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Lektüreseminar Kapital Bd.

1 (SoSe 2023)

Exzerpt – Abs. 1, Erstes Kapitel: Die Ware, S. 49-61

Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie beginnt mit der Analyse der Warenform. Diese betrachtet
er in ihren zwei Dimension: in Bezug auf ihren Gebrauchswert einerseits und ihren Tauschwert
andererseits. Der Gebrauchswert einer Ware speist sich aus der Nützlichkeit, die der Gegenstand
für seinen Konsumenten besitzt, entweder zum direkten Konsum (als Lebensmittel) oder zum
produktiven Konsum (als Produktionsmittel). Insofern bemisst sich der Gebrauchswert an den
qualitativen Eigenschaften der Ware, aber auch ihrer Quantität. Ohne Gebrauchswert ist eine Ware
nutzlos, da Warentausch nur stattfindet, wenn die angebotene Ware ein Bedürfnis des Konsumenten
befriedigen kann.
Durch den Gebrauchswert allein wird ein Gegenstand jedoch nicht zur Ware. Entscheidend dafür ist
der Tauschwert, denn erst durch ihn können zwei qualitativ verschiedene Gebrauchsgegenstände in
ein quantitatives Verhältnis gesetzt werden. Erst dann ist der Tausch von zwei Waren möglich, wenn
ihr Wertverhältnis bekannt ist (z.B. 200g Butter = 2 Flaschen Cola).
Verhältnis (Waren-)Wert – Tauschwert: Warenwert als „Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen
gesellschaftlichen Substanz“ (52) – Tauschwert als Wertverhältnis zwischen zwei Waren
Dieser Ausdruck ist jedoch nur möglich, indem von allen konkret-stofflichen Eigenschaften der
Gegenstände abstrahiert wird.
Was verbindet aber die beiden Gegenstände, dass es erlaubt, sie trotz ihrer qualitativen Differenz in
ein Verhältnis zu setzen und wie wird dieses Wertverhältnis bemessen? Marx beantwortet diese
Frage mit dem Verweis auf die abstrakt-menschliche Arbeit. Zwei Waren (z.B. Butter und Cola)
können miteinander ins Wertverhältnis gesetzt, d.h. getauscht werden, weil sie Produkte
menschlicher Arbeit sind. Diese Gemeinsamkeit geht jedoch wiederum nur auf, wenn von allen
qualitativen Unterschieden der Arbeitstätigkeiten, die das Produkt schaffen, abstrahiert wird. Zurück
bleibt lediglich die Tatsache, dass menschliche Arbeitskraft verausgabt wird. Diese abstrakt
menschliche Arbeit bildet die Substanz des Tauschwerts.
Den Wertmaßstab bildet nun Marx zufolge die Zeitdauer der Verausgabung der Arbeitskraft. Dabei
geht Marx von einer „gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft“ (S. 53) aus und blendet
individuelle Unterschiede zwischen Arbeitskräften aus (aufgrund von Erfahrung, Geschick, etc.).
Damit lässt sich für jede Ware ihre „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ (ebd.) errechnen, die
jedoch stets abhängig ist vom Stand der Produktivkräfte in der bestimmten Gesellschaft. Der
Stand der Produktivkräfte ist wiederum bestimmt durch eine Reihe von Faktoren: Wissenschafts-
und Technologieentwicklung, Arbeitsorganisation, die gesellschaftliche Organisationsweise der
Produktion sowie Naturbedingungen. Die Weiterentwicklung der Produktivkräfte kann zur Folge
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haben, dass der Tauschwert einer Ware sinkt – selbst wenn ihr Gebrauchswert steigt – weil die
notwendige Arbeitszeit, die in die Produktion einfließt, sinkt. Dieses Paradox, das die neoklassische
Ökonomie oberflächlich mit dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage erklärt, zeigt, dass
die Produktivkräfte keinen Einfluss auf den Tauschwert haben, sondern lediglich in den konkreten
Arbeitsprozess eingehen und diesen produktiver machen. Wie bereits beschrieben, wird der
Tauschwert allein von der verwendeten Menge abstrakt menschlicher Arbeit gebildet, dessen
Grundeinheit die „einfache Durchschnittsarbeit“ (S. 59) darstellt. Wird der konkrete
Arbeitsprozess produktiver, verändert sich nicht die Grundeinheit selbst, sondern die einfache Arbeit
wird lediglich „potenziert“ (ebd.).
Nun noch zur konkret-nützlichen Arbeit, der Arbeit „als Bildnerin von Gebrauchswerten“ (S. 57):
Während die abstrakt menschliche Arbeit eine spezifisch kapitalistische Form der Arbeit ist, die zur
Warenproduktion bestimmt ist, ist die Arbeit in ihrer Gebrauchswertdimension zuerst einmal
unabhängig von ihrer historisch-gesellschaftlichen Form. D.h., der Arbeitsprozess, der in die
Produktion der Butter fließt, ist derselbe, egal, ob kleiner Subsistenzbauer oder großes
Industrieunternehmen (wenngleich Marx diese Unabhängigkeit später wieder einschränkt, sodass
der konkrete Arbeitsprozess wie auch die Gebrauchswerte von ihrer Formbestimmung modifiziert
werden und selbst modifizierend auf den Tauschwert wirken).
Wichtig für die Frage, in welchem Verhältnis Gesellschaft und Natur für Marx stehen, ist seine
Definition der Arbeit (als konkret-nützlicher Arbeit) als „ewige Naturnotwendigkeit, um den
Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“ (ebd.). Aus
dieser Bestimmung wird deutlich, dass die stoffliche Dimension des Produktionsprozesses und
damit die Effekte der kapitalistischen Produktionsweise auf die Umwelt eine zentrale Rolle für
Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie spielen (wie Marx v.a. im Bd. 3 im Kap. zur Grundrente
weiter erörtert). Die natürlichen Bedingungen, Naturstoffe und -kräfte erhalten jedoch nur Einzug in
den konkret-nützlichen Arbeitsprozess, wo sie neben der Arbeit die zweite „Quelle (…) des
stofflichen Reichtums“ (S. 58) darstellen. In den Tauschwert geht „die Natur“ jedoch nicht ein,
ebensowenig wie die anderen Produktivkräfte. Dieser wird allein durch die abstrakt menschliche
Arbeit gebildet.
Wie bereits beschrieben, ist die Unterschiedlichkeit der Waren als Gebrauchswerte eine
Voraussetzung für deren Austauschbarkeit. Diese Unterschiedlichkeit der Waren ergibt auf Makro-
Ebene eine gesellschaftliche Arbeitsteilung, die die Voraussetzung für die Warenproduktion ist.
Allerdings ist nicht jede Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung stets Warenproduktion. Die
gesellschaftliche Arbeitsteilung kann auch anders organisiert werden. Spezifisch für die
kapitalistische Produktionsweise ist, dass die einzelnen Arbeiten als „selbstständige und
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voneinander unabhängige Privatarbeiten“ vonstattengehen und die Privatproduzentinnen sich erst


auf dem Markt gegenübertreten, beim Austausch ihrer Waren. Aus dieser Charakterisierung der
kapitalistischen Produktionsweise als private Warenproduktion ergibt sich auch erst das spezifisch
kapitalistische Element des Tauschwerts und der abstrakt-menschlichen Arbeit.

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