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Das Kapital ist Karl Marx’ wissenschaftliches Hauptwerk. Anders als etwa Das
kommunistische Manifest ist es kein ebenso knapper wie glühender Aufruf zur
Revolution, sondern eine äußerst umfangreiche, systematische und detailreiche
Analyse und „Kritik der politischen Ökonomie“, so der Untertitel. Entsprechend
lange hat Marx dafür gebraucht: Allein am ersten Band arbeitete er ganze 15 Jahre.
Marx versucht in seiner weit ausholenden und komplexen Abhandlung hinter die
versteckten Funktionsweisen des Kapitalismus zu kommen. Dabei nähert er sich
schrittweise über die Begriffe der Ware, des Tauschwerts und des Gebrauchswerts
seiner berühmt gewordenen Arbeitswertlehre: Eine Ware, so Marx, ist so viel wert
wie die darin „geronnene“ Arbeitszeit. Der Arbeiter muss, da er keine
Produktionsmittel besitzt, seine Arbeitskraft verkaufen, und zwar an die Kapitalisten,
die Maschinen und andere Produktionsmittel besitzen. Der Kapitalist will seine
Waren nicht verkaufen, um andere Waren erwerben zu können, sondern um sein
Geld zu vermehren. Das „geldheckende Geld“, der kapitalistische
Akkumulationsprozess, steht im Zentrum der Marx’schen Kritik. Die Auswirkungen
von Marx’ Werk auf die Wissenschaften sind kaum zu überschätzen – geschweige
denn diejenigen auf die weit reichenden politischen Umwälzungen in großen Teilen
der Welt im 20. Jahrhundert.
Take-aways
Das Kapital ist Karl Marx’ Hauptwerk und eines der berühmtesten und
umstrittensten Bücher der Welt.
Es zeichnet die Funktionsweise des damaligen Wirtschaftssystems detailliert
auf und bildet die wissenschaftliche Basis von Marx’ Kapitalismuskritik.
Die Grundlage des kapitalistischen Systems ist die Ware.
Jede Ware hat einen Gebrauchswert (Nützlichkeit) und einen Tauschwert
(relativer Wert im Vergleich zu anderen Waren).
Der Wert einer Ware lässt sich außerdem durch die für ihre Herstellung
benötigte Arbeit bzw. Arbeitszeit bemessen.
Die Produktivkraft der Arbeit schwankt je nach technischem Stand,
Rohstoffangebot, Geschicklichkeit der Arbeiter und anderen Faktoren.
Geld erleichtert den Warenaustausch: Als Münze kann es noch Äquivalent des
Warenwertes sein, als Papiergeld ist es abstrakte Verkörperung des
Tauschwertes.
Normalerweise wird Ware gegen Geld und dieses wieder gegen Ware
getauscht. Der Kapitalist macht es umgekehrt: Er tauscht Geld gegen Ware
und diese wieder gegen Geld – mehr Geld.
Dem Kapitalisten kommt es vor allem auf den Mehrwert an. Geschaffen wird
dieser durch die Arbeitskraft der Arbeiter.
Sie erarbeiten einen Gebrauchswert, der höher ist als der Tauschwert ihrer
Arbeitskraft: Hieraus zieht der Kapitalist den Profit – meist zum Nachteil des
Arbeiters.
Der Arbeiter muss seine Arbeitskraft verkaufen, weil er nicht im Besitz von
Produktionsmitteln ist. Denn diese wurden der Arbeiterklasse in historischen
Klassenkämpfen immer wieder streitig gemacht.
Marx’ Theorie übte auf den Verlauf des 20. Jahrhunderts einen so starken
Einfluss aus wie keine andere.
Zusammenfassung
Die Ware und ihr Wert
Waren sind die Essenz des Reichtums in kapitalistischen Gesellschaften. Sie sind
Dinge, die Bedürfnisse befriedigen können, entweder direkt (z. B. Nahrung gegen den
Hunger oder Kleidung gegen die Kälte) oder indirekt (etwa eine Maschine zur
Herstellung von warmen Jacken). Jede Ware hat naturgemäß zwei Arten von Wert:
1. Der Gebrauchswert ist ein Maß für die Nützlichkeit einer Ware. Er „klebt“
sozusagen an der individuellen Ware, kann also nicht losgelöst von ihr
betrachtet werden. Der Gebrauchswert ist dabei vom investierten
Arbeitsaufwand völlig unabhängig, d. h. der Käufer einer Tonne Stahl schert
sich überhaupt nicht darum, wie viele Mühen aufgewendet werden mussten,
um diesen Stahl zu verfertigen.
