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Vogt
Praxis der Plastischen Chirurgie
Peter M. Vogt
Praxis der
Plastischen Chirurgie
Plastisch-rekonstruktive Operationen
Plastisch-ästhetische Operationen
Handchirurgie
Verbrennungschirurgie
123
Univ.-Prof. Dr. med. Peter M. Vogt
Klinik und Poliklinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
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SPIN: 11515654
Vorwort
Die Plastische Chirurgie hat die Wiederherstellung oder Verbesserung der Körperform und sichtbar gestörter Kör
perfunktionen zur Aufgabe. Erst im Verlauf der 1960er Jahre entwickelte sich die Plastische Chirurgie in Deutschland
zu einem selbstständigen Fachgebiet. Die Gründerväter der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen brach
ten damals ihre Erfahrungen aus Ländern wie USA, Großbritannien, Frankreich und Skandinavien, in denen das
Gebiet längst etabliert war, nach Deutschland und legten den Grundstein für eine sich seitdem stetig weiterent
wickelnde Disziplin.
Zwischen 1978 und 1992 wurde die Plastische Chirurgie noch als Teilgebiet der Chirurgie weitergebildet, seit
2004 jedoch ist die plastisch-ästhetische Chirurgie eine eigenständige Säule der Chirurgie.
Zahlreiche herausragende Vertreter des Gebiets haben immer wieder neue operative Bereiche für die Plastische
Chirurgie entdeckt und Spitzenleistungen der medizinischen Versorgung hervorgebracht, die der Rehabilitation
sowie beruflichen und sozialen Integration von Patienten mit angeborenen Fehlbildungen, unfall- oder tumorbe
dingten Entstellungen und schwerwiegenden Funktionseinschränkungen dienen. Dies betrifft die rekonstruktive
Mikrochirurgie der Nerven und Gefäße, die plastische und rekonstruktive Mammachirurgie, die Verbrennungs
chirurgie, die Handchirurgie, die funktionelle Wiederherstellungschirurgie der Gesichtsmimik und an den Extremi
täten ebenso wie die Ästhetische Chirurgie.
So haben plastische und ästhetische Chirurgen bereits in den 1980er Jahren die Gewebezüchtung in Form von
Keratinozytentransplantaten noch vor anderen Fachgebieten in die klinische Versorgung eingeführt und die In-situ-
Gewebepräformation und Prälamination entwickelt. Die aktuelle Forschung verheißt den zukünftigen Einsatz von
regenerativen Therapieverfahren.
Der hohe Individualisierungsgrad unserer Patientenbehandlung und die Vielzahl der zur Verfügung stehenden
Behandlungsmöglichkeiten erschwert es oft gerade den Anfängern in dem weiten Spektrum der Behandlungs
optionen den roten Faden zu erkennen. Dies erfordert daher in der Lehre und Weiterbildung eine Darstellung allge
meingültiger Prinzipien, auf denen methodische Weiterentwicklungen aufgebaut oder aufgrund derer Anpassungen
an den individuellen Behandlungsfall abgeleitet werden können.
Der Gedanke, eine Monographie der Plastischen Chirurgie zu verfassen, entstammte dem Anspruch, die kon
zeptionellen Grundlagen der Plastischen Chirurgie für den Abschnitt der Weiterbildung aufzubereiten. Die Vielzahl
unterschiedlicher Erkrankungen und Verletzungen bietet einer Universitätspoliklinik dabei die notwendige Vielfalt,
um systematisch die Behandlungsoptionen für die studentische Aus- und die ärztlich-klinische Weiterbildung auf
zuarbeiten.
Dieses Buch ist mit dem klaren Ziel der Darstellung essenzieller Handlungsempfehlungen entstanden und trägt
daher den Titel Praxis der Plastischen Chirurgie. Es erhebt, allein aufgrund des beschränkten Umfangs und angesichts
der unzähligen Veröffentlichungen in der Plastischen Chirurgie, daher auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Vielmehr soll das dargestellte Spektrum einen Einblick in das Wesentliche und Machbare, die am häufigsten ange
wandten Verfahren des Fachgebiets geben und dies auf der Grundlage einer sorgfältigen Patientenselektion und eines
zeitgemäßen Risikomanagements von der Patientenvorbereitung bis hin zur Thromboseprophylaxe.
Das didaktische Grundkonzept des Buches orientiert sich an der »Chirurgischen Praxis« meines verehrten chi
rurgischen Lehrers Rudolph Pichlmayr. Am Anfang stand für das Buch eine Ideensammlung meiner ärztlichen
Mitarbeiter. Dabei wurde insbesondere dem Bedürfnis der Weiterzubildenden nach einem praxistauglichen Inhalt
für Diagnostik, operative und konservative Therapieplanung sowie der speziellen Nachbehandlung Rechnung getra
gen. Es sollte ein Buch aus der Praxis für die Praxis werden.
Kompromisse mussten dabei in vielerlei Hinsicht gefunden werden. So haben wir uns auf die im täglichen kli
nischen Alltag bewährten und sicheren Verfahren unserer Klink beschränkt.
Zunehmend sieht sich der Plastische Chirurg konfrontiert mit der Position eines Managers seiner
Patienten, in der er spezielle Fälle mit Nachbardisziplinen diskutieren und auch interdisziplinär behandeln muss.
So entstanden Kapitel zur interdisziplinären onkologischen Therapie des Mammakarzinoms ebenso wie zur
Chirurgie der Gesichtsfehlbildungen und Spalten. Zwar werden Letztere heute primär von unseren Kollegen in
der Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie behandelt, aber in unseren Sprechstunden werden Patienten nicht selten
zu Sekundär- und Tertiärkorrekturen vorstellig.
Auch die Entwicklung der Handchirurgie schreitet fort und erforderte eine aktuelle Bestandsaufnahme der
bildgebenden Diagnostik und operativen Therapie. Die Verbrennungsmedizin, die nur in wenigen Kliniken vor
gehalten wird und sich in ihrem hohen Spezialisierungsgrad deutlich von anderen intensivmedizinischen Diszipli
nen unterscheidet, konnte im Gegensatz zu großen Monographien hier nur in den Grundzügen behandelt werden.
Die Einhaltung grundlegender Standards bedeutet aber für die betroffenen Patienten einen erheblichen Behand
lungsvorteil, insbesondere, wenn die notwendige Verlegung in ein spezialisiertes Zentrum rechtzeitig sicherge
stellt wird.
Ich danke meinen Mitarbeitern der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie und den Kol
legen Dr. Herbert Rosenthal (Radiologie), Prof. Dr. Dr. Nils Claudius Gellrich und Dr. Dr. Harald Essig (Mund- Kie
fer- und Gesichtschirurgie) sehr herzlich für ihre engagierte Arbeit als Autoren. Mein besonderer Dank gilt Herrn
VI Vorwort
Dr. med. Andreas Gohritz, der mich bei der Arbeit an diesem Buch mit großem Engagement und vielen guten Ideen
unterstützt hat. Mein Dank geht auch an die Kolleginnen Frau Hoffmann und Frau Hirsch, die einen Großteil der
Illustrationen angefertigt haben, ebenso an die Illustratorin, Frau Schobel, München.
Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Springer-Verlags, die die Gestaltung des Buches in
dieser Form erst ermöglicht haben: Frau Ute Meyer-Krauß, Herr Peter Bergmann und vor allem Frau Michaela
Mallwitz, die als externe Lektorin stets den Überblick über das große Manuskriptaufkommen behalten hat.
Möge die Praxis der Plastischen Chirurgie mit Darstellung praxistauglicher Verfahren der plastisch-rekonstrukti
ven und Handchirurgie, der Verbrennungs- und Ästhetischen Chirurgie den Lesern eine Hilfe für tägliche Arbeit und
insbesondere allen Weiterbildungsassistenten eine Basis für die eigene fachliche Entwicklung sein.
Peter M. Vogt
Hannover, im September 2011
VII
Inhaltsverzeichnis
4 Laserchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
A. Steiert
4.1 Grundlagen der Laserablation – Laserphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.1.1 Laserlicht und seine Gewebeinteraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.2 Laseranwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.2.1 Resurfacing mit ablativen Lasersystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.2.2 Resurfacing mit nicht ablativen Lasersystemen (»intense pulse light«; IPL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.2.3 Laserbehandlung vaskulärer Läsionen/IPL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
4.2.4 Laserbehandlung pigmentierter Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.2.5 Haarentfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
8 Verbandstechniken, Schienenbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
M. Meyer-Marcotty
8.1 Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.1.1 Intrinsic-plus-Stellung der Finger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.1.2 Funktionsstellung des Handgelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
IX
Inhaltsverzeichnis
11 Transplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
B. Weyand
11.1 Hauttransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11.1.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11.1.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.1.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.1.5 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.2 Knorpeltransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.2.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.2.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.2.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.2.5 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3 Knochentransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3.1 Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
11.3.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.3.5 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4 Fett- und Dermistransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.4.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.5 Nerventransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.6 Sehnentransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.7 Muskeltransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.8 »Composite Grafts« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Inhaltsverzeichnis
12 Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
B. Weyand
12.1 Anatomie und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.2 Gewebezusammensetzung des Lappens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.3 Entfernung des Lappens zum Defekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.4 Methode der Gewebeübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.5 Einteilung nach der Art der Blutversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
12.6 Techniken der Lappenpräparation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
12.7 Lappenpräformation: Prälamination und Präfabrikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
12.8 Lappenkonditionierung oder »Delay« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
13 Lappenplastiken am Skalp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
B. Weyand
13.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
13.2 Rekonstruktionstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.2.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.2.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
13.2.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
13.3 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
23 Bauchwanddefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
I. Ennker
23.1 Rekonstruktionen mit Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.1 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.3 Vorbereitung und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.4 Ziele der Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.5 Operationsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.6 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
23.1.7 Perioperative Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
23.1.8 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
IV Amputationen
V Hauttumoren
33 Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
L.-U. Lahoda, P.M. Vogt
33.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2.1 Akute Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2.2 Subakute Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2.3 Chronische Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.3 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
33.3.1 Chirurgische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
VI Weichteiltumoren
35 Gefäßanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
B. Weyand
35.1 Übersicht und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
35.1.1 Gefäßfehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
35.1.2 Gefäßtumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
35.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
35.3 Behandlungsstrategien und Operationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
35.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
35.5 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
43 Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand . . . . . 367
A. Gohritz, P.M. Vogt
43.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.1 Therapieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.2 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.3 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.4 Wahl des Motors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
43.1.5 Zeitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
43.1.6 Alternativen/Zusatzeingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.1.7 Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.1.8 Team-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.1.9 Prinzipien der Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.2 Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.2.1 Nerventranspositionen bei Lähmungen an Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.2.2 Kombinierte Nervenläsionen der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
43.3 Ergebnisse und Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
XVIII Inhaltsverzeichnis
VIII Handchirurgie
63 Dupuytren-Kontraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
S. Schinner
63.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.1.1 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.1.2 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.2 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3.1 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3.2 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3.3 Rezidive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
63.3.4 Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
63.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
67.7 Lobuläre Neoplasie (lobuläres Carcinoma in situ, atypische lobuläre Hyperplasie) . . . . . . . . . . . . . . 621
67.8 Sonstige Läsionen der Mamma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.1 Lipom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.2 Mastopathie (Mammadysplasie, Mastopathia cystica fibrosa, engl. »cystic disease«) . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.3 Periduktale Mastitis (Duktektasie, Plasmazellmastitis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.4 Solitärzysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
X Verbrennungsverletzungen
69 Verbrennungsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
P. Kolokythas, M.C. Aust
69.1 Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650
69.1.1 Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
69.1.2 Verbrennungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
69.1.3 Verletzungsschwere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
69.1.4 Weitere Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
69.1.5 Inhalationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
69.2 Intensivmedizinische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
69.2.1 Intensivmedizinische Besonderheiten der Verbrennungskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
69.2.2 Beatmungstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.2.3 Schmerztherapie und Sedierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.3 Prinzipien der Therapie in der Akutsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.3.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.3.2 Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
XXV
Inhaltsverzeichnis
XI Ästhetische Chirurgie
78 Gynäkomastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
F.-M. Leclère, A. Handschin, K.-H. Breuing
78.1 Einleitung, Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
78.2 Präoperative Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
78.3 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
78.3.1 Subkutane Mastektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
78.3.2 Fettabsaugung (Liposuktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
78.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
XII Fehlbildungen
85 Heilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
A.D. Niederbichler, P.M. Vogt
85.1 Die ärztliche Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
85.1.1 Sozialmedizinische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
85.1.2 Aufbau eines ärztlichen Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823
85.2 Berufskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823
87 Klassifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833
U. Mirastschijski, A.G. Gohritz, P.M. Vogt
87.1 ASA-Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
87.2 Glasgow Coma Scale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
87.3 Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
87.3.1 Klassifikation offener Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
87.3.2 Distale Radiusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
87.3.3 Skaphoidfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.3.4 Fingerfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.3.5 Frakturen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.4 Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.4.1 Nervenanatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.4.2 Nervenrezeptoren – Mechanorezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
87.4.3 Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
87.4.4 Plexus brachialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
87.5 Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.1 Klassifikation des fasziokutanen Lappens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.2 Örtliche Defektdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.3 Gefäßgestielte Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.4 Klassifikation der Faszien- und fasziokutanen Lappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.6 Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.1 Ästetische Zonen des Gesichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.2 Einteilung des Gesichts in Proportionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.3 Einteilung der Nase in Proportionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.4 Augenanomalie (Telekanthus, Hypertelorismus, Hypotelorismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.5 Spaltbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.7 Mamma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.7.1 Kapselfibrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.7.2 Ptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
XXIX
Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851
XXXI
Autorenverzeichnis
Abkürzungen
ABSI Abbreviated Burn Severity Index ECRB M. extensor carpi radialis brevis
ADAM »amniotic deformity adhesions mutilations« ECRL M. extensor carpi radialis longus
(amniotische Schnürfurchen) ECU M. extensor carpi ulnaris
ADH atypische duktale Hyperplasie EDC M. extensor digitorum communis
ADL »activities of daily living« (Aktivitäten EDM M. extensor digiti minimi
des täglichen Lebens) EGF »epidermal growth factor«
ADM M. abductor digiti minimi EI M. extensor indicis
AIDH atypische intraduktale Hyperplasie EIP M. extensor indicis proprius
ALH atypische lobuläre Hyperplasie ELND »elective lymphnode dissection«
ALS amyotrophe Lateralsklerose (elektive Lymphknotendissektion)
ALT-Lappen »antero-lateral thigh flap« (anterolateraler EMG Elektromyographie
Oberschenkellappen) EPB M. extensor pollicis brevis
AP M. adductor pollicis EPL M. extensor pollicis longus
APB M. abductor pollicis brevis FCI-Lappen freier fasziokutaner Infraglutäallappen
APL M. abductor pollicis longus FCR M. flexor carpi radialis
ARDS »acute respiratory distress syndrome« FCU M. flexor carpi ulnaris
ASD Vorhofseptumdefekt FDP M. flexor digitorum profundus
ASSH American Society of Surgery of the Hand FDS M. flexor digitorum superficialis
ATG Antithymozytenglobulin FEA flache epitheliale Atypie
AUB Allgemeine Unfallversicherungs- FFU-Fehlbildung Femur-Fibula-Ulna-Fehlbildung
Bedingungen FGF »fibroblast growth factor«
AV-Loop arteriovenöses Shunt-Interponat FGFR »fibroblast growth factor receptor«
AZA Azathioprin FK506 Tacrolimus
BET brusterhaltende Therapie FKDS farbkodierte Duplexsonographie
BG Berufsgenossenschaft FPB M. flexor pollicis brevis
BK-Liste Berufskrankheitenliste FPL M. flexor pollicis longus
BKV Berufskrankheitenverordnung FRS Fernröntgenseitenbild
BMI Body-Mass-Index [kg/m2] GCS Glasgow Coma Scale
BR M. brachioradialis GdB Grad der Behinderung
BRCA-1/BRCA-2 »breast cancer-1/2-gene« GLOA ganglionäre lokale Opioidanalgesie
cc kraniokaudal Hkt Hämatokrit
CicA Ciclosporin A HLA »human leucocyte antigen«
CLHT Capitatum, Lunatum, Hamatum, Triquetrium IAP »image analysis platform«
CLOVE-Syndrom »congenital lipomatous overgrowth, vascular ICP »intracranial pressure« (Hirndruck)
malformations, epidermal nevi syndrome« IHH idiopathischer hypogonadaler
CMP karpometakarpal Hypogonadismus
CMV Zytomegalievirus IHT Inhalationstrauma
COPD chronisch-obstruktive Lungenerkrankung ILG-1-Lösung Institut-Georges-Lopez-Lösung
cP chronische Polyarthritis (frühere Bezeich IP Interphalagealgelenk
nung für rheumatoide Arthritis) IPL «intense pulse light«
CRP C-reaktives Protein ISTA interskapulothorakale Amputation
CRPS »complex regional pain syndrome« ISTO Informationszentrum für Standards
CT Computertomographie in der Onkologie
CTA »composite tissue allotransplantation« KFO Kieferorthopädie
D Digitus (Finger) KH Kieferhöhe
DASH »disabilities of arm, shoulder and hand« KM Kontrastmittel
DCIS duktales Carcinoma in situ KTS Karpaltunnelsyndrom
DFSP Dermatofibrosarcoma protuberans (auch in Gebrauch: CTS)
DIEP-Lappen »deep inferior epigastric perforator flap« Laser »light amplification by the stimulated
DIP distales Interphalangealgelenk emission of radiation« (Akronym)
DISI »dorsal intercalated segment instability« LCIS lobuläres Carcinoma in situ
DMCA-Lappen dorsaler Metakarpalarterienlappen LIN lobuläre intraepitheliale Neoplasie
DPS Dreiphasenszintigraphie LKG-Spalte Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
DRUG distales Radioulnargelenk LLL-Lappen Dufourmentel-Lappen
DSA digitale Subtraktionsangiographie LME »lines of maximum extensibility«
dZh Dokumentationszentrum schwerer Haut LN lobuläre Neoplasie
reaktionen LT lunotriquetral
ECA »extensor compartment artery« MACS-Lift »minimal access cranial suspension lift«
XXXIV Abkürzungen
Wundheilung
und Wundbehandlung
M. Aust
Biologische Grundlagen
der Wundheilung
M. Aust, K. Reimers, H. Sorg
Die primäre Wundheilung nach Galen findet sich bei Wunden mit Unabhängig von der Genese einer Wunde verläuft der Heilungs
1 glatten Wundrändern, die chirurgisch durch exakte Adaptation der prozess in vergleichbaren Phasen ab. Es werden klassischerweise
Hautschichten verschlossen wurden. Die Wunde ist sauber und 4 Phasen unterschieden, die z. T. auch überlappend stattfinden:
nicht mit Keimen oder Fremdkörpern verunreinigt und heilt kom 4 Exsudationsphase (Entzündungsphase, Inflammation),
plikationslos ab. Wundödem, Entzündung und Narbenheilung sind 4 Granulationsphase (Proliferation),
meistens nur schwach entwickelt. 4 Epithelisierungsphase,
Die physiologischen Bedingungen in der Wunde sind geprägt 4 Remodellierungsphase.
durch eine lokale Unterversorgung des Gewebes aufgrund der Zer
störung des Kapillarnetzes, die sich in einem erhöhten Laktatgehalt Gemeinsames Merkmal aller Phasen ist, dass unterschiedliche Zell
sowie einem erniedrigten pH- und Sauerstoffgehalt manifestiert. typen miteinander interagieren, über ECM und Zytokine moleku
Durch Zellzerstörung und Zelluntergang bedingt kommt es zu einer lare Botenstoffe aktiviert werden und proliferieren.
Freisetzung von Lipiden, Proteinen und Peptiden, die eine Signal
funktion auf die zelluläre Proliferation und Migration ausüben. Die Exsudative Phase
Ionenzusammensetzung ist im Wundmilieu durch einen niedrigen Der Beginn der Wundheilung ist makroskopisch durch die Bildung
Kalzium- und einen hohen Magnesiumgehalt geprägt. eines Blutkoagels (»clot«) und den Blutungsstopp, die Hämostase
An Proteoglykane konjugierte Glykosaminoglykane (GAG) die (»hemostasis«) gekennzeichnet. Auf zellulärer Ebene aktiviert
nen als Speicher und Informationsträger für Botenstoffe in der ECM Thrombin über Glykoprotein Ib und die »protease-activated re
(»extracellular matrix«). Die Zusammensetzung der GAG in der ceptors« (PAR)-1 und -4 die Thrombozyten und führt durch die
Wunde ändert sich im Verlauf der Wundheilung. In den ersten proteolytische Spaltung von Fibrinogen zur Erzeugung von Fibrin.
2 Wochen ist Hyaluronsäure das vorherrschende GAG, wird dann Vasokonstriktion durch Epinephrin infolge der lokalen Ausschüt
vorübergehend von Chondroitin und Dermatansulfat abgelöst, um tung von Prostaglandinen und Thromboxanen durch die verletzten
schließlich wieder das dominierende Element zu werden. Diese Zellen und das vom sympathischen Nervensystem ausgeschüttete
Änderungen reflektieren die Eigenschaft der Hyaluronsäure durch Norepinephrin führen zu einer sichtbaren Erblassung des Gewebes
Unterbrechung der Zellinteraktionen mit der Kollagenmatrix, Zell während der ersten 15 min nach der Verletzung. Die vorüberge
migrationen zu fördern. hende Vasokonstriktion wird von einer Vasodilatation mit erhöhter
Des Weiteren muss das Gewebe um die Wunde herum gut Permeabilität der Gefäße abgelöst, die einen verbesserten Austausch
durchblutet sein. Dadurch wird der feine Wundspalt mit dem aus zwischen der Wundfläche und den Gefäßen ermöglicht. Durch die
dem Blut stammenden Fibrin verklebt. Blutbestandteile wie poly akute Verletzung kommt es zu einer unspezifischen inflammato
morphkernige Leukozyten und Makrophagen sorgen durch Phago rischen Antwort.
zytose für die Beseitigung untergegangener Zellen und dienen zu Die inflammatorische Phase ist in ihrem frühen Stadium durch
sammen mit den Thrombozyten als Speicher für Zytokine und ein Débridement der Wunde durch einströmende polymorphnukle
Wachstumsfaktoren. Die akut entzündliche Phase dauert maximal äre Zellen (PMN) gekennzeichnet. Zirkulierende Monozyten mi
4–6 Tage und ist nur mikroskopisch wahrnehmbar. Im Wundspalt grieren als nächste Zelltypen in die Wunde und differenzieren sich
werden eingewanderte Fibroblasten und an den Wundrändern eine dort zu Makrophagen, die sich ebenfalls an der Entfernung von Zell-
beginnende Epithelisierung beobachtet. Primäre Wunden epitheli Débris, Fremdkörpern und Bakterien beteiligen. PMN und Makro
sieren innerhalb von 6–12 Tagen vollständig und haben eine geringe phagen sind eine Quelle proinflammatorischer Zytokine, darunter
Narbenbildung zur Folge. IL-1α, IL-1β, IL-6 und TNF-α, mittels derer der inflammatorische
Prozess aufrechterhalten wird. Die Sekretion weiterer Botenstoffe
wie FGF-2, IGF, TGF-β stimuliert die Kollagensynthese durch Fibro
1.1 Physiologische Mechanismen blasten, im Fall von TGF-β auch die Differenzierung der Fibroblas
ten zu Myofibroblasten, die für die Wundkontraktion verantwortlich
Das migrative und proliferative Verhalten von Zellen ist abhängig sind. Zudem wird die Angiogenese durch FGF-2, VEGF-A und
vom Wundmilieu. Schon die alten Römer kannten das Prinzip der TGF-β angeregt sowie die Reepithelisierung durch EGF, FGF-2, IGF-
feuchten Wundauflage. Wurden damals angebrochene Kohlblätter 1 und TGF-α.
um die Wunde gewickelt, so stehen heute moderne Materialien zur Alle Untereinheiten der T-Zellen beeinflussen die Wundheilung
Verfügung. Das feuchte Wundmilieu fördert die Proliferation der am ebenfalls auf spezifische Weise durch Sekretion wichtiger Botenstoffe.
Heilungsprozess beteiligten Zellen und begünstigt deren Wande Die dendritischen γδ-epidermalen T-Zellen (DETCT) sezernieren
rung. So können Granulation und Epithelisierung wesentlich schnel den für Fibroblastenmigration und Expression von Kollagen I, Fibro
ler ablaufen. 1962 zeigte Winter erstmals experimentell am Schwein, nektin und α5-Integrin wichtigen Stimulator »connective tissue grow
dass es unter einem Okklusivverband früher zu einer vollständigen th factor« (CTGF). Ein bedeutendes weiteres zelluläres Infiltrat der
Epithelisierung kommt als bei Luftexposition. Dies konnte in wei inflammatorischen Phase sind die zirkulierenden Fibrozyten, die sich
teren Versuchen bestätigt werden und führte zur Entwicklung neuer ebenfalls an der Kollagen- und Zytokinproduktion beteiligen, darun
synthetischer Verbandmaterialien. ter »macrophage inflammatory protein 1« (MIP-1α, MIP-β, MIP-1)
Die feuchte Wundbehandlung hat sich heute als modernes Ver Interleukin 8 (IL-8), »growth related oncogene α« (GRO-α) und
fahren für sekundär heilende Wunden etabliert. »granulocyte macrophage colony-stimulating factor« (GM-CSF).
Es kommt zu einer Hyperämie, erkennbar an einer Rötung, und
zu einem Wundödem. Im optimalen Fall verläuft die exsudative Pha
1.1.1 Stadien der Wundheilung se recht kurz. Es bilden sich Gerinnsel aus Fibrinmolekülen, Fibron
ektin, Vitronektin und Thrombospondin. Diese dienen als Leit
Definition. Kutane Wundheilung ist ein biologischer Vorgang, bei struktur für einwandernde Zellen. Gleichzeitig schütten die Throm
dem durch Bindegewebebildung, Kontraktion und Epithelisierung bozyten im Koagel Wachstumsfaktoren und Zytokine aus und locken
ein Verschluss des Integuments erfolgt. damit immunkompetente Zellen an den Ort der Gewebeverletzung.
1.1 · Physiologische Mechanismen
1
. Abb. 1.1 Hautwunde 3 Tage nach Verletzung. Darstellung der Wachstumsfaktoren, die für die Zellmigration in die Wunde verantwortlich sind
Es entsteht eine lokale Entzündung, bei der neutrophile Granulo phagen bilden weiterhin durch ihr Zytokinspektrum einen funktio
zyten eingedrungene mikrobielle Erreger abwehren. Außerdem wird nellen Link zwischen inflammatorischer und proliferativer Phase.
abgestorbenes Zellmaterial durch hochpotente Proteasen im Sinne Die Migration der Fibroblasten wird dabei von PDGF, NGF, TGF-β,
eines autolytischen Débridements beseitigt. In dieser Phase werden CTGF and Cyr61 stimuliert. Fibronektin, ein Bestandteil der provi
meist große Exsudatmengen abgegeben, die die Selbstreinigung der sorischen ECM, regt ebenfalls die Migration der Fibroblasten zur
Wunde unterstützen (. Abb. 1.1). Wunde an. Die Fibroblasten stammen dabei z. T. aus den differen
zierten Zellen der Wundumgebung und z. T. aus undifferenzierten
Granulationsphase mesenchymalen Zellpopulationen, die durch die Zytokinproduktion
Die lokale Hyperämie stellt die Versorgung der Zellen für die nach der Makrophagen zur Differenzierung in der Wundstelle angeregt
folgenden reparativen Prozesse sicher. Die Adhäsion und Migration werden.
von Neutrophilen, Monozyten, Fibroblasten und Endothelzellen in Die Migration der Fibroblasten wird durch Fibrin, Vitronektin,
das Wundgebiet wird durch Fibronektin ermöglicht. Obwohl in den Fibronektin und Hyaluronsäure der ECM geleitet. Zur Begradigung
letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte im Verständnis der der Wegstrecken werden MMP (Matrixmetalloproteinasen) expri
Wundheilung erzielt wurden, ist die genaue Interaktion dieser Ent miert, die ECM-Bestandteile sowie Wachstumsfaktoren, Zytokine,
zündungszellen und Mediatoren in der Granulationsphase bis heute Chemokine und deren Rezeptoren spalten können. Die Ratio von
nicht vollständig geklärt. MMP zu ihren regulativen Proteinen TIMP (»tissue inhibitors of
Die regenerativen Prozesse laufen in den Tagen 4–7 nach der metalloproteinase«) ist mit fibrotischen Erkrankungen, hypertro
Verletzung ab. Ausgehend von den Wundrändern wandern in der phen Narben und Keloidbildungen assoziiert.
Granulationsphase Monozyten, Endothelzellen und Fibroblasten Während der Granulationsphase sind Neovaskularisation und
entlang der provisorischen Fibrinmatrix in das Wundareal ein. An Angiogenese von zentraler Bedeutung. Die Zeit bis zur Neubildung
den Rändern des frühen Granulationsgewebes bauen Zellen nekro der Gefäße ist neben dem Alter des Patienten, der Art, Lokalisation
tisches Gewebe ab und beginnen am Übergang zum Normalgewebe und Tiefe der Wunde auch von genetischen Faktoren abhängig. Die
mit der Neosynthese einer extrazellulären Matrix. Angiogenese der Wundheilung wird durch die in der Wunde herr
Nach einigen Tagen nimmt die Zellzahl in dieser Matrix massiv schenden physiologischen Konditionen (wie erniedrigter pH-Wert,
zu. Bindegewebe und Blutgefäße werden sichtbar. Die Fibroblasten gesteigertes Laktat und erniedrigter Sauerstoffgehalt, die eine Unter
sezernieren u. a. Hyaluronsäure, Chondroitin-4-Sulfat, Dermatan versorgung des Gewebes repräsentieren) induziert, aber auch durch
sulfat und Heparansulfat und bilden zusammen das zell- und gefäß eine Vielzahl regulatorischer Wachstumsfaktoren und Zytokine prä
reiche Granulationsgewebe. Aus Prokollagen entstehen Kollagenfi zise gesteuert. Die 4 wichtigsten Wachstumsfaktoren der Angioge
brillen, die während der ersten Tage vermehrt synthetisiert werden. nese sind VEGF, FGF, Angiopoietin und TGF-β. Die Migration der
Dadurch steigt der Kollagenanteil in den nächsten Wochen im Endothelzellen wird dabei auch von Proteoglykanen und der Struk
Wundgebiet an, während die Fibroblastenproliferation im gleichen tur der ECM beeinflusst.
Zeitraum nachlässt. Etwa ab dem 4. Tag nach der Verletzung wird In ihrer Migration sind die Endothelzellen von der Expression
die provisorische ECM durch das Granulationsgewebe ersetzt. Die von MMP zur Degradation der ECM und von spezifischen Integri
makroskopisch granuläre Erscheinung wird dabei hauptsächlich nen wie αvβ3 zur Erkennung der provisorischen ECM der Wunde aus
durch die einsprießenden Kapillaren hervorgerufen. Fibrin und Fibronektin abhängig. Die neugebildeten Kapillaren sind,
Auf zellulärer Ebene ist die nun beginnende proliferative Phase wie es dem Verlauf der Wundheilung entspricht, zunächst durch
der Wundheilung durch die Ankunft der permanent ortsständigen VEGF stimuliert eher porös und durchlässig, nehmen in ihrer Fes
Zellen, Fibroblasten und Blutgefäßzellen gekennzeichnet. Makro tigkeit jedoch im Verlauf der Wundheilung zu.
Kapitel 1 · Biologische Grundlagen der Wundheilung
. Abb. 1.2 Reepithelisation und Neovaskularisation 5 Tage nach Verlet- Wunde. Epitheliale Zellen verschließen die Wunde. Darstellung der für die
zung: Kleine Blutgefäße wandern vom Wundrand an der Fibrinmatrix in die Zellwanderung wichtigen Proteinasen
Epitheliale Regeneration 3–5 Tage nach der Verwundung beginnt die Kollagenprodukti
Die epitheliale Regeneration wird durch Keratinozyten, die sich am on. Die Kollagenfasern organisieren sich, und es kommt zur ersten
Übergang zum Normalgewebe befinden, oder durch Keratinozyten Kontinuität des Bindegewebes. Kollagen Typ III reift in Typ-I-Kol
aus Hautanhangsgebilden ermöglicht. Diese Keratinozyten migrie lagen. Der Anteil von Kollagen III zu Kollagen I verschiebt sich da
ren in die obere Schicht des Granulationsgewebes. In dieser Schicht bei im Laufe der Wundheilung von ursprünglich 30% zu 10%, was
formieren Blutkoagel eine Matrix aus Fibrin, Fibronektin und Kolla dem Verhältnis der unverletzten Haut entspricht. Es kommt jedoch
gen Typ V. Die Zellen der Basalmembran am dermoepidermalen nicht zur Neubildung von Elastin, was möglicherweise eine Erklä
Übergang benutzen die Fibronektinmatrix zur Migration und Zell rung für die Steifheit und fehlende Flexibilität des Narbengewebes
anheftung während der Reepithelisierungsphase. darstellt. Die Kollagenfasern beginnen, sich parallel auszurichten.
Die Reepitheliarisierung, die bei gutem Heilungsverlauf, z. B. bei Nach der Phase der Epithelisierung können sich die Umbaupro
linearen Inzisionen, nach 24–48 h abgeschlossen sein kann, wird von zesse im Gewebe noch bis zu 1 Jahr hinziehen. Die epitheliale Rege
den wundrandständigen Keratinozyten sowie von an den Haarbäl neration sieht man bei keimfreien, oberflächlichen (dermalen) und
gen lokalisierten Stammzellen geleistet. Wie zuvor wird die Migrati primär heilenden Wunden. Diese Heilung verläuft meist ohne sicht
on von den physiologischen Bedingungen der Wunde gefördert, bare Narbenbildung. Ist die Wunde jedoch vollschichtig oder sekun
ebenso von Wachstumsfaktoren und Zytokinen. Unter ihnen befin där großflächig kontaminiert oder tief, erfolgt der Wundheilungs
den sich die FGF 2, 7 und 10 und TGF-β. Die Proliferation der Ke prozess durch Granulationsgewebebildung und Kontraktion und hat
ratinozyten wird u. a. von HB-EGF, HGF, NGF, GRO-α/CXCL-1, im Gegensatz zur epithelialen Wunde eine Narbenbildung zur Folge
IL-6 und GM-CSF angeregt. Nach Bildung der Neoepidermis folgt (. Abb. 1.3; . Tab. 1.1).
dann die terminale Keratinozytendifferenzierung, stimuliert durch
S1P und BMP6 (. Abb. 1.2).
Remodellierungsphase
Nach Komplettierung der Granulationsphase überziehen ab dem
8. Tag Epithelzellen das noch unfertige Bindegewebe. Die einfache
Epithelialisierung beginnt bei einfachen Wunden bereits wenige
Stunden nach der Läsion. Diese wandernde Zellschicht ist hochemp
findlich gegenüber Scherkräften und kann bei einem Verbandwech
sel leicht reißen. Ausgehend vom intakten Epithelgewebe an den
Wundrändern bei Vollhautwunden und aus Hautanhangsgebilden
bei Spalthautwunden bildet sich die neue Epidermis. Bei vollstän
diger Epithelialisierung gilt die Wundheilung als abgeschlossen.
Die reparative Phase ist durch Wundkontraktion, Epithelisie
rung und Narbenbildung (Umbau des Granulationsgwebes) gekenn
zeichnet. Fibroblasten besitzen dazu ihre duale Funktion als Produ . Abb. 1.3 Epitheliale/mesenchymale Interaktionen (durchgezogene
zenten von Wachstumsfaktoren wie PDGF, TGF-β, FGF-2 und Cyr61 Pfeile: Darstellung einer direkten Interaktion; gestrichelte Pfeile: Darstellung
sowie Bestandteilen der ECM und kontraktilen Elemente. eines Pfades für Kofaktoren mitogener Substanzen, z. B. Insulin, IGF-1)
1.1 · Physiologische Mechanismen
1
FGF (»fibroblast growth factor«) 4 Epithelzellen 4 ↑ Epithelialisierung durch Keratinozyten- und Fibroblastenmigration
4 Basalmembran 4 ↑ Angiogenese durch Endothelzellwachstum und Migration
4 Subendotheliale Matrix 4 ↑ Kollagenremodeling
von Blutgefäßen 4 Prävention der Wundkontraktur
NGF (»nerve growth factor«) 4 Epithelzellen 4 ↑ Einsprossung von Nerven in die Wunde
4 Fibroblasten 4 ↑ Keratinozytenproliferation
4 Myofibroblasten 4 ↓ Keratinozytenapoptose
4 ↑ Enothelzellproliferation
4 ↑ Fibroblastenmigration und α-smooth-muscle-actin-Produktion
1.2 Ursachen gestörter Wundheilung > Das therapeutische Ziel jeder Wundbehandlung sollte
sein, heilungshemmende Faktoren zu minimieren und hei-
Definition. Als chronisch wird eine Wunde bezeichnet, die nicht lungsfördernde zu unterstützen.
innerhalb eines bestimmten Zeitraums epithelisiert und sich ver
schließt, in den meisten Definitionen innerhalb von 30 Tagen.
Chronische Wunden stellen ein komplexes Krankheitsbild dar, 1.2.1 Periphere arterielle Verschlusskrankheit
das neben der individuellen Belastung der Patienten enorme Kosten
und hohen Resourcenverbrauch für ein Gesundheitssystem verurs Die häufigste Ursache der peripheren arteriellen Verschlusskrank
acht. Die Häufigkeit chronischer Wunden ist weit höher, als oft an heit (pAVK) ist die Arteriosklerose (90–95%) die v. a. durch Nikotin
genommen wird, in Schweden beispielsweise liegt die Prävalenz von abusus, Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Hyper
Ulzera der unteren Extremität bei 1/50 der Bevölkerung. In der lipoproteinämie) und Hypertonie bedingt ist. Da zunehmend jün
Altersgruppe >70 Jahre wurde eine Prävalenz von verheilten und gere, erwerbstätige Menschen (m:w=4:1) betroffen sind, kommt der
offenen chronischen Wunden der unteren Extremität von 9,8% ge pAVK eine große sozioökonomische Bedeutung zu. Die Diagnose
funden. der Lokalisation und des Schweregrades der pAVK ist nach Ana
mneseerhebung und klinischer Untersuchung (Inspektion, Palpa
> Chronische Wunden durchlaufen den zeitlich geordneten
tion, Auskultation, Gehtest) eindeutig zu erheben. Der klinische
Reparationsprozess nur unvollständig und gelangen da-
Befund ist vom Kompressionsgrad (Leistungsfähigkeit der Kollate
her nicht zur anatomischen und funktionellen Wiederher-
ralen) abhängig. Die Dopplersonographie gibt Aufschluss über den
stellung.
peripheren Verschlussdruck (Differenzierung Makro-/Mikroan
Die Ursachen von chronischen Wunden sind vielfältig. Sie können giopathie). Die Stadieneinteilung erfolgt nach Ratschow-Fontaine
durch genetische, endokrine, psychische, entzündliche und mecha (. Tab. 1.4).
nische Faktoren bedingt oder beeinflusst werden (. Tab. 1.2). Der Die Indikation zum operativen Vorgehen sowie die Wahl des Ver
Untersuchungsgang ist in . Tab. 1.3 dargestellt. fahrens hängen von klinischen Diagnoseparametern ab. Nach Aus
Bei der Pathogenese von chronischen Wunden spielt die Ge schöpfen konservativer Konzepte (Nikotinkarenz, vasoaktive Sub
webeischämie und -hypoxie eine entscheidende Rolle. Beide Ein stanzen, rheologische Maßnahmen, Gewichtsreduktion, Gehtraining,
flussgrößen korrelieren mit der arteriellen Mangeldurchblutung. Antikoagulanzien) und radiologisch-interventioneller (PTA, Stent)
Darüber hinaus besteht bei schlecht durchblutetem Wundgrund ein Verfahren stellen wir die Operationsindikation anhand des klinischen
deutlich höheres Infektrisiko. Stadiums (Kompensationsgrad), der psychosozialen Situation (Alter,
Diese Faktoren haben einen negativen Einfluss auf die verschie Beruf) und der Angiographie (Zustrom- und Abflussverhältnisse)
denen Phasen der Wundheilung und verzögern somit den Wundhei unter Berücksichtigung stattgehabter Voroperationen und der allge
lungsprozess. meinen Operabilität (Begleiterkrankungen, lokale Infekte).
1.2 · Ursachen gestörter Wundheilung
1
. Tab. 1.2 Ursachen chronischer Wunden . Tab. 1.3 Untersuchung einer chronischen Wunde
Infektion 4 Bakterien
4 Pilzinfektion . Tab. 1.4 Stadieneinteilung der arteriellen Verschlusskrankheit
4 Viren nach Ratschow-Fontaine
Sonstige 4 Lichen planus
Ursachen 4 Insektenbisse Stadium Kennzeichen
4 Medikamente (Ergotismus, Methotrexat etc.)
4 Selbstschädigung I 4 Stenose ohne klinisches Krankheitsbild
Dermis
Die subkutane radiogene Fibrose ist die häufigste Nebenwirkung
einer modernen Strahlentherapie an der Haut. Sie ist durch eine
Verminderung des subkutanen Fettgewebes und eine Verstärkung
der kollagenen Elemente gekennzeichnet, sodass die Haut mit ihrer
Unterlage ihre Elastizität verliert und sich in eine derbe Narbenplat
te mit Schrumpfungstendenz umwandelt.
2.3 Vakuumtherapie – 16
2.4 Narben – 16
2.4.1 Differenzialdiagnose – 16
2.4.2 Therapeutisches Vorgehen – 17
2.5 Antibiotika – 17
Präparat Indikationen
Wundauflagen Kalziumalginat mit Silber (»Silvercel«) 4 Infizierte, chronische und infektionsgefährdete Wunden
4 Zum Austamponieren bei tiefen, nässenden Wunden
Silberaktivkohleauflage (»Actisorb silver«) 4 Infizierte, chronische sekundär heilende Wunden mit stärkerer Sekretion
4 Geruchsintensive Wunden, z. B. bei Tumoren
Proteasemodulierende Matrix (»Promogran 4 Chronische sekundär heilende Wunden mit Schutz vor Reinfektionen
Prisma«)
PU-Schaum (»Mepilex/Mepilex border«) 4 Sekundärverband bei allen infizierten oder stark nässenden Wunden
Hydrofaserverbände Hydrokolloide
Diese Verbände werden aufgrund ihrer Schutzfunktion am Wund- Die ältesten Vertreter der »modernen feuchten Wundbehandlung«
rand bei stark exsudierenden, eher geringer belegten, oberfläch- sind die Hydrokolloide. Sie bestehen aus einem Polyurethanfilm,
lichen und tiefen Wunden mit aufgequollener Wundumgebung ein- auf den eine selbstklebende Hydrokolloidmasse aufgebracht ist. In-
gesetzt. Hauptbestandteil sind Makromoleküle aus Nariumkarboxy- haltsstoffe wie z. B. Karboxymethylzellulose, Pektin, Karajagummi
methylzellulose. Nach Wundkontakt kommt es zur sofortigen oder Gelatine sind in einer Trägersubstanz aus synthetischen Kaut
Quellung und Gelbildung (»Instantgele«). Das Gel ist durchschei- schukarten wie Polyisobutylen eingebettet. Die Exsudataufnah-
nend und bleibt formstabil. Wundrand und Wundumgebung blei- me führt zu (langsamer) Quellung und bildet ein feuchtes, zäh
ben trocken. flüssiges Gel. Dieses Gel muss bei jedem Verbandswechsel entfernt
4 Präparat: z. B. Aquacel Kompresse. werden.
Hydrokolloide werden bei gering bis maximal mäßig exsudie-
Hydrogele renden, oberflächlichen, granulierend-epithelisierenden Wunden,
Hydrogele werden vorwiegend bei fibrinös belegten und trockenen, zunehmend auch bei Fingerkuppendefekten, sowie als Hautschutz
oberflächlichen und tiefen Wunden eingesetzt. Sie weisen einen ho- bei Vakuumtherapie oder zur Dekubitusprophylaxe eingesetzt.
hen Wassergehalt auf (60–95%). Dadurch besteht die Möglichkeit 4 Präparate: z. B. Hydrocoll, Varihesive.
der Rückfeuchtung und Feuchthaltung der schwach exsudierenden
Wunde; dies unterstützt somit die autolytische (=Selbst-)Reinigung. Schaumstoffverbände
4 Präparat: z. B. Hydrosorb. Aus geschäumtem Polyurethan bestehend, nehmen sie Exsudat mit-
tels Kapillarkräften auf und können bis zum 20- bis 30-Fachen ihres
Folienverbände Eigengewichts an Exsudat tragen. Wundseitig besitzen sie eine fein-
Diese Verbände werden bei Bagatellwunden zur kurzzeitigen Abde- porige Struktur, teilweise thermogeglättet oder foliert, um das Risiko
ckung (Hygienemaßnahme u. Ä.) bei der Vakuumbehandlung der Verklebung mit dem Wundgrund zu verringern. Sie finden ihre
(VAC-Therapie; 7 Kap. 2.3) und ggf. für Spalthautentnahmestellen Anwendung bei gering bis stark exsudierenden, oberflächlichen,
eingesetzt. Sie finden sowohl bei oberflächlichen und auch tiefen feuchten bis nassen Wunden.
Wunden Verwendung. Die semipermeable, dünne, transparente 4 Präparate: z. B. Allevyn adhesive, Suprasorb P, Epigard.
Membran aus Polyurethan verhindert das Eindringen von Mikroor-
ganismen und Flüssigkeiten. Ein Gasaustausch ist abhängig von der
Permeabilität unterschiedlich stark möglich.
4 Präparate: z. B. Suprasorb, Tegaderm.
16 Kapitel 2 · Grundlagen der Wundbehandlung
Präventiv Therapeutisch
Patientenvorbereitung und
-nachbehandlung,
inkl. interdisziplinäres postoperatives
Schmerztherapiekonzept
M. Aust, B. Weyand, C. Radtke, A. Jokuszies
3.1 Routineuntersuchungen – 20
3.4 Patientenaufklärung – 25
3.5 Nahrungskarenz – 25
3.7 Rasieren – 25
. Abb. 3.1 Algorithmus zur peri- und postoperativen VTE-Prophylaxe in der Plastischen Chirurgie
3.3 · Medikamentöse Vorbehandlung mit Antikoagulanzien
23 3
saliomexzision, Suralisbiopsie, kleine handchirurgische Eingriffe,
. Tab. 3.5 Dispositionelle Risikofaktoren, geordnet nach relativer Nervendekompression, motorische Ersatzplastiken), mobilen Pati
Bedeutung enten sowie bei Patienten ohne zusätzliche dispositionelle und expo
sitionelle Risikofaktoren auf eine medikamentöse VTE-Prophylaxe
Risikofaktor Relative Bedeutung verzichtet werden.
Bestehen jedoch zusätzlich dispositionelle Risikofaktoren
Frühere TVT/Lungenembolie Hoch
(. Tab. 3.4), so soll eine medikamentöse Prophylaxe mit niedermo
Thrombophile Hämostasedefekte (z. B. Gering bis hoch lekularen Heparinen erfolgen.
Antithrombin-, Protein-C- oder -S-Mangel, Größere plastisch-chirurgische und ästhetische Eingriffe in der
Faktor-V-Leiden-Mutation) Abdominal- und Beckenregion, im Kopf- und Halsbereich, an den
Maligne Erkrankung Mittel bis hoch oberen und unteren Extremitäten (z. B. Abdominoplastik, Bauch
wandrekonstruktion, freie oder gestielte Lappentransplantate nach
Lebensalter >60 Jahre/Risikozunahme mit Mittel
Tumorektomie oder Trauma, Facelift, Rhinoplastik, onkologische
dem Alter
Eingriffe, Bodylift, Liposuktion, Expanderbehandlung), die eine län
VTE bei Verwandten 1. Grades Mittel gere Immobilisation erforderlich machen, bedürfen in jedem Fall
Chronische Herzinsuffizienz, Zustand nach Mittel einer medikamentösen Prophylaxe.
Herzinfarkt Patienten mit mittlerem VTE-Risiko sollen eine medikamentöse
VTE-Prophylaxe mit Heparinen erhalten. Die zusätzliche Anwen
Übergewicht (BMI >30 kg/m2) Mittel
dung von MTPS (medizinischen Thrombosepropphylaxestrümp
Akute Infektionen/entzündliche Erkran- Mittel fen) ist bei diesen Patienten nicht zwingend.
kungen mit Immobilisation Patienten mit hohem VTE-Risiko sollten sowohl MTPS als auch
Hormontherapie zur Kontrazeption oder Substanzspezifisch
eine medikamentöse VTE-Prophylaxe mit NMH erhalten.
Tumorbehandlung gering bis hoch Alle Patienten mit gefäßchirurgischen Eingriffen sollten Basis
maßnahmen zur VTE-Prophylaxe erhalten. Sofern keine arterielle
Schwangerschaft Gering Durchblutungsstörung der unteren Extremitäten besteht und es der
Nephrotisches Syndrom Gering operative Eingriff erlaubt, sollten die Patienten eine physikalische
VTE-Prophylaxe erhalten.
Stark ausgeprägte Varikosis Gering
Die VTE-Prophylaxe bei Eingriffen an den Arterien der unteren
Extremitäten im Rahmen der Polytraumaversorgung (Replantation),
ausgedehnten Tumorresektionen und Lappentransplantationen zur
Bei früher aufgetretener Heparin-Unverträglichkeit wird die Gabe plastisch-rekonstruktiven Defektdeckung wird in jedem Fall emp
von Fondaparinux empfohlen. fohlen und richtet sich an den jeweiligen klinikspezifiischen Algo
Niedermolekulare Heparine (NMH) sollen unter Abwägung von rithmen aus. Einen evidenzbasierten Standard für mikrochirur
Effektivität, Blutungs- und HIT-II-Risiko gegenüber unfraktionier gische Eingriffe speziell in der Plastischen Chirurgie gibt es bislang
tem Heparin bevorzugt eingesetzt werden, da in einer randomisierten nicht.
doppelblinden Studie eine Überlegenheit von NMH gegenüber un Obwohl Thrombozytenaggregationshemmer in der Prophylaxe
fraktioniertem Heparin (UFH) nachgewiesen werden konnte (Geerts der VTE keinen Stellenwert haben, sollten sie bei arteriellen Er
et al. 1996). Dabei wird das Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose krankungen weiter gegeben werden. In unserer Klinik kommt eine
durch die Gabe gerinnungshemmender Substanzen, insbesondere Kombination aus NMH und Azetylsalizylsäure (100 mg 1× tgl.) zur
von Heparinen, um etwa die Hälfte reduziert (Roderick et al. 2005). postoperativen Thromboembolieprophylaxe nach freien Lappen
Im Vergleich hierzu ist die Azetylsalizylsäure zur venösen VTE- transplantaten zur Anwendung. Intraoperativ erfolgt die 1-malige
Prophylaxe nicht geeignet, da ihre antithrombotische Wirkung nur Gabe von 1000 IE unfraktioniertem Heparin unmittelbar vor Frei
schwach ist (Antiplatelet Trialists‘ Collaboration 1994). gabe der Lappenperfusion und das »Flushen« der Gefäße mit Hepa
Das perioperative Blutungsrisiko ist bei einem Einsatz von jegli rin-Spülung (50 IE/1 ml).
cher Art von Antikoagulanzien nur gering erhöht. Im Hinblick auf Bei Patienten ohne zusätzliche dispositionelle Risikofaktoren
die gleichzeitige Gabe von Thrombozytenfunktionshemmern wird kann bei Eingriffen am oberflächlichen Venensystem (z. B. Neuro
jedoch empfohlen, Antikoagulanzien zur VTE-Prophylaxe in dieser lyse, Narbenkorrektur) auf eine medikamentöse VTE-Prophylaxe
Situation erst postoperativ anzuwenden. verzichtet werden, jedoch sollten bei diesen Patienten Basismaß
nahmen und physikalische Maßnahmen eingesetzt werden.
> Die medikamentöse VTE-Prophylaxe sollte zeitnah zum
Fixierende Verbände an der oberen und unteren Extremität und
operativen Eingriff, üblicherweise am präoperativen Tag,
eine gelenkübergreifende Ruhigstellung mittels Fixateur externe be
begonnen werden.
dürfen in jedem Fall einer medikamentösen VTE-Prophylaxe.
Die Dauer der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe sollte
sich zudem am Fortbestehen relevanter Risikofaktoren orientieren
(7 Kap. 3.3.3). 3.3.3 Dauer der VTE-Prophylaxe
durch sowohl die VTE-Gesamtrate von 14% auf 6% als auch die Rate et al. 2006; Sheridan et al. 1992; Wibbenmeyer et al. 2003). Somit ist
tiefer Venenthrombosen (TVT) signifikant von 5% auf 1% reduziert anzunehmen, dass neben den allgemeinen Risikofaktoren ein Zu
werden kann (Bottaro et al. 2008). sammenhang zwischen dem Ausmaß der Verbrennungen und dem
Bei Eingriffen am Kniegelenk wird eine medikamentöse VTE- VTE-Risiko besteht (Harrington et al. 2001; Kowal-Vem et al.
Prophylaxe für 11–14 Tage empfohlen. In unserem Patientengut 1992).
betrifft dies v. a. Patienten mit Wundheilungsstörung nach Knie- Hieraus leitet sich die Empfehlung (ACCP 2004) ab, die medi
3 TEP auf dem Boden einer pAVK und geplantem Gastroknemius kamentöse Prophylaxe anzupassen an:
transfer zur Defektdeckung. 4 Verbrennungsausmaß,
Patienten mit operativ versorgten Verletzungen der Knochen 4 Risikoprofil und somit
und/oder mit fixierenden Verbänden an der unteren Extremität er 4 individuellen Krankheitsverlauf.
halten eine medikamentöse Prophylaxe bis zur Entfernung des fixie
renden Verbandes bzw. bis zum Erreichen einer Teilbelastung von Aussagekräftige randomisierte Studien liegen für Patienten mit Ver
20 kg und einer Beweglichkeit von 20° im oberen Sprunggelenk. brennungen nicht vor.
Da das Risiko für thromboembolische Komplikationen in vielen
! Cave
Fällen auch nach der Krankenhausentlassung fortbesteht, ist es rat
Ein besonderes Risiko für thromboembolische Komplika
sam, für die poststationäre Phase (Rehabilitation oder ambulante
tionen besteht bei Sepsis.
Behandlung) eine erneute Risikoeinschätzung vorzunehmen, Pro
phylaxemaßnahmen anzupassen und den weiterbehandelnden Arzt
hierüber zu informieren (Douketis et al. 2002).
