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Architekturdarstellung als Perspektive

Geometrische Grundlagen für Bildrekonstruktion und Bildmontage

F1 Horizont = Bildebene F3 T H F2

gr'
13.20 7.00

0
Messkante N

Messkante M

F1 Horizont A' H B' C' F2

F1 Bildebene N M A' H B' C' F2


A
C

B
Hauptstrahl

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Architektur / Innenarchitektur: Visuelle Komposition Raumdarstellung

Vorwort 2

Perspektivekonstruktion: Das Messpunktverfahren


Aufbau des Bildes mittels wahren Massen 3

Perspektive: Bildrekonstruktion
Bestimmen der geometrischen Ordnung 10

Perspektive: Bildmontage
Beispiel einer Bildrekonstruktion / Bildmontage 24

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Architektur / Innenarchitektur: Visuelle Komposition Raumdarstellung

Vorwort

Begriff der Komposition Komposition bedeutet Zusammensetzung / Zusammenstellung von Elementen / Einzel-
teilen zu einer wirkungsvollen Ganzheit.
Der Begriff Komposition ist in verschiedenen Bereichen gebräuchlich: In der Musik,
in der bildenden Kunst, in der Architektur und auch in der Literatur. Allen genannten
Disziplinen gemeinsam ist, dass es im Kern um die schöpferische Gestaltung eines
Werkes geht.

Komposition im Bereich des Architekturbildes Die räumliche Architekturdarstellung (Perspektive) nimmt in diesem Kontext sozusa-
gen eine «Zwischenposition» ein.
Als «Bild» betrachtet, steht sie prinzipiell im Spannungsfeld der kompositorischen
Komponenten der bildenden Kunst. Wesentliche Aspekte in diesem Zusammenhang
sind: Wahl des Bildformats / der Bilddimension; Anordnung / Ordnung der Dinge in der
Bildfläche; Umgang mit Licht und Schatten; Umgang mit Farben / Tonwerten; Einsatz
von Material und Werkzeug.
Als «Darstellung von Architektur» (hergestellt vom Architekten) steht das Bild
meist in einem ausgeprägt pragmatischen Informationszusammenhang. Der Gegen-
stand der Darstellung - die Architektur, in all ihren Abhängigkeiten - beeinflusst
die Gestaltung des Architekturbildes in grossem Masse. Das Architekturbild ist nicht
schöner Selbstzweck - meist ist es Teil eines umfassenden Informationssystems.
Perspektive als Ordnungsfaktor Ein entscheidender Ordnungsfaktor bei architektonischen Raumbildern ist die
Perspektive mit ihren geometrischen Gesetzmässigkeiten und wahrnehmungsmäs-
sigen Abhängigkeiten. Die Gesetzmässigkeiten der Perspektive engen die komposi-
torischen Freiräume (wie sie in der bildenden Kunst vorhanden sind) zwar etwas
ein. Gerade in dieser Einengung liegt aber auch ein vielfältiges Potenzial und eine
Herausforderung für die kreative Entfaltung. Voraussetzung für die kreative Nutzung
dieses Potenzials ist: Verfügen über das grundlegende, fachspezifische Wissen (vgl.
dazu auch Lehrmittel «Visuelle Grundphänomene / Raumdarstellung») und Verständ-
nis für die entsprechenden Wirkungszusammenhänge.

Inhalt des Lehrmittels Das vorliegende Lehrmittel für den Bereich «Visuelle Komposition / Raumdarstellung»
zeigt hauptsächlich die geometrischen Aspekte räumlicher Architekturdarstellungen.
Aufbauend auf den elementaren Gesetzmässigkeiten des räumlichen Abbildens («Visu-
elle Grundpänomene»), liefert es die exemplarischen Grundlagen für Bildrekonstruk-
tionen und Bildmontagen.
Stellenwert flächiger Bildherstellungsverfahren Die Bildmontage, beziehungsweise die Herstellung architektonischer Raumbilder
in der Bildfläche selber (Illusion von Raum) erlebt gerade im Zusammenhang digitaler
Handwerkstechniken eine eigentliche Blütezeit. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Me-
thode der Bildherstellung - im Vergleich zum dreidimensionalen Rendering - geringere
Anforderungen an teure Infrastruktur (leistungsstarke Hard- und Software), techni-
sches Knowhow und auch Zeitaufwand stellt. Stellvertretend für die ungebrochene
Aktualität flächiger Bildherstellungsverfahren mag die Feststellung dienen, dass auch
das innovative Architekturbüro Herzog & de Meuron seine viel bewunderten Architek-
turbilder oft auf diese, im Kern ausgesprochen «traditionelle», Weise erzeugt.
Transfer und Synthese in der Anwendung Eine angewandte, praxisnahe Arbeit im Bereich Raumdarstellung bietet das
Übungsfeld, um die Erkenntnisse und Erfahrungen aus den verschiedenden Modul-
bereichen (Transferleistung) in der Komposition eines architektonischen Raumbildes
zu verknüpfen (Synthese).
Das eigentliche Anwendungsfeld aber liegt ausserhalb dieses Moduls - in den
Projektmodulen, beziehungsweise in der späteren Berufstätigkeit.

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Architektur / Innenarchitektur: Visuelle Komposition Raumdarstellung

Perspektivekonstruktion: Das Messpunktverfahren


Aufbau des Bildes mittels wahren Massen

Die Messpunktmethode erlaubt, ein perspektivisches Bild ohne Umweg über eine
Grundrisssituation - wie es beim klassischen Durchstosspunktverfahren der Fall ist - zu
konstruieren.
Prinzip der Messpunktmethode Bei der Messpunktmethode arbeitet man mit wahren Längenmassen, die auf der
Grundlinie (Schnittgerade zwischen Bild- und Grundebene) abgetragen und dann in
die Perspektive übersetzt werden. In der Umkehrung ist es mit dieser Methode auch
möglich, aus Perspektiven die wahren Massverhältnisse von geometrischen Objekten
zu rekonstruieren. Dies wiederum kann im Anwendungsbereich der Bildmontage von
grossem Nutzen sein.

Voraussetzungen für die Konstruktion Voraussetzung für dieses Verfahren ist, dass die innere Orientierung der Perspektive
(Horizont, Hauptpunkt, Fluchtpunkte) gegeben ist. Das heisst, die Stellung des Ge-
genstandes, der Betrachterstandpunkt, die Blickrichtung und die Lage der Bildebene
sind bekannt.
Mit dem Messpunktverfahren werden ausschliesslich Strecken in horizontaler
Lage konstruiert. In der Zusammensetzung bedeutet dies die Konstruktion eines per-
spektivischen Grundrisses. Die Konstruktion der vertikalen Abmessungen erfolgt in
der gewohnten Weise über Messkanten in der Bildebene.

Erklärung der geometrischen Zusammenhänge Die Abbildung unten zeigt die grundlegenden Zusammenhänge in einer axonome-
trischen Darstellung, ergänzt mit einer entsprechend aufgeklappten Risszeichnung.
An das Bild einer auf der Grundebene liegenden Geraden e soll eine gegebene
Strecke A-B abgetragen werden. Verbindet man den Spurpunkt N mit dem Flucht-
punkt F, ist N-F das Bild der Geraden e. Auf der Spurgeraden gr werden von N aus
die Strecken N-A und N-B abgetragen. Dreht man um den Spurpunkt N die beiden
Strecken N-A und N-B in die Linie e ein, so ist N-A' = N-A und N-B' = N-B. Die Verbin-
dungslinien A-A' und B-B' sind untereinander parallel und haben, wie alle parallelen
Linien, einen gemeinsamen Fluchtpunkt - dort wo ein Parallelstrahl durch 0 die Bilde-
bene trifft. Der Fluchtpunkt dieser Verbindungslinien ist also M.
Grundebene

Ho
riz
on
teb
en
e
Bildebene
Bildebene

Gr
un
de
be
ne
Horizontebene

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Verbindet man die Punkte A und B auf der Grundlinie gr mit dem Fluchtpunkt M,
schneiden diese Verbindungslinien das Bild der Geraden e in den Punkten A" und B".
So können alle auf der Grundlinie gr gegebenen Strecken perspektivisch richtig in das
Bild übertragen werden. Daher bezeichnet man den Fluchtpunkt M der Verbindungs-
linien als den Messpunkt der Geraden e.
In der aufgeklappten Darstellung können die geometrischen Verhältnisse in Hori-
zont–, Bild- und Grundebene unverzerrt eingesehen werden. Die geometrische Tatsache
ist folgende: Das Eindrehen der Strecke N-A nach N-A' ergibt ein gleichschenkliges
Dreieck A-N-A'. Eine Paralle zur Drehsehne A-A' durch den Punkt B überträgt unver-
ändert das Mass N-B auf die Linie e. Ändert man die Richtung der Linie e, so ändert
sich auch die Richtung der parallelen Drehsehnen oder, vereinfacht ausgedrückt, die
Richtung der Messlinien.
Konstruktion des Messpunktes Da nun 0-F parallel zu e und 0-M parallel zu A-A' sind, wird das Dreieck F-M-0
gleichschenklig sein. Man gewinnt den Messpunkt auch so, dass man die Strecke 0-F
um den Fluchtpunkt der Geraden e in die Horizontlinie eindreht. Die nebenstehende
Abbildung zeigt diesen Sachverhalt entsprechend.