2. Der Tauschwert der Ware: Damit ist das Verhältnis gemeint, in dem eine
bestimmte Ware mit einer anderen getauscht werden kann. Beispielsweise
könnte ein Kilogramm Weizen einer Menge von 100 ml Stiefelwichse
entsprechen.
„Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche
Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist.“ (S. 18)
Es gibt Güter, die zwar einen Gebrauchswert haben, aber trotzdem nicht als Waren
bezeichnet werden können. Meist handelt es sich dabei um Güter, die vor allem zum
eigenen Gebrauch hergestellt werden. Um Ware zu sein, müssen sie aber einen
gesellschaftlichen Gebrauchswert haben, also handelbar sein. Wert hat nur ein
Gebrauchsgegenstand. Ist ein Gut nutzlos, ist es auch wertlos.
Der Austausch von Waren wurde in der Geschichte der Menschheit schnell stark
vereinfacht, indem allgemeine Äquivalenzformen verwendet wurden: Muscheln,
Tiere oder Edelmetalle als Tauschmittel. Münzen aus Edelmetallen sind besonders
beliebt: Sie sind leicht in verschiedene Mengen unterteilbar und besitzen selbst
genügend Wert, um jederzeit als Ersatz für andere Güter akzeptiert zu werden.
Allerdings hat der Warenwert des Geldes mehr und mehr an Bedeutung verloren;
Geld wurde zu einer abstrakten Verkörperung des Tauschwertes: Das Papiergeld war
geboren, dessen materieller Wert, anders als beim Münzgeld, überhaupt nichts mehr
mit seiner Funktion als Wertmesser zu tun hat.
„Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre
Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer
Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“ (S. 49)
Die Ware wurde für die Menschen zum Fetisch: Sie verselbstständigte sich und
erhielt eine mysteriöse Aura. Der Grund: Der einzelne Mensch, der eine Ware oder
Geld gegen eine andere Ware tauscht, ist nicht mehr direkt mit der darin
„geronnenen“ Arbeitszeit verbunden. Für einen Leibeigenen aus dem Mittelalter, der
im Grunde genommen nur das verzehrte und besaß, was er selbst produzierte, konnte
das Produkt seiner Arbeit noch kein Fetisch sein. Der Fetischcharakter (etwa
Verehrungswürdigkeit) der Ware besteht erst, seit es überhaupt Waren, also
innerhalb der Gesellschaft ausgetauschte Güter, gibt.
Bei der Zirkulation von Waren bilden sich Preise heraus. Preise sind ein Maß für die
in den Waren gebundene Arbeit. Allerdings können die Preise durchaus zu hoch oder
zu niedrig sein. Die eigentliche Warenzirkulation geschieht, indem Waren mittels
Geld gegeneinander ausgetauscht werden: Beispielsweise verkauft ein Weber das
Produkt seiner Arbeit und erhält dafür eine gewisse Menge Geld. Von diesem Geld
kauft er nun beispielsweise eine Bibel zur häuslichen Erbauung. Er tauscht also sein
Geld gegen eine Ware und damit gegen die Arbeit anderer. Die Zirkulation verläuft
folglich nach dem Prinzip
„Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die
Verwertung des Wertes existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung.
Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos. Als bewusster Träger dieser
Bewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist. Seine Person, oder vielmehr seine
Tasche, ist der Ausgangspunkt und der Rückkehrpunkt des Geldes.“ (S. 116)
Ware --> Geld --> Ware
oder anders gesagt: Der Arbeiter tauscht ein selbst verfertigtes Stück Arbeit gegen ein
fremdgefertigtes Stück Arbeit.
Doch es gibt noch einen anderen Kreislauf. Dann nämlich, wenn Geld nicht mehr die
Rolle des Mittelsmannes, sondern diejenige der Hauptperson spielt: Das Prinzip
„G - G’, geldheckendes Geld lautet die Beschreibung des Kapitals im Munde seiner
ersten Dolmetscher, der Merkantilisten.“ (S. 118)
Geld --> Ware --> Geld
beschreibt die Geburt des Kapitals. Ware wird nicht gekauft, weil sie einen
Gebrauchswert darstellt, sondern sie wird gekauft, um sie zu verkaufen - und mehr
Kapital anzusammeln. Hier kommt es also nicht auf den Gebrauchswert, sondern auf
den Tauschwert an, oder besser gesagt: auf den Mehrwert, um den sich das Kapital
vergrößert. Wohin führt dieser Prozess? Zu immer mehr Kapital: mehr Geld --> Ware
--> noch mehr Geld usw. Der Warenkreislauf hat den Endzweck, Bedürfnisse zu
befriedigen. Der Geldkreislauf - der freilich das Vorhandensein des Warenkreislaufs
voraussetzt - ist dagegen reiner Selbstzweck. Der Geldbesitzer, der diesen Prozess
steuert, ist der Kapitalist, dem es nur um ein einziges Prinzip geht: reicher und
immer noch reicher zu werden.
