasselbe Seiende die bei-
den Grenzen/Enden zusammenbindet, die durch die Teilung zustande gebracht werden. (1)
Phys. E3, 227a10–17: τὸ δὲ συνεχὲς ἔστι μὲν ὅπερ ἐχόμενόν τι, λέγω δ’ εἶναι συνεχὲς ὅταν
ταὐτὸ γένηται καὶ ἓν τὸ ἑκατέρου πέρας οἷς ἅπτονται, καὶ ὥσπερ σημαίνει τοὔνομα, συνέχηται.
τοῦτο δ’ οὐχ οἷόν τε δυοῖν ὄντοιν εἶναι τοῖν ἐσχάτοιν. τούτου δὲ διωρισμένου φανερὸν ὅτι ἐν
τούτοις ἐστὶ τὸ συνεχές, ἐξ ὧν ἕν τι πέφυκε γίγνεσθαι κατὰ τὴν σύναψιν. καὶ ὥς ποτε γίγνεται
τὸ συνέχον ἕν, οὕτω καὶ τὸ ὅλον ἔσται ἕν, οἷον ἢ γόμφῳ ἢ κόλλῃ ἢ ἁφῇ ἢ προσφύσει. (2) Phys.
E4, 228a30–228b1: κεῖται γὰρ τὸ συνεχές, ὧν τὰ ἔσχατα ἕν. [. . .] τοῦτο δ’, ὅταν ἓν τὸ ἔσχατον
γένηται ἀμφοῖν. (3) Phys. Z1, 231a21–23: συνεχῆ μὲν ὧν τὰ ἔσχατα ἕν, ἁπτόμενα δ’ ὧν ἅμα,
ἐφεξῆς δ’ ὧν μηδὲν μεταξὺ συγγενές. Die Linie, die Fläche, der Körper, der Raum und die Zeit
sind deswegen durch συνεχές gekennzeichnet, weil der Punkt die geteilte Linie, die Linie die
geteilte Fläche, die Fläche den geteilten Körper, der Körper den geschaffenen Raum und das
Jetzt die Vergangenheit und die Zukunft jeweils zusammenhält (Cat. 6, 4b20–25, 5a1–14). Inso-
fern das Naturseiende Form-Stoff und das Denken Denkendes-Gedachtes zusammenbindet,
werden das eine sowie das andere als συνεχές bezeichnet. Außerdem überschneidet sich das
συνεχές mit der Kontinuität (ἐφεξῆς), wenn sich das per se Zusammengesetzte in der Zeit be-
wegt (ὥστ’ ἐχόμεναι καὶ ἐφεξῆς εἰσὶ τῷ τὸν χρόνον εἶναι συνεχῆ, συνεχὴς δὲ τῷ τὰς κινήσεις –
Phys. E4, 228a30–31). Überdies fallen beim absoluten Geist das ontologische Zusammenhalten
und die allzeitliche Kontinuität zusammen (συνεχές = ἐφεξῆς), denn er ist als einfache Subs-
tanz per se kontinuierlich und ewig tätig. In den anderen Fällen können das Zusammenhalten
und das Kontinuum nicht identifiziert werden (συνεχές ≠ ἐφεξῆς), z. B. dass der Mond zwar
ein und derselbe ist, aber nicht kontinuierlich zum Vorschein kommt (Phys. E3, 227a4–6).
366 In De anima ist der menschliche Geist als sterblicher Geist (ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός –
De An. Γ5, 430a24–25) benannt. Das bedeutet nicht, dass der menschliche Geist sterblich ist.
274 3 Erste Philosophie (Theologie)

θεῖος→αὐτὴ αὑτῆς ἡ νόησις τὸν ἅπαντα αἰῶνα), sodass das passive Element des
menschlichen Denkens aufgehoben wird. Während der menschliche Geist
wegen der Potentialität nur in einer gewissen Zeit zu aktualisieren ist (πότε),
verwirklicht sich der göttliche Geist als rein geistige Tätigkeit ständig und ewig
(ἀεὶ – Metaph. Λ7, 1072b24–26; Λ9, 1075a7–10). Indem die intelligible Substanz
ewig tätig ist, setzt sie alle anderen Seienden in Bewegung. Auf diese Art und
Weise kommt der kosmologische Gottesbeweis zum Vorschein.
Vor der Beweisführung kommt die Notwendigkeit dessen, dass die intelli-
gible Substanz existiert, kurz zur Erwähnung. Erstens: Neben den sensiblen
Substanzen, die die vergänglichen Lebewesen und die ewigen Himmelskörper
umfassen, muss es eine andere Substanz geben. Wegen der essentiellen Diffe-
renz können die sensible und die intelligible Substanz kein gemeinsames Prin-
zip haben (Metaph. Λ1, 1069b1–2; Λ10, 1075b13–14; K2, 1060a27–31). Zweitens:
Wenn es außer den sensiblen Substanzen keine andere Substanz gäbe, würden
sich weder Prinzip noch Ordnung und weder natürliche Entstehung noch
himmlische Bewegung ergeben.367 Drittens lässt sich die Existenz der intelligib-
len Substanz indirekt nachweisen. Gäbe es neben den sensiblen/natürlichen
zusammengesetzten Substanzen keine intelligible/übernatürliche Substanz,
würde die Physik als die erste Philosophie gelten (Metaph. E1, 1026a27–29; K7,
1064b9–11; PA A1, 641a34–36). Nur wenn die intelligible Substanz existiert,
dann kann die entsprechende Wissenschaft, nämlich die Theologie, wegen der
Priorität des Untersuchungsgegenstandes als die erste Philosophie bezeichnet
werden (Metaph. E1, 1026a29–31; K7, 1064b11–14).
Zu der Frage, die Aristoteles an mehreren Stellen aufwirft, ob es neben den
sensiblen Substanzen noch eine andere Substanz gibt (Metaph. B1, 995b13–15,
995b31–36; B2, 997a34–35; Z2, 1028b27–32; M1, 1076a10–12), liegt die Antwort
nahe, die Idee als intelligible Substanz anzusehen und den mathematischen Ge-
genstand als Zwischending von intelligibler und sensibler Substanz zu bezeich-
nen.368 Aristoteles’ Auffassung nach kommt weder die eine noch der andere als

Denn laut Aristoteles ist die Unsterblichkeit der Seele nichts anderes als die Unsterblichkeit
des Geistes, die durch die ewige Tätigkeit des menschlichen Geistes begründet und bewiesen
wird. Da der einzelne Mensch sterblich ist, ist der menschliche Geist im übertragenen Sinne
der sterbliche Geist zu nennen.
367 Metaph. Λ10, 1075b24–27: εἴ τε μὴ ἔσται παρὰ τὰ αἰσθητὰ ἄλλα, οὐκ ἔσται ἀρχὴ καὶ τάξις
καὶ γένεσις καὶ τὰ οὐράνια, ἀλλ’ ἀεὶ τῆς ἀρχῆς ἀρχή, ὥσπερ τοῖς θεολόγοις καὶ τοῖς φυσικοῖς
πᾶσιν. Metaph. B4, 999b5–6.
368 Metaph. B1, 995b15–18; B2, 997a35–997b3; Z2, 1028b18–27; Z11, 1037a10–13; Λ1,
1069a33–36; M1, 1076a16–22; M9, 1086a24–29. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder,
dass die platonische Idee und die Zahl der Pythagoreer immer in die Erörterung des unbeweg-
ten Bewegers, d. h. der intelligiblen Substanz, einbezogen sind. Denn vor Aristoteles haben
3.2 Geist 275

Substanz zur Geltung. Die platonische Idee wird nicht für Substanz bzw. Prinzip
gehalten, denn sie leistet keinen Beitrag zur Entstehung und zur Bewegung, der
für die aristotelische Substanz charakteristisch ist.369 Die Zahl kann weder zur
Substanz noch zum Prinzip gezählt werden, weil es unmöglich ist, etwas Körper-
liches und Kontinuierliches aus der unkörperlichen und diskreten Zahl entstehen
zu lassen.370 Darüber hinaus ist für die intelligible Substanz das Eidos im aristote-
lischen Sinn, nämlich die Naturart, auch kein Kandidat. Denn naturgemäß befin-
det sich die Naturart immer in den gleichartigen Einzeldingen (Metaph. B2,
998a11–13; Z8, 1034a2–7), und durch die gedankliche Abstraktion kann sie erst be-
grifflich betrachtet werden.
Neben den sensiblen Substanzen muss es die intelligible Substanz geben, die
weder Idee noch Zahl ist. Denn die beiden sind zwar intelligibel, aber nicht subs-
tanziell. Wegen der Trennung vom konkreten Einzelding fehlt der Idee die zu-
grundeliegende Substantialität und die Zahl ist die quantitative Bestimmung des
Seienden. Daraus zieht Aristoteles den Schluss, dass die intelligible Substanz
nichts anderes als das unbewegte Bewegende ist. Das unbewegte Bewegende
verhält sich insofern wie das Prinzip von Allem, als es die Himmelskörper direkt
in Bewegung setzt und die Kontinuität (ἀεὶ ἔσται γένεσις – Metaph. Λ 10,
1075b16–17) sowie die Notwendigkeit der Naturentstehung (τὸ ἐξ ἀνάγκης ἐν τῇ
γενέσει – Phys. B9, 199b35–200a1) indirekt garantiert. Das unbewegte Bewe-
gende geht über alle natürlichen Seienden hinaus und leitet die Ordnung der na-
türlichen Welt, der Beweis für seine notwendige Existenz aber geht umgekehrt
von der Natur aus. Um die erste Bewegungsursache herzuleiten, nimmt der kos-
mologische Gottesbeweis des Aristoteles die bewegten Himmelskörper zum
Ausgang.
Die Beweisführung besteht aus zwei Schritten. Dank der ausführlichen Text-
analyse und der ausgezeichneten Untersuchung von Klaus Oehler ist es uns
schon plausibel geworden, dass Aristoteles in Metaphysik Λ6 (1071b5–11) vor

die beiden Schulen zwei Möglichkeiten anzubieten, die intelligible Substanz festzulegen und
sie systematisch darzustellen. Bemerkenswert ist die Frage, ob die aristotelische Kritik die pla-
tonische Ideenlehre und die pythagoreische Zahlenlehre tatsächlich betrifft. Denn die Sub-
stanzlehre des Aristoteles baut auf einer anderen Ebene auf, sodass er von seinem eigenen
Standpunkt ausgeht, die Substantialität der Ideen oder der Zahlen zurückzuweisen.
369 Metaph. Z8, 1033b26–29; Λ10, 1075b27–28; M5, 1079b12–18; M9, 1086a32–34. Wie gesagt
können die Ideen nicht zur Entstehung und Bewegung des natürlichen Einzeldings beitragen,
und zwar nicht wegen der Allgemeinheit, sondern wegen der Trennung der Ideen vom konkre-
ten Einzelding.
370 Phys. Z1, 231a24–29; Metaph. Λ10, 1075b28–30; M8, 1083b11–17; Alexander 720.20–21:
[. . .] < πῶς ἐξ ἀμεγεθῶν > τῶν ἀριθμῶν καὶ διωρισμένων ἀπ’ ἀλλήλων < ἔσται μέγεθος καὶ συ-
νεχές. ὁ γὰρ ἀριθμὸς οὐ ποιήσει συνεχές >.
276 3 Erste Philosophie (Theologie)

dem Beweis der Existenz Gottes zunächst die Existenz des ewig bewegten Him-
melskörpers nachzuweisen hat.371 Anders formuliert: Im ersten Schritt ist es
darum zu tun, dass die unaufhörliche Bewegung auf den der Bewegung zugrunde-
liegenden Himmelskörper zurückgeht. Im zweiten Schritt geht es darum, dass der
Himmelskörper als Bewegtes auf das aktive Bewegende zurückzuführen ist. Die
Unterscheidung zweier argumentativer Schritte ist deshalb von großer Bedeutung,
weil Aristoteles im Laufe der Argumentation zwei verschiedene theoretische An-
sätze verwendet.372 Erstens vollzieht sich die Rückführung der ewigen

371 In seinem Aufsatz: „Der Beweis für den unbewegten Beweger bei Aristoteles, Metaphysik
Λ6, 1071b3–20“ behandelt Klaus Oehler (1955) das Missverständnis, den Abschnitt Λ6,
1071b5–11 als Beweis für den unbewegten Beweger anzusehen. Nicht nur die modernen For-
scher vertreten diese Meinung, sondern auch Thomas von Aquin. Es ist sinnvoll, danach zu
fragen, aus welchem Grund Thomas eine solche Interpretation vorgeschlagen hat. Die Reduk-
tion des Akzidenz (der Kreisbewegung) auf die himmlische Substanz kann Thomas deswegen
mit der Rückführung der bewegten Substanzen auf die bewegende Substanz identifizieren,
weil seiner Meinung nach die Substanz nichts anderes als die Ursache des Akzidenz sei.
Vgl. (1) Summa contra Gentiles lib.1 cap.34 n.2 [23817]: „In huiusmodi autem analogica praedi-
catione ordo attenditur idem secundum nomen et secundum rem quandoque, quandoque vero
non idem. Nam ordo nominis sequitur ordinem cognitionis: quia est signum intelligibilis con-
ceptionis. Quando igitur id quod est prius secundum rem, invenitur etiam cognitione prius,
idem invenitur prius et secundum nominis rationem et secundum rei naturam: sicut substan-
tia est prior accidente et natura, inquantum substantia est causa accidentis; et cognitione, in-
quantum substantia in definitione accidentis ponitur. Et ideo ens dicitur prius de substantia
quam de accidente et secundum rei naturam et secundum nominis rationem.“ (2) Sentencia
Metaphysicae lib.12 l.4 n.21 [84046]: „Entium enim quaedam sunt separabilia, scilicet substan-
tiae; alia sunt inseparabilia, scilicet accidentia, quia passiones et motus et huiusmodi acciden-
tia non possunt esse sine substantiis. Unde manifestum est quod principia prima in genere
substantiae sunt etiam causae omnium aliorum generum, non solum quantum ad primam cau-
sam moventem, sed etiam quantum ad causas intrinsecas. Nam materia et forma substantiae,
sunt causae accidentium.“ –In der thomistischen Metaphysik, d. h. in der Transzendentalien-
lehre, ist es von entscheidender Bedeutung, das Verhältnis von Akzidenz und Substanz (acci-
dentia-substantia) mit der Beziehung von Effekt und Ursache (effectus-causa) gleichzusetzen,
die ohne Weiteres die Beziehung von Geschöpf und Schöpfer (creatura-Deus) aufweist. Auf-
grund dessen ist Thomas der Meinung, dass die Substanz als Ursache des Akzidenz gilt, wie
der Schöpfer als Ursache des Geschöpfs gilt. Während der Schöpfer als Wirk-, Ziel-, Form- und
Stoffursache des Geschöpfs zur Geltung kommt, kann die Substanz nichts anderes als die
Stoffursache des Akzidenz sein (Metaph. Λ5, 1070b36–1071a2). Denn die Einzelsubstanz liegt
der zukommenden Eigenschaft zugrunde, ohne sie formen oder bewegen zu können. Während
die Einzelsubstanz die Stoffursache des Akzidenz ist, verhält sich das unbewegte Bewegende
als Bewegungsursache der Himmelskörper. Deshalb darf die Rückführung des Akzidenz auf
die Substanz nicht mit der Rückführung des Bewegten auf das Bewegende vermischt sein.
Vgl. auch Schwegler (1848: 251–252) und Enrico (2000: 181–206).
372 Enrico (2000: 182): „This is important, because the two kinds of eternal substance, the
movable and the unmovable, require two different kinds of argumentation.“
3.2 Geist 277

Kreisbewegung auf die ewige Substanz anhand der aristotelischen Kategorien-


lehre, denn die Bewegung als Akzidenz steht in Abhängigkeit von der Substanz
(accidentia→substantia). Zweitens geht es im Hauptteil des Beweises um das Ver-
hältnis zwischen zwei verschiedenen Typen von Substanzen, nämlich wie das Be-
wegte auf das unbewegte Bewegende zurückgreift (effectus→causa efficiens).
Zuerst lässt sich die Existenz der Himmelskörper, die sinnlich wahrnehm-
bar und ewig sind, folgendermaßen beweisen. Aristoteles geht davon aus, dass
die Substanzen den anderen Seienden, d. h. den Eigenschaften, vorrangig sind
(αἵ τε γὰρ οὐσίαι πρῶται τῶν ὄντων – Metaph. Λ6, 1071b5).373 Wenn alle Sub-
stanzen vergänglich wären, dann würden alle anderen Seienden auch zu-
grunde gehen (εἰ πᾶσαι φθαρταί, πάντα φθαρτά – Metaph. Λ6, 1071b6). Aber es
ist unmöglich, dass die Bewegung entsteht und vergeht, denn die himmlische
Kreisbewegung ist ewig dauernd (ἀλλ’ ἀδύνατον κίνησιν ἢ γενέσθαι ἢ φθαρῆναι
ἀεὶ γὰρ ἦν – Metaph. Λ6, 1071b6–7) und hält sich kontinuierlich durch (κίνησις
δ’ οὐκ ἔστι συνεχὴς ἀλλ’ ἢ ἡ κατὰ τόπον, καὶ ταύτης ἡ κύκλῳ – Metaph. Λ6,
1071b10–11). Da die Bewegung als Eigenschaft der bestimmten Substanz inhä-
rieren muss, impliziert die ewige Kreisbewegung den ewigen Bewegungsträger,
den Himmelskörper.374

373 Vor dem oben zitierten Satz steht ein Satz, womit das sechste Kapitel anfängt. Der An-
fangssatz bringt noch einmal die drei Typen der Substanzen zum Ausdruck und bestätigt die
Existenz der ewigen und unbewegten Substanz. Danach erscheint der erwartete Beweis für das
unbewegte Bewegende nicht im Text. Oehler weist ganz richtig darauf hin, dass es zwischen
dem Anfangssatz (Metaph. Λ6, 1071b3–5) und dem zitierten Satz (Λ6, 1071b5) keinen direkten
inhaltlichen Zusammenhang gibt. Denn bei dem einen wirft Aristoteles den Rückblick auf die
Klassifikation der Substanz, die im ersten Kapitel (Metaph. Λ1, 1069a30–1069b2) schon er-
wähnt wird, und bei dem anderen geht es um die ontologische Priorität der Substanz gegen-
über der Kategorie.
374 Um den Gedankengang klar nachzuvollziehen, reduzieren wir das originale Argument
des Aristoteles. Im Kontext ist nicht nur von Bewegung, sondern auch von Zeit die Rede (Me-
taph. Λ6, 1071b6–10). Die Kontinuität der Zeit erbringt den Beweis für die Kontinuität bzw. die
Unaufhörlichkeit der Kreisbewegung (Λ6, 1071b9–10), die auf die Ewigkeit des unbewegten
Bewegenden zurückzuführen sein muss. Im Grunde genommen handelt es sich um die ontolo-
gische Abhängigkeit. Ohne die zugrundeliegende Einzelsubstanz gibt es keine Bewegung,
ohne die Bewegung keine Zeit (als Messung der Bewegung), und ohne die Zeit keine zeitliche
Abfolge von Frühem und Spätem (Λ6, 1071b8–9). Im aristotelischen Weltbild kann das Seiende
weder früher noch später als die Zeit vorhanden sein. Denn es ist logisch widersprüchlich, zu
behaupten, dass das Seiende früher als die Zeit ist, die noch nicht entsteht, oder später als die
Zeit, die schon vergeht. Der Widerspruch kommt dadurch zustande, dass Aristoteles durch die
Aufhebung der göttlichen Schöpfungsaktion die qualitative bzw. die wesentliche Differenz
von Ewigkeit und Zeitlichkeit abschafft. Demzufolge ist die Ewigkeit weder der Zeitlichkeit on-
tologisch überlegen noch kann sie vor der Zeit vorliegen. Vielmehr tendiert Aristoteles dazu,
die Ewigkeit mit der Allzeitlichkeit gleichzusetzen, indem er die Ewigkeit als die geistige
278 3 Erste Philosophie (Theologie)