Darüber hinaus sollte diesem bei weiterhin erforderlicher Hepa 3.3.5 Plastisch-ästhetische Eingriffe
rin-Gabe der letzte Thrombozytenwert mitgeteilt werden, damit im
Falle einer poststationär auftretenden Thromboembolie eine HIT II > In Anbetracht der häufig asymptomatisch verlaufenden
als mögliche Ursache frühzeitig erkannt werden kann. und nicht selten mit hoher Morbidität und Mortalität asso-
ziierten venösen Thromboembolien muss insbesondere
bei hoch elektiven und medizinisch nicht indizierten
3.3.4 Verbrennungen ästhetischen Eingriffen die Anwendung physikalischer
und medikamentöser Thromboseprophylaxemaßnah-
Patienten mit Verbrennungen sollen eine medikamentöse VTE-Pro men in Erwägung gezogen werden.
phylaxe erhalten, wenn das Ausmaß der Verbrennungen zu einer
Immobilisation führt oder zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Die ansteigende Zahl wissenschaftlicher Publikationen zu diesem
In den ersten 48–72 h nach dem Trauma, der Volumenersatz Thema verdeutlicht zudem das zunehmende Bewusstsein für diese
phase, führen kardiovaskuläre Faktoren zu einer Hypovolämie mit Thematik unter Plastischen Chirurgen, wobei aus dem eutschspra
erniedrigtem Blutfluss in Organe und Gewebe (Martyn 1986). chigen Raum bislang nur eine Publikation existiert (Jokuszies et al.
2010).
! Cave
Die Risikostratifikation für das plastisch-ästhetische Patientengut
Als Folge einer Komplementaktivierung und der einsetzen
orientiert sich ebenfalls an der ACCP-Leitlinie (Geerts et al. 2008).
den Koagulationskaskade erzeugen extensive Verbren-
Unter den bereits erwähnten dispositionellen und expositionel
nungen darüber hinaus eine Thrombusformation in Kapil-
len Risikofaktoren haben v. a. eine anamnestisch stattgehabte tiefe
laren, Arteriolen und Venolen, wobei sich das Ausmaß
Beinvenenthrombose, die Einnahme von oralen Kontrazeptiva und/
einer Thrombosierung kleiner Gefäße direkt proportional
oder Hormonersatzpräparaten und vorbestehende Gerinnungsstö
zur Ausdehnung der Verbrennung verhält, d. h. ausgedehn-
rungen eine höhere Risikoeinstufung zur Folge.
tere Verbrennungen haben einen größeren prothrombo-
Geht man davon aus, dass 20–30% der chirurgischen Patienten
genen Effekt.
ohne medikamentöse Thromboseprophylaxe eine tiefe Beinvenen
Studien konnten zudem aufzeigen, dass eine disseminierte intrava thrombose entwickeln und der Anteil der asymptomatischen Ver
sale Gerinnungsstörung mit Hyperkoagulabilität und Mikrozirkula läufe bei >60% liegt, so leitet sich hieraus auch eine besondere Vor
tionsstörungen wesentlich an Organversagen und tödlichen Verläu sicht für das plastisch-ästhetische Patientengut ab, insbesondere
fen beteiligt ist (Dries 1996; Nimah u. Brilli 2003). wenn sich der Patient bereits mehreren chirurgischen Eingriffen un
Ein Abfall an prokoagulatorischen Proteinen wird zudem mit terzogen hat oder bereits eine tiefe Beinvenenthrombose dokumen
Verdünnungseffekten und dem Plasmaproteinverlust ins Interstiti tiert ist (Geerts et al. 2004).
um erklärt, wobei sich während der 1. Woche eine Normalisierung Mehrere chirurgische Eingriffe innerhalb desselben oder ver
einstellt. gangenen Monats erhöhen das Risiko für das Auftreten einer tiefen
Beinvenenthrombose. Das entsprechende Risiko der Normalbevöl
> Bei Patienten mit ausgedehnten Verbrennungen gilt es zu
kerung wird erst nach Ablauf eines operationsfreien Intervalls von
beachten, dass diese im Langzeitverlauf einen Zustand
1 Monat erreicht, sodass Folgeeingriffe erst nach Ablauf dieses Inter
der Hyperkoagulabilität mit erhöhten Raten an thromboti
valls terminiert werden sollten (Green 2006).
schen Komplikationen und verminderten antithromboti
Eine stattgehabte tiefe Beinvenenthrombose in der Anamnese
schen Proteinen (Antithrombin, Protein S und C) entwickeln
erhöht das Risiko für ein erneutes Auftreten einer tiefen Bein
(Kowal-Vem et al. 1992).
venenthrombose oder einer Lungenembolie signifikant und gilt als
Dabei liegt die sonographische oder phlebographische TVT-Inzi dispositioneller Risikofaktor, der in die Risikobeurteilung eines Pa
denz nach schweren Verbrennungen bei etwa 0,9–6%, die Inzidenz tienten entsprechend der aktuellen S3-Leitlinie und ACCP-Leitlinie
von Lungenembolien (LE) bei etwa 0,2–1,2% (Fecher et al. 2004; im Sinne der Einstufung in eine höhere Risikogruppe Berücksichti
Harrington et al. 2001; Purdue u. Hunt 1988; Rue et al. 1992; Samama gung finden sollte (Geerts et al. 2008; Green 2006).
3.9 · Hämodilution und Eigenblutspende
25 3
Es ist nachgewiesen, dass die Einnahme von oralen Kontrazep 3.7 Rasieren
tiva und Hormonersatzpräparaten mit thrombogenen Veränderun
gen innerhalb der Gerinnungskaskade dosisabhängig korreliert Das Operationsfeld sollte mit einem Sicherheitsabstand möglichst
(Johnson et al. 2008). kurzfristig vor der Operation rasiert werden, da sonst mit Infektion
Für ambulante ästhetische Eingriffe mit einer Eingriffszeit <1 h der unvermeidbaren Hautläsion zu rechnen ist. Enthaarungscremes
und Patienten der niedrigen Risikokategorie, d. h. ohne zusätzliche finden im klinischen Alltag vorwiegend aus Kostengründen keine
dispositionelle oder expositionelle Risikofaktoren, wird empfohlen, Verwendung.
die Östrogeneinnahme 1 Woche vor dem Eingriff auszusetzen, wo
bei eine medikamentöse Thromboseprophylaxe nicht erforderlich
ist. Bei unmittelbar postoperativer Vollbelastung kann mit der sofor 3.8 Lagerung, Desinfektion und Abdecken
tigen Wiedereinnahme begonnen werden (Green 2006).
Bei größeren Eingriffen in Intubationsnarkose, die eine Eingriffs Die exakte und sichere Lagerung ist vorwiegend Aufgabe des Ope
zeit von 1 h deutlich überschreiten (z. B. Abdominoplastik, Mamma rateurs. Zu besonders gefährdeten Stellen zählt der Plexus brachialis,
rekonstruktion), wird empfohlen, orale Kontrazeptiva und Hormon der bei überstrecktem oder dorsal der Horizontale ausgelagertem
ersatzpräparate 4 Wochen vor dem Eingriff abzusetzen. Mit der er Arm in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Weitere Prädisposi
neuten Östrogeneinnahme sollte 2 Wochen postoperativ oder nach tionsstellen für Lagerungsschäden sind die A.-brachialis- und N.-
Erreichen der Vollbelastung begonnen werden (Johnson et al. 2008). ulnaris-Region bei angelegtem Arm infolge von direkter Druckein
wirkung sowie der N.-femoralis- und N.-fibularis-Bereich insbeson
dere durch intraoperative Lageveränderungen und fehlende Kon
3.4 Patientenaufklärung trollmöglichkeiten nach Abdeckung. Nach jeder intraoperativen
Lagerungsänderung muss geprüft werden, ob die Extremität druck
Die Aufklärung über eine Operation muss stets die jeweilige Situati entlastet gelagert ist.
on berücksichtigen, dabei einfühlend, aber auch verantwortungsbe Die Desinfektion der zu operierenden Hautareale muss sorgfäl
wusst sein. Der aufklärende Arzt muss bei jedem einzelnen Patienten tig und großflächig durchgeführt werden. Das Hautdesinfektions
erneut entscheiden, welche Kenntnisse für dessen Entscheidung er mittel, möglichst ungefärbt, wird jeweils vom Operationsgebiet zur
forderlich sind. Dies impliziert natürlich, dass bei Vorliegen einer Peripherie hin (von innen nach außen) mit einem vollständig ge
rein ästhetischen Operationsindikation eine weitgehend »scho tränkten, sterilen Tupfer aufgetragen. Die Einwirkzeiten sind genau
nungslose« Aufklärung mit Erörterung auch seltener Komplikati zu beachten. Zwischen Patient und OP-Tisch soll kein Feuchtigkeits
onen notwendig ist. Auch die Information über Behandlungsalter reservoir entstehen, da dadurch (Kriechstrom-)Verbrennungen ver
nativen – operativ wie konservativ – ist heute zwingend gefordert. ursacht werden können. Aus diesem Grund wird vor der Hautdesin
Wichtig ist in diesem Zusammenhang der individuelle Charak fektion saugfähiges Papier (z. B. Zellstoff) zwischen Patient und
ter des Aufklärungsgespräches. Dabei muss das Augenmerk mehr OP-Tisch gelegt, das nach dem »Abwaschen« wieder entfernt wird.
auf ein persönliches Gespräch als auf schematisierte Aufklärungs Nach erfolgter Wundreinigung bzw. Hautantiseptik wird die
bögen gelegt werden. Keinesfalls darf dem Patienten eine Entschei Umgebung des Wund- bzw. Operationsgebietes mit geeigneten
dung überantwortet werden, die er aufgrund seines Wissensstandes sterilen Abdeckmaterialien großflächig abgedeckt. Die Patientenab
oder aktuellen Gesamtzustandes nicht treffen kann. Der Arzt sollte deckung soll so strapazierfähig sein, dass sie der mechanischen
jedoch in seinem Gespräch über die durchzuführende Operation die Belastung durch Instrumente, Operateur etc. auch unter Flüssig
Vertrauensbildung zwischen Patient und Arzt verfolgen und nicht keitsbelastung standhält. Für invasive Eingriffe, bei denen eine
allein juristische Kriterien in den Vordergrund stellen. Durchfeuchtung zu erwarten ist, sollen flüssigkeitsdichte Abde
ckungen und saugfähige Materialien verwendet werden. Bei der
Auswahl der selbstklebenden Lochtücher ist auf deren Eignung und
3.5 Nahrungskarenz ausreichende Größe zu achten.
elektiven Eingriffen mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von sen werden. Es dürfen dabei keine unrealistischen Erwartungen und
>10% eine Eigenblutspende im Vorfeld angeboten. Derartige Ein andererseits keine vermehrten Ängste verursacht werden. Ein infor
griffe sind Total Body Lift nach Lockwood, große Fettschürzenresek mierter Patient hat nachweislich weniger Schmerzen, denn präope
tionen und in einigen Fällen freie Lappenplastiken. rative Informationen erhöhen das Wissen um die Möglichkeiten der
Einflussnahme.
> Die Patienten müssen heute sowohl über die Möglichkeit
der Eigenblutspende als auch über die Wahrscheinlich-
3 keiten einer Transfusion aufgeklärt werden.
3.10.3 Schmerzprophylaxe
und III sollten nicht miteinander kombiniert werden. Die Koanalge Applikation nach der Uhr
tika (7 unten) kommen in der Behandlung von neuropathischen Voraussetzung für eine wirksame Therapie ist der konsequente Ein
Schmerzen (neuralgiforme Schmerzen, Phantomschmerzen, Thala satz der Medikamente »nach der Uhr« und nicht nach Bedarf. Bei
musschmerz, Deafferenzierungsschmerz, Polyneuropathie etc.), bei Langzeitbehandlung sind Retardpräparate vorzuziehen.
Tumorschmerzen und bei Begleitsymptomatiken wie beispielsweise
depressive Verstimmungen bei chronischen Schmerzen zum Ein Opioidrotation
satz. Morphin ist ein sog. voller Agonist am µ-Rezeptor und gilt als Mittel
der Wahl. Bei unzureichender Schmerzstillung oder Unverträglich
Applikationsform keiten wird ein Wechsel erforderlich. Dabei sollte nur auf andere
alleinige μ-Agonisten wie z. B. Hydromorphon, Oxycodon oder Fen
> Wenn möglich, orale Gabe der Analgetika.
tanyl gewechselt werden. Buprenorphin ist dagegen ein Partialago
Die orale Therapie ist die Applikation der Wahl. Sie bewährt sich nist und lässt keine ungehinderte Dosissteigerung zu, denn ab einer
durch die nichtinvasive Darreichungsform. Bei Erbrechen oder nicht gewissen Dosierung ist nur noch eine Zunahme der Nebenwir
therapierbarer Obstipation können alternative Applikationswege kungen zu erwarten (Ceiling-Effekt). Ebenso ist die gleichzeitige
gewählt werden. Vor der Verwendung von Pflastern wird eine Therapie mit einem alleinigen Agonisten und einem Partialago
Schmerzmitteltitration mit z. B. oralen Morphinpräparaten empfoh nisten nicht sinnvoll. Es gibt keinen validen evidenzbasierten Beleg
len. Ein Pflastersystem ist damit in der Regel nicht als Erstverord für die Überlegenheit eines bestimmten Vertreters der Opioide.
nung geeignet. Die Resorption aus Pflastern wird durch Wärme
(z. B. Fieber) und Zustand der Haut beeinflusst. Zudem sind die Patientenkontrollierte Analgesie
lange Halbwertszeit und der verzögerte Wirkungseintritt zu be Unter PCA (»patient controlled analgesia«) versteht man alle For
achten. men der Selbstapplikation (i.v., oral, s.c., epidural, intrathekal) von
28 Kapitel 3 · Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept
wirksamen Analgetikamengen in festgelegten Zeitabständen. Es nung). Zuwendung durch das Pflegepersonal und Information des
werden PCA-Pumpen genutzt, bei denen Bolusrate und Bolusgröße, Operateurs über den Verlauf wirken psychisch und emotional posi
Sperrzeit und maximale Dosis programmiert sind. Die Anwendung tiv auf das Schmerzempfinden. Als besonderes Verfahren sollte bei
ist nur bei kooperationsfähigen Patienten sinnvoll und möglich. chronischen Schmerzzuständen (z. B. »complex regional pain syn
drome«; CRPS) auch das TENS (transkutaner elektrischer Nerven
Koanalgetika stimulator) erwähnt werden: Hier werden über niedrige Reizfrequen
Je nach Schmerzart können auch sog. Koanalgetika zum Einsatz zen (1–3 Hz) Reize gesetzt, die eine Stimulierung von Aδ-Fasern
kommen (. Tab. 3.7). Für Antidepressiva, Antiepileptika, Bisphos bewirken sollen, welche wiederum zu einer Dephosphorylierung
phonate und Kortikosteroide gibt es wissenschaftliche Wirksam synaptischer Proteine am Hinterhorn des Rückenmarks und da
keitsbelege in der Schmerztherapie. mit zu einem teilweisen Löschen des Schmerzgedächtnisses führen
können.
Operation mit wenig Operation mit mittelstarken Operation mit starken Schmerzen
Schmerzen Schmerzen
Prämedikation Ggf. NSAID und/oder Targin 10/5 mg Ggf. NSAID und/oder Targin 10/5 mg
Intraoperativ/AWR Perfalgan 1 g oder Novalgin 1 g Perfalgan 1 g oder Novalgin bis 2,5 g Perfalgan 1 g oder Novalgin bis 2,5 g
Evtl. Dipidolor oder Oxygesic injekt Evtl. i.v. PCA mit Dipidolor oder Oxygesic
fraktioniert injekt fraktioniert oder Bolusgabe bei
Katheterverfahren
Postoperativ auf NSAID +Pantozol und/oder NSAID +Pantozol und/oder Paracetamol NSAID + Pantozol und/oder Paracetamol
Station Paracetamol oder Perfalgan oder Perfalgan 4×1 g oder Novalgin oder Perfalgan 4×1 g oder Novalgin
4×1 g oder Novalgin 4–6×1 g 4–6×1 g 4–6×1 g
Bei Bedarf 20–30 Tropfen Tramal Über 3 Tage Targin 2×10/5 bis 20/10 mg Nach Beendigung i.v. (PCA) oder Katheter-
Bei Bedarf Oxygesic-Kapseln 5–10 mg verfahren
(alternativ retardiertes Stufe-II-Opiod, Targin 2×10/5 bis 20/10 mg
z. B. Tramal long ) Bei Bedarf Oxygesic-Kapseln 5–10 mg
bis zu 7 Tage
NSAID = »non-steroidal antiinflammatory drug«, AWR = Aufwachraum, PCA = »patient controlled analgesia«.
Rue LW III, Cioffi WG Jr, Rush R, McManus WF, Pruitt BA Jr (1992) Thromboem-
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Kapitel 4 Laserchirurgie – 33
A. Steiert
Laserchirurgie
A. Steiert
4.2 Laseranwendung – 35
4.2.1 Resurfacing mit ablativen Lasersystemen – 35
4.2.2 Resurfacing mit nicht ablativen Lasersystemen (»intense pulse light«; IPL) – 35
4.2.3 Laserbehandlung vaskulärer Läsionen/IPL – 36
4.2.4 Laserbehandlung pigmentierter Läsionen – 37
4.2.5 Haarentfernung – 37
4 IPL 690–1000
4 Alexandrite 755
4 Ruby 694
Tattoos
4 Rote, dunkle Tattoos (nicht blau und grün) 4 Q-switched Nd:YAG 532 4 Tattoo-pigmentierte Läsionen
Als Lasersysteme sind die derzeit gängigen und am Häufigsten 1200 nm (. Abb. 4.3). Durch spezielle Filtersysteme kann das IPL-
eingesetzten Systeme angegeben. Die Laserentwicklung unterliegt System in einen bestimmten Wellenbereich gefiltert werden, um ei-
einer stetigen Entwicklung. nen spezifischen Effekt zu erzielen.
Indikation
4.2 Laseranwendung 4 Jüngere Patienten.
4 Keine berufliche Ausfallzeit möglich.
4.2.1 Resurfacing mit ablativen Lasersystemen 4 . Tab. 4.3.
IPL unterscheidet sich von Laserlicht einfach durch ein Spektrum Komplikationen
mehrerer Wellenlängen, im Gegensatz zum monochromatischen Keine.
Licht einer Wellenlänge eines Lasers. In der Regel werden Systeme
angeboten mit einem Wellenlängenbereich zwischen 500 und
a b
. Abb. 4.3 a Kleine Lachfalten am lateralen Lidwinkel. b Deutliche Falten- einem IPL-System (595 nm); Ergebnis 2 Monate nach Laserbehandlung.
reduktion durch 4 Anwendungen (Sitzungen in 14-tägigem Abstand) mit (Aus: Trelles et al. 2007)
36 Kapitel 4 · Laserchirurgie
. Tab. 4.3 IPL-Resurfacing – Anwendungsgebiete . Tab. 4.4 Lasersysteme zur Behandlung vaskulärer Läsionen
Sonnenschäden der Haut Faltenbehandlung Besenreiser (>0,5 mm) Nd:YAG: größere Gefäßdurchmesser
Beruflich/öfentlich aktiv
Sanfte Therapie
Indikation
Ängstliche Patienten
4 Besenreiser (sichtbares Gefäß).
4 Teleangiektasien (kleinere geplatzte Äderchen; . Abb. 4.4).
4 Persistierende Hämangiome bei Kindern nach dem 6. Lebens-
4.2.3 Laserbehandlung vaskulärer Läsionen/IPL jahr.
4 Naevus flammeus.
Vor der Behandlung vaskulärer Läsionen ist die Diagnosesicherung, 4 Venöse Malformationen.
um welche Art vaskulärer Läsion es sich handelt, wichtig.
Einfach zu behandeln sind Teleangiektasien und die typischen Die zu verwendenden Lasertypen sind in . Tab. 4.4 dargestellt.
Besenreiser. Im Rahmen der Aufklärung muss auf die Notwendigkeit mehre-
Bei Kindern muss grundsätzlich zwischen Hämangiomen und rer Sitzungen eingegangen werden.
vaskulären Malformationen unterschieden werden. Letztere unter-
> Ein Probeschuss mit 4-wöchiger Nachbeobachtung ist zur
teilen sich nochmals in venös, arteriovenös, lymphatisch und ge-
Verträglichkeitsprüfung zu empfehlen.
mischte Malformationen.
Hämangiome treten in der Regel erst im 1. Lebensjahr auf und
sind durch eine Größenzunahme gekennzeichnet. Sie sind die häu- Komplikationen
figsten Tumoren im Kindesalter. Es besteht dabei eine hohe Inzidenz Komplikationen sind bei korrekter Indikation und Handhabung
an spontanen Remissionen. Vaskuläre Malformationen bestehen nicht zu erwarten.
von Geburt an, wachsen nicht und sind wesentlich seltener.
Die Kernspintomographie kann die Diagnose meist mit hoher
Verlässlichkeit eingrenzen.
a b
. Abb. 4.4 a Patient mit Läsionen einer hereditären hämorrhagischen dymium:Yttrium-Aluminium-Garnet Laser (Nd:YAG) 1.064 nm. (Aus: Werner
Teleangiektasie. b Deutliche Abschwächung der sichtbaren Gefäßverände et al. 2008)
rungen 8 Wochen nach der ersten Behandlung mit einem gepulsten Neo
4.2 · Laseranwendung
37 4
! Cave
Cave bei intramuskulärem Tumor: Bei kernspintomogra- . Tab. 4.5 Lasersysteme zur Behandlung pigmentierter Läsionen
phisch geringstem Sarkomverdacht besteht die Indikation
zur histologischen Sicherung. Pigmentierte Läsion Lasersystem
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Werner A, Bäumler W, Zietz S, Kühnel T, Hohenleutner U, Landthaler M (2008)
Hereditary haemorrhagic telangiectasia treated by pulsed neodymium:
yttrium-aluminium-garnet (Nd:YAG) laser (1,064 nm). Lasers Med Sci
4 23:385–391
5
5.2 Schnittführung – 40
5.1 Grundlagen der Gewebebehandlung tisch gehandhabt werden. Knochen sollten mit ganz besonderer
Aufmerksamkeit behandelt und angefasst werden.
Bei nahezu jedem operativen Eingriff wird unversehrte Haut durch Grundsätzlich sollte das Halten der entsprechenden Strukturen
trennt, d. h. eine Verletzung zugefügt. Hierbei sind bestimmte plas auf ein absolutes Minimum beschränkt werden, so z. B. sind Sehnen
tisch-chirurgische Prinzipien zu beachten. als bradytrophes Gewebe äußerst vulnerabel. Eine Quetschung
durch den Pinzettengriff bei der Sehnennaht kann zu einer Ernäh
rungs- bzw. Perfusionsstörung im Nahtbereich oder Verletzung des
5.1.1 Planung Peritendineums führen mit der möglichen Folge einer suboptimalen
Heilung der Sehnennaht und narbigen Adhäsionen.
Eine plastische Operation sollte gut geplant, zügig und sicher durch Durch die atraumatische Haltetechnik wird eine Quetschung
geführt werden, um das Trauma für den Patienten möglichst niedrig der Sehne vermieden, und das Risiko einer Durchblutungsstörung
5 zu halten. Dies setzt ein klares präoperatives Konzept der Lösungs im Nahtbereich wird minimiert.
möglichkeiten für die vorliegende Problematik voraus. Die Opera Nerven und Gefäße sollten mit Mikroinstrumenten oder mit
tionszeit sollte so kurz wie möglich gehalten werden, da das Gewebe atraumatischen Makropinzetten (DeBakey) nur an der Adventitia
austrocknen kann und v. a. bradytrophe Gewebe und Nerven, Seh bzw. am Epineurium gehalten werden. Grundsätzlich ist ein scharfes
nen oder Blutgefäße, Knochen, Muskeln und Faszien Schaden neh Skalpell zum Schneiden der Haut einzusetzen.
men können. Der Patient verliert Flüssigkeit und Wärme über die Scheren werden zur Präparation der funktionellen Strukturen
Wundoberfläche, und mit zunehmender Operationszeit steigt auch verwendet. Bei Verwendung der Präparierschere muss darauf geach
das Infektionsrisiko. tet werden, dass die Spitze der Schere vom Operateur immer gese
Ebenso steigt bei langen Operationszeiten das Risiko für Lage hen wird und dass nur sparsame Spreizbewegungen durchgeführt
rungsschäden mit der Konsequenz des Entstehens von Druckstellen, werden. Der kontrollierte Scherenschnitt ermöglicht ein weitaus
Dekubitus und an der oberen Extremität Lagerungsschäden von schonenderes Operieren als das schwer kontrollierbare Reißen des
Nerven (Nn. ulnaris, medianus, radialis, axillaris oder Plexus brachi Gewebes bei forciertem Spreizen.
alis). Bei traumatischen oder chronischen Wunden muss ein kompro
Lange Operationszeiten bedingen über lange Narkosephasen missloses Débridement mit Entfernung avitalen und infizierten Ge
protrahierte Nachbeatmungszeiten auf der Intensivstation mit der webes durchgeführt werden. Oft ist es in der akuten Situation jedoch
Gefahr ventilationsbedingter pulmonaler Beeinträchtigungen. Kor schwierig, zwischen noch vitalem und erhaltungswürdigem Gewebe
respondierend erhöht sich das Risiko einer Thromboseentstehung einerseits und irreversibel geschädigtem Gewebe andererseits zu
und Lungenembolie. unterscheiden; ggf. sind daher Folgeoperationen im Intervall not
wendig.
! Cave
5.1.2 Zugang Ein zu zaghaftes oder verzögertes Débridement mit dem
Risiko des Zurücklassens von avitalem Gewebe in der
Bei der Inzision ist es wichtig, diese in ausreichender Länge über
Wunde erhöht das Risiko für eine persistierende Wund
dem Operationsareal anzulegen, um eine gute Übersicht über das
infektion mit weiterem Gewebeuntergang.
Operationsgebiet zu gewährleisten und den Eingriff sicher und rasch
durchführen zu können. Andererseits sollte jedoch so narbenspa
rend wie möglich operiert werden. Ziel ist es, die Narbenlänge zu
minimieren oder durch geeignete Schnittführung die Narbe in 5.2 Schnittführung
Areale zu legen, die vom Patient weder funktionell noch ästhetisch
als störend empfunden werden. Das Skalpell muss zur Schaffung eines sauberen glatten Schnittrandes
senkrecht auf die Haut gesetzt werden und die Haut senkrecht
durchschnitten werden. Eine spätere Wundrandadaptation wird da
5.1.3 Atraumatische Gewebebehandlung durch erleichtert und die Narbenbildung optimiert. Die Schnittfüh
rung sollte parallel zu den Hautspannungslinien (Synonym »relaxed
Eine schonende Behandlung des Gewebes ist hierbei unbedingte skin tension lines«, Entspannungslinien) erfolgen, um eine Narben
Voraussetzung, da insbesondere in diesem Fachgebiet neben dem verbreiterung oder -hypertrophie zu vermeiden. Langer stellte 1861
funktionellen das ästhetische Ergebnis größte Bedeutung hat. Nach erstmals das Konzept der nach ihm benannten Hautspannungsli
der Inzision darf der Wundrand nicht mit einer Pinzette gequetscht nien vor. Diese Linien verlaufen senkrecht zu den Hauptzugrich
werden, da dies zu Drucknekrosen und Wundheilungsstörungen tungen der unter der Haut verlaufenden Muskulatur. Sie lassen sich
führen kann. Vielmehr sollten zum Aufhalten der Wunde feine durch Zusammendrücken der Haut mit 2 Fingern identifizieren
Gilles-Häkchen oder Haltefäden verwendet werden. (. Abb. 5.1).
Die Hautinzisionen sollten, wenn möglich, in unauffälligen, we
> Ein »Einhaken« der Haut von der Innenseite der Schnittflä
nig sichtbaren und mechanisch wenig belasteten Körperregionen
che mit einer chirurgischen Pinzette ermöglicht es, die
platziert werden, oder in Bereichen, die aufgrund der anatomischen
Quetschung des Gewebes zu vermeiden.
Verhältnisse eine unauffällige Narbenbildung ermöglichen. Beispiele
Während des Eingriffs ist ein ständiges Feuchthalten der Wunde mit sind die in die Submammarfalte, axillär oder periareolär gelegte In
isotonischer Kochsalzlösung wichtig, um ein Austrocknen der zision bei Eingriffen an der Mamma. Bei der Planung einer freien
Wundoberfläche zu vermeiden, die durch die Wärmeentwicklung mikrochirurgischen Gewebetransplantation z. B. sollte daran gedacht
der Operationsleuchten verstärkt wird. werden, dass eine Schnittführung am Rücken für die Lappenhebung
Insbesondere sollten funktionelle Strukturen wie Gefäße, Ner (z. B. Paraskapularlappen, Latissimus-dorsi-Lappen, Serratuslap
ven, Sehnen, Muskeln, aber auch Weichgewebe wie Periost atrauma pen) vom Patienten nicht gesehen wird (bei der täglichen Körper
5.3 · Chirurgische Strategien zur Modulation der kutanen Heilung
41 5
a b
. Abb. 5.1 Hautspannungslinien nach Langer im Gesicht (a) und am Rumpf (b)
pflege) und daher als weniger störend empfunden wird als Narben ! Cave
verläufe auf der Vorderseite des Körpers. Immer sollten mögliche Mit der Präparationsschere wird grundsätzlich keine Haut
Narbenverläufe dem Patient präoperativ erläutert und idealerweise geschnitten, sondern ausschließlich das subkutane Gewe
am Körper in Farbe angezeichnet werden. be präpariert. Vorsichtiges Spreizen wechselt mit kontrol
lierten Schnitten.
> Bei der Planung der Platzierung von Hautschnitten sollte
auch ein zukünftig notwendiges Lappendesign mitberück
Bei der Exzision von Tumoren ist die Schnittführung spindelförmig
sichtigt werden.
um den Tumor parallel zu den Hautspannungslinien zu legen mit
Die Schnittführung an den Extremitäten erfolgt gerade oder in flach einem ausreichenden Sicherheitsabstand. Bei Biopsien zur Abklärung
geschwungenen Bögen parallel zur Längsachse der Extremität. Hier von Tumordignität ist die Inzision über dem Punctum maximum des
durch erreicht man eine gute Übersicht des Operationssitus bei Befundes zu wählen und in die zukünftigen Inzisionen, z. B. bei onko
gleichzeitiger Vermeidung des Hautuntergangs in den Lappenspit logischen Resektionen, einzuplanen (7 Kap. 32 »Maligne Tumoren«).
zen bei zu starker Winkelung der Schnittführung. Lineare Inzisionen
über Gelenkbeugen sind grundsätzlich kontraindiziert.
Ein grundsätzliches Problem für evtl. zukünftige plastische 5.3 Chirurgische Strategien zur Modulation
Operationen besteht darin, dass sog. Standardinzisionen anderer der kutanen Heilung
Fachgebiete z. T. plastisch-chirurgisch relevante Strukturen nicht
respektieren (z. B. Durchtrennung des M. latissimus dorsi bei poste Der Einfluss chirurgischer Techniken auf die Narbenbildung er
rolateraler Thorakotomie). Besonders bei interdisziplinären Eingrif streckt sich von der Erzeugung der Wunde im Rahmen chirurgischer
fen sollte hierauf hingewiesen werden. Eingriffe über die Art der Gewebebehandlung bis hin zur Wahl und
Bei der Hautnaht muss auf eine Eversion der Wundränder ge Verwendung des Fadenmaterials (Vogt et al. 2009). Chirurgische
achtet werden, da durch eine optimale Approximation der tiefen Strategien zur Kontrolle der Narbenbildung beinhalten daher Maß
dermalen Anteile flache, unauffällige Narben erreicht werden. Jegli nahmen, die die negativen Wirkungen von chirurgischen und me
che Stufenbildung von adaptierten Hauträndern führt zu ästhetisch chanischen Eingriffen in Bezug auf den Heilungsprozess auf ein
auffälligen Narben. Minimum reduzieren.
Für den Hautschnitt und bei Operationen an den Händen wird Die Entstehung einer feinen Narbe ist abhängig von einer Viel
in der Regel ein 15-er Skalpell verwendet, mit dem auch (z. B. bei der zahl von Faktoren (. Übersicht).
Dupuytren-Kontraktur) in der Tiefe die funktionellen Strukturen
präpariert werden können. Ein 11-er Skalpell ist für ganz feine
Einflussfaktoren auf die Bildung einer feinen Narbe
punktförmige Schnittführungen geeignet (Kanülenzugang bei Lipo
suktion, Arthroskopiezugang Handgelenk) oder um die Hautläpp 4 Hauttyp und Lokalisation am Körper
chen bei Z-Plastiken exakt zu umschneiden. 4 Spannung der Wundränder
4 Nahtmaterial
> Immer sollte die Klinge nach dem Hautschnitt für die Prä 4 Ausrichtung der Wunde in Bezug auf Kraftvektoren und
paration tieferer Strukturen gewechselt werden. Hautspannungslinien
4 Faktoren der Komorbidität
4 Technik des Wundverschlusses
42 Kapitel 5 · Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger Narbenbildung
! Cave
Wunden an bestimmten anatomischen Regionen, wie an
der Schulter oder am Brustbein sowie über großen Gelen
ken, weisen eine Tendenz zur Verbreiterung sowie Hyper
trophie und damit zu ungünstiger Narbenbildung auf.
. Abb. 5.2a, b Gute Narbenbildung: Bei diesem 30 Jahre alten Mann, der
sich einer Fettabsaugung der Pektoralisregion unterzog, sind die Inzisions
5.3.2 Ausrichtung der Narben linien für die Fettabsaugungskanüle kaum erkennbar. Die Narben wur
den kurz gehalten und parallel zu den Hautspannungslinien am seitlichen
Die Begriff der »Hautspannungslinien« oder »Hautspaltlinien« M.-pectoralis-Rand platziert. Als Nahtmaterial wurden subdermal gestoche
(. Abb. 5.1) wurde ursprünglich von Dupuytren (1832), Langer ne evertierende resorbierbare Einzelknopfnähte (4-0 Monocryl) verwendet
(1861) und später auch als »relaxed skin tension lines« von Borges
(1984) beschrieben.
halb der Wunde minimiert wird. Auch durch Naht der Hautränder
> Wenn sich eine Narbe parallel zu den relaxierten Haut
des noch vorhandenen ausgereiften und damit stabilen Narben
spannungslinien orientiert, entsteht an den Wundrändern
gewebes nach intraläsionaler Exzision kann eine Entlastung der Ge
nur eine minimale Spannung (7 Abb. 5.2). Eine maximale
webespannung erreicht und dadurch die Entstehung von besseren
Narbenkontraktion tritt auf, wenn eine Narbe die Linien
Narben gefördert werden. Dies ist insbesondere bei Keloiden von
der minimalen Spannung im rechten Winkel kreuzt.
Bedeutung.
Narben können auch in Konturlinien (d. h. Trennlinien) zwischen
Körperfalten versteckt werden. Dies führt meist zu einer Vergröße Chirurgische Indikationsstellung
rung der Narbe. Wenn Narben in einem schrägen Winkel platziert Parsons (1977) hat die für den Chirurgen kritischen Aspekte der
werden, neigen sie eher zur Hypertrophie (. Abb. 5.3d). Ein Beispiel Narbenrevision zusammengefasst:
für unauffällige und minimale Narbenbildung ist in . Abb. 5.4 wie 4 Eine Narbe erscheint üblicherweise zwischen 2 Wochen und
dergegeben. Narben sind dagegen sichtbar und auffällig, wenn sie 2 Monaten nach Verletzung am auffälligsten. Narbenrevisionen
Hautspannungslinien kreuzen oder wenn sie Verbreiterungen, Erha sollten daher die spontane Narbenreifung abwarten, die abhän
benheiten und Depigmentierungen aufweisen (. Abb. 5.3). gig von verschiedensten Faktoren zwischen 4 Monaten und
24 Monaten beanspruchen kann (7 oben). Lediglich funktionell
behindernde Narben, z. B. über Gelenkbeugen oder im Gesicht,
5.3.3 Narbenrevision können früher eine Indikation zur Revision darstellen.
4 Eine Narbe wird dann auffällig, wenn sie den Verlauf von Ober
Eine besondere Herausforderung für den Chirurgen stellt die Nar flächenregionen unnatürlich durch abweichende Farbe, Kontur
benrevision dar. Um ein gutes Ergebnis der Narbenrevision zu er oder Texturdifferenzen unterbricht.
halten, ist es auch hier entscheidend, die Spannung an den Wund 4 Das endgültige ästhetische Ergebnis einer Narbe hängt meis
rändern zu vermindern. In Studien konnte gezeigt werden, dass die tens mehr von der Schädigungsursache (auch Traumatisierung
Narbenexzision und der Wundverschluss in ausgereiften Narben durch den Chirurgen) als von der Nahttechnik ab. Quetschung,
durchgeführt werden muss, damit die entzündliche Aktivität inner Schmutztätowierungen, ungünstiger Wundverlauf, Lazeratio
5.3 · Chirurgische Strategien zur Modulation der kutanen Heilung
43 5
a b
c d
. Abb. 5.3a–d Klinische Auffälligkeiten von Narben: Auffällige Narben leiter«; b, c). Ein ungünstiger Verlauf gegen die Orientierung der Hautspaltli
sind oftmals depigmentiert (a) und weisen Dehiszenzen oder Stufen auf (b). nien ist oftmals mit Hypertrophie aufgrund der erhöhten Spannung ver
Insbesondere wenn kräftige, nichtresorbierbare Einzelnähte verwendet bunden (d)
werden, entstehen zusätzliche Vernarbungen durch Hauteinstiche (»Strick
a b
. Abb. 5.4a, b Um eine Primärheilung mit minimaler Narbenbildung zu er nähte (Vicryl 3-0) und durch resorbierbare fortlaufende Intrakutannaht (Mo
zielen, sind eine präzise Zusammenführung der Hautränder und ein span nocryl 4-0; a). Feine und kaum erkennbare Narbe nach Mammaaugmentati
nungsfreier Wundverschluss erforderlich, am besten durch dermale Einzel on über eine inframammäre intrakutan genähte Inzision (b)
44 Kapitel 5 · Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger Narbenbildung
Literatur
Borges AF (1984) Relaxed skin tension lines (RSTL) versus other skin lines.
Plast Reconstr Surg 73 (1): 144
McGregor AD, McGregor IA (eds) (2009) Fundamental techniques of plastic
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New York
Niessen FB, Spauwen PH, Kon M (1997) The role of suture material in hyper
trophic scar formation: Monocryl vs. Vicryl-rapide. Ann Plast Surg 39 (3):
254
Parsons RW (1977) Scar prognosis. Clin Plast Surg 4: 181
Vogt PM, Altintas MA, Radtke C, Meyer-Marcotty M (2009) Grundlagen und
Techniken der chirurgischen Naht. Chirurg 80: 437–447
6
6.1 Nahtmaterialien – 46
6.1.1 Wechselbeziehung von Nahtmaterial und Narbenqualität – 46
6.1.2 Nahttypen – 47
6.1 Nahtmaterialien
Goldene Regeln zur Erzielung guter Narbenqualität
Das chirurgische Nahtmaterial kann unterteilt werden in 4 Platzierung der Inzisionen in Linien geringster Haut
4 resorbierbare und nichtresorbierbare, spannung oder in natürlichen Hautfalten
4 monofile oder geflochtene Fäden. 4 Sanfte Gewebebehandlung und Beschränkung des
Débridements auf das notwendige Maß zur Erzielung
Die Fadenstärke bestimmt in hohem Maße die Reißfestigkeit des eines sauberen Wundbettes
Fadens. 4 Komplette Hämostase im Wundbereich
Moderne synthetisch hergestellte nichtresorbierbare Nahtmate 4 Ausschaltung von Spannung an Hauträndern
rialien (Nylon, Polypropylene) sowie resorbierbare Monofilamente 4 Verwendung feiner Nähte mit frühestmöglicher Ent-
(Polyglecapron; . Tab. 6.1) sind minimal gewebereaktiv und werden fernung
somit für den Wundverschluss bevorzugt, insbesondere dann, wenn 4 Evertierung der Wundränder
kosmetische Aspekte im Vordergrund stehen. Sie alle haben das klas 4 Beste Narbenqualität ist eher bei Patientenalter in der Nähe
sische Catgut ersetzt.
6 In einer systematischen Studie untersuchten van Winkle et al. bei
von 90 Jahren als von 9 Jahren zu erwarten
4 Abwarten der Narbenreifung vor Versuch einer Narben
Hunden 6 chirurgische Nahtmaterialien zum subkutanen Verschluss revision
von abdominalen Inzisionen. Die Auswirkungen auf die Wundhei
lung wurden mittels mechanischer, biochemischer und histologi
scher Methoden evaluiert. Unter den mit unterschiedlichen chirur
gischen Nahtmaterialien versorgten Wunden konnten postoperativ 6.1.1 Wechselbeziehung von Nahtmaterial
bis zu 28 Tage keine Unterschiede in der Wundreißfestigkeit ermit und Narbenqualität
telt werden. In Bezug auf die Inzidenz von Wundinfektionen wurde
jedoch die Überlegenheit von monofilen Fäden gegenüber multifilen Experimentelle und klinische Daten aus der Wundheilungsfor
Nahtmaterialien gezeigt. Unter den nicht resorbierbaren Nahtmate schung und aus Nahtstudien helfen heute, Nahtmaterial und Naht
rialien zeigten die nicht mehr im klinischen Hautverschluss popu technik optimal zu kombinieren, um einen sicheren und exakten
lären Materialien Seide und Polyester die höchste Rate an Wund Wundverschluss mit einer ästhetisch möglichst günstigen Narben
infektionen mit einer intensiven und lang anhaltenden Gewebereak qualität zu erzielen. Seit langem ist bekannt, dass bei Wunden die
tion. Im Gegensatz dazu erzeugte Polypropylen, als monofile Naht, Nahtfestigkeit erheblichen Einfluss auf die Narbenqualität hat. So
nur eine milde bis moderate Gewebereaktion. Auch wenn die Ergeb unterstützen suffiziente Nähte die »schwachen« Kollagenbündel ei
nisse aus den tierexperimentellen Studien eindeutig waren, empfeh ner heilenden Wunde, was vorrangig in den ersten 3 Wochen nach
len die Autoren, bei der Übertragung ihrer Beobachtungen auf den Inzision von Bedeutung ist, da in diesem Zeitraum die Wundreiß
Menschen Vorsicht walten zu lassen, da man berücksichtigen muss, festigkeit nur 20% der normalen Haut beträgt.
dass bestimmte Spezies auf chirurgisches Nahtmaterial unterschied
> Die Hauptursache für Narbendehiszenz ist die Separation
lich reagieren.
von »schwachen« Kollagenfasern (Typ-III-Kollagen), bevor
Als synthetisches resorbierbares Nahtmaterial erzeugte Polygla
sie in gut ausgerichtete Kollagen-Typ-I-Bündel ausreifen.
ctin nur eine moderate Gewebereaktion und war einheitlich zwischen
Eine konstante Dehnung lässt sich daher in Narben be
dem 28. und 70. Tag nicht mehr nachweisbar. In einer klinischen
obachten, die nicht durch Nähte unterstützt werden.
Studie an 81 Patientinnen wurde dieser Unterschied bestätigt. So
resultierte bei Verwendung von monofilen resorbierbaren Nähten Die Breite einer Narbe in einer nicht durch Nähte unterstützten
(Polyglecapron, Monocryl) zum Verschluss von inframammären In Wunde kann sich dabei in 3 Wochen bis 3 Monaten nach der Inzisi
zisionen von Mammareduktionsplastiken eine signifikant geringere on verdoppeln und sich zusätzlich um weitere 50% zwischen dem
Tendenz zur inflammatorischen Aktivität und Narbenhypertro 3. und 6. postoperativen Monat verbreitern.
phie als unter geflochtenem Polyglactin (Vicryl rapide). Allgemeine
Leitlinien zur Wahl des richtigen Nahtmaterials und der Techniken > Daher ist in diesem Zeitraum die mechanische Entlastung
sind in . Tab. 6.2 und der . Übersicht aufgelistet (weitere Details in zur Unterstützung der Narbenreifung von entscheidender
7 Kap. 5). Bedeutung und kann effizient durch folgende Maßnah-
men gefördert werden: Nähte, Vitamine, mikroporöse Ta-
pes und Schienen.
Gesicht 4 4-0, 5-0 synthetisch resorbierbar 4 Schichtweise, falls Wunde oder Inzision voll 3–5
oder schichtig
4 6-0 nichtresorbierbar 4 Fortlaufend oder Einzelknopfnaht
4 Monofil
Augenlid 4 5-0 intrakutan, 6-0 Einzelknopf 4 Einreihig Einzelknopf oder fortlaufend (unter 5
4 Nichtresorbierbar stützt durch Steri-Strips für bis zu 10 Tage)
4 Monofil
Lippe oder 4 4-0, 5-0 resorbierbar in Mukosa, Muskel 4 Schichtweise Muskel, Mukosa, Haut 3–5
Mundhöhle intradermaler Schicht 4 Einzelknopfnaht
4 6-0 monofil nichtresorbierbar in Haut
Extremität 4 3-0 oder 4-0 resorbierbara 4 Einreihig oder mehrreihig (Dermis)a 6–14b
4 3-0 oder 4-0 nichtresorbierbar 4 Schienen bei Wunden über Gelenken oder bei
4 Monofil 3-0 oder 4-0 resorbierbar hoher Wundspannung
4 Fortlaufend
4 Intrakutan
Hände und Füße 4 4-0 oder 5-0 nichtresorbierbar 4 Einreihig mit einfachen oder Einzelknopfrück 7–12
4 Monofil stichnähten
4 Schienen bei Wunden über Gelenken oder bei
hoher Wundspannung
Nagelbett 4 6-0 oder 7-0 resorbierbar 4 Exakte Adaptation mit Einzelknopfnähten Resorption
4 Lupenvergrößerung
4 Nagelschienung durch Originalnagel oder Kunst
nagel (aus 20-ml-Spritze), um Adhäsionen zu
vermeiden
a In Zonen hoher Spannung resorbierbare monofile Nähte (Polydioxanon) sorgen für längere Reißkraft während der kritischen Phase der Kollagen
bündelentwicklung.
b
An der unteren Extremität verbleiben nichtresorbierbare Fäden bis zu 21 Tage abhängig von Gefäßstatus, Durchblutung und Hautqualität.
c
Bei Verwendung nicht resorbierbaren Materials.
. Abb. 6.1 Reißfestigkeit von Einzelfäden im Organismus. (Mod. nach Ethicon GmbH und Vogt et al. 2009)
6
> Bei allen resorbierbaren Einzelnähten ist auf eine deutlich den verlieren nach 10–12 Tagen 50% ihrer Reißkraft, nach 9 Mona
subdermale Stichorientierung mit Evertierung der Wund ten sind die Fäden in der Regel restlos resorbiert. Im Vergleich zum
ränder zu achten. Eine fortlaufende intrakutane Naht darf früher verwendeten Catgut verursachen diese Kunststofffäden we
nicht zu oberflächlich platziert werden. sentlich seltener Fremdkörperreaktionen, Antigenreaktionen treten
nicht auf. Problematisch bei diesen geflochtenen Fäden (Vicryl) ist
Der Wundverschluss mit Gewebeklebstoffen wurde wiederholt im die sehr raue Oberfläche, die zu einem Einschneiden in das Gewebe
Laufe der letzten Jahre favorisiert. Die klinische Anwendung ist führen kann. Der PDS-Faden (ein Polydiaxanonfaden) ist ein syn
bislang auf kleine oberflächliche Wunden beschränkt und wird be thetisch hergestellter monofiler Faden, der im Gegensatz zu einem
vorzugt bei Kindern eingesetzt. In einer neueren prospektiven ran geflochtenen Faden (z. B. Vicryl) eine sehr glatte Oberfläche hat und
domisierten Studie wurde ein bemerkenswerter Unterschied in der die Reißkraft innerhalb von 70 Tagen verliert.
Wundheilung beobachtet: In 26% der Fälle traten in der Klebstoff
gruppe Wunddehiszenzen auf, wohingegen keine Dehiszenzen in
der Nahtgruppe zu verzeichnen waren. Daher empfehlen die Auto 6.2 Haut und Unterhaut
ren, dass bei Kindern Wunden besser chirurgisch mit einer resor
bierbaren intrakutanen Naht verschlossen werden sollten. Bei der Hautnaht kommt es primär darauf an, eine optimale Koap
In allen Situationen, in denen eine hohe Spannung zu erwarten tation der Wundränder zu erlangen, um eine flache unauffällige Nar
ist, erscheint die Reduktion von Traktionskräften auf die Wundrän benbildung zu erzielen.
der obligatorisch. Hogstrom et al. haben bei Ratten an Laparotomie
! Cave
wunden gezeigt, dass sich die Reißfestigkeit von unter Spannung
Die Wundränder dürfen während der Naht nicht ge-
stehenden Nähten um 77% verringerte und diese bei fast der Hälfte
quetscht werden.
der Tiere insuffizient geworden waren. In Wunden der »Spannungs
gruppe« wurden in der Peripherie des Fadenmaterials eine verstärkte Um eine feste Knotenbildung zu erreichen, ist es bei den modernen
Gewebemyeloperoxidaseaktivität und eine deutlich erhöhte An Nahtmaterialien mit einer sehr glatten Oberfläche und großen
sammlung von neutrophilen Leukozyten nachgewiesen. Die Auto Elastizität wichtig, eine saubere Knotentechnik zu beherrschen. Im
ren schlussfolgern, dass die verminderte Reißfestigkeit durch die Allgemeinen werden 2 gleichläufige Knoten gefolgt von einem ge
neutrophilen Granulozyten hervorgerufen wurde. genläufigen und wieder einem gleichläufigen Knoten gesetzt.
In einer neueren Studie erzeugten resorbierbare lange monofile
dermale Nähte, die in einer »Schlingentechnik« eingebracht wurden,
durch lang anhaltende Zugfestigkeit auf das heilende Gewebe die 6.2.1 Knotentechniken
kleinsten Narben. Das Argument der Autoren, Polydioxanon (PDS)
zu verwenden, stützte sich auf die lange Reißfestigkeit der Fäden Die verschiedenen Knotentechniken sind in . Abb. 6.2 abgebildet.
(64 Tage) und eine reduzierte entzündliche Reaktivität dieses Mate
rials im Vergleich zu anderen Fäden (. Abb. 6.1). Maschinenknoten. Der »Maschinenknoten« wird mit Pinzette und
Die Sterilisation des Nahtmaterials erfolgt allgemein mit Ethy Nadelhalter geknotet und ist ein technisch einfach durchzuführen
lenoxid oder γ-Strahlen. der Knoten. Diese Knotenform wird oft bei Hautnähten bei Einzel
Heute werden meist Kunststofffäden verwendet, die durch Poly knöpfen oder Rückstichnähten eingesetzt. Das Feingefühl für die
merisation von Monomeren hergestellt werden. Die Kunststofffäden Knotenspannung und die Gewebefestigkeit fehlt bei dieser Knoten
zeichnen sich durch eine sehr gute Gewebeverträglichkeit aus. Durch technik.
die wasserabstoßenden Eigenschaften quellen die Fäden im Gewebe
nicht auf und zeigen keinerlei Dochtwirkung. Das Fehlen der Quel Einzelknopfnaht. Die Einzelknopfnaht wird zum Hautverschluss,
lung und Dochtwirkung macht die nichtresorbierbaren Kunststoff beispielsweise in der Hohlhand, durchgeführt. Die Narbenbildung
fäden aus Polyamiden (z. B. Ethilon, Seralon, Nylon, Perlon etc.) und ist relativ unauffällig bei optimaler Adaptation der Hautränder anei
Polyestern (z. B. Mersilene etc.) zu den gebräuchlichsten Nahtmate nander und evertierter Naht. Eine locker adaptierende Einzelknopf
rialien für alle Haut-, Sehnen-, Gefäß- und Nervennähte. hautnaht kann beispielsweise bei verschmutzten Wunden durchge
Polyglycolsäurefäden (z. B. Vicryl) sind synthetisch hergestellte führt werden, damit noch eventuell bestehendes Wundexsudat
Fäden, die nach einer definierten Zeit resorbiert werden. Diese Fä durch die Lücken zwischen den Einzelknopfnähten abfließen kann.
6.2 · Haut und Unterhaut
49 6
a b c
Intrakutane fortlaufende Hautnaht. Dies ist eine sehr elegante Die verschiedenen Schichten einer Wunde müssen entweder mit
Nahttechnik, um ein optimales Narbenbild zu erreichen. Die stören einzelnen oder fortlaufenden Nähten zusammengeführt werden.
den Ein- und Ausstichstellen der Nadel bei Einzelknopf oder Rück Dabei wird subkutanes Fettgewebe nicht vernäht. In randomisierten
stichnähten entfallen. Bei der intrakutan fortlaufenden Naht ist die Studien konnte nach V.-saphena-Exzision der negative Effekt von
intradermale Lage des Fadens wichtig mit einem gleichmäßigen Ab subkutanen Nähten gezeigt werden. Eine zusätzliche Naht des Fett
stand zur Hautoberfläche und gleichmäßigem Abstand der Ein- und gewebes führt hier zu Gewebeischämie sowie Nekrose und damit zu
Ausstiche. Bei stark verschmutzten Wunden und solchen Wunden, einem erhöhten Infektionsrisiko. Um eine Entlastung der Spannung
die stark sezernieren und eine entsprechende Drainage der Wund an den Wundrändern und gleichzeitig eine ausreichende Reißfestig
flüssigkeit benötigen, ist diese Nahttechnik nicht geeignet. keit zu erzielen, sind dermale Nähte wichtig.
Aktuell wird resorbierbares Nahtmaterial bevorzugt, das so
Überwendlich fortlaufende Naht. Diese Technik wird bevorzugt durch tief dermale Einstiche mit invertierter Stichrichtung unter der
eingesetzt bei der Einnaht von Hauttransplantaten. Eine gleichmä Dermis versenkt wird, dass der Knoten subdermal zu liegen kommt.
ßige Verteilung der Spannung bei guter Festigkeit der Naht kann so Diese Maßnahme reduziert die auf der finalen Hautnaht liegende
erreicht werden. Ein Knoten und Abschneiden des Fadens während Spannung maximal. Durch den versenkten Knoten wird die Rate an
der Hautnaht entfällt. Fadenextrusionen reduziert (7 unten).
Wenn nichtresorbierbares Material oder Klammern zum äuße
Dynamische Hautnaht. Die dynamische Hautnaht wird bei sekun ren Verschluss der Epidermis verwendet werden, sollten diese an
där klaffenden Wunden eingesetzt. Hier wird über einen Zeitraum ästhetisch exponierten Regionen (Gesicht) innerhalb von 5 Tagen
von bis zu einigen Wochen ein stark klaffender Wundspalt durch die von der Hautoberfläche entfernt werden, um unansehnliche Ein
Dehnbarkeit der Haut direkt verschlossen ohne den Einsatz von stichstellen (»cross-hatching«) zu vermeiden.
Hauttransplantaten.
Subkutannaht. Die Subkutannaht zur Durchführung eines schicht 6.2.4 Kritische Elemente der Nahttechnik
weisen Wundverschlusses führt zu einer Optimierung des Wundver
schlusses durch eine Verkleinerung des Wundhohlraums und zu > Kritische Elemente neben scharfer und sauberer Schnitt-
einer guten Adaptation der Wundränder aneinander. Auch die Reiß führung sind korrekte Ausrichtung der Wundränder, Ver-
festigkeit der Wunde kann durch eine Subkutannaht erhöht werden. meidung von Wundhöhlen, schichtweiser Wundverschluss
Es sollte darauf geachtet werden, dass der Knoten in der Tiefe ver und Eversion der Wundränder. Tiefe dermale Nähte nä-
senkt wird, um ein Perforieren durch die Haut zu vermeiden. Dies hern die Hautränder aneinander an und helfen, die Span-
wird durch ein invertiertes Einstechen erreicht. nung an diesen zu verringern.