Daraus lässt sich folgender Satz formulieren:


Der Messpunkt einer auf der Grundebene liegenden Geraden mit dem Fluchtpunkt F
ist gegeben, wenn man die dazugehörige Parallele F-0 durch Drehung um F auf die
Horizontlinie bringt, so dass F-M = F-0 ist.
Der Messpunkt dient dazu, Strecken, die auf der Grundlinie in wahrer Grösse abge-
tragen sind, perspektivisch verkürzt auf eine zugeordnete Gerade zu übertragen. Oder
umgekehrt, perspektivisch verkürzte Strecken auf die Grundlinie zu übertragen, wo
sie in wahrer Grösse erscheinen.

Konstruktionsbeispiel 1:

Gegeben ist ein Objekt in seinen Abmessungen (Ansichten = massgebende Risse) und
eine Skizze der Abbildungssituation (Abbildung S. 5).
Rolle der Abbildungssituation Die Abbildungssituation zeigt in erster Linie die geometrische Anordnung, welche
die Grundlage für die Bestimmung der inneren Orientierung ist. Darüber hinaus ist
die Grundrisssituation eine Hilfsskizze, die (speziell im gezeigten Beispiel) der unver-
zerrten Veranschaulichung der perspektivischen Konstruktionsvorgänge dient. Die
punktierten Linien stehen dabei stellvertretend für geometrische Operationen, die bei
der Konstruktion des perspektivischen Grundrisses als Gedanken im Kopf ablaufen. Für
die eigentliche Perspektivekonstruktion, die direkt in der Bildebene erfolgt, wird die
Grundrisssituation nicht benötigt.

Bestimmen der inneren Orientierung Der erste konstruktive Schritt ist die Bestimmung der inneren Orientierung. Aufgrund
der Geometrie der Abbildungssituation lassen sich die Fluchtpunkte und die Mess-
punkte berechnen (vgl. Berechnungen bei Skizze der Abbildungssituation, S. 5). Dann
überträgt man diese Punkte vom Hauptpunkt H aus auf den Horizont ho im Bild. Im
vorgegebenen, beziehungsweise frei gewählten (siehe Kapitel Kellergrundriss, S. 7),
Abstand zum Horizont wird als zweite Orientierungslinie die Grundlinie gr gezeichnet.
Angelpunkt der Konstruktion Der Eckpunkt A des Objekts liegt in der Bildebene. Seine Lage ist im Bild eindeutig
bestimmbar. Dieser Punkt A ist unser Angelpunkt für die Konstruktion des perspekti-
vischen Grundrisses. Seine Lage auf der Grundlinie gr lässt sich wiederum rechnerisch
bestimmen (vgl. Berechnung bei Skizze der Abbildungssituation, S. 5).
Bestimmen der Fluchten für den Massabtrag Durch den Punkt A legen wir nun - als Setzung - in Richtung 1 (→ F1) und in
Richtung 2 (→ F2) je eine Flucht und bezeichnen diese entsprechend. Auf diesen zwei
Fluchtgeraden wollen wir einerseits die Abmessungen in Richtung 1 und andererseits
die Abmessungen in Richtung 2 perspektivisch konstruieren.

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Abbildungssituation (Skizze zur Veranschaulichung der Abbildungsvorgänge)

Vorgaben: Berechnung der inneren Orientierung:

Winkel α = 50° H-F1 = Distanz 0-H • tan β = 0-H • tan 40°


Winkel β = 40° H-F2 = Distanz 0-H • tan α = 0-H • tan 50°
Distanz = 0-H 0-H
F1-0 = F1-M1 = = 0-H
sin α sin 50°
0-H 0-H
F2-0 = F2-M2 = =
sin β sin 40°
H-A = A-P • cos α = A-P • cos 50°

Bestimmen der Masse in Richtung 1 Für die Bestimmung der Masse auf der Flucht 1 drehen wir die Flucht (in Gedanken)
um den Angelpunkt A in die Bildebene ein. Von A aus können nun nach links, auf der
Grundlinie gr, die wahren Längenmasse abgetragen werden. So erhält man die Punkte
I' (J'), P' (D'; E'), N' (C'), G' (F'), L' (K') und auch die Leibungstiefe der Fassadenöffnung
in der Flucht 2. Die Verbindungslinien dieser eingeklappten Punkte zu ihren entspre-
chenden Punkten auf der Flucht 1 sind (in Wirklichkeit) untereinander parallel und ihr
zugehöriger Fluchtpunkt ist der Messpunkt M1.
Zieht man nun von den Punkten auf der Grundlinie gr im Bild die Fluchtlinien auf
M1 (in Gedanken: zurück klappen in die richtige Raumlage), so ergeben sich auf der
Flucht 1 die Schnittpunkte L° (K°), G° (F°), usw.
Bestimmen der Masse in Richtung 2 Analog verfährt man nun bei den Längenabmessungen in Richtung 2. Vom Angel-
punkt A aus trägt man auf der Grundlinie gr nach rechts die wahren Masse ab und
gelangt so zu den Punkten E' (F'), J' (K'), B' (C'). Nach links trägt man, entsprechend
der Einklappung, die Punkte D' (G') und I' (L') ab. Zieht man nun von diesen Punkten
aus die Fluchtlinien auf M2 (entspricht dem Zurückklappen in die Flucht 2), findet
man auf der Flucht 2 die Punkte I° (L°), D° (G°), E° (F°), J° (K°) und B (C°).

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Seitenriss (massgebende Ansichten)

Bild (perspektivischer Grundriss)

Bild (Körperkonstruktion)

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Konstruktion von weiteren Eckpunkten Die Raumlage der nicht direkt bestimmten Eckpunkte des Objekts werden als Schnitt-
punkte von Fluchtlinien (→ F2 / → F1) durch die entsprechenden Punkte auf den
Fluchten 1 und 2 gefunden. So bestimmt man beispielsweise den Eckpunkt C als
Schnittpunkt einer Fluchtgeraden in Richtung 2 (→ F2) durch den Punkt C° auf der
Flucht 1 und einer Fluchtgeraden in Richtung 1 (→ F1) durch C° auf der Flucht 2.
Die Summe dieser Schritte ist das perspektivische Bild des Grundrisses in der Grund-
ebene.

Konstruktion des Körpers (Vertikalaufbau) Über dem perspektivischen Grundriss wird nun der Körper aufgebaut. Aus dem Grund
einer besseren Übersicht wird das beim vorliegenden Beispiel in einer separaten Zeich-
nung gezeigt.
Die Konstruktion der Höhen erfolgt nach dem gleichen Prinzip wie beim Durch-
stosspunktverfahren. Der Punkt A liegt in der Bildebene. Die Vertikalkante über A
kann deshalb direkt in der wahren Länge abgetragen werden. Diese Kante dient eben-
so als Messkante für den Höhenabtrag der Fassadenöffnung in der Flucht 2.
Die Messkante für die Bestimmung der Höhenlage der Dachkanten des turmar-
tigen Teils findet man, indem man im perspektivischen Grundriss die Dachkante mit
der Richtung 1 in die Bildebene hinein verlängert (→ Punkt R). Über R kann die wahre
Höhe der Dachlinien abgetragen werden. Die Fluchtlinien nach F1 bestimmen in den
Schnittpunkten mit den Vertikalen über den Eckpunkten des Vordaches (perspektivi-
scher Grundriss) die entsprechenden Bildpunkte.
Die Konstruktion der Dachlinien über die Messkante über dem Punkt S zeigt eine
Alternative und dient gleichzeitig Kontrollzwecken.

Der Kellergrundriss

Grund für die Wahl einer Kellergrundriss-Ebene Bei niedrigem Horizont erscheint der auf dem Boden befindliche Grundriss einer Figur
so schmal zusammengedrängt, dass die Linien sich kaum voneinander trennen lassen
und deren Schnittpunkte nicht genau bestimmt werden können. Ein exaktes Kon-
struieren wird dann fast unmöglich, dies um so mehr, als gerade der Grundriss die
Grundlage für die gesamte perspektivische Darstellung ist.
In diesem Fall setzt man für die Konstruktion des perspektivischen Grundrisses
eine horizontale Ebene, die genügend weit unter dem Horizont (oder eventuell darü-
ber) liegt. Diese Ebene nennt man Kellergrundriss-Ebene. Die Konstruktionsschwie-
rigkeiten sind damit behoben.
Die jeweils einander entsprechenden Punkte des Grundrisses der wahren Grund-
ebene mit der Grundlinie gr und des Kellergrundrisses in der gesetzten Ebene mit der
Grundlinie gr' liegen senkrecht übereinander.

