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IG Metall

Schweinfurt

Abgrund
und

Aufstieg
25 Jahre gewerkschaftliche Betriebsarbeit
Inhalt
1 Krise 1993 – Ende des Wachstums bei FAG? 8
Gestaltungskraft der IG Metall bei umwälzenden Veränderungen

2 „Keine Kündigungen in der Krise!“ 16


Die Beschäftigungsvereinbarung bei FAG/Schaeffler Schweinfurt

Impressum
3 Qualifizierungs- und Beschäftigungs-GmbH 30
Herausgeber: Peter Kippes, IG Metall Leiharbeit zu tariflichen Bedingungen
Schweinfurt, Manggasse 7, 97421 Schweinfurt
Verfasser: Norbert Lenhard, Michael Kraus
Mitarbeit: Elke Hirt, Stephan Kuserau, Roland Budz 4 Campus und Job 44
Fotos: Helmut Heimrich, Bernd Kupilas, IG Metall, Ein innovatives Beschäftigungsinstrument
Archiv Klaus Hofmann, Archiv Betriebsrat,

5
Hannes Helferich, Waltraud Fuchs-Mauder,
Kritische Akademie Inzell, Werner Bachmeier Mehr Sicherheit durch Flexibilität 50
Gestaltung: Werner Enke
Arbeitszeitregelungen bei Schaeffler Schweinfurt
Druck: Rudolphdruck, Ebertshausen
Schweinfurt, Januar 2018

6 „Ohne uns läuft nichts!“ 60


Der Kampf um die Arbeitsbedingungen im Lager- und
Verteilzentrum 1998-2016

7 Gewerkschaftliche Antworten auf die Krise 66

Gespräch mit Wolfgang Müller 74

Werner Neugebauer im Gespräch 76

Gespräch mit Helmut Haferkorn 82

Peter Kippes im Gespräch 88



6 7

Vorwort von IG Metall Bezirksleiter Jürgen Wechsler entwickelten auch neue. So konnten sie selbst nach der Großdemonstration den
öffentlichen Druck noch weiter steigern. Medienwirksam wurden zum Beispiel

Zukunft braucht Brieftauben frei gelassen und Mahnwachen mit Kerzen organisiert.
So hat die IG Metall in Schweinfurt ihr Handeln mit der Krise der 1990er Jahre
grundlegend verändert – von einer passiven zu einer aktivierenden und zukunfts­

Herkunft orientierten Gewerkschaftsarbeit. Das hat entscheidend dazu beigetragen,


dass heute wieder rund 20 000 Menschen in der Schweinfurter Metallindustrie
beschäftigt sind. Die aktivierende Gewerkschaftsarbeit hat zudem dafür gesorgt,
dass die IG Metall Schweinfurt an Stärke gewonnen hat und somit in betrieblichen
Konflikten und Tarifrunden handlungs- und mobilisierungsfähig ist.
Ohne die Betriebsräte und die IG Metall würde es den Aktiv auf die unternehmerischen Entscheidungen einzuwirken, ist in Schweinfurt
Industriestandort Schweinfurt in seiner heutigen Form auch 25 Jahre nach der Krise noch das Mittel der Wahl, um die Arbeit in der Region
und Stärke nicht mehr geben. So viel Selbstbewusstsein zu halten. Die Arbeitnehmervertreter haben sich einen Stellenwert erarbeitet,
dürfen wir haben, das klar auszusprechen. Denn in der der es ihnen ermöglicht mitzugestalten. Ein aktuelles Beispiel ist die Schließung
großen Krise der Schweinfurter Wälzlagerindustrie ab des Schaeffler-Werks in Elfershausen. Die Schließung konnte die IG Metall nicht
Anfang der 1990er Jahre waren es die Arbeitnehmer­ verhindern. Es ist aber gelungen, den Standort Schweinfurt zu stärken und für
vertreter, die Strategien für die Zukunft der Betriebe die Zukunft aufzustellen – mit neuen Arbeitsplätzen in der Produktion und
entwickelten. neuen innovativen Produkten und Projekten. Den Beschäftigten aus Elfershausen
Eine wichtige Rolle spielte dabei die Mobilisierung der Belegschaften und der konnten attraktive Arbeitsplätze in Schweinfurt angeboten werden.
Öffentlichkeit. Aufgerüttelt von einem Bedrohungsszenario für die ganze Region, Besonders wichtig wird es für die IG Metall und ihre Betriebsräte sein, die aktuel­
erarbeiteten die IG Metall-Betriebsräte Konzepte, wie gemeinschaftlich gegen die len Herausforderungen für Schaeffler mitzugestalten: Elektromobilität und
Maßnahmen der Arbeitgeber vorgegangen und wie Beschäftigung auch während Digitali­sierung. Die Arbeitnehmervertreter haben ihren Beitrag geleistet, dass
Krisenzeiten gesichert werden kann. Die Aktiven der IG Metall begannen damit, Schaeffler für diesen Wandel bereits ein durchgängiges Konzept besitzt, was die
die Solidarität unter den Beschäftigten zu organisieren und durch gemeinsame zukünftige Ausrichtung betrifft. Zentral sind dabei technologische Entwicklungen
Proteste über die Betriebsgrenzen hinweg den Widerstand gegen die Pläne der sowie Konzepte zur Aus- und Weiterbildung hinsichtlich neuer qualifikatorischer
Unternehmer aufzubauen. Der Protest stand unter dem Motto: „Stoppt den Anforderungen im Betrieb. In Sachen Elektromobilität ist Schaeffler auf einem
Arbeitsplatzabbau – die Region muss weiterleben!“ Höhepunkte waren eine guten Weg sich einzubringen, mit großen Investitionen. Ebenfalls gut und wichtig
Kundgebung am 13. Februar 1993 mit 13 000 Kolleginnen und Kollegen und ein ist, dass Schaeffler ein integrierter Industriekonzern bleiben wird, der auch künftig
achttägiger Marsch von Schweinfurt nach Bonn. auf die Bereiche Automotive und Industrie setzt.
Die Betriebsräte und Vertrauensleute der IG Metall sorgten in dieser Zeit durch Mit unseren Ideen tragen wir also dazu bei, dass Schaeffler gute Geschäfte macht.
kreative Aktionen und viele Diskussionen dafür, dass sich die Wut und die Auch deshalb ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass für die Beschäftigten
scheinbare Ohnmacht der Beschäftigten in aktive Solidarität verwandeln konnten. die Flächentarifverträge der Metall- und Elektroindustrie gelten müssen. Auf
Die Metallerinnen und Metaller variierten ihre Protestformen immer wieder und diesen Punkt werden wir auch in Zukunft besonderes Augenmerk legen.
8 Krise 1993 – Ende des Wachstums? 9

Krise 1993 – Ende


des Wachstums 1 Die Arbeitslosenquote in Schweinfurt lag 1993 bei 12 Prozent und gehörte
damit zu den höchsten im damaligen Bundesgebiet. Vorausgegangen war
der Niedergang traditionsreicher Metallbetriebe wie Fenster Vogel und die

bei FAG? Meisterwerke (Näh­maschinen) sowie Personalabbau bei SKF. Auch FAG
Kugelfischer und Fichtel & Sachs passten ab 1991 die Kapazitäten an, so dass
trotz des Wiedervereinigungsbooms die Warnzeichen unübersehbar waren.
Schweinfurt wusste um seine Abhängigkeit von der Metallindustrie und die
Gestaltungskraft der IG Metall
IG Metall sensibilisierte die Öffentlichkeit bereits im Frühjahr 1992 mit
bei umwälzenden Veränderungen Hinweisen auf die industrielle Monostruktur.

Die weltweite Nachfragekrise 1992/93 traf die FAG Kugelfischer AG in existenz­


bedrohender Weise. Seit vielen Jahren ertragsschwach, mit Umsatzrenditen von
3 bis 5 Prozent, ging das Management mit der vollständigen Übernahme der
ostdeutschen Wälzlagerindustrie DKFL und dem Kauf der koreanischen Hanwha-
Gruppe zu große Risiken ein.
Das aufgeblähte Management mit zu vielen Hierarchieebenen erwies sich als wenig
handlungsfähig. Im Dezember 1992 war das Unternehmen mit 2,2 Mrd. DM
verschuldet. Die Banken verlangten angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit
umfassende Umstrukturierungen, die der bekannte Firmensanierer Dr. Kajo
Neukirchen in kurzer Zeit durchsetzte.
Der Vorstand wickelte die ostdeutschen Standorte ab, Unternehmensteile wie
die FTE in Ebern wurden verkauft und das Personal halbiert.

Größte Demonstration Schweinfurts


Am 13. Februar 1993 folgten 13.000 Menschen dem Motto der
IG Metall „Stoppt den Arbeitsplatzabbau – Keine weiteren Verlagerun-
gen – Die Region muss weiterleben“ zu einer Demonstration und Kundgebung
auf dem Marktplatz. Mit den Forderungen sind die drei Stoßrichtungen der
Interessenvertretung benannt:
10 Krise 1993 – Ende des Wachstums? 11

• Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung, Die damalige CSU-Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser kritisierte die
• Einmischung in betriebliche Entscheidungen, „Untergangsstimmung“, die sie den Aktionen der IG Metall zuordnete und setzte
• Regionale Industriepolitik. auf Arbeitsplätze in Kultur und Dienstleistung. Die Auslagerung der EDV von
Die gewerkschaft­­­­ Kugelfischer an IBM mit bis zu 630 Arbeitsplätzen (Stand vom 5. März 2005)
lichen Ver­trauens­ war ein Leuchtturm dieser Strategie. Ab 2005 baute das Unternehmen jedoch
leute organisierten das Personal ab. 2015 gab das Unternehmen das Rechenzentrum in Schweinfurt
mehrere Groß­ auf und Schaeffler erwarb das Gebäude. In den Krisenjahren entstanden viele
demon­­strationen Klein- und Mittelbetriebe aus ausgegliederten Aktivitäten der Metallindustrie. Vom
in Schweinfurt. Die Konstruktionsbüro bis zur Qualitätssicherung tragen diese Unternehmen heute
Mahnwache am Tor 1 zum industriellen Netzwerk bei.
von FAG sowie eine
Menschenkette von
den Betrieben SKF,
Fichtel & Sachs und
FAG zum Arbeitsamt
brachten tausende
von Menschen auf
die Straße.
Vom 13. bis 21.
Oktober 1993 folgte
der Marsch nach
Bonn. Vier Frauen,
35 Männer und ein
Hund trugen das
Menschenkette im September 1993 Sternmarsch zum Arbeitsamt
Motto „Kanzler,
mach die Augen auf – Schweinfurt wird ein Armenhaus“ über rund 320 Kilometer ins Gerade weil die Aktionsformen der IG Metall bundesweit für Auf­merk­samkeit
Kanzleramt. sorgten, gelang es der Oberbürgermeisterin, strukturpolitische Maßnahmen nach
Schweinfurt zu holen. Das Museum Georg Schäfer, mit bedeutenden Werken der
Mit Unterstützung des IMU-Instituts entwickelte die IG Metall ein Malerei, wurde mit Landesmitteln und aus einer Stiftung der Eigentümerfamilie
Konzept für die regionale Industriepolitik. In großen Konferenzen mit Schäfer errichtet. Teile des Landessozialgerichts und des Landesamtes für Statistik
Betriebsräten, Kommunalpolitikern und Vertretern der Landesregierung brachten rund 300 krisensichere Arbeitsplätze nach Schweinfurt. Das im Oktober
war eine breite Beteiligung der Akteure sichergestellt. Davon geblieben ist das 2002 eröffnete Konferenzzentrum mit Hotel auf der Schweinfurter Maininsel ist
sogenannte Gründer- und Innovationszentrum (Gribs) unter Federführung der ganzjährig ausgebucht.
Industie- und Handelskammer.
12 Krise 1993 – Ende des Wachstums? 13

• Teilautonome Gruppenarbeit mit Wahl der Gruppensprecher durch


die Mitarbeiter im Team wurde gestartet.
• Es wurde eine Standardprämie mit zusätzlichen Elementen der
Mitarbeiterbeurteilung eingeführt.
• Ein ständiger Verbesserungsprozess floss in das Ideenmanagement ein.
• Arbeitszeitflexibilität trat an die Stelle von „Heuern und Feuern“.

Bereits Mitte 1994 fasste die FAG Kugelfischer AG wirtschaftlich wieder Tritt. Es
kam erstmals wieder zu Neueinstellungen. Nicht wenige der frisch eingestellten
Beschäftigten gehörten zu den vorher entlassenen Arbeitnehmern. Betriebsräte und
IG Metall legten auf Basis ihrer Erfahrungen in der Krise die eigenen strategischen
Grundannahmen neu fest. Dies hatte umfassende Auswirkungen für die Arbeit der
betrieblichen Interessenvertretung:

• Die Auseinandersetzungen wurden ab diesem Zeitpunkt viel stärker


im Konflikt ausgetragen.
• Frühzeitig fragten die Betriebsräte und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat jetzt
nach wirtschaftlichen Zusammenhängen und Unternehmerstrategien,
Demonstration auf dem Marktplatz 1993
um rechtzeitig handeln zu können und von der Defensive in die Offensive
zu kommen. Die IG Metall gab beispielsweise 1998 und 2004 eine Studie zur
Der Widerstand gegen Arbeitsplatzabbau konnte die Verringerung der
wirtschaftlichen Lage der Wälzlagerindustrie in Auftrag und lud Betriebsräte zu
Mitarbeiterzahl jedoch nicht aufhalten. Mit Abfindungen durch einen
Branchenkonferenzen ein.
abgeschlossenen Sozialplan und Vorruhestandsregelungen in Verbindung mit
• Vereinbarungen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung verknüpften
Arbeitslosengeld verabschiedeten sich 1993 allein bei FAG 2.400 Beschäftigte
die von den Unternehmen gewünschte höhere Flexibilität der
innerhalb von wenigen Monaten. Die ausgesprochenen Kündigungen sowie die
Arbeit­­nehmer mit der von Belegschaften, IG Metall und Betriebsräten
Ungewissheit in Bezug auf das Überleben des Unternehmens veranlassten viele
gewünschten Zusicherungen von Kündigungsschutz und
Mitarbeiter, eine Alternative anzustreben.
Standortsicherung.
• Neue Werkzeuge zur Beschäftigungssicherung, wie Zeitkonten
Mit Lean-Management aus der Krise
und Gruppenarbeit, trugen wesentlich zur Modernisierung der
Mit dem radikalen Personalabbau leitete das neue Management tiefgreifende
Arbeitsbeziehungen – unter Verteidigung der tariflichen Rahmen- ­
Veränderungen im Betrieb ein:
setzung – bei.
• In drei Hierarchieebenen delegierte der Vorstand Entscheidungen
• Mit der Gründung der tariflichen Leiharbeitsgesellschaft QB
nach unten.
(Personaldienste Qualifizierung und Beschäftigung GmbH), der Einrichtung
• In der Halle F bauten die Ingenieure eine neue Zellenfertigung nach
der Arbeitszeitkonten, dem Projekt „Campus und Job“ sowie dem Kampf um
japanischen Lean-Management-Methoden auf.
14 Krise 1993 – Ende des Wachstums? 15

Entwicklung der Gesamtbelegschaft FAG am Standort Schweinfurt


Jahr Angestellte Arbeiter Gesamtbelegschaft

1990 10517
1991 9879
1992 9007
1993 5470
1994 5009
1995 5207
1996 5206
1997 5161
1998 5057
1999 5160
2000 5406
2001 5214
2002 5078
2003 4956
2004 4868
2005 5025
gute Arbeitsbedingungen im Lager- und Verteilzentrum (LVZ) erwiesen sich
2006 5712
IG Metall und Betriebsräte bei der FAG Kugelfischer AG als gleichermaßen 2007 5939
konfliktbereit wie lösungsorientiert. 2008 2074 3283 5824
2009 2029 3052 5485
Die IG Metall gewann mit dieser strategischen Neuausrichtung nach der 2010 2076 3282 5836
Krise erheblich an Zustimmung. In den Betrieben, insbesondere bei der FAG 2011 2199 3453 6149
2012 2357 3415 6234
Kugelfischer AG, stieg der gewerkschaftliche Organisationsgrad deutlich.
2013 2353 3271 6053
Das industriepolitische Profil machte zudem die IG Metall und die Betriebsräte
2014 2474 3178 6110
regional zu anerkannten Partnern der Politik und in der Öffentlichkeit. 2015 2567 3009 6047
2016 2593 2904 5999
07/2017 2694 2921 6070
Literatur:
„Auf dass der Mensch ein Mensch bleibt“. DGB-Kreis Main-Rhön/Schweinfurt, 1998
10.000 Arbeitsplätze in Schweinfurt abgebaut!

„Schweinfurt: kleine Stadtgeschichte“. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2014
Jahr 1990 1991 1992 1993
„Durchblick“: IG Metall-Vertrauensleute bei FAG informieren. Ausgaben 39/März 1993; FAG 10.517 9.879 9.007 5.470
40/Juli 1993; 41/Oktober 1993; 42/Dezember 1993. F&S 9.980 10.248 7.759 6.954
SKF 6.110 5.796 4.750 4.720
Summe 26.607 25.923 21.516 17.144
16 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 17

Keine Kündigungen
in der Krise! 2 1993 endeten die goldenen Zeiten der Wälzlagerindustrie. Das Management von
FAG Kugelfischer hatte die Zeichen der Zeit nicht zu deuten gewusst.

Bürokratische Managementstrukturen, veraltete Fabrikorganisation, Übernahme


Die Beschäftigungsvereinbarung bei Schaeffler
der DDR-Wälzlagerkombinate mit 15.000 Mitarbeitern brachten das Traditions­
unternehmen in eine Verschuldungskrise. Die Banken bestellten Kajo Neukirchen
als Sanierer, der mit einem Kahlschlag alleine in Deutschland 6.500 Arbeitsplätze –
davon 2.700 in Schweinfurt – abbaute. 6.500 Arbeitsplätze, u. a. das Werk in Ebern
für Bremshydraulik, wurden verkauft.

Nach schmerzlichen Maßnahmen der Restrukturierung, des Widerstandes


gegen Personalabbau und des Kampfes für regionale Industriepolitik orientierte
sich der Betriebsrat nach der Wahl 1994 neu. Die IG Metall organisierte

1983  Zeit  strahl  


Umwandlung der Rechtsform in die „FAG Kugelfischer Georg Schäfer Börseneinführung der
Kommanditgesellschaft auf Aktien“. Das Kapital verbleibt bei den bisherigen FAG-Aktie. Aus dem Stammkapital
Gesellschaftern, neue Aktien sollen an der Börse zugänglich werden. Bestellung von 165 Mio. DM werden Inhaber­
eines Aufsichtsrates nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976. Kapitalerhöhung aktien zum Nennwert von 80 Mio.DM
um 60. Mio. DM auf 165 Mio. DM. angeboten. Der Kaufpreis einer
50 DM-Aktie beträgt 310,00 DM.
Erste Ausgabe von Genussrechten in Höhe von 18 Mio. DM an die Mitarbeiter.
51,5 Prozent des Grundkapitals
Erstmals in der Nachkriegszeit: Entlassungen bei FAG (180 Mitarbeiter). bleiben im Besitz der Familie Schäfer.

1984 1985
Kampf um Arbeitszeitverkürzung in der Metall- und Elektro- Einführung der 38,5-Stunden-Woche
industrie: Siebenwöchiger Streik der IG Metall in Nordwürttem- bei vollem Entgeltausgleich plus 2,2%.
berg/Nordbaden und Hessen für 35-Stunden-Woche. Vereinbarung der übertariflichen »Durchblick« vom Mai 1985
Ergebnis: Einigung auf Reduzierung der 40-Stunden-Woche 3-Schicht-Zulage durch den Betriebsrat.
auf 38,5 Stunden bei vollem Entgeltausgleich.