Verkaufte Arbeitskraft
Doch woher kommt der Mehrwert? Wenn Waren und Geld ausgetauscht werden, gibt
es zunächst nirgendwo in diesem Prozess eine unentdeckt gebliebene
„Mehrwertfabrik“. Sie ist aber vorhanden, und zwar in einer ganz bestimmten Art von
Ware: Es handelt sich um die Arbeitskraft des Arbeiters, die dieser wie eine Ware
verkauft. Der Wert der Arbeitskraft bemisst sich nach den Aufwendungen, die der
Arbeiter für seine Existenz benötigt. Diese sind – abgesehen von Nahrungsmitteln –
historisch und kulturell verschieden, je nachdem, was in einer gegebenen Epoche und
Kultur als Existenzminimum angesehen wird. Der Tauschwert der Arbeit, also der
Lohn, den der Kapitalist dem Arbeiter für einen ganzen Tag seiner Arbeit zahlt,
sichert nur dessen Existenzminimum. Der Gebrauchswert der Arbeit aber ist für
ihren Käufer, den Kapitalisten, höher: Dieser Mehrwert kommt dem Kapitalisten
zugute: Sein eingesetztes Geld verwandelt sich in Kapital.
„Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem
Markt als Ware vorfinde, ist die, dass ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu
können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft
selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muss.“
(S. 129)
Die Rohmaterialien und die Arbeitsmittel (Maschinen), die der Kapitalist im
Produktionsprozess einsetzt, sind konstantes Kapital. Das bedeutet, dass sich ihr
Wert während des Produktionsprozesses nicht verändert. Anders verhält es sich mit
der Arbeitskraft: Sie erbringt den Wert, der dem Arbeiter als Lohn abgegolten wird,
und noch einen Mehrwert darüber hinaus. Der in Form von Arbeitskraft umgesetzte
Teil des Kapitals kann daher als variables Kapital bezeichnet werden.
Der Handel mit Arbeitskraft als Ware hat zur Folge, dass der Arbeiter am Ende des
Tages statt eines selbst verfertigten Produkts lediglich das Geld in Händen hält, das
ihm sein Arbeitgeber für die Überlassung seiner Arbeitskraft zahlt. Die Nähe zum
erarbeiteten Gut geht verloren: Der Arbeiter entfremdet sich von seiner Arbeit, weil
ihr Resultat nicht mehr ihm gehört, sondern dem Kapitalisten. Arbeit ist ein
integraler Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit. Doch insbesondere der
Industriearbeiter, der spezialisierte, stupide Tätigkeiten ausführt, besitzt keinerlei
Beziehung mehr zu seinem Werk. Warum aber muss der Arbeiter seine Arbeitskraft
überhaupt verkaufen? In den meisten Fällen deswegen, weil er nicht im Besitz von
Produktionsmitteln (z. B. Maschinen oder Rohmaterialien) ist, die er für eine
selbstständige Verfertigung von Produkten benötigt. Denn diese befinden sich fast
ausschließlich in den Händen der Kapitalisten.
„Das Produkt ist Eigentum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten,
des Arbeiters.“ (S. 147)
Aus der Formel „Mehrwert / notwendige Arbeit“ lässt sich die Rate des Mehrwerts
ersehen; sie beschreibt den Grad der Ausbeutung des Arbeiters, der auf diese Weise
um den Mehrwert seiner Arbeit gebracht wird. Jede Stunde, die der Arbeiter über die
zur Selbsterhaltung notwendige Zeit hinaus beim Kapitalisten arbeitet, bringt nur
dem Kapitalisten, nicht aber dem Arbeiter einen Wert. Der Kapitalist versucht
natürlich, den Mehrwert zu steigern: indem er die Arbeitszeit ausdehnt (aus einem
Zwölfstundentag beispielsweise einen Achtzehnstundentag macht) oder den Anteil
der Mehrwertarbeitszeit an der gesamten Arbeitszeit erhöht. Dies gelingt dadurch,
dass die Produktivität bei gleich bleibendem Lohn gesteigert wird.
