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Cautionary statement
Photocopying

Dear colleagues,

all these documents are at your disposal to promote your educa-


tional activities. However, we must recall, following a few - rare -
abuses, that photocopying is only allowed when students have
their own book, for the examinations or for all other cases where
the number of documents reproduced is marginal.

We ask you to make this effort:

- because the budget for a work of such quality is difficult to ba-


lance. Only your solidarity can make this experience an editorial
success.
- out of respect for our investment, which requires us to invest
more than 500 hours of work for a 176-page book.
- because we comply with the laws and regulations ourselves on
copyright even if it means paying high reproduction fees.
- because buying a book printed in offset is cheaper than his digi-
tal color photocopying.
- because the ecological footprint of a digital photocopier re-
mains higher than an offsett machine with inks and papers better
controlled.

Thank you for your support.

The editorial team


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Geographie in S5
Wie benutze ich das Buch?

Aufbau Methoden
Du wirst dieses Buch das gesamte Schuljahr Um die Inhalte besser zu verstehen sowie
in Geographie S5 benutzen. Es ist in ver- geographisches Arbeiten zu üben, finden
schiedene Teile mit unterschiedlichen sich immer wieder methodische Übungen in
Farben gegliedert: den einzelnen Kapiteln. Diese ermöglichen
durch die praktische Anwendung eine Ver­
Die Übungen sind in Grün. festigung der Lerninhalte.
Die Zusammenfassungen in Rot.
Ìn den Zusammenfassungen sind wichtige
Fachbegriffe in Grün fettgedruckt und
wichtige Worte in Schwarz.
Lehrplaninhalte
Das Buch deckt die gesamten Lehrplan­
Für die B-Tests solltest du sowohl deine inhalte der Europäischen Schulen ab.
Auf­z­eichnungen lernen als auch die in die- Diese sind zur leichteren Erkennbarkeit im
sem Buch verfassten Inhalte. Inhaltsverzeichnis in schwarz gedruckt.
Sinnvoll ist es zudem immer, die Zusam- Zusätzliche Informationen über das Thema
menfassungen am Ende jeden Kapitels hinaus und in Verknüpfung mit anderen geo­
durchzulesen und die wichtigsten Punkte graphischen Sachzusammenhängen findet
herauszuarbeiten. man in den Exkursen, die im Inhaltsverzeich­
nis in grün gedruckt sind. Die Exkurse
eignen sich auch gut für Schülerpräsen-
tationen.

Autorin:
Nina WERNER
Bianca HEIDEN (Zusammenfassungen)

Lektorat:
Bianca HEIDEN

Layout:
Nina WERNER

1
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Operatorenkatalog
Der Operatorenkatalog im Fach Geographie hilft dir, die
Arbeitsaufträge in Form bestimmter Wörter (= Operatoren)
besser zu verstehen:

Kurz und ohne großen Zeitaufwand: die Sachverhalte, Begriffe oder Daten (ohne weitere
Operatoren vom Typ 1

nennen Erläuterungen oder Begründungen bzw. Lösungswege) aufzählen.

Informationen und Sachverhalte unter bestimmten Gesichtspunkten aus vorgegebenem


herausarbeiten Material entnehmen und wiedergeben bzw. berechnen.

al in
Informationen, Aussagen, Sachverhalte oder Ähnliches aus vorhandenem Materi­
beschreiben eigenen Worten und strukturiert wiedergeben. Fachbegriffe verwenden.

Sachverhalte und Vorgänge mit ihren typischen Merkmalen oder Eigenarten be­schreiben
charakterisieren und in ihren Grundzügen bestimmen.

Komplexe Informationen und Sachverhalte inhaltlich und methodisch knapp und eventuell
aufzeigen vereinfacht wiedergeben.

darstellen Strukturen und Zusammenhänge beschreiben und verdeutlichen.

Gegebene Materialien untersuchen und einzelne Elemente identifizieren, Beziehungen


analysieren
Operatoren vom Typ 2

zwischen Elementen erfassen und zusammenhängend darstellen.

ein-, zuordnen Sachverhalte und Vorgänge begründet in einen vorgegebenen Zusammenhang stellen.

Komplexe Grundgedanken argumentativ schlüssig entwickeln und in kausalem Zusammen­


begründen hang darstellen.

Informationen durch eigenes Wissen und eigene Einsichten begründet in einen Zusammen­
erklären hang stellen (z.B. Theorie, Modell, Gesetz, Funktionszusammenhang).

erläutern Sachverhalte im kausalen Zusammenhang beschreiben und Beziehung deutlich machen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede einander gegenüberstellen und ein Ergebnis formu­


vergleichen lieren.

Vorgegebene Aussagen bzw. Behauptungen konkreter Sachverhalte auf ihre Richtigkeit


überprüfen überprüfen.
Operatoren vom Typ 3

Begründete und objektive Aussage machen bzw. ein unabhängiges Urteil über einen
beurteilen Sach­verhalt fällen, dem bestimmte Kriterien zugrunde liegen.

Eine wissenschaftlich fundierte Aussage treffen, der eine persönliche Meinung bzw. eine
bewerten eigene moralische Position oder eine Einstellung zugrundeliegt.
Operatoren
Übungen

Zu einer vorgegebenen Problemstellung durch Abwägen von Für- und Wider-Argumenten


erörtern ein begründetes Urteil fällen.

Sich mit einem Problem, z.B. durch das Entwerfen von Strategien, Beratungs­skizzen,
gestalten Szenarien, Modellen, etc. auseinandersetzen.

2 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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Aufgabentypen
An den Europäischen Schulen begegnen dir in den
Tests und Examen im Fach Geographie
häufig bestimmte Aufgabentypen:

Typ I:
Grundlegende Beschreibung eines Dokuments

Hier findest du Grafiken, Tabellen oder andere Darstellungen von Sachverhalten, die du mit den folgenden
Operatoren vom Typ 1 bearbeiten musst: (be-)nennen, herausarbeiten, beschreiben, charakterisieren.

Typ II:
Konstruktion von Diagrammen und/oder Karten durch
Analyse von statistischen Daten in Bezug auf Gebiete
Dies kann die Erstellung eines Kreisdiagramms oder eines Klimadiagramms sein.

Typ III:
Verknüpfung von Wissen und Informationen aus Doku-
menten in einer Frage der Analyse und Synthese
Hier werden die Fragen und auch Antworten komplexer. Operatoren vom Typ 2 und Typ 3 erwarten nicht
nur eine einfache Antwort, sondern du solltest die kausalen Zusammenhänge beachten und zueinander
in Bezug stellen, z.B. Ursachen und Folgen beschreiben und die Hintergründe benennen.

Typ IV:
Essay
Ab der S4 werden von dir auch in Geographie Essays erwartet. Ein Essay ist im Grunde eine Erörterung
mit Pro- und Contra-Argumenten. Du bekommst eine Aussage und evtl. noch Materialien zur Hand, und
musst dann aufgrund deiner Kenntnisse zu diesem Thema ein Essay formulieren.
Wichtig dabei ist die Dreigliederung:
1. Einleitung:
Eine kurze Einführung zum Thema, eventuell verbunden mit einer Definition oder der Beschreibung
der Ausgangssituation.
2. Hauptteil mit Pro- und Contra:
Dies ist der größte Teil, weil du hier die Argumente strukturierst und im Kontext wiedergibst. Denke
Aufgabentypen

immer an die kausalen Zusammenhänge − Geographie ist ein vernetzes Fach! Benutze Fachbegriffe
und lass eine gewisse Struktur oder einen roten Faden erkennen.
Übungen

3. Schlussteil und Fazit:


Du gehst nochmals auf die wichtigsten Argumente dafür und dagegen ein und ziehst am Ende ein
persönliches Fazit (also was ist deine persönliche Meinung dazu und warum).

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 3


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Inhaltsverzeichnis
Thema I
Ernährung einer wachsenden
Weltbevölkerung
Seite 8
Seite Seite
1.1 Ernährung zwischen Mangel 1.3 Ursachen der globalen Hungerkrise....38
und Überfluss.......................................10
• Falsche politische Entscheidungen 38
• Ungleiche Ernährungsverhältnisse 10 • Naturkatastrophen und der Klimawandel 40
• Exkurs: Malthus und die Tragfähigkeit der Erde 11 • Exkurs: Die Landwirtschaft als Verursacher
• Die Folgen von Fehlernährung 12 des Klimawandels 41

• Das Welternährungsproblem 14 • Biokraftstoffe 42


• Fleischproduktion 44

1.2 Die Produktion unserer • Landraub (Landgrabbing) 46


Lebensmittel.........................................16 • Ungerechte Besitzverteilung 48
• Intensive und extensive Landwirtschaft 16 • Verlust von Agrarflächen 49
• Traditionelle Landwirtschaftsformen 18 • Lebensmittelverschwendung 50
• Exkurs: Nomadismus 20 • Fallstudie − Palmöl: globalisierte Agrar-
produktion 52
• Plantagenwirtschaft in Entwicklungsländern 22
• Fallstudie − Nestlé: ein globales Lebens-
• Exkurs: Bittere Schokolade 23
mittelunternehmen 54
• Konventionelle Landwirtschaft in den
• Fallstudien − Aktuelle Ernährungskrisen 2022 56
Industrieländern 24
• Agrobusiness − die moderne Agrarindustrie 26
• Exkurs: Das Leid der Tiere in der Massen- 1.4 Lösungsansätze zur Ernährungs-
tierhaltung 28 sicherung..............................................58
• Exkurs: Auswirkungen der konventionellen • Eine nachhaltige Landwirtschaft als
Landwirtschaft auf die Gesundheit der Alternative? 58
Menschen 30 • Gentechnik − eine Chance gegen den
• Exkurs: Das Sterben der Insekten 31 Hunger? 60

• Die ökologische Landwirtschaft in Industrie- • Exkurs: Saatgut und Patente auf Leben 62
ländern 32 • Fairer Handel 63
• Fall beispiel: Die grüne Revolution in Indien 34 • Exkurs: Insekten als Proteinquelle der Zukunft 64
Inhaltsangabe

• Exkurs: Essen aus dem Bioreaktor 65


• Fallstudie: Überwindung des Hungers in
Übungen

Subsahara-Afrika 66

Thema 1 Zusammenfassung.............68
4
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für Geographie in S5

Thema II
Geomorphologische Prozesse
Seite 72

Seite Seite
2.1 Was die Erdoberfläche formt..,.............74 2.4 Glazial: Gebirgslandschaften................98
• Endogene und exogene Kräfte 74 • Aufbau eines Gletschers 99
• Verwitterung und Erosion 75 • Arten von Gletschern 100
• Transport und Ablagerung 77 • Durch Gletscher geformte Gebirgstäler 101
• Gesteinskreislauf 78 • Typische glaziale Landschaftsformen 102
• Exkurs: Die unterschiedlichen Gesteinsarten 79 • Glaziale Serie 104
• Exkurs: Sedimentgesteine − ein Ergebnis • Chancen und Herausforderungen in
der Erosion 80 Gebirgsregionen 105
• Exkurs: Granit − ein Ergebnis der Verwit-
terung 81
2.5 Äolisch: Wüstenlandschaften.............106
• Fallstudie: Karst − Fallbeispiel für chemische
Verwitterung 82 • Typische Landschaftsformen in Trocken-
gebieten 106
• Die Entstehung von Wüsten 108
2.2 Litoral: Küstenlandschaften................84
• Die Herausforderung der Desertifikation 109
• Küstenformen allgemein 84
• Exkurs: Die Kraft des Meeres 85
• Steilküsten und ihre Entstehung 86
Thema ll Zusammenfassung..........110
• Flachküsten und ihre Entstehung 87
• Küstenerosion 88
• Küstenschutz 89

2.3 Fluvial: Flusslandschaften....................90


• Erosionsprozesse durch fließendes Wasser 90
• Flussabschnitte und ihre Kennzeichen 92
• Fallstudie: 2021 − das Jahr der Über-
schwemmungen 94
Inhaltsangabe

• Flussmanagement 95
Übungen

• Exkurs: Die Rheinbegradigung durch


Johann Gottfried Tulla 96

5
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Inhaltsverzeichnis

Thema III
Verstädterung der Welt
Seite 114

Seite Seite
3.1 Der Prozess der Verstädterung............117 3.3 Herausforderungen und Chancen
der Urbanisierung..............................140
• Lage und Entwicklung der Städte weltweit 117
• Ursachen der Verstädterung 118 • Bodenversiegelung 140

• Übersicht verschiedener Siedlungstypen 119 • Verkehr und Luftverschmutzung 141


• Soziale Ungleichheiten in den Städten 142
• Sauberes Trink- und Abwasser 144
3.2 Städtische Funktionen und Formen....120
• Das Problem der Entsorgung 146
• Funktionen einer Stadt 120
• Grüner Städtebau..............................................147
• Funktionswandel von Städten 121
• Ökostädte − nachhaltiger Städtebau 148
• Städtische Formen 122
• Smart Cities − die Lösung für die Mega-
• Stadtstrukturmodelle der Chicagoer
Urbanisierung? 150
Schule der Soziologie 123
• Methode: GIS − Geographische Informa-
• Fallbeispiel Chicago − eine nordamerika-
tionssysteme 151
nische Stadt 124
• Fallbeispiel L.A. − Probleme einer nord-
amerikanischen Stadt 126 Thema lll Zusammenfassung...........152
• Fallbeispiel Detroit − Absturz und Wieder-
geburt einer Stadt 128
• Fallbeispiel Rio de Janeiro − die latein-
amerikanische Stadt 130
• Fallbeispiel Kairo − Megastadt Nord-
afrikas 131
• Fallbeispiel Lagos − Megacity in Afrika 134
• Fallbeispiel London − eine Weltmetropole 136
• Fallbeispiel Paris − Primatstadt Frankreichs 138
Inhaltsangabe
Übungen

6
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für Geographie in S5

Thema IV
Wetter und Klima
Seite 157

Seite Seite
4.1 Prozesse in der Atmosphäre............158 4.2 Globale Wetterphänomene.................180
• Aufbau der Atmosphäre 158 • Tropische Wirbelstürme 180

• Die Einstrahlung der Sonne 159 • Tornados 181

• Klima- und Vegetationszonen der Erde 160 • Der Monsun in Indien 182

• Unterschied von Wetter und Klima 161 • Das El Niño-Phänomen 184

• Wettererscheinungen 162 • Exkurs: Das La Niña-Phänomen 185

• Messinstrumente der Meteorologen 163


• Der Zustand der Wassers in der Atmosphäre 164 4.3 Auswirkungen des Klimas auf
• Wolkenbildung und Niederschlag 165 menschliche Aktivitäten....................186
• Exkurs: Wolkentypen 166 • Ein themenübergreifendes Projekt in S5 186

• Exkurs: Entstehung von Gewitterwolken 167 • Exkurs: Klimaangepasstes Bauen 187

• Exkurs: Einfluss des Meeres auf das Klima 168


• Exkurs: Einfluss der Höhe auf das Klima Thema lV Zusammenfassung...........188
und die Vegetation 169
• Luftdruck und Wind 170
• Globale Windsysteme 172
• Exkurs: Corioliskraft 173
• Passatwinde und ITC 174
• Zyklone und Antizyklone 176
• Durchzug einer Zyklone 177
• Methode: Wetterkarten analysieren 178
Inhaltsangabe
Übungen

7
Thema I
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Ernährung einer
wachsenden
Weltbevölkerung
Übungen

Reisterrassen auf den Philippinen

© Yann Arthus Betrand

8 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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Was du bei diesem Thema lernen wirst:


Ernährung zwischen Mangel und Überfluss (Kapitel 1)
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wächst die Weltbevölkerung rasant. M1
Mehr Menschen benötigen mehr Raum, Ressourcen und natürlich
mehr Nahrungsmittel.
Laut den wissenschaftlichen Prog­nosen werden 2050 an die zehn
Milliarden Menschen unseren Planeten bevölkern. Wir produzieren
prinzipiell genug Lebens­mittel, um all diese auch zu ernähren.
Aber: während ein wachsender Teil der Bevölkerung immer fettlei-
biger wird, leidet im Jahr 2021 noch immer jeder elfte Mensch an
Hunger. Wie kann das sein? © dpa Zentralbild

Die Produktion unserer Nahrungsmittel (Kapitel 2)


M2 Die Landwirtschaft hat es den Menschen
ermög­licht sesshaft zu werden. Je nach
Klimazone und technischem Fort­schritt
haben sich weltweit unzählige Formen
des Landbaus ent­wickelt.
In diesem Kapitel werden einige davon
vorgestellt und auch hinsichtlich ihrer
Auswirkungen auf Mensch, Tier und Natur
bewertet.

Ursachen der globalen Hungerkrise (Kapitel 3)


Die Gewährung des Rechts auf M3
Nahrung ist nicht allen Menschen
gegeben. Wenn wir aber doch
genug Lebens­mittel produzieren,
warum kann dann nicht jeder satt
werden?
Die Gründe dafür sind sehr vielfäl-
tig und werden in diesem Kapitel
behandelt. © venturesafrica.com

Lösungsansätze zur Ernährungssicherung (Kapitel 4)


M4 Der Erhalt der Ressourcen Wasser und Boden
sind für die Landwirtschaft und das Über-
leben der Menschheit essentiell. Bei einer
rasch wachsenden Bevölkerung und stets
fort­schreitender Zerstörung unserer Umwelt
durch den Menschen führt dies zwangsläu-
fig zu einer Verknappung aller Ressourcen.
Übungen

Ein nach­haltiger Umgang damit und ein Um­


denken in der Landwirtschaft sowie unserer
© WFP / AlexisMasciarelli Konsum­gewohnheiten sind nötig.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 9


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1.1 Ernährung zwischen Mangel und


Überfluss
1 Ungleiche Ernährungsverhältnisse

Fettleibigkeit Unterernährung
in prozentualem Anteil an der Gesamtbevölkerung
über 25 % über 40 %
von 15 bis 24 % von 16 bis 40 %
0 2 000 km
von 5 bis 14 % von 5 bis 15 % Source : FAO, OMS, 2018 nations unies, World Urbanization Prospects
Réalisation : S. Coté

M1 Fettleibigkeit und Unterernährung in der Welt im Jahr 2018

Millionen
M3 Risikofaktor Ernährung
800 gesamt
Zehn Prozent der Menschen weltweit leiden an Hunger, das waren
2020 ge­schätzte 811 Millionen Menschen − und der Rest isst das
600 Falsche. So lässt sich vereinfacht eine umfangreiche Analyse zusam­
Asien
menfassen, die gerade im Fachmagazin Lancet erschienen ist. Auf
400
Kosten schlechter und unausgewogener Ernährung geht demnach
Afrika
jeder fünfte Todesfall weltweit. Etwa elf Millionen Menschen sterben
200
jährlich aufgrund ungünstiger Ernährung.
Lateinamerika
Jahre Werner Bartens, «Ungesunde Ernährung ist der größte Risikofaktor der Welt»,
1980 1990 2000 2010 2020
Source : FAO rapport annuel, OMS, Diagram: S. Coté in www.sueddeutsche.de, vom 04.04. 2019, Zahlen aktualisiert am 01.01.2021
M2 Veränderung der absoluten Zahl unter­er­nähr­
ter Menschen auf verschiedenen Kontinenten

Aufgaben
1. Arbeite die in M1 gezeigte Verteilung von Fettleibig­
5% keit und Unterernährung heraus.
30% 20%
20%
2. Erläutere die Bedeutung der Ernährung für die
20% 60%
20% Lebens­dauer der Menschen (M3).
25% 3. Vergleiche die in M4 dargestellten Ernährungswei­
DR Kongo
Congo Démocratique sen.
1.6101 kcal/Tag/Person
610 kcal/jour/pers
4. Beschreibe die Entwicklung der unterernährten
Früchte und Gemüse Vereinigte Staaten Menschen weltweit und auf den Kontinenten sowie
Getreide 3.770 kcal/Tag/Person in den Regionen in M1 und M2.
Zucker
Übungen

Fleisch und Milchprodukte 5. Überlege, warum in Afrika die absolute Zahl unter­
Sonstiges (Eier, Fisch, Alkohol, ...) Source : E. Millstone, T. Lary, Atlas Food, 2008 ernährter Menschen trotz allgemeiner Verbesserung
M4 Vergleich typischer Ernährungsweisen in einem immer weiter angestiegen ist (M4). Nutze deine
Ent­wicklungsland und einem Industrieland Kenntnisse zur Bevölkerungsgeographie aus S4.

10 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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EXKURS
Malthus und die Tragfähigkeit der Erde
Menge M2 Die Theorie von Malthus
Bevölkerung
Thomas Robert Malthus (1766-1834) ging in seinem 1798 erst­
mals veröffentlichten Essay davon aus, dass sich die Mensch­
heit exponentiell vermehrt (1, 2, 4, 8, ...), während die Nahrungs­
produktion nur linear ansteigt (1, 2, 3, 4, ...). Demnach reichen
bei einer solchen unbeschränk­ten Vermehrung irgendwann die
Lebensmittel nicht mehr für die Ernährung der Erdbevölkerung
Krise aus, so dass es immer wieder „korrigierende“ Ereignisse in
Nahrungs-
Form von Krankheiten, Elend, Kriegen und Tod gibt, die das
mittel Wachstum der menschlichen Bevölkerung begrenzen und so
das Gleichgewicht wieder her­stellen.
Zeit www.welt.de; spektrum.de [abgerufen am 08.03.2021]

M1 Das nach Malthus unterschiedliche Wachstum


von Bevölkerung und Nahrungsmitteln (vgl. M2)
M4 Das Bevölkerungswachstum begrenzen
Als Papst Urban II. 1095 zum Kreuzzug aufrief, sprach er auch
von der Notwendigkeit, neuen Lebensraum zu gewinnen. Die
Parzellen in manchen Gegenden Mitteleuropas waren durch
ständige Teil­ungen so klein geworden, dass nur noch der Erst­
geborene erbte.
Ostkolonisation, Auswanderung nach Übersee und ähnliche Er­
eig­nisse – die Signale waren da, schienen Malthus zu be­stä­
tigen. Diese Wanderungen waren es übrigens, die Darwin in
sein Tierreich übersetzte: Werden Populationen zu groß, müs­
sen Einzelne neue Räume erschließen, in denen der „Fitteste“
von ihnen überlebt: derjenige, der sich am besten an den neuen
Lebensraum anpasst – und schon ist die Evolution im Gang.
Von Verhütung als Gegenmaßnahme wollte der frühere Pastor­
Malthus allerdings nichts wissen, Abtreibungen waren tabu. Zwei
Faktoren gab es für ihn, die die schnelle Vermehrung ­immerhin
etwas bremsten: Naturkatastrophen und Hungersnöte.
Und er wandte sich gegen die Unterstützung der Armen, die
© PederM / Wikimedia Commons
ansonsten zu viele Kinder auf die Welt bringen würden. Es gibt
M3 Reste der Siedlung Brattahlid, im Jahre 985 von Wikin­ Historiker, die vermuten, dass die ausbleibende Hilfe der briti­
gern im Süden Grönlands gegründet. Für die Wikinger schen Regierung bei der Hungerkatastrophe in Irland Mitte des
war der Bevölkerungsdruck ein Grund für ihre Auswan­ 19. Jahrhundert, die viele Tausend zur Auswanderung nach
derungen nach Island − auf ihren Felder konnte einfach Amerika nötigte und noch mehr in den Tod trieb, nicht zuletzt in
nicht mehr genug produziert werden. Malthus’ Lehre begründet war.
Die zweite Bremse beim Bevölkerungswachstum, die Malthus
beschrieb, kann vom Menschen selbst getätigt werden. Er plä­
Aufgaben dierte dafür, möglichst spät zu heiraten und Enthaltsamkeit zu
pflegen. Er selbst lebte die Methode vor: Er heiratete erst mit
1. Erkläre, was Malthus mit der «Tragfähigkeit der Ende dreißig und zeugte lediglich drei Kinder – ganz anders als
Erde» meinte. sein Vater, der mit 22 Jahren heiratete und sieben Kinder hatte.
2. Diskutiert in der Klasse die Theorie von Malthus. https://www.welt.de/geschichte/article152151477/Die-Bevoelkerungsfalle-
und-der-Hunger-der-Menschheit.html [abgerufen am 09.03.2021]

M5 Kritik an Malthus’ Theorie


Es gibt in der Geschichte der Nationalökonomie wohl kaum über breitere Bevölkerungsschichten hinweg, beschränkt sich
eine Theorie, die durch die tatsächliche Entwicklung deutlicher heute nahezu ausschließlich auf den afrikanischen Kontinent.
widerlegt wurde als die Malthusianische. Seit 1800 stieg die Und auch hier liegen seine Ursachen selten darin, dass es rein
Erdbevölkerung von weniger als einer Milliarde Menschen um ­mengenmäßig zu wenig Nahrung gibt, sondern verantwortlich
das Achtfache auf heute mehr als 7,9 Milliarden. Zugleich ist dafür sind diverse soziale, politische und ökonomische Fakto­
Übungen

der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung heute auf ren, die bedingen, dass Nahrung nicht zu denjenigen gelangt,
knapp über 10% gesunken. Zum Vergleich: Der Anteil der vom die sie brauchen.
Hunger bedrohten Menschen im Jahr 1800 lag bei über 90% https://scilogs.spektrum.de/beobachtungen-der-wissenschaft/die-malthusia­
(so mussten 1800 noch 95% mit weniger als dem Äquivalent nische-falle-wie-eine-wieder-und-wieder-widerlegte-theorie-von-vor-ueber-
von 2 US Dollar in den Preisen von 1985 auskommen). Hunger, 200-jahren-immer-noch-in-unseren-koepfen-spukt/ [abgerufen 09.03.2021]

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 11


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2 Die Folgen von Fehlernährung


M1 Falsche Ernährung bei Kindern
Wird über einen längeren Zeitraum mehr Energie über die
Nahrung aufgenommen, als der Körper im selben Zeitraum
verbraucht, so spricht man von Überernährung.
Überernährung führt erst zu Übergewicht und dann zu Adi­
po­sitas (Fettleibigkeit).­Übergewicht bei Kindern ist eine
es­
­ lierende Epidemie von weltweitem Ausmaß und das
ka­
Er­gebnis einer wachsenden Zahl von Kindern, die in einem
Umfeld leben, in dem mehr industriell verarbeitete Lebensmit­
tel konsumiert werden sowie eine sitzende Lebensweise und
mangelnde Bewegung vor­herrschen.
Mit dem (Über-)Begriff Fehlernährung bezeichnet man eine
­Ernähr­ung, die quantitativ und/oder qualitativ nicht den phy­
© Vincent Tremeau / UNICEF
siologischen Notwendigkeiten entspricht. Werden durch Fehl­
ernährung zu wenig Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe aufge­ M2 Von Fehlernährung sind hauptsächlich Kinder und Frauen
nommen, spricht man von Mangel­ernährung. Stehen dem betroffen. Vor allem in ärmeren Ländern sind Frauen tra­
Körper längerfristig nicht ausreichend Kalorien zur Verfügung, ditionell benachteiligt. Von Hunger ge­schwächte schwan­
so bezeichnet man dies als Unter­ernährung. gere Frauen bringen ge­schwächte Kinder zur Welt, die
wieder­um anfällig für Krankheiten sind. Zudem wirkt sich
Eine Folge von chronischer oder wieder­kehrender Unterer­ die richtige Ernährung in den ersten 1.000 Tagen der
nährung bereits in der Gebärmutter und in der frühen Kindheit Kinder entscheidend auf ihre körper­ liche und geistige
ist die Wachstumsverzögerung. Kinder, die darunter leiden, Ent­wicklung sowie ihre zukünftige Lern­fähigkeit aus.
erreichen mög­ licherweise nie ihre volle Körpergröße und
-gewicht oder ihr volles kognitives Potenzial. Schreitet die Un­
terernährung weiter fort, kommt es zur Auszehrung, einem
lebensbedroh­lichen Zustand. Ausgezehrte Kinder haben ein M4
ge­schwächtes Immunsystem, wodurch sich ihr Sterberisiko
aufgrund häufiger und schwerer Infektionen erhöht. Nahezu
die Hälfte aller Todesfälle bei Kindern unter 5 Jahren ist auf
Unterernähr­ung zurückzuführen.
frei übersetzt von https://data.unicef.org/topic/nutrition/child-nutrition/,
gekürzt und ergänzt durch https://flexikon.doccheck.com/de/Fehlernährung
[abgerufen am 20.09.2021]

M3 Fettleibigkeit in Mexiko
Palmöl wird nicht spontan mit der mexikanischen Küche in
Verbindung gebracht. Aber das Nahrungsmittelsystem des
Landes hat sich seit dem Inkrafttreten des Nordamerika­
nischen Freihandelsabkommens (NAFTA) 1994 dramatisch
verändert, und multinationale Konzerne haben sich auf dem
mexikanischen Absatzmarkt etabliert, um die Kontrolle über
die Nahrungsmittelversorgung des Landes zu übernehmen.
Die alarmierende Rate der Fettleibigkeit, die inzwischen
höher ist als in den Vereinigten Staaten, ist Ausdruck die­
ser sich verändernden Ernährungssituation in Mexiko. Der
Zusammenhang mit dem Anstieg des Palmölverbrauchs ist
offensichtlich.
frei übersetzt aus Le Grain, September 2014.

© bilderzwerg/fotolia.com
Übungen

M5 Menüvorschläge des Heart Attack


Grill-Restaurants (Arizona, USA) M6 Eine Karikatur über Fettleibigkeit

12 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M8 Die gesundheitlichen Folgen falscher Ernährung


Unterernährung Überernährung
Vitaminmangel (Avitaminose): Fettleibigkeit
A: Erblindung Es handelt sich um eine übermäßige
B1: Beriberi, Herzschwäche, neurologi­ An­sammlung von Fett mit verschiede­
sche Störungen, schwere Müdigkeit nen Folgen für das Herz-Kreislauf-­
Sys­tem, Gelenke, Organe, ...(vgl. M4)
B12: Folsäuremangel, Blutarmut
C: Skorbut, Lockerung der Zähne Diabetes
D: Rachitis (vgl. M7), Wachstumspro­ Das Blut ist durch einen Anstieg des
bleme, Missbildung der Knochen Blut­zuckerspiegels gekennzeichnet.
Die Bauchspeicheldrüse produziert
Blutarmut: nicht mehr genügend Insulin, um den
Eisenmangel: Eisen trägt zur Bildung Gluko­sespiegel zu regulieren.
von­roten Blutkörperchen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen
© Wikimedia Commons / Michael L. Richardson
Jodmangel: verkümmertes Wachstum, Störungen, die das Herz und den Blut­-
Kropf, neurologische Probleme (vgl. M8) kreislauf beeinträchtigen. Er­ schei-
M7 Ein Röntgenbild eines Kindes mit
Rachitis nungs­ formen sind Bluthochdruck,
Proteinmangel:
Herz­in
­ farkt und Schlaganfall, ...
Marasmus: Muskelschwund, das Ge­
sicht eines alten Mannes (vgl. M11) Verschiedene Gelenkprobleme und
erhöhtes Krebsrisiko
Kwashiorkor: Wassereinlagerungen im
ganzen Köper, vor allem im Bauch
(«Hungerbauch») (vgl. M10)

Aufgaben Die Folgen von Unter­


M9
ernährung
1. Erarbeite aus M1 den Unter­ Gerade an Infektionskrank­heiten
schied von Fehl-, Mangel-, wie Mala­ria, aber auch Diar­rhöe,
Unter- und Über­ernährung. Lungen­­entzün­dung und Masern
2. Erläutere die Ursachen sterben laut FAO alljährlich fast
sechs Millionen Kinder. Haupt­
und Fol­gen­ von Adipositas
ursache für die Erkrankungen
(M1, M3 bis M5, M8). sind Hunger und Unterernährung:
3. Interpretiere die Karikatur «Sie würden überleben, wenn
M6. ihre Körper und Immunsysteme
nicht durch Hunger und Unter­
4. Beschreibe mithilfe von M1, ernährung geschwächt wären»,
M2, M7 bis M11 die Folgen hieß es.
M8 Eine Frau mit Kropf (vergrößerte
Schilddrüse) aufgrund von Jod­ von Mangel­­ernährung. www.stern.de
mangel

Im Jahr 2021 waren etwa 149 Millionen Und mehr als 45 Millionen waren aus- Weitere 39 Millionen Kinder waren
Kinder unter fünf Jahren wachstumsver­ gezehrt und hatten ein zu geringes Gewicht ­über­­gewichtig.
zögert, das heißt zu klein für ihr Alter. für ihre Körpergröße.
Übungen

M10 Ein Kind mit Kwashiorkor © Ton Koene / picture-alliance


M11 Ein Kind mit Marasmus © Niedziela Martyna / Wikimedia Commons

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 13


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3 Das Welternährungsproblem
NORDPOLARMEER
M1 Der Welthungerindex (WHI) 2021

PAZIFISCHER
ATLANTISCHER
OZEAN

PAZIFISCHER OZEAN INDISCHER

OZEAN
OZEAN

gravierend 1 nicht erfasst/ Die 4 Indikatoren des Welthunger-


sehr ernst 9 Länders nicht eingestuft Index (WHI):
ernst 37 • Prozentualer Anteil der Unter­ernährten an
0 2 000 km mäßig 31 der Bevölkerung
Quelle: Welthungerhilfe. Realisierung: S. Coté
niedrig 50
• Prozentuale Verbreitung von Aus­zehrung
bei Kindern unter fünf Jahren, d.h. zu
nied­ riges Gewicht im Ver­ hält­
nis zur
Körpergröße als Hinweis auf akute Unter­
ernährung
27,1
30 26,1 • Prozentuale Verbreitung von Wachs­tums­-
verzögerung bei Kindern unter fünf Jah­
ren, d.h. zu geringe Körpergröße im Ver­­-
WHI-WERT

20
häl­tnis zum Alter als Hinweis auf chroni-
12,7
8,7 8,5 6,5
sche Unter­ernährung
10 • Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf
Jahren
0
Afrika südlich Südasien Westasien & LAtteinamerika Ost- & Europa &
der Sahara Nordafrika & Karibik Südostasien Zentralasien

Sterblichkeitsr ate von Kindern Auszehrung bei Kindern Wachstumsverzögerung Anteil der Unterernährten
unter fünf Jahren bei Kindern
Quelle : Welthungerhilfe, Realisierung : S. Coté

M2 Der Welthungerindex (WHI) 2021 nach Regionen

„Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet. Alle Muskeln zer­stört. Die Kin­der schauen einen aus Greisenge-
fünf Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an den sichtern an. Dann folgt ein fürchterlicher, schmerzvoller
Folgen des Hungers. [...] Tod.„
Wenn sie verhungern, zerfallen sie regel­recht. Der Körper
braucht erst die Zucker-, dann die Fettreserven auf. Das Im­ Zitat von Jean Ziegler (gekürzt), ehemaliger Schwei­­zer Soziologiepro­
mun­system bricht zusammen. Durch­fälle beschleunigen die fessor. Er war 8 Jahre lang UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf
Aus­zehrung. Mundparasiten und Infektionen der Atem­wege Nahrung und ist seit 2013 Vizepräsident des Beratenden Aus­schusses des
verursachen schreck­liche Schmer­zen. Dann werden die UNO-Menschenrechtsrates.

Aufgaben
1. Erarbeite aus M1 die Gebiete mit ernstem und sehr 7. Wer hilft bei Hungerkrisen? Recherchiere im Internet
ernstem Hungerproblem. nach staatlichen (z.B. FAO, WHO, ...) und nicht-staat-
2. Recherchiere im Internet für ein Land aus Aufgabe 1 lichen Organisationen (NGOs wie Oxfam, Ärzte ohne
die aktuelle geopolitische Situation. Grenzen, ...).

3. Vergleiche die in M2 aufgeführten Regionen. 8. Stelle diejenigen der 17 Nachhaltigkeits­ziele der UN


dar (M6), die die Reduzie­rung des Hungers mit beein­
4. Werte die Grafik M3 aus. flussen.
5. Erkläre den Zusammenhang von Hunger und Bildung
Übungen

9. Bis 2030 wollen die UNO-Mitgliedsstaaten den welt­-


(M4). weiten Hunger besiegen. Stelle die Ansicht der Welt-
6. Erörtere, wie die Corona-Pandemie den Hunger noch hungerhilfe (M5) den Nachhaltigkeitszielen der UN
weiter verschärft (M5). (M6) gegenüber.

14 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M4

M3 WHI gemittelt in den Jahren 1998 - 2002, 2004 -


2008, 2010 - 2014, 2016 - 2020

M5 Die wichtigsten Ergebnisse des WHI 2021


Der Welthunger-Index 2021 zeigt eine besorgniserregende Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zur Kinderernährung
Hungersituation auf, die aus dem verheerenden Wirkungsge­ hinken wir weit hinterher. Die meisten Länder sind nicht auf
füge von Klimakrise, Corona-Pandemie und immer schwe­ Kurs, ihre Ziele in der Senkung von Auszehrung (ein Zeichen
reren und langwierigeren Konflikten entsteht. Frühere Fort­ akuter Unterernährung), Wachstumsverzögerung (ein Zeichen
schritte in der Hungerbekämpfung wurden verlangsamt oder chronischer Unterernährung) und Kindersterblichkeit unter fünf
gar umgekehrt. Zwar ist der Hunger in der Welt seit dem Jahr Jahren bis 2030 zu erreichen.
2000 lange Zeit zurückgegangen – doch in vielen Ländern Die Welt ist dramatisch vom Kurs abgekommen. Nach aktuellen
stagniert der Fortschritt Richtung Zero Hunger oder hat sogar WHI-Prognosen wird die Weltgemeinschaft das Agenda2030-
Rückschläge verzeichnet. Seit 2012 hat sich die Hungersitua­ Ziel, den Hunger in der Welt bis 2030 vollständig zu besiegen,
tion in zehn Ländern mit mäßigen, ernsten oder sehr ernsten nicht erreichen können, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Hungerwerten verschlechtert, in manchen Fällen infolge aus­ Für 47 Länder ist demnach ausgeschlossen, dass sie bis 2030
bleibender Fortschritte, in anderen durch eine Verschlimme­ ein niedriges Hungerniveau erzielen werden. Besonders besor­
rung einer ohnehin prekären Situation. 14 Länder haben indes gniserregend ist die Situation in Afrika südlich der Sahara und
signifikante Verbesserungen ihrer jeweiligen Hungersituationen Südasien.
erreicht.
Die Corona-Pandemie hat die angespannte Ernährungslage in
Der weltweite Hunger, repräsentiert durch einen Welthunger- vielen Ländern des Südens noch einmal verschärft und Millio­
Index-Wert von 17,9, liegt in der Kategorie mäßig. Vor 20 Jah­ nen Familien haben ihre Existenzgrundlage ver­loren. Die größ­
ren noch war die globale Hungersituation mit einem Wert von ten Hungertreiber bleiben aber Konflikte und der Klimawandel.
28,0 als ernst eingestuft. Weltweit leiden jedoch immer noch zu Die Ärmsten und Schwächsten werden von den Folgen des Kli­
viele Menschen an Hunger und tatsächlich steigt die weltweite mawandels besonders hart getroffen, obwohl sie am wenigsten
Verbreitung von Unterernährung, einem der vier Indikatoren dazu beitragen.
des WHI, nach Jahrzehnten des Rückgangs wieder. Diese
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index/ ergänzt
Entwicklung könnte ein Vorzeichen dafür sein, dass sich auch [abgerufen am 19.10.2021]
andere Hungerindikatoren umkehren. Auch bei den globalen

M6 Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der UN


Übungen

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 15


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1.2 Die Produktion unserer Lebensmittel


1 Intensive und extensive Landwirtschaft − eine Übersicht
M1 Definitionen
Der landwirtschaftliche Ertrag ist die Menge des Produktes, Die extensive Landwirtschaft ist ein landwirtschaftliches
die von einer bestimmten Anbaufläche geerntet wird. Dabei Produktionssystem, das im Verhältnis zur bewirtschafteten
unterscheidet man zwei grundsätzliche Anbauformen − die Landfläche geringe Mengen an Pestiziden, chemischen Dün­
extensive und die intensive Landwirtschaft. Allerdings sind viele gemitteln, Maschinen und Kapital verwendet. Es geht somit
der heute vorkommenden Agrarsysteme eine Mischform aus nicht in erster Linie um Gewinnmaximierung durch den Einsatz
beiden. von Chemie und Technik, vielmehr nutzt sie die natürlichen
Ressourcen, die vor Ort vorhanden sind. Oftmals dient sie der
Die Intensivlandwirtschaft oder industrielle Landwirtschaft
Selbst­versorgung (Subsistenzlandwirtschaft).
ist ein Produktionssystem, das sich durch den hohen Einsatz
Sie wird im Allgemeinen auf kleinen Flächen praktiziert und
an Kapital auszeichnet, das von außen eingebracht wird: für
zeichnet sich durch relativ niedrige Hektarerträge aus. Um die
chemische Düngemittel, Pestizide, einen hohen Grad an Tech­
Produktion zu steigern, vergrößert der Landwirt die Anbau­
nisierung und Maschinisierung, etc. Damit sich die Anschaffun­
fläche. Durch den geringen Einsatz technischer Geräte sind
gen finanziell lohnen, wird auf großen Flächen angebaut. Es
aufgrund der Handarbeit mehr Menschen beschäftigt, jedoch
wird versucht, mit möglichst wenig Beschäftigten und hohem
bei sehr niedrigem Einkommen. Extensive Landwirtschaft findet
Einsatz von Chemie ein Maximum an landwirtschaftlichen
sich vor allem in ärmeren Ländern oder generell in schwerer zu­
Erträgen zu erreichen.
gäng­lichen ländlichen Gebieten.

M2 Offene, große Felder − wie hier in der Champagne (Frank­


reich) − eignen sich gut für den Einsatz von Maschinen.

M3 Ziegenherde in den Pyrenäen © PPC / E. Frézal

M5 Industrielle Aufzucht von Masthühnern

M4 Schafhaltung in Kenia, Ostafrika © Welthungerhilfe

M6 Ausbreitung von Pestiziden


© Shpernik088 / Wikimedia Commons

Aufgaben
1. Erarbeite aus M1 und M8 die Merkmale der inten­
Übungen

siven und extensiven Landwirtschaft und stelle


sie tabellarisch gegenüber.
2. Ordne die Bilder dieser Dop­pel­seite dem ent­spre­
chenden landwirtschaftlichen System zu.
© PPleul

16 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M8 Spezialisierung
Der Begriff der intensiven Landwirtschaft steht auch für eine
Intensivierung der Produktionsprozesse. Haben früher die
Bauern sowohl Vieh gehalten als auch das Land bestellt, so
haben sie sich heutzutage auf einen Bereich spezialisiert
− sei es die Viehwirtschaft oder den Anbau von Nahrungs­
mitteln bzw. Kraftfutter. Auch inner­halb dieser Bereiche ist
eine weitere Intensivierung möglich, z.B. werden in einem
Betrieb nur Küken aufgezogen, die dann zur Mast an einen
anderen weitergegeben werden (vgl. M9).

© Wikimedia Commons / Dieter Schuh

M7 Nomaden auf dem tibetanischen Hochplateau. Die Noma­


den wandern ganzjährig mit ihren Herden in einem großen
Gebiet umher, immer auf der Suche nach den besten
­Futterplätzen.

© Dirk Gieselmann / Soylent Network

M9 In einer Hühnerbrüterei werden nur die Küken ausge­


brütet und dann an Aufzuchtstationen weiterverkauft.

M11 Freilandhaltung von Hühnern

M10 Eine Bocage-Landschaft im Südwesten Frank­reichs. Die


Parzellen sind durch Hecken abgegrenzt und ideal für die
Freilandhaltung.

Übungen

© Timo Stammberger

M12 Luftaufnahme eines Schweinemastbetriebes im Osten M13 Ein Melkkarussel melkt rund um die Uhr. Ein hoher
Deutsch­
lands. Die Aufzuchtanlagen fassen insgesamt Viehbestand erfordert einen hohen Grad an Technisie­
mehrere tausend Schweine. rung und Maschinisierung.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 17


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2 Traditionelle Landwirtschaftsformen
M2 Etagen-/Stockwerkbau
Die ersten Oasenkulturen entstanden um 4000
v. Chr. Dabei werden Ackerbau und Dauer­
kulturen im (dreistufigen) Etagenanbau bzw.
Stockwerkbau miteinander kombiniert.
Die obere Stufe bilden Dattelpalmen, deren
Früchte eine wichtige Nahrungsgrundlage der
Oasenbewohner sind.
In der mittleren Anbau­stufe folgen Obstbäume,
vor allem Granatapfel-, Aprikosen-, Öl- und
Feigenbäume.
Auf der unteren Stufe werden neben Getreide
wie Weizen und Gerste auch Reis und Hirse,
aber auch verschiedene Feldfrüchte (Möhren,
Rüben, Zwiebeln, ...) und Futter­pflanzen ange­
© Hendrik Dacquin aka loufi / Wikimedia Commons
baut.
M1 Oase im Oman, Arabische Halbinsel. Eine Oase ist ein vegeta­ Im tropischen Regenwald wird diese Art des
tionsreicher Ort in Trockengebieten, der durch einen Fluss oder eine Anbaus noch von den dort lebenden indigenen
Quelle mit Wasser versorgt wird. Bewässerungssysteme bringen das Völkern angewandt.
Wasser dann zu den umliegenden Feldern.

Aufgaben
1. Erarbeite mithilfe von M1 und M2 die
Vorteile des Stockwerkanbaus in den
Tro­pen und Subtropen. Beachte dabei
die besonderen kli­ma­tischen Bedin­
gungen in diesen Klima­zonen.
2. Erkläre mithilfe von M5 den Unter­
schied zwi­schen Transhumanz und
Nomadismus und ordne die beiden
Bilder M3 und M4 begründet einer der
beiden Formen zu.
3. Überlege, welche möglichen Ursachen
dafür verantwortlich sein könnten, dass
in manchen Regionen kein Ackerbau
möglich ist (vgl. M1, M3, M4).
© Wikimedia Commons / Whgler

M3 Schafauftrieb in den Ötztaler Alpen, Österreich 4. Recherchiere im Internet, wo und wie


in Europa noch die traditionelle Fern­-
weidewirtschaft betrieben wird.

M5 Fernweidewirtschaft
Ist das Klima zu trocken oder zu kalt, kann kein
Ackerbau betrieben werden. In diesen Gebieten
ist daher die Fern­weidewirtschaft die Lebens­
grundlage der Menschen. Dabei werden mehr­
mals im Jahr die Futtergründe gewechselt.
Formen sind zum einen der (Hirten-)No­madis-
­mus, wo Nomaden mit ihrer Unterkunft und den
Tieren ganzjährig umherziehen, zum anderen
die Transhumanz (Wanderweidewirtschaft),
© Wikimedia Commons / Songköl’s jaylooy
bei der die Herden nur saisonell in den warmen
Übungen

Monaten wandern und den Winter in festen


M4 Sommerlager von Yaylak in Kirgisien. Gut ein Viertel der Erdober­
Stallungen der Besitzer zubringen.
fläche ist − aus den unterschiedlichsten Gründen − nicht für den
Ackerbau geeignet. Hier sichert die Viehhaltung das Leben der Men­ modifiziert aus Wikipedia
schen, die sich vom Fleisch und/oder dessen Tausch bzw. Verkauf
ernähren.

18 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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© Gunawan Kartapranata / Wikimedia Commons

M7 Arbeiterinnen auf Java, Indonesien, pflanzen von Hand kleine Reissetzlinge. Die
Tätigkeit ist nicht mechanisiert und die Werkzeuge sind rudimentär.

Regenfeldbau
© Amanita Phalloides, Namwianga Mission / Wikimedia Commons

Traditioneller Ackerbau in Sam­


M8
M6
bia, Afrika. Der Grabstock bzw. Regenfeldbau kann in Gebieten be­ 70 - 90% der Niederschläge.
die Hacke ist auch heute noch trieben werden, in denen der Niederschlag In Kenia wird intensiver Regenfeldbau
das wichtigste Werk­zeug im tra­ höher als die Verdunstung ist (humides in Höhen um 1500 m betrieben. Klein­
ditionellen Landbau. Klima, gegen­über aridem Klima). Diese bauern leben auf 1 - 4 ha großen Feldern
Anbauform kommt somit ohne künstliche in Subsis­tenzlandwirtschaft durch traditio­
Bewässerung aus. nellen Hack­bau und ernten Süßkartoffeln,
In Indien ernährt der Regenfeldbau fast Mais, Hirse, Bananen und andere Obst-
40% der Bevölkerung, der Monsun bringt und Gemüsesorten.

Aufgaben
5. Erläutere die Vor- und Nachteile des Regen­
feldbaus (M6 − M8) und des Wanderfeldbaus
(M9 und M11).
6. Erörtere die Chancen und Risiken des sess­-
haften Dauerfeldbaus für die Menschen und
die Böden.
7. Erarbeite Gemeinsamkeiten und Unterschie-
de der auf dieser Doppelseite gezeigten tradi­­-
tio­nellen Landwirtschaftsformen. Gehe dabei
auf die Geofaktoren Klima und Boden sowie
die menschliche Arbeitskraft ein.

© A. Davey / Wikimedia Commons

M9 Teffhirse-Ernte in Nord-Äthiopien. Die Bewohner dieser troc­


kenen Region leben traditionell von Viehhaltung und Feldbau
und verlegen regelmäßig ihren Wohnsitz, wenn die land­
wirtschaftlichen Flächen keinen Ertrag mehr abwerfen.

M11 Wanderfeldbau − (engl.) shifting cultivation


Wanderfeldbau, auch als Wanderhackbau oder Wander­wirt-
schaft be­zeichnet, ist eine Landwirtschaftsform der Tropen und
Subtropen, bei der die Felder nur ein paar Jahre intensiv genutzt
werden. Verlieren die Böden an Fruchtbarkeit, werden sowohl die
Felder als auch die Siedlungen großräumig verlagert.
© Paulrudd / Wikimedia Commons Um neue Felder anlegen zu können, muss zuerst die vorhan­
Übungen

M10 Beim traditionellen Ackerbau werden meist noch dene Vegetation entfernt werden. In Gebieten der tropischen
Tiere statt Maschinen eingesetzt. Dieser ist an die Regenwälder geschieht dies in erster Linie durch Brandrodung
klimatischen Gegebenheiten gut angepasst, so (Abbrennen der Bäume), da die dabei entstehende Asche dem
dass die Menschen durchgängig an Ort und Stelle mineralstoffarmen Boden der Tropen in den ersten Jahren als
bleiben können (sesshafter Dauerfeldbau). natürlicher Dünger dient.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 19


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EXKURS
Nomadismus

M1 Was sind Nomaden?


Als Nomaden werden nichtsesshafte Jäger-, Reiter- und
Hirtenvölker bezeichnet. Die Nomaden begleiten ihre Vieh­
herden im geschlossenen Familienverband mitsamt dem
Hausrat. Sie sind ständig auf der Suche nach neuen Weide­
plätzen, oft im saisonalen Rhythmus. Der häufige Wechsel
ihres Wohnplatzes erfordert transportable, schnell auf- und
abzubauende Behausungen, in der Regel sind dies Zelte.

© Sven Zellner

M2 Zweihöckrige Baktrische Kamele an einem Wasserloch


in der mongolischen Steppe. Als Lastentier können sie
mit maximal 280kg Gepäck etwa 40km am Tag zurückle­
gen und je nach Belastung bis zu 10 Tage ohne Wasser­
aufnahme auskommen, indem sie ihre Verdunstung stark
einschränken (dadurch, dass sie z.B. nur acht Mal in der
Minute atmen). Ihr Kot wird als Brennmaterial ge­nutzt.

© Wikimedia Commons / Bouette

M3 Eine Jurte, das traditionelle Zelt der Nomaden, in der


Wüste Gobi (Mongolei). Etwa 20% der Mongolen leben
heute noch als Nomaden.

© Pixabay / Confused_me

M5 Domestiziertes Yak in Tibet. Diese lang­haarigen Wieder­


M4 Die Nomaden ernähren sich hauptsächlich von selbst­ käuer findet man überall in der Himalaja-Region in Süd-
erzeugtem Fleisch oder Milch, die sie zu Käse o. Ä. ver­ Zentralasien, dem Hochland von Tibet und bis weit in
arbeiten. Getreide, Salz usw. müssen sie kaufen, da sie den Norden in der Mongolei und in Russland. Sie werden
nicht sesshaft sind und daher kein Getreide anbauen als Last- und Nutztiere eingesetzt.
können. Sie halten Kamele, Schafe und Ziegen. Aber Neben Yaks werden auch Schafe, Ziegen, Kamele und
das wichtigste Tier ist das Pferd, da es als Transportmit­ Pferde gezüchtet. Die Produkte, die von diesen Tieren
tel und Lasttier verwendet werden kann. Außerdem gibt stammen, versorgen die ganze Familie: Rindfleisch,
es Stutenmilch, welche in vergorenem Zustand das Lieb­ Hammel und Ziegen­ fleisch sind wichtige Grundlagen
lingsgetränk der Mongolen ist und es wird im Volksmund ihrer Ernährung. Die ebenfalls gewonnene Schafwolle
als Aigra bezeichnet. Fleisch (meist Lammfleisch) wird wird zu Filz verarbeitet und anschließend für die Anfer­
normalerweise gekocht oder mit Nudelteig zu verschie­ tigung von Kleidung, Herstellung von Betten und der
denen Gerichten, wie z. B. Teigtaschen kombiniert. Als Isolation für Jurten verwendet. Aus ihren Haaren und
Übungen

Vorrat und Reiseproviant wird Fleisch auch getrocknet Knochen werden Musikinstrumente hergestellt. Pferde,
und gemahlen (Borts). Dieses Pulver kann wie moderne Kamele und Yaks werden als Transportmöglichkeiten
Suppen einfach in heißem Wasser aufgekocht werden genutzt.
http://lzr.zum.de/wiki/Facetten_des_Mittelalters/Mongolei https://www.mongoleireisen.de/reisetips/nomaden-und-traditionen/
[abgerufen am 17.11.2021], nomadismus-mongolei [abgerufen am 17.11.2021], modifiziert

20 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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ALGERIEN
LIBYEN
AHNET AZJER

AHAGGAR

ADRAR
AYR

MALI
© Bradshaw Foundation

NIGER M7 Zeltunterkunft der Tuareg aus Tierhäuten. Die nomadischen


Tuareg leben in mobilen Zelten. In der Sahelzone werden die
Mattenzelte aus Palmwedeln gebaut. In der Sahara werden
BURKINA Lederzelte, die aus 30 bis 40 Schaf- und Ziegenfellen be­
FASO stehen, genutzt.

Quelle: IMUHAE, Realisierung: S. Coté

M6 Zentraler Lebensraum der Tuareg. Die Berber, unter


denen die Tuareg mit rund 1,5 Millionen Mitgliedern
die größte Gruppe stellen, verstehen sich als Nord­
afrikas nomadisch lebende Ureinwohner.

M9 Das einhöckrige Kamel (Dromedar) wird von den Tuareg


vor allem für den Transport und nicht zur Fleischproduktion
gezüchtet (gegessen werden in der Regel Ziegen). In der
© Wkimedia Commons / Alfred Weidinger
Sprache der Tuareg gibt es über 70 Bezeichnungen, um ein
M8 Tuaregs nahe Timbuktu, der Hauptstadt Malis, in Kamel näher zu be­schreiben. Je nach Physiognomie werden
traditionellem Blau gekeidet. Als Nomadenvolk sind diese in Transport- und Reitkamele unterschieden.
die Tuareg an die harten Bedingungen des Lebens
in der Wüste angepasst. Jahrhundertelang lebte es
von den Karawanen des Transsaharahandels.

© Pixabay / jackmac34

M11 Aus der extensiven Weidewirtschaft heraus hat sich eine


postnomadische Lebensweise entwickelt, in der ehemalige
© Bertrand Devouard ou Florence Devouard / Wikimedia Commons
Tuareg nun beispielsweise als Lkw-Fahrer, als Landarbeiter
oder als Führer in der Tourismusindustrie tätig sind.
M10 Zubereitung der Tagella, des traditionellen Brotes
der Tuareg, das im Sand gebacken wird. Das dafür
notwendige Mehl wird in Oasen gekauft. Daneben Aufgabe
Übungen

ernähren sich die Tuareg von Milch und Fleisch


ihrer Herden (Kamele, Ziegen, Schafe). Während Vergleiche die Lebensweisen der mongolischen No­ma­-
die Kamelmilch nur getrunken wird, wird die Milch den (M2 bis M5) mit derjenigen der Tuareg (M6 bis M11).
von Schafen und Ziegen auch zu Butter und Käse
Beachte dabei auch die unterschiedlichen Klimazonen.
weiterverarbeitet.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 21


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3 Plantagenwirtschaft in Entwicklungsländern
M1 Definition Plantagenwirtschaft
Plantagenwirtschaft ist eine kapitalintensive Betriebsform in
Entwicklungsländern. Sie zählt zur intensiven Landwirtschaft,
da neben hohem Kapital auch chemische Düngemittel und
Pestizide in großem Umfang eingesetzt werden. Geleitet
werden diese meist von großen, ausländischen Kapitalge­
sellschaften (vgl. Agrobusiness S. 27).
Ein weiteres Kennzeichen einer Plantage ist der großflächige
Anbau von Monokulturen, d.h. nur einer einzigen Pflanzen­
sorte. Bevorzugt werden dabei Produkte, die − zumeist in
die Industrieländer − exportiert werden (sog. cash crops,
gegen­über angebauten Nahrungsmitteln, den food crops).
Anbaupflanzen sind in der Regel Ölpalmen, Kaffee, Tee,
Kakao, Bananen, Zuckerrohr, Kautschukbäume (Gummi­
bäume), Soja, aber auch Südfrüchte wie Ananas und Avo­
cados. Dabei sind die angebauten Pflanzen in der Regel
Dauerkulturen, die ganzjährig geerntet werden können. M2 Eine Bananenplantage. Damit diese Kulturpflanzen an­
gebaut werden können, muss zumeist großflächig die
natürliche und artenreiche Vegetation des tropischen
Aufgaben Regenwaldes abgeholzt werden.
Durch die einseitige und intensive Nutzung durch Mono­
1. Arbeite aus M1 die Merkmale der Plantagenwirt­ kulturen werden die Böden sehr stark ausgelaugt. Um die
schaft heraus. Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und Schädlinge fernzu­
halten, setzt man intensiv chemische Dünger und Pes­
2. Begründe, warum die Plantagenwirtschaft eine
tizide ein. Beide Gifte gelangen ins Grundwasser und in
intensive Landwirtschaftsform ist. angrenzende Flüsse, so dass die Bevölkerung das mit
3. Erläutere mithilfe von M2 die negativen Auswir­ Düngern und Pestiziden verseuchte Wasser benutzen
kungen auf die Umwelt. muss.

4. Nenne die in M4 und M5 genannten Kritikpunkte


der Oxfam-Studie.
M3 Geschichtliche Hintergründe
5. Überlege, was wir als Konsumenten gegen die
Aus­beu­tung und Umweltverschmutzung in den Mit der Kolonialisierung im 16. Jahrhundert entstanden
Produktionsländern tun können. die ersten Plantagen in den heutigen Entwicklungsländer.
Die europäischen Kolonialherren bauten dort pflanzliche
Erzeug­nisse an, die aufgrund der klimatischen Bedingun­
gen in ­Europa nicht wuchsen, wie z.B. Zuckerrohr, Kakao,
Kaffee, Tee, Ananas, Baum­wolle, Ölpalmen und Kautschuk.
M4 «Süße Früchte, bittere Wahrheit»
Für die harte Arbeit auf den Plantagen wurden Afrikaner
Dies ist der Titel der OXFAM-Studie vom Mai 2016* zur versklavt.
Situa­tion von Arbeitern auf Bananenplantagen in Equador Mit dem beginnenden atlantischen Dreieckshandel im 17.
und Ananasplantagen in Costa Rica. Beliefert werden unter Jahrhundert zwischen Europa, Afrika und Amerika breitete
anderem auch deutsche Supermarktketten, denen Oxfam sich die Plantagenwirtschaft samt der Versklavung der afri­
eine Mitverant­wortung an den katastrophalen sozialen und kanischen Bevölkerung auch nach Amerika aus.
ökologischen Bedingungen unterstellt, da sie ihre Markt­
macht ausnutzen, um von den Produzenten niedrige Preise
zu verlangen.
«Auf vielen Plantagen herrschen erschreckende Zustände:
Der Einsatz hochgiftiger Pestizide und Agrarchemikalien ist
weit verbreitet und führt zu Umwelt- und Gesundheitsschä­
den rings um die Ananasplantagen. Durch chemische Sub­
stanzen leiden Böden und Wasserqualität. Erkrankungen wie
Atemwegsbeschwerden, Übelkeit und Magenkrebs sowie
Fehlgeburten treten häufiger auf als im Rest des Landes.
Doch es leiden nicht nur Umwelt und Gesundheit. Auch Ein­
kommen und Arbeitsbedingungen auf den Plantagen sind
schlecht. Arbeiter werden ausgebeutet, Arbeitsrechte unter­
drückt. Häufig reicht der Lohn gerade so, um die Familie mit
dem Nötigsten zu versorgen, während das Geld für Schul­
gebühren und Arztbesuche fehlt. Auf manchen Plantagen
sucht man vergebens nach Toiletten und Pausenräume für
Übungen

die Arbeiter. Nicht mal ein Zehntel des Verkaufspreises einer M5 Ein Flugzeug versprüht Pestizide über einer Bananen­
Ananas landet bei den Arbeiter.» plantage. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich in diesem
https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/lander-regionen/costa-rica, Moment Arbeiter auf der Plantage befinden, die dann mit
[abgerufen am 08.09.2021] den Pestiziden regelrecht geduscht werden. Krankheiten
* die ganze Studie ist unter www.oxfam.de nachzulesen wie Krebs und Fehlgeburten sind die Folge.

22 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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EXKURS
Bittere Schokolade

M2 Die dunkle Seite der Schokolade


In Ländern, in denen Kakao – also der Grundstoff für
Schokolade – angebaut wird, wissen nur wenige, wie
Schokolade schmeckt. Selbst viele Kakaobauern und ihre
Kinder haben noch nie Schokolade gegessen. Sie sind
einfach zu arm, um sich die Süßigkeit leisten zu können.
Aber eine Tafel Schokolade kostet hier im Supermarkt
doch meist weniger als einen Euro. Das stimmt – und
es ist ein Teil des Problems. Die Schokolade ist in
Deutsch­land auch deshalb so billig, weil in den Anbau­
ländern Erwachsene und sogar Kinder ausgebeutet
werden. Viele Bauern verdienen so wenig, dass ihre Kin­
der bei der Arbeit mit­helfen müssen.
Mehr als zwei Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren
müssen zum Beispiel in Ghana und der Elfenbeinküste
bei der Ernte helfen. Viele von ihnen machen Arbeit, die
zum Teil sehr gefährlich ist: Sie müssen scharfe Werk­
zeuge wie Macheten benutzen, um Unkraut zu entfernen
und die Schoten mit den Kakaobohnen von den Bäumen
zu schlagen.
Daniel Risenthal / LAIF Sie müssen die schweren Säcke mit den Bohnen schlep­
pen und sind giftigen Chemikalien ausgesetzt, die auf die
M1 Auf einer Kakaoplantage in einem Dorf in der Elfenbeinküste Felder gespritzt werden, um Unkraut zu vernichten. Viele
erntet ein Junge mit einer Machete die großen Früchte, in
denen die Kakaobohnen stecken. Kinder leiden unter dieser Arbeit. Sie beklagen sich über
Schnittwunden von den Macheten oder Schmerzen, weil
sie schwere Lasten tragen müssen.
Besonders schlimm: Früher musste nur eines von 20
Kindern auf einer Plantage Gift versprühen oder auf den
Feldern arbeiten, während die schädlichen Chemikalien
verteilt wurden. Heute sind es 5 von 20.
Einen kleinen Fortschritt gibt es: Immerhin müssen heute
viel weniger Kinder als noch vor zehn Jahren so oft auf
den Kakaoplantagen arbeiten, dass sie nicht zur Schule
gehen können. Aber wie kann es sein, dass Kinder über­
haupt arbeiten müssen?
Schuld daran sind auch die Firmen, die den Bauern nicht
genug Geld für die Kakaobohnen zahlen. Jeder von uns
hat wohl schon einmal ein Stück Schokolade von einer
dieser Firmen genascht. Denn sie füllen unsere Super­
marktregale mit den leckeren braunen Süßigkeiten. Unter
anderem produzieren sie M&Ms, Mars, Snickers, Milka-
Schokolade und etliches mehr – die meiste Schokolade,
die wir uns schmecken lassen, kommt von diesen Her­
stellern.
Die Lösung für das Problem wäre, dass die Firmen mehr
© Daniel Rosenthal / LAIF für die Kakaobohnen bezahlen. So viel, dass kein Kind
mehr auf den Feldern schuften bräuchte und sich bei der
M3 80 Kilogramm – so viel wie ein ausgewachsener Mann –
wiegt dieser Sack mit Kakao, den der Träger durch eine Arbeit wehtäte. Experten sagen: Dafür müsste sich der
Plantage in der Elfenbeinküste schleppt. Preis der Bohnen verdoppeln. Bis dahin ist es noch ein
langer Weg.
Trotzdem können wir schon jetzt den Kindern von
Deutschland aus helfen: indem wir Schokolade mit einem
Aufgaben Fairtrade-Siegel kaufen. «Fairtrade» heißt «gerechter
Handel». Dieses Siegel bekommen nur Firmen, die sich
1. Erläutere mithilfe der Dokumente die Ursachen von an bestimmte Regeln halten. Zum Beispiel an die, dass
Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen. Kinder auf den Plantagen eigentlich nicht arbeiten dürfen.
2. Erkläre, was wir als Konsumenten dagegen tun Ganz verhindern kann die Organisation, die das Fair­
Übungen

können. trade-Siegel vergibt, die Ausbeutung von Kindern leider


trotzdem nicht. Aber dadurch, dass die Bauern gerechter
bezahlt werden, müssen viel weniger Kinder arbeiten.
Nikolai Kwasniewski, www.spiegel.de, vom 25.10.2020

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 23


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4 Konventionelle Landwirtschaft in den Industrieländern


Getreide Gebüsch, Dickicht Grasland M2 Konventionelle Landwirtschaft
Biodiversität
Dies ist die in Industrieländern gebräuchliche Bezeichnung für
30 verschie- intensiven Landbau − und als Gegenbegriff zur ökologischen
dene Arten (biologischen) Landwirtschaft zu sehen (vgl. S. 32).
Konventionelle Landwirtschaft ist damit eine intensive Nut­
zungsform, bei der neben Technik und Maschinen auch Che­
Brachland mie zum Einsatz kommt. Dabei kann dies sowohl ein Fami­
lienbetrieb als auch ein großer industrieller Agrarbetrieb sein.
Rastplatz
1900

Biodiversität
19 verschie-
dene Arten
enn

Mais

1950
M3 Chemisierung der Landwirtschaft: Ausbringen von Pesti­
ziden (Schädlingsbekämpfungsmitteln), die von der che­
Biodiversität mischen Industrie hergestellt werden.
7 verschie- Biodiversité
19 espècess différentes
dene Arten
Aufgaben
1. Definiere mithilfe von M1 den Begriff der Flur­-
bereinigung und benenne die Folgen.
2. Arbeite aus dieser Doppelseite die all­gemeinen
Faktoren heraus, die zur Steigerung der land­­
Source : UPMF. Réalisation : S. Coté

2000 wirtschaftlichen Produktivi­tät er­forderlich sind.


M1 Durch die Flurbereinigung wurden kleine Parzellen zu
großen zusammengelegt, um diese maschinell besser 3. Erarbeite aus den Materialien die negativen und
bearbeiten zu können. Die biologische Vielfalt (Biodiver­ positiven Folgen der konventionellen Land­wirt­
sität) wurde damit allerdings stark verringert. schaft heraus.

M5 Landwirtschaftliche Giftstoffe
Der zunehmende Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmit­
teln und Kunstdüngern in der Landwirtschaft belasten Grund-
und Oberflächenwasser.
Chemische Düngemittel sowie die in der Tierhaltung anfallen­
de Gülle als natürlicher Dünger werden auf den Feldern aus­
gebracht. Beide Formen enthalten unter anderem Stickstoff,
einen wichtigen Pflanzennährstoff. Die Pflanzen können die­
sen Stickstoff nutzen, indem sie ihn in Form von Nitrat oder
Ammonium über die Wurzeln aufnehmen. Bei Überdüngung
sickert der Stickstoff als im Wasser gelöstes Nitrat tiefer durch
das Erdreich und gelangt schließlich ins Grundwasser.
Bei der Massentier­haltung der intensiven Landwirtschaft fällt
so viel Gülle an, dass in Regionen, die landwirtschaftlich
S. Coté intensiv genutzt werden, vielerorts die Nitrat-Grenz­werte im
M4 Mechanisierung der Landwirtschaft: Erntemaschinen Grundwasser bereits überschritten werden (wie dies z.B. in
Übungen

wie Mähdrescher und Traktor. Norddeutschland seit Jahren der Fall ist). Diese landwirtschaft­
lichen Giftstoffe sind für den Menschen gesundheitsschädi­
gend und zerstören nicht nur die Schädlinge im Boden und
an den Pflanzen, sondern auch die Nützlinge − und damit ein
funk­tionierendes Ökosystem.

24 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M7 Einsatz von Gentechnik


In einigen Ländern werden gentechnisch verän­
derte Pflanzensorten angebaut. So gibt es in den
USA kaum noch ein Lebensmittel zu kaufen, das
frei von Gentechnik ist. Bei der Gentechnik werden
durch künstliche Eingriffe in das Erbgut der Pflan-
zen verbesserte Eigenschaften erreicht, wie z.B.
höhere Erträge pro Hektar oder eine größere Re­
sistenz gegenüber Trockenheit oder Schadinsek­
ten.
Das gentechnisch veränderte Saatgut ist zwar
teurer und muss jedes Jahr neu gekauft werden,
allerdings spart der Landwirt Zeit, Geld und Maschi­
neneinsatz durch die wirksamere Unkraut- und
Schädlingsbekämpfung.
Da der Einsatz von Gentechnik bei Nahrungsmit­
teln jedoch umstritten ist (vgl. S. 61 - 62), ist dieser
imgarcade.com nicht überall erlaubt, so in den meisten Ländern der
M6 Künstliche Bewässerung unterstützt das Pflanzen­wachstum und Europäischen Union.
steigert die Erträge.

M8 Ertrag in
Landwirtschaftssysteme
kilo/ha
Wanderfeldbau: 1 Ernte alle 10 Jahre 0,5
(Beispiel: Amazonasgebiet)

Getreideanbau mit zweijähriger Brache 3,5 bis 6


(Beispiel: Mittelalter)

Reisanbau: 2 Ernten pro Jahr ca. 50


(Beispiel: China) © agrarfoto

M9 Da sich Krankheiten in der Massentier­hal­tung


Intensiver Getreideanbau: 1 Ernte pro Jahr max. 75 aufgrund der Enge in den Ställen viel schneller
(Beispiel: Nordfrankreich) ausbreiten können, werden die Tiere präventiv
mit Antibiotika geimpft.
Isst man Fleisch aus konventioneller Land­
wirtschaft, nimmt man damit auch das dem Tier
verabreichte Antibiotika auf − was zu lebens­
bedrohlichen Antibiotikaresistenzen beim Men­
schen führen kann.

M10 Damit die Masttiere möglichst


schnell wachsen, bekommen
sie eiweißreiches Sojaschrot
als Kraft­
futter. Dabei handelt
es sich in der Regel um gen­
Übungen

technisch verändertes Soja aus


Brasilien − für dessen Erzeu­ © Gunnar Richter / Wikimedia Commons

gung tropischer Regenwald M11 In einem Melkkarussel können zeitgleich zahlreiche Kühe vollautomatisch ge­
abgeholzt wurde. molken werden.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 25


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5 Agrobusiness − die moderne Agrarindustrie

M1 Industrielle Landwirtschaft − Agrarindustrie


Bei dieser Landwirtschaftsform werden industriespezifi­sche
Produktionsweisen angewandt. Ziel ist die absolute Ge­
winnmaximierung, daher handelt es sich immer um land­
wirtschaftliche Großbetriebe. Dafür ist sehr viel Kapital
nötig, das in modernste Maschinen mit einem hohen Grad
an Technik investiert wird. Der Viehbestand ist extrem
hoch (Massentierhaltung) bzw. die Flächen, auf denen an­
gebaut wird, sind riesig. Ähnlich einem Industriebetrieb
hat sich ein Agrarindustriebetrieb spezialisiert, z.B. auf die
Produktion von Soja als Tierfutter (vgl. M2) oder zur reinen
Fleischproduktion (vgl. M3). Dementsprechend ist diese
Landwirtschaftsform sehr produktiv und gewinnbringend,
da die großen Mengen an Input (von Saatgut, Futter, etc.)
einen günstigen Einkauf ermöglichen.
Solche Agrarindustrien werden wie ein Unternehmen ge­
managt (mit Geschäftsführer und Angestellten), und sind M2 Sojaernte in Brasilien. Aufgrund des weltweit steigenden
das Gegenstück zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft als Fleischkonsums ist die Produktion von Gensoja für die Tier­
Familienbetrieb. futterindustrie in den letzten Jahren enorm gestiegen.

M4 Kritikpunkte
Die Industrialisierung der Landwirtschaft und die damit verbun­
dene Intensivierung bedeuten beim Pflanzenanbau Monokul­
turen und bei der Tierhaltung die nicht artgerechte Massen­
tierhaltung. Da man nur die Gewinnmaximierung im Blick hat,
wird von den verwendeten Ressourcen Boden und Wasser
und auch von den Tieren das äußerste abverlangt.
Die ökologischen Folgen sind Bodenverdichtung, Bodenver­
salzung, Bodenerosion, Verschmutzung des Grund- und
Ober­flächenwassers durch Pestizide und chemische Dünger,
teilweise auch die Zerstörung von tropischem Regenwald, um
neues Ackerland oder Viehweiden zu gewinnen.
M3 Ein Feedlot in den USA. Auf gigantischen Flächen wer­ Hinsichtlich der Nutztiere wird mit allen Mitteln gearbeitet, um
den Rinder zur Fleischproduktion gehalten. Lastwagen
bringen ununterbrochen Futter zu den Tieren, die in die Produktion zu erhöhen: hormonelle Behandlung der weib­
kürzester Zeit schlachtreif gemästet werden. lichen Tiere, um die Zahl der Geburten zu erhöhen, Einsatz
von Mastmitteln zum schnelleren Wachstum, Antibiotika, damit
sich Krankheiten nicht ausbreiten (vgl. S. 30) sowie nicht artge­
Aufgaben rechte Tier­haltung auf engstem Raum und teilweise verstüm­
melnde Maßnahmen (vgl. S. 28 und 29).
1. Erarbeite aus M1 die Merkmale des Agrobusiness.
2. Diskutiert in der Klasse die Vor- und Nachteile
des Agrobusiness.

M6 Die äußerst günstige geographische Lage innerhalb Euro­


pas, das milde Wetter und der fruchtbare Boden mit flachem
Übungen

© Werkfoto
Relief haben die Niederlande dank eines hochmechani­
M5 Bewässerungsflächen in Nebraska, USA. In diesem sierten Agrarsektors sowie der Agrar- und Lebensmittel­
tro­
ckenen Gebiet ist der Anbau landwirtschaftlicher technologie zu einem der weltweit größten Exporteure von
Produkte nur mit hohem technischen Aufwand für eine Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Produkten werden
künstliche Bewässerung möglich. lassen.

26 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M7

Traktor, Düngemittel Elektrischer Strom Banken


Mähdrescher Herbizide Forschung Wirtschaftsprüfer
Pestizide Tierarzt ...
Fungizide
...

Fleisch Gemüse
Milch Getreide
Früchte

Konserven
Fertiggerichte
Tiefkühlkost
Kekse
Joghurt...

Primärer Sektor (Landwirtschaft) Aufgabe


Füge folgende Begriffe in das Diagramm ein:
Sekundärer Sektor (Industrie) Vorgeordnet, nachgeordnet, Marketingkampagne,
Maschinenbauindustrie, Versorgungsunternehmen,
Übungen

Tertiärer Sektor (Dienstleistungen) Bauernhof, Supermarkt/Großküchen, Transport


(mehrfach zu verwenden), lebensmittelverarbeitende
Industrie, chemische Industrie, Verbraucher/Kunden,
Finanzdienstleistungen, Direktverkauf/Markt.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 27


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EXKURS
Das Leid der Tiere in der Massentierhaltung

M3 Ferkeln wird in den ersten


© Topagrar | Lehnert Tagen nach ihrer Geburt der
M2 Da manche Eber einen besonde­ Ringel­schwanz mit einem hei-
M1 Sauen, die in Schweinezuchtbetrieben für ren «Eberge­ruch» ent­wickeln, ßen Brenneisen abgetrennt.
die Ferkelproduktion gehalten werden, ver- der das Fleisch ungenieß­ bar Dieses sogenannte „Schwanz­
bringen die Hälfte ihres Lebens in körper­ werden lässt, werden präventiv kupieren“ wird ohne Betäu­
engen Metallkäfigen, in denen sie sich nicht alle männ­lichen Ferkel − meist bung durchgeführt und ist sehr
mal richtig hinlegen können. ohne Betäubung − kastriert. schmerzhaft für die Tiere.

© VIER PFOTEN

M4 Anbindehaltung bei Kühen. Ein grund­


© Mühlhausen / landpixel
sätzliches Anbindeverbot gibt es auch M6 Kühe sind soziale Wesen, die
bei Bio nicht. In Deutschland betrifft M5 Kälber dürfen innerhalb ihrer ers­- Mutterliebe empfinden und eine
das immer­hin ein Drittel der ökologisch ten sechs Lebens­wochen ohne enge Mutter-Kind-Bindung haben.
gehaltenen Milchkühe. Betäubung enthornt werden, da­ In der Milchviehhaltung wird das
nach ist eine Betäubung Pflicht. Kälbchen der Mutter jedoch direkt
Das Enthornen mithilfe eines nach der Geburt weggenommen,
Brennstabes ist ein intensiver damit die Milch zum Verkauf an
«Eingriff» von beachtlicher Tiefe Menschen zur Verfügung steht.
M7 Milchleistung und mit extremen Schmerzen für Dies wird auch in der Bio-Land­
Unter natürlichen Lebensbedingungen die Kälber verbunden. wirtschaft so praktiziert.
kann eine Kuh 20 - 25 Jahre als werden.
Noch vor 100 Jahren gab sie 10 l Milch am
Tag. Heutzutage liefert eine Milchkuh 40 M9 Schlachtung träch-
bis 50 l Milch am Tag. Um noch mehr Milch tiger Milchkühe
zu geben, erhalten sie große Mengen an
Kraftfutter (Getreide, Soja etc.). Diese Art Jedes Jahr werden allein in
der Ernährung ist für Kühe nicht artgerecht. Deutschland über eine Mil­
Denn: Rinder sind Wiederkäuer, die sich lion Milchkühe geschlachtet.
normalerweise hauptsächlich von Gras und Wissenschaftlichen Studien
Heu ernähren. Die jahrelange Fehlernäh­ zufol­
ge ist davon auszu­
rung führt zu schmerzhaften Krankheiten gehen, dass circa zehn Pro­
wie Euterentzündungen, schmerzende zent der Tiere trächtig waren.
Klauen, Stoffwechselstörungen, Lahmhei­ © Petazwei.de Der Großteil der Tiere befin­
ten, etc. M8 Transport von Kälberbullen zum Schlacht­ det sich sogar im mittleren bis
Eine Milchkuh, die dank künstlicher Besa­ hof. Teilweise werden die Tiere über letzten Trächtigkeitsstadium.
Übungen

mung dauernd schwanger ist, um genug Hunderte Kilometer auf engstem Raum
Milch zu produzieren, ist so ausgelaugt, zusammengepfercht und ohne Zugang
dass sie bereits nach 5 Jahren nicht mehr zu ausreichend Wasser oder Nahrung bei
genug Milch erzeugt und deshalb ge­ extremer Hitze oder klirrender Kälte auf
schlachtet wird. Transportern zum Schlachthof gefahren.

28 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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© Animalequality

M9 Die meisten männlichen Küken werden noch am Tag des


Schlüpfens bei lebendigem Leib mit einem Homogenisator (ei­
ner Maschine mit schnell rotierenden Messern) zer­stückelt oder
mit Kohlendioxid (CO2) betäubt und getötet, wobei sie einen
mindestens 60 Sekunden langen Erstickungstod sterben.
In Deutschland ist dies erst seit dem 01.01.2022 verboten.
M11 Federpicken ist ein weit verbreitetes Phänomen in
den Ställen der Massentierhaltung. In konventionel­
len Betrieben werden Teile des empfindlichen Tast­
organs einfach abgeschnitten (Schnabelkürzen).
In den einzelnen Mastställen sind Gruppen von
10.000 bis 40.000 Tiere zusammengepfercht, wo­
bei einem einzelnen Huhn dabei ein Platz von der
Größe eines DIN-A5-Blatt zusteht. In der Bio-Hal­
tung haben sie nur unwesentlich mehr Platz. Vom
ununterbrochenen Stehen auf dem Gitterboden
haben die Hühner wunde, gebrochene und defor­
mierte Füße. Gemeinsam ist den Hennen aller Hal­
tungssysteme, dass sie dort ausschließlich dazu
M10 Enten, Gänse und Puten sind zu Tausenden einge­pfercht, sehen dienen, durchweg und in hohen Mengen Eier zu
niemals das Tageslicht und können in keinster Weise ihre natür­ legen. Während die Hennen ihrer Vorfahren, die in
lichen Ver­haltensweisen ausleben. Südostasien lebenden Bankivahühner, lediglich bis
Die typischen Krankheiten und Verletzungen aus der konven­ zu 40 Eier im Jahr hervorbringen, sind die heute
tionellen Putenmast finden sich genauso in der Bioputenmast genutzten Hochleistungshennen dazu gezwungen,
wieder: Kannibalismus, Gelenks- und Fußballenentzündun­ knapp 300 Eier im Jahr zu legen – und das ohne
gen, entzündliche Brustblasen und hohe Sterberaten. Auch die Unterbrechung.
Qualzucht auf unnatürlich hohe Gewichtszunahme ist im Biobe­ Aufgrund ihrer Überzüchtung auf extrem hohe Eier­
reich üblich, da in der Regel die gleichen, überzüchteten Rassen produktion in Kombination mit den unnatürlichen
verwendet werden wie in der konventionellen Mast. Haltungsbedingungen leiden »Legehennen« regel­
mäßig an diversen Krankheiten und Verletzungen,
Aufgaben die zum frühzeitigen Tod führen können. In allen
Haltungssystemen kommt es häufig zu Erkrankun­
1. Recherchiere im Internet nach weiteren Auswirkungen gen des Legeapparates.
der Massentierhaltung auf die Tiere. Ein langes Leben ist den Hennen aber ohnehin
nicht vergönnt. Sobald ihre Legeleistung nach etwa
2. Notiere eine Woche lang, welche tierischen Pro­duk­te
zwölf bis fünfzehn Monaten nachlässt, werden sie
du isst, wie viel davon und wie oft. geschlachtet.
3. Veranstaltet als Klasse eine vegane Woche.

© Animalequality © Animalequality © Animalequality

M12 Die Gänse und Enten sind erst vier Monate alt, wenn sie in täglich, mit einem ca. 30 cm langen Metallrohr bis zu einem
den engen Einzelkäfigen eingesperrt und zwangsgefüttert Kilogramm Futter in den Magen gepumpt. Im Vergleich würde
Übungen

werden, sodass ihre Leber bis auf das Zehnfache ihrer norma­ das etwa einem Menschen entsprechen, der 15 Tage lang
len Größe anwächst (praktiziert in Frankreich und Ungarn). bei jeder Mahl­zeit 12 Kg Nahrung zu sich nimmt. Verkauft
Dabei wird den Tieren zwei Wochen lang, zwei- bis dreimal wird die kranke Tierleber dann als Delikatesse (Stopfleber).