18 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 19

Branchenkonferenzen und beauftragte zwei umfassende Branchenanalysen zur Die Risiken für die FAG-Standorte und die Beschäftigten in den deutschen
„wirtschaftlichen Situation der deutschen und weltweiten Wälzlagerindustrie“ Standorten traten durch die Analysen deutlich hervor. Arbeitnehmer im
in den Jahren 2001 und 2004. Die eigenständigen Analysen von IG Metall und Aufsichtsrat, Betriebsräte im Wirtschaftsausschuss und die IG Metall
Betriebsräten zeigten folgendes Bild: befassten sich frühzeitig mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, um
• Die konjunkturelle Entwicklung zeige für Europa ein geringes rechtzeitig gegensteuern zu können. Gleichzeitig erhöhte das Management den
Marktwachstum. Modernisierungsdruck.
• Die Wälzlagerunternehmen werden ihr Netz an Produktionsstandorten
international auslegen. Die FAG Kugelfischer AG hat mit Hanwah Nach den Lean Management-Strategien aus der japanischen Toyota-
in Südkorea bereits einen Brückenkopf in Asien. Philosophie stellte der Vorstand die Fabriken vollständig um: Zellenfertigung
• In der Branche wird heftig restrukturiert. Wichtigster Impuls ist dabei nach ganzheitlichen Produktionskonzepten, umfassender kontinuierlicher
das Bestreben, sich für das Wachstum in den Entwicklungsregionen Verbesserungsprozess, teilautonome Gruppenarbeit, schlanke dreistufige
Mittel-Ost-Europa, China und Ostasien richtig zu positionieren. Hierarchie.
• Eine weitere Konzentration der Branche ist zu erwarten.
Tatsächlich hat SKF 2003 ein Werk im Saarland geschlossen. Der Betriebsrat begleitete diese Veränderungen konstruktiv durch
2001 übernimmt INA die FAG Kugelfischer AG, die ihrerseits an einer den Abschluss von Betriebs­verein­barungen, weil doch die Chancen der
Kooperation/Fusion mit dem japanischen Konzern NTN arbeitete. Veränderungen überwogen. Heftige Konflikte entstanden bei der
Später übernimmt Timken Torrington. • Ausdehnung der Arbeitszeitmodelle auf das Wochenende sowie beim
[Quelle: INFO Institut Saarbrücken, Blaue Reihe 411; IG Metall Juli 2004].

 1987 1988
Streichung des Einführung des tariflichen
Weih­nachtsgeldes Monatslohnes für Arbeiter,
(5,00 DM pro in Angleichung an die
Dienstjahr) und Angestellten. Einführung
des 100,00 DM- der 37,5 Stunden-Woche
Sparbuchs für bei vollem Engeltausgleich
Kommunion/ plus 2% Lohn und Gehalt.
Konfirmation.
Streichung der 1989
Senioren­feiern und 37-Stun­den-Woche bei
der Treffen des vollem Entgeltausgleich
Betrieblichen Vor­ plus 2,5%.
Streik bei FAG Kugelfischer, 1988.
schlagwesens. Von links: Winfried Kanzok, Erwin Saal, Klaus Weingart, Heike John, Kurt Bischof
Schließung der Werks­
Proteste gegen AFG § 116 (Einschränkung des Streikrechts) bücherei und der Erholungsheime Immen­stadt und Rabenstein

20 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 21

• Outsourcing von Werkschutz, Feuerwehr, Maschinenbau, Werkzeugbau, • Das Werk Elfershausen wurde nicht geschlossen.
Lager und Versandzentrum. • Im Rahmen der Personalplanung für 1999 wurden keine betriebsbedingten
Kündigungen ausgesprochen und alle Auszubildenden übernommen.
Am 3. Oktober 1998 forderte eine bundesweite Vertrauensleutekonferenz der IG • Für die Standorte Schweinfurt, Eltmann, Elfershausen und Wuppertal
Metall den „Abschluss eines Vertrages zur Standort- und Beschäftigungssicherung“. wurde eine Standortsicherung und Beschäftigungsförderung
Der Schulterschluss über alle Standorte der FAG Kugelfischer AG gelang. für drei Jahre geregelt.

Im November 1998 eskalierte die Auseinandersetzung: Weil der Vorstand das Die Grundstruktur der Standortsicherung und Beschäftigungsförderung entsprach
Werk Elfershausen schließen wollte, vertagte der Aufsichtsrat auf Antrag der dem Verhandlungs­vorschlag der IG Metall und der Betriebsräte, wie sie auch heute
Arbeitnehmerseite die Entscheidung des Budgets für 1999. Dieser Schließungsplan noch gilt und im November 2004 unbefristet neu vereinbart wurde:
kam beiläufig, durch eine versehentliche Information in der Aufsichtsratssitzung, • 85 Auszubildende jährlich für Schweinfurt, Eltmann und Elfershausen
ans Tageslicht. Zudem wollte der Vorstand mehr als 1.100 „Mannjahre“ im (35 für Wuppertal).
Konzern, davon 600 in Deutschland, abbauen. • Übernahme der Jungfacharbeiter vorbehaltlich Leistung und Verhalten
Dr. Loos, stellvertretender Sprecher, schloss auch betriebsbedingte Kündigungen • Standortsicherung, hohe Schwelle zum Ausspruch evtl. betriebsbedingter
nicht aus. Das Gesamtpaket beinhaltete darüber hinaus eine generelle Öffnung auf Kündigungen.
21 Schichten und weitere Verlagerungen. • Ausweitung der Informationsrechte des Betriebsrats bei wirtschaftlichen
Die Geschäftsleitung lenkte nach stürmisch verlaufenen Betriebsversammlungen Entscheidungen.
ein:

 Umfassende „Gemein­ der Arbeitszeit auf 37 Stunden.


kosten­wert­analyse“ durch
die Beraterfirma „Berger 1991
und Partner“. Anhebung der unteren Lohn­
gruppen durch Tarifvertrag. 6,7%
mehr Lohn und Gehalt.

Betriebsvereinbarung „Anwendung
von Teilzeitarbeit“. Warnstreik, April 1992. Petra Eisend an der Trommel
Warnstreik am Tor 1
1990
1992 Warnstreik Halle F Ostseite
Beginn des Aufbaus von Fertigungszellen
für erste Generation Radlager. Beginn der Gruppenarbeit als
Pilot­projekt in der Halle D.
Erste Betriebsvereinbarung zur
Einführung der „Gleitenden Arbeitszeit“
Gestaltung von teilautonomer
durch Abschluss einer Rahmen­

Warnstreik, Mai 1992. H.J. Hasenbank, N. Lenhard


betriebsvereinbarung. Verkürzung
Gruppenarbeit.

22 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 23

Im Gegenzug wurden umfangreiche Maßnahmen verbindlich festgelegt, • Tarifbindung und Betriebsvereinbarungen


die bei schwankendem Arbeitskräftebedarf Anwendung finden sollten: • Fortführung des Gemeinschaftsbetriebes aller rechtlich
• Arbeitszeitkonten und Schichtmodelle selbständigen FAG-Unternehmen
• Interne Versetzungen und Standortwechsel • Anerkennung der Interessenvertreter.
• Kurzarbeit und Absenkung der tariflichen Arbeitszeit
• Altersteilzeit als Instrument des demografischen Wandel 2004 eskalierte der Konflikt erneut. Eine Vereinbarung mit dem Titel „Innovation
• Campus und Job – Studenten für Bedarfsspitzen vor allem am Wochenende. und Beschäftigung“ sollte die ausgelaufene FAG-Regelung ablösen und
• Unternehmensinterne Arbeitnehmerüberlassung zu Metalltarifbedingungen. gleichermaßen für die INA-Standorte gelten.
Am 11. September 2001 begann die „feindliche“ Übernahme der Aktien der FAG Die Geschäftsleitung um Dr. Geißinger verweigerte Verhandlungen und legte Ende
Kugelfischer AG durch INA/Schaeffler. Nach großen Demonstrationen gegen die September ihre Entscheidungen vor:
Übernahme, von der massive negative Auswirkungen auf FAG erwartet wurden, • Schließung des Werkes Eltmann mit 670 Arbeitsplätzen bis 2006 sowie
reifte die Einsicht: die Verlagerung der Maschinen nach Rumänien
Schaeffler wird sich durchsetzen. Im November vereinbarten deshalb die • Abbau von 350 Arbeitsplätzen in Schweinfurt
IG Metall und der Konzernbetriebsrat – mitten in der Übernahme­schlacht – eine • Lohnsenkung durch Streichung von Schicht-und Mehrarbeitszulagen
„Übergangsvereinbarung“ mit dem Übernehmer der FAG-Aktien. In einem sowie freiwilligen Entgeltbestandteilen.
dreiseitigen Vertrag sicherte die INA-Holding Schaeffler KG bis 31. 12. 2004 zu: Arbeitsniederlegungen und Protestaktionen vor allem in Eltmann, aber

 Elektronische Januar Die FAG-Krise


Zeiterfassung für alle wird be­kannt. Das
Mitarbeiter. Unter­nehmen steht
vor dem Konkurs. Die
Verkauf des Schleifschei­ Wachstums­strate­gie mit
ben­werks in Gerolzhofen dem Ziel, Platz 2 der
an den Saint Gobain- Wälzlager­hersteller zu
Konzern. erreichen, ist gescheitert.
Vorausgegangen war der
1993
Aufbau eines Produktions­
Einführung der
Großdemonstration mit ca.15 000 Teilnehmern aus allen europäischen Standorten,
stand­ortes in Korea
36-Stunden-Woche bei
Februar 1993 und die Übernahme der
vollem Entgeltausgleich. Machtvolle Demonstration auf dem Marktplatz.
ostdeut­schen DKFL. Mit
Erreicht werden bei der Tarifauseinandersetzung 5,4% mehr Lohn und Gehalt. 2700 Luftballons steigen auf
dem Zusammen­bruch der
1. Januar – Verkauf von Hydraulik und Regelwerk in Erlangen, 200 Mitarbeiter Ostmärkte und eines Konjunktur­einbruchs der Wälzlagerhersteller
betroffen. war FAG am Ende.

24 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 25

Im Gegenzug wurde der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen nach


auch in Schweinfurt, zwangen die Unternehmensseite zu Verhandlungen. Am Ende
dem Muster der bestehenden Beschäftigungsförderung für alle Standorte sowie
stand ein Kompromiss:
über Konzernbetriebsvereinbarung eine Erfolgsbeteiligung für alle Beschäftigten
• Im Zuge einer Tariferhöhung wurde der betriebliche Durchschnitt
vereinbart.
der Leistungszulage um 2 Prozent gesenkt.
• Der Standort Eltmann blieb erhalten.
Bewertung
• Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen.
Für einige krisengeschüttelte Standorte, wie Schweinfurt und Eltmann, hat sich die
• Die Beschäftigungs- und Standortsicherung wurde unbefristet fortgesetzt, mit
Beschäftigungsvereinbarung bewährt.
sechsmonatiger Kündigungsfrist und einigen Anpassungen.
• Verlagerungen (wie Blechumformung, Radlager, Kegellager) nach Osteuropa,
Im Anschluss gelang eine ähnliche Beschäftigungssicherungs-Vereinbarung für die
Lokalisierung in Asien (insbesondere China), Umstrukturierungen (wie das
INA-Standorte.
Sanierungsprogramm für den Industriebereich, nämlich CORE und CORE 2)
2009, in Folge der Finanzkrise, geriet Schaeffler in eine existenzbedrohende
wurden ohne betriebsbedingte Kündigungen umgesetzt. Die Interessenaus-­
Schieflage. Notgedrungen musste das Unternehmen die Aktien der Continental
gleichsverhandlungen setzten am Rahmen der Beschäftigungssicherung an.
AG in wesentlich größerem Umfang übernehmen als beabsichtigt. Gleichzeitig
• Alle Restrukturierungen rüttelten nicht an den tariflichen Standards. Arbeits­-
brach der Umsatz der Schaeffler-Gruppe um bis zu 40 Prozent ein. Mit einem
bedingungen, Einkommen und Arbeitszeit blieben erhalten.
öffentlichen Paukenschlag trat der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber der
• Der Standort Schweinfurt hat neue Beschäftigung gewonnen: Wankstabil­sator,
Familie Schaeffler zur Seite.
Getriebelager, Aerospace, Zentrale von Schaeffler Industrie und Europa.

 Kajo Neukirchen setzt in kurzer Zeit ein Sanierungs­ Kundgebung der


konzept durch, das zwar FAG rettet, aber 7.800 IG Metall am Marktplatz
Mitarbeiter den Job kostet. 6.800 Mitarbeiter werden in Schweinfurt.
mit Teilen des Konzerns verkauft. Forderungen:
▶ Rücktritt der
2. Februar  „Halle F wird geschlossen“, Geschäftsleitung
Fritz Schäfer spricht auf der Betriebs­- ▶ keine Verlager­ungen
versammlung. Reaktionen: Tränen zu DKFL (Ostdeutschland,
und Pfiffe. Korea, Portugal und
Österreich)
9. - 11. Februar ▶ Arbeitsbeschaffung,
Unterschriftensammlung gegen Massenentlassungen. Qualifizierung
▶ Förderprogramm
13. Februar „Stoppt den Arbeitsplatzabbau“ – keine zur Verbesserung der
weiteren Ver­lagerungen bei FAG, die Region muss örtlichen Wirtschafts­
weiterleben. struktur.

26 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 27

• Es wurden Investitionen in Gebäude, Maschinen und Anlagen vorgenommen.


• Die Anzahl der Auszubildenden blieb stabil. Vorbehaltlich Leistung und Als Reaktion auf die Pläne der Unternehmerseite erklärten die Arbeit­nehmer­
Verhalten werden alle Azubis übernommen. vertreter, dass eine Arbeitszeitverlängerung ohne Entgeltausgleich die beabsichtigte
Wirkung des Tarifvertrags unterlaufen würde. Eine solche Unterbietungs­
Beginnend mit Elfershausen im Jahr 2006, hat sich die Vereinbarung als nicht konkurrenz der Arbeitnehmer wollten Betriebsräte und Gewerkschaften
tragfähig erwiesen. Das Dogma des Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Geißinger – ausschließen. Arbeitnehmer haben ebenfalls ein Interesse an Rationalisierung
Zukunft hat nur, wer 40 Stunden ohne Entgeltausgleich anbietet – hat Betriebsräte und Produktivität. Darüber soll die Konkurrenz ausgetragen und letztlich die
veranlasst, sich der „Macht“ anzupassen. Wettbewerbsfähigkeit bestimmt werden, nicht jedoch über ein gegenseitiges
Die Standorte Ingolstadt (im Jahr 2007), Gunzenhausen und Wuppertal (im Jahr Unterbieten der Belegschaften bei Entgelt und Arbeitsbedingungen.
2008) konnten zumindest über abweichende Vereinbarungen im Verbund der
Tarifbindung gehalten werden. Als vorerst offene Punkte bleiben die Fragen:

Selbst die Einbringung von unbezahlter Arbeitsleistung ist keine Garantie für 1. Welche Herausforderungen erwarten wir im Hinblick auf
Arbeitsplätze und Standort. Denn in Wuppertal löste das Unternehmen die • Digitalisierung?
Tarifabweichung vorzeitig und reduzierte die Mitarbeiterzahl um ein Drittel, unter • Elektrifizierung?
Einschluss betriebsbedingter Kündigungen. Im November 2016 erklärte der • Ablösung des fossilen Antriebs?
Vorstand, Elfershausen schließen zu wollen, weil auf Grund eines Strategiewechsels
die Kugellagerproduktion nach Portugal verlagert werden sollte.

 19. Februar 12. Mai „Heraus zum 12. Mai“.


Ministerpräsident Max 3.500 Metaller protestieren gegen
Streibl besucht FAG. die Kündigung des Tarifvertrages.

24. Februar 16. Mai Fahrraddemo mit 700 Teilnehmern. Schweinfurt – Röthlein –
„Handeln ist angesagt“ – Schweinfurt. „Perspektiven für den Industriestandard“ gefordert, Motto
Erster runder Tisch „Handeln statt aufgeben“.
der IG Metall.
Sanierungskonzept sieht die Schmiede als Auslaufmodell.
25. März
SKF kündigt Abbau von Mahnwache vor dem Tor 1 26. Mai Hauptversammlung von FAG beschließt
430 Arbeitsplätzen an Holdingstruktur. Das Unternehmen wird in
2. April Protest gegen Entlassungen. 1.400 „Sachser“ marschieren in einem rechtlich selbständige Einheiten geteilt.
Fackelzug zum Werk Süd. Im Gemein­schaftsbetrieb bleiben die Arbeit­
nehmer­rechte abgesichert und es ist ein
29. April Erste Betriebsrätekonferenz. Forderung: aktive Arbeitsmarktpolitik Betriebsrat zuständig.

28 Keine Kündigungen ­— in der Krise! 29

2. Welche Arbeitsfelder sind mittelfristig – auf Sicht von zehn


Jahren – bzw. langfristig – auf Sicht von 20 Jahren – gefährdet?

3. Welche Beschäftigungschancen bietet der Konzern?

4. In welche Arbeitsfelder und Standorte wird Schaeffler investieren?

5. Welche Anstrengungen müssen die Arbeiter und Angestellten unternehmen,


um bei Schaeffler oder am allgemeinenArbeitsmarkt bestehen zu können?

6. Auf welche Eckpunkte kann eine modifizierte Beschäftigungs­vereinbarung


aufbauen:
• Offenlegung aller Standortkonzepte?
• Strategiediskussion unter Einschluss der Betriebsräte und
Wirtschaftsausschüsse?

 1. September
Spontane Arbeits­nieder­­
legung von 2.500
Mitarbeitern.
Es werden Eier auf das
Verwal­tungs­­­gebäude von
SKF geworfen.
Die städtische Wohn­
Mahnwache verschiedener Abteilungen am Tor 1
ungs­­bau­gesellschaft
übernimmt 200
28. Juni Familien­unternehmen wird
Werkswohnungen.
Aktiengesellschaft.
Hauptversammlung in Schweinfurt
14. September
IBM übernimmt die Informations­verarbeitung
Kund­gebung vor dem
mit 200 Mitarbeitern.
Rat­haus und sieben
Dr. Fritz Lehnen, Finanzen und Arbeitsdirektor,
weitere Standortgespräche.
beginnt im Vorstand. 
30 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 31

Qualifizierungs-
und Beschäftigungs- 3 Im August 1972 wurde in Deutschland Leiharbeit zugelassen und im Arbeit­
nehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt. Welche Idee war und ist seitdem mit
Leiharbeit verbunden? Ein Beschäftigter wird bei einem Verleihunternehmen fest

GmbH angestellt, dann aber an verschiedene andere Unternehmen auf Zeit ausgeliehen,
um dort zu arbeiten.
So können beispielsweise bei diesen Unternehmen Auftragsspitzen abgearbeitet
Leiharbeit zu tariflichen Bedingungen werden oder Krankheits- und Urlaubsvertretungen erfolgen. Leiharbeit dient damit
der Flexibilisierung, so lautete der Gedanke.

Zu Beginn der gesetzlichen Regulierung war die Verleihdauer auf drei Monate
begrenzt. Hierdurch sollte verhindert werden, dass die Stamm­belegschaft – also
die regulär beim entleihenden Unternehmen arbeitenden Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter – durch die Leiharbeits­kräfte mehr und mehr ersetzt werden. In der

 21. September Oktober


eintägige Mahnwache am Zwei Existenzgründer
Tor 1. ziehen ins GRIBS ein.