Die Kapitalakkumulation
Das Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter meint weniger ein persönliches
Verhältnis zwischen zwei Menschen, es handelt sich vielmehr um ein Verhältnis der
Klassen: Arbeiter- und Kapitalistenklasse, die seit Jahrhunderten um den Mehrwert
der Arbeit kämpfen. Dieses Verhältnis ist seit jeher von Gewalt geprägt. Seine
Wurzeln liegen in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft. Erst nachdem diese
aufgelöst und die ehemals Leibeigenen zu freien Menschen wurden, konnten sie ihre
Arbeitskraft auf dem Markt anbieten. Oder besser: Sie wurden in die
Lohnknechtschaft gestoßen und geprügelt. Eine Welle der Expropriation
(Enteignung) wogte durch die Länder, insbesondere in England: Erst wurden Bauern
von ihrem Ackerland gedrängt, weil es als Weideland gebraucht wurde, dann
konfiszierten königliche Günstlinge im Zuge der Reformation die Kirchengüter, die
sie untereinander verschacherten. Das geringe Privateigentum in den Händen vieler
wurde zum umfangreichen Privateigentum in den Händen weniger. Noch dazu
wurden in den folgenden Jahrhunderten die Gewaltakte nachträglich gesetzlich
legitimiert.
„Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im
Produktionsprozess. Er reproduziert sein eignes Äquivalent und einen Überschuss
darüber, Mehrwert, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann.“ (S. 170)
Doch irgendwann wird das Kapital an seiner eigenen Gewinnsucht zugrunde gehen.
Die Kapitalisten werden immer mehr Maschinen und immer weniger Arbeiter für die
Produktion verwenden. Das Elend der Massen wird wachsen, während sich das
Kapital immer mehr auf immer weniger Kapitalisten konzentriert. Die Enteignung
setzt sich so lange fort, bis die Zustände so unerträglich geworden sind, dass sie sich
in einer Revolution entladen werden. Die Enteignung der Enteigner steht dann bevor.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die vorliegende Ausgabe von Das Kapital gibt ausgewählte Teile der drei Bände
wieder. Ursprünglich war das Werk auf vier Bände angelegt, doch nur der erste
wurde von Marx selbst vollendet. Die weiteren Bände beruhen auf Notizen und
Konzepten, die von Marx’ Freund Friedrich Engels in die endgültige Form gebracht
wurden – und entsprechend einen weniger abgerundeten Stil aufweisen. Im ersten
Band legt Marx die Grundlagen seiner Theorie der Arbeitswertlehre, des Mehrwerts
und der Kapitalakkumulation dar. Dieses Buch macht mit fast 400 Seiten den
größten Teil des Werkes aus. Besonders der siebte Abschnitt ist für das Marx’sche
Geschichtsverständnis wichtig: Hier finden sich die berühmten Thesen von der
„Geschichte der Klassenkämpfe“ und eine Analyse der Entstehung der
Kapitalistenklasse und des Proletariats. Der zweite und dritte Band sind erheblich
schwieriger zu verstehen als der erste, weil Marx bzw. Engels hier vor allem auf die
mathematische Methode zurückgreift, um den Kreislauf des Kapitals mit vielen (nicht
immer sehr erhellenden) Gleichungen zu „beweisen“. Grundsätzlich liest sich das
Werk wie eine Mischung aus wissenschaftlicher Abhandlung, Essay und Pamphlet,
gewürzt mit etlichen Spitzen gegen die Kapitalisten wie auch gegen Marx’ Vorläufer
in der ökonomischen Wissenschaft. Insgesamt kommt die Schrift aber keineswegs so
feurig und kämpferisch daher wie Das kommunistische Manifest. Marx selbst
schreibt über seinen Stil: „Mit Ausnahme des Abschnitts über die Wertform wird man
daher dies Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit anklagen können. Ich
unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen.“
Interpretationsansätze
Historischer Hintergrund
Kinder der Industrialisierung: Das Proletariat
Die Folgen der industriellen Revolution, die Marx in seinem Exil in England
besonders gut studieren konnte, bildeten einen wesentlichen Hintergrund seiner
Theorie, insbesondere des historischen Materialismus. Die Industrialisierung verhalf
der Fabrikarbeit zum Durchbruch. Arbeitsteilung und Spezialisierung führten zu