Konstruktionsbeispiel 2:

Gegeben ist ein ähnliches Objekt wie im Konstruktionsbeispiel 1. Die Ansichten sind
die massgebenden Risse. Die Abbildungsanordnung (Grundriss) dient wiederum der
Veranschaulichung der geometrischen Verhältnisse und der unverzerrten Darstellung
der konstruktiven Abläufe.
Bestimmung der Kellergrundriss-Ebene Der Augpunkt des Betrachters liegt nur wenig über der Grundebene. Die Sicht auf
den Grundriss ist folglich sehr flach (vgl. gestrichelte Grundrisslinien im Bildresultat,
S. 9). Für die Konstruktion des perspektivischen Grundrisses bestimmt man deshalb
eine horizontale Ebene, die genügend weit unter der Horizontebene liegt (vgl. Per-
spektive-Konstruktion, S. 9). Das ist gleichbedeutend mit einer steileren Sicht auf
den Grundriss. Diese Sicht ergibt eindeutige Schnittpunkte der Konstruktionslinien im
perspektivischen Grundriss. Die Grundlinie der Kellergundriss-Ebene im Bild ist gr'.

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Konstruktion des perspektivischen Grundrisses Der Eckpunkt A des Objekts liegt in der Bildebene. Seine Lage ist in der Perspektive
also exakt zu bestimmen. Dieser Punkt A wird nun im richtigen seitlichen Abstand
zur vertikalen Hauptachse (H-A; Berechnung siehe bei Abbildungssituation) auf die
Grundlinie gr' übertragen. Der Punkt A ist der ideale Angelpunkt für die Konstruktion
des perspektivischen Grundrisses mit dem Messpunktverfahren.
Durch den Punkt A wird eine Fluchtgerade in Richtung 1 (→ F1) und eine Flucht-
gerade in Richtung 2 (→ F2) gelegt. Auf diesen zwei Geraden bestimmt man die
perspektivischen Masse in den zwei Fluchtrichtungen und gelangt so zum perspek-
tivischen Bild des Grundrisses. Der Konstruktionsablauf folgt dem im Beispiel 1 be-
schriebenen Prinzip.
Konstruktion des Körpers Die seitliche Lage der Vertikalkanten, beziehungsweise die Lage der Eckpunkte ist
im Kellergrundriss festgelegt. Die Eckpunkte werden nun senkrecht nach oben, in die
tatsächliche Lage der Objektpunkte, projiziert. Die Konstruktion der Körperhöhen im
Bild erfolgt von der horizontalen Orientierungslinie gr aus, über entsprechend ausge-
wählte Messkanten.

Abbildungssituation
(Skizze zur Veranschaulichung der Abbildungsvorgänge)

Vorgaben:

Winkel α = 45°
Winkel β = 45°
Distanz = 0-H

Berechnung der inneren Orientierung:

H-F1 = H-F2 = Distanz 0-H


F1-0 = F1-M1 = 0-H • √ 2
F2-0 = F2-M2 = 0-H • √ 2
H-A = A-P • cos β = A-P • cos 45°

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Seitenriss (massgebende Ansichten für die Perspektivekonstruktion)

Bild (Konstruktion perspektivischer Kellergrundriss und Körperkonstruktion)

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Perspektive: Bildrekonstruktion
Bestimmen der geometrischen Ordnung

Jede neue Architektur fügt sich in einen Kontext ein. Sie geht eine Beziehung mit
den umgebenden Bauten und dem Umraum ein. Die Perspektive ist ein Mittel, die
Wirkung eines geplanten architektonischen Eingriffs in einem Raumbild zu veran-
schaulichen und zu prüfen. Die spätere Realität kann so annäherungsweise vorweg-
genommen werden.
Fotografische Bildvorlage und Perspektive Grundlage für die Erschaffung eines solchen Raumbildes ist in der Regel eine
fotografische Bildvorlage. In der Praxis können Perspektiven mit Fotografien geomet-
risch gleichgesetzt werden: Der Augpunkt der Perspektive entspricht dem optischen
Mittelpunkt des Objektivs der aufnehmenden Kamera, die Distanz der Brennweite
(Abstand optischer Mittelpunkt zur Filmebene) und die Bildebene der Film- oder Sen-
sorebene in der Kamera. Bei beiden Abbildungssystemen trifft die optische Haupt-
achse (Hauptstrahl) senkrecht auf die Bildebene. Der Hauptpunkt der Perspektive ist
also mit dem Bildmittelpunkt der (unbeschnittenen) Fotografie gleichzusetzen.
Wie bei der Perspektivekonstruktion wird bei der Bildrekonstruktion ausschliess-
lich auf den Fall der senkrechten Bildebene eingegangen. Das bedeutet, nur Fotogra-
fien, die im Bild (entsprechend der Wirklichkeit) parallele Objektvertikalen aufweisen,
eigenen sich für eine Bildrekonstruktion.

Die innere Orientierung des Bildes Der erste Schritt einer Bild-Rekonstruktion oder Bild-Vermessung ist die Festlegung
der inneren Orientierung. Diese Orientierung beinhaltet die Bestimmung des Hori-
zontes, des Hauptpunktes, der Distanz und des Augpunktes. Damit sind, systembe-
dingt, auch die Flucht- und Messpunkte festgelegt.
Rekonstruktion der Objektabmessungen Auf der Grundlage der inneren Orientierung lassen sich auch die proportionalen
Abmessungen der abgebildeten Objekte rekonstruieren. Voraussetzung dafür ist die
Kenntnis des Messpunktverfahrens (vgl. S. 3-9). Für die Festlegung der wirklichen
Grössen (Massstab) ist die Kenntnis der wahren Länge einer einzigen Strecke des
Objekts Voraussetzung. Diese Beziehung ist wesentlich für die äussere Orientierung.

Voraussetzungen für die Bildrekonstruktion Entscheidend für die Wahl eines Rekonstruktionsverfahrens ist das Wissen um gewis-
se geometrische Eigenschaften der dargestellten Objekte.
Sehr hilfreich ist zudem die Kenntnis des Verhältnisses zwischen dem vorlie-
genden Bildausschnitt / Bildformat und der Originalaufnahme. Diese Information ist
immer dann verfügbar, wenn man die Fotografie selber aufgenommen hat, bezie-
hungsweise wenn man im Besitz des Negativs (bei analogen Aufnahmen) oder der
digitalen Originalaufnahme ist.

Auf den folgenden Seiten sind einige Fallbeispiele von geometrischen Bildrekonstruk-
tionen zu finden. Zugunsten der besseren Einsicht wird dabei auf die Verwendung von
Fotografien verzichtet. Statt dessen sind in den Beispielen - in Anlehnung an tat-
sächliche Architekturaufnahmen - die geometrischen Verhältnisse der Bilder zeich-
nerisch übersetzt und vereinfacht wiedergegeben.

Rekonstruktionsbeispiel 1: Gegeben ist eine Fotografie. Die Aufnahme zeigt die ganze Bildbreite, die auf den
Film, beziehungsweise den Speicherchip projiziert wurde. Unten ist die Fotografie
beschnitten - dies ist für die Rekonstruktion der inneren Orientierung belanglos.
Das abgebildete Objekt ist rechtwinklig aufgebaut und gegenüber dem Betrachter
schräggestellt (Übereck-Perspektive). Diese Informationen genügen, um die innere
Orientierung zu rekonstruieren.