23. September 13. Oktober


„Netz der Solidarität“ 7.00 Uhr Marktplatz
Menschenkette von den Schweinfurt: Beginn
Betrieben des Marsches nach
SKF, F&S, FAG zum Bonn.
Arbeits­amt mit 15.000 40 Metaller laufen
Demonstranten. zu Fuß bis ins
»Durchblick« vom Herbst 1993 Bundeskanzler­amt,
28. September um auf die besondere
Bayerischer Rundfunk berichtet aus Schweinfurt. Situation in Schweinfurt
Wirtschafts­minister Otto Wiesheu und Minister­präsident Stoiber stellen hinzuweisen und Hilfe
Menschenkette
konkrete Hilfen in Aussicht. zu fordern.

32 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 33

Folgezeit wurde jedoch Leiharbeit immer weitgehender gesetzlich dereguliert und der Wälzlagerindustrie, das heute zum Schaeffler-Konzern gehört. Hier gelang zu
die zulässige Verleihdauer gelockert. Der „Dammbruch“ erfolgte 2004 mit der einer Zeit, in der die Leiharbeit noch in der „Schmuddelecke“ der Lohndrückerei
völligen zeitlichen Entgrenzung der Leiharbeit im Rahmen der Hartz-Gesetze stand, ein vorbildliches Modell von Regelungen zur Leiharbeit. Wie kam es dazu?
unter der rot-grünen Bundesregierung.
Massenentlassungen in der Krise Anfang der 1990er Jahre
Die ursprüngliche Idee einer Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, mit klarer und Neuanfang
Regulierung zum Schutz der Arbeitnehmer, wurde damit aufgegeben. Durch Die Krise der Schweinfurter Metallindustrie von 1993 und der wirtschaft­liche
die gesetzliche Öffnung der Leiharbeitsbranche für abweichende Tarif­ Einbruch der FAG Kugelfischer AG trafen die IG Metall und besonders die
regelungen wurden Niedriglöhne etabliert. Die Unternehmen begannen, die Betriebsräte unvorbereitet und äußerst hart.
Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr nur zum Abfedern von Auftragsspitzen Durch Verkäufe von Unternehmensteilen und Massenentlassungen, alleine
zu nutzen, sondern Stammpersonal zu entlassen und Leiharbeiter dauerhaft zu am Standort Schweinfurt von 40 Prozent der Beschäftigten, schrumpfte der
beschäftigen. Auch die Anreize, betriebs­bedingt entlassenes Personal bei erneutem damalige Konzern auf die Hälfte seiner früheren Größe. Ursache für diese
Mitarbeiterbedarf nicht direkt, sondern nur als Leiharbeiter wieder einzustellen einschneidende Krise waren neben einem Umsatzeinbruch vor allem gravierende
(„Drehtüreffekt“), nahmen zu. So entfaltete sich mit der weniger gut bezahlten Managementfehler. Der vollständige Erwerb der ostdeutschen Wälzlagerindustrie
Leiharbeit ein zunehmender Druck auf die Entgelte der Stammbelegschaft. und versäumte Strukturreformen wurden vom Betriebsrat beizeiten kritisiert,
Vorgestellt wird im Folgenden der erste Tarifvertrag für die unternehmens­interne konnten aber nicht verhindert werden.
Leiharbeitsfirma der FAG Kugelfischer AG, einem unterfränkischen Unternehmen Im Betriebsrat, dem Vertrauenskörper, der Schweinfurter IG Metall und bei

 14. Oktober 1994


„Stoiber kommt – wir 26. Mai
auch!“ Hauptversammlung der FAG Kugelfischer AG beschließt eine Holding-Struktur.
Kundgebung der IG Metall Rechtlich selbständige Einheiten werden ge­bil­det: Automobiltechnik AG,
im Rathaus-Innen­hof und Ausrüstung und Handel AG, Komponenten AG, Aircraft/Super Precision Bearings
Runder Tisch mit dem GmbH. Mit einem Gemeinschafts­betrieb bleibt ein Betriebs­ratsgremium
Bayerischen Minister­ handlungsfähig.
präsident/Betriebsräten,
Arbeitsloseninitiativen. Tarifvertrag über beschäftigungssichernde Maßnahmen und Übernahme
der Auszubildenden. 2% mehr Lohn und Gehalt.
November Bayerische
Regierung beschließt 1995
ein „Sonderprogramm Zweiwöchiger Streik der IG Metall in Bayern. Ergebnis: Einigung auf Einführung
Schweinfurt“ mit 100 Aufbruch der Bonnmarschierer vom Marktplatz der 35-Stunden-Woche bei vollem Entgeltausgleich.
Mio. DM Kapital für die Der europäische Gerichtshof erzwingt die Zulassung der 3-Schicht-Arbeit für
Wagnis­beteiligungs­gesellschaft für Betriebsgründungen. Frauen (Gleichbehandlung).

34 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 35

den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat entstand die zentrale Forderung, dass sich und Arbeitszeitkonten sowie feste Ausbildungszahlen mit 85 Azubis im Jahr mit
eine solche Katastrophe für die Arbeitnehmer wie auch für das Unternehmen Übernahmeregelung.
nicht wiederholen darf. In einem Schulterschluss aller Standorte – Wuppertal,
Eltmann, Elfershausen und Schweinfurt – forderten die Belegschaften ein FAG-Gesellschaft zur Arbeitnehmerüberlassung…
Beschäftigungsbündnis, das betriebsbedingte Kündigungen ausschließen und die Im ersten Quartal des Jahres 1999 stellte das Unternehmen seine Anforderung in
Standorte erhalten sollte. den Vordergrund, bei einem wieder anwachsenden Arbeitskräftebedarf, einen Teil
der neuen Arbeitsverhältnisse möglichst flexibel zu halten. Der Metall-Tarifvertrag
Nach langer Verweigerung des Vorstandes eskalierte der Konflikt im Herbst 1998. erlaubte damals nur befristete Beschäftigungsverhältnisse bis sechs Monate mit der
Der FAG-Vorstand erklärte, alleine in Deutschland 627 Kündigungen und die Option einer Verlängerung auf insgesamt ein Jahr.
Schließung des Standortes Elfershausen vornehmen zu wollen.
In der dann 1999 geschlossenen Beschäftigungsvereinbarung wurden zur
Doch Ende Dezember 1998 gelang der Durchbruch für die Arbeitnehmer­ Flexibilisierung verschiedene innovative Ideen aufgenommen:
vertretung. Vorausgegangen waren außerordentliche Betriebsversammlungen und
Protestaktionen der Belegschaften aller Standorte. Das Zukunftsmodell hieß nun: • Ein Arbeitszeitkonto mit einer Bandbreite von plus 220 bis minus 150 Stunden.
Keine Schließung des Standortes Elfershausen, der Ausschluss betriebsbedingter • „Campus und Job“: Nach einer durchgängigen Einarbeitungszeit in den
Kündigungen für zunächst drei Jahre, mehr Flexibilität über Schichtmodelle Semesterferien arbeiten Studierende in den Zusatzschichten am Wochenende

 7% mehr Lohn und Gehalt in zwei Stufen. 1997


April Interessenausgleich
1996 „Auto­mobil­technik AG“,
Einführung Arbeitszeitkonto. 154 Mitarbeiter Überhang –
Erhöhung der Prämie auf 25 %. Versetzung, Altersteilzeit.
Abschaffung des Akkords und Einführung
„Persönliche FAG-Zulage“. 11. Juli Aktionstag gegen die
Streichung der 3-Schicht-Zulage.
11. November  Aktionstag. Verteidigung von
Oktober Interessen­ausgleich
100 % Entgelt­fortzahlung bei Krankheit. Keine
„Prozess­optimierung indirekter
Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld!
Bereiche“.
Streik­drohung der IG Metall.
Integration von Werk­zeug­­machern in die Fertigungs­gruppen Käfige.
6. Dezember
Mai
Beschäftigungs­sicherung wird vorgestellt.
Hatebur AMP 70 XL kommt nach Schweinfurt – Entscheidung im Aufsichtsrat
4% mehr in zwei Stufen.
(23 Mio. DM) 
36 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 37

und entlasten, mit tariflichen Eingruppierungen und Leistungsentgelt, die Die Regelungen wurden mehrfach angepasst, blieben aber im Kern unverändert:
Schichtarbeiter. • Die Arbeitnehmerüberlassung erfolgt zu den Bedingungen der bayerischen
• Zukünftige Neueinstellungen in der Produktion erfolgen vorrangig in der Metall- und Elektroindustrie: Manteltarifvertrag, ERA-Eingruppierung,
Personaldienste Qualifizierungs- und Beschäftigungs-GmbH (kurz QB genannt) altersvorsorgewirksame Leistungen und Weiteres.
unbefristet als Leiharbeitnehmer. • Die Mitarbeiter werden umfassend in den Betrieb mit gleicher Arbeitskleidung
und Zugang zu allen sozialen Angeboten integriert.
In der QB, einer 100-prozentigen Tochter der damaligen FAG Kugel­fischer • Formuliert ist ein Ausschluss aus der Beschäftigungssicherung:
AG, wurden damit Neueinstellungen erleichtert und im Gegenzug die vom betriebsbedingte Kündigungen sind bei Beschäftigungsmangel auf Basis eines
Unternehmen geforderte Flexibilität eines Teils der Arbeits­verhältnisse für die Interessenausgleichs nach §112 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und
Betriebe Schweinfurt und Eltmann, anfangs auch für den Standort Elfershausen, Sozialplan mit Abfindung möglich.
geregelt eingeräumt. • Die maximale Verweildauer in der QB beträgt nach der letzten Anpassung zwei
Jahre; mit Zustimmung des Betriebsrates kann der Verbleib im
... mit tariflichen Bedingungen entleihenden Betrieb um weitere zwei Jahre verlängert werden.
Die Bedingungen in der QB regeln ein ergänzender Tarifvertrag zwischen dem • Die Mitarbeiterzahl ist auf maximal 350 Personen begrenzt.
Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie e. V. und der IG Metall- • Die Gesellschaft ist in den Gemeinschaftsbetrieb Schweinfurt integriert.
Bezirksleitung Bayern sowie eine Betriebsvereinbarung. Der örtliche Betriebsrat nimmt alle Beteiligungsrechte wahr. Im Falle einer

 1998/99 Februar
Standort- und Beschäf­ Interessen­ausgleich – Elfershausen
tig­ungs­förderungs- wird nicht geschlossen, 250 Arbeits­
Vereinbarung. plätze werden gesichert.
FAG Konzern Inland kompen­siert die
Schließung des Stand­ rechnerische Unterdeckung.
ortes Elfershausen wird Kauf des koreanischen Wälz­lager­
verhindert. herstellers Hanwha (zum 2. Mal).

Kostenkompensation September Betroffene Angestellte


über alle vier FAG- lehnen in einer Befragung des BR die
Standorte verhindert Einführung der Vertrauensarbeit ab.
Die Zeiterfassung wird mit Terminals
1999 an den Toren fortgeführt.
1. Januar Gegen des Ausverkauf von Unternehmensteilen 1999

Dr. Loos löst Dr. Kreher Oktober Plan zur Aus­gliederung LVZ wird bekannt.

als Vorstands­vo­r­
Aktion gegen Betriebsaufspaltung 1998 sitzenden ab.
38 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 39

Verleihung in einen anderen Betrieb der Schaeffler Technologies AG & Co. KG Niedriglohnkonkurrenz: Die „christlichen“ Gewerkschaften gaben den
ist der Betriebsrat des Entleihbetriebes, wie auch der Betriebsrat des Standortes Steigbügelhalter von Unternehmensinteressen, Gleichbehandlung und
Schweinfurt, als Verleihbetrieb zuständig. Gleichbezahlung – Equal Treatment und Equal Pay – waren unterlaufen.

Die QB: ein Erfolgsmodell zur Beschäftigungssicherung Gleichzeitig führte die Regierung eine weitere wesentliche Neuerung ein: Mit
2004 erfolgte die wahrscheinlich folgenreichste Deregulierung von Leiharbeit mit dem Gesetz wurden erstmals arbeitsmarktpolitische Zwecke verfolgt. So wurde
dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I). der Leiharbeit unter anderem unterstellt, für einen sogenannten „Klebeeffekt“
Im Gesetz wurde die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens zwei zu sorgen. Demzufolge sollte Leiharbeit die Funktion erfüllen, dass Leiharbeiter
Jahre aufgehoben und ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz eingeführt. – insbesondere schwer vermittelbare Arbeitssuchende – durch ihren Einsatz im
Demnach sollen die wesentlichen Arbeitsbedingungen (Equal Treatment) entleihenden Betrieb dort leichter in eine reguläre Beschäftigung hineinfinden.
einschließlich des Arbeitsentgelts (Equal Pay) von Leiharbeitnehmern generell Hier stellt sich die Frage: Wie stark ist dieser „Klebeeffekt“ bei den QB-
den Arbeitsbedingungen entsprechen, die im entleihenden Unternehmen für Beschäftigten? Erfüllt die QB ein arbeitsmarktpolitisches Ziel?
vergleichbare Arbeitnehmer gelten. Abweichende Regelungen hiervon per Das Modell durchlief zwischenzeitlich mehrere Beschäftigungszyklen. Bis zur
Tarifvertrag wurden jedoch zugelassen, was folgenschwer war. Finanz- und folgenden Wirtschaftskrise 2008/2009 übernahm das Unternehmen
eine große Anzahl von Mitarbeitern in die Stammbelegschaft. Auf dem Höhepunkt
Denn nach dieser Neuausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung mit der der Wirtschaftskrise versuchte der Betriebsrat – anfangs erfolgreich – die
Hartz-Gesetzgebung entglitt den Gewerkschaften die Leiharbeit in Richtung Leiharbeitnehmer in die Kurzarbeit miteinzubeziehen. Angesichts der tiefen

 22. Oktober Aufbau des Werkes Debrecen


Kundgebung gegen Out­ in Ungarn.
sourcing LVZ.
Mai
24. November Interessenausgleich. 240
97 % der LVZ Belegschaft Mitarbeiter der Kugel­fertigung
hat Widerspruch gegen den in Eltmann gehen in die
Betriebsüber­gang eingelegt. Kugelfertigung Eltmann GmbH
Die Dokumente bleiben beim nach § 613a BGB über.
Betriebsrat verwahrt. Tarifbindung vereinbart.
3,2% mehr Lohn und Gehalt.
Der FAG-Vorstand führt mit dem japanischem Wälzlagerhersteller NTN Gespräche
97 % der Beschäftigten sprachen sich gegen das Outsourcing des
2000 mit dem Ziel der Kooperation. »Our vision – your Challenge.«
Lager- und Versandzentrums aus, Oktober 1999
Gründung der
PD Logistics GmbH Tarifvertrag Altersteilzeit abgeschlossen.
mit IG Metall-Tarif­­bindung und Teil des Gemein­­schafts­betriebes.

40 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 41

Krise, die, wie angenommen wurde, lang anhalten sollte, bestand das Management für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bestätigt diese Vermutung: Dort ergibt sich
jedoch dann auf Kündigungen. Hervorzuheben ist: Die Leiharbeit der QB ist kein ein maximaler „Klebeeffekt“ von 15 Prozent.
Konzept zur Entgeltsenkung, da Equal Pay gilt. Deshalb gelingt die neuerliche (Promberger 2006: 119 ff).
Einstellung von Arbeitskräften auch verhältnismäßig einfach.
Hervorzuheben ist: Die Leiharbeit der QB ist kein Konzept zur Entgelt­
Trotz der seit 2012 bis 2016 stagnierenden Nachfrage in der Industriesparte von absenkung bei der FAG Kugelfischer AG, denn es gilt gleiches Geld für gleiche
Schaeffler war die Integration in die Stammbelegschaft erfolgreich (Schaubild QB). Arbeit. Eine zentrale Erklärung für den starken „Klebeeffekt“ ist sicherlich,
Im Gegensatz zum allgemeinen Trend ist die Fluktuation, das heißt die Zahl der dass rund 85 Prozent der Tarifarbeitsplätze bei Schaeffler Schweinfurt die
Aus- und Eintritte in die QB, gering und der „Klebeeffekt“ mit 74 Prozent überaus Facharbeiterqualifikation, eine Zusatzausbildung oder ein Studium erfordern.
hoch. Die Beschäftigten werden größtenteils in ein Normalarbeitsverhältnis An Leiharbeitern, die lediglich Anlerntätigkeiten ausführen und damit schnell
integriert. austauschbar sind, hat das Unternehmen aus diesem Grund kein ausgeprägtes
Zum Vergleich: Deutschlandweit gelang die feste Übernahme in Unternehmen Interesse. Gleichzeitig befördert der kurzfristig mögliche Arbeitsplatzwechsel die
mit mehr als 250 Beschäftigten nur sieben Prozent der Leihkräfte. Aufgrund Qualifizierung der neuen QB-Mitarbeiter in Bezug auf Produkt und Prozess.
der Krisenerwartung kann jedoch angenommen werden, dass diese Zahl, die
aus dem ersten Halbjahr 2008 stammt, sonst etwas höher liegt (Baumgarten Darüber hinaus treten der Betriebsrat und die IG Metall konsequent gegen
2012: 5 ff). Überzogen erscheint hingegen der Wert von 30 Prozent, der von der eine Spaltung der Stamm- und Randbelegschaft ein. Die Solidarität mit den
Leiharbeitsbranche selbst angegeben wird. Eine etwas frühere Studie des Instituts Leiharbeitern der QB kann als ausgeprägt bezeichnet werden. Dies ist kein

 + 5,1% mehr Lohn und Gehalt Verlagerung der Kegel­


in zwei Stufen. rollen­lagerfertigung nach
Ungarn.
2001
X-Life nimmt in Elfershausen Stilllegung Produkt
die Produktion auf, nachdem Spannrollenlager.
sich der neue Werkstoff
Cronidur bei Spindellagern Abschluss des Tarif­
bewährt hat. vertrages „Entgeltum­
wand­lung für Alters­
Mai Abschluss des „FAG- vorsorge“.
Beschäftigungsbündnisses“. Aufteilung in drei
Laufzeit bis 31. 12. 2004 „Product Units“.
Interessenausgleich „Neuaus- Ausgliederung Protestaktionen gegen die INA-Übernahme,2001
Kampf gegen die Schließung von Werk Eltmann
richtung der FAG Automobil- Musterlager­fertigung in
­technik“. 328 Mitarbeiter betroffen. die Anwendungs­technik. Stärkung Aftermarket.

42 Krise
Qualifizierungs-
1993 – Endeund des
Beschäftigungs-GmbH
Wachstums? 43

Selbstläufer: Leiharbeit und Werkverträge werden vom Betriebsrat und dem Literatur:
Vertrauenskörper bei Betriebsversammlungen und andernorts beständig Baumgarten, Daniel/Kvasnicka, Michael:
Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit. Rheinisch-Westfälisches Institut für
thematisiert.
Wirtschaftsforschung. Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, 2012.