50 Kapitel 6 · Nahtmaterialien und Nahttechniken
a
b
. Abb. 6.4a, b Postoperatives Narbenmanagement. Angemessene Naht de das betroffene Gelenk zur Rezidivprophylaxe des Ganglions für 4 Wo
technik und Narbenmanagement helfen bei der Entstehung von guten Nar chen in einer Schiene immobilisiert. Silikongelstreifen beugen zusätzlich ei
ben wie im vorliegenden Fall einer Patientin mit Handgelenksganglion. Der ner Narbenhypertrophie vor. Nach 12 Wochen deutet nur noch eine mini
dermale Wundverschluss wurde mit Polyglactin und die Hautnaht mit male Hyperpigmentierung auf die Existenz einer kleinen Narbe (b)
nichtresorbierbaren monofilen Nähten durchgeführt (a). Anschließend wur
6.4 · Mikrochirurgie von Gefäßen und Nerven
51 6
6.2.5 Zusätzliche Maßnahmen über dem Handgelenk bei der Rekonstruktion der Extensor-pollicis-
zum Wundverschluss longus-Sehne mittels Transposition der Extensor-indicis-Sehne.
Beide zu vernähenden Sehnen werden 3-mal miteinander verwoben
Tapeverbände (Micropore, Steri-Strip) oder dermale Cyanoacrylat und genäht, wobei darauf geachtet werden muss, dass die jeweiligen
klebstoffe wie Dermabond werden für eine maximale Adaptation Ein- und Ausstichstellen der Naht um 90° um die Längsachse der
der Hautränder empfohlen. Durch eine starke lokale Unterstützung Sehne verdreht werden. Die Vernähung der Sehnen miteinander
innerhalb der Wundränder und Ruhigstellung der Epidermis im wird mit einer monofilen nichtresorbierbaren Naht der Stärke 4-0
Wundbereich gegenüber Scherkräften, Mikrotraumata und Entzün durchgeführt, zusätzlich zu einer 6-0 monofilen resorbierbaren
dungen kann eine ungestörte Wundheilung mit guten kosmetischen Feinadaptation (. Abb. 6.6).
Ergebnissen erreicht werden (. Abb. 6.4).
. Abb. 6.5 Beugesehnennaht nach Kirchmayr, modifiziert nach Zechner . Abb. 6.6 Pulvertaftdurchflechtung (7 Text)
(7 Text)
52 Kapitel 6 · Nahtmaterialien und Nahttechniken
Vor der eigentlichen Mikronaht sollte ein glatter Gefäßstumpf prä Die Fadenstärke richtet sich nach der Gefäßart und -dicke. Finger
pariert werden. Hierzu wird die Adventitia scharf von der Media arterien können meist mit einem 8-0 oder 9-0 monofilen nichtresor
abpräpariert. Die Adventitia wird unter dem Mikroskop parallel zur bierbaren Faden genäht werden. Für die Nervenkoaptation sollte ein
Längsachse des Gefäßes über den Stumpf hinaus gezogen/mobilisiert Faden der Stärke 10-0 verwendet werden sowohl für die epineurale
und dann mit der Mikroschere glatt abgetrennt. Nach dem Loslassen Naht (bei Fingernerven) als auch für die perineurale bzw. interfaszi
der Adventitia weicht diese über den Stumpf zurück, und es bleibt kuläre bei großen polyfaszikulären Nerven.
ein ca. 2–4 mm langer glatter Mediastumpf für die Anastomose. Für die Venennaht im Bereich der Finger empfehlen wir die Ver
Beim Aufnehmen von Nadel mit Faden sollte darauf geachtet wendung eines 10-0-Fadens, da die Venenwand deutlich schwächer
werden, dass die Nadel vom Nadelhalter senkrecht angefasst wird, als die entsprechende Arterienwand ist.
etwa am Übergang des proximalen zum mittleren Nadeldrittel. Die Bei mikrochirurgischen Nähten im Bereich der oberen und un
Nadel sollte senkrecht auf die Gefäßwand aufgesetzt werden und teren Extremität kann meist sowohl für die arterielle als auch die
entsprechend der Rundung der Nadel durch die Gefäßwand hin venöse Anastomose ein Faden der Stärke 8-0 verwendet werden.
durchgestochen werden. Hierbei darf nur eine Gefäßwand gesto
chen werden (. Abb. 6.7). Ein Ziehen an der Nadel in Abweichung
Literatur
der vorgegebenen Nadelkrümmung führt zu einem Einschneiden
Ethicon GmbH [www.ethicon.de/upload/catgut/Aktualisierte_Fadenkarte.
der Gefäßwand mit der Gefahr eines Ausreißens der Naht. Der Ab
pdf )]
stand der Nadeleinstichstelle zum Gefäßstumpf entspricht der Dicke
Greve H, Schumann U, Gallego R, Dittrich H (1986) Intracutaneous skin suture
der Gefäßwand. with a resorbable synthetic monofilament suture. Langenbecks Arch Chir
! Cave 368: 57
Hogstrom H, Haglund U, Zederfeldt B (1990) Tension leads to increased
Eine traumatisierende Quetschung der Gefäßwände durch
neutrophil accumulation and decreased laparotomy wound strength.
»Anfassen« des Gefäßes mit der Mikropinzette muss un
Surgery 107: 215–219
bedingt vermieden werden. Auch sind intraluminale Mani- Markovchick V (1992) Suture materials and mechnical after care. Emerg Med
pulationen mit scharfen Instrumenten zu vermeiden, da Clin North Am 10 (4): 673
sonst Mikroverletzungen der Intima resultieren können McGregor AD, McGregor IA (eds) (2000) Fundamental techniques of plastic
mit der Gefahr von Thrombusbildung und Gefäßverschluss. surgery, and their surgical applications, 10th edn. Churchill Livinstone,
New York
Das verwendete Nahtmaterial und Instrumentarium muss absolut
Stockley I, Elson RA (1987) Skin closure using staples and nylon sutures: A
sauber sein, insbesondere dürfen keine »Fussel« von Kompressen comparison of results. Ann R Coll Surg Engl 69: 76
oder Blut- und Gewebereste am Faden kleben, da man diese sonst Van Winkle WJ, Hastings JC, Barker E et al. (1975) Effect of suture materials on
bei Durchführung der Naht in das Gefäßlumen hineinziehen würde. healing skin wounds. Surg Gynecol Obstet 140: 7
Die instrumentierende Schwester muss das Instrumentarium regel Vogt PM, Altintas MA, Radtke C, Meyer-Marcotty M (2009) Grundlagen und
mäßig in einer vorbereiteten Heparinlösung säubern. Techniken der chirurgischen Naht. Chirurg 80: 437–447
7
Blutstillung, Drainage
und Blutegeltherapie
K. Knobloch
7.1 Blutstillung – 54
7.1.1 Physikalische bzw. mechanische Substanzen – 54
7.1.2 Biologische Substanzen zur Aggregationsförderung – 54
7.1.3 Physiologische Substanzen – 54
7.2 Drainage – 55
7.2.1 Sogstärke – 55
Acrylate Adrenalin
Cyanoacrylate sind Flüssigkeiten, die extrem schnell polymerisieren. Adrenalin führt über α- und β-mimetische Wirkung u. a. zu einer
Dies führt im Gewebe zur Verklebung, was die Blutung stoppen ausgedehnten Vasokonstriktion. Beispielsweise kann die Applika
kann. Basierend auf der Länge der Cyanoacrylatseitenketten werden tion von adrenalingetränkten Bauchtüchern nach Spalthautentnah-
kurz- von langkettigen Substanzen differenziert. Alle Acrylate sind me die Blutungsneigung deutlich reduzieren. Bei distaler akraler
relativ unreaktiv, jedoch können Entzündungsreaktionen bzw. Injektion kann Adrenalin zur Malperfusion in der Endstrombahn
Fibrose auftreten. führen.
7.2 · Drainage
55 7
Kokain zeigte sich nach Splenektomie bei Verwendung einer offenen Penro-
Als Alkaloid der Erythroxylon coca ist Kokain seit 1884 in klinischer se-Drainage eine signifikant höhere Infektionsrate im Milzbett
Anwendung. Es ist ein raschwirksames Lokalanästhetikum mit be- (90%) als bei Verwendung geschlossener Jackson-Pratt-Drainagen
gleitender potenter vasokonstriktorischer Wirkung. Insbesondere (20%), wenn die Drainagenaustrittsstelle mit Streptococcus inoku-
im hals-nasen-ohrenärztlichen Bereich und in der Augenheilkunde liert wurde (Raves et al. 1984).
wird Kokain verwendet. In geschlossenen Drainagesystemen besteht eine feste Verbin-
dung zwischen dem Ableitungssystem und dem Auffangbehältnis.
Thrombin Der Reflux des Wundexsudats aus dem Reservoir in die Wunddrai-
Thrombin wandelt Fibrinogen in Fibrin um. Es sollte nicht bei gegen nage wird dabei durch den Sog von bis zu 900 mbar (675 mm Hg)
Rinderprodukte allergischen Personen verwendet werden. im Falle der Redon-Drainage und bei der Schwerkraftdrainage nach
4 Präparate: z. B. Thrombostat (Parke-Davis), FloSeal (Baxter). Robinson durch ein Einweglippenventil gewährleistet. Eine retro-
grade Keimaszension ist bei sterilem Wechsel der Auffangbehält-
Fibrinkleber nisse ausgeschlossen.
1973 wurde Fibrinkleber eingeführt, wobei zunächst basierend auf
der Produktion aus Rinder- bzw- humanem Plasma Probleme der
Transfektion übertragbarer Erkrankungen auftraten. Synthetische 7.2.1 Sogstärke
Fibrinkleber von heute sind 2-Komponenten-Systeme.
4 Komponente 1: Fibrinogen, Faktor XIII, Fibronectin, Fibrinoly- Definition. Im Torricelli-Barometer-Design bringt eine Atmosphä-
seinhibitor, re Druck eine Säule von Quecksilber in einem Hg-Barometer auf
4 Komponente 2: Thrombin, Kalziumchlorid. eine Höhe von 760 mm. Der Druck, der eine Quecksilbersäule auf
1 mm steigen lässt, heißt 1 Torr (1 mm Hg= 1 Torr). 1 atm=760 Tor
Die Konzentration des Fibrinogens bestimmt die Stärke des gebil- r=14,696 psi. 1 Torr=1/760 atm.
deten Netzwerkes, während die Thrombinmenge die Geschwindig- Die Sogstärke unterscheidet bei geschlossenen Wunddrainage
keit bestimmt, mit der das gerinnungsaktive Netzwerk ausgebildet systemen die Schwerkraftdrainage nach Robinson (0 mm Hg) von
wird. Kalzium ist für die Polymerisation nötig. Innerhalb von ca. 30 s der Hochvakuumsogdrainage (Redon-Drainage; bis zu 675 mm Hg).
ist ein Fibrin-Clot gebildet, der nach ca. 5–10 Tagen vollständig re- Derzeit liegt noch kein Konsens aufgrund randomisiert kontrollierter
sorbiert ist. klinischer Studien darüber vor, welche Sogstärke die effektivste ist.
4 Präparate: z. B. Hemaseel (Baxter), Quixil (QMRIX for Johnson Die Endothelheilung im Anastomosenbereich von mikrochirur-
& Johnson). gischen Gefäßnähten wird tierexperimentell durch Sogdrainagen
nicht beeinflusst (Choi et al. 1999). Eine klinische Untersuchung an
77 Patienten, die sich einer mikrochirurgischen Gefäßanastomose
7.2 Drainage unterzogen, zeigte dass keine Gefäße durch ein geschlossenes Drai-
nagesystem angesaugt werden (Lauer et al. 2001). Dabei erfolgte ein
» The more imperfect the technique of the surgeon, the greater the Sog von maximal 735 mm Hg über das geschlossene System.
necessity for drainage. No drainage at all is better than the ignorant Dennoch gibt es Hinweise, dass durch Hochvakuumdrainagen
«
employment of it. (William Halstedt, 1898) Gewebezellverbände angesaugt werden. Nach Schilddrüsenresek
tionen kann beispielsweise eine gegenüber dem Serum signifikant
Die funktionsgerechte Wunddrainage soll durch Ableitung von Blut, erhöhte Thyroxinkonzentration in der Redon-Drainageflüssigkeit
Exsudat, Zelldetritus und Lymphe sowie durch Annäherung und nachgewiesen werden. Auch der mit dem Ziehen der Redon-Drai-
Stabilisierung der Wundflächen und Verkleinerung entstandener Ge nage verbundene Schmerz, auch wenn das Vakuum vor dem Drai-
webehohlräume eine komplikationslose Wundheilung ermöglichen. nagezug entfernt wird, suggeriert, dass die Redon-Drainage mit dem
Bereits 400 Jahre v. Chr. erfolgte die Erstbeschreibung der Drai- Gewebe eine feste Bindung eingehen kann. Soglose Schwerkraft
nage einer Operationswunde durch einen hohlen Holzstab. Redon, drainagen gewährleisten eine effektive Exsudatableitung. Die Rest-
Jost und Torques führten im Jahr 1954 die Redon-Drainage als ge- hämatommenge und die Komplikationsrate sind gegenüber der
schlossenes System mit Unterdruck ein (Redon et al. 1954). Heute ist Redon-Drainage nicht erhöht. Die Hochvakuumdrainage kann ver-
die Redon-Drainage die am weitesten klinisch verbreitete Drainage- gleichsweise höhere Exsudatmengen fördern, ohne dass das Rest
form. Dabei wird ein Sog von bis zu 800 mbar (600 mm Hg) durch hämatom geringer ist (Willy et al. 2003).
die Redon-Drainage erreicht. Inwiefern die Niedrigdrucksysteme von KCI (VAC) bzw. Smith-
1980 führte Robinson eine soglose Drainage als geschlossenes Nephew (Vista) mit einstellbaren Druckwerten von 50–150 mm Hg
System ein, bei der der Schlauch aus weichem Silikon besteht und Sog Vorteile bieten, ist nicht endgültig bewiesen. Basierend auf einer
das Exsudat der Schwerkraft folgend in einen flexiblen Beutel fließt tierexperimentellen Untersuchung an Schweinen, die Sogstärken
(Robinson et al. 1980). 1971 erfolgte die Erstbeschreibung einer Si- von 25 mm Hg, 125 mm Hg und 500 mm Hg auf die Wundheilung
likondrainage zur Drainage von Subduralhämatomen durch Jackson untersuchte, kristallisierte sich ein Sog von 125 mm Hg heraus, der
u. Pratt. beim VAC-System am häufigsten klinisch Anwendung findet (Mo-
Offene Drainagesysteme leiten das Wundexsudat über einen rykwas et al. 2001). Es gibt jedoch auch Hinweise, dass niedrige
Schlauch, eine Mull-, oder Gummischienen- (»Easy-flow-») Einlage Sogstärken von 50 mm Hg bzw. 75 mm Hg günstigere Effekte erzie-
in den Verband ab. Die Möglichkeit einer sekundären Verunreini- len könnten, beispielsweise zur Behandlung von Sternuminfekten
gung des Verbands, eine mögliche ungünstige Beeinflussung der bzw. bei Mediastinitis bei Säuglingen (Salazard et al. 2007; Kadoha-
Keimökologie des Krankenzimmers und die Möglichkeit einer re- ma et al. 2008). Eine Metaanalyse von 13 randomisiert kontrollierten
trograden Wundinfektion führen dazu, dass offene Wunddrainage- Studien zur Wundtherapie mit VAC (125 mm Hg Sog) konnte je-
systeme im Bereich der Allgemeinchirurgie bei primär nicht infi- doch keine nachhaltigen Vorteile für die VAC nachweisen (Ubbink
zierten Wunden nicht eingesetzt werden sollten. Im Tiermodell et al. 2008).
56 Kapitel 7 · Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie
> Für die Plastische Chirurgie kann derzeit daher kein ab-
schließendes Urteil zur Therapie mit Niedersogsystemen . Tab. 7.1 Effekte der Substanzen des Hirudo medicinalis auf die
aufgrund von großen randomisiert kontrollierten Studien Blutgerinnung
gegeben werden.
Faktor Effekt
Sowohl die Lokalisation der Defektwunden, Patientenfaktoren wie
Hirudin Inhibition der Wechselwirkung von Fibrino
Alter, Gefäßstatus, Rheologie, operative Details wie auch die Sogstär- gen zu Fibrin
ke können einen Effekt auf das Wundheilungsresultat haben, was in
den notwendigen kontrolliert randomisierten Studien bedacht wer- Apyrase Inhibitor der Plättchenaggregation durch
den sollte. Hemmung von ATP
In Anlehnung an die Weichteilchirurgie in der Allgemeinchirur- Kollagenase Erleichtert die Gewebepenetration
gie können die in der . Übersicht gelisteten Empfehlungen zum Ein-
Hyaluronidase Erleichtert die Gewebepenetration
satz der Wunddrainage in der Plastischen Chirurgie gegeben werden
(Willy et al. 2003). Faktor-Xa-Inhibitor Inhibition der Konversion von Prothrombin
zu Thrombin
4 Bei primär nicht infizierten Wunden ist die Verwendung von Fibrinase I Auflösung von Thromben
offenen Drainagesystemen nicht zu empfehlen. Fibrinase II Möglicherweise Auflösung von arteriosklero
4 Soglose Schwerkraftdrainagen im geschlossenen System tischen Plaques
gewährleisten eine effektive Exsudatableitung. Die Rest
Bdellin Inhibition von Plasmin und Trypsin
hämatommenge wie auch die Komplikationsraten sind im
Vergleich zur Redon-Drainage nicht erhöht. Eglin Proteaseinhibitor (Elastase und Cathepsin G)
4 Redon-Drainagen drainieren relativ höhere Exsudatmengen
ohne Einfluss auf die Resthämatommenge oder die Infek
tionsrate im Vergleich zur Niedrigsogdrainagen. Blutegel können bis zum 3-Fachen ihres Körpergewichtes in Blut
4 Eine Liegedauer einer Drainage bis zu 72 h scheint nicht mit aufnehmen nach Biss und Injektion eines potenten gerinnungshem-
erhöhten Raten an Infektionen über retrograde menden Cocktails (Lent et al. 1988). Dennoch sind die Blutegel nicht
Keimaszension einherzugehen. in der Lage, das aufgenommene Blut selbst zu verdauen, sodass sie
4 Die Redon-Drainagenentfernung sollte schnellstmöglich, je in Symbiose mit Aeromonas spp. in ihrem Darm leben, die mit blut-
doch innerhalb von 72 h erfolgen. Eine Exsudatförderung verdauenden Enzymen ausgestattet sind (Steer et al. 2005). Neben
von <30 ml/24 h ist ein weiteres Maß für die Drainageent der »aderlassartigen« Therapie als Blutmahl führt der Biss des Blut-
fernung. egels auch in der Folgezeit des Bisses zu einer erhöhten Blutungsnei-
4 Die routinemäßige mikrobiologische Untersuchung gung durch antikoagulatorische Effekte (. Tab. 7.1).
von Drainagespitzen bei niedriger Sensitivität für den Nach
weis einer postoperativen Infektion wird nicht empfohlen. Experimentelle Arbeiten. Die Laser-Dopplerflussmessung wurde
erstmals 1988 zur Beschreibung der Effekte einer Blutegeltherapie
bei venöser Kongestion im Tierexperiment eingesetzt (Hayden et al.
1988; Lee et al. 1992). In der Folgezeit sind weitere, v. a. tierexperi-
mentelle Arbeiten veröffentlicht worden, die insbesondere mittels
7.3 Blutegeltherapie – Anwendung Laser-Doppler-Flussmessung die Perfusion um die Bissstelle neben
von Hirudo medicinalis dem klinischen Überleben der Lappenplastiken als Zielkriterium
in der Plastischen Chirurgie erfassten.
Das durchschnittliche Blutmahl eines jeden Blutegels liegt bei
Die Verwendung von medizinischen Blutegeln (Hirudo medicinalis, 2,45 ml (Conforti et al. 2002). Laser-Doppler-Untersuchungen in
zur Gattung der Ringelwürmer gehörend) wurde vorüber 2000 Jah- diesem Modell zeigten nach Einsatz von Egeln einen Anstieg der
ren z. B. vom Griechen Nikander von Kolophon im 2. Jahrhundert Oberflächenperfusion in einem Durchmesser von 16 mm um die
v. Chr. beschrieben und hat in den letzten 20 Jahren ein erneutes Bissstelle herum.
Interesse insbesondere in der Plastisch-rekonstruktiven Chirurgie
> Die Kombination der Blutegeltherapie zur Senkung der
geweckt. Den ersten Bericht über den medizinischen Einsatz des
venösen Stase mit hyperbarer Oxygenation (HBO) zur Er-
Blutegels bei venöser Stase nach Lappenplastik publizierten 1960
höhung des physikalisch gelösten Sauerstoffs erhöhte im
Derganc et al.
Tierexperiment die Überlebensrate von venös ligierten
Hautlappenplastiken um den Faktor 3 gegenüber einer
alleinigen Blutegeltherapie.
7.3.1 Hirudo medicinalis
Blutegel sind auf der gesamten Welt verbreitet, leben jedoch überwie-
gend in Süßwasser. In Deutschland und der Schweiz steht der Blutegel 7.3.2 Anwendungsgebiete
unter Naturschutz. Blutegel haben eine feste Anzahl von 32 Segmenten.
Erwachsene Tiere sind bis zu 15 cm lang und langlebig: Sie werden erst Die häufigste Komplikation nach freiem Gewebetransfer bei 427
mit 3 Jahren geschlechtsreif und werden über 30 Jahre alt. Operationen bestand in venöser Stauung (83%; 33 von 40 freien Lap-
7.3 · Blutegeltherapie – Anwendung von Hirudo medicinalis in der Plastischen Chirurgie
57 7
penplastiken) bei einer Lappenüberlebensrate von 73% (Brown et al. β-Laktamasen. Studien zeigten auch eine Resistenz gegenüber 1.-Ge
2003). Eine 1998 veröffentlichten Übersichtsarbeit zum Einsatz der nerations-Cephalosporinen. Die Sensitivität gegenüber Cephalospo
Blutegeltherapie beim Versagen von Gesichtslappenplastiken (Utley rinen der 3. Generation ist variabel (Hermansdorfer et al. 1988).
et al. 1998) kam zu folgenden Ergebnissen:
> Gegenwärtig wird daher eine Breitspektrumantibiotika-
4 Das Outcome nach venöser Kongestion nach Lappenplastik ist
prophylaxe mit oralem Ciprofloxacin (Ciprobay 2×250 mg/
insbesondere durch die frühzeitige Erkennung dieser Komplika-
Tag) zur Prävention u. a. einer Aeromonas-hydrophila-
tion bestimmt.
Infektion bzw. verwandter Bakterienspezies bei Hirudo-
4 Blutegeltherapie führte sowohl über das Blutmahl als auch über
medicinalis-Anwendung empfohlen.
die Blutung nach dem Biss zu einer venösen Druckreduktion.
4 Komplikationen der Blutegeltherapie sollten durch eine antibio-
tische Abschirmung mit Ciprofloxacin reduziert werden.
Aus der Praxis der Egelanwendung in der Plastischen
Chirurgie
Der Einsatz von Hirudo medicinalis wurde im Rahmen von venösen
Abflussproblemen an Ohr, Nase, Lippe und Skalp (Frodel et al. 2004), 4 Indikation: Venöse Kongestion nach Fingerreplantation,
aber auch nach Brustrekonstruktionen erprobt (Gross et al. 1992). Lappenplastik
Weiterhin gibt es Berichte nach Fingerreplantationen (Foucher et al. 4 Beginn der Behandlung: Innerhalb der ersten 6 h bei auf
1981) wie auch nach freiem Gewebetransfer. Erfolgsraten von >80% tretender venöser Kongestion, je früher, desto besser
wurden berichtet für die Behandlung der venösen Stase nach Lap- 4 Anwendungsdauer: Zeiträume von 4–10 Tagen mit
penplastiken, die ansonsten nicht »rettbar« waren (Chepeja et al. z. T. mehrfach täglicher Anwendung
2002). 4 Behandlungstricks:
Eine Gruppe aus der Türkei berichtet von einer Serie mit 13 neu- – Zähmen und führen Sie den Blutegel mit einem
rokutanen Lappenplastiken an der unteren Extremität nach Elektro- Spatel, nicht mit einer Pinzette, an den gewünschten
unfall bzw. bei diabetischer Mikroangiopathie mit venösen Abfluss- desinfizierten Ort
problemen, die in 5 Fällen mit Hirudo-medicinalis-Anwendung – Ein Stich mit einer Lanzette am Wunschort nach
erfolgreich behandelt werden konnten (Gideroglu et al. 2003). Vier- Desinfektion am besten mit warmer, heparinisierter
undsiebzig Patienten mit ausgedehntem Hautverlust an der oberen Kochsalzlösung ist empfehlenswert; keinen Alkohol
und unteren Extremität wurden mit freien Hautlappenplastiken zur Desinfektion verwenden
versorgt. Bei 20 Patienten entwickelte sich eine venöse Abfluss – Die Kombination von Op-Site-Folie und Plastiktüte, über
störung innerhalb der 6.–12. h postoperativ. Bei 17 dieser 20 Patien das Wunschareal fixiert, ist empfehlenswert
ten konnte durch die Anwendung von Blutegeln die Hautlappenplas- 4 Anwendungsdauer: bis 30–60 min
tik gerettet werden, während in 3 Fällen trotz Hirudo-medicinalis- – Überwachung der Bissposition durch Hilfsperson
Therapie ein Transplantatverlust nicht aufgehalten werden konnte regelmäßig alle 5–10 min
(Soucacos et al. 1994). 4 Egel niemals wieder verwenden, die Übertragung von HIV
Eine Umfrage aller 62 Plastisch-chirurgischen Abteilungen in ist denkbar!
England und Irland aus dem Jahr 2002 zeigte, dass 80% der Abteilun 4 Egel niemals mit Gewalt entfernen
gen postoperativ die Blutegeltherapie bei kompromittierter Perfusion 4 Abtöten in einem Gefäß mit 20 ml 8% Ethanol, nach 3 min
einsetzen ebenso wie auch bei digitalen Replantationen (Whitaker zusätzliche 50 ml 70% Spiritus
et al. 2004). Im Durchschnitt wurden pro Jahr pro Abteilung 10 Pa- 4 Antibiotikaprophylaxe mit Chinolonen wie Ciprobay
tienten mit der Blutegeltherapie behandelt. In 78% der Fälle wurde 3×500 mg über 7 Tage
die Applikationsstelle vorab desinfiziert, in 42% mit sterilem Wasser, 4 Hämoglobinbestimmung täglich
in 39% mit Kochsalz, in 10% mit Alkohol. 28% der Abteilungen
überwachten die Blutegeltherapie durch eine Krankenschwester.
Zusammenfassung
Die Anwendung der Blutegel zur konservativen Therapie von venö
7.3.3 Komplikationen der Blutegeltherapie sen Abflussproblemen nach freiem Lappentransfer oder Fingerre-
plantationen ist empfehlenswert. Sie sollte frühzeitig über 30–60 min
Naturgemäß steht die Anämie bis hin zur Transfusionspflichtigkeit angewendet werden und unter Abschirmung mit einem Breitspek-
als Komplikation der Hirudo-medicinalis-Therapie an 1. Stelle trumantibiotikum wie einem Chinolon erfolgen bei hauptsächlicher
(Steer et al. 2005). 1819 berichtete Anthony White erstmals über ein Virulenz von Aeromonas spp.
2-jähriges Mädchen, das nach einem Blutegelbiss verblutete. Dane- Blutungen können noch bis zu 10 h nach Anwendung auftreten,
ben stellt die Infektion durch Aeromonas spp. aus dem Darm des sodass tägliche Blutbildkontrollen empfehlenswert sind.
Blutegels eine immanente Bedrohung dar. Sie reicht von lokaler Zel-
lulitis bis hin zum großflächigen Hautverlust mit Sepsis und Menin-
Literatur
gitis (Lineaweaver et al. 1992; Ardehali et al. 2006).
Literatur zu Kap. 7.1
> Die Häufigkeit von Infektionen bei der Blutegeltherapie Blondeel PNV, Murphy JW, Debrosse D, Nix JC, Puls LE, Theodore N, Coulthard
liegt zwischen 2% und 20%. P (2004) Closure of log surgical incisions with a new formulation of
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thogenetisch wirksam sein können. Aeromonas hydrophila ist resis repetitive simultaneous cryotherapy and compression with a Cryo/Cuff.
tent gegenüber Penizillinen als Folge penizillinhydrolysierenden Am J Sports Med 34 (12): 1953–9
58 Kapitel 7 · Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie
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urgie. Was ist evidence-based? Chirurg 74: 108–114
Verbandstechniken,
Schienenbehandlung
M. Meyer-Marcotty
8.1 Handchirurgie – 60
8.1.1 Intrinsic-plus-Stellung der Finger – 60
8.1.2 Funktionsstellung des Handgelenks – 60
8.1.3 Ruhigstellung nach Sehnenverletzung – 60
8.1.4 Schienen bei Bewegungseinschränkungen – 60
8.1 Handchirurgie
8.1.1 Intrinsic-plus-Stellung der Finger a
Das Handgelenk sollte in der Regel in einer Extensionsstellung von . Abb. 8.2 Kleinert-Schiene nach Beugesehnennaht mit 30° Flexion im
20° ruhiggestellt werden, falls nicht operationstechnische Besonder- Handgelenk
heiten eine andere Form der Ruhigstellung erfordern.
a b
a b
. Abb. 8.4 Nachbehandlung mit 3-Punkte-Quengelschiene nach Mittelgelenkarthrolyse. (Aus Richter 2008)
8.2 Lappen- und Brustchirurgie ßige Verbandswechsel entfernt verkrustete und verhärtete Kompres-
sen und damit mögliche Kompressionsfaktoren.
8.2.1 Verbände nach Lappenplastiken
In der Plastischen Chirurgie werden komprimierende Verbände, 8.2.2 Taping nach Mammareduktion
z. B. nach der Entnahme von großen myokutanen Gewebeblöcken
am Rücken (Latissimus-dorsi-Lappen, Paraskapularlappen) in Form Selbstklebende Tape-Verbände werden zur direkt postoperativen
von Thoraxkompressionsverbänden angelegt. Hierdurch soll eine Unterstützung für etwa 10 Tage nach durchgeführter Mammareduk-
Serombildung verhindert werden, durch die eine optimale Verkle- tionsplastik angewandt. Hierdurch wird die neue Brustform ge-
bung der Gewebsschichten begünstigt wird. schient, zusätzlich wird ein stützender BH angelegt, der 6 Wochen
Andererseits dürfen nach der mikrochirurgischen freien Ge- lang 24 h am Tag, dann 6 Wochen 12 h/Tag getragen wird.
websverlagerung keine komprimierenden Verbände angelegt wer-
den, um den venösen Rückfluss nicht zu gefährden. Direkt post
operativ nach einem freien mikrochirurgischen Gewebetransfer, 8.2.3 Stütz-BH mit Stuttgarter Gürtel
z. B. zum Unterschenkel, wird das betroffene Areal mit locker aufge- nach Mammaaugmentation
schlagenen Kompressen und einem locker gewickelten Wattever-
band unter Vermeidung einer Kompression verbunden. Ab dem Nach einer Mammaaugmentation wird ebenfalls ein Spezial-BH an-
5. postoperativen Tag beginnen wir mit einer elastischen Wicklung gelegt. Eine breite elastische Borte unterhalb des BHs auf Höhe der
des Areals zunächst für 3×5 min/Tag, was dann innerhalb der nächs Submammarfalte in Kombination mit einem Stuttgarter Gürtel, der
ten 5 Tage bis hin zur dauerhaften elastischen Wicklung gesteigert am oberen Pol der Brüste zirkulär um den Thorax angelegt wird,
wird. Durch die maßangefertigte Kompression kann gleichmäßig reduziert das Risiko eines postoperativen Verrutschens der Implan-
die herzgerichtete Entstauung erreicht werden, wodurch sich die tate nach kranial. Die Kombination aus BH und Stuttgarter-Gürtel
postoperative Schwellung und der Gewebeüberschuss im Verlauf wird für 3 Monate verordnet.
reduzieren.
Nach einer Replantation eines Fingers legen wir einige locker
aufgeschlagene Kompressen an den replantierten Finger, um die 8.3 Verband nach Hautverpflanzungen
Saugfähigkeit des Verbandes zu erhöhen unter Vermeidung von zir-
kulären einschnürenden Verbänden. Auch wird meist direkt post Überknüpfverbände werden zur optimalen Kompression nach einer
operativ auf eine Schienenversorgung der replantierten Gliedmaße erfolgten Voll- oder Spalthauttransplantation angelegt. Unter Zu
verzichtet, um eine Druckschädigung zu vermeiden. Der regelmä- hilfenahme eines Schaumstoffkissens, das über das transplantierte
62 Kapitel 8 · Verbandstechniken, Schienenbehandlung
Areal genäht wird, wird ein gleichmäßiger Druck auf die Spalthaut
oder Vollhaut ausgeübt, um eine gute Einheilung zu erreichen. Der
Verband sollte saugfähig sein, um Wundexsudat aufnehmen zu
können.
> Die Anlage eines Vakuumverbandes über einer transplan-
tierten Spalthaut kombiniert die Prinzipien einer dauer-
haften definierten und gut steuerbaren Kompression mit
einem semiokklusiven Verband unter kontinuierlichem
Abtransport von Wundexsudat.
Ein Überknüpfverband wird für 5 Tage postoperativ belassen.
Literatur
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Stuttgart New York
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Einteilung, Technik und Ergebnisse. Orthopäde 37:1171–1179
8
9
Gewebeexpansion (Expander),
alloplastische Materialien und
Implantate
M. Meyer-Marcotty
9.1 Expander – 64
9.1.1 Expanderimplantation – 64
9.1.2 Befüllung des Expanders – 64
9.1.3 Materialien – 65
9.1.4 Reichweite – 65
9.1 Expander nate durchgeführt. Die Injektion beginnen wir am 6.–8. postopera-
tiven Tag, nachdem die Wunde eine gewisse Stabilität erreicht hat.
Die Expanderimplantation zur Gewebeexpansion in der heutigen Während der Aufdehnung wird 1–2× wöchentlich ein gewisses Vo-
Form geht auf die Arbeiten von Neumann in den 1950er-Jahren zu- lumen (je nach Schmerztoleranz) in den Expander injiziert. Hat
rück Die Grundidee ist die Schaffung von zusätzlichem Gewebe zur der Expander seine maximale Ausdehnung erreicht, sollten noch
Deckung eines großen Defektes bei gleichzeitiger Möglichkeit eines einmal einige Wochen vor der Explantation des Expanders in maxi-
primären Wundverschlusses der Hebestelle. Die Größe des Defektes mal gedehntem Zustand abgewartet werden, um eine bestmögliche
limitiert oft die Nutzung von benachbartem Gewebe zur Defekt Ausdehnung und Präkonditionierung der Haut/des Gewebes zu er-
deckung, das nicht in ausreichender Menge vorhanden ist. In diesen reichen.
Fällen ist die Gewebeexpansion eine sehr gute Methode, um orts- Es sollten tendenziell eher mehrere kleinere Expander als ein
ständig Gewebe für eine Defektdeckung zu erhalten. großer Expander implantiert werden, da bei einer sehr hohen Ver-
lustrate von bis zu 27% eine größere Chance besteht, dass zumindest
ein Teil der Expander die gesamte Zeit der Expansion übersteht. Ein
9.1.1 Expanderimplantation weiterer Grund für die Implantation von mehreren Expandern ist
die größere Flexibilität und bessere Gestaltungsmöglichkeit bei der
Der Expander wird unter der Haut eingesetzt, um die Hautausdeh- Defektdeckung.
nung zu vergrößern und somit die Voraussetzungen für die Verlage- Die Planung einer korrekten Expanderanlage ist der wichtigste
rung eines Rotations- oder Verschiebeschwenklappens zu schaffen. Schritt im Rahmen dieser Therapieoption.
Falls ein fasziokutaner Lappen expandiert werden soll, wird der Ex-
> Neue Narben für die Expanderanlage sollten unbedingt
pander unter die tiefe Faszie eingebracht, für einen muskulokutanen
vermieden werden. Der Zugang zur Schaffung der Expan-
Lappen wird der Expander unter den Muskel gelegt. Der Expander
dertasche sollte am Rand eines bestehenden Narben-
sollte nicht direkt unter den dominanten Gefäßstiel am Eintritt für
9 den entsprechenden Lappen eingebracht werden, um eine Verlet-
feldes erfolgen, sodass diese Narbe im Rahmen der Nar-
benexzision und Gewebeverlagerung mitentfernt wird.
zung des Stiels bei der Expansion zu verhindern.
Diese Schnittführung soll radiär auf eine Ecke des liegenden Expan-
ders zulaufen, um bei einer Schnittführung parallel zu der geplanten
9.1.2 Befüllung des Expanders Expandertasche nicht das Risiko einer Wunddehiszenz einzugehen
(. Abb. 9.1).
Eine sofortige Aufdehnung des Gewebes ist möglich, jedoch wird
meistens eine verzögerte Aufdehnung des Gewebes über 1,5–3 Mo-
a b
c d
. Abb. 9.1 Platzierung und Inzisionslinien bei der Expandereinbringung. lage im Narbenfeld radiär auf den Expander zulaufend (grüne gestrichelte
a Verbreitertes Narbenfeld am ventralen Thorax. b Nach Anlage und Expan- Linie). c, d Patientin nach Narbenkorrektur durch Exzision der verbreiterten
sion eines Expanders zur Narbenkorrektur. Schnittführung zur Expanderan- Narbe und Defektdeckung mittels expandierter Haut
9.2 · Alloplastische Materialien
65 9
9.1.3 Materialien
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Literatur zu Kap. 9.1
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Lokalanästhesie,
periphere Leitungsanästhesie,
Tumeszenzanästhesie
M. Meyer-Marcotty
10.1 Lokalanästhetika – 68
10.1 Lokalanästhetika
Lokalanästhetika hemmen die Nervenleitfähigkeit durch eine Blo-
ckade der Na-Kanäle innerhalb der Zellmembran. Die Wirkdauer ist
abhängig von der lokalen Konzentration und vom Blutfluss der be-
treffenden Nervenfaser. Je höher die Fettlöslichkeit des Agens, desto
länger ist die Wirkdauer.
Man unterscheidet:
4 den Esthertyp (Procain; relative anästhetische Potenz: 1) und
4 den Amidtyp (Lidocain, Mepivacain, Bupivacain, Etidocain; re-
lative anästhetische Potenz: 2–8).
Die sensorische Innervation des Gesichts wird über die 3 Äste des
N. trigeminus geleitet: N. ophthalmicus, N. maxillaris und N. man-
dibularis (. Abb. 10.1). Die kutane Innervation des Hinterkopfes
und Nackens übernehmen zervikale Nerven.
Die terminalen sensorischen Äste von
4 N. ophthalmicus (supraorbital und supratrochlear),
4 N. maxillaris (infraorbital) und
4 N. mandibularis (mentalis)
Ohr. Die Sensibilität des Ohrs kann über eine anteriore und pos
teriore (jeweils 6–10 ml Lokalanästhetikum) rautenförmig das Ohr . Abb. 10.3 Blockade der sensiblen Endäste des N. trigeminus: Blockade
umgebende Anlage von Lokalanästhetika ausgeschaltet werden. Der N. infraorbitalis
10.3 · Lokalanästhesie an den Extremitäten
69 10
. Abb. 10.4 Blockade der sensiblen Endäste des N. trigeminus: Blockade . Abb. 10.6 Regionalblockade Nase durch Blockade der Nn. supraorbitalis,
N. mentalis supratrochlearis, infratrochlearis, infraorbitalis und Rr. nasales externi mit je
1 ml Lokalanästhetikum
. Abb. 10.5 Regionalblockade äußeres Ohr: Blockade des N. auricularis . Abb. 10.7 Blockade N. medianus
magnus
N. auricularis magnus und der N. occipitalis inferior versorgen die Hier werden insgesamt 2–4 ml eines Lokalanästhetikums ohne Va-
posteriore Hälfte des Ohrs, und der R. auriculotemporalis des sokonstringens auf Höhe der Grundgelenksbeugefalte an den ulna
N. mandibularis versorgt die Ohrvorderseite (. Abb. 10.5). ren und radialen Nervenast injiziert. Nachdem ein subkutanes De-
pot von 0,5 ml appliziert wurde, wird unter Aspiration die Nadel auf
Nase. Die Nase wird sensibel hauptsächlich durch den N. infratro- den Knochen geführt und sodann direkt am Knochen jeweils radial
chlearis, infraorbitalis und externe nasale Nerven versorgt. Die Re- und ulnar ein Depot gesetzt. Diese Prozedur kann für den Patienten
gionalanästhesie der externen Nase kann über eine Blockade der sehr unangenehm sein. Es empfiehlt sich, das Lokalanästhetikum
entsprechenden Nerven erfolgen (. Abb. 10.6), eine intranasale Blo- vor Gabe leicht in der Hand zu erwärmen und dann sehr langsam zu
ckade wird z. B. durch einen mit Kokain getränkten Baumwolltupfer applizieren.
erreicht.
Hand. Die Nervenausschaltung der Handnerven kann selektiv er-
folgen. Der N. medianus, der direkt radial des M. palmaris longus
10.3 Lokalanästhesie an den Extremitäten liegt, wird mit 2–4 ml eines Lokalanästhetikums infiltriert. Hierbei
spürt der Patient elektrisierende Sensationen im Ausbreitungsgebiet
> Die Oberst-Leitungsanästhesie ist ein sehr gutes und siche des N. medianus (. Abb. 10.7).
res Verfahren einer Leitungsanästhesie an den Händen Der N. radialis, der sich auf Höhe der Tabatière schon aufgeteilt
oder Füßen. hat, wird über ein subkutanes fächerförmiges Depot infiltriert. Als
Orientierungspunkte zur Begrenzung des Fächers dienen das I. und
III. Strecksehnenfach (. Abb. 10.8). Der N. ulnaris verläuft in un-
70 Kapitel 10 · Lokalanästhesie, periphere Leitungsanästhesie, Tumeszenzanästhesie
10
a b
. Abb. 10.10a, b Leitungsanästhesie n. Oberst am Fingernerven von palmar (a) und von dorsal (b)
10.4 Tumeszenzanästhesie
bei Aspirationslipektomie
Die Tumeszenzlösung (. Tab. 10.1) im Rahmen einer Liposuktion
enthält neben 1000 ml NaCl 0,9% und 1. Amp. Suprarenin (1 mg)
und Na-Bikarbonat auch Lidocain (500 mg). Durch die zugefügte
Lokalanästhesie kann eine Fettabsaugung sicher und schonend ohne
eine systemische invasive Narkoseform durchgeführt werden. Die
Tumeszenzlösung wird zu Beginn der Operation in das subkutane
. Abb. 10.11 Mittelhandblock Gewebe injiziert und nach einer Einwirkzeit von 15 min mit dem
subkutanen Fett abgesogen.
10.4 · Tumeszenzanästhesie bei Aspirationslipektomie
71 10
Ringer-Lösung 460 ml
Natriumhydrogencarbonat 8,4% 6 ml
Triamcinolon 10 mg 1 ml
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III
Kapitel 11 Transplantate – 77
B. Weyand
Kapitel 12 Lappenplastiken – 87
B. Weyand
Kapitel 14 Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis – 103
A. Gohritz, P. M. Vogt
Wichtig ist die Berücksichtigung und Behandlung der zugrundeliegenden Grunderkrankung, die u. U. entscheidend
für einen längerfristigen Therapieerfolg sein kann. Weitere Entscheidungskriterien sind
4 Größe, Tiefe, Lokalisation, Infektion,
4 betroffene Strukturen wie Faszien, Muskeln, Knochen, Nerven- und Gefäßsystem,
4 Allgemeinzustand und Motivation des Patienten.
Im Folgenden werden allgemeine und spezielle Techniken für Defektdeckungen dargestellt und ihre Einsatzbereiche
sowie Vor- und Nachteile diskutiert.
11
Transplantate
B. Weyand
11.1 Hauttransplantate – 78
11.1.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 78
11.1.2 Operationstechnik – 78
11.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge – 79
11.1.4 Postoperative Komplikationen – 79
11.1.5 Spezielle Techniken – 79
11.2 Knorpeltransplantate – 79
11.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 79
11.2.2 Operationstechnik – 81
11.2.3 Postoperatives Management – 81
11.2.4 Komplikationen – 81
11.2.5 Spezielle Techniken – 81
11.3 Knochentransplantate – 81
11.3.1 Indikation – 81
11.3.2 Operationstechnik – 81
11.3.3 Postoperatives Management – 82
11.3.4 Postoperative Komplikationen – 83
11.3.5 Spezielle Techniken – 83
11.5 Nerventransplantate – 84
11.6 Sehnentransplantate – 84
11.7 Muskeltransplantate – 84
Definition. Ein Transplantat (engl. »to graft« = pflanzen) ist ein Ge- 11.1.2 Operationstechnik
webeanteil, der ohne vaskulären Anschluss verpflanzt wird. Sind
Spender und Empfänger identisch, spricht man von einem »Auto- Die Technik der Hauttransplantation erfordert zunächst eine gute
graft«, sind Spender und Empfänger unterschiedliche Personen, von Vorbereitung des Wundgrundes des zu deckenden Areals. Dieser
einem »Allograft« (früher: »Homograft«). Wird Gewebe von einem sollte infektfrei, sauber granulierend und gut durchblutet ohne frei-
Tier entnommen und einem Menschen eingepflanzt, wird dieses als liegendes Sehnen-, Knochen- oder Knorpelgewebe sein.
»Xenograft« bezeichnet. Materialien nicht biologischen Ursprungs
werden als alloplastisch bezeichnet. Entnahme der Spalthaut. Die Lokalisation der Entnahmestelle
Eine Grundvoraussetzung für das Einheilen eines solchen Trans- sollte präoperativ im Gespräch mit dem Patienten festgelegt werden.
plantates ist ein rascher Anschluss an das vaskuläre System des Emp- In erster Linie geeignet sind die lateralen Hüften und Oberschenkel,
fängers. Günstig hierbei sind Gewebe, die natürlicherweise durch gefolgt von Unterschenkeln, Rücken, Bauchbereich und Glutäalbe-
Diffusion ernährt werden (wie z. B. Knorpel), wobei immer auch die reich. Zunächst erfolgt die Abmessung bzw. Abschätzung der Größe
Dicke des Grafts neben der Durchblutungssituation des Empfänger- des zu deckenden Defektes und – auch im Hinblick auf die Gesamt-
ortes über das Gelingen entscheidet. Darüber hinaus müssen neben situation – die Entscheidung, ob und in welchem Verhältnis gemesht
der Konservierung der Allografts oder Xenografts noch Vorkeh- werden soll.
rungen getroffen werden, um die Immunogenität des Transplantates Vor der Entnahme mit dem Dermatom ist die Einstellung der
für den Empfängerorganismus zu zerstören und eine Abstoßung Schnittdicke zu überprüfen, die im Normalfall 2/10–3/10 mm be-
damit zu verzögern. Dies gelingt z. B. durch Kryokonservierung. trägt. Die Entnahme erfolgt nach nochmaliger gründlicher Hautdes-
Zusätzlich ist eine ausgiebige Testung des Materials zum Schutz des infektion und anschließender Einfettung der Haut, z. B. mit sterilem
Empfängers vor Infektionserkrankungen unabdingbar. Paraffinöl oder einem Teil des Fetts der Wundkompresse mit dem
Weckmesser (geeignet für kleinere Spalthauttransplantate) oder
durch Dermatome, die entweder mit Batterie oder elektrisch betrie-
11.1 Hauttransplantate ben werden. Die Entnahme erfolgt im Winkel von 45° zum Hautni-
veau langsam und unter gleichmäßigem Druck (. Abb. 11.1a und
11.1.1 Indikation und Anwendungsgebiete 7 Kap. 69 »Verbrennungsverletzungen«).
Hauttransplantate dienen der Wiederherstellung der Hautintegrität Meshen der Spalthaut. Ist eine Flächenvergrößerung erwünscht,
11 bei Hautdefekten, bei denen nur ein tief dermaler Anteil oder gar wird die entnommne Spalthaut mit der Oberseite nach unten auf
kein Hautanteil verblieben ist (Verbrennungswunde der Tiefe 2b–3)
und somit auch kein oder wenig Regenerationspotenzial zurückge-
blieben ist. Zur erfolgreichen Einheilung erfordern Hauttransplan-
tate ein
4 gut durchblutetes und
4 infektionsfreies Wundbett ohne freiliegendes Knochen- oder
Sehnengewebe.
Transplantation der Haut. Ist keine Flächenausdehnung erforder- 11.1.4 Postoperative Komplikationen
lich oder erwünscht, kann die Spalthaut mit einem spitzen Skalpell
»gestichelt« werden, um den Ablauf von Wundexsudat zu ermögli- An der Hebestelle von Spalthauttransplantaten sind als Komplika-
chen. Ein Vollhauttransplantat wird vor Transplantation (umgedreht tionen mögliche Pigmentierungsstörungen sowie die hypertrophe
über dem Finger gespannt und mit einer Schere) sorgfältig von sub- Narbenbildung zu nennen, die durch eine Kompressionsbehandlung
dermalem Fett befreit. Das Hauttransplantat wird nun unter Beach- verhindert oder gebessert werden kann. Meist entstehen Komplika-
tung der Orientierung auf die zu deckende Fläche aufgebracht, an tionen bei zu tiefer Abnahme der Hauttransplantate.
den Rändern passgenau mit einer feinen Hautschere zugeschnitten Mögliche Komplikationen im Bereich der Empfängerseite sind
und mit Hautnähten oder Metallklammern fixiert. Technische De- 4 lokale Infektionen und Wundheilungsstörungen,
tails finden sich in 7 Kap. 69 »Verbrennungsverletzungen«. 4 Minderperfusion des Wundgrundes mit ausbleibender Einhei-
Bei Kindern bevorzugen wir wenn möglich die Spalthautentnah- lung des Hauttransplantates,
me vom rasierten Hinterkopf, wobei vorher subkutan sterile Koch- 4 Bildung von instabilen Narben bei prolongierter Heilung,
salzlösung als Flüssigkeitskissen injiziert wird, um die Entnahme zu 4 hypertrophe Narben oder Narbenkeloide,
erleichtern. 4 Verwachsungen,
4 länger andauernde Rötung oder Juckreiz.
> Die Fixierung des Hauttransplantates erfolgt bei Kindern
mit resorbierbarem Nahtmaterial.
Gelegentlich kommt es, oft nach erfolgreicher Abheilung, zur Bildung
Zuviel entnommene Spalthaut kann bei 4°C im Kühlschrank in eine eines akneähnlichen Ausschlags der transplantierten Haut. Dies ist
mit NaCl befeuchtete, sterile Kompresse gewickelt, in einem sterilen zum einen durch die gestörte Schweißsekretion erklärbar, zum ande-
Behältnis aufbewahrt und noch 7–10 Tage später transplantiert ren auch durch eine mögliche allergische Reaktion auf die stark rück-
werden. fettenden Pflegesalben. Empfehlenswert sind in diesem Fall eine
Umstellung der Pflegeutensilien auf pH-neutrale Seifen und Salben
Verbandstechnik. Das Spalthaut- oder Vollhauttransplantat erhält sowie eine ausreichende Luftexposition der betroffenen Areale.
1–2 Lagen Fettgaze sowie in der Regel einen Überknüpfverband aus
sterilem Schaumstoff oder aufgeschüttelten Baumwollkompressen.
In ausgewählten Fällen erfolgt der Verband des Spalthauttransplan- 11.1.5 Spezielle Techniken
tates mit Suprathel oder mit Hilfe eines Vaccuseal-Schwamms, Letz-
teres z. B. bei tiefen Wunden oder/und zu erwartender starker Se Alternativ zur Hauttransplantation ist die Verwendung von kulti-
kretion. Für den Verband der Spalthautentnahmestelle eignen sich vierten Keratinozyten-Sheets möglich. Eine neue Methode ist das
mehrere dicke Lagen Fettgaze unter sterilen Kompressen oder Hy- Aufsprühen einer suspendierten Keratinozytenlösung, die intra
drogel- oder Okklusivfolienverbände. operativ aus einem kleinen Stück Spalthaut enzymatisch isoliert wer-
den kann und entweder direkt bei kleinen Defekten verwendet wird
(ReCell) oder nach externer Expansion aufgesprüht wird.
11.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge Gezüchtete Keratinozyten in Form von sog. Sheets werden vor-
nehmlich bei Schwerstverbrannten angewendet, haben aber den
Bei Infektfreiheit belassen wir den Überknüpfverband für 5 Tage entscheidenden Nachteil, dass zwischen Entnahme eines Hautbiop-
nach Transplantation. Darüberliegender Verbandsmull sollte bei Se- sates zur Kultivierung der Zellen und der Transplantation min
zernierung alle 1–2 Tage gewechselt werden. Werden ungemeshte destens 2–3 Wochen vergehen. Beide Methoden werden derzeit nur
Spalthaut-Sheets transplantiert (z. B. an Händen, im Gesichts-/Hals- an ausgewählten Patienten und unter Studienbedingungen durch
bereich), empfehlen wir eine offene Behandlung, wobei ein regelmä- geführt.
ßiges Einfetten der Sheets erforderlich ist, sowie eine engmaschige
Kontrolle auf die Entstehung von Hämatomen, die zeitnah abpunk-
tiert werden sollten. 11.2 Knorpeltransplantate
Bei Spalthauttransplantationen im Bereich der Extremitäten,
insbesondere gelenknah oder gelenkübergreifend, stellen wir die be- 11.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete
troffene Extremität grundsätzlich mit einer Schiene bis zur stabilen
Einheilung des Transplantates ruhig. Eine Thromboseprophylaxe ist Knorpeltransplantate finden ihre Anwendung auch als Composite-
selbstverständlich erforderlich. Transplantate in erster Linie in der Rekonstruktion von Nase, Unter-
Nach vorsichtiger Abnahme des Überknüpfverbandes werden lid und Ohren sowie im Rahmen des vaskularisierten Gelenkersatzes
die zunächst noch fragilen Mesh-Tansplantate mit Repithel-Salbe als kombiniertes Knorpel-Knochen-Transplantat an den Fingerge-
und Fettgaze und nach vollständiger Einheilung mit Fettsalbe ge- lenken. Indikationen sind sowohl angeborene Fehlbildungen als auch
pflegt. Nach Erreichen einer zufriedenstellenden Stabilität werden traumatisch oder kanzerös bedingte Defekte im Gesichtsbereich.
die Klammernähte entfernt und die Extremitätenschienung beendet, Knorpeltransplantate sind häufig Teil einer komplexen Rekon-
sodass mit krankengymnastischer Beübung der betroffenen Extre- struktion im Rahmen eines prälaminierten oder präfabrizierten Gewe-
80 Kapitel 11 · Transplantate
a b
11
c d
betransfers (7 Kap. 12.7). Sie zeichnen sich durch ihre anatomisch be- sind hier komplexe Rekonstruktionen mittels vaskularisierter Ge-
dingte gute Formbarkeit sowie geringe Resorption aufgrund ihres lenktransfers möglich. Als Spenderareale können hier, beispiels
bradytrophen Stoffwechsels aus. Für kleinere Knorpeltransplantate weise bei komplexen Handverletzungen, heterodigitale Transfers
werden als Spenderareale beispielsweise Konchaknorpel, der meist oder homodigitale Transfers (DIP-zu-PIP-Transfer) angewandt wer-
durch einen retroaurikulären Zugang gewonnen wird, sowie Nasen- den. Bei angeborenen Handfehlbildungen werden im Rahmen der
septumknorpel gewählt. Bei größeren Transplantaten, beispielsweise Pollizisationen komplexe Strahltranspostionen unter Einschluss von
zur Ohrrekonstruktion, sind Rippenknorpeltransplantate notwendig. Zehenmittel- oder -grundgelenken zur Fingergelenk- oder Daumen
Im Gelenkbereich kann destruierter Gelenkknorpel durch freie, gelenkrekonstruktion auf PIP-, MP- oder Karpometakarpal-Level
nicht vaskularisierte Knorpeltransplantate ersetzt werden; ferner durchgeführt.