Die Inhalte sind folgenden Seiten entnommen: www.tierschutzbund.de; https://albert-schweitzer-stiftung.de/; https://tier-im-fokus.ch;


https://www.proplanta.de; www.petazwei.de; /www.bmel.de/; www.vier-pfoten.de: https://animalequality.de; www.ariwa.org

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 29


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EXKURS
Auswirkungen der konventionellen Landwirtschaft
auf die Gesundheit der Menschen
So entstehen xxxxx xxxxx M1 Jedes zweite Billig-Hühnchen von
Wenn etwa xxxxx xxxxx Europas größten Geflügel­ schlach­
xxxxxxx xxxxxxx tereien ist mit antibiotika­resistenten
Übertragung des resistenten Bakterien Gabe von Antibiotika
Keimen belastet. Mehr als jedes
Xxxxxxx
xxxxxxxxxxxxxxx dritte untersuch­te Tier zeigte sogar
Antibiotika Abwasse Antibiotika Antibiotika
gen
Gewässer Auss
Xxxxxxx
xxxx
xxxxxx
Erreger, die auch widerstandsfähig
che
dun
ssc
hei
idu
ng
en
xxxxxxxxxxxxxxx sind gegen sogenannte Reserve­
Au xxxx
xxxxxx antibiotika, also die Notfallmedika­
mente von Krankenhäusern, die
Klinik-
Gülle
Pflanzliche
patienten
zum Einsatz kommen, wenn andere
Lebensmittel Einlieferung
Antibiotika nicht mehr wirken.
Futter
Verbraucher Carsten Dierig: «Jedes zweite Hühnchen vom
S chlach Tierische
i hhe
tof
Lebensmittel Discounter ist mit resistenten Keimen belastet»,
u ng in www.welt.de vom 27.10.2020, gekürzt
fer Xxxxxxx
lie
Ein xxxxxxxxxxxxxxx
Landwirte
xxxx
xxxxxx

Quelle: Stiftung Warentest 2013. Realisierung: S. Coté

M2 Giftiger Obstsalat M3 Feinstaubbelastung


Greenpeace-Aktive haben bundesweit importiertes Obst aus Eine Studie des Max-Planck-Instituts zeigt, dass die Fein­
Bra­si­
lien für die Analyse zusammengestellt. Insgesamt kauf­ staub­belastung in Deutschland mittlerweile extrem hoch
ten sie in Supermärkten, Discountern, Großmärkten und einem ist. Die Folge sind rund 120.000 Todesfälle pro Jahr und
Feinkostladen 70 Proben der Obstsorten Papaya, Mango, Limet­ damit doppelt so viele wie von Wissenschaftlern bisher
te, Melone und Feige. Ein unabhängiges und zertifiziertes Labor angenommen. Unter dem Strich sei Fein­staub damit für
hat die Proben anschließend untersucht. Die Ergebnisse sind genauso viele Opfer verantwortlich wie das Rauchen.
alarmierend: Als Hauptverursacher des Problems nennt die Untersu­
• 59 der 70 Proben waren mit Rückständen von insgesamt 35 chung, die auf rund 40 internationalen Studien aus 16
ver­schiedenen Wirkstoffen belastet Ländern basiert, die Landwirtschaft und dort insbeson­
• 21 Wirkstoffe davon aus der Kategorie “hoch gefährliche dere die Massentierhaltung. Der Grund: Aus der dort
Pesti­zide” (Highly Hazardous Pesticides, HHP) anfallenden Gülle entstehen Ammoniak-Ausgasungen,
die sich in der Atmosphäre mit anderen Gasen verbinden
• 4 Proben überschritten die zulässigen Höchstmengen
und dadurch zu Feinstaub werden, erklärt Studienleiter
• insgesamt 11 Wirkstoffe, deren Einsatz in der EU verboten ist Jos Lelieveld: „Die Massentierhaltung führt zu Ammo­
• über die Hälfte der Proben war mehrfach belastet, auf niak, Ammoniak führt zu Feinstaub, und Feinstaub führt
manchen fanden sich bis zu 9 verschiedene Pestizide zu frühzeitigen Todesfällen.“ Die Bauernhöfe produzieren
64 Prozent der Proben weisen Mehrfachrückstände auf, also ein somit dreimal soviel Feinstaub wie alle Autos im Land.
Cocktail aus verschiedenen Pestiziden auf einer Probe. Bislang Carsten Dierig: «Vegane Gesellschaft fordert Musterklagen für Fleisch­
betrachten die Behörden die Rückstände einzeln, das heißt sie verbote», in www.welt.de vom 18.01.2019, gekürzt und ergänzt
prüfen, ob Pestizidrückstand X ein Problem darstellt. Werden
mehrere Pestizide (X, Y, Z) in einer Probe gleichzeitig gefunden,
gibt es keine gesicherte Einschätzung, ob sich die gesundheit­
lichen Auswirkungen gegenseitig beeinflussen. Bedenklich sind M4 Pestizide im Schlafzimmer
auch die Funde von Pestiziden, die in der EU nicht zugelassen Forscher haben in 21 europäischen Ländern Stichproben
sind und solche, die als “hoch gefährlich” eingestuft werden. von Hausstaub genommen. Und da zeigte sich: Alle
Nach­zuweisen sind die Pestizide in unserem Körpergewebe und Proben waren mit Pestiziden belastet – besonders stark
im Blut. belastet war der Hausstaub aus Belgien, darin fanden sich
(Studienergebnisse abrufbar unter https://www.greenpeace.de/sites/www. 23 verschiedene schädliche Pestizide – die größte Menge
greenpeace.de/files/publications/b01431_es_wald_mercosur_broschuere_ im Vergleich zu den anderen Ländern. Der Durchschnitt
pestizide_07_21.pdf liegt bei acht.
https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft-wirtschaft/ Es geht um Pestizide, die von den europäischen Behör­
handelsabkommen/giftiger-obstsalat [abgerufen am 22.09.2021] den als mög­licherweise krebserregend eingestuft werden
oder das Potenzial haben, unser Hormonsystem zu schä­
digen. In 80 Prozent der Schlafzimmerproben fanden sich
Übungen

Aufgabe auch Schadstoffe, die im Verdacht stehen, die mensch­


liche Fortpflanzung zu schädigen.
Erarbeite aus den Materialien die Auswirkungen der (Studienergebnisse abrufbar unter https://www.global2000.at/sites/
kon­ven­tionellen Landwirtschaft auf die menschliche global/files/Pestizidtest-Schlafzimmer-2021.pdf)
Gesundheit. https://brf.be/national/1529117/ vom 22.09.2021, gekürzt und modifiziert

30 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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EXKURS
Das Sterben der Insekten
M1 Insektensterben
Insekten sind in vielerlei Hinsicht wichtig für das ökologische
Gleich­gewicht: als Jäger und Gejagte innerhalb der Nah­
rungskette, als Bestäuber von Blüten, als Destruenten im
Boden zur Umwandlung von organischen Material in anor­
ganische Miner­alstoffe (Humusbildung) sowie zur Produktion
von Nahrungsmitteln (wie Honig oder Insekten als Protein­
quelle für Menschen und Tiere).
Doch die Gesamtmasse der Insekten ist seit Jahrzehnten
weltweit zurückgegangen. Dass der Klimawandel höhere
Temperaturen, Extremwetter mit drastischen Feucht- und
Dürrephasen das Insektensterben beeinflussen, klingt plau­
sibel, ist aber wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Dass M2 Spritzen von Kirschbäumen mit Pestiziden
der Raubbau am Lebensraum für Insekten eine große Rolle
spielt, ist dagegen sehr wahrscheinlich.
Allein in Deutschland wird mittlerweile rund die Hälfte der M3 Folgen des Insektensterbens
Fläche landwirtschaftlich genutzt. Ein Großteil davon durch
intensive Landwirtschaft. Das bedeutet riesige Ackerflächen, Viele Kultur- und Nutzpflanzen sind auf die Bestäubung
Monokulturen und Landschaftswüsten ohne Grünbereiche durch Insekten angewiesen. Der wirtschaftliche Schaden
nach der Ernte. durch das Insektensterben könnte zum Beispiel im Obst-
und Gemüsebau drastisch ausfallen. In der Presse wird im­
Ein großer Teil des Lebensraumes für die Insekten ist in den
mer wieder über Milliarden-Summen spekuliert.
vergangenen Jahren verloren gegangen, auch durch Be­
bauungsmaßnahmen. Es fehlen geschützte Grünflächen wie Der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden kann aber auch
Wiesen, Hecken, Sträucher oder Grünstreifen zwischen den dem Boden schaden. Ohne die im Boden lebenden Insekten
Ackerflächen. Die Verbindungen zwischen Biotopen gehen und Mikroorganismen kann abgestorbenes Pflanzenmaterial
verloren. Hinzu kommt der steigende Einsatz von Dünge­ nicht mehr umgesetzt und dem Nährstoffkreislauf neu zur
mitteln und Pestiziden, der Insekten und ihren Larven stark Verfügung gestellt werden. Dies erfordert dann immer mehr
zusetzt. Düngereinsatz, der wiederum enorme Kosten verursacht.
https://www.planet-wissen.de/natur/umwelt/artensterben/ Auch Aas wird von den Insekten recycelt. Wälder würden
insektensterben-122.html [abgerufen am 15.09.2021]
ohne den Abbau der abgestorbenen Pflanzen durch Insekten
an ihrem eigenen Abfall ersticken. Nicht zu vergessen auch
die Bedeutung der Insekten als Nahrung für andere Tier­arten.
Ohne Insekten würde die Nahrungskette vermutlich zusam­
menbrechen. Amphibien, Fischen, Eidechsen, kleinen Repti­
lien, insbesondere aber auch Vögeln würde das Futter fehlen.
https://www.planet-wissen.de/natur/umwelt/artensterben/
insektensterben-122.html [abgerufen am 15.09.2021]

© ProSieben

M4 Handbestäubung in China. In China wurden in den 80er


Jahren so viele Pestizide versprüht, dass es in manchen
Gegenden keine Bienen mehr gibt. Neben mobilen
Bienen­verleiher wird daher mancherorts auch per Hand
bestäubt − eine extrem mühselige Arbeit. Millionen Arbei­
ter steigen auf große Leitern, um mit einem Pinsel oder
Wattestäbchen getrockneten (gekauften!) Pollen auf
M5 Wanderbienen sind in den USA schon lange unersetzlich
und ein etablierter Wirtschaftszweig. Auf großen Trucks
den Blüten aufzutragen. Ganze Plantagen werden so werden bis zu 500 Bienenstöcke quer durch das Land
befruchtet. gefahren, immer dorthin, wo die Blüten auf den riesigen
aus: www.imkerverein-hohesfichtelgebirge.com/handbestaeubung-in- Feldern voller Monokulturen als Bestäuber benötigt wer­
china.html [abgerufen am 15.09.2021]
den. So werden während der zweiwöchigen Mandelblüte
auf den Plantagen des kalifornischen Central Valley rund
Übungen

1,5 Millionen Bienenstöcke mit je 50.000 Bienen benötigt.


Aufgabe Danach fahren die Bienen wieder weiter, denn außerhalb
der Mandelblüte finden sie dort kein Futter.
Erarbeite aus den Materialien Ursachen und Folgen
des Insektensterbens. https://www.br.de/wissen/bienen-nutztiere-wanderbienen-
leihbienen-bestaeubung-bienensterben-100.html vom 11.05.2021

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 31


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6 Die ökologische Landwirtschaft in Industrieländern

M1 Definition
Der Begriff ökologische Landwirtschaft (auch
biologische Landwirtschaft, Ökolandbau,
alternative Landwirtschaft) bezeichnet die
Herstellung von Nahrungsmitteln und anderen
landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf der Grund­
lage bestimmter Produktionsmethoden, die eine
umweltschonende Produktion sowie eine artge­
rechte Haltung von Tieren ermöglichen sollen.
https://de.wikipedia.org/wiki/ökologische_Landwirtschaft
[abgerufen am 09.09.2021]

© Umweltinstitut München e.V.

M2 Ein zentrales Merkmal des Ökolandbaus ist die Kreislaufwirtschaft.


Ackerbau und Viehhaltung sind miteinander verflochten und ergänzen
sich gegenseitig. Während bei der konventionellen Landwirtschaft
chemische Dünger, Pestizide und Futter und selbst Jungtiere zuge­
kauft werden müssen, produziert dies der Bio-Hof alles selber. So
bleibt das Kreislaufsystem geschlossen und nach­haltig.

© agrarfoto.com

M3 Fruchtbarer Boden ist locker, damit er viel Luft


und Wasser speichern kann. Und er ist voller
Leben: in 0,3 Kubikmeter (das entspricht einer
Fläche von 1x1 Meter und 30 cm Tiefe) leben
1,6 Billionen Lebewesen!

M4 Bodenfruchtbarkeit
Grundlage der Landwirtschaft ist ein fruchtbarer
Boden. Aber schwere Landmaschinen verdichten
diesen, Pestizide und chemische Düngemittel
vergiften ihn, Monokulturen und fehlende Frucht­
folge laugen ihn aus.
In der ökologischen Landwirtschaft wird daher
der Boden nachhaltig bewirtschaftet. Ohne che­ M5 Die auf dem Hof anfallende Gülle wird als natürlicher Dünger auf den
mische Dünger und Pestizide sowie durch sinn­ Feldern ausgebracht − die Verwendung von chemischen Düngern
volle Fruchtwechselfolge und Brache mit Legu­ oder Pestiziden ist verboten.
minosen (zur Stickstoffdüngung) kann so die
Bodenfruchtbarkeit auf natürliche Weise erhalten
bzw. sogar verbessert werden.
Mit diesen Methoden wird der Humusgehalt im M6 Nützlinge statt
Boden erhöht. Dies macht den Boden locker und Pestizide: ein
saugfähig, so dass er mehr Wasser und Nähr­ Ma r i e n k ä f e r
stoffe speichern kann und besser durchlüftet ist. beim «All-you-
Die Pflanzen werden dadurch nicht nur optimal can-eat» von
mit Nährstoffen versorgt, ein gesunder Boden Blattläusen.
verhindert auch Bodenerosion und schützt vor
Übungen

Hochwasser.

© Andreas Vietmeier

32 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M8 Das Bio-Siegel der EU: neben nationalen


© Verbraucherzentrale Bio-Siegeln und solchen von Ökoverbänden
M7 So sieht artgerechte Tierhaltung aus, die mancherorts auch von (wie z.B. Demeter in Deutschland) ist das
kon­ven­tionellen Bauern praktiziert wird. In der biologischen Land­- EU-Biosiegel das am weitreichend bekann­
wirt­
schaft ist die Anzahl der Tiere allerdings aufgrund der Aus-­ tes­te. Allerdings hat es auch die niedrigs­
scheidungen, die Boden und Grundwasser belasten können, an die ten Ansprüche an «bio». So stehen einem
Flächengröße ge­bunden und damit begrenzt. Die Fütterung von gen­ ausgewachsenen Schwein höchstens 1,2
technisch verändertem Futter ist verboten und muss zu 95% aus bio­ m2, einer Kuh 6 m2 Stallfläche zu. Im Ver­
logischer Herstellung stammen. gleich zur Massentierhaltung ist das zwar
ein Fortschritt, reicht jedoch allein noch
nicht aus. Beispielsweise sind etwa Kuh­
trainer, die Rinder mit Stromstößen in Po­
sition bringen, prinzipiell erlaubt.
Aufgaben
1. Erarbeite die auf dieser Doppelseite genannten Kriterien für
Biolandbau heraus.
2. Erkundige dich im Internet nach den Kriterien für das EU-­
Biosiegel und vergleiche es mit den Kriterien von Öko-­
Verbänden wie Demeter, Bioland, Naturland, ...
3. Stelle tabellarisch die Merkmale der konventionellen der
biologischen Landwirtschaft gegenüber.
4. Bewerte dein Ergebnis aus Aufgabe 3 im Sinne der Nachhal­
tigkeit.

M10 So ein «glückliches» Hühnerleben wie


die Tiere auf dem Foto haben leider nicht
M9 Gesünder essen alle Bio-Hühner. Die biologische Land­
wirtschaft erlaubt ebenfalls die Massen­
Noch wichtiger ist der Wunsch nach gesunder Ernährung: 78 Prozent tierhaltung, auch wenn das einzelne Tier
der Befragten kaufen deshalb Bioprodukte. Die europäische Großstu­ etwas mehr Platz hat als in der konventio­
die QLIF, an der mehr als 30 Forschungsinstitute beteiligt waren, belegt, nellen. Bei Hühnern sind das sechs Tiere
Kohl, Salat, Tomaten und Kartoffeln aus biologischem Anbau enthalten auf einem Quadratmeter. Zu­ dem setzen
mehr Vitamine, bioaktive Stoffe und Anti­oxidantien. Grund dafür ist die auch manche Ökogroßbetriebe völlig
erhöhte Bodenfruchtbarkeit auf Biobetrieben. Durch die organische Dün­ überzüchtete Geflügelrassen ein.
gung vermehren sich Mikroorganismen, die die Pflanzen dazu anregen, In der Milchviehhaltung wird den Bio-Küh­
mehr sekundäre Pflanzenstoffe zu bilden. en ebenfalls das Kalb gleich nach der Ge­
Und ein nach Bio-Kriterien gewachsener Apfel hat in der Regel eine burt weggenommen (vgl. S. 28 - 29). Daher
höhere Trockenmasse, enthält also weniger Wasser und schmeckt da­ leben nicht alle Tiere in der biologischen
durch aromatischer. Ein Grund: In der Massenproduktion wird viel Stick­ Landwirtschaft unter artgerechter Haltung.
stoff in die Böden gebracht, damit Äpfel mehr Biomasse bilden. Das führt
zu einer geringeren Konzentration von Aminosäuren und sekundären
Pflanzenstoffen; dazu zählen Substanzen, die einer Pflanze zum Beispiel
Geruch und Farbe verleihen. Im Bio-Apfel sind die Nährstoffe gewöhnlich
etwas konzentrierter.
Eine Studie aus dem deutschen Bundesprogramm Ökologischer Land­
bau zeigt zudem, dass Biolebensmittel deutlich weniger Pestizidrück­
stände enthalten (vgl. Exkurs S. 30). Dazu hatten die Forscher die Stich­
proben der staatlichen Kontrollbehörden aus acht Jahren ausgewertet.
»In der Regel lagen die Rückstände bei den konventionellen Produkten
unter dem Grenzwert, damit gelten sie auch als unbedenklich«, erklärt
Niggli. Aber: »Langzeitstudien werden im Konzept der Grenzwerte zu
wenig beachtet. Manche Mediziner warnen davor, dass vor allem Klein­
Übungen

kinder und Schwangere gefährdet sind, die über eine längere Zeit diese
M11 Der präventive Einsatz von Antibiotika oder
anderen Medikamenten ist in der biolo­
Pestizidrückstände mit der Nahrung aufnehmen.« Solche langfristigen gischen Landwirtschaft verboten. Nur bei
Wirkungen sind allerdings schwer nachzuweisen. Erkrankung eines Tieres darf der Tierarzt
Tanja Busse, «Die Wahrheit über Bio», in www.zeit.de vom 14.10.2009, ergänzt in Einzelfällen Antibiotika verabreichen.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 33


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7 Fallbeispiel: Die Grüne Revolution in Indien


M1 Die Rahmenbedingungen der Grünen Revolution M2 Definition
1966 entkam Indien nur knapp der Hungersnot, indem es mehr Der Begriff Grüne Revolu­tion bezeichnet die Um­stel­lung
als 10 Millionen Tonnen Getreide importierte (10% der weltwei­ der Landwirtschaft von einer traditionellen Wirt­ schafts­-
ten Käufe). Ab 1977 wird es zum Exporteur. Heute importiert es wei­se (vgl. S. 24 M2) auf moder­ne Produktionsmethoden
nur so viel, dass es seine Sicherheitsbestände aufstocken kann (vgl. M7). Sie wurde in den 1960er Jahren in mehreren
und beginnt, hochwertigen Weizen und Reis auf dem Weltmarkt Ent­wicklungsländern, darunter auch in Indien, umgesetzt.
zu exportieren. Solche Erfolge sind auf die grüne Revolution
zurückzuführen.
Mit dem ersten verbesserten Reis- und Weizensaatgut be­
schloss Indien, das bis in die 1960er Jahre die Schwerindus­
trie begünstigt hatte, die landwirtschaftliche Selbstversorgung
anzustreben. Mit Unterstützung der Weltbank wurden die
öffentlichen Investitionen dann vor allem in Technologie und
land­wirtschaftliche Betriebsmittel (Düngemittel, Pestizide usw.)
gelenkt.
Berater fuhren durch Dörfer, erklärten die neuen Techniken und
schlugen subventionierte chemische Düngemittel vor.
Der Staat verstärkte seine Politik des Ankaufs von Getreide zu
garantierten Preisen, um Sicherheitsvorräte anzulegen, aber
auch um den Landwirten einen Absatzmarkt zu bieten, die
dadurch zu Investitionen ermutigt wurden. Die neuen Sorten
sind produktiver als die traditionellen und wachsen schneller,
aber sie sind weniger robust und benötigen mehr Wasser, che­
mische Düngemittel und Pestizide.
© PPC / L. Pin
F. Landy, Le pari non gagné des campagnes de l’lnde,
in DIEM n°20, SEDES, 1997, übersetzt. M3 Traditioneller Reisanbau in Indien

M5 Ursachen der Grünen Revolution


Die Ausgangslage in Indien war das rasche Bevölkerungs­
wachstum ab den 1940er Jahren. Die Ernährung der
schnell wachsenden Bevölkerung war aufgrund von Dürren
und der mangelhaften Effizienz der Landwirtschaft kaum
möglich. So wurden in Asien 1961 pro Person 194 kg Ge­
treide produziert, während es in den USA 868 kg waren. In
der Folge kam es zu zahlreichen Hungersnöten.
https://geohilfe.de/die-gruene-revolution-in-indien-fluch-oder-segen/
[abgerufen am 29.09.2021]

Aufgaben
© terre-net.fr
1. Erarbeite aus M1 die Hauptakteure bei der Ein­-
M4 Maschinelle Reisernte in Indien füh­rung der Grünen Revolution sowie ihre
Beweg­­gründe.
2. Übertrage die Definition aus M2 in dein Heft.
Für 1.000
Personen

3000 Reis
M7 Maßnahmen der Grünen Revolution
2500
Zur Umstellung der Landwirtschaft hat die indische Regie­
Weizen r­ung mehrere Maßnahmen getroffen:
2000
• die Einführung neuer Hochertragssorten
1500
• die intensive Verwendung von chemischen Dünger
• der intensive Einsatz von Pestiziden
1000 • die Installation von Bewässerungssystemen
• verstärkte Mechanisisierung
Übungen

500 • Beratung der Bauern im Umgang mit diesen neuen


Jahre Landwirtschaftsmethoden
0
1965 1975 1985 1995 2005 2015 2025 Als Folge der Intensivierung der Landwirtschaft auf den
Source : FAO 2015 actualisation 2018. Réalisation : S. Coté
bestehenden Feldern mussten die Bauern weniger Bäume
M6 Getreideerzeugung Indiens von1950 - 2018 abholzen, um dadurch neue Felder zu gewinnen.

34 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M8 Folgen der Grünen Revolution


Durch den massiven Einsatz von Maschinen, chemischen Dünge- und
Pflanzenschutzmitteln sowie hochentwickelten Samen konnte Indien
die Produktivität des Ackerbaus steigern − und damit den Hunger der
Bevölkerung stillen. Allerdings auf Kosten der Natur. Denn der jahre­
lange Einsatz von Chemie, also Dünger und Pestiziden, haben den
Boden ausgelaugt. Zudem hat ineffektive Bewässerung in vielen Tei­
len Indiens den Grundwasserspiegel absinken lassen. Mit der Folge,
dass die Erträge der Bauern teil­weise eingebrochen sind, was wieder­
um die Nahrungsmittelpreise ansteigen ließ.
Heute leben mehr als 1,2 Milliarden Menschen in Indien, die Bevölke­
rungszahl hat sich seit dem Startschuss der “Grünen Revolution” mehr
als verdoppelt. Und mit ihr der Hunger.
Dabei ist Indien eine Agrarnation. Mehr als die Hälfte der Bevölke­
rung lebt von der Landwirtschaft. Doch für hunderte Millionen armer
Inder sind Hunger und Nahrungs­unsicherheit dauerhafte, drängende M9 Im Welthunger-Index 2021 belegt Indien Platz
Probleme. Die Zahl unterernährter Kinder liegt in Indien höher als im 101 von 116 Ländern, für die ausreichend Daten
südlichen Teil Afrikas. für die Berechnung der WHI-Werte 2021 vorlie­
Michaela Führer «Die Gefahren von Indiens “Grüner Revolution”», gen. Mit einem WHI-Wert von 27,5 fällt Indien in
www.dw.de, vom 14.05.2013 die Schweregradkategorie ernst.

Aufgaben
3. Vergleiche die Fotos in M3 und M4.
4. Erarbeite aus M5 die Ursachen der regelmäßigen Hungers­
nöte in Indien vor Einführung der Grünen Revolution.
5. Vergleiche in M6 die Getreideerzeugung mit den Ge­­trei­de­
importen Indiens und nimm Bezug zur Grünen Revolution.
6. Erarbeite aus der Doppelseite die positiven als auch
ne­ga­ti­ven Auswirkungen der Grünen Revolution heraus,
und gliedere sie nach ökonomischen, ökologischen und
M10 Nicht nur die Natur wird durch die Pestizide ver­
sozialen Folgen. giftet, auch die Bauern. Aufgrund der Hitze und
7. Diskutiert, ob die Grüne Revolution in Indien ein Erfolg fehlenden Kenntnissen tragen die Bauern beim
oder Misserfolg war. Versprühen der Gifte nur selten Schutzkleidung.
Diese ist in Indien zudem schwer zu bekom­
men und teuer. Ebenso fehlen Schulungen in
Bezug auf den Umgang mit und die Entsorgung
von Pestiziden. Viele der eingesetzen Pestizide
M11 Verlust an Biodiversität
stammen von Europäischen Chemiekonzernen.
Von 30.000 bekannten Reissorten in Indien sind heute noch 20 übrig­ Diese exportieren u.a. nach Indien auch beson­
geblieben, die angebaut werden. Vielmehr dominieren jetzt Klone der ders giftige Pestizide − solche, deren Einsatz in
Hochertragsgetreide großteils die lokalen Genpools, und eine Menge der EU längst verboten sind.
an Genmaterial von traditionellen Sorten (die keine Düngemittel benö­
tigten) ist verlorengegangen. Dabei waren die traditionellen Reissor­
ten sehr gut an die wechselnden Klimate Indiens angepasst. M12 Die Abhängigkeit indischer Bauern
https://www.heise.de/tp/features/Genbanken-fuer-kuenftige-
Generationen-3448201.html [abgerufen am 29.09.2021], ergänzt Die meisten Hochertragssorten und alles gentech­
nisch veränderte Saatgut ist von den Herstellerfir­
men durch Patentrechte ge­schützt. Dadurch können
die Bauern nicht ihr eigenes Getreide als Grundlage
für die Aussaat des folgenden Jahres verwenden,
zumal viele Sorten steril sind. Dies bedeutet, dass
sie das Saatgut jedes Jahr neu kaufen müssen, dazu
die passenden Pestizide und Kunstdünger vom sel­
ben Hersteller Monsanto (jetzt: BAYER).
Die Abhängigkeit der Bauern von internationalen
Firmen kann bei schlechten Erntejahren oder fallen­
den Nahrungsmittelpreisen zur Verschuldung füh­
ren. Jedes Jahr begehen daher tausende indische
Bauern Selbstmord − sie trinken die Pestizide ihrer
Pflanzen. Darüber hinaus konzentrierte sich die Grü­
ne Revolution auf die ressourcenreichen Regionen.
Übungen

© Sharada Balasubramanian / Al Jazeera


Jedoch konnten sich nicht alle Bauern die Umstel­
lung der Landwirtschaft leisten, viele mussten ihr
M13 Durch ineffiziente Bewässerungssysteme ist in weiten Teilen In­ Land verkaufen und rutschten in die Armut ab. Die
diens der Grundwasserspiegel abgesunken sowie Flüsse und Seen
Disparitäten im Land verstärkten sich.
ausgetrocknet. Der Klimwandel verstärkt das Problem zusätzlich.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 35


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M14 Die Zweite Grüne Revolution in Indien


In Indien kaufte Monsanto 1999 das größte Saatgut-Unterneh­ gensatz zum bislang überschaubaren Geldeinsatz das Risiko
men des Landes auf. 2001 erhielt der Konzern die Genehmi­ der Bauern: Fällt die Ernte einmal schlecht aus oder kommt es
gung, Bt-Baumwolle in Indien zu vertreiben (vgl. M14). Diese in einer Saison zu einem Totalausfall, können die laufenden
Baumwoll­pflanzen wurden gentechnisch verändert, um ein In­ Kredite nicht mehr bedient werden, was für den Bauern das
sektizid anzuwenden, das den Baumwollkapselwurm töten soll. Ende der eigenständigen Existenz und den Konkurs bedeutet.
Es zeigte sich aber, dass die gentechnisch veränderte Baum­ Dies alles führte zu einem dramatischen Anstieg der Suizide in
wolle überraschenderweise anfällig für eine Pilzkrankheit war, Indien. Die indische Regierung zählte mehr als 100.000 Selbst­
welche bei herkömmlichen Kulturen bislang kein Problem morde unter den Bauern.
dargestellt hatte. Die Behauptung Monsantos, Bt-Baumwolle Die indische Physikerin Vandana Shiva machte auf diese
benötige kein zusätzliches Pflanzenschutzmittel und sei auch Missstände mit ihrem Buch Seeds of Suicide aufmerksam. Sie
für Kleinbauern geeignet, bezeichnete ein Wissenschaftler als bezeichnete die durch Patente geschützten GVOs in Indien als
Lüge. Monsanto gelang es, in kurzer Zeit praktisch den gesam­ „zweite grüne Revolution“, die sie scharf kritisiert. Sobald Kon­
ten Markt des Landes für Baumwoll-Saatgut zu kontrollieren, zerne Saatgut zu ihrem Eigentum machen und dafür Lizenz­
sodass selbst Bauern, die eigentlich kein gentechnisch verän­ gebühren kassieren können, kontrollieren sie faktisch auch die
dertes Saatgut kaufen wollten, keine Alternative mehr hatten, Lebensmittel. Die erste Revolution war in den 1960er Jahren,
da kein anderes Saatgut mehr am Markt erhältlich war. als die industrielle Landwirtschaft in Indien eingeführt wurde,
Monsantos transgenes Saatgut ist für die Bauern etwa vier bis um den Bauern dadurch mehr Chemikalien verkaufen zu kön­
sechsmal so teuer wie ihr bislang verwendetes. Viele Bauern nen.
sind deshalb gezwungen, erstmals in ihrem Leben einen Kredit https://de.wikipedia.org/wiki/Monsanto,_mit_Gift_und_Genen
[abgerufen am 19.01.2022]
für den Saatgut-Kauf aufzunehmen. Damit steigt auch im Ge­

M15 Anbau von normaler und Bt-Baumwolle. Der Konzern


lockte mit erheblich höheren Erträgen. Die indische Re­
gierung wurde bestochen und zwingt nun die Bauern, M16 Eine Witwe mit ihren zwei Söhnen. Ihr Mann, ein Baumwoll­
das teure BT Cotton Saatgut zu kaufen. Natürliches bauer, hatte sich aufgrund der Überschuldung umgebracht.
Baum­woll-Saatgut gibt es nicht mehr. Die Familie steht nun vor einem großen Berg Schulden.

M17 Die Selbstmorde indischer Bauern


Die Situation der mehr als 260 Millionen Landarbeiter in Indien Geräten und Pestiziden zu industrialisieren.
ist katastrophal. Nach den jüngsten verfügbaren Zahlen sterben In einigen Fällen können die Landwirte ihr Land aufgrund von
täglich fast 30 Menschen in der Landwirtschaft durch Selbst­ Krankheiten, die auf die Pestizide und Düngemittel der ersten
mord, in der Regel aufgrund von Überschuldung. Im Jahr 2020 Grünen Revolution zurückzuführen sind, nicht bearbeiten. Sie
beendeten nach Angaben der Regierung über 10.000 Men­ führen intensive Kämpfe gegen multinationale Konzerne. Und
schen in der Landwirtschaft ihr Leben. das alles, während sie jedes Jahr Kredite aufnehmen müssen,
Indiens gesamtwirtschaftliches Rückgrat − die Bauern und ihre um den landwirtschaftlichen Zyklus zu ermöglichen.
Familien − sind am Zusammenbrechen. Sie stehen unter enor­ Und wenn die Landwirte keine Kredite von seriösen Banken
mem Druck: unüberwindbare Schulden, Umweltzerstörung und bekommen können, springen illegale Geldverleiher (oder so
extreme Krebsraten in Verbindung mit dem Einsatz von Pestizi­ genannte Kredithaie) ein, die exorbitante Zinssätze verlangen
den (vgl. auch M21). und die Landwirte in eine unausweichliche Schuldenfalle
Diese Belastung wird durch den Klimawandel und extreme treiben, die sie in einigen Fällen in den Selbstmord treibt.
Wetterbedingungen − von der Abnahme des Grundwassers bis Der Bundesstaat Punjab ist als die Kornkammer Indiens be­
hin zu Wasserknappheit und Ernteschäden aufgrund steigen­ kannt. Obwohl er nur etwa 3 % der Ackerfläche Indiens aus­
der Temperaturen − noch verschärft, was mit der Zunahme von macht, werden hier fast 20 % des Weizens und 12 % des Rei­
Selbst­morden in Indien in Verbindung gebracht wird. ses des Landes angebaut. Er ist auch als «Ground Zero» für
Die Landwirtschaft ist weltweit ein notorisch wirtschaftlich in­ Indiens Grüne Revolution bekannt. Was in Punjab geschieht, ist
Übungen

stabiler Wirtschaftszweig, aber die Landwirte in Indien sehen ein Warnzeichen für den Rest des Landes. In den letzten fünf
sich einer Vielzahl von Problemen ausgesetzt. Viele von ihnen Jahren ist die Zahl der Selbstmorde im ländlichen indischen
sind Subsistenzlandwirte, die in den Unwägbarkeiten der Grü­ Bundesstaat Punjab um mehr als das Zwölffache gestiegen.
nen Revolution ertrinken, die in den 1960er Jahren begann, um Unisha Kaur «The country where 30 farmers die each day»
die Landwirtschaft mit ertragreichem Saatgut, mechanisierten in www.cnn.com vom 17.03.2022, frei übersetzt

36 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M18 Nichts als Greenwashing!


Und hier wollen wir im großen Stil die zweite grüne Revolution
einleiten. Das ist aber gewagt! Erinnern wir uns an die erste
grüne Revolution, die in den 1960er Jahren in Indien mit der
Idee begann, die Milliarden neuer Menschen zu ernähren, die
sich am Horizont abzeichneten. Wir hatten die Lösung gefun­
den! Die Herstellung von Düngemitteln und Pestiziden aus
einer unbegrenzten Ressource: Erdöl.
Aber diese Art der Landwirtschaft führte zu Katastrophen, in ers­
ter Linie zu menschlichen Katastrophen: In Bhopal, wo die Dün­
gemittel hergestellt wurden, starben nach dem schreck­lichen
Unfall Tausende von Menschen; DDT und andere ­Pestizide der
damaligen Zeit erwiesen sich als schädlich für die Gesundheit
von Mensch und Tier; dutzende Millionen von Bauern wurden
abhängig, verschuldet, Sklaven der Händler von Pestiziden, M19 Der pinke Baumwollkapselwurm ist der gefürchtetste
Düngemitteln und Saatgut. Schädling der indischen Baumwollbauern. Durch auf­
kommende Resistenzen gegen das verwendete Pestizid
Gleichzeitig löschte die Monokultur die Vielfalt der land­wirt­ sind die Bauern gezwungen, immer andere und teurere
schaftlichen Betriebe aus und setzte einheitliche Produkte Schädlingsbekämpfungsmittel zu kaufen − und rutschen
durch. Die biologische Vielfalt auf dem Land und im Wasser dadurch immer tiefer in die Verschuldungsspirale.
hat irreversible Schäden erlitten. Zudem wurden die Ernäh­
rungsmodelle nach westlichem Vorbild ausgerichtet: immer
mehr Fleisch, ein massiver Zuspruch zu Weizen und ein enor­
mer Wasserbedarf. Die Ökosysteme werden ge­schä­digt und M20 Einseitige Politik der indischen Regierung
die Abholzung beschleunigt sich. Fruchtbare Böden werden
durch Erosion ins Meer gespült. Trotz aller Bemühungen sind Wir von Ekta Parishad, einer großen sozialen Bewegung, die
immer noch 600 Millionen Menschen auf dem Land schwer sich für die Rechte ausgegrenzter Gemeinschaften einsetzt,
unterernährt, da ihr Einkommen zu gering ist, um Zugang zu haben eine Studie im Bundesstaat Chhattisgarh im Süden
chemischen Hilfsmitteln zu haben. Zentralindiens durchgeführt, bei der wir die traditionelle
Nahrungs­ erzeugung untersucht haben sowie die Beein­
Die neue Revolution bezeichnet sich wiederum als «grün».
trächtigungen, von denen die indigene Bevölkerung in einer
Dabei ist dies letztendlich nur Green­washing, da die Dominanz
be­stimmten Region Chhattishgarhs betroffen ist. Das Ergeb­
der Großindustrie und die Verwendung von transgenem Saat­
nis hat uns schockiert. Dort wurden früher mehr als zwölf Sor­
gut genau dieselbe ist.
ten Ur-Getreide und Ölsaaten angebaut, außerdem mehr als
Stéphane Hessel und Robert Lion, Direktor und Präsident von Agrisud, siebzehn Arten von Obst und Gemüse.
Le Monde, 2010, frei übersetzt, gekürzt
Über die Jahre ist die Mehrheit davon verschwunden, was
zum einen an äußeren Faktoren wie dem Klimawandel liegt,
zum anderen aber am Fehlen jeglicher unterstützenden Poli­
tik für diese traditionelle Nahrungsproduktion. Die Menschen
haben ihr vielfältiges Nahrungsangebot verloren, außerdem
wurden sie anfällig für neue Krankheiten, weil sie an den
neuen Reis und Weizen nicht gewöhnt sind.
Man könnte diese alten Pflanzensorten noch in den Samen­
banken finden, von denen es in Indien viele gibt. Aber an
einer Wiederbelebung traditioneller Nutzpflanzen haben
die staatlichen Stellen ebenso wenig Interesse wie an einer
Förderung der Bevölkerungsgruppen, die sie anbauen und
konsumieren. Dem Staat geht es vor allem darum, immer
mehr Hybridsaaten oder womöglich genetisch verändertes
Saatgut oder Kreuzungen einzusetzen, um so die produzier­
ten Mengen zu steigern.
Das Desinteresse des Staates an der traditionellen Ernäh­
M21 Protest indischer Bauern im März 2015 gegen die Politik
ihrer Regierung. Sie fordern neben der Ablehnung der rung und seine Förderung einer vermeintlich „modernen“
Einführung von GV-Pflanzen auch ein Mindesteinkom­ Landwirtschaft ist schwer zu erklären. Auch an den großen
men für alle landwirtschaftlichen Haushalte. landwirtschaftlichen Universitäten wird fast gar nicht über
Das Bt-Saatgut ist nicht nur teurer, auch die versproche­ lokale und traditionelle Ernährungsweisen geforscht, es
nen hohen Erträge treten nicht immer ein. Diese Baum­ gibt kein Interesse, und niemand verlangt es von ihnen. Die
wollpflanzen sind auf künstliche Bewässerung gezüchtet, Wissenschaftler sind viel zu sehr von der westlichen Pro­
doch die gibt es in diesen Regionen nicht. Entweder ist es duktionsweise beeinflusst und kümmern sich nicht um die
zu trocken, oder aber der Monsun weicht den Boden auf. kulturellen Rechte der Bauern.
Beide Konstellationen mag die Gen-Baumwolle nicht. Ramesh Sharma, Agrar- & Ernährungspolitik 02/2021, gekürzt

Aufgaben
Übungen

8. Erkläre den Unterschied zwischen der Ersten und der 10. Erläutere den Titel von M18.
Zweiten Grünen Revolution (M14). 11. Arbeite aus M20 die Vorwürfe heraus, die der Autor
9. Nenne die Ursachen für die Selbstmorde der in­di­ der indischen Regierung macht.
schen Bauern (M15 - M17, M21).

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 37


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1.3 Ursachen der globalen Hungerkrise


1 Falsche politische Entscheidungen
M2 Schlechte Regierungsführung
Die Regierungen in Entwicklungsländern richten ihre Politik
meist nicht an den Bedürfnissen der ärmsten Bevölkerung
aus. Es fehlen Strategien, die Landwirtschaft im eigenen
Land so zu fördern, dass niemand mehr hungern muss. So
fehlt es am politischen Willen von Regierungen, den Zugang
zu Nahrungsmitteln für die Ärmsten zu sichern. Sei es durch
© Wikiwand Schulspeisungen, soziale Stützungsgelder oder das Sichern
lokaler Märkte in Corona-Zeiten.
M1 Eine Kaffeeplantage in Brasilien. Die weltweite Kaffeepro­
duktion geht zum größten Teil in den Export (sogenannte Zusätzlich werden gesetzliche Regulierungen gebraucht,
cash crops). Diese Anbauflächen stehen daher der loka­ die faire Preise für Exportprodukte wie Kakao oder Kaffee
len Bevölkerung für die Nahrungsmittelproduktion (food garantieren, damit die Bauern nicht hungern müssen.
crops) nicht mehr zur Verfügung. Da Exporte dem jewei­ Dazu kommt noch ein anderes, typisches Kennzeichen
ligen Staat Devisen (= Gelder in ausländischer Währung) schlechter Regierungsführung: die Korruption.
bringen, wird diese Anbauform oft politisch gefördert.
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/ [abgerufen am 13.10.2021];
Jantje Hannover, «UN-Gipfel gegen Hunger: Wie die Welt künftig ernährt
werden soll» vom 09.09.2021, modifiziert

M3 Vom Hunger zum Krieg


Armut ist einer der Hauptfaktoren, der zu bewaffneten Landwirtschaftliche
Kon­flikten führt. Schwache staatliche Strukturen, ein stag­ Strukturen werden zerstört

nierendes Wirtschaftswachstum, eine hohe Jugendarbeits­


losigkeit und der ungleiche Zugang zu Einkommen, Land
und natürlichen Ressourcen bilden die Grundlagen für die
Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen und schaffen
ein Klima der Perspektivlosigkeit, das Menschen empfängli­
cher für Gewaltstrategien macht. Krieg Menschen
müssen fliehen
Felder werden
nicht bestellt
Nahrungsmittel
werden rar und teuer
Hunger

So sehr der Hunger für angespannte Situationen sorgt und


zu Konflikten führt, so stark wird er auch absichtlich zur
Kriegswaffe instrumentalisiert. Es ist ein zweischneidiges Handel wird
geschwächt
Schwert. Kriegsparteien verhindern die humanitäre Ver­ Quelle: Welthungerhilfe, Realisierung: S. Coté © Welthungerhilfe

sorgung durch Hilfsorganisationen, indem sie die Versor­ M4 Vom Krieg zum Hunger: politische Konflikte zwingen die
gungsrouten blockieren oder sogar die Konvois mit den Menschen zur Flucht und legen die Landwirtschaft lahm,
lebenswichtigen Mitteln plündern. Das bedeutet, Lebensmit­ auch mit globalen Folgen, wie der Ukraine-Krieg zeigt.
tel und Medikamente kommen bei den Bedürftigen nicht an, Die Ukraine, Kornkammer Europas, produziert zusam­
was die bereits angespannte Situation der Zivilbevölkerung men mit Russland ein Viertel des global gehandelten
noch mehr strapaziert. Das Aushungern der Bevölkerung Weizens. Der Krieg sorgt weltweit für steigende Preise
wird gezielt als Druckmittel eingesetzt, um die oppositionelle und führt in vielen Ländern mit extrem angespannter
Partei zur Kapitulation zu bringen. Ernährungslage zu neuen politischen und Hungerkrisen.
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/krieg-macht-hungrig/#c21887
[abgerufen am 13.10.2021]

M6 Entwicklung der Weltmarktpreise für Weizen und Mais


von 2004 bis 2020 in US$. Finanzspekulationen auf die
Preisentwicklung von Nahrungsmitteln an der internatio­
© KEYSTONE/AP NY/NATACHA PISARENKO nalen Börse in Chicago trei­ben immer wieder die Preise
M5 Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich verschärft sich in die Höhe. Für Menschen, die kein regel­mäßiges Ein­
immer mehr, sowohl global als auch innerhalb der einzel­ kommen haben, können schon kleinste Preissteige­
Übungen

nen Länder. Die Corona-Pandemie hat diese Ungleich­ rungen auf Getreide und andere Grundnahrungsmittel
heit noch zusätzlich verstärkt. So besitzt ein Prozent der fatale Folgen haben. Auch Hilfsorganisationen kaufen bei
Weltbevölkerung fast die Hälfte des Weltvermögens. Die Hunger­krisen ihre Nahrungsspenden auf dem Weltmarkt
„unterste Milliarde“ der Armen und Hungernden hat kaum ein − sind die Preise dafür hoch, kann weniger eingekauft
eine Chance, sich aus ihrer Situation zu befreien. und damit weniger Menschen versorgt werden.

38 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M7 Agrar- und Export-Subventionen der EU


Seit vielen Jahren steht die EU in der Kritik, über ihre Sub­
ventionspolitik in der Landwirtschaft die lokalen Märkte in
Afrika zu zerstören. Über Direktzahlungen (Subventionen)
geht Geld von der EU an die europäischen Erzeuger, was
den Verkaufspreis ihrer Produkte künstlich verbilligt. Werden
diese landwirtschaftlichen Produkte dann von der EU nach
Afrika exportiert, so erhält der Produzent zusätzlich Export­
subventionen. Dies macht die Ware im Ausland so billig,
dass lokale Bauern preislich nicht mithalten können − und
dadurch ein Huhn aus der EU in Togo billiger zu kaufen ist
als ein in Afrika aufgezogenes Huhn.
Thomas A. Friedrich, «Afrikas ländliche Räume rücken in den Fokus der EU» M8 Der traditionelle Fischfang kann die Menschen in Gam­
www.topagrar.com vom 15.04.2019, modifiziert bia nicht mehr ernähren, seitdem internationale Konzerne
von industriellen Fangflotten − auch aus Europa − das
Gebiet vor der Küste des westafrikanischen Landes leer­
fischten. Die europäischen Gewässer gelten zu 90 Pro­
zent als überfischt, worauf die europäischen Fischer­ei­-
konzerne mit einer Ausweitung ihrer Fanggründe reagier­
ten. Die Schiffe wurden größer, die Konzerne handelten
mit westafrikanischen Staaten Fanglizenzen aus, die die
EU nach Angaben von Greenpeace mit etwa 140 Millio­
nen Euro subventioniert hat. Es dauerte nicht lange, bis
auch die westafrikanischen Gewässer überfischt waren.
Allein die Bestände des dort wichtigen Zackenbarschs
gingen um 80 Prozent zurück. Tausende Fischer in West­
afrika wurden arbeitslos, viele machten sich auf den Weg
© World Bank / Sambrian Mbaabu
nach Europa.
M9 Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Gesundheits­ Bernd Dörris «Wie EU-Staaten das Meer vor Westafrika leerfischen»,
krise hat nicht nur eine Wirtschaftskrise ausgelöst, sie ver­ www.süddeutsche.de vom 29.09.2017
schärft die vorhandene Krise der Ernährungssicherheit
und -versorgung. Zwischen Mai 2020 und April 2021
sind die Lebensmittelpreise im Schnitt um 25 Prozent
gestiegen – so stark wie seit zehn Jahren nicht. Grund
M10 Verschuldung der Entwicklungsländer
sind logistische Probleme, Mangel an Arbeitskräften und «Der IWF und die WTO verhindern mit ihrer Liberalisie­
durch den Lockdown gesunkene Einkommen. Die Zahl rungs- und Privatisierungspolitik aktiv das Recht auf Nah­
der Hungernden steigt. rung und in geringerem Maß auch die Weltbank. Die meisten
Auf dem Weltmarkt kosteten Agrar-Rohstoffe nach den Ent­wicklungsländer sind hoffnungslos verschuldet. Und sie
Daten der Welternährungsorganisation FAO im ersten haben auch keine Chance, aus diesem Teufelskreis auszu­
Pandemie-Jahr 2020 insgesamt 31 Prozent mehr als ein brechen. Ganz im Gegenteil, wenn sie ein Schuldenmora­
Jahr zuvor. Ölsaaten wie Raps gar doppelt so viel. Mit torium oder eine Umfinanzierung wollen, dann müssen sie
etwas Verzögerung könnte das ebenfalls einen Einfluss sich dem Diktat des IWF unterwerfen − das nennt sich dann
auf die Preise für Nahrungsmittel nehmen. So kostet Strukturanpassungprogramm. [...]
Mais inzwischen etwa doppelt so viel wie vor einem Jahr, Meist bedeutet das massive Kürzungen der Ausgaben im
auch Soja und Weizen sind deutlich teurer geworden. Gesundheitswesen, Bildungs- und Sozialbereich − oder aber
Ein Grund dafür war die Lagerhaltung in Pandemiezeiten bei Subventionen auf Grundnahrungsmittel. Ein Parade­-
sowie ein Handelsstreit zwischen USA und China. bei­spiel für Sparzwang ist Sambia. Anfang der 1980er-Jahre
Brigitte Scholtes und Stefan Ehlert «Wenn das Essen zu teuer wird», wurde dort der Maisanbau vom Staat mit 70 Prozent sub­
www.deutschlandfunk.de vom 18.07.2021, modifiziert, ergänzt ventioniert. Auch die Bauern bekamen Unterstützung. Alle
wurden satt. Dann verordnete der IWF zunächst die Ver­
ringerung und dann die Abschaffung dieser Subventionen.
M11 Rohstoffabhängigkeit Zudem wurden die staatlichen Zuschüsse für den Kauf
von Dünger, Saatgut und Pestiziden verboten. Schulen
Entwicklungsländer exportieren vor allem Rohstoffe, die und Krankenhäuser, die bis dahin umsonst waren, wurden
Gewinne schöpfen reiche Staaten oder deren Unternehmen kostenpflichtig. Als Folge dieser Politik stürzte das Land ins
ab. Viele afrikanische Länder hängen daher finanziell von Elend, die Kindersterblichkeit explodierte. 2010 waren 45
dem Export der Rohstoffen ab. Deren Preise werden an den Prozent der Sambier permanent schwerst unterernährt.»
Roh­stoffbörsen der Industrieländer bestimmt − sinken diese,
[Jean Ziegler]
fehlt den Staaten eine äußerst wichtige Einnahmequelle.
Interview von Stefan Keilmann für tagesschau.de mit Jean Ziegler
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/ [abgerufen am 13.10.2021], ergänzt am 19.09.2012, gekürzt

Aufgaben
Übungen

1. Erarbeite aus den Materialien dieser Doppelseite die 3. Arbeite aus M7 und M8 die Verantwortlichkeit der EU
Ursachen von Hunger. für den Hunger in Westafrika heraus.
2. Erläutere den Zusammenhang von Krieg und Hunger 4. Erläutere die in M10 von Jean Ziegler kritisierte
am Beispiel des Ukraine-Krieges (M3, M4). Politik der WTO und des IWF.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 39


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2 Naturkatastrophen und der Klimawandel

M1 Heuschreckenplage in Afrika
Seit Beginn der kenianischen Heuschreckeninvasion Anfang
dieses Jahres konnten die Plagen-Bekämpfer in der Isiolo-
Provinz 15 von 43 Schwärmen vernichten. Doch inzwischen
werden bereits wieder 34 Schwärme gezählt – und die sind
noch umfangreicher als die ihrer Eltern aus der vierten Gene­
ration. „Wir haben die erste Runde verloren“, resigniert Salad
Tutana, der Leiter des Landwirtschaftsministeriums in Isiolo.
Mit der Geburt der fünften Generation ist die Heuschrecken­
plage – die schlimmste, die Kenia seit 70 Jahren erlebt hat –
in eine neue Phase getreten. Nach Berechnungen von Seu­ © rtr / BAZ / Ratner
chen­forschern vermögen sich die Heuschrecken von Genera­
M2 Ein Mann versucht in der Nähe der kenianischen Stadt
tion zu Generation um das Zwanzigfache zu vermehren. Bis Nanyuki einen Schwarm Heuschrecken zu bekämpfen.
Juni könnten sich die Heuschreckenschwärme in Ost­afrika
um das 400-fache vergrößert haben.
Schon jetzt sind die Fresser, deren Schwärme mittlerer Größe
täglich die Nahrungsmittel von 35.000 Menschen verschlin­
M3 Klimawandel, Hunger und Flucht
gen, neben Kenia, Äthiopien und Somalia auch schon in Der Klimawandel verursacht weltweit Hunger und Armut.
Eritrea, Uganda, Tansania, dem Sudan, Südsudan und Kon­ Denn klimatische Veränderungen führen zunehmend dazu,
go angelangt. dass Ernten ausbleiben und Wetterextreme Lebensräume
Und in Ostafrika wird derzeit für die bevorstehende Regen­ zerstören. Daher sehen sich immer mehr Menschen dazu
saison gepflanzt: eine Phase, in der die Fresser den größ­ gezwungen, aufgrund des Klimawandels ihr Zuhause zu
ten Schaden anrichten. Gelingt es den Seuchenbekämpfern verlassen. Die Weltbank schätzt, dass bis zum Jahr 2050
weiterhin nicht, den gefräßigen Insekten Einhalt zu gebie­ bis zu 143 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden
ten, werden bald 25 Millionen Menschen in der Region vom könnten, denn die Auswirkungen auf ihren Lebensraum und
­Hunger bedroht sein, warnen die UN. „Wir haben den Ernst ihre Existenz sind so dramatisch, dass sie keinen anderen
der Lage zu spät erkannt“, sagte Kenias Landwirtschaftsmi­ Ausweg mehr sehen.
nister Peter Munya kürzlich: „Und jetzt gehen uns auch noch Zum einen steigt der Meeresspiegel, so dass Küstengebiete
die Insektenvernichtungsmittel aus. und Deltas durch Sturmfluten immer häufiger überschwemmt
www.tagesspiegel.de, vom 10. März 2020 und Ackerflächen durch das salzhaltige Meerwasser zerstört
werden. Der Verlust der Ernte, nutzbarem Boden, eventuell
Vieh und der Behausung zwingen die Menschen dazu, ihren
Lebensraum aufzugeben.
Zum anderen werden Wetterextreme immer häufiger.
Wirbel­stürme, Überschwemmungen und Dürren betreffen
vor allem die Länder des globalen Südens, die auch nicht
die finanziellen Mittel haben, um die dadurch verursachten
Schäden zu mildern. Neben dem Verlust von Ackerflächen
und Vieh können auch Teile der Infrastruktur zerstört wer­
den. Insbesondere nach Überschwemmungen breiten sich
Krank­heiten aus, die die von Hunger geschwächten Men­
schen besonders hart treffen.
Neun von zehn Flüchtlingen suchen Schutz im eigenen
Land oder in Nachbarstaaten. Die ankommenden Flüchlinge
erhöhen den Druck auf die Nahrungsmittelproduktion und
-verteilung, was zu Versorgungsengpässen und Konflikten
© arche noVa
führen kann.
M4 Der Klimawandel verschärft den Hunger. In weiten Teilen
der Sahelzone sowie im Osten und Süden Afrikas regnet
es immer weniger oder mancherorts seit Jahren nicht
mehr. Lang anhaltende Dürren zerstören die Ernte und Aufgaben
die Weideflächen, Menschen und Tiere hungern.
1. Überlege dir − zusätzlich zu der in M1 und M2
genannten Naturkatastrophe − noch weitere, die
M5 COVID-19 zu ver­stärk­tem Hunger führen können. Begründe
deine Ent­scheidungen.
Die Pandemie hat die Schwächen und Defizite globaler Er­
nährungssysteme noch deutlicher hervortreten lassen. Men­ 2. Erstelle mithilfe der Fakten aus M3 und M4 ein
schen, die ohnehin unter Armut, bewaffneten Konflikten und Schaubild, wie der Klimawandel Hunger und
der Klimakrise leiden, erfahren durch die Pandemie eine dop­ Flucht ver­ur­sacht. Notiere zuerst die Stichwörter
Übungen

pelte Belastung. Durch einge­schränkte Transportwege ist der aus den Mate­rialien und bringe diese dann über
Zugang zu Nahrung massiv verringert worden. Kleinbauern Pfeile in Zusammenhang.
konnten durch den Lockdown ihre Waren nicht mehr auf dem
Markt verkaufen. Andere verloren ihre Arbeit und rutschten in 3. Erkläre den Zusammenhang von COVID-19 und
die Armut ab. Hunger (M5).

40 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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EXKURS
Die Landwirtschaft als Verursacher des Klimawandels

M2 Verteilung der Treibhausgase aus der Nahrungsmittelproduktion


Die Landnutzung ist für 24% mittelemissionen stammen aus der
verant­wortlich. Dabei resultieren Pflanzenproduktion für den direkten
16% aus der Landnutzung für die menschlichen Verzehr und 6% aus
Viehzucht und die restlichen 8% für der Produktion von Tierfutter. Es
den Anbau von Obst und Gemüse handelt sich um die direkten Emissio­
für den mensch­ lichen Verzehr. Die nen, die aus der landwirtschaftlichen
Expansion der Landwirtschaft führt Produktion resultieren − dazu gehö­
zur Umwandlung von Wäldern, Gras­ ren Elemente wie die Freisetzung von
land und anderen Kohlenstoffsenken Distickstoffoxid bei der Ausbringung
in Acker- oder W­ eideland, was zu von Düngemitteln und Dung, Methan­
erhöhten Kohlendioxidemissionen emissionen aus der Reisproduktion
führt. und Kohlendioxid aus landwirtschaft­
M1 Treibhausgasemissionen in der EU nach Viehzucht und Fischerei sind für lichen Maschinen.
Sektoren 2019 (Angaben gerundet) 31% verantwortlich. Die Viehzucht Die Lieferketten sind für 18%
(Tiere, die für die Produktion von verant­wortlich. Lebensmittelver­ar­
Fleisch, Milch, Eiern gezüchtet wer­ tung (Umwandlung der Produkte
bei­
den) trägt auf verschiedene Weise vom Bauernhof in Endprodukte),
1.792 482 zu den Emissionen bei. Wieder­ Transport, Verpackung und Ein­
5.900 käuer (hauptsächlich Rinder) produ­ zel­
handel erfordern Energie- und
CH4 CO2 N20
CO2
zieren zum Beispiel Methan durch Ressourcen­ einsatz. Ein Viertel der
ihre Verdauungsprozesse. Dünger­ Emissionen (3,3 Milliarden Tonnen
management, Weidemanagement CO2-Äquivalent) aus der Lebens­
und Treibstoffverbrauch von Fisch­ mittelproduktion enden als Abfall,
Umwandlung Methan aus der Erzeugung von e­­rei­fahr­zeugen fallen ebenfalls in ent­weder durch Verluste in der Liefer­
von Wälder in Verdaung von Mineraldünger diese Kategorie. kette oder durch die Verbraucher.
Grünland Wiederkäuern und Pestiziden
Die Pflanzenproduktion ist für 27% https://klimawandel-landwirtschaft.webflow.io/
2.118 ver­­ant­wortlich. 21% der Lebens­ gekürzt [abgerufen am 17.10.2021]
N2O 672
CH4 N2O 413
CH4 N20
global regional lokal

CH4 NH3
Lachgas aus Ernterückstands- Organischer
Klima- Versauerung, Eutrophierung
Mineraldünger verbrennung Dünger N2 0
relevanz Sekundärpartikel
616 158 369 CO2 Partikel
CH4 CO2 CO2 Bioaerosole
Gesundheit
Geruch
Nachbarschaft
Nassreisanbau Maschineneinsatz Bewässerung
Quelle: Greenpeace (2008), Realisierung: S. Coté
Lärm
M3 Quellen direkter und indirekter Treibhaus­
gase in der globalen Landwirtschaft in Mil­ M4 Die globale Landwirt­schaft ist für etwa 40% der Methan-, 30 %
lionen Tonnen CO2-Äquivalente/Jahr. der CO2- und 60% der Lachgas-Emissionen verant­wort­lich.

M5 Milchprodukte und Fleischkonsum Aufgaben


Die fünf größten Milch- und Fleischkonzerne (JBS, Cargill, 1. Benenne den in M1 genannten Anteil der Landwirt­
Tyson, Dairy Farmers of America und die Fonterra Group) schaft an den Treibhausgasemissionen der EU.
stießen 2016 gemeinsam 578 Millionen Tonnen CO2-Äqui­
valente (MtCO2) aus. Das ist mehr als alle Emissionen
2. Erstelle mithilfe der Prozentangaben aus M2 ein
Großbritanniens (507 MtCO2 in 2015) oder Frankreichs Kreis­diagramm mit den Anteilen der verschiede­
(464 MtCO2) und übertrifft Ölriesen wie Exxon (577 MtCO2 nen Sektoren innerhalb der Landwirtschaft.
Übungen

in 2015) oder Shell (508 MtCO2). Die 20 größten Fleisch- 3. Erstelle ein Säulendiagramm auf Basis der Daten
und Milchkonzerne verursachten 2016 mit 932 Mt CO2 in M3.
mehr Emissionen als Deutschland.
https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/
4. Überlege, wie eine umweltfreundliche, nachhal­
klima-und-energie.html [abgerufen am 18.10.2021] tige Ernährung aussieht (M2 - M5).

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 41


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3 Biokraftstoffe
Anteil Produktionsländer 2017
M1 Was sind Biokraftstoffe? M2 Ethanol +
Biodiesel in %
Zuckerrohr
Biokraftstoffe sind flüssige oder gasförmige Brennstoffe, die Ethanol oder
Lateinamerika
aus Biomasse aus Pflanzen oder pflanzlichen Materialien 30
Zuckerrüben
hergestellt werden. Sie dienen insbesondere im Verkehrs­
sektor als Alternativen zu fossilen Kraftstoffen. + oder
Weizen 76 %
5,8 Asien-Pazifik
4 Europa

Biokraftstoffe der ersten Generation werden aus pflanzlichen oder


Ölen und Zuckern (von Raps, Mais, Zuckerrüben, Getreide) Benzin Mais
62,5
hergestellt.
Nordamerika
Biokraftstoffe der zweiten Generation basieren auf Ausgangs­ Palmöl
stoffen, die in der Regel nicht aus Nahrungsmittelpflanzen Biodiesel oder
Latein-
Nordamerika
amerika
erzeugt werden und nicht zum menschlichen Verzehr geeig­ Raps 26 20,6
net sind. Dazu gehören u. a. gebrauchtes Speiseöl und Ab­
fälle aus der Land- und Forstwirtschaft (wie Cellulose, Holz,
+ oder
Sonnenblumen
24 % 16 Asien-Pazifik

Vergärung von Biomasse, Klärschlamm). oder


Diesel Soja
https://www.eea.europa.eu/de/signale/die-zukunft-der-energie-in-1/ oder
infografiken/biokraftstoffe-in-europa/image/image_view_fullscreen, weltweit 37,4
[abgerufen am 30.09.2021] ergänzt
sonstiges produziert Europa
Source : UNEP, 2009, Statista 2017
Réalisation : S. Coté

Aufgaben M3 Warum Biokraftstoffe?


1. Erkläre die Entstehung und Verwendung von Bio­- Im Jahr 2009 beschlossen die EU-Staats- und Regierungs­
kraftstoffen (M1 und M2). chefs die Einführung von E10 an Tankstellen − einer Bei­
mischung bei erdölbasierten Kraftstoffen von einem maximal
2. Nenne die Gründe der Politik für die Produktion zehnprozentigen Anteil an (Bio-)Ethanol (E10) bis zum Jahr
und Verwendung von Biokraftstoffen (M3). 2020. Ziel war es, sich von ausländischen Ölimporten unab­
3. Analysiere die Karikatur in M4. hängiger zu machen und gleichzeitig den Ausstoß von CO2
zu reduzieren.
4. Gib die Aussage von M5 in einem Satz wieder.
Biokraftstoffe spielen auch in Ländern außerhalb Europas
5. Erläutere mithilfe der Materialien M6 bis M8 die eine Rolle in der Energiepolitik. Brasilien (Ethanol auf Zucker­
Folgen des Biosprit-Booms. Unterscheide dabei in rohrbasis seit Mitte der 70er Jahre) und die USA (Ethanol auf
ökologische und soziale Aspekte. Maisbasis als weltgrößter Produzent und Nutzer) sind dabei
schon lange von herausragender Bedeutung.
6. Kritiker sagen, dass die EU mit dem Biosprit das
Zwischenzeitlich haben auch Kanada, Argentinien, Equa­
Problem nur auslagere. Erkläre, was damit ge-
dor, Kolumbien, Paraguay, Peru, Jamaika, Panama, Ango­
meint sein könnte. la, Äthiopien, Kenia, Malawi, Mosambik, Südafrika, Sudan,
7. Bewerte die Pläne der EU (M9). China, Indien, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Süd­
korea, Thailand, Vietnam und Australien in jeweils irgend­
8. Gestalte ein Schaubild, das den direkten und einer Form eine nationale Biokraftstoffquote eingeführt. ­Die
indirekten Zusammenhang des Biosprit-Booms mit dahinter stehende Politik bezieht sich stets grundsätzlich auf
dem weltweiten Hunger aufzeigt. Klimaschutz, hat jedoch vielfach auch zum Ziel, sich durch
die Produktion inländischer erneuerbarer Energieträger aus
der Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffimporten zu lösen.
Horst Fehrenbach «Einsatz von Biokraftstoffen im Verkehrs-
sektor bis 2030», S. 4, ifeu Heidelberg, Juni 2019, ergänzt
M4

M5
Übungen

42 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M6 Auswirkungen der Biokraftstoffe


Die von Oxfam und der Heinrich-Böll-Stiftung im Dezember
2013 vorgelegte Studie** zu den Auswirkungen von Biokraft­
stoffen auf globale Agrarpreise und Klimawandel belegt: Bei
einem Wegfall der EU-Förderung von Biosprit würden netto
27 Millionen Tonnen weniger Getreide und Ölsaaten in die
EU importiert. Dadurch würde die globale Nachfrage nach
Biomasse abnehmen und die Weltmarktpreise für Nah­
rungsmittel würden spürbar sinken.
Die europäische Biokraftstoffpolitik erhöht die weltweiten
Lebensmittelpreise. Das ist der breite wissenschaftliche
Konsens, der sich aus einer Überprüfung von mehr als
100 wirtschaftlichen Modellstudien über die Auswirkungen
der gestiegenen Nachfrage nach Biokraftstoffen aus Nah­
rungspflanzen auf die Lebensmittelpreise ergibt. Die gestie­ © OroVerde / Anna Hömberg

gene Nachfrage nach Biodiesel hat den Preis für pflanzliche


Öle wie Raps, Palmöl, Soja und Sonnenblumen in der EU
M7 Bei allen Biokraftstoffen aus Anbau-Biomasse besteht
ein fundamentales, unlösbares Problem: Durch ihren
um 171 % pro produziertem Exajoule (EJ) Biodiesel in die Einsatz erhöht sich der weltweite Bedarf an Agrarflächen.
Höhe getrieben, so die Analyse der Beratungsfirma Ceru­ Wie hier in Indonesien erstrecken sich Palmöl-Plantagen
logy für BirdLife Europe und T&E. weltweit über viele Qua­ drat­
kilometer. In diesen groß­
Der Nutzen von Biokraftstoffen ist ohnehin hoch umstritten. flächigen Monokulturen können keine Tiere überleben,
Biosprit ist nämlich nicht „bio“ wie der Name vermuten lässt: da es an Nahrung fehlt. Das einstige Ökosystem des
Anbau, Ernte, Verarbeitung und Transport zum Endkunden tropischen Regenwaldes ist zerstört. Zudem laugen die
verschlingt sehr viel Energie. Die pflanzliche Alternative zum Monokulturen die Böden aus und benötigen daher sehr
Benzin spart vielfach keine Emissionen ein. Biodiesel aus viel künstlichen Dünger und Pestizide. Diese Chemika­
Palmöl ist sogar dreimal schlechter für das Klima als fossiler lien gelangen in Boden, Grundwasser und Flüsse, und
Diesel. Die europäischen Pkw und Lkw sind heute die größ­ vergiften ganze Landstriche.
ten Verbraucher von Palmöl in Europa.
Wichtige CO2-speichernde Ökosysteme, insbesondere
Regenwälder und Feuchtgebiete, werden durch die steti­ge
«Wenn alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger
Expansion von Agrarflächen verdrängt. Durch Waldrodung
und Trockenlegung von Mooren ent­stehen enorme zusätz­ stirbt, ist es ein Verbrechen gegen die Mensch­
liche Emissionen, die bei den meis­ten Anbau-Biokraftstoffen lichkeit, Autos mit Lebensmitteln zu betanken.»
die Klimabilanz ins Negative verkehren. Das heißt: Biosprit Jean Ziegler
aus Nahrungs- und Futtermittel­pflanzen verursacht in der
Regel mehr Treibhausgasemissionen als fossiler Treibstoff.
Außerdem ist der Anbau von Energiepflanzen für Biosprit
häufig der Grund für „Landgrabbing“ (vgl. S. 46). Die Beimi­ M9 Die Pläne der EU
schungsquoten in den USA und in der EU locken Investo­
In ihrem Agrarausblick 2021-2031 prognostiziert die Kommis­
ren an, die in den letzten Jahren verstärkt großflächig Land
sion, dass die Verwendung von Biodiesel und Bioethanol
kaufen oder pachten, um dort Biosprit für die Industriestaa­
noch bis 2023 ansteigen, dann aber bis 2031 sinken wird.
ten anzubauen. Immer weniger Fläche steht dadurch für die
Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Vor allem der Verbrauch von Biodiesel wird sich verringern,
da im Straßenverkehr durch die aufkommende Elektro­
https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/biokraftstoffe-auswirkungen- mobilität immer weniger Dieselfahrzeuge unterwegs sein
globale-agrarpreise-klimawandel [abgerufen am 29.09.2021];
Positionspapier | Biokraftstoffe und Klimaschutz im Verkehr, Deutsche
werden. Der Rückgang bei Biodiesel würde aufgrund stren­
Umwelthilfe e.V. vom 06.03.2020; gerer Nachhaltigkeitskriterien vor allem die Verwendung
Jori Sihvonen «Biofuels policies drive up food prices, say over 100 studies«, von Palmöl betreffen, während die Verwendung von Rapsöl,
www.transportenvironment.org vom 03.10.2017 das etwa die Hälfte der Biodiesel-Rohstoffe ausmacht, sta­
** Studie nach­zulesen unter https://www.oxfam.de/system/files/biofuels_ bil bleiben dürfte, so der Bericht. Die Verwendung von Bio­
effects_­on_global_agricultural_prices_and_climate_change_oxfam.pdf ethanol wäre weniger stark betroffen, da es auch für andere
Zwecke als für Kraftstoffe verwendet wird.
Im Rahmen der EU-Richtlinie über erneuerbare Energien
sollen Kraftstoffe auf Palmölbasis bis 2030 auslaufen, da
M8 Voller Tank schafft leere Teller Palmöl von der EU als Ursache für übermäßige Abholzung
eingestuft wurde, was zu einem Aufschrei bei den beiden
Die Folgen von Biosprit für die weltweite Ernährungslage weltweit größten Palmölproduzenten Malaysia und Indone­
sind gravierend. Würde man das Land, das für die Pro­ sien führte.
duktion von Biokraftstoffen für die EU verwendet wird, für
den Anbau von Weizen und Mais nutzen, würden 127 Millio­ Es wird erwartet, dass die EU ein Nettoimporteur von Bio­
nen Menschen ein ganzes Jahr lang davon satt. Das zeigt kraftstoffen bleibt, aber die Einfuhren von Biodiesel werden
Oxfams heute veröffentlichte Studie „The Hunger Grains“ **. wahrscheinlich auch durch Ausgleichszölle auf Einfuhren
90 Prozent der erneuerbaren Energien für den EU-Trans­ aus Argentinien und Indonesien begrenzt werden.
portsektor werden aus Grundnahrungsmitteln hergestellt. Bei der Ethanolproduktion rechnet die Kommission damit,
dass Mais mit einem Anteil von rund 44 % der wichtigste
Übungen

https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/hunger-getreide
vom 17.09.2012 Rohstoff bleiben wird, während die Verwendung von Weizen
zurückgehen dürfte und andere Getreidearten und Zucker­
** Studie nach­zulesen unter https://www.oxfam.de/system/files/20120917_
bp161-hunger-grains-en.pdf rüben relativ stabil bleiben würden.
www.reuters.com vom 09.12.2021, übersetzt, modifiziert und gekürzt

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 43


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4 Fleischproduktion
M1 Weltweiter Fleischkonsum M2
Der Fleishhunger der Welt In kg / Person und Jahr

Produktion von Flesch weltweit 100


Rinder
(pro jahr, in Millionen Tonnen Schlachtgewicht) Schaf
80
Produktion nach Regionen 2020:
Schwein
338 Henne
60
135 66 54 84 293
257
230 40

180 20
137
100 0
71 ika pa ika &
rika
er ro er ibik ien fik Af
am Eu m
a ar As azi
rd ein & K P
No L at Realisierung: S. Coté

1961 1970 1980 1990 2000 2005 2010 2020


Grafik: Statista

M3

Ackerbau statt Viehzucht liefert genügend Nahrung M4

1 Hektar Kulturland ernaährt so viele Menschen (Kalorien)

Soja 5 Menschen
Kartoffeln
17 Menschen
1:1 3:1
Gemüse 5 Menschen
12:1 10:1
4:1 5:1 Weizen 9 Menschen Schweine, Rinder
2 Menschen
Quelle: Pro Regenwald. Realisierung: S. Coté

M5 «Veredelung» M6
Lebensmittel können aus Nutzpflanzen hergestellt werden:
aus Getreide, Gemüse, Obst, Zuckerüben, Kartoffeln und
anderen. Oder sie sind tierischen Ur­sprungs, wie Fleisch und
Wurstwaren, Milch und Milch­produkte oder Eier.
Wenn pflanzliche Produkte als Futtermittel verfüttert und
damit in tierische Produkte umgewandelt werden, nennt man
dies „Veredelung“; das ist ein Hinweis darauf, dass Fleisch
etwas Wert­volles ist. Die Umwandlung von Futtermitteln in
tierische Produkte ist jedoch mit einem Energieverlust ver­
bunden. Um eine tierische Kalorie zu erzeugen, müssen je
nach Tierart und Produkt (Fleisch, Milch, Eier) drei bis sieben
pflanzliche Kalorien verfüttert werden. Die Umwandlungsrate
von pflanzlichen in tieri­sche Kalorien schwankt im Idealfall
Übungen

zwischen 2:1 bei Geflügel, 3:1 bei Schweinen, Zuchtfischen,


Milch und Eiern und 7:1 bei Rindern.
https://www.umweltstiftung.com/projekte/landwirtschaft-konkret/­9-hunger-
durch-zu-hohen-fleischkonsum [abgerufen am 20.01.2022]

44 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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Der Wettlauf um Nahrung und Energierohstoffe


Es wäre genug für alle da: die Agrarproduktion steigt schneller als die Bevölkerung
wächst. Doch weniger als die Hälfte allen Getreides dient noch unmittelbar als
Lebensmittel. Der Rest wird verfüttert, verheizt oder zu Treibstoff und Industrie-
produkten verarbeitet.
Globale Getreideproduktion Verwendung von
und Weltbevölkerung Weltbevölkerung
Getreide weltweit
(in Mrd.) Menge 2018:
2,615 Mrd. Tonnen
Globale Getreide-
produktion
(in Mrd. Tonnen) 21,5%
3,1 0,8 6,9 2,3 7,6 2,65 Treibstoffe
1961 2011 2018 u. Industrie-
42,5% produkte
Lebensmittel
Getreideproduktion pro Kopf
36%
Futtermittel

336 349
281
kg kg
kg
1961 2011 2018
Realisierung: S. Coté

M7 Luftaufnahme eines Feedlot in Texas, M8 Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der weltweiten Getreideernte ­landet
USA. Der kalorienverschwendende Kon­ in Futtertrögen. Nur 42,5 Prozent werden direkt zu Lebensmitteln ver­
sum von Fleisch nimmt welt­weit kontinu­ arbeitet. In der Europäischen Union dienen sogar 62 Prozent der Ge­
ierlich zu. In den reichen Ländern Europas treideernte als Tierfutter und weniger als ein Viertel direkt zur mensch­
und Nord­amerikas stagniert er allerdings lichen Ernährung. Der Rest – 21,5 Prozent weltweit und 14 Prozent in
auf einem sehr hohen Niveau. Dagegen der Europäischen Union – wandert als Biomasse in die Energieerzeu­
steigt er in den Schwellenländern sprung­ gung oder wird zu Industrieprodukten verarbeitet. In Afrika dagegen
haft an. ­dienen immer noch 80 Prozent der Getreideproduktion der menschli­
chen Ernährung. Allerdings ist auch hier die Tendenz fallend, da zuneh­
mend Land von Investoren aufgekauft wird, die vor allem Energie­
pflanzen und Futtermittel anbauen.
https://www.umweltstiftung.com/projekte/landwirtschaft-konkret/­9-hunger-durch-zu-hohen-
fleischkonsum [abgerufen am 20.01.2022]

Aufgaben
1. Erarbeite den Zusammenhang der beiden Materialien 5. Erkläre anhand der Materialien M3 und M4 den
M1 und M2. Zusammenhang von Fleischkonsum und Hunger.
2. Erkläre mithilfe von M5 die Grafik in M3. 6. Beschreibe die globale Entwicklung der Getreidepro­
3. Gib M4 in Worten wieder. duktion und der Weltbevölkerung (M9).

4. Interpretiere die Aussage der Karikatur in M6. 7. Erläutere den Zusammenhang von Fleischkonsum
und Hunger (M7 bis M9).

M9 Fleisch frisst Land


Laut FAO werden derzeit weltweit mehr als 19 Milliarden Hüh­ stieg die Nachfrage nach Soja als Futtermittel stark an und
ner, 1,4 Milliarden Rinder und jeweils eine Milliarde Schweine entsprechend fand auch eine enorme Ausweitung der Soja-­
und Schafe gehalten. Diese Tiere benötigen Fläche und Fut­ Anbauflächen statt. Millionen Hektar einmaliger Lebensräume
ter. Von den ungefähr fünf Milliarden Hektar weltweit verfüg­ sind durch den Soja-Anbau in den letzten Jahren vernichtet
barer landwirtschaftlicher Nutzfläche werden etwa 80 Prozent worden, was zu einem drastischen Rückgang der Artenvielfalt
in Form von Weide oder Ackerland allein für die Tierhaltung in in den entsprechenden Regionen führte. Damit nicht genug,
Anspruch genommen. Und es wird immer mehr Land benötigt benötigt das meist in Monokulturen angebaute Soja auch Un­
- mit gravierenden Auswirkungen auf natürliche Lebensräume. mengen an Pestiziden.
So sind zum Beispiel 60 bis 75 Prozent der neu gerodeten Weiden und Futtermittel belegen oft Flächen, die für die Er­
Flächen im Amazonasgebiet auf die Schaffung von Weideland nährung der Weltbevölkerung fehlen. Allein 36 Prozent des
zurückzuführen. In Deutschland werden etwa 17 Millionen Hek­ weltweit angebauten Getreides ist inzwischen für die Tierhal­
tar Fläche landwirtschaftlich genutzt und auf maximalen Ertrag tung be­stimmt. In Deutschland sind es im Schnitt sogar über
getrimmt. Das ist fast die Hälfte des gesamten Landes. Und 60 Prozent. Die vorhandene Ackerfläche ist jedoch endlich und
doch reicht uns das nicht: Eine Fläche so groß wie Bayern „im­ sie wird nicht ausreichen, wenn die Nachfrage nach Fleisch
portieren“ wir aus anderen Ländern. weiterhin wächst. Wir könnten viel mehr M ­ enschen mit Ge­
Übungen

Den größten Flächenanteil brauchen nicht die Tiere s­elbst, treideerzeugnissen ernähren, würden wir diese nicht massen­
sondern ihr Futter. In der Intensivtierhaltung wird die Ei­weiß­ haft an die Tiere verfüttern, die wir essen.
versorgung mit hochwertigen Importfuttermitteln ge­ sichert
https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/fleisch/
– vor allem mit Soja aus Südamerika. In den letzten Jahren der-appetit-auf-fleisch-und-seine-folgen, gekürzt [abgerufen am 20.01.2022]

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 45


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5 Landraub (Langrabbing)
M1 Was ist Landraub?
Als Landraub (Landgrabbing) wird der Landerwerb durch
private Investoren, Konzerne und staatliche Akteure aus
Industrie- und Schwellenländern mittels langfristiger legaler
oder illegaler Pacht- oder Kaufverträgen von großen Agrar­
flächen in weniger entwickelten Ländern bezeichnet, wobei
in den letzten Jahren vermehrt auch in Ost- und auch West­
europa investiert wird.
Auf diesen Flächen werden hauptsächlich Nahrungsmittel
oder Energiepflanzen angebaut und dienen dem Export in
die Investorländer zur Ernährungs- und Energie­sicherung.
Andere Motive ausländischer Investitionen sind die Siche­-
r­ung von Süßwasserquellen und Rohstoffen. © Deutsche Welle

Nach Schätzungen der Weltbank sind mittlerweile 10 – 30% M2 Seit der Finanz- und Bankenkrise suchen Investoren
des weltweiten Ackerlandes von Landgrabbing betroffen. nach neuen Spekulationsobjekten, die langfristig Gewinn
abwerfen. Dabei ist fruchtbares Ackerland ins Visier der
https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m8/infographics/landgrabbing
[abgerufen am 05.01.2022], ergänzt Unternehmen geraten: Es ist einer der kostbarsten Roh­
stoffe der Welt, es wird immer knapp bleiben, und es
ist in den ärmsten Ländern der Welt besonders billig zu
haben.
Die Weltbevölkerung wächst unaufhaltsam und muss er-
nährt werden, der Konsum von Fleisch und Futtermitteln
ha

steigt, ebenso die Nach­frage nach Biokraftstoffen.


X

ha
XX

X
XX

XX
ha
de XXX ha

ha

ha
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Abnehmende Bodenfruchtbarkeit, steigende Wasser­


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knappheit und die Gefahr von klimatisch verursachten


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Katastrophen dürften den Trend noch verschärfen.


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Nahrung ist ein knappes Gut, und fruchtbare Böden


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versprechen dauerhaft hohe Gewinne abzuwerfen.


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Dieses zynische Geschäft mit dem Hunger boomt seit


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2008. Seither lässt sich beobachten, wie Industrie- und


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Schwellenländer riesige Anbauflächen in anderen Staa­


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ten aufkaufen oder pachten, um Nahrungsmittel, Holz


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oder Biotreibstoff für den eigenen Bedarf zu produzie­ren.