Ohne Zweifel trägt die QB dazu bei, die Zweiklassengesellschaft mit der Kädtler, Jürgen: „Prekäre Beschäftigung“ und Prekarität. Die gesetzliche Einführung
Stamm­­belegschaft auf der einen und den Leiharbeitnehmern auf der anderen Seite eines Beschäftigungssegments zweiter Klasse und ihre Folgen, in: Vom Wiederaufbau
zur Arbeit 4.0. IG Metall Bayern: 70 Jahre Fortschritt durch Tarifpolitik.
deutlich zurück­zuführen. Bedauerlich ist deshalb, dass die erfolgreich praktizierte
VSA-Verlag, Hamburg 2017.
Arbeitnehmerüberlassung in Form der tarif­gebun­denen QB bis heute keine
„Blaupause“ für weitere Unternehmen war. Promberger, Markus u. a.: Leiharbeit im Betrieb, Strukturen, Kontexte und Handhabung einer
atypischen Beschäftigungsform. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2006.

Wikipedia: Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland (https://de.wikipedia.org/wiki/


Arbeitnehmer%C3%BCberlassung#Arbeitnehmer.C3.BCberlassung_in_Deutschland),
abgerufen am 15. 5. 2017.

 11. September 2002


bis 22. Oktober 1. Januar Dr. Jürgen M. Geißinger wird FAG Vorstands­vorsitzender.
In einer öffent­lichen
Über­nahmeschlacht Juli Outsourcing von Werkschutz und Werksfeuerwehr abgewehrt.
setzt INA die „feind­ September Verlagerung von Teilen der Käfigfertigung nach Debrecen,
liche Übernahme“ 200 Mitarbeiter betroffen.
durch. Für ca. 1,5
Mrd. DM erwirbt Streik in Baden Württemberg und Berlin/Brandenburg. 6,6% mehr Entgelt in zwei
INA 87% der FAG- Stufen.
Aktien. Betriebsrat
2003
und IG Metall
Dezember „Projekt Radlager“ soll bis 2006 die Produkte in die Gewinnzone
vereinbaren mit der
bringen.
Protest der Belegschaft gegen die Verlagerungen, 2002 INA einen Vertrag
Interessenausgleich „Komponenten“ – Verlagerung von Teilen der Käfig­-
zur Absicherung der
fertigung nach Ungarn und Brasilien, ca. 100 Mitarbeiter. Verlagerung der
Beleg­schaft, weil nach dem Überlaufen wichtiger Banken frühzeitig absehbar war,
Dreherei und Fertigung der Kegelrollen-Lagerringe nach Ungarn,
dass die Aktionäre verkaufen werden.
58 Mitar­bei­ter. 
44 Campus und Job 45

Campus
und Job 4 Den Unternehmern in Fertigungsbetrieben eines Hochlohnlands wie Deutschland
ist es vor allem wichtig, dass die Belegschaft passgenau und bedarfsgerecht
eingesetzt wird. Das Ideal ist die „atmende Fabrik“, bei der die Beschäftigten
Ein innovatives Beschäftigungskonzept punktgenau mal mehr, mal weniger arbeiten – je nach Auftragslage. Leerlauf
und Verschwendung sollen möglichst vermieden werden, auch und gerade beim
Einsatz der Arbeitskräfte. Belegschaft und Arbeitnehmervertretungen hingegen
haben vor allem die Interessen der betroffenen Beschäftigten im Auge. Sie wollen
arbeitnehmerfreundliche Regelungen für die Arbeitszeit- und Arbeitskräfte-
Flexibilität im Betrieb. Die Interessen des „Faktors Arbeit“ sollen gleichberechtigt
mit den Interessen des „Faktors Kapital“ berücksichtigt werden.

 Eine Kampagne von konservativen An vielen Standorten wurden


und liberalen Politikern greift die Kerzen aufgestellt
Gewerkschaft an, „Gewerkschaften sind
eine Plage“, meint Guido Westerwelle
(FDP). Informationsveranstaltung
„Betriebsver­einbarungen und zur geplanten Schließung des

Tarifverträge am besten auf dem Werkes Eltman am Bau 48

Scheiterhaufen verbrennen“, sagt


BDI Präsident Rogowski.

Die rot-grüne Bundesregier­ung


Gegen Verlagerungen, 2004
begründet Sozialabbau und Leistungsein­­
schränk­ungen mit der hohen Arbeits­losigkeit von mehr als 10 % und dem Druck
der Globa­li­sierung. Die Agenda 2010 grenzt die Leistun­gen der Arbeits­losen ein.
Die Zahl der Leiharbeit­nehmer­Innen und der prekär Beschäftigten explodiert.


46 Campus und Job 47

Bei Schaeffler Schweinfurt haben Betriebsrat und Vertrauensleute daraus die keineswegs überall die Regel ist – auf Basis des Flächentarifvertrags. In der
Konsequenz gezogen, dass in der Arbeitskräftesteuerung verschie­dene personal­ entsprechenden Betriebsvereinbarung über den flexiblen Arbeitseinsatz von
politische Instrumente eingesetzt werden, immer im Hinblick auf die Interessen Studenten („Campus und Job“) ist festgelegt: „Ziel des Studentenpools ist,
der Belegschaft. Dies sind zum einen ausgefeilte Arbeitszeitmodelle für die betriebliche Engpässe und indirekte Funktionen der Fertigungsbereiche und
Stammbeschäftigten, die in Betriebsvereinbarungen geregelt sind (siehe Kapitel das Erfordernis eines flexiblen Einsatzes mit dem Interesse von Studenten nach
5). Zum anderen will der Betriebsrat die Anzahl der Stammbelegschaft hoch und Verdienstmöglichkeiten in Einklang zu bringen. Studierende kommen nach
konstant halten. Es soll möglichst keine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ im Betrieb Einarbeitung/Einweisung in Sonderschichten, als ‚Springer‘ oder als Hilfskräfte
geben: Die gut geschützte, aber schrumpfende Stammbelegschaft mit angenehmen zum Einsatz.“
Arbeitszeitmodellen auf der einen Seite – und schutzlose Fremdbeschäftigte in
Leiharbeit und Werkverträgen auf der anderen Seite. Ferner ist der Studentenpool auch ein Mittel des Personalmarketings: „Studenten
können Erfahrungen in der Praxis sammeln und die weiter­gehenden, beruflichen
Zu diesem Zweck gibt es mit der „QB“ eine innerbetriebliche Leiharbeits­ Möglichkeiten in einem großen Industrieunternehmen kennenlernen.“ Die
gesell­schaft, die fast identische Rechte mit den Stammbeschäftigten genießen Studierenden erhalten im Rahmen von „Campus und Job“ befristete Teilzeit­
(siehe Kapitel 3), so dass praktisch keine – weitgehend schutzlosen – Leihkräfte verträge sowie anfangs eine Vergütung in ERA-Entgeltgruppe 6 gemäß Flächen­
von außen zum Einsatz kommen. Zum „Abpuffern“ von Auftragsspitzen tarifvertrag. In der Betriebsvereinbarung heißt es: „Tarifliche Leistungen werden
und betrieblichen Engpässen im Fertigungsbereich werden neben den QB- nach Maßgabe des Tarifvertrages gewährt (z. B. Urlaub, Pause, dritte Schicht,
Beschäftigten zudem Studentinnen und Studenten eingesetzt, allerdings – was Entgeltfortzahlung) [...]. Beim Arbeitseinsatz an Sonn- und Feiertagen sowie

 Durch das „Pforzheimner


Abkommen“ werden
befristete Abweichungen
vom Flächentarifvertrag
möglich.

2004
September
FAG will 1000 Stellen
streichen: Schließung des
Werkes Eltmann und 350
Arbeitsplätze weniger in
Schweinfurt.
Auseinandersetzung um die PD Logistics, 2005
Frank Firsching; Christoph Dörr,
BR-Vorsitzender Eltmann;
November Schließung des
Kunstaktion von Beschäftigten gegen die geplante Schließung des Werks Eltmann. Werkes abgewehrt, keine betriebsbedingte Kündigungen und Abschluss der
Gertrud Strätz, Eltmann und
Knut Giesler, Wuppertal
Das zerbrochene Boot symbolisiert die Enttäuschung der Mitarbeiter 
48 Campus und Job 49

bei Nachtarbeit werden die gültigen gesetzlichen, tarifvertraglichen und keine „tariffreien Zonen“ bei Schaeffler Schweinfurt entstehen zu lassen. Faire
betrieblichen Zuschläge vergütet. [...]“ Damit wird Lohndumping vermieden, Arbeitsbedingungen müssen für alle gelten – im gemeinsamen Interesse von
was sowohl den Studierenden als auch der Stammbelegschaft zugutekommt, Stamm- und Randbelegschaften.
auf die dadurch kein Konkurrenzdruck ausgeübt wird.

Der Einsatz der Studierenden in der Produktion erfolgt zur Entlastung


der Stammbelegschaft am Wochenende von Freitag, 22.00 Uhr bis
Montag, 6.00 Uhr. Einsätze während der Woche müssen als Sonderfall mit
dem Betriebsrat vereinbart werden. Auch für vollzeitige Werkstudenten­
einsätze während der Semesterferien werden bevorzugt die Studierenden
mit einem „Campus und Job“-Arbeitsvertrag genommen. Die Anzahl der
Studentinnen und Studenten mit einer Teilzeitvereinbarung ist laut der
Betriebsvereinbarung auf 150 begrenzt. Die Vereinbarung „Campus und
Job“ trat mit Unterzeichnung am 2. November 2000 in Kraft und war
als Pilotprojekt zunächst befristet bis zum 31. Oktober 2001. Da sie sich
bewährt hat, läuft sie bis heute. Das Projekt „Campus und Job“ ist ein
weiteres Beispiel für die Bemühungen von Betriebsrat und Vertrauensleuten,

 „Beschäftigungs­vereinbarung“, November
Lauf­zeit unbefristet mit einer Kündig­ Interessen­ausgleich
ungsfrist von 6 Monaten. „Produktlinie
Radlager“.
2005 Betroffen sind
März Auseinander­setzung um die 145 Mitarbeiter.
PD Logistics GmbH.
Lüfterlager werden
Juli Verlagerung Rillen­kugel­lager eingestellt.
Halle H. Federtellerlager
Neue Produkte: Getriebelager, nach Gunzen­hausen
ein-, zwei- und dreireihiges verlegt.
Rillenkugellager.
18 Mitarbeiter arbeiten in zwei Zellen Aufbau des Schaeffler
für das Hinter­achs­­getriebelager HAG – Accounting Services
eine INA-Entwicklung. in Schweinfurt. Sammeln zum Warnstreik

50 Mehr Sicherheit durch Flexibilität 51

Mehr Sicherheit
durch Flexibilität 5 Am Standort Schweinfurt gibt es verschiedene Betriebsvereinbarungen zur ­
Arbeitszeit. Ausgehend vom Tarifvertrag der IG Metall werden die Wünsche der
Mitarbeiter, wie auch die betrieblichen Erfordernisse, formuliert. Die hohe
Arbeitszeitregelungen bei FAG/Schaeffler Schweinfurt Kapitalbindung der Maschinen, hohe Lagerkosten und Kundentermine begründen
das Unternehmensinteresse nach langen Laufzeiten der Maschinen und schwan­
kender Produktionsbelegung.
Das Arbeitnehmerinteresse wird bestimmt von persönlichen Wünschen nach
der Lage der Freizeit und der Arbeitsplatzsicherheit, auch bei konjunkturellen
Schwankungen.
Mit den drei unterschiedlichen Konten für Gleitzeit, Arbeitszeit und Kon­junk­tur
schaffen Unternehmen, Betriebsrat und IG Metall einen Flexi­bili­täts­rahmen,
der die verschiedenen Interessen zum Ausgleich bringen will. Insbesondere das
Konjunkturkonto und die Öffnung des Gleitzeitguthabens auf plus 35 Stunden

 2006 Tarifauseinandersetzung bringt


Einrichtung der Schaeffler-IG 3% mehr Entgelt.
Metall-Homepage.
2007
Interessenausgleich „Saar­ 5,8% mehr Lohn und Gehalt in zwei Stufen.
wellingen“.
2008
Verlagerung des LVZ nach August Interessen­ausgleich in „Produkt­
Saarwellingen, Mai bis linie Radlager“ und „Special Bearings“,
September. betroffen 87 Mitarbeiter.
Aufbau des Europäischen Abschluss Tarifvertrag zum flexiblen Jugendwarnstreik, 2008
Logistik­zentrums (ELZ) Übergang in der Rente und Tarifvertrag
Ost in Erfurt. Warnstreik für Altersteilzeit, 2007 Beschäftigungssicherung.

März Interessenausgleich „Logistik“. Ver­schmelzung der Mitarbeiter der PD Verlagerung 1. Generation nach Kysuce.
Logistics GmbH in die Schaeffler KG mit allen Rechten und Pflichten. Verlagerung Dreherei, Spannrollen und Rillenkugellager

52 Mehr Sicherheit durch Flexibilität 53

eröffnen allen Beschäftig­ten ohne Arbeits­zeitkonto und deren Führungskräften erfasst. Jeder Beschäftigte hat zwei Konten: Das Konjunkturkonto und zusätzlich
neue Gestaltungs­möglichkeiten. entweder das Arbeitszeitkonto (Schichtarbeit) oder das Gleitzeitkonto.
Bei intelligen­ter Anwendung dieser Werkzeuge werden gleichermaßen die Wett­
be­werbsfähigkeit des Standorts wie auch die Arbeitsplatzsicherheit und die Arbeitszeitkonto: Kollektive Flexibilität zur optimalen Steuerung
Zufriedenheit der Belegschaft erhöht. Im Folgenden werden die drei Konten und des Produktionsbedarfs
ihre Regelungen gemäß der geltenden Betriebsvereinbarungen kurz vorgestellt. Das Ziel des Arbeitszeitkontos ist die Anpassung des Arbeitszeitvolumens an
den Produktionsbedarf. Am Arbeitszeitkonto nehmen alle Beschäftigten in
Es ist wichtig zum Verständnis der Arbeitszeitmodelle, dass es sich bei Schichtarbeit teil, deren Arbeitszeitmodell gleichmäßig oder ungleich­mäßig auf bis
FAG/Schaeffler Schweinfurt um einen über viele Jahrzehnte gewachsenen zu fünf Wochentage von Montag bis Freitag verteilt wird. Auf der Grundlage der
Produktionsstandort mit einer Vielzahl an Schichtarbeitsmodellen handelt. 35-Stunden-Woche liegt die Bandbreite der möglichen wöchentlichen Arbeitszeit
Rund 55 Prozent der Belegschaft gehören heute zum Bereich der direkt dabei zwischen 0 Stunden (Freischichtwoche) und 40 Stunden. Zum Zweck der
Beschäftigten, rund 45 Prozent arbeiten im indirekten Bereich. Die Proportionen Beschäftigungssicherung können eine wöchentliche Arbeitszeit über 40 Stunden
haben sich mit dem Abbau der Fertigungsarbeitsplätze und dem Aufbau von hinaus und außerdem der Samstag in Form von Sonderschichten vereinbart
Entwicklungsarbeitsplätzen und Zentralfunktionen systematisch in Richtung werden. Übersteigt die Schichtzeit die individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit
der Angestellten-Arbeitsplätze verschoben. Grundsätzlich gilt am Standort (IRWAZ), werden die überschreitenden Zeiten addiert.
Schweinfurt ein Gleitzeitsystem mit automatischer Zeiterfassung. Die Arbeitszeit Neue Unternehmenskultur
aller Beschäftigten im mitbestimmten Bereich – das heißt die gesamte interne Der kollektive Abbau der Zeitguthaben aus dem Arbeitszeitkonto erfolgt durch
Belegschaft außer den Leitenden Angestellten – wird mit einem Stechkartensystem ein entsprechendes bei Schaeffler
Arbeitszeitmodell, bei dem die durchschnittliche wöchentliche

 Einführung des Entgelt­ Februar IGM Vorsitzender schließt


rahmen­­abkommens. Vereinbarung mit Familie Schaeffler zur
Alle Tarifmitarbeiter werden Überwindung der Finanzierungskrise
nach neuer Messlatte neu und Erfolgsbeteiligung
eingruppiert. 75 % der neu
beschriebenen Arbeitsplätze März Interessen­ausgleich
erfahren eine Aufwertung. „PD Qualifi­zierung und Beschäf­tig­ung
25 % der betroffenen GmbH (QB)“, Regelung des Abbaus
Mitarbeiter profitieren von von Leiharbeitnehmern der QB mit
einer Besitz­standsregelung. Maria-Elisabeth Schaeffler und Berthold Huber schließen Sozialplan­abfindung.
Vereinbarung in der IG Metall Zentrale in Frankfurt

2009
Jugendaktion »Unbefristete Übernahme nach der Ausbildung“ Juli
Rahmensozialplan für die Interessen­ausgleich „keine Kündigung in der Krise“. Im Anschluss an die
Schaeffler Technologies mit zeitlicher befristeter Entgelt­sicherung. Keine betriebsbedingten Kündigungen,
Vereinbarung IG Metall und Schaeffler wird festgelegt, dass in der Krise 2009 der
(24 Monate) bei betrieb­lich veranlasster Ver­setzung. Überhang von allein in Schweinfurt 888 Mitarbeitern ohne Kündigung bewältigt
wird. Kurzarbeit und andere Werkzeuge kommen zur Anwendung.
Unternehmensmitbestimmung, 
Standortsicherung, Tarifbindung,
54 Mehr Sicherheit durch Flexibilität 55

Arbeitszeit geringer ist als die tarifliche bzw. einzelvertragliche wöchentliche außertarifliche Mitarbeiter. Zeitaufbau erfolgt durch Arbeitszeit, die über die
Arbeitszeit. Aus dem Arbeitszeitkonto ist auch eine individuelle Entnahme von individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit (IRWAZ) hinaus erbracht wird. Die
Arbeitszeit möglich. Die Wünsche des Mitarbeiters sind dabei zu berücksichtigen, Entnahme ist stundenweise außerhalb der Kernzeit möglich. Mit Zustimmung der
sofern es die betrieblichen Belange zulassen. Die Entnahme erfolgt tageweise. Führungskraft können in der Kernzeit auch ganze Tage aus dem Gleitzeitkonto
In Ausnahmefällen können auch einzelne Stunden entnommen werden. Bei entnommen werden („Abfeiern“). Das Gleitzeitguthaben darf sich in einem
dringendem betrieblichem Bedarf kann zudem eine Entnahme durch Vereinbarung Korridor von minus 20 bis plus 35 Stunden am Monatsende bewegen. Darüber
mit dem örtlichen Betriebsrat angeordnet werden, etwa zur Ermöglichung von hinaus gehende Plusstunden können zum Monatsende verfallen.
Kurzarbeit. Bei Überschreitung der Grenze von plus 220 oder minus 20 Stunden
auf dem Arbeitszeitkonto wird der Vorgang der paritätischen Kommission Können Zeitguthaben bzw. kann ein Zeitminus aufgrund unvorhersehbarer
aus Betriebsrat und Personalleitung vorgelegt, um beschäftigungswirksame Umstände – wie zum Beispiel Krankheit – oder aufgrund betrieblicher Erforder­
Maßnahmen zu prüfen. nisse nicht bis zur übertragungsfähigen Grenze (minus 20 / plus 35 Stunden)
ausgeglichen werden, erfolgt ein darüber hinaus gehender Zeitvortrag. Dieser ist
Gleitzeitkonto: Individuelle tägliche Arbeitszeitflexibilität zu begründen und vom Vorgesetzten zu genehmigen (Ziffer 5.2 der Gleitzeit-
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit können innerhalb der Gleitzeitspanne, Betriebsvereinbarung vom 15. Februar 1990). Als Sperrzeit gilt erbrachte
unter Berücksichtigung der betrieblichen und persön­lichen Belange der einzelnen Arbeitszeit, die außerhalb der Bandbreite der Gleitzeitrahmens liegt. Diese Zeiten
Beschäftigten, festgelegt werden. Das Gleitzeitmodell gilt persönlich für werden dann als Arbeitszeit angerechnet, sofern vom Vorgesetzten dafür vorab
Tarifmitarbeiter, sofern aus betrieblichen Gründen möglich, sowie für nichtleitende beim Betriebsrat Mehrarbeit beantragt wurde.
Konjunkturkonto: Für konjunkturelle Schwankungen und

 2012
Juli – Abschluss einer
Betriebsvereinbarung zur
Einführung der Teamleiter­
organisation.

2013
Oktober Interessen­aus­
gleich „Einstellung Radlager­
fertigung“ – betroffen sind
500 Arbeitsplätze.
Neuausrichtung für 344
Arbeitsplätze in der
Produktlinie und Sonderlager.
Der Wankstabili­sator wird in
Warnstreik 2012, Peter Kippes, Jürgen Schenk, Jennifer Stettner Für flexiblen Übergang in die Rente, 2012
Schweinfurt industrialisiert.