11.3 · Knochentransplantate
81 11
11.2.2 Operationstechnik 11.3 Knochentransplantate
Konchaknorpel. Über einen retroaurikulären Schnitt wird der 11.3.1 Indikation
Konchaknorpel unter Erhalt des Perichondriums freipräpariert und
sorgfältig ein Transplantat der entsprechenden Größe unter Erhalt Die Versorgung von Knochendefekten kann durch eine Spongiosa-
des Perichondriums herausgelöst (. Abb. 11.2a). Der Verschluss des plastik oder einen kortikospongiösen Span erfolgen, wenn die De-
Perichondriums erfolgt mit resorbierbarem Nahtmaterial, dann fektgröße <6 cm ist. Beim Fehlen von Knochenanteilen >8–10 cm
Hautverschluss, ggf. Einlage einer kleinen Drainage oder Lasche. stellt sich die Indikation zum freien, mikrovaskulär anastomosier-
ten Knochentransplantat, sofern nicht alternative Methoden wie
Nasenseptumknorpel. Die Entnahme von Nasenseptumknorpel die Kallusdistraktion angewandt werden können. In Einzelfällen
erfolgt unter sorgfältigem Erhalt des gegenseitigen Mukoperichon- können auch gefäßgestielte Knochentransplantate, beispielsweise
driums, der Verschluss des Zugangs mit resorbierbarem Nahtmate- bei aseptischen Knochennekrosen oder Pseudarthrosen im Bereich
rial. Bei Entnahme innerhalb des zentralen Anteils ist ein L-förmiger der Handwurzelknochen zur Versorgung eines knöchernen Defektes
Rahmen von mindestens 1 cm zu belassen. gewählt werden.
Ursachen für Knochendefekte sind eine unzureichende Kno-
Rippenknorpel. Zur Rekonstruktion der Ohrmuschel durch Rip- chenheilung
penknorpel nach Tanzer und Brent wird zur Helixrekonstruktion 4 nach Trauma (Zerstörung von Knochenanteilen, Minderperfu-
Knorpel der VIII. Rippe verwendet, für die Formung von Anthelix sion, Schädigung der Wachstumsfugen),
und Koncha wird meist Knorpel aus der Synchondrose der VI. und 4 nach Infekten,
VII. Rippe verwendet. 4 nach Störungen der Knochenbiologie, z. B. bei avaskulärer Ne-
In Allgemeinnarkose erfolgt ein schräger Hautschnitt über der krose oder
VI. und VII. Rippe. Darstellung der VI.–VIIII. Rippe nach Durch- 4 bei Knochentumoren mit erforderlicher radikaler Entfernung
trennung der Fasern des M. obliquus externus und Inzision der betroffener Skelettanteile.
äußeren Rektusscheide und des M. rectus abdominis. Zunächst
Abschieben des Perichondriums von der VIIII. Rippe, die in toto
herausgelöst wird. Dann Längsinzision des Perichondriums über der 11.3.2 Operationstechnik
VI. und VII. Rippe und Entnahme des Knorpelblocks unter sorgfäl-
tiger Schonung der angrenzenden Pleura. Verschluss des Perichon- Knochenspongiosatransplantat vom distalen Radius. Bei jungen
driums durch fortlaufende, resorbierbare Naht, Adaptation der Mus- Patienten ist die Gewinnung einer Spongiosaplastik oder eines kor-
kelanteile und Hautverschluss nach Einlage einer Redon-Drainage. tikospongiösen Spans begrenzter Größe vom Radius möglich. Über
eine dorsoradiale Inzision über dem distalen Radius erfolgt proximal
des Retinaculum extensorum ulnar von den Sehnen der Mm. exten-
11.2.3 Postoperatives Management sor carpi radialis longus et brevis die Präparation bis auf den distalen
Radius. Hier wird mit dem Meißel ein Knochenfenster eröffnet und
Die Entnahmestellen sind v. a. auf postoperative Hämatome sowie ein kortikospongiöser Span bzw. eine Spongiosaplastik entnommen.
Zeichen einer Wundheilungsstörung zu kontrollieren. Die Nach Ein vaskularisiertes Knochentransplantat mit retrogradem Fluss zur
behandlung der Empfängerstellen hängt von der Art der Operation Behandlung der Skaphoidpseudarthrose wird durch superfizielle
und der gewählten Technik ab. Gefäße am Retinaculum extensorum wie die ICSRA-1,2- und -2,3-
Gefäße (»intercompartmental supraretinacular arteries« 1,2 und 2,3)
sowie die tiefer gelegenen Gefäße des 4. oder 5. Strecksehnenkom-
11.2.4 Komplikationen partments (4th & 5th ECA = 4th und 5th »extensor compartment
arteries«) versorgt. Bei einem palmaren Zugang kann das Transplan-
Bei Verdacht auf Verletzung der Pleura bei der Entnahme von Rip- tat auch an vaskuläre Gefäße am M. pronator quadratus (pMeta =
penknorpel sollte umgehend eine Thoraxröntgenaufnahme zum »palmar metaphyseal arch«) gestielt werden.
Ausschluss eines Pneumothorax durchgeführt werden. In der Regel
resorbiert sich die Luft im Pleuraspalt aber spontan. Knochentransplantat vom Beckenkamm. Lateral der Spina iliaca
anterior superior und etwa 2 cm distal und parallel zum Becken-
kamm erfolgt eine schräge, etwa 6–8 cm messende Inzision. Unter
11.2.5 Spezielle Techniken Schonung von Ästen des N. cutaneus femoris lateralis erfolgt die
Darstellung des Beckenkamms zwischen dem Ansatz des M. rectus
Vaskularisierte Gelenktransfers erfordern eine gründliche präope abdominis und den Hüftabduktoren. Nach Dissektion des Periosts
rative Planung. Bei der Präparation sind die anatomischen Voraus- erfolgt mit einem breiten Meißel zunächst eine horizontale Osteoto-
setzungen – wie die Hauptversorgung der PIP- und DIP-Gelenke mie zur Darstellung einer Art »Deckel« entsprechend der Konvexität
über das palmare Gefäßversorgungssystem und der notwendige Er- des Beckenkamms und dann die Entnahme eines entsprechend
halt der Gelenkkapsel, der palmaren Platte sowie des Gefäßbündels großen kortikospongiösen Spans. Der Periost-Knochen-Deckel
bei der doppelten Osteotomie – zu beachten. Die Fixierung der Kno- kann dann wieder mit resorbierbarem Nahtmaterial readaptiert wer-
chenanteile erfolgt in der Regel über Zuggurtungsosteosynthesen. den. Nach sorgfältiger Blutstillung sollte die Einlage einer Drainage
Hinsichtlich Einzelheiten sei auf die Spezialliteratur verwiesen vor vollständigem Wundverschluss erfolgen. Der Einsatz eines vas-
(Green et al. 2005, S. 1813–1833). kularisierten Beckenkammtransplantates erfordert entweder den
Einschluss des M. obliquus internus oder einen doppelten Pedikel
der tiefen und oberflächlichen superfiziellen A. circumflexa iliaca
(DCIA und SCIA).
82 Kapitel 11 · Transplantate
a b c
11
. Abb. 11.3a–d Vaskularisiertes Knochentransplantat: Osteokutanes Fibu-
latransplantat vor der freien Transplantation in den Unterarm zur Defektre-
d
konstruktion eines Radiussegmentdefektes
Knochentransplantat von der Fibula. Es ist auch möglich, Trans- dann distal mit der Gigli-Säge abgetrennt. Dabei sollten 7–8 cm der
plantatmaterial aus der Fibula zu entnehmen. distalen Fibula stehengelassen werden und zusätzlich bei Kindern
(bei Erwachsenen nicht erforderlich) zur Stabilisierung eine distale
Freies Fibulatransplantat. Ein freies Knochentransplantat der Fi- tibiofibulare Syndesmose durchgeführt werden.
bula mit einer möglichen Länge von 26–30 cm ist eine Therapie- Die distalen Peronäalgefäße werden ligiert und nach proximal
option bei größeren segmentalen Knochendefekten (. Abb. 11.3). durch den M. tibialis posterior unter Ligatur von Muskelästen wei-
Die Gefäßversorgung erfolgt über die Peronäalgefäße, die zwischen terverfolgt. Der M. flexor hallucis longus wird von der Fibula ab
dem M. tibialis posterior und dem M. flexor hallucis longus freiprä- gesetzt, und die Fibula wird mit den proximalen Gefäßen an die
pariert werden müssen. Empfängerseite transplantiert und nach stabiler Osteosynthese
Für die Entnahme erfolgen die Lagerung des Patienten auf dem mikrochirurgisch an das Empfängerstromgebiet angeschlossen. Das
Rücken mit Unterpolsterung des Gesäßes und das sterile Abwa- Transplantat kann je nach Erfordernis des Defekts als osteokutaner,
schen des gesamten Beins mit Anlage einer sterilen Oberschen osteomuskulärer oder als osteomuskulokutaner Lappen gehoben
kelblutsperre und die Positionierung des Unterschenkels mit ge- werden.
beugtem Kniegelenk unter Fixierung des Fußes. Der bevorzugte
Zugangsweg von lateral entlang der longitudinalen Achse der Fibula
wird eröffnet und der M. peronaeus longus exponiert. Die Dissek- 11.3.3 Postoperatives Management
tion erfolgt zunächst auf Höhe eines schmalen Fettstreifens zwi-
schen dem M. peronaeus longus und dem M. soleus. Der Ursprung Die postoperative Nachsorge umfasst die Kontrolle der Perfusion
des M. flexor hallucis longus am posterioren Rand der Fibula wird über eine kutane oder muskuläre Monitorinsel, sonst wird die Ana-
dargestellt, die vor dem Muskel verlaufenden Peronäalgefäße wer- stomose dopplersonographisch kontrolliert. Eine postoperative
den sorgfältig unter Ligatur der zum M. soleus verlaufenden Äste Röntgenkontrolle zeigt Ausrichtung, Stabilität und Struktur des
freipräpariert und angeschlungen, und der M. soleus wird vom Transplantates und gibt Hinweise auf den biologischen Einbau im
Fibulahals gelöst. zeitlichen Verlauf. Eine Ruhigstellung sollte erfolgen, bis eine ausrei-
Jetzt wird zunächst das laterale Kompartment unter Schonung des chende Stabilität des Transplantates und der Ostesynthese gegeben
N. peronaeus superficialis und dann das anteriore Kompartment un- ist. Die Einheilungsrate des Transplantates wird durch eine rigide
ter Schonung des N. peronaeus profundus von der Fibula gelöst. Die Fixation verbessert. Bei unklarer Einheilung kann ein MRT oder
A. tibialis anterior und die Membrana interossea werden identifi- eine Szintigraphie durchgeführt werden.
ziert. Letztere wird sorgfältig von der Fibula scharf abgetrennt. Unter
Schonung der Peronäalgefäße wird die Fibula zunächst proximal,
11.4 · Fett- und Dermistransplantate
83 11
11.3.4 Postoperative Komplikationen
c
11.4.2 Operationstechnik
. Abb. 11.4a–c Gewinnung von Fett durch Tumeszenzaspiration nach Co-
leman (a). Ausgestrichenes Fett (b). Injektion fächerförmig in die aufzufül-
Freies autologes Fetttransplantat. Freie Fetttransplantate können lende Region in Kanälen (c)
über die Aspirationsliposuktionstechnik oder durch direkte Exzision
gewonnen werden. Hauptspendergebiete sind hierbei subkutane
Fettdepots an Abdomen, Oberschenkel und Flanke oder Glutäalbe- Dermis-Transplantates. Das gewonnene Fett wird in 50 ml sterile
reich (. Abb. 11.4a). Falcon-Röhrchen gegeben und für 10 min bei 800 U/min und
Zunächst erfolgt die örtliche Betäubung des Spenderareals durch 4°C zentrifugiert. Die Flüssigkeit wird sorgfältig abgenommen,
ein Lokalanästhetikum oder Tumeszenzlösung. Derzeit gibt es keine und das freie Fett mit dem bodenständigen Zellpellet wird in eine
klinische Evidenz für einen diskutierten negativen Effekt von Adre- 20-ml-Spritze gegeben und über eine 14-G-Kanüle und nach vor
nalinzusätzen im Lokalanästhetikum hinsichtlich der Überlebensra- hergehender örtlicher Betäubung in die Empfängerstelle injiziert
te des Fetttransplantates, sodass wir bei entsprechender Lokalisation (. Abb. 11.4c).
Adrenalin (1:100.000) im Lokalanästhetikum oder in der Tumes- Neue Methoden erlauben die Gewinnung, Aufbereitung und
zenzlösung zusetzen. Konzentrierung der Fettzellen in einer Geräteeinheit mit Hilfe nied-
Zur Gewinnung des Fettes verwenden wir eine 14-G-Kanüle riger Vakuum- und Drucklevel (z. B. Lipivage). Eine weitere Innova-
oder eine Liposuktionskanüle, alternativ erfolgt die direkte Exzision tion stellt ein neues Gerät (Celution 800/CRS-System der Firma
über einen Hautschnitt, beispielsweise bei Gewinnung eines Fett- Cytori Therapeutics) dar, in dem aus dem Fettaspirat die Fraktion
84 Kapitel 11 · Transplantate
11.8.1 Indikation und Anwendungsgebiete Zentrale Nekrosen durch unzureichende Revakularisation können
zu narbigen Einziehungen führen. Die Ausbildung eines Hämatoms
Definition. Composite Gafts sind freie Transplantate, die sich aus oder einer Infektion können ebenfalls die Einheilung des Composi-
unterschiedlichen Gewebebestandteilen zusammensetzen. Hier sind te Grafts behindern und zum Verlust des Transplantates führen.
v. a. chondrokutane und chondromuköse Transplantate zu nennen,
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Chondrokutane Composite Grafts können am äußeren Ohr im Be- Merle M, Dautel G, Rehart S (1997) Chirurgie der Hand. Thieme, Stuttgart New
reich der Skapha, der Koncha, des Antitragus und der Radix helicis York
Sommer B, Sattler G (2000) Curent concepts of fat graft survival. Dermatol
entnommen werden. Die Defekte können primär verschlossen oder
Surg 26; 12: 1159–1166
durch Vollhauttransplantate gedeckt werden.
Vogt PM, Reimer K et al. (2006) PVP-iodine in hydrosomes and hydrogel –
Chondromuköse Transplantate werden aus dem Nasenseptum A novel concept in wound therapy leads to enhanced epithelialisation
gewonnen, wobei bei der Präparation darauf zu achten ist, das gegen- and reduced loss of skin graft. Burns 32: 698–705
überliegende Mukoperichondrium nicht zu verletzen. Der verblie- Weyand B, von Schroeder HP (2005) Bone challenges for the hand surgeon:
bene Defekt kann der Sekundärheilung überlassen werden. from basic bone biology to future clinical application. Clin Plastic Surg
Wenn das Transplantat die Größe von 2 cm überschreitet, sind 32: 537–547
Maßnahmen zur Verbesserung der Einheilung empfehlenswert:
Hierzu gehören die Fensterung des Knorpelanteils zur Verbesserung
der Revaskularisation sowie eine Vergrößerung der Kontaktfläche
zwischen Empfänger und Transplantat, insbesondere im unteren
Anteil des Composite-Transplantates.
Lappenplastiken
B. Weyand
a b
c d e
f g h
. Abb. 12.3a–e Transpositionslappenplastik mit Drehpunkt und zu decken einen direkt daneben befindlichen Defekt. Beim Transpositionslappen sollte
dem Defekt (Prinzip: a–e). Klinisch (f–h) hier als »bilobed« Lappen an der der Winkel <90° betragen
Nasenspitze (Prinzip: b). Jeweils 1 Lappen deckt als Transpositionslappen
a b c d
. Abb. 12.4a–d Prinzip der Rotationslappenplastik
90 Kapitel 12 · Lappenplastiken
a b
12
c d g h
. Abb. 12.10a–d Prinzip der Z-Plastik (a, b). Variationen: Multiple Z-Plastik (c, d), Schmetterlingsplastik (e, f), 4-Lappen-Z-Plastik (g, h)
12.5 Einteilung nach der Art einem anatomisch definierten Gefäß versorgt wird. Ein Lappen kann
der Blutversorgung sich aus mehreren Angiosomen zusammensetzten. Für die Blutver-
sorgung von Hautlappen hat sich die folgende Einteilung nach
Nach den anatomischen Gegebenheiten der jeweiligen Gewebe- McGregor etabliert:
strukturen lassen sich die Lappen auch hinsichtlich ihrer Blutversor- Bei den kutanen Lappen unterscheidet man den Lappen mit
gung einteilen. Zugrundeliegend ist hier ist das Prinzip des »Angio- der Zufallsversorgung, den sog. Random-pattern-Lappen, der über
soms«, das 1987 von Taylor und Palmer eingeführt wurde. Ein An- Muskelarterien versorgt wird, die die subkutane Faszie durchbrechen
giosom beschreibt einen dreidimensionalen Gewebeblock, der von und sich bis in die Dermis verteilen (. Abb. 12.11b). Zu beachten ist
92 Kapitel 12 · Lappenplastiken
a b
12
c d
e f
. Abb. 12.11a–f Prinzip der Gefäßversorgung der Haut, wobei Perforato Lappen (c), fasziokutane gestielte Lappen mit septokutanem Gefäßstiel (d),
ren, die transmuskulär oder septokutan in den subdermalen Plexus ein- myokutane Lappen mit gefäßtragendem Muskelstiel (e) und nach spezieller
münden, den subdermalen Plexus speisen (a). Aus dieser Anatomie leiten Dissektion transmuskuläre Perforatoren (f). Alle axialen Lappen können
sich die Perforatorlappen ab. Random-pattern-Lappen (b), Axial-pattern- sowohl gestielt als auch frei transplantiert werden, ggf. in Kombination
12.6 · Techniken der Lappenpräparation
93 12
hier, dass das Verhältnis Lappenbasis zu Lappenlänge maximal
1:2,5–3 (außer im Gesicht bis 1:5) betragen sollte, um Minderdurch-
blutungen zu vermeiden.
Der axiale Lappen (. Abb. 12.11c) wird dagegen über eine defi-
nierte Gefäßachse versorgt: Hier entspringen interstitielle Äste aus
einer axialen Hauptarterie und verlaufen senkrecht, bis sie in den
epifaszialen und subkutanen Plexus einmünden und hier unterei-
nander anastomosieren (z. B. der Leistenlappen durch die A. cir-
cumflexa iliaca superficialis).
Als Spezialfall gilt noch der distal gestielte Lappen mit der um-
gekehrten Flussrichtung, bei dem sich sowohl arterieller als auch
venöser Fluss zur Versorgung des proximalen Hautabschnittes um-
kehren; man spricht von einer retrograden Perfusion (z. B. A.-radi-
alis-Umkehrlappen oder A.-suralis-Lappen).
Bei fasziokutanen Lappen ziehen von der Basis her über ein
Faszienseptum kommende Perforatoren in einen auf Höhe der Faszie
befindlichen epifaszialen Gefäßplexus, von dem aus Äste die Subku-
tis und Kutis versorgen.
Die Klassifikation der fasziokutanen Lappen nach Cormack und
Lamberty (1984) basiert auf ihrem Verständnis der vaskulären Ver- . Abb. 12.12 Prinzip der Perforatorlappen aufgrund der definierten Ge-
sorgung des epifaszialen Gefäßplexus. Nach ihrer Einteilung wird fäßpedikel
bei der Versorgung des Hautmantels unterschieden zwischen zahl-
reichen, in den epifaszialen Gefäßplexus ziehenden Gefäße ohne
spezifischen Ursprung (Typ A), einen einzigen, gewöhnlich direkt 4 Ein muskulärer oder muskulokutaner Perforator ist ein Gefäß,
verlaufenden, fasziokutanen Perforator (Typ B) oder mehreren klei das durch Muskeln hindurchtritt und die tiefe Faszie durch-
neren segmentalen Perforatoren, die aus demselben subfaszialen bricht, um die darüberliegende Haut zu versorgen.
Ursprungsgefäß entspringen (Typ C). 4 Ein septaler oder septokutaner Perforator tritt nur durch das
Eine weitere Klassifikation des fasziokutanen Lappens nach Septum, bevor es die tiefe Faszie durchbricht, um die darüberlie-
Nahai und Mathes beschreibt die Versorgung des Lappenhaut gende Haut zu versorgen; man spricht von einem septalen oder
areals entweder durch einen einzigen direkten kutanen Perfo septokutanen Perforatorlappen.
rator (was dem Begriff des axialen Hautlappens entspricht; 4 Ein Hautlappen, der durch einen Muskelperforator versorgt
Typ A), durch einen septokutanen Perforator (Typ B), der in dem wird, heißt Perforatorlappen oder muskulokutaner Perforator-
Zwischenkompartment oder intermuskulär entlang zieht, oder lappen.
durch einen oder mehrere indirekte muskulokutane Perforatoren
(Typ C). Für die Einteilung der Muskellappen wurde in Anlehnung an die
Noch dezidierter erscheint die Einteilung nach Nakajima, der Einteilung nach Taylor nach Art der Innervation eines Muskels
insgesamt 6 verschiedene Muster der Perforatoren aus der tiefen Fas- durch einen oder mehrere motorische Nerven folgende Klassifika
zie zur Versorgung von Hautlappen unterscheidet: tion basierend auf der Gefäßanatomie des Muskels von Mathes und
4 einen direkten kutanen Perforator (A), Nahai vorgeschlagen (. Tab. 12.1, . Abb. 12.13).
4 einen direkten septokutanen Perforator (B),
4 einen direkten kutanen Ast eines Muskelgefäßes (C),
4 einen den Muskel perforierenden kutanen Ast eines Muskelge- 12.6 Techniken der Lappenpräparation
fäßes (D),
4 einen septokutanen Perforator (E) und Bei der Planung einer Lappenplastik müssen verschiedene Punkte
4 einen muskulokutanen Perforator (F). in ihrer Gesamtheit betrachtet und erwogen werden. Zunächst sind
Größe, Lokalisation und Gewebetiefe des zu deckenden Defektes zu
Eine vereinfachte Einteilung unterscheidet zwischen direkten und bestimmen. Die rekonstruktive Leiter (. Abb. 14.2) reicht vom Pri-
indirekten Perforatorlappen, wobei hier entweder eine direkte Ge- märverschluss, der lokalen Lappenplastik, der regionalen Lappen-
fäßversorgung des fasziokutanen Lappens vorliegt oder nach Versor- plastik, der Fernlappenplastik, dem freien nichtvaskularisierten
gung der epifaszialen Plexusschicht durch einen hieraus hervorge- Hauttransplantat bis hin zur mikrovaskulär anastomosierten Lap-
henden Perforator. pentransplantation, bei Bedarf sogar unter Anlage einer mikrovas-
Nach Wei ist ein Perforatorlappen dadurch definiert, dass die kulären AV-Gefäßschleife zum Anschluss der Lappenplastik an
von einem definierten Gefäß abstammenden Perforatoren zunächst weiter entfernte Empfängergefäße. Die Deckung kann über ein ein-
den Muskel und die tiefe Faszie durchdringen müssen, um ein zeitiges, zweizeitiges oder mehrzeitiges Verfahren erfolgen.
Hautareal zu versorgen (. Abb. 12.12). In die Entscheidungsfindung müssen außerdem einfließen
4 Alter und Allgemeinzustand des Patienten,
Definition. In einer Konsensuskonferenz 2002 in Ghent wurden die 4 vorliegende Begleiterkrankungen und Voroperationen mit den
Definitionskriterien festgelegt (Blondeel 2003): daraus resultierenden Narben und Defekten,
4 Ein Perforatorlappen besteht aus Haut und subkutanem Gewebe, 4 stattgefundene Chemo- oder Radiotherapien sowie
die durch isolierte Perforansgefäße (Perforatoren) ernährt wer- 4 die Operabilität des Patienten.
den, die von ihrem Ursprungsgefäß ausgehen und durch tiefer-
gelegene Gewebe (meist Muskeln) hindurchtreten.
94 Kapitel 12 · Lappenplastiken
a b c d e
. Abb. 12.13a–e Klassifikation des Muskellappens nach Mathes und Nahai (Erklärung . Tab. 12.1)
Bei Planung einer freien Lappenplastik sollte unbedingt der lokale fäßstiels erfolgt unter Lupenvergrößerung durch sorgfältige Prä
Gefäßstatus durch die sorgfältige klinische Untersuchung, Doppler- paration unter subtiler Blutstillung, wobei hier möglichst nur Ge-
sonographie und eine Angiographie abgeklärt sowie eine Labor fäß-Clips oder ein bipolarer, kein monopolarer Kauter verwendet
untersuchung der Gerinnung (Quick, PTT und Antithrombin III) werden sollten, um einen Stromfluss über den Lappenstiel zu ver-
durchgeführt werden. In die Vorbereitungsphase fallen des Weiteren meiden.
eventuelle abführende Maßnahmen, z. B. bei geplanter Rekonstruk-
tion der Bauchwand oder Verwendung einer Bauchwandlappen
plastik als Spenderareal. Bei länger geplanten sekundären Rekons 12.7 Lappenpräformation:
truktionen sollte auch die Möglichkeit einer Eigenblutspende erwo- Prälamination und Präfabrikation
gen werden, falls ein entsprechender Blutverlust zu erwarten ist und
12 keine Kontraindikationen bestehen. Prälamination einer Lappenplastik beinhaltet die Einführung zu-
sätzlichen Gewebes in das zu verpflanzende Transplantat, z. B. das
> Ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten
Einbringen von Knorpel, Mukosa oder Haut in einen mikrovaskulär
sowie eine Planungszeichnung im Bereich der Donor-/
anastomosierten myokutanen Lappen.
Empfängerseite sind obligat.
Bei der Präfabrikation wird ein neuer Gefäßstiel in den zu trans-
Die Durchführung der Lappenentnahme beginnt mit einer sorgfäl- plantierenden Lappen eingebracht, z. B. ein AV-Loop oder ein Ge-
tigen Lagerung des Patienten, wobei nach Möglichkeit Empfänger- fäßstiel, sodass die Lappenplastik nach einer Phase der Neovaskula-
und Spenderseite frei zugänglich sein sollten. Nach Reevaluation risation der hinzugefügten Gefäße mit diesen als Hauptversorgung
und Débridement der Empfängerseite erfolgen nochmals eine ge- transplantiert werden kann. Beide Techniken ermöglichen die For-
naue Abmessung des Defektdurchmessers sowie die Verifikation der mung von individuellen, aus mehreren Geweben bestehenden Lap-
Maße der vorgeplanten Lappenplastik (z. B. die erforderliche Größe pen, die v. a. für komplexe Rekonstruktionen im Bereich des Ge-
der Hautspindel bei einer freien, myokutanen Lappenplastik). sichtes, der Nase oder Ohren genutzt werden können.
Bei einer gestielten oder freien mikrovaskulär anastomosierten
Lappenplastik beginnt die Präparation i. Allg. fern des Lappenstiels.
Wird ein zusammengesetzter Lappen präpariert, z. B. ein faszioku- 12.8 Lappenkonditionierung oder »Delay«
taner Lappen oder ein myofasziokutaner Lappen, sollte die Faszie
mit ihrem Gefäßplexus durch Einzelknopfnähte an die Dermis und/ Unter Lappenkonditionierung versteht man ein mehrzeitiges Vorge-
oder den Muskel fixiert werden, um Scherkräfte zu vermeiden und hen bei der Lappentransposition, d. h. der Lappen wird zunächst
die Integrität des Gefäßplexus zu schonen. Die Freilegung des Ge- umschnitten und abgehoben, aber erst in einem 2. Schritt, etwa
V Dominanter Stiel mit Segmentarterien . Abb. 12.13e M. obliquus internus, Latissimus dorsi
12.8 · Lappenkonditionierung oder »Delay«
95 12
8–10 Tage später, in den Defekt eingebracht. Man spricht hier von
einem vorgeschnittenen Lappen (engl. »delay«).
Vorteil hier ist, dass sich so die Perfusion des Lappens oft verbes-
sern und Nekrosen, v. a. im distalen Bereich, vermindern lassen, weil
die Transposition erst erfolgt, wenn sich der Lappen an die nach der
Hebung geänderte Durchblutungssituation adaptiert hat, bevor das
Trauma der Transposition folgt. Dieses Verfahren ist auch intraope-
rativ als Rettungsmaßnahme möglich, wenn sich eine insuffiziente
Durchblutung zeigt und der Lappen in die Entnahmestelle bis zur
verzögerten Verlagerung zurückgelegt wird.
Literatur
Blondeel PN, Van Landuyt KHI, Monstrey SJM, Hamdi M, Matton GE, Allen RJ,
Dupin C, Feller A-M, Koshima I, Kostakoglu N, Wei F-C (2003 The »Gent«
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Dtsch Z Chir 143: 385
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Taylor GI, Palmer JH (1987) The vascular territories (angiosomes) of the body: Ex-
perimental study and clinical applications. Br J Plast Surg 40: 113–141
13
Lappenplastiken am Skalp
B. Weyand
13.1 Anatomie – 98
13.2 Rekonstruktionstechniken – 99
13.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 99
13.2.2 Operationstechnik – 99
13.2.3 Postoperatives Management – 101
13.2.4 Postoperative Komplikationen – 101
13.1 Anatomie Die Galea aponeurotica stellt eine fibröse Verbindung zwischen dem
M. frontalis und M. occipitalis dar und ist damit verantwortlich für
Definition. Als Skalp wird die behaarte Kopfhaut bezeichnet, deren die fehlende Elastizität des Skalps. In der Parietalregion gleiten die
Hautdicke mit 3–8 mm die dickste des ganzen Körpers ist. Der Skalp temporoparietale Faszie und die tiefe Temporalfaszie übereinander
setzt sich aus mehreren Schichten zusammen: und erlauben so eine etwas größere Mobilität der behaarten Kopf
4 Haut (Epidermis und Kutis), haut. Die Gefäßversorgung erfolgt über die jeweils paarig angelegte
4 Subkutangewebe, A. supratrochlearis und A. supraorbitalis von frontal, die A. tempo
4 Galea aponeurotica, ralis superficialis und A. auricularis posterior von temporoparietal
4 lockeres Bindegewebe, und und die A. occipitalis von okzipital.
4 das darunter liegende Perikranium und Der Skalp ist prinzipiell an nur einem Gefäßstiel überlebensfähig
4 angrenzendes Kranium, bestehend aus Tabula externa und Ta (. Abb. 13.2). Die nervale Versorgung erfolgt über Äste des Trigemi
bula interna, die wiederum nach innen mit den Hirnhäuten nus und aus der Wurzel C3: N. supratrochlearis (V1), N. supraorbi
(Dura mater, Arachnoidea mater, Pia mater) das Gehirn bedeckt talis (V1), N. cygomaticotemporalis (V2), N. auriculotemporalis
(. Abb. 13.1). (V3), N. occipitalis minor (V3), N. occipitalis (C3).
13
. Abb. 13.1 Querschnitt durch die Schichten des Skalps und Kraniums im Übergang Zygomaticum und Fossa temporalis
13.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete Wesentlich bei der Operationsplanung von Skalpdefekten sind
Größe und Lage des Defektes sowie Allgemeinzustand und Komor
Größere Skalpdefekte auf dem Boden eines akuten Traumas, auf biditäten des Patienten. Die Haarliniengrenzen sollten durch die
grund einer Tumorentfernung, einer Bestrahlungsnekrose oder bei Lappenplastik nicht verzogen werden, was eine sorgfältige Planung
traumatisch bedingter Alopezie erfordern eine chirurgische Rekons erfordert. Einen Tag präoperativ sollten die Haare mit einem medi
truktion mit Hilfe von Lappenplastiken. zinischen Shampoo gewaschen werden, eine Rasur muss nur in Aus
nahmefällen erfolgen.
. Abb. 13.3a–g Verschluss von Skalpdefekten: a Primärverschluss, b Primärverschluss mit M-Plastik, c, d ein- und beidseitige Vorschublappen,
e A-zu-T-Verschluss, f O-zu-Z-Verschluss, g Rhomboid-Lappen
100 Kapitel 13 · Lappenplastiken am Skalp
c d
b
13
Während lokale Lappenplastiken auch in Lokalanästhesie oder linie, um diese nicht zu verziehen, sowie um Narben im sichtbaren,
Sedierung durchgeführt werden können, erfordern freie Lappenpla nicht haartragenden Hautbereich zu vermeiden (. Abb. 13.4).
stiken immer eine Allgemeinnarkose, jedoch empfiehlt sich auch
hier eine lokale Unterspritzung mit Lokalanästhetikum und Adrena Windradlappen (4-Flügel-Lappen). Der sog. Windradlappen (be
lin zur besseren Kontrolle von Blutungen. schrieben von Orticochea) setzt sich im Prinzip aus 4 entgegen
gesetzten Rotationsdehnungslappen zusammen und eignet sich zur
> Grundsätzlich ist bei allen Techniken die Einlage von einer
Deckung von Defekten besonders im Okkzipitalbereich, wenn län
oder mehreren Drainagen zur Vermeidung eines Häma-
gere Inzisionslinien vermieden werden sollen.
toms empfehlenswert.
. Abb. 13.3 zeigt die verschiedenen Operationstechniken im Detail. Bananenschalenlappen (»banana peel flap«). Bei dieser ebenfalls
von Orticochea beschriebenen, jedoch weniger häufig eingesetzten
Rotationslappen, Rotationsdehnungslappen, VY-Dehnungslap Technik wird der Skalp in mehrere Lappen »wie eine Banane ge
pen. Kleinere Skalpdefekte von 2–5 cm² können über Rotationsdeh schält«, die dann mobilisiert und gegeneinander verschoben werden,
nungslappen oder VY-Verschiebelappenplastiken geschlossen wer um eine Deckung des Defektes, der sich möglichst okzipitoparietal
den. Große Defekte können über einen Rotationslappen verschlossen befinden sollte, zu erreichen (. Abb. 13.5).
werden, wobei die Länge der Inzision etwa 4–6× der Größe des zu
deckenden Defektes entsprechen muss. Diese Technik empfiehlt sich Orticochea-Lappen. Ausgeprägte große Defekte (>25 cm²) können
z. B. von unilateral zur Deckung von Defekten nahe der Haaransatz über die Technik nach Orticochea verschlossen werden. Hierbei
13.3 · Spezielle Techniken
101 13
werden 2 Lappen gestielt an der A. temporalis superficialis sowie ein
großer Rotationslappen mit Basis zum M. occipitalis angehoben und
zur Defektdeckung gegenseitig angenähert.
c
Literatur
Krupp (1999) Plastische Chirurgie. Klinik und Praxis 12. ecomed, Landshut
. Abb. 13.5a–c Bananenschalenlappen (»banana peel flap«) beim Skalp- Leedy JE, Janis JE, Rohrich RJ (2005) Reconstruction of acquired scalp defects:
defekt An algorithmic approach. Plast Reconstr Surg 116: 54e-72e
Lee S, Rafii AA, Sykes J (2006) Advances in scalp reconstruction. Curr Opin
Otolaryngol Head Neck Surg14: 249–253
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504–508
Seery GE (2002) Surgical anatomy of the scalp. Dermatol Surg 28, 7: 581–587
14
14.1 Stirn
14.1.1 Anatomische Grundlagen
Nervale Versorgung Die Hautlaxizität kann durch den Kneiftest (»pinching«) in horizon
Der Ramus frontalis des N. facialis versorgt den M. frontalis, in sei taler oder vertikaler Richtung geprüft werden. Die Wundrandmobi
nem Verlauf ist er über dem Arcus zygomaticus nur von einer dün lisierung geschieht meist durch Unterminierung in der mittleren
nen Weichteilschicht bedeckt und kann hier besonders leicht ver Subkutanebene unterhalb des dermalen Gefäßplexus oder unterhalb
letzt werden. Der Ramus temporalis des N. facialis innerviert den der oberflächlichen Muskelfaszie.
M. frontalis an seiner Unterseite, seine Läsion, z. B. bei Tumor Die Laxizität der Stirnhaut beeinflusst ihre Mobilität, sie hängt
exzisionen an der Schläfe, kann zum Herabhängen des Augenlides v. a. von der Sonnenexposition und vom Alter des Patienten ab und
führen. ist bei älteren Patienten meist stärker ausgeprägt, sodass Lappenpla
Die sensible Versorgung der Stirn wird aus den Nn. suprtroch stiken leichter ausgeführt werden können. Die Hautdicke und Talg
leares und supraorbitales geleistet, die von gleichnamigen Arterien drüsenkonzentration nimmt vom Haaransatz zu den Augenbrauen
begleitet werden. Bei tiefen Inzisionen oder Schnittverletzungen in hin zu.
den M. frontalis können sie verletzt werden und eine vorüberge
> Der horizontale Wundverschluss empfiehlt sich in den la
hende oder permanente Gefühlsstörung in ihrem Versorgungsbe
teralen und paramedianen Anteilen der Stirn, weil hier die
reich verursachen.
Narben unauffällig in die queren »relaxed skin tension
lines« (RSTL) oder in die Stirnfalten gelegt werden können.
14 14.1.2 Indikationen
In der Mitte der Stirn sollte wegen der medianen Raphe
der Galea eine vertikale Narbe angelegt werden.
Die Indikation zu wiederherstellenden Eingriffen bestehen meist
nach Trauma oder der Entfernung benigner oder maligner Hauttu
moren. 14.1.5 Therapieziele
14.1.3 Klassifikation
Die wichtigsten Ziele der Wiederherstellung
im Stirnbereich
Die Stirn unterteilt sich in
4 den zentralen Bereich, aus einer mittigen, paramedianen und 4 Wiederherstellung der ästhetischen Einheiten von Stirn und
lateralen Untereinheit, Schläfe und ihrer Symmetrie
4 die Supraorbitalregion (rechte und linke) und Glabella (zentral) 4 Erhalt der motorischen Funktion des R. frontalis des N. facia-
sowie lis – ein Ausfall kann zum Mimikverlust im oberen Gesichts-
4 die Temporal- oder Schläfenregion (. Abb. 14.1). bereich und zur Ptosis des Auges führen
4 Erhalt der sensiblen Nerven (N. supratrochlearis und
N. supraorbitalis), um die Gefühlsempfindung an der Stirn
14.1.4 Präoperative Planung zu erhalten
4 Berücksichtigung der Symmetrie der Augenbrauen und der
An der Stirn spielen Farbe und Textur der Haut und entstehende Haaransatzlinie
Narben eine besonders wichtige Rolle, weil es sich um eine relativ 4 Möglichst unauffällige Platzierung entstehender Narben im
flache Oberfläche mit wenig Licht- und Schattengebung handelt. Verlauf der »relaxed skin tension lines« oder nahe der Haar-
Konturunregelmäßigkeiten, wie z. B. Stufenbildungen bei Narben, ansatzlinie oder Augenbraue
fallen hier besonders auf, v. a. bei tangentialem Lichteinfall von der 4 Lappenplastiken sollten daher die gleiche Hautdicke wie die
Decke oder der Wand. Defektumgebung haben, um einen »Nadelkisseneffekt«
(»pin cushioning«) zu vermeiden
14.1 · Stirn
105 14
14.1.6 Chirurgische Technik
Sekundäre Wundheilung/Granulation
Die kontrollierte Sekundärheilung ist die einfachste Methode zum
Wundverschluss, sie ist in Arealen mit wenig mobiler Haut und mit
stabiler knöcherner Unterlage mit guten Ergebnissen möglich, z. B. im
oberen zentralen und im seitlichen Stirnbereich und an der Schläfe.
> Voraussetzung für die kontrollierte Granulation ist ein gut
durchblutetes Wundbett. Bei freiliegendem Knochen bie
tet das Periost einen geeigneten Granulationsboden. Bei
blankem Schädelknochen ist jedoch ein Anbohren der
Kortikalis erforderlich, damit auf der Diploe eine Granula
tion stattfinden kann.
Die allmähliche Auffüllung des Defekts mit Granulationsgewebe
wird durch regelmäßige Verbandswechsel mit kochsalz- oder alko
holgetränkten Kompressen unterstützt. Eine Epithelialisation ist
spontan von den Wundrändern aus möglich oder kann durch sekun
däre Spalthauttransplantation beschleunigt werden. Ein weiterer
Vorteil der Methode besteht in der Defektverkleinerung durch kon
zentrische Wundkontraktion.
Primärverschluss
Kleine Defekte, z. B. nach Tumorexzisionen, lassen sich oft durch Un
terminierung der Stirnhaut und des darunterliegenden und anhaf
tenden M. frontalis in vertikaler oder horizontaler Richtung primär . Abb. 14.2 Rekonstruktive Leiter der Defektdeckung
verschließen. Die Zugrichtung beim Wundverschluss richtet sich nach
der Orientierung des Defekts und der Stirnfalten des Patienten, in
denen die Narbe meist relativ unauffällig verborgen werden kann. und blasser Haut. Eine Spalthauttransplantation ist jedoch indiziert
Bei größeren Defekten kann die Annäherung der Wundräder bei Patienten, bei denen ein hohes Rezidivrisiko eines Hauttumors
durch eine vorsichtige vertikale Einritzung an der Unterseite der besteht oder eine Beobachtung der Exzisionsstelle geboten ist.
unterminierten Wundränder erleichtert werden. Vertikal verlaufen
de sind meist weniger sichtbar als paramediane Narben. Lokale Lappenplastiken
Selbst große zentrale Wunden an der Stirn lassen sich durch Die wichtigsten lokalen Lappenplastiken finden sich in . Abb. 13.3
fusiforme Schnittführung und ausgiebige Unterminierung in der zusammengefasst (. Übersicht).
Subfrontalisebene vertikal oft primär und ohne Risiko einer Gefäß-
oder Nervenverletzung verschließen. Hierbei entstehende Hautauf
werfungen lassen sich als Burow-Dreieck oder mittels W-Plastik in Die wichtigsten lokalen Lappenplastiken (. Abb. 13.3)
der Glabellaregion exzidieren. 4 Primärverschluss
4 Primärverschluss mit M-Plastik
! Cave
4 Ein- und beidseitige Vorschublappen
Bei starker horizontaler Spannung kann sich die Position
4 A-zu-T-Verschluss
der Augenbrauen verändern, worauf der Patient vorher
4 O-zu-Z-Verschluss
hingewiesen werden muss, weil z. B. eine mediale Ver
4 Rhomboidlappen
ziehung der Augenbraue zu einem besorgten Aussehen
führen kann.
Eine unbeabsichtigte Brauenanhebung ist bei älteren Patienten eher Vorschublappen. Als Vorschublappen sind einfach und doppelte
akzeptabel als bei jüngeren. Der Effekt lässt oft bereits nach einigen Vorschublappen möglich, Burow-Lappen, A-zu-T-, O-zu-Z-Lappen
Monaten wieder nach. oder doppelt gestielte Verschiebelappen (. Abb. 13.3).
Bei einfachen oder beidseitigen Vorschublappen lassen sich die
Hauttransplantate Inzisionen in die horizontal verlaufenden Hautfurchen der Stirn le
Hauttransplantate können angewandt werden, wenn kein Primär gen, sodass sie kaum auffallen. Bei Defekten im medianen Drittel der
verschluss möglich ist oder eine Lappendeckung nicht ohne Verzie Stirn sind beidseitige Verschiebelappen oft günstiger.
hung durchgeführt werden kann. Sie eignen sich auch zur temporä
ren Bedeckung vor einer geplanten Gewebeexpansion. > Bei jüngeren Patienten mit glatter Stirn sind die bei diesen
Vollhauttransplantate mit günstiger Hauttextur und -farbe fin Techniken entstehenden Narben eher sichtbar. Hier kann
den sich in der Hals- oder Supraklavikularregion. jedoch präoperativ die Lage der Stirnfurchen und damit
Spalthauttransplantationen führen eher selten zu optimalen ästhe die günstigste Narbenposition bestimmt werden, wenn
tischen Ergebnissen, Ausnahme sind z. B. ältere Patienten mit dünner der Patient seine Augenbraue anhebt.
106 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis
c Gewebeexpansion
Die Stirnhaut eignet sich gut zur Expansion. Vorteil ist eine Rekon
. Abb. 14.3a–c Basaliom an der Schläfe (a). Defektdeckung mittels Rhom-
struktion mit exakt übereinstimmender Hautfarbe und -textur.
boidlappen: Der Rotationspunkt befindet sich im Bereich des spitzeren
Winkels, da hier der geringste Rotationsbogen besteht (b). Unauffälliger
Die Gewebedehnung ist aufwendig und dauert relative lang, es
Narbenverlauf durch Platzierung der hebedefekseitigen Narbe in eine empfiehlt sich in vielen Fällen daher eine sekundäre Rekonstruktion
»relaxed skin tension line« (c) mit primärer Deckung mittels Spalthauttransplantation.
Die Expander werden unter die Galea eingebracht und über
mehrere Wochen durch transkutane Injektion in eine Portmembran
Bei Vorschublappen lässt sich mit zusätzlicher Exzision eines Burow- mit Kochsalzlösung befüllt, bis eine ausreichende Hautoberfläche
Dreiecks die Spannung am Rand des Defekts und damit der Zug an erreicht ist (. Abb. 14.4). Bei rechteckiger Form sollte die Basis des
anatomischen Strukturen vermindern, sie eignen sich daher v. a. an Expanders etwa 2,5-mal so groß sein wie der Defekt.
der seitlichen Stirn. Häufige Komplikationen sind Infekte, Extrusion des Expanders
Beidseitig gestielte Lappenplastiken können bei medianen und oder sonstige mechanische Probleme und Schmerzen.
paramedianen Defekten in der Nähe der Haargrenze eingesetzt wer Eine intraoperative Aufdehnung kann angewandt werden, wenn
den. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie die Spannung minimieren und ein primärer Wundverschluss durch Wundrandmobilisierung nicht
die horizontale Ausrichtung des Defekts erhalten. Die Verschieblich möglich ist, aber nur wenig Gewebe fehlt. Mit einem eingeführten
keit des Gewebes im Bereich des Primärdefekts kann hierbei durch 30-ml-Foley-Katheter lässt sich innerhalb von 20 min ein Gewinn
eine 2–3 cm hinter der Haarlinie verlaufende Parallelinzision noch von ca. 10–20 mm erzielen.
14.1 · Stirn
107 14
a b
a b
14
c d e
. Abb. 14.5a–f Defektdeckung eines ausgedehnten Defektes nach Exenteration der Orbita und
Teilresektion im Ethnoidalbereich wegen fortgeschrittenen sklerodermiformen Basalioms (a–c).
Wegen der marginalen Resektion und besseren lokalen Befundkontrolle Verzicht auf freie Lappen-
plastik und Defekteckung durch bilateral an A. und V. temporalis gestielten Visierlappen sowie
Glabellalappen im Bereich der Nasenwurzel (d). Verschluss des parietalen Hebedefektes durch Spalt-
haut (e). Günstiges ästhetisches Ergebnis bei guter Verlaufskontrolle unter dünnem Fasziokutan
f
lappen (f)
14.1 · Stirn
109 14
a b
c d
tet ohne Hitzeentwicklung aus, ist aber mechanisch nur bedingt belast
bar und kann zu einer verzögerten Entzündungsreaktion führen.
Polyethylen kann als semirigides Material Knochen ersetzen, es
gibt sowohl bestimmte vorgegebene Formen als auch die Möglich
keit einer maßangefertigten Einpassung. Seine poröse Struktur er
laubt ein Einwachsen von durchblutetem Gewebe, wodurch die Ge
fahr einer Infektion oder Migration verringert wird. Es eignet sich
daher für viele kranioplastische Eingriffe, einschließlich an der Stirn.
Bei Rekonstruktionen des Schädelknochens über dem Sinus fronta
lis muss darauf geachtet werden, dass es nicht zur Ausbildung einer
Muskozele kommt, d. h. dass für alle Schleimhäutoberflächen wei
terhin ein Abfluss zum Ductus nasofrontalis verbleibt.
Titanimplantate, die als 3-D-Modelle gefräst werden, werden
bei sehr ausgedehnten Defekten eingesetzt. . Abb. 17.7 zeigt ein Bei
spiel für die Deckung eines knöchernen Defektes der Stirn.
! Cave
Alloplastische Materialien dürfen keinen direkten Schleim
. Abb. 14.6a–e Defektdeckung an der Stirn bei ausgedehntem Strahlen- hautkontakt haben, da dies eine hohe Infektgefahr in sich
schaden nach Bestrahlung wegen eosinophilen Granuloms mit exponiertem birgt.
avitalem Stirnknochen (a). Defektdeckung durch M. latissimus-dorsi-Lap-
pen (c, d)
14.1.8 Komplikationen
hinsichtlich der Zug- und Torsionsstabilität noch übertrifft. Nach Mögliche Risiken wie Infektionen und Wundheilungsstörungen sind
teilig ist, dass es nicht mit dem Knochen verwächst und sich daher aufgrund der guten Perfusion der Stirnregion rar. Häufiger sind
als Onlay lockern kann. Selten kommt es zu einer entzündlichen Nachblutungen, Hämatome, Serome oder ungünstige Narbenbil
Fremdkörperreaktion. dung. Aus einer falschen Planung bei Lappenplastiken können äs
Hydroxyapatitzement besteht aus Kalziumsalzen und kann sich in thetisch störende Verziehungen des Haaransatzes, der Brauen oder
den Knochen integrieren. Es lässt sich leicht in Form bringen und här Augenlider resultieren.
110 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis
a b
14
c e
. Abb. 14.7a–e Rekonstruktion eines knöchernen frontalen Knochende- Weichteildefizit, das mit einem freien mikrovaskulären Latissimusmyokut-
fektes mit »custom-made« Titankalottenimplantat. Nach Freilegung des De- anlappen rekonstruiert wird (Anschluss an A. facialis und V. jugularis
fektes wird das Ausmaß des Verlustes des frontalen Schädeldachs nach ei- externa, c). Sekundäre Lappenausdünnung (d) führt zu einem guten ästhe-
ner veralteten Schussverletzung sichtbar (a). Ein in CAD-CAM-Technik maß- tischen Ergebnis (a)
gefertigtes Kalottenimplantat wird eingesetzt (b) und führt zu einem
Haarverlust tritt meist infolge einer Traumatisierung der Follikel 14.2 Schädelbasis
auf, meist wächst das Haar aber nach 3–6 Monaten wieder nach.
Permanenter Haarverlust kann z. B. durch übereifrigen Gebrauch Defekte an der Schädelbasis entstehen v. a. infolge von Tumorresek
des Elektrokauters bei der Lappenhebung entstehen. tionen, seltener durch Trauma, Mukozelen, kraniofaziale Fehlbil
Bei Verletzung des Stirnastes des N. facialis verliert der Pati dungen oder Zystenbildungen. Sie werden in der Regel von Kollegen
ent die Fähigkeit, die Stirn zu runzeln und die Augenbraue anzu der Neurochirurgie, HNO oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie be
heben. handelt, der Plastische Chirurg wird aber zur interdisziplinären Un
terstützung hinzugezogen.
14.2 · Schädelbasis
111 14
Hier sollen nur die Grundzüge der plastisch-chirurgischen Ver
sorgung zusammengefasst werden.
14.2.1 Therapieziele
Therapieziele
4 Verschluss und Abdichtung der Hirnhäute
4 Separation und Abdichtung der intrakraniellen Strukturen
vom oberen Atmungs- und Digestivtrakt, v. a. auch als Keim-
a
barriere
4 Wiederherstellung der Orbita und des Oropharynx
4 Rekonstruktion der inneren Gerüstfunktion und der äuße-
ren Form
4 Obliteration von Wundhöhlen (Totraumplombierung)
Transplantate
Zur Abdichtung können Haut, Faszie, Fett- oder Dermis-Fett-Lap
pen oder alloplastische Materialien eingesetzt werden.
Lokale Lappen sind Stirn- und Skalplappen, Galea- und perikra b
niale Lappen, M.-temporalis-Lappen, Septumschleimhautlappen.
Aus der Defektumgebung können während der Kraniotomie
perikraniale oder perikraniale Galealappen gehoben und zur Bede
ckung von Duralecks verwendet werden. Diese werden meist durch
die supraorbitalen und supratrochlearen Gefäße versorgt.
Zur Auffüllung von Wundhöhlen wird lokal der M. temporalis
eingeschwenkt, z. B. nach medial zur Deckung von anterolateral ge
legenen Defekten der Schädelbasis oder bei orbitomaxillären De
fekten. Zur Rekonstruktion des Orbitabogens kann er mit einer
Knochenkomponente aus der Schädelkalotte verlagert werden. We
gen seines engen Schwenkradius ist sein Einsatz allerdings auf
gleichseitge Defekte der orbitofrontalen Region, des Unterkiefers,
der Schläfe und der Fossa infratemporalis begrenzt.
Um die Blutversorgung aus der A. maxillaris interna zu erhalten,
muss der Muskel der Ursprung am Processus coronoideus geschont
werden. Bei Transposition des gesamten Muskels besteht die Gefahr
einer sichtbaren Konturstörung der Schläfe. c
Bei größeren medialen Defekten mit Verbindung zum Nasopha
rynx reicht der M. temporalis oft nicht mehr aus, hier sollten in der . Abb. 14.8a–c Defektdeckung eines frontobasalen Knochen- und Weich-
Regel freie Lappentransplantate verwendet werden. teildefektes nach Resektion eines nasoethmoidalen Sarkoms. Der Lappen
enthält eine separate Hautinsel für den Verschluss an der Schädelbasis zur
Regionale Lappen Nasenhöhle hin und eine zweite zur Rekonstruktion des frontalen Haut-
Regionale Lappen wie weichteildefektes
4 M.-pectoralis major-Lappen,
4 M.-latissimus-dorsi-Lappen,
4 inferiorer M.-trapezius-Lappen
Mikrochirurgische Lappenplastiken
Die Einführung der mikrochirugischen Gewebetransplantation hat
die Möglichkeiten der Rekonstruktion an der Schädelbasis revoluti
oniert, v. a. vor einer geplanten oder nach einer Bestrahlung.