Nachdem die Existenz des ewigen Himmelskörpers durch die unaufhörliche


Kreisbewegung bewiesen worden ist, setzt Aristoteles das Argument in Λ7
fort.375 Wenn der Himmelskörper ewig und unaufhörlich bewegt wird, gibt es das
Seiende, das den Himmelskörper in Bewegung setzt (Metaph. Λ7, 1072a21–24).376
Auf den ersten Blick scheint der Syllogismus ganz schlüssig zu sein. Im Obersatz
wird der Himmelskörper für das Bewegte gehalten. Der Untersatz weist darauf
hin, dass der Himmelskörper als Bewegtes einer aktiv bewegenden Wirkursache
bedarf. Denn die ganze Beweisführung des kosmologischen Gottesbeweises basiert
auf der Prämisse dessen, dass das Bewegte von einem Seienden bewegt werden
muss (ἐπεὶ δὲ τὸ κινούμενον ἀνάγκη ὑπό τινος κινεῖσθαι – Metaph. Λ8, 1073a26;
Phys. H1, 242a49–50; Θ5, 256a13–14). Daraus folgt die Konklusion, dass die Bewe-
gungsursache des Himmelskörpers das erste Bewegende ist, das sich als das unbe-
wegte Bewegende bezeichnen lässt. Aber um den Schluss widerspruchslos ziehen
zu können, müssen zwei Sachen klargestellt werden. Erstens: Inwiefern wird der
Himmelskörper als passives Bewegtes angesehen? Zweitens: Aus welchem Grund
braucht der Himmelskörper unbedingt eine äußerliche Bewegungsursache?
Wie der Name besagt, ist der Himmelskörper der himmlische Körper, der
ewig und unaufhörlich im Kreis läuft (ἀΐδιον γὰρ καὶ ἄστατον τὸ κύκλῳ σῶμα –
Metaph. Λ8, 1073a30–32). Der Himmelskörper kann deswegen nicht von selbst in
Bewegung gesetzt werden, weil die Materie im Allgemeinen nicht zu einer akti-
ven Einwirkung fähig ist (Metaph. Λ6, 1071b28–31). Da die Materialität mit der
Passivität verbunden ist, gilt der Himmelskörper wegen der materialen Körper-
lichkeit als passives Bewegtes. Aus der Körperlichkeit kann zwar die Passivität
folgen, aber keine Notwendigkeit, eine äußerliche Wirkursache anzunehmen.
Obwohl das einzelne Lebewesen körperlich und stofflich ist, trägt es die Ruhe-
und die Bewegungsursache sowie das Entstehungsprinzip in sich. Wäre der

Tätigkeit in der unendlichen Zeit bestimmt (Λ7, 1073a7). Zusammenfassend greifen die zwei
Zeitmodi „früh-spät“ auf die Zeit zurück, die Zeit auf die Bewegung und die Bewegung auf die
Substanz (πρότερον-ὕστερον→χρόνος→κίνησις→οὐσία).
375 Metaph. Λ7, 1072a21–26; Phys. Θ5, 256a4–21; De Cae. Γ2, 300b8–25; Oehler 1955: 86. Der
vollständige kosmologische Gottesbeweis entwickelt sich eigentlich nicht in der Metaphysik Λ
(6–10). In Λ7 (1072a21–26) wird die Beweisführung nur ganz kurz erwähnt. Um den Gedanken-
gang des Beweises nachzuvollziehen, müssen wir das Argument in der Physik (H1, Θ5) einfü-
gen. Der kosmologische Gottesbeweis lässt sich dadurch rekonstruieren, dass die Texte in der
Metaphysik und in der Physik nach dem Sinnzusammenhang zusammengestellt und analysiert
werden.
376 Ross (1924: 374) hat den kurzen Satz „ἔστι τοίνυν τι καὶ ὃ κινεῖ“ nicht nur richtig verstan-
den, sondern auch begründet: „From the existence of a κινούμενον [1072a21] there cannot be
inferred the existence of something which it moves, but only the existence of something that
moves it. ὃ therefore is subject of κινεῖ as in I. 25.“
3.2 Geist 279

Himmelskörper beseelt (ἔμψυχον), wie die antiken Kommentatoren in ihren In-


terpretationen vorgeschlagen haben (Alexandri In Metaphysica Commentaria 686.
2–16), hätte es, wie das einzelne Naturseiende, sich selbst in Bewegung setzen
können. Falls der Himmelskörper wie das Lebewesen die Wirkursache verinner-
licht, kommt eine äußerliche Bewegungsursache überhaupt nicht in Frage.377 Dar-
aus folgt konsequenterweise der Schluss, dass der Himmelskörper rein körperlich
sein muss. Wegen des Mangels an einem inneren geistigen Prinzip kann der Him-
melskörper nicht von sich selbst bewegt, sondern muss von einer äußerlichen Be-
wegungsursache angetrieben werden.
Der Himmelskörper ist die materiale Substanz. Die Materie als Individualisie-
rungsprinzip führt zur Vielzahl der Individuen. Analog dazu, dass die menschliche
Art trotz der Vielheit der einzelnen Menschen ein und dieselbe ist, ist der Him-
melskörper der Art nach eines und der Zahl nach sind die Himmelskörper viele
(Metaph. Λ8, 1074a31–35).378 Wenn der Himmelskörper einer äußerlichen Bewe-
gungsursache bedarf, kann der eine Himmelskörper von dem anderen bewegt
werden. Falls Α von Β, Β von Γ und Γ wiederum von Δ bewegt wird, setzt sich die
Kette ins Unendliche fort. Um den unendlichen Regress zu vermeiden, muss ein
erstes Bewegendes vorliegen (τὸ πρῶτον κινοῦν), das alle Himmelskörper bewegt
und selbst von keinem anderen bewegt wird.379 Gerade in diesem Sinne lässt sich

377 Enrico (2000: 202): „Furthermore, says Theophrastus, if heaven is living like other living
beings, its movement could be explained by the action of its soul, and would not need any
unmovable mover (10a16–21).“
378 Dadurch, dass Aristoteles die Lehrmeinungen von Eudoxos und Kallipos übernimmt und
korrigiert, wird die Anzahl der Gestirne auf 55 festgelegt (Metaph. Λ8, 1073b17–1074a14). An-
schließend liegt ein teleologischer Beweis dafür vor, dass die Gestirne trotz der Vielzahl eines
sind (Λ8, 1074a22–31). Die Beweisführung scheint dem kosmologischen Gottesbeweis ähnlich
zu sein. Hat jede Kreisbewegung per se ein Substrat, ist der himmlische Kreislauf nichts ande-
res als die kreisförmige Bewegung der Gestirne (1074a25–28). Wenn sich die eine Kreisbewe-
gung um der anderen willen vollzieht und diese wiederum um einer weiteren willen, führt
dies zur Unendlichkeit (Λ8, 1074a28–29). Um den unendlichen Regress zu vermeiden, muss
ein Gestirn gesetzt werden, das als Ziel aller himmlischen Kreisbewegungen gilt (Λ8,
1074a29–31). Darum gibt es nur ein einziges Gestirn, worauf sich alle sich im Kreis bewegen-
den Gestirne ausrichten.
379 (1) Phys. H1, 242a49–55: ἐπεὶ δὲ πᾶν τὸ κινούμενον ἀνάγκη κινεῖσθαι ὑπό τινος, ἐάν γέ τι
κινῆται τὴν ἐν τόπῳ κίνησιν ὑπ’ ἄλλου κινουμένου, καὶ πάλιν τὸ κινοῦν ὑπ’ ἄλλου κινουμένου
κινῆται κἀκεῖνο ὑφ’ ἑτέρου καὶ ἀεὶ οὕτως, ἀνάγκη εἶναί τι τὸ πρῶτον κινοῦν, καὶ μὴ βαδίζειν
εἰς ἄπειρον· μὴ γὰρ ἔστω, ἀλλὰ γενέσθω ἄπειρον. (2) Phys. Θ5, 256a13–21: εἰ δὴ ἀνάγκη πᾶν τὸ
κινούμενον ὑπό τινός τε κινεῖσθαι, καὶ ἢ ὑπὸ κινουμένου ὑπ’ ἄλλου ἢ μή, καὶ εἰ μὲν ὑπ’ ἄλλου
[κινουμένου], ἀνάγκη τι εἶναι κινοῦν ὃ οὐχ ὑπ’ ἄλλου πρῶτον, εἰ δὲ τοιοῦτο τὸ πρῶτον, οὐκ
ἀνάγκη θάτερον (ἀδύνατον γὰρ εἰς ἄπειρον ἰέναι τὸ κινοῦν καὶ κινούμενον ὑπ’ ἄλλου αὐτό·
τῶν γὰρ ἀπείρων οὐκ ἔστιν οὐδὲν πρῶτον) – εἰ οὖν ἅπαν μὲν τὸ κινούμενον ὑπό τινος κινεῖται,
τὸ δὲ πρῶτον κινοῦν κινεῖται μέν, οὐχ ὑπ’ ἄλλου δέ, ἀνάγκη αὐτὸ ὑφ’ αὑτοῦ κινεῖσθαι.
280 3 Erste Philosophie (Theologie)

das erste Bewegende als unbewegtes Bewegendes bezeichnen (ἔστι τοίνυν τι καὶ ὃ
κινεῖ. ἐπεὶ δὲ τὸ κινούμενον καὶ κινοῦν [καὶ] μέσον, [. . .] τοίνυν ἔστι τι ὃ οὐ κινο-
ύμενον κινεῖ – Metaph. Λ7, 1072a24–26).
Anhand der Beweisführung hebt das unbewegte Bewegende als allererste Be-
wegungsursache insofern die Passivität auf, als es von keinem anderen bewegt
werden kann. Da die Passivität und die Materialität miteinander zusammenhängen
und zueinander wechselseitig stehen (materia quasi potentia passiva), lässt sich
die Materialität durch die Aufhebung der Passivität mitaufheben (ἄνευ ὕλης – Me-
taph. Λ6, 1071b20–21; ἄνευ μεγέθους – Metaph. Λ8, 1073a36–1073b1). Das unbe-
wegte Bewegende kann nur dann die Ursache-Folge-Kette abschließen, wenn es
immateriell und rein geistig ist. Wäre das unbewegte Bewegende mit dem Stoff
behaftet, müsste dessen Bewegung von einem anderen in Gang gebracht werden.
Außerdem ist es unmöglich, dass sich das unbewegte Bewegende in Ruhe befin-
det. Denn das unbewegte Bewegende als erste Bewegungsursache darf nicht unbe-
weglich sein, sondern verhält sich immer aktiv wirksam (actus purus, ἡ ἁπλῆ καὶ
κατ’ ἐνέργειαν – Metaph. Λ7, 1072a31–32). Sobald die bewegende Ursache aufhört,
tätig zu sein, geht die himmlische Kreisbewegung sofort zu Ende, der es dann an
der Antriebskraft mangelt. Da das erste unbewegte Bewegende immateriell ist und
als rein geistige Tätigkeit gilt, ist es sowohl dem Wesen als auch der Zahl nach
eines (ἓν ἄρα καὶ λόγῳ καὶ ἀριθμῷ τὸ πρῶτον κινοῦν ἀκίνητον ὄν – Metaph. Λ8,
1074a36–37).380 Des Weiteren hat das Bewegende die ontologische Priorität vor

380 Ob das unbewegte Bewegende bzw. die intelligible Substanz eines oder vieles ist (Metaph.
Λ8, 1073a14–15), ist das zentrale Thema von Λ8. Das ganze Kapitel ist in drei Teile gegliedert
(1073a14–22, 1073a22–1074a38, 1074a38–1074b14). Im Anfangsteil (1073a14–22) setzt Aristoteles
sich mit anderen Philosophen auseinander und er kritisiert diejenigen, die die Anzahl der intelli-
giblen Substanzen nicht richtig bestimmen. Zum einen gehen die Platoniker, die die Ideen für
Substanzen halten, überhaupt nicht auf die Anzahl der Ideen ein (1073a17–18), da dies für die
ganze Ideenlehre irrelevant ist. Zum anderen lässt sich die Idee mit der Zahl gleichsetzen
(1073a18–22), insofern die beiden intelligibel sind. Je nachdem, ob die Zahl zur unendlichen
Vielheit oder zur „Zehnzahl“ gezählt wird, sind die Ideen entweder unendlich vieles oder nur
zehn. Aristoteles hat zwar die Schwierigkeit, die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen zurückzu-
weisen, aber es ermangelt sicher der logischen Begründung, die Zahlen bzw. die Ideen nur als
„Zehnzahl“ zu bestimmen (1073a21–22). Im Schlussteil (1074a38–1074b14) nimmt Aristoteles
einen Rückblick darauf, wie sich die Vorfahren die Götter mythisch oder anthropologisch vorge-
stellt haben. Das Verständnis der Götter im Mythos ist zwar nicht philosophisch, aber es hat
eine wichtige soziale Funktion, nämlich die meisten Völker zu überzeugen und die Gesetze
durchzusetzen. Im Hauptteil (1073a22–1074a38) dieses Kapitels geht es um die Anzahl bei der
intelligiblen Substanz. Die Tatsache, dass das unbewegte Bewegende in der Pluralform auftritt
(1073a38, 1074a15), führt zu einer großen Interpretationsschwierigkeit. Denn es steht der eige-
nen Konklusion des Aristoteles direkt entgegen, nämlich dass das erste unbewegte Bewegende
sowohl dem Logos nach als auch der Zahl nach eines sei (1074a36–37). Selbst wenn es mehrere
3.2 Geist 281

dem Bewegten, wie die Ursache der Folge vorrangig ist. Wenn der nachrangige
Himmelskörper als ewige Substanz angenommen wird, muss das Vorrangige

unbewegte Bewegende gibt, stellt sich die Frage, wie sie sich aufeinander beziehen. Wie verhal-
ten sich die unbewegten Bewegenden zum ersten unbewegten Bewegenden und zu den beweg-
ten Gestirnen? Da Aristoteles solche Probleme weder vor Augen hat, noch aufzulösen versucht,
ist indirekt nachzuweisen, dass er die intelligible Substanz nicht als vieles ansieht. In der Tat
stellt Aristoteles die Vielzahl des unbewegten Bewegenden nur als eine Arbeitshypothese auf
(ὑπολαβεῖν – 1074a14–17), die durch die vollständig entwickelte Argumentation aufgegeben
werden muss. Im Grunde genommen hängt die Vielheit des unbewegten Bewegenden mit der
Vorgehensweise des kosmologischen Gottesbeweises zusammen, wobei der Effekt auf die Ursa-
che, d. h. das Bewegte auf das Bewegende, zurückzuführen sein muss (effectus→causa). Anhand
der Rückführung wird nicht nur die Existenz des Bewegenden bewiesen, sondern drei Eigentüm-
lichkeiten des Bewegten lassen sich auf das Bewegende übertragen, und zwar die Ewigkeit, die
Substantialität und die Vielheit (1073a22–1073b1). Ist das Bewegte ewig und substanziell, muss
das Bewegende kraft der ontologischen Priorität auch ewig (1073a27–28) und substanziell
(1073a34–36) sein. Auf die gleiche Art und Weise argumentiert Aristoteles für die Anzahl der in-
telligiblen Substanz. Sind die Bewegten viele, muss das Bewegende auch vieles sein. Denn in
der Wirklichkeit gibt es mehrere Gestirne und jedes Gestirn braucht eine Bewegungsursache
(τὴν μίαν ὑφ’ ἑνός – 1073a27–28, 1073a32–34), um im Kreis laufen zu können. Anhand der allge-
meinen Vorgehensweise, wobei der Effekt auf die Ursache zurückgeht, lässt sich die Schlussfol-
gerung notwendig ziehen, dass die Bewegungsursache wegen der Vielheit der bewegten
Gestirne auch vieles ist. Während die Ewigkeit und die Substantialität vom Bewegten auf das
Bewegende übertragen werden können, ist die Vielheit nicht transformierbar. Denn das unbe-
wegte Bewegende als intelligible Substanz hebt die Materialität auf, die die sachliche Vielheit
zur Folge hat. Wegen der Immaterialität kann die intelligible Substanz weder gezählt werden
noch vieles sein. Aufgrund dessen rekonstruieren wir das Hauptargument in Λ8 (1073b17–
1074a38) folgendermaßen. Erstens: Durch die Übernahme und die Modifikation der astronomi-
schen Früchte der Forschung legt Aristoteles die Anzahl der Gestirne auf 55 fest (1073b17–
1074a14). Zweitens: Das Gestirn ist der Zahl nach vieles und der Art nach eines, insofern sich
alle Gestirne auf ein Gestirn ausrichten (1074a31–35). Drittens: Anhand der Prämisse, dass die
Vielzahl der bewegten Gestirne zur Vielheit des Bewegenden führt, sollten die unbewegten Be-
wegenden der Zahl nach vieles sein und können nur eine begriffliche Einheit bilden. Viertens:
Das unbewegte Bewegende kann nicht vieles sein. Denn die zahlenmäßige Vielheit ist in der Ma-
terialität fundiert, der sich die intelligible Substanz entzieht (1074a35–36). Daraus folgt, dass das
erste unbewegte Bewegende nicht nur dem Begriff nach, sondern auch der Zahl nach eines ist
(1074a36–37). Fünftens: Aus der Einzigartigkeit des ersten unbewegten Bewegenden folgt die
Einheit des bewegten Himmelskörpers (εἷς ἄρα οὐρανὸς μόνος – 1074a38). Diese Beweisführung
ist insofern von großer Bedeutung, als die generelle Methodik, die dem kosmologischen Gottes-
beweis zugrunde liegt, im Ausnahmefall aufgegeben wird. In Bezug auf die Anzahl der intelli-
giblen Substanz ergibt sich nämlich keine Rückführung des Effektes auf die Ursache, sondern
die numerische Einheit wird vom Bewegenden auf das Bewegte übertragen. Nicht die Vielheit
der Gestirne führt zur Vielheit des unbewegten Bewegenden, sondern umgekehrt gewährleistet
die Einzigartigkeit des unbewegten Bewegenden die Einheit des bewegten Kosmos. Vgl. auch
Phys. Θ6, 259a6–13; Metaph. Λ2, 1069b31–32; Λ10, 1076a3–4; Gen. et Corr. B10, 337a17–22.
282 3 Erste Philosophie (Theologie)

sowohl ewig als auch substanziell sein (Metaph. Λ8, 1073a26–36). Das unbewegte
Bewegende ist die ewige Substanz, indem es ewig aktiv tätig ist ([. . .] τοίνυν ἔστι
τι ὃ οὐ κινούμενον κινεῖ, ἀΐδιον καὶ οὐσία καὶ ἐνέργεια οὖσα – Metaph. Λ7,
1072a24–26). Insgesamt ist das unbewegte Bewegende durch Aktivität, Immateria-
lität, Aktualität, Einzigartigkeit, Ewigkeit und Substantialität gekennzeichnet.
Anhand des kosmologischen Gottesbeweises lässt sich das erste unbewegte
Bewegende durch den ewigen himmlischen Kreislauf argumentativ herleiten.
Wie gezeigt wurde, ist der Beweis nur dann durchführbar, wenn die zwei Prä-
missen vorausgesetzt werden. Erstens kann die Materie als passives Prinzip
sich selbst nicht in Bewegung setzen. Zweitens darf die Effekt-Ursache-Reihe
nicht in den unendlichen Regress geraten. Unter beiden Bedingungen müssen
der bewegte Himmelskörper auf das unbewegte Bewegende und die materielle
Substanz auf die immaterielle Substanz zurückzuführen sein. Außer dem kos-
mologischen Nachweis, der mit der Problematik der ersten Bewegungsursache
zusammenhängt, fügt Aristoteles einen anderen Beweis hinzu, der aus der Per-
spektive der Modalität argumentiert. Die modale Beweisführung weist darauf
hin, dass die drei Seinsbereiche, nämlich der sublunare, der himmlische und
der geistige Bereich, nicht beziehungslos zueinander stehen, sondern die ent-
sprechenden Substanzen, d. h. Lebewesen, Himmelskörper und Geist, in enge
Verbindung gesetzt werden.
Zunächst lässt sich die Naturwelt zum Ausgangspunkt nehmen. Wenn
das einzelne Lebewesen ständig entsteht und vergeht, muss es etwas ande-
res, d. h. den Himmelskörper, geben, der immer tätig ist und sich anders ver-
hält (εἰ δὲ μέλλει γένεσις καὶ φθορὰ εἶναι, ἄλλο δεῖ εἶναι ἀεὶ ἐνεργοῦν ἄλλως
καὶ ἄλλως – Metaph. Λ6, 1072a10–12).381 Nach der einen Seite macht die

381 An der vorliegenden Stelle (Metaph. Λ6, 1072a9–18) stimmen alle Kommentatoren er-
staunlicherweise miteinander überein. Demzufolge geht es darum, wie die Planetenregion aus
der sublunaren Naturwelt und die Fixsternsphäre aus der Planetenregion schrittweise herge-
leitet werden. (1) Alexander 692.5–35: γένεσις-φθορά→ἥλιος→ἀπλανὴς; (2) Thomas Sententia
Metaphysicae lib.12 l.6 n.12 [84082], lib.12 l.6 n.13 [84083]: generatio et corruptio→sol et alli
planetae→primum caelum; (3) Schwegler (1848: 255–256): die Erde→die Planetenregion→die
Fixsternsphäre; (4) Ross (1924: 371–372): the alternation of birth and death→the ecliptic mo-
tion of the sun→the motion of the sphere of the fixed stars. Nach der Standardinterpretation
werden das Entstehen und das Vergehen der Lebewesen von der Sonne beeinflusst. Die Sonne
verhält sich insofern immer anders (ἄλλο δεῖ εἶναι ἀεὶ ἐνεργοῦν ἄλλως καὶ ἄλλως – Metaph.
Λ6, 1072a10–12), als sie zur Erde bald nahe, bald fern steht. Durch die Kreisbewegung wirkt
sich die Sonne auf den Wechsel von Entstehen und Vergehen aus. Aber die Homogenität und
die Gleichartigkeit der Naturentstehung müssen von einem anderen garantiert werden, das
sich im Gegensatz zur Sonne immer auf die gleiche Weise bewegt (δεῖ τι ἀεὶ μένειν ὡσαύτως
ἐνεργοῦν – Metaph. Λ6, 1072a9–10). Damit ist der Fixstern gemeint, der direkt auf die Sonne
3.2 Geist 283