56 Mehr Sicherheit durch Flexibilität 57

persönliche Sonderbelange Zuschläge für angeordnete und genehmigte Mehrarbeit werden im Monat des
Das Konjunkturkonto soll im Grundsatz mehr (Arbeitszeit-)Flexibilität Entstehens ausbezahlt. Aus dem Konjunkturkonto ist bei einem Kontostand von
ermöglichen, insbesondere bei konjunkturellen Schwankungen und für persönliche mehr als 40 Stunden auch eine individuelle Entnahme von Arbeitszeit möglich.
Belange. Es gilt für alle Tarifbeschäftigten mit Konjunkturkonto nach § 5 Ziffer Die Entnahme erfolgt in der Regel tageweise. Sie dient zum Beispiel familiären
3 Satz III des Manteltarifvertrags der bayerischen Metall- und Elektroindustrie. Zwecken, Weiterbildung oder einer längeren Reise in Verbindung mit Urlaub.
Zeitaufbau im Konjunkturkonto erfolgt durch von der Führungskraft angeordnete, Bei der zeitlichen Festlegung der Entnahme sind grundsätzlich die Wünsche des
vom Betriebsrat genehmigte und geleistete Mehrarbeitsstunden. Diese werden Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
auf Wunsch des Mitarbeiters entweder im Monat des Entstehens ausbezahlt
oder sie werden auf das tarifliche Konjunkturkonto eingestellt. Dies gilt auch für Bei betrieblicher oder konjunktureller Erforderlichkeit kann aus dem vereinbarten
Mehrarbeitsstunden im Rahmen von Dienstreisen. Reisezeiten gemäß § 19 des Zeitsockel von 40 Stunden eine angeordnete Entnahme, nach Vereinbarung
Manteltarifvertrags der bayerischen Metall- und Elektroindustrie werden, anstatt mit dem örtlichen Betriebsrat, erfolgen. Die angeord­nete Entnahme dient zur
zuschlagsfreier Auszahlung (4- bzw. 12-Stunden-Pauschale), ebenfalls auf das Beschäftigungsförderung gemäß der Beschäftigungs­vereinbarung vom 1. Januar
Konjunkturkonto gebucht. 2005. Für Beschäftigte mit Arbeitszeitkonto erfolgt die Entnahme vorrangig
Bei einem negativen Stand des Konjunkturkontos von unter minus 20 Stunden aus dem Konjunkturkonto. Das Zeitgut­haben im Konjunkturkonto darf sich in
werden keine Mehrarbeitsstunden vergütet, sondern alle geleisteten Mehrarbeits­ einem Rahmen von 0 bis plus 150 Stunden bewegen. Der übersteigende Saldo
stunden im Monat des Entstehens, zum Ausgleich des negativen Zeitsaldos, wird im Folgemonat ausbezahlt. Negative Kontostände sind im Konjunkturkonto
herangezogen. Gleiches gilt bei einem Gleitzeit­saldo unter minus 20 Stunden. unzulässig.
Rahmen für die Arbeitszeitregelungen

 Kompetenz­zentrum „Massiv-Wälzlager“ baut auf den Bereich Musterlager auf. schlanke Prozesse,
Bündelung der
5,6 % mehr Entgelt in zwei Büroarbeitsplätze
Stufen. Industrie und
Europa in
2015 Schweinfurt
März Interes­sen­ausgleich
„Persona­l­maß­nahmen QB“ Abbau von 500
84 Leiharbeit­nehmer der Arbeitsplätzen in
QB ohne Be­schäftigung; Europa.
Abfindungen nach Sozialplan.
2017
2016 Interessenausgleich
Januar Interes­sen­ausgleich „Erweiterung
„Neuausrichtung Industrie CORE“
Personalchef muss sich die Forderungen der Arbeitnehmer, vorgetragen vom
CORE“.
Betriebliche Protestaktion, 2013 GBR-Vorsitzenden Norbert Lenhard, anhören; 2013 
58 Mehr Sicherheit durch Flexibilität 59

Bei Austritt aus dem Unternehmen ist das Arbeitszeitkonto nach Möglich­keit
auszugleichen. Ist dies nicht möglich, wird das Guthaben auf der Grund­lage des
aktuellen Entgelts ohne Zuschläge ausgezahlt. Auf Wunsch des Arbeitnehmers
kann das Arbeits­zeit­guthaben nach Zustimmung des Arbeitgebers auch zur
Verlängerung der Kündigungsfrist eingesetzt werden. Minusstunden sind nach
Möglichkeit während der Kündigungsfrist aufzuarbeiten. Ist dies nicht oder nicht
vollständig möglich, wird bei arbeitgeberseitig veranlasster betriebsbedingter
Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Erstattung vom Arbeitnehmer
verlangt. Bei Arbeitnehmerkündigung und verhaltensbedingter Beendigung des
Arbeitsverhältnisses werden die Minusstunden verrechnet. Eine paritätische
Kommission aus Personalleitung und Betriebsrat entscheidet bei Streitigkeiten über
die individuelle Entnahme sowie Umsetzung und Durchführung des Arbeitszeit-,
Gleitzeit- und Konjunkturkontos.
Dies geschieht auf Grundlage der Gleitzeit- und der Arbeitszeitbetriebs­verein­
barung sowie nach den Urlaubsgrundsätzen des Tarifvertrages.

 Umsetzung der Im Interessenausgleich vereinbart


Bürokonzepte ‚New der Betriebsrat Aufhebungs­
Work‘ im Bau 10 angebote, Alternativ­arbeitsplätze
und 23. und den Betriebsübergang von
Kugellagern und Federbeinlagern.
Interessenausgleich Kein Mitarbeiter wird betriebs­
„Elfershausen“. bedingt gekündigt. Das Werk
Der Vorstand schließt Schweinfurt wird gestärkt durch
das Werk Elfershausen Kompetenzaufbau zu Industrie 4.0.
mit 263 Mitarbeitern
zum 31. 12. 2017 September
Trotz Protesten der „Betriebsrat im Dialog vor Ort“.
Beschäftigten und der Erstmalig führt der Betriebsrat
Warnstreik um Mitternacht, 2015
IG Metall, politischen mit Unterstützung der IG
Vermittlungs­versuchen und der Hinzuziehung eines arbeitnehmernahen Metall insgesamt 92 Dialog-
Beratungsinstituts kann die Schließung nicht verhindert werden. Veranstaltungen in den Betriebs­

Betriebsrat im Dialog vor Ort. Abteilung Fluglager
60 Der Kampf um die Arbeitsbedingungen 61

„Ohne uns
läuft nichts“ 6 Bei einer Betriebsversammlung im November 1998 erklärte der Vorstand von
FAG Kugelfischer, das Lager- und Verteilzentrum (LVZ) in Schweinfurt in eine
„rechtlich selbständige FAG-Gesellschaft“ ausgliedern zu wollen.
Der Kampf um die Arbeitsbedingungen
In einer Funktionsanalyse sollte geprüft werden, „welche Funktionen auf den
im Lager- und Verteilzentrum (LVZ) 1998 bis 2016
Speditionspartner übertragen werden können und welche Funktionen bei FAG
verbleiben“. Die „weltweite Logistik soll bis Mitte 1999 neu geordnet“ werden.
Damals ahnte niemand, dass damit ein lang andauernder Konflikt um die
Arbeitsbedingungen und den Lagerstandort eröffnet war.

Die angekündigte Neuordnung sah später vor, zum 1. Januar 2000 die Logistik­
aktivitäten an eine ortsansässige Spedition zu übergeben. Bereits im April 1999
regte sich Widerstand. Der Betriebsrat lehnte das Vorhaben ab.

 bereichen durch. Nach 134 Jahren endet die Unternehm­


Mitarbeiterinnen ens­geschichte von FAG Kugelfischer.
und Mitarbeiter
diskutieren ihre Schweinfurt ist ein Schaeffler-Standort
Situation am mit Zentrale Europa, Zentrale Industrie
Arbeitsplatz und und Produktion für Industriebranche/
im Unternehmen. Automotive.
Aus den Die Firma befindet sich in einer
Mitarbeiter­ tiefgreifenden Transformation.
beiträgen
entwickelt der
Betriebsrat
Aufgaben zur Geschäftsmodelle, Produkte
Abarbeitung. und Arbeits­formen ändern sich
Betriebsrat im Dialog vor Ort. Abteilung Schmiede Walzringe
Die Ergebnisse im Zuge der Digitalisierung,
werden bei der nächsten Betriebsversammlung vorgestellt und analysiert. Industrie 4.0 und Elektromobilität.

62 Der Kampf um die Arbeitsbedingungen 63

In einer Unterschriftensammlung hieß es: „Angedachte Einsparungen beruhen weigerte sich, in einem ausgegliederten Speditionsunternehmen weiterhin die
weitgehend auf dem Effekt der Tarifflucht aus dem Metalltarif. Dies hat massive Tarifbedingungen der Metall- und Elektroindustrie zu bezahlen.
Einkommensverluste und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zur Folge“. Nach einer Abteilungsversammlung am 8. September 1999, in der die Aus­
Am 30. September 1999 – nach einem Pressebericht – spitzte sich die Auseinander­ gliederung der Logistikaktivitäten zum 1. Januar 2000 angekündigt wurde,
setzung zu. Wurden bis dahin Argumente ausgetauscht, legten dann ca. 100 widersprachen fast alle Beschäftigten diesem geplanten Betriebs­übergang nach
Arbeitnehmer im LVZ die Arbeit nieder und versammelten sich vor dem § 613a BGB. Der Übergang des LVZ an den neuen Speditionsdienstleister
Betriebsratsbüro. LCi Logistic Center International GmbH in Gründung war somit gescheitert.
Am 22. Oktober 1999 protestierten schließlich 3.000 Kundgebungsteil­nehmer vor Die daraufhin gegründete PD Logistics GmbH kooperierte ab Mitte 2000 mit
dem Tor 2 in der Georg-Schäfer-Straße. In einer „Historischen Stunde“ erklärten der Firma Microlog Holding GmbH in Heppenheim, die sich zu 50 Prozent
sich alle FAG-Standorte und die Belegschaften von SKF und Sachs solidarisch beteiligte. Als Ergebnis des erfolgreichen Widerstands blieb das Unternehmen
und nahmen ebenfalls zahlreich an der Kundgebung teil. Mit einem gellenden in der Tarifbindung Metall und war weiterhin Teil des Gemeinschaftsbetriebes in
Pfeifkonzert reagierten die Teilnehmer auf die angedrohte Kündigung der Schweinfurt.
Betriebsratsvorsitzenden der drei FAG-Werke. In einer Abteilungsversammlung
informierte der Betriebsrat über „Chancen und Risiken eines Übergangs nach Im Jahr 2005 entschied sich die Schaeffler-Geschäftsleitung für ein neues
§ 613a BGB“. Logistikkonzept. Am Standort Saarwellingen sollten mit einem externen
Der Kompromissvorschlag des Vorstandes wurde in einem Spitzengespräch Dienstleister alle Aktivitäten der INA- und FAG-Standorte zusammen­geführt
zwischen IG Metall-Bezirksleiter, Betriebsrats-Spitze und FAG-Vorstand von werden. Der Vertrag mit PD Logistics, bei der FAG noch 30 Prozent hielt, wurde
der Arbeitnehmerseite abgelehnt. Knackpunkt der Verhandlungen war: FAG gekündigt und 300 Arbeitsplätze sollten verlagert werden. Die Reaktion ließ
nicht lange auf sich warten. Im LVZ protestierten die Betroffenen, begleitet von
Protestaktionen, Arbeitsniederlegungen und Betriebsversammlungen. Die Arbeit
ruhte über Stunden.
Die Globalisierung bringt vielfältige Der Betriebsrat verhandelte einen Interessenausgleich mit folgendem Ergebnis:
Umwälzungen und Verlagerungen • 200 Arbeitsplätze werden in den Standort integriert und ein
von Produktion, Forschung und „Automotive Lager Ost“ aufgebaut,
Entwicklung mit sich. Sie führen • 100 Arbeitsplätze werden „sozialverträglich“ abgebaut durch Vorruhestand
zu einer Aufwertung von Ostasien, und Altersteilzeit,
besonders China.
• Betriebsbedingte Kündigungen werden ausgeschlossen.
Während der Betriebsversammlung
im Dezember protestieren Das Konzept in Saarwellingen gab Schaeffler einige Zeit später auf, so dass alle
Werkschützer und Betriebsrat. Aktivitäten – anders als geplant – nun doch in Schweinfurt fortgesetzt und die
„Der Werkschutz gehört zu uns!“ – PD Logistics in die Schaeffler-Gruppe zurückgeführt wurde.
Gegen Outsourcing und In der Zwischenzeit erwarb Schaeffler ein Grundstück bei Erfurt, dessen Lage sich
Arbeitsplatzvernichtung jedoch später als ungeeignet erwies.
und den Folgen der Verlagerung
in ein „Shared Service Center“ nach Osteuropa.

64 Der Kampf um die Arbeitsbedingungen 65

2014 trieb das Unternehmen die Investitionen in ein europäisches Logistik­ Zusammenfassung
konzept voran. Die Regionen Nord, Süd und der größte Absatzmarkt Mitte sollten Bei wesentlichen Entscheidungen des Managements, wie Standort­schließung,
aus sogenannten Europäischen Distributionszentren (EDZ) beliefert werden. Verlagerung und Outsourcing verfügt der Betriebsrat über Informationsrechte
Franken kristallisierte sich als Standort für ca. 200 Arbeitsplätze heraus. Mit und hat gegebenenfalls über Betriebsänderung den Interessenausgleich und
öffentlichen Aktionen machten Vertrauensleute und Betriebsrat von Schaeffler Sozialplan zu verhandeln. Wichtig dabei ist: Selbst wenn kein Interessenausgleich
Schweinfurt politisch Druck auf den Schweinfurter Landrat Florian Töpper (SPD) zustande kommt, hindert dies das Unternehmen nicht an der Durchsetzung seiner
und Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU), die sich zuvor Entscheidungen.
industriepolitisch sehr bedeckt gehalten hatten.
So rückten zwei Grundstücke im Konversionsgelände bzw. Industriegebiet Der Betriebsrat kann mit der IG Metall nur dann auf einen erweiterten
Schweinfurt in die engere Auswahl. Eine betriebliche Tarifkommission der IG Handlungsrahmen hoffen, wenn die betroffenen Mitarbeiter mobilisiert werden
Metall verhandelte im Oktober 2014 die tariflichen Bedingungen des neuen können und wenn zugleich eine Solidarisierung über die direkt mit einbezogenen
Europäischen Distributionszentrums (EDZ) und die Modalitäten des Übergangs Beschäftigten hinaus gelingt.
für die betroffenen Mitarbeiter. Aufgrund der technischen Bedingungen, wie Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat kann ebenfalls zu weiteren Handlungs­
Größe der Erweiterungsfläche, Lärmschutzauflagen, Bauhöhe usw., fiel die optionen genutzt werden. Denn traditionell ist die Kapitalseite im Aufsichtsrat
Standortentscheidung letzten Endes für Kitzingen. an Konsensentscheidungen interessiert. Ein dauerhaftes Zerwürfnis mit der
In einem Ergänzungstarifvertrag akzeptierte die IG Metall einige vom Arbeitnehmerseite wird häufig nicht als zielführend angesehen. Dies verschafft
Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie abweichende Regelungen: den Arbeitnehmervertretern einen gewissen Spielraum, Druck auf den Vorstand
• Anstelle der 35-Stunden-Woche im Flächentarifvertrag wurde eine zugunsten der von Veränderungen betrofffenen Beschäftigten aufzubauen.
37,5-Stunden-Woche als wöchentliche Regelarbeitszeit ohne Entgelt­- Die praktische Durchsetzungskraft von IG Metall und Betriebsrat hängt
ausgleich festgelegt, mit einer Reduzierung auf 35 Stunden pro Woche letztlich an der Anzahl der Optionen und der Druckmittel, die beiden Seiten
ab dem 57. Lebensjahr, zur Verfügung stehen. 1999 war das Management auf die Funktionsfähigkeit
• die Arbeitszeit wurde flexibilisiert, abgestimmt auf die betrieblichen des LVZ in Schweinfurt angewiesen. Durch den glaubwürdigen Zusammen­halt
Anforderungen in der Logistik, der Beschäftigten im LVZ und in der Region sah sich das Unternehmen damals
• es wurde ein durchschnittliches tarifliches Leistungsentgelt von gezwungen, die Bedingungen der Interessenvertretung zu akzeptieren.
10 Prozent vereinbart (anstatt der 14 Prozent im Flächentarifvertrag).
Das änderte sich mit der Standortortalternative in Saarwellingen und später in
Ansonsten gelten für das EDZ Mitte in Kitzingen alle tariflichen Vereinbarungen Kitzingen. Mit den räumlichen Alternativen für das Unternehmen schwand die
der Metall- und Elektroindustrie in Bayern. Außerdem bleibt der Schaeffler- Durchsetzungsmacht der Arbeitnehmerseite. Trotzdem zeigt sich als Ergebnis
Betriebsrat in Schweinfurt für das EDZ zuständig. So ist neben der tariflichen des Konflikts, dass Gegenwehr erfolgreich sein kann. Immerhin gelang es
Absicherung auch die durchgehende betriebliche Interessenvertretung letzten Endes, tarifliche Bedingungen sowie die betriebliche Interessenvertretung
gewährleistet. festzuschreiben. Damit wurde „Gute Arbeit“ an die neue Situation angepasst,
konkret definiert und effektiv durchgesetzt.
66 Gewerkschaftliche Antworten auf die Krise 67

Gewerkschaftliche
Antworten 7 Der Fall der kommunistischen Regime und die „deutsche Einheit“ hatten
1989/1990 eine große Euphorie in der westdeutschen Wirtschaft und eine Nach­
fragewelle in der Metall- und Elektroindustrie ausgelöst. Doch schon 1992/1993

auf die Krise brachen die Märkte drastisch ein. Dies setzte die Betriebsräte und Gewerkschaften
in der Industrie massiv unter den Druck der Arbeitgeberverbände: Entweder sie
würden die Flächentarifverträge öffnen, um die angeblich zu hohen Lohnkosten zu
Betriebliche Bündnisse für Arbeit senken – oder die Arbeitsplätze würden ins günstigere Ostdeutschland/Osteuropa
oder gleich nach Fernost verlagert.