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Dabei investieren sie bevorzugt in Staaten mit schwachen


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politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen


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Quelle: The Land Matrix 2018. Realisierung: S. Coté


− das bedeutet, Land­raub geschieht meist in Ländern,
Die vier größten Investoren mit Anzahl und Größe der Investitionen nach in denen Regie­rungen nicht funktionieren und/oder die
M3 Zielland in den Jahren 2000 - 2018 korrupt sind. [...]
www.welthungerhilfe.de [abgerufen am 15.10.2021], modifiziert;

M4 Warum geschieht Landraub? Aufgaben


Die Angst vor Abhängigkeit von ausländischen Agrarexport­ 1. Definiere Landraub in eigenen Worten (M1).
gütern und Bodenschätzen, der wachsende Fleischkonsum
weltweit, die Konkurrenz um den Anbau von lukrativen Bio-
2. Entnimm M3 die bedeutendsten Investorenlän­-
Kraftstoffen oder Land als Vermögensanlage – das sind ver­ der sowie die Kon­tinente/Regionen, in die be­­vor-
einfacht gesagt die Hauptgründe dafür, dass sich internatio­ ­zugt investiert wird.
nal agierende Unternehmen für den Kauf großer Ländereien 3. Erläutere mithilfe von M2 und M4 die Auslöser
inter­essieren.
von Landraub.
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 heizte
den Landraub zudem weiter an. Nach dem Zusammenbruch 4. Erarbeite aus den Materialien M5 bis M8 die
der Finanzmärkte sind Hedgefonds und andere Großspeku­ ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen
lanten auf die internationale Agrarroh­stoffbörse in Chicago von Landraub.
umgestiegen. Dadurch schossen die Weltmarktpreise für
5. Nenne die an diesem Nutzungskonflikt beteilig­
Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Weizen weiter in die
Höhe und stiegen innerhalb eines Jahres um mehr als das ten Parteien.
Doppelte. Da es noch profitabler ist in die Produktionsmittel 6. Erkläre den Zusammenhang von Landraub und
als nur in die Produkte selbst zu investieren, entwickelte sich Hunger.
neben den Nahrungsmitteln auch fruchtbares Ackerland zu
7. Landraub wird auch als eine neue Form der Ko­lo­
Übungen

einer begehrten Investition.


https://landmatrix.org/; https://www.regenwald.org/themen/landraub/
ni­sation bezeichnet. Erläutere diese Aussage,
fragen-und-antworten#start [abgerufen am 30.09.2021] in­dem du Gemeinsamkeiten und Unterschiede
herausarbeitest.

46 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M5 Appetit auf Agrarland


Als Kehrseite internationaler Aufkäufe zeigt sich oft, dass sie
ohne Rücksicht auf lokale Gemeinden, ihre Lebens­ grund-
lagen und die Umwelt vollzogen werden. Einige Regie­
rungen schützen ihr Ackerland aus Gründen der Ernäh­
rungssicherheit. Andere machen gemeinsame Sache mit
zahlungskräftigen Investoren und führen dafür Gründe an
wie höhere Produktivität, Modernisierung, Kommerzialisie­
rung der Landwirtschaft, höheres Wirtschaftswachstum und
Schaffung von Arbeitsplätzen.
Betroffen sind die Staaten mit der größten Anzahl an hun­
gernden und unterernährten Menschen. In diesem Prozess
werden die einheimischen kleinbäuerlichen Familien meist­
ohne Entschädigung von ihrem Land vertrieben. Dabei geht M6 Wenn Land oder das, was darauf angebaut wird, Geld
immer mehr Land in Ent­wicklungsländern für die Ernährung bringt, ist es wertvoll. Besonders für kleinbäuerliche
der eigenen Bevölkerung verloren. [...] Land­wirte im globalen Süden, deren Existenz davon
Immer wieder zeigen Studien über Landkäufe die Ge­fah­ren­ ab­hängt. 2,5 Milliarden Menschen bewirtschaften seit
auf. So etwa die jüngst abge­schlossene des südafrikanischen Generationen rund die Hälfte der weltweiten Land­
Institute for Poverty Land and Agrarian Studies (PLAAS), die fläche, aber verbriefte oder anerkannte Besitzrechte
in neun Distrikten in Mosambik, Sambia und Südafrika ein ihrer Äcker existieren meist nicht. Das macht es multi­
Muster vorfand: Lokale Bauern wurden un­freiwillig enteignet, nationalen Konzernen und Regierungen leicht, das
verloren Zugang zu Wasser und Weideland und wurden zu Gewohnheitsrecht zu ignorieren und das Land zu
90 Prozent nicht oder unzureichend entschädigt. Daraus folg­ beanspruchen. Rund 33 Millionen Menschen weltweit
ten: Ernährungsunsicherheit, Einkommensverluste, Nachteile haben durch systematische Missachtung von Landrech­
für die Gesundheit und den Frieden in der Gemeinschaft. ten seitens ausländischer Groß­investoren und einfluss-­
reicher nationaler Akteure ihre Lebensgrundlage ver-
Land Matrix, ein Unternehmen, das Grundstücksgeschäfte loren. Ohne Ag­ rar­
flächen können Kleinbauern keine
weltweit überwacht, erklärte in einem Bericht vom Septem­ Nahrungs­mittel produzieren – gerechte Entschädigun­
ber 2021, dass die Zunahme der Grundstückskäufe ab 2008 gen, Arbeitsplätze oder angemessener Lohn für die
im Jahr 2021 ihren Höhepunkt erreicht habe, dass aber das harte Arbeit auf den neuen Plantagen sind meist leere
Potenzial für einen neuen Grundstücksansturm bestehe, da Versprechungen.
sich die Volkswirtschaften von der Covid-Pandemie zu erho­
len versuchten und Länder wie Indien und Indonesien ihre https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/laendliche-
Grundstücksmärkte öffneten. ent­wick­lung­-foerdern/landraub-investition-in-land/, modifiziert
[abgerufen am 30.09.2021]
Marina Zapf, «Der große Appetit auf Agrarland» 04/2020,
www.welthungerhilfe.de, gekürzt und ergänzt; https://www.theguardian.com/
global-development/2021/nov/15/palm-oil-land-grabs-trashing-environment-
and-displacing-people vom 15.11.2021, übersetzt
M8 Landraub bedroht den sozialen Frieden
Der Streit um natürliche Ressourcen ist weltweit eine der
Hauptursachen für Konflikte. Investoren, Spekulanten und
korrupte Verwaltungsbeamte beachten die Rechte der
Menschen auf dem Land nicht, verhindern deren Beteili­
gung an Entscheidungen und zeigen kein Interesse an den
Folgen des Landraubs für die Vertriebenen. Deshalb geht
Landraub oft einher mit sozialem Unfrieden und Gewalt
gegen die Menschen, die für ihre Landrechte und gegen
Großprojekte demonstrieren.
Durch die Umwandlung der Nutzungsfläche von Food
Crops in Cash Crops werden zudem die Nahrungsmittel
in der betroffenen Region knapper und damit teurer und
betrifft damit nicht nur die enteigneten Landwirte selbst.
Viele Bauern fliehen nach dem Verlust ihres Landes mit
ihren Familien in die Städte. Die ausländischen Konzerne
schaffen auf ihrem ehemaligen Land meist keine oder nur
© Rettet bden Regenwald e.V. (Rainforest Rescue)
sehr schlecht bezahlte Arbeitsplätze für die örtli­che Bevöl­
M7 Eine frisch angepflanzte Palmölplantage in Indonesien. kerung. Die wenigen lukrativeren Stellen werden mit aus­
Wenn die Investoren große Flächen roden, geht der ländischen Arbeitskräften besetzt.
tropische Regenwald als CO2-Speicher und wertvolles Die Jobsituation in den Städten ist meist sehr schlecht und
Ökosystem verloren. die finanzielle Situation der Familien verschlechtert sich
Der Anbau der profitorientierten industriellen Landwirt­ zunehmend. Auf diese Weise werden durch Land Grabbing
schaft erfolgt meist über Monokulturen, deren hoher ganze Familien in den finanziellen Ruin getrieben.
Wasserbedarf Quellen und Brunnen versiegen lässt. Der
großflächige Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/land-grabbing/ ; https://utopia.de/
ratgeber/land-grabbing-verstaendlich-erklaert-wie-konzerne-land-rauben/
Übungen

vergiftet nicht nur Luft und Grundwasser, sondern bedroht


[abgerufen am 30.09.2021]
auch massiv die Artenvielfalt der heimischen Tiere und
Pflanzen. So werden langfristig gesehen rund um die
industriell bewirtschaftete Gebiete zahlreiche Tier- und
Pflanzenarten aussterben.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 47


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6 Ungerechte Besitzverteilung
M1 Subsistenzlandwirtschaft M2 Verteilung der Hungernden:
Eine Politik, die Nahrungsmittel als reines Handelsprodukt 80 % der Hungernden leben im ländlichen Raum
betrachtet und das Grundrecht auf Nahrung ignoriert, führt
dazu, dass ausgerechnet Landwirte und Bauern zu den
ärmsten Menschen der Welt zählen, die am stärksten unter
Hunger leiden. Die Kleinbauern produzieren weltweit mehr
als die Hälfte aller Nahrungsmittel, und dennoch fällt es ihnen­
schwer, sich selbst und ihre Familien zu ernähren. Das liegt
daran, dass die Felder, die sie bewirtschaften, zu klein sind, 50% 22% 8%
um ausreichend Nahrung zu produzieren, oder dass sie
ihnen­nicht gehören.
https://www.actionaid.ch/de/aktuelles/nachrichten/kampf-gegen-hunger-und-
ungerechte-landverteilung [abgerufen am 01.10.2021] Quelle: Misereor. Realisierung: S. Coté
80% 20%
Bauern und Landlose und Fischer und Städtische
Bäuerinnen Landarbeiter/-innen Fischerinnen Arme

M3 Die Armutsspirale
Armut gehört zu den strukturellen Ursachen von Hunger M4 Wer ernährt die Welt
und führt dazu, dass Menschen hungern, weil sie sich nicht
genügend Lebensmittel leisten können. Wer unter extremer
Armut leidet und weniger als 1,90 US-Doller am Tag zur
Verfügung hat, hat sehr eingeschränkte Möglichkeiten, für
sich und die Familie Nahrung zu kaufen. Daraus entsteht ein
Teufelskreis: Wer sich kein nahr­haftes Essen leisten kann,
wird körperlich schwächer, hat weniger Chance, ausreichend
Geld zu verdienen und dementsprechend weniger Geld für
Wasser, Land und Dünger und kann wenig Nahrung selbst
50%
Quelle: Misereor. Realisierung: S. Coté
30% 12,5% 7,5%
anbauen. Wer keinen Zugang zu Land, Wasser oder Pro­ Kleinbäuerliche Industrielle Jagen und Urbane
Produktion Produktion sammeln Landwirtschaft
duktionsmitteln hat, kann schnell in diese Spirale der Armut
geraten. Demnach ist Armut einer der Hauptgründe für Hun­
ger.
https://www.care.de/schwerpunkte/nothilfe/hunger-bekaempfen/ursachen- M6 Besitzstrukturen in Lateinamerika
von-hunger/t [abgerufen am 09.10.2021]
Die Strukturen der Landwirtschaft und des Landbesitzes in
Lateinamerika waren bis ins 20. Jahrhundert hinein stark
geprägt von kolonialen Einflüssen. Bis heute ist der Sektor
M5 Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gespalten zwischen den riesigen Landgütern (Latifundien)
der Großgrundbesitzer und einer großen Zahl von Sub­
Eine weitere strukturelle Ursache von Hunger weltweit: Die sistenzwirtschaft betreibenden Kleinbauern (Minifundien)
Ungleichheit zwischen Mann und Frau. Frauen sind traditio­ sowie landlosen Landarbeitern.
nell diejenigen, die sich um die Ernährung der ganzen Fami­ Mit der Entdeckung und Eroberung Lateinamerikas erhiel­
lie kümmern. Aber neben der Zubereitung von Essen für die ten die Konquistadoren sehr große Landgüter mitsamt der
gesamte Familie, sind sehr viele Frauen im globalen Süden darin lebenden indigenen Bevölkerung treuhänderisch von
auch mit dem Anbau von Lebensmitteln beschäftigt sowie der spanischen Krone übertragen. Die von Großgrund­
der Ernte und ihrem Verkauf. Dies verwehrt ihnen häufig den besitzern dominierte Agrarstruktur ist bis heute eines der
Zugang zu Bildung und anderen einkommensschaffenden zentralen Hemmnisse für die wirtschaftliche und soziale
Möglichkeiten. Häufig sind Frauen zudem doppelt belastet Entwicklung Lateinamerikas.
durch Arbeit und Kindererziehung. Es ist deshalb besonders
https://de.wikipedia.org/wiki/Agrarstrukturen_in_Lateinamerika, gekürzt
wichtig, sie in Ernährungs- und Hygienefragen zu beraten [abgerufen am 01.10.2021]
und auszubilden. Die Bildung der Frauen und Mädchen ist
einer der wichtigsten Schlüssel zur Bekämpfung von Hunger.
Auch vom Problem des Zugangs zu natürlichen Ressourcen
und der Verweigerung des Rechts auf Grundbesitz sind vor Aufgaben
allem Frauen betroffen. In den armen Ländern stellen die
1. Erläutere die Ursachen für die ungleiche Besitz­
Frauen 43% der landwirtschaftlichen Arbeitskraft, produzie­
ren 50% der Nahrungsmittel und verdienen lediglich 10% des verteilung und den Zusammenhang zum Hunger
globalen Einkommens. Nur 1% des Grundbesitzes gehört (M1, M6).
den Frauen. Sie erhalten gerade einmal 7% der technischen 2. Vergleiche M2 mit M4 und gib die Aussage der
Unter­stütz­ung und nur 1% der Direkt­kredite, die in diesem Grafiken wieder.
Sektor vergeben werden. Diese Daten belegen die in den
Traditionen und der patriarchalischen Gesellschaft tief ver­ 3. Erstelle auf Basis der Informationen in M3 ein
Übungen

wurzelten Probleme der Frauen beim Erlangen von Grundbe­ Schaubild zur Armutsspirale.
sitz zur Sicherstellung ihrer Ernährung.
4. Erkläre, warum die Förderung der Frauen im
https://www.care.de/schwerpunkte/nothilfe/hunger-bekaempfen/ursachen-
von-hunger/; https://www.actionaid.ch/de/aktuelles/nachrichten/kampf-gegen-
Kampf gegen den Hunger eine bedeutende Rolle
hunger-und-ungerechte-landverteilung [abgerufen am 09.10.2021] spielt (M5).

48 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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7 Verlust von Agrarflächen

© NABU

M1 Wenn die natürliche Oberfläche durch menschliche


Bau­werke − wie Straßen oder Wohngebäude − insofern
versiegelt wird, dass der Niederschlag nicht mehr in den
Boden einsickern kann, sondern oberflächlich abläuft,
M2 Weltweit breiten sich die Vororte in die Landschaft aus
spricht man von Flächen- oder Bodenversiegelung. (urban sprawl) und vernichten mehr und mehr Ackerland.
Die heftigen Hochwasserkatastrophen im Sommer 2021
in Ostbelgien und Westdeutschland sind übri­gens auch
auf die Flächenversiegelung zurückzuführen.
M4 Verlorener Boden
75 Prozent der weltweiten Landfläche sind inzwischen durch
Aufgabe Erosion, Versalzung, Übernutzung oder Austrocknung degra­
Erläutere die Ursachen für den Verlust von Agrar­ diert. Weltweit geht durch die Bodendegradation pro Jahr eine
flächen. Fläche von 4,18 Millionen Quadratkilometern verloren – das
entspricht der halben Größe der EU. Das enthüllt der neue
Weltatlas der Desertifikation. Er zeigt das aktuelle Ausmaß
der Wüstenbildung und der Bodenerosion und liefert Progno­
M3 Desertifikation sen bis 2050. Wenn nicht gegengesteuert wird, könnten bis
dahin sogar 90 Prozent der Landfläche degradiert sein. [...]
Besonders aride und semiaride Regionen sind von Boden- Der Klimawandel, aber auch eine Übernutzung von Böden
degradation oder gar Desertifikation betroffen. Ausgelöst durch intensive Landwirtschaft und das Abholzen großer
wird dies zum einen durch klimatische Faktoren, wie z.B. Waldgebiete führen dazu, dass immer mehr Böden degra­
eine langanhaltende Dürre oder der Klimawandel, aber auch dieren und so unfruchtbar werden, dass kein Anbau mehr
durch menschliche Faktoren wie falsche Bewirtschaftung möglich ist. Bereits 2015 warnte ein UN-Bericht vor den Fol­
oder Überweidung. Degeneriert der Boden zu wüstenähnli­ gen dieses Landverlusts, der sogar die EU jedes Jahr 970
chen Verhältnissen aufgrund menschlicher Einflussnahme, Millionen Tonnen Boden kostet. [...]
spricht man von Desertifikation.
Besonders betroffen vom Verlust des fruchtbaren Landes
sind Afrika und Asien. Aber auch in Europa nimmt die Boden­
degradation ständig zu: In der EU sind bereits acht Prozent
der Landfläche von Desertifikation betroffen, wie der Atlas
zeigt. Diese Gebiete liegen vor allem im Süden Europas.
Neben Spanien und Portugal sind vor allem der Balkan und
die östlichen Mittelmeeranrainer betroffen.
«Landflächen: Drei Viertel sind degradiert», unter www.scienexx.de
vom 25.06.2018

M5 Äthiopien ist massiv von den Folgen jahrzehntelanger


Abholzung betroffen. Nur noch etwa 11% der Landes­
fläche sind bewaldet. Fehlende Waldflächen haben dra­
matische Folgen für die Familien in Äthiopien, die zum M6 Boden­erosion: Wind kann bei zu langer Trockenheit den
Großteil vom Ertrag ihrer kleinen Felder leben: Massive Boden degradieren (Wind­erosion). Ist der Boden durch
Übungen

Bodenerosion, versiegende Wasserquellen und aus­ schwere Maschinen verdichtet oder durch langanhaltende
bleibender Regen erschweren die Lebensbedingungen Trockenheit ausgedörrt, kann er bei plötzlich auftreten­
enorm. dem Niederschlag den Regen nicht mehr aufnehmen, so
https://www.menschenfuermenschen.at/aktuelles/news/badener-auffors­ dass dieser oberflächlich abfließt. Dabei nimmt das Was­
tungsprojekt--menschen-fuer-menschen.php [abgerufen am 01.10.2021] ser den humusreichen Oberboden mit (Wasser­erosion).

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 49


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8 Lebensmittelverschwendung
NORDPOLARMEER
M1 Lebensmittelverschwendung
im Jahr 2020 in Kcal/Tag/Kopf
gemäß WWF-Studie
Ranking der größten Verschwender
PAZIFISCHER 2020 (pro Kopf der Bevölkerung):
ATLANTISCHER
OZEAN
1. Bermuda-Inseln
2. USA
3. Kaimaninseln
PAZIFISCHER
4. Hongkong
5. Luxemburg
OZEAN INDISCHER 6. Norwegen
OZEAN
7. Schweiz
OZEAN 8. Vereinigte Arabische Emirate
9. Deutschland
0 2 000 km
10. Österreich

M2 Viele Lebensmittel erreichen den Teller nicht


Das Problem ist seit Jahren bekannt, doch gelingt es nicht, das gar die Hälfte aller Lebensmittel am Ende nicht auf dem Teller
System zu ändern: Nach wie vor fliegt zu viel Essen in den Müll. landen. Dabei hat die FAO anders als der WWF nicht die Ver­
2,5 Milliarden Tonnen Lebensmittel landen weltweit jedes Jahr luste während des Anbaus und der Ernte einbezogen. Zudem
in der Tonne. Das hat eine Untersuchung des WWF* ergeben stammen die FAO-Zahlen aus dem Jahr 2016. Seither hat die
(veröffentlich 06/2021), die die Umweltorganisation in Zusam­ Produktion von Nahrungsmitteln erheb­lich zugenommen – und
menarbeit mit der britischen Supermarktkette Tesco durchge­ damit auch der Abfall.
führt hat. Laut einem Bericht der Welternährungsorganisation FAO** ver­
Schon vor, während und unmittelbar nach der Ernte oder der derben 14 Prozent aller Lebensmittel bereits während der Pro­
Schlachtung geht demnach viel Getreide, Gemüse oder Fleisch duktion. Der Bericht nennt mehrere Gründe für die Verluste.
verloren. So verursacht allein die Landwirtschaft einen Verlust Dazu gehören falsche Erntezeit und -techniken, ­ klimatische
von 1,2 Milliarden Tonnen mit einem Wert von 370 Millionen Bedingungen, schlechte Lagerung und schlechter Transport.
US$. Während etwa in Ent­wicklungsländern die Infrastruktur fehlt,
Etwa 40 Prozent der weltweit erzeugten Lebensmittel kom­ um Lebensmittel richtig zu lagern oder zu kühlen, führen über­
men nie auf einen Teller (alleine in den Industrieländern sind triebene Anforderungen an Lebensmittel in industrialisierten
es 58%!). Rund vier­einhalb Millionen Quadratkilometer, also Ländern dazu, dass vieles eigentlich noch Verwendbare weg­
die Fläche der ge­samten Europäischen Union, werden dafür geworfen wird. [...]
weltweit bean­sprucht, während der Druck auf das Klima und Lebensmittelverluste zu vermeiden ist eines der Nachhaltig­
die Natur steigt. Die Folgen der Lebensmittelverschwendung keits­ziele der UNO. Angesichts der nun veröffentlichten Zahlen
sind weitreichend: hoher Wasserverbrauch, Überdüngung, sieht die FAO dieses Ziel allerdings gefährdet. Die UNO-Orga­
Versauerung von Böden, Verlust der Artenvielfalt, unnötiger nisation stellt jedoch auch fest, dass der Kampf gegen Verluste
Flächen- und Energieverbrauch. Zudem verschärft das Ver­ und Verschwendung kompliziert sei. So könnte beides zum
schwenden von Nahrungsmitteln die Klimakrise: Zehn Prozent Beispiel durch bessere Kühllagerung und Verpackung reduziert
aller globalen Treibhausgasemissionen gehen laut der WWF- werden − das aber könne wiederum zu höherem Energiever­
Studie auf das Konto der Lebensmittelverschwendung. Dies brauch führen und mehr Plastikmüll produzieren.
entspricht fast dem Doppelten der Emissionen, die von allen in
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/lebensmittel-14-prozent-verderben-
den USA und Europa in einem Jahr gefahrenen Autos erzeugt schon-auf-dem-weg-zum-einzelhandel-a-1291523.html vom 14.10.2019;
werden, so der Bericht. Sandra Kirchner: «Viele Lebensmittel erreichen den Teller nicht» unter www.
klimareporter.de vom 22.07.2021;
Offizielle Zahlen zur Lebensmittelverschwendung liegen weit https://www.wwf.de/2021/juli/vom-acker-und-stall-in-die-tonne [abgerufen am
niedriger als die jetzt veröffentlichten Zahlen des WWF. Die 06.01.2022]
UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO schätzt,
* WWF-Studie nachzulesen unter: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publi­
dass jährlich 1,2 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen kationen-PDF/Landwirtschaft/WWF-Report-Driven-to-Waste-The-Global-Impact-
werden (das entsprach bereits einem Drittel!). In der EU soll so­
** https://www.fao.org/state-of-food-agriculture/en/

In welchen Ländern wie viele Lebensmittel weggeworfen werden


Angaben in Kilogramm pro Kopf und Jahr

80 M4 In welchen Bereichen Lebensmittelabfälle entstehen


60
Nach Ernte bis Vertrieb 10%
40 20% 28%
Übungen

Landwirtschaft
20 Konsumenten 45% 39% 45%
35% 45%
33%
Österreich

Dänemark
USA

Belgien

Kanada

Litauen

Frankreich

Finland

Italien

Ruanda
Australien

Mosambik

M3 Durchschnitt Industrieländer Entwicklungsländer


Quelle: FAO (2018) Realisierung: S. coté Source: FAO, Realisierung: S. Coté

50 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M5 Jeder von uns Deutschen wirft im Jahr durchschnittlich mindestens 55 Kilogramm Lebens­
mittel weg. Allein in Privathaushalten landen damit rund 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel im
Müll. Fast die Hälfte davon wäre noch genießbar gewesen. Einer der Gründe für das Wegwer­
fen ist eine falsch ver­ standene Angabe auf Lebensmitteln: das gesetzlich vorgeschriebene
Mindesthaltbarkeits­datum (MHD). Das MHD ist kein Wegwerfdatum. Vielmehr gibt es den Zeit­
punkt an, bis zu dem ein Lebensmittel unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen seine
spezifischen Eigenschaften (z. B. Geschmack, Farbe und Konsistenz) behält. Nach Ablauf des
MHD ist ein Lebens­mittel nicht automatisch verdorben oder zum menschlichen Verzehr nicht
mehr geeignet. Bei richtiger Lagerung sind die Lebensmittel meist weiterhin auch ohne Einschrän­
kung zum Verzehr geeignet.
Das Verbrauchsdatum ist für Produkte, die leicht verderblich sind, also Lebensmittel, die zum
Beispiel sehr anfällig für eine Kontamination mit Bakterien sind, vor allem roher Fisch, rohes
Fleisch, bereits zubereitete Gerichte und so weiter. Dieses Verbrauchsdatum muss absolut res­
pektiert werden, um Gesundheitsrisiken zu vermeiden.
https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/mindesthaltbarkeit-kein-verfallsdatum.html
[abgerufen am 09.10.2021]

Wer wirft wieviel weg?


Lebensmittelabfälle
in Deutschland:
Source : ADEME 2015. Réalisation : S. Coté

12 Mio. Tonnen
52 % pro Jahr
Verbraucher

18 %
M6 Obst und Gemüse wachsen nicht im­mer­der Verarbeitung
(EU)-Norm ent­ sprechend. Viele Jahre wurden Außer-Haus-Verpflegung 14 %
sie daher auf dem Feld liegen gelassen und
Primärproduktion 12 %
verdarben. Erst so langsam entdeckt man ihren
Wert. Handel 4%

Baseline 2015. Realisierung : S. Coté

M7 Wo die Lebens­mittel­abfälle in Deutschland ent­­stehen (2015). Die


Aufgaben WWF-Studie geht sogar von geschätzen 18 Mil­lionen Tonnen aus.
1. Gib die Kernaussage von M1 wieder.
2. Erabeite aus M2 die Ursachen und Folgen
der Lebens­mittelverschwendung.
3. Die FAO-Studie unterscheidet zwischen
Lebensmit­tel­verlust und -verschwendung
(M1 - M3). Erkläre den Unterschied.
4. Vergleiche die Situation in den Industrie­-
ländern mit derjenigen der Entwicklungs­
ländern (M4).
5. Erkläre den Unterschied zwischen dem
Mindest­haltbarkeitsdatum und dem Ver­-
brauchsdatum (M5).
6. Recherchiere im Internet nach der
«Gurkenver­ordnung» der EU (vgl. M6).
7. Erstelle auf Basis der Daten in M7 ein
Kreisdiagramm. © Wikimedia Commons / Myrabella

8. Befrage deine Eltern, wie viel Lebens­ M8 An keinem Ort der Welt gibt es so viele frische Lebensmittel wie
mit­tel bei euch zuhause pro Woche auf dem Pariser Großmarkt Rungis. Mit 234 Hektar Fläche ist
weg­geworfen werden und warum. der Markt etwa so groß wie 330 Fußballfelder, mehrere tausend
Tonnen Nahrungsmittel passieren täg­ lich die riesigen Hallen.
9. Erkundige dich im Internet oder frag in Jährlich werden 2,8 Millionen Tonnen an Waren umge­schlagen,
Supermärkten nach, wie in deinem Land wobei nicht weniger als 46.000 Tonnen Abfall anfallen. Die
Übungen

mit nicht verkauften Lebensmitteln (vor französische Regierung kämpft seit Jahren gegen die Lebens­
allem Frischware) umgegangen wird (M8). mittelverschwendung und hat dies schrittweise in der Gesetz­
gebung umgesetzt. Rungis arbeitet daher seit mehreren Jahren
10. Erkundigt euch, wie viele Lebensmittel in mit Organisationen zusammen, die die unverkauften Lebensmit­
eurer Schulkantine weggeworfen werden. tel vor der Vernichtung bewahren und an Bedürftige weitergeben.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 51


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FALLSTUDIE
Palmöl: globalisierte Agrarproduktion

Steinkern:
M1 Palmkernöl Palmkernschrot:
Viehfutter
Fruchtfleisch:
Rückstände:
Palmöl
Dünger,
Heizmaterial u.s.w

als Rohstoffe ...


als Benzinersatz
ß
Margarine

für Schmierstoffe
Kochöl
ER S L
V

für Kosmetika
WE MÖ Brat-und Backfett
(z. B. Lippenstift) NDU
NG DES P AL © Achmad Rabin Taim / Wikimedia
für Kerzen in Eiskrem
in Süßwaren M2 Eine Ölpalmenplantage in Indonesien. Die in Mono­
für Seife, Waschmittel, kultur angebaute Ölpalme hat einen hohen Ver­
Haushaltsreiniger in Backwaren
Realisierung: S. Coté
brauch an Pestiziden und Dünger. Dadurch werden
Böden sowie das Grundwasser und Flüsse belastet.
Zudem benötigen Ölpalmen zum Gedeihen große
Mengen an Wasser, weshalb die Plantagen bewäs­
sert werden. Dafür wird neben Oberflächenwasser
und dem Bau von Wasserkanälen auch das Grund­
wasser übermäßig angezapft. Als Folge davon sin­
ken die Grundwasserspiegel, die Böden versalzen
und das Grundwasser ist als Trinkwasser nicht
mehr zu gebrauchen.

M3 Der Himmel über Zentral-Sumatra in Indionesien ist rot ge­


färbt. Dich­
ter Rauch liegt in der Luft. Denn an unzähligen
Stellen brennen die Wälder in Indonesien. Die beiden Re­
gio­nen Sumatra und Borneo, auch als Kalimantan bekannt,
sind am schlimmsten betroffen. Offizielle Schätzungen ge­
hen von insgesamt mehr als 300.000 Hektar Brandfläche
aus − mehr als viermal die Größe Hamburgs. Der Qualm der­
Feuer nimmt den Menschen vor Ort die Luft zum Atmen.
Ulet Ifansasti
2019 haben die Brände nach offiziellen Schätzungen in­do­ne­-
sischer Behörden zu akuten Atemwegserkrankung­ en bei M4 Großflächige Abholzung von tropischem Regenwald
mehr als 900.000 Menschen in Indonesien geführt. UNICEF zu Gunsten einer Ölpalmenplantage in Indonesien.
schätzt, dass knapp 10 Millionen Kinder in der Region dem Diese Rodungen bedrohen und töten gefährdete
Risiko lebenslanger Gesundheitsschäden ausgesetzt sind. Tierarten (wie Orang-Utans, Waldelefanten und
Vor allem Jugendliche, ältere und kranke Menschen leiden Tiger) und fördern Waldbrände, die den Klimawan­
unter dem dichten Rauch. del beschleunigen. Die lokale Bevölkerung wird oft
www.greenpeace.de [abgerufen am 15.10.2021]
einfach vertrieben, notfalls mit Gewalt.

M5 Palmöl Raps Sonnenblume


Aufgaben

3,69t = 3,69t = 3,69t = 1. Nenne die in M1 gezeigten Anwendungsmög­


lichkeiten von Palm­­öl und ordne diese den
Gruppen in M11 zu.
3,69 t Anbaufläche 3 x mehr Anbaufläche
4 x mehr Anbaufläche
pro Hektar 2. Erarbeite aus M2 bis M4 die Folgen des Palm­-
ölbooms für Mensch und Umwelt.
Kokos Soja 3. Stelle mithilfe von M5 die Vorteile von Palmöl
Übungen

gegenüber anderen Pflanzenölen dar.


3,69t = 3,69t = 4. Vergleiche die in M6 - M9 gezeigte Verände-
­rung der Palmölproduktion und des Palm­öl-­
4,8 x mehr Anbaufläche 7 x mehr Anbaufläche verbrauchs der Jahre 1964 mit 2014.
Realisierung: S. Coté

52 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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AMERIQUE ASIE OCÉAN AMERIQUE ASIE


EUROPE EUROPE OCÉAN
DU DU

NORD NORD

OCÉAN PACIFIQUE
OCÉAN PACIFIQUE
AFRIQUE Mexique AFRIQUE Inde Thailande
2.25 MT
OCÉAN
OCÉAN
Nigéria Nigéria
0.54 MT Malaisie Côte Malaisie
Cameroun Ouganda 0.15 MT Colombie d’Ivoire Cameroun 20 MT
Ouganda
République Indonesie République Indonésie
OCÉAN 0.16 MT 33.5 MT Papouasie
Démocratique du Démocratique du OCÉAN
Congo Brésil Congo
Pérou
ATLANTIQUE
ATLANTIQUE
AMERIQUE AMERIQUE
PACIFIQUE
DU INDIEN PACIFIQUE DU
OCEANIE INDIEN OCÉANIE
SUD SUD

0 2 000 km 0 2 000 km

Production d'huile de palme inférieure à 0.5 million de tonnes Production d'huile de palme inférieure à 1 million de tonnes
Source : the Guardian, Index Mundi, 2014, Map: S. Coté Source : the Guardian, Index Mundi, 2014, Map: S. Coté

M6 Die Palmölproduktion im Jahr 1964 M7 Die Palmölproduktion im Jahr 2014

DU
EUROPE
AMÉRIQUE NORD
EUROPE UE-28
États-Unis
DU ASIE 6.3 MT ASIE
1.41 MT China OCÉAN
6.6 MT
NORD
Pakistan
Égypte 2.65 MT Bangladesh
Mexique Inde
1.3 MT 8.8 MT 1.3 MT

OCÉAN OCÉAN PACIFIQUE


AFRIQUE
Nigéria
AFRIQUE OCÉAN Côte Malaisiea
OCÉAN d’Ivoire Cameroun
Colombie Ouganda
République Indonésie
Démocratique du Papouasie
Brésil
AMÉRIQUE Pérou AMÉRIQUE Congo

OCÉAN OCÉAN
DU DU

SUD SUD ATLANTIQUE


ATLANTIQUE
OCÉANIE OCÉANIE
PACIFIQUE PACIFIQUE
INDIEN INDIEN
0 2 000 km 0 2 000 km

Importation d’huile de palme inférieure à 0.05 million de tonnes Importation d'huile de palme inférieure à 1 million de tonnes
Source : the Guardian, Index Mundi, 2014, Map: S. Coté
Source : the Guardian, Index Mundi, 2014, Map: S. Coté

M8 Der Palmölverbrauch im Jahr 1964 M9 Der Palmölverbrauch im Jahr 2014

Aufgaben
Millionen Tonnen
5. Beschreibe die in M10 gezeigte Entwicklung der
Palmölproduktion.
70
6. Recherchiere zu M11, in welchen Haushaltsproduk­
60 ten, die du mit deiner Familie verbrauchst, Palmöl
steckt.
50
7. Nenne die in M12 genannten Maßnahmen für eine
40 nachhaltige Palmölproduktion.
30

20 M11 Verwendung von Palmöl


10 Nahrungsmittel Reinigungs- und Pflegemittel
0 Source : IndexMundi , FAO 2017, Réalisation : S. Coté
Tiernahrung,
1964 1980 1990 2000 2010 2020 18%
Biokraftstoff
10%
M10 Die Entwicklung der weltweiten Palmölproduktion. Indo­ 72%
nesien war 2020 mit 57,6% Weltmarktanteil der weltweit
größte Palmölproduzent, gefolgt von Malaysia mit 26,4%..

M12 Nachhaltige Produktion von Palmöl ist möglich


Für eine nachhaltige Produktion von Palmöl ist vor allem duzieren sowie ein Verbot von Kinderarbeit auf den Plantagen
wichtig, dass die für den Anbau der Ölpalme genutzten Flächen notwendig.
nicht zu Lasten der Umwelt umgewandelt werden. Dieser sollte Darüber hinaus dürfen Pestizide beim Anbau der Ölpalmen
ausschließlich auf Brachflächen und landwirtschaftlich nutz­ künftig nur in einem sehr geringen Maße eingesetzt wer­
barem Land und Flächen erfolgen, um die Gefahr der Frei­ den. Zertifizierungen sollen zudem garantieren, dass keine
setzung von Kohlenstoff zu minimieren. Hier stehen vor allem Regenwaldareale oder schützenswerten Gebiete für die
die Regierungen in den Anbauländern in der Pflicht, die das Produktion von Palmöl umgewandelt werden – Mühlen und
­
Problem der Landnutzung aufgreifen müssen. Darüber hinaus Anbaubetriebe müssen ihre Umweltbelastungen so niedrig wie
stehen aber auch Produzenten und Verbraucher entlang der möglich halten. Flankierende Maßnahmen wie Trainings von
gesamten Lieferkette in der Verantwortung.
Übungen

Kleinbauern, die Unterstützung beim Aufbau von Organisatio­


Klar ist aber auch, dass Feldarbeiter einen Mindestlohn be­ nen und die Einbeziehung von Regierungen sind ebenfalls ein
ziehen und internationales Arbeitsrecht eingehalten werden wichtiger Hebel von Zertifizierungssystemen in Schwellen- und
müssen. Ebenso sind eine Einbindung und die Förderung von Entwicklungsländern.
Kleinbauern, die einen Großteil des weltweiten Palmöls pro­ Webseite von www.forumpalmoel.org, Mai 2020, gekürzt

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 53


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FALLSTUDIE
Nestlé: ein globales Lebensmittelunternehmen

M1 Nestlé wurde vor über 150 Jahren gegründet und


ist heute das größte und diversifizierteste Nah­
rungsmittel- und Getränkeunternehmen der Welt.
Wir haben eine einzigartige globale Präsenz und
verkaufen unsere Produkte in 186 Ländern.
von der Homepage des Konzerns [abgerufen am 07.01.2022]

M2 Was ist ein Global Player?


Global Player ist eine Bezeichnung für ein Unterneh­
men, das am internationalen Wettbewerb teilnimmt
und in seiner Branche mit Technik, Qualität und Inno­ M3 Der Konzern hat über 2.000 verschiedene Marken, weltweit
arbeiten für Nestlé rund 273.000 Angestellte. Das Unterneh­
vation weltweit eine Vormachtstellung einnimmt. Aus men ist mit einem erwirtschafteten Umsatz von 84,34 Milliar­
dieser Position heraus versuchen Global Player, die den Schweizer Franken im Jahr 2020 der größte Lebensmittel­
Märkte und Firmensitze in großem Maßstab in ihrem produzent weltweit.
Sinne zu steuern, um ihre Position weiter auszu­
bauen und zu konsolidieren. Das wichtigste Merk­mal
von Global Playern ist aber die Tatsache, dass sie
nicht nur ein Geschäft oder eine Filiale in einem Land M4 Was treibt uns an? Von der Nestlé Homepage
vertreten (Selbstständigkeit), sondern Filialen besit­ Wir sind Nestlé, das «Good food, Good life» Unternehmen. Wir sind
zen, die auf der ganzen Welt verstreut sind – soge­ überzeugt, dass in guter Nahrung die Kraft zu einem besseren Leben
nannte Tochterfirmen. liegt. Gute Nahrung versorgt sowohl den Körper als auch den Geist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Player [abgerufen am 07.01.2022] Sie lässt unsere Kinder gesund groß werden, unsere Haustiere fit
bleiben, unsere Eltern in Würde altern und uns alle das Leben in vol­
len Zügen genießen. Gute Nahrung bringt uns zusammen.
Gute Nahrung steht auch für einen respektvollen Umgang mit
unserem Planeten und bewahrt Ressourcen für künftige Genera­
tionen. Doch was heute gut ist, wird morgen nicht mehr gut genug
sein. Bedenken wir allein die Herausforderung, in 2050 die Ernäh­
rungsbedürfnisse von etwa 10 Milliarden Menschen auf der Welt
verantwortungsvoll und nachhaltig zufriedenzustellen. Dies erfordert
erheb­liche, sogar radikale Veränderungen.
https://www.nestle.de/unternehmen [abgerufen am 07.01.2022]

M6
© Mathes (3), factum/Granville

M5 Protest gegen Werkschließungen und Personal­


abbau im Caro-Kaffee-Werk in Ludwigsburg
(2018): Nestlé-Mitarbeiter vor der Firmenzen­
trale in Vevey, Schweiz. Caro-Kaffee soll jetzt in
­Portugal hergestellt werden.

Aufgaben
1. Begründe, dass es sich bei Nestlé um einen
Global Player handelt (M1 - M3).
Übungen

2. Erkläre, warum Nestlé das Caro-Kaffee-


Werk nach Portugal verlagert (M5).
3. Bewerte M4 mithilfe von M6 und M8.
© Greenpeace

54 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M7 Lebensmittelunternehmen
Der Wettbewerb in der Ernährungsindustrie des 21. Jahrhun­ systeme und der Expansion der Multis mit ihrer Vielzahl von
derts wird unter immer wenigeren, dafür immer größeren globa­ Produkten verändern sich die Essgewohnheiten, nicht nur im
len Playern ausgetragen. Selbst große Hersteller von Lebens­ Norden, sondern auch in Schwellen- und Entwicklungsländern.
mitteln sind durch die zunehmend machtvollen, ebenfalls Wenig verarbeiteten Lebensmittel werden durch hochgradig
international agierenden Supermarktketten unter Druck geraten. verarbeitete (Fertiggerichte wie Pizzen, Menüs) ersetzt.
Aufgrund der Konkurrenzsituation und der weitgehend gesättig­ Übergewicht, Diabetes und chronische Krankheiten gehören
ten Märkte in den USA und Europa setzen die Lebensmittel­ zu den Folgen dieser Entwicklung. Zunehmend werden Fertig­
konzerne auf die Expansion in Schwellen- und Entwicklungs­ gerichte mit Proteinen, Vitaminen, Probiotika und Omega-
ländern. 3-Fettsäuren angereichert. Die Lebensmittelkonzerne propa­-
Wegen der vielen regionalen Hersteller ist der Weltmarkt für gieren „gesunde“ Lebensmittel für ernährungsbedingte Pro­
verarbeitete Lebensmittel noch nicht so stark konzentriert wie bleme und Krankheiten, die sie selbst mitverursacht haben. So
der Handel mit Agrarrohstoffen, Saatgut oder Pestiziden. Die 50 ist der gesundheitsbewusste Konsum für sie zum lukrativen
größten Lebensmittelkonzerne erwirtschaften 50 Prozent des Ge­schäftsfeld geworden.
weltweiten Umsatzes in der Branche; dabei verzeichnen die Dietmar Barzt «Lebensmittelhersteller: Marken, Märkte, Manupulationen»
größten Konzerne die meisten Zuwächse. Diese Entwicklung aus dem Konzernatlas der Heinrich-Böll-Stiftung, vom 10.01.2017, gekürzt
wird sich so fortsetzen. Mit der Globalisierung der Ernährungs­

M8 Keine Schokolade ohne Kinderarbeit?


Zwar ist Kinderarbeit in Ghana und der Elfenbeinküste, wo­
70 Prozent des weltweiten Kakaos produziert werden, ver­
boten. Doch das lässt sich kaum durchsetzen. Studien zu­
folge arbeiten allein in Ghana eine Million Kinder, teilweise
schon ab dem Alter von fünf Jahren, auf Kakaofarmen. Ihre
Zahl ist zuletzt wieder gestiegen − sehr zum Ärger von
Menschenrechtsorganisationen, die dieses Problem seit
­
Jahren anprangern.
Mitte Februar hat die in den USA ansässige Menschenrechts­
organisation International Rights Advocates (IRAdvocates)
deshalb eine Sammelklage gegen mehrere Schokoladen­
hersteller eingereicht. Der Vorwurf: Sie seien an Menschen­
handel und Zwangsarbeit beteiligt. Die Kläger, acht malische M9 Es gibt wohl kaum ein Thema, mit dem man ein Unter­
nehmen weniger gerne in Verbindung bringen würden
Staatsbürger, seien als Kinder verschleppt und in der Elfen­
als mit moderner Sklaverei. Doch im November letzten
beinküste gezwungen worden, Kakaobohnen zu ernten.
Jahres ging Nestlé, der weltweit größte Lebensmittel­
Die in der Klage genannten Firmen, Nestlé, Barry Callebaut, hersteller und eine der bekanntesten Haushaltsmarken,
Cargill, Mars, Mondel’z (Milka), Hershey und Olam gehören mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, dass in seinen
zu den größten Schokoladenkonzernen der Welt. «Sie pro­ Lieferketten in Thailand Zwangsarbeit festgestellt wurde
fitieren weiterhin vom Verkauf billigen Kakaos, der von Kin­ und dass seine Kunden Produkte kauften, die von ar­
dersklaven geerntet wurde», heißt es in der von IRAdvocates men, unbezahlten und misshandelten Arbeitssklaven
eingereichten Anklageschrift. [...] hergestellt waren.
Lothar Gries, tagesschau.de, vom 03.03.2021 Mit der unabhängigen Offenlegung der Tatsache, dass
Nestlé-Kunden unwissentlich Produkte gekauft hatten,­
die unter den schlimmsten Arbeitsbedingungen her­ge-
­stellt waren, leitete das Unternehmen nach eigenen An-
Aufgaben gaben eine neue Ära der Selbstkontrolle seiner eigenen
Lieferketten ein. Eine einjährige Untersuchung des
4. Erkläre den Wettbewerb der Ernährungsindustrie Unternehmens bestätigte Medienberichte, wonach in
im 21.Jahrhundert (M7). der thailändischen Fischindustrie Zwangsarbeit und­
5. Ist es berechtigt, von «moderner Sklaverei» bei Menschen­handel an der Tagesordnung sind und Skla­
ven­­
arbeit bei der Herstellung der Nestlé-Katzenfutter­
Nestle zu sprechen? Werte dazu M8 und M9 aus
marke Fancy Feast im Spiel war.
und vergleiche dazu auch M10.
frei übersetzt von http://humanrightstoday.net/asia/nestle-admits-
6. Recherchiere im Internet nach weiteren Skandalen slavery-in-thailand-while-fighting-child-labour-lawsuit-in-ivory-coast/
vom 28.04.2019
des Nestlé-Konzerns.
7. Die gesamte Fischereiindustrie Thailands steht
seit vielen Jahren in der Kritik, ihren Profit über
M10 Zahlen im Vergleich für das Jahr 2021
Menschenhandel, Zwangsarbeit und Gewalt zu
er­wirtschaften. Erörtere hier die besondere Umsatz Nestlé 93,6 Mrd. US-Dollar
Rolle eines Global Players wie Nestlé, Einfluss zu BIP Elfenbeinküste 69,8 Mrd. US-Dollar
nehmen (vgl. M10). Siehst du auch eine moralische BIP Thailand 513,2 Mrd. US-Dollar
Übungen

Verantwortung? BIP Belgien 599,99 Mrd. US-Dollar


BIP Schweiz 812,55 Mrd. US-Dollar
BIP Deutschland 4.225,82 Mrd. US-Dollar
Zahlen zum BIP und dem Nestlé-Umsatz von www.statista.de

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 55


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FALLSTUDIEN
Aktuelle Ernährungskrisen 2022
Die Hungerkrise in der Welt spitzt sich nach Angaben der Russland und die Ukraine gehören zu den größten
Vereinten Nationen dramatisch zu. Das UN-Welternäh­ Weizen­­exporteuren weltweit (Ukraine 10%, Russland
rungsprogramm (WFP) zählt aktuell (Stand Juni 2022) 15% Anteil). 45 afrikanische und viele der ärmsten Län­
345 Millionen Menschen in 82 Ländern, die akut Hunger der der Welt importierten das Getreide zu einem großen
leiden. Das sind rund 200 Millionen Menschen mehr als Teil oder mehrheitlich aus diesen Ländern.
noch vor der Corona-Pandemie und dem Ausbruch des Experten befürchten nicht nur eine Verschärfung der
Krieges in der Ukraine. Hungerkatastrophe in denjenigen Ländern, die aufgrund
Wegen des russischen Angriffs und der Blockade der von Klimawandel und Kriegen bereits schwer getroffen
Häfen am Schwarzen Meer sind Lieferungen derzeit sind, sondern befürchten zudem, dass der Krieg in der
kaum möglich, und wegen dem knappen Angebot steigen Ukraine und die damit verbundene humanitäre Krise dazu
die Preise. führen könnten, dass andere Krisenschauplätze in Ver­
gessenheit geraten.

M1 Madagaskar (Ostafrika - Indischer Ozean)


Kein Regen, kaum Trinkwasser und Essen: das südliche
Madagaskar erlebt die schlimmste Dürre­ periode seit 40
Jahren. Landwirte können ihre Felder kaum noch bestellen.
Auch in diesem Jahr hat es bisher zu wenig geregnet.
Jahrelange Dürre und Sandstürme sorgen in Madagaskar
dafür, dass die Menschen kaum mehr etwas ernten kön­
nen. Der Klimawandel ist für die Familien deutlich spürbar.
1,5 Millionen Menschen sind von der Hungersnot bedroht,
zehntausende Kinder mangelernährt. Um überhaupt etwas
in den Magen zu kriegen, essen viele sogar Lehm, Blätter
und Insekten wie Heuschrecken oder Kakerlaken.
Sinzay ist Mutter von acht Kindern. Sie hat dank einer Nah­ © iAko M. Randrianarivelo / Ärzte ohne Grenzen

rungsmittellieferung überlebt: «Wir waren wirklich hilflos M2 Madagaskar zählt zu den ärmsten Ländern dieser Welt.
und wie Skelette. Wir konnten nicht einmal mehr laufen. Nun droht in dem Inselstaat eine Hungersnot. Die Mehrheit
Wir wären zusammengebrochen, wenn wir nur über einen der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. Aufgrund
Zweig gestolpert wären. Meine Kinder weinen. Sie weinen hoher Ernteausfälle in den letzten Jahren, haben sie kein
so viel, tief aus dem Inneren, mit all ihrer Kraft. Eines ist ausreichendes Saatgut mehr für die nächste Aussaat.
schon in Ohnmacht gefallen, weil es so viel geweint hat.»
Havanay ist einer von Sinzhays Söhnen. Er beschreibt das
so: «Wir essen wilde Wurzeln, aber wir können sie nicht
kochen. Wir legen sie in den Topf, bedecken sie mit Was­ M4 Somalia (Ostafrika - Horn von Afrika)
ser, aber sie bleiben roh. Die Wurzeln sind immer hart. Wir
essen sie, aber sie machen uns nicht satt. Mein Bauch Millionen von Somaliern droht nach Angaben der UNO eine
tut weh, und ich habe Durchfall. Wenn ich auf die Toilette Hungerkatastrophe. Die Hungerkrise werde in dem ostafrika­
gehe, ist mein Stuhl gelb und manchmal auch blutig. Ich nischen Land durch ein gleichzeitiges Eintreten von geringen
hätte gerne eine Decke, Kleidung und Sandalen. Aber vor Niederschlägen, schnell ansteigenden Lebensmittelpreisen
allem möchte ich etwas essen.» und­dem Ausfall von Krediten verursacht.
Jana Genth «Notfalls auch Leder zum Essen» unter www.tagesschau.de/
Vertrocknete Ernten, verbranntes Weideland, verdurstetes
ausland/afrika/madagaskar vom 06.08.2021, ergänzt Vieh, Mütter und Kinder auf der Suche nach Wasser und Nah­
rung. Drei Regenzeiten sind am Horn von Afrika ausgeblieben.
Aufgrund der Wasserknappheit in Somalia hat sich in Teilen
des Landes der Preis für Wasser verdoppelt. Die Vereinten
Nationen (UN) sprechen von der schlimmsten Dürre seit 1981,
mit fatalen Folgen für die Menschen. In Teilen Somalias, Äthio­
piens und Kenias sind mehr als 13 Millionen Menschen von
akutem Hunger bedroht, berichtet das UN-Welternährungspro­
gramm (WFP).
Inzwischen müssen sechs Millionen Menschen in Somalia, also
rund 40 Prozent der Bevölkerung, mit extremer Unsicherheit
hinsichtlich der Lebensmittelversorgung zurechtkommen, wie
die UNO-Organisationen unter Berufung auf eine neue Erhe­
bung weiter mitteilten. Bis zum Jahresende werden nach ihren
Übungen

Schätzungen rund 1,4 Millionen Kinder in Somalia unter akuter


Unterernährung leiden.
«Millionen Menschen in Somalia droht Hungerkatastrophe» unter https://orf.at
vom 12.04.2022; https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/afrika-duerre-
M3 In Somalia verhungern Menschen und Tiere hunger-ukraine-krieg-russland-100.html vom 02.04.2022

56 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M5 Jemen (Arabische Halbinsel)


Schon vor Beginn des Krieges im Jahr 2015 galt Jemen als
das ärmste Land im Nahen Osten. Mit der Corona-Pande­
mie 2020 verschärfte sich die humanitäre Lage weiter, eine
Verbesser­ ung der politischen und wirtschaftlichen Situa­
tion ist nicht absehbar. Es ist sogar eine weitere Eskalation
der Kampfhandlungen in kritischen Regionen zu befürch­
ten, die zu weiteren Vertreibungen, Zerstörungen und Leid
führen wird. Die humanitäre Situation in dem Land steht
an der Schwelle dazu, zwischen Juni und Dezember 2022
noch schlimmer zu werden“, teilte die Ernährungs- und
Landwirtschaftsorgani­sa­tion FAO im März 2022 in Rom
mit. Neben einem Minimum an Lebensmitteln fehlt es am
Zugang zu sauberem Trinkwasser und medizinischer Ver­
sorgung. Nur jedes zweite Krankenhaus ist überhaupt fun­
ktionsfähig. Neben COVID-19 breiten sich im Jemen immer
wieder Krank­heiten wie Cholera aus. Sie ist vor allem für die
zahlreichen geschwächten Kinder und älteren Menschen
lebensbedrohlich. M6 Ein unterernährtes Kind in einem Krankenhaus. Die
Lage im Jemen ist dramatisch. Die Vereinten Nationen
Der andauernde Konflikt zwischen den Huthi-Rebellen und sprechen von der größten humanitären Katastrophe der
der jemenitischen Regierung sei der vorrangige Treiber Gegenwart: knapp 21 Millionen Menschen sind auf Hilfe
der Hungerkrise, so die UN. Der Krieg in der Ukraine dürfte angewiesen.
sich deutlich auf die Importe aus­wir­ken, was die Lebens­
mittelpreise weiter steigen ließe. Der Jemen sei fast aus­
schließlich von Importen ab­hängig. 30 Prozent der Weizen­
einfuhren stammen laut UN aus der Ukraine.
www.aktiongegendenhunger.de/ [abgerufen am 14.04.2022]; www.aktion- Aufgabe
deutschland-hilft.de vom 25.03.2021;www.aerzteblatt.de/ vom 14.03.2022
Erstellt in Kleingruppen oder Partnerarbeit eine
Präsentation zu den Ursachen und Folgen aktueller
Hungerkatastrophen.
96%
91%

65%
58% 56% 55% 54% 51%
M8 Afghanistan (Vorderasien)
50% 49% 48% 45%
Die Bevölkerung Afghanistans blickt auf vier schwierige
Burkina Faso
Afghanistan

Timor-Leste

Jahrzehnte zurück. Infolge verschiedener Konflikte seit den


Südsudan
Somalia

Lesotho
Guinea

1980er-Jahren gehört Afghanistan heute zu den wirtschaft­


Jemen
Syrien

Benin
Niger
Mali

lich und sozial am wenigsten entwickelten Ländern weltweit.


Bis zu 90% der Bevölkerung sollen in Afghanistan von weni­
M7 Prozentualer Anteil der Hungernden an der Gesamtbe­ ger als 2 USD pro Tag leben. Mit der Machtübermahme
völkerung des Landes (Stand: Januar 2022) der Taliban sowie den Folgen der Covid-19 Krise und des
Klima­wandels sind die Perspektiven für die Bevölkerung
des Staats am Hindukusch düster. Die anhaltenden Dürren
gefährden die Ernährungssicherheit der über 30 Millionen
Menschen im Land. Bereits 95 Prozent der Afghanen kön­
nen sich laut Welthungerhilfe nicht ausreichend ernähren.
Steigende Lebensmittelpreise infolge des Ukraine-Kriegs
verschärfen die Lage.
«Aufgrund der Sanktionen liegt die Wirtschaft am Boden
und es kommt kein Geld ins Land», sagte der Landesdirek­
tor der Welthungerhilfe in Kabul, Thomas ten Boer. Seit der
Machtübernahme der radikalislamischen Taliban sind Gelder
der afghanischen Regierung in Milliardenhöhe eingefroren
und die Taliban mit Sanktionen belegt. Hilfsorganisationen
fordern eine teilweise Aufhebung der Beschränkungen, um
Hilfsgüter zu beschaffen.
Man dürfe einerseits nicht akzeptieren, dass die Taliban die
© Stefanie Glinski / Welthungerhilfe Rechte von Frauen missachteten, sagte ten Boer. Gleich­
M9 Der Hunger breitet sich in Afghanistan zunehmend aus, zeitig leide die Bevölkerung unter Hunger und Armut «und
viele Kinder sind schon jetzt unterernährt. Für sie ist die wir riskieren die Zukunft einer ganzen Generation, die jetzt
Kombination aus Hunger und Kälte extrem gefährlich. nicht ausreichend ernährt ist und keine richtige Schulbildung
Übungen

Neben ausreichend Nahrungsmittel fehlt es außerdem bekommt». Gut ausgebildete Menschen verließen das Land.
an sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und Außerdem werde die landwirtschaftliche Produktion weiter
Winterkleidung. Viele haben nicht einmal feste Schuhe, zurückgehen, da die Bauern infolge der Preissteigerungen
geschweige denn warme Jacken, die sie vor der Kälte kein neues Saatgut und keinen Dünger kaufen könnten.
schützen. www.eda.admin.ch [abgerufen am 14.04.2022]; www.zeit.de vom 29.03.2022

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 57


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1.4 Lösungsansätze zur Ernährungs-


sicherung
1 Eine nachhaltige Landwirtschaft als Alternative?
M1 Bio kann die Welt ernähren
Der Ökolandbau könnte eine wachsende Weltbevölkerung
ernähren. Das belegt eine umfassende Studie, die im Fach­
journal Nature Communications erschienen ist. Auch bei einer
vollständigen Umstellung auf Bio könnten genug Lebensmittel
auf der gleichen Fläche produziert werden – doch die Men­
schen müssten ihren Fleischkonsum auf ein gesundes Maß
senken, weniger Lebensmittel vergeuden und die Fütterung in
der Tier­haltung umstellen.
Für die Studie nutzten Wissenschaftler des Forschungs­
instituts für biologischen Landbau (FiBL), der Universität
Aberdeen, der Universität Klagenfurt, der ETH Zürich und der
Welternährungs­organisation FAO ein Modell, das verschie­
dene Aspekte des Ökolandbaus einbezieht, wie einen höhe­
ren Anteil an Leguminosen, geringere Erträge, Verzicht auf M2 Über 80% der Bauernhöfe weltweit sind kleiner als zwei
synthetische Düngemittel oder weniger Bedarf an Getreide Hektar. Experten sehen in diesen arbeits­ intensiven
und Körnerleguminosen für Tierfutter. „Die Ergebnisse zeigen, und auf Vielfalt ausgerichteten Betrieben eine wichtige
dass die Umstellung auf Ökolandbau allein den Flächenbedarf ­Basis für eine wirtschaftlich, soziale und ökologisch
zwar erhöht im Vergleich zur konventionellen Produktion, aber nachhaltige Lebensmittelversorgung. Denn primär sind
Vorteile in Bezug auf andere Faktoren hat, wie Pestizideinsatz es nicht die großen Unternehmen der industrialisierten
und weniger Stick­ stoffüberschüsse. Wird der Ökolandbau Landwirtschaft, die die Welt­bevölkerung mit Nahrungs­
mit ergänzenden Transformationen im globalen Ernährungs­ mitteln versorgen, sondern vor allem Kleinbauern.
system kombiniert, wie einer anderen Tierfütterung und gerin­ Leider arbeiten viele dieser kleinbäuerlichen Betriebe,
geren Tierbeständen oder veränderten Abfallmustern, kann er die meisten davon in Afrika und Asien, noch nicht sehr
dazu beitragen, mehr als 9 Milliarden Menschen im Jahr 2050 produktiv und haben ein großes Produktivitäts- und
zu ernähren – und zwar auf nachhaltige Weise“, schreiben die Nachhaltigkeitspotenzial. Wenn diese Familienbetrie­
Autoren. be mehr ernten, besser vermarkten und verkaufen
können, verringert das nicht nur die Armut in ländlichen
https://www.weltagrarbericht.de/aktuelles/nachrichten/
news/de/32851.html vom 15.11.2017
Regionen, sondern es kommen insgesamt mehr und
vielfältigere Lebensmittel auf den Markt – ein wichtiger
Schritt zur Sicherung der Welternährung.

M4 Integrierter Landbau − eine Alternative?


Die Integrierte Landwirtschaft bzw. der Integrierte Garten­
bau ist einzuordnen zwischen der rein konventionellen
Landwirtschaft, die hauptsächlich auf Produktivität aus­
gerichtet ist, und der ökologischen Landwirtschaft.
Es werden vorzugsweise Methoden und Bewirtschaftungs­
maßnahmen (Sortenwahl, Fruchtfolge, Anbautechnik,
Düng­ung und Pflanzenschutz) verwendet, die möglichst
geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben, ohne jedoch
alle Beschränkungen aus der ökologischen Landwirtschaft
zu übernehmen. Biologische, technische und chemische
Maßnahmen werden so aufeinander abgestimmt, um die
Kultur­pflanzen gesund zu erhalten, die natürlichen Res­
M3 Auf intensiv bewirtschafteten Ackerflächen wie in Europa sourcen langfristig zu schonen und so ertragreiche Ernten
und den USA bringt die ökologische Landwirtschaft weniger von hoher Qualität zu ermöglichen. Der Integrierte Land­
Erträge, sie benötigt deshalb mehr Fläche für den gleichen bau versteht sich selbst als Beitrag zu einer nachhaltigen
Ertrag. Auf den ertragsschwachen Standorten, vor allem Entwicklung.
in armen Regionen auf der Südhalbkugel, kann Bioanbau
die Ernten sogar steigern und vor allem die Bodenfrucht­ Im integrierten Pflanzenschutz sollen chemische Mittel
barkeit dauerhaft erhalten: Bioanbau lässt sich leichter mit erst dann eingesetzt werden, wenn andere, vorbeugende
Maßnahmen keinen Erfolg haben.
Übungen

den traditionellen Anbaumethoden der Kleinbauern verbin­


den. Eine kluge Kombination von verschiedenen Pflanzen http://infofarm.de/dsd/modul1/agenda21/lexika/
beugt Schädlingen vor und macht die Bauern unabhängi­ integrierterPflanzenbau.htm, ergänzt [abgerufen am 28.10.2021]
ger von Missernten bei einzelnen Früchten.
Tanja Busse «Die Wahrheit über Bio», in www.zeit.de vom 14.10.2009

58 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M7 Die Agroforstwirtschaft verbindet die Anpflanzung von


M6 Der 37-jährige Raul Upaya Romero weiß, was Arbeit Bäumen und Sträuchern mit Ackerbau und Viehzucht.
bedeutet. Bereits als Kind musste er auf den Zucker­ Ähnlich dem Stockwerksbau des tropischen Regenwaldes
rohrplantagen im Tiefland arbeiten und bekam auch mal nachempfunden, schützen die höheren Pflanzen die da­
Schläge anstatt Lohn. Als Jugendlicher kehrte er in das runterliegenden vor zu starker Sonneneinstrahlung und
Dorf seiner Eltern zurück, die ihm Grundkenntnisse im verhindern zugleich ein Austrocknen des Bodens (Kon­
Ackerbau vermittelten. Doch das Geld reichte hinten und zept des Ecofarming).
vorne nicht. Raul wanderte in die nächstgrößere Stadt ab, Diese traditionelle Anbauform benötigt aufgrund der Bio­
und kam erst zurück, als seine Frau ein Stück Land erbte. diversität weder Pestizide noch Dünger, und kann auch
Der Anfang war beschwerlich, der Boden durch Mono­ auf weniger fruchtbaren Böden hohe Erträge an Feld­
kulturen, chemischen Dünger und Pestizide belastet. Auf früchten aller Art bringen. Schräge Hänge werden terras­
den Feldern, auf denen einst bloß Kartoffeln und Bohnen siert, um so Erosion zu verhindern.
wuchsen, sprießen heute eine Vielzahl verschiedener
biologisch angebauter Gemüse und Futterpflanzen für
die Tiere. Heute stehen Raul Upaya Romero und seine
Familie stolz auf ihrem Acker: «Das ist unser Leben, das Aufgabe
ist die Zukunft unserer Familie.» Informiere dich mit Hilfe der Materialien M1 bis
https://www.swissaid.ch/de/projekte/agrooekologie-in-den-anden-vom- M8 über die verschiedensten Lösungsansätze, die
einheitsbrei-zur-mischkultur/ [abgerufen am 28.10.2021]
Welternährung nachhaltig zu sichern.
Welche Vor-und Nachteile siehst du?

M8 Studie: Agroforstsysteme für Kakao steigern das Einkommen der Bauern


Eine Langzeitstudie in Bolivien, die verschiedene Kakaoanbau­ Der Arbeitsertrag war in den Agroforstsystemen über die Jahre
systeme vergleicht, zeigt, dass Agroforstsysteme und biolo­ hinweg etwa doppelt so hoch wie in den Monokulturen, obwohl
gische Bewirtschaftung nicht nur die biologische Vielfalt und die die Agroforstsysteme aufgrund des Zeitaufwands für die Pflege
Ernährungssicherheit der Landwirte verbessern, sondern auch der Schattenbäume arbeitsintensiver waren als die Monokul­
profitabler sein können als Monokulturen und konventionelle turen und obwohl die Kakaoerträge in den Monokulturen etwa
Bewirtschaftung in jungen Kakaoplantagen. Die Studie wurde 40 % höher waren. Dies ist auf die Einnahmen aus dem Ver­
vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Schweiz) in kauf von Bananen und Kochbananen zurückzuführen, die die
Zusammenarbeit mit Partnern in Bolivien durchgeführt. geringeren Kakaoerträge wirtschaftlich ausgleichen. Darüber
Die Nachfrage nach Kakao ist weltweit gestiegen. Um sie zu hinaus tragen Agroforstsysteme durch den Eigenverbrauch von
decken, wurde die biologische Anbaufläche seit 2004 fast ver­ Nebenfrüchten wie Orangen, Pfirsichpalmen, Bananen oder
sechsfacht und liegt damit deutlich über der gesamten Kakao­ Avocados zur Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung von
fläche. Dabei wurden traditionelle agroforstwirtschaftli­che Sys­ Kleinbauern bei.
teme durch Monokulturen ersetzt. Es ist bekannt, dass dies Vergleicht man die ökologische und die konventionelle
zu einem drastischen Verlust der Artenvielfalt führt. «Über die Bewirtschaftung, so waren die Kakaoerträge und die Arbeits­
wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen erträge bei beiden Bewirtschaftungsformen in den Agroforst­
Produktionssystemen ist jedoch wenig bekannt», erklärt Laura­ systemen ähnlich, während die Kakaoerträge in den Monokul­
Armengot, Mitautorin der Langzeitstudie. «Unsere jüngste turen im ökologischen Landbau um fast 50 % niedriger waren.
Veröffentlichung bringt nun Licht in diese Frage.» Die Rentabilität der Arbeit war jedoch bei beiden Systemen
In der Studie wurden die Produktivität und die Arbeitsrendite, ähnlich. Dies ist vor allem auf die niedrigeren Kosten für Be­
d. h. das Einkommen pro Arbeitstag, von vier verschiedenen triebsmittel in der ökologischen Bewirtschaftung zurückzufüh­
Kakaoanbausystemen in einem Langzeitversuch in Bolivien ren. Dies könnte für Kleinbauern, die in der Regel nur über be­
während der ersten fünf Jahre nach der Einführung bewer­ grenzte Ersparnisse verfügen und keinen Zugang zu Krediten
tet. Verglichen wurden Vollsonnen-Monokulturen, bei denen haben, von großer Bedeutung sein. Zudem war die biologische
Übungen

nur Kakaobäume angebaut werden, und Agroforstsysteme, Bewirtschaftung nicht arbeitsintensiver als die konventionelle
bei ­denen Kakaobäume mit Schattenbäumen und anderen Bewirtschaftung.
Nebenkulturen wie Bananen oder Kochbananen gekreuzt Cacao agroforestry systems increase farmers’ income,
werden, sowohl unter ökologischer als auch konventioneller Pressemitteilung FiBL vom 23.02.2017, frei übersetzt und gekürzt
Bewirtschaftung.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 59


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2 Gentechnik − eine Chance gegen den Hunger?


M1 Für oder gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVO )
Argumente für GVO gv-Sorten und neuer Pflanzenschutzmittel – gegen welche
• Gezielte Pflanzenzucht: die Unkräuter und Insekten wiederum Resistenzen ausbilden
Durch gentechnische Methoden können Nutzpflanzensorten („Wettrüsten auf dem Acker“). Auf diese Weise können sich in
effektiver und schneller den Wünschen des Marktes und vor allen Wildorganismen Resistenzen ansammeln, „Super-Unkräuter“
Dingen an die Veränderungen durch den Klimawandel angepasst und „Super-Schädlinge“ entstehen, die letztendlich der gesam­
werden. ten Landwirtschaft Probleme bereiten.
• Schonung der Umwelt: • Schädigung von Nicht-Ziel-Organismen:
Bei GVO ist der Einsatz von Wasser und Pestiziden deutlich Gentechnisch eingebrachte Insektizide in Nutzpflanzen töten
geringer. So produzieren Bt-Pflanzen selbst ein Gift gegen nicht nur Schadinsekten, sondern betreffen auch andere Insek­
Schädlinge, daher muss weniger gespritzt werden, was Boden ten und weitere Tiere der Nahrungskette.
und Grundwasser schont. • Abhängigkeit von Saatgut-Monopolisten:
• Verbesserung der Ernährungssituation: Gv-Saatgut genießt langjährigen Patentschutz. Landwirte müs­
Der mit Vitamin A und Eisen angereicherte Golden Rice soll sich sen das High-Tech-Saatgut inklusive des Spritzmittels jedes
beispielsweise an die 200 Millionen Menschen richten, die an­ Jahr erneut kaufen. Diese Patente bringen arme Bauern in neue
Vitamin-A-Mangel leiden, der für fast 3 Millionen Fälle von Abhängigkeiten, da sie ihre Ernte nicht mehr zur Aussaat nut­
Blindheit bei Kindern unter 5 Jahren verantwortlich ist. zen dürfen, ohne Lizenzen zu zahlen.
• GVO löst nicht das weltweite Hungerproblem:
Argumente gegen GVO Nie zuvor hat die Menschheit mehr Nahrungsmittel produziert
als heute. Über ein Drittel davon wird bei uns weggeschmissen.
• Reduktion der Sortenvielfalt / Wildpflanzenvielfalt: Wenn Lebensmittel gerecht verteilt wären, müsste niemand
Regionale Sorten haben sich über Jahrhunderte an Standorte hungern. Was den Menschen in Entwicklungsländern fehlt,
angepasst. Werden sie durch großflächigen Anbau von gv- ist der Zugang zu Land, Wasser und Saatgut, zu praktischem
Pflanzen ersetzt, droht nicht nur ihre Verdrängung, sondern Know-how, zu lokalen Märkten und einfachen Technologien.
auch ein ungewolltes Einkreuzen von Gen-Modifikationen in Zudem handelt es sich bei GVO um Pflanzen, die an die indus­
Kultur- und Wildpflanzen. Wertvolle genetische Ressourcen trielle Landwirtschaft der reichen Länder angepasst sind. So
gehen dadurch verloren. werden weniger als 1% der biotechnologischen Forschung in
• Resistenzbildungen: Afrika südlich der Sahara durchgeführt − der Region, die am
Sowohl Unkräuter als auch Schadinsekten entwickeln Resis­ stärksten von Ernährungskrisen betroffen ist.
tenzen gegen die Gen-Modifikationen von Nutzpflanzen. Die
https://gentechniken.de/gentechnik-pro-und-contra, gekürzt und ergänzt
Saatgut-Hersteller reagieren darauf mit der Entwicklung neuer [abgerufen am 01.02.2021]

M2 Die weltweite Anbaufläche von GV-Pflanzen


Kanada
hat 2019 um 0,7% zum Vor­­jahr ab­ge­nommen
PAZIFISCHER und betrug 190,4 Millionen Hektar Fläche
USA Spanien
China
welt­weit. Auf die fünf wichtigsten Länder, die
ATLANTISCHER OZEAN
gentechnisch veränderte Pflanzen nutzen,
Ägypten
ent­fallen 91% des globalen GVO-Anbaus.
nördlicher Wendekreis
Indien
Mexiko
Mali
Niger
PAZIFISCHER Philippinen
Burkina Faso

Elfenbein-
Kolumbien küste
Äquator Kenia
INDISCHER
Brasilien
OZEAN
OZEAN Bolivien OZEAN
Paraguay
Australien
südlicher Wendekreis GVO Anbaufläche
in Millionen Hektar Südafrika
mehr als 25
Argentinien
von 10 bis 25
0 2.000 km
von 0,1 bis 10
Sources : ISAAA, Global Status of Commercialized Biotech/GM Crops : 2018. weniger als 0,1

© Hugh Iltis

M4 Mais − durch klassische Züchtung


ent­stan­­den:­ durch fortwährende
Aus­lese ge­lang es den I­ndianern
Mittelamerikas, aus dem unschein­
baren Wildgras Teosinte (im Foto
links) in einer zehntau­send­jährigen
Übungen

Züchtungsge­schichte Kulturmais
Kulturpflanze
Wildpflanze mit
neue mit einem vielfach größeren Kol­
gewünschtem ben hervorzubringen. Weltweit
Kultursorte
Merkmal
gibt es schätzungsweise 50.000
M3 Das Transgen-Verfahren ver­schiedene Maissorten.

60 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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Soja
M6 Haben GVO den Hunger bekämpft?
Das Wachstum von Biotech-Pflanzen ist das am schnells­ten
Cassava
wachsende Segment in der Landwirtschaft. Ein Großteil die­
Reis
(Maniok) Kartoffel ser Ernten wird für Tierfutter und Biokraftstoff verwendet. In
Amerika und Asien werden auch größere Mengen zu Lebens­
Reis Mais Raps Zuckerrübe mitteln weiterverarbeitet. Doch haben sie trotz des kommer­
ziellen Erfolgs von GV-Pflanzen einen signifikanten Einfluss
auf den Hunger in der Welt gehabt?
Zuckerrohr Viele der ärmsten Länder, die am stärksten von einer Hun­
gersnot betroffen sind, wie viele afrikanische Länder, haben
strenge Vorschriften erlassen, die das Wachstum und den
Import von GV-Lebensmitteln und Getreide ver­hindern.
Getreide
(Gerste, Roggen, Weizen Anti-GV-Stimmung ist jedoch nicht der einzige Grund, warum
Hafer, Triticale)
es den ärmsten Ländern nicht geholfen hat. Von der kom­
merziellen Seite aus nutzen große Pflanzenbauunternehmen
die Gentechnik hauptsächlich, um große Cash-Crops mit
Sonnen-
blume
dem größten Gewinnpotenzial wie Mais, Baumwolle, Soja
und Weizen zu verbessern. Geringe Investitionen werden in
Kulturen wie Maniok, Sorghum, Hirse usw. getätigt, die für
den Anbau in armen Ländern von größerer Bedeutung sind.
Der wirtschaftliche Anreiz, die Art von GV-Pflanzen zu ent­
Maßstab: Landwirt- Ackerflächen Kulturarten ohne wickeln, die kleinen, armen Bauern in Ländern der dritten Welt
weltweit: 1600 Mio. ha Anbau von
25 Mio ha schaftliche
Fläche
gv-Pflanzen helfen würde, ist gering, da die finanziellen Erträge beschei­
Deutschland Kulturarten mit Flächen mit den wären.
16,8 Mio. ha Anbau von gv-Planzen gv-Pflanzen
Quelle: FAO, ISAA, Destatis (2018), Realisierung: S. Coté
Paul Diehl, unter https://de.brictly.com/
wie-gvo-die-welt-ernaehren-koennen/, modifiziert [abgerufen am 29.10.2021]
M5 Ackerflächen weltweit, Anbau von GV-Pflanzen

M8 Die vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen


brauchen Saatgut, das dürreresistent oder salztolerant
M7 Weltweit leisten Kleinbauern den mit Abstand größten ist, um die Erträge steigern zu können. Sorghum, eine in
Beitrag zur Welternährung. Statt teuren Hightech-Saat­ Afrika beheimatetete und fast vergessene Pflanze, kommt
guts brauchen sie aber Zugang zu Saaten, die sie selbst mit Hitze und Trockenheit sehr gut klar. Aber selbst­ihr
reproduzieren können und die an den Standort ange­ macht der Klimawandel bereits zu schaffen und Ernte­
passt sind. einbrüche werden befürchtet.

Aufgaben
1. Erarbeite aus M1 die Argumente für und gegen GVO. pflanzen für Tiere und welche der Ernährung der
2. Nenne die fünf größten Anbauländer von GVO (M2). Menschen?

3. Beschreibe Gemeinsamkeiten und Unterschiede der 5. Erarbeite aus M6 die Argumente des Autors, warum
in M3 und M4 dargestellten Techniken zur genetischen GVO den Hunger der Welt nicht bekämpft hat.
Übungen

Veränderung. 6. Erkläre mithilfe der Materialien dieser Doppelseite,


4. Benenne die in M5 aufgeführten vier bedeutends­ wie deiner Meinung nach mit Gentechnik der Hunger
ten GV-­Pflanzen. Welche davon sind Energiepflanzen der Welt gestillt werden könnte.
(Biosprit, Biogas), welche dienen auch als Futter­

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 61


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EXKURS
Saatgut und Patente auf Leben

M2 Was ist ein Patent?