Ewigkeit der himmlischen Kreisbewegung die Kontinuität des natürlichen


Entstehens und Vergehens möglich; nach der anderen Seite kann das Lebe-
wesen deswegen bald entstanden und bald vergänglich sein, weil der Him-
melskörper auf das Lebewesen nicht in gleicher, sondern auf andere Weise
einwirkt. Mit anderen Worten ereignet sich in der Natur gerade deshalb der
ständige Wechsel von Entstehen und Vergehen, d. h. von Leben und Tod, weil
sich der Himmelskörper, vor allem die Sonne, auf den sublunaren Bereich
auswirkt. Je nachdem, ob die Sonne zur Erde nahe oder fern steht, ist das ein-
zelne Naturding entstanden oder vergänglich (Gen. et Corr. B10, 336a30–336b10,
336b17–18). Im Gegensatz zum Lebewesen entzieht sich der Himmelskörper dem
Entstehen und dem Vergehen, da er ewig bewegt wird und seiend ist. Der Him-
melskörper ist zwar substanziell nicht zu verändern, örtlich aber veränderlich,
indem er in der kreisförmigen Laufbahn immer eine andere Stelle einnimmt. Der
Himmelskörper, der an verschiedenen Stellen auftritt, weist wiederum auf das

und indirekt auf das sublunare Seiende einwirkt. Unter der Auswirkung der Sonne sind die
Naturseienden entstanden und vergänglich und durch den Einfluss der Fixsterne vollzieht
sich die Naturentstehung zweckmäßig. Unsere Textauslegung weicht von der erwähnten Stan-
dardinterpretation ab. Denn aufgrund der traditionellen Interpretation ist es schwierig zu ver-
stehen, inwiefern sich der Fixstern gleicherweise bewegt (ὡσαύτως ἐνεργοῦν). Schwegler
(1848: 255) bezeichnet diese eigentümliche Bewegung als die wandellose Kreisbewegung. Viel-
leicht ist damit gemeint, dass die Fixsterne nur in Bezug auf die Erde unveränderlich sind, wie
Ross (1924: 371) sehr sorgfältig ausdrückt. Aber in der Tat können die Fixsterne nicht unverän-
derlich sein, sondern sie können dies nur dem Anschein nach sein. Aristoteles’ Meinung nach
gibt es keine Himmelskörper, die räumlich unveränderlich sind und an derselben Stelle ste-
henbleiben (Metaph. Θ8, 1050b20–24). Nicht nur die Planeten, sondern auch die Fixsterne be-
wegen sich, sodass sowohl die einen als auch die anderen örtlich anders sind. Die Planeten
und die Fixsterne haben gemeinsam, dass sie substanziell unveränderlich sind, räumlich aber
veränderlich sein müssen. In diesem Fall kann die Fixsternbewegung nicht durch das ὡσαύ-
τως ἐνεργοῦν gekennzeichnet sein, das die gleichmäßige Tätigkeit, d. h. die geistige Tätigkeit,
impliziert. Aus dem Grund identifizieren wir das, was immer gleichmäßig tätig ist, nicht mit
dem Fixstern, sondern mit dem unbewegten Bewegenden. Unsere Interpretation kommt da-
durch zustande, dass der Unterschied zwischen Planeten und Fixstern aufgehoben wird. Dem-
zufolge geht es darum, dass das Entstehen-Vergehen der Lebewesen vom Gestirn beeinflusst
werden, das von einem unbewegten Bewegenden angetrieben werden muss. Der Grund, dass
die Kommentatoren zögern, das unbewegte Bewegende in die Interpretation einzuführen, liegt
vermutlich darin, dass ihrer Meinung nach der kosmologische Gottesbeweis erst im Kapitel 7
auftritt. So handelt es sich im Kapitel 6 noch nicht um das unbewegte Bewegende, sondern
nur um die bewegten Himmelskörper. Obwohl sich die Existenz Gottes noch nicht nachweisen
lässt, kommt im Kapitel 6 das unbewegte Bewegende als reine Tätigkeit (ἐνέργεια – Metaph.
Λ6, 1071b22, 1071b20) bereits zur Sprache. Darum gibt es weder einen logischen Widerspruch
noch sachliche Hindernisse, das sich immer gleichmäßig Bewegende als das unbewegte Bewe-
gende auszulegen.
284 3 Erste Philosophie (Theologie)

Seiende hin, das sich auf die gleiche Art und Weise verwirklicht (δεῖ τι ἀεὶ μένειν
ὡσαύτως ἐνεργοῦν – Metaph. Λ6, 1072a10). Die örtliche Veränderlichkeit des
Himmelskörpers geht deshalb unbedingt auf das Unveränderliche zurück, weil
die Regelmäßigkeit der himmlischen Kreisbewegung von dem Einfachen (ἁπ-
λοῦν), dem es unmöglich ist, anders zu sein, garantiert werden muss (Metaph. Λ7,
1072b4–11). Indem das unbewegte Bewegende ewig bewegend und aktiv wirksam
ist, ist es das absolut Notwendige. Es bietet die Garantie nicht nur für die himmli-
sche Kreisbewegung, sondern auch für die natürliche Entstehung. Denn in den
meisten Fällen erreicht die Naturart ihr eigenes Ziel, dem gleichartigen Einzelding
die Eigentümlichkeit zu übermitteln, und bringt selten Fehlerhaftes oder Irrtümli-
ches zustande. Aber die Tatsache, dass das Widernatürliche der Natur selbst ent-
stammt (αὐτόματον), weist darauf hin, dass nicht die Natur selbst, sondern nur
das absolut Notwendige die Zweckmäßigkeit der Naturentstehung gewährleisten
kann. Wenn Aristoteles behauptet, dass der Himmelskörper und die Natur aus
dem notwendigen Prinzip stammen (ἐκ τοιαύτης ἄρα ἀρχῆς ἤρτηται ὁ οὐρανὸς καὶ
ἡ φύσις – Metaph. Λ7, 1072b13–14), ist damit nicht gemeint, dass die himmlischen
und die sublunaren Seienden von einem übergeordneten Prinzip geschaffen sind,
sondern, dass die natürliche Wirklichkeit vom übernatürlichen Notwendigen ga-
rantiert werden muss.
Während anhand des kosmologischen Gottesbeweises das Bewegte auf das
unbewegte Bewegende zurückzuführen ist (κινούμενον→κινοῦν ἀκίνητον), grei-
fen in der modalen Beweisführung die wirklichen Seienden auf das absolut Not-
wendige zurück (τὰ ὄντα ἐνεργείᾳ→τὸ ἀναγκαῖον). Außer dass die unaufhörliche
Kreisbewegung der Himmelskörper einer ewigen Wirkursache bedarf, müssen
die Regelmäßigkeit der himmlischen Bewegung und die Zweckmäßigkeit der na-
türlichen Entstehung von einem absolut notwendigen Prinzip gewährleistet wer-
den. Dem modalen Nachweis zufolge hängen Lebewesen, Himmelskörper und
Geist zusammen, indem das Entstehen und das Vergehen im sublunaren Bereich
vom himmlischen Kreislauf beeinflusst werden, der wiederum durch die An-
triebskraft der ersten Bewegungsursache in Gang gebracht wird.
Durch die Gewähr des absolut Notwendigen ist dem Himmelskörper und dem
Lebewesen die gewisse Notwendigkeit zugeteilt. Dies zeigt sich darin, dass die
Grundbedeutung, die der Mehrdeutigkeit der Notwendigkeit382 zugrunde liegt, in

382 Die Notwendigkeit ist mehrdeutig, indem sich die Grundbedeutung, dass etwas nicht an-
ders sein kann (Metaph. Δ5, 1015a33–36; Γ5, 1010b28–30), auf die verschiedenen Seinsbereiche
erstreckt. Erstens: In der Natur bewegt sich oder vollzieht sich das Seiende entweder gemäß
der Natur oder gegen die Natur (κατὰ φύσιν-παρὰ φύσιν – APo. B11, 94b36–95a3; Phys. E6,
230b10–231a17). In beiden Fällen zeigt sich die Notwendigkeit (ἡ δ’ ἀνάγκη διττή – APo. B11,
94b37), wie z. B. dass das Feuer seiner Natur nach auf- und der eigenen Natur entgegen
3.2 Geist 285

absteigt (Phys. E6, 230b13–14). Einerseits besteht die naturgemäße Notwendigkeit des natürli-
chen Kompositums aus der materialen Zwangsläufigkeit und der formalen Zweckmäßigkeit
(ὕλη-οὗ ἕνεκα – Phys. B9, 199b34–200a15). Die Materie und das Ziel sind deswegen notwendig,
weil das konkrete Einzelne weder ohne die eine noch ohne das andere entstanden sein kann.
Andererseits wird die naturwidrige Notwendigkeit als Gewalt oder Zwang bezeichnet (τὸ
βίαιον καὶ ἡ βία – Metaph. Δ5, 1015a26–33, 1015a36–1015b3; Λ7, 1072b12), der sich nicht nur
gegen die Natur (παρὰ φύσιν), sondern auch gegen den Willen, die Entscheidung oder die Ver-
nunft des Menschen auswirkt (ἔτι τὸ βίαιον καὶ ἡ βία· τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ παρὰ τὴν ὁρμὴν καὶ τὴν
προαίρεσιν ἐμποδίζον καὶ κωλυτικόν, τὸ γὰρ βίαιον ἀναγκαῖον λέγεται, [. . .] – Metaph. Δ5,
1015a26–28; ἐναντίον γὰρ τῇ κατὰ τὴν προαίρεσιν κινήσει καὶ κατὰ τὸν λογισμόν – Metaph. Δ5,
1015a32–33). Während der Mensch mithilfe der Vernunft frei wählen, verschiedene Entschei-
dungen treffen oder anders handeln kann, hat der Zwang zur Folge, dass er sich nicht anders
verhalten kann. Darunter ist das unerschütterliche Schicksal zu verstehen. Zweitens: Mit dem
Notwendigen ist außerdem das dem (guten) Leben Unentbehrliche gemeint (Metaph. Δ5,
1015a20–26, 1015b3–6; Λ7, 1072b12). Es ist für Menschen und Tiere unentbehrlich, Nahrung
aufzunehmen und zu atmen, da sie ohne solche Tätigkeiten nicht überleben können (οὗ ἄνευ
οὐκ ἐνδέχεται ζῆν – Metaph. Δ5, 1015a20–22). Es ist für den Kranken notwendig, Medikamente
einzunehmen (Metaph. Δ5, 1015a22–26), da dies als notwendige Bedingung des (guten) Lebens
gilt (συναιτίον – Metaph. Δ5, 1015a20, 1015b3). Drittens: In der Logik ergibt sich der notwen-
dige Syllogismus (ἡ ἀπόδειξις τῶν ἀναγκαίων – Metaph. Δ5, 1015b6–9; Phys. B9, 200a15–19).
Wenn der Obersatz sowie der Untersatz immer wahr und keineswegs falsch sind, lässt sich
eine wahre Konklusion notwendigerweise ziehen. Viertens: Darüber hinaus gibt es das absolut
Notwendige, das seinerseits das unbewegte Bewegende aufweist (Metaph. Δ5, 1015b9–15; Λ7,
1072b13; EN Z3, 1139b22–24). Während das absolut Notwendige von keinem anderen
abhängt, müssen alle anderen notwendigen Seienden auf etwas anderes bezogen sein und
sind nur relativ notwendig (τῶν μὲν δὴ ἕτερον αἴτιον τοῦ ἀναγκαῖα εἶναι, τῶν δὲ οὐδέν, ἀλλὰ
διὰ ταῦτα ἕτερά ἐστιν ἐξ ἀνάγκης – Metaph. Δ5, 1015b9–11). Die materiale Zwangsläufigkeit
und die formale Zweckmäßigkeit stehen in einem Wechselverhältnis und sind korrelativ. Die
Notwendigkeit der Gewalt, die dem natürlichen Zustand entgegensteht, sowie der Zwang des
Schicksals, der sich gegen die menschliche Vernunft vollzieht, setzen den Naturzustand und
die menschliche Vernunft bzw. die Freiheit voraus. Die logische Notwendigkeit ist keineswegs
absolut, da sie in der notwendigen Schlussfolgerung gründet. Nichts anderes als das unbe-
wegte Bewegende ist absolut notwendig, indem es sich wegen der Aufhebung aller Gegensätze
überhaupt nicht anders verhalten kann. Aufgrund der begrifflichen Erklärung ist es schon
plausibel gemacht worden, dass das unbewegte Bewegende notwendig ist, und zwar weder
auf widernatürliche noch auf teleologische Weise, sondern nur deswegen, weil es einfach und
absolut ist (ὥστε τὸ πρῶτον καὶ κυρίως ἀναγκαῖον τὸ ἁπλοῦν ἐστίν· τοῦτο γὰρ οὐκ ἐνδέχεται
πλεοναχῶς ἔχειν, ὥστ’ οὐδὲ ἄλλως καὶ ἄλλως· ἤδη γὰρ πλεοναχῶς ἂν ἔχοι. εἰ ἄρα ἔστιν ἄττα
ἀΐδια καὶ ἀκίνητα, οὐδὲν ἐκείνοις ἐστὶ βίαιον οὐδὲ παρὰ φύσιν – Metaph. Δ5, 1015b11–15; τὸ δὲ
μὴ ἐνδεχόμενον ἄλλως ἀλλ’ ἁπλῶς – Metaph. Λ7, 1072b13). Bemerkenswert ist, dass in diesem
Kontext (Metaph. Λ7, 1072b13) sowohl Alexander ([. . .] λέγει ὅτι ἐπειδὴ ἐξ ἀνάγκης ἐστὶ τὸ
πρῶτον αἴτιον, καθὸ ἐξ ἀνάγκης ἐστί, καλῶς, < καὶ οὕτω, > τουτέστιν ὡς τὸ οὗ οὐκ ἄνευ λέγε-
ται, < ἀρχή. > ὥστε ἐρωτώμενοι ὅτι τὸ πρῶτον αἴτιον ἀναγκαῖον ὂν πῶς ἐστιν ἀναγκαῖον, ῥη-
τέον ὅτι οὕτως ἐστὶν ἀναγκαῖον ὅτι ἄνευ αὐτοῦ οὐκ ἔστι τὸ εὖ. καὶ συμπεραίνεται λέγων < ὁ
286 3 Erste Philosophie (Theologie)

den himmlischen und den sublunaren Bereich hinein auszuweiten ist. Mit
der Notwendigkeit ist grundsätzlich gemeint, dass sie es nicht erlaubt, sich an-
ders zu verhalten (ἔτι τὸ μὴ ἐνδεχόμενον ἄλλως ἔχειν ἀναγκαῖόν φαμεν οὕτως
ἔχειν – Metaph. Δ5, 1015a33–35). Der Himmelskörper bewegt sich insofern not-
wendig kreisförmig, als er seine Bewegung weder geradlinig fortsetzen noch von
seiner eigenen Laufbahn abweichen kann. Das Lebewesen ist dadurch notwendig
entstanden, dass die Naturart darauf abzielt, weder Andersartiges noch Widerna-
türliches, sondern Gleichartiges zweckmäßig zu reproduzieren. Aber die Regelmä-
ßigkeit der Kreisbewegung und die Zweckmäßigkeit der Naturentstehung gelten
nur als relative Notwendigkeit, die vom absolut Notwendigen geleitet werden
muss. Denn der Himmelskörper kann nur dann ordnungsgemäß im Kreis laufen,
wenn er vom notwendigen Bewegenden angetrieben wird. Außerdem kann die
Kontingenz, die aus der Natur stammt, nur durch das Übergeordnete beseitigt wer-
den. Dagegen hängt das absolut Notwendige, das für die Notwendigkeit aller na-
türlichen Seienden Garantie leistet, von keinem anderen ab (Metaph. Δ5,
1015b9–11). Indem die analogischen Paare, wie Materialität-Formalität, Passivität-
Aktivität und Potentialität-Aktualität aufgehoben werden, ist das erste und absolut
Notwendige durchaus einfach. Wegen der Einfachheit ist es ihm überhaupt
nicht möglich, anders zu sein (ὥστε τὸ πρῶτον καὶ κυρίως ἀναγκαῖον τὸ ἁπλοῦν
ἐστίν· τοῦτο γὰρ οὐκ ἐνδέχεται πλεοναχῶς ἔχειν, ὥστ’ οὐδὲ ἄλλως καὶ ἄλλως –
Metaph. Δ5, 1015b11–13).
Dadurch, dass das absolut Notwendige den natürlichen Seienden die relative
Notwendigkeit verleiht, werden der Himmelskörper und das Lebewesen in eine be-
stimmte Ordnung gebracht (Metaph. Λ10, 1075a17–18).383 Außerdem ist die relative
Notwendigkeit graduell strukturiert, indem der Himmelskörper ewig im Kreis läuft
und das sublunare Naturseiende wegen der Kontingenz die Notwendigkeit in ge-
ringerem Maß besitzt. Demzufolge richten sich der Himmelskörper und das

οὐρανὸς ἄρα καὶ ἡ φύσις > πᾶσα < ἐκ τοιαύτης ἤρτηται ἀρχῆς. > – 696.26–31) als auch Thomas
(Attendendum est autem, quod cum Aristoteles hic dicat, quod necessitas primi motus non est
necessitas absoluta, sed necessitas, quae est ex fine, finis autem principium est, quod postea
nominat Deum, inquantum attenditur per motum assimilatio ad ipsum: assimilatio autem ad
id quod est volens, et intelligens, cuiusmodi ostendit esse Deum, attenditur secundum volun-
tatem et intelligentiam, sicut artificiata assimilantur artifici, inquantum in eis voluntas artificis
adimpletur: sequitur quod tota necessitas primi motus subiaceat voluntati Dei – Sententia Me-
taphysicae lib.12 l.7 n.17 [84106]) die Notwendigkeit des unbewegten Bewegenden nicht im
Sinne eines absolut Notwendigen, sondern als notwendige Bedingung des Guten interpretie-
ren, um den teleologischen Charakter Gottes hervorzuheben.
383 Wörtlich gesagt stehen alle natürlichen Seienden nicht derart zueinander, dass sich das
eine auf das andere zufällig bezieht. Vielmehr ist eine bestimmte Ordnung in der Natur vor-
handen, sodass die Gestirne und die Lebewesen miteinander zusammenhängen.
3.2 Geist 287

Lebewesen zwar zusammen auf das Übernatürliche aus, aber wegen der Graduie-
rung der relativen Notwendigkeit vollzieht sich die Orientierung nicht auf die glei-
che Art und Weise (πάντα δὲ συντέτακταί πως, ἀλλ’ οὐχ ὁμοίως – Metaph. Λ10,
1075a16). Um den Zusammenhang zu verdeutlichen, wendet sich Aristoteles zwei
Gleichnissen zu. Das ganze Universum, das die himmlische und die irdische
Sphäre umfasst, lässt sich einerseits mit der sublunaren Naturwelt und ander-
seits mit der Familie bzw. der Polis vergleichen.
Vor allem kann das Gleichnis von Universum, Naturwelt und Polis nur dann
aufgestellt werden, wenn den drei verschiedenen Bereichen etwas Gleiches inne-
wohnt. Die Gemeinsamkeit liegt darin, dass sich die Seienden im ganzen Univer-
sum, in der sublunaren Naturwelt und in der Polis nicht nur ausdifferenzieren,
sondern auch zur jeweiligen Ganzheit zusammenfügen (λέγω δ’ οἷον εἴς γε τὸ δια-
κριθῆναι ἀνάγκη ἅπασιν ἐλθεῖν, καὶ ἄλλα οὕτως ἔστιν ὧν κοινωνεῖ ἅπαντα εἰς τὸ
ὅλον – Metaph. Λ10, 1075a23–25). Wie das ganze Universum in Gestirnsphäre und
Natursphäre geteilt ist, lässt sich das unvernünftige Lebewesen in Tier und Pflanze
und das gesellschaftliche Individuum in Bürger und Sklave-Haustier zerlegen. Im
Fall der Ausdifferenzierung ergibt sich die kosmologische, die irdische und die po-
litische Vereinigung nur dann, wenn sowohl die himmlischen und die sublunaren
Seienden, als auch die tierischen und die vegetativen Lebewesen, weiter noch die
freien und die unfreien Bürger auf das jeweilige Übergeordnete gerichtet sind.
Wegen des ungleichen Grades der relativen Notwendigkeit verhalten sich die zwei
Klassen im jeweiligen Bereich nicht gleicherweise. Ähnlich wie das himmlische
Seiende mit der höheren Notwendigkeit und das irdische mit der geringeren Not-
wendigkeit ausgestattet sind, handelt in der Naturwelt das Tier zweckvoller als die
Pflanze. Im Staat verhalten sich die freien Bürger insofern wie die ewigen Gestirne
im Himmel, als sie die ganze Zeit oder in den meisten Fällen ordentlich und regel-
mäßig das machen, was zum gemeinsamen Wohl beiträgt. Im Gegensatz dazu leis-
ten die Knechte und die Haustiere einen geringeren Beitrag zur Polis, und sehr
häufig handeln sie nur zufällig (Metaph. Λ10, 1075b18–23).384
Während in der Polis der gut ausgebildete Herrscher die Bürger und die
Knechte regiert, organisiert der Mensch die Naturwelt. Analog dazu soll es im
Universum auch einen Herrschenden geben, der den ganzen Kosmos in eine