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Rekonstruktionsbeispiel 1: Da das Bild in voller Breite wiedergegeben ist, liegt der Hauptpunkt auf der Mittel-
(Fortsetzung) senkrechten der Fotografie.
Über die Verlängerung von (horizontalen, untereinander parallelen) Objektkanten
werden die beiden Fluchtpunkte F1 und F2 gefunden. Die Gerade durch F1 und F2
bestimmt den Horizont ho. Die so gewonnene Lage des Horizontes ist im Bildganzen
durch sorgfältige Betrachtung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.
Im Schnittpunkt von Horizont und Mittelsenkrechten des Bildes (vertikale Haupt-
achse der Perspektive) ergibt sich die exakte Lage des Hauptpunktes H.
Für die Ermittlung des Augpunktes 0 und der Distanz d wird die Darstellungsebene
um 90° um den Horizont gedreht. Die Horizontebene erscheint nun in geometrisch
unverzerrter Aufsicht. Der Horizont im Bild wird zur Bildebene im Grundriss. Die Lage
der Fluchtpunkte bleibt unverändert.
Der Thaleskreis über den Fluchtpunkten F1 und F2 schneidet das Lot auf die Bild-
ebene durch den Hauptpunkt H im Augpunkt 0.
Die vom Augpunkt nach den beiden Fluchtpunkten gezogenen Linien bilden im
Augpunkt 0 einen rechten Winkel (Gesetz des Thaleskreises), entsprechend dem rech-
ten Winkel am Objekt. Die Richtungen der beiden Verbindungsgeraden 0-F1 und 0-F2
zeigen die Abdrehung der Objektfluchten gegenüber der Bildebene an (Gesetz der
Entstehung der Fluchtpunkte von Geraden). Die Strecke zwischen dem gewonnenen
Augpunkt 0 und dem Hauptpunkt H entspricht der Distanz d.
Durch Eindrehen der Strecken F1-0 und F2-0 um die Fluchtpunkte F1 und F2 werden
die Messpunkte M1 und M2 gewonnen. Die innere Orientierung ist damit bestimmt.

1/ 2 1/ 2

Bildformat (volle Breite)

F1 ho = Be M2 H M1 F2
ss)

Ge
Distanz d


dri

ud
run

eri
ch
(G

tun
g2

g1
tun

(G
run
ch

dri
ri

ss)
deu

Ge

90°

0/S

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Rekonstruktionsbeispiel 1: Ist die innere Orientierung bestimmt, können die Risse des Gebäudes rekonstruiert
(Fortsetzung) werden. Aus der Perspektive heraus werden in erster Linie die Massverhältnisse re-
konstruiert. Um die absoluten Masse (genauer Massstab) festzustellen, muss im Bild
oder am realen Objekt eine Bezugsgrösse bekannt sein.
Beim vorliegenden Beispiel wird angenommen, dass das Objekt mit seiner vor-
dersten Vertikalkante die Bildebene berührt. Diese Kante bildet so die Messkante für
die Bestimmung der Höhenmasse.
In genügendem Abstand zum Horizont ho wird die Grundlinie gr' einer Kellergrund-
riss-Ebene gezeichnet. Die Verlängerung der in der Bildebene liegenden Objektverti-
kalen ergibt auf der Grundlinie gr' den Punkt A. Von A aus laufen die Objektfluchten
nach den beiden Fluchtpunkten F1 und F2. Durch senkrechten Übertrag aus dem Bild
wird der perspektivische Kellergrundriss konstruiert.
Durch «Eindrehen» (Richtungen auf die Messpunkte M1 und M2) um den Punkt A
werden auf der Grundlinie gr' die Horizontalmasse des Objekts gewonnen. Die Zu-
sammensetzung aller Längen- und Höhenmasse ergibt einerseits den Grundriss und
andererseits die zwei sichtbaren Ansichten.

Messkante Höhenmasse
F1 ho M2 M1 F2
H

gr'

Gebäudelänge Gebäudebreite

Grundriss Ansicht 1 Ansicht 2

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Rekonstruktionsbeispiel 2: Gegeben ist das Bild von zwei rechtwinklig aufgebauten Objekten, die gegenüber
dem Betrachter in unterschiedlicher Schrägstellung erscheinen. Das vorliegende Bild-
format lässt keinen Bezug zur fotografischen Aufnahme zu. Folglich dienen allein die
geometrischen Kenntnisse der zwei Objekte als Grundlage für die Rekonstruktion der
inneren Orientierung.

Die Verlängerungen von horizontalen Objektkanten beider Objekte führen zu den


Fluchtpunkten F1 und F2, beziehungsweise F3 und F4. Durch diese Fluchtpunkte wird
der Horizont ho gezogen.
Jetzt wird die Darstellungsebene um 90° um den Horizont gedreht. Die Horizont-
ebene erscheint nun in geometrisch unverzerrter Aufsicht. Über den Fluchtpunkten
F1 und F2 (zugehörig zum grösseren Gebäude), respektive F3 und F4 (zugehörig zum
kleineren Gebäude) wird je ein Thaleskreis errichtet. Der Schnittpunkt der beiden
Kreisbogen ist der Augpunkt 0. Die Senkrechte auf die Bildebene durch den Augpunkt
legt auf dem Horizont den Hauptpunkt H fest. Die innere Orientierung des Bildes ist
damit bestimmt.

Bildformat

F3 F1 H ho = Be F4 F2
Distanz d

0/S

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Rekonstruktionsbeispiel 3: Gegeben ist eine Fotografie. Das Bildformat steht in unbestimmter Beziehung zur
Originalaufnahme. Das Objekt ist orthogonal aufgebaut und weist als geometrische
Besonderheit einen quadratischen Grundriss auf.

Die Rekonstruktion führt über die bekannten geometrischen Eigenschaften des Ge-
bäudes.
Die verlängerten, untereinander parallelen, horizontalen Objektkanten schneiden
sich in den beiden Fluchtpunkten F1 und F2. Durch diese Fluchtpunkte wird der Hori-
zont ho gezogen.
Die Diagonalen der quadratischen Grundfläche stehen ebenfalls rechtwinklig auf-
einander. Die Fluchtpunkte der Quadratdiagonalen sind F3 und F4. Auch sie liegen
auf dem Horizont ho. Da der Horizont tief liegt, ist für die genaue Bestimmung der
Richtung der Quadratdiagonalen ein Kellergrundriss konstruiert worden.
Nun wird die Darstellungsebene wieder um 90° um den Horizont gedreht, damit die
Horizontebene in geometrisch unverzerrter Aufsicht in der Zeichenebene erscheint.
Der Thaleskreis über F1 und F2 ist ein geometrischer Ort für den Augpunkt 0.
Das gleiche gilt für den Thaleskreis über den Diagonalfluchtpunkten F3 und F4. Der
Schnittpunkt der beiden Kreisbogen bezeichnet die Lage des Augpunktes 0. Die Senk-
rechte auf die Bildebene durch den Augpunkt 0 bestimmt auf dem Horizont den
Hauptpunkt H. Die innere Orientierung ist bestimmt.

Anmerkung:
Das Rekonstruktionsbeispiel 3 beruht im Prinzip auf den gleichen geometrischen
Sachverhalten wie das Rekonstruktionsbeispiel 2. An Stelle eines zweiten Objektes
liefern die (rechtwinklig zueinander stehenden) Quadratdiagonalen zwei zusätzliche
Fluchtpunkte für die Rekonstruktion.

Für Script: Skalieren 58%

Bildformat

F3 ho = Be F1 H F4 F2

Quadratfläche
Distanz d

0/S

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Rekonstruktionsbeispiel 4: Gegeben ist wiederum das Bild eines Gebäudes in einer Übereck-Perspektive. Infor-
mationen bezüglich der fotografischen Aufnahme sind nicht verfügbar. Das abge-
bildete Objekt ist in sich rechtwinklig aufgebaut. Seine Grundfläche ist rechteckig
(nicht wie vorher quadratisch) und die Grundrissmasse sind bekannt. Das Verhältnis
der Längen der Objektseiten (Breite : Länge) beträgt 3 : 4.
Ein rechteckiger Grundriss entspricht im Normalfall - im Gegensatz zu einem präzis
quadratischen - der architektonischen Wahrscheinlichkeit.

Der Ansatz der Rekonstruktion ist im Grundsatz gleich wie beim Beispiel 3. Allerdings
lassen sich die Diagonalen des Rechteckes geometrisch nicht direkt verwerten, da sie
nicht rechtwinklig aufeinander stehen und somit kein Thaleskreis über den Diagonal-
fluchtpunkten errichtet werden kann.

Aber: Aus jeder rechteckigen Grundrissfläche, mit bekannten Seitenlängen, lässt sich
durch perspektivische Teilung eine quadratische Teilfläche herstellen.

Im Kellergrundriss, der aus Gründen der Konstruktionsgenauigkeit aus dem Bild ab-
geleitet wurde, wird eine Gerade durch den Punkt A, parallel zum Horizont ho gelegt.
Diese Gerade entspricht der Grundlinie der Kellergrundrissebene, beziehungsweise
der in die Bildebene eingedrehten Objektflucht d.
Die eingedrehte Gerade d wird nun in beliebigem Massstab regelmässig eingeteilt,
so dass das Seitenverhältnis 3 : 4 ablesbar ist. Der Punkt 4 (Länge 4 Masseinheiten)
wird nun mit dem entsprechenden Punkt D des perspektivischen Kellergrundrisses
verbunden. Die Verlängerung dieser Verbindungsgeraden schneidet den Horizont ho
im Punkt T. Dieser Teilungspunkt T ist der Fluchtpunkt der Verbindungslinien der Ob-
jektpunkte mit den in die Bildebene eingedrehten Punkten (vgl. Messpunktverfahren).
Die Gerade durch den Punkt 3 auf der Grundlinie nach T schneidet die Objektseite d
im Verhältnis 3 : 4 .
Die Strecken A-B und A-D' betragen nun beide 3 Masseinheiten. Die perspekti-
vische Grundfläche ABC'D' entspricht folglich einem Quadrat. Damit ist die Basis für
die Bestimmung der inneren Orientierung gelegt.