Der Zweck des Patentsystems ist es, technische Innovation
zu fördern, indem man Forschern ermöglicht, Kosten für
Forschungs- und Entwicklungsarbeit durch die Anwendung
von geistigen Eigentumsrechten wiederhereinzubekom­
men. Produkte oder Verfahren können patentiert werden,
wenn sie Kriterien wie
a) Neuheit,
b) erfinderische Tätigkeit und
c) industrielle Anwendbarkeit erfüllen.
Wenn Patente erteilt worden sind, kann ihr Inhaber ande­re­
über einen Zeitraum von 20 Jahren daran hindern, die ent­
sprechenden Produkte zu vervielfältigen, zu gebrauchen,
zu verkaufen und zu verbreiten.
https://www.no-patents-on-seeds.org/de/hintergrund/was-ist-das-problem
[abgerufen am 28.10.2021]
M1 Saatgut wurde über Jahrtausende hinweg zunächst von
Bauern erhalten, ausgetauscht und weiterentwickelt. Die
Samen waren für jeden zugänglich und gleichzeitig wurde
die biologische Vielfalt erhalten. Doch mit Beginn des 20.
Jahrhunderts wurde Saatgut ein kommerzielles Gut − von 800

der Wissenschaft stets nach den neuesten Erkenntnissen Patente auf Pflanzen seit 1978 M3
700
der Genetik verbessert, von staatlichen Stellen systema­
weltweit angemeldete Patente
tisch erfasst und den Landwirten zur Verfügung gestellt. 600
europaweit angemeldete Patente
Anzahl pro Jahr

500 europaweit erteilte Patente

400

Aufgaben 300

1. Erkläre den Zusammenhang der Patente auf 200

Leben und dem weltweiten Hungerproblem. 100

2. Diskutiert in der Klasse über das Recht auf Jahr


0
Patente lebender Tier- und Pflanzenarten. 1980
Realisierung: S. Coté
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020

M4 Patente auf Leben


Patente wurden ursprünglich für Industriegüter, wie zum Bei­ sich über die Futtermittel, die Haltung der Fische und ihre
spiel Chemikalien und mechanische Produkte, entwickelt. Das ­Fütterung, die Fische selbst sowie das Fischöl.
Europäische Patentübereinkommen schließt Pflanzen und Der ursprüngliche Zweck von Patenten, neuartige Erfindun­
Tiere von der Patentierbarkeit aus. Doch rechtliche Schlupf­ gen zu schützen und dadurch einen Anreiz für Forschung und
löcher ermöglichen dem Europäischen Patentamt (EPA) und Innovation zu schaffen, wurde völlig zweckentfremdet. Denn
der Industrie, dieses Verbot systematisch zu umgehen. Damit die meisten Patente auf Leben basieren nicht auf neuartigen
werden Lebewesen und deren Erbgut zu Ware degradiert und Erfindungen, sondern auf juristischer Trickserei. Sie werden
die Interessen der Industrie vor die der Allgemeinheit gestellt. als strategische Waffe eingesetzt, um die Forschungsarbeit der
Seit den 80er Jahren wurden in Europa rund 3.700 Patente Konkurrenz zu behindern und diese vom Markt zu drängen.
auf Pflanzen und 2.000 Patente auf Tiere vergeben. Zunächst Für das EPA ist die Flut an Patentanträgen seitens der Agrar­
waren ausschließlich genmanipulierte Lebewesen von Paten­ konzerne ein lukratives Geschäft. Denn das Amt finanziert
tierungen betroffen. Mittlerweile gibt es jedoch auch über 200 sich über die Gebühren, die bei der Prüfung und Erteilung von
Patente auf Pflanzen aus herkömmlicher Z ­ üchtung. Patentiert Patenten anfallen. Außerdem untersteht das EPA weder dem
wird nicht nur die Pflanze, sondern auch das Saatgut, die Ernte­ Europäischen Gerichtshof noch einem anderen internationalen
produkte wie Getreidekörner, Früchte und Gemüse sowie die Gericht. Einzige Kontrollinstanz ist der Verwaltungsrat, der sich
daraus hergestellten Lebensmittel. aus Vertretern der 38 Vertragsstaaten zusammensetzt. Doch
Übungen

Auch herkömmlich gezüchtete Tiere werden von der Paten­ die Vertreter sind in den meisten Fällen die Direktoren der
tierungswelle nicht verschont. Zum Beispiel wurde 2018 ein nationalen Patentämter ihres Heimatlandes und somit Teil des
Patent auf Lachse und Forellen erteilt, die mit bestimmten „Patentsystems“.
Pflanzen gefüttert werden, um einen erhöhten Gehalt an wert­ http://www.umweltinstitut.org/themen/landwirtschaft/patente-auf-leben.html
vollen Omega-3-Fettsäuren zu erzielen. Das Patent er­streckt [abgerufen am 07.01.2022]

62 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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3 Fairer Handel
M1 Was ist Fairer Handel? M2 Paket gemahlener Kaffee Paket gemahlener Kaffee
traditionnel Max Havelaar
Der Faire Handel hat sich eine faire Handelspolitik zum
Ladenpreis: zwischen 1,71 € und 3,05 € Ladenpreis: zwischen 2,50 € und 3,20 €
Ziel gesetzt. Produziert werden Waren wie Obst (Ba­
nanen, Mango, ...), Kaffee, Tee, Baumwolle und auch Aufteilung der Kosten
Gebrauchsgegenstände wie Textilien, Blumen oder
Kunstgegenstände von Kleinproduzenten und Klein­ Einfuhrkosten
bauern in Afrika, Asien und Latein­amerika. Die Pro­ Rösterei

duzenten bzw. Bauern schließen sich zu Kooperativen Vertrieb 73 %


85 %
zusammen, mit denen langfristige Partnerschaften ein­ Lizenzgebühr
gegangen und dabei die Zwischenhändler ausgeschaltet Max Havelaar

werden. Exportkosten
2%
Kooperative
Das System basiert auf dem Prinzip «Hilfe zur Selbst­ 3%
3%
Zwischenhändler 2%
hilfe», um die wirtschaftliche und soziale Situation von 2%
benachteiligten Bäuerinnen und Bauern sowie Arbeiter­
10 %
Produzenten
20 %
innen und Arbeitern zu verbessern. Sie werden für ihre

25
0g
Arbeit und ihre Produkte angemessen bezahlt und kön­ 250 g

nen sich dadurch eine stabile Existenz aufbauen. Quelle: Max Havelaar, Leclerc

Zusätzlich zu Mindestabnahmepreisen, die in der Regel


über dem Weltmarktpreis liegen, werden Prämien an die
Kooperativen ausgezahlt. Damit können beispielsweise M3 Preisverlauf Arabica-Kaffee
Gemeinschaftsprojekte, wie eine Krankenstation, eine 300 Konventionell, US-Cents pro Pfund, 1997 - März 2019
Schule oder die Umstellung auf ökologischen Landbau
finanziert werden. 250
Zu den wichtigsten Grundsätzen im Fairen Handel
Fairtrade Preis
zählen unter anderem das Verbot von Kinderarbeit, die 200
Einhaltung von Arbeits­schutzrechten sowie schonen­
der Umgang mit der Umwelt bei Anbau, Produktion und
150
Weiterver­arbeitung.
Fairtrade-
100
Mindestpreis

50 Weltmarktpreis

Realisierung: S. Coté
0
1997 2000 2002 2005 2007 2010 2013 2015 2018 2019

M5 Auf der Suche nach dem schwarzen Gold


Der Kaffee wächst im Süden, die Gewinne im Norden. Das nach
Öl weltweit am zweithäufigsten gehandelte Gut hat keine lokalen
Emire hervorgebracht. Das schwarze Gold wird zwar immer häu­
figer konsumiert, aber die Preise bleiben auf niedrigem Niveau.
Verstehen Sie das! In Jimma verlangt die Händlerin Almaz Zewde
M4 Fair Trade-Produkte müssen nicht «bio»­sein. Im 1,50 Euro für ein Kilo Rohkaffee. Für die gleiche Menge in einer
Gegensatz zum Begriff «bio» ist „fair“ rechtlich 250-Gramm-Packung verlangt eine Filiale des multinationalen
über­­haupt nicht geschützt − und daher nicht an be­ US-Unternehmens Starbucks in Paris 22 Euro.
stimmte Auflagen gebunden. Daher kann jeder ein
Der Kaffee wächst im Süden, der Geschmack wird vom Norden
«faires»Logo auf seine Produkte machen, auch
diktiert. Der Kaffee wächst im Süden, er wird im Norden geröstet.
wenn dies letzt­ endlich reiner Etikettenschwindel
Der Kaffee wächst im Süden, das Marketing kommt aus dem Nor­
ist. Der Kunde weiß letztendlich bei all den vielen
den. Der Kaffee wächst im Süden, die Geschichte wird im Norden
«fairtrade»-Siegeln nicht mehr, welchen er trauen
geschrieben.
kann. Und bezahlt vielleicht einen überteuerten
Preis, wovon nur der Handel profitiert. Jean-Paul Guilloteau, L’express, Juli 2006, frei übersetzt und gekürzt

Aufgaben
1. Erarbeite aus M1 die we­sent­lichen Merkmale des sich den Kunden bietet.
Fairen Handels. 5. Recherchiere, wo du in deiner Umgebung Fairtrade-
2. Vergleiche die beiden Pakete Kaffee (in M2) mitein­ Produkte kaufen kannst (M4). Um welche Art von
ander. Produkten handelt es sich dabei?
Übungen

3. Erkläre anhand von M3, wie sich der Fairtrade-Preis 6. Erkläre anhand von M5, warum die Kaffeebauern
in Bezug zum Welt­markt­preis verhält. trotz weltweit steigendem Kaffeekonsum finanziell
4. Erläutere die in M4 dargestellte Problematik, die nicht davon profitieren.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 63


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EXKURS
Insekten als Proteinquelle der Zukunft
M1 Insekten als Nahrungsmittel
Mehr als 2.100 Insektenarten sind für den Menschen ess­
bar. In der Europäischen Union sind seit 2021 zwei davon
als Nahrungsmittel zugelassen: der Mehlwurm und die
Europäische Wanderheuschrecke.
Weltweit ernähren sich mehr als zwei Milliarden Menschen
von Insekten. Doch in Deutschland klingt das für viele
wohl eher nach einer Mutprobe als nach einem massen­
tauglichen Ernährungsstil. Wie in den meisten Industrie­
staaten ist hier Fleisch die beliebteste Proteinquelle. 68,6
Kilogramm davon verzehrt ein Bürger eines entwickelten
Landes im Jahr durchschnittlich, weltweit werden jährlich
320 Millionen Tonnen Fleisch konsumiert. Doch neben
ethischen Fragen zur Massentierhaltung bringt dieser
hohe Fleischkonsum auch globale Probleme.
Daher müssen sich alternative Proteinquellen etablieren. © snackinsects.com
Hier kommen die Insekten ins Spiel. Für die Produktion
M2 Insekten sind reich an Omega 3- und 6-Fettsäuren, Spu­ren­
von 100 Gramm eines verzehrfertigen insektenbasierten
elementen und Mineralstoffen wie Magnesium und Phos­
Produkts fallen einem Bericht des Umweltbundesamtes
phor. Außerdem enthalten sie die Vitamine B2 und B12 und
aus dem Jahr 2019 zufolge 0,15 Kilogramm CO2-Äqui­
alle essenziellen Aminosäuren. Dabei gibt es von Spezies
valente an. Das sind dreimal weniger als bei derselben
zu Spezies Unterschiede bei den Inhaltsstoffen: Die Grille
Menge Geflügelfleisch und 20 mal weniger als bei Rind­
hat zum Beispiel einen hohen Eisen- und Kalziumgehalt, der
fleisch. Außerdem benötigen Insekten weniger Platz und
Mehlwurm einen hohen Methioningehalt. Auch der Anteil
Futtermittel als andere Nutztiere.
an Fett, Kohlehydraten und Proteinen ist von Art zu Art ver­
Julia Kainz »Insekten als Nahrungsmittel: Die Proteinquelle der Zukunft?» schieden. Generell können Insekten aber mit Fleisch mithal­
auf www.nationalgeographic.de vom 04.01.2022, gekürzt
ten: Im frischen Zustand enthalten sowohl Fleisch als auch
Grille etwa 20 Prozent Protein, getrocknet sind es bei der
Grille zwischen 50 und 70 Prozent. „Sämtliche Stoffe, die
im Fleisch enthalten sind, kann man auch durch Insekten
aufnehmen“, so ein Grillen-Züchter.
Julia Kainz »Insekten als Nahrungsmittel: Die Proteinquelle der Zukunft?»
auf www.nationalgeographic.de vom 04.01.2022m, modifiziert

Aufgaben
1. Erkläre den Vorteil von Insekten gegenüber dem
Fleischkonsum als Lösung des Hungerproblems.

M3 Gegrillte Heuschreckenlarven sind in Kambodscha 2. Diskutiert in der Klasse, ob ihr euch Insekten auf
eine Delikatesse dem europäischen Speiseplan vorstellen könnt.

M4 Insekten: Nahrung der Zukunft?


Insekten sind als Lebensmittel eigentlich nicht neu. Derzeit ste­ Insekten stellen dennoch eine alternative Quelle für Lebens-,
hen sie bei über zwei Milliarden Menschen weltweit regelmäßig Futtermittel und Proteine dar und können einen Beitrag zur
auf dem Speiseplan. Vor allem in Afrika, Asien, Südamerika und Welternährung der steigenden Weltbevölkerung leisten. Davon
Australien essen die Menschen Grashüpfer, Mehlwürmer oder ist auch die Welternährungsorganisation FAO überzeugt und
Kakerlaken nicht nur aus Hunger, sondern auch aus Genuss. geht davon aus, dass Insekten ein Teil der Lösung im Kampf
Von den über 2000 verzehrten Arten werden die meisten je­ gegen Hunger und Proteinmangel sein können. Besonders
doch immernoch in der Wildnis gesammelt, auf Märkten ver­ in Entwicklungsländern kann das Sammeln und Züchten von
kauft und am heimischen Herd zubereitet. Dies gefährdet nicht Insekten neben Nahrungsquelle auch eine zusätzliche Einkom­
nur Insektenarten und daraus resultierend andere Tiere und mensquelle bedeuten und den Lebensstandard verbessern. Ein
Pflanzen ihres Ökosystems, sondern birgt auch Sicherheits- zweijähriges Forschungsprojekt in Kinshasa, Kongo, hatte zum
und Gesundheitsrisiken. So reichern Insekten beispielsweise Ziel die Rolle, die Insekten in der lokalen Ernährung traditio­
Pestizide an, wenn sie sich von mit Pflanzenschutz behandel­ nell einnehmen, zu stärken und gleichzeitig die Nachhaltigkeit,
ten Pflanzen ernähren. Dasselbe gilt für Toxine und Schwerme­ Sicherheit und Effizienz der Insektenzucht, -verarbeitung und
talle. Zum Schutz der Umwelt, aber auch des Verbrauchers sind des Konsum zu steigern. Das Projekt hat gezeigt,dass die För­
Übungen

in der Wildnis gesammelte Insekten keine Lösung. Vielmehr ist derung des Verzehrs von Insekten ein nachhaltiger Weg ist, um
es sinnvoll, wenn essbare Insekten industriell überwacht aufge­ chronischer Fehlernährung entgegenzuwirken und neue Ein­
zogen werden. Durch eine gezielte Zucht mit kontrolliertem kommensquellen in Kinshasa zu generieren.
Futter und eine effektive Verarbeitung können viele der oben Birgit A. Rumpold, Oliver Schlüter »Insekten: Nahrung der Zukunft?»
genannten Risiken minimiert werden. in UGBforum 5/16

64 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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EXKURS
Essen aus dem Bioreaktor
Die Fachleute, die von der Boston Consulting Group befragt es für 90 Prozent der beliebtesten Gerichte weltweit tierfreie,
wurden, kommen zu einem optimistischeren Fazit: schmack­hafte und bezahlbare Alternativen geben. Von Enten­
In gut zehn Jahren würden Proteine aus tierischen Zellkultu­ brust über Steak, Sushi und Pizza bis zu Quesadillas und Ra­
ren hinsichtlich Geschmack, Textur und Preis genauso gut sein men. Nur mit Zutaten vom Acker und solchen aus dem Tank.
wie jene aus realen Tieren. Bis 2035, so die Prognose, werde

Burger aus der Petrischale


Herstellung von In-vitro-Fleisch, vereinfachte Darstellung

In einer Nährlösung aus Zucker


Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen,
gefüttert mit dem Wachstumsserum,
wachsen die Stammzellen heran.

Einer lebenden Kuh wird Das Wachstumsserum stammt


Muskelgewebe entnommen, aus dem Blut lebender Föten. Dass
um daraus adulte Muttertier wird geschlachtet, derr
Stammzellen zu gewinnen Fötus stirbt durch die Entnahme.
Vielleicht können Algen schon
bald das Kälberblut ersetzen.

In Bioreaktoren
wachsen die
Muskelfasern Im Fleischwolf werden die
heran. Gerüste üben Fasern zu einer Fleischmasse
Zug aus, der die für Burger oder Wurstwaren,
Muskeln trainiert. ein übliches Verfahren.
Quelle: Fleischatlas2018/Vier pfoten, stockmar. Realisierung: S. Coté

M1 Dutzende Unternehmen arbeiten daran, alsbald mit »cultured meat« Geld zu verdienen. Das Prinzip: Einem Tier werden per
Biopsie aus dem Muskelgewebe Stammzellen entnommen und diese kultiviert. Sie vermehren und differenzieren sich und
bilden eine faserige Textur. Bisher sind aber lediglich Vorstufen gelungen, die an Hackfleisch erinnern: die erwähnten Nuggets
oder Burger-Patties aus Zellkultur – wenn auch mit passablem Geschmack, wie vielfach zu lesen ist. An tierfreiem Ersatz »ech­
ter Fleischstücke«, die es in Konsistenz, Textur und Mundgefühl mit einem Steak oder Schnitzel aufnehmen können, müssen
die Biotechnologen weiter tüfteln.

Aufgaben
1. Recherchiere im In­-
ternet nach weiteren
Produkten, die mit den
auf dieser Seite be­-
schriebenen Verfahren
im Labor hergestellt
werden.
2. Diskutiert in der Klas-
se, ob ihr euch eine
solche Ernährung vor­-
stellen könnt.
M3 Sieht aus wie Ei und schmeckt wie Ei –
ist aber keines: das deutsche Start-Up
«ScramVegg» hat das vegane Rühr­ei auf
Basis von Kichererbsen entwickelt.
Übungen

Andere Unternehmen nutzen genetisch


veränderte Mikroorganismen wie z.B. Die meisten Informationen dieser Seite
M2 Käse ohne Kuh. Das Start-up Hefen, um einen Eiweiß­ ersatz zu pro­ stammen aus dem Artikel von Ralf
Formo erzeugt Milcheiweiß durch Nestler «Essen aus dem Bioreaktor:
gentechnisch veränderte Mikro­ duzieren, der sehr vielfältig zum Backen Fleisch vom Acker, Gemüse aus dem
organismen. oder als Rührei Verwendung findet. Tank», erschienen auf www.spektrum.
de am 13.01.2022

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 65


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FALLSTUDIE
Überwindung des Hungers in Subsahara-Afrika

Ursprünglicher Verlauf Ursprüngliche Mitgliedstaaten


Aktueller Verlauf Tunesien Erweiterte Mitgliedstaaten

Algerien
Libyen
Ägypten

Mauretanien Mauretanien
Niger Tschad Sudan
Mali Eritrea
Senegal Algerien
Kamerun
Gambia Mali
M
Burkina
Faso Benin Somalia
Ghana Nigeria Äthiopien
Kamerun

© Karte lev. D.Goffner, H.Sinare, L.J. Gordon: The Great Green Wall for the Saha

0 2.000 km
© Karte lev. D.Goffner, H.Sinare, L.J. Gordon: The Great Green Wall for the Sahal. Realisierung: S. Coté

M1 Die «Great Green Wall», die «Grüne Mauer» der Sahelzone soll 7.700 km quer M2 Die Auffors­
tungen dienen
durch Afrika südlich der Sahara in einem 15 km breitren Vegetationsstreifen durch 11 nicht nur dem Erhalt und der
Staaten südlich der Sahara verlaufen. Das Projekt wurde 2007 von der Afrikanischen Regeneration der Böden,
Union ins Leben gerufen und will − mit internationaler finanzieller Hilfe − zwei der sondern die Menschen erhal­
dringendsten Probleme Subsaharas bekämpfen: die Ausbreitung der Wüste (Deser­ ten mit den Bäumen zugleich
tifikation) und den Verlust fruchtbaren Ackerbodens. Dadurch soll der Klimawandel Brennholz, Früchte und Fut­
bekämpft sowie Landflucht, Hunger und extreme A ­ rmut verhindert werden. Bis zum ter für die Tiere. Zudem kön­
Jahr 2030 ist geplant, 100 Millionen Hektar bisher unfruchtbares Land in der Sahel­ nen im Schatten der Bäume
region wiederherzustellen. Äcker angelegt werden.

M4 Letzte Chance
Am 11. Januar 2021 fand in Paris der One Planet
Summit zur biologischen Vielfalt statt. Bei diesem
internationalen Treffen wurden erneut rund 11,8
Milliarden Euro für fünf Jahre zugesagt. Dies ist
ein wesentlich höherer Betrag, der mit der Ein­
richtung eines Sekretariats für die Große Grüne
Mauer einhergeht, das dem UN-Übereinkommen
zur Bekämpfung der Wüstenbildung angegliedert
ist. «Es bleibt nun abzuwarten, wie all dies mit der
Achtung der nationalen Souveränität vereinbar sein
wird», so einer der Geber, wie Le Monde berichtet.
Diese Mauer hat ein riesiges Potenzial. Dadurch
könnten zehn Millionen Arbeitsplätze geschaf­
fen und 250 Millionen Tonnen Kohlenstoff gebun­
den werden. Nach Angaben der UNO soll es «das
M3 15 Jahre nach seinem offiziellen Beginn 2007 kommt das Projekt Leben von 100 Millionen Menschen durch den An­
wenig voran. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen sind von bau eines Mosaiks von Bäumen, Grasland, Vege­
den auf der Pariser Klimakonferent 2015 zugesagten 4 Milliarden tation und Pflanzen verändern». Um dies zu errei­
internationaler Finanzhilfen bisher (Stand 2022) noch nicht mal ein chen, müssen bis 2030 jedes Jahr nicht weniger als
Viertel davon überwiesen worden. Zum anderen verläuft die Grüne 8,2 Millionen Hektar wiederhergestellt werden. Die
Mauer durch einige der ärmsten Staaten der Welt, die teilweise drin­ Gesamtkosten werden auf 29 bis 35 Milliarden Euro
gendere Projekte zu finanzieren haben. Und sie verläuft auch durch geschätzt. Wenn den Ankündigungen des One Pla­
zu dünn besiedeltes Gebiet, wo zu wenig Menschen leben, die sich net Summit Taten folgen, besteht noch eine Chance,
Übungen

um die Pflege der Bäume kümmern können. Auch Terrorismus und diese Utopie Wirklichkeit werden zu lassen.
Korruption in einigen Regionen verhindern die Finanzierung und
Eléonore Solé, www.futura-sciences.com, vom 15.01.2021,
damit ein Fortkommen des Projektes. frei übersetzt,

66 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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M5 Wiederbewaldung: ein Hügel in der Region Humbo in Äthiopien in den Jahren 2010, 2012 und 2016

M7 Die Ausbreitung der Agrarökologie


Rund um Betta, etwa sechzig Kilometer nördlich von
Ouagadougou, scheinen die wenigen Sträucher in
einem Zustand der Schwebe zu sein, trocken und
von Staub bedeckt. Hier, am Rande der Sahelzone,
haben die Abholzung zur Gewinnung von Brenn­
material, die extensive Viehzucht und die Vernichtung
der Vegetation durch Buschfeuer die Wüstenbil­-­
dung (Desertifikation) und Erosion beschleunigt und
den Boden den selteneren, aber heftigeren Regenfäl­
len ausgesetzt. Genau hier wurde von einer lokalen
Vereinigung eine Landwirtschaftsschule eingerichtet,
um Agrarökologie zu l­ehren.
Die Vereinigung hat Bäume gepflanzt und mit Zaï
(einem traditionellen Anbau in Grablöchern, vgl. M6 )
kombiniert, um das Eindringen und Speichern von
une autre terre.org
Regenwasser zu verbessern. Sie experimentiert wei­
M6 Zaï ist eine traditionelle, fast vergessene landwirtschaftliche terhin mit allen möglichen Techniken, die die Erträge
Anbaumethode, die in der westlichen Sahelzone seit den verbessern und gleichzeitig den Boden regenerieren
Dürreperioden der 1980er Jahre wieder verwendet wird, um und Wasser sparen.
degradierte Trockengebiete zu begrünen und um die Boden­
fruchtbarkeit zu erhöhen. Dabei werden mit dem Grabstock Burkina Faso fördert seit langem den Einsatz von
kleine Löcher (Poquets) ausgehoben und mit organischem chemi­schen Düngemitteln und Pestiziden zugunsten
Material gefüllt. Dies lockt Termiten an, die den Boden durch­ einer exportorien­tierten Plantagenwirtschaft. Dieses
graben und ihn auflockern, so dass auch Wasser leichter ein­ Modell hat viele Landwirte in eine Abhängigkeit von
dringen kann. Halbmondförmige Erdwälle schützen die Saat internationalen Unternehmen und den Boden hin­
vor dem Wind und helfen, ein Maximum an Feuchtigkeit zu sichtlich der Fruchtbarkeit und Produktivität an seine
speichern. Mit dem Einsetzen der Regenzeit können Feld­ Grenzen gebracht.
früchte oder Gehölze zur Wiederbegrünung eingesetzt wer­ Dennoch bleiben die wiederbelebten traditionellen
den. Anbaupraktiken in Westafrika eine Rand­erscheinung.
Sie werden von einigen als Rückschritt betrachtet, da
Für diese Weiterentwicklung einer traditionellen Anbaumethode sie dem Wissens­stand ihrer Großeltern nahe stehen
erhielt der Bauer Yacouba 2018 den Alternativen Nobelpreis. und sich nur schwer in großem Maßstab anwenden
lassen, außerdem erfordern sie mehr Handarbeit.
Interview von Séverine Kodjo-Grandvaux, Le Monde, 2019,
frei übersetzt und gekürzt.
Aufgaben
1. Beschreibe mithilfe eines Atlas die geogra­phi­-
sche Lage, Klima- und Ve­getationsverhältnisse der
Sahelzone.
2. Erarbeite aus den Materialien M1 bis M5 die Kernziele
Übungen

des Projektes der «Grünen Mauer» sowie die Probleme,


mit denen das Projekt konfrontiert wird.
3. Erläutere die in M6 und M7 dargestellte Zaï-Methode.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 67


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Thema 1
n-
Zusamme
fassung

Ernährung
einer wachsenden
Weltbevölkerung
Zusammenfassung

68 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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1.1 Ernährung zwischen Mangel und Überfluss


Alle Menschen haben ein Recht auf Nahrung!

Es gibt genug Nahrungsmittel für alle 1


Menschen auf der Erde, sodass ca. 12
Milliarden Menschen satt werden könn­
ten. Trotzdem stirbt alle 13 Sekunden
ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen
von Hunger. Bis zu 811 Millionen Men­
schen in der Welt hungern, über zwei
Milliarden leiden an Mangelernährung.
Wir unterscheiden dabei drei Formen
von Ernährungsproblemen:
1. Mangelernährung
2. Fehlernährung
3. Überernährung
© UNICEF/UNI111433/Tattersal

Unter Mangelernährung versteht man die Unter­ er eigentlich zur Aufrechterhaltung seiner Funktionen
versorgung des Körpers mit lebenswichtigen Minera­ braucht. Der tägliche durchschnittliche Gesamtener­
lien, Eiweißen und Vitaminen. giebedarf des Menschen (Gesamtumsatz) ist abhän­
Fehlernährung meint eine qualitative und /oder gig von seinem Alter und seiner Tätigkeit. Bei leichter
quantitative Zuführung von Nahrung, die nicht den körperlicher Tätigkeit wird ein Gesamtumsatz von ca.
physiologischen Notwendigkeiten entspricht. 9.000 bis 10.000 kJ erreicht, bei mittelschwerer Tä­
tigkeit bis 11.000 kJ, bei sehr schwerer körperlicher
Bei der Überernährung werden dem Körper über Arbeit von ca. 12.000 bis 25.000 kJ.
einen längeren Zeitraum mehr Energie zugeführt, als

Die Folgen von Ernährungsproblemen


Mangel- und Fehlernährung können zu geistigen 2
und körperlichen Wachstumsverzögerungen und
zu Auszehrung führen. Vor allem Kinder leiden
erheblich, was sie anfällig für viele Krankheiten macht
und zur Schwächung des Immunsystems führt.
Die Anzahl der weltweit chronisch Hungernden stieg
in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Coro­
na und der Klimawandel haben das Problem weiter
verschärft und Erfolge vergangener Jahre bei der
Bekämpfung des Hungers wieder zunichte gemacht.
Übergewicht kann zu Fettleibigkeit (Adipositas)
führen mit all den Folgeerkrankungen für Herz,
Zusammenfassung

Gelenke, Leber und Nieren. In Deutschland sind 3


ca. 10 - 20% aller Kinder und Jugendlichen über­
gewichtig.
Veränderte Ernährungsgewohnheiten, z.B. die
Ver­wendung von Palmöl und Transfetten, viel Zucker­
und Salz bei der Zubereitung von Mahlzeiten, der
gesteigerte Konsum von fertig verarbeiteten Lebens­
mitteln und Fastfood sowie mangelnde Bewegung,
führen z.B. zur Zunahme von Diabetes und Herz-
Kreislauf-Erkrankungen.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 69


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1.2 Die Produktion unserer Lebensmittel


Wir unterscheiden zwei grundsätzliche Anbauformen: die­­
Intensivlandwirtschaft oder industrielle Landwirtschaft
und die extensive Landwirtschaft.
Unter der Intensivlandwirtschaft ist ein Produktionssystem
zu verstehen, bei dem durch eine möglichst geringe Anzahl an
Beschäftigten bei hohem Einsatz von Kapital, z.B. für Dünge­
mittel, Pestizide und einen hohen Grad an Technisierung, ein
maximaler Ernteertrag erzielt wird.
Bei der extensiven Landwirtschaft wird im Verhältnis zur
Fläche ein geringer Arbeits- und Kapitaleinsatz (z. B. für Dün­
gemittel, Pestizide, Maschinen) betrieben. Dafür wird bei der 4 Intensiv- bzw. Massentierhaltung von Hühnern
Nutzung der Böden wenig in den Naturhaushalt eingegriffen,
was aber andererseits meist mehr Handarbeit erforderlich
macht. In ärmeren Ländern dient dieses Produktionssystem
oft zur Selbstversorgung (Subsistenzlandwirtschaft).
Es gibt verschiedene traditionelle Landwirtschaftsformen.
Beim Stockwerk- oder Etagenanbau werden mehrere Kul­
turen auf einer Fläche, aber in mehreren Etagen angebaut,
z.B. Gemüse zwischen Bananenbaumreihen.
Der Regenfeldbau findet in Gebieten statt mit ganzjährig aus­­-
reichenden Niederschlägen, bei der eine künstliche Bewässe­
r­ung der Felder nicht notwendig ist.
In den Subtropen und Tropen wird häufig der Wanderfeld-
bau als Landwirtschaftsform betrieben, bei der die Felder nur
einige Jahre intensiv genutzt werden. Nach dem Verlust der
Bodenqualität werden diese Flächen und Siedlungen aufge­
geben und an anderen Orten neu gegründet. Dabei werden oft
durch Brandrodung der Regenwälder neue Felder geschaffen.
In kalten oder sehr trockenen Räumen wird Fern­weide­wirt­-
schaft, wie der Nomadismus und die Wander­weide­wirt- © PPC / L. Pin

schaft betrieben, wobei mehrmals im Jahr die Nutz­flächen 5 Traditioneller Terrassenanbau auf Madagaskar
gewechselt werden.

1.3 Ursachen der globalen Hungerkrise 0 1 000 km


Sources : FAO, PNUD, Banque mondiale 2015

6
S. Brunel, Nourrir la planète, vaincre la faim, 2009
Réalisation : S. Coté

Marokko

Die Ursachen des Hungers sind vielfältig. Algerien Libyen


Ägypten

Kriege und Konflikte: Aufgrund bewaffneter Auseinan­


dersetzungen müssen immer mehr Menschen fliehen und Mauretanien Mali
Niger Tschad
Sudan

Gran
sind daher nicht mehr in der Lage, ihre Felder zu bestellen. de M ur a i lle
Vert e
Zusammenfassung

Senegal

Häufig verlieren sie ihr gesamtes Hab und Gut. Straßen und Nigeria

Zentralafrikanische
Äthiopien

landwirtschaftliche Infrastruktur, wie Bewässerungsanlagen, Elfenbeinküste Kamerun

ATLANTISCHER
werden zerstört. Durch die eingeschränkte Sicherheit leidet OZEAN Demokratische
Republik
Kongo
Kenia

auch der Handel, Nahrungsmittel werden knapp und teuer. Prozentualer Anteil unterernährter
Menschen im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung: Tansania
INDISCHER
Falsche politische Entscheidungen: Die Regierungen
Mehr als 45 %
Zwischen 25 und 44 % Angola

in Entwicklungsländern richten ihre Politik oft nicht an den Zwischen 5 und 24 %


Unter 5 %
Sambia

Bedürf­nissen der ärmsten Bevölkerung aus. Es fehlen Stra­ Konfliktgebiete


Simbabwe

tegien, die Landwirtschaft im eigenen Land so zu fördern,


Madagaskar
Länder, die GVO* verwenden
zertifizierte Produktion
dass niemand mehr hungern muss. Korruption ist eines der Landwirtschaftliche
Exportproduktion
Südafrika
OZEAN
größten Entwicklungshemmnisse. Ursprüngliche unbewohntes,
jetzt kultiviertes Gebiet

70 Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung


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Naturkatastrophen und der Klimawandel führen­ Landraub und ungerechte Besitzverhältnisse:


zum Verlust von Agrarflächen: Wetterextreme haben­ Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast die
seit jeher zu Hungerkrisen geführt. Dürren oder Hälfte des Weltvermögens. Die „untere Milliarde“ der
Überschwemmungen zerstören Ernten. Mit dem Armen und Hungernden hat kaum eine Chance, sich
Klimawandel nehmen extreme Wetterereignisse zu. aus ihrer Situation zu befreien. Der Landerwerb durch
Dürren in mehreren aufeinander folgenden Jahren private Investoren und Konzerne im Zusammenspiel
schwächen die Bevölkerung. Sie müssen ihre Vor­ mit staatlichen Akteuren in den Entwicklungs- und
räte an Saatgut aufbrauchen, Vieh schlachten oder Schwellenländern, die Agrarflächen verpachten oder
sogar ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebiete verkaufen, verschärfen die Situation weiter.
komplett aufgeben. Lebensmittelverschwendung: Etwa 1,3 Mrd. Ton­-
Die Produktion von Biokraftstoffen: Die Nah- nen essbarer Lebens­mittel werden jedes Jahr welt-
rungs­mittelpreise sind z.T. in den letzten Jahren weit weggeworfen.
stark gestiegen. So kostete im März 2022 eine Tonne Armut: Hunger ist vor allem eine Folge von Armut.
Weizen 400 US$ auf dem Weltmarkt. Für die armen Wer arm ist, hat zu wenig Geld für Essen, kann aber
Länder erscheint ein solcher Preis unerschwinglich. auch nicht genug für die eigene Gesundheit sorgen
Dies ist auch darin begründet, weil Nahrungsmittel, und in die Bildung der Kinder investieren. Frauen
insbesondere Mais, zur Produktion von Biokraftstof­ sind meist besonders benachteiligt. Nur eine standort­
fen genutzt werden. Da der Bedarf an Biokraftstoffen gerechte Landwirtschaft kann den Teufelskreis von
steigt und höhere Gewinne erzielt werden können, Armut und Hunger überwinden.
erscheint diese Produktion lukrativer.

1.4 Lösungsansätze zur Ernährungssicherung


Durch die Umstellung auf Ökolandbau könnten In der Diskussion ist gegenwärtig, ob die Nutzung
auch alle Menschen in der Welt ernährt werden, und gentechnisch veränderter Organismen eine wei­
das auf eine nachhaltige Art und Weise. Ebenso tere Möglichkeit darstellt, die Nahrungsmittelpro­
müsste der Fleischkonsum eingeschränkt, weni­ duktion weltweit zu erhöhen und den Einsatz von
ger Lebensmittel verschwendet sowie die Füt- Pestiziden zu vermindern.
terung bei der Tierhaltung umgestellt werden. Besonders die Kleinbauern in ärmeren Regionen
Kleinbäuerliche Betriebe sowie Familienbetriebe benötigen den Zugang zum Anbau von Saatgut,
Zusammenfassung

müssten dabei unterstützt werden, nachhaltig und das sich reproduzieren lässt und an den jeweiligen
effizient zu wirtschaften. Außerdem sollten mit dem Standort klimatisch angepasst ist.
integrierten Landbau Methoden- und Bewirtschaf­
Wir als Konsumenten in den Industrieländern
tungsmaßnahmen verwendet werden, die den Boden
können auch durch den Kauf von Produkten, die
sowie natürliche Ressourcen, wie z.B. Wasser,
aus fairem Handel hergestellt werden, viel zur
erhalten und zur Artenvielfalt beitragen. Der Bio-
Unter­stützung der Bauern in den Entwicklungs- und
landbau lässt sich sehr leicht mit traditionellen Anbau­
Schwellenländern beitragen. Ebenso kann jeder
methoden verbinden, vor allem in den Entwicklungs-
Einzelne durch die Verminderung seines ökolo-
und Schwellenländern. Agroforstwirtschaft vereint
gischen Fußabdrucks die Ernährungssituation in
die Anpflanzung von Bäumen und Sträuchern mit
der Welt verbessern helfen.
Viehzucht und Ackerbau.

Thema 1: Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung 71


II Thema II
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Geomorpholo-
gische Prozesse
Übungen

Frankreich

© Yann Arthus Bertrand

72 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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Was du bei diesem Thema lernen wirst:


Endogene und exogene Prozesse (Kapitel 1)
Seit ihrer Entstehung wird die Erdoberfläche Die prägenden Prozesse stammen von Kräften
stets verändert. Natürlich erfolgt dies in geo- aus dem Erdinneren (vgl. M1) oder wirken von
logisch langen Zeiträumen und ist für die außen (vgl. M2 bis M5) auf die Oberflächen ein.
­menschliche Wahrnehmung nur in seltenen Folgende Landschaften haben daher ganz be­
Fällen sichtbar (vgl. M1). stimmte Entstehungsprozesse und Formen:

M1 Vulkanausbruch auf La Palma, 2021


M2 Die Schwarzmeerküste

Litoral:
Küstenland-
© Wikimedia / Eduardo Robaina
schaften
(Kapitel 2)

M3 Bergbach in der Schweiz


© Wikimedia / George Chernilevsky

Fluvial: Flussland-
schaften (Kapitel 3)

© Wikimedia / Benjamin Gimmel

M4 Der Himalaya in Asien

Glazial: Gebirgsland-
schaften (Kapitel 4)

© Wikimedia / Chand Alli

M5 Die Namib im Süden Afrikas

Äolisch: Wüstengebiete
(Kapitel 5)
Übungen

© Wikimedia / Olga Ernst

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 73


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2.1 Was die Erdoberfläche formt


1 Endogene und exogene Kräfte
Alle Gesteine − und damit auch die Erdoberfläche − erfahren in geologisch langen Zeiträumen
eine Umwandlung durch endogene Kräfte (von innen) und exogene Kräfte (von außen).

Aufgabe
Benenne mithilfe der Materialien M1 bis M5
die endo­genen und exogenen Kräfte, die die
Landschaft geformt haben.

© Liftarn / Wikipedia Commons

M1 Sandwüste in Quatar

© Wandervogel

M2 Bergsturz bei Randa in den Alpen

© Wikimedia Commons / King of Hearts

M3 Küste in Kalifornien
Übungen

© PPC © Tom Casadevall, USGS / Wikipedia Commons

M4 Ein Tal in Alaska M5 Nach dem Ausbruch des Mt. St. Helens, USA, 1982

74 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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2 Verwitterung und Erosion


M1 Arten der Verwitterung Anfangs besonders M2
Beim Prozess der Verwitterung wird das Gestein durch exogene Kräfte intensive psysikalische
Verwitterung.
zerkleinert und in seine mineralischen Bestandteile zerlegt. Ergebnis: Risse und Klüfte
Man unterscheidet drei Arten der Verwitterung:
Physikalische Verwitterung: bewirkt die Zerkleinerung der Gesteine
durch natürliche Phänomene wie Wasser, Wind, Hitze und Kälte in ein-
zelne Gesteinsteile. In Risse und Klüfte dringt
Chemische Verwitterung: löst die Gesteinspartikel durch chemi­sche Wasser ein, dadurch findet
Prozesse (wie der Lösung durch Wasser) in ihre Bestandteile auf. eine intensivere chemische
Verwitterung statt.
Biologische Verwitterung: lebende Organismen zerkleinern Minerale Ergebnis: Hohlräume und
(z.B. zur Bodenbildung) oder sprengen durch ihre Wurzeln das Gestein Auflösungserscheinungen
auf.
In der Natur lassen sich die einzelnen Formen der Verwitterung nicht exakt
trennen, sondern wirken häufig gleichzeitig und ergänzen sich dabei.
Durch die physikalische Verwitterung werden Klüfte und Risse erzeugt,
Intensive chemische
die spezifische Oberfläche wird vergrößert, so dass die chemische Ver­
Verwitterung führt zur
witterung angreifen kann (vgl. M2). Gleichzeitig reduziert die chemische Auflösung des Gesteins
Umwandlung die Festigkeit und den Zusammenhalt des Gesteins, was in einzelne Bruchstücke
wiederum die physikalische und biogene Verwitterung unterstützt.
Quelle: Jana Chmieleski, Realisierung: S. Coté

Aufgaben M3 Arten der Erosion


1. Erkläre den Unterschied zwischen Verwitterung und Während bei der Verwitterung das Gestein angegriffen
Erosion (M1, M3). und in kleinere Bestandteile zerlegt wird, ist die Erosion
der Prozess, bei dem das verwitterte Gestein abge-
2. Übertrage die Formen der Verwitterung und Ero­sion tragen wird. Die bei der Abtragung wirkenden exogenen
in dein Heft (M1, M3). Kräfte sind sich bewegendes Eis, Wasser, Wind und die
Schwerkraft der Erde.
3. Benenne zu M4 und M5 die jeweilige Erosionsform.
Man unterscheidet zwei Arten der Erosion:
4. Ordne die Bilder in den Materialien M6 bis M11
begründet einer Verwitterungsart zu. Flächenhafte Erosion: bei ebenen Geländeformen kön-
nen Wind, Wasser oder Gletscher großflächig angreifen.
5. Erkläre den Vorgang bei folgenden Verwitter­ungs­- Die Erosion (Abtragung) wird begünstigt, wenn der Boden
formen: Lösungsverwitterung (M6, M11), Frostspren- durch zu geringen Pflanzenbewuchs nicht ausreichend
gung (M7, M9), Temperaturverwitterung (M11). gefestigt ist.
Linienhafte Erosion: wird bei steilem Relief (= Gelände-
form) durch Flüsse oder Gletscher verursacht und bildet
steile, zum Teil enge Täler (Schluchten).
Beide Erosionsarten gehen ineinander über und können
nicht immer genau getrennt werden.

© S. Coté

M4 Die «roten Tsingys» auf Madagaskar bestehen aus ge-


Übungen

presstem Sand. Die Spitze aus härterem und widerstands- © L. Felder


fähigerem Gestein schützt den darunter liegenden Rest der
M5 Auf Sardinien, in Flumineddu, hat sich das Wasser
Tsingys vor der Erosion durch Niederschlag.
durch Erosion der Felswände in eine tiefe Schlucht
gegraben.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 75


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© S. Coté

M6 Auf Madagaskar bildeten die Korallen vor Millionen von


Jahren Kalksteinplateaus. Wasser löste das Gestein
nach und nach auf (Lösungsverwitterung). Sie bilden
nun Nadeln und steinerne «Tiere», die Tsingys genannt © Hanspeter Holzhauser / myswissalp.ch

werden. M7 Frostsprengung nahe des Aletschgletschers, Schweiz

Wasser Eis
Druck

Druck
Diagramm: S. Coté

M9 In die Klüfte und Spalten eines Gesteins dringt Wasser ein. Friert
dieses, so dehnt sich sein Volumen aus. Dabei übt das Eis Druck
© S. Coté auf das umliegende Gestein aus. Es kommt zur Aufsprengung
M8 Die Wurzeln eines Baumes dringen in Risse des Gesteins (vgl. M7). Diesen Prozess nennt man Frostspren­
des Ge­steins und sprengen dieses durch ihr gung.
Dickenwachstum (Wurzelsprengung).

M11 Die Naturbrücke des Landscape Arch, ein durch Tem­


M10 Lösungsverwitterung an einer Mauer auf Gozo, Malta. peraturverwitterung entstandener Bogen mit der
Diese Verwitterungsart findet man in trockenen Klimaten. größten be­kann­ten Spannweite von 92 m im Arches-
Während langer Trockenperioden wird Wasser aus dem Nationalpark, Utah, USA. Entstanden durch starke Tem-
Inneren des Gesteins durch Kapillarkräfte an die Ober- peraturschwankungen (z.B. in der Wüste bis zu 50°C
Übungen

fläche gezogen. Dieses Wasser enthält gelöste Mineral- zwischen Tag- und Nachttemperaturen) erfährt das
salze, die bei seiner Verdunstung als winzige Salzkris- Gestein ständig eine Erwärmung und Abkühlung der
talle zurückbleiben. Da die Salzkristalle wachsen können Oberfläche, die mit einer Volumen­ausdehnung bzw.
(Salz­ausblühung), erzeugen sie einen Druck, der den -verringerung einhergeht, bis das Gestein schluss­
Stein an seiner Oberfläche zerfallen lässt. endlich aufbricht.

76 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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3 Transport und Ablagerung

M1 Die Kalahari-Wüste M2 Transport


Kleinere und leichtere Bestandteile des verwitterten
Gesteins werden von den exogenen Kräften bewegt
und dabei weiter zerkleinert und abgerundet.

© PPC, L. Pin

M3 Gletscherbach in Alaska

© PPC, E. Belut

M4 Dieser ehemalige Gletscher im Himalaya hat


auf beiden Seiten eine Moräne (Seitenmoräne)
hinterlassen. Moränen sind die von einem
© PPC Gletscher mittransportierten und aufgehäuften
Schuttab­lagerungen.

M5 Schwemmfächer in einem See in Kanada


M6 Abagerung (Sedimentation)
Bei nachlassender Fließgeschwindigkeit des Glet­
schers, Windes oder des Wassers kommt es zur
Ablagerung des mitgeführten Materials.

M7 Albanien © S. Coté

Aufgaben
1. Übertrage die Definitionen von Transport
Übungen

und Ablagerung in dein Heft.


2. Ergänze die Definition von Transport
durch die entsprechenden endogenen
M7 Marokko Kräfte, die auf den Fotos dagrestellt sind.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 77


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4 Gesteinskreislauf

M1 Zufuhr von Stoffen aus der Atmosphäre


Zufuhr biogener Sedimente
Verwitterung
Abtragung Tiefengestein
Kristallisation
Erosion Metamorphes Gestein
Ausfluss/Auswurf
Transport Sedimentgestein

Ablagerung
vulkanische Gesteine Sedimentation
Hebung
unverfestigte Sedimente
Magma- Verfestigung
kammer (Diagenese)

verfestigte Sedimente
Tiefengesteine
Aufstieg der Kristallisation Umwandlung
Gesteinsschmelze Plutonit (Metamorphose)

Metamorphe Gesteine

Aufschmelzung
(Anatexis)
Magma

Zufuhr von Magma aus tieferen Erdschichten


Realisierung: S. Coté

M2 Ein ewiger Kreislauf


Kein Gestein der Erde ist für die Ewigkeit gemacht. Es verwittert Hoher Druck und große Hitze im Erdinneren wiederum sorgen
an der Oberfläche, wird abtransportiert und erneut abgelagert. dafür, dass sich Gestein verwandelt und ein anderes entsteht.
Beim Zusammenstoß zweier Platten werden Sedimentschich- Dann sprechen Geologen von Umwandlungs- oder von meta­
ten zusammengestaucht und zu Hochgebirgen aufgefaltet. Das morphem Gestein.
Gestein abtauchender Platten schmilzt im Erdinneren und bildet Diese drei Gesteinstypen sind eng miteinander verbunden:
die Quelle von Vulkanen. Lava, die ein Vulkankrater ausspuckt, Jeder Typ kann sich in jeden anderen verwandeln. Dieser Ge­
kühlt wiederum ab und erstarrt zu Gestein. steinskreislauf wird immer weitergehen, so lange es die Erde
Es ist ein ewiger Kreislauf, der dafür sorgt, dass selbst das gibt.
härteste Gestein sich immer wieder verwandelt und neues da- www.planet-schule.de [abgerufen 22.11.2020], ergänzt und modifiziert.
raus entsteht. Die Verwandlung geschieht natürlich nicht von
heute auf morgen, sondern über Jahrmillionen. „Mitspieler“
dieses Kreislaufs sind drei Gruppen von Gesteinen, die jeweils
unter anderen Bedingungen entstehen: Sedimentgesteine
Wenn Magma abkühlt, erstarrt die heiße Masse zu magmati­
schen Gesteinen. Wenn sich der Abkühlungsprozess von glut-
flüssiger Magma tief im Inneren der Erde abspielt, sprechen
Geologen von Tiefengestein oder Plutonit. Durch die langsa-
mere Abkühlung der Gesteinsschmelze im Erdinneren haben Magma
die Mineralien mehr Zeit zum Auskristallisieren und können
daher größer werden. Tritt Magma als Lava an die Erdober-
fläche und kühlt dann erst ab, ent­stehen vulkanische Gesteine Sedimentgesteine

Magmatische
Gesteine
Magma

Metamorphe
Gesteine

Realisierung: S. Coté

oder Vulkanite, die aufgrund der schnellen Abkühlung eine fei-


Magmatische Metamorphe
Übungen

nere und gleichmäßigere Struktur als die Tiefengesteine haben.


Wo sich dagegen Schichten von abgetragenem Gesteinsschutt Gesteine Gesteine
anhäufen, werden die Sedimente unter der Last des eigenen
Gewichts zusammengepresst. Durch diesen Druck verfestigen Realisierung: S. Coté

sie sich zu Sedimentgestein.

78 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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Exkurs
Die unterschiedlichen Gesteinsarten

Quelle: wikimedia

M1 Granite entstehen über einen längeren Zeitraum aus M2 Vor ca. 245 Mill. Jahren wanderte Deutschland durch
Magma, welches durch Spalten in höhere Erdkrusten- den Wüstengürtel unserer Erde. Während dieser Zeit
schichten eindringt. Das glutflüssige Magma gelangt war es sehr heiß und trocken, selbst die Polarregionen
jedoch nicht zur Erdoberfläche, sondern es bleibt direkt waren das ganze Jahr über frostfrei und warm. Das
als Pfropf in einer der oberen Gesteinsschichten ste­ damalige Zechsteinmeer trocknete langsam aus. In der
cken. Durch ein langes Abkühlen der Gesteinsmassen mitteleuropäischen Senke (germanische Becken), die
liegen ideale Bedingungen zur Kristallbildung vor. von Helgoland bis in den Süden von Hessen reichte, la-
www.mwk-natursteinhandel.de
gerte sich periodisch in weitverzweigten Flusssystemen
und flachen Binnenseen Sand 2 und Ton, abgetragen
aus den umliegenden Hochgebiete, ab. Die mächtigen
Aufgabe Sanddünen und vertrockneter Flussschlamm verfestigte
sich in gelb oder rot gefärbten Buntsandstein.
Notiere in die leeren grauen Kästen an den Fotos, www.mineralienatlas.de
ob es sich um vulkanisches Gestein, Tiefengestein,
Sedimentgestein oder metamorphes Gestein han-
delt.

M3 Schiefer ist ein Sammelbegriff für unterschied-


liche tektonisch deformierte (gefaltete) und teil­
weise auch metamorphe Sedimentgesteine.
www.wikipedia.de

Übungen

M4 Werden Granitgesteine in das Erdinnere gedrückt M5 Basalt entsteht, wenn dünnflüssiges Magma an der Erd­
und erfahren dadurch hohe Temperaturen und oberfläche austritt und relativ schnell zu Basaltlava erkal-
Druck, so entstehen Gneise. tet. https://www.chemie.de/lexikon/Basalt.html

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 79


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EXKURS
Sedimentgesteine − ein Ergebnis der Erosion

M1 Die Sedimentation (Ablagerung) M2 Sedimentation


Es gibt mehrere Prozesse, die zur Bildung und
Ablagerung von Sedimenten führen. Diese las-
sen sich in drei Hauptphasen einteilen:

u Abtragung des Ausgangsgesteins,


v Transport der Gesteinsfragmente und
w Ablagerung (Akkumulation).
Die Abtragung (Ablation) des Ausgangsge­
steins kann das Ergebnis von physikalischer
oder chemischer Verwitterung und/oder der
Einwirkung von Lebewesen sein (biologische
Verwitterung).
Transport: verschiedene Transportmedien,
wie Wasser, Eis oder Wind transportieren die u M3 Erosion
zerkleinerten Gesteinsfragmente vom Ort der
Verwitterung ab.
Ablagerung: die mitgeführten Partikel lagern
sich am Grunde eines Sees oder am Meeres-
v
boden ab. Druck und chemische Reaktionen
führen zu einer Zementierung.
Encyclopédie Larousse, frei übersetzt

© Siim Sepp / Wikimedia Commons

M5 Gefaltete Sedimentgesteine, Westküste Irlands

© F. Garcia / PPC

M4 Untere Antilopenschlucht in Arizona, USA

Aufgaben
1. Benenne die drei Stufen der Sedimen-
tation mithilfe von M1.
Übungen

2. Erkläre, wie aus Sediment das Fest­ge­


stein entsteht. Verwende neben M1
bis M3 auch die vorherige Doppelseite. © PPC

3. Beschreibe die Fotos in M4 bis M6. M6 Gebirgsmassiv Montserrat in Katalonien, Spanien

80 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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EXKURS
Granit − ein Ergebnis der Verwitterung
M1 Granit ist aus Magma M2 Granit besteht aus un­
entstanden, das in Quarz terschiedlichen Kristal-
der Tiefe des Erdin­ len: dem schwarzen
ne­ ren sehr langsam Glimmer, dem gräuli-
abgekühlt ist. Die Glimmer chen Quarz und die
Mineralien sind mit Feldspate bilden die
bloßem Auge sicht- Feldspat weiße Körnung.
bar, da sie über eine
lange Zeit auskristal-
lisieren konnten. © S. Coté © S. Coté

M4 Aufgaben
Granit- 1. Erkläre mithilfe von M1
block und M2 die Entstehung
und Zusammensetzung
von Granit.
2. Beschreibe die Wirkung,
die Wasser auf Granit hat
(M7).
Granitgrus 3. Erkläre mithilfe von M3
© S. Coté
und M7 den Vorgang der
Wollsackverwitterung. Un-
terscheide dabei genauer
den chemischen und phy-
sikalischen Verwitterungs-
prozess.
4. Erläutere die Entstehung
eines Felsen­meeres (M3,
M5, M7).

© S. Coté

M5 Felsenmeer bei den Lavezzi-Inseln auf


M3 Wollsackverwitterung von Granit Korsika

M7 Wollsackverwitterung
Granit ist ein hartes und widerstandsfähiges Gestein, das
aufgrund von Bewegungen der Erdkruste Risse bekommt.
Diese Risse ermöglichen es Wasser und natürlichen Stof-
fen, das Gestein auch unterhalb der Bodenoberfläche zu
verwittern.
Physikalische Verwitterung wird durch eindringendes
Wasser verursacht, das zwischen die Glimmerplättchen
gleitet, wodurch diese aufquellen und die Körner aus dem
Gestein herauslösen. Das Phänomen wird beschleunigt,
wenn die Temperaturunterschiede sehr groß sind.
Wasser verursacht auch chemische Verwitterung, indem
es den Feldspat durch Hydrolyse abbaut. Die Kristalle
zerfallen und bilden Ton.
Quarz ist unveränderlich und ergibt Sandkörner.
Übungen

Das Ergebnis des Zerfalls von Granit ist eine Anhäufung


© Wikimedia Commons
von sehr feinen Körnern, die als Granitgrus bezeichnet
werden. Wenn der Grus von Wind, Wasser und Schwer-
M6 Die versteinerte Granitwelle am Wave Rock (Australien) ist
das Ergebnis von chemischer und physikalischer Erosion kraft weggetragen wird, hinterlässt er eine Landschaft
durch Niederschlag und Wind aus stark abgerundeten Granitblöcken (Felsenmeer).

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 81


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FALLSTUDIE
Karst − Fallbeispiel für chemische Verwitterung

M1 Die Bildung von Karst


Karst ist eine geomorphologische Form, die charakteris-
tisch für Kalkgestein ist. Sein Name stammt von einem
Hochplateau in Slowenien, wo es viele Höhlen und an-
dere Karstformationen gibt.
Diese verschiedenen Formen sind das Ergebnis einer
chemischen Verwitterung durch Wasser (Lösungsver­
witterung), denn Wasser enthält saures Kohlendioxid,
das den Kalkstein nach und nach auflöst. Auf lange
Sicht wird das Gestein allmählich mit Rillen und dann mit
­Löchern ausgehöhlt.
Nicht nur die chemischen Verwitterung des Kalkgesteins
lässt die verschiedensten Erscheinungsformen von Karst
entstehen. Auch bei der Ablagerung (der sogenannten
© PPC, L. Pin
Ausfällung) des gelösten Kalks kommt es zu den unter-
schiedlichsten Formationen. Neben den beeindrucken- M2 Ein Dolinenfeld im Vercors, Frankreich
den Sinterterrassen (M9) sind Tropfsteinhöhlen (M7, M8)
die bekannteste Karst­erscheinung.

Kalk fest Kalk gelöst

M3 Korrosion = Kohlensäureverwitterung
B ILDQUELLE : F ORD & W ILLIAMS , 1989 ( NACH GEOCACHING . COM /)

Dringt Wasser in Klüfte und Spalten ein, löst das darin


sich befindende CO2 den Kalk im Gestein auf. Das
CO2 stammt entweder aus der Luft oder von orga- Höhle
nischen Verwesungsstoffen vom Boden.
Dabei gilt: je mehr CO2 im Sickerwasser, desto höher
Bildquelle: Ford & Williams, 1989 ; Realisierung: S. Coté

die Auflösung des Gesteins. M4 (Bild links) Lösungsdoline: (Bild rechts) Einsturzdoline:
entsteht in Zonen mit hoher entsteht bei Einsturz einer
Gesteinsdurchlässigkeit. darunter liegenden Höhle.

M5
Übungen

82 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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Aufgaben
1. Beschreibe mithilfe von M1 und M3 die Vor-
gänge bei der Bildung der typischen Karst-
formen (M5).
2. Erkläre die Entstehung von Dolinen (M2,
M4), Trockentälern (M6), Tropfsteinhöhlen
(M5, M7, M8) und tropischem Kegelkarst
(M10, M11).
3. Recherchiere im Internet, ob es in dei­nem
Heimatland Karsterscheinungen gibt.
Lokalisiere und benenne sie.

© Ustill / Wikimedia Commons

M6 Trockental auf der Schwäbischen Alb. Ursprünglich hat ein


oberirdisch verlaufender Fluss das Tal geformt. Mit zunehmen-
der Verkarstung ist dieser jedoch im Untergrund verschwunden.

© Christopher_OToole_Images/ Pixabay

M8 Sinterablagerungen in einer Tropfsteinhöhle der


Karlsbader Höhlen. Wachsen diese von oben nach
unten, nennt man sie als Stalaktiten, und als Sta-
lagmiten, wenn sie von unten nach oben wachsen.

© Wolfgang Brauner / Pixabay

M7 Riesige Stalaktiten in einer Tropfsteinhöhle

© Antoine Taveneaux / Wikimedia Commons

M9 Die Sinterterrassen in Pamukkale, Türkei, entstehen durch


Ausfällen des vom Wasser gelösten und transportierten Kalks. M10 Tropischer Kegelkarst in Guilin, China (vgl M11)
Übungen

a. b. c. d.
M11 Schema zur Entstehung von tropi­schem Kegel­karst

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 83


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2.2 Litoral: Küstenlandschaften


1 Küstenformen allgemein
M1 Die Kreidefelsen von Etretat in der Normandie, Frankreich

© S. Coté

Steilküste
M2 Übersichtsschema

Flachküste

Aufgaben
Übungen

1. Vergleiche die Fotos in M1 und M3.


2. Ergänze die leeren Kästchen in M1 © S. Coté
mithilfe des Blockbildes in M2.
M3 Strand auf Madagaskar auf der Insel Nosy Sakatia

84 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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EXKURS
Die Kraft des Meeres

M1 Wie die Wellen auf dem Meer entstehen


Weit draußen auf dem offenen Meer drückt der Wind mit aller dabei ausschlaggebend für Richtung und Geschwindigkeit der
Kraft auf die Wasseroberfläche, die sich dadurch nach innen Wellen. Er gibt mit seiner Kraft den Anstoß. Dadurch entsteht
wölbt. Durch die Oberflächenspannung reagiert das Meer mit eine kreisförmige Bewegung im Wasser: die Orbitalbewegung.
einer Gegenbewegung: Sie transportiert die Energie – fast ohne Kraftverlust – von
Die Kraft wird wieder Wind Wasserteilchen zu Wind
nach oben abgegeben – Wasserteilchen. Das
Schwerkraft
soweit, bis die Schwer- bedeutet, dass sich
kraft sich meldet und die nicht die ursprüngli-
Wasser­ober­fläche nach Oberflächen- chen Wasserteilchen
spannung Orbital-
unten ab­fällt. zum Strand auf- bewegung
Je stärker der Wind auf machen, sondern ihre
die Wasseroberfläche Energie weiterge-
bläst, desto mehr Wellen entstehen und je nachdem, von wo reicht wird.
und in welchem Winkel der Wind auf die Wellen drückt, bilden Die Wellen verlangsamen sich, wenn die Wassertiefe auf wen-
sich auch unterschiedlich kraftvolle und hohe Wellen, die in alle iger als die halbe Wellenlänge abgenommen hat. Nähern sich
Richtungen auswandern. Die Wellen werden größer und schnel- die Wellen dem Strand, werden sie deshalb immer steiler, bis
ler, je länger sie sich in dieser Wind­zone befinden – denn so sich das Wasser selbst nicht mehr tragen kann. Daher brechen
wird die Kraft des Windes immer weiter auf sie abgegeben. sie im Bereich der Brandungszone und laufen auf den Strand
Bei der Wanderung der Wellenenergie übers Meer ist der Wind auf.
. www.wdr.de, modifiziert und erweitert

Aufgaben
1. Arbeite aus M1 die Entstehung von Wellen
heraus.
2. Erläutere mit Hilfe von M2 bis M5 die Ursachen
von Ebbe und Flut.
3. Erkläre anhand einer Skizze die Unterschie­de
einer Springtide und einer Nipptide (M5).

M3 Gezeiten
Gezeiten sind periodische Wasser­be­we­gungen, bei de-
© Aeroid / Wetterdienst.de nen sich ablau­fen­des Wasser (Ebbe) mit auflaufendem
M2 Gezeiten (Tiden) bezeichnen den Wechsel von Ebbe und Wasser (Flut) abwechselt. Je flacher die Küste, desto
Flut. Ebbe bezeichnet dabei die Zeit, in der sich das Wasser größer der bei Ebbe freiwerdende Meeresboden.
von den Küsten zurückzieht und der Wasserpegel bis zum Ein Durchlauf von Ebbe und Flut benötigt 12 Stunden
Niedrigwasser sinkt. Wenn das Wasser wieder zurück­kommt und 25 Minuten. Dabei kann der Tidenhub (Höhen­
und der Pegel bis zum Hochwasser ansteigt, nennt man unterschied zwischen Niedrigwasser und Hoch­wasser)
das Flut. Ebbe und Flut treten jeden Tag zweimal auf. Den von wenigen Zentimetern bis zu mehreren Metern be-
Höhen­unterschied des Meeres­spiegels nennt man Tidenhub tragen. Der größte Tidenhub befindet sich mit 21 m in
oder Tide. der Bay of Fundy in Kanada.

Ebbe Mond

Sonne
Flut Flut MOND

ERDE Realisierung: S. Coté

Fliehkraft Anziehungskraft M5 Bei Neu- oder Vollmond sind die Wellen oft besonders
der Erde des Mondes hoch. Dies liegt daran, dass Erde, Mond und Sonne dann
in einer Linie zueinander stehen. Dadurch ver­stärken (ad-
Ebbe
Übungen

Realisierung: S. Coté
dieren) sich die Anziehungskräfte von Sonne und Mond,
M4 Gezeitenwirkung durch die Fliehkraft der Erde und die so dass die Tide besonders hoch ist: eine Springflut bzw.
Anziehungskraft des Mondes und der Sonne. Beide Springtide entsteht.
Kräfte verursachen einen Flutberg, d.h. einen Anstieg Stehen Sonne und Mond im rechten Winkel zueinander,
des Meeresspiegels in diesem Bereich. reduzieren sich die Kräfte: eine Nipptide entsteht.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 85


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2 Steilküsten und ihre Entstehung


M2 Erosionsformen
Abrasion Abrieb
Abrasion: mitgeführtes Lockermaterial wird bei jedem Wellen-
schlag gegen den Felsen geschlagen. Das permanente mecha-
nische Abschleifen in der Bran­dungszone führt zum schrittweisen
Zurücksetzen des Festlandes im Kliff. Dabei entsteht die Abra-
sionsplattform (oder Schorre genannt). Solche Steilküsten werden
Realisierung: S. Coté
auch als Abrasionsküsten bezeichnet.
Abrieb: dabei stoßen Gesteinsbrocken, die das Meer mit sich
führt,­gegeneinander. Sie brechen auseinander und schmirgeln
Lösung Brandung dabei die Abrasionsplattform glatt.
Lösung: Dies geschieht, wenn das Meerwasser be­stimmte Ge­
steinsarten auflöst. Besonders Kreide- und Kalksteinklippen sind
für diese Art der Erosion anfällig.
Brandung: das ist die hydraulische Kraft der Wellen, wenn sie
gegen die Klippen schlagen. Luft wird in den Rissen im Felsen ein-
geschlossen und führt dazu, dass der Felsen auseinanderbricht.

M1 Erosionsformen an Steilküsten

1. Durch Brandungs- 5. Der Felsbogen 7. Fortschreitende


erosion bilden sich erodiert weiter, bis Erosion reduziert
die ersten Risse 3. Die Kliffhöhle er in sich zusam- den Brandungs-
im Felsen vergrößert sich menbricht pfeiler weiter
durch Erosion
weiter
Rückschreitende Erosion des Kliffs

Landspitze
des Kliffs

2. Brandung und Abrasion 4. Durchbricht die Höhle


vergrößern den Riss zu die Landspitze, bildet sich 6. Eine Felsnadel bzw.
einer Kliffhöhle ein natürlicher Felsbogen, ein Brandungspfeiler
ein sogenanntes Brandungstor bleibt übrig
Realisierung: S. Coté

M3 Rückschreitende Erosion eines Kliffs

Aufgaben
1. Erstelle mithilfe von M1 und
M2 eine be­schriftete Skizze
aller vier an Steilküsten auf­­-
tretenden Erosionsformen.
2. Definiere Abrasion (M2) und in­
diesem Zusammenhang den
Begriff der Abra­sionsplattform
(M1, M4).
3. Erkläre mit Hilfe von M4 die
Entstehung einer Steilküste.
4. Erläutere mithilfe von M3 die
Ent­ste­hung eines Brandungs-
Übungen

Durch fortschreitende Erosion


weicht die Küstenlinie immer tores (M5).
weiter landeinwärts
Realisierung: S. Coté

M4 Die Entstehung einer © S. Coté

Steil- bzw. Kliff­küste M5 Felsentor auf Malta

86 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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3 Flachküsten und ihre Entstehung

Strömung

erodierter Küstenbereich Nehrung


aufsedimentierter Bereich
M1 Flachküsten bestehen aus Sand und Kies, das von
Meeres­strömungen abgelagert wurde (nachdem diese ehemalige Küstenlinie
Haff
an anderer Stelle abgetragen worden sind).
heutige Küstenlinie Realisierung: S. Coté

M2 An Küsten wie der Ostsee in Deutschland und Polen treffen


die Winde schräg auf die Küste auf. Daher verläuft auch die
Se

Meeresströmung nicht parallel, sondern schräg zur Küste,


dim

und Sandkörner werden mit der Strömung erodiert, trans-


portiert und abgelagert. Dabei kann eine Bucht durch eine
en

Nehrung abgeschnitten werden. Eine Ausgleichsküste


ttr

entsteht.
an
sp

Haff
or
t

Aufgaben
1. Erkläre mithilfe von M1 und M2 die Entstehung
Nehrung einer Ausgleichsküste.
2. Erstelle in deinem Heft eine beschriftete Skizze
einer Ausgleichsküste (M2 und M3).
© Klaus Dürkop / NABU
3. Erläutere die Entstehung eines Strandsees (M4).
M3 Luftaufnahme des Naturschutzgebietes Graswarder bei 4. Beschreibe die in M5 gezeigten Landveränderun-
Hei­ligenhafen an der Ostsee. Die Nehrung − auch als gen.
Sand- oder Strandhaken bezeichnet − trennt das offene
Meer vom Haff (Bezeichnung an der Ostsee, ansonsten 5. Informiere dich im Internet nach der Entstehung
nennt man dies eine Lagune). einer Boddenküste (M5).

Übungen

M4 Schließt sich die Nehrung, entsteht eine


vom Meer abgetrennte Lagune. Süßt
diese durch einmündende Flüsse aus, wie
© Lencer / Wikimedia Commons
der Slepton Lay in Großbritannien, entsteht
ein Strandsee. M5 Landveränderungen in Hiddensee von 1886 bis 2006

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 87


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4 Küstenerosion

Aufgaben
1. Beschreibe die Veränderung der Küstenlinie
von Soulac-sur-Mer von 1950 bis heute und
Zukünftige Lage erläutere die Ursachen (M1 bis M3).
der Residenz
«Le Signal» 2. Erläutere mithilfe der Materialien M4 und
M5 die anthro­pogenen Ursachen von Küsten­
erosion weltweit.
3. Benenne die Folgen der Küstenerosion für
die Region und ihre Bewohner.
IGN 4. Beschreibe Maßnahmen für den natürlichen
M1 Luftaufnahme von Soulac-sur-Mer, 1950. «Le Signal» wurde 1965 Küstenschutz (M4).
gebaut und war damals noch rund 200 m vom Meer entfernt.

M2 Soulac-sur-Mer 2010

Residenz
«Le Signal»

IGN © Laurent Theillet

M3 Die Residenz «Le Signal» in Soulac-sur-Mer 2018,


die 2014 geräumt werden musste. Noch trennt sie
Das Absaugen des Meersandes vom 10 m vom Wasser.
Der Bauboom der letzten 60 Jahre hat die Ozeanboden oder von natürlichen
Küstenlinie durch den Bau von Wohnhäu- Sandbänken mit speziell dafür ge-
sern zubetoniert und blockiert dadurch bauten Schiffen setzt die Küstenlinie
die seitliche Abdrift der Sedimente den starken Strömungen und dem
Wellengang aus

Stege und andere Bauwerke


können den natürlichen
Sedimentfluss umleiten und
an anderen Stellen der Küste Wetterextreme wie Sturm-
Erosion verursachen. fluten oder Hurrikans ver-
stärken die Küstenerosion

Die globale Erwärmung


trägt durch den Anstieg
des Meeresspiegels zur
Küstenerosion bei. © Boris Radosavljevic, Alfred-Wegener-Institut

M5 Der aufgrund des Klimawandels immer schneller


Klippen können durch einen Mix aus auftauende Permafrostboden in polaren Gebie-
Abtragung und direkter Verwitterung
vollständig zusammenbrechen und ten verändert die dadurch rasch erodierenden
Schädigung der Küsten- das Hinterland ungeschützt lassen Küsten. An manchen Stellen zieht sich die Per-
vegetation durch mensch-
liche Nutzung macht die
mafrostküste in der Arktis 20 Meter pro Jahr ins
Küste anfälliger Inland zurück − wie hier im Bild auf der sibirischen
Bykovsky-Halbinsel.
Schon jetzt hat der globale Temperaturanstieg
Der Abbau von Kieselsteinen an Strand die Küsten verändert. Experten zufolge könnten
und Flüssen verringert den sedimentären bis 2100 die Hälfte der weltweiten Strände ver-
Eintrag ins Meer schwunden sein. Schon eine moderate Begren-
zung der Treibhausgase könnte demzufolge das
Zurückweichen der Strände um 40 Prozent redu-
zieren. Denn der Anstieg des Meeresspiegels ist
Übungen

Verlust von natürlichem Küsten- bis 2050 für 71 bis 75 Prozent − je nach Klima­
schutz, wie z.B. die Vernichtung
von Mangrovenwäldern oder das szenario − und bis 2100 für 77 bis 86 Prozent des
Trockenlegen von Feuchtgebieten Strandrückzugs verantwortlich.
Realisierung: S. Coté
Stefan Parsch, «Hälfte der Strände verschwindet bis 2100»
M4 Anthropogene Ursachen der Küstenerosion weltweit in tagesspiegel.de vom 02.03.2020

88 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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5 Küstenschutz
Aufgaben
1. Beschreibe die verschiede-
nen Arten von Küstenschutz.
2. Recherchiere im Internet,
welche Form von Küsten-
schutz in deinem Land an­-
gewandt wird.

M1 Deichbau in Sanyo-Onoda City, Japan © Sanjo / Wikimedia Commons

© Agnes Monkelbaan / Wikimedia Commons

M2 Die Küstenlinie am Ijsselmeer in den Niederlanden © S. Coté

wurde mit Basaltbrocken verstärkt M3 Küstenschutz auf Madeira

M4 Buhnen an der Ostsee. Dabei handelt es sich um


Bauwerke aus Stein (vgl. M6) oder Holz, senkrecht M5 Auf der Insel Sylt werden zum Stabilisieren der Küste
zum Strand aufgereiht, um die Wellen zu brechen. Tetrapoden aus Beton aufgereiht.
Übungen

© Kgbo / Wikimedia Commons © Scott Ehardt / Wikimedia Commons

M6 Buhnen aus Stein am Noosa Beach, Australien M7 Strandaufspülungen in Barcelona, Spanien

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 89


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2.3 Fluvial: Flusslandschaften


1 Erosionsprozesse durch fließendes Wasser

M1 Ein Fluss transportiert Kieselsteine, Sand, Schlamm und ner machen «Sprünge» (Saltation), um sich vorwärts zu
Schlick, und diese bilden nach der Ablagerung das Schwemm­ bewegen. Wird die Fließgeschwindigkeit des Flusses langsa-
land. Ist die Strömung stark genug, dann rollt oder rutscht der mer, setzt sich das Material entsprechend seiner Größe ab.
größere Gesteinsschutt auf dem Grund des Flussbetts. Die Dabei lagern sich die größeren Kieselsteine flussaufwärts
feineren Partikel bleiben in der Schwebe, und die Sandkör- und kleinere Partikel wie Sand flussabwärts ab.

M2 Verwitterung und Abtragung in Flüssen M3 Abgerundete Flusskiesel


Flüsse können den Untergrund durch physikalische und
chemische Verwitterungsprozesse abtragen. Dazu gehö-
ren das Herauslösen, Transportieren und chemische Auflö-
sen von Gestein.
Flusssedimente können an ihrer charakteristischen Form
erkannt werden: durch das Aneinanderschlagen der Steine
8 im Wasser und im Flussbett sind sie abgerundet (vgl. M2).
Geologen erkennen daher an der Ablagerung abgerunde-
ter Steine im Gelände ehemalige Flussverläufe (vgl. M6).

M5 Erosion und Sedimentation in einem Fluss (Querschnitt)

M4 Eine Flussschlinge (Mäander) der Sioule in der M6


Auverg­ne, Frankreich. Lässt man einem Fluss seinen
natürlichen Lauf, so fließt dieser normalerweise nie-
mals geradeaus, da er immer den Weg des geringsten
Widerstandes wählt und Hindernissen (z.B. größeren
Gesteinsblöcken) ausweicht. Auch ist die Fließge­
schwindigkeit nicht über­all gleich. Durch Erosion am
Prallhang und Sedimentation am Gleithang (vgl. M5
und M6) bilden sich Flusschlingen in S-Form aus: der
Fluss mäandriert.
Nähern sich die Schlingen durch Erosion immer weiter
Übungen

an, kommt es zum Durchbruch und ein Altwasserarm


entsteht. Je nach Klimazone trocknet dieser dann aus
oder bleibt als Feuchtbiotop erhalten. Hat der entstan-
dene Altarm einen Berg umflossen, so bezeichnet man
diesen als Umlaufberg (vgl. M9).

90 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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Aufgaben
1. Definiere mithilfe von M1 den Begriff der Salta­
tion.
2. Erkläre die runde Form von Flusskieseln (M2,
M3).
3. Erkläre mit Hilfe von M4 bis M7 die Entstehung
von Mäandern, Altarm und Umlaufberg.
4. Färbe auf der IGN-Karte in M8 den Altarm rot
ein.
5. Erstelle in deinem Heft eine Skizze zur Entste-
hung der Pont d’Arc (M8, M9).
6. Erläutere die Entstehung eines eingeschnitte-
nen Flusstales (M10, M11).
M7 Ein Umlaufberg in Süddeutschland, umgeben vom ehema­
ligen Flussbett des Neckars

M8 Auf der IGN-Karte führt die Departementsstraße durch © S. Coté


den trocken gefallenenen Altarm der Ardèche. Der Fluss Pont d’Arc. Der Ardèche (Frankreich) ist es gelungen,
M9
hatte sich mit dem Durchbruch am Pont d’Arc einen kür- den Felsen so zu untergraben, dass der Durchstoß
zeren Weg geschaffen (vgl. M9). direkt unter dem Grat verläuft.

M10 Der Fluss floss ursprünglich auf


einer ebenen Fläche. Während das
Gelände durch die alpine Hebung
aufgeschoben und gefaltet wurde,
floss der Fluss weiter und grub
dabei sein Bett immer tiefer in eine
Schlucht (vgl. M8, M11).

M11 Blick auf das Neckartal in der Nähe


von Heidelberg. Mit dem Anheben
des Odenwaldes, einem Mittelge-
birge im Südwesten Deutschlands,
wurde der Neckar «gezwungen»,
sich immer tiefer in den sich heben-
den Buntsandstein des Odenwaldes
einzugraben (vgl. M10).
Auf dem Foto sind auch gut der (fla-
chere) Gleithang und der (steilere)
Prallhang zu erkennen.
Übungen

© Michael Moll

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 91


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2 Flussabschnitte und ihre Kennzeichen

Die drei Abschnitte des Flusslaufs


stark vereinfacht

Oberlauf
Quellen
Wildbach

Mittelauf
Verbauungen Unterlauf Mündung
Ge

lls Mäander
k ur
ve

Meer / See
Verbauungen

Erosionsbasis
Realisierung: S. Coté

M1 Jedes Fließgewässer kann von der Quelle bis zur Mün­dung in drei unterschiedliche Abschnitte gegliedert werden: in Oberlauf,
Mittellauf und Unterlauf.

Oberlauf Mittellauf Unterlauf


Flussgefälle
(flach, mittel, steil)

Fließgeschwindigkeit
(langsam, schnell, mittel)

Tiefenerosion
(mittel, schwach, stark)

Größe der
Schleppfracht
(klein, mittel, groß)

Seitenerosion
(mittel, schwach, stark)

Sedimentation
(hoch, mittel, niedrig)

Transportkraft
(stark, mittel, schwach)

Flussbreite
(breit, mittel, schmal)

Abflussmenge
(hoch, mittel, niedrig)

Landschaftsform
Übungen

(Flachland, Hochgebirge,
Mittelgebirge)

92 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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Nordsee Hamburg

M3 Die Elb-Mündung bei Hamburg. Diese ist von den Gezeiten der Nordsee geprägt,
insbesondere der Ebbstrom spült regelmäßig den Mündungsbereich aus und hält
ihn offen. Man bezeichnet dies als Trichtermündung oder Ästuar.

© Wikimedia / Pan Narrans

M2 Die Avakas-Schlucht auf Zy-


pern. Eine Schlucht ist ein
von einem Fluss oder Berg-
bach geschaffenes enges Tal
mit steilen Wänden. M4 Mittleres Neckartal

© Wikimedia / USGS

M5 Satellitenaufnahme des Deltas des Mississippi, USA.


Ein Flussdelta (auch Deltamündung oder Mündungs- © Atarax42 / Wikimedia Commons

delta genannt) ist eine Flussmündung in einen See oder M6 Der Bhagirathi River im Himalaya, der später als Ganges
ein Meer mit einem dreieckigen Grundriss. Da sich die durch Indien fließt.
Fließgeschwindigkeit verlangsamt, teilt sich der Haupt­
strom in zahlreiche Mündungsarme auf.

Aufgaben
1. Ordne die Fotos M2 bis M7 jeweils einem Fluss-
abschnitt (aus M1) zu.
2. Fülle die oben stehende Tabelle passend zu den
Abschnitten in M1 aus. Die jeweilig einzusetzen-
den Begriffe findest du in der ersten Spalte in
der Klammer.
3. In M1 findest du vier graue Vierecke, die jeweils
einen Querschnitt durch den entsprechenden
Flussabschnitt symbolisieren. Erstelle jeweils
eine Skizze von diesen Querschnitten in deinem
Heft.
Übungen

4. Erkläre die Entstehung einer Schlucht (M2),


einer Trichtermündung (Ästuar) (M3) und eines
Deltas (M5).
© Minnesota Pollution Control Agency

M7 Der untere Lauf des Mississippi

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 93


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FALLSTUDIE
2021 − Das Jahr der Überschwemmungen

M1 Hochwasser in West- und Mitteleuropa im Sommer 2021


Das Hochwasser in West- und Mitteleuropa 2021 bzw. die Flut- Das Hochwasser ist gemessen an der Opferzahl die schwerste
katastrophe 2021 war eine Naturkatastrophe mit schweren Naturkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut 1962. In
Sturzfluten (= plötzlich auftretende Überschwemmungen auf- einigen betroffenen Staaten machten die riesigen Schäden
grund heftiger Niederschläge in kürzester Zeit) bezieh­ungs- enorme Hilfs- und Rettungsmaßnahmen nötig. Die Münchener
weise Überschwemmungen in mehreren Flussgebieten in Rück bezifferte den Schaden auf 46 Milliarden Euro, davon al-
Mitteleuropa im Sommer 2021. Besonders betroffen waren lein 33 Milliarden Euro in Deutschland.
Teile Belgiens, der Niederlande, Österreichs, der Schweiz, Extremwetterereignisse wie Hitzeextreme, Dürren, Extrem-
Deutschlands und weiterer angrenzender Länder. niederschläge und starke Tropenstürme treten aufgrund der
In Deutschland fielen binnen 24 Stunden mancherorts mehr als menschengemachten globalen Erwärmung global zunehmend
150 Liter Regen pro Quadratmeter. Vielerorts kam es aufgrund häufiger auf. Klimaforscher nennen daher den Klimawandel als
der heftigen und ortsfesten Niederschläge zu Überschwem- wesentlichen begünstigenden und verstärkenden Faktor für
mungen an Flüssen, Bächen und Seen. Viele Häuser wur- schwere Unwetter. Durch die bisher ungewohnte Intensivie-
den unterspült, von den Fluten mitgerissen und beschädigt; rung des Wasserkreislaufs werden derartige Ereignisse auch in
Straßen, Brücken und andere wichtige Infrastruktureinrichtun- Zukunft wahrscheinlicher, länger und extremer.
gen wurden zerstört. Bei der Flutkatastrophe im Sommer starben https://de.wikipedia.org/wiki/Hochwasser_in_West-_und_Mitteleuropa_2021 ,
über 220 Menschen, davon mindestens 184 in Deutschland und gekürzt und ergänzt [abgerufen am 01.02.2022]
41 in Belgien.

M2 Nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal, Rhein- M3 Die ostbelgische Stadt Verviers nach dem ersten Ab­
land-Pfalz. Der Bund und das Land Rheinland-Pfalz hatten laufen des Wassers im Juli 2021
in den vergangenen Jahren Renaturierungsmaßnahmen
im Ahrtal gefördert. Nach Einschätzung eines Experten
waren dies sinnvolle Maßnahmen, jedoch seien Hochwas-
serrückhaltebecken und andere Regenrückhalteanlagen
– auch in den Seitentälern – die einzig wirksamen Maß-
nahmen gegen Extremregenereignisse. Weiterer Grund
für die Katastrophe ist die heute dichtere Bebauung des
Hoch­wasserbetts, das die Größe der überschwemmbaren
Fläche verkleinerte.

© Richard Macarthy/PA Wire/dpa © Keystone/PA Wire/Richard Macarthy

M5 Der Sturm «Goran» brachte im Januar 2021 starke Re-


gen- und Schneefälle im Großraum Manchester und im
Norden von Wales. Im Juli brachte Tief «Bernd» erneut
große Überschwemmungen in Mittelengland.

Aufgaben
Übungen

1. Erarbeite aus den Materialien die Ursachen und


M4 In der Innerschweiz sind im Januar 2021 nach langan- Folgen von Überschwemmungen.
haltenden Regenfällen die Flüsse über die Ufer getreten.
Es drohten vielerorts weitere Überschwemmungen, Erd­ 2. Recherchiere im Internet nach weiteren Über­-
rutsche und Murgänge. schwemmungen weltweit im Jahr 2021.

94 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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3 Flussmanagement
Die Rhône-Korrektur im schweizer M2 Aktuelle Situation nach der 2. Rhônekorrektur
M1
Kanton Wallis
Der Gebirgsfluss Rhône mit einem weitverzweig-
ten Einzugsgebiet in den Hochalpen hat in histo­
rischer Zeit bei vielen Hoch­wasserereignissen
auf den Talböden immer wieder verheerende
Überschwemmungen verursacht und den Fluss-
lauf im weiten Auengebiet geändert. Bis ins 19. Die rote Linie markiert den Hochwasserstand
Jahrhundert bestand die Naturlandschaft in der
Rhôneebene des Wallis und im schweize­ri­schen
Teil des Chablais vorwiegend aus Sumpfgebie-
ten und Auen. Bei den seit dem 15. Jahrhundert
dokumentierten Schutzmaßnahmen suchte man
das Flussbett mit einfachen Dämmen zu sichern.
Eine erste Rhônekorrektur wurde Ende des 19.
Jahrhunderts vorgenommen, wobei der Fluss
Source : État du Valais-Projet Rhône
begradigt und kanalisiert wurde. Bei der zwei-
ten Rhônekorrektur (vgl. M2), die 1960 abge­ M3 Zukünftige Situation der Flusslandschaft nach der 3. Rhônekorrektur
schlossen wurde, wurden in einigen Abschnit-
ten die Hochwasserschutzdämme verstärkt und
erhöht, und das Flussbett wieder vertieft und
etwas erweitert. Ziel war nach wie vor die Über-
schwemmungen in der Rhôneebene zu been-
den. Doch die Hochwasser von 1987, 1993 und
2000 konnten dadurch nicht verhindert werden.
Bei der dritten Rhônekorrektur (vgl. M3) wur-
den unter anderem Dämme zurückgelegt, um
das Flussbett auf eine Breite von 30 bis 45
Meter aufzuweiten. Von den Anpassungen pro-
fitiert auch die Bevölkerung, da die Landschaft
aufgewertet wird.
www.blick.ch., September 2018, ergänzt; https://de.wikipedia.org/wiki/
Dritte_Rhonekorrektion, gekürzt [abgerufen am 05.11.2021]

© Christophe Licoppe / Wikipedia Commons

M4 Flutkatastrophe in Ostbelgien und Westdeutschland im Sommer 2021.