Am häufigsten eingesetzt werden:
4 myokutaner M.-latissimus-dorsi-Lappen,
4 radialer Unterarmlappen (fasziokutan),
4 myokutaner M.-rectus-abdominis-Lappen,
4 Lappenplastiken des A.-subscapularis-Systems (osseo-/myofas
ziokutan),
4 Omentum-majus-Lappen.
Literatur
Literatur zu 7 Kap. 14.1
Chang DW, Robb GL (2000) Microvascular reconstruction of the skull base.
Semin Surg Oncol 19: 211–217
Chiu ES, Kraus D, Bui DT et al. (2008) Anterior and middle fossa skull base re-
consrtruction using microvascular free tissue techiques: surgical compli-
cations and functional outcomes. Ann Plast Surg 60: 514–520
Weber SM, Kim JH, Wax MK (2007) Role of free tissue transfer in skull base
reconstruction. Otolaryngol Head Neck Surg 136: 914–919
Grundtechniken
der Nahlappenplastiken
zur Rekonstruktion
im Gesicht
A. Gohritz, P.M. Vogt
Aufgrund der besonderen Qualität der Haut in der Gesichtsregion, Bei der Planung einer Z-Plastik sollten die Balken am besten in
v. a. hinsichtlich von Elastizität und Durchblutung, liegen hier be Richtung der Hautspannungslinien verlaufen, dies muss bei der
sonders günstige Voraussetzungen für lokale Nahlappenplastiken Wahl der Winkel bedacht werden (. Abb. 15.1).
vor. Die gebräuchlichsten Techniken sind auch in den meisten
anderen Körperregionen anwendbar und sollen mit ihrer speziel
len Indikation, Vor- und Nachteilen kurz zusammengefasst werden 15.2 W-Plastik
(s. a. Kapitel 12).
Bei der W-Plastik wird eine auffällige Narbe in kleine, zick-zack-
förmige Komponenten aufgelöst. Dies gelingt v. a., wenn die neue
15.1 Z-Plastik Narbe mit den meisten ihrer Teilstrecken in Richtung der Hautspan
nungslinien oder in bestehenden Hautfalten verläuft (. Abb. 15.2)
Die Plastik hat ihren Namen wegen ihres typischen Z-förmigen Mit dieser Schnittführung können auch eingezogene oder ge
Schnitt- und späteren Narbenverlaufs, sie kann auch mit anderen spannte Narben der Umgebung angeglichen werden. Sie eignet sich
Nahlappen, z. B. der VY-Plastik oder dem Limberg-Lappen, kombi v. a. zur Narbenkorrektur im Gesicht, insbesondere in Bereichen
niert werden. natürlicher Faltenbildung, z. B. an der Stirn.
Planung. Im Prinzip werden bei einer Z-Plastik die Diagonalen Planung. Bei der W-Plastik wird die alte Narbe zunächst exzidiert,
eines Parallelogramms gegeneinander vertauscht. Die zu korrigie indem gleichschenkelige Dreiecke mit einer Basislänge von 3–7 mm
rende Struktur, z. B. Narbe, die bei geringer Breite exzidiert wird, angelegt werden, die Winkel liegen meist zwischen 50° und 60°. Je
liegt auf der kürzeren Diagonale, die längere zeigt in die Richtung der nach der Narbenform (z. B. bei gebogener Narbe) müssen die gegen
späteren Mittellinie der Z-Plastik. überliegenden Dreiecke so angepasst werden, dass die Dreiecke an
Es werden 2 Lappen gegeneinander verschoben, die jeweils ein der konvexen Seite entsprechend breiter als an der konkaven Seite
gleichschenkeliges Dreieck bilden und eine Seite gemeinsam haben, sind.
welche durch die zu korrigierende Struktur gebildet wird. Im Winkel
von 30°–90° dazu werden an den entgegengesetzten Enden gleich Vorteile. Die W-Plastik ist technisch einfach, vielfältig anwendbar
lange Schnitte angebracht, sodass alle 3 Strecken des Z – die Mittel und sicher.
linie und die beiden Balken – gleich lang und die beiden Winkel
gleich groß sind. Nachteile. Die Ausführung ist wegen der vielen kleinen Dreiecks
lappen relativ zeitaufwendig. Anders als bei der Z-Plastik kann die
Gewebespannung durch die Narbenexzision noch zunehmen.
15.3 VY-/YV-Vorschiebelappen
(»advancement«)
Zur Verlängerung wird die Narbe V-förmig exzidiert und die Wun
dränder des entstandenen Defekts nach Mobilisierung sternförmig
15 aneinandergenäht. Es ergibt sich so aus einem V-förmigen Defekt
eine Y-förmige Narbe.
Kleinere Korrekturen sind oft mittels einer VY- oder YV-Plastik
möglich, indem z. B. bei Narbenkontraktur eine lineare Verlänge
a rung oder Verkürzung einer Strecke erreicht wird.
Vorteile. Vorteil ist die relativ einfache Schnittführung, mit der eine
b lineare Verlagerung eines Punktes oder einer Strecke erreicht wird.
Kleine, runde Defekte lassen sich so gut verschließen. Die Technik
c kann besonders bei schmalen Bezirken, etwa am Nasenrücken, ein
. Abb. 15.1a–c Längenaustausch in der Z-Plastik. a Z-Plastik ABCD an
gesetzt werden.
der zu korrigierenden Struktur BC. AD entspricht der Lage der neuen Mittel-
linie der ausgeführten Z-Plastik. aus dem umgekehrten »Z« entsteht ein »Z« Nachteile. Die VY-Plastik muss exakt geplant und ausgerichtet wer
mit BADC und ein Gewebegewinn zwischen C und B. b Umsetzung des Prin- den, die Fehlertoleranz ist gering. Sie ist nur bis zu einer bestimmten
zips der Z-Plastik Defektgröße möglich.
15.3 · VY-/YV-Vorschiebelappen (»advancement«)
115 15
. Abb. 15.2a–e Narbenkorrektur mittels W-Plastik. a, b Prinzip,
c–e Klinische Anwendung
c e
a b c
g
d e f
116 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nahlappenplastiken zur Rekonstruktion im Gesicht
15.5 Rotationslappen Vorteile. Der Rotationslappen hat eine breite Basis und ist daher
15 sicher durchblutet. Die Technik ist auch mehrfach hintereinander
Die Rotationsplastik wird häufig angewandt, obwohl sie nicht selten durchführbar, ohne das Gewebe zu gefährden oder auffälligere Nar
eine ungünstige Narbe hinterlässt, die im Verhältnis zum Defekt ben zu produzieren, was von Bedeutung in der Chirurgie des sakral
recht groß ist. Ihre Indikation findet diese Technik deswegen an op en Dekubitus ist.
tisch weniger exponierten Stellen, z. B. im Bereich der Haargrenze.
Eine frühe Form des Rotationslappens geht auf Curt Schimmel Nachteile. Der Rotationslappen lässt sich aufgrund der Größe nur
busch zurück, Esser entwickelte die Technik in der Zeit des I. Welt aufwendig mobilisieren. Er kann im Verhältnis zu seiner Größe nur
krieges v. a. zur Rekonstruktion der Wange weiter (. Abb. 15.4). kleine Defekte decken und erfordert bei ungenügender Planung oft
Imre wandte einen kombinierten Verschiebe-Rotations-Lappen an, einen Entlastungsschnitt. Es entsteht eine lange halbkreisförmige
v. a. zur Lidrekonstruktion. Narbe, die sich nur bei exakter Planung und guter Nahttechnik in
bestehenden Falten oder unter Haaren verbergen lässt.
Indikationen. Die Rotationsplastik wird v. a. in der Stirnregion und
in der Wangenregion eingesetzt, idealerweise wird die Schnittlinie in
der Haarlinie versteckt. 15.6 Zweizipflige oder dreizipflige Lappen
Prinzipiell ist sie in jeder Körperregion möglich, durch Kombi (»bilobed«/«trilobed flap«)
nation zweier Rotationslappen können auch größerer Defekte ge
deckt werden. Der zweizipflige Lappen ist ein Deckungsprinzip, bei der ein Primär
defekt durch einen angrenzenden Transpositionslappen, der entste
Planung. Der Defekt wird in Form eines gleichschenkeligen Drei hende Sekundärdefekt wiederum mit einem Transpositionslappen
ecks umschnitten, dessen Scheitelwinkel zwischen 30° und 60° liegen gedeckt wird, dessen Hebedefekt meist primär verschlossen wird
sollte. Der Mittelpunkt P, um den die Rotation ausgeführt wird, soll (. Abb. 15.5).
auf der Verlängerung einer der beiden Dreieckschenkel liegen. Um
diesen wird ein Kreis geschlagen, auf dem die beiden Ecken am Rand Indikationen. Diese Technik erweist sich besonders nutzbringend,
der kurzen Seite des Dreiecks liegen. Das Dreieck wird somit als wenn der Primärdefekt so ungünstig liegt, dass der Hebedefekt eines
Sektor eines Kreises aufgefasst. angrenzenden Schwenklappens nicht günstig primär verschlossen
15.6 · Zweizipfliger oder dreizipflige Lappen (»bilobed«/«trilobed flap«)
117 15
a b c
d e
g
. Abb. 15.5 Zwei- und dreizipfliger Lappen (a–c; 7 Kap. 12) zur Anwen-
dung an der Nasenspitze (d–g)
werden kann. Hier ermöglicht der zweizipflige Lappen eine einzei Behinderung einzeitig in die gewünschte Position gebracht werden
tige Versorgung, er wird im Gesicht v. a. an den Nasenflügeln oder können. Die Lappen können in einem Winkel von 45°–180° zuei
den Wangen angewendet. nander liegen. Ein Winkel von 90° zueinander gilt als optimal, wenn
die Spannungslinien der Haut gleichmäßig verteilt sind. Der beson
Planung. Der zweizipflige Lappen besteht eigentlich aus 2 Lappen, dere Vorteil dieser Technik besteht u. a. in dem additiven Effekt der
die eine gemeinsame Basis besitzen und dadurch ohne gegenseitige Elastizität der Lappen und der umgebenden Haut.
118 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nahlappenplastiken zur Rekonstruktion im Gesicht
a b c
. Abb. 15.7a–c Annäherung eines großen Defektes durch drei Limberg-Lappen (Sechseck)
Vorteile. Der Limberg-Lappen ist technisch relativ einfach und si Vorteile. Der Dufourmentel-Lappen verfügt über eine exzellente
cher durchzuführen, wenn beim Verschluss ein festes Lappenlänge- Blutversorgung und besitzt eine breitere Anwendbarkeit als der
Basis-Verhältnis eingehalten wird. So lassen sich auch Defekte ver Limberg-Lappen, da aufgrund der Variabilität der Winkel ein noch
sorgen, die mit einem Rotationslappen oder fusiformer Exzision mit größerer Spielraum in der Planung besteht und die Spannung im
oder ohne Z-Plastik allein nicht zu bewältigen wären. Gewebe geringer als beim Limberg-Lappen ist.
Nachteile. Die Lappenplanung muss die Umgebung des Spenderbe Nachteile. Der Dufourmentel-Lappen ist in Planung und Ausfüh
zirkes wegen eventueller verschieblicher anatomischer Strukturen rung schwieriger als der Limberg-Lappen, weil der Spenderbereich
beachten. Die Narben lassen sich oft nicht vollständig in Körperfal des Lappens in einem kleineren Winkel zum Defekt liegt als beim
ten verbergen, da sie einen sehr eigentümlichen, geometrischen Ver Limberg-Lappen. Die genaue Lage dieser Plastik muss mit einem
lauf haben und im Verhältnis zu anderen Techniken sehr ausgedehnt Winkelmesser bestimmt werden.
sind, sodass Einziehungen oder Vorwölbungen im Narbenverlauf
vorkommen.
Hier kann zur Korrektur sekundär eine Z-Plastik angewendet 15.10 Brückenlappen (»bipedicled«/
werden, wenn sich kleinere Unebenheiten nicht mit der Zeit von »tubed flap«, Visier-, Rundstiellappen)
selbst angleichen.
Beim Brückenlappen wird eine Parallelverschiebung einer Gewebe
brücke durchgeführt. Er kann als Nahlappen oder als gestielter Lap
15.9 Dufourmentel-Lappen pen angewendet werden.
(»Dufourmentel-flap«, LLL-Lappen) Der Brückenlappen war eine der ersten bekannten Methoden
zur Defektdeckung mit Fernlappen.
Der Dufourmentel-Lappen ist eine Abwandlung des Limberg-Pla
stik, schwieriger zu planen und auszuführen, aber in bestimmten Indikationen. Obwohl der Brückenlappen sich prinzipiell für alle
Situation diesem überlegen. Körperregionen eignet, wird er heute nur noch selten eingesetzt, da
er als Rundstiellappen von freien Lappenplastiken abgelöst wurde.
Indikationen. Die Indikationen zum Dufourmentel-Lappen ent Seine Möglichkeiten sollten jedoch nicht vergessen oder unterschätzt
sprechen denen des Limberg-Lappens. Er sollte nur zum Einsatz werden.
kommen, wenn der Limberg-Lappen unzureichend ist, da er schwie Typische Indikationen liegen bei schwierigen Durchblutungs
riger als dieser zu planen und auszuführen ist. Viele Defekte lassen situationen vor, weniger im Gesicht, aber z. B. an Extremitäten mit
sich in die rautenförmigen Grundformen überführen oder können fortgeschrittener Arteriosklerose, insbesondere am Unterschenkel
in diese Form umgewandelt werden. Es sollte stets die Methode ge oder Unterarm. Enoral wird der Lappen zum Verschluss von Gau
wählt werden, die am einfachsten und am sichersten anwendbar menspalten benutzt, bei der Rekonstruktion des Gaumens mit
erscheint. 2 Brückenlappen wird die Versorgung durch den doppelten Stiel
(»random pattern flap«) und auch durch die A. palatinae von dorsal
Planung. Im Gegensatz zum Limberg-Lappen ist es beim Dufour als axial gestielter Lappen gewährleistet.
mentel-Lappen nicht unbedingt nötig, den Exzisionsdefekt exakt als
Raute zu formen. Es können Winkel von 60°–90° gewählt werden, Planung. Konzeptionell versucht man mit dem Brückenlappen das
d. h. die entstehenden Parallelogramme reichen von echter Rauten festgelegte Verhältnis zwischen Lappenbasis und -länge zugunsten
form mit 4 Lappenbildungen bis zum Quadrat mit 8 Möglichkeiten.
Anders als beim Limberg-Lappen wird eine Seite der Spenderregion
nicht durch die Verlängerung der kurzen Diagonalen des Defekts,
sondern in einem bestimmten Winkel zu dieser konstruiert. Hierzu
wird die Winkelhalbierende zwischen der kurzen Diagonalen und
einer Seite des Parallelogramms bestimmt. Auf dieser Linie wird eine
Seite des späteren Lappens mit der gleichen Länge der Parallelo
grammseiten festgelegt. Der Winkel zwischen dieser Seite und der
kurzen Diagonalen beträgt immer 150° (plus oder minus ca. 4°). Die
2. Seite des Lappens wird danach parallel zur langen Diagonalen
festgelegt. Die Basis des Lappens sollte wieder in Richtung der LME
liegen (. Abb. 15.8). . Abb. 15.8 Dufourmentel-Lappen
120 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nahlappenplastiken zur Rekonstruktion im Gesicht
der Länge zu verbessern (. Abb. 15.9). Hierzu werden statt nur einer
Basis zwei angelegt. Der Defekt wird ellipsenförmig exzidiert und 15.11 Komplikationen
parallel zu einer Seite inzidiert, das so umschnittene Hautareal sub
kutan gelöst und mobilisiert und in den Primärdefekt verschoben. Die wichtigsten Risiken nach lokalen Lappenplastiken im Gesicht
Der entstehende Sekundärdefekt – parallel verschoben zum Primär nach Jackson (1985) sind in der . Übersicht zusammengestellt.
defekt – wird wiederum verschlossen, mit Spalthaut gedeckt oder
der freien Granulation überlassen.
Risiken nach lokalen Lappenplastiken im Gesicht
! Cave 4 Tumorrezidiv bei unzureichender Exzision (falsche Ein
Bei der Hebung dürfen keine Strukturen wie Sehnen, schätzung)
größere Gefäße oder Knochen freiliegen, sonst ist diese 4 Lappen zu klein (Planungsfehler)
Lappentechnik kontraindiziert. 4 Hämatom (technischer Fehler)
Zur Erhöhung der Mobilität des Lappens kann diese Plastik bei 4 Schädigung der Blutversorgung (technischer Fehler)
einem sicheren Längen-Breiten-Verhältnis in einen Transposi 4 Lappen zu groß (Ausdehnung über Blutversorgung hinaus –
15 tionslappen überführt werden, indem man den Lappen an einem technischer Fehler)
Ende durchtrennt. Rollt man den Lappen nach Präparation entlang 4 Wundverschluss unter Spannung, fehlender Rückschnitt,
seiner Längsachse ein, kann er als Rundstiel- oder Wanderlappen zu kurzer Stiel (alles technische Fehler)
nach einer Konditionierungszeit in eine ferne Empfängerregion 4 Verziehung anatomischer Landmarken
transponiert werden. Nach der Einheilung kann der Lappen mit 4 Verletzungen von Nerven, v. a. des N. facialis
gesicherter Durchblutung in den Defekt eingenäht werden. Eine 4 Vorwölbung des Lappens (»pin cushioning«, Lymphdrai
Konditionierung ist u. U. durch zweizeitige Umschneidung indi nage zur Ödemreduktion, chirurgische Korrektur erst nach
ziert. 12–18 Monaten möglich)
a b c
Abhängig von der Defektausdehnung und Verfügbarkeit regionaler riore Defekte in dieser Region nützlich. Er wird in der subkutanen
Lappen können auch freie mikrochirurgische Lappen indiziert sein, Ebene bis hinunter zur Clavicula gehoben. Die Blutversorgung er
z. B. folgt aus der A. facialis und der A. submentalis. Um eine zu tiefe
4 fasziokutane Unterarmlappen, Präparation (»deep plane dissection«) zu vermeiden, kann das Pla
4 anterolaterale Oberschenkellappen (ALT), tysma 4 cm unterhalb der Mandibula durchtrennt werden. Bei Ein
4 Paraskapularlappen oder schluss des Platysma gewinnt der Lappen noch an Vaskularität. Zum
4 myokutane Lappen (M. latissimus dorsi). Verschluss der Entnahmestelle ist manchmal eine Hauttransplanta
tion notwendig.
Der zervikopektorale Lappen eignet sich für größere Defekte
16.2.2 Präaurikuläre Defekte von 6–10 cm, er schließt Haut von der vorderen Brustwand ein,
ebenso das Platysma sowie Teile der Fascia der Mm. deltoideus et
Begrenzte Defekte pectoralis major. Die Perfusion erfolgt aus vorderen Perforatoren der
Bei begrenzten Defekten sind Vorschiebelappen von vertikal oder A. mammaria interna.
posterior möglich. Die gute Mobilisierbarkeit der Haut in dieser Re Der deltopektorale Lappen ist medial gestielt und besteht aus gut
gion erlaubt einen Vorschub wie bei einer Gesichtsstraffung. Die durchbluteter und farblich gut geeigneter Haut aus dem Schulterbe
präaurikuläre Inzision wird zum Hals fortgeführt, um so weiter gut reich. Ein vorheriges Delay durch Ligatur der thorakoakromialen
durchblutetes Gewebe aus diesem Bereich zum Defektverschluss zu Gefäße ist möglich.
gewinnen. Der Pectoralis-major-Lappen eignet sich sowohl zur äußeren als
auch zur inneren Defektdeckung an Mastoid, Hals oder Wange, trägt
Größere Defekte jedoch oft zu stark auf und muss sekundär ausgedünnt werden.
Diese erfordern regionale Lappenplastiken: Der Latissimus-dorsi-Lappen kann gestielt tunneliert einge
Der anterior gestielte zervikofaziale Lappen, beschrieben von bracht werden. Er eignet sich v. a. für große Ulzera nach Radiatio, da
Kaplan u. Goldwyn (1978), ist v. a. für posteriore und größere ante er gut durchblutetes Gewebe aus nicht bestrahltem Gebiet einbringt.
126 Kapitel 16 · Rekonstruktion der Wange
Defekte der Nase lassen sich grob einteilen in In der Regel wird eine Sofortrekonstruktion versucht, es sei denn, es
4 oberflächliche (1- bis 2-schichtige) Defekte und liegt eine verschmutzte, infizierte Wunde vor bzw. eventuelle Tumor
4 3- oder vollschichtige Gewebeverluste. ränder sind nicht sicher frei, oder es handelt sich um einen besonders
aggressiven Tumortyp, der eine Beobachtungszeit erfordert. Auch bei
Das Ausmaß der Rekonstruktion richtet sich nach den betroffenen Beteiligung tieferer knöcherner Strukturen oder wenn eine Radiatio
ästhetischen Untereinheiten (7 unten). geplant ist, wird eher eine sekundäre Rekonstruktion durchgeführt.
17.3 · Rekonstruktion der Nase
129 17
Phase Bemerkungen
1 Sekundärheilung Defekte im Bereich der Glabella und des medialen Cantus können oft durch Sekundärheilung zum Verschluss
gebracht werden, im Bereich der Nasenspitze und der Alarknorpel führt dies jedoch häufig zu einer Verziehung.
2 Spalthauttransplantate Spalthauttransplantate haben das Risiko der narbigen Kontraktion und Verziehung, sind aber sinnvoll, wenn zu-
nächst eine Beobachtung des Tumorherds notwendig erscheint.
3 Vollhauttransplantate Vollhauttransplantate werden in der Regel von prä- oder postaurikulär entnommen, da sie gut in Textur und Haut-
farbe entsprechen und die Entnahmestelle unauffällig ist. Kleinere Defekte können auch mit Transplantaten aus
dem Bereich der Nasolabialfalte gedeckt werden, alternativ aus der Supraklavikulärregion, wobei hier die Narben
auffälliger sind.
4 Haut-Knorpel- Haut-Knorpel-Transplantate werden für kleinere vollschichtige Defekte im Bereich des Alabogens oder der Coumel-
Transplantat la verwendet. Die Entnahme erfolgt vom Ohr (Helixwurzel, Helixrand oder Koncha). Sie sind auf ein gut vaskularisier
tes Wundbett angewiesen und heilen in Strahlenfeldern schlecht ein. Die Maximalgröße für ein solches Composite
Graft liegt bei ca. 1,5 cm.
5 Lokale Lappenplastik Lokale Lappenplastiken beruhen häufig auf der größeren Gewebeverschieblichkeit im Bereich der oberen zwei
Drittel der Nase und erlauben dann eine Defektdeckung im unteren Drittel.
17.3.2 Wiederherstellung des Hautmantels Stirnlappen. Der Stirnlappen oder paramediane Lappen kann an
der Nase der A. supraorbitalis oder supratrochlearis von einer oder beiden
Seiten gestielt werden. Der typische Stirnlappen basiert auf einem
Ziel ist es, eine möglichst nahe Angleichung der Rekonstruktion einzelnen supratrochlearen Gefäßstiel und erlaubt die Rekonstruk-
hinsichtlich Farbe, Hautdicke und Textur zu erreichen. tion großer Defekte im Bereich der Nasenspitze oder eine subtota-
Die Rekonstruktion richtet sich nach dem in . Tab. 17.1 ge- le oder totale Nasenrekonstruktion. Der verbleibende Hebedefekt
zeigten Stufenschema. kann durch sekundäre Wundheilung mit gutem Ergebnis verschlos-
sen werden. Eine Gewebeexpansion kann zu stärkerer Vernarbung
Defekte ≤2 cm und schlechterer Formbarkeit führen.
Die Defekte ≤2 cm können mit lokalen Lappen meist gut verschlos-
sen werden. »Scalping flap«. Diese Technik stellt eine zuverlässige Methode dar,
4 »Banner flap«: Eigentlich ein Transpositionslappen, Defektgrö- um mit einem großen Hautgebiet aus dem Bereich der Stirn große
ße bis ca. 1,5 cm. Nasendefekte zu decken. Er wird durch einen posterior der A. tem-
4 Zwei- oder dreizipfeliger Lappen (»bilobed flap«) nach Esser poralis superficialis gelegenen Koronarschnitt entnommen, die Haut
oder Zitelli. insel reicht bis zur kontralateralen Stirn. Die Entnahmestelle wird
4 Glabellalappen: Aus dem Bereich der Nasenwurzel mit gut ver- durch ein Hauttransplantat verschlossen, der temporäre Skalpdefekt
schieblicher Haut, die Inzisionen verschwinden gewöhnlich in mittels Verband feucht gehalten. Der Lappen wird dann in einem
den Glabellafalten (. Abb. 17.2). 2. Schritt eingesetzt und abgetrennt, wobei der Stiel wieder in seine
4 Dorsonasaler Lappen (nach Rieger): Sichelförmiger Lappen mit ursprüngliche Position verbracht wird. Der Lappen bietet ausrei-
lateraler Basis, die gesamte Haut des Nasenrückens wird rotiert chend Gewebe von guter Farb- und Texturqualität. Der Entnahme-
und nach kaudal verschoben, um Defekte von <2 cm zu decken, defekt ist jedoch erheblich.
die nicht bis in die Columnella reichen.
4 Nasaler VY-Lappen: Gleitlappen aus dem Bereich der oberen Temporomastoid- oder Washio-Lappen. Dieser wird aus der post
Nasenflügelfalte, um kleine Defekte im Bereich der lateralen Na- aurikulär gelegenen Haut an der A. temporalis superficialis gestielt
senspitze zu decken. und zur Nase transponiert. Die Haut ist in der Regel haarlos und
4 Nasolabiallappen: Vielseitiger Lappen, der vorwiegend zur reicht für eine nahezu komplette Bedeckung der Nase aus. Es kann
Rekonstruktion der Nasenseitenwände verwendet wird. Er auch Ohrknorpel mit in den Lappen integriert werden.
kann von superior oder inferior gestielt werden, getunnelt, als
Insellappen entnommen oder umgedreht zur inneren Aus Fernlappen oder freie Gewebetransplantate. Es handelt sich z. B.
kleidung der Nase verwendet werden. Der Verschluss der Ent- um Unterarmlappen; diese können vor dem Einsatz zur Nasenre-
nahmestelle erfolgt durch primäre Naht, die meist gut heilt. konstruktion prälaminiert werden, z. B. zum Aufbau eines Nasenge-
Es wird zweizeitig vorgegangen, um den Lappen zu heben und rüsts. Sie haben jedoch die Nachteile schlechter Farbabstimmung
einzusetzen. In einem 3. Schritt kann der Lappen ausgedünnt und sind häufig sehr auftragend. Der mikrochirurgische Anschluss
werden. erfolgt meist an die A. facialis oder an die A. labialis.
4 Wangenrotationslappen (nach Esser): Hautverschiebungen
von lateral eignen sich gut zur Rekonstruktion der Nasenseiten-
wände. 17.3.3 Rekonstruktion des Stützgerüsts
Defekte >2 cm Vorrangige Ziele sind hier eine Rekonstruktion der Nasenprojektion
Defekte >2 cm erfordern meist regionale Lappen. und die Durchgängigkeit der Atemwege. Zum einen wird das mitt-
130 Kapitel 17 · Rekonstruktion der Nase
a b
17
a b
c d
e f
lere Nasengerüst, zum anderen das seitliche Nasengerüst wiederher- ist, dass es bei einem partiellen Gewebeuntergang der Naseninnen-
gestellt. auskleidung oder des Stützgerüstes sekundär zu einer Kontraktion
Die Rekonstruktion des mittleren Nasengerüsts kann mittels der Rekonstruktion mit einer Distorsion kommen kann.
L-förmigem Rippenspan oder Knochenspan erfolgen, die auf die Wird in mehreren Schritten vorgegangen (»staged reconstruc-
Nasenwurzel gesetzt werden, meist in Form eines Hockeyschlägers tion«), beispielsweise bei großen Defekten im Bereich der Nasenin-
(. Abb. 17.3). Nachteil ist hier aber die geringe laterale Stabilität. nenauskleidung, ist dies oft sicherer. Nachteilig ist jedoch, dass es
durch Narbenbildung zu einer Versteifung des Gewebes kommen
kann, die eine spätere Nachbildung der Nase erschwert.
17.3.4 Rekonstruktion des lateralen
Nasengerüsts
17.3.6 Komplexe Rekonstruktionen
Flügelknorpel. Es können 4–6 mm breite Knorpelstreifen aus dem
Bereich des Septums oder der Koncha entnommen werden, um ei- Bei besonders ausgedehnten Weichteildefekten finden v. a. an der
nen oder beide Alaknorpel zu rekonstruieren. Frontobasis bei interdisziplinären onkologischen Resektionen mi-
krochirurgische Lappentransplantationen Anwendung.
Hier hat sich besonders der M. latissimus dorsi als universell
17.3.5 Innere Auskleidung der Nase einsetzbar und vorteilhaft erwiesen, da Lappengröße und -volumen
(»nasal lining«) gut an die Defektsituation angepasst werden können und die Durch-
blutung sehr sicher ist (s. a. Kapitel 14, . Abb. 14.8).
Hierbei ist beabsichtigt, sowohl die Struktur der Nase zu erhalten als
auch eine Kontraktion der Rekonstruktion zu verhindern.
17.3.7 Epithetische Versorgung
Eingeschlagene Lappen (»turn-in flaps«). »Turn-in-flaps« eignen
sich besonders, wenn ein skelettales Stützgerüst erst später wieder- Die Rekonstruktion mittels Prothese (Epithese) ist indiziert, wenn
hergestellt wird, weil sie zwei unabhängig voneinander durchblutete sich der Patient nicht für eine Operation eignet. Hier können osteo-
Oberflächen schaffen. Beispiel für einen eingeschlagenen regionalen integrierte Implantate mit einer Prothese mit gutem Erfolg angewen-
Lappen ist der Stirnlappen, der eine innere Auskleidung der Nase det werden. Gleichzeitig kann eine Brille angefertigt werden, die die
schaffen kann. Die äußere Bedeckung wird dann durch ein Vollhaut- Epithese meist noch unauffälliger macht.
transplantat, einen weiteren Stirnlappen oder einen Lappen aus der
Wangenregion gebildet. Literatur
Burget GC (1985) Aesthetic restoration of the nose. Clin Plast Surg12: 463–
Stirnlappen mit Hauttransplantat. Ein Vollhauttransplantat kann 480
auf die Unterseite des Stirnlappens gelegt werden, um so eine innere Burget GC, Menick FJ (1989) Nasal support and lining: the marriage of beauty
and blood supply. Plast Reconstr Surg 84: 189–202
Nasenauskleidung zu erreichen, alternativ kann ein Composite Graft
Burget GC, Mennick TJ (1994) Aesthetic restoration of the nose. Mosby, St
aus Haut und Knorpel vom Ohr verwendet werden oder ein chon-
Louis
dromukosales Segment aus dem Bereich des Nasenseptums, das man Jackson IT (1985) Local flaps in head and neck reconstruction. Mosby, St. Louis
auf die Spitze eines Stirnlappens setzt. Joseph J (1931) Nasenplastik und sonstige Gesichtsplastik. Kabitzsch, Berlin
Millard RD Jr (1967) Hemirhinoplasty. Plast Reconstr Surg 40: 440–445
Septale Türflügellappen. Diese Technik beinhaltet einen gefalteten Millard RD Jr (1996) A rhinoplasty tetralogy: corrective, secondary, congeni-
Lappen aus dem Bereich der Septumschleimhaut von ipsilateral in tal, reconstructive. Lippincott Williams & Wilkins
den Defekt, wobei ein angemessen großer Lappen aus septalem Washio H (1969) Retroauricular-temporal flap. Plast Reconstr Surg 43: 162–
Knorpel mit kontralateraler Schleimhaut anhängend gebildet wird. 166
a b c
. Abb. 18.2a–c Wedge-Resektion
a b c
. Abb. 18.3a–c Crikelair-Lappen oder »banner flap«. Das Ohr wird nach vorn gezogen und ein superior gestielter Lappen im retroaurikulären Sulkus gebildet
136 Kapitel 18 · Rekonstruktion der Ohren
18
a b c
. Abb. 18.5a–c Rundstiellappen
18.5 · Ohrverlust
137 18
a b
c d
. Abb. 18.6a–d Dieffenbach-Lappen zur Ohrrekonstruktion mittels retroaurikulärem Lappen
b
. Abb. 18.7a–c Brent-Lappen mit Koncha-Knorpel-Transplantat von der ein beidseits gestielter Lappen gebildet und als »Kofferhenkel« angehoben.
Gegenseite zur Rekonstruktion des unteren Ohrdrittels. Im 2. Schritt wird Die Entnahmestelle wird mit Spalthaut gedeckt
Eine ähnliche Operation kann auch im Bereich des unteren Ohr- 18.5 Ohrverlust
drittels durchgeführt werden. Hier ergibt die Abhebung des »Koffer-
henkels« eine bessere Definition der hinteren Koncha (. Abb. 18.7). Replantation. Bei totalem Ohrverlust kann eine mikrochirurgische
Ein Rundstiellappen kann zur Nachformung der unteren Helix und Replantation erfolgen. Allerdings sind die versorgenden Gefäße des
des Ohrläppchens verwendet werden. Ohres extrem klein, und die Anastomose ist daher sehr schwierig ist.
Zumindest sollte eine Anastomose der Arterie versucht werden, die
venöse Drainage erfolgt dann durch Auflage von Blutegeln.
138 Kapitel 18 · Rekonstruktion der Ohren
Literatur
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ginal defect of the ear. Plast Reconstr Surg 39 (5): 472
Adams WM (1955) Construction of upper half of the auricle utilizing compo-
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Brent B (1977) The acquired auricular deformity. Plast Reconstr Surg 59 (4):
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Plast Reconstr Surg 83 (4): 641
Eriksson E, Vogt PM (1992) Ear reconstruction. Clin Plast Surg 19: 637–643
18
19
Tumorentfernungen und Verletzungen am Augenlid führen häufig 19.3 Defekte des Augenlids
zu Defekten, die zu einer Beeinträchtigung des Sehens und stigma-
tisierenden Vernarbungen führen können. Die Rekonstruktion der > Die Haut und die Drüsen des Augenlids sind häufig von
Augenlider erfordert daher eine genaue Kenntnis ihrer Anatomie Tumoren betroffen, v. a. im Bereich des Unterlids (90% vs.
und eine äußerst exakte Operationstechnik. 10% am Oberlid). Die häufigsten malignen Augenlidtumo
ren stellen Basaliome dar. Plattenepithelkarzinome des
Augenlids sind selten, mechanische und Brandverletzun
19.1 Therapieziele gen dagegen häufiger.
Jede Rekonstruktion an den Augenlidern umfasst folgende Ziele: Die Prävention des Rezidivs nach Exzision eines Basalioms erfordert
4 Ersatz von innerer Auskleidung, Gerüst und Hautbedeckung, eine weite Exzision. Melanome in situ (Melanoma lentigo maligna)
4 Wiederherstellung einer Bedeckung der Kornea und der Funk- erfordern ebenso eine weite Exzision mit einem Sicherheitsabstand
tion der Tränengänge (Befeuchtung der Kornea), von mindestens 5 mm.
4 Möglichst optimales ästhetisches Ergebnis bei verschieblichen ! Cave
Weichteilen. Die Rekonstruktion des Augenlids sollte erst bei onkolo
gisch sicherer und pathologisch bestätigter Tumorfreiheit
durchgeführt werden. Der Defekt wird bis dahin offen be
19.2 Anatomische Grundlagen handelt.
a b c
a b c
. Abb. 19.2a–c Kombinierte Unterlidrekonstruktion durch Konjunktival- (a) und dort mit einem Vollhauttransplantat bedeckt (b). Der kraniale Teil
lappen und Vollhauttransplantat. Ein transkonjunktivaler Lappen aus dem wird mit dem M. levator palpabrae vernäht. Durchtrennung des Pedikels
evertierten Unterlid wird basal gestielt an die Reste des Oberlids geheftet nach 5–8 Wochen (c)
irritation durch verhornende oder haartragende epidermale Anteile > Kleine Defekte lassen sich meist primär verschließen, wo
wird die Mukosa über den Knorpel gezogen. bei ein vertikaler Narbenzug der Wundränder verhindert
werden sollte, um ein Ektropium (Eversion des Augenlids)
Vollschichtige Defekte zu vermeiden.
Hier sind gestielte »advancements« (nach Cutler u. Beard; . Abb. 19.1),
mukosale Umkipplappen des Unterlides mit Spalthaut (. Abb. 19.2) Analog zum Oberlid erfordern größere Defekte der Kutis einen
oder medial bzw. lateral gestielte Unterlidlappen (nach Mustardé; Hautersatz, am einfachsten durch ein Hauttransplantat aus der Re-
. Abb. 19.3) zur optimalen Rekonstruktion erforderlich. troaurikularregion oder aus überschüssiger Oberlidhaut. Vollhaut-
transplantate sind Spalthauttransplantaten hier meist überlegen, da
sie weniger zur Kontraktur neigen und meist eine bessere farbliche
19.3.2 Defekte des Unterlids Entsprechung und Textur bieten.
a b
c d
. Abb. 19.3a–d Lateral gestielter (a, b) und medial gestielter Unterlidlappen (c, d). (Mod. nach Mustardé 1983)
Phase Kennzeichen
1 Primärer Wundverschluss
von ihrer Ausdehnung nach dem in . Tab. 19.1 gezeigten Stufen- So sind Defekte, die bis zu 1/3 der Lidbreite umfassen, durch
schema rekonstruieren. Unterlidverschiebungen mit oder ohne Kantothomie sowie eine ad-
Ein primärer Wundverschluss kann meist bei Defekten erreicht ditionelle Kanthopexie rekonstruierbar (. Abb. 19.4, 19.5).
19 werden, die nicht mehr als 25–33% des Lidrands umfassen. Die tar-
sale Platte sollte exakt parallel exzidiert werden, um nach der Appro-
Bei erhaltener Mukosa eignen sich auch chondrokutane Kon-
chatransplantate, da sie eine stabile Abstützung gegenüber einem
ximierung keine störende Knotenbildung zu produzieren. vertikalen Zug und damit gegenüber der Ausbildung eines Ektropi-
Bei der Durchführung des tarsalen Release sind folgende Punkte ums darstellen. Aus dem Oberlid ergeben sowohl doppelt gestielte
zu beachten: Brückenlappen (nach Tripier) oder unilateral gestielte Hautmuskel-
Der Tarsus wird mit einer resorbierbaren 4-0-PDS-Naht appro- lappen des ipsilateralen Oberlids einen Weichgewebsersatz mit aus-
ximiert, die Haut mit nicht resorbierbarem Faden verschlossen. Bei gezeichneter Übereinstimmung von Farbe und Textur. Allerdings
Defekten von einigen Millimetern wird durch laterale Kanthotomie erfordern diese Lappenplastiken eine zusätzliche tarsale Abstützung,
mit Kantholyse so ein primärer Wundverschluss ermöglicht. Hierbei bzw. Faszienstreifenaufhängungen bei fehlendem Kanthus.
wird der untere Schenkel des lateralen Kanthusbändchens abgelöst, Vollschichtige Lappenplastiken des Oberlids verwenden wir
um eine Relaxation des lateralen Anteils des Unterlids zu erreichen. wie andere Autoren (Mustardé 1983) wegen der Alteration des
Die laterale Kanthotomie wird häufig superolateral durchgeführt, für den Augenschluss wichtigen Oberlides primär nicht. Chondro
um zusätzlich einen semizirkulären Lappen zu schaffen, der eine kutane oder mukokutane Konchatransplantate in Kombination
weitere Mobilisierung ermöglicht. Durch eine zusätzliche Z-Plastik mit Verschiebeschwenklappen oder Rotationslappen bieten dage-
können nochmals einige Millimeter gewonnen werden. gen nicht nur ausreichende vertikale Stabilität gegenüber Narben-
19.3 · Defekte des Augenlids
143 19
a b
c d
. Abb. 19.5a–d Defektverschluss des Unterlids nach Exzision eines Mela- (alternativ auch möglich mit orbital gestielten Perioststreifen) und externer
noms. Nach Resektion (a) wird die Konjunktiva mittels lokaler Schleimhaut- Weichteilrekonstruktion durch Wangenrotation nach Esser. Funktionell kei-
verschiebung verschlossen (b, c). Nach medialer Kanthotomie mit Verlänge- nerlei Einschränkungen nach 6 Wochen mit stabilem Unterlid (d)
rung der Lidkante erfolgt eine laterale Aufhängung mittels Faszienstreifen
zug und damit Ektropiumentwicklung, sondern schonen auch das Vorgehen. Zuerst erfolgt die Durchtrennung des unteren Schenkels
Oberlid. des lateralen Lig. canthale und der orbitalen Anheftungen, dann
Der Vorteil gestielter Lappen aus Lidanteilen ist, dass sie gleichzei- wird ein 1–2 cm messender Haut-Muskel-Lappen gehoben und me-
tig eine konjunktivale Innenauskleidung, ein Gerüst sowie einen dial in den Defekt hinein rotiert. Eine dreiecksförmige Gestaltung
Wimpern tragenden Hautersatz schaffen. Hierzu zählt auch der Lap- des Defektes erleichtert die Lappeneinpassung, und liefert zusätz-
pen nach Tenzel. Ursprünglich für die Rekonstruktion sowohl des liche Konjunktivalschleimhaut. Zur Formung des kanthalen Win-
Ober- als auch des Unterlids beschrieben, beinhaltet das Verfahren kels wird eine über einem Tupferwiderlager geknotete Matratzen-
einen modifizierten lateralen Verschiebe-Rotations-Lappen des naht angelegt (. Abb. 19.6).
äußeren Kanthus, mit dem bis zu 3/4 des Augenlids rekonstruiert wer- Bei Defekten von über 60–80% des Unterlides sind diese Techni
den können. Indikationen stellen subtotale Ober- und Unterlidge- ken jedoch nicht mehr möglich. Zur Rekonstruktion der Innenaus-
websverluste mit seitlichen Kanthusresten von mindestens 2 mm dar. kleidung und des Lidgerüsts kann entweder ein tarsokonjunktivaler
a b c
a b c
. Abb. 19.7a–c Tarsokonjunktivaler Lappen modifiziert nach Hughes. Neuere Modifikationen vermeiden eine Verletzung der tarsusnahen Konjunktiva am
Spenderoberlid
Lappen (modifiziert nach Hughes 1937, Ursprungsbeschreibung leicht entnommen werden und eignen sich selbst für die Rekons
durch Landolt 1881) oder ein chondromukosales Composite Graft truktion totaler oder nahezu kompletter Liddefekte. Diese Knorpel-
verwendet werden. Schleimhaut-Transplantate bedürfen einer zusätzlichen Lappen
In der Modifikation des tarsokonjunktivalen Hughes-Lappens deckung, entweder durch medial und lateral gestielte Hautlappen,
werden aktuell folgende Schritte durchgeführt (. Abb. 19.7): Wangenrotation oder einen doppelt gestielten Tripier-Lappen. So
4 Der tarsokonjunktivale Lappen wird mindestens 3–4 mm in- kann eine gut durchblutete Bedeckung der Transplantate geschaffen
nenseitig oberhalb des Tarsus gehoben. werden, selbst bei sehr ausgedehnten Defekten von bis zu 75% des
4 Transsektion des Müller-Muskels und der Levatoraponeurose Lidrandes (. Abb. 19.8).
am Oberrand der Tarsalplatte mit Dissektion knapp unterhalb
der Konjunktiva. Zusammenfassung
4 Bedeckung des Lappens durch Vollhauttransplantat. In . Tab. 19.1 werden die oben angeführten Rekonstruktionsverfah-
4 Abtrennung des Lappens nach 3–4 Wochen mit Sekundärhei- ren zur Ober- und Unterlidplastik zusammengefasst, die Komplika-
lung der mukokutanen neuen Lidkante. tionen zeigt die . Übersicht.
19
a b c
. Abb. 19.8a–c Kutaner Transpositionslappen des Oberlides zur Deckung von Knorperltransplantaten
19.4 · Ektropium (Eversion des Lidrandes)
145 19
4 Defekte von bis zu 25% des Augenlids können meistens durch
mehrschichtigen primären Wundverschluss verschlossen wer-
den. Kleinere mediale partielle Defekte können durch Sekundär-
heilung abheilen.
4 Für konjunktivale Defekte sind unbedingt Schleimhauttrans-
plantate notwendig. Dabei muss darauf geachtet werden, dass
von einer erheblichen Kontraktion des Transplantates ausgegan-
gen werden muss.
4 Ein dreieckiger Defekt sollte vor dem Verschluss in einen pen
tagonalen Defekt umgewandelt werden, da sich hierdurch die
Spannung der Wundränder und damit das Risiko für eine Lid-
retraktion erheblich vermindern lässt.
4 Eine hilfreiche Technik zur Rekonstruktion des Lidgerüstes ist
es, einen lateral gestielten Streifen vom Periost einzuschlagen,
der den Tarsus ersetzen kann.
Therapeutisches Vorgehen
Eine mediale kanthale Laxizität wird am besten durch direkte Raf-
fung korrigiert. Zudem existieren zahlreiche Vorschläge zur Keil
exzision. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, keine Knoten . Abb. 19.9a–c Laterale Kanthoplastik nach Jelks. Der Unterlidanteil des
bildung oder wulstige Narbenbildung mit Irritation des Bulbus zu lateralen Retinakulums wird abgetrennt (a), dann wird das freie Ende mit-
erzeugen. tels doppelter Schlingennaht (b) am Periost des Orbitarandes fixiert (c).
Bewährte Verfahren sind z. B. die pentagonale Vollschichtexzi- Neben der Korrektur des Ektropiums eignet sich das Verfahren zur Besei
sion oder eine laterale Kanthopexie. Wenngleich Keilexzisionen die tigung einer Laxizität bei negativem Vektor (Rückweichen des Jochbeins
Lidkante sehr effizient straffen, besteht doch eine Tendenz zur Run- gegenüber dem Bulbus) und des »scleral show« bei der Blepharoplastik
dung des lateralen Kanthus. Jelks et al. (1997) beschreiben eine late-
rale inferiore Kanthoplastik, die neben der Laxizität auch die Mal
position adressiert. Dabei wird über einen Zugang am Oberlid ohne
Tangieren des äußeren Unterlides der Anteil des Lig. canthale latera
le des Unterlids am Orbitarand mit nichtresorbierbarer Naht fixiert
(. Abb. 19.9).
146 Kapitel 19 · Rekonstruktion der Augenlider
a b
c d
19
e f
. Abb. 19.10a–f Auflösung eines massiven narbigen Ektropiums nach (b); das Composite Graft wird mit ausreichender Knorpelhöhe zur Erzielung
Strahlenfibrose durch vollschichtige Narbenlösung (a) und Einsetzen eines der notwendigen Abstützung entnommen. Überknüpfverband zur Ruhig-
chondrokutanen Konchatransplantates (b–e). Entnahme des Transplantates stellung im Situs (f)
19.6 · Ptosis des Augenlids (Blepharoptosis = Herabhängen des Lides)
147 19
Weitere Varianten, die allerdings allesamt die laterale Lid um sie vor Austrocknung und Schädigung zu bewahren. Chirur-
kante narbig extern verändern, umfassen die laterale Raffung gisch erfolgt eine horizontale Straffung des Augenlids von medial
entweder kutan (Lidspaltung und laterale Keilexzision) oder oder lateral. Es kann außerdem eine temporäre oder permanente
im Bereich des Lig. canthale laterale in zahlreichen Modifika Tarsorraphie durchgeführt werden. Bei permanenter Tarsorraphie
tionen. wird eine resorbierbare Naht zur Befestigung der oberen und unte-
Resultiert das Ektropium durch narbige Verziehung im Unter- ren Tarsalplatten aneinander durchgeführt. Mittels Goldgewicht
lidbereich, werden Transplantate erforderlich. Diese werden entwe- kann das Oberlid beschwert und ein Lagophthalmus verhindert
der allein nach konsequenter und gründlicher Beseitigung sämt- werden.
licher Narbenanteile oder in Kombination mit Faszienaufhängungen Narbenbedingte Formen werden durch Behandlung der zu-
oder supportiven Knorpeltransplantaten verwendet. Insbesondere grunde liegenden Ursache behandelt. Chirurgisch kann eine In
bei Verbrennungsfolgen oder Strahlenfolgen reicht u. E. eine reine zision des Narbengewebes mit vertikaler Verlängerung des Au
tarsale Raffung mit oder ohne Faszienstreifen nicht aus. Zusätzli genlids durch ein Vollhauttransplantat durchgeführt werden. Am
che, der Bulbuskonvexität folgende Ohrkonchatransplantate sor- Unterlid ist zudem eine gleichzeitige horizontale Verkürzung not-
gen für dauerhafte Stabilität des Unterlides gegen retraktive Kräfte wendig.
(. Abb. 19.10).
Technische Besonderheiten
Chirurgisches Vorgehen zur Rekonstruktion von Augenlid 4 Bei Patienten mit M. Basedow wird zunächst eine orbitale De-
und Kanthus kompression, dann Eingriffe zur Strabismuschirurgie und dann
4 Oberlid erst die Augenlidrekonstruktion durchgeführt.
– Oberlidrekonstruktionen erfolgen bei Defekten von bis 4 Bei Operationen am Augenlid sollte niemals versucht werden,
zu 1/3 durch primären Wundverschluss mit Rekonstruk das orbitale Septum zu verschließen.
tion des Lidrandes. 4 Bei Rekonstruktion des Unterlides sollte niemals eine vertikale
– Bei Defekten zwischen 1/3 und der Hälfte des Lidrandes Spannung entstehen, um ein Ektropium zu vermeiden.
erfolgt eine laterale Kanthotomie und Kantholyse mit 4 Vor allen Lidoperationen sollte eine ausführliche Fotodokumen-
Release des Lids lateral sowie Vorschub eines lateralen tation erfolgen, auch bei traumatischen Verletzungen des Au-
muskulokutanen Lappens. genlids.
– Defekte von 50–75% werden mittels semizirkulärem Ten- 4 Inzisionslinien sollten am Patienten vor der Injektion von Lokal-
zel-Lappen, der eine laterale Kanthotomie und Kantholy- anästhetika eingezeichnet werden.
se erfordert, zum Verschluss gebracht. Bei Defekten von
>75% erfolgt ein Cutler-Beard-Flap (. Abb. 19.1). Hierbei
Literatur
Codner MA, Weinfeld AB (2007) Comprehensive eyelid reconstruction. ANZ J
wird ein vollschichtiger Unterlidlappen vom Unterlidrand
Surg Suppl 1: A71
gehoben und in den Oberliddefekt eingenäht. Die Lap-
Erdogmus S, Govsa F (2007) The arterial anatomy of the eyelid: importance
pendurchtrennung erfolgt in einem 2. Schritt nach 2–3 for reconstructive and aesthetic surgery. J Plast Reconstr Aesthet Surg 60:
Wochen. Alternativ ist eine freie Transplantation eines 241–245
tarsokonjunktivalen Transplantates vom kontralateralen Jelks GW et al. (1997) The inferior retinacular lateral canthoplasty: a new tech-
Oberlid mit Bedeckung durch verbliebene Oberlidhaut nique. Plast Reconstr Surg 100: 1262
möglich. Jordan DR, Anderson RL, Nowinski TS (1989) Tarsoconjunctival flap for upper
4 Unterlid eyelid reconstruction. Arch Ophthalmol 107: 599–603
– Unterliddefekte von 33% oder weniger werden mittels McGregor IA (1973) Eyelid reconstruction following subtotal resection of up-
primärem Hautverschluss und Lidrandnaht versorgt. per or lower lid. Br J Plast Surg 26 (4): 346–354
Mustardé JC (1983) Reconstruction of eyelids. Ann Plast Surg 11: 149
– Bei Defekten von 33–50% ist eine laterale Kanthotomie
Okada E, Iwahira Y, Maruyama Y (1997) The V-Y advancement myotarsocuta-
und Kantholyse zusätzlich notwendig mit Vorschub eines
neous flap for upper eyelid reconstruction. Plast Reconstr Surg 100:
lateralen myokutanen Lappens.
996–998
– Bei Defekten von 50–75% erfolgt der Defektverschluss Pham RT (2005) Reconstruction of the upper eyelid. Otolaryngol Clin North
mittels semizirkulärem Lappen nach Tenzel, der in Form Am 38 (5): 1023–1032
eines Bogens entnommen wird. Tenzel RR, Stewart WB (1978) Eyelid reconstruction by the semicircle flap
– Außerdem kann ein Wangenvorschublappen nach technique. Ophthalmology 85: 1164–1169
Mustardé durchgeführt werden, auch zur Bedeckung Chandler DB, Gausas RE (2005) Lower eyelid reconstruction. Otolaryngol Clin
eines tarsokonjunktivalen Transplantats, das das hintere North Am 38 (5): 1033–1042
Augenlidgerüst wiederherstellt. Crestinu JM (1988) Reconstruction of the lower eyelid. Plast Reconstr Surg 82:
720
– Bei Defekten >75% kann ein tarsokonjunktivaler Lappen
Holds JB, Anderson RL (1993) Medial canthotomy and cantholysis in eyelid
vom Oberlid erfolgen, der axial gestielt ist und seine eige-
reconstruction. Am J Ophthalmol 116: 218–223
ne Blutversorgung mitbringt. Dieser Lappen wird mit Iliff CE, Iliff NT (1980) Partial and total reconstruction of the lower eyelid. Oph-
einem Vollhauttransplantat oder einem muskulokutanen thalmology 87: 272–278
Vorschublappen bedeckt. Hierbei muss in einem 2. Schritt Matsuo K, Sakaguchi Y, Kiyono M, Hataya Y, Hirose T (1991) Lid margin recon-
der Lappen eröffnet werden und ein neuer Unterlidrand struction with an orbicularis oculi musculocutaneous advancement flap
entstehen. and a conchal cartilage graft. Plast Reconstr Surg 87: 142–145
– Bei Defekten im Bereich des medialen Kanthus wird zu- Papp C, Maurer H, Geroldinger E (1990) Lower eyelid reconstruction with the
nächst das Tränengangsystem untersucht und ein kleines upper eyelid rotation flap. Plast Reconstr Surg 86: 563–565 (discussion
Silikonröhrchen eingelegt, damit sich der Gang wieder 566–568)
Rohrich RJ, Zbar RI (1999) The evolution of the Hughes tarsoconjunctival flap
regenerieren kann. Dann wird das mediale Lidbändchen
for the lower eyelid reconstruction. Plast Reconstr Surg 104: 518–522
dargestellt und gesichert.
19 – Kleine Hautdefekte heilen sekundär. Bei größeren Defek
ten ist ein Vollhauttransplantat notwendig, bei noch grö-
ßeren Defekten kann ein medialer Stirnlappen eingesetzt
werden.
– Bei Defekten im Bereich des lateralen Kanthus können la-
terale Tarsusstreifen verwendet werden, um den Unterlid-
tarsus am Periost des lateralen Orbitalrandes zu fixieren.
Hier kann auch ein periostaler Lappen zur Verlängerung
vom lateralen Orbitalrand zum verbliebenen lateralen
Augenlid verwendet werden. Haut- und Muskeldefekte
werden mittels muskulokutaner Vorschublappen oder
Vollhauttransplantate gedeckt.
