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Corona-Impfstoffe: Hersteller verhindern ein klares Bild https://www.nzz.ch/wissenschaft/covid-19-mehr-nebenwirkungen-als-g...

Streitpunkt Nebenwirkungen: Die Hersteller der Corona-Impfstoffe


verhindern ein klares Bild
Unabhängige Forscher haben die verfügbaren Studiendaten, die zur Zulassung der zwei
wichtigsten Corona-Impfstoffe geführt haben, nochmals analysiert. Dabei haben sie
mehr schwere Impfnebenwirkungen gefunden, als in den offiziellen Publikationen
genannt worden waren. Das ruft nach einer Erklärung – und einer Forderung.
Nicola von Lutterotti
Aktualisiert
16.09.2022, 15.05 Uhr

Ein Mann spaziert Anfang 2022 durch die indische Stadt Mumbai – im Hintergrund ein
Wandgemälde, das die Impfaktion gegen Covid-19 thematisiert.
«Hindustan Times» / Imago

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Corona-Impfstoffe: Hersteller verhindern ein klares Bild https://www.nzz.ch/wissenschaft/covid-19-mehr-nebenwirkungen-als-g...

Die Komplikationsrate bei den mRNA-Impfstoffen gegen das neue Coronavirus


scheint höher gewesen zu sein, als von den Herstellern Pfizer/Biontech und
Moderna in ihren Publikationen angegeben worden ist. Zu diesem Ergebnis
kommen Wissenschafter aus Amerika nach Begutachtung der Studien, die zur
Zulassung der beiden Vakzine geführt haben.

Peter Doshi von der University of Maryland und seine Kollegen haben sich zwar
auf die gleichen Daten gestützt wie die Impfstoffhersteller. Bei ihren
Berechnungen sind sie jedoch teilweise anders vorgegangen. Um ein Beispiel zu
nennen: Im Unterschied zu den Pharmafirmen haben sie die Zahl von schweren
Nebenwirkungen nicht mit jener der davon betroffenen Probanden
gleichgesetzt, sondern vielmehr alle unerwünschten Ereignisse dieser Art
gezählt. Dieses Vorgehen trägt dem Umstand Rechnung, dass bei manchen
Personen mehrere Komplikationen nach der Corona-Impfung aufgetreten sind.

Pfizer/Biontech und Moderna auf dem Prüfstand

Wie die Wissenschafter im Fachjournal «Vaccine» schreiben, hätten ihre


Analysen ergeben, dass bei den geimpften Versuchsteilnehmern rund 16 Prozent
mehr schwere Gesundheitsschäden vorgekommen sind als bei den Probanden
der Placebo-Gruppe – also jenen Jugendlichen und Erwachsenen, denen die
Ärzte ein pharmakologisch unwirksames Mittel in den Muskel injiziert hatten.
Beim mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech betrug der Anstieg 36 Prozent und
bei jenen von Moderna 6 Prozent mehr. Berechnet auf 10 000 Personen,
ereigneten sich im geimpften Kollektiv laut den Berechnungen der
Wissenschafter somit durchschnittlich 13 mehr ernste Zwischenfälle als in der
Placebo-Gruppe. Bei Pfizer/Biontech waren es 18 und bei Moderna 7.

Was die Art der Komplikationen angeht, nahmen Herzschädigungen, etwa


Herzmuskelentzündungen, sowie Thrombosen und andere Störungen der

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Blutgerinnung eine Spitzenposition ein. Laut den amerikanischen


Wissenschaftern legen die Resultate ihrer Berechnungen den Schluss nahe, dass
nach Applikation der mRNA-Impfung deutlich mehr ernste Zwischenfälle
aufgetreten sind als nach der Anwendung von Placebo. Demgegenüber habe die
amerikanische Arzneimittelbehörde FDA von einem «ausgeglichenen Risiko»
gesprochen.

Dass auch im Placebo-Kollektiv, also in der zum Schein geimpften Gruppe,


etliche Komplikationen aufgetreten sind, mag auf den ersten Blick erstaunen.
Diese Beobachtung führt indes vor Augen, wie gross das gesundheitliche
«Hintergrundrauschen» sein kann und wie wichtig es daher ist, es zu messen.
Denn nicht alles, was mit den neuen Impfstoffen in Verbindung gebracht wird,
lässt sich diesen auch tatsächlich anlasten. Und umgekehrt sind die
zulassungsrelevanten Studien nicht in der Lage, die Sicherheitsrisiken der neuen
Vakzine vollständig zu erfassen. Dazu sind ihre Laufzeiten zu kurz und ist die
Zahl der untersuchten Probanden nicht gross genug.