384 Während Alexander und Thomas die genaue Übereinstimmung von Universum und Polis
nicht ausdrücklich machen, stimmen Schwegler (1848: 288) und Ross (1924: 401) damit übe-
rein, dass die freien Bürger in der Polis wegen des höheren Grades der Notwendigkeit den
Himmelskörpern entsprechen und die Handlungen der Sklaven und der Haustiere mit dem Zu-
fall behaftet sind, wie die sublunare Naturwelt mit der Kontingenz verbunden ist.
288 3 Erste Philosophie (Theologie)

harmonische Ordnung setzt. Anhand eines anderen Gleichnisses ausgedrückt,


verkörpert das Übernatürliche, das dem Natürlichen übergeordnet ist, den
Leiter des Feldheeres. Wie der Anführer des Feldheeres das ganze Heer leitet,
ohne sich davon zu trennen, so bringt das unbewegte Bewegende den beweg-
lichen Kosmos und die vergängliche Naturwelt in eine Ordnung, ohne die bei-
den Bereiche zu transzendieren (Metaph. Λ10, 1075a11–15). Denn das
unbewegte Bewegende kann nur dann den Himmelskörper in Bewegung set-
zen, wenn es als Bewegungsursache das Bewegte unmittelbar berührt. Im
aristotelischen Weltbild steht das unbewegte Bewegende auf dem Gipfel der
ganzen Seinshierarchie.
Die Überordnung des unbewegten Bewegenden, welches als intelligible Subs-
tanz gilt, weist nicht die substanzielle Transzendenz der platonischen Ideen auf
(substantia separata), sondern das Überschreiten aller Gegensätze, die der sensib-
len Substanz immanent sind. Zunächst lässt sich die Passivität dadurch aufheben,
dass das unbewegte Bewegende die Himmelskörper bewegt und nicht davon be-
wegt wird. Zweitens wird die Materialität durch die Aufhebung der Passivität
mitaufgehoben. Wäre das erste unbewegte Bewegende mit der Materie
behaftet, müsste es von einem anderen angetrieben werden. Der unendliche Re-
gress kann nur dann zu Ende gebracht werden, wenn statt des Bewegbaren das
Unbewegbare und statt des Materiellen das Immaterielle gesetzt wird. Für die
Immaterialität des unbewegten Bewegenden erbringt Aristoteles einen anderen Be-
weis. Der Nachweis gründet darin, dass die endliche Körperlichkeit mit der unend-
lichen Aktualisierung des Geistes nicht kompatibel sein kann. Das Argument geht
von der Disjunktion der Größe aus, die unter dem quantitativen Aspekt die Mate-
rialität bzw. die Körperlichkeit zum Ausdruck bringt. Rein theoretisch gesehen
kann die Größe ins Unbegrenzte und Begrenzte disjunktiv ausdifferenziert werden.
In der Tat aber kann die Größe keineswegs unbegrenzt sein. Da der Körper subs-
tanziell begrenzt ist, muss die quantitative Bezeichnung des Körpers, d. h. die
Größe, auch begrenzt sein. Indem die Unbegrenztheit der Körperlichkeit per se ent-
gegensteht, weist der Ausdruck „die unbegrenzte Größe“ ein Paradox auf. Ande-
rerseits kann dem unbewegten Bewegenden auch keine begrenzte Größe
innewohnen. Das erste und ewige Bewegende kann die himmlische Bewegung
deswegen in der unendlichen Zeit betreiben (τὸ δέ γε πρῶτον κινοῦν ἀΐδιον κινεῖ
κίνησιν καὶ ἄπειρον χρόνον), weil es das unbegrenzte Vermögen hat (ἄπειρον δύνα-
μις). Die unendliche bzw. ewige Aktualisierung des unbewegten Bewegenden hat
die Wurzel in der unbegrenzten Kraft, die jedoch nicht auf die begrenzte Größe be-
schränkt sein kann. Der körperlichen Endlichkeit stehen die Unbegrenztheit des
geistigen Vermögens und die Unendlichkeit der geistigen Aktualisierung entgegen
(πεπερασμένον↔ἄπειρον). Wegen des unbeschränkten Vermögens nimmt das
erste unbewegte Bewegende keine Größe in sich auf, sei sie begrenzt, sei sie
3.2 Geist 289

unbegrenzt (Phys. Θ10, 267b17–26; Metaph. Λ7, 1073a3–13).385 Darum gilt es als im-
materielle und intelligible Substanz, nämlich als Geist.
Was das unbewegte Bewegende tatsächlich aufhebt, ist nur die Möglichkeit,
von einem anderen bewegt zu werden, nicht aber das aktive Vermögen, selbst
tätig zu sein und das andere zu bewegen. Denn die Tätigkeit des unbewegten Be-
wegenden bzw. des Geistes ist nichts anderes als die unmittelbare Verwirklichung
des geistigen Aktivvermögens. Das aktive Vermögen des Geistes ist sowohl vor
dem passiven Vermögen der Materie, als auch vor dem aktiven Vermögen der
Seele ausgezeichnet. Einerseits führt das passive Vermögen zur Möglichkeit, wobei
die Materie nicht geformt werden kann. Der Geist ist dadurch von der Möglichkeit
befreit, dass er sich der Passivität und der Materialität entzieht. Andererseits wird
die Potentialität, die dem aktiven Vermögen der Seele immanent ist, vom absolu-
ten Geist aufgehoben. Das seelische Vermögen, das Einzelding wahrzunehmen
oder etwas Allgemeines zu denken, verhält sich zwar aktiv, kann sich aber nicht
aktualisieren. Wenn man die Augen schließt, sieht man nichts. Wenn man schläft,
denkt man nicht. Im Gegenteil dazu ist das aktive Vermögen des absoluten Geistes
nie potentiell vorhanden, sondern geht unmittelbar in die Aktualisierung über.
Demnach ereignen sich das geistige Vermögen und dessen Verwirklichung gleich-
zeitig, während in den anderen Fällen die Verwirklichung zeitlich später als das
Vermögen in Erscheinung tritt (Metaph. Λ10, 1075b30–34). Da das Aktivvermögen
unmittelbar in die Selbstverwirklichung fällt, ist der absolute Geist weder das Ma-
chenkönnende noch das Bewegenkönnende (κινητικόν ἢ ποιητικόν), sondern ist
als rein aktive Aktualisierung ewig wirkend und bewegend (κινοῦν ἢ ποιοῦν ἀΐ-
διον). Die Eigentümlichkeit des absoluten Geistes kommt dadurch ans Licht, dass
das geistige Aktivvermögen sowohl mit dem materialen Passivvermögen als auch
mit dem seelischen Aktivvermögen verglichen wird. Anhand der Metapher in De

385 (1) Phys. Θ10, 267b17–26: διωρισμένων δὲ τούτων φανερὸν ὅτι ἀδύνατον τὸ πρῶτον κι-
νοῦν καὶ ἀκίνητον ἔχειν τι μέγεθος. εἰ γὰρ μέγεθος ἔχει, ἀνάγκη ἤτοι πεπερασμένον αὐτὸ εἶναι
ἢ ἄπειρον. ἄπειρον μὲν οὖν ὅτι οὐκ ἐνδέχεται μέγεθος εἶναι, δέδεικται πρότερον ἐν τοῖς
φυσικοῖς· ὅτι δὲ τὸ πεπερασμένον ἀδύνατον ἔχειν δύναμιν ἄπειρον, καὶ ὅτι ἀδύνατον ὑπὸ πεπε-
ρασμένου κινεῖσθαί τι ἄπειρον χρόνον, δέδεικται νῦν. τὸ δέ γε πρῶτον κινοῦν ἀΐδιον κινεῖ κίνη-
σιν καὶ ἄπειρον χρόνον. φανερὸν τοίνυν ὅτι ἀδιαίρετόν ἐστι καὶ ἀμερὲς καὶ οὐδὲν ἔχον μέγεθος.
(2) Metaph. Λ7, 1073a3–11: ὅτι μὲν οὖν ἔστιν οὐσία τις ἀΐδιος καὶ ἀκίνητος καὶ κεχωρισμένη
τῶν αἰσθητῶν, φανερὸν ἐκ τῶν εἰρημένων· δέδεικται δὲ καὶ ὅτι μέγεθος οὐδὲν ἔχειν ἐνδέχεται
ταύτην τὴν οὐσίαν ἀλλ’ ἀμερὴς καὶ ἀδιαίρετός ἐστιν (κινεῖ γὰρ τὸν ἄπειρον χρόνον, οὐδὲν δ’
ἔχει δύναμιν ἄπειρον πεπερασμένον· ἐπεὶ δὲ πᾶν μέγεθος ἢ ἄπειρον ἢ πεπερασμένον, πεπερασ-
μένον μὲν διὰ τοῦτο οὐκ ἂν ἔχοι μέγεθος, ἄπειρον δ’ ὅτι ὅλως οὐκ ἔστιν οὐδὲν ἄπειρον μέγε-
θος)· ἀλλὰ μὴν καὶ ὅτι ἀπαθὲς καὶ ἀναλλοίωτον.
290 3 Erste Philosophie (Theologie)

anima (B5, 417a21–417b2) zeigt sich, wie sich der absolute Geist verhält, und zwar
weder wie das Kind, das als materiales Prinzip die Kenntnisse nur passiv in sich
aufnehmen kann (potentia passiva), noch wie der Erwachsene, der die mathemati-
schen oder die grammatischen Erkenntnisse beherrscht, ohne sie wirklich zu ver-
wenden (potentia activa), sondern wie das ewig Sehende, Wachende, oder
Denkende (actus purus). Der Geist ist deshalb absolut, weil er sich sowohl vom
passiven Vermögen der Materie als auch von der aktiven Potentialität der Seele
fernhält. Dadurch, dass alle passiven und potentiellen Elemente aufgehoben wer-
den, wirkt sich der absolute Geist ewig und kontinuierlich aktiv aus.
Allen natürlichen Seienden haftet der Gegensatz an. Die elementaren Sub-
stanzen und ihre Eigenschaften sind von Natur aus gegensätzlich, wie Feuer-
Wasser, Erde-Luft, warm-kalt, und trocken-feucht. In der himmlischen Kreis-
bewegung ergeben sich die örtlichen Gegensätze dadurch, dass der Himmels-
körper gegensätzliche Stellen einnimmt (De Cae. A8, 277a23–26). Anhand der
analytischen Vorgehensweise lässt sich die Einzelsubstanz in den vertikalen
Gegensatz von Form und Stoff zerlegen. Analog dazu sind die spezifische Dif-
ferenz und die Gattung in Gedanken vertikal entgegengesetzt, damit die We-
senssubstanz definiert werden kann. Während die natürlichen Substanzen
entweder mit dem substanziell-akzidentellen Gegensatz ausgestattet oder an-
hand der horizontal-vertikalen Entgegensetzung strukturiert sind, trägt der
übernatürliche Geist als erstes Prinzip von Allem keinen Gegensatz in sich
(Metaph. Λ10, 1075b20–24).
Beim absoluten Geist bzw. beim unbewegten Bewegenden lassen sich nicht
nur der vertikale Gegensatz von Form- und Stoffursache, sondern auch der hori-
zontale Gegensatz von Wirk- und Zielursache aufheben. Darum verhält sich der
Geist sowohl als causa efficiens als auch als causa finalis. Vor allem weist der
kosmologische Gottesbeweis offenkundig darauf hin, dass das unbewegte Bewe-
gende als Wirkursache funktioniert. Des Weiteren tritt das unbewegte Bewe-
gende nicht nur als Zielursache, sondern auch und vor allem als Selbstzweck
ins Spiel, insofern es die Himmelskörper in Bewegung setzt, und zwar nicht um
ihrer willen, sondern um seiner selbst willen. Von Grund auf gilt das unbewegte
Bewegende bzw. der absolute Geist als causa sui, da der absolute Geist um sei-
netwillen sich selbst denkt (causa sui→causa finalis et causa efficiens sui). Da-
durch, dass er sich selbst denkt, setzt der absolute Geist die Himmelskörper in
Bewegung (causa efficiens sui→causa efficiens aliorum). Die Tatsache, dass beim
absoluten Geist die Wirkursache und die Zielursache zusammenfallen, kann
unter einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Indem der absolute Geist
das geistige Vermögen unmittelbar in die Wirklichkeit bringt, entzieht sich die
geistige Tätigkeit der Prozessualität. Deswegen kommt der Anfang mit dem
Ende (ἀρχή-τελευτή), die allererste Bewegungsursache mit dem endgültigen
3.2 Geist 291

Ziel (ἀρχὴ τῆς κινήσεως-τέλος) und die ewige Tätigkeit mit der unmittelbaren
Vollendung (ἐνέργεια-τέλος) zur Deckung.386
Fassen wir folgendermaßen zusammen: Wie gesagt sind die sensiblen Sub-
stanzen dadurch vereinigt, dass sich das analogische Gefüge von Form-Stoff,
von Machen-Erleiden und von Aktualität-Potentialität in die Entstehung der
Einzelsubstanz, die Definition der Wesenssubstanz, die Umwandlung der Grun-
delemente und die Kreisbewegung der Himmelskörper durchsetzt. Durch das
Abschaffen der grundlegenden analogischen Struktur kommt die intelligible
Substanz zur Sprache. Da Materialität, Passivität und Potentialität aufgehoben
werden, bleiben Formalität, Aktivität und Aktualität übrig, den absoluten Geist
zu charakterisieren. So ist er nichts anderes als die rein geistige und aktive Ak-
tualisierung seiner selbst. Unter der Leitung der intelligiblen Substanz stehen
die drei Klassen der Substanzen, nämlich Lebewesen, Gestirn und Geist, nicht
parallel zueinander, sondern folgen aufeinander. Im Hinblick auf die Verände-
rung hängt die natürliche Vergänglichkeit vom himmlischen Kreislauf ab, der
wiederum mit der geistigen Tätigkeit zusammenhängt. Aus der Perspektive der
Zeitlichkeit sind die Kontinuität der Naturentstehung und die Unaufhörlichkeit
der Kreisbewegung auf die Ewigkeit der geistigen Verwirklichung zurückzufüh-
ren. Ontologisch gesehen gründet sowohl die natürliche Zweckmäßigkeit als
auch die himmlische Regelmäßigkeit letztlich in der absoluten Notwendigkeit
des Geistes. Indem Lebewesen, Gestirn und Geist die graduelle Notwendigkeit
in sich aufnehmen, sind sie in eine Ganzheit hierarchisch einzuordnen, die ein
geordnetes Weltbild ans Licht bringt. Das absolut Notwendige dominiert das re-
lativ Notwendige, anders formuliert, das Übernatürliche beherrscht das Natür-
liche, indem das unbewegte Bewegende den himmlischen und den irdischen
Bereich ordnet, ohne selbst davon geordnet zu werden.
„οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη· εἷς κοίρανος ἔστω“ – Metaph. Λ10, 1076a4.

386 Wie der absolute Geist vom Gegensatz befreit ist, steht nichts dem Guten entgegen. Das
Schlechte ist insofern nicht dem Guten entgegengesetzt, als Aristoteles ihm keinen selbständi-
gen ontologischen Status beimisst, sondern es nur als Privation bzw. Abwesenheit des Guten
anerkennt (Metaph. Λ10, 1075b6–7). Indem Aristoteles das Schlechte als Privation des Guten
ansieht, vertritt er die Einstellung des ontologisch-moralischen Monismus. Aufgrund dessen
kritisiert Aristoteles die These des Empedokles dafür, dass er den Hass als Schlechtes sowie
die Liebe als Gutes für unvergänglich hält. Dem Dualismus zufolge bildet der Hass als Prinzip
eine selbständige Natur des Schlechten. Die dualistische Theorie führt unmittelbar zur theore-
tisch-praktischen Frage, wie das Gute dem Schlechten ontologisch-moralisch überlegen und
im menschlichen Leben zu bevorzugen sein könnte, falls es neben dem absoluten Guten noch
ein eigenständiges Prinzip des Schlechten gäbe.
4 Schluss

Wie der Titel besagt (Sein, Logos und Veränderung – Eine systematische Untersu-
chung zu Aristoteles’ Metaphysik), zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, Aristote-
les’ Metaphysik systematisch zu untersuchen. Die Systematik besteht nicht in der
geschichtlichen Entwicklung, wie sie Werner Jäger entworfen und entwickelt
hat, sondern in einer logisch-organischen Einheit. Diese baut auf der Analogie
im Sinne der strukturellen Ähnlichkeit sowie dem durchgängigen Hylemorphis-
mus auf.
Im Vergleich zur berühmten Einteilungsmethode der Dihairese ist die Eintei-
lungsmethode des Chiasmus relativ unbekannt und in der gesamten Interpreta-
tionsgeschichte mehr oder weniger verborgen geblieben. Nur Porphyrius hebt
diese Einteilungsmethode hervor und gibt ihr sinngemäß einen Namen, näm-
lich: Chiasmus. Anhand des Chiasmus teilt Aristoteles z. B. die Substanz drei-
fach ein. Die drei Typen von Substanzen, nämlich die sensible und vergängliche
Substanz (Lebewesen), die sensible und ewige Substanz (Grundelemente und
Himmelskörper) und die intelligible und ewige Substanz (unbewegtes Bewegen-
des bzw. Geist), bilden keine sachliche Gemeinsamkeit, sondern eine struktu-
relle Ähnlichkeit, die terminologisch als Analogie bezeichnet wird. Die Analogie
zeigt sich an der hylemorphistischen Struktur, indem dieselbe Struktur, wie
Stoff-Form, Wirken-Leiden und Möglichsein-Wirklichsein, die Bewegung sowie
die Entstehung der Lebewesen, die Umwandlung der vier Grundelemente, die
Kreisbewegung der Himmelskörper und die Tätigkeit des menschlichen Geistes
durchdringt.

4.1 Metaphysik als Substanzlehre

4.1.1 Chiastische Einteilung

Anhand des Chiasmus lassen sich nicht nur die Substanzen in Lebewesen, Him-
melskörper und Geist dreifach einteilen (Einteilung der Substanzen), sondern
auch die Substanz von der Kategorie (ontologische Differenz) und die Wesenskate-
gorie von der Akzidenzkategorie (kategoriale Ausdifferenzierung) unterscheiden.

https://doi.org/10.1515/9783110664928-005
294 4 Schluss

4.1.1.1 Einteilung der Substanzen


Indem sich die beiden Gegensatzpaare, nämlich Sensibles-Intelligibles und Ver-
gängliches-Ewiges, kreuzen, ergeben sich anhand des Chiasmus drei Substanz-
typen: Das Lebewesen ist sensibel und vergänglich; der Himmelskörper ist
sensibel und ewig; und das erste unbewegte Bewegende ist intelligibel und
ewig.