Bildformat

F1 ho T F2

C
C'
c b

D Quadratfläche B
D'
a=3
d=4
gr '
A
4 3 2 1

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Rekonstruktionsbeispiel 4: Die Rekonstruktion der inneren Orientierung könnte nun analog dem Beispiel 3 erfol-
(Fortsetzung) gen. In der Praxis ist es jedoch häufig so, dass ein Diagonalfluchtpunkt der quadrati-
schen Grundfläche so weit seitlich liegt, dass er konstruktiv nicht verwertbar ist.

Im vorliegenden Beispiel ist das für den Diagonalfluchtpunkt F4 der Fall. Die Rekon-
struktion muss somit mit den Fluchtpunkten F1, F2 und F3 auskommen.
Der Thaleskreis über F1 und F2 wird zu einem geschlossenen Kreis ergänzt. Das
Lot auf den Horizont ho durch den Kreismittelpunkt schneidet den Kreisbogen im
Scheitelpunkt U. Die Gerade durch U und den verfügbaren Diagonalfluchtpunkt F3
schneidet den Thaleskreis im Augpunkt 0.
Die Senkrechte auf den Horizont, beziehungsweise die Bildebene durch den Aug-
punkt 0 ergibt wiederum den Hauptpunkt H. Die innere Orientierung des Bildes ist
damit bestimmt.

Bildformat

F1 ho = Be F3 H F2

C
C'
c b F4

D B
D'

A
Distanz d

0/S

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16
Rekonstruktionsbeispiel 5: Gegeben ist das Bild eines Gebäudes. Informationen bezüglich der fotografischen
Aufnahme sind nicht verfügbar. Vom Objekt ist bekannt, dass es in sich rechtwink-
lig aufgebaut ist. Weiter sind die Seitenverhältnisse der rechteckigen Grundfläche
bekannt. Die Seitenlänge der Giebelfront misst 3 Masseinheiten, die in die Tiefe ver-
laufende Seite beträgt 4 Masseinheiten. Da die gegen den Betrachter gerichtete Ob-
jektseite frontal, und damit geometrisch unverzerrt abgebildet ist, handelt es sich um
eine klassische Zentralperspektive.

Aufgrund der gegebenen Fakten führt die Rekonstruktion wiederum über die Geome-
trie der Grundfläche. Bei einer Zentralperspektive hat nur eine der beiden horizonta-
len Kantenrichtungen einen Fluchtpunkt. Dieser Fluchtpunkt ist systembedingt iden-
tisch mit dem Hauptpunkt H. Eine wesentliche Information der inneren Orientierung
ist damit bekannt.
Als Vorbereitungsschritt der Rekonstruktion muss wiederum eine Quadratfläche
gewonnen werden. Dieser Arbeitsschritt wird mit Vorteil in einer tiefer gelegten Kel-
lergrundrissebene ausgeführt. In der Verlängerung der Kante a wird die Grundlinie
gr‘ gesetzt. Darauf werden vom Eckpunkt A aus die Seitenverhältnisse 3 : 4 in be-
liebigem Massstab abgetragen. Der Punkt 4 (Länge 4 Masseinheiten) wird nun mit
dem entsprechenden Punkt D des perspektivischen Kellergrundrisses verbunden. Die
Verlängerung dieser Verbindungsgeraden schneidet den Horizont ho wiederum im
Teilungspunkt T. Die Gerade durch den Punkt 3 auf der Grundlinie nach T schneidet
die Objektseite d im Verhältnis 3 : 4.
Die Strecken A-B und A-D‘ betragen nun beide 3 Masseinheiten. Die perspektivi-
sche Grundfläche ABC‘D‘ entspricht folglich einem Quadrat.

Bildformat

ho H T

D c C
D' C'

d=4 b=4
Quadratfläche

gr '
A a=3 B
4 3

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Rekonstruktionsbeispiel 5: Die vollständige Rekonstruktion der inneren Orientierung ist von dieser Basis aus nur
(Fortsetzung) noch ein kleiner Schritt.
Die Diagonalen der quadratischen Grundfläche schneiden den Horizont ho in den
Fluchtpunkten D1 und D2.
Da bei einer Zentralperspektive die Quadratdiagonalen die Bildebene (in Wirk-
lichkeit) unter einem Winkel von 45° schneiden, müssen die Diagonalfluchtpunkte
D1 und D2 je gleich weit vom Hauptpunkt H entfernt liegen. Bestätigt die Kontrol-
le diesen Sachverhalt, sind die vorangegangenen Konstruktionsschritte geometrisch
richtig ausgeführt worden.
Jetzt wird die Darstellungsebene wiederum um 90° um den Horizont gedreht.
Daraus resultiert die unverzerrte Aufsicht der Horizontebene. Der Thaleskreis über
den Fluchtpunkten D1und D2 schneidet das Lot auf die Bildebene durch den Haupt-
punkt H im Augpunkt 0. Die Strecke 0-H beschreibt die Distanz d. Die innere Orientie-
rung des Bildes ist bestimmt.

Bildformat

D1 ho = Be H D2

D C

D' C'
Distanz d

Quadratfläche

A B

0/S

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Rekonstruktionsbeispiel 6: Gegeben ist das Bild eines Objektes. Bekannt sind folgende geometrischen Eigen-
schaften: Das Objekt ist rechtwinklig aufgebaut und das wahre Verhältnis der Höhe h
(Strecke A-B) zur längeren Objektseite s (Strecke A-C) beträgt 4 : 5.

Aus den Verläufen der in Wirklichkeit horizontalen Objektkanten gewinnt man in ge-
wohnter Weise die Fluchtpunkte F1 und F2 sowie den Horizont ho.
Der Thaleskreis über den Fluchtpunkten F1 und F2 ist ein geometrischer Ort für
den Augpunkt 0. Die genaue Bestimmung des Augpunktes führt über das bekannte
Streckenverhältnis. Durch den Fusspunkt A der Vertikalkante h wird parallel zum Hori-
zont eine Grundlinie gezogen. Die Höhe h wird durch Drehung um den Fusspunkt A auf
diese Grundlinie übertragen. Daraus resultiert der Punkt B°.
Da der Horizont tief liegt, ist als hilfreicher Zwischenschritt ein perspektivischer
Kellergrundriss konstruiert worden. Entsprechend den geometrischen Verhältnissen
wird auf diesem tieferen Niveau eine zweite Grundlinie durch den Punkt A' gelegt.
Der Punkt B° wird senkrecht übertragen. Gemäss bekannter Vorgabe entspricht die
Strecke A'-B° vier Masseinheiten. Diese Strecke wird nun, entsprechend der Seiten-
länge, proportional verlängert. Das ergibt den Punkt 5. Die Verbindungslinie 5-C'
ist eine Drehsehne oder Messlinie der Fluchtrichtung 1 (vgl. Messpunktverfahren).
Der Schnittpunkt dieser Geraden mit dem Horizont ho ist folglich der zugeordnete
Messpunkt M1.
In der um 90° um den Horizont gedrehten Darstellungsebene (Horizontebene)
bestimmt der Kreisbogen mit dem Radius F1-M1 um den Fluchtpunkt F1 im Schnitt-
punkt mit dem Thaleskreis den Augpunkt 0. Das Lot auf die Bildebene durch den
Augpunkt 0 legt auf dem Horizont den Hauptpunkt H fest. Die innere Orientierung
ist bestimmt.

Bildformat

B
Höhenmass = 4

F1 ho = Be H M1 F2

B° A

C'
A-C
=5

gr ' Höhenmass
C°/ 5 B°/ 4 A'
Distanz d

0/S

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Rekonstruktionsbeispiel 7: Gegeben ist das Bild eines rechtwinklig aufgebauten Gebäudes mit Satteldach.
Als einzige, zusätzlich verfügbare Information ist die Dachneigung von 30° bekannt.