20
Defekte im Lippenbereich entstehen in 95% infolge von Tumoren, > Bei allen chirurgischen Maßnahmen an den Lippen
daneben traumatisch, nach Verbrennungen (z. B. durch Stromka empfiehlt es sich, den Lippenrot-Haut-Übergang mit Me-
beln bei Kindern), seltener kongenital (Nävi, Hämangiome) nach thylenblau oder durch oberflächliches Ritzen mit dem
Infektionen und Vaskulitiden. Die Rekonstruktion der Lippen stellt Skalpell zu markieren, bevor die Lokalanästhesie in-
hohe Ansprüche, da sie eine wichtige ästhetische Komponente bil filtriert wird.
den und zudem für die verbale und nonverbale Kommunikation, das Bei Exzision werden vertikale elliptische Exzisionen
Essen, die taktile Gnosis und die Sexualität (Küssen) sehr wichtig bevorzugt. Diese sollten das Lippenrot in einem Winkel
sind. von 90° kreuzen und so parallel zu den Hautspannungs
linien verlaufen.
20.1 Anatomische Grundlagen Die Rekonstruktion der Schleimhaut geschieht bei kleinen Defekten
durch muskulomukosale VY-Vorschublappen.
Die Lippenregion besteht aus folgenden Untereinheiten: Axiale Lappenplastiken, basierend auf der A. labialis, können für
4 Oberlippe mit oberem Lippenrot (Vermillion), einer zentralen vollschichtige Defekte der Unterlippe von <1/3 der Lippenlänge ver
und zwei lateralen Untereinheiten und dem Philtrum, wendet werden.
4 Unterlippe mit unterem Lippenrot und einer langen zentralen
Einheit, die lateral bis an die labiomentalen Falten reicht.
20.3.1 Unterlippenrekonstruktion
Der N. facialis innerviert die mimische Muskulatur. Sein R. margi
nalis innerviert die Muskeln der Unterlippe und des Kinns, v. a. den Die Rekonstruktion der Unterlippe richtet sich nach folgendem Al
M. depressor anguli oris. Verletzungen dieses Nervenastes führen zu gorithmus:
einer abnormalen Elevation der Unterlippen auf der betroffenen Sei
te beim Lächeln. Vollschichtige Defekte von bis zu 1/3 der Lippe
Die sensorische Innervation der Oberlippe erfolgt durch den Diese können primär verschlossen werden. Hier eignen sich eine
N. labialis superior des N. infraorbitalis aus dem N. trigeminus. Die W- oder V-förmige Exzision und die schildförmige Exzision, die zu
Unterlippe wird durch den N. mentalis aus dem N. alveolaris infe längeren Wundrändern mit kürzerem Verschluss führt. Die geführte
rior des N. trigeminus versorgt. Er verlässt die Mandibula etwa in Sekundärheilung und sekundäre Korrektur des verheilten Defekts,
ihrer Mitte unterhalb des 2. prämolaren Zahns. v. a. nach Riss-Quetsch-Verletzungen und größeren Substanzver
Die Blutversorgung der Lippen entstammt den Aa. labialis supe lusten, hat sich im eigenen Vorgehen jedoch auch gut bewährt.
rior und inferior ausgehend von der A. facialis, die unterhalb des
M. orbicularis oris austritt. Defekte von 1/3 bis zu 2/3 der Unterlippe
Hier existieren 5 Haupttechniken zum Defektverschluss:
20.2 Funktion der Lippen Karapandzic-Lappen. Die kreisförmige Inzision um den Mund he
rum entspricht in ihrer Breite der Defekthöhe (. Abb. 20.1). Die
Eine Störung der oralen Kompetenz führt zum Auslaufen von Spei Dissektion erfolgt unterhalb der Haut und des subkutanen Gewebes
chel und Schwierigkeiten bei der Aufnahme fester oder flüssiger mittels vorsichtiger Spreizung des Gewebes, um die Innervation und
Nahrung. Sie kann bei einem Verlust der Sensibilität, der moto Gefäßversorgung des M. orbicularis oris zu erhalten. Die Refixation
rischen Innervation oder tiefen Defekten der Lippen auftreten. Eine des Modiolius (Muskelknoten am Mundwinkel, an dem sich die
verkleinerte Mundöffnung (Mikrostomie) kann ebenso zu Schwie Fasern der Gesichtsmuskeln miteinander vereinigen) an den M. or
rigkeiten beim Essen, der Zahnhygiene und der Reinigung und Re bicularis oris führt zu einer verbesserten oralen Funktion. Die
paratur von Zähnen führen und das Kauen beeinträchtigen. Hier Operation ermöglicht bei einzeitigem Vorgehen eine sensible Lap
kann eine Munddehnung mittels spezieller Instrumente versucht pendeckung, der Erhalt der Sphinkterfunktion bewahrt die orale
werden. Operationen an den Lippen führen im Langzeitverlauf zwar Kompetenz. Risiken sind jedoch eine auffällige Narbenbildung und
nur selten zu schweren Einschränkungen der Sprache, können aber die Ausbildung einer Mikrostomie.
dennoch durch stigmatisierende Verziehungen und Narben die zwi
schenmenschliche Kommunikation negativ beeinflussen. Estlander-Lappen. Die Lappenbreite sollte 1/3 bis die Hälfte der
Defektgröße betragen. Dies führt zu einer proportionalen Vermin
derung der Breite beider Lippen. Der Lappen wird so geplant, dass
20.3 Therapeutisches Vorgehen bei Lippen- er im mesolabialen Sulkus zu liegen kommt, damit er leichter rotiert
20 defekten und die Narben besser versteckt werden können. Die Höhe des Lap
pens entspricht der Defekthöhe (. Abb. 20.2).
Oberflächliche traumatische Läsionen werden entweder primär ver Diese Rekonstruktion führt meistens zu einer runden Mund
schlossen oder der Sekundärheilung überlassen. form, eine Kommissuroplastik kann später korrigierend ausgeführt
Spalthauttransplantate sind problematisch, da sie neben einer werden. Gefahr ist eine Asensibilität der rekonstruierten Lippe, die
ungenügenden Textur und Farbe narbig kontrahieren. zu unangenehmem Speichelverlust führen kann.
Auch bei größerer Ausdehnung vollschichtiger Defekte bevor
zugen wir eine geführte Sekundärheilung mit erstaunlichen spon Abbé-Lappen. Diese gestielte Lappenplastik wird vorrangig ange
tanen Korrekturtendenzen. Die dabei entstehenden Narbenzüge, die wendet, wenn ausreichend Lippengewebe vorhanden und die Kom
an der Oberlippe zu lippenspaltenähnlichen Narben führen, lassen missur nicht beteiligt ist. Sie kann sowohl bei Ober- als auch Un
sich sekundär mit geringerer operativer Narbenbildung korrigieren terlippendefekten verwendet werden. Bei Philtrumdefekten ist sie
als primäre lokale Lappenplastiken. schwieriger anzuwenden. Die Lappenhebung wird mit einer Ecke
20.3 · Therapeutisches Vorgehen bei Lippendefekten
151 20
a b
c d
. Abb. 20.1a–d Karapandzic-Lappen
a b c
. Abb. 20.2a–c Estlander-Lappen
am Zusammenstoß vom mittleren zum lateralen Drittel der Lippe Bernard-Operation. Diese wird angewendet, wenn nur noch Reste
durchgeführt. Die Breite der Gewebeentnahme sollte nicht mehr als des Lippengewebes vorhanden sind. Es erfolgt eine vollschichtige
2–3 cm betragen. Die Höhe des Lappens sollte der Höhe des Defekts Exzision des oberen Dreiecks. Lippengewebe wird dann aus der
entsprechen. Die Breite des Lappens wird meist so gewählt, dass sie Wange mobilisiert, dies führt zu einer geringeren Rate an Mikrosto
der Hälfte des Defekts entspricht, wobei sich bessere Resultate erge mien (. Abb. 20.4). Nachteil ist eine Störung der nasolabialen und
ben, wenn der Lappen dem Defekt in den Ausmaßen genau gleich nasomentalen Falte, bei asensibler Unterlippe kann es zu einem
kommt. Triefphänomen kommen. Die Modifikation nach Ginestet verlagert
Der Lappen kann medial oder lateral gestielt werden. Zur Pla die Dreiecksinzision lateral des Nasolabialsulkus und erhält damit
nung eignet sich eine Papierschablone, um auch den Rotationsbogen mehr M. orbicularis oris. Zudem wird eine rechteckige Exzision der
zu planen, wobei die Gewebemobilisierung beim Verschluss der Ent Unterlippe, z. B. bei Tumorentfernungen, durchgeführt.
nahmestelle mitbedacht werden muss (. Abb. 20.3). Mit diesen Lap
penplastiken können meist ästhetisch akzeptable Ergebnisse erreicht Modifizierte Bernard-Burow-Operation. Diese kann angewendet
werden. Nachteil ist, dass ein zweiter Operationsschritt zur Stiel werden, wenn nur noch ungenügend Lippengewebe vorhanden ist
durchtrennung erforderlich ist. und der Defekt >2/3 der Lippenlänge ausmacht. Hierbei werden
dreieckige nasolabiale Exzisionen von partieller Dicke in der Naso
labialfalte durchgeführt. Zur Rekonstruktion des Lippenrots wird
152 Kapitel 20 · Rekonstruktion der Lippen
a b c
d e
a b
Mundschleimhaut verwendet. Vorteil ist hier eine geringere Rate an lappen wie der M.-pectoralis-major-Lappen, M.-deltopectoralis-
20 Mikrostomien, weiterhin bleibt die labiomentale Falte unangetastet, Lappen oder freie Lappentransplantationen (z. B. Unterarmlappen)
und die Sensibilität ist meist gut. Bei fehlender Sensibilität und Mo durchgeführt werden.
bilität kann sich ein Triefphänomen ergeben.
Besondere Indikationen
Defekte von 2/3 und mehr der Unterlippe Nach Resektion des vorderen Lippenrots bei prämalignen und ober
Bei ausreichend Gewebe in der Defektumgebung an der Wange kann flächlichen malignen Tumoren kann ein labialer bukkaler Vorschub
ein Karapandzic-Lappen erfolgreich bei Defekten bis zu 80% der lappen verwendet werden. Bei der Dissektion sollten die Speichel
Länge der Unterlippe durchgeführt werden, wenn individuelle Fak drüsen mitgenommen werden, der M. orbicularis occuli und die
toren des Patienten, v. a. sein Alter, die Gewebeelastizität und die A. labialis jedoch geschont werden.
resultierende Mikrostomie beachtet werden. Alternativ ist eine Ber Für größere Defekte des Lippenrots eignet sich der »cross
nard-Burow-Operation möglich. Ist nicht ausreichend Gewebe zur lip mucosal flap«, es ist allerdings ein zweizeitiges Vorgehen not
Defektdeckung in der Umgebung vorhanden, müssen gestielte Fern wendig.
20.3 · Therapeutisches Vorgehen bei Lippendefekten
153 20
Literatur
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lambeau emprunté à l’autre lèvre. Rev Mens Med Chir 1: 344
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von Bruns V (1857/1860) Chirurgischer Atlas. In: Bildliche Darstellung der chi
rurgischen Krankheiten und der zu ihrer Heilung erforderlichen Instru-
mente, Bandagen und Operationen. II Abt: Kau- und Geschmacks-Organ.
. Abb. 20.5 Reverser Karapandjic-Lappen zur Rekonstruktion eines ausge- Tab XIII, XIV, X
dehnten Oberlippendefektes von Burow CA (1855) Beschreibung einer neuen Transplantations-Methode
(Methode der seitlichen Dreiecke) zum Wiedersatz verlorengenangener
Teile des Gesichts. Nauck, Berlin
Bei größeren mukosalen Defekten sind Zungenlappen möglich, Webster JP (1955) Cresentic peri-alar-cheek excision for upper lip flap ad-
jedoch aufgrund des ungünstigen kosmetischen Ergebnisses nur vancement with a short history of upper lip repair. Plast Reconstr Surg
noch selten in Gebrauch. 15: 434
Defekte nach totaler Entfernung des Lippenrots (Vermillionek Webster RC, Coffey RJ, Kelleher RE (1960) Total and partial reconstruction of
tomie/Lipshave-Operation) bedürfen eines Vorschubs der inneren the lower lip with innervated muscle-bearing flaps. Plast Reconstr Surg
Schleimhaut in Form eines doppelt gestielten Lappens, um den ent 25: 360
standenen Defekt des Lippenrots zu ersetzen.
Eine Stadieneinteilung nach dem histologischen Grading ist klinisch . Tab. 21.2 Einteilung der Lymphknotengruppen
nicht gebräuchlich.
Level Definition
. Tab. 21.1 TNM-Klassifikation der meisten Tumorerkrankungen der Mundhöhle und Oropharynx nach Primärtumor, regionären Lymphknoten [1]
und Fernmetastasen
TNM-Klassifikation Definition
T2 Primärtumor mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 4 cm in größter Ausdehnung
N2a Einzelne regionäre ipsilaterale Lymphknotenmetastase größer als 3 cm, aber kleiner als 6 cm
M1 Fernmetastasen
21.3 · Rekonstruktive Ziele
157 21
21.2 Neck Dissection
Die wichtigsten Ziele einer chirurgischen Rekonstruktion
> Nach dem therapeutischen Ziel unterscheidet man eine im Kopf-Hals-Bereich
prophylaktische von einer therapeutischen Neck Dissec- 4 Wiederherstellung der Symmetrie
tion. Bei der prophylaktischen Neck Dissection werden 4 Erhalt der strukturellen Integrität von Nase und Ohren
ohne eine nachgewiesene Metastasierung die Lymph (aus ästhetischen und funktionellen Gründen, z. B. zur
knoten entfernt. Ziel ist es, auch nicht sichtbare Mikrome- Befestigung von Brillen und Epithesen, zum Erhalt der
tastasen zu entfernen. Von einer therapeutischen Neck Nasenatmung)
Dissection spricht man, wenn bereits Metastasen in den 4 Erhalt der Öffnung und des Verschlusses von Augen und
Lymphknoten nachgewiesen sind. Ohren (Vermeidung des Risikos von Narbenkontrakturen)
4 Ersatz kompletter anatomischer Untereinheiten bei Rekons-
Nach der Operationstechnik wird eine radikale Neck Dissection von truktion größerer Defekte, um ein möglichst gutes ästhe-
einer funktionellen Neck Dissection unterschieden (Suen u. Goep tisches Ergebnis zu erreichen
fert 1987). Bei der radikalen Neck Dissection werden zu den 4 Erhalt oder Wiederherstellung einer Sprachfähigkeit, der
Lymphknoten noch folgende anatomische Strukturen entfernt (Crile Atmung und der Schluckfunktion
1906 u. Greene 1906): M. sternocleidomastoideus, M. sternothyreo-
ideus, M. sternohyoideus, M. omohyoideus, Glandula submandi
bularis, V. jugularis interna und N. accessorius. Nach dem Verlust
von Lymphknoten, Fett- und Bindegewebe, Speicheldrüsen, Blutge- 21.3.1 Rekonstruktive Ziele in Abhängigkeit
fäßen und Muskelgewebe ist mit funktionellen Einschränkungen zu von der anatomischen Region
rechnen.
Bei der funktionellen Neck Dissection werden die oben ge- Mittelgesicht
nannten Muskeln, der N. accessorius und die Glandula subman
> Vorrangige Zielsetzungen sind hier:
dibularis erhalten (Bocca et al. 1980). Die V. jugularis interna wird
4 Wiederherstellung der Kontur und Projektion
nur entfernt, wenn Lymphknoten mit der Vene verbacken sind. Die
4 Wiederherstellung der Maxilla
funktionelle Neck Dissection hat ein besseres kosmetisches und
4 Trennung der Mund- und Nasenhöhlen
funktionelles Ergebnis und muss nicht zwangsläufig mit einer
4 Ermöglichung einer prothetischen Versorgung, z. B.
schlechteren Lebenserwartung als die klassische Neck Dissection
des Periokularbereichs oder des Auges
einhergehen.
4 Erhalt der Funktion des Tränengangsystems
Sind Lymphknotenmetastasen eines Primärtumors auf einer
Halsseite nachgewiesen oder verdächtig, können bei der selektiven In dieser anatomischen Region kommen auch Prothesen mit gu
Neck Dissection selektiv die Regionen einer Halsseite entfernt wer- tem Ergebnis zum Einsatz. Sie können ohne oder in Kombination
den [7]. Die selektive Neck Dissection wird in supraomohyoidal mit einer Gewebetransposition oder -transplantation eingesetzt
(Level I–III), lateral (Level II–IV), posterolateral (Level II–V), ante- werden.
rior (Level VI) und anterolateral (Level I–IV) eingeteilt. Als regionale Lappenplastiken eignen sich der Deltopektorallap-
pen, der Temporalismuskellappen und der Stirnlappen zur Deckung
begrenzter Defekte. Nicht vaskularisierte Knochentransplantate
21.3 Rekonstruktive Ziele können zur Auffüllung knöcherner Lücken verwendet werden, be-
dürfen jedoch einer gut vaskularisierten Bedeckung und stabilen
> Patienten mit Tumoren im Kopf-Hals-Bereich haben oft Fixation.
nur eine begrenzte Lebenserwartung. Oft ist zusätzlich zur Bei freier Gewebetransplantation wird oft der osteokutane Radi-
operativen eine Radio- und Chemotherapie notwendig. alis-Unterarm-Lappen eingesetzt, der mit einem bis zu 10 cm langen
Das vorrangige Ziel ist es daher, möglichst einzeitig eine Radiusspan zur knöchernen Rekonstruktion entnommen werden
schnelle Rekonstruktion mit optimaler Funktion, niedriger kann. Weiterhin eignet sich gut der osteokutane Skapularlappen mit
Komplikationsrate und Morbidität durchzuführen. Dem oder ohne Hautinsel, bei größeren Defekten der M. latissimus dorsi.
Patienten ist möglichst lange eine gute Lebensqualität zu Alternative Möglichkeiten sind der Rectus-abdominis-Muskellap-
erhalten oder wiederzugeben. pen oder der ALT- (antero-lateral-thigh-) Lappen (Genden u. Jacob-
son 2005).
Diese Patienten werden multidisziplinär behandelt. Resektion von Für größere knöcherne Rekonstruktionen kann eine freie Fibu-
Tumoren des Nasopharynx, Larynx und der Mundhöhle sowie latransplantation angewandt werden.
Schädelbasis im Kopf-Hals-Bereich sowie die plastische Rekons-
truktion werden in Deutschland traditionsgemäß primär von Mandibula
Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen und Hals-Nasen-Ohren-Ärzten
> Vorrangige Zielsetzungen sind hier:
durchgeführt. Eine Beteiligung des plastischen Chirurgen erfolgt
4 Wiederherstellung der Gesichtskontur,
eher sekundär im Rahmen postonkologischer Fragestellungen
4 Erhalt der Zungenmobilität und
oder spezieller Komplikationen. Nachfolgend sollen daher die für
4 Wiederherstellung von Kaufähigkeit und Sprache.
den plastischen Chirurgen relevanten Aspekte kurz dargestellt
werden. Die Rekonstruktion großer Defekte erfolgt entweder sofort oder ver-
zögert (Genden u. Haughey 1996). Der Trend geht zur Sofortrekons-
truktion durch ein separates chirurgisches Team. Nachteil ist hier
jedoch die Frage der onkologisch gesicherten Resektion, die eine
verzögerte Versorgung ratsam erscheinen lässt.
158 Kapitel 21 · Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich
a b
Die Wahl des rekonstruktiven Verfahrens hängt von der Defekt- phisch die arterielle Gefäßversorgung geprüft werden. Meist wird
größe und der Lokalisation ab. Kleine knöcherne Defekte, v. a. lateral das linke Bein als Spender verwendet, da es für bestimmte Aktivi-
gelegen, bedürfen keiner knöchernen Auffüllung oder können mit täten weniger wichtig als das rechte Bein ist (z. B. Auto fahren).
autologen Spongiosatransplantaten aufgefüllt werden (Kildal et al. Der vaskularisierte Beckenkamm, versorgt durch die A. circum-
2001). Nicht vaskularisierte Knochentransplantate vertragen Strah- flexa ilium profunda, eignet sich aufgrund seiner leicht gebogenen
lentherapie sehr schlecht, hier besteht ein hohes Risiko für eine Os- Form v. a. zur Rekonstruktion der Mandibula. Es ist auch eine totale
teonekrose. Metallimplantate (z. B. zur Mandibularekonstruktion) Rekonstruktion der Mandibula möglich. Als weitere Knochenspen-
können als Platzhalter dienen; sie führen im Langzeitverlauf jedoch derareale kommen Radius, Rippen, Skapula und Ossa metatarsalia
häufig zu Problemen. in Frage.
Vaskularisierte Knochentransplantate sind die Methode der
Hals
21 Wahl, um größere knöcherne Defekte – v. a. anterior gelegene De-
fekte – zu verschließen. Diese Lappenplastiken unterstützen die
> Zielsetzung ist hier, wichtige vitale Strukturen wie Gefäße,
Knochenheilung, sind strahlenresistent und erlauben auch eine
Nerven und die Luftwege sicher zu bedecken.
zahnärztliche Versorgung mit osteointegrierten Implantaten. Hier
eignet sich am besten die freie Fibulatransplantation oder die freie Hier kommen v. a. folgende Lappenplastiken zum Einsatz (Teknos et
Beckenkammtransplantation. al. 2001):
Die freie Fibula, die durch Perforatoren aus der A. peronaea ver-
sorgt wird, kann mit einer Knochenkomponente von bis zu 26 cm, Gestielter M.-pectoralis-Lappen. Diese Technik eignet sich zur Be-
mit oder ohne zusätzliche Hautinsel, entnommen werden. Ein we- deckung des Halses (. Abb. 21.1, 21.2). Eine maximale Mobilisation
sentlicher Hebedefekt entsteht nicht. Präoperativ sollte angiogra- wird durch Durchtrennung der Muskelinsertion und der Fasern zur
21.3 · Rekonstruktive Ziele
159 21
Klavikula erreicht. Der Lappen wird durch die A. thoracoacromialis M.-trapezius-Lappen. Der Trapeziuslappen kann auf 3 verschie-
gespeist. dene Arten entnommen werden. Der superior gestielte Trapezius-
lappen (. Abb. 21.3) beruht auf der A. occipitalis und paraver-
21 Gestielter M.-latissimus-dorsi-Lappen. Der Lappen basiert auf
dem thorakodorsalen Ast der A. subscapularis und kann als ge-
tebralen Perforatoren. Diese Gefäßversorgung ist am zuverlässigsten
und erlaubt die Entnahme eines Hautareals lateral über der Skapu-
stielter Lappen unter dem M. pectoralis major oder subkutan ent- laspitze.
lang des vorderen Thorax getunnelt werden. Häufige Problematik ist Der inferior gestielte Trapeziuslappen beruht auf dem abstei-
die Serombildung an der Entnahmestelle, daher ist eine ausreichend genden Ast der A. transversa cervicalis und kann als Muskellappen
lange Drainage notwendig. Nachteil dieser Technik ist die notwen- oder muskulokutaner Lappen entnommen werden. Sein Rotations-
dige intraoperative Umlagerung des Patienten, v. a. wenn anteriore punkt liegt posterior an der Basis des Halses.
Halsdefekte gedeckt werden sollen. Der lateral gestielte Trapeziuslappen basiert auf der A. transver-
sa cervicalis über dem Akromion und eignet sich zur Deckung klei-
ner lateraler Defekte.
21.3 · Rekonstruktive Ziele
161 21
Deltopektorallappen. Der Deltopektorallappen wird durch Perfo-
ratoren aus der A. mammaria interna versorgt. Vorteil ist seine gute
Formbarkeit und der relativ weite Radius, der bis zum Mund reichen
kann. Nachteilig ist die relativ auffällige Entnahmestelle.
Mundhöhle
> Hauptziele sind der Erhalt der oralen Kompetenz, des
Mundbodens und die Wiederherstellung von Sensibilität
und Mobilität im Bereich des Mundes, insbesondere, um
die Aspirationsgefahr zu minimieren.
21
22
Axillär/Schulter 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
22.1.5 Operative Therapie und Planung 4 Paraskapularlappen
4 Skapulalappen
Die operative Rekonstruktion ist prinzipiell erreichbar über: 4 M.-serratus-anterior-Lappen
4 autologes Gewebe: freie und gestielte Muskellappen, Faszie, 4 M.-pectoralis-Lappen (gestielt an
freie oder vaskularisierte Rippen-Grafts, A. thoracoacromialis)
4 synthetisches Material: Teflon-, Acryl- und Prolene-Netze, 4 Dorsaler Oberarmlappen
Gore-Tex-Interponate, 4 Dorsale Filetlappen oder Spare-part-
4 »composite mesh«: Marlex-Netze. Transplantate (freier osteokutaner Unter-
armfiletlappen) bei Schulter-/Oberarm-
amputation
Die meisten Brustwanddefekte lassen sich mit ortsständigem mus
kulokutanem Gewebe therapieren, bei infektbedingten Defekten Mikrochirurgischer 4 A. mammaria interna
nach Sternotomie und anderen vorderen Brustwanddefekten meist Anschluss 4 A. thoracoacromialis
durch den M. pectoralis major. 4 »Thoraxwandast« der A. thoracodorsalis
4 AV-Loop (V. brachiocephalica → A. axilla-
> Diese Infektionen erfordern eine radikale Exzision aller ris, A. thoracoacromialis)
avitalen, infizierten und nekrotischen Gewebeanteile.
Fremdmaterial, wie z. B. Draht-Cerclagen, müssen entfernt
werden.
Für eine funktionell zufriedenstellende Rekonstruktion ist eine
Bei kurz zurückliegendem kardiochirurgischem Eingriff und unzu ausreichende Stabilität des knöchernen Thorax erforderlich. Hier
reichender Bindegewebeplatte zwischen Herz und Sternum muss kann die Weichteildeckung ausreichen, bei zu ausgedehnten knö
eine Restabilisierung des Sternums mit Cerclagen oder PDS-Kordel chernen Defekten oder unzureichendem Weichteilmantel stehen
erfolgen, um eine Verletzung des Herzens durch die scharfen Ster autogene oder synthetische Materialien zur Verfügung.
numkanten zu verhindern. Erst bei Keimfreiheit erfolgt dann die An körpereigenem Material kommen grundsätzlich Rippen
Deckung mit vitalem Gewebe. Bis zur Infektfreiheit hat – als additive oder Beckenkamm zur Stabilisierung zum Einsatz, an synthetischen
Interimsmaßnahme – die Vakuumtherapie einen festen Stellenwert Materialien Prolene-, Gore-Tex- oder Marlex-Netze zum Einsatz. Im
(Ennker et al. 2009). eigenen Vorgehen verzichten wir auf starre Rekonstruktionen, wie
Als weitere Optionen stehen der M. latissimus dorsi und der z. B. die von Thoraxchirurgen gern verwendeten Pallacos-Implan
M. rectus abdominis, rein muskulär oder muskulokutan, zur Verfü tate, und erzielen mit Nylon- (Prolene-) Netzen eine ausreichende
gung. Prinzipiell können diese Lappen frei oder als Insel-, Verschie Stabilität.
be- oder Rotationsplastiken eingesetzt werden (Hugo et al. 1994; Kavitäten, z. B. Postpneumektomiehöhlen oder insuffiziente
Latham et al. 2006), und diverse freie Lappentransplantate der un Bronchusstümpfe, erfordern größere voluminöse Transplantate.
teren Extremität sind einsetzbar. Aufgrund der in Rückenlage am Hier kommen vorrangig der gestielte M. latissimus dorsi, M. rectus
besten erreichbaren Lokalisationen sind als freie Lappen der Tensor- abdominis oder das Omentum majus in Frage.
fasciae-lata- und ALT-Lappen praktikabel. Eine Synopsis inkl. der
mikrovaskulären Anschlusssituation gibt . Tab. 22.1 wieder.
166 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand
22.1.6 Operationstechnik
M.-rectus-abdominis-Lappen. Die Gefäßversorgung erfolgt über Hinterkopfbereich. Er findet als horizontaler fasziokutaner Lappen
die A. und V. epigastrica superior und inferior und über Inter oder als vertikaler myokutaner Insellappen Verwendung. Bei der
kostalgefäße. Der M. rectus abdominis kann als kranialer gestielter Präparation des Muskels muss auf die Vermeidung von Nervenver
muskulokutaner TRAM- (transversaler Rectus abdominis) oder letzungen, insbesondere der Spinalnerven, geachtet werden.
VRAM-Lappen (vertikaler Rectus abdominis) eingesetzt werden
(. Abb. 22.5). M.-serratus-anterior-Lappen. Die Gefäßversorgung erfolgt über
Die Hauptindikationen sind: die A. und V. thoracodorsalis. Der Serratus kann als axialer Lappen
4 uni- oder bilateraler Aufbau der Brust, zur Rekonstruktion der Brustwand bei kleineren Weichteildefekten
4 Rekonstruktion der unteren Thoraxwandabschnitte, herangezogen werden, sein Einsatz ist jedoch durch seine anato
4 Defekte des Sternums (als kranial gestielter Muskellappen). mische Lage, Größe und die Rotationsbeschränkung limitiert. Der
Serratus kann bei Mitnahme des lateralen Anteils der VI. Rippe auch
Bei ausreichendem Hautmantel kann der Hebedefekt direkt ver als osteomuskulärer und als muskulokutaner Lappen verwendet
schlossen werden, wobei eine ästhetisch störende Wulstbildung ent werden. Er findet eher als freier Lappen für die peripheren Extremi
stehen kann. Bevorzugt sollte der M.-rectus-abdominis-Lappen täten Verwendung. Bei kompletter Entnahme resultiert eine Scapula
Verwendung finden bei intakter ipsilateraler A. mammaria interna. alata.
In bestimmten Fällen kann dieser Lappen auch nach Entfernung
der Brustarterien genutzt werden; die kollaterale Blutversorgung Omentum-majus-Lappen. Die Versorgung erfolgt über die Aa. und
über Interkostalgefäße kann ausreichen, die Perfusion der Hautinsel Vv. gastroepiploica dextra und sinistra. Aufgrund seiner guten Vas
ist jedoch dann weniger zuverlässig. In Zweifelsfällen ist die freie kularität und Füllmöglichkeiten bei distalen thorakalen Defekten
mikrovaskuläre Verpflanzung indiziert. werden Lappenplastiken mit dem großen Netz gern in thoraxchirur
gischen Abteilungen verwendet. Omentum-majus-Plastiken werden
M.-trapezius-Lappen. Die Gefäßversorgung erfolgt über die an der linken oder rechten A. gastroepiploica gestielt und von der
A. dorsalis scapulae und 2 Begleitvenen. Der M. trapezius wird eher großen Kurvatur des Magens und vom Querkolon abgelöst. Dabei
genutzt als gestielter Lappen für Defekte an Schulter-, Hals- und sollte ein Gefäßstiel von bis zu 12 cm, ausgehend von der A. gastro
168 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand
a b
22
. Abb. 22.4a–c Tiefer Defekt des mittleren und unteren Sternumdrittels (a).
Planung eines mit schräg orientierter Hautinsel gehobenen Latissimus-dorsi-
Lappens (b). Ventral verlagerter M. latissimus-Myokutanlappen mit präpek-
toralem Durchzug und sichtbarer präaxillarer Inzision nach humeraler Desin-
c
sertion (c)
22.1 · Brustwanddefekte
169 22
a b
epiploica, erhalten bleiben. In der Regel belässt man die rechte zeichnet ist. Sie lässt sich in eine chondromanubriale Form und in
A. gastroepiploica, da diese einen größeren Durchmesser aufweist. eine chondrogladiolare Form unterteilen (Latham et al. 2006; Hecker
Bei der Herausnahme des Lappens muss besondere Sorgfalt auf die et al. 1988a).
Zugempfindlichkeit dieses Gewebes gelegt werden, um Schäden am
umliegenden Gewebe zu vermeiden. Pectus excavatum. Der Begriff Trichterbrust wurde erstmalig von
Für den Patienten besteht jedoch auch hier die Nachteile eines Ebstein (1882) genutzt. Er beschreibt eine dorsale Verlagerung der
Zweihöhleneingriffs und des sekundären epigastrischen Hernien vorderen Thoraxwand kaudal der Manubrium-Corpus-sterni-Ver
risikos. Ein weiteres Problem, das die lokale Zone der Defektde bindung mit einer Beteiligung der Ringknorpel von der III–VII. Rip
ckung beeinflusst, ist die langwierige Sekretion sowie evtl. die Not pe. Die individuellen Ausprägungen können sehr unterschiedlich
wendigkeit von Hauttransplantaten. Ästhetisch besser und unkom sein, zeigen aber vielfach nach rechts verlagerte Asymmetrien und
plizierter sind fasziokutane oder Hautmuskellappen, die im eigenen stark vorgewölbte Rippenbögen, die oft zu einer typischen asthe
Vorgehen bevorzugt werden. nischen und nach vorn geneigten Körperhaltung führen (Hecker et
Die wichtigsten Rekonstruktionsoptionen in der Übersicht zeigt al. 1988b; Sigalet et al. 2003; Bawazir et al. 2005).
. Tab. 22.1.
Marfan-Syndrom. Im Zuge des Marfan-Syndroms und seiner Bin
Defektrekonstruktionen bei angeborenen degewebsanomalien kann es neben den typischen kardiovaskulären
Fehlbildungen Ausprägungen auch zu einer Einbeziehung des Skelettsystems mit
Pectus carinatum. Die Kielbrust (oder auch Hühnerbrust genannt) Ausbildung einer Trichter- oder Kielbrust kommen. Eine Korrektur
ist eine kongenitale Fehlbildung der Brustwand, die durch ein Vor erfolgt aus ästhetischen Erwägungen oder bei schwerer kardiopul
springen des Throrax im Bereich des vorderen Sternums gekenn monaler Dysfunktion. Die Rekonstruktion ergibt sich aus dem pa
170 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand
22 thologischen Hintergrund. Sowohl bei der Trichter- wie auch der Bei der Heparingabe muss auf die vorherige Medikation des Patien
Hühnerbrust zeigt sich vermehrtes pathologisches Wachstum des ten geachtet werden. Dies spielt insbesondere bei vorherigen Klap
Knorpel-Rippen-Ansatzes, das zu der typischen Einziehung oder penoperationen und bei Herzrhythmusstörungen eine Rolle. Die
Vorwölbung des Thorax führt. Mobilisation des Patienten sollte möglichst frühzeitig erfolgen, und
Die operative Rekonstruktion dieser Deformität erfordert eine zwar in der Regel innerhalb der ersten 24 h nach der Operation.
Reposition des Sternums durch multiple Osteotomien des selben Insbesondere ist auf eine ungestörte Magen-Darm-Passage zu ach
und der angrenzenden mitbetroffenen Rippenanteile. Die von Plas ten und die orale Alimentation frühzeitig anzustreben, wobei eine
22.2 · Defekte am Rücken
171 22
S ubileus- und Ileussymptomatik zuvor auszuschließen ist. Dies be Meist werden diese Defekte mittels lateralem Haut-/Weichteil-Ad
zieht sich v. a. auf Patienten mit intraperitonealem Operationszugang. vancement oder Brückenlappen durch Neurochirurgen versorgt,
nur etwa 25% erfordern eine Plastisch-chirurgische Deckung.
> Essenziell ist ein intensives Atemtraining zur Prävention
von Pneumonien.
Angeborene Pigmentnävi. Sie treten nicht selten am Rücken auf.
Da ein Lebenszeitrisiko einer malignen Entartung von ca. 15% gege
ben ist, wird eine frühzeitige komplette Exzision empfohlen, am
22.2 Defekte am Rücken besten im Kleinkindalter. Häufig ist eine Rekonstruktion durch
mehrfache Gewebeexpansionen möglich, die Expander werden
A. Gohritz ober- und unterhalb der Läsion platziert. Die Perfusionssicherheit
der gewonnenen Hautlappen kann durch Einbeziehung von paraspi
Defekte im Bereich des Rückens erfordern oft komplexe Rekons nalen Perforatorgefäßen erhöht werden.
truktionstechniken, die sich in den vergangenen Jahrzehnten durch
ein besseres Verständnis der Anatomie, v. a. hinsichtlich der Angio Erworbene Defekte
some, stetig fortentwickelt haben. Früher oft verwendete Techniken, Diese resultieren am häufigsten aus
wie z. B. die weite Unterminierung großer Hautlappen mit Wund 4 Unfällen,
verschluss unter Spannung haben aufgrund ihrer hohen Komplika 4 Infektionen,
tionsrate an Bedeutung verloren. 4 Verbrennungen,
Ziel moderner Techniken, besonders Lappenplastiken, die auf 4 Strahlenulzera,
Muskel- und Perforatorgefäßen basieren, ist eine einzeitige, sichere 4 Tumorresektionen und
Einbringung von gut perfundiertem Gewebe, die so zu einer stabilen 4 Druckgeschwüren (Dekubitus).
Wundbedeckung trotz der besonderen mechanischen Anforde
rungen am Rücken führt.
22.2.2 Chirurgische Therapie
22.2.1 Indikationsstellung Die Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens ist abhängig von
4 Größe,
Analyse der Defektsituation 4 Lokalisation,
Neben der Ätiologie und dem Ausmaß des Defektes ist die Lokalisa 4 Defektausmaß,
tion des Defektes (oberer, mittlerer oder unterer Rücken) ein wich 4 vorheriger Therapie (Operationen und Bestrahlung) sowie
tiger Faktor bei der Entscheidung, mit welchem Verfahren, v. a. mit 4 verfügbarem Restgewebe.
welcher Lappenplastik, die Rekonstruktion erfolgen soll.
Prinzipiell basiert die Operationsplanung auf einer eingehenden
Therapieentscheidung Anamnese und Untersuchung des Patienten und, wenn nötig, Bei
Nach Casas u. Lewis (1995) wird ein oberer (C3 bis T7), mittlerer ziehung anderer Fachrichtungen, z. B. der Neurochirurgie, Infektio
(T7 bis L1) und unterer Bereich (L1 bis S5) unterschieden. Bei der logie, Inneren Medizin (Pulmonologie) und Ernährungsberatung.
Wundbeurteilung ist auf eine Infektion, nekrotisches Gewebe sowie Eine Defektdeckung kann erst nach kompletter Entfernung aller
Exposition von Osteosynthesematerial, Knochen- oder Duraanteile nekrotischen und infizierten Anteile von Weichteilen, Knorpel und
zu achten. Knochen erfolgen.
Defektursachen > Ziel ist es, möglichst durch einzeitige Operation und in-
nerhalb kürzester Zeit eine stabile Wundbedeckung zu
Defekte im Bereich des Rückens können in angeborene und erwor
erreichen.
bene Ursachen unterteilt werden.
Zum Überblick über die Rekonstruktionsmöglichkeiten kann
Angeborene Defekte . Tab. 22.2 dienen.
Spina bifida. Diese ist mit ca. 1 von 800 Geburten der häufigste
Geburtsdefekt des zentralen Nervensystems und durch eine inkom Rekonstruktionsmethoden
plette Fusion der dorsalen Wirbel bedingt. Es werden 2 Formen un Die Rekonstruktionsmethoden reichen je nach Art des Defekts von
terschieden: der einfachen Spalthauttransplantation über lokale Lappenplastiken
4 Spina bifida aperta (cystica), bis hin zu mikrochirurgischen Gewebetransplantationen.
4 Spina bifida occulta.
Hauttransplantationen
Bei der Spina bifida cystica können 4 verschieden Varianten vor Diese eignen sich nur für oberflächliche Defekte, sind aber wegen
liegen: der Scherkräfte und Druckbelastung am Rücken oft zu wenig stabil.
4 Meningozele, Ihre Einheilung ist insbesondere in bestrahlten Gebieten unsicher.
4 Myelomeningozele,
4 Syringomyelozele, Lokale Lappenplastiken
4 Myelozele. Limberg- (Rhomboid-) Lappen. Rhomboidlappen können zur
Deckung kleiner Defekte am Rücken oder in der Sakralregion ver
Außer bei der Myelozele ist die epitheliale Bedeckung der neuralen wendet werden. Ihre Blutversorgung beruht auf dem subdermalen
Elemente intakt. Ziel ist eine Deckung mit gut durchblutetem Gewe Gefäßplexus. Sie können bei kleinflächigen Defekten, z. B. ober
be, um epitheliale Einrisse und nachfolgende Infekte zu vermeiden. flächlichen sakralen Dekubiti, angewandt werden (. Abb. 22.7).
172 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand
Rotationslappen. Sie sind für größere Defekte einsetzbar, die eine spinosi auf beiden Seiten erhalten, er reicht 2–3 cm über die gegen
dickere Bedeckung mit sicher durchblutetem Gewebe erfordern. überliegende Grenze der paraspinalen Muskeln hinaus. Vorteilhaft
Mit dem glutäalen Rotationslappen können tiefere sakrale Wunden ist die schnelle und relativ blutarme Hebung, bei der kein Muskel
verschlossen werden, z. B. bei Dekubitus, Bestrahlungsulkus oder gehoben werden muss. Nachteilig sind die geringe Dicke, die unsi
Meningomyelozele. Es handelt sich um einen inferior gestielten chere Durchblutung der Lappenspitze, der geringe Rotationsbogen
Haut-Fett-Lappen, der ein Längen-Breiten-Verhältnis von 1:1 er und die Unmöglichkeit, die Hebestelle primär zu verschließen.
laubt.
Interkostalisinsellappen. Hierbei handelt es sich um einen zuver
> Es empfiehlt sich, den Lappen eher größer zu planen.
lässigen, stabilen und sensiblen Insellappen, nützlich v. a. bei quer
schnittsgelähmten Patienten. Prinzipiell kann jedes interkostale Ge
Thorakolumbaler Lappen. Diese Lappenplastik ist medial gestielt fäß-Nerven-Bündel verwendet werden, eine Defektdeckung ist da
und kann aus dem hinteren thorakalen, lumbalen oder glutäalen her vom Nacken bis zum Os sacrum möglich. Die Breite des Lappens
Bereich gehoben werden. Er basiert auf Perforatoren der interkosta ist begrenzt, wenn die Hebestelle primär verschlossen werden soll.
22 len und lumbalen Gefäße und kann ebenso zur Bedeckung sakraler
Wunden verwendet werden. Skapular- und Paraskapularlappen. Die A. circumflexa scapulae
ist das dominante versorgende Gefäß dieser beiden Lappenplastiken.
Transverser lumbosakraler Rückenlappen. Dieser Lappen ist eine Der Skapularlappen besitzt eine horizontal ausgerichtete Hautinsel,
gute Alternative zur Deckung von mittleren bis großen Defekten im der Paraskapularlappen eine vertikale. Bei primärem Verschluss der
Bereich der unteren lumbalen, sakralen und kokzygealen Region. Hebestelle ist eine Lappenbreite je nach Hautelastizität von bis zu
Bei der Hebung wird der Gefäßstiel seitlich entlang der Mm. para 10–12 cm möglich.
22.2 · Defekte am Rücken
173 22
4 Bilaterale Vorschublappen: Diese basieren beidseits auf dem
. Tab. 22.2 Rekonstruktionsmöglichkeiten der dorsalen Rumpfregi- thorakodorsalen Gefäßstiel und können Defekte in der Rücken
on. Fettgedruckt die primären Optionen gestielter Lappenplastiken in mitte bedecken, ohne dass ihre Insertion abgelöst werden
den drei Hauptdefektzonen muss.
4 Reverse M.-latissimus-dorsi-Lappen: Der Muskel wird neben
Defektlokalisation Rekonstruktionstechnik
seiner thorakodorsalen Hautversorgung auch von praraspinalen
Zervikal 4 M.-trapezius-Lappen
Perforansgefäßen versorgt, hauptsächlich aus den 9.–11. Inter
4 M.-latissimus-dorsi-Lappen kostalgefäßen. Diese Perforatoren treten etwa 5 cm von der Mit
4 Freie Lappen tellinie entfernt nach oben, der Lappen kann an diesen Gefäßen
gestielt auch nach hinten verlagert werden. Die humerale Inser
Thorakal 4 M.-trapezius-Lappen
tion des Muskels wird durchtrennt, um eine Mobilisierung zu
4 M.-latissimus dorsi-Lappen
erleichtern. Nachteile dieser Technik sind die unsichere Perfusi
(gestielt, frei)
4 M.-serratus-anterior-Lappen
on in distalen Bereich des Lappens und der insgesamt sehr knap
4 VRAM (vertikaler Rektus-abdominis- pe Rotationsbogen.
Lappen, frei) und sonstige freie Lappen
Superior gestielter M.-glutaeus-maximus-Lappen. Dieser Lappen
Lumbal 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
wird v. a. bei lumbosakralen Wunden querschnittsgelähmter Pati
(evt. »reversed«, frei)
enten angewandt. Die A. glutaealis superior wird mit dem Doppler
4 M.-glutaeus-maximus-Lappen
4 Mm.-paraspinosus-Lappen lokalisiert, sie liegt meist etwa 3 cm lateral der Mittellinie und etwa
4 Perforatorlappen 5 cm unterhalb der Spina iliaca superior posterior.
4 Freie Lappen
M.-paraspinosus-Lappen. Dieser Lappen wird segmental aus me
Sakral 4 M.-glutaeus-maximus-Lappen
dialen und lateralen lumbalen Perforatoren versorgt. Der M. para
4 »glutaeal thigh flap«
4 Perforatorlappen
spinosus wird von seinem Ursprung an der Wirbelsäule abgelöst und
4 Freie Lappen dann stumpf von medial nach lateral vom M. multifidus, Processus
transversus, Mm. intertransversi und der Fascia transversalis. Die
Mirkochirurgischer 4 A. axillaris Technik ist relativ einfach und schnell, und sie kommt ohne eine
Anschluss 4 A. cervicalis descendens
weitere Inzision zur Muskeldissektion aus. Sie eignet sich gut für
4 »Thoraxwandast« der A. thoracodorsalis
lumbale Wunden.
4 A.V.-Loop (V. brachiocephalica → A. axil-
laris, oder V. saphena → A. femoralis
communis) mit dorsaler Verlagerung M.-rectus-abdominus-Lappen. Dieser Lappen wird von der A. epi
gastrica superior und inferior versorgt. Der auf dem paarigen Muskel
beruhende Lappen kann nur als Muskel- oder als Muskel-Haut-Lap
pen zur Deckung am seitlichen hinteren Thorax verwendet werden.
Gewebeexpansion Nachteil ist, dass zur Hebung eine Eröffnung der vorderen Rektus
Die Gewebeexpansion ist gerade bei Defekten an der posterioren scheide der Bauchwand notwendig ist. Bei langen zentralen Defekten
Thoraxwand sehr hilfreich, da sie eine Hautdeckung mit gleicher über der thorakalen Wirbelsäule bietet ein freier »extended« VRAM-
Dicke, Textur und Farbe bietet. Sie kommt v. a. bei großen angebo Lappen genügend Gewebe zur suffizienten Bedeckung bei z. B. frei
renen Nävi und instabilen Narbenarealen zur Anwendung. Bei aus ligenden Osteosnythesematerialien nach Wirbelkörperfusion.
gedehnten Flächen sind mehrere Teilschritte notwendig.
Fasziokutane Lappen
Axiale Muskel- und Muskel-Haut-Lappen Paralumbaler fasziokutaner Lappen. Dieser Lappen kann beidsei
Sie besitzen meist eine sehr sichere Blutversorgung und damit am tig verwendet werden, um einen Defektverschluss bei großen Mye
Rücken eine bessere Widerstandskraft gegenüber Infektionen und lomeningozelen zu erreichen. Die paraskapularen and skapularen
sonstigen Komplikationen. Sie erleichtern die Wundheilung durch ihr Abgänge der A. circumflexa scapulae versorgen die oberen lateralen
gut perfundiertes Gewebe, den Antibiotikatransport und die Plombie Anteile dieser Lappen. Ausläufer der A. circumflexa iliaca superfi
rung von tiefen Wundhöhlen, z. B. bei Patienten mit Querschnitts cialis versorgen die unteren lateralen Anteile. Die Präparationsebene
lähmung. Ihr Hauptnachteil ist jedoch der muskuläre Hebedefekt. liegt unmittelbar oberhalb der lumbodorsalen Aponeurose der lon
gitudinalen paraspinalen Muskelgruppen.
M.-trapezius-Lappen. Dieser Lappen besitzt eine dominante Perfu
sion durch die A. transversa colli und eine zusätzliche Versorgung Lateraler thorakaler fasziokutaner Lappen. Dieser Lappen wird
durch Äste der A. dorsalis scapulae, A. occipitalis und aus Perfora hauptsächlich vom Hautast der A. thoracica lateralis versorgt, 2 wei
toren der hinteren Interkostalgefäße (Typ II; . Abb. 22.8). Die kom tere Gefäße, die A. thoracica lateralis accessoria und der Hautast der
plette Muskelentnahme kann zu einem Herabsinken der Schulter A. thoracodorsalis, versorgen das gleiche Gebiet. Der superior ge
führen, meist bleibt die Schultergelenksfunktion aber weitgehend stielte Lappen erstreckt sich von der Axillarfalte bis zum 6. Interkos
erhalten. talraum und reicht bis zur Schulter und zum seitlichen Rumpf.
M.-latissimus-dorsi-Lappen. Die dominanten versorgenden Ge Glutaeal-thigh-Lappen. Die Haut der Oberschenkelrückseite kann
fäße sind die A. und V. thoracodorsalis, sekundäre segmentale Ge als fasziokutaner Lappen an der A. glutaealis inferior gestielt geho
fäße entstammen den posterioren Interkostalgefäßen und den ben werden. Die maximalen Ausmaße dieses Lappens liegen bei
Lumbalgefäßen (. Abb. 22.9). Diese exzellente Durchblutungssitua 10×35 cm, er kann also selbst große Sakraldefekte verschließen. Der
tion ermöglicht weitere Lappenvarianten: Lappen wird meist bis zur Glutäalfalte in der Schicht der tiefen Fas
174 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand
zie gehoben. Der Einschluss der unteren Hälfte des M. glutaeus ma rotiert. Die Muskelintegrität des M. glutaeus maximus wird erhalten,
ximus kann den Rotationsbogen erheblich erweitern. ebenso die Option aller an der A. glutaealis inferior gestielten Lap
penplastiken.
Perforatorlappen
Regionale Perforatorlappen ermöglichen die Deckung ohne die Lumbalarterienperforatorlappen. Der am 4. lumbalen Perforator
Notwendigkeit einer Muskelentnahme. Dies ist ein Vorteil v. a. bei (5–9 cm paramedian gelegen) gestielte Lappen, der bis zu 4 paarige
Patienten mit reduziertem Muskelpotenzial, z. B. Querschnittsge Gefäße mit den kräftigsten Abgängen aus der 2.–4. Lumbalarterie
lähmten. Die Lappenplanung kann nach Darstellung der relevanten enthalten kann, kann Haut von der posterioren Mittellinie bis nach
Perforatorgefäße (z. B. durch Dopplersonographie) individuell auf ventral zum Rektusmuskel tragen.
die Wundsituation angepasst werden.
A.-intercostalis-Perforatorlappen. Die interkostalen Perforatorans
> Aufgrund ihrer geringen Spenderdefektmorbidität sind
gefäße gehen etwa im Bereich der midaxillären Linie ab. Das ver
Perforatorlappen besonders wertvoll, wenn z. B. bei Deku-
sorgte Hautareal liegt über dem 9.–10. Interkostalraum. Es sind Lap
bituspatienten mit wiederholten Eingriffen gerechnet
pengrößen bis 18×25 cm möglich (. Abb. 22.1).
werden muss.
Omentum-majus-Lappen
Superior-glutaeal-artery-perforator- (SGAP-) Lappen. Die Lage Das Omentum majus kann auch am Rücken zur Deckung von kom
der A. glutaealis superior wird zunächst markiert. Sie liegt regelhaft plexen Wunden bis zu einer Größe von bis zu 600 cm2 eingeschwenkt
22 im 1. Drittel einer gedachten Linie zwischen Spina iliaca posterior werden. Die Versorgung basiert auf der A. gastroepiploica dexter
superior und dem Trochanter major. Verwendet werden die aus die oder sinister. Das gut durchblutete Netz wird durch eine retroperito
sem Gefäß abgehenden Perforansgefäße oberhalb des M. piriformis. neale Öffnung in der Fascia lumbalis zum Rücken mobilisiert. Zu
Diese liegen oberhalb einer gedachten Linie zwischen dem Trochan sätzlicher Vorteil ist die immunologisch wirksame Funktion des
ter major und einem Punkt in der Mitte zwischen Spina ilaca poste Omentum, Nachteil ist die Notwendigkeit des Zugangs zur Bauch
rior superior und Os coccygeum. Nach meistens sehr anspruchs höhle.
voller Stielpräparation wird der Lappen dann an seinem Perforator
22.2 · Defekte am Rücken
175 22
Die Lappenentnahme erfolgt meist in Bauchlage.
Als Anschluss eignen sich:
4 A. femoralis superficialis und profunda,
4 A. epigastrica inferior,
4 A. glutaealis superior und inferior,
4 A. lumbalis,
4 Aa. intercostales und
4 A. thoracodorsalis mit ihren Begleitvenen.
22.2.5 Komplikationen plications with Pectoralis Major myocutaneous advancement flaps. Plast
Reconstr Surg 93: 1433
Serombildungen sind am Rücken sehr häufig, v. a. im Bereich der Kuklik M (2000) Poland-Mobius syndrome and disruption spectrum affecting
the face and extremities: a review paper and presentation of five cases.
Entnahmestelle des M. latissimus dorsi, bedingt durch die großen
Acta Chir Plast 42 (3): 95–103
sezernierenden und gegeneinander verschieblichen Wundflächen.
Latham K, Fernandez S, Iteld L, Panthaki Z, Armstrong MB, Thaller S (2006)
Redon-Drainagen sollten daher für mindestens 1 Woche belassen Pediatric breast deformity. J Craniofac Surg 17 (3): 454–467
werden. Eine straffe Kompressionsbandage der Hebestelle unter Sigalet DL, Montgomery M, Harder J (2003) Cardiopulmonary effects of closed
engmaschiger Kontrolle des frei gelagerten Lappenstiels wird im ei repair of pectus excavatum. J Pediatr Surg 38 (3): 380–385
genen Vorgehen für mindestens 3 Wochen angelegt. Persistierende Steinau HU et al. (1997) Reconstructive plastic surgery of thoracic wall defect.