Insbesonders die Täler waren schwer von den Überschwemmungen
Aufgaben betroffen. „Wir müssen in bestimmten Städten in Tallagen Umsiedlun-
gen vornehmen. In der Klimakrise, in der wir stecken, sind manche
1. Begründe mihilfe von M1 die Notwen- Häuser und Ortschaften nicht mehr haltbar“, warnt Greenpeace-Akti-
digkeit, die Rhône­korrekturen vorzu­ vist Smid. „Wir müssen sie für unbewohnbar erklären.“
nehmen. „Dörfer, Städte und Landschaften sollten wie Schwämme konzipiert
werden“, rät Christian Kuhlicke, Professor am Helmholtz-Zentrum für
2. Erkläre mit M1 bis M3 die einzelnen
Umweltforschung in Leipzig. „Jeder Kubikmeter Wasser, der nicht
Schritte der Rhô­ne­­korrektur. über die Kanalisation in Flüsse eingeleitet wird, trägt zur Abflachung
3. Erarbeite aus M4 die Anpassungen zur von Hochwasserwellen bei.“ Begrünte Dächer zum Beispiel könnten
Vermeidung von Hochwasserkatastro­ dazu beitragen, aber auch mehr offene, also nicht etwa durch Asphalt
phen wie im Jahr 2021. versiegelte Flächen. Außerdem mehr Bäume, mehr Auen oder mehr
Kuhlen in Parks, die Wasser speichern können. Möglich seien auch
4. Erläutere die Anwendung des Prinzips unterirdische Speicherhallen.
des «Soft Engineering» (M5). Jost Maurin, https://taz.de/Lehren-aus-der-Flutkatastrophe/!5782611/ vom 17.07.2021

M5 Hochwasserschutz durch «Soft Engineering»


Traditionell wurden Flussufer mit Beton und Stahl eingedämmt, • Aufforstungen, bei denen Bäume in Flussnähe gepflanzt
um die Siedlungen vor Überschwemmungen zu schützen werden, um das Hochwasser zu verlangsamen
und um Erosion zu verhindern. «Soft Engineering» dagegen • ein Ökosystemmanagement, das die menschlichen und
ist ein natürlicher Hochwasserschutz durch Stabilisierung der natürlichen Bedürfnisse des Flusses miteinander verbindet
Flussufer, indem man die Uferzonen mit heimischer Vege-
• die Planung zur Kontrolle der Bebauung entlang der Fluss­
tation bepflanzt, damit diese durch ihre Wurzelstrukturen die
ufer. So bleiben bei Überschwemmungen die Schäden an
Übungen

Randbereiche der Flüsse stabilisieren und damit die Erosion


der Infrastruktur und die Kosten gering, während die natür-
nachweislich verringern. Zudem fördert diese Renaturierung
liche Uferlinie für hohe Wasserstände sorgt.
die Artenvielfalt und schafft eine fließendere Übergangszone
zwischen Flussbett und Land. frei übersetzt und modifiziert von https://albertawater.com/flood-mitigation/
soft-engineering [abgerufen am 10.11.2021]
Beispiele von Soft-Engineering sind:

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 95


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EXKURS
Die Rheinbegradigung durch Johann Gottfried TULLA

M1 Das ursprüngliche Rheingebiet bis ins 19. Jh.


Noch vor 200 Jahren befanden sich zwischen Basel und
Karlsruhe an die 2000 Inseln, die durch den ständigen Wan-
del der Flusslandschaft immer wieder zu Grenzstreitigkeiten
zwischen den anliegenden französischen und badischen
Gemeinden beiderseits der Grenze führten. „Eine Insel (...),
die im Frühjahr noch französisch war, (ist) im folgenden
Winter deutsch“, klagte ein Straßburger Ingenieur.
Schlimmer jedoch waren die regelmäßigen Überschwem-
mungen, ausgelöst durch Niederschläge und Schnee­
schmelzen. Dörfer wurden überflutet und in den Niederun-
gen stand das Wasser oft monatelang, so dass sich Sümpfe
bildeten, die eine Brutstätte für Sumpffieber und Malaria
waren.
M2 Blick vom Isteiner Klotz rheinaufwärts Richtung Basel, in
einem Gemälde von Peter Birmann um 1819. In Abhän-
Aufgaben gigkeit vom Relief ändert auch der Rhein sein Erschei-
nungsbild von der Quelle bis zur Mündung. Im Bereich des
1. Beschreibe den Verlauf des Oberrhein vor der Oberrheins fließt er durch das flache Oberrheintal, so dass
Tullaschen Rheinkorrektur (M1 - M3). sich der ursprüngliche Wildstrom aufgrund des geringen
Gefälles teils in Mäandern, teils in einer Verwilderungszone
2. Erkläre die Gründe, die damals zur Rheinkorrektur entlang einer bis zu neun Kilometern breiten Aue ausdehnte
geführt haben (M1, M4). und darin auch immer wieder sein Flussbett veränderte.

M3 Zustand des Rheins bei


Speyer und Breisach vor
(Kartenteil oben) und nach
(Kartenteil unten) der Kor-
rektur durch Oberst Tulla

M4 Rheinkorrektur durch Oberst Tulla


Um vor Hochwasser zu schützen und um mehr Land zu gewin- auch der Grundwasserspiegel sank und die Gebiete entlang
nen wurde 1817 mit der Rheinbegradigung durch Tulla begon- des Rheins trockenfielen, so dass sie landwirtschaftlich und als
nen. Durch künstliche Durchstiche zwischen Rheinschlingen Siedlungsraum genutzt werden konnten.
sollte der mäandrierende und weit verästelte Flusslauf auf ein Ab 1907 wurden die Pläne von Wasserbauingenieur Max
Hauptbett gezwungen werden. Künstliche Dämme verhinder- Honsell zur Vertiefung des Rheins umgesetzt, um den Strom
Übungen

ten ein Zurückfließen in das alte Flussbett und reduzierten die von der Mündung bis Basel durchgängig schiffbar zu machen.
Überschwemmungen. Zwischen Basel und Mannheim wurde Nach dem ersten Weltkrieg wurde von den Franzosen der
der Rhein auf diese Weise um ein Viertel seiner ur­sprünglichen Rheinseitenkanal (Grand Canal d’Alsace, vgl. M5) erbaut, um
Länge gekürzt. Durch den korrigierten Flussverlauf erhöhte sich mit Hilfe mehrerer Wasserkraftwerke Energie zu gewinnen.
die Fließgeschwindigkeit, die Tiefenerosion nahm zu, wodurch

96 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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M6 Die Schattenseiten der Rheinkorrektur


Mit der Trockenlegung des Rheins verschwanden auch die
natürlichen Auenlandschaften (vgl. M9) und mit ihr viele
Tier- und Pflanzenarten. Für die lokale Fischerei wichtige
Fischarten wie Stör und Lachs starben fast vollständig
aus, da ihnen nicht mehr genug Laichplätze zur Verfügung
standen und der Flussverlauf durch Wasserkraftwerke
(vgl. M5) und Schiffswehre regelmäßig durchbrochen war.
Im begradigten Hauptrhein fließt die Hochwasserwelle nun
schneller, so dass die Hochwassergefahr weiter nach Nor-
den in das Gebiet des Niederrheins verlagert wurde (vgl.
M7). Der Rhein ist dort weniger kontrollierbar, denn das
Rheinhochwasser trifft hier auf die Hochwasser der Rhein-
zuflüsse Neckar, Main und Mosel.

© Google maps

M5 Das Wasserkraftwerk bei Kembs am Grand Canal d’Alsace

Aufgaben
3. Erkläre anhand einer Skizze, wie die Rheinkorrek-
tur umgesetzt wurde (Vorher-Nachher-Bild).
4. Ein Chronist des 19. Jahrhunderts schrieb über
den Rhein, er sei „der schreckliche Feind, der
nicht nachlässt zu toben, bis er nicht Land und
Leute verdorben hat“. Erkläre diese Aussage.
5.Notiere tabellarisch die positiven und negativen
Folgen der Rheinkorrektur (M1, M3, M4, M7, M8,
© Günther Gramer
M9).
M7 Hochwasser am Rhein in Duisburg im Januar 2018
6. Bewerte die Rheinkorrektur von Tulla.
7. Erkläre die regelmäßig vorkommenden Hochwas-
ser in Köln (und in vielen weiteren Städten).
8. Erläutere mithilfe von M10 bis M12 die umge- M8 Die Renaturierung des Oberrheins
setzten Renaturierungmaßnahmen. In den 1990er Jahren hatte man angefangen, dem Rhein
wieder seine natürlichen Überschwemmungsflächen zu
geben – Flächen, die nicht von Menschen und Indus­trien
besiedelt oder ackerbaulich genutzt wurden, so dass das
Hochwasser in diesen Gebieten kaum noch Schaden an-
richten kann.
Durch Deichrückverlagerungen und den Bau von Poldern­
(vgl. M10) hat man nicht nur die Hochwasserkatastro­
phen am Niederrhein verringert, sondern auch mit ent­
sprechenden Renaturierungsmaßnahmen die einstige
Auen­landschaft (vgl. M9) mancherorts wiederhergestellt.

© NABU-Rinteln

M9 Natürliche Auenlandschaft am Rhein. Auen sind Ufer-


landschaften von Bächen bzw. Flüssen, deren Ökosys-
tem vom Wechsel unterschiedlich hoher Wasserstände
geprägt ist. Flussauen können daher bei Hochwasser © NWerner
größere Mengen Wasser aufnehmen, ohne Schaden zu
Übungen

nehmen. M10 Polder mit Rückhaltebecken in Mechtersheim am


Rhein. Ein Polder ist ein eingedeichtes, niedriger gele-
genes Gelände in der Nähe von Gewässern. Es dient
als Rückhalteraum, der bei Hochwasser kontrolliert
geflutet werden kann.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 97


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2.4 Glazial: Gebirgslandschaften


1 Aufbau eines Gletschers
Mittelmoräne Nährgebiet
Hangschulter (Akkumulation) ie
Seitenmoräne slin
c ht
ewi
hg
l eic
Kargletscher G Zehrgebiet
(Ablation)

Karsee

Gletscherzunge

Gletscherfront

Gletschersee

Gletscherbach
alte Moränen

Gletschertor

Endmoräne

M1 Schematischer Aufbau eines Gletschers Realisierung: S. Coté

© Wikimedia / Yves Lemarcheix


Übungen

M2 Seitenmoräne des Miage-Gletschers in den französischen Alpen.


­Moränen sind vom Gletscher transportierte und abgelagerte Schutt- © parttimetravel.ch

massen aus Gesteinen, die je nach Lage in Bezug zum (ehemaligen) M3 Der Große Aletschgletscher (Kanton Wallis,
Gletscher als Seiten-, Grund-, Mittel- oder Endmoräne bezeichnet Schweiz) ist der längste Gletscher Europas.
werden. Die Mittelmoränen sind hier gut zu erkennen.

98 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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© Wikimedia Commons / McKay Savage

M5 Ein Alpinist neben einer Gletscherspalte auf dem


Mt. Tronador in Argentinien

© Wikimedia Commons / Jeffrey Pang

M4 Der Berg-Gletscher in British Columbia, Kanada. In der Bild­-


mitte und im unteren Bereich sind Längsspalten zu erkennen,
am oberen Bildrand Querspalten.

Reibung am Gletscherrand
Randspalten Querdehnung M6
Längspalten
Eisabbruch
Zugspannung
Querspalten

Quer- und Zugspannung


Séracs (Eistürme)
Eis

Druckspannung
Ogiven (Stauchwülste)
Gletsch
erbett

M7 Der Gletscherbach des Triftgletschers (im Kanton


Bern, Schweiz) fließt durch das Gletschertor direkt
in den Gletschersee.

M8 Ablation
Unter Ablation versteht man das Ab­schmel­zen von Eis, Firn oder
Schnee, insbesondere auf der Oberfläche eines Gletschers. Zur
Ablation kommt es aufgrund von Son­neneinstrahlung, Verdunstung
oder Nie­der­schlag.

Aufgaben
1. Erstelle in deinem Heft eine einfache Skizze eines
Glet­schers mit den Begriffen, die in den Materialien fett
grün gedruckt sind.
2. Erkläre den Unterschied vom Nährgebiet und Zehrgebiet
eines Gletschers (M1) und in diesem Zusammenhang die
Begriffe Akkumulation udn Ablation (M1, M8).
Übungen

3. Erkläre die Entstehung von Längs- und Querspalten (M4


bis M6).
4. Erkläre mithilfe von M9 die Entstehung von Eis.
M9 Aus Schnee wird Firn und Eis

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 99


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2 Arten von Gletschern


Grundsätzlich werden zwei Arten an Gletschern unterschieden: M2 Talgletscher
Tal- und Inlandsgletscher
Diese findet man heutzutage ab einer gewissen Höhen-
lage in den Hochgebirgen. Entstanden sind diese in der
letzten Eiszeit, als weite Teile der Erde von Eis bedeckt
waren. In Mitteleuropa begann diese vor rund 110.000
Jahren und endete vor rund 10.000 Jahren. Damals waren
die Alpen fast vollständig vergletschert, der Eispanzer war
an manchen Stellen sogar mehrere Kilometer dick.
Inzwischen sind nur noch die Reste davon zu erkennen.
Wie der Name sagt, liegen Talgletscher in einem Gebirgs-
tal und gleiten beim Vorstoßen in die Talebene hinab, so
wie der 26 km lange Aletschgletscher im Schweizer Kan-
ton Wallis. Daher haben die meisten Talgletscher eine
ausgeprägte Gletscherzunge (vgl. M2).

Aufgaben
1. Erkläre den Unterschied zwischen Tal- (M1,
M2) und Inlandsgletschern (M3 bis M5).

@Freeimages / mattosaur4
2. Definiere die Begriffe Kar und Kargletscher
(M6, M7).
M1 Die Gletscherzunge des Fox Glacier in den Alpen Neuseelands

M3 Inlandeisgletscher
Diese liegen in kälteren Regionen der Erde innerhalb von Kontinenten, wie
in Grönland oder am Südpol. Daher sind sie nicht an ein bestimmtes Tal
gebunden, sondern decken ein Gebiet großflächig mit einem Eisschild ab,
so wie der grönländische Eisschild, und reichen meist bis ans Meer. Sie
können eine Dicke von über 3.000 m haben (vgl. M4 und M5).
Während der Eiszeiten war auch ihre Ausdehnung viel größer als heute. Im
Gegensatz zu den Talgletschern sind sie aber mehrere 100.000 Jahre alt.

Ost-West-Profil 4.000 m
Südpol
90° Süd

Antarktischer Eisschild

Meeresniveau

Festland

Ost-West-Profil 3.000 m Beide Grafiken sind


72° Nord
mit demselben Maß-
3 km

Grönland stab gezeichnet


M4 Der Elephant Food Glacier im Norden Grön- Eisschild
Meeres-
lands ergießt sich buchstäblich ins Meer. 1.000 km
niveau
Der grönländische Eisschild ist so mächtig,
dass nur noch die Bergspitzen herausragen. M5 Die Eisschilde der Antarktis und Grönlands
Übungen

© Wikimedia / Christian Jansky

M7 Blick auf den Augstsee im Ausseerland, Öster-


M6 Querschnitt durch einen Kargletscher. Ein Kargletscher ist haupt­ reich. Der Augstsee ist ein Karsee mit der charak-
sächlich auf das in der Karmulde sich sammelnde und bildende teristischen Lage an der Abbruchkante der Kar­
Eis beschränkt. Ihm fehlt daher eine ausgeprägte Gletscherzunge. schwelle.

100 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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3 Durch Gletscher geformte Gebirgstäler


M1 Die Erde zum Zeit­ Aufgabe
punkt der letzten
großen Vereisung Erkläre anhand der Materia-
vor 12.000 Jahren. lien dieser Seite die Ent­-
stehung von Gebirgstälern.

A
© PPC / Frédéric Garcia

M2 V-Tal im Alpujarras in Andalusien, Spanien (vgl. A)

M3 So wie noch heute Grönland von einem riesigen Eisschild


bedeckt ist, wo nur die höchsten Gipfel des darunterliegen-
den Gebirges zu sehen sind, so waren während der Eis­
zeiten auch weltweit alle Gebirge unter einer dicken Eis-
schicht begraben (vgl. B).

C
Übungen

© PPC

M4 Das vom Gletscher ausgeschürfte U-Tal oberhalb von


­Râteau im Oisans-Massif der französischen Alpen (vgl. C).

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 101


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3 Typische glaziale Landschaftsformen

M1 Ein Hängetal mit Wasserfall im Yosemite Valley, USA.


Hängetäler entstehen, wenn ein Nebengletscher aus einem © Wikimedia Commons / GerritR

Seitental in das Haupttal einmündet. Da die Erosion des M2 Felsabtrag durch Gletscherwirkung. Diese Art der
Hauptgletschers stärker ist, wird das Haupttal stärker einge- Ero­sion am Gesteinsuntergrund durch Gletscher wird
tieft als das Seitental. In der Folge kann der Talboden des ­Abrasion genannt und hinterlässt die typisch glatt­
Seitentals an der Talwand des Haupttals hängen. geschliffenen Oberflächenformen (vgl. M4).

© Wolfgang Weitlaner

M4 Die Schärenküste Schwedens. Die Schären sind


­ äh­­rend der Eiszeiten in Skandinavien
w durch
Gletscher glatt­geschliffene kleine Felsinseln.
© S. Coté

M3 Das Kar von Gavernie in den Pyrenäen wurde durch


Gletscher mehrmals ausgeschürft.

© Sviluppo Spa / Ronny Kiaulehn

M6 Der Gardasee ist wie auch der Lago Maggi­o­


re und die Seen im bayerischen Alpenvorland
ein Zungenbeckensee (vgl. M5). Sie wurden­
in den Eiszeiten von den Gletscherzungen­
Übungen

ausgehobelt und haben sich − nach Ab­


schmel­ zen des Eises und Rückzug des
Glet­schers − mit Wasser gefüllt. Begrenzt
werden die Zungenbecken in der Regel von
M5 Zungenbeckenseen des Alpenraumes End­moränenwällen.

102 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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M7 Ein Fjord an der Küste


Norwegens. Fjorde sind
von Gletschern ausge­
schürfte Trogtäler, die
nach dem Ende der Eis­
zeit durch den an­ stei­
genden Meeres­spie­gel
überflutet wurden. Daher
sind sie weit in das Land
reichende Meeresarme
(vgl. M8). Man findet
sie auch an den Küsten
Kanadas und Neusee-
­
lands.

M8 Schema zur Entstehung eines Fjordes

Gletscher
Meer
Talsohle vor der Vereisung
heuti
ger Grund des Fjordes

Realisierung: S. Coté

© PPC. L. Pin

M9 Berggipfel im chilenischen Nationalpark «Torres del Paine».


Auffallend sind die steilen, pyramidenförmigen Bergspitzen,
die man als Karling bezeichnet. Entstanden sind Karlinge
durch rund um den Gipfel liegenden Kare, die den Bergflan-
ken ihre charakteristische Form geben. Bekanntester Karling
Europas ist das Matterhorn in den Walliser Alpen.

© Geohilfe.de

M10 Als Kame (von schottisch Kame = steiler Hügel aus


Lockermaterial) bezeichnet man eine Erhebung inner­
halb der Grundmoränenlandschaft. Die Schmelzwäs-
ser haben vor einem Hindernis, wie z.B. einem
Toteisblock, Schuttmaterial abgelagert. Schmilzt der
Toteisblock, bleibt der Kame in der Landschaft übrig.

Aufgaben
1. Definiere Abrasion (M2).
2. Erkläre die Entstehung der auf dieser Seite
ge­nannten Landschaftsformen (in fett grün
notiert), die durch Glet­scher entstanden sind.
Übungen

© Wikimedia Commons / Arne Østensen


3. Arbeite mit dem Atlas und suche namentli­
M11 Oser (Singular: Os) sind Ablagerungen von Sand und
Kies in den Schmelzwasserkanälen der Gletscher. Nach
che Beispiele für Zungenbeckenseen aus dem
Abschmelzen des Eises bleiben diese als langestreckte Alpenraum (vgl. M5) und für Fjorde an der
Dämme übrig. norwegischen Küste.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 103


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4 Glaziale Serie
Gletschertor Inlandeis

Schmelzwasser

Urstromtal Sander

e
dm orän
Grun
e
orän
Endm andlage)
(Eisr
M1 Die Glaziale Serie in Norddeutschland Quelle: Westermann. Realisierung: S. Coté

M2 Ablauf der glazialen Serie


Bei der glazialen Serie handelt es sich um eine
typische Abfolge von Landschafts­elementen, die
ein Gletscher während der Eiszeit ge­schaffen hat.
Man findet diese sowohl im deutschen Voralpen-
raum (vgl. M4) als auch in Norddeutschland (vgl.
M3), das von Norden her vereist war. In Süd-
deutschland gehören dazu Grundmoräne, End-
moräne und Schotterfläche, in Norddeutschland
Grundmorä­ne, Endmoräne, Sander und Urstrom-
tal (vgl. M1).
Während der Eiszeiten dringen die Gletscher
in Deutschland weit bis ins Vorland vor. Dabei
überformen die Eismassen das ursprüngliche
Gebiet − eine flache bis wellige Grundmoränen-
landschaft mit einzelnen Zungenbeckenseen ent­
steht.
Das Lockermaterial, das der Gletscher vor sich
herschiebt, wird zum Wall aufgeschoben und M3 Maximale Eisbedeckung Nordeuropas
zeugt als Endmoräne von den maximalen Vor­
stößen der Gletscherzungen.
Der enorme Druck der aufliegenden Eismas-
sen bringt die Unterseite des Gletschers zum
Schmelzen. Über das Gletschertor fließt das
Schmelzwasser ab und nimmt dabei große Men-
gen an Sedimenten und Kiesen mit. Diese lagern
sich hinter dem Gletscher im Gletschervorland­­
ab − die größeren Bestandteile früher, die leich­
teren werden noch länger mittransportiert.
Das abfließende Schmelzwasser läuft über
die Urstromtäler ab. Diese verlaufen in Nord-
deutschland von Südost nach Nordwest hin zum
Becken der heutigen Nordsee (z.B. über die
Elbe). In Süddeutschland fehlen vergleichbare
Ur­stromtäler. Hier fließt das Schmelzwasser in
Richtung Norden bis in die Donau − die noch
heute die Alpenflüsse nach Osten ins Schwarze
Meer hin entwässert.

M4 Vergletscherung des Alpenraumes in den letzten zwei Eiszeiten


Aufgaben
Übungen

1. Erkläre den Ablauf der Glazialen Serie.


2. Suche in einem Atlas entsprechende
(deutsche) Ortsbezeichnungen.

104 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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5 Chancen und Herausforderungen in Gebirgsregionen

M2 In den Hochgebirgen finden sich auch Lagerstätten


© saslonch / pixabay wertvoller Rohstoffe. Österreich hat z. B. bedeu-
M1 Stauseen sichern die Trinkwasserversorgung der im Tal tende Vorkommen von Wolfram, Magnesit, Talk und
lebenden Bevölkerung. Zudem verhindern sie durch geziel- Kaolin. Und der Name der Stadt Salzburg stammt
ten Abfluss Hochwasserkatastrophen zu Zeiten der Schnee­ von der Salzgewinnung und -handel im frühen Mit-
schmelze. Speicherkraftwerke nutzen das Höhengefälle zur telalter, im südöstlich davon liegenden Salzkammer-
Energiegewinnung durch Wasserkraft. gut wurde Salz bereits vor 7.000 Jahren abgebaut.

M3 Steinschlag, Bergstürze, Murgänge − herabstürzendes


­ e­stein gehört zu den häufigsten Naturgefahren in den
G
Hoch­gebirgsregionen. Der Klimawandel verschärft dies noch,
da der Permafrost, ein normalerweise dauerhaft (permanent) © NWerner

gefrorener Boden, auftaut und die Berghänge dadurch insta- M4 Winter- als auch Sommertourismus sind ein wich­
biler werden und ins Rutschen kommen. tiger Wirtschaftsfaktor

© Dieter Höller

M5 Gebirgsregionen bieten aufgrund ihres Reliefs wenig Mög­


lichkeiten für die industrielle Landwirtschaft, da weite Ebe- M6 Lawinenabgänge in den Hochgebirgen zerstören
nen für die maschinelle Bearbeitung fehlen. Darin liegt eine nicht nur die Infrastruktur, sondern fordern auch
Chance, nicht nur die landwirtschaftlichen Traditionen zu immer wieder Menschenleben.
bewahren, sondern auch im Rahmen von nachhaltiger Land­
Übungen

wirtschaft qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu produ-


zieren. Zugleich werden lokal Arbeitsplätze geschaffen und Aufgabe
die Bergregionen in ihrer ökologischen Vielfalt geschützt, so
dass sie als Natur-, Erholungs- und Tourismusraum erhalten Erläutere Chancen und Herausforderungen für
bleiben. die Menschen in Hochgebirgsregionen.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 105


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2.5. Äolisch: Wüstenlandschaften


1 Typische Landschaftsformen in Trockengebieten

© S. Coté
© Jaqueline Macou / Pixabay
Das Hoggargebirge in Algerien liegt in einer Fels- M2 Ein Wüstenplateau im Süden Marokkos. Die Sonne hat
M1
und Steinwüste, auch «Hammada» genannt. Dieser die Vegetation ausgedörrt und der Wind den Boden frei-
Wüstentyp kommt am häufigsten vor − die Hammada geblasen (Deflation). Diese Kies- oder Geröllwüsten
bedeckt in der Sahara 70% der Wüstenfläche. werden als «Serir» bezeichnet.

M4 Die Sandkörner werden «springend» vom Wind weiter-


transportiert (Saltation) und mit nachlassender Wind­
stärke oder vor Hindernissen (Vegetation, Steine) abge-
© Diliff / Wikimedia Commons
lagert. Durch diese Anhäufung (Akkumulation) bildet sich
M3 Sandwüste in Quatar. Nur etwa 10% der welt­
weiten eine Düne. Der Wind erodiert den Fuß der Düne und
Wüstenfläche wird von Sandwüsten − auch als Erg lagert die Sandkörner auf der anderen Seite wieder ab,
bezeichnet − eingenommen. wodurch die Düne in Bewegung gerät.

M5
fließendes Wasser (selten)
Wind
Starke Temperaturschwankungen,
hohe Verdunstung

Fels, Schutt Kies Sand


Übungen

Salz, Ton, Lehm


Realisierung: S. Coté

Stein- und Felswüste Kieswüste Sandwüste Salzwüste


(Hamada) (Serir) (Erg) (Schott, Sebka)

106 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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© Thomas Gurviez

M6 Der Wadi Rum in Jordanien. Ein Wadi ist ein Tal oder © vvLB

Flusslauf in Trockengebieten, der häufig erst nach star- M7 Der Wadi M’zi in Algerien bei periodischer Überflutung
ken oder länger anhaltenden Regenfällen periodisch
Wasser führt. Dabei kann sich das Regengebiet auch in
weit entfernt liegenden Gebirgen befinden.

Aufgaben
1. Arbeite mit dem Atlas und suche auf
jedem Kontinent nach mindestens
zwei Wüsten. Beschreibe von jeder die
geographische Lage.
2. Definiere Deflation (M2) und Saltation
(M4).
3. Erkläre die Entstehung der verschie-
denen Wüs­ten­typen (M1 bis M4) und
gehe dabei auch auf die Erosions- und
Akkumulationsvorgänge ein.
4. Erläutere die periodischen Überflutun-
gen eines Wadi (M6, M7).
5. Erkläre die Entstehung eines Pilz-
felsens (M8, M9).
6. Recherchiere im Internet die verschie- M8 Schema eines Pilzfelsens. Boden-
naher Windschliff (Korrasion) durch
denen Oasentypen (M11). Erkläre auch vom Wind verwehte Sandkörner.
die Herkunft des Wassers. M9 Pilzfelsen (Algerien)
7. Erkläre die Entstehung von Salzwüsten
(M10). Übungen

© Pedro Szekely / Wikimedia Commons © PPC / L. Pin

M10 Der Salar de Uyuni liegt im Südwesten des Andenstaates M11 Eine Oase in der Atacama-Wüste in den Anden, Südame-
Bolivien auf über 3600 Metern. Salzwüsten entstehen in rika. Der Anbau von Obst und Gemüse in einer Trocken-
(semi-)ariden Gebieten durch Verdunstung des Wassers zone ist nur möglich, wenn unterirdische Wasserspeicher
in abflusslosen Becken. vor­handen sind.

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 107


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2 Die Entstehung von Wüsten

Grosses
M2 Was ist eine Wüste?
Taklamakan
Becken
Eine Wüste ist ein vegetationsloses oder -armes Gebiet,
Lut
Gobi
PAZIFISCHER
in dem die Vegetation maximal 5% der Oberfläche be-
Nefud
Nördlicher Wendekreis 23,5° N ATLANTISCHER
Sahara
Thar deckt. Im klassischen Sinne versteht man unter einer
OZEAN
Wüste ein Trockengebiet in den Tropen oder Subtropen
Rub al Khali
OZEAN («heiße Wüste», Hitzewüste), in dem kein oder kaum
PAZIFISCHER
Niederschlag fällt und Wasser Mangelware ist. Aber
Äquator
OZEAN es gibt sie auch in den subpolaren und polaren Zonen
Atacama INDISCHER («kalte Wüste», Kältewüste, Eiswüste), wo es an Wärme
Südlicher Wendekreis 23,5° S
Namib Kalahari Gibson Simpson
fehlt.
OZEAN
Victoria Allen Wüsten gemeinsam ist eine große Trockenheit mit
0 2 000 km
Wendekreiswüsten Küstenwüsten Kontinentalwüsten
jährlichem Niederschlag von maximal 250 mm. Gebiete
Realisierung: S. Coté
mit Niederschlagsmengen von 250 - 500 mm werden als
M1 Wüstenarten Halbwüsten bezeichnet.

Wendekreiswüsten 30° 0° 30°


M3 M4
Sie befinden sich im Bereich der nördlichen und südli- abgekühlte Luft
regnet sich ab
chen Wendekreise. Wendekreise begrenzen denjenigen
Bereich (der Tropen), in dem die Sonnenstrahlen senk­
recht auf die Erde treffen können (vgl. M4). trockene Luft trockene Luft
Am Äquator erwärmt sich die Luft und steigt auf. Beim sinkt ab und sinkt ab und
erwärmt sich erwärmt sich
Aufsteigen kühlt sie ab, regnet sich ab und wird in Richtung
der Pole abgelenkt. Im Bereich der Wendekreise sinkt die
kühl gewordene Luft wieder ab, erwärmt sich, und strömt erwärmte Luft
als trockener Passatwind zurück in Richtung Äquator. steigt auf
Wüste Wüste
Die Wendekreiswüsten nehmen die größte Fläche unter
den Wüsten der Erde ein. Eine typische Wendekreiswüste
ist die Sahara. nördl. Wendekreis Äquator südl. Wendekreis Realisierung: S. Coté

M5
W O M6 Küstenwüsten
warme Passatluft
Sie liegen an den Westseiten der Kontinente, entlang deren
Küsten ein kalter Meeresstrom aus den Tiefen aufsteigt (vgl.
INVERSION M5). Dieser kühlt die auf dem Meer liegende Luft ab und es
kommt zur Nebelbildung. Die darüberliegenden warmen Pas-
satwinde lassen allerdings ein Aufsteigen der kühleren (und
Nebel M4 schwereren) Luftmassen nicht zu (Inversionlage). Dadurch
können sich keine Wolken bilden. Aufgrund der Erdrotation und
dadurch vorherrschenden Westwinde wird der Nebel nun an die
WÜSTE Küste getrieben. Er bringt Luftfeuchtigkeit, aber keinen Regen.
esstrom
kalt er Meer Die bekanntesten Küstenwüsten sind die Namib (Afrika) und
die Atacama (Südamerika).
Realisierung: S. Coté

M7 Kontinental- / Binnenwüsten M4
Wie der Name sagt, liegen diese Wüsten im Landesinne-
ren, insbesondere in Asien. Gebirge um sie herum halten aufsteigende und
Regenwolken ab bzw. lassen diese abregnen, bevor sie sich abkühlende
Luftmassen regnen
die Gebirgskämme überwinden und als trockene kalte sich ab
Luftmassen im Hinterland ankommen (vgl. M8). trockene Luft erwärmt sich
Typische Kontinentalwüsten sind die Gobi und Takla Ma- beim Absinken, es kommt
kan (beide Zentralasien).
zur Wolkenauflösung
Übungen

Aufgaben
1. Erkläre die drei Wüstenarten anhand einer be­schrif­ 2. Recherchiere im Atlas und nutze M1, um jeweils
teten Skizze in deinem Heft. Beispiele für diese Wüstenarten zu notieren.

108 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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3 Die Herausforderung der Desertifikation


M1

Source: Global Precipitation Climatology Centre and potential evapotranspiration (Weltatlas der Desertifikation) [ abgerufen am 12.11.2021]

Aufgaben M2 Was ist Desertifikation?


Desertifikation ist nicht gleich Dürre und auch nicht einfach
1. Beschreibe die geographische Lage der in M1
die Ausbreitung der Wüsten. Desertifikation bedeutet die
erkennbaren Trockengebiete. Ausbreitung wüstenähnlicher Verhältnisse in Gebiete hinein,
2. Erkläre Desertifikation und stelle deren Folgen in denen sie aufgrund der klimatischen Bedingungen eigent-
für die Menschen dar, die in den davon betroffe- lich nicht existieren sollten. Sie stellt ein weltweites Problem
nen Gebieten leben (M2). dar, denn alle Kontinente sind – allerdings in unterschiedli-
chem Ausmaße – von diesem Phänomen betroffen.
3. Erörtere die Lebensbedingungen im Sinne der Wüstenbildung gibt es nicht nur in extrem trockenen und
Nachhaltigkeit für die Men­schen in einer Wüsten­ heißen Gebieten, sondern zum Beispiel auch in der Elfen-
stadt wie Dubai (M3, M4). beinküste, wo die jährlichen Niederschläge höher liegen als
in Deutschland. Desertifikation wird nicht wie die Dürre allein
durch das Klima verursacht. Trockenheit ist zwar einer der
Gründe für Desertifikation und verstärkt sie, hauptsächlich
wird Desertifikation aber durch den Menschen verursacht,
indem er seine Umwelt rücksichtslos ausbeutet. Man spricht
daher von „man-made-desert“.
Durch den Begriff Desertifikation, der dem lateinischen
„desertus facere“ (= Wüstmachen, Verwüsten) entnommen
ist, soll das Handeln des Menschen als Ursache deutlich
gemacht werden.
https://www.scinexx.de/dossierartikel/mehr-als-nur-ausbreitung-der-wuesten/
[abgerufen am 12.11.2021]

M4 Stromfresser Dubai
Obwohl es auf der Arabischen Halbinsel monatelang uner­
träg­lich heiß ist, gab es bis 2008 keinerlei Isolationsvorschrif-
© Wikimedia Commons / Ting read ten für neu gebaute Häuser. Geradezu tragisch ist, dass die
M3 Luftaufnahme von Dubai Downtown in den Vereinigten klassische arabische Architektur optimal Schatten spendet,
Arabischen Emiraten am Persischen Golf. Trockenge- doch Wolkenkratzer die denkbar ungünstigste Form aufwei-
biete und Wüsten sind für Menschen lebensfeindliche sen, um die Wüstenhitze abzuwenden. So muss eine Arma-
Regionen. Eine Stadt wie Dubai, umgeben von Wüste, da von Kühlaggregaten Außentemperaturen von bis zu 50
kann nur existieren, indem täglich Milliarden Liter Meer­­- Grad herunterfrosten. Die Klimaanlagen [...] sind mit Abstand
Übungen

wasser in Entsalzungsanlagen zu Trinkwasser umge­ die größten Stromschlucker. Die Folge: Pro Kopf liegt der
wandelt werden − extrem teuer durch einen hohen tech- Stromverbrauch mit etwa 20.000 Kilowattstunden im Jahr
nischen Aufwand und immensen Verbrauch an Energie. rund dreimal so hoch wie in Deutschland!
Ohne die Ölfunde könnte sich der Wüstenstaat das nicht Simone Varga-Kunz «Am Ende des Größenwahns»,
leisten. in www.focus.de vom 28.12.2016

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 109


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Thema 2
n-
Zusamme
fassung

Geomorphologische
Prozesse
Zusammenfassung

Cono de Arita im Salzsee von Arizaro,


Provinz Salta, Argentinien

© Ben Stubbs / Wikimedia Commons

110 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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2.1 Was die Oberfläche formt


Die in langen Zeiträumen erfolgte Umgestaltung der
Erdkruste durch endogene (erdinnere) Prozesse unterliegt
dem ständigen Einfluss von außen, sogenannter exogener
Kräfte, wie Temperatur, Wind, Wasser und Eis, aber auch
der Tier- und Pflanzenwelt.
Es werden drei Arten der Verwitterung unterschieden:
die physikalische, die chemische und die biologische
Verwitterung, wobei sie oft gleichzeitig wirken und miteinan-
der in Beziehung stehen.
Verwitterung ist dabei die Zerkleinerung und Aufberei­
tung des Ausgangsgesteins. Erosion meint dagegen die
flächenhafte und/ oder linienhafte Abtragung von Ge­ S. Coté

stein, meist durch Wasser, Eis und Wind. 1 Der Verdon (Frankreich) hat eine tiefe Schlucht
gegraben, als sich das Plateau infolge des Alpen-
Die physikalische Verwitterung entsteht durch Tempe- vorstoßes erhob.
raturwechsel (Temperaturverwitterung), Frostsprengung
oder den Druck von Pflanzenwurzeln (Wurzel­sprengung).
Bei der chemischen Verwitterung laufen chemische
Umwandlungsprozesse unter der Einwirkung von Luft,
Wasser oder Säuren ab.
Das verwitterte Gestein wird dann durch exogene Kräfte
transportiert, dabei weiter zerkleinert und abgerundet.
Lässt die Geschwindigkeit des Windes, des Wassers oder
Gletschers nach, kommt es zur Sedimentation (Ablage­
rung) des Gesteins.
Alle Gesteine, die die Erdkruste aufbauen, befinden sich S. Coté

in einem Kreislauf. Aus der Tiefe des Erdmantels steigt 2 Küste bei Porto Santo auf Madeira
Magma auf, kühlt sich in der Erdkruste ab, wobei sich die
Minerale auskristallisieren. Diese magmatischen Gesteine
werden gelockert und allmählich abgetragen und durch z.B.
fließendes Wasser, Wind und Gletschereis transportiert und
als Sedimentgestein auf dem Land oder am Meeresboden
abgelagert. Diese Sedimentge­steine können in große Tie-
fen, unter hohen Temperaturen und Druck geraten. Durch
das erneute Aufschmelzen der Minerale bilden sich meta­
morphe Gesteine.

Karst als Beispiel für Verwitterung


S. coté

Korrosion ist die Ursache der Karsterscheinungen. 3 Der norwegische Gletscher Svartisen hinterlässt
nach seinem Rückzug ein U-förmiges Tal und
Dabei verwittert das Kalkgestein chemisch durch kohlen- einen Fjord.
säurehaltiges Wasser zu Kalziumhydrogenkarbonat.
Zusammenfassung

Karst-Erscheinungsformen sind unter anderem:


Karsthöhlen: In den Höhlen befinden sich durch Ausfäl-
lung von Kalk Tropfsteine. Die von der Höhlendecke herab­
wachsenden nennt man Stalaktiten und die vom Boden
heraufstrebenden Stalagmiten. Ein Stalagnat (auch Sin-
tersäule) entsteht beim Zusammenwachsen der beiden.
Dolinen sind trichterförmige Vertiefungen im Kalk-
gestein, die durch Einsturz eines unterirdischen Hohlraums S. Coté

oder durch Korrosion an der Oberfläche entstehen. 4 Sinkloch auf dem Peloponnes (Griechenland)

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 111


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2.2 Litoral: Küstenlandschaften


An Steilküsten treten verschiedene Erosions­
formen auf, so die Abrasion, der Abrieb, die Lö­
sungsverwitterung und die hydraulische Ero­
sion.
Die Flachküsten entstehen durch Ablagerun­
gen von Sand und Kies. Dies geschieht vor allem
durch Meeresströmungen und Winde. Typische
Küstenformen sind die Ausgleichsküste, die
Boddenküste sowie die Haffküste.
Küstenschutz ist sehr wichtig und geschieht z.B.
durch Buhnen, Bepflanzung und Einzäunung
von Dünen, Strandaufspülungen oder auch
­Tetrapoden.

S. Coté S. Coté

5 Eine Lagune an einem Strand auf Kreta 6 Steilküste in der Normandie (Frankreich)

2.3 Fuvial: Flusslandschaften


Ein Fluss transportiert sowohl Feinsand, Ton-
und Kalkteilchen schwebend im Wasser als
auch Geröll am Boden, wobei z.B. Kieselsteine
an der Flusssohle rollend, schiebend und sprin-
gend bewegt werden. Mit der Abnahme der Trans-
portkraft bei Niedrigwasser lagert der Fluss dieses
ab (Akkumulation) und kann dadurch am Unter­
lauf im Mündungsbereich z.B. ein Delta bilden.
Die Fließgeschwindigkeit und Wassermenge
im Flussbett sind sehr unterschiedlich, was zu
Zusammenfassung

Unterschieden beim Transport, der Ablagerung


und der Erosion an den einzelnen Laufabschnit-
ten eines Flusses führt. So kommt es oft zur Tie­
fen- und/oder Seitenerosion am Ober- und Mit­
tellauf sowie an Mäandern zur Ausbildung eines
Prall- und Gleithangs.
Hochwasserschutz geschieht z.B. durch ein
spezielles Flussmanagement wie die Renatu­
rierung von Auenwäldern und durch „Soft engi­ PPC

neering“. 7 Mäandrierender Fluss in Alaska

112 Thema 2: Geomorphologische Prozesse


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2.4 Glazial: Gebirgslandschaften


Gletschereis bildet sich an der Grenze eines Ge- Während der Eiszeiten bedeckte das Inlandeis
bietes, in dem das ganze Jahr über Schnee liegt. Nordeuropas bei seiner größten Ausdehnung
Aus den Schneekristallen kann dabei Firneis wach- eine Fläche von ca. 6,5 Mio km2. Der bis zu 3.500
sen, aus dem dann das Gletschereis entsteht. Das m mächtige Gletscher schürfte den felsigen Unter-
Abschmelzen und Verdunsten an der Oberfläche grund des Skandinavischen Gebirges um mehrere
des Gletschers nennt man Ablation. hundert Meter ab. Es entstand ein Ausräumungs­
Fließt ein Gletscher langsam talwärts und schleift gebiet. Der Schutt wurde weit nach West- und Mit-
dabei am felsigen Untergrund, bricht er Gesteins- teleuropa transportiert und hier abgelagert, in das
blöcke ab und transportiert Trümmer. Dabei verwan- Aufschüttungsbiet. Hier bildeten sich dann die
delt der Talgletscher den V-förmigen Querschnitt Landschaftsformen der glazialen Serie: Grund­
eines Tals in einen U-förmigen um: aus dem Kerb­ moräne, Endmoräne, Sander und Urstromtal.
tal wird ein Trogtal. Wo der Gletscher abtaut, bleibt
der Schutt als Seiten- oder Endmoräne liegen.
Ihren Ursprung haben Talgletscher häufig in einem
Kar, einer Mulde, die von Steilwänden im Hoch­
gebirge begrenzt ist.
Am unteren Ende der Gletscherzunge liegt das
Glet­schertor, aus dem durch das Abschmelzen des
Eises der Gletscherbach hervorströmt.
Zungenbecken sind von Endmoränen umgeben
und mit Schmelzwasser gefüllt, dem Zungenbe­
ckensee.
Inlandeis ist die größte flächenhafte Form des
Glet­schers, wie z.B. die Antarktis mit ca.13,5 Millio- S. Coté

nen km2. 8 Ein Trogtal in den französischen Alpen

2.5 Äolisch: Trockengebiete


Wüsten sind Großlandschaften mit sehr geringer, Salzwüsten entstehen in (semi)-ariden Gebieten
im Extrem auch völlig fehlender Vegetation. Sie sind durch die Verdunstung von Wasser in abflusslo­
arid, sogenannte „Trockenwüsten“, aber es gibt auch sen Becken. Dabei kommt es zur Anreicherung der
die Kältewüsten der Polarregionen. Typische Wüsten zurückbleibenden Salze.
sind: Durch die unterschiedliche Entstehung aufgrund
Die Hamada/Hammada ist eine Felswüste, die ihrer geographischen Lage unterteilt man Wüsten
von grobem Felsschutt geprägt wird. Die Felsbro­cken in Wendekreiswüsten, Kontinental-/Binnenwüs­
sind die Reste einer verwitterten Gesteinsdecke. ten oder Küs­ten­wüsten.
Serir, auch Kieswüste, wird geprägt von gerun- Das Problem der Desertifikation auf fast allen Konti-
detem Ge­ steinsmaterial, das in einer ursprünglich nenten beschreibt die Ausbreitung wüstenähn­
feuchteren Periode der Erdgeschichte von oberfläch­ licher Verhältnisse aufgrund mensch­ licher
Zusammenfassung

lich abfließendem Wasser und Wind transportiert Übernutzung von Gebieten, in denen sie aufgrund
wurde. klimatischer Bedingungen eigentlich nicht auftreten
Erg, die Sandwüste, entstand, als der Wind das sollten.
feine Verwitterungsmaterial zusammengetragen 9
und zu Dünen aufgetürmt hat. Das „Springen“ der
Sandkörner dabei nennt man Saltation. Durch
bodennahen Windschliff können so auch Pilzfelsen
entstehen.
In Trockengebieten gibt es Wadi, das sind Täler, die­
sich nur bei Starkregen episodisch mit Wasser füllen. Wikimedia Commons

Thema 2: Geomorphologische Prozesse 113


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III Thema III


Verstädterung
der Welt

PPC, L. Pin
Übungen

Hongkong © Henrik Holkenbrink / Unsplash

114 Thema 3: Verstädterung der Welt


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Was du bei diesem Thema lernen wirst:

Der Prozess der Verstädterung (Kapitel 1)


Das 21. Jahrhundert wird auch als das Jahr­ M1
hun­dert der Städte bezeichnet. Über die Hälfte
der Weltbevölkerung lebt bereits jetzt in urba­
nen Räume, das sind rund vier Milliarden Men­
schen.
Bis 2050 werden die Stadtbewohner auf rund
6,5 Milliarden angewachsen sein − etwa zwei
Drittel der Mensch­heit wird dann in Städten
zu Hause sein. Dies betrifft vor allem Schwel­
len- und Entwicklungsländer in Asien und
Afrika, wo voraussichtlich fast drei Viertel der
globalen Stadtbevölkerung leben wird. © PPC, A. Gouin

Städtische Funktionen und Formen (Kapitel 2)


M2 Städte sind für über die Hälfte der Welt­
bevölkerung Wohn- und Arbeits­stätte,
und damit auch der haupt­säch­liche Le­
bens­mittelpunkt. Doch was genau macht
eine Stadt zu einer Stadt? Welche Kenn­
zeichen und Funktionen besitzt sie?
Anhand von Fallbeispielen werden die
his­to­rische Entwicklung, der Aufbau so­
wie Probleme ausge­wählter Städte welt­
weit vorgestellt.

Herausforderungen und Chancen der Urbanisierung (Kapitel 3)


Das unkontrollierte Wachstum vieler Mega­städte M3
heutzutage führt zu unzäh­ligen Problemen: eine
schnell wachsende Bevölkerung in Entwicklungs­
ländern, schrumpfende Bevölkerung in manchen
Industrie­ländern, bewachte Luxusimmobilien um-
ringt von Elendsvierteln − und das bei gleichzeitiger
Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen
durch Ressourcenübernutzung, Klima­wandel und
Umweltverschmutzung.
Doch dies beinhaltet auch Chancen, Städte im­-
Übungen

21. Jahr­hundert mit modernster Technik neu im


Sinne der Nach­haltigkeit zu erfinden.

Thema 3: Verstädterung der Welt 115


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3.1 Der Prozess der Verstädterung


1 Lage und Entwicklung der Städte weltweit
M1 Die Entwicklung der Städte mit mehr als 10 Millio- M2 Definition Verstädterung
nen Einwohner von 1950 bis 2020
Verstädterung ist ein Begriff für das Wachstum der Städte und
ihrer Bevölkerungen, wobei hier sowohl die flächenmäßige
1950 PAZIFISCHER
OZEAN Ausdehnung einer Stadt als auch die Zunahme der Bevöl­ -
ker­ung gemeint sein kann.
Arktischer
Ozean

New York

M3 Definition Urbanisierung
ATLANTISCHER
OZEAN Grundsätzlich versteht man unter Urbanisierung eine Ausbrei-
INDISCHER
tung städtischer Kultur- und Lebensformen. Dies kann zum
OZEAN
einen das Verhalten und die Lebensweise der Bewohner be­­-

reffen, wie z.B. eine Zunahme der Single-Wohnungen auf-
grund gesellschaftlicher Veränderungen. Zum anderen auch
0 2500 km
die städtischen Erscheinungsformen, wie z.B. die Entstehung
von Einkaufszentren oder Industriegebieten.
PAZIFISCHER
1975 OZEAN Mexiko-City Tokio

Arktischer
Ozean

Saō Paolo New York Shanghai Aufgaben


1. Beschreibe die in M1 gezeigte Entwicklung der
Städte mit über 10 Millionen Einwohnern.
ATLANTISCHER
OZEAN
2. Erkläre mit Hilfe von M2 und M3 den Unterschied
zwischen Verstädterung und Urbanisierung.
INDISCHER
OZEAN
3. Erkundige dich im Internet nach dem Verstädte­­
-
r­ungsgrad deines Landes (M4).
0 2500 km
4. Beschreibe die in den Grafiken M6 und M7 erkenn-
baren Veränderungen. Beachte dabei die Legende.
5. Vergleiche die in M8 gezeigte Entwicklung der Ver-
2000 PAZIFISCHER Los Angeles

OZEAN Mexico Tokyo


Osaka ­städterung der Kontinente weltweit.
Seoul
Arktischer Shanghai Manila
Buenos Aires Ozean
Beijing
Saõ Paolo New York Jakarta

Rio de Janeiro

London
Paris
Dhaka
Kalkutta M4 Definition Verstädterungsrate / -grad
Karachi
Bombay

ATLANTISCHER
Die Verstädterungsrate oder der Verstädterungsgrad geben
OZEAN
Kairo
den Anteil der städtischen Bevölkerung gemessen an der Ge­
Lagos INDISCHER samtbevölkerung eines Landes wieder.
OZEAN

0 2500 km

2020 PAZIFISCHER
OZEAN Mexico
Los Angeles
Tokyo
Osaka
Lima
Seoul
Arktischer Shanghai
Manila
Buenos Aires Ozean Beijing
Kanton
Tianjin
São Paolo New York Shenzhen Jakarta
Rio de Janeiro

Moskau Bangkok

Dhaka
London Delhi Kalkutta
Rhein-Ruhr
Paris Karachi
Istanbul Teheran Bombay

ATLANTISCHER Bagdad
OZEAN
Übungen

Le Caire

Lagos INDISCHER
OZEAN
Kinshasa

0 2500 km
Johannesburg M5 Seit 2007 lebt über die Hälfte der Menschen weltweit in
Source : populationdata.net 2018. Réalisation: S. Coté
Städten

116 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M6 Verstädterung weltweit 2010


St Petersburg

London Moskau

Chicago Paris Beijing


Istanbul Seoul
New York Tokyo
Los Angeles Teheran
Delhi Shanghai
Kairo
Karachi
Nördlicher
Bagdad Dhaka
Wendekreis Mexico
Hong Kong
KalKutta
Bangkok Manila
Bombay
Lagos
Bogota
Singapur
Äquator
Kinshasa
Jakarta

Lima

Rio de Janeiro
Südlicher
Wendekreis
Sao Paulo
Santiago
Buenos Aires

Verstädterungsrate Verdichtungsräume Städtische Entwicklung

über 65% über 10 Millionen Einwohner schnelles Wachstum


von 5 bis 10 Millionen Einwohner mittleres Wachstum
von 35% bis 65%
0 2 000 km Städtisches Schrumpfen langsames Wachstum Source : Banque Mondiale,
unter 35% populationsdumonde.com
Städtisches Wachstum Réalisation : S. Coté
über 5 %

M7 Verstädterung weltweit 2020


St Petersburg

Londom Moskau

Paris Rhein-Ruhr Beijing


Chicago Seoul
Istanbul
New York Tokyo
Los Angeles Teheran
Delhi Shanghai

Bagdad Dhaka
Nördlicher Kairo
Mexico
Wendekreis Karachi Hong Kong
Kalkutta
Bangkok Manila
Bombay
Lagos
Bogota
Singapur
Äquator
Kinshasa
Jakarta

Lima

Rio de Janeiro
Südlicher
Wendekreis Sao Paulo
Santiago
Buenos Aires

Verstädterungsgrad Verdichtungsräume Städtische Entwicklung


über 65% über 10 Millionen Einwohner schnelles Wachstum

von 35% bis 65% von 5 bis 10 Millionen Einwohner mittleres Wachstum Source : Banque Mondiale,
populationsdumonde.com
0 2 000 km Städtisches Schrumpfen langsames Wachstum Réalisation : S. Coté
unter 35%
Städtisches Wachstum
über 5 %

M8 Land- und Stadtbevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nach Regionen, 1950 − 2050
100 100 100 100 100 100
Afrika Asien Europa Lateinamerika Nordamerika Ozeanien
und Karibik
75 75 75 75 75 75
2021 2021
2021 2021 2021 2021
50 50 50 50 82 % 50 72 %
43 % 50 52 % 75 % 79 %
Übungen

25 25 25 25 25 25

0 0 0 0 0 0
1950 2000 2050 1950 2000 2050 1950 2000 2050 1950 2000 2050 1950 2000 2050 1950 2000 2050
Source : Population Division World Urbanization Prospects 2018, ergänzt durch Statista 2021

Thema 3: Verstädterung der Welt 117


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2 Ursachen der Verstädterung


In allen Städten der Welt geht der Trend zum Wachs­ länder aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
tum ungebremst weiter. Unterschiede gibt es nur in als dort die Städte rasch anwuchsen, sehr hoch.
der Geschwindigkeit und den Ursachen. ­Damals betrug die jährliche Zuwachsrate neun euro­
Bei einer zunehmenden globalen Verstädterung bis päischer Länder im Durchschnitt 2,1 Prozent. Und
zum Jahr 2030 sollen nach UN-Schätzungen etwa selbst Einwanderungsländer wie die USA oder Kanada
60 Prozent aller Menschen in Städten leben. Das erreichten zur Zeit ihres schnellsten Wachstums im
schnells­te Wachstum mit einer Zuwachsrate von 4,2 Mittel nur 4,2 Prozent. Dieser Vergleich zeigt, dass
Prozent finden sich in den Entwicklungsländern, sich der Wachstumsschwerpunkt der städtischen
hauptsächlich in Afrika und Asien. Dieser Zuwachs ­Bevölkerung heute in die Ent­wicklungsländer verla­
ist selbst im Vergleich mit den Werten der Industrie­ gert.

© Noelsch / Pixabay © Nupo Deyon Daniel / Wikimedia

M1 Die Skyline von New York, der ersten Millionenstadt welt­ M2 Lagos, ehemalige Hauptstadt Nigerias und im Delta des
weit. Und die Stadt wächst noch immer, wenngleich bei Nigers gelegen, ist heutzutage eine der am schnells­ten
weitem nicht mehr mit derselben Geschwindigkeit von wachsenden Städte weltweit. Täglich strömen Men-
früher. Nach Schätzungen der UNO wachsen die Städte in schen aus dem Umland in die Stadt, in der Hoffnung
den Industrieländern nur noch langsam (0,8 % Zuwachs- auf Arbeit und eine bessere Zukunft für sich und ihre
rate). Hauptursache der Verstädterung ist hier der Zuzug Familien (Landflucht). Genaue Einwohnerzahlen gibt
aus anderen städtischen Regionen, zumeist aus beruf­ es nicht, die Schätzungen reichen von von 11 Mio. (UN,
lichen Gründen. Economist Intelligence Unit/EIU) bis 21 Mio. (National
Population Commission of Nigeria), bei anhaltend ho-
hem, zeitweise zwei­stelligem Wachstum. Nach offiziel-
len Angaben (Lagos State Government) ziehen täglich
2.500 Menschen neu nach Lagos, bei einer jährlichen
ge­schätzten Wachstumsrate von 5 bis 6 Prozent.
https://www.subsahara-afrika-ihk.de/blog/2017/05/08/megacitys-in-afri-
ka-lagos-auf-dem-weg-in-die-moderne/ [abgerufen am 20.12.2021]

M3 Arbeitersiedlung Eisenheim in Oberhausen, Deutschland.


So wie im Ruhrgebiet mit dem Kohlebergbau und der
sich später ansiedelnden Stahlindustrie wuchsen überall
rund um die neu entstandenen Industriebetriebe ganze
Arbeitersiedlungen. In den Industrieländern erfolgte das © Pat_Photographies / Pixabay

Städtwachstum daher hauptsächlich im 19. Jahrhundert M4 In den Entwicklungsländern setzte die Verstädterung
und als Folge der Industrialisierung. erst im 20. Jahrundert ein: beginnend in den 1920er
Jahren in Lateinamerika und seit dem Zweiten Weltkrieg
auch in Afrika und Asien − allerdings ohne eine ver-
gleichbare wirtschaftliche und gesellschaftliche parallele
Aufgabe
Übungen

Entwicklung. Neben der starken Zuwanderung aufgrund


Vergleiche die Gründe für die Zunahme der städtischen der Land-Stadt-Migration (40 bis 50% des jährlichen
Wachs­tums) liegt die Ursache an der raschen Zunahme
Bevölkerung in den Industrie- und Entwicklungslän-
der Stadtbevölkerung an einer hohen, wenn auch sich
dern. Notiere weitere Unterschiede. abschwächenden Geburtenrate.

118 Thema 3: Verstädterung der Welt


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3 Übersicht verschiedener Siedlungstypen

© Pierre Blaché / Pixabay © J. Patrick Fischer / Wikimedia Commons

M1 Luftaufnahme der Agglomeration Tokyo, der Hauptstadt M2 Die Megastadt Shanghai. Ab mehr als 10 Millionen
Japans. Als Agglomeration, Agglomerationsraum, Einwohner bezeichnet man eine Stadt als Megastadt
Verdichtungsraum oder Ballungsgebiet bezeichnet oder Megacity. Weltweit gibt es über 30 davon, die
man eine Ansammlung von Städten, die aneinander- meisten davon liegen in Asien.
grenzen bzw. ineinander übergehen und zusammen ein
verstädtertes Gebiet bilden. Die Agglomeration Tokyo
setzte sich aus den Städten Chiba, Kawasaki, Maebashi,
Sagamihara, Saitama, Utsunomiya und Yokohama zu-
sammen. Laut www.citypopulation.de war sie 2021 die
zweitgrößte Agglomeration mit 40,5 Millionen Einwohner,
und wird nur noch von Guângzhōu (Kanton) in China mit
47,6 Millionen Einwohner übertroffen.
Größte Agglomeration in Deutschland ist das Ruhrgebiet
mit 5,6 Millionen Einwohnern.
https://www.citypopulation.de/en/world/agglomerations/
[abgerufen am 20.12.2021]

© Paul Henri / Pixabay

M4 Wie in Paris, so findet man auch in anderen Global Ci-


ties eine sehr hohe Konzentration an Hauptfirmen­sitzen
international tätiger Unternehmen und Organisationen.

Aufgabe
Übertrage die Definitionen der Begriffe aus M1 bis
M5 in dein Heft.

© Michael Adams / Wikimedia Commons

M3 Los Angeles in Kalifornien, USA, ist als Metropole histori- Réalisation : S. Coté

scher, kultureller, politischer, sozialer oder/und wirtschaft- Portland


licher Mittelpunkt einer Region (Metropolregion).

Boston

M5 Als Megalopolis (griech. für große Stadt) oder auch Megaregion be­- New York
zeich­
net man eine große Stadtlandschaft, in der mehrere Millio-
nenstädte weitgehend zusammengewachsen sind. So erstreckt sich Philadelphia
z.B. das nach der nörd­lichsten (Boston) und südlichsten (Washington Baltimore
D.C.) Großstadt des breiten Städtebandes Boswash genannte Gebiet
Washington D.C.
über New York City, Philadelphia und Baltimore. Dort leben mit etwa
40 Millionen Menschen etwa 13% der US-Bevölkerung auf nur 3%
Übungen

der Staatsfläche. Das Gebiet ist durch eine Häufung von Großstädten,
darunter mehrere Millionenstädte, Industrie-, Gewerbe­standorten und
Norfolk
Verkehrsanlagen sowie durch intensive gesellschaftlich-wirtschaftliche
Verflechtungen gekennzeichnet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Megalopolis_(Stadtlandschaft) [abgerufen am 20.12.2021]
300 km

Thema 3: Verstädterung der Welt 119


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3.2 Städtische Funktionen und Formen


1 Funktionen einer Stadt

M1 Was ist eine Stadt? Millionen-


über 1.000.000 EW stadt
Unter einer Stadt versteht man eine größere, zentralisierte
und abgegrenzte Siedlung. Sie weist eine eigene Verwal- 100.000 - 1.000.000 EW Großstadt
tungs- und Versorgungsstruktur auf und liegt im Schnitt­punkt
größerer Verkehrswege. Damit eine Siedlung als Stadt gilt, 20.000 - 100.000 EW Mittelstadt
gibt es je nach Staat eine unterschiedliche Grenze für die
Einwohnerzahl (vgl. M2). 5.000 - 20.000 EW Kleinstadt
Eine Stadt erbringt verschiedene Leistungen im Bereich der
Ver­waltung (Administration, ...), der Infrastruktur (Wasser­
2.000 - 5.000 EW Landstadt
ver­sorgung, Straßenbau, Abfallentsorgung, ...) sowie den
Schutz ihrer Bürger (Polizei, Feuerwehr) und deren medi- unter 2.000 EW I
Dorf
zinische Versorgung (Krankenhäuser, ...). Im Wesentlichen
erfüllt sie die Grunddaseinsfunktionen ihrer Bewohner (vgl. M2 Hierarchie der Städte nach Einwohnerzahlen in
M3). Deutsch­­land (EW = Einwohner)

Aufgaben M3 Die Funktionen einer Stadt


1. Recherchiere im Internet zu drei verschiedenen Jede Stadt stellt ihren Bewohnern bestimmte Dinge zur
Län­dern auf unterschiedlichen Kontinenten, ab Verfügung, man sagt sie besitzt Grunddaseinsfunktionen
welcher Einwohnerzahl sich eine Siedlung eine oder Daseinsgrundfunktionen. Man versteht darunter
grundlegende menschliche Bedürfnisse an den Lebens-
Stadt nennen darf.
raum der Menschen. Diese sind:
2. Schreibe einen Text zum Thema: "Meine Stadt • wohnen
XX", und führe darin aus, was dir an deiner Stadt
• arbeiten
gefällt und was du dir anders wünschen würdest.
• sich versorgen (Nahrung, Kleidung, ...)
3. Vergleiche deine in Aufgabe 2 beschriebenen Be- • sich bilden
dürfnisse mit M3. Was stellst du fest?
• sich erholen
4. Notiere anhand lokaler Beispielen, wo deine • in Gemeinschaft leben (Vereine, ...)
Stadt die Funktionen erfüllt (M3). • entsorgen (Abwasser, Abfall)
• am Verkehr teilnehmen (öffentliches Verkehrs­
netz,
überregionale Anbindung, ...)
• (an Kommunikation teilnehmen)

M4 Funktionale Stadtgliederung Die Stadt ist demnach das Zentrum für eine Vielzahl von
Funktionen, je nach ihrer wirtschaftlichen und sozialen Ent­
Die Einteilung einer Stadt in unterschiedliche Stadtviertel wicklung und in Bezug zu ihren Hauptaktivitäten. Je größer
geht historisch auf die Römer zurück. Damals befanden sich und bedeutender eine Stadt, desto mehr Funktionen erfüllt
in den Städten zwei große, sich kreuzende Hauptstraßen, sie. Dominiert eine bestimmte Funktion, so wird dies auf die
die die Stadt in vier Viertel unterteilten. gesamte Stadt übertragen und es entsteht beispielsweise
Heute ist mit dem Begriff Stadtviertel nicht mehr das (mathe- eine Universitätsstadt (z.B. Heidelberg), eine Hauptstadt
matische) Viertel einer Stadt gemeint, sondern ein Stadtteil, (z.B. Berlin), eine Hafenstadt (z.B. Hamburg), etc (vgl. M5).
der eine spezielle Funktion übernimmt, z.B. ein Wohnviertel
oder ein Industrieviertel. Dies prägt auch das Aussehen und
den Aufbau der Städte.
Bei der funktionalen Stadtgliederung wird die Stadt in unter-
schiedliche Zonen unterteilt und nach ihrer vorherrschen-
den N­ ut­zung oder Funktion benannt. Städte sind ja nicht
nur Wohnorte von Menschen, sondern in ihnen werden
auch Waren produziert und Dienstleistungen erbracht, sie
sind Administrations­zentrum und in manchen Fällen Regie-
rungssitz. Dem­ entsprechend ist die Infrastruktur wie das
Straßennetz, A ­ utobahnen als auch die Anbindung an den
Übungen

nationalen und internationalen Flug- und Schienenverkehr


ausgerichtet. © Colin and Kim Hansen / Wikimedia Commons

M5 London ist nicht nur die Hauptstadt Großbritanniens,


sondern auch mit seiner international bedeutenden
Börse ein globales Finanzzentrum.

120 Thema 3: Verstädterung der Welt


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2 Funktionswandel von Städten


M1 Idealtypischer Ablauf der Stadtent­wicklung M2 Urbanisierung
in den Industrieländern
Mit Beginn des Industriezeitalters kam es zu einem raschen Bevölke-
Bevölkerungsveränderung
Abnahme
rungswachstum in den Städten, da die Industrie massenhaft Arbeitsplätze
Zunahme
su schaffte. Die dafür benötigten Arbeits­kräfte kamen aus dem ländlichen

Ker
Um bu
lan rban Raum, wo eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte. Der fehlende Ausbau

nstadt
d er
Urbanisierung Ra
um eines öffentlichen Transportsystems und das geringe Einkommen zwang
,
Konzentration die Arbeiter, in der Nähe ihrer Arbeitsstätte zu wohnen. Dadurch wuchsen
die Städte rasant, waren aber noch deutlich von ihrem Umland getrennt.
vorwiegend
Suburbanisierung intraregionale
Dekonzentration M3 Suburbanisierung (Stadtflucht)
Die Suburbanisierungsphase startete in den Industrieländern ab der zwei-
eher ten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als wohlhabende Haushalte sich ver-
Desurbanisierung interregionale mehrt entschlossen, von der Innenstadt an den Stadtrand zu ziehen. Die
Dekonzentration
Zunahme der Mobilität ab den 1950er Jahren, verbunden mit einem ge­
stiegenen Lebensstandard der Bevölkerung, bewirkte die Abwanderung
der Unter- und Mittelschicht in die Vororte. Der Ausbau der Verkehrsinfra­
eher struktur ermöglichte weiten Teilen der Bevölkerung ein Eigenheim in der
Reurbanisierung Konzentration
Peripherie, um von dort aus täglich zur Arbeit in die Stadt zu pendeln.
Der Bevölkerung folgten alsbald Industrie und Dienstleistungen in das
Verdichungsraum Umland. Für neue Betriebe waren nur dort Flächen frei, zudem lockten
Kernstadt Bevölkerungszunahme
die günstigeren Kauf- und Mietpreise von Grundstücken und Immobilien.
Stagnation der Einwohnerzahl
suburbaner Raum,
Bevölkerungsabnahme
Umland Realisierung: S. Coté

M4 Desurbanisierung
Der Zuzug in die ländliche Peripherie weitet
sich immer mehr aus, ehemals ländlicher Raum
wird zunehmend besiedelt und damit funktional
umgewandelt. Die Abwanderung bzw. Neu-
­schaffung der Versorgungsinfrastruktur im Um­ © Christoph Gielen

land, wie Geschäfte des täglichen Bedarfs, Ärzte M5 Folge der Suburbanisierung war nicht nur ein hohes Pendler­aufkom-
etc. beschleunigt die Entleerung der Kern­stadt. men, sondern auch eine Zersiedelung des Umlandes (Urban Sprawl).
Es kommt zur absoluten Bevölkerungs- und
Beschäftigungsabnahme im gesamten Agglome-
rationsraum, vor allem in solchen, die von alten M6 Reurbanisierung
Industriezweigen wie der Montanindustrie (Koh-
Private und öffentliche Investitionen zur Renovierung und Sanierung des
lebergbau, Stahlproduktion) beherrscht waren
alten Hausbestandes in der Kernstadt führte zu einem Wiederanstieg der
(z.B. Detroit S. 128f).
dortigen Bevölkerung. Allerdings ist diese Aufwertung der Immobilien auch
In Deutschland kam es nicht zur Desurbanisie- mit einem Preisanstieg verbunden, sodass die bis dahin wohnende ein-
rung. Desurbanisierung (bzw. engl. Counter­ kommensschwache Bevölkerungsschicht verdrängt wird. Man bezeichnet
urbanization) war aber in den USA zwischen diesen Prozess als Gentrifizierung (vgl. Chicago S. 125f)
1940 und den 1990er Jahren sehr häufig zu
beobachten. Dazu kam es auch im Zuge des
„white flight“, der Flucht der weißen Bevölke-
rung aus den Innenstädten im Zuge der „Great
Migration“. Während der Great Migration zogen
vermehrt Afroamerikaner aus den Südstaaten,
sowie Lateinamerikaner in die Städte im Nor-
den der USA. In der Folge verließen zahlreiche
weiße Bewohner die Städte und zogen in
ländliche Bereiche.

Aufgaben
1. Grenze die Begriffe in M2 − M6 voneinander ab.
Übungen

2. Sind dein Wohnort und deine Schule in der Stadt


oder im städtischen Umland zu finden? Wie nutzt
du persönlich die Stadt bzw. das Umland (M7)? M7 Jede Stadt ist mit ihrem Umland in vielerlei Hinsicht eng
miteinander verbunden (Stad-Land-Verflechtung).

Thema 3: Verstädterung der Welt 121


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3 Städtische Formen
M1 Querschnitt durch eine europäische Stadt Fluss Bahnhof

Ring- Ring-
autobahn autobahn

Wohnviertel der Industrie- Arbeiterviertel Kernstadt / Altstadt Bürgerviertel der Geschäfts- und Wohnviertel Einkaufs-
Unterschicht gebiet (19. - 20. Jhd.) (historisches Zentrum) Oberschicht (19. Jhd.) Finanzviertel (CBD) viertel
Réalisation : S. Coté

M2 Definitionen
Altstadt: dies ist der älteste Teil einer Stadt (in Deutschland die Innenstadt liegenden äußeren Stadtteile (liegen in historisch
meist im Mittelalter entstanden) mit einer typisch dichten Be- gewachsenen Städten außerhalb der Stadtmauer).
bauung und engen Straßen, mit Marktplatz, Kirche sowie Rat­ Innenstadt: funktionaler und baulicher Kernbereich einer grö­
haus an einem zentralen Platz. Das moderne Geschäftszen- ße­ren Stadt, der die Altstadt, die City und Stadterweiterungsge-
trum (City) entwickelte sich meist in der Altstadt oder an deren biete des 19. Jahrhunderts („Neustadt“) umfasst.
Rand.
Vororte: ehemals selbstständige Gemeinde, die als Stadtteil in
Außenstadt: gelegentlich gebrauchte Bezeichnung für die um eine größere Stadt eingemeindet wurde.

M3 Querschnitt durch eine nordamerikanische Stadt Fluss


See
Hafen
Ring- Bahnhof Ring-
autobahn autobahn

Wissenschafts- Edge City Industrie- Saniertes Wirtschafts- und ehemalige Wohnviertel der Wohnviertel der Einkaufs-
park gebiet Arbeiterviertel Finanzviertel (CBD) Industriezone Unterschicht Mittelschicht viertel
Réalisation : S. Coté (Industriebrache)

M4 Definitionen
CBD (Central Business District): ist in nordamerikanischen zum Beispiel über ein großes Angebot an Arbeits­plätzen, Ein-
Städten die Bezeichnung für die City. Es ist das zentrale Han- kaufs-, Freizeit- und Wohneinrichtungen, verfügt.
dels- und Geschäftszentrum der Stadt, in dem sich Geschäfts­ Segregation: Prozess der räumlichen Trennung und Abgren-
räume und Büros befinden (zumeist Wolkenkratzer). In größe- zung von gesellschaftlichen Gruppen in eigenen Stadtteilen hin­-
ren Städten ist es oft gleichbedeutend mit dem "Finanzviertel" sichtlich ihrer Ethnie, Sprache, Religion, sozialen Schicht, etc.).
der Stadt und fällt oft mit dem "Stadtzentrum" oder "Downtown"
Wissenschaftspark: ist ein Gewerbepark mit einer Ansamm­
zusammen.
lung von Forschungsinstituten, oft in Verbindung mit Hochschu-
Edge City: ist ein großes multifunktionales Außenstadtzentrum, len (Technologietransfer).
das über sämtliche Merkmale einer eigenständigen Stadt, wie

M5 Querschnitt durch eine Stadt in einem Entwicklungsland

Informelle Siedlungen Stadtzentrum Informelle Siedlungen


Industrie- aus der Wirtschafts- Reichen-
gebiet Kolonialzeit zentrum (CBD) viertel
Réalisation : S. Coté

M6 Definition
Informelle Siedlungen: sind randstädtische Elendssiedlun- zumeist illegal erbaut wurden und keinerlei Anschluss an die
gen, daher auch als Marginalsiedlung bzw. in Lateinamerika als städtische Infra­struktur (wie z.B. Wasser, Elektrizität, Müllent-
Favela bezeichnet (ein Slum wiederum ist ein innerstädtisches sorgung) haben. Die Bevölkerungsdichte ist hoch, die meisten
Elendsviertel). Es handelt sich um einfache Hüttensiedlungen der Bewohner haben kein oder nur ein sehr unregelmäßiges
mit mangelhafter Bausubstanz (Holz, Karton, Wellblech), die und niedriges Einkommen.
Übungen

Aufgaben
1. Vergleiche die drei Modelle (M1, M3, M5). 2. Vergleiche M1 mit deiner Stadt.

122 Thema 3: Verstädterung der Welt


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4 Stadtstrukturmodelle der Chicagoer Schule der Soziologie


Die Chicagoer Schule umfasst hauptsächlich Soziologen Stadtmodelle sind vereinfachte Darstellungen der Stadt­
und Stadtplaner sowie einige Geografen und beschäftigt gliederung hinsichtlich ihrer räumlichen, sozialen, wirt­
sich unter der Leitung von Ezra Park mit dem Chicago schaftlichen sowie kulturellen Aufteilung. Diese Stadt­
der 1920er Jahre. Sie zeigt auf, wie Viertel entstehen, in modelle gelten in erster Linie für die rasch wachsenden
denen eine Gemeinschaft aufgrund kultureller Solidarität, Städte Nordamerikas, und können aufgrund der histo­
des Lebensstandards, der beruflichen Tätigkeiten usw. rischen Entwicklung kaum auf Europa übertragen werden.
zusammengefasst wird. In keinem Fall spiegeln sie die Entwicklung der Städte in­
Basierend auf empirischen Studien entwicklete die Chica­ den Entwicklungsländern wider − so wohnen z.B. in latein­
goer Schule der Soziologie drei klassische Modelle, die ameri­kanischen Städten die ärmeren Gesellschaftsschich­
als Stadtmodelle, Stadtstrukturmodelle oder Modelle ten am Rande der Stadt, während sie in Nordamerika eher
der Stadtentwicklung bezeichnet werden. im Zentrum zu finden sind.

M1 Kreismodell nach Burgess, 1925/29


Kreismodell
Burgress, 1925 Das Kreis-/Zonen-/Ringmodell basiert auf der Stadt Chicago und bil-
entwickelt am Beispiel Chicagos det idealtypischerweise die US-amerikanische Großstadt in der Zeit
zwischen den beiden Weltkriegen ab. Auslöser des Wachstums von
Central Business District Chicago waren mehrere Einwanderungswellen seit 1890.
Michigansee
Industrie Beim Kreismodell entstehen unterschiedlich funktionale Stadtteile in
Wohngebiete der konzentrischen Ringen um ein Stadtzentrum. Einwanderer ziehen
Unterschicht, zunächst in Viertel mit einer schlechten und daher preiswerten Bau-
Schwerindustrie, substanz in der Nähe des Zentrums. Mit zunehmendem Wohlstand
Industrievororte
wechseln sie in andere konzentrische Ringe mit einem höheren
Wohngebiete von Mittel-
und Oberschicht, Lebensstandard.
Subzentren, Wohnvororte

M2 Sektorenmodell nach Hoyt, 1939


Das Sektorenmodell von Hoyt von 1939 basiert auf empirischen
Sektorenmodell Untersuchungen zur Höhe der Mietpreise in 30 US-amerikanischen
Hoyt, 1939
Städten.
Ein Kritikpunkt am Kreismodell war, dass die konzentri­sche Ring­
Central Business District bildung in der Realität kaum vorkam, da sich die Städte in der Regel
Industrie von großen Verkehrsachsen ausgehend entwickelten. Dies brachte
Wohngebiete der Hoyt, einen Schüler von Burgess, zu seinem Sektorenmodell. Nicht
Unterschicht, die Luftliniendistanz zum Zentrum ist entscheidend für das Städte-
Schwerindustrie, wachstum, sondern die schnelle Erreichbarkeit. Die ist entlang von
Industrie Vororte Ausfallstraßen oder Eisenbahnlinien am besten gewährleistet. Die
Wohngebiete von Mittel- entsprechende Ansiedelung erfolgt daher entlang radialer Verkehrs­
und Oberschicht,
linien in Form von keilförmigen Sektoren, gegliedert nach Einkom-
Subzentren, Wohnvororte
mensniveau der Haushalte. Von einem soziologischen Modell (Bur-
gess) geht man dann zu einem deutlicher räumlichen Modell über
(Hoyt).

Mehrkernemodell M3 Mehrkernemodell nach Harris und Ullman, 1945


Harris & Ullman, 1945
Im Gegensatz zu den beiden anderen Modellen geht das Mehr-
Kerne-Modell davon aus, dass es − ab einer gewissen Größe der
Central Business District
Stadt − bei ihrem Wachstum zwangsläufig zur Ausbildung mehrerer
Industrie Geschäftszentren kommt. Um diese „Kerne“ herum konzentrieren
Wohngebiete der sich Bereiche mit speziellen Funktionen (z.B. Verwaltungs- oder
Unterschicht,
Schwerindustrie, Industrieviertel). Um die City herum sind dabei die Unter- und Mittel-
Industrievororte schichtwohngebiete, in der Nachbarschaft Industriegebiete, am
Wohngebiete von Mittel- Stadt­rand und im suburbanen Raum locker bebaute Oberschicht­
und Oberschicht, gebiete.
Subzentren, Wohnvororte
Harris und Ullman (1945) stellten die Nutzung der einzelnen Teilbe-
Quelle: Wikimedia, Von C. Breßler. Realisierung: S. Coté
reiche der Stadt in den Vordergrund.
Allgemein entspricht das Mehrkernemodell am ehesten der Realität.

Aufgaben
Übungen

1. Erstelle zu jedem der drei Modelle eine beschrifte­te 2. Diskutiert, welches der Stadtmodelle auf eure Stadt
Skizze so­wie einen erklärenden Text. angewandt werden könnte.
Die Inhalte entstammen zumeist von der Seite https://geohilfe.de/humangeographie/stadtgeographie/stadtmodelle/stadtstrukturmodelle-der-chicago-school-ringmodell-mehrkernemodell-sektorenmodell/ [abgerufen am 27.12.2021]

Thema 3: Verstädterung der Welt 123


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5 Fallbeispiel Chicago − eine nordamerikanische Stadt


M1 Merkmale nordamerikanischer Städte
In Nordamerika begann die Verstädterung im 16. und 17. Jahr­ Die charakteristische Struktur der nordamerikanischen Städte
hundert durch die europäischen Kolonialmächte − zu­erst an der bildete sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, im Wesent-
Ostküste, dann mit fortschreitender Besiedelung auch im Westen. lichen unterteilt in Downtown, Übergangsbereich und Umland.
Aufgrund des fehlenden geschichtlichen Hintergrunds gibt Aufgrund der ständig wachsenden Bodenpreise und des Platz-
es keine typischen historischen Merkmale, wie sie für eine mangels in der Innenstadt wurde nach Aufkommen der Hoch-
europäische Stadt kennzeichnend sind, wie beispielsweise bauweise Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Bau erster Wol-
Stadtmauern, Burganlagen oder Marktplätze. Ein historischer kenkratzer begonnen. Die Erfindung elektrischer Aufzüge spielte
Stadtkern, auf den sich die Stadt herum ausrichtet, existiert dabei für das Höhenwachstum eine entscheidende Rolle. 1916
daher selten. wurden neue Bauvorschriften zur besseren Belichtung und
Durchlüftung der Straßen erlassen, daher verjüngen sich die
Darüber hinaus wurden die nordamerikanischen Städte in
Hochhäuser nach oben hin und bilden bis heute die typische
einer relativ kurzen Zeitspanne errichtet, was das Fehlen von
Skyline.
architektonischer und städteplanerischer Vielfalt erklärt. Daher
ist das typische Stadtbild in fast allen Klein- und Groß­städten Heutzutage sind nordamerikanische Städte von einem beson-
das gleichförmige Schachbrettmuster der Straßen. ders starken Suburbanisierungsprozess (vgl. M2) sowie einer
zunehmenden Segregation der Stadtviertel geprägt (vgl. M3).

M2 Suburbanisierung ist die "Stadtflucht" der wohlhabende- © Bill Healy

ren Bevölkerungsschichten und städtischer Funktionen. M3 Ein innerstädtisches Ghetto in einem südlichen Stadtteil
Diese lassen sich in den Randbezirken nieder, was zu von Chica­go. Ghettoisierung geht oft einher mit Segre-
einer unkontrollierten Ausbreitung des Stadtgebietes in gation. Darunter versteht man die räumliche Trennung
das nähere Umland und damit zur Zersiedelung der Land- der Wohngebiete in unterschiedliche gesellschaftliche
schaft führt (Urban Sprawl). Damit einher gehen auch Gruppen nach Einkommen, Ethnizität, Religion.
teilweise umzäunte, rundum ge­sicherte Stadtteile, soge- In Chicago leben haupt­sächlich Afroamerikaner in den
nannte Gated Communities, die die besser Verdienen- heruntergekommenen Stadtvierteln, während die Weißen
den von den sozial Schwächeren abgrenzen. eher in den Suburbs zu finden sind.

M4 Typischer Aufbau der Stadtstruktur einer nordamerikanischen Stadt


Central Business District (CBD) als zentraler Geschäftsbe- Commercial Strips: Aufgrund der Suburbanisierung und der
reich: innerhalb des Stadtkern (Downtown) gelegen, bildet das damit verbundenen Trennung von Wohn- und Arbeits­platz stieg
CBD mit seinen Wolkenkratzern die charakteristische Skyline das tägliche Pendleraufkommen. Entlang der großen Ein- und
nordamerikanischer Städte (vgl. M5). Hier findet man überwie- Aus­fallstraßen entstanden darufhin zahlreiche kleinere und
gend Einrichtungen im Dienstleistungs- und Finanz­ bereich, größere Geschäfte und Dienstleistungsunternehmen. Die Un-
aber auch kulturelle Einrichtungen, Freizeit- und Sportein- ternehmen profitieren von ihrer schnellen Erreichbarkeit und
richtungen und Einkaufsläden. günstigen Parkmöglichkeiten.
Übergangsbereich (Transition Zone) mit vielfältigen Funk­ Suburbaner Raum und Edge Cities: Im Umland um den
tionen: dieses, die Downtown umschließende Gebiet, ist ge­ Übergangsbereich sind durch die Suburbanisierung Vorstädte
kenn­ zeichnet durch eine starke differentiale Mischung von (Suburbs) entstanden (vgl. M1). Den Menschen folgte die
Übungen

Funktionen. So finden sich dort private und öffentliche Dienst- Wirtschaft, auch, weil die Immobilienpreise günstiger als im
leistungseinrichtungen, aber auch Wohnhäuser in zum Teil ver- Stadtzentrum sind. Somit entstand eine immer größere Zahl von
nachlässigtem Zustand, so dass sich am Rand der Downtown Arbeitsplätzen im suburbanen Raum. Neben den klassischen
Wohngebiete der sozial schwachen Bevölkerungsschichten Wohnvierteln bildeten sich urbane Subzentren (Edge Cities) mit
(Ghettos, vgl. M2) herausbilden können. Wohn- und vor allem Büro- und Dienstleistungs­funk­tion.