4.1.1.2 Ontologische Differenz und kategoriale Ausdifferenzierung


Der allgemeinen Methodik zufolge geht die metaphysische Untersuchung des Aris-
toteles vom uns Bekannten und Deutlichen aus und führt zum sachlich Bekannten
und Deutlichen. Demnach soll man von der sensiblen Substanz zur intelligiblen
aufsteigen, präziser gesagt, von der sensiblen und vergänglichen Substanz (Lebe-
wesen) ausgehen und durch die Vermittlung der sensiblen und ewigen Substanz
(Himmelskörper) zur intelligiblen und ewigen Substanz (unbewegtes Bewegendes
bzw. Geist) gelangen. Die sensible und vergängliche Substanz (Einzellebewesen)
muss in zweierlei Hinsichten betrachtet werden, und zwar per se und per accidens.
Per se wird das Einzellebewesen für die Substanz gehalten, per accidens ist es aber
nicht die Einzelsubstanz an sich (Sokrates), sondern der Sachverhalt, der aus der
zugrundeliegenden Einzelsubstanz und der kategorialen Eigenschaft zusammen-
gefügt ist (der weiße Sokrates).
Indem sich Substanz-Akzidenz und Allgemeinheit-Einzelheit miteinander
kreuzen, ergibt sich eine chiastische Vierteilung: die allgemeine Substanz, das all-
gemeine Akzidenz, die einzelne Substanz und das einzelne Akzidenz. Anhand
des Chiasmus ist zu begreifen, dass im Sein die Einzelsubstanz von der allgemei-
nen Akzidenz und im Logos die Wesens- von der Akzidenzallgemeinheit jeweils
differenziert ist. Mit anderen Worten: Anhand der ontologischen Differenz ist die
Substanz von der Kategorie zu unterscheiden und anhand der kategorialen Aus-
differenzierung sind die Kategorien in die Wesens- und die Akzidenzkategorie
auszudifferenzieren. Die ontologische Differenz und die kategoriale Ausdifferen-
zierung sind zwei Grundsätze der aristotelischen Metaphysik.
Die beiden Grundsätze sind deshalb onto-logisch konzipiert, weil sich die on-
tologische Differenz sowie die kategoriale Ausdifferenzierung in die ontische Ver-
änderung und in die logische Prädikation durchgesetzt haben. Die ontologische
Differenz von Substanz und Kategorie verkörpert in der ontischen Veränderung
das Gefüge von Substrat und Eigenschaft und in der logischen Prädikation die
Struktur von Subjekt und Prädikat. Anhand der kategorialen Ausdifferenzierung
von per accidens und per se spaltet sich das Sein in Sachverhalt und Einzelsub-
stanz, der Logos in Äquivokation und Univokation und die Veränderung in Be-
wegung und Entstehung.
4.1 Metaphysik als Substanzlehre 295

Entscheidend ist, dass sich die Unterscheidung, sei sie die ontologische Dif-
ferenz oder die kategoriale Ausdifferenzierung, anhand des Chiasmus vollzieht
und die Einheit auf der Analogie beruht, wie die Substanz auf chiastische
Weise einzuteilen ist und sich die analogische Einheit bildet.

4.1.2 Analogische Einheit

Während der Chiasmus sowohl die Einteilung der Substanzen, als auch die Un-
terscheidung von Substanz und Kategorie sowie die Unterscheidung von per ac-
cidens und per se ermöglicht, zeigt die Analogie die strukturelle Ähnlichkeit
innerhalb von Sein, Logos und Veränderung, zwischen Sein, Logos und Verän-
derung und zwischen drei Typen von Substanzen. Die Analogie spielt in der
aristotelischen Philosophie insofern eine entscheidende Rolle, als sie ohne die
sachliche Verschiedenheit preiszugeben, nicht nur die strukturelle Ähnlichkeit
der mannigfaltigen Seienden zum Vorschein, sondern auch die begriffliche Ein-
heit zum Ausdruck bringt.

4.1.2.1 Analogie innerhalb von Sein, Logos und Veränderung


Die sensible und vergängliche Einzelsubstanz ist seiend, werdend und auszusa-
gen, und zwar entweder per accidens oder per se. Aufgrund dessen kommt die
Analogie innerhalb von Sein, Logos und Veränderung zur Entfaltung, indem
der Sachverhalt zur Einzelsubstanz, die Äquivokation zur Univokation und die
Bewegung zur Entstehung jeweils analog stehen. Anhand der Analogie lassen
sich die ontologische Beziehung von Sachverhalt und Einzelsubstanz, das logi-
sche Verhältnis zwischen Äquivokation und Univokation und das ontische Ver-
hältnis der Bewegung zur Entstehung einsichtig machen.
Der Sachverhalt und die Einzelsubstanz stehen im analogischen Verhältnis,
da die beiden Komposita sind, die aus der Zusammensetzung von materialem und
formalem Prinzip resultieren. Während der Sachverhalt als akzidentelles Komposi-
tum aus der Zusammenfügung der Einzelsubstanz mit der kategorialen Eigen-
schaft besteht, ist die Einzelsubstanz als substanzielles Kompositum von Stoff und
Form zusammengesetzt. Die Äquivokation und die Univokation haben darin ge-
meinsam, dass die beiden an derselben Prädikationsstruktur von Subjekt und Prä-
dikat teilhaben. Die analogische Struktur von Bewegung und Entstehung zeigt
sich darin, dass sich in beiden Fällen das Zugrundeliegende und der Gegensatz
von Vollendung und Privation zusammenfügen.
Da sich die Bewegung zur Entstehung, die Äquivokation zur Univokation
und der Sachverhalt zur Einzelsubstanz analog verhalten, zeigen sich in der
296 4 Schluss

Analogie die ontische, die logische und die ontologische strukturelle Ähnlichkeit.
Weiter sind das ontische Gefüge von Substrat und Gegensatz, das logische Ge-
füge von Subjekt und Prädikat sowie das ontologische Gefüge von Substanz und
Kategorie in die grundlegende Struktur von Stoff und Form vereinigt, die auf das
funktionale Gefüge von Leiden und Wirken zurückgeht.

4.1.2.2 Analogie zwischen Sein, Logos und Veränderung


Die Analogie bildet sich nicht nur jeweils innerhalb von Sein, Logos und Verän-
derung, sondern auch zwischen Sein, Logos und Veränderung. Der Unterschei-
dung von per accidens und per se zufolge tritt die Analogie zwischen Sein,
Logos und Veränderung in zweierlei Form auf: Zum einen verhalten sich Sach-
verhalt, Bewegung und Meinung zueinander analog. Zum anderen setzen sich
Einzelsubstanz, Entstehung und Definition in analogische Beziehung. Somit
stimmen beim akzidentellen Kompositum Sachverhalt, Bewegung und Meinung
miteinander strukturell überein, indem die ontologische Differenz von Substanz
und Kategorie einerseits zum ontischen Unterschied von Substrat und Eigen-
schaft und andererseits zur logischen Zwiefalt von Subjekt und Prädikat führt.
Beim substanziellen Kompositum ergibt sich zwischen Einzelsubstanz, Entste-
hung und Definition eine strukturelle Ähnlichkeit dadurch, dass die ontologi-
sche hylemorphistische Struktur die ontische Entstehung der Einzelsubstanz
und die logische Definition der Wesenssubstanz durchdringt (Tab. 24).

Tab. 24: Analogie zwischen Sein, Logos und Veränderung.

ὄν λόγος μεταβολή

σύνθετον πρᾶγμα δόξα κίνησις


ποιεῖν κατηγορούμενον ῥῆμα ἀντικείμενον
πάσχειν ὑποκείμενον ὄνομα ὑπομένον
σύνολον τόδε τι ὁρισμός γένεσις
ποιεῖν εἶδος διαφορά μορφή
πάσχειν τόδε τι ὁμοειδές γένος ὕλη

Ebenso wie Sachverhalt, Bewegung und Meinung im analogischen Verhältnis ste-


hen, verhalten sich Einzelsubstanz, Entstehung und Definition zueinander analog.
Der Hylemorphismus durchdringt alle sechs Strukturen. Nach demselben Urmus-
ter von Form-Stoff, das im funktionalen Gefüge von Machen-Erleiden gründet,
steht die Kategorie zur Einzelsubstanz, die Eigenschaft zum Substrat, das Prädikat
4.1 Metaphysik als Substanzlehre 297

zum Subjekt, die Naturart zum gleichartigen Einzelding, die Form zur sensiblen
Materie und die spezifische Differenz zur intelligiblen Materie.
Die Analogie, die die strukturelle Ähnlichkeit aufzeigt, leistet den theoreti-
schen Beitrag dazu, einen einheitlichen Begriff zu bilden. Tragen die verschie-
denen Sachen in unterschiedlichen Seinsbereichen die gleiche Funktion in
sich, können sie mit demselben Begriff versehen sein. Darum ermöglicht es die
Analogie, in verschiedenen Seinsbereichen dieselben Begriffe anzuwenden, die
vor allem die prinzipiellen Grundbegriffe, wie z. B. Stoff-Form, betreffen. Um
die analogische Begriffseinheit zu verdeutlichen, nehmen wir zwei Begriffe,
Zugrundeliegendes und Materie, zum Paradigma. Aufgrund der ontisch-logisch
-ontologischen strukturellen Übereinstimmung liegt das Substrat der Eigen-
schaft, das Subjekt dem Prädikat und die Substanz der Kategorie jeweils zu-
grunde, sodass das ontische Substrat (substratum), das logische Subjekt
(subiectum) und die ontologische Substanz (substantia) durch denselben Begriff
„Zugrundeliegendes“ (ὑποκείμενον) bezeichnet werden. Die Analogie der Defi-
nition zur Entstehung besteht darin, dass sich im Definitionsverfahren der We-
senssubstanz die Gattung zur spezifischen Differenz so verhält, wie sich im
Entstehungsprozess der Einzelsubstanz die sensible Materie zur Form verhält.
Aufgrund dessen ist die Gattung nach der Benennung der sensiblen Materie als
intelligible Materie benannt.

4.1.2.3 Analogie zwischen den verschiedenen Typen von Substanzen


Die Analogie gilt nicht nur für die sensible und vergängliche Einzelsubstanz, die
sich entweder per accidens oder per se in Betracht ziehen lässt, sondern kommt
auch für die verschiedenen Typen von Substanzen zur Geltung. Die sensible und
vergängliche Substanz (womit nicht nur das Einzellebewesen, sondern auch wel-
che Art und die Gattung gemeint sind), sowie die sensible und ewige Substanz
(welche die Himmelskörper und die vier Grundelemente in sich schließt), und
die intelligible und ewige Substanz bilden keine sachliche Gemeinsamkeit, son-
dern die Einheit der verschiedenartigen Substanzen ist in der Strukturähnlichkeit
verwurzelt.
Wie das Schema zeigt (Tab. 25), besteht die Analogie zwischen den verschie-
denen Typen von Substanzen darin, dass an demselben Gefüge von Wirken-
Leiden die Entstehung des einzelnen Lebewesens, die Definition der Naturart,
die Umwandlung der vier Grundelemente, die Kreisbewegung des Himmelskör-
pers und die geistige Tätigkeit des Menschen teilhaben. Während sich die
Naturart in der natürlichen Entstehung, die spezifische Differenz in der wesent-
lichen Definition, die Eigenschaft in der elementaren Umwandlung, das unbe-
wegte Bewegende in der himmlischen Kreisbewegung und das Denken in der
298 4 Schluss

Tab. 25: Analogie zwischen den verschiedenen Typen von Substanzen.

τόδε τι εἶδος ὕδωρ-ἀὴρ-πῦρ-γῆ νοῦς νοῦς


θεῖος ἀνθρώπινος

ποιεῖν μορφή διαφορά παθῆ ἐναντία ἀκίνητον κινοῦν νοοῦν


πάσχειν ὕλη αἰσθητή ὕλη νοητή πρώτη ὕλη οὐρανός νοούμενον

geistigen Tätigkeit aktiv auswirken, nehmen die sensible Materie, die intelligible
Materie, die prima materia, das bewegte Gestirn und der gedachte Begriff die ent-
sprechende aktive Einwirkung in sich auf.
Nichts anderes als die Analogie ermöglicht, die verschiedenen Seienden,
nämlich das Einzellebewesen, die Naturart, die vier Grundelemente, den Him-
melskörper und den Geist, anhand desselben Begriffs „Substanz“ (οὐσία) zusam-
menzufassen, sodass das Einzellebewesen als Einzelsubstanz, die Naturart als
Wesenssubstanz, die vier Grundelemente als elementare Substanz, der Himmels-
körper als himmlische Substanz und der Geist als intelligible Substanz bezeichnet
ist.
Die ganze Substanzlehre des Aristoteles baut auf der analogischen Struktur
von Stoff-Form, von Leiden-Wirken und von Möglichsein-Wirklichsein auf,
indem die analogische Struktur einerseits allen Typen der sensiblen Substan-
zen immanent ist und andererseits von der intelligiblen Substanz aufgehoben
wird. Im Vergleich zum menschlichen Geist, dem das analogische Gefüge inne-
wohnt, hebt der göttliche Geist die grundlegende analogische Struktur auf.
Indem sich der göttliche Geist von Materialität, Passivität und Potentialität ab-
solut befreit, ist er mit Formalität, Aktivität und Aktualität ausgestattet. So ist
der göttliche Geist nichts anderes als die reine aktive Aktualisierung seiner
selbst.

4.2 Theoretische, poietische, praktische Wissenschaft

Aristoteles’ Hylemorphismus ist insofern universal, als er sich nicht auf die Sub-
stanzlehre beschränkt, sondern das hylemorphistische Gefüge erstreckt sich so-
wohl auf die theoretische, die poietische und die praktische Wissenschaft als
auch auf die Erkenntnistheorie. Der ganze Wissenschaftsbereich unterteilt sich
auf chiastische Weise in die theoretische, die poietische und die praktische Wis-
senschaft. Die drei wissenschaftlichen Disziplinen sind ihrerseits wiederum je-
weils auf verschiedene Weisen in Unterteilungen differenziert.
4.2 Theoretische, poietische, praktische Wissenschaft 299

4.2.1 Einteilung der Wissenschaften

4.2.1.1 Chiastische Einteilung der Wissenschaften


Anhand des Chiasmus sind die Wissenschaften in die theoretische, die prakti-
sche und die poietische Wissenschaft dreifach einzuteilen. Die Einteilung der
Wissenschaften hängt von der Klassifikation der Gegenstände ab, die wiederum
nach der Wirkursache sortiert werden. Einerseits liegt die Wirkursache entweder
innerhalb oder außerhalb des zugrundeliegenden Seienden. Andererseits voll-
zieht sich die Wirkursache entweder notwendigerweise oder zufälligerweise.
Indem sich Innerlichkeit-Äußerlichkeit und Notwendigkeit-Zufälligkeit miteinan-
der kreuzen, ergeben sich vier verschiedene Wirkursachen. Φύσις, τέχνη, αὐτό-
ματον und τύχη sind jeweils durch eine innere Notwendigkeit, eine äußere
Notwendigkeit, eine innere Zufälligkeit und eine äußere Zufälligkeit gekenn-
zeichnet. Anhand der jeweiligen Wirkursache vollzieht sich eine natürliche Ent-
stehung, eine handwerkliche Herstellung, eine widernatürliche Zeugung und
eine menschliche Handlung. Während die natürliche Kontingenz außer Betracht
bleibt, werden Naturentstehung/Naturding, Herstellung/Artefakt und menschli-
che Praxis thematisiert. Den drei Untersuchungsgegenständen φύσις, ποίησις
und πρᾶξις entsprechend werden die drei Wissenschaftsdisziplinen als φυσική,
ποιητική und πρακτική benannt.

4.2.1.2 Chiastische Einteilung der theoretischen Wissenschaften und der


Mathematik
Auf der Seite der theoretischen Wissenschaft ist anhand des Chiasmus nicht nur
die theoretische Wissenschaft in Physik, Theologie und Mathematik einzuteilen,
sondern auch die Mathematik ist in Astronomie, Geometrie, Musik und Arithme-
tik zu unterteilen. Dadurch dass sich Trennbarkeit-Untrennbarkeit und Bewegtes-
Unbewegtes miteinander chiastisch kreuzen, ergeben sich ein Untrennbares und
Bewegtes, das die Physik thematisiert; ein Getrenntes und Unbewegtes, das die
Theologie darlegt, und ein Untrennbares und Unbewegtes, das der Gegenstand
der Mathematik ist. Einem anderen Chiasmus zufolge, der durch die Überkreu-
zung von Kontinuität-Diskretheit und von Beweglichkeit-Unbeweglichkeit aufge-
stellt wird, kommen vier verschiedene Untersuchungsgegenstände zustande und
dementsprechend teilt sich die Mathematik vierfach ein: Die Astronomie themati-
siert das Kontinuierliche und Bewegliche; die Geometrie das Kontinuierliche und
Unbewegliche; die Musik das Diskrete und Bewegliche; und die Arithmetik das
Diskrete und Unbewegliche.
300 4 Schluss

4.2.1.3 Dihairetische Einteilung der praktischen Wissenschaften und der


Ökonomik
Auf der Seite der praktischen Wissenschaft sind sowohl die praktische Wissen-
schaft in Ethik, Ökonomik und Politik als auch die Ökonomik weiter dreifach zu
unterteilen, und zwar nicht anhand des Chiasmus, sondern anhand der Dihai-
rese. Die praktische Wissenschaft ist in Ethik, Ökonomik und Politik dreifach ein-
zuteilen, indem das Individuum, die Familie oder die Polis in Betracht gezogen
werden. Die Ökonomik ist in die drei Glieder zu unterteilen, dadurch dass die Be-
ziehung des Mannes zur Frau, des Vaters zum Sohn oder des Herrn zum Knecht
jeweils zum Untersuchungsgegenstand genommen wird.

4.2.1.4 Dihairetische Einteilung der poietischen Wissenschaft


Die poietische Wissenschaft nimmt insofern eine Mittelstellung zwischen der
theoretischen und der praktischen Wissenschaft ein, als durch die Vermittlung
der Techne die theoretische Betrachtung der Physis und die menschliche Praxis
in Berührung kommen. Dabei geht es um einen dreifachen Vergleich von Physis,
Techne und Praxis.

4.2.2 Analogische Einheit

Während der Chiasmus die Einteilung der Wissenschaften sowie die Einteilung
der theoretischen Wissenschaften ermöglicht und die Dihairese die Einteilung
der praktischen und der poietischen Wissenschaften möglich macht, weist die
Analogie die strukturelle Ähnlichkeit zwischen den Untersuchungsgegenstän-
den aller Wissenschaftsdisziplinen auf. Gründen die theoretische, die poieti-
sche und die praktische Wissenschaft sowie die Epistemologie in der gleichen
Struktur von Form-Stoff sowie Wirken-Leiden, kommt die hylemorphistische
Struktur in allen Unterteilungen durchgängig zur Geltung.

4.2.2.1 Theoretische Wissenschaft


In erster Linie ist davon die Rede, wie sich die drei theoretischen Wissenschaften
analog verhalten (Tab. 26). Die Analogie von Physik, Mathematik und Theologie
liegt in der strukturellen Ähnlichkeit der verschiedenen Untersuchungsgegen-
stände. Wie sich in der Naturentstehung die Form zur sensiblen Materie (materia
sensibilis naturalis) und in der Konstitution des mathematischen Gegenstandes
die Gestalt zur intelligiblen Materie (materia intelligibilis mathematica) verhalten,
so verhalten sich in der Definition der Naturart die spezifische Differenz zur intel-
ligiblen Materie (materia intelligibilis definitiva) und in der himmlischen Kreisbe-
wegung das unbewegte Bewegende zum bewegten Himmelskörper. Analog dazu,
4.2 Theoretische, poietische, praktische Wissenschaft 301

Tab. 26: Analogie von Physik, Mathematik und Theologie.

φυσική μαθηματική θεολογική θεολογική


λογικῶς φυσικῶς

ποιεῖν εἶδος σχῆμα διαφορά ἀκίνητον κινοῦν


πάσχειν ὕλη αἰσθητή ὕλη νοητή ὕλη νοητή οὐρανός

dass die natürliche Form den Naturstoff formt und die mathematische Gestalt die
gedankliche Materie gestaltet, bestimmt die spezifische Differenz die unbe-
stimmte Gattung und das unbewegte Bewegende setzt den Himmelskörper in Be-
wegung. Die Form, die Gestalt, die Differenz und das Bewegende wirken aktiv
auf den Stoff, die mathematische Materie, die intelligible Materie und das Be-
wegte ein, die passiv zugrunde gelegt werden müssen. Daraus folgt, dass die
Strukturähnlichkeit von physischen, mathematischen und theologischen Gegen-
ständen im funktionalen Gefüge von Wirken und Leiden gründet.

4.2.2.2 Poietische Wissenschaft


Die poietische Wissenschaft bildet sich als eine eigenständige Wissenschafts-
disziplin, worin die natürliche Entstehung sowie die menschliche Praxis einbe-
zogen sein müssen. Denn einerseits dient die Analyse der Herstellung dazu, die
innere Struktur der Naturentstehung zu verdeutlichen. Andererseits hat die
handwerkliche Herstellung mit der menschlichen Handlung, z. B. mit der ärzt-
lichen Praxis, gemeinsam, dass es der äußerlichen Wirkursache bedarf, ein Ar-
tefakt herzustellen oder den kranken Körper zu heilen. Demzufolge ergibt sich
eine dreifache Analogie von Physis, Techne und Praxis (Tab. 27).

Tab. 27: Analogie von Physis, Techne und Praxis.