Die neoliberale „Wende“ 1982 und ihre Folgen


Diese Forderungen der Unternehmer nach Aufweichung der Flächentarifverträge
und einer Schwächung der Gewerkschaften waren nicht neu. Seit der Machtüber­
nahme der schwarz-gelben Koalition 1982 hatten die Arbeitgeberverbände massive
politische Rückendeckung. Mit einer „geistig-moralischen Wende“ wollte die
Kohl-Regierung mehr Beschäftigung durch eine neoliberale Politik erreichen: Mehr
68 Gewerkschaftliche Antworten auf die Krise 69

Markt und weniger Staat, mehr Macht für Unternehmer und weniger Macht für die der Tarifpolitik auf die einzelnen Betriebe bedeutet daher eine Schwächung der
Gewerkschaften – so sollten die Produkte und Dienstleistungen der Firmen billiger gewerkschaftlichen Kampfkraft, und damit langfristig niedrigere Entgelte sowie
werden und die Weltmärkte erobern. schlechtere Arbeits­bedingun­gen. Daher muss es Arbeitnehmervertretungen stets
darum gehen, betriebliche Abweichungen nur als große Ausnahme zu vereinbaren
Ganz offen trat diese gewerkschaftsfeindliche Politik 1984 beim harten Kampf und sie möglichst auf dem Niveau des Flächentarifvertrags zu halten.
um die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie zu Tage. Die
Bundesregierung solidarisierte sich mit der hochumstrittenen „kalten“ Aussperrung Tarifabweichungen nach oben und unten
in der Metallindustrie und untersagte der Bundesan­stalt für Arbeit im Mai 1984 Mit der Einführung der 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektro­industrie ab
die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an die Ausgesperrten. Dies sorgte bei rund 1984 begannen die Abweichungen vom Flächentarif.
170.000 Ausgesperrten und ca. 370.000 „kalt“ Ausgesperrten für einen enormen Die 35-Stunden-Woche wurde nie für alle Tarifbeschäftigten umgesetzt. Sie muss
finanziellen Druck auf die IG Metall. Denn sie hätte eine Auszahlung von lediglich im Durchschnitt der gesamten Belegschaft erreicht werden. Zudem
Streikgeld an über eine halbe Million Beschäftigte nicht lange durchhalten können. einigte sich der IG Metall Bezirk Bayern bereits 1990 mit dem Arbeitgeberverband
Der skandalöse Erlass der Bundesanstalt für Arbeit wurde nach Klagen der VBM über Öffnungsklauseln darauf, dass mit der Einführung der 35-Stunden-
Gewerkschaften erst Ende Juni 1984 von den Sozialgerichten kassiert. Woche ab 1995 eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden für bis zu 13 Prozent
Der IG Metall gelang im Juli 1984 der Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung bei der Beschäftigten möglich war. Bei der Tarifrunde der bayerischen Metall- und
vollem Entgeltausgleich. Elektroindustrie im Jahr 2003/2004 wurde diese 40-Stunden-Quote für Betriebe mit
vielen hochbezahlten Beschäftigten (zum Beispiel Entwicklungsfirmen) auf bis zu
Mit dem großen Nachfrageeinbruch in der Metall- und Elektroindustrie von 45 Prozent erhöht. Dies war ein Zugeständnis an die Arbeitgeberseite.
1992/1993 versuchten die Metallarbeitgeberverbände eine Revanche für ihre Umgekehrt setzte die IG Metall selbst auf ihr seit 1984 bewährtes Konzept der
Niederlage von 1984 zu nehmen. Sie sahen ihre Chance gekommen, wesentliche Arbeits­zeitverkürzung zur Schaffung neuer bzw. zum Erhalt bestehender Arbeits­
tarifliche Errungenschaften dauerhaft zurückzudrehen. Die Unternehmer wollten plätze. Erstmals wurde 1994 für die Metall- und Elektroindustrie eine Möglichkeit
die Flächentarifverträge auf Betriebsebene öffnen, möglichst ohne Entscheidungs­ zur befristeten Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit auf bis zu 29 Stunden
hoheit der Tarifparteien. Der Verzicht auf tarifliche Leistungen sollte Arbeitsplätze bei entsprechender Absenkung des Tarifentgelts vereinbart. Mit dieser Regelung
sichern. Doch ein drastischer Nachfrageeinbruch lässt sich nicht mit ebenso wurde erfolgreich Beschäftigung bei Betrieben und Branchen gesichert, die sich in
großem Lohnverzicht bekämpfen. Dieser führt nur zu einer weiteren Reduzierung
der Nachfrage und letztlich zu einer wirtschaftlichen Spirale nach unten. Vielmehr
bedarf es einer Umstrukturierung der Branche sowie der Erschließung neuer
Produkte und Märkte, damit die Industrie wieder wachsen kann.
IGM-Vertrauensleute der Schaeffler Technologies AG & Co KG Schweinfurt informieren
Nummer 93 – März 2017
Eingriffe in die Tarifverträge auf betrieblicher Ebene sind grundsätzlich problem­a­
tisch. Denn die Erpressbarkeit einzelner Belegschaften – und von deren Interessen­ CORE — erweitert
vertretungen – ist tendenziell viel höher als der Druck der Unternehmer auf die Wann hat der Personalabbau ein Ende? Kommentar von Thomas Höhn
2. Bevollmächtigter der
Gesamtbelegschaft der Branche und auf die Gewerkschaft. Betriebsräte dürfen laut Seit August 2015 werden insbesondere die indirekten Kollegen/innen bei IG Metall Schweinfurt
Schaeffler in Schweinfurt mit diversen Vorhaben zum Personalabbau kon- In den vergangenen Wochen hat die
Betriebsverfassungsgesetz auch nicht zum Streik mobilisieren. Eine Verlagerung frontiert. Wurde bereits in 2013 der harte Einschnitt Radlager begonnen, so IG Metall die Beschäftigten zu einer
der größten Befragungen in der
trifft es seit August 2015 die indirekten Mitarbeiter im Industriebereich.
Geschichte der
Bundesrepublik
Der ersten Ankündigung folgte offizielle Information! Hier muss der
aufgerufen.
eine zweite Welle (Mitte 2016), in Vorstand dringend Abhilfe schaffen,
Auch wenn noch
welcher die Firma Mitarbeitern die Vorgabe lautet doch „Transparenz keine abschlies-
Aufhebungsverträge anbot. Hier – Vertrauen – Teamarbeit“. senden Zahlen
wurden Führungskräfte geschult, Der Betriebsrat in Schweinfurt vorliegen, ist
70 Gewerkschaftliche Antworten auf die Krise 71

einer vorübergehenden Krise befanden. Auf betrieblicher Ebene wurden zahlreiche „Keine Entlassungen in der Krise!“ durchgesetzt, auch gegenüber der schwarz-
vergleichbare Regelungen für Arbeitszeitflexibilisierung getroffen, auch bei FAG/ roten Bundesregierung. Mit kollektiven Arbeitszeitabsenkungen, einer verbesserten
Schaeffler in Schweinfurt. Kurzarbeiterregelung und einem Konjunkturpaket der Merkel-Regierung wurden
betriebsbedingte Kündigungen weitgehend vermieden. Der Verzicht auf Massen­
Um betriebliche Tarifabweichungen transparent und fair zu gestalten, Arbeitsplätze entlassungen war eine wichtige Grundlage für die rasche wirtschaftliche Erholung
zu sichern und dem politischen Druck der rot-grünen Bundesregierung unter Deutschlands mit dem Nachfolgeaufschwung ab 2010.
Gerhard Schröder zur Aufweichung der Flächentarifverträge zu begegnen,
beschloss die IG Metall im Jahr 2004 das „Pforzheimer Abkommen“. Es war Betriebliches „Bündnis für Arbeit“ bei FAG/Schaeffler
ein Bestandteil des Tarifabschlusses der Metall- und Elektroindustrie 2004 und Bei FAG Kugelfischer hatten sich Betriebsräte und IG Metall nach der Krise
ermöglicht den zeitlich befristeten Verzicht auf tarifliche Mindeststandards 1992/1993 geschworen: Es müsste alles getan werden, um ähnli­che Massenent­
im Betrieb. Das „Pforzheimer Abkommen“ legte ein demokratisches und lassungen in der nächsten Krise zu vermeiden. Der Lösungs­ansatz lautete ähnlich
transparentes Verfahren für ergänzende betriebliche Regelungen fest. Das Ziel wie im Tarifvertrag 1994 der bayerischen Metall- und Elektroindustrie. Man wollte
war und ist die Sicherung bestehender sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze am durch eine arbeitnehmer­orientierte weitgehende Arbeitszeit­flexibilisierung die
Standort Deutschland. angebliche betriebswirtschaftliche Notwendigkeit von Personalabbau bei einem
Das „Pforzheimer Abkommen“ sowie insbesondere der solidarische Ansatz Nach­frage­einbruch vermeiden. Betriebsräte und Gewerkschaft in Schweinfurt
eines gemeinsamen Arbeitszeitverzichts haben sich insgesamt bewährt. Als erwiesen sich damit als Pioniere. Denn damals waren solche betrieblichen „Bünd­
Glücks­fall erwies sich die Arbeitszeitabsenkung in der großen Wirtschaftskrise nisse für Arbeit“ noch selten und galten als umstritten, auch in der IG Metall.
2008/2009. Entgegen dem üblichen kapitalistischen Mechanismus „Umsatz- und Inzwischen bestehen zahlreiche Flexibilisierungsregelungen am FAG/Schaeffler-
Gewinneinbruch heißt Personalabbau“, hat die IG Metall erfolgreich ihre Maxime Standort Schweinfurt, etwa für flexible Arbeitszeitkonten, eine betriebsinterne
72 Gewerkschaftliche Antworten auf die Krise 73

Leiharbeits­gesellschaft mit fairen Beschäftig­ungs­­bedingungen u. a. Nach über Literatur:


zwei Jahrzehnten zeigt sich: Das Konzept hat sich bewährt. Seit 1993 musste bei Müller, Wolfgang: Ende des „Wirtschaftswunders“, erste Krisen und der Kampf um
die 35-Stunden-Woche (1967-1989), in: Vom Wiederaufbau zur Arbeit 4.0.
FAG/Schaeffler in Schweinfurt praktisch kein Beschäftigter mehr betriebsbedingt
IG Metall Bayern: 70 Jahre Fortschritt durch Tarifpolitik. VSA-Verlag, Hamburg 2017.
gekündigt werden. Auch viele andere Betriebe des Schaeffler-Konzerns sowie in
der gesamten Metall- und Elektroindustrie haben sich diesem Konzept inzwischen Müller, Wolfgang: Wiedervereinigung, Angriffe auf den Flächentarif und bayerische
angeschlossen. Es wird auch von der IG Metall mittlerweile offensiv vertreten. Pilotabschlüsse (1989-2016), in: Vom Wiederaufbau zur Arbeit 4.0.
IG Metall Bayern: 70 Jahre Fortschritt durch Tarifpolitik. VSA-Verlag, Hamburg 2017.
An die Stelle des vorherigen Prinzips
Quo vadis* „Heuern und Feuern“ ist eine Politik
Schaeffler? der „atmenden Arbeitszeit“ getreten,
mit Flexibilität für beide Seiten – Ergebnisse der Betriebsratswahlen 1975 bis 2014
Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.
Jahr Wahlbeteiligung Stimmen % Stimmen % Stimmen %
Die Beschäftigten bringen Arbeits­
Unternehmen
IGM CGM (CMV) DAG
zeitflexibilität ein und erhalten
in unsicherem 1975 50,2 24,9 24,9
dafür quasi eine „Beschäftigungs­
Fahrwasser garantie“ des Arbeitgebers. Die
1978 56,55 24,2 19,25
* Wohin geht’s?
1981 56,7 23,95 19,35
Flexibilisierungsregelungen
1984 50,9 27,65 21,45
ft!
nscha en:
bewegen sich dabei auf dem
M e tall m e i
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74 75

Gespräch mit Wolfgang Müller Anschein nach noch ein Mittelständler aus der fränkischen Provinz. Die Geschäfte
führte ein „harter Hund“, ein Manager, der das neoliberale anti-gewerkschaftliche

Grün oder Rot? Credo predigte und praktizierte. Die meisten Schaeffler-Betriebsräte waren
engagiert und hoch motiviert, hatten aber in diesem autoritär geprägten Familien­
unternehmen wenig zu melden. In Herzogenaurach und in Bühl pflegte Schaeffler
Gestärkte Mitbestimmung statt andauernder Kulturkämpfe zudem arbeitgeberhörige Betriebsratslisten. Auch für den kleinsten Vorgesetzten
bei Schaeffler war Mitbestimmung ein Fremdwort. Partnerschaft auf Augenhöhe
gab es nicht.
Wolfgang Müller, geboren 1948 in München, ist studierter Sozialwissenschaftler
und arbeitete 15 Jahre lang als Softwareentwickler Wie hat sich die Zusammenarbeit der Betriebsräte von FAG und Schaeffler entwickelt?
in der Computerbranche. Ab 1999 war er für die Wolfgang Müller In den Jahren nach der FAG-Übernahme gestaltete sich
IG Metall Bayern tätig und in dieser Funktion von der Aufbau einer einheitlichen, geschlossen agierenden Arbeitnehmervertretung
2007 bis 2013 der IG Metall-Konzernbetreuer von zwangsläufig schwierig. Es ging nicht nur um die komplizierte Vereinheitlichung
Schaeffler. Ab 2010 bis 2013 saß er auch im erstmals unterschiedlicher Mitbestimmungsorgane. Auch die alltägliche Arbeit der
gebildeten Schaeffler-Aufsichtsrat. Als China-Experte Betriebsräte bei Schaeffler war aufgrund der besonderen Unternehmensgeschichte
organisiert und leitet er einmal im Jahr für die IG ganz anders als die der FAG-Betriebsräte. Im Raum standen zudem die vom
Metall Bayern eine Studienreise von Betriebsräten und Arbeitgeber geförderten Animositäten zwischen den „Grünen“ (Schaeffler), die
Gewerkschaftern in das „Reich der Mitte“. die Mehrheit der Beschäftigten in der jetzt größeren Schaeffler-Gruppe stellten
und die für die Übernahme der FAG „gezahlt“ hatten, und den übernommenen
Wie war dein Eindruck von der Übernahme der FAG durch FAG-„Roten“.
Schaeffler?

Wolfgang Müller Wenn ein Unternehmen ein Was ist dein jetziges Fazit?
anderes schluckt, treffen gewachsene unterschiedliche Unternehmenskulturen Wolfgang Müller Nach mehr als zehn Jahren gemeinsamer Arbeit, unterstützt
aufeinander. Zur Unter­nehmenskultur gehört auch der Umgang zwischen den durch ein IG Metall-Projektteam, haben die IG Metall-Betriebsräte bei Schaeffler
Eigentümern samt ihren angestellten Managern und den Beschäftigten und ihren und der FAG heute eine starke Mitbestimmung und einen mitbestimmten
gewählten Vertretern. Welten trennten 2001 die Arbeitsbeziehungen von Schaeffler Aufsichtsrat in der gesamten Schaeffler Gruppe durchgesetzt. Die Umstände haben
und der FAG: Die FAG war ein börsennotierter Konzern mit krisenerprobten dabei geholfen: In der Wirtschaftskrise 2008/09 bröckelte das Schaeffler-Imperium,
Belegschaften aus Industrieregionen, hatte einen mitbestimmten Aufsichtsrat und das sich an der Conti-Übernahme verhoben hatte. Die Familieneigentümer
selbstbewusste Betriebsräte. gingen zum damaligen 1. Vorsitzenden der IG Metall, Berthold Huber, und
baten um Hilfe. Das war der Durchbruch für eine stärker mitbestimmungs- und
Und Schaeffler?
beteiligungsorientierte Ausrichtung der Unternehmensführung und -kultur.
Wolfgang Müller Die Firma war damals noch wenig bekannt. Schaeffler war Dazu beigetragen hat auch der Abgang des langjährigen Geschäftsführers, dessen
ein verschlossenes Familienunternehmen mit einer Matriarchin an der Spitze, dem Nachfolger aus der mitbestimmungsgewohnten Bankenwelt stammt.
76 77

Gespräch mit Werner Neugebauer Ich selbst kam 1993 in den Aufsichtsrat. Hohe Belastungen durch die Banken

Die Gewerkschaft
von bis zu 8 % Zinsen lasteten schwer auf der Firma, der Sanierer wollte daher
vor allem Kosten einsparen. Uns, also den Betriebsräten und der IG Metall, ging
es hingegen um die Beschäftigten. Wir wollten eine Zukunftsperspektive bei der

als Retter
hohen technischen Kompetenz der Belegschaft erreichen. Unser Kampf bestand
darin, Innovationen in den Standorten einzufordern und neue Produkte in
Kooperation mit anderen Herstellern zu entwickeln und zu fertigen. Wir wollten
neue Verbindungen zu Hochschulen und Universitäten aufbauen, mit Blick auf die
Betriebsräte und IG Metall trugen wesentlich zum Erhalt
Zukunft.
von FAG Kugelfischer und Schaeffler bei
Nicht alles konnten wir erreichen, aber wir haben richtig Druck gemacht: „Nicht
verwalten, sondern gestalten“, hieß unser Wahlspruch. Ich habe bei vielen ähnlich
massiven Veränderungsprozessen auch eines gelernt: Protestieren, streiken,
Werner Neugebauer, geboren 1950 in Schweinfurt,
kämpfen – das ist sehr wichtig und völlig richtig. Aber man darf zugleich die
absolvierte 1972 eine Ausbildung als Organisations­
Gestaltung der Zukunft nicht anderen überlassen, muss selbst Vorschläge machen
sekretär beim DGB. Ab 1974 war er bei der IG Metall
und sich dafür einsetzen.
Landshut als politischer Sekretär und von 1976 bis 1988
als erster Bevollmächtigter der IG Metall Landshut
Schaeffler hat 2001 die FAG AG feindlich übernommen, Betriebsrat und Gewerkschaft nahmen
tätig. Vom 1. Februar 1988 bis zum 30. Juni 2010 war er
aber Einfluss auf die Übernahme-Vereinbarung. Was sind wichtige Errungenschaften daraus?
Bezirksleiter der IG Metall in Bayern und Mitglied des
DGB-Bezirksvorstandes Bayern. Werner Neugebauer Zwischen 1992 und 2001 hatten wir gemeinsam – über
alle Standorte und Betriebsbereiche hinweg – eine intensive Diskussion über
einen Beschäftigungssicherungsvertrag geführt. Ich kann mich noch gut an eine
Klausurtagung über drei Tage erinnern, wo wir die Kernpunkte debattiert haben,
Frage: Wie hat sich FAG nach der Krise 1992 entwickelt, was in allen Werken zu intensiven Diskussionen geführt hat. Die Rückschau in
inwiefern haben sich Betriebsräte und IG Metall eingebracht? dieser Broschüre zeigt ja deutlich, um was es damals alles ging.
Ohne die Kraft der Beschäftigten, insbesondere unserer Mitglieder, Vertrauens­
Werner Neugebauer Es waren viele Fehlentscheidungen der Unternehmens­
leute, Betriebsräte und Jugendvertreter, wäre gar nichts gegangen. Und es gab auch
leitung, die FAG an den Rand der Insolvenz geführt haben: der Kauf der
heftige Auseinandersetzungen mit der Unternehmensleitung – manchmal leise,
Deutschen Kugellager-Fabriken (DKFL) nach der Wende in der DDR 1990,
manchmal sehr laut. Wir konnten schließlich einen Beschäftigungssicherungsvertrag
der Zukauf in Südkorea, viele Träume in Osteuropa. Aus den nahezu 34.000
für alle Standorte bei FAG abschließen. Die heftigste Auseinandersetzung gab es
Beschäftigten im Jahr 1992 wurden nach Verkäufen und Ausgliederungen unter
um den Standort Elfershausen. Stundenlang wurde verhandelt, schließlich wurde
dem Sanierer Kajo Neukirchen – rund 4.500 Entlassungen alleine von 1991
der Erhalt von 220 Arbeitsplätzen festgelegt.
bis 1993 in Schweinfurt – eine Rest-FAG von ca. 8.500 Beschäftigten in den
Nach dem feindlichen Übernahmeangebot der FAG seitens INA gab es völlig
vormaligen FAG-Standorten.
berechtigt viele Protestaktionen. Doch nach langen Diskussionen wurde schließlich
78 79