Die Verlängerung der in Wirklichkeit horizontalen Objektkanten ergibt die Flucht-


punkte F1 und F2. Durch diese Fluchtpunkte wird der Horizont ho gezogen. Der Thales-
kreis über F1 und F2 ist ein geometrischer Ort für den Augpunkt 0.
Der Richtungsverlauf der geneigten Dachkanten deckt sich in einer vertikalen
Aufsicht mit der horizontalen Objektflucht in Richtung F2. Die Fluchtpunkte der ge-
neigten Geraden liegen folglich genau senkrecht über, beziehungsweise unter F2. Die
Verlängerungen der Dachkanten im Bild schneiden die Vertikale über dem Flucht-
punkt F2 in den Fluchtpunkten FS‘ und FS‘‘.
An Orientierungsgeraden, parallel zum Horizont ho, durch die Fluchtpunkt FS wird
der wahre Winkel der Dachneigung abgetragen. Die Verlängerungen der schiefen Win-
kelschenkel schneiden den Horizont im Punkt M2. Der zwischen Horizontlinie und
schiefem Winkelschenkel eingeschlossene Winkel beträgt wiederum 30°, entspre-
chend der wahren Dachneigung. Der Punkt M2 ist der Messpunkt der Fluchtrichtung 2.
(Für die Bestimmung des Messpunktes M2 genügt der Verlauf einer Dachkante mit be-
kanntem Winkel. Die Nutzung beider Dachrichtungen beinhaltet eine Kontrolle.)
Durch Drehung der Darstellungsebene um 90° um den Horizont erscheint die Ho-
rizontebene wiederum in der Aufsicht. In dieser Ebene schneidet der Kreisbogen mit
dem Radius F2-M2 um den Fluchtpunkt F2 den Thaleskreis im Augpunkt 0. Die Senk-
rechte auf die Bildebene durch den Augpunkt 0 legt auf dem Horizont den Haupt-
punkt H fest. Die innere Orientierung ist bestimmt.

FS'

30°

Bildformat

ho = Be 30°
F1 M2 H F2
30°
Distanz d

30°

FS''

0/S

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Beispiel 8 - Eigene Bildvorlagen: Bei diesem Beispiel geht es weniger um ein Rekonstruktionsverfahren, als um die
weitgehende Vermeidung einer geometrischen Bildrekonstruktion. In der Praxis be-
steht diese Möglichkeit immer dann, wenn die fotografischen Grundlagen für eine
Bildmontage selbst hergestellt werden.
Es ist unter Umständen so, dass nur dieser Weg gangbar ist. Nicht immer las-
sen sich in einer Fotografie die geometrischen Verhältnisse (z.B. Fluchtverläufe und
Objektkanten) in genügendem Masse und so exakt herauslesen, wie sie sich in den
ideal reduzierten Rekonstruktionsbeispielen darstellen. Es ist sogar möglich, dass eine
geometrische Rekonstruktion gar nicht durchführbar ist, weil zuwenige Daten von
abgebildeten architektonischen Objekten vorhanden sind oder weil schlicht ein reiner
Landschaftsraum vorliegt.
In solchen Fällen bietet dieses Verfahren ein Mittel, die geometrische Ordnung
einer Fotografie trotzdem verlässlich zu rekonstruieren, beziehungsweise die per-
spektivisch einheitliche Montage eines Raumbildes zu schaffen.

Bei der Herstellung eigener Bildvorlagen sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Merkpunkte für das Herstellen Die optische Achse der Kamera muss horizontal verlaufen. Das heisst, die Kamera
fotografischer Bildvorlagen muss exakt horizontal ausgerichtet sein. Mit Vorteil benutzt man dazu ein Stativ
mit Justiermöglichkeit. Die Folge der horizontalen Ausrichtung ist, dass die Bildebene
senkrecht steht und damit die notwendigen Voraussetzungen für eine perspektivi-
sche Bildmontage geschaffen werden (vgl. dazu auch «Visuelle Grundphänomene: Na-
türliches Sehen und perspektivisches Abbilden»).
Heute werden meist Kameras mit Zoomobjektiven verwendet. Um eine einfache
Bildrekonstruktion via Bilddaten zu gewährleisten, muss bei einer Fotoaufnahme die
Objektivbrennweite (entspricht in der Perspektive der Distanz) bekannt sein. Bei Ka-
meras mit Zoomobjektiven ist es deshalb sinnvoll, die Aufnahme am Weitwinkelan-
schlag des Objektivs zu machen. In der Bedienungsanleitung der Kamera sind in der
Regel die entsprechenden Daten (Brennweite und zugehöriger Bildwinkel) zu finden.
Die Bestimmung des Augpunktes / Standpunktes führt dann in einfacher Weise über
den bekannten Bildwinkel.
Für Aufnahmen mit Digitalkameras gilt es zu beachten, dass die Original- / Basis-
aufnahme erhalten bleibt und auf keinen Fall beschnitten wird. Nur so ist die Lage
des Hauptpunktes anhand der Bilddaten zweifelsfrei zu bestimmen - er liegt bei un-
beschnittenen Fotografien systembedingt immer im Zentrum des Bildformates.
Werden diese Hinweise berücksichtigt, ist die Rekonstruktion der inneren Orien-
tierung einer Bildvorlage einfach zu bewerkstelligen. Die Kenntnis geometrischer
Fakten der abgebildeten Gegenstände (Gebäude) ist dann nicht notwendig.

Voraussetzungen für die Vermeidung Es ist in gewissen Fällen aber auch möglich, die Bildrekonstruktion ganz zu umgehen.
einer geometrischen Rekonstruktion Neben einer horizontal ausgerichteten Kamera braucht es dazu einen Situationsplan,
in dem Aufnahmestandort (Betrachterposition) und die Zielrichtung (Blickrichtung /
Richtung des Hauptstrahls) genau bestimmt und eingetragen werden können.
Sind diese Faktoren bekannt, kann die Perspektive der einzufügenden Teile auf
der Basis der massstäblichen Pläne in der gewohnten Weise konstruiert werden. Für
die Einpassung der Perspektivekonstruktion in die Bildvorlage braucht es eine ein-
zige Bezugsgrösse (z.B. Gebäudekante / Körperform eines abgebildeten Objekts oder
einen Bildwinkel). Die massstäbliche Überlagerung (Deckung der Bezugsgrösse) von
Bildvorlage und unabhängig erfolgter Konstruktion ergibt einen perspektivisch ein-
heitlichen Bildraum.

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Fallbeispiel: Gegeben ist eine unbeschnittene Fotografie. Das Bild wurde mit einer horizontal
ausgerichteten Digitalkamera Canon EOS 400D mit Zoomobjektiv EF-S 18-55 mm
aufgenommen. Das Objektiv war dabei am Weitwinkel-Anschlag eingestellt. Die
Brennweite entspricht also 18 mm (umgerechnet auf die klassische Kleinbildfotogra-
fie entspricht das einer Objektivbrennweite von etwa 28.8 mm).
Die Fotografie beinhaltet keine geometrischen Strukturen, die für eine Rekon-
struktion der inneren Orientierung verwertet werden können. Die Bildrekonstruktion
muss sich also allein auf die technischen Daten der Fotografie abstützen.

Bestimmung des Hauptpunktes und Sind die auf der vorhergehenden Seite erwähnten Rahmenbedingungen eingehalten,
des Horizontes in der Fotografie ist der Bildmittelpunkt identisch mit dem Hauptpunkt und die horizontale Mittelach-
se entspricht dem Horizont (→ weisse Linien im Bild).

Überprüfung der Horizontlage anhand Wenn immer möglich, ist die so bestimmte Horizontlage durch vorhandene horizon-
von Bildelementen tale Linienverläufe abgebildeter Objekte zu überprüfen. Das ist beim vorliegenden
Bild mittels den wenigen angeschnittenen Elementen im Vordergrund (Betonpodest
und Bodenplatten) möglich.
Es ist wahrscheinlich, dass diese Elemente eine ebene Bodenfläche aufweisen. Der
Fluchtpunkt der sichtbaren, untereinander parallelen Kanten muss also auch auf dem
Horizont liegen. Die Überprüfung (→ blaue Linien im Bild) zeigt, dass dies der Fall
ist. Der Fluchtpunkt ist sogar identisch mit dem Hauptpunkt, voraus zu schliessen ist,
dass es sich um eine sogenannte Zentralperspektive handelt.

Handelt es sich bei einer Fotografie um eine reine Landschaftsaufnahme ist eine geo-
metrische Absicherung der Horizontlage nicht möglich. Umso wichtiger ist die exakte
horizontale Justierung der Kamera.

Horizont H

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Bestimmung Stand- / Augpunkt Die Bestimmung des Stand- / Augpunktes führt über den Horizontalen Bildwinkel.
Der Betriebsanleitung der Kamera ist zu entnehmen, dass bei 18 mm Objektivbrenn-
weite die Bildwinkel folgende Werte haben: Diagonaler Winkel = 74.3°; Horizontaler
Winkel = 64.5°; Vertikaler Winkel = 45.5°.
Der Horizont im Bild entspricht wie bei den früheren Rekonstruktionsbeispielen der
Bildebene in der Grundrissanordnung. Das Mass von Bildebene / Horizont zwischen
den vertikalen Bildkanten entspricht dem Horizontalen Bildwinkel. Die Rekonstruk-
tion des Stand- / Augpunktes erfolgt also, indem man den Bildwinkel entsprechend
anlegt (→ rote Linien im Bild).