φύσις φύσις τέχνη πρᾶξις

ποιεῖν ψυχή ἄρρεν μορφή πάθος


πάσχειν σῶμα θῆλυ ὕλη σῶμα

Indem die technische Herstellung den Hylemorphismus am offenkundigsten


aufweist, bildet sich die Analogie der Physis und der Praxis zur Techne folgen-
dermaßen: Wie sich in der technischen Herstellung die Form zum Stoff verhält,
so verhalten sich in der ontologischen Struktur des Menschen die Seele zum
Körper sowie in der biologischen Zeugung des Lebewesens das Männliche zum
302 4 Schluss

Weiblichen und in der ärztlichen Praxis die Affektion zum Körper. Anders
formuliert: Die technische Struktur von Form-Stoff setzt sich sowohl in das on-
tologische Gefüge von Seele-Körper und in die biologische Zeugungsstruktur
vom Männlichen-Weiblichen, als auch in die Struktur der Heilkunst von Affek-
tion-Körper durch. Da die Form, die Seele, das Männliche und die Affektion mit
der Aktivität, und der Stoff, der Körper, das Weibliche und der geheilte Körper
mit der Passivität verknüpft sind, ist die hylemorphistische Struktur auf das dy-
namische Gefüge von Wirken-Leiden zurückzuführen.

4.2.2.3 Praktische Wissenschaft


Von der ärztlichen Praxis aus geht die Erörterung in die ethisch-ökonomisch-
politische Praxis über. Im praktischen Bereich ergeben sich einerseits die Analo-
gie von Medizin und Ethik und andererseits die Analogie von Ethik, Ökonomik
und Politik (Tab. 28).

Tab. 28: Analogie von Medizin, Ethik, Ökonomik und Politik.

ἰατρική ἡθική οἰκονομική πολιτική

ποιεῖν πάθος ἀρετή λόγον ἀνήρ πατήρ δεσπότης ἄρχειν


πάσχειν σῶμα ψυχή ἄλογον γυνή υἱός δοῦλος ἀρχέσθαι

Nach der einen Seite kommt die Analogie der Ethik im Sinne der Tugendlehre zur
Heilkunst derart zustande, dass sich die Affektion zum Körper und die Tugend
zur Seele analog verhalten. Wie sich die gegensätzlichen Tugenden (gut-schlecht)
auf die Seele auswirken, so wirken die gegensätzlichen Affektionen (gesund-
krank) auf den Körper ein. Nach der anderen Seite besteht die Analogie zwischen
der Seelentheorie, worauf die Ethik im Sinne der Tugendlehre beruht, und der
Ökonomik sowie der Politik im naturgemäßen Verhältnis von Beherrschen und
Beherrschtwerden. Es lässt sich damit aufzeigen, dass von Natur aus die Seele
herrschen und der Körper beherrscht werden soll oder der vernünftige Teil der
Seele regieren und der unvernünftige Teil regiert werden muss. Dadurch, dass
sich die naturgemäße Herrschaft der Seele über den Körper und die der Vernunft
über die Unvernünftigkeit ins familiäre und politische Verhältnis ausweiten, soll
in der Familie der Mann die Frau, der Vater den Sohn, in der Hausverwaltung der
Herr den Knecht (wie in der Herstellung der Handwerker das Werkzeug), in der
Polis der Regierende die Regierten und im Kosmos Gott die Menschen beherr-
schen. Daraus resultiert, dass trotz der sachlichen Unterscheidung Paare wie
Seele-Körper, Vernunft-Unvernünftigkeit, Mann-Frau, Vater-Sohn, Herr-Knecht
4.2 Theoretische, poietische, praktische Wissenschaft 303

(Handwerker-Werkzeug), Herrscher-Bürger und Gott-Mensch an derselben Struk-


tur von Beherrschen und Beherrschtwerden teilhaben.
Das harmonische Herrschaftsverhältnis von Regieren und Regiertwerden,
das im menschlichen Zusammenleben auftritt, lässt sich begrifflich als Gerechtig-
keit (δικαιοσύνη) oder Freundschaft (φιλία) bezeichnen. In verschiedenen Berei-
chen, sei es in der Familie, in der Hausverwaltung oder in der Polis, ermöglicht
es die Analogie von Familie und Polis bzw. von Haus- und Staatsverwaltung, den
Begriff der Gerechtigkeit oder der Freundschaft einheitlich zu gebrauchen.

4.2.2.4 Epistemologie
Außer der theoretischen, der poietischen und der praktischen Wissenschaft gilt
der Hylemorphismus weitergehend für die Epistemologie, wobei die Analyse der
Wahrnehmung im Zentrum steht. Die Sinneswahrnehmung ist deswegen teilweise
als passiv und teilweise als aktiv charakterisiert, weil sie sich durch das Zusam-
menwirken von Körper und Seele vollziehen muss. Hinsichtlich der körperlichen
Passivität bildet sich die Analogie der Empfindung zur Veränderung, dadurch
dass die wahrnehmbaren Affektionen auf das Sinnesorgan einwirken wie die Ei-
genschaften auf das zugrundeliegende Substrat. Unter dem Aspekt der seelischen
Aktivität ergibt sich die Analogie von Wahrnehmung und Denken, indem sich das
Wahrnehmungsfähige auf das Wahrgenommene so bezieht wie das Denkfähige
auf das Gedachte. Da dieselbe Struktur von Wirken-Leiden die Bewegung, die
Empfindung, die Wahrnehmung und das Denken durchdringt, stehen die passive
Empfindung zur qualitativen Veränderung und die aktive Wahrnehmung zum
noetischen Denken im analogischen Verhältnis. Darüber hinaus führt die Analo-
gie von sinnlicher Wahrnehmung und noetischem Denken zur begrifflichen Ein-
heit, damit die eine als sinnliche Anschauung und das andere als intellektuelle
Anschauung bezeichnet wird. Die analogische Struktur von Bewegung, Empfin-
dung/Wahrnehmung und Denken lässt sich schematisch so darstellen (Tab. 29):

Tab. 29: Analogie von Bewegung, Empfindung/Wahrnehmung und Denken.

κίνησις αἴσθησις αἴσθησις νόησις

ποιητικόν κινητικόν αἰσθητόν αἰσθητικόν νοητικόν


παθητικόν κινητόν αἰσθητήριον αἰσθητόν νοητόν

Indem Physis, Techne und Praxis dieselbe Struktur zugeteilt ist, durchdringt der
Hylemorphismus die theoretische, die poietische und die praktische Wissenschaft.
Darüber hinaus kommt die hylemorphistische Struktur nicht nur ontologisch,
304 4 Schluss

sondern auch epistemologisch zur Geltung, indem Aristoteles aufgrund des Gefü-
ges der Veränderung die sinnliche und die intellektuelle Anschauung theoretisch
erklärt. So verhalten sich das Wahrnehmungsfähige zum Wahrgenommenen und
das Denkfähige zum Gedachten wie die natürliche Art zur Materie, die technische
Gestalt zum Stoff und die Eigenschaft Gesundheit zum geheilten Körper. Der Hyle-
morphismus ist insofern universal und allgemein gültig, als das funktionale Ge-
füge von Wirken-Leiden nicht nur für die natürliche Veränderung, die technische
Herstellung und die menschliche Handlung, sondern auch für die seelische Er-
kenntnistätigkeit fundamental und konstitutiv ist.

4.3 Metaphysik als Prinzipienlehre

4.3.1 Apodiktisch-syllogistische Einzelwissenschaft

Was Aristoteles zur Philosophie beiträgt, ist nicht nur die Metaphysik als Sub-
stanzlehre zu entwickeln, sondern auch die Einzelwissenschaften als eigenstän-
dige Wissenschaftsdisziplinen einheitlich zu begründen. Die unterschiedlichen
Einzelwissenschaften, die etwas Spezifisches zum Untersuchungsgegenstand
haben, bilden eine analogische Einheit, indem jede Einzelwissenschaft die dis-
junktiven Eigentümlichkeiten des jeweiligen Zugrundeliegenden thematisiert.
Demzufolge zieht die Physik die Bewegung-Ruhe des Naturseienden in Betracht,
die Astronomie die gegensätzlichen Stellen der Kreisbewegung des Himmelskör-
pers, die Geometrie das Geradlinige-Gekrümmte der Linie, die Arithmetik das Ge-
rade-Ungerade der Zahl, die Musik das Hohe-Tiefe der Melodie, die Medizin die
Gesundheit-Krankheit des Körpers, die Ethik das Gute-Schlechte der Seele/Hand-
lung und die Logik die Richtigkeit-Falschheit der Schlussfolgerung.
Des Weiteren betrifft die Analogie nicht nur die Struktur des Gegenstandes,
sondern auch die Methode. Bei den Einzelwissenschaften vollzieht sich die wis-
senschaftliche Beweisführung anhand des Syllogismus, indem sich die einzelne
Konklusion aus der allgemeinen Prämisse syllogistisch ergibt. Anhand der struktu-
rellen Ähnlichkeit des Untersuchungsgegenstandes und der methodischen Gleich-
heit sind die apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften einheitlich zu
begründen.
Die Einzelwissenschaft thematisiert die disjunktiven Eigentümlichkeiten der
zugrundeliegenden Substanz oder der Gattung, während die Metaphysik die Sub-
stanz und deren Prinzip(ien) zum Untersuchungsgegenstand nimmt. Methodisch
gesehen vollzieht sich die Einzelwissenschaft nach der absteigenden Deduktion
(συλλογισμός), während die Metaphysik der aufsteigenden Induktion folgt
4.3 Metaphysik als Prinzipienlehre 305

(ἐπαγωγή). Die Metaphysik unterscheidet sich von der Einzelwissenschaft, und


zwar sowohl gegenständlich als auch methodisch.
Trotz des gegenständlichen sowie des methodischen Unterschieds müssen
die Einzelwissenschaften auf einer gemeinsamen metaphysischen Grundlage ba-
sieren. Die apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften können nur dann
einheitlich und systematisch begründet werden, wenn die Metaphysik die analo-
gische Struktur der Substanzen festlegt und sich die strukturelle Ähnlichkeit in
die Untersuchungsgegenstände der Einzeldisziplinen durchsetzt. Zum einen ist
die Struktur des Gegenstandes der Einzelwissenschaft „disjunktive Eigentümlich-
keiten-Zugrundeliegendes“ auf das substanzielle Gefüge „Gegensatz von Vollen-
dung und Privation-Zugrundeliegendes“ zurückzuführen. Zum anderen setzt die
absteigende Untersuchung der Einzelwissenschaft die aufsteigende Prinzipien-
forschung voraus, denn in erster Linie muss die Allgemeinheit aufgestellt wer-
den, woraus sich die Einzelheit syllogistisch ergeben kann.

4.3.2 Metaphysische Prinzipienlehre

Aristoteles’ Metaphysik als theoretische Wissenschaft ist dadurch in Physik und


Theologie einzuteilen, dass die eine als zweite Philosophie die sensiblen Substan-
zen und die andere als erste Philosophie die intelligible Substanz theoretisch be-
trachtet. In Bezug auf ihren Gegenstand ist die aristotelische Metaphysik als
Substanzlehre zu bezeichnen. Darüber hinaus ist die Substanzlehre als Prinzipien-
lehre (ἀρχὴ πραγματεία) konzipiert. Obwohl sie über zwei Unterteilungen verfügt,
bildet Aristoteles’ Metaphysik als Prinzipienlehre eine einheitliche Wissenschaft.
Die wissenschaftliche Einheit besteht in der gegenständlichen und der methodi-
schen Gemeinsamkeit. In Bezug auf den Gegenstand haben die zweite und die
erste Philosophie gemeinsam, dass sie das Prinzip der Substanz, sei sie sensibel
oder intelligibel, zum Thema haben. Methodisch gesehen vollziehen sich die sich
am Prinzip orientierende Physik und die Theologie induktiv, und zwar vom Prin-
zipiat zum Prinzip, von der Folge zur Ursache oder vom Vorausgesetzten zum
Voraussetzungslosen.
Aristoteles’ Metaphysik als Prinzipienlehre entfaltet sich nicht zeitlich, son-
dern völlig systematisch, und zwar durch die Suche nach dem Prinzip von Sein,
Logos und Veränderung. Anhand des Leitfadens der Prinzipienlehre kann man
die metaphysischen Inhalte, die in verschiedenen Texten zerstreut liegen, zusam-
menfassen. Erstens: Die Kategorienlehre des Aristoteles (Cat. 1–15) steht deshalb
in Verbindung mit seiner Arche-Forschung, weil die Einzelsubstanz als zugrunde-
liegendes Prinzip von Sachverhalt, Aussage und Bewegung bestimmt ist. Zwei-
tens: Die aristotelische Physik als zweite Philosophie gehört zur metaphysischen
306 4 Schluss

Prinzipienforschung, da sie nicht nur die Entstehungsprinzipien der Einzelsub-


stanz, sondern auch zusammen mit der ersten Philosophie die Bewegungsursache
der himmlischen Substanz thematisiert. Dadurch, dass in der Vier-Ursachen-Lehre
(Phys. A1–9, B1–3, B7; Metaph. A3–10, Λ4–5) die Entstehungsprinzipien der sen-
siblen und vergänglichen Einzelsubstanz erfragt werden, kommen das materielle
sowie das formale Prinzip ans Licht. Durch die Suche nach der Bewegungsursache
der sensiblen und ewigen Substanz lässt sich die intelligible und ewige Substanz
als Unbewegtes Bewegendes argumentativ herleiten, das als Prinzip von Allem
gilt. Dies ist der berühmte kosmologische Gottesbeweis (Phys. Θ5–10, Metaph. Λ
6–10). Drittens: Es gibt nicht nur die physische, sondern auch die logische Prinzi-
pienlehre, denn außer der Suche nach den Entstehungsprinzipien der Einzelsub-
stanz fragt man nach den Definitionsprinzipien der Wesenssubstanz. Wie die
Vier-Ursachen-Lehre dazu dient, das formale und das materielle Prinzip der Ein-
zelsubstanz herauszufinden, leistet die Erörterung über die Wesensdefinition
den theoretischen Beitrag dazu, die definitorischen Prinzipien der Wesenssub-
stanz, nämlich die Gattung und die spezifische Differenz, offenkundig zu ma-
chen. Darum gehört die Erläuterung der Wesensdefinition (Metaph. Z4–6, Z10–12)
auch zur Prinzipienlehre.
Das komplette Wissenschaftsgebäude des Aristoteles baut auf der chiasti-
schen bzw. der dihairetischen Einteilung und der analogischen Einheit auf, wel-
che im durchgängigen Hylemorphismus gründet. Bewundernswert sind nicht nur
die Tiefe, sondern auch und besonders die umfangreiche Breite der aristotelischen
Philosophie, die sich auf fast alle vorstellbaren Bereiche ausdehnt. Aristoteles
schafft ein Imperium im Bereich der Wissenschaft wie Alexanders Kaiserreich auf
der Erde. Das irdische Kaiserreich ist zwar schon zugrunde gegangen, das wissen-
schaftliche Imperium des Aristoteles aber bleibt immer lebendig. Diese Lebendig-
keit spiegelt sich Jahrtausende lang in der theoretischen Untersuchung und in der
technischen Herstellung sowie in der ethisch-ökonomisch-politischen Praxis der
Menschen. Man strebt in der Theorie nach dem Wahren, in der Kunst nach dem
Schönen, in der Technik nach dem Nützlichen und in der Praxis nach dem Guten.
Soweit die Menschen nicht nur nach dem Nützlichen suchen, sondern auch und
vor allem den Anspruch auf die Wahrheit, die Schönheit und das absolute Gute
im Sinne der Freiheit haben, das nicht um etwas anderen willen, sondern allein
um seiner selbst willen erzielt wird, sind dem Menschengeschlecht die Philosophie
sowie die Metaphysik unentbehrlich.
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Sokrates und die Sokratiker, Plato und die alte Akademie, Nachdruck der 5. Auflage
Leipzig 1922; 8. unveränderte Auflage, Darmstadt.
Zeller, E. (2013b): Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Band
2.2: Aristoteles und die alten Peripatetiker, Nachdruck der 4. Auflage Leipzig 1921; 7.
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Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, H. Flashar
(Hrsg.), Band 3: Ältere Akademie – Aristoteles – Peripatos (Die Ältere Akademie von
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Kaiserzeit von F. Wehrli), Basel/Stuttgart, 1983.
Namensregister
Aertsen, J.A. 7, 36–38, 40 Gadamer 13
Alexander 78, 80, 83, 92, 93, 99, 122, 134, Gill, M. L. 236
135, 140, 141, 163, 166, 172, 174, 181,
187–189, 191–193, 195–198, 200, 202, Halfwassen, J. 29
203, 205–207, 214, 215, 220, 230, 232, Hartmann, N. 1
234, 275, 279, 282, 285, 287 Hegel 176, 177
Ammonius 15–17, 49, 80, 81, 87–90 Heidegger 13, 27, 97, 170
Aristoteles 1–16, 19, 21–30, 32–35, 38–42,
44–48, 51, 52, 54, 55, 60, 63, 65–67, Jäger, W. 2, 22, 23, 188–190,
69, 70, 72, 73, 75, 78, 79, 81–83, 263, 293
86–88, 91, 92, 94, 96, 97, 101, 102, 105,
107, 109, 110, 113, 118, 119, 124, 127, Kant 16, 94, 249
129–131, 133, 136, 138, 139, 141, 144, Krämer, H. 58, 60, 67, 156
147–150, 152, 156, 158, 161, 163,
166–168, 170–174, 176–179, 183, Merlan, P. 7–9, 12, 23
184, 186, 190–193, 197–199, 201, Montagnes, B. 51, 52
204, 205, 207–209, 211, 214, 216–219,
223, 225, 227, 229–236, 239, 240,
Neuplatoniker 4, 30
243–246, 248–250, 252, 253, 257,
258, 260–263, 265, 267, 269–271,
Oehler, K. 275–278
273–284, 286–288, 291, 293, 294,
Olympiodorus 17, 81, 87
298, 304–306
Asklepios 93, 166, 171, 181, 186–189,
191–193, 195, 196, 198, 202, 203, Philoponus 15–17, 49, 80, 81, 87, 174
205–207, 210, 220, 225, 232, 234 Platon 3, 4, 5, 12, 13, 21, 29, 30, 35, 41–44,
Aubenque, P. 1 88, 118, 147, 158, 161, 177, 184, 204,
Averroes 7, 8 207, 209, 222, 223, 233, 240, 249, 250,
Avicenna 7, 8 263, 269
Porphyrius 16–18, 48, 49, 81, 87, 89, 235,
243, 293
Bonitz, H. 1, 188, 189, 193

Ross, W.D. 22, 23, 78, 170, 176, 182,


Cherniss, H. 236
188–193, 202, 203, 205, 229, 240, 278,
Christ, W. 188, 189
282, 283, 287