Umso wichtiger wäre es, die bereits vorhandenen Resultate gründlich zu


analysieren. Das gilt vor allem auch deshalb, weil diese einen erheblichen Anteil
der Weltbevölkerung betreffen. Schliesslich wurden die neuen Impfstoffe
mittlerweile millionenfach angewandt. Besonders gross ist der
Informationszuwachs dabei, wenn man die – freilich anonymisierten – Daten
der einzelnen Versuchspersonen gesondert und nicht en bloc auswertet.

Peter Doshi, University of Maryland, fordert mehr Transparenz

Solche Analysen scheitern indes an der Intransparenz der Impfstoffhersteller.


Denn diese halten die Daten ihrer Versuchspersonen unter Verschluss – eine
gängige Praxis, die Doshi und etliche andere Wissenschafter seit Jahren
anprangern, und das teilweise mit Erfolg. So hat der Pharmazie-Professor

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massgeblich dazu beigetragen, dass die Firma Roche alle Studiendaten, die sie im
Rahmen der Zulassung ihres Grippemittels Tamiflu erhoben hatte, für eine
unabhängige Analyse zur Verfügung stellen musste. Wie sich dabei zeigte, besitzt
dieses Medikament eine sehr viel geringere therapeutische Wirkung als vom
Hersteller angegeben und hat obendrein teilweise bedenkliche Nebenwirkungen.

Auch Gerd Antes, ehemals Leiter des Cochrane-Zentrums in Deutschland,


bezeichnet die geringe Offenheit der Impfstoffhersteller als extrem
kontraproduktiv. «Es gibt überhaupt keinen Grund, die anonymisierten Daten
der Versuchspersonen zurückzuhalten», stellt der Mathematiker und Medizin-
Statistiker auf Anfrage klar. «Auch das Cochrane-Zentrum – ein Netzwerk von
unabhängigen Forschern, das sich dafür einsetzt, dass gesundheitsrelevante
Entscheidungen auf der Basis von wissenschaftlicher Evidenz gefällt werden –
leidet seit langem unter der Geheimniskrämerei der Pharmafirmen», sagt Antes.

So geht laut dem Mathematiker aus den Studienrohdaten unter anderem hervor,
an welchen Vorerkrankungen eine Versuchsperson, bei der es zu einem ernsten
Zwischenfall gekommen ist, gelitten hat und wie lange nach der Impfung die
Komplikation aufgetreten ist. «Damit lässt sich sehr viel eher abschätzen, mit
welcher Wahrscheinlichkeit das Ereignis auf die Immunisierung zurückgeht»,
erklärt Antes. Wenn Pharmafirmen, aber auch akademische Forscher gezwungen
wären, die Rohdaten offenzulegen, wäre es ausserdem sehr viel schwieriger,
Daten zu manipulieren, fügt der Wissenschafter hinzu. Um ein Beispiel zu
nennen: Pharmafirmen könnten beispielsweise versucht sein, die Messlatte für
Nebenwirkungen in der Placebo-Gruppe besonders tief zu halten, damit ihr
Medikament besonders gut dasteht.

Eine solche Tendenz entdeckten Doshi und seine Kollegen bei der Studie von
Moderna. Wie der Studienautor auf Anfrage sagt, hätte die FDA das erhöhte
Risiko für schwere Nebenwirkungen der Impfstoffe und die unterschiedliche

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Klassifizierung solcher Ereignisse in den Studien von Moderna eigentlich


erkennen müssen. Denn diese seien offenkundig gewesen. Warum die Behörde
diese nicht gesehen habe, sei wenig nachvollziehbar.

Keine generellen Zweifel an Sicherheit der mRNA-Impfstoffe

Wenngleich bedenklich, sind die Erkenntnisse der amerikanischen Forscher noch


kein Grund, an der Sicherheit der mRNA-Impfstoffe grundsätzlich zu zweifeln.
Selbst Doshi und seine Kollegen räumen ein, dass sie keine so weitreichenden
Schlussfolgerungen erlaubten. Zwei Co-Autoren der Analyse geben in einem
Meinungsartikel gleichwohl zu bedenken, dass eine vergleichbar hohe Rate an
schweren Nebenwirkungen – ein Fall pro 800 Geimpfte – bei anderen
Impfstoffen kaum akzeptiert würde.

Die beiden Autoren, Robert Kaplan von der Stanford University und Sander
Greenland von der University of California, stellen den Nutzen der mRNA-
Vakzine zwar nicht in Abrede. Wie sie betonen, dürften diese in erster Linie
betagten Personen und solchen mit chronischen Krankheiten zugutekommen.
Sehr viel weniger klar ist demnach, welche Gruppen in besonderem Masse von
schweren Impfreaktionen bedroht sind. So gebe es möglicherweise Personen, die
nur ein geringes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 hätten, aber ein
hohes Risiko für ernste Impfkomplikationen aufwiesen. Kaplan und sein Kollege
appellieren daher an Pfizer, Moderna und die FDA, alle Informationen
herauszugeben, die notwendig sind, um die Impfstoffe umfassend beurteilen zu
können.

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