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Lektüreseminar Kapital Bd.

1 (SoSe 2023)

Abs. 1, 1. Kapitel: Die Ware, 3. Die Wertform oder der Tauschwert, S. 62-85

Im Unterkapitel 1.3. („Die Wertform oder der Tauschwert) leitet Marx den Ursprung der Geldform
aus der Entwicklung der drei vorangehenden Wertformen her: der einfachen, der entfalteten und
der allgemeinen Wertform.
Aus den Erläuterungen der letzten Seiten hat sich ergeben, dass die Ware als „Elementarform" (S.
49) der kapitalistischen Produktionsweise zwei Dimensionen hat. Als Gebrauchswert hat sie eine
„Naturalform“, als Tauschwert hat sie eine „Wertform“. Der Tauschwert der Waren ist ein rein
gesellschaftliches Phänomen, das erst durch das In-Verhältnis-Setzen verschiedener Waren auf dem
Markt entsteht.
Marx beginnt daher seine Untersuchung der Ursprünge der Geldform mit dem Verhältnis
zwischen zwei Waren bzw. Werten, der einfachen Wertform. Diese fasst er in der Formel „x Ware
A = y Ware B“ bzw. „20 Ellen Leinwand = 1 Rock“. Dieses einfache Wertverhältnis besteht aus
zwei entgegengesetzten, aber aufeinander angewiesenen Elementen: der relativen Wertform und
der Äquivalentform. Dass die Ware A eine relative Wertform hat, bedeutet schlicht, dass der Wert
der Ware A im Verhältnis zur Ware B dargestellt wird. Ware B nimmt dabei die Äquivalentform an,
d.h. ihre Gegenständlichkeit dient als Äquivalent, als Wertgleiches der Ware A. Welche Ware im
Wertverhältnis nun die relative Wertform und welche die Äquivalentform annimmt, ist rein zufällig.
Die relative Wertform, die sich im beschriebenen Wertverhältnis zeigt, setzt voraus, dass beide
Waren eine qualitative Gemeinsamkeit haben. Diese Gemeinsamkeit basiert auf ihrer wertbildenden
Substanz, abstrakt-menschlicher Arbeit. Marx betont jedoch, dass menschliche Arbeit nur den Wert
der Ware bildet. Eine „von ihren Naturalformen verschiedne Wertform“ (S. 65) erhält die Ware erst
im Verhältnis mit einer anderen Ware, d.h. im Tausch. In diesem Sinne definiert Marx einige Seiten
später auch den Unterschied zwischen (Waren-)Wert und Tauschwert (S. 75).
Darüber hinaus drückt sich in der relativen Wertform jedoch auch ein quantitatives Verhältnis
aus. Die zwei Waren werden im Wertverhältnis nämlich immer in einer bestimmten Quantität
gleichsetzt (z.B. 20 Ellen Leinwand = 1 Rock). Der relative Wert beider Waren kann sich dabei in
unterschiedlicher Weise ändern, wenn sich die Produktivkräfte einer oder beider Waren verändern.
Der relative Wert einer Ware (der Tauschwert in Relation zu einer anderen) und ihr „wirklicher
Wert“ (gemessen an der notwendigen Arbeitszeit) können sich daher in der einfachen Wertform
scheinbar widersprüchlich entwickeln.
Neben der relativen Wertform beleuchtet Marx auch die Äquivalentform in der einfachen
Wertform näher. Diese stellt im engeren Sinne keinen Wert dar, sondern einen Gebrauchswert, an
dem der Wert der relativen Wertform gemessen wird. In der Äquivalentform wird daher der
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Gebrauchswert, wie Marx sagt, „zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts“ (S. 70) wie
auch die, diesen bildende, „konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt-
menschlicher Arbeit“ (S. 71). Dadurch erhalten auch die, die Äquivalentform produzierenden,
Privatarbeiten eine gesellschaftliche Form, was ja eigentlich ihrem Charakter widerspricht.
Dass Marx der Analyse der einfachen Wertform so viel Aufmerksamkeit schenkt, mag
überraschen, denn, wie er selbst schreibt, kommt diese Wertform „offenbar praktisch nur vor in den
ersten Anfängen, wo Arbeitsprodukte durch zufälligen und gelegentlichen Austausch in Waren
verwandelt werden“ (S. 80). Gleichzeitig betont Marx jedoch: „Das Geheimnis aller Wertform