Flüssigkeitsansammlungen sind unter sterilen Bedingungen zu Chirurg 68: 461–468
punktieren. Bei lang andauernden Seromen kann auch eine Injekti
on von verklebenden Substanzen (z. B. Tetrazyklinen) durchgeführt
werden. Literatur zu 7 Kap. 22.2
Hämatome treten eher selten auf, wenn vor dem Wundver Ao M, Mae O, Namba Y et al. (1998) Perforator-based flap for coverage of
schluss auf eine sorgfältige Blutstillung geachtet wird. Sie können lumbosacral defects. Plast Reconstr Surg. 101: 987–991
aber durch Kompression, v. a. auf den Gefäßstiel, bis zum kompletten Bostwick J 3rd, Scheflan M, Nahai F et al. (1980) The »reverse« latissimus dorsi
muscle and musculocutaneous flap: anatomical and clinical considera-
Lappenverlust führen.
tions. Plast Reconstr Surg 65: 395–399
Wunddehiszenzen entstehen durch insuffizienten Wundver
Casas LA, Lewis Jr VL (1995) A reliable approach to the closure of large ac-
schluss und lokale Durchblutungsstörungen. Wir verwenden der quired midline Clin Plast Surg 22: 167
male Nähte mit langer Resorptionszeit (PDS), die in Zonen größerer Cohen M, Yaniv Y, Weiss J, Greif J, Gur E, Wertheym E, Shafir R (1997) Median
Spannung auch als Schlingennähte angelegt werden, und bevorzu sternotomy wound complication: the effect of reconstruction on lung
gen resorbierbares Hautnahtmaterial. function. Ann Plast Surg 39 (1): 36–43
Randständige Lappennekrosen sind meistens unproblema Daniel RK, Kerrigan CL, Gard DA (1978) The great potential of the intercostal
tisch, wenn der zentrale Lappenanteil fest auf der Unterlage einheilt, flap for torso reconstruction. Plast Reconstr Surg 61: 653–665
und lassen sich sekundär zur Abheilung bringen. Bei gestautem Lap Dumanian GA, Ondra SL, Liu J et al (2003) Muscle flap salvage of spine wounds
pen kann eine lokale Ischämie durch teilweises Entfernen der Nähte with soft tissue defects or infection. Spine 28: 1203
Hill HL, Brown RG, Jurkiewicz MJ (1978) The transverse lumbosacral back flap.
gebessert und damit eine Lappenteilnekrose verhindert werden.
Plast Reconstr Surg. Aug 62: 177–184
Bei Infektionen muss zunächst alles infizierte und avitale Gewe
Hochberg J, Ardenghy M, Yuen J et al. (1998) Muscle and musculocutaneous
be entfernt werden, bevor ein erneuter Wundverschluss geplant wer flap coverage of exposed spinal fusion devices. Plast Reconstr Surg 102:
den kann. Die häufigsten Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, 385
Hämatombildung und Verbleiben von nekrotischem Gewebe in der Hung SJ, Chen HC, Wei FC (2000) Free flaps for reconstruction of the lower
Wunde. back and sacral area. Microsurgery. 20: 72–76
Meningitis ist eine gefährliche Komplikation v. a. bei spinalen Kroll SS, Rosenfield L (1988) Perforator-based flaps for low posterior midline
Defekten mit Exposition der Meningen und Austritt von zerebrospi defects. Plast Reconstr Surg. 81: 561–566
naler Flüssigkeit.
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Literatur zu 7 Kap. 22.1
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Hugo, NE, Sultan, MR, Ascherman, JA, Patsis, MC, Smith, CR, Rose, EA (1994)
Single-stage management of 74 consecutive cases sternal wound com-
23
Bauchwanddefekte
I. Ennker
23.1 Rekonstruktionen mit Lappenplastiken chirurgischen Lappenplastiken muss der Status der Anschlussgefäße
vorliegen. Neben einer Doppleruntersuchung kann eine Angiogra-
23.1.1 Indikationen phie oder eine DSA indiziert sein. Die präoperative Vorbereitung
entspricht der bei Thoraxwanddefekten (7 Kap. 22).
Bauchwanddefekte stellen ein häufiges klinisches Erscheinungsbild
dar und werden meist allgemeinchirurgisch therapiert. Gelegentlich
sind sie jedoch nicht mit ortsständigem Material zu verschließen 23.1.3 Vorbereitung und Aufklärung
und erfordern eine komplexe Rekonstruktionsmaßnahme. Eine
Lappenplastik ist indiziert, wenn eine Defektdeckung mit stabilem, Diese entsprechen dem Vorgehen vor Thoraxwandeingriffen
gut durchblutetem Gewebe erforderlich ist. Die häufigsten Fälle (7 Kap. 22).
(. Übersicht), die eine plastisch-chirurgische Rekonstruktion benö-
tigen, werden nachfolgend erörtert.
23.1.4 Ziele der Rekonstruktion
Bauchwanddefekte mit Indikation zur plastisch-
chirurgischen Rekonstruktion
Primäre Ziele
4 Bauchwandinfektionen mit Verlust von Weichteilen
4 Deckung vitaler intraabdomineller Strukturen
4 Ausgedehnte Tumorresektionen
4 Wiederherstellung der Funktionalität
4 Nekrotisierende Fasziitis
4 Stabilisierung der Bauchdecke
4 Trauma
4 Berücksichtigung ästhetischer Aspekte
4 Mehrfachrezidive von Hernien
4 Angeborene Bauchwanddefekte (Gastroschisis,
Omphalozele, Aplasien) Die Rekonstruktion der Bauchwand ist abhängig von Umfang und
Art des zu ersetzenden Gewebes. Bei Infektionen oder Nekrosen ist
ein Débridement voranzustellen.
Insgesamt ist die Hernie der häufigste Eingriff aller Bauchwand
! Cave
defekte mit einem Anteil am Patientengut von ca. 10–20%. Eine
Ein spannungsfreies Vorgehen ist unabdingbar, ein Bauch-
Rezidivhernie ist eine häufige Indikation für rekonstruktive Maß
deckenverschluss niemals bei Gefahr eines abdominellen
nahmen.
Kompartmentsyndroms zu erzwingen.
Als kongenitale Defekte sind die Gastrochisis und die Omphalo-
zele zu nennen. Als Gastroschisis wird eine pränatal spontan entste-
hende häufig rechts vom Nabel gelegene Fehlbildung der Bauchwand
beim Fetus bezeichnet, die durch den Vorfall von Darmschlingen 23.1.5 Operationsplanung
gekennzeichnet ist. Eine Omphalozele ist eine Nabelschnurhernie,
die durch eine Fehlbildung der Bauchwand beim ungeborenen Kind Eine Rekonstruktion ist prinzipiell mit autogenem oder synthe-
hervorgerufen wird. Es treten Teile der Bauchorgane, insbesondere tischem Material zu erreichen. Als autogenes Gewebe stehen freie
Teile des Darms, durch den Nabel hervor und verbleiben anschlie- oder gestielte Muskellappen, Faszie oder Hauttransplantate zur Ver-
ßend in der sackartig aufgeblähten Nabelschnur. fügung, als synthetische Materialien Teflon-, Acryl-, Prolene-, Gore-
Sarkome, Liposarkome und Rhabdomyosarkome sind die am Tex- und Composite-Produkte.
häufigsten auftretenden malignen Tumoren der Bauchwand. Metas- Bei Bauchwanddefekten nach abdominellen Traumata müssen
tasen anderer Primärtumoren sind selten. Desmoidtumoren (aggres- die intraabdominalen Verletzungen zuerst versorgt werden. An-
sive Fibromatome) sind lokal invasiv wachsende benigne Tumoren, schließend erfolgt ein chirurgisches Débridement aller nicht vitalen
die zu Rezidiven neigen und mit einem ausreichenden Sicherheits oder infizierten Anteile der Bauchdecke. Wenn möglich, sollte ein
abstand reseziert werden müssen. Gleiches gilt für das selten auftre- primärer, spannungsfreier Wundverschluss in der Linea alba an-
tende dermale Neoplasma, das Dermatofibrosarcoma protuberans. gestrebt werden. Die Indikation zu Second-look-Operationen ist
Postoperative Infektionen führen zu einer erhöhten Rate an großzügig zu stellen.
Narbenhernien und ggf. zu Weichteilverlusten, die je nach Rezidiv Ein primärer Wundverschluss gewährleistet meist die Wieder-
anzahl und Umfang einer plastischen Deckung bedürfen. Eine pri- herstellung der normalen Funktion des M. rectus abdominis und
märe nekrotisierende Fasziitis ist selten, jedoch mit einer sehr hohen führt oft zu einer vollständigen Heilung der Wunde. Das Auftreten
Letalität assoziiert, und hinterlässt teilweise ausgedehnte Weichteil- von Zugspannungen sollte während des Wundverschlusses vermie-
verluste. den werden, weil es zu akuter Dehiszenz oder bei länger andauernder
Spannung zu Hernien führen kann. Auch die Entwicklung eines ab-
> Das Verletzungsausmaß und die Ätiologie der Bauchwand
dominellen Kompartmentsyndroms mit Ileussymptomatik kann bei
verletzungen bestimmen letztlich die operative Strategie.
erzwungenem Wundverschluss resultieren.
Falls ein Verschluss der Faszie nicht spannungsfrei möglich ist,
kann die Nutzung eines synthetischen Netzes eine Alternative sein
23.1.2 Diagnostisches Vorgehen (Mathes et al. 2000). Auch die Vakuumtherapie hat einen Stellenwert
zum Interimsverschluss des Abdomens (Scott et al. 2005, Lambert
23 Als diagnostische Maßnahmen sind neben der ausführlichen Anam- et al. 2005). Prothetische Materialien können temporär oder per
nese und der klinischen Untersuchung bildgebende Verfahren wie manent eingesetzt werden. Beim temporären Einsatz kann nach
Sonographie, TEE, CT und MRT nützlich, um Aufschluss über mög- Ausheilung des Ödems oft ein direkter Verschluss in der Linea alba
liche Tumoren, Infektionen und deren Ausmaß zu geben. Vor mikro erfolgen (. Abb. 22.1).
23.1 · Rekonstruktionen mit Lappenplastiken
179 23
Permanente synthetische Implantate sollten auf der Innenseite In den Fällen, in denen der Einsatz prothetischer Materialien
der Bauchwand angebracht werden, da nur so eine erneute Hernien nicht indiziert ist, kann die Therapie der Bauchwanddefekte auch
entstehung verhindert werden kann. Je nach Material muss ein di- mit ortsständigem Gewebe oder Lappenplastiken erfolgen. Beim
rekter Kontakt mit dem Darm mit Verwachsungen und daraus resul- Verschluss mit ortsständigen Geweben kommen im Wesentlichen
tierenden Darmfistelungen vermieden werden. Bei intaktem Omen- die Komponentenseparationstechnik von Ramirez und Dellon – in
tum majus kann dieses interponiert werden. Sollte kein autogenes den 1990er-Jahren eingeführt (Ramirez et al. 1990) – und die »fascial
Gewebe zur Verfügung stehen, ist GoreTex als Interponat zwischen partition« oder auch »musculofascial release« von Levine et al.
Darm und synthetischem Netz eine Alternative. Andere Materialien (2001) in Frage.
wie Vicryl-Netze bleiben nicht dauerhaft erhalten und sind daher Bei der Komponentenseparationsmethode wird der M. rectus
v. a. hilfreich, wenn es nur auf einen temporären Verschluss an- abdominis und die Faszie zur Mittellinie hin mobilisiert. Die Faszien
kommt oder um einen primären Wundverschluss zu unterstützen des M. obliquus internus und des M. transversus abdominis werden
(McCarthy et al. 2005, Thorne u. Beasly 2006). Auch besteht die mobilisiert und posterior am lateralen Rand der Rektusscheide fi-
Möglichkeit, auf ein interponiertes Vicrylnetz Spalthaut zu trans- xiert, während die Faszie des M. obliquus externus komplett inzi-
plantieren, wodurch zwar kein funktionell stabiler Verschluss, zu- diert wird und so nach lateral zurückweicht. Mit dieser Technik
mindest aber ein Wundverschluss erreicht werden kann. lassen sich kleine bis mittlere Defekte verschließen.
Wir bevorzugen im eigenen Vorgehen Netze aus Prolene-Mate- Die Musculofascial-release-Technik besteht aus je 2 vertikalen
rial (in neuerer Zeit auch Produkte mit resorbierbarer Beschich- parasagittalen bilateralen Inzisionen des M. obliquus externus und
tung), da eine sehr gute Langzeitstabilität und auch eine sichere bin- des M. transversus abdominis. Die Schnittführung erfolgt von der
degewebige Einheilung möglich ist, sowie azellularisierte Dermis viszeralen Seite aus. Durch die so erreichte Relaxierung der Bauch-
(Strattice). decke können auch mittlere bis größere Defekte verschlossen wer-
a b
c d
. Abb. 23.1a–d Hernienverschluss bei Zustand nach Abdomen apertum nach Peritonitis. Offene Bauchwandrevision, Mayo-Faziendoppelung, Narbenex-
zision und Haut-Advancement
180 Kapitel 23 · Bauchwanddefekte
den. Der M. obliquus internus bleibt intakt. Alternativ kann auch der
M. obliquus internus inzidiert werden, und der M. transversus ab-
dominis bleibt intakt.
Eine Expansionsbehandlung kann bei verzögerter Rekonstruk-
tion oder bei pädiatrischen Patienten mit Geburtsdefekten der
Bauchwand indiziert sein. Bei akuten Infektionen ist diese Technik
kontraindiziert. Bei medianen Bauchwandhernien und noch ausrei-
chendem Eigenmaterial ist eine Fasziendopplung nach Mayo anzu-
streben (. Abb. 23.1). Lappenplastiken sind indiziert, wenn kein
Verschluss mit ortsständigem Eigengewebe oder synthetischem Ma-
terial möglich ist.
23.1.6 Operationstechnik
a b
c d
. Abb. 23.3a–d Expandervordehnung und Hautlappenausbreitung zur ästhetischen Korrektur einer ausgedehnten Verbrennungsnarbenfläche
McCarthy JG, Galiano RD, Boutros S (2005) Current therapy in plastic surgery.
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23
24
a b
4 Akute arterielle oder venöse Arrosions 4 Tiefe Osteomyelitis des Knochens im 4 Schnellerer Wundverschluss und bessere Weich
blutung Dekubitusgrund teilbedeckung
4 Schwere Sepsis (immer unter intravenöser 4 Gelenkbeteiligung im Dekubitusgrund, 4 Elimination eines möglichen septischen Herdes
Antibiotikagabe; in der Akutphase v. a. des Hüftgelenks 4 Verminderung der chronischen Schmerzen
nur Débridement, niemals plastische 4 Multiple tiefe Dekubitalulzera 4 Erleichterung der Pflege und Senkung der Be
Deckung) handlungskosten
4 Narbenkarzinom 4 Möglichkeit der Verlegung nach Hause oder in
ein Altersheim
4 Prophylaxe des Wundinfektes
> Bei kachektischen onkologischen Patienten wie auch bei Bei geplanten Resektionen bzw. Débridements im kleinen Be
den unten besprochenen Dekubituspatienten ist eine nu- cken ist eine präoperative Ureterenschienung eine protektive Maß
tritive Verbesserung zum Ausgleich von Mangelzuständen nahme zum Schutz der Harnleiter im oftmals fibrosierten und be
(insbesondere Gesamtprotein, Gerinnungsstatus, Vita- strahlten Situs.
mine) unabdingbare Voraussetzung zur Optimierung des
Heilungsverlaufs. Dekubitus
Die Therapie des Dekubitus ist immer ganzheitlich zu betrachten, es
Auch empfiehlt sich eine konsequente, bereits präoperativ einge ist die Grunderkrankung zu berücksichtigen sowie die Tatsache, dass
leitete Physiotherapie inkl. Atemtraining. die Betroffenen meistens unter nutritiven Defiziten leiden. Entschei
186 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken
. Tab. 24.2 Möglichkeiten der Defektdeckung mit gestielten Lappenplastiken bei onkologisch bedingten Defekten
a b
c d
. Abb. 24.2a–d Palliative Operationsindikation bei 34-jährigem Patienten. len Resektion des knapp 3 kg schweren Tumors (lokal noch knapp R0) und
Exulzeriertes blutendes Rezidiv eines malignen neuroektodermalen Tumors Defektdeckung mittels gestieltem M.-rectus-abdominis-Lappens. Danach
mit Lymphknotenpaketen in der linken Leiste im Strahlenfeld sowie pulmo wieder selbstständige Mobilität, Erholung und Möglichkeit der Durchfüh
nalen Metastasen. Bei Arrosionsblutung, Kachexie und schwierigem Wund rung einer erneuten radikalen Radiatio und einer Chemotherapie
pflegezustand des fötide superinfizierten Ulkus Durchführung einer radika
Die heute zur Verfügung stehenden Methoden der Defektde In der Mehrheit handelte es sich bei den Patienten im eigenen
ckung basieren auf der Verlagerung gut durchbluteter Gewebe, die Kollektiv um solche, bei denen Folgezustände nach Exenterationen
neben Haut und Muskel auch vaskularisierten Knochen beinhalten vorlagen. Hierbei ist insbesondere der Beckenausgang betroffen. Bei
können. einzeitigen kombinierten onkologischen und plastisch-chirur
gischen Eingriffen kann sehr einfach mittels Durchzug eines sakra
> Primär ist immer auf das Vorliegen infektfreier Wundver-
hältnisse zu achten.
Bei der Auswahl der Lappenplastik wird unter dem Primat der ein
fachsten und besten Defektdeckung im Sinne der therapeutischen . Tab. 24.3 Möglichkeiten der Defektdeckung mit freien Lappen
plastiken
Leiter vorgegangen. . Tab. 24.2 und 24.3 geben die Möglichkeiten der
Defektdeckung mit gestielten Lappenplastiken und mit freien Lap
Gefäßsystem Freie Lappenplastiken
pentransplantaten bei onkologisch bedingten Defekten wieder.
Entsprechend dieser Systematik kommen im eigenen Vorgehen Subskapularsystem 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
der primäre Wundverschluss durch Hautweichteil-Advancement, (paravertebrale 4 Skapular-/Paraskapularlappen
regionale Verschiebeschwenklappen (Glutaeus maximus), regionäre Perforatoren) 4 M.-serratus-anterior-Lappen
Fernlappen [Rectus-abdominus-Lappen (. Abb. 24.2), Rectus femo 4 Lappenkombinationen
ris] und erst in zweiter Linie freie Lappenplastiken zum Einsatz; Letz A. epigastrica inferior 4 Vertikaler M.-rectus-abdominis-
tere bei entsprechend ausgedehntem Defekt mit großen Resthöhlen. Lappen (VRAM)
Insbesondere in den sitzbeinnahen Lokalisationen sollten gut 4 Erweiterter VRAM-Lappen
belastbare, vorwiegend myokutane Lappenplastiken eingesetzt wer
A. circumflexa femoris 4 Anterolateraler Oberschenkellappen
den (Foster et al. 1997), wenngleich heute von einigen Autoren
lateralis 4 Tensor-fasciae-latae-Lappen
fasziokutane Lappen favorisiert werden (Yamamoto et al. 1993).
4 Lappenkombinationen mit Einschluss
Dünnere fasziokutane Transplantate eignen sich auch für den Be von M. rectus femoris,M. vastus lateralis
reich der Perineal- und Genitalregion (Jurado et al. 2000).
188 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken
a b
a
d
> Aufgrund der nicht unerheblichen Morbidität und Gefähr- Additive Operationsverfahren und interdisziplinäre Begleitein
dung durch konsumierende Infekte oder auch drohende griffe. Im Rahmen des interdisziplinären Vorgehens werden z. B.
Gefäßarrosionen besteht ein eindeutiger Vorteil für die Verbundosteosynthesen im Sakrumbereich, Ostektomien (Osteo
einzeitige Defektdeckung im interdisziplinären onkolo- myelitis der Steißbein-Sakrum-Region) und Beckenexenterationen
gisch/plastisch-chirurgischen Vorgehen. erforderlich. In Fällen, bei denen eine freie Lappenplastik erfor
derlich, aber aufgrund fehlender Gefäßanschlusssituation primär
Durch eine sofortige Wiederherstellung lassen sich sowohl die pri nicht möglich ist, wird simultan oder vorangestellt zweizeitig ein
märe Komplikationsrate als auch die aus der Tumorresektion mit arteriovenöser Loop angelegt. Dazu wird die an einem Bein distal
entsprechenden Defekten entstehenden Mutilationen reduzieren. abgesetzte V. saphena magna proximal gestielt in der Leistenregion
Resthöhlenbildung als Ursache von rezidivierender Fistelbildung, arteriell an die A. femoralis communis oder superficialis anasto
Infektionen und Osteomyelitis werden zudem minimiert (McAlli mosiert und mit ihrem Scheitelpunkt in die prospektive Anasto
ster et al. 1994). Ebenso wird ein erzwungener Wundverschluss un mosenregion nach dorsal verlagert. Nach suffizienter Perfusion er
ter Spannung mit konsekutiven Durchblutungsstörungen vermieden folgt dann die Lappenplastik simultan oder nach 5–7 Tagen mit
und ein primärer Heilungsverlauf erzielt. freiem mikrovaskulärem Anschluss an den arteriellen und venösen
190 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken
Dekubitus
a b c d e
f g h i
k l m n o
. Abb. 24.6a–o Gebräuchliche Lappenplastiken in der Dekubituschirurgie. taeus-Lappen. Kraniale, fasziokutane oder myokutane gegenläufige Rotati
Sitzbeinregion: a M.-gracilis-Lappen. b Tensor-fasciae-latae-Lappen. Als onslappen. Trochanterregion: i M.-vastus-lateralis-Lappen (Muskellappen
sensibler Lappen bietet das Transplantat die Möglichkeit, neurogene Sitz zur Plombierung oder myokutan). j Anterior-random-pattern-Oberschen
beinulzera ab S1 bei Spina bifida und erhaltenem sensorischem Somatom kellappen. k Tensor fasciae latae, auch bei kombiniertem Sitzbeinulkus.
(L5 im Bereich des TFL) sensibel zu versorgen. c M.-biceps-V-Y-Lappen bzw. l, m Gluteal-thigh-Lappen (mit Planung). n, o Anterior und posterior gestiel
Hamstgring-Lappen. d Medial gestielter Gluteal-thigh-Lappen (auch latera ter Random-pattern-Oberschenkellappen
le Stielung beschrieben). e Gluteal-thigh-Insellappen. Os sacrum: f, g, h Glu
192 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken
a b
c d
e f
. Abb. 24.7a–f Beispiele für typische Verschiebeschwenklappenpkastiken fektes am Übergang LWS/Sakrum mit fasziokutanem Rhomboidlappen (d)
in der Dekubituschirurgie. Bei der Planung ist es wichtig, Narbenzonen in und eines oberflächlichen kleinen Defektes distal sakral durch Primärnaht
den Belastungszonen zu vermeiden. Sakrale Defekte: Bei diesem sakralen (e). Sitzbeindefekt bei 24-jährigem Paraplegiker bei Spina bifida mit erhal
Dekubitus bietet der glutäale Verschiebeschwenklappen (a, b) Vorteile – hin tender Sensibilität bis L3 und Ausfall ab L4; Defektdeckung im Bereich des
sichtlich operativem Aufwand und Belastungsstabilität – gegenüber dem rechten Sitzbeins durch sensiblen Tensor-fasciaelatae-Lappen (f)
bilateralen VY-Lappen (c). Nach Wundkonditionierung Deckung eines De
24
24.4 · Operationstechnik
193 24
a b
. Abb. 24.8a, b Anatomisch wichtigste Spenderegionen für fasziokutane und muskulokutane Lappenplastiken zur Deckung von Dekubitlaulzera
Bei immobilen Patienten mit fixierten Beugekontrakturen im Hüftge Eher selten werden Lappen der Oberschenkelinnenseite eingesetzt
lenk stellt die dorsale Hebestelle von Lappenplastiken am Oberschen (M. gracilis).
kel ein hohes Risiko für Wunddehiszenzen mit langwierigen Sekun . Tab. 24.4 gibt eine Systematik der Defektdeckung wieder.
därheilungen dar. Aufgrund dieser Betrachtungen schränkt sich das
Spektrum der zur Verfügung stehenden Verfahren fallspezifisch ein. Spalthautdeckung. Grundsätzlich schafft die Spalthauttransplan
Die intraoperative Lagerung erfolgt am günstigsten in der sog. tation keinen belastungsfähigen Wundgrund und bleibt besonderen
Heidelberger Lagerung (Bauchlage mit Hüftabknickung) für sakrale Indikationen vorbehalten. Voraussetzung für die Deckung mit Spalt
oder ischiale Ulzera bzw. in Seitenlage oder 60° Schräglage für tro haut ist ein gut durchbluteter, keimarmer (<105 Keime/g Gewebe)
chantere Ulzerationen. Wundgrund. Sie kommt in Betracht bei oberflächlichen Defekten
Im Wesentlichen stehen 3 dominante Spenderegionen bei der und Patienten in schlechtem Allgemeinzustand im Sinne einer we
weichteilplastischen Deckung von Dekubitalulzera zur Verfügung nig belastenden Operationsmethode. Die Tendenz zur Kontraktion
(. Abb. 24.8): führt zur sekundären Wundverkleinerung. Das Prinzip der Defekt
4 Glutäusregion, verkleinerung kann man sich auch für einen provisorischen Wund
4 Vastus-lateralis- (TFL-) Region, verschluss mit sekundär geplanter Lappenplastik zunutze machen
4 M. biceps. (Fuchs et al. 2002). In der Literatur werden die Heilungschancen
Glutaeus maximus ++(+) Primär Nein +++ +++ Sk (Si, Tr) ++ (+)
Freier Lappen ++++ Primär Teilweise +++ ++++ Si, Tr, Sk ++++
nach Spalthautdeckung bei Sakralulzera mit 60%, bei Sitzbeinulzera Genitalbereich. Blutversorgung durch A. circumflexa femoris me
und Ulzera über dem Trochanter mit nur 30% angegeben (Fuchs et dialis und sensorische wie motorische Innervation durch Ramus
al. 2002). anterior N. obturatorius. Aufgrund fehlender funktioneller Ausfälle
bietet sich dieser Lappen besonders bei nicht gelähmten Patienten
Fasziokutane Lappen. Diese bieten den geringsten Entnahmede an, bei vorliegender Querschnittslähmung ist die Präparation durch
fekt, sind allerdings weniger weichteilgepolstert als Muskel-Haut- die Atrophie schwierig (Fuchs et al. 2002).
Lappen. Dennoch ist ihre Belastbarkeit auch in mechanisch bean
spruchten Gebieten gut. Fasziokutaner Tensor-fasciae-latae-Lappen. Indikation zur De
Lokale Lappenplastiken, wie z. B. ein Rhomboidlappen, eignen ckung tiefer Defekte über dem Trochanter major und bei bis über das
sich gut zum Verschluss kleiner Dekubitaldefekte bis Grad III nach Sitzbein reichenden Dekubitalulzera. Die Blutversorgung erfolgt
Seiler (. Abb. 24.7). Es handelt sich um Gewebe aus der unmittel über einen Endast der A. circumflexa femoris lateralis aus der
baren Umgebung des Defektes ohne definierte Blutversorgung (sog. A. profunda femoris, die sensible Innervation durch den N. cutanae
»random pattern flaps«). Der lokale Lappen kann kutan oder wegen us femoris lateralis (L2/L3). Vorteil ist die daher mögliche sensible
der sicheren Blutversorgung besser fasziokutan gehoben werden. Defektdeckung bei Paraplegie unterhalb dieses Niveaus, wodurch
Perforatorgefäße, z. B. bei Platzierung über dem M. glutaeus ma die Gefahr eines Rezidives deutlich verringert wird (. Abb. 24.7).
ximus, dürfen dabei nur im oberen Anteil auf etwa 6–8 cm durch Die Defektdeckung erfolgt primär oder mit Spalthaut.
trennt werden, da ansonsten bei weiterer Präparation nach kaudal Bei vorausgegangenen Hüftoperationen sollte ggf. präoperativ
die Hautversorgung eines evtl. später notwendig werdenden Glutae eine Angiographie zur Darstellung der A. circumflexa femoris late
us-maximus-Haut-Muskel-Lappens zerstört würde. ralis veranlasst werden (Fuchs et al. 2002). Im Falle einer Flexions-
Adduktions-Kontraktur ist ggf. zur Rezidivprophylaxe eine Tenoto
Glutäaler Rotationslappen. Damit kann man mittlere und größere mie der Adduktorenmuskulatur erforderlich.
Defekte über dem Sakrum verschließen. Es wird ausschließlich die
Verwendung eines kaudal gestielten Lappens empfohlen, um Narben »Total Thigh Flap«. Indikation nur in extremen Ausnahmefällen bei
über dem Sitzbein zu vermeiden und den Patienten mit erhaltener geriatrischen Patienten mit multiplen Dekubitalulzera und akuten
Sensibilität die Nn. clunei zu erhalten. Der Lappen sollte für den Fall Gefäßverschlüssen. Dieser Eingriff setzt die Amputation des betrof
eines Rezidivs großzügig geschnitten werden, um ihn ein weiteres fenen Beines voraus und ermöglicht die Deckung ausgedehnter De
Mal heben und in den Defekt drehen zu können (. Abb. 24.6h). fekte über Trochanter und Sitzbein mit offenem Hüftgelenk.
Glutaeus-maximus-Muskellappen. Indikation sind ausgedehnte Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken. Die Indikation zu freien
tiefe Defekte über dem Sakrum (. Abb. 24.7), Osteomyelitis oder mikrovaskulären Lappenplastiken wird in diesem Zusammenhang
Radionekrose und Zustand nach Kokzygektomie. Die Blutversor äußerst selten gestellt, d. h. erst nach Ausschöpfen aller beschrie
gung erfolgt über die Aa. glutaea superior et inferior, motorisch in benen Möglichkeiten bei extrem tiefen und ausgedehnten Defekten
nerviert der N. glutaeus inferior. Die Desinsertion am Sakrum oder mit begleitender Osteomyelitis oder auch bei Strahlenulzerationen.
Femur kann zu Kraftminderung und Gehschwäche führen. Bei ger Der mikrovaskuläre Anschluss erfolgt, falls möglich, an die oberen
iatrischen Patienten sowie bei Patienten mit partiellen neurolo oder unteren Glutäalgefäße, die Leistengefäße oder über lange Ve
gischen Ausfällen kann ggf. ein V-Y-Lappen ohne Desinsertion der neninterponate an die Leistengefäße oder als Anschluss über eine
Muskeln am Sakrum verwendet werden (. Abb. 24.7), hierbei lässt temporäre arteriovenöse Schlinge. Als Transplantate kommen vor
sich ein Gewebevorschub von 3–4 cm erreichen. Nachteilig ist hier wiegend der M. latissimus dorsi oder auch periphere Amputate (z. B.
jedoch die Lage der senkrechten Narbe über der Belastungszone des aus dem Unterschenkel) in Frage.
Sakrums.
»Posterior Thigh Flap«. Dieser wird zum Verschluss von mittel 24.5 Postoperatives Management
großen, nicht tiefen Defekten über dem Sitzbein als sensibler faszio
kutaner Lappen verwendet. Die Blutversorgung erfolgt über den Eine konsequente Entlastung des Transplantates und konsequentes
Endast der A. glutaea inferior, die sensible Versorgung durch den Lappenmonitoring ist wie bei allen Weichteilpalstiken zu fordern.
N. cutaneus femoris posterior. Als fasziokutaner V-Y-Lappen oder Unerlässich ist eine ausreichende Drainage durch intraoperativ
als Insellappen kann er ca. 10 cm nach kranial geschoben werden, eingelegte großvolumige Saugdrainagen. Augenmerk ist auch auf
bei Spaltung des Glutaeus maximus können weitere 8–10 cm Länge mögliche übersehene intraoperative Verletzungen der ableitenden
gewonnen werden. Ist die A. glutaea inferior jedoch nach vorausge Harnwege (Ureter, Harnblase) bei sakralen Resthöhlensanierungen
gangenem Glutaeus-maximus-Lappen zerstört, kann der Posterior- zu richten. Harnableitungen (suprapubischer Katheter) und Stuhlre
thigh-Lappen nicht mehr gehoben werden. gulierung erleichten die lokale Wundpflege.
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25
Rekonstruktion im Urogenitalbereich
P.M. Vogt, H. Sorg
Für den Plastischen Chirurgen relevante Indikationen für Eingriffe mung einer Elongation und zylindrisches Wachstum weiter. Gleich-
25 im Urogenitalbereich resultieren aus Fehlbildungen (Blasenekstro- zeitig schließen sich urethrale Falten über der Harnröhrenrinne und
phie, Hypo-, Epispadie), traumatischen Verletzungen oder onkolo- entwickeln sich zu einer Urethra und Mittellinienraphe. Mesen
gischen Folgen. Zunehmend stellen sich aber auch Patienten und chymales Gewebe konfluiert und umgibt die Urethra mit Ausbil-
Patientinnen mit dem Wunsch eines ästhetischen Eingriffes am Ge- dung eines Schwellkörpers. Diese Entwicklungen finden vollständig
nitale vor. unter dem Einfluss (→ männlich) oder dem Fehlen (→ weiblich) von
Besondere Anforderungen stellen die geschlechtsumwandeln- Testosteron, Testosteronderivativen (z. B. Dihydrotestosteron) und
den Operationen dar, da hier unterschiedliche Bedingungen hin- 5-α-Reduktase zwischen der 6. und 13. Woche der Gestation statt
sichtlich der zugrunde liegenden genetischen, gonadalen oder phä- (. Abb. 25.1) Das Präputium wächst und bedeckt die Glans penis,
notypischen Differenzierung vorliegen. Diese Chirurgie kann nur aber wird nicht durch Dihydrotestosteron beeinflusst.
im interdisziplinären Kontext erfolgen und basiert auf einer umfang- Im weiblichen Embryo wird aufgrund des Ausbleibens der durch
reichen humangenetischen, psychologischen, urologischen, gynäko- Testosteron beeinflussten Virilisierung der urogenitale Sinus und
logischen und endokrinologischen Analyse. der genitale Tuberkel in einer perineal fixierten Position gehalten.
Für das anatomische Verständnis von Fehlbildungen, Störungen Die urethrale Rinne bleibt offen, und Falten differenzieren in die
in der persönlichen Geschlechtsidentifikation (Transsexualismus) Labia minora. Der genitale Tuberkel krümmt sich größenkonstant
eines Patienten und mögliche plastisch-korrektive Maßnahmen sind nach ventral. Die Labia majora wandern unter Größenzunahme
grundsätzliche Kenntnisse der Genitalentwicklung und der daraus nach kaudal und fusionieren zur hinteren Kommissur.
abzuleitenden Störungen unerlässlich (. Tab. 25.1).
25.2.2 Intersexualität
Weiblicher Pseudohermaphroditismus
Ein weiblicher Pseudohermaphroditismus resultiert aus einer An-
drogenexposition bei regelhaftem weiblichem Chromosomensatz
(46 XX) während der ersten 11 Wochen der Gestation, wodurch es
zur Virilisierung der Genitalanlagen (Klitorisgigantismus, Fusion
der Labien) kommt.
Männlicher Pseudohermaphroditismus
Bei genetisch männlichem Karyotyp (46 XY) kann eine Störung im
Testosteronstoffwechsel die Virilisierung des Genitales verhindern
und zu unbestimmten oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen füh-
ren. Zu den Ursachen zählen diverse Störungen im Testosteronstoff-
wechsel: gestörte Testosteronbiosynthese, gestörte 5-α-Dihydrote-
stosteronbildung und Androgenresistenz.
. Abb. 25.1 Geschlechtsdifferenzierung unter dem Einfluss von Andro
Echter Hermaphroditismus
genen
Hier liegt differenziertes männliches und weibliches Gonadenge
webe mit asymmetrischer Verteilung vor. Die meisten Patienten be-
sitzen einen 46 XX-Karyotyp und ein H-Y-Antigen, was die Um
Während der ersten 2 Tage nach Geburt lässt sich der Defekt, inklu- differenzierung weiblicher Gonaden zu Hoden ermöglicht. Zur
sive der Symphyse, noch mit Nähten schließen, danach ist das Vor- Diagnosestellung bedarf es neben der klinischen Untersuchung der
gehen zunehmend aufwendiger, u. U. nur mit Osteotomien und ggf. Chromosomenanalyse, urologischer und gynäkologischer Diagnos-
auch interdisziplinären plastischen Rekonstruktionen. tik, Laparoskopie, radiologischer Diagnostik sowie Biopsien aus Go-
nadegewebe.
Standardtechnik. In der Standardtechnik wird nach Heben eines Die geschlechtsspezifische Zuordnung erfolgt anhand der ana-
Bauchwandlappens über eine W-förmige Abdominoplastikschnitt- tomischen, phänotypischen Erscheinung, nicht der Chromosomen-
führung die dorsale Urethralrinne komplett gelöst, zu einem Rohr muster. Indikationen für geschlechtsumwandelnde oder -korrigie-
geformt und anschließend durch die seitlich mobilisierten Schwell- rende Operationen sind wie bei Pseudohermaphroditismus indivi-
körper ventral überdeckt. Der Abdominallappen wird anschließend duell zu diskutieren.
zur Hautrekonstruktion des Mons pubis und des dorsalen Penis-
schaftes verwendet. Verbesserungen in der Penisrekonstruktion ba- Versteckter Penis (»buried penis«, »hidden penis«)
sieren im Wesentlichen auf sorgfältiger anatomischer Dissektion Diese Deformität stellt für Patienten ein erhebliches Problem und für
mit Lösung sämtlicher Chordae, die für Wachstumshemmung und den Plastischen Chirurgen eine Herausforderung dar. Bei Kindern,
Deviationen verantwortlich sind. Aktuelle Verbesserungen der Ure- Adoleszenten wie Erwachsenen liegt gleichermaßen definitions
thralrekonstruktion resultieren aus der Verwendung der vaskulari- gemäß ein normal großer, jedoch im perinealen und subkutanen
sierten ventralen Tunica-dartos-Faszie. Gewebe versteckter Penis vor, der in einem abnorm fettreichen (gy-
200 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich
25
a b
c d e
f g
. Abb. 25.2a–g Glanslappen zur dorsalen Verlagerung einer geringen Über eine erste Einzelknopfnahtreihe wird eine fortlaufende Nahtreihe ge-
Hypospadie. Inzisionslinien im Präputium ermöglichen die Rekonstruktion legt (d). Diese Nahtreihe wird ventral durch einen abdichtenden Lappen aus
der medianen Raphe mittels Vorhaut (a). Inzisionen mit Mobilisierung der umgebendem Subkutangewebe bedeckt (e). Die Glanslappen werden an-
Glanslappen (b). Die Neourethra wird bei eingelegtem 8-Charr-Harnröhren- schließend ventral zur Neourethra vereinigt (f). Nach Tourniquet-Lösung
katheter durch die Tubularisierung des Mittelliniengewebes geformt (c). und Blutstillung separate Rekonstruktion des inneren und äußeren Präpu
Eine erste distale Naht bestimmt die ventrale Ausdehnung des Meatus. tialblattes (g). (Nach Horton et al. 1990)
nekoiden) Mons pubis, oftmals vergesellschaftet mit allgemeiner Skrotum bieten Z-Plastiken oder V-Y-Plastiken die Möglichkeit der
Adipositas, verschwindet. Differenzialdiagnostisch ist ein Mikrope- optischen Penisschaftverlängerung und Definition eines Übergangs
nis abzugrenzen. zum Skrotum.
Die operative Korrektur besteht bei Kindern in der direkten Weitere Ursachen für ein Hidden-penis-Syndrom sind posttrau-
Resektion von suprapubischem und perinealem Fett über einen matischer Natur (Verbrennungen), Penisinkarzerationen, Balanitis-
W-Schnitt oder Pfannenstiel-Schnitt. Liposuktionen sind lediglich folgen oder Fournier-Gangrän. Hier liegen Narbenzüge am Penis-
beim Erwachsenen effizient. Eine verkürzte Tunica dartos führt schaft vor, die nach Exzision eine Hauttransplantation erfordern.
über Verbindungen mit der Scarpafaszie zum Phänomen des An- Diese darf wegen der Gefahr kontrahierender Narbenstränge auf
schoppens der Penisschafthaut und Überschüssen der Vorhaut. keinen Fall längsgerichtet aufgelegt werden, sondern wird zirkulär
Dies erfordert eine entsprechende Lösung der Stränge sowie ggf. »gewickelt«.
der penopubischen Ligg. suspensoria. Für die oftmals vorhandenen
segelartigen Hautübergänge des verkürzten Penisschaftes zum
25.2 · Korrektur angeborener Fehlbildungen
201 25
a b
c d e
. Abb. 25.3a–e Turnover-Lappen (Flip-Flap-Technik) zur einzeitigen mung zu einem Urethralrohr. Weitere Penisplastik analog zu Glanslappen
Rekonstruktion der distalen Urethra und des Meatus. Bilaterale Umschnei- (. Abb. 25.2a–e)
dungen mit distaler Stielung der urethralen Platte. Umklappen und For-
25
a b
c d
Tubularisierung derselben indiziert. Zunächst wird die Glans ge- > Wenn möglich, wird ein Direktverschluss angestrebt, an-
spalten, um einen Meatus zu schaffen, anschließend nach Resektion sonsten werden Hauttransplantate oder Random-pattern-
von Narben das Hauttransplantat in der Länge der gewünschten Ne- Lappen, Fasziokutanlappen, distale Lappen oder mikro-
ourethra eingelegt und mit einem Überknüpfkomressionsverband chirurgische Transplantate verwendet.
versehen. Nach sicherer Einheilung und Konsolidierung nach 6 Mo-
naten erfolgt dann die Formung zum Urethralrohr. Analog zu anderen Regionen ist eine radikale Exzision nekrotischer
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Bildung eines tubulären Gewebe mit früher Hauttransplantation indiziert, wobei allerdings
Lappens aus einem abgespaltenen inneren Präputialblatt, das dann die regenerative Kapazität der Haut von Skrotum und Glans ähnlich
perineal anastomosiert wird. Distal wird es in einem sagittalen Spalt dem Kopf/Hals-Bereich überdurchschnittlich ausgeprägt ist, sodass
in der Glans ausgeleitet und durch das äußere Präputium überdeckt. an der Glans eher eine Regeneration abgewartet wird.
Hauttransplantate
25.3 Posttraumatische Zustände Transplantate am Penisschaft werden aus ästhetischen und narben-
sparenden Gründen ungemesht aufgelegt und erfordern eine spezi-
25.3.1 Genitalrekonstruktion elle Wickeltechnik (7 oben). Als Verbandsanordnung hat sich ein
zirkulärer Schaumstoffköcher bewährt.
Als Folge eines traumatischen, infektions-, oder onkologisch be- Rekonstruktionen des Skrotums folgen identischen Prinzipien,
dingten Verlustes des äußeren Genitales werden rekonstruktive Ver- wobei im Gegensatz zum Penisschaft gemeshte Hauttransplantate
fahren erforderlich. bevorzugt werden, da sie die runzelige Skrotalhaut gut nachbilden.
Verbrennungen, Avulsionsverletzungen, Infektionen und Gang- Bei komplett einzeln freiliegenden Hoden, z. B. nach radikalem Dé-
räne führen zu Haut-Weichteil-Defekten. Wenn möglich, ist ein Pri- bridement einer Fournier-Gangrän, wird durch eine temporäre in-
märverschluss anzustreben, gefolgt von Hauttransplantaten, lokalen guinale Verlagerung eine simple Weichteildeckung erzielt. Sekundär
oder Random-pattern-Lappen, Muskulokutanlappen, Fasziokutan- ist dann eine Rückverlagerung im infektfreien Zustand in ein rekon-
lappen, Fernlappen und mikrochirurgischem Gewebstransfer. struiertes Neoskrotum möglich (. Abb. 25.4).
25.3 · Posttraumatische Zustände
203 25
Lappenplastiken der Anogenitalregion Fasziokutane Lappen aus dem System der A. circumflexa ilium
Zu den gebräuchlichsten Lappenplastiken zählen solche der A. puden- superficialis (Leistenlappen) und der A. epigastrica superficialis
da superficialis, die die Haut des Penisschaftes versorgen und damit (SIEA-Lappen), der anteromediale Oberschenkellappen (»antero-
proximal gestielte Lappenplastiken, z. B. für den Penisschaft und ante- medial thigh«) und der Pudendal-thigh-Lappen stellen Möglichkei
riore Harnröhrenrekonstruktionen, ermöglichen. Distale Lappenplas ten mit geringerer Hebedefektmorbidität dar. Der mediale Ober-
tiken, aus dem Stromgebiet der A. balaniticae und vom inneren Blatt schenkellappen (externes Pudendagefäßsystem und Äste der A. pro-
der Vorhaut versorgt, dienen der Wiederherstellung der Glansregion. funda femoris) und der hintere Glutäallappen (»gluteal posterior
Lappenplastiken des Abdomens oder Mons pubis sind wegen thigh flap«, A. glutea inferior) eignen sich sowohl für die Rekon-
der andersartigen Hautstruktur, Behaarung und des ausgeprägten struktion der Vagina als auch eines Phallus.
Fettgewebes für Genitalrekonstruktion dagegen nicht geeignet. Gestielte myokutane regionale oder Fernlappen (transverser
Gleiches gilt für Skrotallappen aufgrund der rigiden und behaarten bzw. vertikaler Rectus-abdominis-Myokutanlappen; TRAM bzw.
Struktur. VRAM) sind zwar für große Defektdeckungen wie ausgedehnte
Gestielte Lappen aus dem Stromgebiet der A. pudenda werden Strahlenfolgen notwendig und geeignet. Ihre Bedeutung bei diffi-
durch die Leistenfalte und die Labia majora begrenzt und können ziler Genitalrekonstruktion ist aufgrund der ungeeigneten, v. a. vo-
beidseitig in einer Ausdehnung von 15×6 cm fasziokutan gehoben luminösen Gewebsbeschaffenheit stark eingeschränkt.
werden. Neben dem sehr verlässlichen Gefäß ist der Lappen neuro-
vaskulär über Äste des Sakralnervenplexus (S2–S4) versorgt. Die
A. pudenda interna misst 10–12 cm (Durchmesser 1–1,5 mm) und 25.3.2 Genitalreplantation
kann auf der Faszie der Adduktorenmuskulatur dargestellt werden.
Am Ende findet sich ein Gefäßplexus mit Anastomosen zur A. pu- Nach der ersten erfolgreichen Penisreplantation 1977 durch Cohen
denda externa und zur A. circumflexa femoris medialis. Mit einem und Tamai wurden weltweit mittlerweile über 100 weitere Fälle be-
Rotationsbogen des 15×6 cm großen Lappens ist die Kontralateral- richtet. Die funktionellen Ergebnisse sind zu einem Großteil über
seite des Genitales erreichbar, ipsilateral kann damit der Ursprung raschend gut, was u. a. darauf zurückgeführt wird, dass jedes der
der Adduktorenmuskulatur bedeckt werden. Das Zentrum des Lap- potenziell zu anastomosierenden Gefäße – ventral, tief und dorsal
pens befindet sich über und im Verlauf der Inguinalfalte. – nicht nur per se allein das Amputat dominant versorgen kann,
Der Hebedefekt lässt sich mit einer Basisbreite des Lappens von sondern wie auch die Venen über die Schwellkörper gleichsam ein
6 cm meist direkt verschließen. An der Basis kann die Haut über dem alternatives System der sekundären Transplantateinheilung besit-
dominanten Gefäß verbleiben oder der Lappen kann als echter Insel- zen.
lappen gehoben und nur an seinem Gefäß gestielt verwendet werden.
Verschränkt man beidseitig gehobene Lappen und stülpt diese nach Penis
innen, so erhält man die Möglichkeit, damit eine Neovagina zu bil- Die meisten der in unseren Breiten betroffenen Patienten haben eine
den. Hierfür werden die Lappen getunnelt in den Defekt der ehema- psychiatrische Diagnose und hatten sich die Verletzung selbst in
ligen Vagina eingeschwenkt und dort mit sich invertierend vernäht. Form einer scharfen Abtrennung zugefügt. Sie sollten engmaschig
Es empfiehlt sich, die Kontaktstellen zuvor zu deepithelialisieren. psychiatrisch fachärztlich mitbetreut werden. Traumatische unver-
Nach evtl. durchgeführter Vulvektomie ist dieser Lappen aufgrund schuldete Amputationen der Genitalien kommen eher als Quetsch-
des Gefäßschadens u. U. nicht mehr verfügbar. Beim Mann lässt sich oder Ausrissamputationen vor und sind prognostisch ungünstiger
ein Neoskrotum durch Aneinandernähen bilateraler Lappen formen. zu bewerten.
Bei komplexen Defekten besteht ein Bedarf an Muskellappen.
> Das Management entspricht den Regeln der Replantation
Dabei gilt der Grazilislappen (myokutan, als Muskellappen oder Per-
wie bei anderen Gliedmaßen.
forator-Haut-Lappen) als »Arbeitspferd« in dieser Region und wird
zur plastischen Deckung von Harnröhrenanastomose, exponierten Im Rahmen der Operationsvorbereitung erhält der Patient einen
Knochen, nach Penisrekonstruktion, Plombierung perinealer Höh- suprapubischen Katheter, der den Urinfluss für 2–3 Wochen ableitet.
len und bei Strahlenschäden eingesetzt. Mit einer Ausdehnung von Zunächst wird das typischerweise gekühlte Amputat im Wund-
6×24 cm liegt dieser dünne Muskel zwischen dem M. adductor bereich unter dem Operationsmikroskop inspiziert, minimal débri-
longus dorsal und dem Sartorius ventral. Der dominante Gefäßstiel diert und die Urethra über einen Blasenkatheter geschient. Es folgt
entspringt der A. circumflexa femoris medialis und erlaubt mit 6 cm die Naht der Urethra, Tunica albuginea und der Corpora cavernosa.
Länge und einem Durchmesser von ca. 1,6 mm einen Rotationsbo- Die Wiederherstellung der Gefäßstrombahn erfolgt mikro
gen, der von der Inguinalregion, Os pubis, Perineum bis zum Os is- chirurgisch mit 9-0- and 10-0-Nylonmikrogefäßnähten im Bereich
chii reicht. Eine Hautinsel wird über den proximalen 2/3 des Muskels der tiefen dorsalen Arterie sowie der tiefen und oberflächlichen dor-
mit bis zu 16×18 cm entnommen. salen Venen. Die Nervenkoaptation wird entsprechend den Grund-
sätzen der Mikronervenchirurgie mit 10-0- oder 11-0-Einzelnähten
> Der Grazilislappen ist ein universelles Transplantat für die
durchgeführt. An der Oberfläche werden Tunica dartos und Haut
Haut-Weichteil-Rekonstruktion bei komplexen perinealen,
locker adaptiert.
analen und genitalen Defekten.
Ergänzend kann durch den Tensor-fasciae-latae-Lappen, den ge- Testes
stielten Leistenlappen oder den kaudal gestielten M. rectus abdomi- Replantationen der Testes erfordern die Anastomosierung der eher
nis eine weichteilplastische Rekonstruktion der Urogenitalregion kleinkalibrigen A. testicularis mit Aufzweigungen für den Hoden,
erzielt werden. dessen oberen Pol und den Globus major des Nebenhodens. Zur
Alternativ findet der M.-rectus-abdominis-Lappen Verwen- Gefäßversorgung tragen ferner bei: A. deferentis, A. vesicularis infe-
dung, insbesondere im Symphysenbereich sowie am Penisschaft. rior (Nebenhoden) und die Cremasterarterie.
Den Vorteilen einer leichten Präparation und guter Durchblutung Im Gegensatz zur Penisreplantation sind die anatomischen Vo-
steht eine nicht unerhebliche Hebedefektmorbidität gegenüber. raussetzungen bei der Testesreplantation oder Revaskularisation
204 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich
25
b c
. Abb. 25.6a–c Technik der Verkleinerung der kleinen Schamlippen. In eines insuffizienten Schamlippenschlusses unbedingt zu vermeiden ist. Je
Steinschnittlage wird nach präoperativer ausführlicher Klärung des Korrek- nach Hypertrophieausmaß wird eine keilförmige oder tangentiale Exzision
turwunsches eine Unterspritzung mit adrenalinhaltiger Lösung (1:200.000) durchgeführt. Die Naht erfolgt mit resorbierbaren geflochtenen (5-0-, 6-0-)
durchgeführt. Nach Anschlingen mit Haltefäden wird nochmals das Aus- Fäden
maß der Resektion festgelegt, wobei eine Überkorrektur wegen der Gefahr
25.5 Ästhetische Chirurgie des Genitales ambulant (abhängig von Resektionsausmaß) durchgeführt werden
(. Abb. 25.6).
Identität und Selbstwertgefühl einer Person hängen erheblich mit Eine mechanische Schonung der Region ist für 6 Wochen er
der Perzeption der Genitalien zusammen und können bei empfun- forderlich. Gelegentlich treten kleinere Wunddehiszenzen auf, die
denen Abweichungen vom Ideal erheblich gestört sein. Selbstver meistens konservativ beherrscht werden können.
gleiche mit pornographischen Darstellungen, Medien, Kommentare
Dritter führen zunehmend dazu, dass häufiger Patienten beim Plas-
tischen Chirurgen Hilfe suchen. So wurden Operationstechniken 25.5.2 Ästhetische Chirurgie
entwickelt, die primär auf den Erfahrungen der rekonstruktiven uro- des männlichen Genitales
genitalen Chirurgie basieren und technische Detailkenntnisse erfor-
dern. Die am häufigsten nachgefragten Operationen sind die Scham- Bei Männern besteht der Wunsch einer ästhetischen Verbesserung
lippenverkleinerung bei Frauen und die Penisverlängerungen beim von Penis oder Skrotum. Dabei steht die Penisverlängerung bzw.
Mann. -vergrößerungen an erster Stelle der Indikationsliste. Diese wird
durch Lösung der Ligg. suspensoria in Verbindung mit dem Einsatz
von Gewichten oder Streckvorrichtungen erreicht. Gleichzeitig wer-
25.5.1 Ästhetische Chirurgie des weiblichen den Hautsegel, die zum Skrotum ziehen und eine optische Ver
Genitales kürzung bedingen, durch Z-Plastiken bzw. VY-Plastiken beseitigt.