Duns Scotus 7
Scholastiker, Hochscholastiker 4, 30, 34, 41,
60
Elias 17, 81, 87
Schwegler, A. 22, 188, 202, 203, 276, 282,
Enrico, B. 276, 279
283, 287
Seidl, H. 188, 189, 191, 192, 202, 203, 235
Fonfara, D. 1 Simplicius 15, 17, 21, 33, 49, 81, 82, 84, 87,
Frede, M. und Patzig, G. 69, 182, 188, 89, 101–103, 107, 114, 120, 125, 126,
190–193, 198, 201, 203, 227, 229, 129, 130, 167, 170, 174, 176, 181, 184,
231, 240 210, 249, 254

https://doi.org/10.1515/9783110664928-007
316 Namensregister

Steinfath, H. 236 187, 188, 192, 193, 196, 197, 202, 203,
Stenzel, J. 236 205–207, 210, 214, 215, 218, 225,
Syrianus 24, 26 230–232, 235, 240, 268, 276, 282, 286,
287
Themistius 268 Tugendhat, E. 213, 236
Theophrast 55, 67
Thomas von Aquin 8, 34–41, 78, 93, 95, 108, Wieland, W. 252, 270
114, 121, 133, 136, 143, 144, 148, 155,
163, 166, 167, 170–172, 181, 184, 185, Zeller, E. 15, 22
Sachregister
Abstraktion 12, 23, 118, 148, 150, 151, 155, Analogie (ἀναλογία, analogia/proportio) 14,
220, 237, 250, 275 32–35, 37, 39–49, 51–61, 63–65,
Abwesenheit, Privation, Beraubung 31, 68, 67–69, 70–75, 86, 96, 109, 113, 115, 117,
70, 71, 74, 105, 106, 110, 111, 113–116, 119, 137–139, 142, 154, 159, 160,
118, 123–126, 156, 158, 160–165, 175, 163–165, 168–170, 175, 177–179, 183,
177, 181, 247, 248, 257, 259, 264, 291, 194, 200–202, 211, 221, 230, 234–237,
295, 305 251–253, 256, 258, 261–264, 266–269,
Ähnlichkeit (ὁμοιότης, similitudo) 14, 29, 32, 271, 293, 295–298, 300–304
33, 36, 41, 42, 45, 48, 52, 54, 55, 58–61, – Attributionsanalogie (analogia
63–65, 69, 72, 74, 129, 134, 136, 202 attributionis, analogia praedicationis,
– Strukturähnlichkeit, strukturelle analogia entis) 34, 35, 37, 39, 41
Ähnlichkeit, strukturelle Entsprechung, – Proportionalitätsanalogie (analogia
strukturelle Gemeinsamkeit, funktionale proportionis) 34, 39–44, 60, 73
Ähnlichkeit, funktionale Gleichheit, – arithmetische Analogie 55–57, 59
ontologische Ähnlichkeit/Entsprechung, – geometrische Analogie 56–60, 64, 73
Verhältnisgleichheit 14, 32–34, 39–43, analogische Einheit, analogische
45–48, 51–55, 58–61, 63, 73, 77, 79, 86, Allgemeinheit, analogische
98, 113, 114, 119, 129, 134, 136, Gemeinsamkeit 47, 48, 51, 64, 65, 67,
138–142, 153, 159, 160, 165, 170, 178, 69, 73, 118, 119, 139, 252, 259, 271, 295,
237, 251, 252, 259, 263, 266, 268, 271, 297, 300, 304, 306
293, 295–297, 300, 301, 304, 305 analogische Struktur, analogisches
Affirmation, affirmative Aussage 31, 97, 98, Gefüge 67, 69, 70, 73–75, 132, 133,
112, 115, 116, 141, 213, 223 182, 265, 270, 271, 291, 295, 298,
Aktivität, Machen, Wirken 27, 65, 71, 74, 75, 303, 305
94, 107, 121–123, 127, 129, 133, 142, Analogielehre, Analogietheorie 34, 42
149, 152, 154, 156, 158, 160, 164–166, Analogieprädikation, analogische
169, 171, 172, 177, 178, 180–182, 197, Prädikation 37–39
199, 236, 237, 241, 247, 251–253, 256, Anschauung 178, 248, 266, 269
257, 259, 260, 262, 265–269, 271, 272, – sinnliche Anschauung,
282, 286, 291, 293, 296–298, 300–304 Sinneswahrnehmung 40, 94,
Akzidenz, akzidentelle Eigenschaft, kategoriale 265–269, 303, 304
Eigenschaft 38, 40, 41, 66, 73, 74, –intellektuelle Anschauung, noetisches
79–83, 86, 91–93, 95, 111, 113–117, 122, Denken 40, 43, 44, 237, 246, 266, 268,
135, 143, 146, 147, 150, 159, 165, 177, 269, 303, 304
181–183, 206, 212–215, 217–222, 225, Anwesenheit, Vollendung, Verinnerlichung 31,
240, 263, 266, 276, 277, 294, 295 74, 95, 105, 106, 110, 114–116, 120, 125,
Allgemeinheit (καθόλου), Gemeinsamkeit 126, 128, 132, 160–162, 165, 166, 174,
(κοινόν) 7–12, 16, 24, 29, 33, 34, 39, 45, 175, 259, 291, 295, 305
46, 49, 50, 52, 55, 65, 67, 69, 73, Äquivokation, Akzidenzprädikation,
80–82, 87, 89, 90, 129, 138, 148, akzidentelle Prädikation, per accidens-
154–156, 163, 164, 179, 180, 185, 194, Prädikation 16, 27, 32, 36, 37, 39, 73,
197, 198, 208, 210, 225, 228–230, 242, 74, 87, 89–93, 96–98, 111, 116, 117, 141,
243, 245, 249, 271, 275, 287, 293, 294, 142, 153, 193, 214, 215, 222, 226, 240,
297, 305 251, 294, 295

https://doi.org/10.1515/9783110664928-008
318 Sachregister

Aristotelismus 3–5, 94 Chiasmus, chiastische Einteilung,


Arithmetik 28, 64, 65, 215, 216, 219, 258, chiastische Vierteilung 14, 16–19, 24,
259, 270, 299, 304 25, 71, 79, 81, 82–84, 87, 111, 113, 121,
Artefakt 18–21, 72, 79, 80, 115, 128, 135, 123, 140, 141, 232, 247, 293–295,
139, 154, 159, 160, 166, 168–170, 173, 299, 300, 306
174, 177, 178, 186, 188, 190–192, 194,
196, 197, 199, 203–205, 207, 226–228, Definition, Wesensdefinition 8, 11, 32, 57,
230, 248, 261, 262, 299, 301 72, 75, 77, 79, 80, 87–90, 92, 119–121,
Astronomie 20, 65, 299, 304 124–131, 134, 148, 149, 151–153, 155,
Aufhebung 72, 95, 146, 147, 151, 204, 223, 157, 159, 164, 167, 185, 195–197, 200,
244, 256, 272, 277, 280, 285, 288 202, 203, 209–215, 217–230, 232–242,
Ausdifferenzierung 87, 238, 287 244, 245, 251–253, 271, 291, 296, 297,
– kategoriale Ausdifferenzierung 27, 48, 64, 300, 306
87, 95, 100, 111, 142, 293–295 Definitionsgleichheit,
Aussage, Aussagesatz, Urteil 7, 27, 31, 73, Wesensgleichheit 35–37, 87, 88,
77, 79, 82–86, 89, 90, 93, 95–100, 104, 193–195, 197, 201
112, 113, 115, 116, 137, 139–144, 146, Denken 5, 12, 13, 43, 44, 53, 85, 97, 98, 119,
148, 149, 182, 185, 186, 207, 212, 213, 132, 134, 136, 139, 141, 171, 182, 200,
215, 217, 218, 220, 222, 223, 225, 226, 238, 246, 248, 249, 266–268, 270, 272,
240, 242, 245, 248, 250, 266, 269, 305 273, 297, 303
– dianoetisches Denken, diskursives
Begriff 4, 10, 14, 23, 29, 31, 33–35, 38–40, Denken 13, 32, 43, 44, 100, 136, 223,
45, 47, 48, 52, 68, 70, 73, 78–80, 84, 224, 230, 246, 265, 266, 269
86, 88–91, 118, 119, 133–135, 139, 142– – noetisches Denken, Geist, Nous 11–13, 32,
144, 149, 151, 152, 155, 180, 189, 195, 43, 44, 97, 132, 152, 155, 167, 209, 211,
209, 210, 214, 215, 222, 237, 238, 241, 212, 224, 230, 237, 246, 265, 266, 268,
242, 250–252, 263, 265, 268, 272, 273, 269, 303
297, 298, 303 Denken des Denkens, Gott 7, 8, 10, 11, 17,
– Begriffseinheit, begriffliche Einheit, 34–39, 41, 42, 46, 182, 204, 212, 259,
analogische Begriffseinheit, 265, 272, 276, 283, 286, 302
analogische Einheit des Begriffs 23, 29, Demonstration 32, 164, 185, 200, 211–214,
41, 46–48, 51, 52, 65, 68, 69, 73, 113, 216, 217, 221–225
119, 139, 252, 265, 268, 281, 295, 297 Differenz 14, 29, 41, 48, 51, 84, 113, 114, 138,
– Oberbegriff 7, 14, 38, 69, 84, 90, 91, 94, 139, 168, 212, 221, 222, 226, 231–240,
114, 117, 143, 144 245, 247, 265, 267, 273, 274, 277, 301
Besonderheit 90, 154, 185, 208, 242, 245 – ontologische Differenz 27, 31, 73, 74, 79,
Bewegung, akzidentelle Veränderung 11, 16, 81, 82, 84, 86, 87, 100, 111, 140, 142,
27–29, 31, 32, 55, 65–75, 77, 79, 81, 83, 144, 153, 250, 293–296
85, 94, 100, 103, 104, 106–114, 116–121, – spezifische Differenz, letzte Differenz 33,
123–125, 127–135, 137, 138, 141–143, 80, 151, 157, 209, 211, 212, 222, 230,
150, 153–155, 157, 159–167, 169, 174, 232–238, 241, 244, 251–253, 290, 297,
177–180, 182, 183, 203, 215, 230, 240, 300, 301, 306
242, 245, 250, 251, 253, 256, 258–261, Dihairese, dihairetische Einteilung,
266, 267, 270, 274–280, 283, 284, 286, dihairetische Zweiteilung 15, 66, 67,
288, 290, 293–296, 301, 303–305 125, 134, 151, 155, 211, 222, 231, 232,
Biologie 28, 55, 60, 64, 215, 216 293, 300, 306
Sachregister 319

δύναμις, Dynamis 39, 63, 70–72, 80, 119, Eigenschaft 2, 27, 83–85, 91, 93,
121, 122, 124, 133, 135, 137, 138, 179, 101–104, 106–111, 116, 133, 141, 142,
180, 245, 247, 251, 266, 269 145, 146, 151, 153, 154, 165, 166, 176,
– Vermögen 39, 53, 54, 64, 65, 67, 70, 72, 80, 182, 183, 199, 200, 203, 212, 213, 215,
119, 121, 123, 133, 134, 137, 138, 150, 171, 217–219, 223, 226, 228, 248, 251,
179, 182, 250, 262, 264, 266–268, 272, 253–256, 263, 264, 267, 269, 276, 277,
288–290 290, 294, 296, 297, 303, 304
– Aktivvermögen, aktives Vermögen, – gegensätzliche Eigenschaft 160–163, 165,
wirkendes Vermögen (potentia 252, 255, 256, 262
activa) 121–124, 126, 134, 135, 166, 181, Eigentümlichkeit, wesentliche Eigenschaft 2,
189, 247, 267, 269, 289, 290 28, 31, 35, 64, 65, 93, 97, 104, 146, 149,
– Passivvermögen, passives Vermögen, 151, 154, 208, 212–223, 225, 243, 252,
Vermögen des Erleidens (potentia 256, 257, 259, 268, 270, 273, 281, 284,
passiva) 71, 121–123, 133, 135, 180, 289, 304, 305
247, 267, 269, 280, 289, 290 Einteilung, Klassifikation 15–19, 22, 24, 25,
– Möglichkeit, Potentialität 23, 24, 35, 36, 49, 66, 67, 73, 79, 82, 83, 89, 102, 106,
71–73, 75, 119, 123–127, 130, 131, 107, 111, 112, 121, 191, 203, 212, 231–233,
133–137, 141, 181, 184, 202, 228, 235, 237, 257, 261, 264, 277, 293–295, 299,
236, 238, 241, 245–251, 261, 267–269, 300, 306
271–275, 286, 289–291, 298 Einzelding, Einzelnes, Individuum 1, 2, 10, 11,
– Möglichsein 70, 73, 75, 119, 126, 131–133, 38, 46, 66, 69, 77, 79, 80, 82, 83, 86,
135, 136, 251, 261, 293, 298 88–95, 97, 105, 106, 111–117, 123, 133,
ἐνέργεια, Energeia 11, 23, 39, 54, 70–73, 136, 137, 140, 142, 143, 146–151, 153–156,
119, 120, 124–126, 130, 131, 133–139, 159–163, 165, 168, 173–180, 183, 184,
141, 179, 180, 188, 196, 208, 234, 236, 186, 188, 201, 203–209, 212, 219–222,
241, 245–247, 249, 251, 282–284, 291 225, 226, 228–230, 233, 263–265,
– Ins-Werk-Setzen, Verwirklichung, 239–243, 245, 249, 251–253, 259,
Aktualisierung 20, 24, 39, 54, 64–67, 266–268, 270, 275, 279, 284, 285,
71, 72, 75, 115, 119–121, 123, 124, 289, 297
126–130, 132–135, 137, 138, 170, Einzelheit, Individualität 2, 55, 81, 82, 90,
178–180, 182–184, 196, 200, 204, 238, 93, 129, 154, 185, 208, 216, 225, 229,
241, 246, 248, 250, 252, 253, 262, 242, 243, 245, 294, 305
266–268, 288, 289, 291, 298 Entstehen-Vergehen, substanzielle
– Wirklichkeit, Aktualität 27, 29, 35, 36, Veränderung 32, 66, 100, 106, 108,
71–73, 75, 119, 123–127, 131–137, 141, 110–117, 119, 123, 130, 155, 159,
148, 157, 178, 180–182, 200, 203, 228, 160–165, 177, 282–284
229, 235, 236, 238, 241, 243, 245–252, Entstehung, Naturentstehung, natürliche
268, 269, 271, 281, 282, 284, 286, 290, Entstehung 2, 11, 16, 18–20, 27, 28,
291, 298 31, 32, 35, 65–75, 77, 82, 108,
– Wirklichsein 70, 73, 75, 119, 126, 131–133, 110–114, 116–118, 121, 123–125,
135, 136, 246, 249, 251, 261, 293, 298 128–133, 135, 136, 138, 142, 144, 150,
ἐντελέχεια 71, 72, 119, 120, 122, 124–126, 151, 153–155, 157, 159, 160, 164–166,
128–130, 170, 180, 241, 249 168–192, 194–197, 200–205,
– Ins-Ziel-Setzen, Vollendung 31, 74, 105, 207–209, 211, 215, 221, 225, 233, 234,
106, 110, 115, 120, 121, 125, 126, 128, 237, 238, 241, 245–249, 251–253, 255,
132, 160, 161, 166, 174, 175, 180, 259, 256, 258, 259, 261–263, 269, 271, 274,
291, 295, 305
320 Sachregister

275, 282–284, 286, 291, 293–297, – göttlicher Geist, absoluter Geist, göttliches
299–301 Denken, Denken des Denkens 182, 246,
Ethik, Tugendlehre 15, 21, 39, 45, 46, 52, 55, 268, 271–274, 289–291, 298
59, 63, 65, 95, 257, 263, 264, 270, 300, – menschlicher Geist, menschliches
302, 304 Denken 238, 268, 271–274, 293, 298
Gerechtigkeit 42, 46, 48, 57–59, 265, 303
Form 9, 14, 20, 23, 30, 33, 53–55, 63, 65, – politische Gerechtigkeit 57–59
67–75, 77–80, 83, 91, 92, 105, 106, 111, – Verteilungsgerechtigkeit 57, 219
112, 115, 118, 120, 122–129, 131–135, Geometrie 13, 28, 29, 57, 64, 65, 134–137,
137, 138, 143, 144, 146, 148–150, 215, 216, 258, 259, 270, 299, 304
152–154, 156–165, 168–184, 188–190, Gleichartiges, Gleichförmiges, gleichartiges
195–197, 200, 202, 204, 206–208, Einzelding, gleichartiges Einzelnes,
210–212, 226–230, 233–237, 241, gleichartiges Naturseiendes
246–248, 251–253, 257, 259–262, 269, (συνώνυμον) 2, 11, 20, 33, 88, 91, 113,
271, 273, 276, 290, 291, 293, 295–298, 116, 147, 149, 151, 153, 154, 173, 174,
300–302 178–180, 183, 184, 186, 188, 193–201,
Freundschaft 265, 303 207–209, 220, 225, 241, 242, 245,
251–253, 275, 284, 286, 297
Gattung 15, 28, 33, 47, 66, 67, 69, 80, 82, Gleichartiges, Gleichartigkeit, Homogenität,
84, 88, 90, 91, 93, 104, 105, 113, 114, (ὁμοειδές) 2, 178, 186–188, 192, 193,
125, 134, 143, 144, 146, 148, 149, 151, 200, 201, 208, 241, 246, 251, 282, 296
154, 155, 203, 209, 211, 216, 220, 222, Gleichnamiges, Gleichnamigkeit
223, 229–239, 241–245, 252, 253, 270, (ὁμώνυμον) 39, 47–49, 51, 52, 54, 55,
290, 297, 301, 304, 306 62, 188–190, 193, 195, 197, 199, 201
Gegensatz, Entgegensetzung 13, 24, 27, 30, Grundelemente, elementare Substanzen 11,
46, 70, 74, 101–107, 109–111, 114–119, 16, 20, 25, 32, 33, 42, 43, 75, 104, 109,
121, 131, 132, 158, 160–162, 165, 168, 121, 148, 150, 157, 167, 182, 215, 246,
170, 175–177, 182, 216, 231, 238, 250, 252–256, 271, 290, 291, 293, 297, 298
252, 254–256, 259, 264, 285, 288, 290,
291, 295, 296, 305 Handlung, Praxis 18, 19, 21, 22, 119, 121,
– horizontaler Gegensatz 27, 175, 176, 123, 127, 130–135, 154, 157, 163, 166,
131, 290 168, 169, 173, 183, 184, 186, 188,
– vertikaler Gegensatz 131, 132, 176, 182, 191–194, 196–204, 208, 246, 248,
290 261–264, 269, 270, 299, 300–304, 306
Gestalt 20, 48, 65, 68, 70, 72, 80, 109, Herstellung, Techne, Kunst, Poiesis 18–22,
122–124, 127, 132, 133, 135, 136, 150, 30, 66–69, 114, 119, 123, 124, 127,
161, 164, 170–172, 174, 177, 179, 183, 130–136, 154, 155, 159, 160, 163–166,
194, 196, 197, 199–201, 204, 205, 207, 168–180, 182–184, 186–194, 196,
215, 226, 227, 230, 236, 238, 248, 252, 200–205, 207, 219, 221, 238, 246, 248,
257–259, 262, 269, 300, 301, 304 261–263, 269, 299–304, 306
Geist, Nous 12, 14, 25, 26, 32, 33, 46, 53, 72, Himmelskörper, Gestirn, himmlische
75, 120, 132, 151, 152, 155, 157, 167, 209, Substanz 11, 14, 20, 24–26, 31–33, 35,
211, 212, 223, 230, 237, 238, 241, 242, 65, 72, 75, 109, 121, 157, 167, 168, 182,
245, 246, 249, 252, 253, 258, 260, 267, 215, 225, 246, 252, 253, 257, 259,
271, 274, 282, 284, 288–291, 293, 274–279, 281–284, 286–288, 290, 291,
294, 298 293, 294, 297, 298, 300, 301, 304, 306
Sachregister 321

Hylemorphismus 72, 251, 256, 261, 263, 265, Kompositum, Komposita 66, 74, 80, 83, 115,
269, 293, 296, 298, 301, 303, 304, 306 144, 170, 173, 176–178, 207, 226–231,
– hylemorphistisch 72, 157, 169, 183, 212, 253, 258, 285, 295
237, 238, 240, 256, 264, 298 – logisches Kompositum, logische
– hylemorphistische Struktur, Komplexität, sprachliche Komplexität,
hylemorphistisches Gefüge 21, 153, logischer Komplex, sprachlicher
154, 157, 165, 173, 177, 179, 221, 229, Komplex 85, 211, 222, 225, 239
230, 233, 245, 256, 257, 262, 269, 293, – ontologisches Kompositum 85, 211, 225
296, 298, 300, 302, 303 – sensibles Kompositum, sinnlich
wahrnehmbares Kompositum 226–230,
Idee (ἰδέα) 4, 13, 25, 29, 39, 43, 44, 46, 47, 234, 237, 240, 258
109, 118, 148, 159, 176, 177, 180, 184, – intelligibles Kompositum 226, 234, 237,
204, 205, 209, 222, 225, 239, 240, 245, 240, 258
249, 250, 274, 275, 280, 288 – akzidentelles Kompositum 32, 66, 74, 78,
Ideenlehre 4, 5, 118, 158, 176, 177, 184, 205, 115, 153, 182, 240, 251, 295, 296
207–209, 222, 240, 245, 249, 275, 280 – substanzielles Kompositum 32, 66, 74, 78,
Induktion (ἐπαγωγή) 56, 73, 101, 134, 115, 153, 240, 251, 295, 296
270, 304, 305 Kreuzstruktur, Kreuzgestalt 131–133, 176

Kategorie 1, 2, 4, 5, 10, 16, 22, 23, 27, 29, Lebewesen 11, 14, 17, 18, 20, 24, 25, 31–33,
31–35, 38–40, 46, 48, 54, 64, 65, 73, 35, 43, 44, 48, 60, 63, 72, 75, 82, 84,
74, 77–79, 81–87, 90, 91, 93–95, 88–93, 105, 109, 115, 121, 128, 129, 143,
98–100, 102–111, 113, 114, 118, 140, 144, 151, 167, 168, 177, 180, 182, 185,
142–149, 152, 153, 159, 182, 206, 207, 195, 196, 202, 205, 207, 208, 214–216,
212, 217–221, 237, 242, 249–252, 277, 222, 223, 225, 227, 228, 232, 233, 236,
293–297, 305 237, 239, 243–246, 252, 259, 262, 271,
– Akzidenzkategorie, akzidentelle Kategorie, 274, 278, 279, 282–284, 286, 287, 291,
unwesentliche Kategorie 27, 66, 73, 87, 293, 294, 297, 298, 301
93, 95, 96, 113, 293, 294 Logik 5, 13, 15, 65, 86, 134, 137, 142, 143,
– Wesenskategorie, wesentliche Kategorie, 154, 155, 185, 186, 250, 270, 285, 304
substanzielle Kategorie, Logos 4, 5, 10–13, 28, 31, 32, 34, 39, 44, 45,
Wesenssubstanz, wesentliche 73–75, 77, 79, 85–87, 96, 98, 100, 112,
Substanz 27, 54, 66, 73, 75, 77, 115, 118, 119, 139–142, 151, 155, 201,
81–84, 87, 90, 93–97, 105, 106, 209, 210, 212, 225, 241, 245, 250, 251,
113–116, 138, 143, 146–149, 151–153, 293–296, 305
155, 157, 207–209, 211–213, 217–223,
225, 231, 233, 234, 237, 241, 244–246, Metaphysik, Substanzlehre, Prinzipienlehre,
252, 253, 271, 290, 291, 293, 294, Prinzipienforschung, Arche-Forschung
296–298, 306 1–3, 5–10, 12–16, 19, 21, 23–33, 35, 37,
– zukommende Kategorie 217–219, 221, 252 55, 64–67, 73, 75, 77, 139, 143, 147–153,
Kategorienlehre 4, 5, 27, 35, 38–40, 81, 86, 156, 158, 159, 163, 164, 166, 172, 203,
87, 94, 95, 152, 277, 305 208, 209, 223–225, 242, 249, 250,
Kausalzusammenhang, produktiver 256–258, 270, 271, 275, 276, 293, 294,
Kausalzusammenhang 36, 165, 172, 298, 304–306
183, 208 – Meta-Physik 5, 12, 13, 250
– Meta-Mathematik 5, 12, 13, 250
322 Sachregister