Bildbreite entspricht Bildwinkel von 64.5°

Horizont = Bildebene H
Hauptstrahl

Horizontaler
� Bildwinkel
64.5°

0/S

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Architektur / Innenarchitektur: Visuelle Komposition Raumdarstellung

Perspektive: Bildmontage
Beispiel einer Bildrekonstruktion / Bildmontage

Anhand eines praxisnahen Beispiels wird hier der Prozess einer räumlichen Bildmon-
tage erklärt und anschaulich gezeigt. Das exemplarische Fallbeispiel beinhaltet im
Kern eine Synthese der Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel und baut zudem
auf dem Wissen und den Erfahrungen anderer Module auf (Visuelle Grundphäno-
mene; IT-Tools).

Szenario:

Ein Einfamilienhaus aus dem Jahre 1930 soll an die veränderten Nutzungsbedürf-
nisse der heutigen Bewohner angepasst werden.
Das Haus ist ein Zeuge des «Neuen Bauens» in unserem Lande. Bis jetzt ist es in
seiner ursprünglichen, einfachen und zweckmässigen Form erhalten geblieben. Die
geplante Anpassung soll die Qualitäten der Architektur und die kulturgeschichtliche
Bedeutung respektieren.
Die veränderten Nutzungsbedürfnisse der Familie verlangen im Obergeschoss
nach grösseren Zimmern. Aus drei kleinen Zimmern sollen zwei grössere Räume ent-
stehen. Dieser Eingriff hat keine Auswirkungen auf die äussere Erscheinung. Weiter
wird auf der Gartenseite ein Geräte- / Abstellraum benötigt. Dieses Raumbedürfnis
wird mit einer Überdeckung des Gartenausgangs und einer Terrasse vor dem grössten
Zimmer des Obergeschosses verbunden (vgl. Zeichnungen S. 25).
Die Bauherrschaft wünscht, den geplanten Anbau in seiner Erscheinung bildlich
zu sehen. Sie stellt aus dem Nachlass des Erbauers eine Fotografie des Hauses zur
Verfügung und beauftragt den Architekten / die Architektin eine Bildmontage der
neuen Gesamterscheinung des Gebäudes zu schaffen.

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Originalzustand des Gebäudes:

Terrasse
Garage Küche Essen Sitzplatz Bad

Zimmer Zimmer Zimmer Zimmer


Wohnen

Grundriss Erdgeschoss Grundriss Obergeschoss

Geplanter Eingriff:

Garage Küche Essen Sitzplatz Terrasse


Bad

Wohnen Zimmer Zimmer Zimmer

Geräte Terrasse

Grundriss Erdgeschoss Grundriss Obergeschoss

Ansicht Gartenseite

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1. Arbeitsschritt: Rekonstruktion der inneren Orientierung

Das Negativ der fotografischen Aufnahme steht nicht zur Verfügung. Die Lage des
Hauptpunktes im Bild kann also nicht auf diese Weise ermittelt werden.
Bekannt ist aber das Verhältnis der Gebäudelängen. Weiter sind die rechtwinklig
aufeinanderstehenden Fluchten in der Fotografie gut sichtbar. Einer geometrischen
Rekonstruktion steht also nichts im Wege (vgl. Zeichnung S. 27).
Die Rekonstruktion erfolgt in der, im Rekonstruktionsbeispiel 4 beschriebenen
Weise (vgl. Lehrmittel S.15 / 16). Die Verlängerungen von mehreren, in Wirklichkeit
horizontalen Linien, ergeben in ihren Schnittpunkten die Fluchtpunkte F1 und F2.
Durch die Fluchtpunkte wird der Horizont gezogen. Die optische Überprüfung bestä-
tigt die richtige Lage des Horizontes im Bild.
Auf einem tieferen Niveau wird aus konstruktiven Gründen ein Kellergrundriss
gezeichnet. Mittels perspektivischer Teilung (vgl. Rekonstruktionsbeispiel 4, S. 15) wird
aus der Rechteckfläche eine quadratische Teilfläche geschnitten. Eine Diagonale der
Quadratfläche ergibt auf dem Horizont den Fluchtpunkt F3. Der zweite Diagonal-
fluchtpunkt ist nicht erreichbar. Die Bestimmung des Haupt- und Augpunktes erfolgt
deshalb in der, im Rekonstruktionsbeispiel 4 beschriebenen Art. Der Kreis über den
Fluchtpunkten F1 und F2 wird von der Senkrechten durch den Kreismittelpunkt im
Punkt U geschnitten. Die Verlängerung der Verbindungslinie vom Punkt U nach dem
Fluchtpunkt F3 schneidet den Kreisbogen im Augpunkt 0. Durch das Lot auf den Ho-
rizont durch den Augpunkt 0 gewinnt man den Hauptpunkt H. Die innere Orientierung
ist bestimmt.

Nachtrag:
Die Beurteilung des erhaltenen Resultats ergibt, dass der Hauptpunkt fast genau
auf der Mittelsenkrechten der Fotografie liegt. Dies heisst, dass die Fotografie nicht
asymmetrisch beschnitten ist. Es bedeutet aber auch, dass die geometrische Rekon-
struktion mit grosser Wahrscheinlichkeit ein präzises Resultat geliefert hat.

2. Arbeitsschritt: Rekonstruktion der Gebäudemasse

Aus Gründen der besseren Übersicht wird die Rekonstruktion des Längsseitenrisses in
einer separaten Zeichnung demonstriert (vgl. Zeichnung S. 28).
Durch Eindrehung der Strecken F1-0 und F2-0 um die entsprechenden Flucht-
punkte, gewinnt man die Messpunkte M1 und M2.
Aus dem Bild werden die perspektivischen Längenmasse in einen erhöhten per-
spektivischen Grundriss übertragen. Als Annahme wird die Bildebene durch die vor-
derste Vertikalkante des Gebäudes gelegt. Diese Kante ist auch die Messkante für die
Höhenmasse.
Die «Eindrehung» (Richtung auf die entsprechenden Messpunkte) der perspekti-
visch verkürzten Masse um den Punkt B auf die Grundlinie gr' ergibt die wahren Mass-
verhältnisse in horizontaler Richtung. Durch Übertragen der verschiedenen Koten in
Richtung der Fluchtlinien werden die wahren Höhenmasse auf der Messkante über
dem Punkt B gewonnen. In der Zusammensetzung kann ein proportional stimmiger
Riss der Fassade gezeichnet werden. (Analog könnte auch die andere sichtbare Seite
gezeichnet werden). Da die tatsächliche Länge der Fassade bekannt ist, kann dem
rekonstruierten Riss ein Massstab zugeordnet werden.

Nachtrag:
Sind korrekte Risspläne vorhanden oder werden die Risse anhand von Massaufnah-
men gezeichnet, kann auf diesen Arbeitsschritt verzichtet werden.

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Rekonstruktion der inneren Orientierung:
U

F1 Horizont = Bildebene F3 T H F2

gr'
13.20 7.00

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Rekonstruktion der Gebäudemasse: Gebäudelänge Gebäudebreite

gr '
A B C

A' C'

Messkante
F1 Horizont = Bildebene M2 H M1 F2

0 1 2 4
Ansicht Gartenseite

Hauptstrahl

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3. Arbeitsschritt: Ergänzungskonstruktion

Als erster Schritt der Bildmontage werden die neuen Teile in die bestehende Bildvor-
lage hineinkonstruiert (vgl. Zeichnung S. 30).
Grundlagen für die Ergänzungskonstruktion sind die Rekonstruktion der Abbil-
dungssituation, beziehungsweise der inneren Orientierung und massstäbliche Risse
(beliebiger Massstab, hier 1: 200) des abzubildenden Objekts.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind Abbildungssituation im Grundriss und
perspektivisches Bild in einem gewissen Abstand übereinander auf der Zeichenebene
angeordnet.
Aus dem Bild werden die vertikalen Eckkanten (Bezugspunkte) auf die Bildebene
im Grundriss übertragen. Daraus resultieren die Punkte A', B' und C', wobei die Stre-
cken A'- B' und B'- C' den sichtbaren, perspektivisch verkürzten Längen der Gebäude-
seiten entsprechen.
Die Verbindungsgeraden vom Augpunkt zu den Fluchtpunkten F1 und F2 bilden
einen rechten Winkel und zeigen im Grundriss je die Schrägstellung der Gebäude-
fluchten gegenüber der Bildebene an. Parallel zu den Richtungen 0-F1 und 0-F2 wird
nun der Grundriss des Gebäudes exakt in den Sehstrahlenfächer (Linie 0-A', 0-B',
0-C') eingepasst.
Die Verlängerung der Gebäudeflucht A-B im Grundriss ergibt in der Bildebene den
Punkt M. Auf der Messkante über M erscheinen im Bild die wahren Höhenmasse des
Gebäudes. Darauf abgestimmt wird die massstäbliche Ansicht platziert.
Nun erfolgt die Konstruktion der neuen Bildteile in gewohnter Weise (Lehrmittel
Visuelle Grundphänomene). Das Resultat ist die einheitliche Raumstruktur der neuen
Erscheinung.