enormen Produktivitätssteigerungen. Die Fabriken schossen in den Städten wie Pilze
aus dem Boden. Dank der Dampfmaschine wurden die Produktionsstätten von
natürlichen Antriebskräften wie Wind, Wasser und Muskelkraft unabhängig. Die
Landbevölkerung strömte in die Städte und in die Fabriken. Der Grund: Zuvor
allgemein zugängliches Weideland wurde in Privatbesitz umgewandelt. Die
Grundbesitzer enteigneten bei dieser Einhegung viele Bauern und beraubten sie
damit ihrer Lebensgrundlage. Der Landbevölkerung blieb also nichts anderes übrig,
als sich ihre Nahrungsmittel in der Stadt zu verdienen. So schufen Industrialisierung
und Privatisierung im 18. und 19. Jahrhundert eine neue Klasse von
unterprivilegierten Menschen: die Proletarier. Marx bezeichnete damit die Arbeiter,
die über keine Produktionsmittel, sondern nur über ihre blanke Arbeitskraft
verfügten, die sie als „Lohnsklaven“ den Kapitalisten anbieten mussten. Verelendung,
katastrophale Gesundheits- und Wohnungszustände und unmenschliche
Arbeitszeiten waren die sozialen Folgen dieses Systems. Die Überbevölkerung und die
kapitalistischen Rationalisierungsbestrebungen führten überdies zur Bildung einer
„industriellen Reservearmee“ (Marx), also einer Gruppe von Arbeitslosen, die großen
Druck auf die Löhne und die ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen
ausübten.
Entstehung
Karl Marx benötigte annähernd 15 Jahre für die Reinschrift des ersten Bandes
von Das Kapital. Am 2. April 1851 schrieb er an seinen Freund Friedrich Engels, dass
er vorhabe, nach Sichtung seiner zahlreichen Quellen und einer groben Skizzierung
seines Konzeptes in wenigen Wochen „mit der ganzen ökonomischen Scheiße“ fertig
zu sein. Doch daraus wurde nichts. Noch etliche Jahre arbeitete er am ersten Band,
vertröstete seinen Verleger mehr als einmal, kündigte sein Werk aber bei Freunden
als „den großen Wurf“ an. Entsprechend hoch waren die Erwartungen. 1867 erschien
der erste Band. Engels zeigte sich bei der Durchsicht des Manuskriptes konsterniert,
obwohl Marx ihn vorgewarnt hatte: Er solle nur nicht umfallen, denn obwohl das
Werk den Titel Das Kapital trage, enthalte es zu diesem Thema nur wenig. Wilhelm
Liebknecht, der Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, gab sogar
unumwunden zu, dass ihn „noch nie ein Buch so enttäuscht“ habe. Die geplanten
weiteren Bände des Werks konnte Marx nicht mehr vollenden. Glücklicherweise hatte
er jedoch ausführliche Manuskripte erstellt, die den Aufbau und die Struktur des
gesamten Werks vorzeichneten. Nach Marx’ Tod hatte Engels für die Edition der
ausstehenden Bände Schwerstarbeit zu leisten: Der zweite Band stützte sich noch auf
einigermaßen ausformulierte Vorlagen und kam 1885 heraus. Band drei entstand
aufgrund vager Skizzen, was ihm auch anzumerken ist, und erschien erst 1894. Marx
hatte auch noch einen vierten Band geplant, in dem er vor allem die Theorien
früherer Ökonomen auseinandernehmen wollte.
Wirkungsgeschichte
Das Kapital hatte eine außerordentlich weit reichende Wirkung, und zwar sowohl in
der ökonomischen und philosophischen Wissenschaft als auch – in Form des
Marxismus-Leninismus – in der politischen Wirklichkeit. Marx’ Werk inspirierte
sozialistische Autoren und Politiker in aller Welt. Die so genannte Grenznutzenschule
der Ökonomie setzte sich in ihren Arbeiten ebenfalls detailliert mit Marx
auseinander, wenn auch teilweise nur, um seine Thesen zu widerlegen, so z.
B. Eugen von Böhm-Bawerk in Kapital und Kapitalzins (1884–1889). In der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tobte der Kampf der Systeme auch in der
ökonomischen Wissenschaft: Der österreichische Ökonom Joseph Alois
Schumpeter (Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942) griff die Marx’sche
Theorie der Zerschlagung des Kapitalismus durch die Revolution des Proletariats auf:
Der Kapitalismus werde aber nicht vom Sozialismus zerstört, sondern ersticke
schließlich an seiner eigenen Produktivität, zerstöre seine sozialen Schutzschichten
und erstarre in Bürokratie.