klar: Aus dem Wunsch nach einem „weißen Ritter“ – also einem Partner, der FAG Der Kampf von Betriebsrat und Gewerkschaft gegen die 40-Stunden-Woche bei Schaeffler und die
vor der feindlichen Übernahme durch INA schützt –, wird nichts. So wurde ein geplante Schließung des Werks Eltmann 2004 bis 2006 war erfolgreich. Wie ist dies gelungen?
Beschluss in Betriebsrat und Vertrauenskörper gefasst, dass mit dem Sprecher der
Werner Neugebauer Herr Geißinger war ein „Gewerkschaftsfresser“.
Schaeffler-Geschäftsleitung Jürgen Geißinger ein Gespräch geführt wird. Dabei
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad mancher INA-Werke lag unter dem
ging es zur Sache: Wir forderten Beschäftigungssicherung, Tarifbindung (INA war
Krankenstand, die IG Metall war kaum präsent. Zudem gab es einen „Flicken­
nicht flächentarifgebunden), den Erhalt der Ausbildung sowie die Übernahme der
teppich“ an Arbeitszeitregelungen. Von der 35-Stunden-Woche wollte Geißinger
Betriebsvereinbarungen. Zu unserer Überraschung konnten wir uns durchsetzen,
nichts wissen, sondern konzernweit die 40-Stunden-Woche einführen. Zur
ein Vertrag mit INA wurde unterzeichnet.
Abwendung der geplanten Werksschließung in Eltmann etwa forderte Geißinger
Nach der Übernahme von FAG forderten jedoch nun auch die INA-Schaeffler-
ebenfalls die 40-Stunden-Woche. Bürgermeister und Wirtschaftsministerium
Arbeitnehmervertreter die gleichen Rechte ein. Sie hatten keine Beschäftigungs­
machten Druck, doch wir in Bayern haben konsequent nein gesagt. Denn ein
sicherung und nur einen Werktarifvertrag. Die IG Metall Bayern legte daher mit
solcher Schritt hätte einen „Flächenbrand“ in anderen Firmen nach sich gezogen.
Unterstützung des IG Metall-Vorstands ein INA-FAG-Projekt zur Unterstützung
Wir hätten die 1984 bundesweit und 1995 mit dem „Bayernstreik“ endgültig
der Betriebsrats-Zusammenarbeit und zur Mitgliedergewinnung auf. Diese
erkämpfte 35-Stunden-Woche nur schwer verteidigen können.
Herausforderung der Schaeffler-Unternehmensbetreuung übernahm Jürgen Scholz,
Im Lauf der Jahre konnten wir schließlich beides erreichen: Beschäftigungs­
und führte sie mit seinen Nachfolgern Jochen Homburg, Wolfgang Müller und
sicherung und Flächentarifbindung in fast allen INA-Standorten.
Jürgen Bänsch auch zum Erfolg.
80 81

Dass es heute keine betrieblich vereinbarte 40-Stunden-Woche mehr bei Schaeffler drei IG Metall-Bezirke mit dem IG Metall-Vorstand unter hoher Geschwindigkeit
gibt, hat viel mit den Vertrauensleuten, den Strukturen der IG Metall und ihrem einen Klärungs­prozess mit zahlreichen Terminen bei Bundesregierung, Bundeslän­
Selbstverständnis in den FAG-Werken zu tun. Anstatt FAG auf das niedrigere dern usw. Unter Beteiligung des früheren SPD-Bundesministers Rudolf Scharping
INA-Niveau zu bringen, wurde INA auf das FAG-Niveau angehoben. als Berater der Familie Schaeffler, Dr. Thomas Klebe als Justitiar der IG Metall, der
IG Metall-Unter­nehmensbetreuer Wolfgang Müller und Jochen Homburg sowie
Die Unterstützung des IGM-Vorsitzenden Berthold Huber für die Rettung von Schaeffler in der dem Betriebsratsvorsitzenden Norbert Lenhard kam letztendlich eine tragfähige
Krise 2009 war nicht unumstritten. Was waren die Beweggründe dafür? Zukunftsvereinbarung für Schaeffler zustande. Vorausging im Februar 2009 die
bekannte Vertragsunterzeichnung zwischen Berthold Huber und Maria Elisabeth
Werner Neugebauer Die von Schaeffler zusammen mit mehreren Banken
Schaeffler. Die Firma führte die Mitbestimmung ein – das heißt mehr Transparenz,
geplante Übernahme der dreimal so großen Continental im Jahr 2008 war eine
einen mitbestimmten Aufsichtsrat, einen Konzernwirtschaftsausschuss – und die
Riesennummer. Conti selbst hatte 2007 erst Siemens-VDO ohne Beschäftigungs­
IG Metall machte sich im Gegenzug für Staatshilfen zugunsten von Schaeffler
sicherung übernommen und wies hohe Schulden auf. Dazu kamen 10 Milliarden
stark. Zum Gesamtpaket gehörten auch Einsparungen bei den Personalkosten,
Euro Schulden von Schaeffler durch die Conti-Übernahme, und kurz darauf der
ohne betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
Zusammenbruch an den Börsen. Auch die Conti-Aktie stürzte dramatisch ab.
Als IG Metall Bayern haben wir damals erklärt, dass die Zusammenführung von Heute wissen wir, die damalige Unterstützung der IG Metall war goldrichtig.
Mechanik (Schaeffler) und Elektronik (Continental) sinnvoll ist. Die IG Metall Zugleich war uns klar, dass wir damit nicht alle Probleme gelöst bekommen. Von
Niedersachsen sah es ganz Betriebsverlagerungen ins Ausland
anders, als hochproblematisch. bis zur fehlenden Tarifbindung
Vielleicht hat es damit zu tun, dass bei LuK gab es weiterhin viele
Continental seinen Hauptsitz in Baustellen, Auseinandersetzungen
Hannover/Niedersachsen hat, und Kontroversen.
Schaeffler hingegen in Herzogen­ Wir sind keine Zauberer und
aurach/Bayern. Glücksritter, die mit einem
Ein gemeinsames Papier der gelungenen Handstreich alles zum
drei IG Metall-Bezirke Bayern / Guten wenden können. Deshalb
Hessen / Niedersachsen machte brauchen wir in allen Unternehmen
unmissverständlich klar: Wir und Betriebsbereichen bei
wollen Beschäftigungssicherung Schaeffler starke Betriebsräte,
und langfristige Perspektiven für Vertrauensleute und Jugend­
Schaeffler/Conti. Die Familie vertreter. Nur so entsteht eine
Schaeffler war überschuldet und kompetente, handlungs- und
am Ende, man hatte sich unter durchsetzungsfähige IG Metall.
Führung von Herrn Geißinger
„verzockt“. Daraufhin starteten die
82 83

Gespräch mit Helmut Haferkorn eine aktive Strukturpolitik und eine breitere Aufstellung für die nur auf Wälzlager
fixierte Industrie empfohlen hat. Die Studie lief nach dem Ausbruch der Krise

Strukturpolitik von Anfang 1993 bis April 1994. Die über 200 Seiten der IMU-­Studie blieben
allerdings Papier, hatten kaum Auswirkungen auf die Industriepolitik innerhalb und
außerhalb der Firmen.

als Gewerk­schafts- Die Akteure in Schweinfurt selbst waren zu schwach, um alleine etwas zu
bewegen. Doch es geschah trotzdem etwas. Schub und Zündfunken für konkrete
Aktivitäten hat die Krise bei FAG Kugelfischer geliefert. „Kufi“ war das größte

aufgabe und am stärksten mit Schweinfurt identifizierte Kugellagerunternehmen. Dort


hatte es Ende 1992 „geknallt“ und im Jahr 1993 wurde der Raum Schweinfurt zur
bayerischen Krisenregion Nr. 1 mit einer Arbeitslosenquote von über 12 Prozent.
Gewerkschaften sollten nicht nur Tarifverträge erkämpfen, Aufgrund dieser Ausgangslage und der Massenproteste schalteten sich Landes-
sondern auch die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und und Bundesregierung ein und Schweinfurt erhielt Strukturfördermittel. Außerdem
Arbeitsmarkt konkret-konstruktiv mitgestalten. konnte ab Herbst 1993 auch die Strukturförderung des Europäischen Sozialfonds
(ESF) genutzt werden.
Helmut Haferkorn, geboren 1949 in Schweinfurt, war
acht Jahre Rechtssekretär und 23 Jahre – von 1978 Die CSU-Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser meinte damals, man solle nicht so viel Aufstand
bis 2001 – Kreisvorsitzender beim Kreisver­band machen. Das werfe ein schlechtes Licht auf die Region.
Main-Rhön/Schweinfurt des Deutschen Gewerk­
schaftsbunds (DGB). Insgesamt war er über 25 Jahre Helmut Haferkorn Grundsätzlich hat der „Marsch nach Bonn“ viel mediale
in verschiedenen Selbstverwaltungsfunktionen der Aufmerksamkeit erregt. Die Wähler waren verunsichert und haben nach
Kranken- und Arbeitslosenversicherung für den jahrzehntelanger SPD-Regierung gedacht, jetzt lassen wir mal die anderen dran.
DGB tätig. Zudem engagierte er sich lange Jahre im Schon 1992 wurde Gudrun Grieser von der CSU die Oberbürgermeisterin. Sie war
Arbeitsförderungszentrum (AFZ) mit Sitz in Schweinfurt, dann politische „Profiteurin“ der Krise. Mit ihrer Einschätzung zum „Aufstand“
zeitweise als dessen Vorsitzender. Heute ist er lag sie aber im Unrecht: Die Massenproteste waren der Auslöser, warum staatliche
freiberuflicher Referent an der Kritischen Akademie Mittel geflossen sind. Der Freistaat investierte in das Museum Schäfer und schob
der IG Metall in Inzell. die Verlagerung des Landessozialgerichts nach Schweinfurt an. Man wollte
Dienstleistungsarbeitsplätze schaffen und hat gesagt, die Zahl der Arbeitsplätze in
Wie war die Lage 1992 auf dem Schweinfurter Arbeitsmarkt, wie sah es mit der Strukturpolitik der Industrie werde sich ohnehin enorm reduzieren. Und in Schweinfurt gab es im
in der Region aus? Bereich Dienstleistung zuvor ganz wenig. Für Mädchen beispielsweise waren die
Ausbildungschancen schlecht.
Helmut Haferkorn Eine echte Industriepolitik gab es nicht. Die IG Metall
Schweinfurt hat deshalb eine Studie* beim IMU-Institut in Auftrag gegeben, die Viele erinnern sich, dass die Frage der Monostruktur und Abhängigkeit von der Wälzlager­
industrie sehr früh in Schweinfurt diskutiert wurde, noch vor der eigentlichen Krise.
* Die Region als Handlungsfeld arbeitsorientierter Industriepolitik
Eine Fallstudie über Schweinfurt, Nürnberg im April 1994
84 85

Helmut Haferkorn Das ist richtig, aber viele wollten das nicht wissen, es denen grundsätzliche Kenntnisse fehlten und die etwa einen Schulabschluss
klingt so negativ. Außerdem war immer das Argument, für Schweinfurt muss nachholen wollten. Meist waren es Gewerkschafter und SPD-­Leute, die das voran
man nichts machen, schaut doch nur mal, die haben 55 000 Einwohner und bringen wollten. Nicht der ganze Stadtrat war daran interessiert. Doch der SPD-
50 000 Arbeitsplätze. Deswegen hat man da überhaupt keinen Anlass gesehen. Oberbürgermeister Kurt Petzold hat das ziemlich forciert.
Ein Umschwung in der Meinung hat sich aus meiner Sicht durch die Krise bei Später taten sich auch Jugendliche schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden, die
FAG mit Massenprotesten ergeben. Danach hat es geheißen: Jetzt brauchen wir einen ganz normalen Schulabschluss hatten. Irgendwann hat man gesagt: Wenn wir
Strukturmaßnahmen, das Gründer-, Innovations- und Beratungszentrum GRIBS die verschiedenen Initiativen und Einzelprojekte zum Arbeitsförderungszentrum
zum Beispiel. (AFZ) zusammenwerfen, können wir das Ganze größer und professioneller
Mit den Aktivitäten rund gestalten. Roland Steuerwald hatte diese Arbeit praktisch nebenbei gemacht,
um Arbeitslosigkeit ging aber war an seine Grenzen gestoßen. Die Finanzierung des AFZ war anfänglich
es aber schon vor den schwierig. Mit dem AFZ ging es erst im größeren Stil los, als der Europäische
1990er Jahren los. Denn Sozialfonds (ESF) die Maßnahmen ab Anfang der 1990er förderte.
1985 wurde bereits das
Arbeitsförderzentrum Im Jahr 1992 haben Vertrauensleute der IG Metall ein Flugblatt verteilt, in dem sinngemäß
(AFZ) gegründet. Es stand, dass „große dunkle Wolken aufziehen“. Sie wurden von allen ausgelacht.
gab zur damaligen
Helmut Haferkorn Strukturpolitische allgemeine Diskussionen sind weit­
Zeit ein massives
gehend abgeblockt worden. Es gibt ja nach wie vor massenhaft Arbeitsplätze in
Ernst Lang, BR-Vorsitzender SKF; Pfarrer Breitenbach (kath.); Problem mit hoher
Schweinfurt, war das Argument. Als wir in den 1980ern sagten, wir bräuchten
Pfarrer Öchslen (evang.); Ludwig Neumaier, VK-Leiter; Roland Jugendarbeitslosigkeit und
Steuerwald; Harry Muck, 1. Bevollmächtigter der IGM
neue, andersartige Arbeitsplätze, hieß es, ja wer soll sich denn ansiedeln? Wo ist
Ausbildungsplatzmangel.
am SKF-Hochhaus 1988 das Arbeitskräftepotenzial für Neuansiedlungen? Oder umgekehrt, wer siedelt
Deshalb hat auch der
sich denn an bei dem hohen Lohnniveau in der Industrie? Noch in den 1990ern
Stadtjugendring sich eingemischt. Vorher bestanden zudem schon Initiativen
sagte man: Was die Leute vorher verdienten, das ist gar nicht darstellbar in anderen
von der evangelischen Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (Roland
Branchen. Deswegen hatte man strukturpolitisch keine großen Konzepte.
Steuerwald) und der städtischen Volkshochschule, die ebenfalls berufliche
Weiterbildung anboten.

Das Erstaunliche ist, dass die Metallindustrie aus der Krise zu alter Blüte aufgestiegen ist und die
Wie entstand das Schweinfurter Arbeitsförderungszentrum AFZ?
alten Beschäftigtenzahlen fast wieder erreicht hat – unabhängig von regionaler Strukturpolitik.
Helmut Haferkorn Es gab ab Ende der 1970er Jahre verschiedene Initiativen
Helmut Haferkorn Das stimmt. Es gab zwar anfänglich Erfolge wirtschaftlicher
und Angebote wie zum Beispiel den Wasserturm und die Beratungsstelle in der
Strukturpolitik, etwa bei der Ausgliederung von Unternehmensteilen bei FAG
Burggasse. Insbesondere Roland Steuerwald als damaliges Stadtratsmitglied
Kugelfischer. Doch die daraus entstandene spätere IBM Schweinfurt mit in der
war hier sehr rührig. Diese Projekte bestanden bereits seit 1979 und waren
Spitze 630 Beschäftigten hat sich mittlerweile verabschiedet. Die „Erholung
hauptsächlich ein Jugendthema. Dann kam dazu die Volkshochschule. Sie sollte
aus der Krise“ betrifft also vor allem die Arbeitsplätze der fünf Schweinfurter
Erwachsene für den Arbeitsmarkt fit machen. Die Zielgruppe waren Erwachsene,
86 87

Großbetriebe FAG/Schaeffler, SK, ZF Sachs, Bosch Rexroth und Fresenius die IHK Würzburg­-Schweinfurt. Den Punkt, dass die Arbeitnehmervertreter mit in
(Medizintechnik). einer solchen Technologieförderstelle sitzen, hat man dabei fallen lassen. Dass auch
Insgesamt gesehen ist die Zahl der Arbeitsplätze nach wie vor in Schweinfurt sehr die Gewerkschaften beteiligt werden, das wollte man doch lieber nicht.
hoch, gemessen an der Einwohnerzahl. Doch die Qualität der Arbeitsplätze ist Für mich sind all diese Initiativen ein ermutigendes, positives Zeichen erfolgreicher
nicht unbedingt die gleiche wie früher. Dies hängt auch davon ab, für wen genau gewerkschaftlicher Arbeit für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Dafür
die Menschen jetzt arbeiten – ob als Stammkraft, Leiharbeiter oder Werkverträgler sollten wir uns einmischen, auch außerhalb des Betriebs!
zum Beispiel. Ein Indiz, dies heraus zu bekommen, wären die Lohnsummen
in den verschiedenen Bereichen. Da würde ich rein gefühlsmäßig sagen, wenn
die Beschäftigten durch Outsourcing ausgelagert wurden und nun wieder für
die Industrie tätig sind, haben sie sicher nicht das Lohnniveau gehalten, das
sie ursprünglich hatten. Das sollte man bei aller Freude über die hohe Zahl an
Arbeitsplätzen nicht vergessen.
Außerdem wichtig: Ausbildungsplätze in der Industrie sind zwar nur wenige
weggefallen. Aber dafür verschwand die große Anzahl der Plätze für die
sogenannten Jungarbeiter, also ungelernte jugendliche Arbeiter. Es gab vor der
Krise etwa genauso viele Jungarbeiter wie Auszubildende. Diese Stellen sind im
Strukturwandel vollständig weggebrochen.

Was hat dich als DGB-Sekretär motiviert bei deiner Arbeit „ jenseits des Betriebs“?

Helmut Haferkorn Für mich war die Motivation und ist es noch heute: Wenn
du glaubwürdig als Gewerkschaft sein willst, kannst du nicht immer nur fordern:
„Politik, mache dieses – Politik, mache jenes!“ In dem Bereich, wo wir Einfluss
haben und Partner da sind, sollten wir auch etwas konkret selbst bewegen. Dann
können wir sagen: Das hilft jetzt etwa Jugendlichen ganz praktisch in ihrer Lage.
Tatsächlich haben im AFZ im Laufe der Jahre mehrere hundert Jugendliche, die als
schwer vermittelbar galten, eine Ausbildung und auch Erwachsene eine berufliche
Qualifizierung erhalten. Wir als Gewerkschaften fordern nicht nur von anderen, wir
bringen uns selbst konstruktiv ein und zeigen, es geht auch anders.
Das AFZ war ein ganz besonderes Projekt, denn ein solches Angebot mit
verschiedenen Trägern gab es meines Wissens noch nirgends. Auch das Gründer-
und Technologiezentrum GRIBS hätte im Oktober 1993 mit Beteiligung der Kollegen und eine Kollegin von FAG Schweinfurt waren auf dem Marsch nach Bonn bis zum Schluss
dabei: Edgar Kraus (Halle H), Alfred Müller (Halle H), Helmut Servatius (Vorruheständler), Winfried
Gewerkschaften gestartet werden können. Es wurde aber von anderen Trägern
Eschenbacher (Werkzeugbau), Helmut Rumpel (Fluglager), Frank Bauer (JAV), Percy Schneider (JAV),
übernommen; Gesellschafter sind heute die Stadt Schweinfurt, der Landkreis und Jens Hansen (Feuerwehr), Jens Öser (JAV), Sieglinde Gagel (ehemals Verkauf), und Harald Jünger (JAV)
88 89

Gespräch mit Peter Kippes Schäfer Regelungen abzuschließen zugunsten der Beschäftigten, was auch durchaus
funktioniert hat. Mit der tiefen Krise 1992 hat sich das allerdings völlig geändert. Es

Herausforderungen gab erstmals eine klare Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit.
1992 hat man in den Betrieben und bei der IG Metall Schweinfurt allgemein
gemerkt, dass die Fixierung auf den eigenen Betrieb und dessen Beschäftigte

für die Interessen­ zu kurz greift. Auslöser war die existenzielle Bedrohung für Kugelfischer – ein
Unternehmen, das zu Schweinfurt gehört wie das Rathaus. Daraufhin hat sich
die Kultur bei FAG dramatisch zum Positiven verändert. Kooperation und

vertretung Sozialpartnerschaft sind zwar schön und gut, aber sie tragen im Konfliktfall nicht
weiter.