steckt in dieser einfachen Wertform“ (S. 75). Neben der Tatsache, dass die einfache Wertform die
Grundstufe der Wertform darstellt, von der aus ihre weitere Entwicklung verstanden werden kann,
scheint mir noch ein anderer Punkt aus Marx‘ Analyse zentral: die Herleitung der Unterscheidung
zwischen (Waren-)Wert und Tauschwert und Marx‘ Aussage, „daß die Wertform oder der
Wertausdruck aus der Natur des Warenwerts entspringt“ (ebd.) und nicht andersherum. Dieser Punkt
scheint mir maßgebend dafür, dass Marx‘ Werttheorie eine Arbeitswerttheorie ist, d.h. sich der Wert
durch die Menge der verwendeten Arbeit (bei Marx: abstrakt-menschliche Arbeit) bildet. Daher
auch maßgebend dafür, wie sich Marx‘ Werttheorie von den heute dominierenden, subjektiven
Werttheorien der neoklassischen Ökonomie unterscheidet, die Wert aus dem Zusammenspiel von
Angebot und Nachfrage erklären. Außerdem interessant sind Marx‘ Aussagen über das Verhältnis
der einfachen Wertform zur vorher betrachteten Warenform. In der einfachen Wertform werde
nämlich das „Zwieschlächtige“ an der Ware, d.h. die Tatsache, dass sie sowohl Gebrauchswert als
auch Wert ist, in einem „äußeren Gegensatz, d.h. durch das Verhältnis zweier Waren“ (S. 75f),
ausgedrückt, die eine in der relativen Wertform, die andere in der Äquivalentform.
Wie Marx schreibt, tendiert die Wertform aus sich selbst heraus dazu, sich von der einfachen
Wertform aus weiterzuentwickeln. Dies passiert dann, wenn zur Wertgleichung zweier Waren eine
dritte, eine vierte, eine fünfte, usw., dazukommt. Diese Aneinanderreihung gleichwertiger
Warenquanta („20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Tee oder = 40 Pfd. Kaffee oder = 1
Quarter Weizen…“) bezeichnet Marx als „totale oder entfaltete Wertform“ (S. 77). In der
entfalteten, relativen Wertform stabilisiert sich deren Wertgröße, da die Wirkung des Zufalls
reduziert wird, wodurch sich das Primat der Wertgröße über das Tauschverhältniss, und damit die
Arbeitswertlehre, bestätige. In der Äquivalentform zeigt sich nun, dass die Naturalform sowie die
darin enthaltene konkrete Arbeit für ihre Funktion als Äquivalent keine Rolle spielt, d.h. es ist egal,
ob der Wert der Leinwand in Röcken, Tee oder Kaffee gemessen wird.
Da die entfaltete Wertform jedoch viel zu komplex ist, entwickelt sich aus ihr die allgemeine
Wertform. Dafür wird eine Warenart (z.B. Leinwand) zum allgemeinen Äquivalent, in der alle
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anderen Waren ihren Wert ausdrücken. Erst indem eine Warenart zum allgemeinen Äquivalent aller
Tauschhandlungen fixiert wird – d.h. im Umkehrschluss auch, dass alle anderen Warenarten von der
allgemeinen Äquivalentform ausgeschlossen werden – bekommt der Warentausch wirklich
allgemein-gesellschaftlichen Charakter.
Aus der allgemeinen Wertform entwickelt sich nun die vollendete Wertform, die Geldform.
Diese Entwicklung ist im Gegensatz zu den anderen beiden gar keine substanzielle. Marx betont
lediglich, dass sich in der Realität die Ware Gold zur allgemeinen Wert- und daher Geldform
entwickelt hat. Diese historische Entwicklung spiegele die logische Entwicklung der Wertform im
Kapital wider, insofern auch die Ware Gold erst vereinzelt als Äquivalent im Austausch diente und
seine Allgemeinheit nach und nach ausdehnte. Insofern beschreibt Marx auch hier „die einfache
Warenform“, die ja letztlich nichts anderes ist als die einfache Wertform, als „Keim der Geldform“
(S. 85). Letztlich bringt Marx noch den Begriff der „Preisform“ mit ein, die aber nichts anderes
bedeutet als der Preis einer Ware A ausgedrückt in der Geldform als allgemeinem Äquivalent.

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