124 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M6 Proteste der Anwohner im Chicagoer Stadtteil Pilsen ge-


gen die geplante Gentrifizierung. Gentrifizierung findet
statt, wenn in einem Stadtteil die Bevölkerungsschicht von
© unbekannt / Pixabay
einem niedrigeren (sozialen) Status zu einem höheren
M5 Blick auf die CBD von Chicago (sozialen) Status wechselt. Häuser und ganze Straßen-
züge werden aufgekauft und hoch­wertig saniert. Dadurch
steigen die Mietpreise, die sich nur noch die besser verdie-
nenden Bevölkerungsschichten leisten können.

Aufgaben
1. Definiere die Begriffe Suburbanisierung,
Urban Sprawl, Gated Communities,
Segregation, Ghetto, Gentrifizierung,
Edge cities und CBD mit Hilfe von M2,
M3, M4 und M6.
2. Erstelle mit Hilfe von M4 und M8 eine
Skizze zum typischen Aufbau einer
nordamerikanischen Stadt.
3. Erarbeite aus den Materialien dieser
Doppelseite einige Merkmale einer
nordamerikanischen Stadt heraus. M7 Entwicklung der Bevölkerung in der Chicago Metropolitan Area von
4. Überlegt in Gruppenarbeit die sozialen, 1900 - 2010. Gemessen an der Landfläche hat sich Chicago zur dritt­
größten städtischen Agglomeration der Welt entwickelt, hinter New
öko­logi­schen und ökonomischen Aus­-
York und Tokio. Die COVID-19 Pandemie hat den Trend der Subur-
wirkungen typisch nord­ame­ri­ka­nischer banisierung noch verstärkt. So verlor Greater Chicago im Laufe des
© Ken Carl

Städte. Jahres 2020 mehr als 91.000 Einwohner.


5. Beschreibe die Stadt und ihre Umgebung Wendell Cox "The evolving urban form: Chicago" vom 18.07.2011 und Samuel J.
mithilfe von Google Earth View. Abrams " Americans Do Not Want to Return to Urban Living" vom 04.03.2022
beides auf www.newgeography.com, frei übersetzt

Räume sozialer Ungleichheiten


Stadtzentrum
Gentrifiziertes Viertel
ehemalige Viertel der Unterschicht
1
Stadtviertel der Mittelschicht CBD /
Ghettos Downtown
Edge cities und Gated Communities

3 2 1
Hafenseite:
Meer
Wirtschaftliche Gliederung
2
CBD
See Übergangs-
Fluss Renovierte Hafenanlage
bereich
Ehemaliges Industriegebiet
(in Renovierung)
Neue Industriezone

Technologiepark
3
Eine mit der Welt verbundene Metropole
Umland
Hafen
Übungen

Flughafen
Autobahn
Source : wikiversité. Réalisation : S. Coté Eisenbahn

M8 Schema einer nordamerikanischen Stadt am Beispiel Chicago

Thema 3: Verstädterung der Welt 125


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6 Fallbeispiel L.A. − Probleme einer nordamerikanischen Stadt

M2 Flächenausdehnung von drei Megastädten


mit ähnlicher Bevölkerungszahl. Genau ge-
nommen ist der Groß­raum L.A. noch nicht
mal eine homogene Stadt, sondern ein
© Doc Searsl / Wikimedia Commons ineinander übergehendes Puzzle aus min-
M1 Blick auf die CBD von L.A., im Hintergrund die San Gabriel Mountains destens 87 kleineren und größeren Orten.

M4 Push-Pull-Faktoren der
Suburbanisierung
Push-Faktoren:
• Rückläufige Arbeitsplätze
• Umweltverschmutzung
• schlechte Schulen
• mangelhafte Dienstleistungen
• Verkehrsstaus
• überfüllte Wohnungen
• Unternehmen, die auf die grüne
Wiese wollen
• Sicherheitsbedenken
• hohe Grundstückspreise
Pull-Faktoren:
• Bessere Schulen und Dienstleis-
tungen
• sicherere Wohngegenden
M3 Der Prozess der Suburbanisierung hat eine ungeheure Zersiedelung (Urban • Einfamilienhäuser mit geringer
Sprawl) zur Folge, durch die sich amerikanische Großstädte immer weiträumiger
ausdehnen (vgl. M2). Die Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel ist aus Dichte
diesem Grunde äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Daher sind die • mehr Freiflächen
Städte Nordamerikas zumeist gänzlich auf das Automobil als Hauptverkehrsmittel • große Einkaufszentren
ausgelegt. Eine Ursache der Dezentralisierung liegt in der mangelnden Stadtpla- • gute Erreichbarkeit
nung von kommunaler Seite, so gilt in Nordamerika kein derart umfangreiches • günstigeres Land für größere
Regel- und Gesetzessystem zum Städtebau wie zum Beispiel in Deutschland. Grundstücke

M5 Eine Luftaufnahme zweier sich kreu­


zen­der mehrspuriger Freeways in Los
Angeles. Das alles beherr­ schende
Tran­s­
port­
mittel ist das Auto, dem­
entsprechend ist die Ver­ kehrs­
planung
der Städte daraufhin ausgelegt. Mit der
Folge, dass es zu Haupt­verkehrszeiten
(rush hour) zu täglichen kilome­ ter­­
-
lang­en Staus kommt (vgl. M6) − und
in Los Angeles jeder ­Autofahrer, der in
der Rush-Hour unterwegs ist, im Schnitt
102 Stunden pro Jahr im Stau steht.
Übungen

© USGS

126 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M6

© prvideotv / Pixabay

M7 Ein bekannter Anblick: LA im Smog. Nicht nur wegen des


starken Verkehrsaufkommens, sondern auch aufgrund
seiner Kessellage hinsichtlich der umgebenden San Ga-
briel Mountains und den hohen Temperaturen im Sommer
ent­steht der Sommer-Smog oder auch LA-Smog genannt.

M8 In L.A. ist die Zahl der Obdach­losen in den letzten Jah-


ren explodiert, da es an günstigem Wohnraum fehlt. Die
Mietpreise in der ganzen Region sind dramatisch ange­
stiegen, bei meist stagnierenden Löhnen. Die steigenden
Wohnkosten sind die Folge des Tech-Booms. Konzerne
wie Apple oder Google bringen gut bezahlte Fachkräfte
in die Region. Das Nachsehen haben ärmere Leute, die
sich das Leben hier kaum noch leisten können.
Während Städte wie New York über Gesetze verfügen,
die die Unterbringung von Obdachlosen vorschreiben,
ist dies in Los Angeles nicht der Fall. Außerdem sind © Apu Gomes / Apufotos
die vorhandenen Unterkünfte oft mit so drakonischen
Regeln verbunden, dass sie für die meisten Menschen
M9 Einer Erhebung der Obdachlosenhilfe ­„LAHSA“ zufolge
lebten 2020 mehr als 66.000 Menschen im Bezirk Los
nicht in Frage kommen. So müssen die Bewohner bei­ Angeles auf der Straße. Viele von ihnen leben in einem
spielsweise ihre Besitztümer loswerden, bevor sie sie Viertel, das von Touristen besser gemieden werden
betreten, oder sie müssen getrennt von ihren Haustieren sollte: Skid Row. Skid Row liegt in Downtown L.A., gleich
oder Partnern leben. Viele der Obdachlosen sind zudem neben dem Bankenbezirk, und ist überregional bekannt,
drogenabhängig. Entsprechend hoch ist die Kriminali- weil es hier die größte Population Obdachloser in den
tätsrate in diesen Stadtteilen. USA gibt. Bis zu 50.000 Menschen ohne festen Wohnsitz
leben hier teil­weise in Zelten, Papphütten − oder eben
einfach auf dem Gehweg. Mitten in Los Angeles, der
Stadt von Glanz und Glamour, Stars und Hollywood. Geld
und Elend sind nah beieinander und doch weit voneinan-
der entfernt, nirgends wird die riesige Kluft zwischen Arm
und Reich in den USA deutlicher. Denn ins Ghetto nach
Skid Row geht in Los Angeles niemand. Zu gefährlich, zu
eklig − und zu traurig. Vom Mythos des American Dream
kann hier keiner auch nur träumen.
David Bedürftig "Eine Ghetto-Laufgruppe rettet Leben" auf www.n-tv.de
vom 20.02.2022, gekürzt und ergänzt

M10 Soziale Segregation: Insgesamt gibt es im Großraum Aufgaben


Los Angeles etwa 21 größere Gated Communities,
hoch­wertige Gated Estates und Nachbarschaften, wie 1. Erarbeite aus den Materialien dieser Doppelseite
z.B. in Beverly Hills, Hollywood Hills, Bel Air, Brentwood, die Probleme von Los Angeles.
Pacific Palisades und Malibu.
Übungen

Im Allgemeinen nehmen Bebauungsdichte und Alters- 2. Überlege, warum insbesondere der Staat Kalifor-
durchschnitt in nordamerikanischen Städten von innen nien ein Ziel vieler Obdachlosen ist.
nach außen Richtung Peripherie hin ab, während Bil- 3. Beschreibe die Stadt und ihre Umgebung mithilfe
dungsstand und Pro-Kopf-Einkommen dagegen nach
von Google Earth View.
außen hin zunehmen.

Thema 3: Verstädterung der Welt 127


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7 Fallbeispiel Detroit − Absturz und Wiedergeburt einer Stadt


M1 Vorgeschichte
Detroit war schon immer ein Ort, auf den die Welt blickte. Einst Wochenendhäuschen. Manche behaupten, dass hier Amerikas
war es Sinnbild für den wirtschaftlichen Aufstieg der Groß­ Mittelschicht geboren wurde. Als Ende der 1950er-Jahre neue
städte. Hier läutete Henry Ford 1913 mit der Massenproduktion Autobahnen gebaut wurden, wanderten viele in die Vororte ab.
des Ford T die Hochphase der Industrialisierung ein. Der Traum Spätestens nach den verheerenden Rassenunruhen von 1967
vom „Aufstieg für alle“ wurde hier zuerst geträumt. Genauso ar- zogen Zehntausende weg, vorwiegend weiße Familien. Die
chetypisch war aber auch der Albtraum vom Absturz. Dieser Nie- Stadt trocknete aus (vgl. M6).
dergang setzte in den 1960ern ein und erreichte in den 2000ern Den K.-o.-Schlag versetzten der kränkelnden Stadt die Insol­
seinen Tiefpunkt. Als 2008 die Finanzkrise kam und weltweit venzen von General Motors und Chrysler sowie die Immobi-
auch die größten Unternehmen in die Knie gingen, traf es lienkrise 2008. Häuser und Schulen verwaisten, Plünderer,
Detroit wie kaum eine andere Stadt der Welt. Drogendealer und Kriminelle regierten die Straßen. Die Arbeits-
Der breite Fluss, die Boulevards, die historisch bedeutende losenrate betrug bald 18,2 Prozent, rund ein Drittel der Detroiter
Architektur – die Stadt galt früher als Paris des Mittelwestens. In galt als arm. Die Stadt musste 2013 Insolvenz anmelden.
„Motor City“ oder „Motown“ wurden mehr Automobile montiert https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/
als irgendwo sonst. Die Arbeiter hatten geregelte Jobs mit Tarif­ detroit-steht-wieder-auf [abgerufen am 23.12.2021], modifiziert
löhnen, sie konnten sich ein Haus leisten, ein Boot, vielleicht ein

M2

M3 Shrinking City
Der Begriff "shrinking city", übersetzt schrumpfende Stadt, zunächst in Europa und seit den 1990er Jahren auch in den
bezeichnet ein Phänomen der städtischen Schrumpfung, das Schwellenländern.
die Städte in dreierlei Hinsicht betrifft: demografisch durch den Sie sind der räumliche Ausdruck dafür, dass diese Städte
Verlust der Bevölkerung, wirtschaftlich durch den Verlust von im Zuge der Globalisierung ins Abseits gedrängt werden. In
Aktivitäten, Funktionen, Einkommen und Arbeitsplätzen und so- eini­gen Fällen, wie bei deutschen und japanischen Städten,
zial durch die Zunahme von städtischer Armut, Arbeitslosigkeit hängt dieses Phänomen jedoch stärker mit dem Bevölke-
und Unsicherheit. Schrumpfende Städte wurden zunächst mit
Übungen

rungsrückgang zusammen, liegt länger zurück (wie die Unter-


dem "städtischen Niedergang" oder der "städtischen Schrump­ schiede zwischen Ost- und West-Deutschland) und haben nicht
fung" der US-amerikanischen und deutschen Industriestädte die gleichen räumlichen Auswirkungen.
in den 1970er und 1980er Jahren in Verbindung gebracht und
frei übersetzt von http://histoire-geographie.ac-dijon.fr/spip.php?article865
betreffen mittlerweile eine Reihe von Großstädten weltweit, [abgerufen am 23.12.2021]

128 Thema 3: Verstädterung der Welt


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© public domain archival

M5 Detroit 1967, schwere Rassenunruhen in


Downtown, bei denen 43 Menschen starben
und viele Gebäude zerstört wurden. Die weiße
© Arthur Siegel / Wikimedia Commons
Mittelschicht flüchtet daraufhin aus Detroit.
M4 Detroit im Jahre 1942, zur Blütephase der Stadt Die sogenannte White flight findet in fast allen
amerikanischen Großstädten statt und führt
zu ausufernden Vorstädten (urban sprawl) mit
Aufgaben homogener weißer Bevölkerung.
1. Beschreibe die Ursachen, die zum Niedergang
Detroits geführt haben.
2. Definiere Shrinking City (M3).
3. Nenne Lösungsansätze für Detroit (M8).
4. Untersuche die Stadt und ihre Umgebung auf
Google Earth View.

2.000.000

1.800.000

1.600.000

1.400.000

1.200.000
Anzahl Einwohner

1.000.000

800.000 M7 Die Ölkrise von 1973 − 1979 führt zu einer Re­zes­sion in


600.000
den westlichen Industriestaaten. Dadurch waren die Sprit
fressenden amerikanischen Autos auf dem Weltmarkt nicht
400.000
mehr gefragt. Europäische Konzerne decken den Bedarf
200.000 an Luxusfahr­zeugen, während japanische Hersteller preis-
0 werte Kleinwagen produzieren. Die Industriezentren an
den Großen Seen stag­nieren. Die einst wirtschafts­starke
Quelle: eu.detroitnews.com.
Realisierung: S. Coté
1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020

M6 Bevölkerungsentwicklung von Detroit in den Jahren Region, mit viel Schwerindustrie, ent­wickelt sich zum Rust
1950 - 2020 Belt.

M8 "Detroit is cool"
Gerade in der Insolvenz der Stadt Detroit könnte jetzt eine parken ein paar Autos, in den Schaufenstern sind schon
große Chance liegen. Denn Detroit ist klammheimlich cool lange keine Waren mehr, sondern Installationen von Street-
geworden. Wohl nirgends in den USA kann man mit so w ­ enig Art-Künstlern. Sie sollen etwas kaschieren, das unübersehbar
Geld so viel auf die Beine stellen wie hier. Auf dem Höhe­ ist: den Leerstand.
punkt der Immobilienkrise 2008 konnte man Häuser für ge- Die Hoffnung: Aus der dynamischen Nischenkultur, die in den
rade mal 100 Dollar kaufen. Das lockte ein paar Pioniere an. letzten Jahren in Detroit entstanden ist, könnte sich etwas
Erst kamen Künstler und Kreative, viele aus Brooklyn und San Größeres entwickeln. Die Rahmenbedingungen scheinen zu
Francisco, weil es hier noch günstigen Wohnraum gab, große stimmen. Die Stadt erholt sich langsam. Zigtausend kaputte
Ateliers und Gestaltungsspielraum. Dann kamen Galeristen, Straßenlaternen wurden bereits durch LED-Lampen ersetzt –
und Detroit wurde hip. Schließlich folgten Investoren wie der 65.000 sollen es bis Ende 2016 werden. Etwa 200 verlassene
Mil­liardär Dan Gilbert, ein gebürtiger Detroiter, der zahlreiche und baufällige Häuser werden jede Woche abgerissen – Ziel:
leerstehende Hochhäuser und historische Gebäude in Down- mindestens 40.000. Teilweise sind dort nun Grünflächen. Und
Übungen

town gekauft und seine Firma Quicken Loans angesiedelt hat, nach wie vor werden leerstehende Häuser im Internet verstei-
die Hypotheken finanziert. Geht man heute durch Downtown, gert, die billigsten für gerade mal 1.000 Dollar, aber mit einer
wundert man sich: kein Starbucks, kein McDonald’s, kein Su- Auflage: Der Käufer muss dort selbst einziehen.
permarkt. Wozu auch, ist ja kaum einer da. An vielen Wolken-
kratzern wächst Moos, im einst opulenten Michigan Theatre https://www.fluter.de/ganz-cool-hier, Das Heft – Nr. 56 vom 20.09.2015

Thema 3: Verstädterung der Welt 129


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8 Fallbeispiel Rio de Janeiro − die lateinamerikanische Stadt


M1 Entstehungsgeschichte
Die den spanischen und portugiesischen Konquistadoren fol- Die Entwicklung lateinamerikanischer Städte wurde stark vom
genden Siedler gründeten ab Mitte des 16. Jahrhunderts sowohl Prozess der Verstädterung geprägt. Dieser begann bereits
an den Küsten als auch im Landesinneren die heutigen Städte. recht früh, 1888 wurde die Sklaverei als letztes in Brasilien
Die von den indianischen Hochkulturen erbauten Machtzentren abgeschafft, so dass sich viele der ehemaligen Sklaven in den
wurden entweder zerstört oder an derselben Stelle überbaut. Städten niederließen. Zeitgleich kam eine große Migrations-
Wie auch in Spanien war das Zentrum der Städte der Hauptplatz, welle aus Europa, angetrieben von Arbeitslosigkeit und Hun-
die Plaza Mayor, mit Kathedrale, Rathaus und Regierungssitz. gersnöten. Durch diese massiven Bevölkerungsströme stieg
Dieser Platz war umgeben von Wohn­vierteln in quadratischen die Einwohnerzahl von Rio de Janeiro zwischen 1872 und 1900
Blocks, deren Straßenzüge schachbrett­artig angeordnet waren. von 275.000 auf 811.000 Personen an.
Das Schachbrettmuster hatte den Vorteil, dass die Stadt schnell Die Einführung von Straßenbahnen und Zügen ermög­lichte die
erweitert werden konnte. Außerdem war dieser Grundriss für rasche Expansion der Städte, so dass der Verstädterungspro-
die Verteilung der Baugründe und Kontrolle der Steuereinnah- zess sehr intensiv verlief. Die Verstädterungsrate ist daher im
men vorteilhaft. Jahr 2021 mit 79% noch immer höher als die Europas mit 75%.

M3 Die Favela Cantagalo. Favelas, auch Marginalsiedlung oder


informelle Siedlung genannt, sind in weiten Teilen Latein­-
amerikas stark verbreitet. Man schätzt, dass 20% der Stadt­
© PPC / A. Gouin bevölkerung Lateinamerikas in Favelas leben. In den rand­
M2 Typisch für lateinamerikanische Städte sind die städtischen heruntergekommenen Siedlungen über­ wiegt
kolonialen Bauten in den Stadtzentren, wie hier in eine schlichte Hüttenbauweise, meist aus Ziegel­steinen und
Rio de Janeiro. Altmaterial. Hier wird häufig nicht rechtmäßig gemietet oder
Rio de Janeiro hat 1960 den Titel der Hauptstadt gepachtet, zudem mangelt es oft an einer Baugenehmigung,
Brasiliens an das neu gegründete Brasilia abgeben Elektrizität und fließend Wasser. Die Abwässer fließen teil­
müssen. Das starke Wirtschaftswachstum der letz- weise durch die Gassen und Straßen, so dass die Bevöl-
ten Jahrzehnte zeigt jedoch, das die Stadt weiter­ kerung aufgrund der fehlenden sanitären Grundversorgung
hin ein Anziehungspunkt bleibt. anfällig für Krankheiten ist.

M4 Klar voneinander ab­­ge­


grenz­te Wohngebiete: Ver­-
drängungsprozesse haben
zur starken sozialen Segre- Vorort
gation der Bevölkerung ge- Baie de
Guanabara
führt. In den letzten Jahren
haben sich Gated Commu- Westzone
nities zu einem typischen Nordzone Historisches
Merk­ mal von Schwellen- Stadtzentrum
ländern entwickelt. Die aus- Zuckerhut
Santa Marta
geprägten so­zia­len Dispa- Südzone
ritäten (d. h. Unterschiede Copacabana
Bucht von Jacarepaguà Rocinha
im Einkommen und Status
der Bewohner) dieser Län- Barra da Tijuca
der führen dazu, dass die ATLANTISCHER OZEAN
Übungen

Oberschicht zunehmend das


Bedürf­nis hat, sich von der Sources : IBGE, 2000, Armazém de Dados et SABREN (PCRJ). Réalisation : S. Coté

Unterschicht abzugrenzen.
dichtbesiedeltes Stadtgebiet Favelas Bevorzugtes Friedensstiftende Maßnahmen
Wohngebiet
informelle Siedlungen Naturgebiet und Gebirge Einheiten der Friedenspolizei

130 Thema 3: Verstädterung der Welt


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© PPC / A. Gouin

M5 Rocinha, die größte der Favelas Rios, mit Blick auf den be- M6 In der Rocinha lebten 2021 geschätzt über 300.000
vorzugten Stadtteil Botafogo an der Küste. Rocinha liegt Einwohner unter teil­weise katastrophalen Bedingun-
© PPC, A. Gouin
auf einem steilen Hügel, der an das wohlhabende São gen, wie Armut oder extrem hoher Kriminalitätsrate. Ein
Conrado angrenzt, das vielen Bewohnern Arbeit bietet. Problem der Favelas ist, dass bewaffnete Kräfte der
Dies ist typisch für Barackensiedlungen auf der ganzen Drogenmafia einen rechtsfreien Raum gebildet haben
Welt, die sich in der Nähe von hauptsächlich einhei- und ihn gegen die Exekutive verteidigen. Sie über­
mischen Arbeitsmöglichkeiten befinden, da die Be­woh- wachen zum Teil ganze Stadtviertel und terrorisieren
ner im Allgemeinen nur begrenzte Mobilitäts­
­ mög­ lich- deren Einwohner, während die Polizei dort nicht auftritt.
keiten zu Arbeitsplätzen im übrigen Stadtgebiet haben. https://de.wikipedia.org/wiki/Rio_de_Janeiro [abgerufen am 22.12.2021]

M7 Umweltrisiken und Verkehr


Um die Wohnräume in Rio de Janeiro zu sichern, wurden
am Stadtrand einige Naturparks ausgewiesen. Der Grund für
die Einrichtung der Schutzgebiete war, dass die städtische
Bebauung immer höher an den Bergflanken hinaufwuchs.
Dadurch wurde die schützende Walddecke an vielen Stel-
len zerstört. Die Folgen waren Hangrutschungen, die zur
Zer­störung ganzer Stadtbereiche führten. Bei einer Hangrut­
schung lösen sich die oberen Erdschichten der Berghänge
und rutschen, zum Beispiel nach starken Regenfällen, wie
eine Lawine ins Tal. Betroffen von diesen Katastrophen
waren meistens die Wohngebiete der Unterschicht und die
Elendsviertel.
Ein weiteres großes Umweltproblem in Rio de Janeiro ist das © PPC / A. Gouin
Abwasser. Jahrzehntelang waren alle Abwässer vollkommen
ungeklärt in die Bucht von Guanabara oder in den Atlan- M8 Um die Favelas sicherer zu machen, wird versucht,
tischen Ozean geleitet worden. Die Bucht von Guanabara diese durch Elektrifizierung, den Bau von festen Trep-
hatte sich dadurch im Laufe der Zeit zu einem Sammelbe­cken pen und den Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel zu
für die Abwässer von Millionen von Einwohnern entwi­ckelt. "legalisieren". Für Letzteres wurde 2011 die Seilbahn
Und noch immer werden viele Abwässer aus Haushalten und des "Complexo do Alemão" errichtet, die über sechs
Industrie ungeklärt in der Bucht oder dem Meer entsorgt. Stationen die Favelas miteinander verband. Mangels
Hinzu kommt die Luftverschmutzung. Schädliche Emissio- Finanzierung steht diese aber seit 2016 wieder still.
nen gelangen vor allem aus der Müllverbrennung, dem star- Anmerkung: Für die Fußballweltmeisterschaft 2014
ken Verkehr und der Industrieproduktion in die Atmosphäre. und die Olympi­schen Spiele 2015 wurden einige Fave-
https://www.heimatundwelt.de/kartenansicht.xtp?artId=978-3-14-100269- las zwangsgeräumt, um Platz für die entsprechende
0&stichwort=Condominio [abgerufen am 22.12.2021] Infra­struktur zu haben.

Aufgaben M9 Problem der sozialen Segregation


1. Erarbeite aus den Materialien M1 bis M3 die Steigende Immobilienpreise im Zentrum und entlang der
Merkmale einer latein­amerikanischen Stadt. Küstenzone zwangen die ärmeren Bevölkerungsschichten
in die weiter entfernt gelegenen Vororte zu ziehen. Diese
2. Nenne die Ursachen des starken Verstädterungs- waren meist noch schlechter mit öffentlichen Transport-
prozesses früher (M1) und heute (M9). mitteln versorgt, was die Erwerbsmöglichkeiten stark ein-
schränkte.
3. Definiere Favela und erarbeite mihilfe von M3, M5
und M6 ihre Merkmale und Probleme. Ungebremst bis heute ist der Zuzug der Bevölkerung vom
Land in die Stadt sowie ein Geburtenüberschuss. Da die
4. Beurteile die von der Politik getroffenen Gegen- Stadtplanung mit dem raschen Bevölkerungswachstum
maßnahmen (M8). nicht Schritt halten kann, sind die Favelas oft die einzige
5. Erkläre "soziale Segregation" (M3, M4, M9). Möglichkeit für Neuankömmlinge Wohnraum zu schaffen.
Dadurch wird die vorhandene Segregation der Stadtteile
Übungen

6. Nenne weitere Probleme von Rio de Janeiro (M7). weiter gefestigt, und zeigt sich auch im Zugang zur vor­
Beachte dabei auch die Lage der Stadt. handenen Infrastruktur, wie den Ausschluss großer Be-
völkerungsteile von gewissen Diensten wie öffentlichem
7. Beschreibe die Stadt und ihre Umgebung mithilfe
Verkehr, Gesundheit, Bildung oder Zugang zum formalen
von Google Earth View. Arbeitsmarkt.

Thema 3: Verstädterung der Welt 131


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9 Fallbeispiel Kairo − Megastadt Nordafrikas


M4 Vorgeschichte
Der Großraum Kairo hat sich seit 1950 rasant verändert − aus einer
beschaulichen Stadt ist eine Metropolregion geworden. Die Haupt­stadt
Ägyptens ist die einzige Mega­stadt in Nordafrika und mit fast 22 Mil-
lionen Einwohner (2022, Wert ge­schätzt) lebt dort etwa ein Drittel der
ägyptischen Bevölkerung.
Kairo ist das wirtschaftliche, politische, kulturelle und verkehrs­
technische Zentrum Ägyptens und wird deshalb auch als Primat­stadt
bezeichnet. Hier konzentrieren sich Bildungs­stätten, Ausbildungsorte,
Arbeitsplätze, Verkehrs­knotenpunkte, kulturelle Veranstaltungen und
die Verwaltung.
Kairo ist ein wichtiges Handelszentrum und eine Drehscheibe
zwischen Südeuropa und den Maghreb-Staaten. Daher haben auch
M2 Satellitenaufnahme Kairos und seiner berühm-
zahl­reiche Wirtschaftsorganisationen und global tätige Unternehmen ten Pyramiden − die von der sich ausbreitenden
ihren Sitz in Kairo. Auch der Tourismus ist für Kairo höchst bedeutsam. Stadt schon fast verschluckt sind.

Bevölkerung Fläche der Agglomeration


M3 (in Millionen)
19
(in Millionen Hektar)
190

Al Obour 18 180

17 170

16 160
Richtung Alexandria
15 150

14 140
Heliopolis
Shibra 13 130

Richtung Suez 12 120


Boulak
Neu-Kairo 11 110

10 Fläche Kairos 100

Guiza Nasr City 9 90

Stadt des 8 80

6. Oktober Nil 7 70

6 60
Gizeh
5 50

4 40

In Richtung der Oasen 3 30


Stadt des
20
15. Mai 2

1 10

1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020
Jahre
Sources : EMA, Nathan., Wikipedia Réalisation : S. Coté

Saqqara
M4 Entwicklung der Bevölkerung als auch
der Stadtfläche Kairos
Source : Nathan. Réalisation : S. Coté Richtung Oberägypten 0 20 km

I. Eine gigantische Stadt II. Eine attraktive Metropole III. Eine unkontrollierte Ausbreitung
Aufgaben
Historisches Zentrum, Basar Flughafen legale und illegale
dicht besiedeltes Stadtzentrum Pyramiden, Ausbreitung 1. Beschreibe die in M4 gezeigte Ent­-
Touristische Attraktivität wicklung Kairos.
Niltal, Landwirtschaft Satellitenstädte
Wüste archäologisches Gebiet
Ringautobahn
Neue Siedlungen, 2. Nenne die Probleme, die sich aus
Slums, informelle Siedlung Gated Community
Agglomerationsgrenze Hauptverkehrsachsen
dem rasanten Wachstum ergeben.

M5 Stadtstruktur Kairos
Kairo gliedert sich grob in einen kleineren traditionellen und Heliopolis, Maadi, Helwan oder Schubra al-Chaima) an, die ge-
einen größeren modernen Stadtteil. Das traditionelle Kairo, zu prägt sind von begrünten Straßen in Villenvierteln, modernen
dem auch die Altstadt – als Medina bezeichnet – gehört, konzen- Cafés oder Einkaufsmöglichkeiten.
triert sich rund um die al-Azhar-Moschee. Dieser Stadtteil weist Noch weiter außerhalb der Stadt liegen mehrere Satelliten­
im Wesentlichen die Merkmale der orientalischen Stadt auf. städte, die oft am Reißbrett geplant wurden. Sie sollen der
Hier befinden sich verschiedene weitere Moscheen, der Basar Bevölkerungsentwicklung und dem stetig wachsenden Bedarf
und typische Wohnviertel der orientalischen Stadt mit engen, an Wohnraum Rechnung tragen. Sie liegen zum Teil mitten in
verwinkelten Sackgassen und Häusern aus Lehm. So wird zum der Wüste, wirken anonym und monoton, die Häuser bestehen
einen die Privatsphäre der Menschen geschützt, zum anderen oft aus unverputzen Wänden und die Entfernung zur Innen­stadt
ist die Temperatur in den Häusern dadurch angenehm. beträgt nicht selten mehr als 50 km. Autobahnen und auch
Der größere Teil der Stadt ist eher modern konzipiert bzw. über- Hochstraßen durchziehen die Wohnviertel. In diesen Satel-
Übungen

prägt: Hier befinden sich moderne Wohnviertel, große Straßen, litenstädten ist die Infrastruktur bezüglich Strom und Wasser
Einkaufszentren und Geschäftsgebäude. Der Bau­stil ist medi- zwar geregelt, die Abfallentsorgung, Zugänge zu Einkaufsmög­
terran oder durch die Kolonialisierung geprägt. An die moderne lichkeiten oder Verkehrsmitteln sind aber sehr eingeschränkt.
Innenstadt schließen sich zunächst vornehme Stadtviertel (z. B.
Monika Reuschenbach, aus: Geographie heute Nr. 338 / 2018 "Mittelmeerraum"

132 Thema 3: Verstädterung der Welt


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© PPC / A. Gouin

M6 Aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums sind M7 Die tägliche Verkehrssituation in Kairo


manche Stadtteile informell bzw. ungeplant und ohne
entsprechende Infrastruktur entstanden.

M9 Die gated community "Dreamland" in der Peripherie Kai-


ros, mit künstlichen Seen, Spiel- und Tennisplätzen

Aufgaben
© Marie Bovo 3. Erkläre die Begriffe "Primatstadt" (M1) und "Satel-
M8 Ausweitung von Wohnungen auf die Dächer von Gebäu- litenstadt" in diesem Kontext (M5, M10, M11).
den, um die Wohnungsnot zu lindern
4. Untersuche mit Hilfe eines Atlas die Klimazone, in
der Kairo liegt. Beschreibe die hier nicht ge­nann­
ten Probleme, die sich dadurch ergeben.
5. Untersuche die Stadt und ihre Umgebung auf
Google Earth View.

© Faris Knight / Wikimedia Commons

M10 Blick auf Neu-Kairo, einer der unzähligen Planstädte


rund um die Metropolregion. Die Stadt verfügt über eine
sehr moderne Infrastruktur und soll gezielt Unternehmen M11 Medinat Nasr oder Nasr-City, die erste Satellitenstadt
dort­
hin anlocken. Neben dem Innenministerium befin- Kairos, erbaut in den 1960er Jahren mit grauen Wohn-
Übungen

den sich dort auch einige internationale und nationale blöcken mitten in der Wüste. Die ersten Bewohner wa-
Bildungseinrichtungen und Universitäten. Entsprechend ren diejenigen, die im Stadtzentrum keinen Platz mehr
hoch sind die Immobilienpreise, so dass es sich nur die fanden. Dann folgten jene, die einen Neubau und etwas
ägyptische Mittel- und Oberschicht leisten kann, dort zu Straßengrün suchten. Heute ist Medinat Nasr lückenlos
leben. zwischen Flughafen und Innenstadt eingebettet.

Thema 3: Verstädterung der Welt 133


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10 Fallbeispiel Lagos − Megacity in Afrika

M1 Lagos im Jahr 1962. Schon damals


lebten über 600.000 Menschen in der
Stadt (dunkler und heller Bereich in © Monja Šebela Contains modified Copernicus Sentinel data / Wikimedia

der Karte). 1901 waren es nur 37.000 M2 Lagos 2020. Megacity mit Megawachstum. Kaum eine Stadt wächst so
Menschen, 1921 bereits 100.000. schnell wie Lagos, geschätzt lebten 2021 zwischen 21 und 24 Millionen
Zahlen von https://de.wikipedia.org/wiki/Lagos in der Metropolregion, über die Hälfte davon in Armut. Und täglich werden
[abgerufen am 24.12.2021] es mehr.

M3 Hyperwachstum − ungebremst und informell


Täglich strömen Menschen aus dem Umland nach Lagos, in der
Hoffnung auf Arbeit und eine bessere Zukunft für sich und ihre
Familien. Doch das stetige Anwachsen der Bevölkerung – ein
wahres Hyperwachstum – bringt die Stadt und ihre Infrastruktur
an den Rand des Kollaps. Die ehemalige Hauptstadt Nigerias ist
unglaublich dicht besiedelt: In einzelnen Stadtvierteln leben bis
zu 30.000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Im Vergleich:
In Berlin sind es im Durchschnitt 3.800 Menschen. Das Leben in
Lagos quillt förmlich auf die Straßen hinaus – das Private wird zum
Öffentlichen. Auf den Marktplätzen und entlang der Straßen spielt
sich das städtische Leben ab: unmittelbar, chaotisch, kraftzehrend.
Lagos galt einst als Venedig Afrikas, doch diesen Charme hat es
längst eingebüßt. Heute ist Lagos eine der ärmsten Mega­städte © International Business Times / Cameron Barnes

weltweit. Der informelle Sektor macht einen großen Teil des M4 Das Leben im Slum Oto-Ilogbo. Die für viele
Wirtschaftslebens aus. Die nach Lagos strömenden Menschen Menschen unerträglichen Lebensbedingungen in
aus dem Umland bauen immer mehr informelle Siedlungen, es anderen Landesteilen, insbesondere die Unter-
wird spontan gebaut. Genauso werden die Menschen von der Re- drückung im islamischen Norden und Umwelt-
gierung wieder vertrieben, ohne Vorwarnung und ohne Alternative. zerstörung sowie Menschenrechts­ verletzung in
Aber nicht nur der Zustrom der Menschen vom Land lässt Lagos den Erdölregionen des Nigerdeltas, führten in den
rapide wachsen. Die hohe Geburtenrate in der Metropol­ region letzten Jahr­zehnten zu einer rapiden Landflucht.
selbst trägt ebenso zum rasanten Wachstum bei. Lagos versinkt Hinzu kamen Flüchtlinge aus den benachbarten
zusehends im Verkehrschaos und der Immobilität. Die Stadt er­ Bürgerkriegsregionen.
stickt im Müll und ist heute eine der schmutzigsten Metropolen Nach offiziellen Angaben (Lagos State Govern-
Afrikas. Auch das Leben in den abgeschirmten Luxus-Siedlungen ment) ziehen täglich 2.500 Menschen neu nach
lässt den Moloch vor der Tür nicht verschwinden. Lagos, bei einer jährlichen geschätzten Wachs-
Missmanagement und Korruption beherrschen die Landes- sowie tumsrate von 5 bis 6 Prozent. Aber nach wie vor
Staatspolitik. Trotz Ölbooms haben es die wechselnden Regierun- leben zwei Drittel der Bevölkerung in Slums, ohne
gen Nigerias nicht vermocht, das Land aus der Armut zu führen. Zugang zu Wasser, Strom, Abfall­entsorgung oder
Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, zählt zu den ärms- ordentlichen Straßen, aber mit hoher Kriminalitäts-
ten Ländern der Welt. Die Organisation Transparency International rate. Gleichzeitig gibt es in dieser (auch „Mega-
hat Nigeria für das Jahr 2020 auf Platz 149 von insgesamt 180 city of Slums“ genannten) Stadt viele (Dollar-)
Ländern eingestuft. Die Geschichte Nigerias durchziehen Demo- Millionäre (sowie vier Dollarmilliardäre), und hier
kratisierungsversuche und Militärregierungen. Zuletzt kam 1995 wird rund ein Viertel des nigerianischen Bruttoin-
Sani Abacha an die Macht und mit ihm eine der brutalsten Militär- landsprodukts generiert.
dikaturen Nigerias. Erst 1998, nach dem Tod Abachas, konnte das https://www.subsahara-afrika-ihk.de/blog/2017/05/08/mega-
Land wieder aufatmen. Doch ethnische Konflikte zwischen dem citys-in-afrika-lagos-auf-dem-weg-in-die-moderne/; https://
de.wikipedia.org/wiki/Lagos [abgerufen am 24.12.2021]
Übungen

überwiegend muslimischen Norden und dem vorwiegend christ-


lich-animistischen Süden dauern an und fordern immer wieder
Menschenleben – auf beiden Seiten.
https://www.bpb.de/internationales/weltweit/megastaedte/64606/lagos?p=all
[abgerufen am 24.12.2021], gekürzt und ergänzt

134 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M5 Megastadt − Megaprobleme
Lagos, westafrikanische Hafenstadt im Nigerdelta, mit drei
Häfen und einem internationalen Flughafen, ist das Finanz-
und Wirtschaftszentrum Nigerias. Es ist aber auch eine
Stadt krasser Gegensätze: extreme Armut in den Slums ste-
hen Luxus, moderner Technik und höchster Wirtschaftskraft
gegen­über. Und Lagos hat wie viele andere Großstädte
Afrikas auch mit Über­bevölkerung und unzureichender Infra­
struktur zu kämpfen.
Eine zentrale Aufgabe für die Stadtentwickler in Lagos ist
die Lösung der katastrophalen Verkehrsbedingungen. Die
Straßen sind marode und das vorhandene Straßennetz ist
von dem ständig wachsenden Verkehr, der für 70% der ge-
messenen Luftverschmutzung verantwortlich gemacht wird, © PeterFromTexas
hoff­nungslos überfordert. Der Verkehr auf den Stadtautobah-
nen und Brücken zwischen den Inseln und dem Festland liegt M6 Makoko, der bekannteste Slum von Lagos. Zum einen,
weil er in weiten Teilen ein schwimmender Slum in der
oft völlig lahm. Im Berufsverkehr zwischen dem Zentrum und
Lagune des Niger ist (mit schätzungsweise 150.000 -
den Wohnvierteln wandeln sich die Hauptverkehrsachsen zu
250.00 Bewohnern). Zum anderen, weil er derjenige
Marktplätzen.
mit der ärmsten Bevölkerung in ganz Nigeria ist. Im Mai
Die Einnahmen aus dem Export von Erdöl haben zu einem 2018 hat Nigeria mit seinen 87 Millionen Armen Indien
allgemeinen Anstieg der Preise und Lebenshaltungskosten (mit "nur" 73 Millionen) von Platz 1 des Landes mit den
geführt, die Lagos zur teuersten Stadt Nigerias machten. meisten Menschen unter dem Armutsniveau abgelöst.
Trotz des Ölreichtums sind lange Warteschlangen wegen Und während der Anteil der Ärmsten in Indien sinkt,
der Benzinknappheit an den Tankstellen des Landes an der steigt er in Nigeria ununterbrochen weiter.
Tages­ordnung.
Auf den Straßen sind zudem überall Berge von Müll zu finden.
Da sämtliche Müllhalden überfüllt sind, werden diese ab und
zu verbrannt, und so verpestet der dabei ent­stehende Ge­
stank die ganze Gegend. Ein großes Problem stellen diese
Müllberge vor allem auch in der Regenzeit dar, wenn weite
Teile der Stadt überflutet sind. Die Wassermassen spülen den
Unrat weg und verbreiten dabei einen üblen Geruch. Krank­
heitserreger finden hier ideale Bedingungen und können je-
derzeit Seuchen auslösen.
Eine der größten Herausforderungen in Lagos ist die Abwas-
serentsorgung. Die Rohre sind schlecht und verstopfen viel zu
häufig. Es kommt oft vor, dass man Einwohner ihren Abfall bei
Regen in die Straßengräben auskippen sieht.
Massiv fehlender Wohnraum für niedrige Einkommensschich-
ten fördert das Wachstum von Slums. Hier mangelt es an
allem: einer funktionierenden Müllentsorgung, an öffentli-
chen Transportsystemen, intakten Straßen, einer verlässli-
chen Strom- und Trinkwasserversorgung und nicht zuletzt an
Beschäftigungsmöglichkeiten.
M7 Die Lagune beherbergt auch die Superreichen Nigerias.
Angesichts des Einwanderungsdrucks wirken die öffentlichen Eine künstlich aufgeschüttete Insel ("Banana Island")
Investitionen in soziale Infrastruktur wie Tropfen auf dem mit nur einer einzigen Brücke als Zugang ist eine be-
heißen Stein. Die öffentlichen Schulen sind überfüllt, die Ge- vorzugte Gated Community.
sundheitszentren unzureichend. Tausende sind arbeits- und
wohnsitzlos. Viel zu viele unterbeschäftigte Personen driften
in Kriminalität und Gewalt ab.
Und: An kaum einem anderen Ort der Welt sind die Auswir-
kungen des Klimawandels so spürbar wie in Lagos. Der
Anstieg des Meeresspiegels bedroht die Stadt. Bodenerosion
und Sturmwellen schwemmen den Lebensraum entlang der
Küste buchstäblich weg.

Aufgaben
1. Zeichne in M2 die 1962 besiedelte Fläche (M1) ein.
2. Nenne die Ursachen des rasanten Bevölkerungs­
wachstums in Lagos.
Übungen

3. Erläutere die Folgen der Urbanisierung.


4. Untersuche die Stadt und ihre Umgebung auf
Google Earth View.
M8 Tägliches Verkehrschaos in Lagos

Thema 3: Verstädterung der Welt 135


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11 Fallbeispiel London − eine Weltmetropole


M1 Eine unvorhergesehene Entwicklung
Heutzutage ist London eine Weltmetropole. Die Stadt ist politi­ men wird, zieht die ganze Welt an, von afghanischen Flücht-
sche und kulturelle Hauptstadt, der größte Finanzplatz des lingen über mexikanische Studenten bis hin zu französischen
Vereinigten Königreichs, mit ihren vier Flughäfen auch ein Finanziers und russischen Oligarchen. Hunderttausend neue
globaler Knotenpunkt und ein umfassender internationaler Ge­ Einwohner kommen jedes Jahr zu einer Bevölkerung hinzu,
schäftsplatz mit Spitzenniveau im Bereich Banken, Versiche- in der die "weißen Briten" inzwischen in der Minderheit sind.
rungen, internationaler Börse, Kunsthandel, etc. Die 18 Millio- Wolkenkratzer schießen im Herzen der City wie Pilze aus dem
nen Quadratmeter Bürofläche konzentrieren sich allein auf die Boden. Die Verkehrsprobleme sind dabei nur der sichtbarste
zentralen Bezirke City, West End oder Docklands, wo die Mie- Teil der Bevölkerungsexplosion in der britischen Hauptstadt.
ten zu den teuersten in Europa gehören. Bei diesem Tempo dürfte die 10-Millionen-Einwohner-Marke im
In diesen Tagen wurde das Baby geboren, das die Einwohner- Jahr 2030 überschritten werden, und die Herausforderungen
zahl auf 8,615 Millionen erhöhen wird. Das ist ein historisches in den Bereichen Wohnen, Bildung und Verkehr erscheinen
Ereignis, nicht nur, weil diese Zahl dem Höchststand von 1939 immens. So müssten 63.000 Wohnungen pro Jahr gebaut wer-
entspricht, sondern auch, weil die Bevölkerung von London die den, obwohl 2014 nur 17.000 gebaut wurden und Luxusimmo-
von New York überholt hat. bilien, die von ausländischen Investoren erworben wurden, leer
Niemand hatte die außergewöhnliche Dynamik der Hauptstadt stehen. Denn in London liegen Superreiche und Superarme
in den letzten Jahren vorhergesehen. Zwischen 1939 und 1981 dicht beieinander.
hatte London nicht weniger als 2 Millionen Einwohner verloren. Aber das "Londoner Problem" wird auch als Bedrohung für
Im Jahr 1977 wurde in einem Buch mit dem Titel "Die Stadt den Zusammenhalt des ganzen Landes gesehen. Die Haupt­
ohne Herz" eine vom Autoverkehr gelähmte Stadt beschrieben, stadt, in der nur 13% der Bevölkerung Großbritanniens leben,
die scheinbar zu einem unaufhaltsamen Niedergang verurteilt erwirtschaftet 30% des Bruttoinlandsprodukts, und ihre Einwoh-
war. Die Qualität des Londoner Stadtbildes nahm ab, die Infra­ ner haben eine um 69% höhere Produktivität als die übrigen
struktur veraltete und die Einwohner wurden aufgefordert, in Briten. Die Kluft zum Rest Englands, wo die Rückkehr des
neue Städte am Stadtrand zu ziehen. Wachstums kaum spürbar ist, wird immer größer.
Das heutige Bild ist voller Gegensätze: Die Stadt, die sowohl
frei übersetzt aus Philippe Bernard, Le Monde, Januar 2015, gekürzt und ergänzt
als "sympathisch" als auch als finanziell teuer wahrgenom-

Mettre technopole
Quartier en cours de gentrifica tion
Aufgaben
I. Eine Weltstadt breitet sich aus
Luton Stevenage Innerer Stadtkern
1. Erarbeite mit Hilfe des Atlas und
Stadtzentrum dem Inter­ net (u.a. Google Earth
Grüngürtel View) einen Steck­ brief zu London
Harlow Stansted Agglomeration Londons (geo­graphische Lage, Einwohnerzahl,
Aylesbury
II. Ein weltweit verbundenes Zentrum Bevölkerungsdichte, Fläche, histori­
a. Hauptfunktionen sche Stadtgründung, politische und
Geschäftsviertel wirt­schaftliche Bedeutung).
Stratford
British Basildon Kunst- und Kulturviertel
Museum London City Politisches Zentrum mit den Institutionen 2. Benenne die Probleme Londons und
Covent Garden
b. Internationale Verbindungen erläutere deren soziale, öko­logische
Heathrow National Shard Canary Wharf
Gallery of glass Flughafen und ökonomi­sche Folgen.
Hauptverbindungsachsen
Eurostar 3. Erörtere die Auswirkungen der Olym­-
III. Die Tentakeln einer Stadt breiten sich aus pischen Spiele für die Stadtentwick-
Bracknell Eurostar
ar
Ausbreitung Londons mit neuen Städten
lung Londons (M2, M7).
Richtung Brüssel
Gatwick und Paris
Im Zuge der Olympischen Spiele 4. Diskutiert in der Klasse über die Be-
aufgewertete Stadtteile deutung urbaner Grüngürtel an­
­ ge­
Stadterneuerung und Hafenaktivitäten
Crawley sichts von Wohnungsknappheit (M5).
Ausbreitungsrichtung von Unternehmen
der Hochtechnologie 5. Erörtere die Umwandlung von Indus-
Sources : divers anabacs. Réalisation : S. coté
triebrachen in hochwertigeren Wohn­-
M2 Der schematische Aufbau Londons raum (M6, M7).

M3 Die kreisförmige Stadtstruktur des Großraum Londons


Das Geschäftszentrum im Zentrum Londons, Central London, Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die periphere Ausbrei-
das man vor einem halben Jahrhundert noch mit der City und tung dieser Siedlungen durch die Schaffung eines Grüngürtels
dem West End in Verbindung bringen konnte, hat sich weit bewusst gestoppt. Diese räumliche Blockade verhinderte je-
in alle Richtungen ausgebreitet und schließt inzwischen die doch nicht die Ausdehnung der Metropolregion über den Grün-
Docklands und das East End mit ein. [...] gürtel hinaus in die mindestens 40 km entfernte outer metropo-
litan area. In diesem nun erschlossenen Gebiet grenzen neue
Übungen

Um sie herum beginnt der Kreisring der Victorian Suburbs, an


den sich die Vorstädte anschließen, die weitgehend aus Ein- Städte, geplante Expansionsstädte und private Wohnsiedlun-
familienhäusern bestehen. Sie wurden zwischen den beiden gen anein­ander.
Weltkriegen errichtet und besitzen eine gute Anbindung mit frei übersetzt aus C. Chaline, Les très Grandes Métropoles du monde,
öffentlichen Verkehrsmittel. Editions du Temps, 2000

136 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M4 Die Probleme Londons


In London ist ein starker Trend zur Spaltung von Arm und Reich
zu erkennen. So tritt im Osten (East-End) eine verstärkte Ghetto-
Bildung auf, dies lässt sich allerdings nicht auf alle Viertel im
East- End beziehen, dennoch ist dort der prozentuale Anteil der
einkommensschwächeren Bevölkerung höher. Ein Faktor, der
eher junge Menschen in das East-End zieht, ist, dass dort ein
wesentlich höheres Angebot an Freizeit- und Abendaktivitäten
angeboten wird. Im Gegensatz dazu leben auf der südlichen Seite
der Themse eher reiche Familien. Das spiegelt sich auch in der
Kriminalstatistik wieder.
Neben der sozialen Segregation findet man auch verstärkt ethni­ M5 London errichtete als erste Stadt weltweit einen
sche Segregation, vor allem unter den Karibern, Indern und Bang­ städ­
tischen Grüngürtel. Diese gewinnen in Zei­
ladeshi. Diese haben sich in einzelnen Stadtteilen zu kleinen Sub- ten­starker Urbanisierung eine neue Bedeutung.
kulturen zusammengeschlossen und das Stadtteilbild geprägt. Das gilt vor allem für London, wo das Fehlen von
Ein weiteres Problem in London ist das hohe Verkehrsaufkom- erschwinglichem Wohnraum eine hitzige Debatte
men und die damit zusammenhängenden hohen Emissionen. darüber ausgelöst hat, ob nicht einige der vorhan-
So hat die Londoner Regierung 2003 eine City Maut eingeführt, denen Grünzonen – die teilweise in sehr schlechtem
erweitert 2017 durch die Toxotitätsgebühr für umweltschädlichere Zustand sind – als Baufläche für neuen Wohnraum
und ältere Fahrzeuge. Die Gebühr trägt nicht nur dazu bei, den genutzt werden sollten, um zur Entspannung auf
hohen Verkehrsfluss auf den Straßen der Stadt zu reduzieren, dem Wohnungsmarkt beizutragen.
sondern minimiert auch die Luft- und Lärmbelastung im Zentrum https://www.urban-hub.com/de/urbanization/gruenguertel-sin-
Londons. Trotz der Befreiung zahlreicher Fahrzeuge von dieser nvoll-oder-geldverschwendung/ vom 11.12.2017
Maut ist dennoch der Wandel deutlich zu spüren, denn viele sind
auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen. Außerdem ist die Zahl
der Unfälle mit motorisierten Fahrzeugen um ca. 20% zurückge-
gangen. Trotz allem ist die Verkehrsbelastung immer noch enorm
hoch.
https://stadtentwicklung-london.weebly.com/heute.html
[abgerufen am 25.12.2021], gekürzt und modifiziert

© S. Coté

M7 Auch London nutzte die Olympischen Spiele 2012


als Katalysator für die Stadtentwicklung. Die ge-
samte olympische Infrastruktur wurde in Stratford
gebaut, einem seit dem Niedergang von Eisen-
bahn- und Schiffbau in den 1970er-Jahren immer
weiter abgehängten, multiethnischen Stadtge-
biet des East End mit den höchsten Armuts- und
Arbeitslosenquoten Großbritanniens.
© S. Coté
Den Zuschlag bekam die Stadt wegen seiner
M6 Die Canary Wharf im alten Hafengelände der Docklands. Pläne für eine Ressourcen schonende und nach­
Die Docklands bestehen aus einer Reihe ehemaliger Dock- haltige Infrastrukturentwicklung. Von Beginn an
und Schiffswerft-Komplexen entlang der Themse, und waren wurde der Rückbau oder die Umnutzung der
früher Teil des Hafens von London, einst der größte Hafen der Sportstätten mitgeplant. Ein ehemaliges Indus-
Welt. Nachdem aber nach 1960 immer mehr große Contai- triegebiet wurde entmüllt, zwei Millionen Tonnen
nerschiffe die Weltmeere eroberten, erlebten die Docklands Erde aufwändig gereinigt und Tausende von Bäu-
einen beispiellosen und schnellen Niedergang, denn Themse men gepflanzt.
und Docklands waren zu klein und zu eng für die neuen In Sichtweite von Canary Wharf, dem Wahrzei-
großen Frachtschiffe. Daher mussten die Docklands aufge- chen der Finanzwelt an der Themse, entstand auf
geben werden und das brachliegende Gelände wurde für 250 Hektar Industriebrache der größte moderne
exklusive Wohn- und Geschäftsgebäude genutzt. Nicht alle Park Europas, mit viel Grün, Hügeln, Spielplätzen
alten Lager­häuser und Werften wurden abgerissen, sondern und Wasserläufen, darin eingebettet die olym-
wurden in Appartementhäuser und Einkaufszentren umge­ pischen Stadien und das Athletendorf, diverse
wandelt. Die ehemaligen Docks werden als Yachthäfen oder neue Bahnverbindungen, Bahnhöfe, Brücken und
Wassersportzentren verwendet. Straßen. 23 Milliarden Euro kostete alles, fast
Die Umwandlung der Docklands hatte nicht nur positive 90 Prozent davon für bleibende Infrastruktur, vor
Aspekte. Der steile Anstieg der Preise während des Immo- allem zum Nutzen der 1,5 Millionen Menschen in
bilienbooms führte zu Spannungen zwischen den Neu­ den umliegenden Bezirken. In Europas größtes
ankömmlingen und der alteingesessenen Dockarbeiter- Einkaufscenter Westfield am neuen Verkehrs-
Bevölkerung, die sich immer mehr an den Rand gedrängt knotenpunkt Stratford wurden 2,3 Milliarden Euro
Übungen

fühlt. An vielen Orten ist ein scharfer Kontrast zu beobachten, Privatmittel investiert, was der Gegend 10.000
teure Luxus-Appartements stehen gleich neben herunterge- neue Jobs bescherte.
kommenen Sozialwohnungen. Mathias Kuhlmann, "Wie London von Olympischen Spielen
modifiziert und gekürzt aus https://de.wikipedia.org/wiki/ Docklands profitierte" in www.abendblatt.de vom 26.11.2015,
[abgerufen am 25.12.2021] gekürzt und ergänzt

Thema 3: Verstädterung der Welt 137


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12 Fallbeispiel Paris − Primatstadt Frankreichs


Politische Funktionen Wirtschaftliche Funktionen
Nationale Machtzentren Wirtschaftsaxe
Internationale Institutionen Wirtschaftszentrum
Ausstellungs- und
Kulturelle Funktionen Messezentrum
Wichtigste Museen, Denkmäler,
Bibliotheken
Veranstaltungsorte, Stadien...
Cité des sciences
Stade de France
La Défense
Montmartre
Grande halle de la Vilette
Palais des congrès
Triumphbogen
Oper © Yann Caradec / Wikimedia Commons
OECD Elysée
Börse

Nationalversammlung Centre Pompidou


M2 Eine Primatstadt ist eine Stadt, die durch ihre demogra-
phische und funktionale Dominanz eine herausragende Be-
Eiffelturm
UNESCO
Notre Dame deutung im nationalen Wirtschaftssystem besitzt. Es handelt
Matignon Oper sich demnach um solche Großstädte, die hinsichtlich Einwoh-
Roland
OIF Senat
Universität
Wirtschafts- nerzahl und Wirtschaftskraft die anderen Städte des jewei-
ministerium
Garros ligen Landes bei weitem übertreffen und zumeist auch die
Montparnasse National- Hauptstädte des jeweiligen Landes sind.
bibliothek
Parc des Princes
Parc des expositions
Frankreich ist 2021 siebtstärkste Wirtschaftsmacht welt­weit,
ein großer Teil des BIP wird dabei in Paris generiert. Fast alle
wichtigen nationalen und viele internationale Unternehmen
M1 Schema der Stadt Paris Réalisation : S. Coté haben ihren Sitz in der Hauptstadtregion. Paris gilt wegen
seines ausgezeichneten Verkehrs- und Telekommunikations­
netzes, gut ausgebildeten Humankapitals, der Lebensquali-
tät und des Prestiges als attrak­tiver Wirtschaftsstandort. Der
Aufgaben
Dienstleistungssektor dominiert das wirtschaftliche Gefüge
1. Definiere Primatstadt (M2). der Stadt, wichtige Branchen sind u.a. das Finanzwesen,
der Telekommunikationsbereich, der Handel und das Ver-
2. Nenne die Standortvorteile von Paris (M1, M2). lagswesen. Paris nimmt zudem europaweit eine Spitzenstel-
3. Erläutere mithilfe von M3 die Auswirkungen lung als Wissenschaftsstandort ein und ist heute eine der
der Stadtplanung hinsichtlich der Trennung wichtigsten Handelsmetropolen in Europa. Ein Grund ist der
von Wohnen und Arbeiten. große Absatzmarkt und so haben viele Unternehmen der
Konsum­güterindustrie ihren Standort in Paris. Bekannt ist die
4. Erkläre die Bedeutung der Péripherique für Stadt auch für die Produktion von Luxusgütern (Mode und
die Stadtplanung und die soziale Segregation Schmuck). Angesichts der geballten Wirtschaftsleistung der
(M4 - M7). Metropolregion Paris verwundert es nicht, dass die Île-de-
France zu den wohlhabendsten Regionen Frankreichs gehört.
5. Beschreibe die neue Stadtentwicklung (M7)
https://www.lexas.de/staedte/primatstaedte.aspx ;
und vergleiche sie mit M3. https://www.klett.de/alias/1005267 [abgerufen am 27.12.2021]

M3 Stadtentwicklung in Paris
Paris erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs ohne größere Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind steigender Wohnraum-
Zerstörungen. Der wirtschaftliche Wiederaufbau in der Nach­ bedarf pro Einwohner, eine Internationalisierung der Wohnort­
kriegszeit barg nun die Möglichkeit, die Wünsche nach Ent- wahl, Städtekonkurrenz auch innerhalb Frankreichs durch
flechtung von Arbeiten und Wohnen sowie einer autogerech- zunehmende Dezentralisierung, moderne Infrastruktur und
ten Moderne im großen Maßstab umzusetzen. Zudem begann hohe Wohnkosten neue Faktoren bei der Suche nach Raum.
Paris durch Zuwanderung auch aus den ehemaligen Kolonien Explodierende Miet- und Wohneigentumspreise bestimmen
stark zu wachsen, so dass die Suche nach Raum erneut Priori- diese Suche mehr und mehr – soziale Segregation oder Ver-
tät der Stadtplanung wurde. drängung durch Gentrifizierung sind die direkte Folge dieser
Mitte der 1960er Jahre wurde ein Stadtumbauprogramm be­ Entwicklung. Das Verschieben ärmerer Bevölkerungsschichten
schlossen. Zum einen wurden innerstädtische Problemviertel in sozial schwache Stadtteile oder direkt in die Vororte (Ban-
saniert und zum anderen begann der Bau vieler eigenständiger lieues) prägen heute große Teile des Stadtselbstverständ-
Satellitenstädte ("villes nouvelles") im Umfeld von Paris. Die nisses. Die Ausbildung von Ghettos ist gerade in Paris durch
Verlagerung von Gewerbe und Industrie aus der Innenstadt in eine Fehlentwicklung der sozialen Durchmischung ein großes
die umliegenden Gemeinden zog die Abwanderung der Bevöl- Problem. Im Gegenzug wächst die Bedeutung der Stadt als
kerung nach sich. Die gleichzeitige Fertigstellung der fünf Villes Wirtschafts- und Kulturraum stärker ins Bewusstsein der
Übungen

Nouvelles Anfang der 90er Jahre (Cergy-Pontoise, Saint-Quen- Bewohner. Denn trotz aller Dezentralisierungstendenzen ist
tin-en-Yvelines, Evry, Melun-Sénart und Marne-la-Vallée) um Paris nach wie vor das politische, wirtschaftliche und kulturelle
Paris beschleunigte die Bevölkerungsverlagerung. Die Verluste Zentrum Frankreichs.
des sekundären Sektors in der Innenstadt wurden durch die Gerd Kaiser "Paris und die ewige Suche nach Raum: Herausforderungen einer
Ausbreitung des tertiären Sektors wieder aufgefangen. besonderen Hauptstadt" auf www.bpb.de vom 21.01.2013, gekürzt und ergänzt

138 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M4 Der Boulevard Périphérique, die Pariser Ring­straße


(in schwarz, in orange die umliegenden Autobah-
nen): 35 km lang, acht bis zehn Spuren breit, täg­
lich benutzt von über einer Million Fahr­zeugen. Und
tägliche Staus.
Gebaut auf dem historischen Mauerring aus dem 19.
Jahrhundert, der einst die Stadt Paris vor Eroberun-
gen schützen sollte. Aber: Keine andere Hauptstadt
hat sich derart eingekesselt wie Paris − New York
oder London konnten ins Umland wuchern, in Paris
teilt die Péripherique die Stadt "innen" von der Stadt
"außen".

M6 Regelmäßig kommt es in französischen Vorstädten zu


Gewalttaten und Zusammenstößen mit der Polizei. Fast
© Nicolas Oran täglich werden Jugendliche in den Pariser Banlieus Op-
M5 Für viele ist Paris die Hauptstadt des Luxus, doch die fer von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
­ ealität sieht ganz anders aus, sobald man den Boulevard
R rivalisierenden Jugendgangs − manche davon enden
Périphérique überquert. Die Vor­städte spiegeln die sozia- tödlich. Armut, Arbeitslosigkeit, niedriger Bildungs-
len Ungleichheiten wieder − die in keiner französischen abschluss und Per­spektivlosigkeit erhöhen die Gewalt­
Stadt so extrem sind wie in der Pariser Agglomeration. delikte und Kriminalität in den Vorstädten.

M7 Ökologische und soziale Stadtentwicklung


Die französische Hauptstadt war lange bekannt für ihre schmut- „Paris hatte bis in die 1970er nie einen Bürgermeister, es war
zige Luft und elitäre Stadtplanung. Nun will Bürgermeisterin im Besitz des Élysée-Palasts, keine Stadt für die Menschen“,
Anne Hidalgo ökologische Entwicklung mit sozialen Projekten sagt der Jurist Olivier Renaudie. Ansonsten sei es bei der
verbinden. [...] Stadtplanung – wie im Rest der Welt – vor allem um die Vor-
Unter ihrer Führung erlebt die französische Hauptstadt eine grü- macht des Autos gegangen. Seit den 60er-Jahren drückt die
ne Wiedergeburt: Im Kampf gegen Hitzeinseln lässt sie derzeit Ringstraße Boulevard périphérique der Stadt die Luft ab und
um den Eiffelturm, vor dem Rathaus und auf den Champs-Ély- trennt das Paris der orange beleuchteten Sandsteinbauten von
sées Parks und Wälder anlegen. Im Juli hat sie ein Tempoli- den teilweise von Armut und Kriminalität geprägten Banlieues.
mit von 30 Kilometern pro Stunde für ganz Paris durchgesetzt. Der Stadtkern kapselte sich von den Vororten ab, ist eine Insel
Parallel dazu wird ein Großteil der Innenstadt verkehrsberuhigt. innerhalb der Île-de-France selbst geworden.
Wohin das Auge sieht, pesen Menschen auf den grünen und Auf einem Symposium präsentiert man nun das Projekt einer
himmelblauen Leih-Fahrrädern der Stadt durch die Straßen. geeinten Metropole: auch die Vorstadtviertel sollen durch Parks
Eine Jahreskarte kostet nur 29 Euro. und kulturelle Angebote lebenswerter werden. 100.000 Bäume
Auch das Ufer der Seine, einst eine halbe Autobahn, wird nach sollen allein um die Périphérique gepflanzt werden. „Bis 2030
und nach zur Flanierpromenade mit Stränden und Sportan- werden außerdem 60 neue U-Bahnstationen fertiggestellt sein,
lagen umgebaut. An der Brücke Pont Marie spielt ein Frauen- die die Vorstadt mit der Innenstadt verbinden“, erklärt Marine
Trio fröhlichen Jazz vor dem Péniche Marcounet, einem Binckli von Grand Paris Express, das den Bau der neuen Linien
Restaurant auf einem Lastkahn, vor dem die Gäste auf von seit 2015 umsetzt. Das Metronetz wird nach der Erweiterung
Dünengras gesäumten Euro-Paletten einen Aperó zu sich neh- das größte Europas sein, noch vor London und Moskau. Ziel
men. Die Straße davor hat sich durch Kreide in ein Kunstwerk ist es, anstatt einer zentrierten Stadt eine Kiezkultur zu eta-
verwandelt: zwei in die Unendlichkeit gestreckte Arme reichen blieren, ähnlich wie in Berlin. Hidalgo ist Verfechterin der so-
sich die Hände. genannten 15-Minuten-Stadt, in der man alles, was man zum
Leben braucht, innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß, auf dem
All das in einer Stadt, die noch 2015 auf der Liste der Orte mit
Rad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann.
Übungen

der weltweit schlimmsten Luftverschmutzung kurzzeitig vor


Dafür sollen Dutzende „ökologische Viertel“ gebaut werden, um
Neu-Delhi den ersten Platz belegte und den Ruf genießt, fast
bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. [...]
keine Grünflächen zu besitzen. Hidalgo will die Stadt den Autos
entreißen und den Parisern zurückzugeben. Aber wirklich allen Morgan Llanque "Wie sich Paris neu erfindet" in www.enorm-magazin.de
vom 06.09.2021, gekürzt
Parisern?

Thema 3: Verstädterung der Welt 139


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3.3 Herausforderungen
der Urbanisierung
und Chancen
1 Bodenversiegelung
M1 Stoppt den Flächenfraß!
Nicht nur Verkehrswege bauen wir in großem Stil, sondern
auch Gewerbegebiete oder Häuser. Durchschnittlich 52 Hektar
werden in Deutschland derzeit pro Tag versiegelt, sprich zuge-
baut (das entspricht einer Größe von fast 90 Fußballfeldern).
Laut Bundesregierung sollten es höchstens 30 Hektar sein. Die
EU strebt eine Netto-Null-Versiegelung bis 2050 an.
Die Erde gehört schließlich auch kommenden Generationen.
Und die wollen sicher nicht nur Beton und Asphalt, sondern auch
Wälder, Wiesen und Äcker erben. Bereits heute ist Deutschland
der weltweit drittgrößte Nettoimporteur von Lebensmitteln, auch
weil wir zu wenig selber anbauen. Doch trotz Importabhängig-
keit von Agrarprodukten, dem dichtesten Straßennetz Europas
und einer schrumpfenden Bevölkerung, schreitet die Versiege-
lung der Landschaft voran. © Christophe Licoppe, European Commission / Wikimedia Commons

Marius Hasenheit " Zubetonierte Landschaft: Stoppt den Flächenfraß!"


in www.deutschlandfunkkultur.de vom 19.07.2021
M2 Überschwemnmung im belgischen Pepinster im Som-
mer 2021. Zunehmende Bebauung und die damit
verbunde­ ne Bodenversiegelung erhöhen das Risiko
für Hochwasser, denn das Wasser versickert nicht
Aufgaben
mehr gleichmäßig im Boden. Die Wassermassen
1. Erkläre den Begriff Flächenfraß (M1). werden in die Kanalisationen geleitet, die bei starkem
Regen überlaufen können. Allerdings sind auch die
2. Beschreibe mithilfe von M1 bis M4 die ökologischen Begradigung von Flüssen und die starke Besiedelung
Auswirkungen der Bodenversiegelung. ursprünglicher Überflutungsgebiete weitere Ursachen
3. Erläutere die in M3 genannten Ursachen und Folgen für Überschwemmungen.
der Re-Urbanisierung. Je mehr Flächen wir versiegeln, desto mehr frucht-
barer Boden geht verloren, denn zubetonierte oder
4. Überlege die Ursachen für Städte als "Wärmeinseln", asphaltierte Flächen können weder Nährstoffe noch
warum sie also wärmer als ihre ländliche Umgebung Regen aufnehmen. Und weil weniger Wasser in den
sind. M4 hilft dir dabei. Boden gelangt, gibt es zudem weniger Grundwasser
– dadurch werden Trinkwassermangel und Dürreschä-
den begünstigt.
M3 Die Re-Urbanisation zerstört Stadt und Land "Darum sollten wir unsere Böden nicht zubetonieren"
unter www.quarks.de vom 21.02.2020, modifiziert
Der Traum von der "Stadt auf dem Land" hat sich in einen Alb-
traum verwandelt. Indem die "Rurbaner" die Vorteile des einen
und des anderen kombinieren wollen, zerstören sie beide.
Das Wort "Rurbanisierung", ein neuerer Neologismus, bezeich-
net die "Rückkehr" der Stadtbewohner in Gebiete, die als
ländlich bezeichnet werden. Es definiert heute eine Lebens-
weise, deren Folgen weitreichend sind. In ihrem Bestreben, sich
der "Natur" anzunähern, zerstören die Stadtbewohner diese.
Die Landschaften werden durch Bänder von freistehenden Vil-
len verschandelt, Biotope werden fragmentiert und der Druck
auf die landwirtschaftlichen Flächen in weiten Bereichen um die
städtischen Zentren herum wird intensiviert. Die Versiegelung
von Böden erhöht zudem die Gefahr von Überschwemmungen.
Aber die Städter zerstören auch die Stadt, die dem täglichen
Hin- und Herfahren der Pendler ausgesetzt ist. Sie benutzen
das Auto, weil sie abseits der öffentlichen Verkehrsnetze woh-
nen und "keine andere Wahl" haben. Dies führt zu Umweltver-
schmutzung, Lärm, Staus usw. Schließlich kostet die Zersie-
delung auch den öffentlichen Diensten viel Geld: Kanalisation,
Gas, Strom, Telefon, Briefträger, Instandhaltung der Straßen.
© Evi Rothenbühler
Was erklärt dieses Phänomen und sein Fortbestehen trotz der
negativen Auswirkungen auf die Umwelt? Sobald die Wohnkos-
M4 Eine Wohnsiedlung irgendwo in Deutschland: kaum
Vege­ tation, statt dessen Schottergärten und groß-
Übungen

ten in der Stadt zu hoch sind, wie es insbesondere in Brüssel flächige Bodenversiegelung − und damit verstärkte
der Fall ist, ist das Wohnen [...] abseits der Zentren manchmal Boden­ aufheizung. Verdunstungskühle entsteht gar
die einzige finanziell erschwingliche Lösung für bescheidene nicht mehr, denn alles Wasser fließt sofort ab und
und mittlere Haushalte. offene Bodenflächen gibt es in den Vorgärten kaum
Frei übersetzt aus François SCHREUER, www.lalibre.be, 2008, gekürzt noch.

140 Thema 3: Verstädterung der Welt


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2 Verkehr und Luftverschmutzung


M1 Der Kampf gegen die Luftverschmutzung
Die Hauptquelle der Umweltverschmutzung in städtischen Bal-
lungsräumen ist der Autoverkehr: Hier muss also angesetzt
werden. [...]
Immer mehr Städte in Europa versuchen, eine beruhigte Fahr­
weise in Ballungsräumen wiederherzustellen, indem sie die
zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h her-
absetzen. "Diese Maßnahme hat einen positiven Effekt auf die
Luftqualität, wenn sie den Verkehrsfluss nicht behindert", stellt
Gilles Aymos fest.
Fast 200 europäische Städte in einem Dutzend Länder haben
strengere Vorschriften erlassen und Zonen eingerichtet, in de-
nen die Fahrzeuge mit dem höchsten Schadstoffausstoß nicht M2 Stau auf der Fahrradspur in Kopenhagen © S. Coté
fahren dürfen, die sogenannten "Low Emission Zones" (LEZ),
so z.B. Brüssel, Stockholm, London, Oslo, Mailand, Dublin, etc.
Mehrere europäische Städte sind noch einen Schritt weiter
gegangen und haben eine City-Maut ein geführt, um ihre
Innenstädte zu entlasten und die Umweltverschmutzung zu
bekämpfen. Indem sie die Zufahrt zum Stadtzentrum gebüh-
renpflichtig macht, reduziert die City-Maut den Autoverkehr um
15% bis 20%.
Laetitia Van Eeckhout, Le Monde, März 2014, frei übersetzt

Aufgaben
1. Beschreibe die in den Materialien genannten Mög­-
lich­keiten, die Luftverschmutzung und Staus in den © Orf3us / Wikimedia Commons

Städten zu reduzieren M3 Cykelslangen ("Fahrradschlange"), eine ausdrücklich


für den Radverkehr gebaute Brücke nahe dem Bahn-
2. Nenne die positiven Auswirkungen des Fahrradfah­ hof Dybbølsbro in Kopenhagen. Die Stadt hat nicht
rens auf die Menschen in der Stadt (anstelle des umsonst den Titel der fahrradfreundlichsten Stadt −
Autos). wird der Entwicklung des Radverkehrs doch Priorität
vor dem Autoverkehr eingeräumt.
Auch das System der Leihfahrräder stammt von hier.
Initiativen zur Begrenzung der Umweltver­ Die Bycyklen griffen ein Konzept auf, das in den
M4 1970er Jahren aufkam. Im Jahr 1988 gründeten zwei
schmutzung in Entwicklungsländern
Ingenieure einen Service, bei dem jeder Nutzer ein
Auf der ganzen Welt haben Städte Strategien zur Bekämpfung Fahrrad für seine Fahrt ausleihen konnte und sein
der Luftverschmutzung eingeführt. Ein Artikel des Guardian freies Fahrrad, sobald es benutzt wurde, einem ande-
listet die interessantesten Initiativen auf: ren Nutzer überließ. Dieser Service diente dazu, den
• In Indien hat Neu-Delhi, bis vor kurzem noch die Hauptstadt in Dänemark sehr häufigen Fahrraddiebstahl einzu-
mit der höchsten Luftverschmutzung der Welt, neue Diesel­ dämmen. Denn laut Polizei wurde ein Teil der gestoh-
autos verboten, Tausende von Taxis abgeschafft und einen lenen Fahrräder für eine einfache Fahrt genutzt, ohne
alternierenden Autoverkehr organisiert. Bangalore im Sü- sie weiterzuverkaufen. 1995 wurde die Idee in die
den des Landes rüstet seine 6.000 Busse auf Erdgasbetrieb Tat umgesetzt. Dank dieser Initiative und der hohen
um und Maßnahmen haben den Straßenverkehr innerhalb Besteuer­ung von Kraftfahrzeugen werden heutzutage
weniger Jahre um 20% gesenkt. über 50% der Fahrten in der Stadt mit dem Fahrrad
• In Curitiba in Brasilien wurde das größte öffentliche Ver­ zurückgelegt.
kehrs­netz der Welt eingerichtet, das auch das billigste ist:
Fast 70% der 2 Millionen Einwohner nutzen es für den Weg
zur Arbeit. M5 Umweltfreundlicheres Fahrverhalten
• In Brasiliens größter Stadt, São Paulo, erschien der Bau Gemäß dem globalen Lkw- und Bushersteller Scania be­
von Schienennetzen für den Personennahverkehr zu zeit- wir­ken Fahrerschulungen und Assistenzsysteme Kraftstoff­
und kostenaufwändig. Daher hat sich das städtische Nah­ einsparungen in einer Größenordnung, die man allein
verkehrsamt für ein Schnellbussystem entschieden. Den durch Motorentwicklung in mehreren Jahren nicht erreichen
17.000 Bussen der Stadt stehen eigene Fahrspuren zur könnte. Johansson, Leiterin für öffentliche Angelegenhei-
Verfügung, damit sie nicht durch Verkehrsstaus behindert ten und Umweltfragen, meint zu diesem Konzept: „Coole
werden. neue Technik kommt beim Gesetzgeber und auf dem Markt
• Abu Dhabi wird ein neues Stadtzentrum erhalten. Das immer gut an, obwohl die Einsparungen unter Umständen
Übungen

Emirat hat den Bau eines 130 km langen U-Bahn-Netzes gering sind – vielleicht ein Prozent Kraftstoff weniger pro
geplant, das durch Bus- und Straßenbahnlinien ergänzt Jahr“, erklärt sie. „Fahrerschulungen können dagegen den
werden soll. Kraftstoffverbrauch um bis zu 15 Prozent senken.“
Courrier international nach einem Artikel im Guardian, 2016, https://evolution.skf.com/de/megastadte-in-bewegung/
frei übersetzt und ergänzt [abgerufen am 29.12.2021]

Thema 3: Verstädterung der Welt 141


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3 Soziale Ungleichheiten in den Städten

© Lalo de Almeida / contrasto-REA


© Ram199816 / Wikimedia Commons

M1 Dwarka District, ein Stadtteil von Neu-Delhi, der Haupt­ M2 Extreme Gegensätze der Wohn­si­tua­tion in São Paulo,
stadt Indiens. Die Auswirkungen der ungezügelten Ur- die zu so­zia­len Spannungen führen. Die pri­vilegierte
banisierung sind in Indiens Haupt­stadt unausweichlich. Bevölkerung hat sich in luxuriöse, eingezäunte und
Smog bedeckt Wahrzeichen wie das India Gate im Win- über­wachte Wohnviertel (gated community) zurückge-
ter und verzögert Flüge am Flughafen aufgrund schlech- zogen.
ter Sicht. Verkehrsstaus gehören zum Alltag, und Slums
grenzen an Neu-­Delhis Luxushotels und Privatvillen −
und zeugen von einem wachsenden Wohlstandsgefälle
und chronischem Wohnungsmangel.
Und jeden Tag wird das Problem größer. Nach Angaben
des Marktforschungsunternehmens Demographia leben Aufgaben
in und um Delhi mehr als 27 Millionen Menschen, und
1. Beschreibe das Foto M2.
jedes Jahr kommen etwa 700.000 weitere hinzu. Die
Ver­einten Nationen prognostizieren, dass die Bevölke- 2. Stelle das Problem der Segregation in Ent­wick­
rung bis 2028 die von Tokio übertreffen und Delhi zur lungsländer dar (M1, M2).
größten Megastadt der Welt werden könnte.
Doch das ungebremste Wachstum von Neu-Delhi macht 3. Erkläre mithilfe von M3 die Ursache der Segrega-
es schwer, mitzuhalten. Seit 2005 wurden im Rahmen tion in den Städten der USA.
der beiden wichtigsten Wohnungsbauprogramme der 4. Benenne die Ursachen des Segregation in der EU
Regierung für die Armen rund 43.000 neue Wohnun- (M4) sowie Lösungsansätze (M5).
gen in Delhi gebaut. Gleichzeitig ist die Bevölkerung der
Hauptstadt nach Angaben von Demographia um bis zu 5. Erläutere die Probleme und deren Ursachen
10 Millionen Menschen gestiegen, was größtenteils auf einiger Randgebiete der französischen Groß­
-
den Zuzug armer Landbewohner zurückzuführen ist. Die städte (M1, M2).
Bemühungen der Regierung, die Wohnungsprobleme zu
lösen, wurden durch Schwierigkeiten beim Landerwerb,
6. Vergleiche die soziale Segregation in Städten aus
bei der Umsiedlung, bei der Infrastruktur und bei Umwelt- Entwicklungsländern mit denen aus Industrie-
fragen erschwert. ländern.
Jill Ward "Will Future Megacities Be a Marvel or a Mess? Look at New 7. Beurteile das Problem der Segregation in deiner
Delhi" in https://www.bloombergquint.com vom 05.11.2018,
frei übersetzt und gekürzt
Stadt.