Bei FAG Kugelfischer / Schaeffler zeigt sich der Wandel von Von der Sozialpartnerschaft zur konfliktbereiten Arbeitnehmervertretung
Betriebsrats- und Gewerkschafts-Arbeit exemplarisch Sichtbar wurde dieser dramatische Wandel im Januar 1993, als 13.000 Menschen
auf dem Schweinfurter Marktplatz demonstrierten und symbolisch 1.500
Helium-Luftballons in die Luft steigen ließen. Dies war ein Wendepunkt für ganz
Peter Kippes, geboren 1962 in Fuchsstadt, machte eine Schweinfurt, was die Arbeit der Interessenvertretung angeht. Betriebsräte und
Ausbildung bei FAG Kugelfischer und war Vorsitzender gewerkschaftliche Vertrauensleute im Betrieb orientierten sich stärker in Richtung
der dortigen Jugend- und Auszubildenden-Vertretung einer konfliktbereiten Arbeitnehmervertretung.
von 1980 bis 1984. Ab 1984 holte er sein Abitur nach Gerade bei FAG war danach nichts mehr wie zuvor. 1994 wurde Klaus Weingart
und studierte erfolgreich Sozialpädagogik. Seit 1992 ist zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt, Norbert Lenhard war schon vorher
er in Schweinfurt bei der IG Metall beschäftigt, erst als Vertrauensleutevorsitzender geworden. Lenhard hat viele neue Ideen eingebracht,
Verwaltungsangestellter, dann als politischer Sekretär. sich mit sehr viel Leidenschaft und Engagement dafür eingesetzt und die
Seit 2007 ist er Zweiter Bevollmächtigter, seit 2010 Interessenvertretung dadurch völlig umgekrempelt. Vor der Krise gab es 10.000
Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt. Beschäftigte, aber unter 2.000 Gewerkschaftsmitglieder. Innerhalb kurzer Zeit hat
Am 16. November 2017 bei der Kundgebung zur bayerischen
sich dann die Mitgliederzahl verdoppelt. Belegschaft und Interessenvertreter haben
Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie in Schweinfurt gemerkt: Wenn man sich bückt, dann sieht man nicht, wer einen in den Hintern
(Foto: Stephen Petrat)
tritt.
Was inzwischen anders ist: In der alten Zeit gab es ein klares Feindbild und eine
Welche wesentlichen Merkmale kennzeichnen für dich die Arbeit der Interessenvertretung bei klare Konfliktlinie – der Unternehmer hat bei FAG Fehler gemacht, die zur
Kugelfischer (heute Schaeffler) zwischen 1990 und heute? Überschuldung und in die Existenzkrise geführt haben. Heute hingegen steht die
Peter Kippes FAG Kugelfischer war damals eine Eigentümerfirma. Das Firma gut da, die Krise bei Schaeffler 2008/2009 wurde mit Hilfe von IG Metall
gewerkschaftliche Klima hat sich von anderen Betrieben deutlich unterschieden, und Betriebsräten erfolgreich überwunden.
war sozialpatriarchalisch geprägt. Der Betriebsrat versuchte, mit der Familie
90 91

Ende der kapitalistischen Konjunkturz yklen? Wir müssen wieder stärker herausarbeiten, dass die Interessenvertretung auf der
Mittlerweile gibt es auch keine vorhersehbaren Konjunkturzyklen mehr wie früher, Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes ganz enge Grenzen hat, und dass
spätestens seit 2007 findet alles gleichzeitig statt: Im einen Betrieb oder in einem es deshalb als Ergänzung den gewerkschaftlichen Arm benötigt. Die IG Metall
Bereich der Firma kriselt es, andere ächzen unter Vollauslastung. Es fällt dadurch ist zwar selbstverständlich als überregionaler Koordinationsfaktor akzeptiert
den Beschäftigten zunehmend schwerer, sich in der Gewerk­schafts- und Betriebs­ bei Beschäftigten und Arbeitgeber, Tarifbindung usw. Doch es muss bei den
rats-Politik positiv wiederzufinden, weil beide in eine „Dauerverhandlungsposition“ Beschäftigten dafür geworben und die Sensibilität wiedergewonnen werden, dass
kommen. IG Metall und Betriebsräte treffen ständig Regelungen mit dem dies kein Selbstläufer ist, dass sie hier selbst mitmachen müssen.
Arbeitgeber, fast immer bestehen gleichzeitig Bereiche mit Restrukturierung und
Überlastung nebeneinander. Seit rund zehn Jahren hat man keine gemeinsame Kampf gegen neoliberalen Zeitgeist – mit ersten Erfolgen
Krisen- und Konfliktsituation mehr durchlebt. Dabei kämpfen wir auch in gewisser Weise gegen den Zeitgeist an: „Jeder ist seines
Glückes Schmied“ lautet das Mantra der Neoliberalen. Und andererseits kehrt nach
Wie benennst du die Herausforderungen der nächsten Jahre und welche Lösungen schlägst du vor? jahrzehntelanger Politik für Konzerne, Banken und Reichen auch eine gewisse
Resignation ein: „Der einzelne kann ja doch nichts machen“. Hier gilt es beharrlich
Peter Kippes Ich sehe die Herausforderung der nächsten Jahre darin, sich als
gegenzuhalten und umzudenken: Es geht nicht nur um mich, sondern um gemein­-
Gewerkschafter und betrieblicher Interessenvertreter über die eigene Rolle klar zu
same Anstrengungen, damit die nachwachsenden Generationen den gleichen
werden. Dabei gibt es aus meiner Sicht drei verschiedene Ansätze:
Sozial- und Arbeitsstandard haben wie denjenigen, den wir von unseren Vorfahren
1. Man versteht sich als Stellvertreter, der für die Beschäftigten Kompromisse
geerbt haben.
aushandelt. Hier besteht die Gefahr, aus Sicht der Belegschaft vom Arbeitgeber
Ich bin aber optimistisch, dass uns dies gelingt. Gewerkschaftsarbeit tritt
vereinnahmt zu werden.
zunehmend auch wieder außerhalb des Betriebs in Erscheinung. Im Kultur­bereich
2. Man versteht sich als Gegenmacht unter dem Motto „Bis hierher und nicht
und in der Politik wird die aktuelle Tarifforderung der IG Metall nach mehr
weiter!“. Auch dann kommt man an Verhandlungen nicht vorbei, aber in
Zeitsouveränität und weniger Leistungs­verdichtung sehr positiv aufgegriffen.
der Öffent­lichkeitsarbeit positioniert man sich eher als Opposition zu den
Viele stimmen zu, ohne dass sie ausdrücklich
Unternehmern.
danach gefragt werden.
3. Man nimmt eine dritte Rolle ein: Mit IG Metall und Betriebsrat können sich
Dies ist ein Beleg dafür,
die Beschäftigten so sicher fühlen, dass sie ihnen Vertrauen entgegen bringen und
dass die IG Metall sich
mitmachen – egal, ob gerade verhandelt oder gekämpft wird.
auf dem richtigen Weg
befindet.
Diskussion um „richtigen“ Weg der Interessenvertretung
Ich habe noch keine endgültige Antwort auf diese Frage, aber das ist momentan
die Gemengelage. Es handelt sich hier auch um keine theoretische Diskussion.
Vielmehr habe ich konkret bei FAG/Schaeffler den Eindruck, dass Betriebsrat und
Vertrauensleute mit der IG Metall das Beste für die Beschäftigten herausholen, aber
dass die Belegschaft dies teilweise nicht erkennt. Wir brauchen daher mehr Klarheit
im Rollen- und Selbstverständnis. Sonst besteht langfristig die Gefahr, dass wir die
Beschäftigten als Beteiligte verlieren.
Erwin Saal Alfred Eusemann Jens Öser Thomas Karch
*1933 + 2009 *1939 *1971 *1967
1967 freigestellter BR bis 1998 Vertrauensperson 2002 bis 2008 freigestellter BR, Vertrauens­ 2011 Mitglied des Betriebsrates, VK-Leiter
1968 3. BR-Vorsitzender für behinderte Menschen körperleiter, Vorsitzender der Jugend- und
1972 bis 1994 BR-Vorsitzender Auszubildendenvertretung, Clarissa Wohlfart
Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Mitglied des Werner Neugebauer Gewerkschaftssekretär *1984
Aufsichtsrates, Mitglied des Ortsvorstandes *1950 seit 2012 Vertrauensperson für behinderte
Bezirksleiter IG Metall, stellv. Aufsichtsrats­ Percy Scheidler Menschen
Kurt Bischof vorsitzender Kugelfischer AG 1994-2006 *1973
*1937 Jürgen Scholz
Betriebsratsmitglied, Vorsitzender der
IG Metall-Projektsekretär für Schaeffler,
1970 bis 1993 freigestelltes BR-Mitglied Klaus Ernst Jugend- und Auszubildendenvertretung,
Vertrauenskörperleiter, Mitglied des Aufsichts­ Bevollmächtigter Regensburg
*1952 Vertrauenskörperleiter, Akademie
rates, Mitglied des Ortsvorstandes Bevollmächtigter IG Metall Schweinfurt der Arbeit (Frankfurt) Harald Grohganz
Geschäftsführer IG Metall Aschaffenburg *1951
Winfried Kanzok Richard Friedrich
bis 2012 Vertrauensperson für behinderte
*1936 *1955 Klaus Hofmann Menschen, Mitglied des Betriebsrates,
1987 bis 1999 2. BR-Vorsitzender freigestellter BR, Diakon *1953 Vertrauenskörperleitung
Vorsitzendes des Europäischen Betriebsrates,
1998 bis 2013 freigestellter BR
Mitglied des Aufsichtsrates, Mitglied des Konrad Fischer
Angestelltenteam, Redaktion Durchblick, Helmut Haferkorn
Ortsvorstandes *1936
Vertrauenskörperleitung *1949
Betriebsseelsorger (katholisch) DGB Kreisvorsitzender Schweinfurt-Main-Rhön
Klaus Weingart
*1942 Jochen Hofmann
Roland Strauß Roland Steuerwald
1978 freigestellter BR Jugend- und Auszubildendenvertreter, Trainee
Betriebsratsvorsitzender IBB *1939 + 2012
1994 bis 2002 1. BR-Vorsitzender in der IG Metall, Referent Bildungsstätte
afa, Sozialsekretär der Evang.-Luth. Kirche in
Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, Norbert Lenhard Bayern in der Region Schweinfurt
Vorsitzender des Europäischen Betriebsrates, *1957 Jürgen Wechsler
Mitglied des Aufsichtsrates, Mitglied des freigestellter BR, 1992-2002 Vertrauenskörper­ *1955 Evi Pohl
Ortsvorstandes leiter, seit 2002 BR-Vor­sitzender, Akademie Bezirksleiter IG Metall, stellv. Aufsichts­ *1958
der Arbeit (Frankfurt), Vorsitzender des ratsvorsitzender Schaeffler AG seit 2001 Sozialsekretärin der Evang.-Luth. Kirche
Gerhard Tollkühn Gesamtbetriebsrates, Mitglied des Aufsichtsrates, in Bayern, Region Unterfranken-Ost
*1937 +2017 Mitglied des Ortsvorstandes Barbara Resch
Betriebsrat, Gewerkschaftssekretär, *1976 Peter Hartlaub
Bevollmächtigter IG Metall Schweinfurt Helmut Heimrich Betriebsbetreuerin, 2. Bevollmächtigte IG Metall *1964
*1951 Schweinfurt, Mitglied des Aufsichtsrates der Betriebsseelsorger (katholisch)
Heike John Schaeffler AG,
1998 bis 2015 2. BR-Vorsitzender
*1958 politische Sekretärin Bezirk Bayern Jürgen Baensch
Mitglied des Aufsichtsrates, Mitglied des
zweite Bevollmächtigte IG Metall Schweinfurt, IG Metall-Projektsekretär für Schaeffler
Ortsvorstandes
Betriebsbetreuerin 1987 bis 2002, Mitglied des Thomas Höhn
Aufsichtsrates Kugelfischer AG Wolfgang Müller
Petra Blumenau *1974
*1948
*1961 Betriebsbetreuer, 2. Bevollmächtigter
Peter Kippes IG Metall Bezirksleitung. Projektsekretär für
2010 freigestellte BR, seit 2015 2. BR-Vor­ IG Metall Schweinfurt
*1962 Schaeffler, Unternehmensbetreuung
Vorsitzender der Jugend- und Auszubilden­ sitzende, Mitglied des Ortsvorstandes
Wolfgang Ziller Dr. Thomas Klebe
denvertretung, Bevollmächtigter IG Metall
Jürgen Schenk *1945 Justitiar der IG Metall, Hugo-Sinsheimer-Stiftung
Schweinfurt, Mitglied des Beirats IG Metall
*1980 Betriebsbetreuer, von 2002 bis 2006
Dr. Reinold Mittag 2010 freigestellter BR, seit 2015 2. BR-Vor­ 2. Bevollmächtigter der IG Metall Berthold Huber
Vorstand IG Metall, Ressort Betriebsverfas­ sitzender, Vertrauenskörperleiter, Vorsitzender Schweinfurt, Mitglied des Aufsichtsrates *1950
sungs­recht, Unternehmensbetreuer der Jugend- und Auszubildendenvertretung der Kugelfischer AG IGM Vorsitzender 2007 - 2013
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eitsz terung Mit dem Projekt CORE hat der großartigen
eit f d anpassungen vornehmen, um
ührt er Vorstand die Strukturen im Verhand­
. ▶ schlagkräftiger und effizienter lungsauftakt
Industriebereich verschlankt sowie
zu werden, und den Gewinn mit über 2600
Umsatz und Gewinn erhöht.
1 erhöhen, um mehr investieren Teilnehmern
Doch die bisherigen Effizienz­
zu können. Äußerlich wird die am 16. November 2017 in Schweinfurt
gewinne wurden auf dem Rücken ist greifbar, dass die Auseinander­
Transformation durch den künftig
der Belegschaft erzielt. Gerade hier setzung unter einem besonderen Licht
weltweit einheitlichen Auftritt
am Standort Schweinfurt leiden steht. Bei den Verhandlungen haben
„SCHAEFFLER“ symbolisch wir den Arbeitgebern ein spannendes
viele Beschäftigte unter hoher
begleitet. Der Auftakt war am Forderungspaket vorgestellt.
Leistungsverdichtung. Erst nach
26. September in Schweinfurt
Intervention des Betriebsrats wer­ Wir möchten eine Entgelterhöhung
den die Betroffenen jetzt besser in von 6 Prozent. Dazu eine Wahloption,
die Veränderungen eingebunden. die allen Beschäftigten den Anspru
ch
CORE als reines Sparprogramm hilft gibt, ihre Arbeitszeit für bis zu zwei
jedoch wenig. Wir brauchen neue Jahre auf bis zu 28 Stunde n in der
Woche zu verkürzen.
Produkte, mehr Kommunikation
über Veränderungen und bessere Wer dies nutzt, um Kinder oder
Lubber in… Prozesse. Pflegebedürftige zu versorgen,
Unsere Haltung bei gewerkschaft­ oder wer in besonders belastenden
Bessere Prozesse will der Arbeitgeber
lichen Vertrauensleuten und Arbeitszeiten – zum Beispiel Schicht

auch mit der Zentralisierung der
Das Betriebsrat ist klar: Wir sagen JA
zu notwendigen Veränderungen
Logistik erreichen. Um Liefertreue
seine Gesundheit gefährdet, soll einen
Entgeltzuschuss erhalten, um sich die

Zechen-
und Effizienz im Industriebereich Reduzierung der Arbeitszeit auch leisten
bei Schaeffler. Doch wir haben den
von Schaeffler zu erhöhen, werden zu können.
Anspruch, die Transformation aktiv
Fest
Europäische Distributionszentren
und auf Augenhöhe im Sinne der Die Arbeitgeber haben an diesem Tag
(EDZ) errichtet. Für rund 150 weitreichende Gegenforderungen
Beschäftigten mitzugestalten.
Millionen Euro wird derzeit das vorgelegt, die im Kern die Arbeitszeit
Im Folgenden erläutern wir wichtige
EDZ Mitte in Kitzingen bei Schwein­ weiter (zuschlagsfrei) erhöhen und
Änderungen, die sich auf den Stand­
furt gebaut. Es soll im Jahr 2018 in gleichzeitig zu Gunsten der Arbeitgeber
ort Schweinfurt beziehen, sowie flexibilisieren sollen.
Betrieb gehen. ▶
unsere Sichtweise darauf. Es zeichnet sich also ab, dass wir auf

1
1993 stürzte der Wälzlagerhersteller FAG Kugelfischer AG
in eine tiefe Nachfrage-, Struktur- und Finanzierungs-Krise.
Diese Broschüre berichtet von der Gegen­wehr der
Betriebs­räte, der IG Metall, der Beschäftigten und
von der betriebsübergreifenden Solidarität. Anders als
erwartet erholte sich die Firma und blühte zu neuem
unternehmerischem Glanz auf. Dies veranlasste
die damalige INA-Holding in Herzogenaurach,
Kugel­fischer im Jahr 2001 zu übernehmen.
Welche Beiträge leisteten Gewerkschaft und
Betriebsräte zum Wiederaufstieg? Mit welchen
Kampfmitteln
gestalteten sie
das Unternehmen
und die Arbeits­­-
beding­ungen mit?

Norbert Lenhard, geboren 1957, arbeitet seit seiner Ausbildung


zum Maschinenschlosser bei der FAG Kugelfischer, jetzt Schaeffler
in Schweinfurt. Er ist seit 1991 freigestellter Betriebsrat und seit
2002 Vorsitzender des Betriebsrats Schweinfurt. Inzwischen ist er
zusätzlich Vorsitzender im Gesamtbetriebsrat und Sprecher des
Konzernwirtschaftsausschusses sowie Mitglied im Aufsichtsrat
der Schaeffler AG.

Michael Kraus, geboren 1975, ist studierter Politikwissenschaftler.


Er arbeitete mehrere Jahre für die Gewerkschaften NGG und IG Metall
mit dem Schwerpunkt auf JAV-Betreuung und Jugendarbeit.
Von 2011 bis 2017 war er Referent (wissenschaftlicher Mitarbeiter) des
Konzernbetriebsrats von Continental. Seit Mai 2017 ist er als Referent
des Gesamtbetriebsrats von Schaeffler tätig.

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