4. Arbeitsschritt: Handwerkliche Bildbearbeitung

Der abschliessende Arbeitsschritt umfasst die handwerkliche Bearbeitung der per-


spektivischen Bildmontage. Ziel dieses Schrittes ist die einheitliche, sinnlich-stoffliche
Erscheinung des Gesamtbildes.
Mit welchen handwerklichen Mitteln dieses Gesamtbild hergestellt wird, ist
grundsätzlich offen. Die Wahl der Mittel richtet sich hauptsächlich nach den Absich-
ten. Mögliche Formen sind: Fotomontagen, manuell oder mit dem Computer herge-
stellt; zeichnerisch oder malerisch übersetzte Gesamtbilder. Die Technik der digitalen
Fotomontage bietet beispielsweise die Möglichkeit, einen «realistischen» Eindruck
der neuen Situation zu erzeugen. Weil dabei meist mit bestehenden Bildvorlagen
gearbeitet wird, ist der kompositorische Spielraum (Bildausschnitt, Platzierung des
Hauptgegenstandes, optische Gewichtungen, usw.) in der Regel eingeschränkt. Dem
gegenüber bieten manuelle Handwerkstechniken (Zeichnung, Malerei, Mischtech-
niken) in bildnerischer und kompositorischer Hinsicht vielfältigste Spiel- / Freiräume
für die individuelle kreative Entfaltung.
Im Bereich der räumlichen Architekturdarstellung (Publikationen, Wettbwerbszene,
usw.) ist im Moment eine «Vorliebe» für das digital hergestellte, fotorealistisch wir-
kende Bild festzustellen. Vor diesem aktuellen Hintergrund wird die handwerkliche
Umsetzung exemplarisch in dieser Form gezeigt. Die in Schritten präsentierte Bild-
entwicklung (vgl. S. 31-33) ist dabei nicht allgemeingültige, rezepthafte Anleitung
für die Herstellung von digitalen Fotomontagen. Die Entwicklungsserie will viel mehr
auf die Fragen und Herausforderungen einer solchen Aufgabe aufmerksam machen
und partiell auf Möglichkeiten der technischen Umsetzung hinweisen.
Übrigens - auch die Architekturvisualisierungen des weltbekannten Büros von
Herzog & de Meuron entstehen häufig auf diese Weise - als digitale Montagen in der
Bildfläche.

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Ergänzungskonstruktion:

Messkante N

Messkante M
F1 A' H B' C' F2 Horizont

F1 N M A' H B' C' F2 Bildebene


A
C

Hauptstrahl

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1. Arbeitsschritt der Bildbearbeitung:

Einfügen der Perspektivekonstruktion des Anbaues.


Die massstäbliche Einpassung geschieht über ver-
schiedene Referenzgrössen, wie der vertikalen Ge-
bäudekante links, der Gartentüre und der Fenster
im Obergeschoss.

2. Arbeitsschritt:

Einsetzen des neuen , grossflächigen Fensters bei


der Terrasse im Obergeschoss.
Das neue Fenster wird aus kopierten Teilen der be-
stehenden Fenster aufgebaut. Perspektivische Er-
scheinung und materielle Wirkung werden mittels
digitaler Nachbearbeitung harmonisiert.
Bei den Fenstern im Erdgeschoss werden die Ton-
werte (Reflexionen) der Glasscheiben angepasst.
Dieser Eingriff korrigiert beim grossen Fenster die
unvorteilhafte Flächenwirkung im Bild und berück-
sichtigt bei der Gartentüre die veränderte Situation
bezüglich Belichtung.

3. Arbeitsschritt:

Tonwertveränderung (Abdunkeln) der Fenster im


Obergeschoss mittels Verschiebung der Gradations-
kurve. Damit wird der grosse, unnatürlich wirkende
Konstrast zwischen den Fenstern im Ober- und Erd-
geschoss etwas gemildert.

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4. Arbeitsschritt:

Korrektur der Mauerfläche des Erdgeschosses im


Bereich des neuen Anbaus: Partielles Löschen von
Pflanzen und des Spaliergerüsts; Übernahme der
Oberflächentextur der verputzten Flächen des
Obergeschosses.

5. Arbeitsschritt:

Belegen der Oberflächen des Anbaus mit Tonwerten /


Texturen.
Besonderes Augenmerk ist dem sinnlich-stofflichen
Ausdruck der Oberflächen zu widmen. Die mate-
rielle Wirkung kann mittels dem Befehl «Fläche
füllen» und gezielter Nachbearbeitung (beispiels-
weise mit Filterfunktionen) oder mittels Einfügen
von fotografisch hergestellten Strukturen / Textu-
ren (beispielsweise aus selber angelegten Muster-
bibliotheken) erreicht werden.
Dabei ist auch die Lichtsituation (beleuchtete Flächen /
Flächen im Eigenschatten) zu berücksichtigen.
Nach Abschluss dieses Arbeitsschrittes kann die
Sichtbarkeit der (Hilfs-) Ebene mit der Perspek-
tivekonstruktion ausgeschaltet werden.

6. Arbeitsschritt:

Anpassen der unmittelbaren Umgebung des An-


baus. Dieser Arbeitsschritt beinhaltet einerseits
die Korrekturen der Räumlichkeit (Schichtungen in
der Raumtiefe) und anderseits die Ausbildung der
Berührungslinie von Gebäude und Terrain.
Dem Ausdruck dieser Linie ist besondere Aufmerk-
samkeit zu schenken. Hier entscheidet sich zu einem
grossen Teil die «natürliche» Wirkung der Bild-
montage. Die Bodenlinie erscheint in den meisten
Fällen (abhängig von den Materialien) mehr oder
weniger weich. Eine scharfkantige Erscheinung ist
die Ausnahme.

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7. Arbeitsschritt:

Einfügen der Vorhänge (Sicht- / Sonnenschutz) auf


der Terrasse.
Die Vorhänge wurden fotografiert, digital bearbeitet
und anschliessend durch Skalieren und Verzerren an
die perspektivischen Verhältnisse des Bildes ange-
passt.

8. Arbeitsschritt:

Konstruktion der Schlagschatten am neuen Gebäude-


teil. Die Lichtrichtung wurde hinsichtlich der Wir-
kung leicht angepasst. In der Folge bedeutete das
eine Korrektur des Dachschattens auf der Fassade
des bestehenden Gebäudes und eine Anpassung des
Schlagschattens des Busches vor dem Anbau.
In Bezug auf die Erscheinung des Schattens ist da-
rauf zu achten, dass die Schlagschatten die Mate-
rialstrukturen / -texturen nicht ganz überdecken.
Besondere Beachtung gilt den Schattenkonturen.
Die Schattenkanten sind, abhängig vom Material,
nie ganz scharf und die Schattensäume sind auf-
gehellt.

9. Arbeitsschritt:

Anpassungen im Bildhintergrund. Der optisch do-


minante Baum hinter dem bestehenden Gebäude
wird gelöscht. Diese «Korrektur» der örtlichen Tat-
sachen ist wahrnehmungsphysiologisch / -psycho-
logisch vertretbar. Durch diese Massnahme wird
der Blick stärker auf das Gebäude (hier klar der Bild-
schwerpunkt) gelenkt. Der Himmel und der Baum am
linken Bildrand werden leicht nachbearbeitet.
Die Bildkomposition wirkt durch diese Massnahme
im Ganzen ruhiger und ausgewogener.

Abschliessend wird der Bildausschnitt noch leicht


verändert (siehe Bildresultat S. 34). Durch den Be-
schnitt im rechten Bereich rückt das Gebäude (mit
seiner empfindungsmässigen Ausrichtung nach links)
im Bild etwas nach rechts.
Aus kompositorischer Sicht wäre eine Ausweitung
des Bildraumes nach links wünschenswert. Die kon-
kreten Bedingungen, insbesondere das Arbeiten
mit einer übernommenen Fotografie, setzen diesem
Anliegen aber enge Grenzen.

Hochschule Luzern - Technik & Architektur / Architektur und Innenarchitektur/ Visuelle Komposition / Raumdarstellung - R. Dietziker / FS 2019
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