M3 Gentrifizierung in Stadtteilen von New York


"Menschen ziehen aus, andere ersetzen sie, und die Mieten ständige Bauarbeiten, Druck von Vermietern, die sie ausziehen
steigen immer mehr", erklärt eine Rentnerin in New York. In den lassen wollen, um die Mieten zu erhöhen, das Gefühl der Iso-
letzten hundert Jahren hat Crown Heights viele verschiedene lation angesichts des von den Neuankömmlingen eingeführ-
Gemeinschaften beherbergt: chassidische Juden, Afroamerika- ten Stimmungs- und Kulturwandels, Verarmung aufgrund der
ner und Einwanderer von den Antillen. Anfang der 2000er Jahre steigenden Wohnkosten und Lebenshaltungskosten. Ange-
begann eine privilegierte weiße Bevölkerung aus Manhattan sichts der steigenden Mieten und des fehlenden Schutzes für
herzuziehen, angezogen von den Brownstones, den schönen Mieter besteht die Gefahr, dass Menschen in Schwierigkeiten
alten Häusern im viktorianischen Stil, dem Zugang zu kulturel- aus der Stadt vertrieben werden. Die südlichen und westlichen
Übungen

len Einrichtungen, der Nähe zur U-Bahn und ihren Grünflächen. Stadtteile − die ärmsten − haben zwischen 2010 und 2015
Die anschließenden Investitionen hatten zwar positive Aspekte, 50.000 Einwohner verloren.
wie z.B. die Eröffnung neuer Cafés und Restaurants, Anpflan- Erin Schumaker, "Die Gentrifizierung von Stadtvierteln in den USA -
zung von Bäumen, etc. Aber für die ursprünglichen Bewohner eine düstere Diagnose", The Huffington Post, 2018, frei übersetzt und gekürzt
kann die Gentrifizierung viele Schwierigkeiten mit sich bringen:

142 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M4 Segregation in Städten der EU


In den europäischen Städten ist eine zunehmende
sozial­räumliche ­Segregation festzustellen.
Wohnen: In den meisten EU-Mitgliedstaaten steigen
die Wohnungspreise schneller als das Einkommen.
COVID-19 hat diesen Trend auf dem Wohnungsmarkt
zusätzlich verschärft. Immer mehr Bürger der EU sind
daher gezwungen, anteilig immer mehr vom Gehalt für
das Wohnen auszugeben. Gleichzeitig steigt der Anteil
der von Armut bedrohten Menschen. Einige Großstädte
haben jahrzehntelang viel zu wenig in sozialen Woh-
nungsbau investiert.
2008 hatte die Wirtschaftskrise in vielen europäischen
Städten auch direkte Auswirkungen auf den Wohnungs-
sektor. In Spanien beispielsweise führte die Immobilien-
blase zu Tausenden von Zwangsräumungen, weil die © NWerner

Haushalte ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konn- M5 Im Brüsseler Stadtteil Woluwé-St-Lambert ist sozialer
ten. Wohnungsbau inmitten der Wohngebiete der Mittelschicht
zu finden, um Segregation zu verhindern.
Migration: Migranten sind eine der am stärksten von
Ausgrenzung bedrohten Gruppen in den Städten, was
auch mit ihrer Segregation zusammenhängt. Während
die Segregation durch die Entscheidung von Migran-
ten, sich in der Nähe von Netzwerken von Freunden, M6 Das Problem französischer Banlieus
Verwandten und Mitgliedern derselben ethnischen Während der monatelangen Proteste der Gelbwesten konzen-
Gruppe niederzulassen, vorangetrieben werden kann, trierte sich die öffentliche Debatte auf die Kluft zwischen Stadt
können sie aufgrund eines Mangels an Arbeitsplätzen, und Land und die Ressourcen, die von der Pariser Region
erschwinglichem Wohnraum oder durch offizielle Zuwei- Île-de-France verschlungen werden. Eine neue Studie zeigt
sung gezwungen sein, in stärker benachteiligten Gebie- jedoch, dass die wohlhabendste Region des Landes auch die
ten zu leben. Die Ausweitung der Migration innerhalb am stärksten ungleiche ist.
der EU und aus Drittländern hat die städtische Vielfalt
In der Pariser Großregion Île-de-France leben fast 19 Prozent
erhöht und häufig auch zu einer starken Segregation
der französischen Bevölkerung und sie erwirtschaftet 30 Pro-
bestimmter Migrantengruppen geführt, die in den am
zent des BIP des Landes. Der am Montag vom Institut für
stärksten benachteiligten Stadtvierteln leben.
­Planung und Urbanistik (IAU) veröffentlichte Bericht "Gentrifi-
In der EU ist die Vielfalt ein zentraler Wert. Europäische
zierung und wachsende Armut im Herzen der Île-de-France"
Städte jeder Größe sehen sich daher mit der Notwen-
zeigt jedoch, dass die Ungleichheit seit Anfang der 2000er
digkeit konfrontiert, die positiven Aspekte der Vielfalt mit
­Jahre erheblich zugenommen hat.
den negativen Folgen, die Segregation für die Integra-
tion von Migranten mit sich bringen kann, in Einklang "Im Zusammenhang mit der Gelbwesten-Bewegung wurde
zu bringen. viel darüber gesprochen, dass Armut ein Problem des ländli-
chen Raums sei, als ob es in den Städten immer besser sei",
Daher fördert die EU mehrere spezifische Initiativen, um
sagte die Autorin des Berichts, Mariette Sagot, gegenüber
den Trend zu wachsenden Ungleichheiten in den euro-
FRANCE 24. "Aber das ist nicht wahr. Es gibt arme Vorstädte
päischen Städten umzukehren. Drei der Partnerschaf-
und ländliche Gebiete, aber tiefe Armut bleibt ein städtisches
ten in der Städteagenda für die EU befassen sich mit
Phänomen."
städtischer Armut, Wohnungsbau und der Integration
von Migranten und Flüchtlingen. Ihre Untersuchung von Haushaltseinkommensdaten aus den
Jahren 2001 bis 2015 zeichnet ein erschreckendes Bild der sich
https://urban.jrc.ec.europa.eu/thefutureofcities/social-segregation#
the-chapter, [abgerufen am 26.02.2022] frei übersetzt, modifiziert vertiefenden Ungleichheit und verfestigten Segregation in der
größten Metropole des Landes.
Claire Mufson " Rich and poor increasingly segregated in Paris region"
auf www.france24.com vom 03.06.2019, frei übersetzt, gekürzt

M7 Der Stadtteil Fauconnière in Gonesse im Norden


von Paris ist typisch für die erkennbare Segrega-
tion: soziale Hochhauskomplexe mit Wohnungen
der Unterschicht einerseits, und die Reihenhäuser
der Mittelschicht andererseits.
Seit drei Jahrzehnten stellen die benachteiligten­
Randgebiete der französischen Großstädte eine
zentrale Herausforderung der französischen Innen­-
politik dar. In den Banlieues prägen Arbeits­losig-
keit, städtische Verwahrlosung und Gewalt den
Alltag. Die Banlieues sind zu einem Auffang-
becken für die sogenannte Problembevölkerung
Übungen

geworden. Sozial­ räumliche Ausgrenzung, infra­


strukturelle Mängel und politische Vernachlässi-
gung bilden seither eine explosive Mischung, die
sich regelmäßig in chronischen Unruhen und kol-
lektiver Gewalt entlädt. © David.Monniaux / Wikimedia Commons

Thema 3: Verstädterung der Welt 143


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4 Sauberes Trink- und Abwasser


M1 Die Wassersituation in den Industrieländern
Kanadische Forscher haben den Verbrauch von Energie und
Wasser sowie die Müllproduktion in 27 Städteregionen mit
mehr als zehn Millionen Einwohnern miteinander verglichen
(Studie aus dem Jahr 2015). Dabei ist New York in allen drei
Bereichen Spitzenreiter, obwohl die US-Metropole keineswegs
die meisten Einwohner hat. Laut offiziellen Angaben benötigt
NY City rund 400 Milliarden Liter Frischwasser − pro Tag!
Mit fast doppelt so vielen Einwohnern wie die Metropolregion
New York verbrauchen die Bewohner der japanischen Haupt­
stadt Tokyo knapp die Hälfte an Wasser. Eine positive Was-
serbilanz kann auch die südkoreanische Hauptstadt Seoul
vorweisen. Das liegt unter anderem daran, dass so genannte
Grauwassersysteme dort weit verbreitet sind: Trinkwasser, das
M2 Für die Menschen aus den informellen Siedlungen
beim Duschen und Baden anfällt, wird anschließend als Spül­ rund um Bhals­wa, der größten Mülldeponie Delhis
wasser für die Toiletten genutzt. (Indien), ist der Kauf von abgepacktem Trink­wasser
In Europa ist besonders der Süden klimatisch bedingt ganz­ oder die Ver­sorgung mit schmutzigem, nicht trink­
jährig von Wasserknappheit betroffen, aber auch das übrige barem Wasser für den täglichen Bedarf eine harte
Europa als Folge der starken Verstädterung in Verbindung mit Realität. In diesem Ge­biet gibt es drei Wasserquel-
hohen Entnahmen aus dem Energie-, Industrie- und Agrarsek- len: Handpumpen, Wasser aus öffentlichen Wasser­
tor. Höhere Belastungen als der regionale Durchschnitt sind hähnen und Wassertankwagen. Aber das Wasser ist
im Großraum Kopenhagen, London und Stockholm sowie in überall so schlecht, dass diejenigen, die es sich leis-
den Flusseinzugsgebieten von Loire, Maas, Oder und Weser ten können, abgepacktes Wasser kaufen.
zu finden. Zunehmende Trockenheit aufgrund des Klimawan- Durch den fehlenden Zugang zu sauberem Trink­
dels führt jedoch auch in Europa dazu, dass mit der Ressource wasser ist die Slum­­bevölkerung einem hohen Risi­
Wasser absolut sparsam umgegangen werden muss. In Ber- ko von durch Wasser übertra­genen Krank­heiten wie
lin bei­spielsweise kann Wasser von Dachablauf, Hofablauf und Durchfall, Ruhr, Cholera, Gelbsucht und Typhus
Straßenablauf gesammelt und überall dort genutzt werden, wo aus­gesetzt. In Verbindung mit schlechten sanitären
nicht zwingend Trinkwasser benötigt wird. Einrichtungen, mangelnder Hygiene und Unterernäh-
https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/indicators/use-of-freshwater-re- rung ist diese Bevölkerungsgruppe auch wesentlich
sources-3/assessment-4; https://www1.nyc.gov/site/dep/water/drinking-water. anfälliger für Erkrankungen.
page; https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/umwelt/27-megastaedte-
verglichen-new-york-abstand-an-spitze/ [abgerufen am 30.06.2022], frei über- https://www.youthkiawaaz.com/2017/04/bhalswa-landfill-contami-
setzt, ergänzt aus www.scinexx.de nated-water/ [abgerufen am 29.12.2021], frei übersetzt

M3 Der Wasserstress südamerikanischer Megastädte


Die Wasserprobleme einiger südamerikanischer Megastädte der Erde, aber die Hälfte befindet sich im Amazonasgebiet, in
zeigen, dass die urbane Wasserkrise ein schwieriges Problem dem nur 4 Prozent der Bevölkerung leben, und die Abholzung
ist, für das es keine einfache Lösung gibt. des Amazonasgebiets − einer riesigen Wasserpumpe − verrin-
gert die Niederschläge in Sao Paulo. Das Wassereinzugsge-
Lima: Die peruanische Hauptstadt ist nach Kairo die zweit­
biet der Stadt wird ebenfalls abgeholzt, ökologisch geschädigt
größte "Wüstenstadt" der Welt, in der es im Durchschnitt nur
und mit großen Mengen an Industrieabwässern verseucht. Die
9 mm pro Jahr regnet. In dem Küstengebiet, in dem sie liegt,
Süßwasserinfrastruktur der Stadt ist für die Bewältigung dieser
leben 62,5 Prozent der Bevölkerung, aber es gibt nur 1,8 Pro-
vielfältigen Stressfaktoren schlecht gerüstet. Andere brasilia-
zent des Süßwassers. Es hängt weitgehend von drei Flüssen
nische Städte, darunter Rio de Janeiro und Belo Horizonte, ste-
ab, die von den rasch schrumpfenden tropischen Gletschern
hen vor ähnlichen Problemen.
der Anden gespeist werden, die seit den 1970er Jahren um 40
Prozent zurückgegangen sind. Da die Gletscher schwinden, Santiago de Chile: Santiago verfügt zwar derzeit über eine
wird erwartet, dass der Wasserstress für die mehr als 10 Millio- ausreichende Wassermenge und Infrastruktur für die Spei-
nen Einwohner der peruanischen Hauptstadt bis 2025 "kritisch" cherung, Aufbereitung und Verteilung, doch die unterirdischen
wird. Randbezirke sind bereits jetzt stark betroffen: Aquifere sind schneller erschöpft, als sie wieder aufgefüllt wer-
den können, und der Klimawandel hat zu einem zerstörerischen
Sao Paulo: Die südamerikanischen Metropolen Sao Paulo und
Zyklus von Überschwemmungen und Dürren geführt. Es wird
Rio de Janeiro sind wahre Wasserverschwender. Nicht dass die
erwartet, dass die Wasserverfügbarkeit der Stadt in diesem
Bewohner extrem viel verbrauchen. Das Leitungsnetz ist viel-
Jahr­hundert um bis zu 40 Prozent zurückgehen wird, während
mehr in einem katastrophalen Zu­stand. Rund 50 Prozent des
die städtische Bevölkerung weiter wächst. Die Aufsichtsbehör-
Trinkwasser gehen durch Lecks verloren − Orte, die wirklich
den haben nur wenig Einfluss auf die Wasserversorgung, was
knapp an Wasser sind und es dennoch versickern lassen.
durch die extreme Zersplitterung der Verwaltung und schlecht
2014 führte die schlimmste Dürre seit 250 Jahren dazu, dass
geleitete Reformbemühungen noch verstärkt wird. Hohe Preise
Sao Paulo, die zweitgrößte Stadt Lateinamerikas, weniger als
und mangelhafte Dienstleistungen des privatisierten Wasser-
Übungen

zwei Wochen davon entfernt war, überhaupt kein Wasser mehr


versorgers der Stadt waren eine der Hauptforderungen der
zu haben, da die Reserven nur noch 3 Prozent der Kapazität
Demon­stranten im Jahr 2019.
ausmachten. Die Notrationierung führte zu Protesten, und 2018
wäre es fast wieder dazu gekommen. Robert Albro "South American Megacities, Water Scarcity and the Climate Crisis"
Brasilien verfügt über mehr Süßwasser als jedes andere Land auf aulablog.net vom 09.02­.2021, frei übersetzt; ergänzt

144 Thema 3: Verstädterung der Welt


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M4 Wasserkrise − Mexiko-Stadt liegt auf dem Trockenen


Die Vereinten Nationen erkennen das Recht auf sicheres und Ein Mangel an sanitärer Abwasserbehandlung in der ganzen
sauberes Trinkwasser und Abwasserentsorgung als ein Men- Stadt behindert die Wassergewinnung und stellt eine große
schenrecht an, das für den vollen Genuss des Lebens und aller Herausforderung dar, das vorhandene Wasser für die Nutzung
Menschenrechte unerlässlich ist. Die schwache Infrastruktur sauber zu halten. Außerdem sind die Leitungen in Mexiko-Stadt
und der Klimawandel stellen jedoch die Fähigkeit von Mexiko- alt und undicht. Nach Angaben der Universität von Pittsburgh
Stadt in Frage, den Einwohnern sauberes und angemessenes verliert Mexiko-Stadt 1.000 Liter Wasser pro Sekunde aufgrund
Wasser zur Verfügung zu stellen. Das Wasser in Mexiko-Stadt eines veralteten Wassersystems, das durch die fallende Stadt
verschwindet im wahrsten Sinne des Wortes. [...] erdrückt wird und von Tausenden kleiner Lecks durchsetzt ist.
Die alten Azteken legten den Vorgänger von Mexiko-Stadt ur­ Schließlich gibt es zwar eine Regenwassersammlung, aber
sprünglich auf dem Texcoco-See an und ließen die umliegen- kein stadtweites System. Wenn es regnet, vermischt sich das
den natürlichen Süßwasserseen zur Nutzung unberührt. Als die Wasser oft mit dem Abwasser und kann nicht genutzt werden.
Stadt jedoch wuchs, wurden die Seen trockengelegt, um Platz Hinzu kommt, dass das Wasser der Regenstürme nicht in die
für Infrastruktur, Häuser und eine wachsende Bevölker­ ung mit Beton bedeckte Stadt eindringen und die Grundwasserlei-
zu schaffen. Mit der Expansion entstand ein immer größeres ter wieder auffüllen kann. In einer Studie aus dem Jahr 2021
­Dilemma bei der Wassersicherheit. Ein großer Teil der Wasser- wird behauptet, dass es keine Hoffnung auf eine signifikante
versorgung der Stadt stammt aus einem unterirdischen Grund- Erhöhung und Wiederherstellung der Speicherkapazität gibt.
wasserleiter, der in einem unersetzlichen Tempo trockengelegt Ein Großteil des von den Stadtbewohnern benötigten Wassers
wird. Mit der Erschöpfung des Grundwasserspeichers sinkt muss aus Tausende von Kilometern entfernten Stauseen in die
Mexiko-Stadt rapide ab, und zwar um zehn Zentimeter pro Jahr. Stadt gepumpt werden. [...]
Trotz heftiger Überschwemmungen und Regenfälle herrscht in Die globale Erwärmung könnte die Wasserkrise in Mexiko-
der Stadt Wasserknappheit. Tatsächlich haben mehr als 20 Mil- Stadt durch geringere Niederschläge, Algenblüten in warmen
lionen Einwohner fast die Hälfte des Jahres nicht genug Was- Stauseen und eine erhöhte Wassernachfrage infolge der Erd­
ser zum Trinken. Nach Angaben der BBC hat jeder Fünfte nur erwärmung verschärfen. [...] Mexiko hat das dringende Pro-
wenige Stunden pro Woche Zugang zu fließendem Wasser aus blem der Wasserversorgung in seiner größten Stadt erkannt.
dem Wasserhahn, und 20% haben nur einen Teil des Tages Mexiko-Stadt hat das Projekt "Grüner Plan" initiiert, das bis
fließendes Wasser. Sich auf sauberes Wasser zu verlassen, 2022 läuft und unter anderem die Reduzierung von Grundwas-
ist für viele alles andere als zuverlässig. Aktuelle Prognosen serverlusten und die Instandsetzung der Wasserinfrastruktur
gehen davon aus, dass die weltweite Nachfrage nach Süßwas- zum Ziel hat.
ser das Angebot bis 2030 um 40% über­steigen wird. [...] Hayley McCord "A Sinking, Thirsty City: The Water Crisis in Mexico City" in
www.latinamericareports.com vom 11.11.2021, gekürzt, frei übersetzt

© esf-cat.org

M5 Proteste gegen die Privatisierung der städtischen Wasser-


versorgung in San Salvador, Argentinien, im März 2018.
Erst seit 2010 ist das Recht auf Wasser ein offizielles UNO- © Daniel Gross / theworld.org
Menschenrecht. Jedoch ist Wasser auch eine knappe Res-
M6 Mitten in der Wüste in einer abgelegenen Ecke des
source, die jeder Mensch braucht und mit dem Konzerne südlichen Afrikas wird seit fast 50 Jahren Abwasser
und reiche Privatleute beste Geschäfte machen können. recycelt. In der Kläranlage von Goreangab landet
Durch die Privatisierung der Wasserversorgung fließt Geld der Großteil der Abwässer der 300.000 Einwohner
in die kommunalen und staatlichen Kassen − mit dem Windhoeks, der Haupt­ stadt Namibias. Es handelt
Ergebnis, dass bei fast allen Wasserprivatisierungen die sich um eine hochmoderne Technologie, die jedoch
begünstigten Konzerne die Preise drastisch in die Höhe auf den einfachsten aller Lebe­wesen basiert: Bak-
und gleichzeitig die Instandhaltungsmaßnahmen zurückge­ terien. Der Wiederverwertungsprozess beginnt mit
schraubt haben. Oft sinkt dabei auch die Wasserqualität. einem herkömmlichen Klärsystem. Doch an dem
Punkt, an dem das aufbereitete Abwasser normaler­
weise in ein Gewässer eingeleitet würde, durchläuft
es in der Goreangab-Anlage zusätzliche Schritte,
Aufgaben
die es auf Trinkwasserniveau reinigen. "Alles ge­
1. Vergleiche die Situation in Industrieländern (M1) mit schieht biologisch durch die Organismen", erklärt
denen in Entwicklungsländern (M3). Justina Haihambo, eine Verfahrensingenieurin der
Anlage. "Die Bakterien helfen bei der Verdauung der
2. Nenne die Folgen von mangelndem oder unsaube- mensch­lichen Abfälle und ziehen sie aus dem Was-
Übungen

rem Trink- und Abwasser für die Bevölkerung (M2). ser, was im Wesentlichen dem entspricht, was in der
3. Erarbeite mithilfe der Materialien M3 - M6 Ursachen Natur passiert, nur viel schneller."
und Lösungsansätze des Wasserproblems von Groß­- Daniel A. Gross " Recycling sewage into drinking water is no big
deal. They've been doing it in Namibia for 50 years." in
städten in Entwicklungsländern. theworld.org vom 15.12.2016, frei übersetzt, gekürzt und ergänzt

Thema 3: Verstädterung der Welt 145


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5 Das Problem der Entsorgung


Verbesserung der Abfallwirtschaft in Ent­wick­
M2
lungs­ländern
Für die Einwohner von Rosario in Argentinien ist eine Stadt
mit einem guten Abfallmanagement nicht nur eine saubere
Stadt. Der eingeschlagene Weg hat zu mehr wirtschaftlicher
Aktivität geführt und gleichzeitig die Umwelt geschont. [...]
Noch vor einer Generation verfügten viele Städte auf der gan­
zen Welt nicht über ein umfassendes Programm für die Müll­
entsorgung. Denn die Entsorgung von Müll ist teuer: In vielen
Entwicklungsländern macht sie zwischen 20 und 50 Prozent
des Budgets einer Stadt aus. Die Menschen entsorgen daher
ihren Müll in der Regel auf wilden, offenen Deponien. [...]
Die informelle Wirtschaft spielt in den meisten Entwicklungs-
© www.stillseekingsanity.com ländern eine wichtige Rolle, wo zwischen 15 und 20 Prozent
des anfallenden Abfalls von Einzelpersonen oder Kleinst­
M1 In Slums wie Kibera in Nairobi gibt es keinerlei Müll­ unternehmen, die nicht offiziell registriert oder anerkannt
entsorgung. Nicht nur, dass der Abfall unheimlich
­stinkt, er zieht auch Ratten und andere Tiere an und sind, gesammelt, sortiert, recycelt und verwertet werden. [...]
ist ein Ort hoher Keimbelastung. In Liberia ist die Hauptstadt Monrovia eine offene Müllkippe.
Der Müll überschwemmt Straßen, Kanäle und Wasserläufe.
Die Weltbank begann 2010 mit der Finanzierung einer
kontrollierten Mülldeponie und zweier Müllumladezentren.
In Aserbaidschan finanziert sie Programme zur Rückgewin-
nung von recycelbaren Produkten und zur Reduzierung der
Verwendung von Rohstoffen. In Curitiba kann die Bevölke-
rung Müll gegen Lebensmittel, Bustickets oder Schulbücher
eintauschen.«Weniger Verschwendung, mehr Einsparungen:
Abfallwirtschaft im Zentrum der nachhaltigen Entwicklung»,
Weltbank et al, 2016 , übersetzt und gekürzt

© www.jamiiforums.com

M3 Mehr als 100.000 Menschen wohnen im Nairobis Aufgaben


Slum Mukuru, nur rund ein Drittel hat einen Zugang
zu Toiletten. 2021 ermög­ lichte die Firma Sanergy 1. Benenne Ursachen und Lösungen des Hygiene-
Zehn­tausenden Zugang zu sauberen Sanitäranla­gen, Prob­lems in Entwicklungsländern (M1, M3).
schaffte lokale Jobs und entsorgte Fäkalien und Bioab- 2. Beschreibe die Auswirkungen der illegalen Müll­-
falle restlos. 4.000 transportierbare Toiletten wurden in entsorgung auf die Umwelt (M2, M4, M5).
Slums aufgestellt, um menschliche Hinterlassenschaf-
ten zu sammeln. Die Fäkalien werden ge­schreddert 3. Nenne Lösungsansätze für die Städte.
und dann mit anderen organischen Abfällen an die
Larven der schwarzen Soldatenfliege verfüttert. Was
die Larven übrig lassen ist organischer Dünger für die
Landwirtschaft und kann darüber hinaus zu Briketts
gepresst und als Energiequelle genutzt werden. Die M5 Müllentsorgung und der Klimawandel
Larven selber werden als Tierfutter genutzt.
Plastiktüten, Milchkartons, Verpackungsfolie, Autoschrott:
Welt­weit belasten die wachsenden Mengen an Abfällen
Asien 79,9% zunehmend Umwelt und Menschen, aber auch das Klima.
Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern verur-
Afrika 8,2% sacht unsortiert deponierter und nicht recycelter Müll jährlich
Flüsse mit dem höchsten Anteil:
riesige Mengen an Treihausgasen, da die mit der Depo­
Südamerika 5,5%
nierung von Abfällen verbundenen Methanemissionen
Nord- und
4,5% Haupt­ver­ursacher der Treibhausgas-Belastungen sind.
Zentralamerika
6,4% 1,3% 1,3% 1,3% 1,2% Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern, so das
Europa 2,0%
Ergebnis, fehle es noch an geordnetem Recycling. In Ägyp-
Australien
0,1%
Pasig Tullahan Ulhas Klang Meycauayan
ten und Indien landen Abfälle, egal welcher Art, größtenteils
und Pazifik
Basis: Modellrechnung für 1.656 Flüsse weltweit,
auf unge­ ordneten Deponien, wo weder das Sickerwasser
die 80% des Gesamtzuflusses in die Weltmeere ausmachen
Quelle: The Ocean cleanup. Realisierung: S. Coté
noch das entweichende Gas aufgefangen werden. Gesam-
melt, sortiert und verwertet werden sie dort maximal durch
M4 Müllentsorgung über Flüsse: Geschätzter Anteil der
Übungen

welt­
weit über Flüsse in die Ozeane transportier- private Personen und Orga­ ni­
sationen, die den Müll unter
ten Kunst­stoffe nach Kontinenten. Basis der Unter- schwierigen Bedingungen und Gesundheitsrisiken trennen
suchung ist eine Modellrechnung für 1.656 Flüsse und Wertstoffe heraussuchen, und von deren Verkauf leben.
weltweit, die zusammengerechnet 80% des Gesamt­ Nicole Sagener "Studie: Müll in Entwicklungsländern erzeugt enorme
Mengen Treibhausgas" auf www.euactiv.de vom 26.06­.2015
zuflusses in die Weltmeere ausmachen.

146 Thema 3: Verstädterung der Welt


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6 Grüner Städtebau
M1 Die grünen Dächer von Tokio M2 Dachgärten in Tokio
Städte sind Wärmeinseln: tagsüber speichern zubetonier­
te Flächen die Hitze, nachts strahlen Straßen und Ge­bäu­
de sie ab. Zusätzlich trägt der viele Verkehr zu Erwärmung
und Luftverschmutzung bei. Deshalb ist es in Städten
deutlich wärmer als auf dem Land.
Tokio, eine der größten Agglomerationen der Welt, hat
da­her 2001 die Grüne-Dächer-Politik eingeführt: bei je­
dem neuen Gebäude müssen seitdem die Dächer begrünt
werden (vgl. M2).
Die begrünten Dächer reduzieren nicht nur die sommer­
liche Hitze in der Stadt, was den Einsatz von Klima­
anlagen verringert, sie reinigen auch die Luft und min-
dern Verkehrslärm. Vegetation auf den Dächern fördert
die Biodiversität von Insekten und Vögeln in den Städten.
Und Dachgärten bieten den Bewohnern ein städtisches
Nah­erholungsgebiet im hektischen Alltag.

M4 Fassadenbegrünung in Paris

M3 Urban Farming auf den Dächern New Yorks. Im


damals ärmlichen und heruntergekommen Stadtteil © hero-1

Lower East Side wurde 1973 die Idee des Urban


gardening geboren − in dem Sinne, dass öffentliche
Flächen der gesamten Bevölkerung gehören und
diese zu ihrem Zwecke genutzt werden kann.

M5 In Singapur gibt es zehn städtische Busse, die auf


dem Dach begrünt sind © imago images/VCG

M6 Das Wohnprojekt Qiyi Garden City (Waldstadt) in Cheng­


du, Hauptstadt der chinesi­schen Provinz Sichuan, hat
Aufgaben insgesamt 826 Wohnungen. Zwanzig verschiedene
Pflanzenarten sind auf den Balkonen zum Einsatz ge-
Übungen

1. Benenne Vor- und Nachteile des grünen Städte- kommen. Sie sollen dabei helfen, das Smog-Problem
baus. in der 16-Millionen-Einwohner-Metropole in den Griff zu
2. Plant als Klasse die Begrünung eurer Schule bzw. bekommen. Leider sind bisher nur wenige Wohnungen
bezogen, da die viele Vegetation allerhand Insekten und
eurer Gemeinde im Sinne des grünen Städtebaus.
andere Kleintiere anlockt.

Thema 3: Verstädterung der Welt 147


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7 Ökostädte − Nachhaltiger Städtebau


M2 Was bedeutet nachhaltiges Bauen? Gesellschaft
Als "nachhaltig" wird allgemein eine Entwicklung verstanden, die Bedürf­ den städtischen Raum neu
nisse kommender Generationen nicht zu gefährden. Bezüglich des Bauens überdenken,
den Bedarf an Wohnraum und
sollen mit der Nachhaltigkeit alle Phasen im Lebenszyklus von Gebäuden Beschäftigung decken,
betrachtet werden, angefangen von der Bauplanung über die Herstellung Öko-Wertschöpfungsketten entwickeln
bis hin zur Erhaltung, Instandhaltung und Rekonstruktion und schließlich Sozialer Lebens-
dem Rückbau bzw. Abbruch eines Gebäudes. Dies bedeutet konkret: Zusammen- qualität
halt
• Verringerung des Energiebedarfs Nachhaltige
• Einsparung von Baustoffen und Bauteilen einschließlich deren Transport Wirtschaft Entwicklung die biologische

• zunehmender Verwendung von recycelten und wieder verwert­baren weniger Energie


Vielfalt bewahren
und integrieren
Baustoffen und Bauprodukten verbrauchen, Grünflächen
Gerechtig- schaffen
• Verwendung umweltverträglicher Materialien saubere Energien
nutzen, keit
• flächensparendes Bauen und weitgehende Schonung von Naturräumen Wohlstand schaffen ökologisches
https://www.bauprofessor.de/nachhaltiges-bauen/ [abgerufen am 29.02.2022] Bauen
verwirklichen

M2 Die drei Bereiche der Nachhaltigkeit in


der Stadtent­wicklung

© Andreas Froese / eco-tecnologia.com

M3 Echte Ziegelsteine sind nicht nur sehr energieaufwändig in der Her­


stellung, sondern zudem für viele Menschen in der dritten Welt uner-
schwinglich. Häuser aus Plastikflaschen stehen denen aus Ziegel in
ihren Dämmeigenschaften und ihrer Stabilität in nichts nach. Dafür
kosten sie aber nur einen Bruchteil dessen was ein richtiges Haus
aus Stein kostet, denn das Baumaterial – die PET-Flaschen – sind
inzwischen überall auf der Welt im Überfluss vorhanden.
© Tom Chance / Wikimedia Commons
Die PET-Häuser sind denkbar einfach aufgebaut. Sie bestehen über­
wiegend aus Plastikflaschen, die mit Sand und Erde gefüllt werden. M4 Das BedZED-Ökoquartier in Beddington, im
Dazu kommt ein Mörtelgemisch, das die Konstruktion zusammenhält. Süden von London, ist ein Versuch, die wich-
Als Putz für die Flaschenhäuser dient einfacher Lehm. Ist ein solches tigsten Prinzipien der nachhaltigen Entwick-
Haus bezugsfertig, bietet es Bewohnern optimalen Schutz vor Wind, lung umzu­ setzen: Energie- und Wasser­
Wetter und Feuer, und hält sogar stärkeren Erdbeben Stand. einsparung, Solarenergiegewinnung, keine
Autos, soziale Durchmischung, Verwendung
lokaler und recycelter bzw. recycelbarer Ma-
terialien, Verdichtung des lokalen Raums.
Aufgaben Leider reicht die Erzeugung von Solarenergie
nicht aus, um den Strombedarf zu decken.
1. Beschreibe in einem kurzen Aufsatz, wie eine nachhaltige
Die Gewinnung von Wärmeenergie nach rein
Stadt aussieht. Nutze dazu M1 und M2. ökologischen Gesichtspunkten scheiterte
2. Bewerte das PET-Haus (M3) im Sinne der Nachhaltigkeit (M1). aufgrund verschiedener Ursachen. Die Was-
seraufbereitungsanlage "Living Machine"
3. Verdeutliche mithilfe der Materialien M4 und M6 bis M8 die war nicht in der Lage, das von den Bewoh-
Ziele, Merkmale und Schwierigkeiten bzw. Grenzen der drei nern benutzte Wasser ausreichend zu
vorgestellten Projekte. reinigen. Auch die Kosten für die Anlage
4. Recherchiere zu einem nachhaltigen Stadtteil aus M5 oder machten sie unrentabel. Außerdem kosten
die Wohnungen 30% mehr als andere.
einem anderen deiner Wahl (in deiner Stadt?) und stelle
Aufgrund seiner marginalen Lage erfordert
diesen kurz in der Klasse vor. das Projekt die ständige Nutzung von Autos
durch die Bewohner, die sie in den umlie-
genden Straßen abstellen, da es im Öko-
Les Vergers in Meyrin (Schweiz) Bahnstadt in Heidelberg (Deutschland) viertel selbst keine Parkplätze gibt.
Eikenøtt in Gland (Schweiz) Scharnhauser Park in Ostfildern
Übungen

Die Ergebnisse zeigen, dass der durch-


Clichy-Batignolle in Paris (Frankreich) (Deutschland) schnittliche ökologische Fußabdruck eines
Lyon-Confluence in Lyon (Frankreich) Französisches Viertel in Tübingen BedZED-Bewohners 4,67 globale Hektar
Les Docks in Saint-Ouen (Frankreich) (Deutschland) (2,6 Planeten) beträgt. Ziel war lediglich ein
M5 Weitere nachhaltige Stadtteile in Europa Planet.

148 Thema 3: Verstädterung der Welt


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© S. Coté

M6 Auf einem ehemaligen Kasernengelände der französischen ten, Jugendeinrichtungen, einer bürgerlichen Begegnungs­
Streitkräfte entstand in südwestdeutschen Freiburg das stätte, Marktplatz sowie Freizeit- und Spielflächen ent­
innenstadtnahe Quartier „Vauban“. Ein attraktiver, familien- stan­den. Begrünte Flachdächer speichern einen Teil des
freundlicher Stadtteil für zwischenzeitlich 5.500 Einwohner, Regenwassers, das gesammelt und zurückgehalten wird.
in dem Bürgerengagement, Bauen in der Gemeinschaft und Das Wohngebiet ist verkehrsberuhigt. Ein großer Teil der
umweltbewusstes Leben groß geschrieben werden. Niedrig­ Haushalte ist autofrei, private Fahrzeuge werden in einer der
energiebauweise ist verpflichtend und der Einsatz von Solar- beiden Quartiersgaragen abgestellt. Seit 2006 ist das Wohn-
technik sind für die meisten Standard. gebiet durch die Stadtbahn erschlossen. Viele Menschen
Der alte Baumbestand wurde weitestgehend erhalten. Grün- verzichten daher auf das Auto und nutzen öffentliche Ver-
flächen zwischen den Häuserreihen sorgen für gutes Klima kehrsmittel sowie das Fahrrad.
und bieten Spielflächen für Kinder. Parallel mit der privaten https://www.freiburg.de/pb/,Lde/208736.html [abgerufen am 29.12.2021]
Erschließung ist die Infrastruktur mit einer Schule, Kindergär-

M8 Zukunftsstadt Masdar City?


Es gibt viel freies Feld rings um das Gebäudeensemble, das
nun schon seit Jahren Masdar City ausmacht, die bei Baubeginn
2006 mit so viel Vorschusslorbeeren bedachte „Ökostadt“. Dort
sollten sich von der solaren Stromerzeugung bis hin zum voll-
ständigen Recycling-Kreislauf so ziemlich alle Techniken im All-
tag beweisen und bewähren, die mit dem unscharfen Begriff der
„Nachhaltigkeit“ bedacht werden. Auf ein Viertel des Gewöhnli-
chen sollte der Energiebedarf pro Kopf der für den Endausbau
angepeilten 50.000 Einwohner gesenkt werden, und die CO2-
Bilanz sollte sich, aufs Ganze gerechnet, gleich ganz auf die
neutrale Null reduzieren. Um sich in der Stadt fortzubewegen,
© masdarcity.ae
wird ausschließlich mit Elektro-Autos gefahren.
M7 Masdar City, ein Ort, südlich von dem am Persischen Aber: statt der einst geplanten Schnellbahn, zu deren Haltestel-
Golf gelegenen Emirat Abu Dhabi, soll die erste Stadt len kein Gebäude mehr als 200 Meter Fußweg entfernt sein
der Welt werden, die sich ausschließlich mit erneuer- sollte, nutzen die Beschäftigten der in Masdar angesiedelten
baren Energien versorgt. Als Energiequelle wird die Technologiefirmen ebenso wie die wenigen Bewohner in ihren
Sonne genutzt und soll die Energieversorgung für komfortablen Appartements nun doch das Auto, um nach Abu-
die angedachten 50.000 Menschen über Solarpanele Dhabi-Stadt zu pendeln, deren Geschäfts- und Einkaufsgegen-
auf allen Dächern und ein großes Solarkraftwerk am den gute dreißig Kilometer entfernt in Richtung des offenen
Rande der Stadt sicherstellen. Die Fortbewegung Meeres liegen. Auf den Parkplätzen von Masdar City, auf denen
soll ausschließlich elektrisch funktionieren, neben längst Häuser stehen sollten, reihen sich die voluminösen All­
Elektroautos werden zudem vollautomatische Fahrer­ radler aneinander, die im Emirat zur Grundausstattung eines
kabinen, sogenannte "Pod-Cars", eingesetzt. jeden Haushalts zählen. Die Leihfahrräder, die so dekorativ vor
Die Ökostadt ist mit engen Gassen angelegt, die wie der „Siemens“-Zentrale stehen, finden augenscheinlich noch
ein Windtunnel wirken sollen. Außerdem sorgt ein keine Nutzer.
Windturm dafür, dass der Wind oben eingesaugt wird So ist die Entwicklung von Masdar-Stadt nicht so vorange­
und mithilfe eines Trichters als kühler Luftzug unten schritten, wie es anfangs geplant war. Die Finanzkrise der Jahre
ankommt. nach 2008 zog die Vereinigten Arabischen Emirate und damit
Zudem werden die Gebäude mit einer dicken Isolier- auch Abu Dhabi stark in Mitleidenschaft. Die auf einen zwei­
schicht gegen die Hitze geschützt. Und es wurde die stelligen Milliardenbetrag veranschlagten Investitionen kamen
An­zahl an Fensterflächen, die mehr Wärme durchlas- zum Erliegen. Das Schmuck­stück des „Personal Rapid Transit“,
sen, deutlich verringert. So bleibt es immer schön eines Systems automatisierter Kabinen, die sich führerlos mit
kühl in den Gebäuden, ohne dass Klimaanlagen im individueller Zieleingabe in dem „Verkehrsdeck“ genannten Un-
vergleichbar großen Maße Strom verbrauchen.
Übungen

tergeschoss unter dem gesamten Städtchen bewegen sollten,


https://eyeslovetosee.de/masdar vom 22.01.2016 fährt lediglich zu Demonstrationszwecken im Kreis, mit Ein- und
Ausstieg unter dem Informationszentrum.
Bernhard Schulz "Auf der Sonnenseite der Moderne" in tagesspiegel.de vom
05.12.2017, gekürzt und modifiziert

Thema 3: Verstädterung der Welt 149


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8 Smart Cities − die Lösung für die Mega-Urbanisierung?


M1 Was ist eine "intelligente Stadt"? M2
Smart Cities stehen für Umsetzung digitaler Technolo-
gien im urbanen Raum. Dabei steht die umfassende Ver-
netzung von Verwaltung, Versorgern, Haushalten, Unter-
nehmen und kommunalen Einrichtungen im Vordergrund.
Gleichzeitig muss das System dafür Sorge tragen, dass
Wohnraum, Arbeitsplätze und Verkehrswege in der Lage
sind, die Lebensbedingungen der Bewohner effizient zu
gestalten (vgl. M2).
Eine Voraussetzung für die Umsetzung ist die Optimierung
einer technischen Infrastruktur, damit diese die Kapazität
besitzt, die mit der Steuerung der Smart Cities einher-
gehenden Datenströme zu bewältigen. Dies geschieht
durch automatisierte und mithilfe der künstlichen Intelli-
genz (KI) gesteuerte Prozesse.
https://xpert.digital/smart-cities-die-loesung-fuer-die-mega-urbanisierung/
[abgerufen am 29.12.2021]

@shutterstock | monicaodo

M4 Vorreiter Barcelona
Die Stadt am Mittelmeer gehört schon lange zu den Vorrei-
© Sikander Iqbal / Wikimedia Commons tern der Smart-City-Bewegung. Sie ist Teil einer Elitegruppe
M3 Eine der besten Smart Cities in Südkorea ist Anyang, für intelligente Stadtplanung, die auch Städte wie Singapur,
eine Stadt mit 600.000 Einwohnern in der Nähe der Wien, San Francisco und Kopenhagen umfasst.
südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Diese Stadt ent­ Barcelona integriert heute intelligente Sensoren sowie Big-
wickelt ihr Smart-City-Projekt seit 2003. Data-Analysen in verschiedenste Aspekte, von der Park-
Das Integrierte Betriebs- und Kontrollzentrum von platzbewirtschaftung und dem Verkehrsmanagement über
Anyang dient derzeit als Plattform für die Sammlung, die Müllabfuhr bis hin zur Verwaltung der Luftqualität und
Analyse und Verteilung von Informationen über Mobi­ Bewässerung von Grünanlagen.
lität, Katastrophenmanagement und Kriminalität.
Indessen werden auf der Straße ganz selbstverständlich
Die Stadt hat ein intelligentes Verkehrssystem einge-
andere Lösungen umgesetzt. Das beliebte Konzept des
richtet, das Verkehrsmanagement- und Verkehrsinfor-
Superblocks (vgl. M5 und M6) soll nun auf die ganze Stadt
mationsdienste bereitstellt. Sensoren senden Echtzeit-
ausgeweitet werden. Durch eine Beschränkung des Autover-
Verkehrsinformationen an das Kontrollzentrum, das
kehrs in einzelnen Superblocks werden Abgase und Lärm
diese Informationen nutzt, um die Öffentlichkeit über
reduziert. Gleichzeitig entsteht Platz für Kinder, Fußgänger
das Internet und mobile Anwendungen zu informieren.
und kleine Unternehmen.
Die Smart-City-Plattform von Anyang überwacht auch
den Verkehr in Echtzeit, und bei Verkehrsunfällen wer- Doch trotz Abnahme des Autoverkehrs wächst die Mobilität.
den Polizei und Feuerwehr benachrichtigt, um auf das Die U-Bahn-Linie 9 zum Beispiel hat intelligente Aufzüge
Problem zu reagieren, Folgeunfälle zu verhindern und erhalten, die zur Erfüllung des Bedarfs von Pendlern echt-
Verkehrsstaus zu minimieren. zeitbasierte Daten verwenden.
So wurden die Bewegungen der Aufzüge zum Vorteil der
Fahrgäste optimiert: Kurz vor Einfahrt einer U-Bahn fahren
sie nun automatisch auf die Bahnsteigebene. Dadurch wird
Aufgabe die Mobilität der Fahrgäste erhöht, Gedränge reduziert und
Diskutiert Vor- und Nachteile der Smart Cities. der Energieverbrauch verringert.
https://www.urban-hub.com/de/cities/barcelona-macht-
seine-smart-city-noch-smarter-2/ [abgerufen am 29.12.2021]

M5 M6
Übungen

150 Thema 3: Verstädterung der Welt


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METHODE
GIS - Geographische Informationssysteme

M1 Was ist GIS?


Ein Geographisches Informationssystem oder ein Geoinfor-
mationssystem (GIS) verknüpft eine Grundkarte mit weiteren
Lage- und Sachinformationen. Somit werden verschiedene
Kartenebenen − sogenannte "layer" − aufein­ander gelegt und
eine neue Karte entsteht (vgl. M2). Das alles übernimmt ein
Computerprogramm. Das nützliche an einem GIS ist, dass
man interaktiv verschiedene Kartenebenen auswählen kannt.
Hinterlegte Informationen können abgerufen und später auch
verändert werden.
Geographische Informationssysteme sind wie der Atlas ein
Werkzeug, um geographische Fragestellungen zu beantwor-
ten. Anders als bei einem Atlas können aber die zu Grunde
liegenden Daten ständig aktualisiert werden. Dadurch er-
geben sich Auswertungsmöglichkeiten, die ein Atlas nicht
bieten kann. Eine Vielzahl von thematische Karten können
nach entsprechenden Fragestellungen aufgebaut werden.
Die komplexen Abfragemöglichkeiten in einem WebGIS
helfen, zeit- und materialaufwendige Recherchen in Atlanten,
Schulbüchern, Internet oder Fachliteratur abzukürzen. Die
Visualisierung in Karten stellt zu den üblichen Darstellungs-
formen eine Alternative dar und lässt aufgrund der geogra- © www.viktoriyadesigns.com/gis/
phischen Visualisierung leichter mögliche Zusammenhänge M2 Verschiedene Lageinformationen werden zu einem
erkennen. GIS zusammengefügt

Mit einem Web-GIS arbeiten


1. Schritt: Vorbereitung 3. Schritt: Abfrage durchführen
• Lege das Ziel deiner GIS-Abfrage fest. Welches • Wähle entsprechend deiner Zielsetzung geeignete
Thema beziehungsweise welchen Raum möchtest du Indikatoren sowie Kartenebenen aus und führe die
untersuchen? Abfrage durch.
• Wähle aus den vielfältigen Angeboten im Internet ein • Dokumentiere deine Ergebnisse durch Abspeichern
geeignetes GIS-Programm aus. Prüfe, ob das Pro- oder Ausdrucken der erstellten thematischen Karten.
gramm die benötigten Daten und Kartengrundlagen
zur Verfügung stellen kann. 4. Schritt: Ergebnisse bewerten und präsen-
tieren
2. Schritt: Orientierung
• Überprüfe, ob die dargestellten thematischen Karten
• Mache dich mit den Funktionen des Web-GIS ver- deiner Zielsetzung entsprechen.
traut. Nutze dazu möglichst die angebotenen Anlei- • Stelle Vor- und Nachteile der Darstellung im Web-GIS
tungen oder Hilfefunktionen. In vielen Fällen sind die gegenüber anderen Medien (z.B. Atlaskarten, Kar-
Symbole der Werkzeugleiste oder die Inhaltsauswahl tenskizzen, Diagramme, Tabellen) heraus.
auch selbsterklärend.
• Überlege, in welcher Form du deine Ergebnisse
• Informiere dich insbesondere darüber, wie sich präsentieren möchtest (z.B. Plakat, Computerpräsen-
Kartenebenen (Layer) an- bzw. ausschalten lassen, tation).
wie Indikatoren (Inhalte) ausgewählt werden können,
Abfragen durchgeführt und die thematischen Karten
angezeigt werden können.
© https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/Methode_Web_GIS_1.pdf

Anschauungsbeispiele u.a. unter:


https://webgis.sachsen.schule/
Übungen

https://webgis-schule.de/
https://diercke.westermann.de/diercke-webgis

Thema 3: Verstädterung der Welt 151


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Thema 3
n-
Zusamme
fassung

Verstädterung
der Welt
Zusammenfassung

© Alex Mitchell- / Pixabay

152 Thema 3: Verstädterung der Welt


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3.1 Der Prozess der Verstädterung


In der Mitte des Jahres 2021 lebten geschätzt 4,5
Mrd Menschen in Städten. Das sind immer­ hin
57% der Weltbevölkerung. 2030 sollen es dann
60% aller Erdbewohner sein. Gegenwärtig gibt es
etwa 34 Megastädte mit mehr als 10 Mio Einwoh-
nern. Die meisten von ihnen liegen in Asien (21),
Lateinamerika (6) und in Afrika (3). Die größte
Stadt ist gegenwärtig der Ballungsraum Tokio,
in dem ca. 37 Mio Menschen leben. Es folgen
Delhi (31 Mio) und Shanghai (28 Mio). Laut den PPC, L. Pin
Vereinten Nationen soll die Zahl der Megastädte
1 Die Stadt Sydney ist im Osten Australiens an der Mündung
bis 2030 auf 43 anwachsen. Es wird erwartet, dass eines Flusses entstanden. Dieser bot die Möglichkeit eines
Delhi mit knapp 39 Mio Einwohnern dann die natürlichen Hafens sowie den Bau einer Brücke, die den Nor-
bevölkerungsreichste Stadt der Welt ist. den mit dem Süden verbindet.
Verstädterung meint allgemein das Wachstum
der Städte hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl und
ihrer flächenhaften Ausdehnung, aber auch das
Wachstum des Anteils der städtischen Bevölke-
rung an der Gesamtbevölkerung eines Landes.
Unter Urbanisierung versteht man die Ausbrei-
tung städtischer Bauformen, Berufe und Ver­
haltensweisen in vorher ländlichen Gebieten.
Der Verstädterungsgrad nimmt weltweit zu, vor
allem in den Entwicklungsländern in Afrika und
Asien. Er beschreibt den Anteil der Stadtbevölke-
rung an der Gesamtbevölkerung eines Staates.
Ursachen sind dabei die Industrialisierung und
berufliche Gründe in den Industrieländern sowie
eine verstärkten Land-Stadt-Migration (Land- 2 Ein Stadtviertel in Mexiko-Stadt, in dem viele Bewohner aus
flucht) in den Entwicklungsländern. Die Hoff­ ehemals ländlichen Gebieten leben.
nung auf Arbeit und ein besseres Leben treibt in
den gering entwickelten Ländern die Menschen
vom Land in die Stadt. In den hoch entwickelten
Ländern wächst die Stadtbevölkerung dabei relativ
langsam und dies vor allem durch Zuzug aus ande-
ren städtischen Regionen.
Es werden verschiedene Siedlungstypen unter-
schieden. Durch eine räumliche Konzentration
von Bevölkerung und Arbeitsplätzen entstehen
Verdichtungsräume oder Ballungsgebiete. Die-
sen Prozess nennt man auch Agglomeration.
Außerdem gibt es die Metropole als politischer,
Zusammenfassung

wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Mittel-


punkt einer Region, die Megacity oder Mega­
stadt ab ca. 10 Mio Einwohnern, die Megalopolis 3 Las Vegas in den USA ist mit fast 2 Millionen Einwohnern
oder Megaregion, in der mehrere Millionenstädte die größte Stadt im Bundesstaat Nevada. Die 1855 inmitten
zusammengewachsen sind und die Global city der Wüste gegründete Stadt bezieht ihren Wohlstand aus
als globales Finanz- und Dienstleistungszen- dem Tourismus, aus riesigen Hotelkomplexen, die sich um
gigantische Kasinos gruppieren. Nicht nur der Energiever-
trum mit einer hohen Konzentration an interna- brauch ist enorm hoch, auch Wasser wird zunehmend knap-
tionalen Organisationen und Unternehmen. per. Daher hat die Stadt strikte Regeln eingeführt, um Was-
serverschwendung zu vermeiden und einen großen Teil des
Abwassers zu recyceln.

Thema 3: Verstädterung der Welt 153


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3.2 Städtische Funktionen und Formen


Jede Stadt erfüllt die Daseinsfunktionen der Men- lativ jung. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwi­
schen, so z.B. wohnen, arbeiten, sich versorgen, ckelt sich ein Grundmuster der nordamerikanischen
sich bilden und sich erholen. Je größer und wich­tiger Städte, welches sich allgemein in den Innenstadtbe-
eine Stadt hinsichtlich ihrer politischen, wirtschaft- reich (Downtown), die Übergangszone und den
lichen und sozio-kulturellen Bedeutung ist, umso Stadtrandbereich unterteilt. Im Gebiet der Kern­stadt
mehr Funktionen erfüllt sie. entwickelte sich das Central Business District als
Im Laufe der Jahrhunderte haben die Städte einen zentrales Finanz- und Geschäftszentrum. Durch
Funktionswandel vollzogen. Die Städte im Indus- Suburbanisierung und Dezentralisierung entstan-
triezeitalter waren noch relativ räumlich getrennt den gerade in den letzten Jahrzehnten sogenannte
vom Umland. Die Ausbreitung städtischer Bau- Edge Cities im städtischen Außenring mit eigenen
formen, Berufe und Verhaltensweisen in vorher Versorgungsmöglichkeiten und Arbeits­plätzen.
ländlichen Gebieten wird auch als Urbanisierung Entlang von Verkehrsachsen entstanden Wissen-
bezeichnet. In den 50er Jahren kam es zur Suburba- schaftsparks und Office Parks. Weitere typi­
nisierung, das heißt zu einer stärkeren Abwande- sche Merkmale sind das Schachbrettmuster des
rung der Menschen an den Stadtrand und damit Straßenverlaufs, Commercial Strips entlang von
zum flächenhaften Wachstum der Stadt bis ins Verkehrsachsen, oft verfallende Kernstädte und
Umland. Die Folgen sind auf der einen Seite eine Ghettobildung sowie Wohnformen von gehobenen
große Zersiedlung des Umlandes (Urban Sprawl) Bevölkerungsschichten in den Vororten, z.B. in Gated
und ein höherer Pendlerverkehr. Auf der anderen Communities.
Seite kann es zu einer Entleerung der Kernstädte Für die nordamerikanischen Städte haben sich
kommen mit negativen Folgen für die Versor- Stadt­planer an die Arbeit gemacht und spezielle
gungseinrichtungen in den Innenstädten sowie einer Grundrisse entwickelt. So entwickelte die Chicagoer
Gentrifizierung und Segregation in den Stadt­teilen. Schule der Soziologie in den 1920er Jahren drei
Die europäische Stadt unterscheidet sich erheblich klassische Stadtmodelle als abstrakte Darstellungen,
in ihrer Form von einer nordamerikanischen Stadt die die Raumstrukturen von Großstädten verdeutli-
in einem Industrieland und die wiederum von der in chen sollen. Bekannt sind das Kreismodell von Bur-
einem Entwicklungsland oder auch von einer orien- gess, das Sektorenmodell von Hoyt und das Mehr-
talischen Stadt. Kerne-Modell von Harris und Ullman.
Viele europäische Städte sind im Mittelalter zwi­ Viele Städte in der ganzen Welt haben mit großen
schen dem 11. - 13. Jahrhundert entstanden und ver- Problemen zu kämpfen. So gibt es oft Obdachlosig-
fügen über ein historisches Zentrum, der Altstadt. keit, Bildung von Marginalsiedlungen, hohe Mieten
Diese gehört wie das moderne Geschäftszentrum, im Innenstadtbereich, aber auch eine große Umwelt­-
die City, und die Stadterweiterungsgebiete des 19. belastung durch Smog, Müll, Verkehr und Lärm.
Jahrhunderts zur Innenstadt. Daran schließen sich Vor allem in Entwicklungsländern wachsen die
die Außenstadt und die Vororte an. Städte oft ungebremst durch eine starke Landflucht.
Im Gegensatz zur traditionellen europäischen Durch fehlende Arbeitsplätze verstärkt sich der
fehlt der nordamerikanischen Stadt der histo- informelle Sektor, das heißt der Bereich der Sub-
rische Hintergrund. So gibt es keine Stadtmauern sistenzwirtschaft (Eigenversorgung) und des Klein-
oder historische Marktplätze. Diese Städte sind re- handels. Oft fehlen eine städtische Abfallentsor-

4 Internationaler Finanzplatz London


Zusammenfassung

PPC, F. Garcia

154 Thema 3: Verstädterung der Welt


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gung und der Zugang zu sauberem Trinkwasser. durch den Wegfall an den verschiedenen Funktionen
Während in reichen Metropolen der Industrieländer einer Stadt. Folgen sind eine Zunahme von Armut,
vor allem das Problem der sozialen Segregation Arbeitslosigkeit und Unsicherheit und letztlich eine
auftritt. Hier werden Wohngebiete räumlich getrennt große Abwanderung.
nach Einkommen, Ethnizität oder nach der Religion Typisch für lateinamerikanische Städte sind die
der Bewohner, was gleichzeitig auch zur Ghettoisie- Kolonialbauten in den Stadtzentren und die Fave-
rung führen kann. Auch die Zunahme der Migration las, das sind die Marginalsiedlungen oder infor-
in der EU durch Drittländer hat zu einer stärkeren mellen Siedlungen. Ein großer Teil der armen städ-
Segregation innerhalb von Migrantengruppen ge- tischen Bevölkerung lebt in diesen Randgebieten ohne
führt, die oft in benachteiligten Stadtvierteln leben. Anschluss an das städtische Strom- und Wassernetz
Außerdem fehlt es häufig an ausreichenden Sozial­ in oft illegal errichteten Hütten. Dabei versucht sich
wohnungen und Verkehrslösungen. die Oberschicht, die Bevölkerung mit höherem Status,
Ein anderes Problem ist die Gentrifizierung, bei der von der Unterschicht auch wohnlich abzugrenzen und
Stadtteile für Bevölkerungsschichten mit niedri- lebt oft in Gated Communities. Die sozialen Dispa-
gem Einkommen und Status, z.B. durch Luxus-Sa- ritäten, d.h. die Unterschiede im Einkommen und
nierung ihrer Häuser, zu Vierteln für Bevölkerungs- der sozialen Stellung zwischen den einzelnen Bevöl-
schichten mit höherem werden. kerungsschichten, haben in den letzten Jahren stark
zugenommen.
Die Ausweitung der Städte durch die Suburbani-
sierung hat außerdem zu einer starken Zersiedlung
des Umlands (Urban Sprawl) geführt. Pull-Fakto-
ren, wie der Erwerb größerer Grundstücke zu güns-
tigen Preisen, die gute Verkehrsanbindung oder
die Sicherheit der Wohngegend machen die Aus-
breitung der Bevölkerung in die Vororte so attraktiv.
Dagegen bewirken die Push-Faktoren, wie rückläu-
fige Arbeits­plätze, die zunehmende Umweltver-
schmutzung, schlechtere Schulen und die hohen
Grundstückspreise eine Abwanderung aus dem
Innenstadtbereich.
In einigen Städten kommt es sogar zur Schrumpfung
und damit zum Niedergang. Sogenannte „Shrin-
king cities“ entstehen aufgrund demographischer, S. Coté
wirtschaftlicher und sozialer Gründe, wie der Ver-
5 Ehemaliges, teilweise verfallenes koloniales Stadtzentrum
lust an Bevölkerung, an Arbeitsplätzen und allgemein in Antsirana (Diégo Suarez) auf Madagaskar

3.3 Herausforderungen und Chancen der


Urbanisierung
Es gibt in vielen Bereichen große Anstrengungen, Der Druck auf landwirtschaftlich genutzter Fläche
die Städte sowohl in den Industrie- als auch in den um die Stadt herum nimmt ebenso weiter zu.
Entwicklungsländern nachhaltig zu gestalten, damit Maßnahmen, wie ein Tempolimit, „Low Emission
auch noch zukünftige Generationen eine lebens- Zones“ und City-Mauts, dienen dem Kampf gegen
werte Umwelt vorfinden, sei es durch die Errichtung die Luftverschmutzung und gegen den Klimawan-
von Grünanlagen und Parks oder durch einen gut del. Unsere Städte müssen nachhaltig gebaut wer-
Zusammenfassung

ausgebauten öffentlichen Personen- und Nah­ den. Das bedeutet auch, dass mit den Ressourcen,
verkehr sowie durch die Schaffung von bezahlba- wie Wasser und Rohstoffen, sorgsam umgegangen
rem Wohnraum für alle Menschen. wird. Es müssen erneuerbare Energiequellen ge-
Besonders entgegen gewirkt werden muss dem so- nutzt werden, die biologische Vielfalt durch „Urban
genannten Flächenfraß, der ständigen Ausweitung Gardening“ erhalten bleiben, ökologisch gebaut
von versiegelter Landschaft. Dadurch kommt es und der städtische Raum neu überdacht werden,
vermehrt zu Überschwemmungen und damit zum z.B. durch die Optimierung einer technischen Infra­
Verlust an fruchtbarem Boden. Durch Re-Urba- struktur mit Hilfe von „Künstlicher Intelligenz“. Es
nisierung, wenn Stadtbewohner wieder in ländliche gibt bereits Beispiele von Ökostädten in der ganzen
Gebiete „zurückkehren“, werden Biotope zerstört. Welt.

Thema 3: Verstädterung der Welt 155


IV Thema IV
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Wetter und
Klima
Übungen

© Brigipix / Pixabay

156 Thema 4: Wetter und Klima


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Was du bei diesem Thema lernen wirst:

Prozesse in der Atmosphäre (Kapitel 1)


Kein anderer Bereich der physischen Geographie
hat so viel Einfluss auf unser tägliches Leben
wie Klima und Wetter: welche Art von Häusern
wir bauen, welche Nahrungsmittel in der Land-
wirtschaft produziert werden, welche Kleidung
wir tragen − all dies wird von der Klimazone
beeinflusst, in der wir leben.
Doch warum gibt es unterschiedliche Klimazonen?
Wie entstehen Niederschlag und Wind? Welche
© NASA
klimatischen Einflussfaktoren gibt es? In diesem
M1 Ein tropischer Wirbelsturm über der Karibik ersten Kapitel wirst du die atmosphärischen Pro-
auf dem Weg in die Südstaaten der USA zesse von Wetter und Klima kennenlernen.

Globale Wetterphänomene (Kapitel 2)


Das Wetter ist ein alltäg­licher
Gesprächs­stoff. Naturkatastrophen
wie­ Wirbel­stürme und Tornados
sowie spezielle Naturphänomene
wie der Monsun und El Niño sind
für extreme Wetterereignisse wie
Überschwemmungen, aufgrund von
Starkniederschlägen oder Dürren,
ver­antwortlich. Ihre Entstehungs-
prozesse und Auswirkungen lernst
du in diesem Kapitel.
© WikiImages / Pixabay

M2 Auswirkungen eines tropischen Wirbelsturms in den USA

Auswirkungen des Klimas


auf menschliche Aktivitä­
ten (Kapitel 3)
Neben der Bodenfruchtbarkeit sind
es Temperatur und Niederschlag, die
Land­wirt­­schaft und damit die Sesshaf-
tigkeit in einem Gebiet ermöglichen.
Die Klima­elemente Niederschlag und
Temperatur haben jedoch auch Ein-
fluss auf die Architektur der Häuser
Übungen

© SchiDD / Wikimedia Commons

M3 In einem Schwarzwaldhaus leben Mensch und Tier. sowie den Aufbau von Siedlungen und
Die Tiere wärmen in den kalten Wintern die darüberlie­ Städten. Insbesondere in extremen Kli-
genden Wohnräume. Das auffällige Dach ist angepasst mazonen mussten sich die Menschen
an große Schnee­mengen und starke Windbelastungen.
an die Klima­bedingungen anpassen.

Thema 4: Wetter und Klima 157


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4.1 Prozesse in der Atmosphäre


1 Aufbau der Atmosphäre
10.000 km M1 M2 Definition
Die Atmosphäre ist eine dünne
Exosphäre

Gashülle, die die Erde umgibt.


Übergang Ihre Dicke bis in 50 km Höhe
zum entspricht weniger als einem
Weltall Prozent des Erdradius.

© Nasa

M3 Die Atmosphäre schützt uns unter anderem


500 km vor den gefährlichen Son­nenpartikeln, die in
der Mag­netosphäre aufgehalten werden.

Aufgaben
1. Erarbeite aus den Ma­te­rialien­
die Funk­tionen der At­mosphäre.
Thermosphäre

2. Beschreibe auf Grundlage dei-


Raumschiffe ner­Antwort zu Frage 1 den Zu-
und ISS stand der Erde, wenn es keine
Atmosphäre geben würde.

© AstroAnthony / Wikimedia Commons

M4 Die vom Wind aufgeladenen


Magnetpartikel erzeugen in
den Polarregionen besonde­
re Lichtphänomene in der
At­
mosphäre, die auf der
Nord­halbkugel „Polarlichter“
Nordlichter oder «Nordlichter» (Aurora
Borealis) genannt werden. M5 Sternschnuppen sind Meteoriten,
die beim Eintreffen in die Meso­
sphäre verglühen.
85 km
Mesosphäre

In der Mesosphäre sinkt die Tem­


peratur er­neut. In dieser Schicht
Meteoriten ver­glühen Meteo­riten und kleinere UVC UVB UVA
Ge­steinsbrocken aus dem All.
ht
Lic
50 km Ozo
Stratosphäre

nsc
In der Stratosphäre befindet sich die 0% hic
Wetterballon ht
Ozonschicht, die den Menschen vor
der gefährlichen UV-Strahlung schützt 2%
Stratosphäre
98 %
25 - 30 km
8 bis 17 km
Troposphäre

Die Troposphäre ist die Schicht, in der wir Quelle: jpboseret


Quelle:
Q
Grafik:
G k: S. Coté
Grafi

leben. 80 bis 90 Prozent der gesamten Luft­


Mount Everest masse und fast der gesamte Wasserdampf der M6 In der Stratosphäre wird es nach
oben hin nicht mehr kälter, son­
Atmosphäre befinden sich hier. Sauerstoffge­ dern wärmer, da die ultra­violette
halt, Temperatur und Luftdruck nehmen dabei (UV-)Strahlung des Sonnenlich­tes
mit zunehmender Höhe ab. durch die Ozonschicht absorbiert
Übungen

Über dem Äquator reicht die Troposphäre bis und in Wärme umgewandelt wird.
in eine Höhe von zirka 17 Kilometern, über den
Polar­regionen nur bis etwa acht Kilometer.
Passagierflugzeuge verkehren typischerweise in
Höhen von zehn bis zwölf Kilometern.

158 Thema 4: Wetter und Klima


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2 Die Einstrahlung der Sonne


flacher Einstrahlungswinkel a
30 % reflektiert und gestreut
Solarkonstante M2 langer Weg durch
1367 W/m² grö
ßer
e Fl die Atmosphäre
re äch
e
5% 20 %. 5% Sonnenlicht

ä
ph
os
Atm
Einfallende
Sonnenstrahlung
100 %

steiler Einstrahlungswinkel
Obergrenze der Atmosphäre b
Äqu kl inere
kleinere
k kurzer Weg durch
ato
r Fläche die Atmosphäre

20 % von der
Atmosphäre und den
Wolken absorbiert
Realisierung: S. Coté

50 % von der
Erdoberfläche absorbiert
Realisierung: S. Coté
M3 Ohne Sonne kein Leben auf der Erde
M1 Strahlungshaushalt der Erde (stark vereinfacht) Die Erde erhält von der Sonne kurzwellige Energie, die
wir als Licht wahrnehmen. Diese Energie kann von den
Wolken oder direkt von der Erdoberfläche in den Welt­
raum zurückgestrahlt (reflektiert) werden oder sie wird
von der Erde aufgenommen (absorbiert) und als lang­
wellige Energie in Form von Wärme an die Umgebung
abgegeben.
Nördlicher Polarkreis Wie viel Sonnenenergie in den einzelnen Gebieten zu­
66°33’ N
rück­gestrahlt bzw. auf­ge­nommen wird, hängt vom Brei­
ten­
grad der Erde ab (vgl. M2). Hätte die Erde keine
Atmo­sphäre, würde auch viel mehr Wärmeenergie in den
Weltraum zurückgestrahlt werden, so dass auf der Erde
Nördlicher durchschnittlich -18°C anstelle der +15°C herrschen
Wendekreis würden (natürlicher Treibhauseffekt) − und die Entste­
23°27’ N
hung von Leben wäre so nicht möglich gewesen.

Aufgaben
Südlicher 1. Definiere die Begriffe Absorbtion und Reflek-
Wendekreis tion mit­hilfe von M1.
23°27’ S
2. Erkläre den in M1 gezeigten vereinfachten
Strahlungshaushalt der Erde.
3. In M2 scheint dieselbe Menge Sonnenenergie
Südlicher Polarkreis ein­mal auf die Polarregion (a) und einmal auf
66°33’ S die Äquatorregion (b). Vergleiche deren Aus-
wirkungen in Form einer Tabelle hinsichtlich:
Tropenzone: Wärmebilanz ist positiv Weg durch die Atmosphäre, Auftreffwinkel auf
die Erde, Größe der dadurch beschienenen
Gemäßigte Zone: Wärmebilanz ist je nach Jahreszeit variabel
Fläche, Erwärmung der Fläche.
Polarzone: Wärmebilanz ist negativ 4. Erläutere die besondere Bedeutung von Sonne
und Atmosphäre für die Entstehung von Leben
auf der Erde (M3).
Austausch von Wärme und Kälte zwischen den Zonen
Realisierung: S. Coté
5. Erkläre anhand einer Skizze den natürlichen
M4 Beleuchtungszonen der Erde. Aufgrund der Kugelge­ Treib­­hauseffekt (M3).
stalt der Erde und den parallel einfallenden Sonnen­strahlen
kommt es zu einem Wärmeüberschuss in der Äquator- 6. Erläutere die Ursachen der Beleuchtungszo-
region und einem Wärmedefizit in den Polarregionen. nen der Erde (M2, M4).
Dieser Wärme­
­ unterschied wird durch Meeresströmungen
Übungen

7. Erkläre den Begriff der positiven und negativen


und Winde auszugleichen versucht.
Wärmebilanz mithilfe von M4.
8. Beschreibe den in M4 gezeigten Wärmetrans-
port auf der Erde.

Thema 4: Wetter und Klima 159


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3 Klima- und Vegetationszonen der Erde


M1 Die Klimazonen der Erde NORDPOLARMEER

AMERIQUE ASIE
PAZIFISCHER EUROPE
DU

NORD
PAZIFISCHER
Nördlicher Wendekreis
OZEAN
OZEAN
ATLANTISCHER AFRIQUE
Äquator

AMERIQUE

DU
OZEAN INDISCHER
SUD

Südlicher Wendekreis OCEANIE


Die Klimazonen OZEAN
Polargebiet
Subpolargebiet
Gemäßigte Zone
Subtropen
0 2 000 km
Tropen Südlicher Polarkreis
Realisierung: S. Coté

NORDPOLARMEER

AMERIQUE ASIE
PAZIFISCHER EUROPE
DU

NORD
PAZIFISCHER
Nördlicher Wendekreis

OZEAN
OZEAN
ATLANTISCHER AFRIQUE
Äquator

AMERIQUE

DU
OZEAN INDISCHER
SUD
Südlicher Wendekreis
OCEANIE
OZEAN

Tundra Tropischer Regenwald


Taiga (nördlicher Nadelwald) Prärie
Laub- und Mischwald Savanne
Hochgebirgsvegetation Halbtrockene Wüste 0 2 000 km

M2 Die Vegetationszonen der Erde Südlicher Pol


a rkreis Hartlaubvegetation, Trockenwald Wüste Réalisation S. Coté

M3 Die zonale Gliederung Aufgaben


Aufgrund der unterschiedlichen Einstrahlungswinkel 1. Ordne jeder Klimazone aus M1
der Sonne lassen sich auf der Erde grundsätzlich fünf bestimmte Vegetationszonen aus
Klimazonen unterscheiden (M1). M2 zu.
Niederschlag und Temperatur, die Hauptelemen­te des
Klimas, sind wiederum entscheidend für die Boden­
2. Recherchiere im Internet nach den
bildung und damit die Entstehung einer Vegetation. Merk­malen bezüglich Nieder­schlag
Die Pflanzen haben sich an die speziellen Witterungs­ und Temperatur der fünf Klimazo-
bedingungen angepasst und bilden entsprechend die nen.
Übungen

Vegetationszonen (M2). 3. Recherchiere im Internet nach der


Die Klima- als auch die Vegetationszonen lassen eine An­pas­sung der Pflanzen aus den
zonale Gliederung parallel zu den Breitenkreisen einzelnen Vegetationszonen an die
erkennen. Die einzelnen Vegetationszonen lassen
klimatischen Gegebenheiten.
sich somit einer bestimmten Klimazone zuordnen.

160 Thema 4: Wetter und Klima


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4 Unterschied von Wetter und Klima

© David Mark / Pixabay


© Mylene2401 / Pixabay
M2 Das Klima bezeichnet die Gesamtheit aller Wetterereig­nis­se,
M1 Das Wetter beschreibt kurzfristige Veränderungen die über einen längeren Zeitraum (Jahre oder Jahrzehnte) in
der Atmos­ phäre bzw. ihren augenblicklichen Zu­ einem größeren Gebiet stattfinden. Das Klima gibt somit den
stand an einem bestimmten Ort der Erde (von einer üblichen Wetterverlauf während eines Jahres für Teile eines
Stunde bis zu einem Tag). Kontinentes wider.

© Wetter.com

M3 Das aktuelle Wetter sowie seine Entwicklung in


den kommenden Tagen gibt uns die Wettervorher­
sage. Wesentliche Faktoren bei der Bestimmung
des Wetters sind dabei Temperatur, Niederschlag, M4 Neben der lokalen Messung der Klimaelemente helfen Aufnah­
Luftfeuchtigkeit, Luft­druck und der Wind. Diese wer­ men aus dem All durch Wettersatelliten den Meteorologen bei
den als Klimaelemente bezeichnet. ihren Wettervorhersagen.
Die Klimaelemente beeinflussen sich nicht nur ge­
genseitig, sondern werden auch entscheidend von
den Klimafaktoren, den klimarelevanten Eigen­
schaf­ten eines Messortes, geprägt (vgl. M5).
M5

Aufgaben
1. Erkläre den Unterschied zwischen Wetter
und Klima (M1, M2).
2. Beschreibe das Wetter in Frankfurt am Main
im Laufe des Samstages (M3).
3. Vergleiche M3 mit M4.
4. Erkläre den Unterschied zwischen den Klima­
Übungen

elementen und den Klimafaktoren (M5).

Thema 4: Wetter und Klima 161


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5 Wettererscheinungen

© PPC / G. Coté

M1 Der tägliche Regenschauer in den Tropen M2 Schneeschuhwanderung in den französischen Alpen

© www.imagedrole

M3 Überschwemmung im französischen Amiens nach einem M4 Glatteis infolge des Regens und der Gischt des Genfer
heftigen Gewitter im Herbst Sees auf einer vereisten Straße in Genf

M5 Ein Hagelkorn (links) und eine Schneeflocke (rechts)

Aufgaben
1. Benenne für jedes Dokument das meteorologische
Phänomen (Niederschlag, Wind, ...). M6 Ein Kitesurfer auf Mauritius profitiert vom konstanten
Übungen

ablandigen Wind
2. Beurteile, ob die in den Materialien gezeigten
Naturphänomene einen positiven oder negativen
Einfluss auf die Menschen haben.

162 Thema 4: Wetter und Klima


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6 Messinstrumente der Meteorologen

M1 Diese Wetterstation wird auch nach Aufgabe


ihrem Erfinder Stevenson benannt
und enthält alle Instrumente zur Auf- Nenne die Messinstrumente
zeichnung der Wetterelemente: einer Wetterstation sowie
Ther­mometer, Regenmesser, Baro­- ihre Funktion.
meter, Hygrometer und Thermo­
graph.

© wikimedia Commons

© Wikimedia Commons

M2 Thermometer mit einer Skala in Fahrenheit


und Celsius. In der Stevenson Wettersta­
tion wird ein Trockenthermometer verwen­
det, mit dem man zu­dem die Höchst- und
Tiefst­temperatur ablesen kann.

© picture alliance / JOKER, Paul Eckenroth, K

M3 Der Barometer zeigt den den Luft­drucks an

© wimesure.fr

M5 Der Windmesser bzw. das


Anemometer misst die Stär-
­ke und den Druck des Windes
in Metern pro Sekunde.
Übungen

M6 Der Regenmesser misst


© Wikimedia Commons die Niederschlagsmenge
M4 Der Hygrometer misst die Luftfeuchtigkeit an Schnee oder Wasser.

Thema 4: Wetter und Klima 163


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7 Der Zustand des Wassers in der Atmosphäre


M2

flüssiges
Wasser

ko
en

n
de
er
fri

ns
n

ve
ze
ge

ie
rd
el

re
am
hm

n
pf
sc

en
Realisierung: S. Coté

sublimieren gasförmiger
festes Wasserdampf
Eis

resublimieren
Erdoberfläche
M1 Die drei Aggregatszustände von Wasser

M3 M4 Von der Verdunstung bis zum Niederschlag


Wenn die Sonne die Erdoberfläche erwärmt, verdunstet Wasser­
(vgl. M3). Dieser gasförmige Zustand des Wassers wird als Luft­
feuchtigkeit bezeichnet. Die absolute Luftfeuchtigkeit bezeich­
net dabei die Menge an Wasserdampf, die in der Luft enthalten ist.
Sie wird in Gramm Wasser pro Kubikmeter Luft (g/m3) ausgedrückt.
Die relative Luftfeuchtigkeit dagegen ist das Verhältnis der in
der Luft enthaltenen Wasserdampfmenge zur maximal möglichen
Wasserdampfmenge und wird in Prozent angegeben. Sind 100%
Luftfeuchtigkeit erreicht, spricht man von gesättigter Luft.
Die Sonne erwärmt den Erdboden und dieser wiederum die darüber
liegende Luftschicht. Da warme Luft leichter ist als kalte, steigt sie
© S. Coté auf (Prinzip des Heißluftballons). Mit zunehmender Entfernung vom
Boden kühlt die aufsteigende Luftmasse langsam ab. Da es von der
Temperatur der Luft abhängt, wie viel Wasserdampf sie enthalten
M5 durchschnittliche Größe kann, besitzt warme Luft weitaus mehr Wasserdampf als kalte Luft
eines Wolkentröpfchens:
0,02 mm (bei 30°C können sich bis zu 30 g/m3 Wasser in Form von Wasser­
dampf in der Luft befinden, das ist 10 mal mehr als bei -5°C). Die
Luftmasse erhöht durch die Abkühlung beim Auf­steigen somit ihren
durchschnittliche relativen Anteil an Luftfeuchtigkeit.
Größe eines Ist die Luft völlig mit Wasserdampf gesättigt (100% Luftfeuchtigkeit)
Regentropfens:
2 mm und wird die Taupunkttemperatur unterschritten bzw. das Konden­
sationsniveau erreicht, kondensiert der Wasserdampf in der Luft
durchschnittliche
Größe eines zu flüssigem Wasser. Diese Wassertröpfchen lagern sich um feste
Kondensationskerns: Kondensationskerne wie Ruß- und Staub­körner an, und werden als
0,0002 mm
Wolken oder in Bodennähe als Nebel sichtbar. Auf ihrem Weg nach
oben stoßen die Wolkentröpfchen zufällig zusammen und vereinen
Realisierung: S. Coté
sich. Sind sie groß und schwer genug, fallen sie als Niederschlag zur
Erdoberfläche (vgl. M5).

g Wasser/m3 Luft Taupunktkurve


45 Aufgaben
100% Sättigung
40
1. Nenne Beispiele aus deinem Alltag, wo Wasser verd­ampft
35 bzw. kondensiert (M1).
Übersättigung
30 2. Übertrage die Skizze aus M2 in dein Heft und ergänze sie
Wasserdampf kondensiert mit einem erklärenden Text. M4 hilft dir dabei. Zeichne
25
auch das Kondensationsniveau an der richtigen Stelle ein.
20
3. Benenne mithilfe von M4 den Unterschied zwischen
15 ab­so­luter und relativer Luftfeuchtigkeit.
Untersättigung
10 4. Erkläre die Entstehung von Niederschlag (M4, M5).
Wasser verdunstet
Übungen

5 5. Begründe, warum sommerliche Regen ergiebiger sind


T in °C
0 als winterliche, und tropische Regen intensiver als
-20 -10 -5 0 5 10 15 20 25 30 35 außertropische.
M6 Taupunktkurve 6. Erkläre mithilfe von M4 die Graphik in M6.

164 Thema 4: Wetter und Klima


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8 Wolkenbildung und Niederschlag


M1 Entstehung von Wolken
Die Kraft der Sonne heizt das Land und das Wasser an
der Oberfläche auf. Durch die Wärme verwandelt sich ein
Teil des flüssigen Wassers in gasförmiges Wasser: Es
verdunstet. Weil warme Luft leichter ist als kalte, steigt sie
auf. Kühlt die feuchtwarme Luft nach oben immer weiter
ab, sammelt sich das überschüssige Wasser als Tröpfchen
rund um winzige Staub- oder Rußteilchen. Man sagt auch,
das Wasser kondensiert. Noch sind die Tropfen so klein und
leicht, dass sie in der Luft schweben. Eine Wolke ist ent­
standen.
Wolken bilden sich also immer dann, wenn warme Luft
abkühlt. Das kann passieren, wenn sich der Boden und die © Franz Bachinger /Pixabay
darüber liegende Luft erwärmt und nach oben steigt. Auch
wenn der Wind die Luft auf ein Gebirge treibt, wird wärmere M2 Nebel sind direkt über der Erdoberfläche ent­standene
Wolken
Luft nach oben gezwungen. In der Höhe kühlt sie ab, Wol­
ken entstehen. Das Gleiche geschieht, wenn eine Zone von
warmer Luft auf eine Zone kalter Luft trifft. Die Kaltluft lässt
die leichtere Warmluft aufsteigen und schon wieder bilden
sich Wolken!
Aufgaben
Doch nicht aus jeder Wolke regnet es sofort. Erst, wenn 1. Erkläre die Entstehung von Wolken (M1) und Nebel
sich die Wassertröpfchen durch Luftbewegung zu größe­ (M2).
ren Tropfen vereinigen und schwer genug sind, fallen sie
als Regen auf die Erde zurück. Liegt die Temperatur unter 2. Beschreibe den Unterschied von Konvektion und
0° Celsius, gefrieren die Tropfen zu Eiskristallen. Dann fällt Advektion (M3).
der Niederschlag als Schnee, bei Gewitterwolken auch als 3. Erläutere die Möglichkeiten der Entstehung von
kleine Graupel- oder als große Hagelkörner.
Niederschlägen: Warmfront (M4), Kaltfront (M6)
https://www.planet-schule.de/mm/die-erde/Barrierefrei/pages/
Wie_bilden_sich_Wolken.html [abgerufen am 13.03.2022]
und Steigungsregen (M5).

Warmluft
Kaltluft
Réalisation : S. Coté

Realisierung: S. Coté

M3 Vertikal aufsteigende Luftmassen (Konvektion) durch M4 Warmfront: Treffen warme Luftmassen auf kalte, so glei­
die Erwärmung der Erd­ober­fläche (vgl. M3). Demgegen­ ten diese auf­grund ihrer geringeren Dichte auf die Kalt­
über steht die Advektion, die horizontale Zufuhr von luft auf. Dabei kühlt die Warmluft ab, kondensiert und es
Luftmassen (vgl. M4, M5, M6). kommt zu langanhaltendem Nieselregen (Landregen).

kälter wärmer

wärmere Luft, die beim


Aufsteigen abkühlt Luft erwärmt sich beim
Absinken wieder

Kaltluft Warmluft
dem Wind zuge- dem Wind abge-
nt

wandte Seite wandte Seite (Lee)


ro
ltf

(Luv)
Ka

Realisierung: S. Coté

Realisierung: S. Coté
Übungen

M5 Auch das erzwungene Aufsteigen beim Überströmen M6 Kaltfront: Brechen kalte Luftmassen in ein Gebiet mit
eines Hindernisses (Gebirge) führt zur Abkühlung und warmer Luft ein, schiebt sich die kalte Luft aufgrund ihrer
daher zur Kondensation und Wolkenbildung. Der dabei höheren Dichte unter die Warmluft. Die Warm­ luft wird
entstehende Niederschlag an der dem Wind zugewand­ zum Auf­steigen gezwungen, starker Wind und vereinzelt
ten Luv-Seite nennt man Steigungsregen. Gewitter entstehen.

Thema 4: Wetter und Klima 165


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EXKURS
Wolkentypen
12.000 m
M1 Wolkenfamilien M2
Die erste Einteilung der Wolken in Wolkenfamilien lassen
sich anhand der Höhe vornehmen, in denen sie auftreten: Cumulonimbus
• Hohe Wolken findet man etwa 5 bis 13 Kilometer hoch in
der Atmosphäre. Sie bestehen aus kleinen Eiskristallen,
weil die Temperaturen dort weit unter dem Gefrierpunkt 9.000 m

liegen (-60 °C bis -20 °C). Cirrus

hohe Wolken
• Mittelhohe Wolken befinden sich in einer Höhe von 2 bis
7 Kilometern. Auch dort ist es sehr kalt (-30°C bis 0°C),
weshalb sie meistens aus Eiskristallen bestehen.
• Tiefe Wolken befinden sich in einer Höhe von 0 bis 2 Cirrocumulus Cirrostratus
6.000 m
Kilometern. Hier liegt die Lufttemperatur zwischen +15°C
und 0°C, weshalb die Wassertröpfchen meistens flüssig
sind. Bei 0°C können sich aber auch Schneekristalle in
den Wolken bilden.

tiefe Wolken mittelhohe Wolken


• Vertikale Wolken erstrecken sich über mehrere Höhen­ Altocumulus Nimbostratus
bereiche. Deshalb sind auch ihre Temperaturen sehr
unterschiedlich und können zwischen -60°C und +15°C 3.000 m

liegen. Je nach Höhe können sie deshalb Eiskristalle


oder flüssige Wassertröpfchen enthalten. Stratocumulus
Die Wolkenfamilien lassen sich anhand ihres Aussehens
in zehn Wolkentypen (und 27 Wolkengattungen) einteilen. Stratus
1000 m
https://studyflix.de/erdkunde/wolkenarten-3818 [abgerufen am 22.03.2022] Cumulus
Quelle: planète-info. Realisierung: S. Coté

© S. Coté

M3 Cumulonimbus/ Gewitterwolke M4 Stratocumulus / Haufenschichtwolke M5 Cirrus / Federwolke

© S. Coté © S. Coté

M6 Cumulus / Haufenwolke M7 Cirrocumulus / Kleine Schäfchenwolke M8 Cirrostratus / Hohe Schleierwolke


Übungen

Aufgaben
1. Ordne die Wolken in M3 bis M8 einer Wolkenfamilie 2. Recherchiere im Internet, welche Wolken schönes
zu (M1, M2). und welche schlechtes Wetter bringen.