– metaphysica generalis 6–10, 14 241, 242, 245, 246, 250, 253, 275,
– metaphysica specialis 6–8, 10, 14 283–286
Materialität 23, 24, 36, 39, 65, 72, 73, 75, Naturart, natürliche Art, Art (εἶδος) 1–3, 10,
129, 149, 178, 248, 271–273, 278, 11, 13, 23, 24, 32, 33, 35, 59, 66–72, 75,
280–282, 286, 288, 289, 291, 298 80–82, 84, 88, 90–93, 95–97, 105, 106,
Materie, konkrete Materie, Stoff 23, 25, 54, 108, 109, 111–116, 119, 121–129, 135,
65, 68–71, 73–75, 77, 78, 97, 111, 114, 139, 143, 144, 146–149, 151–159,
117, 118, 123, 125, 129, 133, 135–139, 161–166, 170–174, 176–181, 183, 184,
144, 148–152, 154, 155, 158–162, 164, 186–190, 192, 194–211, 220–223,
165, 168–170, 172–174, 176–178, 225–228, 234–238, 240–254, 258–260,
180–182, 184, 185, 190, 196, 203–205, 262, 269, 271, 275, 279, 284, 286,
210, 211, 215, 226–230, 233, 234, 236, 296–298, 300, 301, 304
237, 241, 247, 248, 251–255, 257, 259, Naturentstehung, Physis 2, 18–20, 32, 35,
261, 262, 267, 269, 271–273, 278–280, 67–69, 82, 116, 117, 123, 132, 135, 151,
282, 285, 288–291, 293, 295–298, 154, 155, 159, 160, 164–171, 173–179,
300–302, 304 181–197, 200–205, 207–210, 238, 241,
– prima materia, Urmaterie, Urstoff 144, 245, 246, 248–250, 261–263, 269,
150–152, 247, 253–256, 298 275, 282–284, 286, 291, 299–301, 303
– sensible Materie 157, 211, 212, 226–230, Naturseiendes, natürliches Seiendes,
234, 236, 238, 251, 253, 258, 259, 297, Naturding 2, 18, 20, 33, 65, 75, 82, 91,
298, 300 108, 113, 121, 128, 129, 131–133, 135,
– intelligible Materie, Gattung 15, 28, 33, 148, 154, 155, 159, 160, 165–169, 173,
47, 66, 67, 69, 80, 82, 84, 88, 90, 91, 174, 177–181, 183–185, 188, 191–194,
93, 104, 105, 113, 114, 125, 134, 144, 203–209, 226, 227, 230, 242, 246, 248,
148, 149, 151, 154, 155, 157, 172, 203, 258, 270, 273, 279, 283, 286, 290, 299,
209, 211, 212, 226–230, 234, 304
236–238, 244, 251–253, 258, 259, Negation, negative Aussage 31, 97, 98,
270, 290, 297, 298, 300, 301, 304, 115–117, 141, 223, 250
306 Notwendigkeit 11, 19–22, 75, 83, 121, 154,
Mathematik 5, 12, 13, 22, 23, 28, 29, 64, 75, 168, 169, 178, 183–185, 195, 203, 204,
136, 154, 185, 186, 209, 216, 224, 228, 225, 240, 246, 249, 274, 275, 278,
250, 257–259, 299–301 284–287, 291, 299
Medizin, Heilkunst 21, 30, 36, 41, 47–49,
65–69, 173, 187, 191, 192, 198, 199, Ökonomik 21, 55, 59, 257, 263, 300, 302
262–264, 270, 302, 304 Ontologie 5–8, 10, 12, 86, 88, 137, 142, 185
Meinung 32, 43, 75, 77, 79, 211–213, 216,
217, 221–225, 245, 251, 296 Passivität, Erleiden, Leiden 24, 27, 65, 71,
Modalität, Modus, Seinsweise (modi 72, 74, 75, 94, 107, 121, 123, 126, 127,
essendi) 37, 40, 70, 75, 124, 141, 129, 133, 142, 149, 152, 154, 165, 166,
246–250, 282 169, 172, 177, 178, 181, 182, 236, 237,
Musik 92, 93, 101, 102, 104, 115, 131, 143, 241, 247, 251–253, 256, 257, 259, 260,
161, 256, 299, 304 262, 265–269, 271–273, 278, 280, 286,
288, 289, 291, 293, 296–298, 300–304
Namensgleichheit, Gleichnamigkeit 36, 39, per accidens 27, 28, 36, 38, 65, 73, 77, 87,
87, 88, 193, 194, 197 91–94, 96, 97, 100, 107, 111, 113, 128,
Natur, Physis 11, 12, 120, 154, 155, 175, 177, 142, 146, 153, 168, 169, 187, 192, 207,
178, 182, 183, 186, 195, 200, 204, 207,
Sachregister 323

212, 213, 218, 220, 222, 224, 240, 251, – Definitionsprinzip, definitorisches Prinzip,
252, 294–297 Prinzip der Definition 152, 223, 244,
per se 23, 26–29, 31, 38, 49, 65, 73, 77, 82, 306
83, 87, 91, 93, 94, 96, 97, 100, 103–105, – Entstehungsprinzip(ien) 2, 6, 10, 11, 14,
107, 108, 111, 113, 128, 135, 142, 146, 20, 26, 33, 152, 154, 156, 157, 160, 162,
153, 157, 167–170, 187, 191, 192, 198, 168, 169, 175, 204, 207, 209, 242,
204, 207, 208, 212–216, 218–220, 222, 257–259, 278, 306
224–226, 236, 237, 240, 245, 251, 252, – Wesensprinzip 11, 209, 242
254, 258, 273, 279, 288, 294–297 – materiales Prinzip, stoffliches Prinzip
Physik, zweite Philosophie, Naturforschung, 74, 135, 150, 152, 153, 157, 158, 160,
Ontik 4–6, 10, 12–15, 18, 20–25, 27, 28, 170, 171, 173, 182, 184, 204, 209, 242,
30, 35, 65, 75, 77, 108, 119, 133, 134, 248, 253, 258, 262, 290, 295, 306
142, 143, 155, 156, 177, 209, 215, 216, – formales Prinzip 74, 135, 153, 154, 157,
224, 242, 248, 250, 257–259, 270, 274, 160, 170, 171, 173, 182, 184, 204, 209,
299, 300, 301, 304, 305 248, 253, 258, 259, 261, 262, 295, 306
Platonisierung 4, 14 Prinzipiat 5, 12, 31, 32, 153, 154, 185, 208,
Platonismus 4 258, 305
Politik 21, 55, 59, 257, 263, 300, 302 Produktivität 149, 151, 180, 208, 223, 242
Prädikat, Verb 2, 7, 27, 31, 38, 40, 74, Proportion 33, 34, 42, 43, 63
81–87, 89, 91, 95, 96, 98, 99, 104, Prozessualität 72, 118, 126, 127, 131–133,
115–117, 140–142, 144–146, 148, 149, 176, 238, 268, 290
153, 182, 211, 214, 218, 220, 222–224,
226, 229, 239, 240, 242, 248–252, Sachverhalt 27, 31, 32, 65, 66, 72–75,
294–297 77–79, 81–86, 90, 91, 96–98, 100, 112,
– Akzidenzprädikat, akzidentelles 137, 140–143, 150, 152, 153, 157, 159,
Prädikat 73, 74, 87, 91–93, 95, 96, 116, 163, 182, 211, 213, 215, 222, 223, 226,
141, 153, 211, 214, 222, 226, 240 240, 242, 245, 251, 259, 294–296, 305
– Wesensprädikat, wesentliches Prädikat Sein 4, 5, 10, 13, 28, 31, 32, 34, 38, 39, 41,
2, 33, 87, 91, 93, 95, 96, 113, 146, 194, 44, 70, 73–75, 77, 79, 85–87, 96, 98,
207, 208, 211, 214, 223 100, 102, 109, 112, 115, 118, 139, 140,
Prädikation 4, 5, 11, 27, 32, 34, 37–41, 69, 73, 142, 209, 244–246, 249–251, 293–296,
74, 81, 82, 85–88, 90–93, 96, 97, 111, 305
116, 117, 141, 142, 153, 194, 195, 207, 208, Seiendes 6, 10, 22, 23, 28, 29, 31, 39, 44,
214–216, 222, 223, 226, 240, 245, 294 46, 48, 52, 65, 68, 70, 73, 79, 80, 81,
– Prädikationsstruktur 5, 40, 74, 87, 96, 97, 87-89, 101, 111, 112, 123, 130, 139, 145,
116, 144, 218, 220, 223, 225, 295 165, 175, 184, 188, 192, 200, 201, 205,
– Prädikationsweise 35, 37, 39, 87, 88, 207, 212, 213, 221, 247, 254, 259, 264,
93, 97 273–275, 277, 278, 284, 287, 295, 298,
Prinzip(ien) 4–6, 9–14, 23, 26, 28–32, 44, 299
48, 64–67, 70, 72–74, 102, 121, 122, – Naturseiendes, Naturding 10, 14, 19, 21,
128, 135, 143, 147, 150, 152–160, 35, 65, 72, 82, 156, 169, 178, 188, 191,
162–167, 171, 173, 174, 176, 182, 184, 206, 258, 283, 299
185, 198, 204, 208, 209, 211, 212, 215, Spontaneität 166, 187, 190–192, 198, 199,
223, 239, 242, 244, 248, 250, 253, 202, 266, 267
257–259, 261–263, 267, 270, 271, 274, Subjekt, Nomen 2, 7, 11, 27, 31, 40, 74, 77,
275, 279, 282, 284, 290, 291, 295, 81–87, 89, 90, 92, 93, 95, 96, 98, 99,
304–306 105, 112, 116, 117, 140–146, 148, 149,
324 Sachregister

151, 153, 194, 211, 214, 218–224, 226, – sensible Substanz, natürliche Substanz 6,
239, 240, 242, 248–252, 294–297 9, 14, 22, 24–28, 31–33, 35, 75, 215,
– letztes Subjekt, letztes logisches 242, 258, 271, 274, 275, 288, 290, 291,
Zugrundeliegendes, Einzelsubjekt, 294, 298, 305
Eigenname 84, 85, 90, 96, 143, 144, – formale Substanz 26, 150, 175, 176
148, 149, 151, 155, 242 – materiale Substanz 26, 150, 175, 176, 279
Substrat 2, 27, 74, 77, 84, 101–103, 109–111, Substantialität 8, 33, 44, 72, 111, 126, 127,
114, 117, 118, 128, 129, 142, 143, 145, 146, 131, 146–149, 176, 208, 242–244, 275,
149–151, 153, 157, 179, 181, 182, 185, 204, 281, 282
205, 215, 241, 242, 251, 252, 256, 262, Substantivierung 239, 240
264, 266, 267, 279, 294, 296, 297, 303 Syllogismus, Deduktion (συλλογισμός) 55,
– letztes Substrat, letztes ontisches 65, 91, 92, 154, 164, 185, 186, 193, 194,
Zugrundeliegendes, prima materia 150, 197, 200–203, 216, 224, 244, 245, 258,
151 260, 270, 271, 278, 285, 304
Substanz 6, 8, 13, 16, 17, 23, 24, 27, 29, 33, Systematik 3, 293
38, 40, 41, 46, 74, 78–84, 86, 93, 95, – systematisch 2, 3, 5, 14, 15, 30, 45, 73,
98, 100–103, 109–112, 140, 142, 79, 147, 152, 172, 177, 242, 271, 275,
144–146, 147–150, 159, 161, 176, 203, 293, 305
205–208, 214, 218, 220, 222, 223, 225,
230, 240, 242–244, 246, 249, 250, 252, Theologie, erste Philosophie 4–8, 10, 12, 14,
253, 256, 258, 269–271, 273–280, 282, 22–25, 39, 75, 209, 251, 257, 259, 274,
293–298, 304–306 299–301, 305
– erste Substanz, Einzelsubstanz, einzelne Transzendenz 288
Substanz, Existenz (existentia) 1, 2, 22, Transzendentalien, Gottesattribute 5, 7, 8,
23, 26–28, 31–33, 35, 40, 65, 66, 72–75, 14, 35, 37, 41, 94, 276
77, 81–87, 90, 94–96, 98–105, 109, 112, Transzendentalienlehre 5, 7, 276
114, 141–155, 157, 159, 160, 162, 165, 175,
176, 180–182, 197, 203, 205, 207–209, Übereinstimmung, Korrespondenz,
211, 215, 219, 221, 223, 225, 228, 234, Entsprechung 4, 13, 32, 42–45, 75, 77,
241, 242, 245, 251–253, 255–257, 259, 79, 85–88, 96–100, 102, 139–143, 214,
263, 271, 277, 290, 291, 294–298, 305, 215, 223, 245, 250, 287, 297
306 unbewegter Beweger, unbewegtes
– zweite Substanz, Wesenssubstanz, Bewegendes, erstes Bewegendes, erste
allgemeine Substanz, Wesenheit, Essenz Bewegungsursache, allererste
(essentia), primäre Substanz 35, 38, 44, Bewegungsursache, Gott 11, 24–26,
48, 54, 66, 75, 77, 81, 82, 84, 87, 88, 32, 35, 65, 157, 182, 212, 257–259, 271,
92–94, 96, 97, 105, 106, 113–116, 138, 272, 274–286, 288–291, 293, 294, 297,
143, 146–149, 151–153, 155, 157, 175, 176, 300, 301, 306
193, 195, 201, 202, 207–209, 211–213, Univokation, Wesensprädikation,
217, 219–223, 225, 227, 231, 233, 234, wesentliche Prädikation, per se-
237, 241, 242, 244–246, 252, 253, 271, Prädikation 16, 27, 32, 35–37, 39, 40,
290, 291, 294, 296–298, 306 69, 73, 74, 82, 87, 89–91, 93, 96–98,
– intelligible Substanz, übernatürliche 111, 116, 117, 142, 153, 195, 207, 208,
Substanz 6, 8–12, 14, 23–26, 31–33, 35, 223, 240, 245, 251, 294, 295
72, 75, 223, 242, 257, 258, 271, 274, 275, Ursache 9, 10, 18–20, 31, 32, 36, 66–68,
280, 281, 288, 289, 291, 294, 298, 305 70, 111, 128, 151, 152, 154–160,
162–169, 176, 177, 179–181, 185, 191,
Sachregister 325

192, 194, 197, 200, 209, 211, 226, 235, – Korrespondenztheorie der Wahrheit,
257–259, 271, 276, 280–282, 299, 305, Theorie der Übereinstimmungswahrheit
306 223, 224
– Bewegungsursache, Bewegungsprinzip, Wahrnehmung, Sinneswahrnehmung,
Wirkursache, wirkendes Prinzip 6, 14, sinnliche Wahrnehmung,
18–21, 24–26, 32, 66, 68, 69, 93, 135, Empfindung 11, 32, 53, 66, 109, 119,
154, 156–158, 162–164, 166–169, 171, 224, 230, 246, 248, 265–270,
173–176, 179–183, 188, 189, 191, 192, 303
194–200, 204, 206, 207, 226, 257–259, Wissenschaft(en) 1, 7, 10, 13, 15, 16, 19, 21,
261, 262, 267, 272, 276, 278–282, 284, 22, 29, 30, 65, 133, 139, 191, 201, 216,
288, 290, 299, 301, 306 224, 263, 274, 299, 300, 305, 306
– Formursache 135, 158, 159, 161, 169, 175, – Einzelwissenschaft, partikulare
176, 179, 180, 182, 187, 191, 194–199, Einzelwissenschaft, apodiktisch-
205, 206, 235, 236, 262, 290 syllogistische Einzelwissenschaft 3, 10,
– Stoffursache 68, 157, 158, 161, 163, 169, 13, 28, 29, 55, 64, 65, 134, 147,
175, 176, 180, 182, 206, 207, 235, 262, 214–216, 223, 258, 270, 271, 304, 305
276, 290 – Epistemologie, Erkenntnistheorie 75, 256,
– Zielursache 135, 157–159, 163, 164, 169, 257, 265, 270, 298, 300, 303
173–176, 179, 180, 182, 194–197, – theoretische Wissenschaft 15, 18, 20–22,
257, 290 75, 119, 133, 155, 256, 257, 263, 265,
269, 298–300, 303, 305
Veränderung 10–12, 14, 27, 28, 31, 32, 34, – poietische Wissenschaft 15, 18, 20, 75,
39, 44, 45, 65–75, 77, 79, 84, 94, 119, 133, 134, 256, 257, 261, 263, 265,
100–104, 106–140, 142, 143, 145, 153, 269, 298–301, 303
155, 159–167, 177, 193, 200, 203, 207, – praktische Wissenschaft 15, 18, 21, 22,
209, 213, 215, 219, 245, 246, 250, 251, 75, 119, 133, 134, 256, 257, 263–265,
255, 256, 258, 263, 265, 266, 269, 291, 269, 298–303
293–296, 303–305 Wissenschaftsdisziplin, wissenschaftliche
Vier Ursachen, vier Prinzipien, vier Disziplin 20, 21, 30, 213, 265, 270,
Entstehungsprinzipien 66–68, 70, 111, 298–301, 304
154, 156–160, 163–165, 169, 175–177,
181, 209, 211, 257, 306 Zugrundeliegendes (ὑποκείμενον) 7, 27,
– Form, Privation, Stoff und Wirkendes/ 28, 51, 64, 67, 70, 73, 74, 78–86, 92,
Wirkursache 68, 70, 156, 158, 164, 165, 93, 95, 98, 102, 109–112, 116–118,
257 122–124, 126–129, 131, 132, 140, 142,
– Stoff-, Form-, Wirk- und Zielursache 143, 146–150, 152, 159–162, 164, 165,
156–159, 163, 169, 175, 257, 276 171, 172, 181, 212–216, 218–222, 224,
Vier-Ursachen-Lehre 111, 154, 156–159, 163, 237, 240, 242, 251, 252, 254, 256, 259,
164, 169, 176, 177, 181, 209, 211, 257, 306 295–297, 304, 305
– ontisches Zugrundeliegendes, ontisches
Wahrheit 7, 16, 22, 44, 97–100, 137, Substrat, Substrat (substratum) 74, 77,
139–141, 215, 223, 224, 269, 306 84, 100, 102, 109, 114, 142, 145, 146,
– Übereinstimmungswahrheit, 149–151, 297
Korrespondenzwahrheit 75, 79, 97, 98, – logisches Zugrundeliegendes, logisches
100, 139–142, 214–216, 245 Subjekt, Subjekt (subiectum) 8, 40,
74, 77, 78, 80, 81, 83–86, 89, 95, 96,
105, 112, 114, 116, 140, 142–146, 148,
326 Sachregister

149, 151, 181, 214, 218, 226, 248, 250, Zwang, Zwangsläufigkeit 184, 185, 285
297 Zufall, Zufälliges, Zufälligkeit 11, 18, 19,
– ontologisches Zugrundeliegendes, 21, 41, 82, 83, 121, 166, 168, 204, 212,
ontologische Substanz, Substanz 246, 287, 299
(substantia) 31, 37, 38, 40, 41, 74, 77, 80, Zweck, Ziel, Werk 20, 21, 49, 120, 121, 124,
81, 86, 100, 102, 109, 114, 142–146, 148, 125, 132, 169, 173–176, 179, 180, 194,
151, 202, 209, 215, 218, 226, 250, 276, 195, 197–199, 204, 276, 279, 284, 285,
277, 288, 297 291
Zukommendes, Zukommenheit – Zweckmäßigkeit, natürliche Notwendigkeit,
(συμβεβηκός) 16, 19, 21, 27, 28, 31, teleologische Notwendigkeit,
50, 73, 77, 81–83, 86, 87, 92–94, 101, Selbstzweck 11, 20, 21, 120, 132,
103, 107, 114, 116, 117, 128, 142, 146, 154, 169, 173, 174, 178, 180, 183–185,
162, 165, 166, 168, 180, 186, 187, 189, 191, 203, 204, 246, 284–286,
190, 211–213, 216, 224, 240, 244, 254 290, 291

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