166 Thema 4: Wetter und Klima


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EXKURS
Entstehung von Gewitterwolken

M2 Durch den Auftrieb der warmen Luft werden die Wasser­


tröpfchen in der Wolke weit nach oben gewirbelt. Die
Tropfen reiben aneinander und laden sich dadurch elek­
trisch auf. Vermutlich sammelt sich die positive Ladung
im oberen Teil der Wolke, die negative Ladung im un­
teren Teil. So baut sich eine immer größere Spannung
auf, die sich schließlich in einem Blitz entlädt. Dabei fließt
elektrischer Strom. Die Temperatur schnellt auf mehrere
Tausend Grad und lässt den Blitz glühend leuchten.
© Hans Braxmeier / Pixabay
Durch die gewaltige Hitze dehnt sich die Luft um den Blitz
M1 Eine Cumulonimbus, die typische Gewitterwolke mit der­ mit einem gewaltigen Knall aus, ähnlich einer Explosion.
klassischen Ambossform. Eine Gewitterwolke entsteht, Dieses laute Krachen bezeichnen wir als Donner. Ohne
wenn starke Sonneneinstrahlung Wasser verdunsten Blitz gäbe es also auch keinen Donner. Und weil Licht
lässt und eine große Menge feuchtwarmer Luft aufsteigt schneller ist als Schall, ist zuerst der Blitz zu sehen und
und dabei abkühlt. erst danach der Donner zu hören.
https://www.planet-schule.de/mm/die-erde/Barrierefrei/pages/
Wie_entstehen_Gewitter.html [abgerufen am 22.03.2022]

M3 Entstehung von Superzellen


Damit aus einer gewöhnlichen Gewitter­
zel­le eine langlebige und stark organisier­
te Superzelle (vgl. M4) wird, bedarf es
weiterer Vor­aus­setzungen. So ist insbe­
sondere eine hinreichend starke Windzu­
nahme und Winddrehung mit der Höhe
(vertikale Windscherung) erforderlich.
Superzellen können sich überall dort bil­
den, wo die Bedingungen für deren Ent­
stehung in der Atmosphäre erfüllt sind.
Weltweit am häufigsten ist dies im Früh­
jahr und Frühsommer über den Great
Plains im mittleren Westen der USA der
Fall. Dort wird an vielen Tagen schwül­
heiße Luft aus dem Golf von Mexiko nach
Norden geführt, während gleichzeitig in
höheren Luftschichten trockene und kalte
Luft aus höheren Breiten nach Süden
vorstößt und sich über die feuchte Warm­ © Rafael Schmall
luft schiebt.
M4 Eine Superzelle ist eine riesige, langlebige und stark organisierte Gewitter­
https://www.wetteronline.de/wetterlexikon/superzelle wolke. Sie kann heftige Sturmböen, Starkniederschlag, sehr großen Hagel
[abgerufen am 13.03.2022]
und bisweilen auch Tornados produzieren. Sie sind die gefährlichsten Gewit­
terwolken. Charakteristisch für eine Superzelle ist ein rotierender Wirbel im
Innern der Wolke.
Aufgaben
Übungen

1. Erkläre die Entstehung von Gewitter­


wolken, Blitz und Donner (M1, M2).
2. Nenne Ursachen und Auswirkungen
von Superzellen (M3, M4).

Thema 4: Wetter und Klima 167


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EXKURS
Einfluss des Meeres auf das Klima

kalte und salzreiche NORDPOLARMEER

Tiefenströmungen
Antriebsmotor der Meeresströmungen M2 Das ozeanische Förderband
kaltes und salzreiches Wasser sinkt ab
warme Oberflächen-
strömungen
Wenn das einst warme Wasser des
EUROPA
ASIEN Äquatorialatlantik die kalten Gebiete
NORDAMERIKA
Golfstrom
PAZIFISCHER
des Nordpolarmeeres erreicht, hat
es auf seinem Weg dort­hin Wasser
OZEAN
durch Verdunstung verloren und ist
ATLANTISCHER
abgekühlt. Dadurch ist es schwerer
AFRIKA
und salzhaltiger, was dazu führt, dass
INDISCHER es im Nordatlantik absinkt und im Zuge
PAZIFISCHER SÜDAMERIKA
OZEAN
dessen die Atlantikströmung nach sich
OZEAN OZEAN zieht, wodurch das gesamte System
OZEANIEN
angetrieben wird. Am Meeresboden
fließt die Nordatlantik­strömung wieder
gen Süden, dabei erwärmt sich das
Wasser und das Salz wird langsam
0 2 000 km
Antarktisches Tiefenwasser verdünnt. Schließlich steigt es nörd­
lich des Indischen Ozeans und des
Realisierung: S. Coté

M1 Das Förderband der Meere: die Meeresströmungen transportieren zu­ Pazifiks an die Oberfläche. Der ge­
sammen mit den globalen Windsystemen die Wärme aus den Tropen samte Zyklus dieser Zirkulation dauert
in die gemäßigten und kalten Zonen. schätzungsweise 600 bis 800 Jahre.

Sommer Winter
ent nt
tin Im Sommer sorgt der ne
Ko
n nti Im Winter mildert der
trockener Ozean für gemäßigtere Ko trockener Ozean die Temperatur
Temperaturen auf dem auf dem Kontinent ab.
wärmer Kontinent. kälter

feuchter feuchter

kälter an wärmer n
ze ea
O Oz

M3 Ozeane speichern Wärme länger als die Kontinente oder die Atmosphäre. Die im Verlauf des Sommers aufgenommene
Wärme wird daher im Winter nur langsam an die darüber liegenden Luft­schichten abgegeben, so dass Gebiete in der
Nähe der Ozeane durch mildere Winter profitieren können (sofern die erwärmte Luft darüber strömt). Im Sommer wie­
derum sorgt das über den Winter abgekühlte Meerwasser für einen kühlenden Effekt und ist für die milderen Sommer
verantwortlich. Dies wird als maritimes (ozeanisches) Klima bezeichnet (vgl. M4).

Aufgabe
Erarbeite aus den Materialien
die zwei Einflussfaktoren der
Ozeane auf das globale Klima.

M4 Die Oberflächentemperaturen auf der Erde­


im Januar. Auf der Nordhalbkugel ist es
Übungen

Winter und der Ozean ist wärmer als das


Land. Südlich des Äquators ist es um-
gekehrt. Dort ist im Januar Sommer und der
© NCEP Ozean ist kälter als das Land.

168 Thema 4: Wetter und Klima


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EXKURS
Einfluss der Höhe auf das Klima und die Vegetation

M1 Höhenstufen in m
den Alpen und
Anden 6 000
N Tierra nevada S
Eisland Schneegrenze
m 5 000
nivale Stufe
Baumgrenze
helada
4 000
N S Tierra nd Waldgrenze
4 000 Frostla
Schneegrenze
ival
subn fria
3 000 3 000 Tierra d
ufe s Lan
alpine St Baumgrenze Kalte

2 000 Waldgrenze 2 000


subalpin
Tierra templata
e
montane Stuf Gemäßigtes Land
1 000 o n tan 1 000
subm
colline Stufe Tierra caliente
0 Realisierung: S. Coté 0 Heißes Land
Alpen Anden

M2 Höhenstufen
Obwohl Quito (Equador) am Äquator liegt, gibt es hier nur
eine Jahresmitteltemperatur von 13,0°C. In Sao Gabriel
(Brasilien) hingegen, das ebenfalls am Äquator liegt, be­
trägt die Jahresmitteltemperatur 25,1°C. Dies liegt daran,
dass Quito sich in einer Höhe von 2818 m ü. NN in den
südamerikanischen Anden befindet. Sao Gabriel liegt nur
90 m hoch im Brasilianischen Tiefland. Die Ursache liegt
darin, dass aufgrund des Aufbaus der Atmosphäre die
Temperaturen mit zunehmender Höhe abnehmen. Des­
halb ist es in Quito trotz gleicher geographischer Breite
kühler.
Durch diese Temperaturabnahme bilden sich verschie­
dene Klima- und Vegetationsstufen in einem Gebirge.
Diese Stufen nennt man Höhenstufen. In tropischen Ge­
birgen (z.B. Anden) sind die Höhenstufen besonders gut
ausgeprägt, denn − bei ausreichender Höhe − lassen sich © Lukas Furtenbach/Furtenbach Adventures

hier alle Klimazonen von der tropischen bis zur polaren


Klimazone antreffen.
M3 Je höher, je dünner: im Gegensatz zu Wasser, das selbst
unter hohen Drücken kaum komprimierbar ist, ist Luft sehr
Mit zunehmender Höhe verändert sich aber nicht nur das gut komprimierbar. 90 Prozent davon befinden sich in der
Klima, sondern auch die Vegetation. Wenn das Gebirge unteren Atmosphärenschicht. Nach oben hin nimmt der
in den Tropen liegt, gilt allgemein folgende Abfolge der Luftdruck ab und der Anteil an Sauerstoffmolekülen pro
Vegetation mit zunehmender Höhe: Volumeneinheit wird geringer, die Luft also dünner.
Tropischer Regenwald − Tropischer Bergwald − Laub­wald Das ist auch der Grund, warum viele Menschen in einer
− Mischwald − Nadelwald − Büsche − Gräser/Moose/ Höhe ab zirka 2000 Metern die Höhenkrankheit bekom­
Flechten − nahezu vegetationslos/Schnee und Eis. men. Die Symptome Kopfschmerzen, Übelkeit und Atem­
not, im Extremfall sogar Tod, werden durch die Abnahme
http://klima-der-erde.de/gebirge.html [abgerufen am 23.03.2022]
des Sauerstoffpartialdrucks mit der Höhe verursacht.
Wer zum Beispiel den Mount Everest – mit 8848 Metern
der höchste Berg der Welt – erklimmen will, sollte das
nicht ohne eine Extra-Ration Sauerstoff tun. Ausnahmen
Aufgabe
bestätigen die Regel: Es war eine Sensation, als die Ex­
Übungen

Erarbeite aus den Materialien die Einflussfaktoren trembergsteiger Reinhold Messner und Peter Habeler den
der Höhenlage auf das regionale Klima. Gipfel des Mount Everest 1978 als erste Menschen ohne
künstlichen Sauerstoff aus der Flasche bezwangen.
Susanne Decker, Erdatmopshäre, unter www.planet-wissen.de
[abgerufen am 23.03.2022]

Thema 4: Wetter und Klima 169


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9 Luftdruck und Wind


Luftdruck M2 Was wiegt Luft...?
säu le
Luft

Lufth

S ch
ülle

we
rkr
aft
M1 Die Atmosphäre setzt sich hauptsächlich aus
Stick­stoff (78,1 %), Sauerstoff (20,9 %), Argon
(0,93 %) und einigen Spurengasen zusammen.
All diese Gasmoleküle haben ein Gewicht: den
Luftdruck. Die Luftsäule über
einer Fläche von
1 cm3 wiegt 1 kg.

Realisierung: S. Coté

M4 Warum spüren wir den Luftdruck nicht?


Das Gewicht der Luft übt einen Druck aus. Druck beschreibt de­
finitionsgemäß die Kraft, die auf eine Fläche wirkt. Aber müsste
dann diese Kraft nicht nur auf den Erdboden, sondern auch auf
uns Menschen wirken? Richtig! Auf unseren Körpern lastet pro
Quadratzentimeter ein Gewicht von 1 kg. Das sind bei einem
Menschen durchschnittlich 17 Tonnen, so viel wie 3 bis 4 aus­
gewachsene Elefanten! Aber wir spüren diese immense Belas­
M3 1 Kubikmeter Luft wiegt ungefähr 1 Kilogramm.
tung nicht, weil sich das Gewicht auf die gesamte Oberfläche
Aber Luft ist nicht immer gleich schwer: Warme
Luft ist leichter als kalte Luft, weil sich in ihr viel gleich verteilt und unsere Körperzellen einen ähnlich großen
weniger Moleküle (winzige Teilchen) befinden. Gegendruck ausüben.
Hinter dem allgemeinen Ausdruck, dass Luft in Nur wenn man in kurzer Zeit große Höhenunterschiede zu­rück­
der Höhe «dünner» wird, versteht man, dass ein legt (z.B. beim Starten oder Landen in einem Flugzeug), spürt
Luftvolumen mit zunehmender Höhe immer mehr man Druck auf den Ohren, da sich unser Körper dem neuen
an Dichte verliert und immer weniger Sauerstoff­ Druck nicht so schnell anpassen kann.
moleküle beinhaltet. www.wetterdienst.de [abgerufen am 10.03.2022]

Station C
20° C
840 hPa

Station B
1 m3 24° C
915 hPa
1800 m

Station A 1000 m
Meeressniveau
1013 hPa

Luftdruck Messwert = 1008 mb


915 mb 840 mb Druck als
M6 Am Boden herrscht im Allgemeinen
Korrektur = 0 mb 99 mb
ein höherer
180 mb
in derLufttruck
Korrigierter Höhe, dambsich
= 1008 über
1014dem
mb Erdboden eine größere
1020 mb
Luftmoleküle Luftsäule befindet, die Kraft ausübt, als über größeren
Höhen (vgl. M5).

Realisierung: S. Coté

Aufgaben
M5 Luftdruck und Luftdichte nehmen mit zunehmen­
Übungen

der Höhe ab. Der Druck halbiert sich alle 5,5 km. 1. Erkläre, dass Luft ein Gewicht hat (M1 bis M3) und
Auf Meereshöhe beträgt er 1013 hPa, auf der warum wir dies aber nicht spüren (M4).
Zugspitze ist er schon auf 691 hPa zurückge­
2. Erläutere die unterschiedlichen Luftdruckverhält-
gangen und auf dem Mount Everest (in 8.848 m
Höhe) beträgt er nur noch 314 hPa (vgl. M6).
nisse im Gebirge und auf Meereshöhe (M5, M6).

170 Thema 4: Wetter und Klima


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T H
Hoher Luftdruck Tiefer Luftdruck

H T
Tiefer Luftdruck Hoher Luftdruck

Realisierung: S. Coté

M7 Wenn Luft erwärmt wird, dehnt sie sich aus und ihre
Dichte nimmt ab. Sie wird leichter und steigt auf. Da­ M8 Schematische Darstellung zweier Luftsäulen gefüllt
durch nimmt der Druck auf das Gebiet ab: am Boden mit Luft­molekülen. Man muss dabei zwischen Boden­
entsteht ein Tief­
druckgebiet (vgl. M8). Sinkt hinge­ hoch und Höhenhoch bzw. Bodentief und Höhentief
gen kalte, schwere Luft ab, wird der Luft­druck auf eine unterscheiden.
Region erhöht und ein Hoch­druckgebiet bildet sich am
Boden aus.

Aufgaben
3. Erläutere mithilfe von M7 und M8 die Entstehung von
Hoch- und Tiefdruck.
4. Definiere Wind (M9).
Wind
5. Erkläre, warum es bei absinkenden­ Luft­massen zu
Wolkenauflösung kommt.
6. Notiere in die weißen Kästchen in M­10 analog zu M8 ein
H für Hochdruck und T für Tiefdruck.
7. Erkläre anhand von M10, warum tagsüber am Strand
der Wind vom Meer kommt, und der Wind in der Nacht
ablandig wird. M9 Da die Natur stets bestrebt ist, ein Gleich­
gewicht herzu­stellen, strömt die Luft von ho­
8. Analog zum Modell des Land-See-Windes (in M10) erkläre
hem zu tiefem Druck. Diesen Druckausgleich
die Entstehung des Berg-Tal-Windes (M11). nehmen wir als Wind wahr.

wärmere Luft

«Seebrise» Talwind

wärmere Luft
Übungen

ablandiger Wind Bergwind

Realisierung: S. Coté Realisierung: S. Coté

M10 Modell des Land-See-Windes M11 Modell des Berg-Tal-Windes

Thema 4: Wetter und Klima 171


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10 Globale Windsysteme
T
M1 Die atmosphärische Zirkulation
Die Kugelgestalt der Erde führt je nach am Boden ein Tiefdruckgebiet und an
Breitengrad zu einer unterschiedlichen den Polen ein Hoch­druckgebiet. In der H
Erwärmung. Da die Sonne über dem Höhe ist es genau umgekehrt, am Äqua­ H
Äquator nahezu das ganze Jahr senk­ tor entsteht ein Höhenhoch und ein
recht steht, ist hier die Erwärmung viel Höhentief an den Polen. Diese Druck­
stärker als an den Polregionen, wo die unterschiede müssen ausgeglichen
Sonne im Winter gar nicht und im Som­ werden. Deshalb strömt die bodennahe H T T H
mer mit einem flachen Winkel auf die Luft von den Polen in Richtung Äquator M2 Die starke Wärmeentwicklung am
Erdoberfläche scheint. Das so entstan­ und die Luft in der Höhe vom Äquator Äquator gegenüber den Polen führt
dene Ungleichgewicht hat zur Folge, in Richtung der Pole. Würde die Erde zu einer Ausgleichsströmung der
dass unterschiedliche Luftdrücke und sich nicht drehen und wäre die Tropo­ Luftmassen (siehe Pfeilrichtungen)
Temperaturen entstehen, die den Ur­ sphäre über den Polen gleich hoch wie
sprung der atmosphärischen Zirkula­ über dem Äquator, würde nur diese
tion bilden. eine große Zirkulation vom Äquator bis Aufgabe
Am Äquator steigt warme Luft auf und zu den Polen entstehen. So aber ent­
stehen drei Zonen der Windzirkulation Erkläre Ursachen und Folgen der
die kalte Luft sinkt an den Polen ab
(vgl. M2). So bildet sich am Äquator (vgl. M3, M4). atmosphärischen Zirkulation.

Polarzelle H Polarhoch
Polarfront
Polarwinde (Subpolare
Ferrel-Zelle T T T T 60 Tiefdruckrinne)
°
Westwinde Subtropischer
30 ° Hochdruck-
Hadley-Zelle H H H H H H H
gürtel
Passatwinde
Innertropische
Äquatoriale
Konvergenzzone (ITC) T T T T T T T T 0 ° Tiefdruckrinne
Passatwinde
Subtropischer
H H H H H H H 30 ° Hochdruck-
gürtel
Westwinde
T T T T 60 ° Polarfront
(Subpolare
Polarwinde Tiefdruckrinne)
H Hoch
T Tief H Polarhoch
Quelle: Pierre cb, Wikimedia. Realisierung: S. Coté

M3 Atmosphärische Zirkulation: atmosphärische Zellen (lila), bodennahe Luftdruckgebiete (rot, blau) und Winde (grün)

15 Tropopause
Subtropen- Subtropen-
Jetstream Jetstream
Polar-
Jetstream Polar-
10 Jetstream

Polarfront Polarfront
Hadley- Hadley-
Ferrel- Zelle Zelle Ferrel-
5 Polar- Zelle Zelle Polar-
Zelle Zelle
H T H ITC H T H
Übungen

Ostwind Westwind Nordost- Südost- Westwind Ostwind


90° 60° 30° 0° 30° 60° 90°
Passat Passat
Nordpol Äquator Südpol
Realisierung: S. Coté

M4 Querschnitt durch die atmosphärische Zellzirkulation

172 Thema 4: Wetter und Klima


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EXKURS
Corioliskraft

18 km M2 Entstehung der Corioliskraft


H Höhenhoch
Ursache für die Corioliskraft ist die Drehung der Erde um die
Gradientkraft (g)
eigene Achse: Am Äquator dreht sich die Erde mit 1670 Kilo­
metern pro Stunde nach Osten, in Richtung der Pole nimmt
8 km diese Drehge­ schwindigkeit immer weiter ab. Strömen Luft­
T Höhenhoch massen vom Äquator zum Nord­pol (vgl. M1), nehmen sie den
Schwung nach Osten mit und bewegen sich dann schneller als
T Bodentief H Bodentief die Erdoberfläche. Von der Erdoberfläche aus betrachtet, sieht
Erdoberfläche es so aus, dass sie von ihrem Nordkurs nach Osten – also
Äquator 45° N Nordpol nach rechts – abgelenkt werden (vgl. M3, M4). Umgekehrt
werden Luftmassen, die vom Pol zum Äquator strömen, von
M1 Da warme Luft leichter ist als kalte, steigen die Luft­
der Erdoberfläche überholt, werden also auf ihrem Südkurs
massen am Äquator in der Troposphäre in gößere
nach Westen – ebenfalls nach rechts – abgelenkt.
Höhen auf (bis 18 km) als an den Polen (bis 8 km).
Gemäß M1 entsteht dadurch ein Höhenhoch über Auf dem Weg zum Südpol sind die Richtungen um­gekehrt:
dem Äquator und ein Höhentief über den Polen. Die­ Luftmassen auf dem Weg zum Pol werden von ihrem Süd­
ser Druckunterschied wird durch Höhenwinde ausge­ kurs nach Osten, also nach links abgelenkt – ebenso wie die
glichen (Gradientwind), die der Gradientkraft folgend Luftmassen auf Nordkurs Richtung Äquator, die nach Westen
vom Gebiet des hohen Luftdrucks zum Gebiet des abgelenkt werden. So führt also die Corioliskraft auf der Nord­
geringeren Luft­drucks strömt. halbkugel zu einer Rechtsablenkung, auf der Südhalbkugel zu
einer Linksablenkung, und zwar um so stärker, je näher man
den Polen kommt.
https://www.planet-schule.de/mm/die-erde/Barrierefrei/pages/
Was_ist_die_Corioliskraft.html [abgerufen am 17.03.2022]
Nordhalbkugel: Südhalbkugel:

T T
Rotation der Erde Drehgeschwindigkeit
Wind Wind
DGK
DGK

0 km/h
CK CK 500 km/h
H H Winde
DGK - Druckgradientkraft
NHK: Ab hts
lenkung nach rec
CK - Coriolis-Kraft 1000 km/h

M3 Die Entstehung des Gradientwindes

1674 km/h

M4 Einflussbereiche der Corioliskraft


Die Corioliskraft beeinflusst das globale Windsystem, die SHK: Ablen ks
großen Luftströmungen auf der Erde. Damit hat sie einen kung nach lin
großen Einfluss auf das Wetter: In unseren Breiten zum
Beispiel strömt die Luft Richtung Nordpol und wird daher
nach Osten abgelenkt. Bei uns kommt der Wind also meis­
tens aus Westen, vom Atlantik her und bringt deshalb
eher feuchte Luft mit gemäßigten Temperaturen. Auch die
Jetstreams verdanken ihre Richtung der Corioliskraft.
Sogar tropische Wirbelstürme mit einigen 100 Kilometern M5 Die Auswirkung der Corioliskraft auf die Windrichtung
Durchmesser entstehen mit Hilfe der Corioliskraft. Denn
durch sie beginnt sich feuchtheiße Luft zu drehen bis sie
zum zerstörerischen Wirbel heranwächst. Die Corioliskraft
wirkt sich aber nicht nur auf große Luftmassen aus, sie Aufgaben
lenkt auch Meeresströmungen ab. So ist es zu erklären,
dass der warme Golfstrom auf dem Weg nach Norden 1. Erkläre die Entstehung des Gra­dient­windes (M1).
nach rechts driftet und große Teile Nordeuropas beheizt.
2. Erläutere die Ursachen für die Ab­len­­kung des
Übungen

https://www.planet-schule.de/mm/die-erde/Barrierefrei/pages/
Was_ist_die_Corioliskraft.html [abgerufen am 17.03.2022]
Gradientwindes (M2, M4, M5).
3. Benenne die Auswirkungen der Corioliskraft auf
unser Wetter (M4).

Thema 4: Wetter und Klima 173


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11 Passatwinde und ITC


M1 Was ist die ITC? HADLEY-ZELLEN

Die ITC, die innertropische Konvergenzzone (engl. Inter­


tropical Convergence Zone) ist eine Zone um den Äquator Subtropischer
30°N
(vgl. M2). Hochdruckgürtel
HADLEY- HADLEY-
Passatwinde
Am Äquator steht die Sonne mittags fast senkrecht (d.h. die ITC Innertropische
ZELLE ZELLE

Sonne steht im Zenit). Dies er­wärmt dadurch die Luft sehr Konvergenzzone
stark. Die erwärmte Luft steigt auf, kühlt ab, kondensiert und HADLEY-
ZELLE
Passatwinde
HADLEY-
ZELLE
es kommt täglich zu heftigen Niederschlägen (Zenital­regen) Subtropischer
Hochdruckgürtel
(vgl. M3, M4). 30°S

Am Boden entsteht durch die aufsteigenden Luftmassen Pfeile deuten Luftbewegungen an


ein stabiles Tiefdruckgebiet, die sogenannte äquatoriale
Tiefdruck­rinne. An der Tropopause (in etwa 15 bis 18 Kilo­
meter Höhe) strömt die aufgestiegene Luft nach Norden und
M2 Schematische Lage der ITC
Süden vom Äquator weg, dem Luft­druckgefälle folgend (siehe
Exkurs: Corioliskraft S. 174 M1). Ein Großteil der polwärts
strömenden Luftmassen sinkt im Bereich um ca. 30° Nord
NORD 30° 0° 30° SÜD
bzw. 30° Süd ab. Dort kommt es infolge der absinkenden und
sich dabei erwärmenden Luft zu Wolkenauf­lösung. Daher
T H T
befinden sich im Bereich der Wendekreise (um 30° Nord/
Süd) auch immer Trockengebiete (Wendekreiswüsten, wie
z.B. die S
­ ahara). Von diesem Bodenhoch strömen die Luft­ absinkende aufsteigende aufsteigende absinkende
massen dem B ­ odentief der äquatorialen Tief­druckrinne als kühle Luft warme Luft warme Luft kühle Luft
sogenannte Passatwinde entgegen (vgl. M4, M5).
Ganzjährig hohe
Niederschläge

Nordost-Passat T Südost-Passat
H H
Trockengebiet Savanne Tropischer Savanne Trockengebiet
Regenwald Realisierung: S. Coté

M4 Der Passatkreislauf (Hadley-Zelle)

PAZIFISCHER

OZEAN
ATLANTISCHER
im Sommer
ITC
OZEAN
Nördlicher Wendekreis 23,5° N 21.06

M3 Auf dem Satellitenbild ist das äquatorparallele Wolken­


band der ITC gut zu erkennen
Äquator 21.03
21.03 23.09 ITC im Win
ter

Südlicher Wendekreis 23,5° S


21.12
PAZIFISCHER
INDISCHER
OZEAN
OZEAN

M6 Die unterschiedliche Erwärmung von Land- und Meeres­


flächen beeinflusst die Lage der ITC stark. Die ungleiche
Verteilung der Landflächen bewirkt, dass die Mittellage
der ITC sich bei ungefähr 5° nördl. Breite befindet und
ihr Verlauf nicht geradlinig, sondern wellenförmig ist.

nördlicher Wendekreis (23,5°)


21.06
Nordsommer
M5 Schematische Darstellung der Passatwinde: durch die­ Sonnenhöchststand (Zenit)
Corioliskraft werden die Passatwinde auf der Nordhalb­- 21.03
kugel in Bewegungsrichtung nach rechts (Nord-Ost-­­ Äquator (0°)
21.03 23.03
Passat) und auf der Südhalbkugel in Bewegungs-
richtung nach links (Süd-Ost-Passat) abgelenkt.
Übungen

Überschreiten diese Winde den Äquator, so werden die Nordwinter


21.12
Passate auf der anderen Erdhalb­kugel wiederum in öst­
liche Richtung abge­lenkt. Der Nord­ost-Passat wird auf südlicher Wendekreis (23,5°)
der Südhalb­kugel zum Nordwest-Passat, und der Südost- M7 Schematischer Jahresverlauf der ITC gemäß dem Zenit­
Passat zum Südwest-Passat. stand der Sonne als Folge der Ekliptik und Erdrotation

174 Thema 4: Wetter und Klima


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senkrechter
21.3 Sonnenstand M9 Ausgewählte Klimadiagram-
Mittagsregen me der Tropen Afrikas
Zenitalregen
Nordost-Passat Südost-Passat (Regenzeit) Temperatur
(°C) Niamey
Niederschlag
(mm)
(Hauptstadt Nigers, nördliche Tropen)

ITCZ 150

100
TROPISCHE ZONE 40 80

N 30°N 23.5°N 20°N 10°N 0° 10°S 20°S 23.5°S 30°S S 35 70

nördlicher Äquator südlicher 30 60

Wendekreis Wendekreis 25 50

21.6 20

15
40

30

Westwindregen
Südost-Passat 10 20

5 10

Nordost-Passatt Südost-Passat 0
J F M A M J J A S O N D
0

TROPISCHE ZONE Temperatur


(°C) Yangambi
Niederschlag
(mm)

N S
(Kongo, zentrale Tropen)
30°N 23.5°N 20°N 10°N 0° 10°S 20°S 23.5°S 30°S 200

nördlicher Äquator südlicher 150

Wendekreis Wendekreis 100

40 80
22./23.9. 35 70

30 60

25 50

Nordost-Passat Südost-Passat 20 40

15 30

ITCZ 10 20

5 10
TROPISCHE ZONE 0 0
N 30°N 23.5°N 20°N 10°N 0° 10°S 20°S 23.5°S 30°S S J F M A M J J A S O N D

nördlicher Äquator südlicher


Wendekreis Wendekreis Temperatur Niederschlag
(mm)

21.12 Lusaka
(°C)
(Hauptstadt Sambias, südliche Tropen)
250

Westwindregen
200

Südost-Passat 150

Nordost-Passatt Südost-Passat
100

40 80

35 70

30 60

TROPISCHE ZONE 25

20
50

40

N 30°N 23.5°N 20°N 10°N 0° 10°S 20°S 23.5°S 30°S S 15 30

nördlicher Äquator südlicher 10 20

Realisierung: S. Coté Wendekreis Wendekreis 5 10

0 0
J F M A M J J A S O N D

M8 Verschiebung der ITC innerhalb der Tropenzone im Jahresverlauf

21. März 21.


21
1. Juni 23. September 22. Dezember M11 Regenzeiten und Trockenzeiten
23,5°N
Die ITC bildet sich im Bereich der größten Erwär­
Tropisches mung der Erdoberfläche. Daher folgt sie tendenziell
Wechselklima
dem Zenit­stand der Sonne, der von der Jahreszeit
Äquator immerfeuchtes abhängt. Dies geschieht mit einer Verzögerung von
Äquatorialklima etwa einem Monat.
Tropisches Am 21.06. (Sommersonnenwende auf der Nordhalb­
Wechselklima ku­gel) erreicht die ITC ihren nördlichen Höchst­
23,5°S stand am närd­lichen Wendekreis. Durch die gewisse
Regenzeit Trockenzeit Trägheit der gewaltigen Luftmassen ent­ stehen
in ­tropischen Gebieten zwischen Juli und Mitte
M10 Wechsel von Regenzeit und Trockenzeit aufgrund der Verla­ September häufig zwei feuchte (humide) Monate
gerung der ITC im Laufe eines Jahres
(Regen­zeit).
Da die Regenzeiten der ITC mit einer gewissen zeit­
lichen Verzögerung folgen, die gegen die beiden
Wendekreise hin zunimmt, erreichen die Regenzei­
ten die Zone der beiden Wendekreise daher nie.

Aufgaben
1. Erkläre die Ursachen für die täglichen starken Nieder- die Corioliskraft mithilfe von Buch S. 174.
schläge im Bereich des tropischen Re­gen­waldes (M1). 6. Die ITC verläuft nicht parallel zu den Beitenkreisen
2. Definiere die ITC (M1, M2, M4). (M6). Nenne die Gründe dafür.
3. Erläutere den Passatkreislauf anhand einer beschrif- 7. Erläutere mithilfe der Materialien M7, M8, M10 und
teten Skizze in deinem Heft (M1, M2, M4). M11 die Ent­stehung von Regenzeiten und Trockenzei-
ten innerhalb der Tropen.
Übungen

4. Recherchiere im Atlas nach Wendekreiswüsten welt­-


weit und erkläre ihre Entstehung (M1, M4; siehe auch 8. Nimm mit den Klimadiagrammen in M9 Bezug zur
S. 109). Verlagerung der ITC (M8, M10) und den damit zusam-
5. Erarbeite die Ablenkung der Passatwinde (M5) durch menhängenden Regen- und Trockenzeiten.

Thema 4: Wetter und Klima 175


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12 Zyklone und Antizyklone


M1
Jetstream
m warme Luft
kalte Polarluft kalt kalt

warme tropische Luft warm warm


kalte Luft

M2 Entstehung einer (Anti-)Zyklone M3


Die starken Temperaturunterschiede zwischen Äquator
und den Polregionen versuchen Meeresströme und Winde
auszugleichen. Dort, wo die warme Tropikluft auf die kalte Polarfront
warm
Polarluft trifft, entsteht ein breitenkreisparalleler Wind, der
Jetstream (vgl. M1). Der Jetstream ist ein starker Wind, der
sich in etwa 10 Kilometern Höhe bewegt und große Wetter­
systeme von West nach Ost transportiert.  
Der Jetstream verläuft nicht gerade, sondern mäandert,
da polare und warme Luftmassen unterschiedlich schnell
T
nach Süden und Norden dringen. Die sich dabei bildenden
langen Wellen werden als Rossby-Wellen bezeichnet.
T
Da die kalten und warmen Luftmassen entlang des Jet­
streams infolge der Corioliskraft in entgegengesetzte Rich­
tungen strömen, entstehen Verwirbelungszonen (vgl. M1).
Kommt es zu sehr starker Wellenbewegung, können sich
einzelne Wellen abschnüren: es bilden sich Hochdruckwir­  
bel (Antizyklone) bzw. Tief­druckwirbel (Zyklone).
T
Stauchung g
unigun
Abb Beschle
rem un g
sun Dehn
g
m
Strea K a l t l u f t t ro g
Jet
ftrücken
rmlu ken
Wa trüc
luf
m
 
r
Wa

Kaltfront
T Tiefdruckgebiet
(Zyklone) Kaltluft
Warmfront
Warmluft
Okklusion Windrichtung
5
101
0
102

5
102

98
0
T
975

995
1000
990
985
Aufgaben
Erdoberfläche

1. Übertrage M1 als beschriftete Skizze in dein Heft.


Realisierung: S. Coté

M4 Auswirkungen eines Jetstreams auf die bodennahen


Luftdruckver­hältnisse. Durch das mäandrieren kommt M2 und M3 helfen dir dabei.
es innerhalb des Jetstreams immer wieder zu Stau­ 2. Erkläre die Bedeutung des Jet­streams für das
chung und Dehnung, was zu Abbremsung bzw. Be­
wechselhafte Wet­ter in den gemäßigten Brei­ten
schleu­ nigung der Luftmassen führt. Durch den Luft­
(M1, M4).
massenüberschuss bei einer Stauchung werden die
Luftteilchen gen Boden gedrückt. Dort entsteht ein 3. Erläutere mithilfe von M4, warum ein Bodenhoch
Hochdruckgebiet. Umgekehrt entzieht der Jetstream schönes Wetter und ein Bodentief schlechtes
bei einer Dehnung in der Höhe dem Boden die Luft­ Wetter bedeutet.
massen, wodurch sich ein Bodentief bildet.
Ein Hochdruckgebiet am Boden bringt schönes Wetter 4. Vergleiche einen Hochdruckwirbel mit einem
Übungen

mit sich, da sich bei absinkenden Luftmassen die Luft Tief­druckwirbel (M4).
erwärmt, diese mehr Luftfeuchtigkeit aufnehmen kann 5. Erkläre, warum ein Flugzeug von New York nach
und es daher zur Wolkenauflösung kommt. Ein Boden­
Frankfurt viel schneller ist als ein Flugzeug, das
tief wiederum führt zu aufsteigenden Luftmassen, zur
Abkühlung, Kondensation und Wolkenbildung. dieselbe Strecke in umgekehrter Richtung fliegt.

176 Thema 4: Wetter und Klima


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13 Durchzug einer Zyklone

M1 Wetterfronten M2 Annäherung der Fronten


Kalt- und Warmfronten entstehen an
den Gren­ zen zweier Luftmassen, die A
auf­ein­­an­dertreffen. Die Unter­schiede
in Temperatur­und Dichte verhindern, warm
dass sich die Luftmassen sofort ver­
mi­­schen. Deshalb beginnt die leichte­

tor
re und wärmere Luftmasse, sich über

sek
die kältere und dichtere Luft­ masse sehr
kalt

m
zu erheben. Je größer die Temperatur- kalt

War
unter­schie­de zwischen den Luftmassen
sind, des­to höher ist die Frontaktivität,
d. h. es wird mehr Regen und Wind
geben. Okklusionsbeginn
B warm

Aufgaben
1. Definiere Fronten (M1) und be-
­nenne die Unterschiede von
sehr kalt
Warm- und Kaltfront (vgl. auch
kalt
S. 177).
Okklusionspunkt
2. Erläutere mithilfe der Mate­ria­
lien M2 bis M4 die typischen
Stadien von der Entstehung bis Okklusion
zum Verschwinden einer Zyklo-
C warm
ne.
3. Definiere Okklusion (M3, M4).
4. Beschreibe den Wet­terverlauf
beim Durch­­zug einer Zyklone
(M2, M5). kalt
sehr kalt
kalte Okklusion
Realisierung: S. Coté

M3 Okklusion M4
Kaltluft
Im Laufe des Lebenszyklus
einer Zyklone holt die schnel­ T T
ler ziehende Kaltfront, vom T
Tiefdruckkern ausgehend, den T
vorausziehenden Teil der lang­
sameren Warmfront nach und
Warmfront
nach ein. Man spricht hier von Warmluft Kaltfront
einer Okklusion (vgl. M2, M4).
Der zwischen den Fronten lie­
Idealtypische Entwicklung einer Zyklone (etwa 5 Tage) Okklusion Realisierung: S. Coté

gende Warmsektor wird dabei


immer mehr eingeengt, bis
schließlich die zwischen den
Fronten liegende Warmluft vom
Okklusionspunkt ausgehend
Kaltfront Haufen- Warmfront
wolken
vom Boden abgehoben wird. Wind
Der Okklusionspunkt ist der Wind
Punkt, an dem die Kaltfront
Schicht-
die Warmfront erreicht. Auf der Rückseiten- Warmluft- wolken Vorderseiten-
Wetterkarte liegt diese Gabe­
lungsstelle nahe dem Zentrum kaltluft sektor Kaltluft
Übungen

des Tiefs.
Landregen
https://www.gerd-pfeffer.de/zirk_okklu­ Schauer
sion.html [abgerufen am 10.03.2022]
Realisierung:: S. Coté

M5 Wetter beim Durchzug eines Tiefs (Zyklon)

Thema 4: Wetter und Klima 177


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METHODE
Wetterkarten analysieren

M1 Wetterkarten M2
Eine Wetterkarte enthält eine Unmenge
an Einzelinformationen, die das Wetter in
einem Gebiet zu einem gegebenen Zeit­
punkt beschreiben (vgl. M2, M3).
Dazu werden die Messwerte für Lufttempe­
ratur, Luftdruck, Bewölkung, Niederschlag,
Windrichtung und Windgeschwindigkeit
der Verlauf von Fronten in die Karte einge­
tragen. Um eine Wetterkarte richtig lesen
zu können, müssen diese Symbole erkannt
und richtig gedeutet werden. Anschließend
werden die so in der Karte zusammen­
getragenen Werte analysiert und inter­
prätiert. Sodann werden die erkennbaren
Fronten und Okklusionen in Form von
Symbolen in die Kartenwerke eingetragen.
Mit dem Einzeichnen der Isobaren (den
Linien gleichen Luftdrucks) in Bodenwet­
terkarten bzw. der Isohypsen (den Linien
gleicher Druckflächenhöhe) in Höhenwet­
terkarten, werden die Zentren und die
Verteilung der Tief- und Hochdruckgebiete
sichtbar. Für eine eingehendere Beurtei­ Aufgaben
lung der Wettersituation werden außerdem 1. Arbeite die Doppelseite durch.
die entsprechenden Satelliten- und Radar­
bilder herangezogen. 2. Analysiere die aktuelle Wetterkarte Europas und gib eine Prognose
http://www.gerd-pfeffer.de/syn_wk_analyse.html [abge­
ab. Überprüfe deine Wettervorhersagen später.
rufen am 05.04.2022]
Übungen

178 Thema 4: Wetter und Klima


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Arbeitsschritte zur Analyse einer Wetterkarte


1. Analyse der Karte Beispiel (siehe Wetterkarte unten) Windsymbole

Schritt 1: Bodenwetterkarte von Europa, gültig


Informationen zur Karte: Art der für den 1. März 2008 um 12 Uhr UTC,
Wetterkarte, Datum, Raum, Quelle Daten: MeteoSchweiz

Schritt 2: z.B. Berlin: 983,7 hPa, 8° C, Wind aus


Beschreibung der Wetterlage: WSW, relativ starker Wind mit 5 Beaufort
Lage zu Luftdruckgebieten und (enger Abstand der Isobaren), bedeckt,
Fronten, Großwetterlage, Zufuhr regnerisch (unmittelbar nach der Kalt­
von Hauptluftmassen front)

Schritt 3: Osten Mitteleuropas unter Einfluss der


Wetterbericht für den zu unter­ Kalt­front eines Tiefs mit Zentrum über
suchenden Raum Südschweden, West- und Südeuropa
be­einflusst vom Azorenhoch, das sich
bis zum Schwarzen Meer erstreckt, Zu­
fuhr maritimer Polarluft nach Deutschland

2. Wettervorhersage für den zu untersuchenden Raum

Prognose unter Berücksichtigung Niederschläge flauen nach dem Durch­


der Merkmale der Druckgebiete, zug der Kaltfront ab, wobei auch eine
Fronten, Hauptluftmassen Erwärmung erfolgt. Das Zwischenhoch
bringt eine kurze Auflockerung und der
Wind dreht auf W. Der anschließende
Durchgang der Warm- bzw. Kaltfront
bringt neue Schauer und die Lufttem­
© http://www.gerd-pfeffer.de/syn_wk_analyse.html;
http://klima-der-erde.de/karten.html [abgerufen am 05.04.2022] peratur sinkt ab.

Übungen

Thema 4: Wetter und Klima 179


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4.2 Globale Wetterphänomene


1 Tropische Wirbelstürme
M1 Entstehung von Tropischen Wirbelstürmen
Wirbelstürme gibt es besonders häufig im Spätsommer. Dann
nämlich, wenn das Meer im Sommer aufgeheizt ist und sehr
viel Meerwasser verdunstet. Das heißt, Wassertröpfchen
steigen in großen Dampfwolken in die Luft auf. Dabei strömt
von allen Seiten feuchtwarme Luft nach. Weil die Erde sich
dreht, beginnen auch die Luftmassen sich wie in einer Spirale
zu drehen. Dabei kann ein riesiger Wirbel entstehen. Im mitt­
leren Teil dieses Wirbels, dem so genannten Auge (vgl. M2),
ist es ganz ruhig. Hier sinkt die Luft wieder ab. Doch drum­
herum kreist ein gewaltiger Sturm. Erst über dem Festland
oder kühlerem Wasser verliert der Sturm an Stärke, da keine
feuchtwarme Luft mehr verdunsten kann. Seine Zerstörungs­ © NASA / Wikimedia Commons
kraft ist dennoch gewaltig.
M2 Der Hurrikan Isabel von der ISS aus fotografiert. Das
https://www.zdf.de/kinder/logo/wirbelsturm-102.html [abgerufen am 23.03.2022] Auge des Sturms ist gut zu erkennen.

kalte Luft
warme Luft

Kondensation
Auge
Kondensation

© NASA / Wikimedia Commons


Regen Regen
M4 Der Taifun Chaba südlich von Japan im
August 2004. Ein Wirbelsturm kann sich
über dem Meer zu einem recht stabilen
Meerwasser >26°C System entwickeln, welches mehrere
Verdunstung Verdunstung Tage und sogar Wochen erhalten bleibt.
Dabei kann er große Wege zurücklegen
Quelle: DW, Realisierung: S. Coté
und Windge­schwindigkeiten bis zu 300
M3 Querschnitt durch einen tropischen Wirbelsturm km/h erreichen.

Aufgaben
1. Erkläre mithilfe der Materialien M1
und M3 die Entstehung eines Tro­pi­
schen Wirbelsturms.
2. Beschreibe die Kennzeichen eines
Tro­pi­schen Wirbelsturms (M2 - M4).
3. Nenne anhand von M5 die geo­­gra-
phische Lage, wo Tropische Wir­bel-
stürme entstehen können sowie ihre
Verlaufsbahnen. Begründe dei­ne
Ant­wort.
© NASA / Wikimedia Commons
4. Erläutere, ob auch in Europa die
M5 Die Verlaufsbahnen der Tropischen Wirbelstürme von 1985 bis 2005.
Gefahr Tropischer Wirbelstürme
Übungen

Je nachdem, wo der Wirbelsturm entsteht, hat er einen anderen Na­


men: Ein Wirbelsturm über dem Atlantischen Ozean heißt Hurrikan, besteht.
über dem Nordpazifik heißt er Taifun. Entsteht er im Indischen Ozean,
bezeichnet man ihn als Taifun, und erreicht dieser Indonesien und
Australien, so wird er Willy Willy genannt.

180 Thema 4: Wetter und Klima


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2 Tornados

M1 Entstehung eines Tornados (Windhose)

trockene,
kühle
Luft

feuchte,
warme warme Luft
Luft

Réalisation : S. Coté

Trockene Kaltluft legt sich über feucht­ Starke Aufwinde in der Gewitterwolke lassen die Durch den starken Unterdruck wird immer mehr
warme Luft, die aufsteigt und konden­ Luft rotieren, so dass heftige Windwirbel entste­ Luft angezogen, der Wirbel dreht sich immer
siert. Gewitterwolken bilden sich. Warm­ hen. Seitenwinde versetzen diese in Drehbewe­ schneller und wächst senkrecht in die Tiefe.
luft steigt auf, Kaltluft sinkt im Inneren gung und verdichten diese zu einer nach oben Berührt er den Boden, reißt er alles mit in die
ab. gerichteten Spirale. Höhe und richtet massive Zerstörung an.

© TSgt Bradley Church / Wikimedia Commons © http://weknowyourdreams.com/tornado/tornado-04.html

M2 Die Spur eines Tornados in Oklahoma, USA. Tornados M3 In den USA werden jedes Jahr über 1.500 Tornados
wirken im Gegensatz zu Tropischen Wirbel­ stürmen registriert, in Deutschland sind es etwa 20 bis 60.
kleinräumig und haben oft nur eine Lebens­dauer von
wenigen Minuten. Sie ziehen mit 50 bis 100 km/h über
ein Gebiet und hinterlassen einen 5 bis 10 km − im Ex­
tremfall bis 300 km − langen Streifen der Zer­störung mit Source : wikimedia, Pierre Cb. Réalisation : S. Coté

einigen hundert Metern Breite.


ng
mu
strö
t

kalte und
Luf

Süd-
trockene Dakota

Aufgaben Luft Nebraska Iowa


Tornado Alley
1. Erkläre anhand von M1 die Entstehung eines Colorado
Tornados. Kansas

2. Beschreibe die Schäden, die ein Tornado Oklahoma

hinterlässt (M2). heiße und


3. Recherchiere im Internet nach Tornados in trockene
Texas
Luft
deinem Land (M3).
heiße und
Übungen

4. Erläutere mithilfe von M4, warum gerade feuchte Luft


der mittlere Westen der USA so stark von
Tornados betroffen ist. M4 Tornado Alley ist ein Gebiet im Mittleren Westen der
USA, in dem jedes Jahr eine hohe Anzahl an Tornados
vorkommt.

Thema 4: Wetter und Klima 181


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3 Der Monsun in Indien


M2 Die globale Bedeutung des Monsuns
IInd
ndische
disch
iischer
her
err
e Ostasia
Os
Ostasiatischer
Ostasiatischer
tasiatisc
s Der Monsunniederschlag zeigt starke Schwankun­
Monsu
Mon
onsusun Monsun
Monsu
M onsun
ssu
u
Mittelamer
Mittelamerika
itt
ttela
elamerika
elame
Monsun
M onsu
onsun
mer
erikani
ikan
an
nis
nisch
ische
her
h er
Westafrikanischer
kanischer
ni gen von Jahr zu Jahr, die für Dürren und Über­
Monsun
Monsu
M onsun
nsu
nsun
schwemmungen verantwortlich sein können. In vie­
len Monsungebieten ist die Landwirtschaft daher in
Südw
Südwestpa
Südwestpa
ü dwestp
es pazifischer
azifischer
sc e
Südamerikanisch
Südamerikanisc
üdamerikani
d erikani cher
Monsun
Monsu
Monsun
he
Süda
Südafrika
Südafrikanische
üda
ü afffrikani
rikani
rikanischer
ikan
ka
kanisc
k a i hher
Australische
Austra
Aus
Au
Au
ustralischer
sstttralische
rra
a isch
scherr hohem Maße von den sommerlichen Monsun-Nieder­
Monsu
M
Mon ssuun
u n
Monsun Monsun
Monsu
M
Mons
Mon
on u un
n schlägen abhängig. Auch für den Anbau in der Nach­
monsunzeit (ab November auf der Nordhalbkugel)
sind die vorausgegangenen Monsunniederschläge
M1 Regionen mit Monsunniederschlägen. In den Monsungebie­ wichtig, da bei reichlichen Niederschlägen Boden­
ten der Erde wechselt die Windzirkulation zweimal im Jahr die feuchte und Grundwasserspeicher hoch sind, was
Richtung. Damit einher gehen hohe saisonale Niederschläge, den Winterpflanzen zugute kommt bzw. der Bewässe­
die mit Trockenzeiten abwechseln. In den Monsungebieten rung als auch der Trink­wasserversorgung der Bevöl­
­fallen 31 % der globalen Niederschläge, obwohl sie nur 19,4 % kerung dient.
der Erdoberfläche einnehmen. Es gibt weltweit keine Klimaschwankung, die einen
größeren Einfluss auf die Gesellschaft hat, als die
Veränderungen des Monsun-Nieder­schlags, der die
Lebensader von zwei Drittel der Weltbevölkerung
darstellt. Insbesondere gilt das für Indien und China
Maximum bei 25° Nord mit ihren sehr hohen Bevölkerungsdichten in den
Nördlicher Wendekreis 23,5° N
Monsungebieten. Veränderungen der Monsunzirku­
lation durch den Klima­wandel sind daher von größter
ITC im Juli Bedeutung.
ITC im Dezembe
Äquator r
https://klimawiki.org/klimawandel/index.php/Globaler_Monsun [abge­
rufen am 05.04.2022]
Südlicher Wendekreis 23,5° S

Maximum bei 20° Süd

Aufgaben
M3 Die ITC ist im Nordsommer über Süd­asien extrem weit nach
Realisierung: S. Coté

Norden verlagert. 1. Nenne die Kennzeichen


von Monsungebieten (M1).
2. Beschreibe die große glo­-
bale Bedeu­tung des Mon-
suns (M2, M5).
höherer Luftdruck Die Luftmassen werden an der Luv-Seite
aufsteigende
im Vergleich zum der Gebirge zum Aufsteigen gezwungen,
Luftmassen
Hitzetief über kühlen ab: Kondensation, Wolkenbildung
Innerasien T
H sommerliches
Windrichtung Lee Hitzetief

Luv
Verdunstung Asien

23,5° n. Br.
Wassertemperatur 24°-26°C Südasien Wendekreis
Indischer Ozean Westghats Dekkan Hochland Fluss-Tiefebene Himalaya Hochland von Tibet
(Ganges bzw. Indus)

M4 Sommermonsun über Indien und Pakistan: ein Hitzetief jenseits des nördlichen
Wendekreises (vgl. M4, M7) bringt langanhaltende Regenfälle.

M5 Bäuerinnen beim Setzen der


Kalte schwere Reispflanzen. Die indische
Luftmassen
Die ITC befindet sich Land­ wirt­
schaft ist auf den
südlich des Äquators absinkende H Mon­sun ange­wiesen, denn
T Luft erwärmt sich
und wird trocken
Winterliches
Luv Kältehoch
er bringt die benötig­ten Nie­
derschläge (Regenfeldbau).
Windrichtung Fällt er zu schwach aus oder
Verdunstung Luv Lee Asien setzt er mit großer Ver­­zöger-
Lee
23,5° n. Br. ung ein, hat das massive
Übungen

Wassertemperatur 20°-23°C Südasien Wendekreis Folgen für die Land­wirtschaft:


Indischer Ozean Westghats Dekkan Hochland Fluss-Tiefebene Himalaya Hochland von Tibet ohne aus­rei­chend Nieder-­
(Ganges bzw. Indus)
Realisierung: S. Coté schlag kommt es zu Ernteaus­
M6 Wintermonsun über Indien und Pakistan: die von der tibetischen Hoch­­ebene kom­ fällen, Nahrungsmittelknapp­­
menden trockenen Winde bewirken Dürreperioden. heit und Hungerkrisen.

182 Thema 4: Wetter und Klima


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Sommer Winter
Süd-Ost-Monsun H Kältehoch
Nord-West-Monsun

T Hitzetief

Süd-West-Monsun Nord-Ost-Monsun
(Sommermonsun) (Wintermonsun)

M7 Sommer- und Wintermonsun in Indien

M8 Monsun in Indien
In Indien herrschen im Winterhalbjahr vorwiegend Nord­
ostwinde (Nordost-Passate), die kühle trockene Luft vom
asiatischen Fest­land bringen. Im Sommerhalbjahr wehen
die Südost-Passate über den südlichen indischen Ozean.
Beim Überqueren des Äquators werden sie zu Südwest­
winden, welche sich über dem Meer mit Wasserdampf
angereichert haben. Der indische Subkontinent erlebt nun
eine Regenzeit. Cherrapunji, mit 10.420 mm pro Jahr der
niederschlagreichste Ort der Erde, erhält den größten Teil
des Wassers im Sommer.
Je nach Landesteil beginnt der Monsun zwischen April
und Juni und dauert etwa drei Monate. Im südlichen Indien © Help / GUK Aftab Hossain

beginnt die Regenzeit früher als im Norden des Landes. In M9 Der Monsun fordert alljährlich mehrere hundert Tote, und
der Regenzeit ist der Himmel oft bewölkt, die Temperatu­ Millionen von Menschen werden aufgrund der Über­
ren sinken, und ungeheure Wassermassen ergießen sich in schwemmungen obdachlos .
kürzester Zeit über das ausgedörrte Land.
https://raonline.ch/pages/edu/cli2/monsun00.html
[abgerufen am 05.04.2022]
M11 Auswirkungen des Monsuns in Indien
Über die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist
vom Monsun als einzige Wasserquelle abhängig. Künstliche
Bewässerungssysteme findet man daher selten. Neben aus­
reichenden Ernteerträgen sichert der Monsun auch die Trink­
wasserversorgung eines großen Teils der Bevölkerung. Zahl­
reiche Staudämme sichern in Indien die Stromversorgung und
sind für wirtschaftliche Produktion essenziell.
Der ersehnte Regen ver­ wüstet jedoch vielfach auch ganze
Land­ striche: Verkehrsverbindungen sind unterbro­ chen,
Straßen wochenlang überflutet, Schulen, Fabriken, Adminis­
trationen über Wochen geschlossen, Dämme brechen, Flüsse
treten über die Ufer − und auch die Helfer kommen nicht immer
zu den Katastrophen­orten.
Und: der Monsun ist auch die beste Jahreszeit für die Ver­
mehrung von Mücken, da die überall stehenden Pfützen, Tüm­
© Imtiyaz Shaikh pel und Seen die besten Brutplätze sind. Daher fallen in die
M10 Mit dem Einsetzen des Monsuns werden die Städte und Monsunzeit auch die meisten Fälle von Malaria, Lungenentzün­
Dörfer regelmäßig überflutet. dung, Dengue-Fieber, Fieber und Durchfall.

Aufgaben
Übungen

3. Erkläre ausführlich mithilfe der Materialien M3, M4, Auswirkungen des Monsuns auf das Leben in Indien.
M6 - M8 die Entstehung des Sommer-und des Winter- 5. Bewerte die Aussage: Der Monsun ist für die indische
monsuns in Indien. Bevölkerung Fluch und Segen zugleich.
4. Erarbeite aus M9 - M11 die positiven und negativen

Thema 4: Wetter und Klima 183


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4 Das El Niño-Phänomen
NORMALE SITUATION M2 Was ist El Niño?
El Niño ist ein Klimaphänomen, das sich auf dem Pazifik ab­
Luft heißß spielt, aber globale Auswirkungen hat. Hervorgerufen wird
cht
und feucht Luft trocken El Niño durch eine Umkehrung von Wasser- und Luftströ­
und kühl mungen in der Nähe des Äquators im und über dem Pazi­
fik. Winde treiben feuchte Luft nicht wie sonst nach Aus­
tralien und Südostasien, sondern umgekehrt nach Osten in
Australien
NORMALE SITUATIONSüdamerika
Passatwind
Richtung der südamerikanischen Westküste (vgl. M1).
In einem normalen Jahr schieben die Passatwinde das von
Luft heißß der Sonne erwärmte Oberflächenwasser nach Westen. Am
und feucht
cht Luft trocken Westrand des Pazifiks (nahe Australien, Indonesien und
warmer Meeresstrom und kühl Papua-Neuguinea) steigen die Luftmassen über dem war­
Fischreichtum
men Wasser auf (Konvektion). Ein Bodentief bildet sich. In
Passatwind Aufstieg von kaltem Tiefenwasser der Höhe strömt die Luft zurück in Richtung Südamerika
und sinkt dort großflächig ab. Ein Bodenhoch bildet sich
M1 In Australien
vom Osten des Pazifiks E N -J
normalen Jahren wird durch die Passatwinde
L inIÑO
Wasser
Südamerika
AHR Asien gedrückt. Es
Richtung aus. Diese äquatoriale Luftzirkulation zwischen Südamerika
feuchte
heizt sich auf, steigt in der Atmosphäre auf undLuft,
es kommt und Australien heißt Walker-Zirkulation. Damit ist es über
Luft
zuheiß
Regenfällen im Westen des Pazifiks. Überschwemmung
hwemmung Australien und Ozeanien warm und feucht und über Peru
und trockenwarmer Meeresstrom Fischreichtum relativ kühl und vor allem trocken. Dadurch, dass warmes
Wasser nach Westen geschoben wird, strömt kaltes, nähr­
Trockenheit, Aufstieg von kaltem Tiefenwasser stoffreiches Tiefenwasser zur Oberfläche. Das freut zu­
Waldbrände EL NWirbel-
bbel-l--JAHR
IÑO
nächst die Fische, später die peruanischen Fischer.
Während eines starken El Niños (vgl. M3) wehen die Pas­
enn
Australien stürme feuchte Luft,
Südamerika satwinde weniger stark. Die gesamte Walker-Zirkulation
Luft heiß Überschwemmung
hwemmung
schwächt sich ab. Folglich wird das Tief über dem West­
und trocken pazifik schwächer, das Hoch vor Südamerika auch. Insge­
Fehlen von
Trockenheit, kühler Meeresstrom Fischen samt sind also die Luftdruckunterschiede geringer. Es kann
sogar dazu kommen, dass sich die Zirkulation umkehrt und
Waldbrände bbel-l-
Wirbel- nun Luft bodennah von Australien in Richtung Südamerika
Réalisation : S. Coté

enn
Australien stürme Südamerika
strömt. Das warme Wasser verbleibt im östlichen und zen­
tralen tropischen Pazifik und das kalte Tiefenwasser schafft
es nicht bis zur Oberfläche, d.h. keine Fische vor Peru. Die
Fehlen von aufsteigenden Luftmassen befinden sich nun eher im zen­
kühler Meeresstrom Fischen
tralen Pazifik (über dem wärmsten Wasser). Damit wird es
Réalisation : S. Coté
in Australien, Ozeanien und dem tropischen Südostasien
M3 In einem El-Niño-Jahr erschlaffen die Passatwinde oder heißer und trockener. Dagegen befindet sich feuchtere Luft
drehen sich sogar um. Die warmen Wassermassen vor Peru und führt dort zu überdurchschnittlich starken Nie­
schwappen praktisch von Asien aus in Richtung Amerika derschlägen.
zurück. Dadurch kommt es in Südostasien zu trockenen https://wetterkanal.kachelmannwetter.com/was-ist-el-nino-was-ist-la-nina/
Phasen, in Amerika kann es häufiger regnen. [abgerufen am 06.04.2022]

OCEAN GLACIAL ARCTIQUE

M3 Auswirkungen von El Niño M4


Ein El Niño-Ereignis verändert nicht PAZIFISCHER
nur die Wettersysteme über dem tro­
China
pischen Pazifik, sondern kann das
ATLANTISCHER OZEAN
Wetter weltweit beeinflussen (vgl. M4).
So verändert sich z.B. die Lage des Karibik
Jet-Streams über dem Nordpazifik. Bei PAZIFISCHER

einem starken El Niño ist es im Winter Ostafrika


Amazonien
über den südlichen USA feuchter, im INDISCHER Indonesien

Amazonasregenwald, Südostasien und OZEAN


OZEAN

im Süden von Afrika dagegen trocke­ Südliches OZEAN


Afrika
ner. Über Indien und Südostasien ist es Australien
heißer und der indische Sommermonsun
Changement climatique Catastrophes naturelles
weniger niederschlagsreich. Alaska und Starker Temperatur- Feuer
anstieg
Westkanada erleben einen milden Win­ 0 2 000 km Starker Temperatur- Wirbelstürme
abfall Viel Regen und
ter. In El-Niño-Jahren ist außerdem die Réalisation : S. Coté
Trockenheit / Dürre Überschwemmungen

Hurrikan-Aktivität im tropischen Atlantik


eher schwach, die der Taifune im Pazifik
Aufgaben
Übungen

dagegen verstärkt.
https://wetterkanal.kachelmannwetter.com/was-ist- 1. Beschreibe die Verhältnisse in Niño-Jahres (M2, M3).
el-nino-was-ist-la-nina/ [abgerufen am 06.04.2022]
einem normalen Jahr (M1, M2). 3. Nenne die Auswirkungen von El
2. Erkläre die Entstehung eines El Niño weltweit (M3, M4).

184 Thema 4: Wetter und Klima


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EXKURS
Das La Niña-Phänomen

M1 M2 Was ist La Niña?


LA NIÑA Im Gegensatz zu El Niño kehren sich die Wind- und Strö­
mungsverhältnisse im Pazifik während eines La-Niña-
ssehr starke Passatwinde Trockenheit Ereignisses nicht um, sondern verstärken sich sogar
und Dürre gegenüber dem Normalzustand. So weht der Passatwind
von Südamerika Richtung Äquator stärker als gewöhnlich
und drückt das warme Oberflächenwasser weiter nach
Westen Richtung Australien und Südostasien. Dadurch
Australien Südamerika steigt im Südostpazifik vermehrt kaltes Wasser aus der
Tiefe auf und bildet entlang des Äquators eine markante
Kaltwasserzunge (vgl. M4).
starker
Tiefenstrom
Wenn die Passate an Stärke gewinnen wird der Warm­
wasser­körper des tropischen Pazifik auf dessen west­
lichsten Teil be­
schränkt. Dies führt zu anomal warmen
Aufstieg von kaltem Tiefenwasserstrom Meeresoberflächen­temperaturen nördlich von Australien.
Die Meeresoberflä­chen­temperaturen im zentralen und
östlichen Teil des tropi­schen Pazifiks werden kühler als
M3 Auswirkungen von La Niña üblich.
Dieses Klimaphänomen von kaltem Wasser im Südosten und Sowohl El Niño als auch La Niña führen zu massivem
sehr warmem Wasser im Westpazifik hat anschließend Auswir­ Fischmangel und Naturkatastrophen wie heftige Stark­
kungen auf die Verteilung des Luftdrucks und in der Folge auch regen, Überschwemmungen und Dürren. Beide Phänome
auf die Verteilung und Stärke des Regens (vgl. M5). Während sind zyklisch und folgen aufeinander. La Niña dauert nor­
es in Australien und Südostasien deutlich nasser wird, gehen im malerweise zwischen 9 Monaten und 3 Jahren, abhängig
ohnehin schon sehr trockenen Südamerika die Regenfälle noch von seiner Intensität.
weiter zurück. Vor allem in Peru, Chile und in Argentinien. Hier https://www.enso.info/enso-lexikon/lexikon-l.html, ergänzt
wird es also noch arider. [abgerufen am 06.04.2022]

Weil das Auftreten tropischer Wirbelstürme sehr eng mit den


Temperaturen des Meeres zusammenhängt, hat La Niña so
auch einen Einfluss auf die Bildung tropischer Wirbelstürme
im Westpazifik. So werden beispielsweise auch die Philippinen
während La Niña häufiger von Taifunen heimgesucht. Auch
Australien, Süd- und Südostasien sind während einer La-Niña-
Phase vermehrt dieser Naturgefahr ausgesetzt.
La Niña hat auch starke Auswirkungen über den Pazifikraum
hinaus. So nehmen zum Beispiel auch in der Sahelzone von
Ghana bis in den Sudan sowie im Süden Afrikas die Nieder­
schläge zu, während es in Ostafrika eher trockener wird. Auch in
Indien kann der Monsunregen im Sommerhalbjahr heftiger aus­
fallen. In Nordamerika fällt das Wetter vor allem im Nordwesten
und bei den Großen Seen an der Grenze zwischen Kanada und © NASA
den USA feuchter aus, während es im Süden der USA und in
Mexiko vermehrt zu Dürren kommt. M4 Beispiel für ein La Niña-Phänomen − niedrigere Tem­
peraturen im mittleren und östlichen Pazifik (blau).
Niedriger Luftdruck und mehr tropische Wirbelstürme in Ostasien
können mehr Wärme in die höhere Atmosphäre transportieren
und dadurch Auswirkungen auf den Polarwirbel haben. Dieser
hat wiederum Einfluss auf das Wetter in Europa. Da diese Pro­ Folgen von La Niña
zesse jedoch extrem kompliziert sind und sich auch gegenseitig
beeinflussen, gibt es durch­aus unterschiedliche Auffassungen,
welchen Einfluss ein La-Niña-Ereignis auf das Wetter in Europa
zu trocken
haben kann. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass
zu nass
ein La Niña in Nordeuropa für kalte, schneereiche Winter sorgen zu nass
kann, andere wiederum schreiben solche Effekte ausgerechnet
dem Gegenspieler El Niño zu. zu trocken
zu nass zu nass
https://www.wetter.de/cms/la-nina-extremes-wetterphaenomen-mit-
weltweiter-bedeutung-4651742.html [abgerufen am 06.04.2022]

M5 Die weltweiten Auswirkungen des Klimaphänomens


Übungen

La Niña
Aufgaben
1. Vergleiche das El Niño-Phänomen (S. 185) mit La 2. Nenne die Auswirkungen von La Niña weltweit (M3,
Niña (M1, M2). M5).

Thema 4: Wetter und Klima 185


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4.3 Die Auswirkungen des Klimas auf


menschliche Aktivitäten
Ein themenübergreifendes Projekt in S5
Kein Bereich der Geographie hat einen solch großen Umgekehrt lassen sich aufgrund der Bauweise in
Einfluss auf die Lebensweisen der Menschen wie einem Gebiet Rückschlüsse auf das Klima ziehen
das Klima. Niederschlag und Temperatur bestim­ und durch die ver­wendeten Baumaterialien die geo­
men zusammen mit der Bodenfruchtbarkeit, was logischen Ver­hältnisse erkennen.
in einer Region angebaut werden kann und wovon In extremen Klimazonen wird vom Menschen eine
sich die Menschen ernähren können (vgl. Thema 1). extreme Anpassung gefordert. Dabei geht es nicht
Die klimatischen Verhältnisse bestimmen auch den um das moderne Leben dank technischer Erfindun­
Bau von Häusern und Siedlungen (vgl. Thema 3). gen, sondern um die ursprünglichen angepassten
Lebensweisen der Menschen.

Aufgabe
Erarbeitet in Kleingruppen Präsentationen zum Einfluss Neben Recherchen im Internet findet ihr in den Exkursen
des Klimas auf das Leben der Menschen in den verschie- der Kapitel 1 und 3 in diesem Buch erste Anregungen.
denen Klima- bzw Vegetationszonen.

Wie sich die Menschen ernähren (vgl. Thema 1):


Niederschlag, Temperatur, Bodenverhältnisse und
Relief sind entscheidend für die Art der Landwirtschaft
sowie die angebauten Produkte (vgl. M1).

Wie die Menschen wohnen (vgl. Thema 3):


Bereits vor der Erfindung von Klimaanlagen und Hei­
zung haben Menschen durch traditionelle Architektur
ihre Häuser und Siedlungen an die klimatischen Bedin­
gungen angepasst (vgl. Exkurs S.199).

© flog / franks-travelbox

M1 Auf den Terrassenfeldern im Kolka-Tal im Süden Perus


werden Kartoffeln, Mais, Amaranth, Quinoa und weitere
Gemüsesorten angebaut.

Wie die Menschen leben:


Welchen Einfluss nimmt das Klima auf den Alltag der
Menschen in den einzelnen Klimazonen? Wie haben
sie ihre alltägliche Lebensweise daran angepasst?
Gehen sie abends mit dem Sonnenuntergang schlafen
oder halten sie über Mittag Siesta? Wie begräbt man © Teresa Cotsirilos

Tote in Permafrostgebieten (vgl. M2)? Welche speziel­ M2 In Permafrostgebieten kann man den Sarg nicht einfach
len Krank­heiten bringen spezielle Klimabedingungen in der Erde vergraben, denn er kommt im Laufe der Zeit
mit sich? Warum siedeln sich Menschen in Hochebe­ wieder an die Erdoberfläche. Entweder beschwert man
nen von über 4.000 m Höhe an, wie im Himalaya oder das Grab mit Steinplatten, oder man vergräbt die Särge
den Anden? erst gar nicht.

Mögliche Themen sind: - die Inuit Alaskas und Kanadas


Übungen

- die Yanomami im Amazonastiefland - Leben in Permafrostgebieten


- die Massai in den Savannen Ostafrikas - Leben im Hochland Ostafrikas
- die Indianer im Hochland der Anden - Leben in einer orientalischen Stadt
- die Samen Nordeuropas - ...

186 Thema 4: Wetter und Klima


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Exkurs
Klimaangepasstes Bauen

© U. and H. Maurer / Creativ Commons

M1 Windtürme zur Kühlung der Gebäude in Yazd, Iran. © PixelRaw / Pixabay

M2 In Trockengebieten werden oft ganze Städte mit


mehr­­stöckigen Gebäuden aus Lehm gebaut, wie hier
in Ajt bin Haddu in Marokko. Enge Gassen umgeben
von hohen Mauern schützen zudem vor direktem
Sonnenlicht und verhindern eine zu starke Aufheizung.
Wenige und kleine Fenster zur besseren Isolation fin­
den sich sowohl in heißen als auch in kalten Zonen.

© gittesblogomvietnam.blogspot.com

M3 Ein Rông-Haus, das traditionelle Gemeinschaftshaus ethni­


scher Minderheiten im zentralen Hochland von Vietnam, ist
aus extrem leichten und nicht isolierenden Materialien ge­ © HBieser / Pixabay

baut. Das steile Dach lässt die regelmäßigen Niederschläge M4 Die weißen Häuser auf der griechischen Inseln Santo­
rasch ablaufen und schützt vor der Sonne. Die seitlichen rin reflektieren nicht nur sehr stark das Sonnenlicht, die
Gebäudeöffnungen ermöglichen eine gute Durchlüftung im dicken Mauern aus Stein und fast fensterlosen Räume
warmen, dauerfeuchten Klima. Der Bau auf Stelzen verhin­ verhindern zudem eine zu starke Aufheizung im Inne­
dert Fäulnis von unten und schützt vor Überschwemmung. ren der Häuser. Übungen

© Maurizio Ceol / Wikimedia Commons

M5 Gebäude in Permafrostgebieten müssen auf tief im Boden M6 Ein Iglu ist mit seiner runden Form ideal an kalte
verankerten Stelzen oder Betonsäulen gebaut werden, da Zonen angepasst, da es das maximale Volumen bei
das Haus sonst durch das sommerliche Auftauen der obe­ kleinstmöglichster Oberfläche bietet und dadurch der
ren Bodenschichten einsinken und brechen würde. Wärmeverlust am geringsten ist.

Thema 4: Wetter und Klima 187


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Thema 4
n-
Zusamme
fassung

Wetter
und Klima
Zusammenfassung

Gewitter in der Kalahari


bei Stampriet, Namibia

© Hp.Baumeler / Wikimedia Commons

188 Thema 4: Wetter und Klima


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4.1 Prozesse in der Atmosphäre


In der untersten Schicht der Atmosphäre, der sogenann­
ten Troposphäre, findet wegen des Wasserdampfgehalts
als Folge von Luftströmungen unser Wettergeschehen
statt. Diese Schicht ist an den Polen etwa 8 km, am Äquator 17
km hoch reichend.
Wetter meint den momentanen Zustand der unteren
Atmos­phäre an einem konkreten Ort zu einer bestimm­
ten Zeit. Unter Klima dagegen wird die Gesamtheit der für
einen Raum typischen Witterungsabläufe verstanden.
­
Hier werden die Klimaelemente, z.B. Temperaturen, Wind,
Niederschläge, Bewölkung, Luftdruck, über einen länge­ren NASA

Zeitraum, meist von Jahrzehnten, gemessen. Auf die Ausprä­ 1 Die Schichten der Atmosphäre. Die dunkelblaue
Schicht entspricht der Mesosphäre.
gung eines bestimmten Klimas nehmen Klimafaktoren Ein­
fluss, wie die geographische Breitenlage, die Höhenlage,
das Relief, die Land-Meer-Verteilung, die Exposition und
die Bodenbedeckung.
Wettersatelliten im Weltall, aber auch lokale Messungen
durch Wetterstationen auf der Erde helfen, Wettervorher­
sagen zu treffen.
Ohne die Lufthülle der Erde, die Atmosphäre, wäre kein
Leben möglich. Sie schützt uns z.B. vor der schädlichen
UV-Strahlung der Sonne oder vor Kälte. Sie enthält auch
­natürliche Treibhausgase, wie Wasserdampf, Kohlen­
dioxid und Methan. Durch den natürlichen Treibhaus­effekt,
bei dem ein Teil der kurzwelligen Energie der Sonne von der PPC

Erdoberfläche absorbiert und als langwellige Strahlung wie­ 2 Die Tropen

der reflektiert wird und dabei nicht komplett in den Welt­raum


abgegeben, sondern von der Troposphäre zurückgehalten
wird, haben wir auf der Erde eine durchschnittliche Lufttem­
peratur von 15°C.
Die Intensität der Sonneneinstrahlung in Bezug auf Be­
leuchtung und Wärme ist stark abhängig von der geogra­
phischen Lage der Orte. So ist sie am Äquator wegen der
fast senkrecht auftreffenden Sonnenstrahlen höher als an
den Polen, die nur einen flachen Einstrahlungswinkel zur
Sonne haben. Dadurch werden die Polargebiete nicht so
stark erwärmt wie Orte nahe dem Äquator. Durch Meeres­
strömungen und Winde werden diese Wärmeunterschiede
ausgeglichen. Die Beleuchtungszonen der Erde sind die PPC

Polarzone, die Gemäßigte Zone und die Tropenzone. 3 Die Gemäßigte Zone
Klimazonen umspannen die Erde als ost-west-verlau­fen­
de Gürtel, die mehr oder weniger parallel zu den Breiten­
kreisen angeordnet sind. Dabei hat die jeweilige Zone
Zusammenfassung

einheitliche klimatische Merkmale. Es werden dabei die


Polarzone, die Subpolarzone, die Gemäßigte Zone, die
Subtropen und Tropen unterschieden.
Da das jeweilige Klima Einfluss auf die Entstehung und
Entwicklung der natürlichen Pflanzenwelt hat, bilden sich
entsprechende Vegetationszonen heraus, so die S ­ chnee-
und Eiswüste, Tundra, der Boreale Nadelwald, der som­
mergrüne Laub- und Mischwald, die Steppe, Hochgebirgs­
vegetation, Hartlaubgewächse, Wüsten und Halbwüsten, PPC

Savannen sowie der Tropische Regenwald. 4 Die Polare Zone

Thema 4: Wetter und Klima 189


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Eine besondere Rolle spielt dabei das Klimaelement Nieder­


schlag. Bei der Erwärmung feuchter Oberflächen verdunstet
Wasser zu Wasserdampf. Kühlt die Luft ab, so verringert sich
die Aufnahmefähigkeit. Die tatsächlich in der Luft vorhandene
Menge von Wasserdampf wird als absolute Luftfeuchtigkeit
bezeichnet. Die relative Feuchtigkeit ist das Verhältnis der ab­
soluten zur maximalen Luftfeuchtigkeit. Bei der Kondensa­
tion verdichten sich die gasförmigen Wassermoleküle zu flüssi­
gem Wasser. Kondensationskerne, wie winzige Staubteilchen
und Pollen, sind notwendig, damit sich Wassermoleküle zu Was­
S. Coté sertröpfchen sammeln können. Die Temperatur, bei der Konden­
5 Das ozeanische Klima: Die Nähe zum Meer sation beginnt, wird Taupunkt genannt. Wenn der Taupunkt über
sorgt für ganzjährig milde Temperaturen und einem größeren Gebiet erreicht ist, bildet diese Höhenschicht
feuchtes Wetter (Lofoten, Norwegen).
das Kondensationsniveau, über dem sich Wolkentröpfchen
auf und ab bewegen, mit anderen zusammenstoßen und sich
vereinen. Sind diese zu schwer, fällt Niederschlag.
Wolken treten in verschiedenen Formen und unterschiedli­
cher Höhe auf.
Durch Meeresströmungen, angetrieben durch beständig
wehende Winde, den Austausch von Wassermassen unter­
schiedlicher Dichte, Temperatur und Salzgehalt, werden stän­
dig Wärme in Richtung der Pole sowie Kälte äquatorwärts
gerichtet.
In den Tropen werden die Luftmassen stark erwärmt, wo­
PPC durch ein Temperaturgefälle zwischen tropischer Warmluft
6 Das polare Klima in Alaska: lange, sehr kal­ und polarer Kaltluft entsteht. Dadurch entstehen Druckun­
te Winter mit kurzen, nur milden Sommern. terschiede, wobei im Bereich des Äquators durch den Zenit­
stand der Sonne die Warmluft aufsteigt, was zu einem Tief­
druckgebiet (Äquatoriale Tiefdruckrinne) führt,­während an
den Polen kalte Luft absinkt. Ein Polarhoch entsteht. Diese
Luftdruckgegensätze erzeugen Ausgleichsströmungen, die
Windgürtel der Erde.
Durch die Corioliskraft werden die Winde auf der Nordhalb­
kugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links ab­
gelenkt.
Bei der Passatzirkulation kommt es zu einem Luftmassen­
austausch zwischen den Wendekreisen, wobei die Passate­
S. Coté aus NO und SO kommend in der äquatornahen Zone zu­sam­
7 Das Mittelmeerklima: Sommertrockenheit menfließen, der sogenannten ITC (Innertropischen Konver­
führt zu Landschaften mit trockener Vege­ genzzone). Die ITC verlagert sich jahreszeitlich mit dem
tation wie Macchia oder Garrigue (Spanien). ­Zenitstand der Sonne, wobei zeitlich verzögert die Regen­
zeiten einhergehen.
Der große Temperaturgegensatz zwischen tropischer Luft
aus dem Süden und kalter polarer Luft führt an der Polar­
front zur Entstehung des Jetstream. Dessen Auslenkung zu
Mäandern führt zur Bildung von Tiefdruckgebieten (Zyklone),
meist um Island (Island-Tiefs) sowie zu Hoch­druckgebieten
Zusammenfassung

(Antizyklone), meist um die Azoren herum (Azoren-Hochs).


­Bestimmend für die Gemäßigten Breiten ist der Durchzug einer
Zyklone, die in Mitteleuropa häufig von W nach O (Westwind­
drift) zieht. In der Folge kommt es zu einem schnellen Wechsel
zwischen länger anhaltendem Landregen, sonnigen Abschnitten
PPC
und Regenschauern.
8 Landschaft in der Bretagne bei schönem
Zur Wettervorhersage dient die Wetterkarte, in der wichtige
Wetter im Winter. Die warme Meeresströ­
mung, der Golfstrom, kommt aus den tro­ Klimaelemente mit Hilfe von Symbolen verzeichnet sind. Dabei
pischen Regionen und sorgt für ein mildes wird die Wetterlage eines Großraums zu einem bestimmten
Klima. Zeitpunkt kartographisch dargestellt.

190 Thema 4: Wetter und Klima


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4.2 Globale Wetterphänomene


Zu den Tropischen Wirbelstürmen gehören der Hur­
rikan (über dem Atlantik), der Taifun (über dem Indi­
schen und Pazifischen Ozean) und der Willy Willy (in
Indonesien, Australien), die über dem feucht-warmen
Meer entstehen und von sehr hohen Windgeschwin­
digkeiten geprägt sind. Im Zentrum, dem „Auge“, ist es
dagegen fast windstill. Sie richten auf ihren Zugbahnen,
wenn sie auf Land treffen, gewaltige Schäden an.
Tornados entstehen über dem Land. Meist wächst aus
einer Gewitterwolke ein Wirbel mit höchstens 1000 m
Durchmesser zur Erdoberfläche herunter. Die Folgen
sind immense Zerstörungen.
Monsune sind beständige und großräumige Luftströ­ NASA
mungen insbesondere in Süd- und Südostasien, die
9 Ein Hurrikan in der Karibik auf seinem Weg zum
jahreszeitlich aus entgegengesetzten Richtungen nord­amerikanischen Festland
wehen. So weht der Sommermonsun in Indien von Juni
bis Oktober aus SW vom Meer her und bringt meist erheb­
liche Niederschlagsmengen. Der Wintermonsun weht
als Nordostwind von November bis Februar vom Fest­
land und bringt keinen Niederschlag.
Beim Klima-Phänomen El Niño auf dem Pazifik kehren
sich alle zwei bis sieben Jahre Wasser- und Luftströ­
mungen in der Nähe des Äquators um, was globale
Auswirkungen mit sich bringt. Eine Abschwächung
des Passatwindes an der Westküste Süd­amerikas
führt dazu, dass der kalte Humboldt-Meeres­strom
nicht mehr ausreichend kaltes, salzreiches Tiefenwas­
ser an die Meeresoberfläche bringt und warmes Ober­
flächenwasser aus Richtung Australien im östlichen und
zentralen tropischen Pazifik bleibt. Folgen sind neben
einem großen Fischsterben z.B. in Peru auch Trocken­
heit, Hitze in Australien, Ozeanien und Südasien sowie
überdurchschnittliche starke Niederschläge an der PPC

Westküste Südamerikas. 10 Ein Tornado

Die Auswirkungen des Klimas auf


4.3 menschliche Aktivitäten
Das Klima hat großen Einfluss auf das Leben der Men­
schen. Die vorherrschenden klimatischen Bedingungen
sind sehr entscheidend, ob wir diesen geographischen
Zusammenfassung

Raum besiedeln und wie wir uns an ihn anpassen. Das


Klima beeinflusst nicht nur die natürliche Vegetation,
sondern auch die landwirtschaftliche und allgemeine
Nutzung des Gebietes. Der Mensch muss sich in seiner
Art und Weise zu ernähren, zu bauen und zu leben
an das Klima anpassen. Andererseits hat der Mensch
durch seine Lebensweise ebenfalls Einfluss auf das
Klima. Besonders der Klimawandel macht es notwen­
dig, dass die anthropogene Nutzung eines geogra­ PPC

phischen Raums im Einklang mit der Natur geschieht. 11 Nach dem Durchzug eines Tornados in den USA

Thema 4: Wetter und Klima 191


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