Außerdem können Fettüberschüsse des Mons pubis durch Liposuk-
Frauen mit Labienhypertrophie unterziehen sich Eingriffen aus tion oder offene Resektion entfernt werden.
zahlreichen Gründen, wobei insbesondere die aktuelle Mode, Fitness Eingriffe zur Vergößerung des Penisumfangs lassen sich durch
aktivitäten etc. einen entsprechenden Erfolgsdruck auf das ästhe- autologe Fettinjektionen oder dermale Matrizes (Alloderm) erzie
tische Erscheinungsbild ausüben. Hypertrophien der Labia minora len. Zu weiteren Techniken 7 Kap. 25.2.2 (Korrektur des »hidden
und majora können erworben (Varikosis), oder angeboren sein. Ent- penis«).
zündungen, Hygieneprobleme, mechanische Irritation und Scham- Wichtig bei der präoperativen Evaluation ist die genaue Eruie-
gefühl stellen ebenso wie auffällige Konturbildung bei enger Klei- rung des tatsächlichen Leidensdrucks und v. a. die Abgrenzung von
dung eine Indikation zum chirurgischen Eingriff dar. Die Operation psychiatrischen Störungen von großer Bedeutung. Nicht wenige
kann sowohl in Allgemein- als auch Lokalanästhesie stationär wie Männer mit Störungen bei Mikropenis, »hidden penis«, skrotalen
25.5 · Ästhetische Chirurgie des Genitales
207 25
a b
f g
. Abb. 25.7a–g Operative Korrektur des Mikropenissyndroms (a). Verlän- prä- (e) und postoperativen Aspektes (f). Postoperativ für zusätzlichen Län-
gerungsoperation: Skrotale Z-Plastik an der Peniswurzel (b). Durchtrennung gengewinn Durchführung einer Gewebsdistraktion durch Penisgewicht (g)
des Lig. supsensorium (c), Fettabsaugung des Mons pubis (d). Vergleich des
208 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich
Segelbildungen und angeborenen Fehlbildungen weisen erhebliche Lovie MJ, Duncan GM, Glasson DW (1984) The ulnar artery forearm flap. Plast
25 Störungen mit nicht abzusehender Stabilisierung des Selbstwertge- Surg 37: 486
fühls durch einen eventuellen Eingriff auf. Puckett CL, Reinisch JF, Montie JE (1982) Free flap phalloplasty. J Urol 128:
294
Wichtig ist eine genaue, v. a. interdisziplinär mit Urologen
Roberts CJ, Lloyd S (1973) Observations on the epidemiology of simple hypo-
durchgeführte Problemidentifikation, zu der Messungen von Penis-
spadias. Br Med J 1: 768–770
umfang und -länge im erigierten Zustand zählen. Mittlere Längen Sadove RC, Horton CE (1988) Utilizing full-thickness skin grafts for vaginal
im Erektionszustand von 12,5 cm wurden in der US-Population er- reconstruction. Clin Plast Surg 15: 443–448
mittelt, für die deutsche Population werden Werte von ca. 14,5 cm Wessells H, Lue T, McAninch JW (1995) The relationship between penile length
angegeben. in the flaccid and erect states: Guidelines for penile lengthening. Pre-
Der durch Lösung der Ligg. suspensoria über eine quere Inzision sented at American Urological Association 90th annual meeting, Las
dorsal der Peniswurzel erreichte Längengewinn im erigierten Zu- Vegas, April 1995
stand beträgt ca. 1–2 cm (. Abb. 25.7). Weitere Länge lässt sich nur
durch postoperative Streckung durch Penisgewichte erzielen. Der
entstehende Totraum unterhalb des Os pubis wird mit transpo-
niertem Fettgewebe ausgefüllt.
Zu Vermehrung des Penisumfangs werden autologe Fettinjek
tionen in die Dartosfaszie in Tunneltechnik empfohlen. Dermisfett-
transplantate oder Alloderm in die Dartosfaszie oder unterhalb
transplantiert hat gegenüber den Fettinjektionen den Vorteil gerin-
gerer Knotenbildung.
Als wesentliche Risiken und Komplikationsmöglichkeiten wer-
den Infektionen, persistierende Ödembildung und Narbenstrang-
bzw. Narbenplattenbildung mit Deviationen des Penis bei der Erek-
tion beschrieben. Daher sind die Indikationen für derartige Eingriffe
sehr sorgfältig zu evaluieren.
Skrotalraffungen bei stark elongiertem Skrotum werden vor-
zugsweise durch eine anteriore quere M-förmige Hautexzision vor-
genommen, um den dorsalen Lymphabfluss nicht zu tangieren.
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26
Rekonstruktion
an der oberen Extremität
A.D. Niederbichler, P.M. Vogt
Die Deckung von Haut-Weichteil-Defekten im Bereich der oberen Folgende Informationen müssen zur Operationsplanung vorliegen:
Extremität ist häufig nach Trauma und der onkologiegerechten Re- 4 Zeitpunkt der Verletzung im Fall eines Traumas,
sektion von Tumoren erforderlich. Der rasche und sichere Wundab- 4 Mechanismus, z. B. Rasanztrauma (»high energy trauma«), Am-
26 schluss, v. a. aber ein Weichteillager zum Schutz von Gefäß-Nerven-
Bahnen sowie Gleitschichten für Sehnen stellen dabei die primären
putationsverletzung, Quetschtrauma (»crush injury«),
4 Vorliegen eventueller knöcherner Begleitverletzungen (Luxa
Anforderungen der chirurgischen Therapie dar. Schon während im tionen, Frakturen, Knorpelschäden etc.),
heute zu fordernden interdisziplinären Konzept die Rekonstruktion 4 verwendetes oder geplantes Osteosyntheseverfahren (tempo
funktioneller Strukturen (Nerven, Gefäße, funktionelle Rekonstruk- räres vs. definitives Verfahren) und dessen Stabilität (wichtig für
tion etc.) und evtl. die Frakturreposition und -fixation durchgeführt die krankengymnastische Beübung des Patienten und die Ent-
werden, sind weichteilplastische Maßnahmen zu integrieren, um ein scheidung über temporäre oder definitive Defektdeckung),
optimales funktionelles und ästhetisches Outcome sicherzustellen. 4 systemische Erkrankungen (Gefäßerkrankungen, Diabetes mel-
Das Konzept der »rekonstruktiven Leiter« bei der Defektde- litus, arterielle Hypertonie etc.),
ckung wurde durch (Levin 1993) beschrieben, es beinhaltet eine al- 4 Nikotinabusus (Dauer und Menge standardisiert als »pack
gorithmische Anwendung verschiedener chirurgischer Techniken years«),
zur Defektdeckung: vom biologischen Verband bis zu der freien, 4 psychische Erkankungen/Auffälligkeiten (→ Einschätzung der
mikrochirurgischen Lappenplastik (. Abb. 14.2; Levin 1993). Das postoperativen Compliance)
rekonstruktive Konzept hinter dieser »Leiter« beinhaltet den siche
ren Defektverschluss mit dem einfachsten anwendbaren Verfahren. Soll eine Defektdeckung nach Resektion eines Extremitätentumors
Dieses Konzept hat heute im Hinblick auf die primär zu optimie- erfolgen, muss dessen Stadium gemäß TNM-Klassifikation vorlie-
rende funktionelle und ästhetische Wiederherstellung an Bedeutung gen. Insbesondere bei Weichteiltumoren (Sarkomen) sollte – neben
verloren. Insbesondere im Bereich der oberen Extremität sind nicht der apparativen Diagnostik (MRT, CT, Angiographie, Sonographie
selten initial mikrovaskuläre Lappenplastiken über exponierten etc.) – vor der onkologiegerechten Resektion des Tumors eine Inzi-
Sehnen und Gelenken erforderlich. Nur so sind die soziale und be- sionsbiopsie mit Hautspindel über dem Punctum maximum des
rufliche Rehabilitation des Patienten optimal und frühzeitig zu rea- Tumors entnommen worden sein, um den histologischen und im-
lisieren. munhistochemischen Befund in die Planung des therapeutischen
Bereits bei der Planung der Wiederherstellung müssen auch Konzeptes integrieren zu können (7 Kap. 36).
Überlegungen zur sekundären funktionellen Wiederherstellung ein- Präoperativ durchgeführte und geplante Strahlen- und Chemo-
bezogen werden, insbesondere, wenn aus lokalen oder patientenbe- therapie müssen in die rekonstruktiven Überlegungen im Rahmen
zogenen Gründen eine initiale aufwendigere Rekonstruktion nicht des multimodalen Therapiekonzeptes mit einbezogen werden, aller-
durchführbar ist. dings sind die Auswirkungen dieser (neo-) adjuvanten Maßnahmen
auf die verschiedenen Maßnahmen zur Defektdeckung noch nicht
ausreichend geklärt: Es gibt bis dato jedoch keinen Anhalt für eine
26.1 Patientenevaluation erhöhte Komplikationsrate bei freiem Gewebetransfer vor oder nach
Radiochemotherapie, allerdings ist die wissenschaftliche Datenlage
Defektausmaß und lokale Wundverhältnisse bestimmen das Aus- zu diesem Thema nicht extensiv (Evans et al. 1997; Sadrian et al.
maß der notwendigen operativen Schritte. In diesem Zusammen- 2002).
hang und spielen Allgemeinzustand und die Patienten-Compliance
eine wichtige Rolle, denn mehrschrittige und langwierige Rekons- Untersuchung
truktionen an der oberen Extremität führen nur bei gut motivierten Die Untersuchung des Defektes umfasst:
Patienten und optimaler physikalischer Rehabilitation zu guten Er- 4 die Lokalisation,
gebnissen. 4 die Abmessungen,
4 die Inspektion unter sterilen Kautelen zur Evaluation der ver-
letzten Strukturen,
26.2 Anamnese und Befund 4 eine Abstrichentnahme und mikrobiologische Untersuchung,
4 die photographische Befunddokumentation.
Anamnestisch müssen Händigkeit und Beruf des Patienten erfasst
und in die rekonstruktiven Überlegungen entsprechend einbezogen Im Folgenden werden die im eigenen Vorgehen gut etablierten Lap-
werden. Selbstverständlich ist eine genaue Erfassung der präopera- penplastiken zur Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
tiven Beweglichkeitsausmaße nach der Neutral-Null-Methode sowie – gegliedert nach den Regionen Schulter, Oberarm, Ellbogen und
der Sensibilität unabdingbare Voraussetzung für einen operativen Unterarm – dargestellt.
Eingriff. Gegebenenfalls ist es notwendig, eine neurophysiologische
Untersuchung (proximal und distal, Nervenleitgeschwindigkeit und
motorische Latenz) ergänzend durchzuführen. Die Perfusion der 26.3 Schulterregion
oberen Extremität muss sowohl klinisch (Inspektion, Palpation) als
auch ggf. apparativ (Doppler-Untersuchung, Angiographie etc.) un- Defekte der Schulterregion können mit den verlässlichen, gut etab-
tersucht werden. lierten Lappenplastiken des Subskapularsystems verschlossen wer-
den (. Abb. 26.1).
! Cave
Nikotinabusus stellt einen Risikofaktor für einen kompli- M.-latissimus-dorsi-Lappen. Die M.-latissimus-dorsi-Lappenplas
zierten Heilungsverlauf dar (Knobloch et al. 2008). tik kann sowohl als gestielte als auch als freie Lappenplastik gehoben
werden (. Übersicht).
26.3 · Schulterregion
211 26
b c
M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik
4 Lappenart: muskulokutan (ggf. muskulär ohne Hautinsel),
26 gestielt und frei
4 Gefäße: A. und V. thoracodorsalis
4 Sensibilität: keine
M.-pectoralis major-Lappenplastik
4 Lappenart: myokutan, gestielt
4 Gefäße: A. thoracoacromialis, ggf. Äste der A. thoracica
interna
4 Sensibilität: keine
b
Laterale Oberarmlappenplastik
4 Lappenart: fasziokutan, gestielt, ggf. mikrovaskulär
. Abb. 26.3 Rotationsbogen des Paraskapular- und Skapularlappens
4 Gefäße: A. collateralis radialis aus A. profunda brachii,
Vv. comitantes, V. cephalica
4 Sensibilität: asensibel oder Ramus brachialis posterior der
Es ist möglich, die Skapular- und Paraskapularlappenplastik mit der Nn. radialis und cutaneus antebrachii
M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik zu kombinieren (sog. Composi-
te-Lappen), um ausgedehnte Defekte zu verschließen. Der M. latis-
simus dorsi kann mit einem gefäßgestielten Anteil des Skapula Bei Männern mit entsprechender Körperbehaarung kann es zu stö-
vorderrandes und der IX. oder X. Rippe gehoben werden, um ggf. rendem Haarwuchs auf der Lappenplastik kommen. Bei der Indika-
knöcherne Defekte zu sanieren (sog. chimärer Lappen). Auch kann tionsstellung muss der Operateur auch bedenken, dass der laterale
die paraskapuläre Faszie mitintegriert werden. Oberarmlappen eine dünne Lappenplastik ist, d. h. der Weichteil-
mantel der Empfängerstelle sollte ausreichend vorhanden sein, um
Oberarmlappen nach Song. Der proximal gestielte laterale Ober- eine ausreichende Stabilität und eine suffiziente Weichteilbedeckung
armlappen nach Song kann als fasziokutane Lappenplastik auch zur nach der Lappentransposition zu erreichen.
a b
c d
. Abb. 26.4a–d Paraskapularlappen zur Defektdeckung nach ausgedehnter Exzision im Bereich der Axilla bei Acne inversa
214 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität
26.4 Oberarm
Defekte im Bereich des Oberarms lasen sich im proximalen Drittel
26 bis nach lateral, auf der Medialseite individuell unterschiedlich weit
auch mit dem gestielten Latissimuslappen decken (. Abb. 26.7).
Der laterale Oberarmlappen, der entweder proximal oder distal
(distale Anastomose der A. collateralis radialis mit der A. radialis
recurrens) gestielt gehoben werden kann, eignet sich zur Rekonstruk
tion, sofern der beschränkte Rotationsbogen ausreicht (. Abb. 26.5).
Proximal gestielt bietet der Lappen die Möglichkeit, ventrale und
dorsale Defekte des Oberarms zu verschließen, distal gestielt kann er
zur Defektdeckung im Bereich des distalen Oberarms und insbeson
dere des streckseitigen Ellbogens (7 Kap. 26.5) eingesetzt werden.
26.5 Ellbogenregion
Komplexe Defekte im Bereich des Ellbogens umfassen zum einen
a Expositionen der Gefäß-Nerven-Bündel oder des Gelenks. Bei be-
grenzter Ausdehnung können diese mit dem proximal gestielten
A.-radialis-Lappen oder dem lateralen Oberarmlappen ausreichend
versorgt werden (. Abb. 26.8, 26.9).
Radialislappenplastik
4 Lappenart: (neuro-)fasziokutan oder Composite (Knochen,
Muskel, Sehnen), gestielt oder frei
4 Gefäße: A. radialis, Vv. comitantes und V. cephalica
4 Sensibilität: N. cutaneus antebrachii lateralis
26.6 Unterarm
Posteriorer Oberarmlappen. Eine alternative Möglichkeit besteht
in der Verwendung des posterioren Oberarmlappens, der über ei- Defekte im Bereich des Unterarms können mit der distal oder pro-
nen Gefäßstiel der A. brachialis oder A. brachialis profunda aus ximal gestielten Radialislappenplastik gedeckt werden, jedoch müs-
der Lücke zwischen Teres-major-Insertion und Triceps brachii sen die Vor- und Nachteile dieser Lappenplastik (ästhetische Be
versorgt wird. Der Pedikel besitzt bei einer Länge von 4,4 cm und einträchtigung, evtl. Schädigung der palmaren Mikrozirkulation)
mittlerem Durchmesser von 1,5 mm einen begleitenden Nerven bei der Indikationsstellung bedacht und kritisch abgewägt werden
ast des N. cutaneus brachii posterior für die sensorische Inner (»benefit-disability assessment«).
vation. Gestielt eignet er sich für eine Deckung der Axilla (Mas- Je nach Größe des Defektes können auch freie Lappenplastiken
quelet u. Rinaldi 1985), wurde aber auch als freier Lappen vor wie z. B. der Latissimus-dorsi-Lappen oder der »anterolateral thigh
geschlagen (. Abb. 26.6). flap« (ALT-Lappen) erforderlich sein, wenn es sich um ausgedehnte,
26.6 · Unterarm
215 26
a b
c d
. Abb. 26.6a-d Posteriorer Oberarmlappen für die Rekonstruktion der Axilla bei Strahlenulkus
26
a b
c d
26
a b
c d
26.7 Handrücken
3 verlässliche Lappenplastiken zur Defektdeckung im Bereich des
Handrückens sind der gestielte Leistenlappen, der A.-interossea-
posterior-Lappen und der distal gestielte Radialislappen.
a b
c d
Postoperativer Maßnahme
Tag
26
a b
a b
c d
. Abb. 26.14a–d Patientin mit streckseitigem Weichteildefekt der Hand über dem 2. Strahl (a). »Flap design« und Hebung des A.-interossea-posterior
Lappens (b). Defektdeckung (c) und direktes postoperative Ergebnis (d)
A.-interossea-posterior-Lappenplastik
4 Lappenart: fasziokutan, gestielt
4 Gefäße: A. interossea posterior, V. antebrachii
4 Sensibilität: keine
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27
Rekonstruktion
an der unteren Extremität
A. Jokuszies, P.M. Vogt
27.1 Therapieziele
. Tab. 27.2 Subklassifizierung der Typ-III-Frakturen
Ausgedehnte Knochen- und Weichteildefekte der unteren Extremi-
tät können die Folge von Trauma, Tumoren, Dekubiti oder Verbren- Typ Kennzeichen
nungen sein. Nicht selten gehen konzeptionelle Fehler bei der Ope-
IIIA Adäquate Weichteilbedeckung des Knochens
rationsplanung mit einer erhöhten Komplikationsrate einher. So
27 erfordern nicht nur komplexe Rekonstruktionsverfahren mit mikro- IIIB Freiliegender und teils deperiostierter Knochen mit Lappen-
vaskulären Lappentransplantaten, sondern auch elektive Eingriffe pflichtigkeit
wie z. B. die Endoprothesenimplantation eine sorgfältige und prä IIIC Zusätzlich und unabhängig vom Grad des Knochen- und
operative Diagnostik des Gefäßstatus der unteren Extremität. Zur Weichteilschadens begleitende Gefäßverletzung
Optimierung des Outcome sind zudem eingriffsspezifische Faktoren
wie die Festlegung des Operationszeitpunktes und die Auswahl des
geeigneten Operationsverfahrens unter Berücksichtigung der re- Eine Klassifikation von Weichteilverletzungen bei geschlossenen
konstruktiven Leiter essenziell. Dies erfordert ein interdisziplinäres und offenen Frakturen ist mit der sog. Hannover-Klassifikation
Konzept mit frühestmöglicher Einbindung des Plastischen Chir- möglich (Tscherne u. Gotzen 1984; . Tab. 27.3).
urgen im Rahmen des Schockraummanagements. Bei etwa 30% der Patienten mit offenen Frakturen liegt eine
Der günstigste Zeitpunkt zur Rekonstruktion komplexer Verlet- Multiorganbeteiligung vor, sodass hier zunächst die Kreislaufstabili-
zungen der unteren Extremität wird kontrovers diskutiert. Dabei sierung des Patienten im Vordergrund steht. Gefäßverletzungen be-
kann das von Godina aufgestellte Postulat zur Weichteilrekonstruk- dürfen der sofortigen Rekonstruktion mit ggf. gleichzeitiger oder
tion innerhalb der ersten 72 h nach Trauma insofern relativiert wer- prophylaktischer Fasziotomie zur Vermeidung eines posttrauma-
den, als dass vor dem Hintergrund moderner Behandlungsverfahren tischen Kompartmentsyndroms.
wie z. B. der VAC-Therapie verspätete Rekonstruktionen nunmehr Die Amputationsrate hängt dabei wesentlich von einer zeitnahen
mit verbesserter Erfolgsrate auch jenseits der 72-h-Grenze durch- Revaskularisation innerhalb der ersten 4–6 h und der Frage des Aus-
führbar sind (Godina 1986; Steiert et al. 2008). maßes der Knochenbeteiligung ab (Lange et al. 1985; Howard u. Ma-
kin 1990). Zudem korreliert die Inzidenz von Wundinfektionen di-
> Das Ziel jeder Rekonstruktion im Bereich der unteren Ex-
rekt mit dem Ausmaß des Weichteilschadens (Dellinger et al. 1988).
tremität ist aber der Extremitätenerhalt mit bestmöglicher
Funktionalität, Sensibilität, Belastbarkeit und Ästhetik. > Die Ziele der operativen Behandlung sind der infektfreie
Wundverschluss bei ungestörter Knochenbruchheilung
Die frühestmögliche medizinische Rehabilitation und soziale sowie
und die Wiederherstellung der Funktionalität.
berufliche Reintegration werden weiterhin trotz moderner Metho-
den der Wundbehandlung und Wundkonditionierung nur durch Voraussetzungen hierfür sind
eine möglichst frühe plastische Weichteilrekonstruktion zu erzielen 4 ein radikales Débridement,
sein. 4 eine stabile Osteosynthese,
4 die mikrochirurgische Revaskularisation und
4 eine antibiogrammgerechte Antibiotikatherapie.
27.2 Indikationsstellung
27.2.1 Traumatische Defekte 27.2.2 Onkologische Defekte
Traumatische Defekte an der unteren Extremität sind in der Regel Diese werden ausführlich in 7 Kap. 36 Weichgewebssarkome darge-
mit offenen Frakturen assoziiert, deren Einteilung sich an dem Ver- stellt.
letzungsmechanismus, dem Ausmaß des Weichteilschadens, dem Unter den malignen Tumoren der unteren Extremität stellen die
Frakturtyp und dem Kontaminationsgrad orientiert (Gustilo u. An- Weichgewebssarkome die größte Entität dar. Mit ca. 900 Neuerkran-
derson 1976; Gustilo et al. 1990; . Tab. 27.1). kungen pro Jahr machen sie einen Anteil von ca. 1% aller bösartigen
Während die offenen Frakturen vom Typ I und Typ II nach Gus- Neubildungen aus (7 Kap. 36).
tilo mit einem nur geringen Weichteilschaden einhergehen, erfor- In 14–58% der Fälle kommt es im multimodalen Behandlungs-
dern die Typ-III-Frakturen einen komplexen konzeptionellen und konzept zu schwerwiegenden Wundheilungsstörungen (Arbeit et al.
operativen Aufwand. Das Ausmaß des Weichteilschadens reicht hier 1987). Dieser Tatsache ist bei der Resektionsplanung und auch hin-
von einer ausgedehnten Zerstörung des Hautmantels bei noch suffi- sichtlich der plastischen Rekonstruktion Rechnung zu tragen.
zienter Knochenbedeckung (Typ IIIA) bis hin zu freiliegenden Kno- Die Rate postoperativer Wundheilungsstörungen kann sowohl
chen mit hohem Kontaminationsgrad (Typ IIIB) und Verletzung im Fall einer Tumorresektion im Bestrahlungsfeld als auch bei mög-
arterieller Gefäße (Typ IIIC; . Tab. 27.2). licher adjuvanter Radiatio durch eine Kombination mit simultaner
Typ I – <1 cm + –
. Tab. 27.3 Einteilung von Weichteilverletzungen bei geschlossenen und offenen Frakturen mit der Hannover-Klassifikation. (Nach Tscherne und
Gotzen 1984)
C0 Geschlossen – + –
CI Geschlossen + + bis ++ –
OI Offen + + bis ++ +
Weichteilplastik signifikant gesenkt werden. In vielen Fällen ermög- tung mit Anamnese, klinischer und ggf. apparativer bzw. interven
licht sie eine Radiatio erst (Barwick et al. 1992). Dies betrifft v. a. die tioneller Diagnostik, zu der insbesondere die gründliche Erfassung
Lokalisationen an Hand und Fuß sowie in der Nähe der großen des Gefäßstatus durch Palpation, Doppler-Sonographie, Verschluss-
Nervenbahnen (Evans et al. 1997). Dabei weisen mikrovaskulär an- druckmessung und Angiographie gehören. Wichtig sind die Erfas-
geschlossene Lappentransplantate im multimodalen Behandlungs- sung von Begleitverletzungen der Weichteile, des Knochens und
konzept mit intraarterieller Chemotherapie keine höheren Verlust funktioneller Strukturen wie Gefäßen, Nerven und Sehnen und die
raten bzw. Komplikationen auf (Sadrian et al. 2002). allgemeine Einschätzung des Narkoserisikos.
Fortgeschrittene, chirurgisch inkurable Tumoren können durch In der Folge sind häufig zunächst interventionell radiologische
geeignete Palliativeingriffe über die Beseitigung von Schmerz und Maßnahmen zur Verbesserung der Extremitätenperfusion oder
Geruchsbelästigung die Lebensqualität des Patienten entscheidend therapeutische Maßnahmen zur Optimierung des Allgemeinzustan-
verbessern. Darüber hinaus wird die Pflege der Patienten erleichtert des des Patienten erforderlich. Frakturen und Pseudarthrosen erfor-
(Merimsky et al. 2001). dern die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Unfallchirurgen.
Unabhängig von Frakturen stellt die temporäre Fixateur-externe-
Anlage eine gute Lagerungsmöglichkeit für die Weichteilpflege
27.2.3 Indikation zur Amputation dar. Bei eingeschränktem arteriellem Einstrom sind u. U. Gefäß
rekonstruktionen oder auch eine arteriovenöse Loop-Anlage erfor-
Indikationen zur Amputation sind: derlich.
4 ausgedehnte, auch exulzerierende Rezidivtumoren mit Um
mauerung der Nervenplexus oder Einbruch in große Gelenke,
4 Durchbruch der Membranae interosseae mit Gefäß-, Nerven- 27.4 Operationstechnik
und Knocheninfiltration,
4 Tumorwachstum durch den Metatarsus oder Metakarpus. 27.4.1 Onkologische Defekte
Die Indikation zur Amputation besteht erst dann, wenn bei guter Details sind in 7 Kap. 36 (Weichgewebssarkome) dargestellt.
Gesamtprognose eine lokale Sanierung anderweitig nicht möglich
erscheint oder sich durch ausgedehntes Wachstum mit Ulzeration
eine palliative Indikation ergibt. Letzteres gilt insbesondere bei funk- 27.4.2 Traumatische Defekte
tionsloser Extremität.
Mit den modernen plastisch-rekonstruktiven Operationsverfah- Traumatisch bedingte Knochen- und Weichteildefekte der unteren
ren und auch adjuvanten Therapiemaßnahmen reduziert sich heute Extremität erfordern ein multimodales Behandlungskonzept unter
die Indikation auf <10%, zumal die Prognose hinsichtlich des Über- Einbeziehung des Plastischen Chirurgen. Die konzeptionelle Pla-
lebens durch radikalere Vorgehensweisen (z. B. Ablatio) nicht ver- nung beginnt bereits im Schockraum und sollte die folgenden As-
bessert wird. pekte berücksichtigen:
Dabei sind auch atypische oder segmentale Amputationsformen 4 Unfallzeitpunkt,
mit funktionellem Gewinn für die Patienten durchführbar (Wind- 4 Verletzungsmechanismus,
hager et al. 1995) 4 absorbierte Energie,
4 Art der Fraktur,
4 Verletzung innerer Organe,
27.3 Operationsvorbereitung 4 Ausmaß des Weichteilschadens,
4 Gefäßstatus,
Zur Planung eines plastisch-rekonstruktiven Eingriffs an der un- 4 Neurologie,
teren Extremität gehört die übliche umfassende Operationsvorberei- 4 Begleiterkrankungen des Patienten.
226 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität
Primäres Ziel sollte der Extremitätenerhalt und die frühestmögliche > Infektfreie Wundverhältnisse sind die Voraussetzung plas-
funktionelle Rehabilitation sein. tisch-rekonstruktiver Operationsverfahren. Die Auswahl
Dabei orientieren sich das Weichteilmanagement und die Aus- einer geeigneten Lappenplastik sollte sich stets an dem
wahl des Deckungsverfahrens am Konzept der »rekonstruktiven Prinzip der rekonstruktiven Leiter orientieren, aber auch
Leiter« (. Abb. 14.2, Levin 1993). Hier gilt es, dem einfachsten Ope- langfristige Aspekte der Weichteilwiederherstellung be-
rationsverfahren den Vorzug zu geben, vorausgesetzt, dieses bietet rücksichtigen (Belastungsstabilität, evtl. Längenwachstum).
27 eine zufriedenstellende Lösung des Weichteilproblems. Die stufen-
weise Eskalation von der Primärnaht über Hauttransplantate, lokale . Tab. 27.4 gibt die Möglichkeiten der Defektdeckung mit gestielten
Lappenplastiken bis hin zu gestielten Fernlappen und freien mikro- Lappenplastiken bei traumatischen Defekten der unteren Extremität
vaskulären Lappentransplantaten orientiert sich dabei stets am wieder.
Ausmaß des Weichteilschadens, an der Infektsituation, Exposition
von Knochen, Gefäß- und/oder Nervenstrukturen und Defektloka-
lisation. 27.5 Weichteildefektdeckung
> Ist eine Amputation unumgänglich, sollte immer an die
der Oberschenkel- und Leistenregion
heterotope Verwendung noch vitaler Strukturen der am-
M.-rectus-abdominis-Lappen. Ausgedehnte Defekte lassen sich im
putierten Gliedmaße im Sinne eines Salvage-Verfahrens
Bereich der inguinalen und proximalen Oberschenkelregion sehr
gedacht werden.
gut durch den gestielten oder ggf. freien vertikalen oder extendierten
Freie mikrovaskuläre Lappentransplantate erfordern die genaue M.-rectus-abdominis-Lappen decken. Nachteil ist hierbei der nicht
Kenntnis des Gefäßstatus der Empfängerregion. Hierzu empfiehlt unerhebliche abdominelle Hebedefekt (Hernienbildung; 7 Kap. 24),
sich die präoperative Durchführung einer Angiographie. Nicht sel- (. Abb. 27.1).
ten wird bei ausgedehnter Kontusionszone die Verlagerung der
Anastomose außerhalb des verletzten Bereichs mittels Venenschleife Tensor-fasciae-latae-Lappen und Vastus-lateralis-Lappen. Der
bzw. »loops« erforderlich (Vogt et al. 2007). Auch kann bei nicht muskulokutane Tensor-fasciae-latae-Lappen und der Vastus-latera-
ausreichender Länge der Lappen- oder Anschlussgefäße eine Verlän- lis-Lappen bieten als proximal gestielte Lappen die Möglichkeit zur
gerung derselben durch die Zwischenschaltung von Venenstücken Defektdeckung am proximalen Oberschenkel, insbesondere über
erreicht werden. den Femoralgefäßen, und zur Dekubitusbehandlung über dem Tro-
Nach Anschluss größerer Lappenplastiken kann es zum sog. chanter. Der funktionelle Verlust nach Transposition des Vastus-
»Steal-Phänomen« kommen mit einer sukzessiven Ischämie der ab- lateralis-Lappens ist vernachlässigbar gering. Im Falle eines Ver-
hängigen Extremität (Tschopp u. Banic 1992). Ursache hierfür ist schlusses der A. femoralis superficialis besitzt dieser Muskel zudem
wahrscheinlich ein herabgesetzter Gefäßwiderstand durch Denerva- eine kräftige Gefäßverbindung zwischen der A. profunda femoris
tion des freien Lappens (Erni et al. 1999). und der A. poplitea.
Fernerhin muss präoperativ eine traumatisch oder iatrogen
bedingte Fußheberparese ausgeschlossen werden. Hier sind pri M.-gracilis-Lappen. Als gestielter Lappen dient der Gracilislappen
märe oder sekundäre autologe Nerventransplantate und funktio- hauptsächlich zur Defektdeckung in der Leiste und Regio femoris
nelle Sehnenersatzplastiken in das Behandlungsregime mit einzu- posterior, findet hier jedoch aufgrund seiner limitierten Größe nur
beziehen. selten Anwendung. Seine Bedeutung gewinnt er als freies mikroneu-
rovaskuläres Transplantat. Sein hauptsächlicher Einsatzbereich ist
eher in der dynamischen Reanimation des Gesichtes zur Behand-
. Tab. 27.4 Möglichkeiten der Defektdeckung mit gestielten Lappenplastiken bei traumatischen Defekten der unteren Extremität
lung der Facialisparese sowie in der Behandlung der Plexusparese mittleren und distalen Unterschenkels (. Abb. 27.3). Ihr Vorteil liegt
mit funktioneller Wiederherstellung der Ellbogenflexion, Handge- im Erhalt der großen Unterschenkelgefäße und Muskelgruppen, au-
lenksstreckung und Fingerbeugung anzusiedeln (Terzis 1997; Barrie ßerdem besteht keine Erfordernis mikrovaskuärer Eingriffe. Dem
et al. 2004). stehen als Nachteile die Hebedefektmorbidität und die Abhängigkeit
von entsprechenden Gefäßarkaden gegenüber.
27
a b c
. Abb. 27.2a–c Defektdeckung eines traumatischen Kniegelenkweichteil- dialen Gastrocnemiusmuskellappens, der mit Spalthaut gedeckt wurde (b).
defektes mit eröffnetem Kniebinnenraum (a). Ventraler Durchzug eines me- Funktionelle Wiederherstellung mit belastungsfähigen Weichteilen (c)
Freie Lappenplastiken
Scheiden gestielte Lappenplastiken als Option aus, erlauben freie
mikrovaskuläre Transplantate eine äußerst variantenreiche Weich-
. Abb. 27.3 Synoptische Darstellung der Rotationsbögen diverser gestiel- Lokale Lappen Freie Lappenplastiken
ter Muskellappen der Unterschenkelregion plastiken
teilrekonstruktion. Der Erfolg hängt wesentlich von der ausrei- konsekutiver phlegmonöser Entzündung. Weiterhin können Weich-
chenden Gefäßversorgung des Unterschenkels ab, der durch die teildefekte nach Osteosynthesen mit flächiger Denudierung (v. a. in
entsprechenden gefäßchirurgischen Standarduntersuchungen abzu- der Rückfußregion) sowie nach atypischer Schnittführung oder bei
klären ist (Aust et al. 2007). Hautverschluss unter Spannung auftreten (Maisels 1961).
Durch die stete Weiterentwicklung der Perforatorlappen mit Chronisch-rezidivierende Ulzerationen mit persistierender fis
passgenauer Präparation dünner fasziokutaner Lappen auf dem Bo- telbildender Osteitis entwickeln sich auf dem Boden instabiler Nar-
den des Angiosomenkonzeptes von Taylor u. Palmer mit retrograder benplatten als Folge einer ungenügenden Weichteildeckung der
Dissektionstechnik , d. h. Präparation des Perforators bis hin zu sei- druckbelasteten Fersen- oder Sohlenareale. Hieraus ergibt sich häu-
nem Stammgefäß, erweitert sich das Angebot der zur Verfügung fig eine sekundäre Amputationsindikation.
stehenden Lappen beträchtlich (Taylor u. Palmer 1987). Wesentliche Iatrogene Ursachen sind Redression, Extension, schnürende Ver
Vorteile liegen in der geringen Hebedefektmorbidität und der ver- bände, unzureichende Gipsmodellierung und Dekubiti durch insuf-
besserten Ästhetik durch die im Vergleich zum Muskellappen ge fiziente Lagerung.
ringere Gewebemasse, welche sich exakter an den Defekt anpassen
lässt. Zudem lassen sich hierdurch Folgeeingriffe zur Ausdünnung
des Muskellappens vermeiden. Die in unserer Klinik am häufigsten . Tab. 27.6 Möglichkeiten der Defektdeckung an der unteren Extre-
angewandten Perforatorlappen sind der ALT- und der Paraskapular- mität mit freien Lappenplastiken
lappen.
. Tab. 27.6 gibt eine Übersicht über die Defektdeckung mit frei- Gefäßsystem Freie Lappenplastiken
en Lappentransplantaten bei traumatischen Defekten der unteren
Subskapularsystem (para 4 Skapular-/Paraskapularlappen
Extremität; ein Beispiel ist in . Abb. 27.4 dargestellt. . Tab. 27.7 zeigt
vertebrale Perforatoren) 4 Lappenkombinationen
die Möglichkeiten der Defektdeckung mit osteo(myo)kutanen Lap-
pen zur simultanen Knochenrekonstruktion. A. circumflexa femoris 4 ALT (anterolateraler Thigh-Flap)
lateralis 4 Tensor-fasciae-latae-Lappen
4 Lappenkombinationen
27.7 Weichteildefektdeckung am Fuß A. epigastrica superior 4 Rectus-abdominis-Lappen
et inferior
Weichteildefekte des Fußes entstehen primär nach direktem mecha-
A. thoracodorsalis 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
nischem, chemischem oder thermischem Trauma oder sekundär als 4 M. serratus anterior
Folge von Perfusionsstörungen nach schwerem Quetschtrauma und
230 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität
. Tab. 27.7 Möglichkeiten der Defektdeckung mit osteokutanen oder osteomyokutanen Lappen zur simultanen Knochenrekonstruktion
b c
. Abb. 27.5a–c Ausgedehnter Weichteildefekt über dem streckseitigen ALT-Lappen (»anterior lateral thigh flap«) mit Gefäßstiel zum freien mikro-
linken Mittel- und Vorfuß nach komplexem Fußtrauma mit drittgradig offe- vaskulären Anschluss (b). Funktionell und ästhetisch zufriedenstellendes
nen Frakturen des OSG sowie der Metatarsalia 2/3 (a). Dünner fasziokutaner Ergebnis postoperativ (c)
. Tab. 27.9 Möglichkeiten der Defektdeckung der Fußsohle und Ferse durch freie mikrovaskuläre Transplantate
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28
> An dieser Stelle ist zu betonen, dass es sich nicht um eine Diese Komplikationen konnten durch eine reduzierte Immunsup
Akutoperation handelt, sondern dass derzeit die Spender- pression verringert werden. Auf die notwendige Immunsuppression
und Empfängerauswahl über einen mehrwöchigen oder und die Abstoßungsreaktion wird im Folgenden eingegangen.
-monatigen Zeitraum in hochspezialisierten Einzelzentren
angeboten wird. Erst bei Erfüllen aller Kritieren eines Immunsuppression
im Transplantationszentrum festgelegten Protokolls sollte Von wesentlicher Bedeutung für die Transplantatfunktion hat sich
die Entscheidung für eine Composite-Tissue-Allotrans- bei der Gewebeallotransplantation die kontinuierliche Immunsup
plantation getroffen werden. pression erwiesen. Insbesondere die gewissenhafte Einnahme der
Immunsuppression ist entscheidend für den Langzeiterfolg. Alle bis
28 Operativ empfiehlt sich das Arbeiten mit mindestens 2 Operations her beschriebenen Transplantatverluste sind auf die Unterbrechung
teams pro Extremität mit einem Entnahmeteam und einem Empfän der Immunsuppression zurückzuführen. In China haben nur 27%
gerteam. Im Falle einer beidseitigen Hand-/Unterarmtransplanta der Transplantate überlebt, da dort der Zugang zu einer dauerhaften
tion sind entsprechend 2 Entnahme- und 2 Empfängerteams emp qualifizierten Immunsuppression nicht gegeben ist. Eine Übersicht
fehlenswert. Das Entnahmeteam achtet auf eine möglichst umfas gibt . Tab. 28.1.
sende Gewebeentnahme mit langen neurovaskulären Stielen. Die
> Das ultimative Ziel der Immunsuppression ist die effektive
Blutleere ist empfehlenswert für optimale Sichtbedingungen bei der
Verhinderung der Abstoßungsreaktion bei Minimierung
Entnahme und beim Empfänger.
der toxischen Nebenwirkungen der eingesetzten Immun-
Die Schnittführung beim Empfänger soll die neurovaskuläre
suppressiva.
Präparation erleichtern, jedoch nicht direkt über Nerven oder
Gefäßen platziert werden, da Schwellung den primären Wundver Sowohl die Unterdosierung der Immunsuppressiva mit konsekutiver
schluss verhindern kann und ggf. durch Z-Plastiken oder den freien Abstoßungsreaktion wie auch die Überdosierung mit konsekutiven
Gewebetransfer in der Folge geschlossen werden müssen. So hat sich Infektionen und Toxizität oder auch Tumorinduktion im Langzeit
eine von Empfänger (dorsal) zu Spender (mittseitlich) um 90° ver verlauf ist problematisch und bedarf eines genauen Monitorings,
setzte Hautinzision wegen der guten präparatorischen Übersicht z. T. über Blutserumspiegel der eingesetzten Substanzen.
und otimalen Abdeckung der genähten Strukturen bewährt.
! Cave
Die Dissektion beginnt subkutan mit Vorpräparation bis zum
Für nierentransplantierte Patienten wurde das Risiko für
Knochen. Dabei erfolgt das eindeutige Markieren der identifizierten
die Entwicklung einer lymphoproliferativen Erkrankung
anatomischen Strukturen beim Empfänger. Nach Präparation aller
mit 2–10% angegeben (First u. Peddi 1998).
Empfängerstrukturen erfolgt nach Beenden der Blutleere die subtile
Blutstillung beim Empfängerstumpf wie auch beim Spendergewebe. Eine Kalkulation basierend auf einem 200.000 Nierentransplanta
Nach vollständiger Präparation und Blutstillung erfolgt die Perfu tionen umfassenden Register ergab folgende Risiken innerhalb
sion mit 500 ml University-of-Wisconsin-Lösung (UW-Lösung) von 5 Jahren nach Transplantation (Baumeister et al. 2004):
über die A. brachialis. 4 3% Risiko für die Entwicklung jedweden Tumors,
In der folgenden Sequenz erfolgt dann die Transplantation der 4 1,1% Risiko für die Entwicklung von Hautkrebs,
Hand bzw. des Unterarms: 4 0,58% Risiko für die Entwicklung eines Lymphoms.
4 Osteosynthese des Knochens.
4 Gefäßanastomosen der Hauptarterie (A. radialis oder A. ulna Generell unterscheidet man unterschiedliche Phasen der Immun-
ris) und zweier Hauptvenen (V. cephalica) unter dem Mikros therapie:
kop, um eine möglichst kurze Gesamtischämiezeit zu erzielen. 4 Induktionstherapie,
4 Muskel-Sehnen-Naht. 4 Erhaltungstherapie,
4 Komplettierung der Gefäßanastomosen mit mindestens 1–2 tie 4 Akute Abstoßungstherapie.
fen Venen nach Optimierung der Gefäßlänge und Vermeidung
von Kinking. Induktionstherapie. Während der Induktionstherapie ist es das
4 Nervenrekonstruktion unter dem Mikroskop: Ziel, eine sofortige und profunde Immunsuppression für ca. 2 Wo
5 N. medianus, chen postoperativ zu erzielen, um das Risiko einer sofortigen Absto
5 N. ulnaris, ßungsreaktion (7–14 Tage nach Transplantation) zu minimieren.
5 N. radialis bzw. R. superficialis N. radii. Die 4 am häufigsten für die Induktionstherapie verwendeten Subs
4 Hautverschluss mit Z-Plastiken nach subtiler Blutstillung. tanzen sind:
4 Polyklonale Anti-Thymozytenglobuline (ATG),
4 Anti-Interleukin-2-Rezeptor-monoklonale Antikörper:
28.2.3 Komplikationen 5 Daclizumbab,
5 Basiliximab,
Während der ersten 8–20 Monate nach Handtransplantation sind 4 Campath-1H,
neben Abstoßungsreaktionen folgende Komplikationen berichtet 4 Anti-CD3-monoklonale Antikörper.
worden:
4 insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Der Transfer von Knochenmark zur Induktionstherapie konnte im
4 Cushing-Syndrom, Tierexperiment Toleranz über Mikrochimerismus induzieren, je
4 CMV-Kolitis, doch stehen klinische Erfahrungen derzeit noch aus.
4 Herpesinfektion der Haut,
4 kutane Mykosen. Erhaltungstherapie. Die Erhaltungstherapie soll die Fähigkeit
des Immunsystems reduzieren, das transplantierte Gewebe zu at
tackieren.
28.2 · Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen Chirurgie
239 28
. Abb. 28.2 Das »rekonstruktive Uhrwerk« mit dem integralen Bestandteil der Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA). (Nach Knobloch u. Vogt 2010)
28.2 · Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen Chirurgie
241 28
28.2.5 Perspektiven Knobloch K, Vogt PM, Rennekampff HO (2009) Composite tissue allotrans-
plantation (CTA): organ or tissue transplantation? Handchir Mikrochir
Plastische Chirurgen werden sich weltweit aufgrund der hohen Plast Chir 41 (4): 205–209
Lanzetta M, Petruzzo P, Dubernard JM, Margreiter R, Schuind F, Breidenbach
Transplantatüberlebensraten, der Patientenakzeptanz und auch der
W, Nolli R, Schneeberger S, van Holder, Gorantla VS, Pei G, Zhao J, Zhang
immer positiveren Wahrnehmung in Fachkreisen zunehmend mit
X (2007) Second report (1998–2006) of the International Registry of Hand
der Option der Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) befas and Composite Tissue Transplantation. Transplant Immun 18: 1–6
sen. Die im jeweiligen Land gültigen gesetztlichen Bestimmungen Lee AB, Dupin CL, Colen L, Jones NF, May JW, Chiu ES (2008) Microvascular free
werden einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung die tissue transfer in organ transplantation patients: Is it safe? Plast Reconstr
ser Operationsform nehmen. So ist die Frage, ob es sich bei der CTA Surg 121: 1986–1992
um eine reine Gewebespende handelt oder um eine Organtransplan Levi DM, Tzakis AG, Kato T, Madariaga J, Mittal NK, Nery J, Nishida S, Ruiz P
tation, nicht trivial (Knobloch et al. 2009). Hier ist die intensive (2003) Transplantation of the abdominal wall. Lancet 361 (9376): 2173–
Kommunikation mit den involvierten Partnern zwingend, um auch 2176
Rechtssicherheit für alle Beteiligten sicherzustellen angesichts bei Merrill JP, Murray JE, Harrison JH, Guild WR (1956) Succesful homotransplan-
tations of the human kidney between identical twins. J Am Med Assoc
spielsweise der Vorgaben des Gewebegesetzes bzw. des Transplanta
160 (4): 277–282
tionsgesetzes.
Petruzzo P, Badet L, Gazarian A, Lanzetta M, Parmentier H, Kanitakis J, Sirigu
Wir glauben, dass die CTA für sehr ausgewählte Patienten, ggf. A, Martin X, Dubernard JM (2006) Bilateral hand transplantation: six years
in Ergänzung zu weiteren rekonstruktiven Optionen, eine operative after the first case. Am J Transplant 6: 1718
Möglichkeit der wiederherstellenden Chirurgie, der ureigensten Selvaggi G, Levi DM, Kato T, Madariaga J, Moon J, Nishida S, Tzakis AG (2004)
Aufgabe unseres Fachgebietes, sein wird. Insofern sehen wir die Expanded use of transplantation techniques: abdominal wall transplan-
Composite-Tissue-Allotransplantation auch nicht im starren Sche tation and intestinal autotransplantation. Transplant Proc 36 (5): 1561–
ma einer »rekonstruktiven Leiter« auf einer bestimmten Stufe, son 1563
dern integriert in ein »rekonstruktives Uhrwerk« mit allen moder Strome M, Stein J, Esclamado R, Hicks D, Lorenz RR, Braun W, Yetman R, Eli-
nen Möglichkeiten der rekonstruktiven Chirurgie (. Abb. 28.2). achar I, Mayes J (2001) Laryngeal transplantation and 40-month follow-
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IV
Amputationen
A. Jokuszies, K. Knobloch
Amputationen
an der oberen Extremität
K. Knobloch
29.1 Operationsziele
Amputationsverletzungen der Finger und des Daumens müssen im
mer auf ihre Replantierbarkeit und die Möglichkeit komplexer Re-
konstruktionen überprüft werden. Komplette Daumenverluste sollten
möglichst frühzeitig durch Ersatzverfahren rekonstruiert werden. Vor
allem bei Amputationen proximal des Handgelenks gilt es, eine maxi-
male Länge zu erhalten. Die Funktion und Nutzbarkeit einer protheti
schen Versorgung stehen in unmittelbarer Beziehung zur Stumpf
länge, insbesondere bei Erhalt des Ellbogengelenks (. Abb. 29.1). . Abb. 29.1 Amputationshöhen an der oberen Extremität. (Aus: Eichhorn-
Sens u. Vogt 2006)
29.7 Krukenberg-Operation
1917 stellte Krukenberg die Bildung eines sensiblen Unterarmstump-
fes mit einem radialen und einem ulnaren Strahl vor. Dieses ange-
sichts myoelektrischer Prothesen nicht mehr gebräuchliche Verfah-
b ren wird deshalb erwähnt, weil es immer noch ein ingeniöses und
sehr brauchbares Verfahren darstellt (. Tab. 29.1). Gerade in Ent-
wicklungsländern hat diese Maßnahme Bedeutung, da hier oft keine
kostspielige prothetische Versorgung erfolgen kann (Garst 1991).
Gesteuert werden die beiden Unterarmstrahlen im Wesentlichen
über den M. pronator teres. Die Krukenberg-Operation wurde klas-
sischerweise bei blinden und beidseitig unterarmamputierten Pa
tienten vorgenommen, wenn die Ellbogenfunktion gut erhalten ist.
Wenn eine Ellbogenkontraktur in Beugestellung von >70° besteht,
sollte die Krukenberg-Operation nicht durchgeführt werden. Es
wird eine Unterarmstumpflänge von 12–15 cm empfohlen. Die Un-
terarmmuskulatur wird bis auf die Mm. pronator teres, flexor carpi
ulnaris, brachioradialis und supinator entfernt.
Die Nachbehandlung nach der Amputation beginnt mit der Banda- Eine heute übliche frühzeitige prothetische Versorgung mit Interim-
gierung des Stumpfes zur Stumpfformung. Die initiale Frühpro sprothesen frühzeitig nach stattgehabter Amputation weist folgende
thesenversorgung folgt ab der 2. postoperativen Woche bzw. nach positive Effekte auf:
Abschluss der Wundheilung und Abschwellung. Diese Frühprothe- 4 Verbesserung der Wundheilung,
sen sind mit volumenanpassbaren Luftkammern ausgestattet. Im 4 Ödemkontrolle,
weiteren Verlauf wird auf individuell anzupassende Prothesenschäfte 4 Frühe Formung des Amputationsstumpfes,
übergegangen. 4 Frühe Funktion und Reintegration in den Alltag.
> Patienten, die innerhalb der ersten 30 Tage nach der
Amputation mit einer Interimsprothese versorgt wurden,
29.9.1 Kortikale Reorganisation tragen 3-mal wahrscheinlicher über lange Zeit ihre
nach Amputationen Prothese.
Die jüngste Forschung konnte nachweisen, dass die funktionelle Die Einteilung von Prothesentypen erfolgt nach
kortikale plastische Reorganisation unabhängig vom Typ der Am- 4 Leistungskriterien,
putation schon frühzeitig stattfindet und schon innerhalb von 4 Konstruktionsmerkmalen,
10 Tagen postoperativ nachweisbar sein kann (Jebson u. Louis 4 Kraftquellen.
2005).
Die menschliche Hand kann folgende Griffformen ausführen:
4 Zylindergriff,
29.10 Minderung der Erwerbstätigkeit 4 Spitzgriff,
4 Koffergriff,
Amputationen an der oberen Extremität als Traumafolge kommen 4 Dreipunktegriff.
häufig nach Berufsunfällen vor und unterliegen daher dem Durch-
gangsarztverfahren mit entsprechenden Implikationen für die finan- Diese können auch durch eine Prothesenhand bzw. einen Greifha-
zielle Entschädigung, wie sie beispielhaft . Tab. 29.2 entnommen ken ausgeführt werden.
werden kann. 4 Kugel- und
4 Schlüsselgriff
29.11 Prothetische Versorgung dagegen können nur von der menschlichen Hand und derzeit nicht
mit einer Prothese imitiert werden.
29.11.1 Kurzer Abriss über die Geschichte
Kosmetische Prothesen
Den erstverbürgten Hinweis finden wir im II. Punischen Krieg, der Es handelt sich um passive Prothesen. Mit ihnen wird nur das äu-
von 218–201 v. Chr. dauerte, bei dem der Römer Marcus Sergius ßere Erscheinungsbild wiederhergestellt, denn manche Patienten
seine rechte Hand verlor. Er ließ sich eine eiserne Hand anfertigen, verzichten bewusst auf aktive Funktionen einer Armprothese und
kämpfte weiter und siegte nach der Überlieferung. Im Mittelalter geben dem kosmetischen Ausgleich des fehlenden Gliedmaßenab-
wurde die eiserne Hand des Götz v. Berlichingen bekannt. Er verlor schnittes den Vorrang. In diesem Fall werden jedoch an die Prothese
seine rechte Hand im Jahr 1504. In der Folgezeit nach der Verwun- hohe Ansprüche in Bezug auf Gestaltung, Aussehen, Tragekomfort
dung und Genesung wurde die Ersatzhand zwischen 1504 und 1510 und Gewicht gestellt. Außerdem wird eine unkomplizierte Handha-
gebaut und hatte ein Gewicht von 600 g. bung erwartet.
. Tab. 29.2 Bewertung der Grad der Behinderung/Minderung der Erwerbstätigkeit bei Gliedmaßenverlust. (Nach Mollowitz 1998)
Verlust im Ellbogengelenk 70 70
Manche Patienten benutzen die Kunsthand ihrer Armprothese Ellbogengelenk durch eine Zugbandage zu betätigen. Da Eigenkraft
zeitweise als Beihand oder zum Tragen von Gegenständen. und Fremdkraft miteinander kombiniert werden, bezeichnet man
Grundsätzlich ist dieses Prothesensystem bei allen Amputations dieses System als Hybridprothese.
höhen anwendbar. Besondere Bedeutung kann diese Versorgungsart
> Entscheidend ist es, dass alle Rehabilitationsmaßnahmen in
bei hohen Absetzungen haben, wenn funktionelle Prothesen abge-
interdisziplinärer Zusammenarbeit möglichst bald nach der
lehnt werden oder nicht erfolgreich einzusetzen sind.
Amputation beginnen. Die prothetische Frühversorgung
Ein Teilhandverlust wird mit einem kosmetischen Handschuh,
hat günstigen Einfluss auf die Behandlung. Aufgabe der
der mit einer Innenhand ausgefüllt ist, versorgt. Dabei sollten Sensi-
Krankengymnastik ist es, rechtzeitig mit Bewegungsübun
bilität und verbleibende Funktion der verletzten Hand nicht zu sehr
gen und Muskeltraining zu beginnen, während sich die Be-
beeinträchtigt werden.
schäftigungstherapie mit dem Prothesentraining befasst.
29 Zugbetätigte Prothesen
Diese Eigenkraftprothesen nutzen eine indirekte Kraftquelle. Die
Prothesenfunktionen werden durch die Bewegungen des Stumpfes 29.11.3 Handgelenkexartikulation
bzw. des Schultergürtels über eine Kraftzugbandage ausgeführt.
Zur Koordination der verschiedenen Funktionen bedarf es eines Bei der Exartikulation im Handgelenk entsteht ein verhältnismäßig
intensiven Lernprozesses des Patienten. langer, distal verbreiterter Stumpf, der zur Prothesenhaftung gut ge-
Dieses Prothesensystem ist praktisch bei allen Stumpflängen, eignet ist. Auf kosmetische Korrekturen an den distalen Knochenen-
außer bei Amputationen im Handbereich, einzusetzen. Bei höheren den sollte daher verzichtet werden. Für die Versorgung der Handge-
Absetzungen, insbesondere im Schulterbereich, wird die Betätigung lenkexartikulation stehen kosmetische und funktionelle Prothesen-
der Prothese schwieriger. Bei Unterarmprothesen betätigt die Kraft- systeme zur Verfügung.
zugbandage nur das Greiforgan. Bei allen proximal des Ellbogenge-
lenks gelegenen Absetzungen werden Handfunktion, Ellbogenbeu- Zugbetätigte Prothese
gung und Ellbogensperrung über eine Dreizugbandage gesteuert. Ist Diese funktionelle Prothesenart, auch »aktiver Greifarm« genannt,
die zugbetätigte Ellbogensperrung entbehrlich, reicht eine Zweizug- ist für die Versorgung der Exartikulation im Handgelenk geeignet,
bandage aus. Bei beidseitig Amputierten ist neben den Versorgungen insbesondere, wenn die Voraussetzungen für eine myoelektrisch ge-
mit diesem Prothesensystem auch die Kombination mit einer pas- steuerte Prothese nicht gegeben sind. Geringes Gewicht und Unab-
siven oder mit einer myoelektrischen Prothese möglich. hängigkeit von einer Energiequelle, im Vergleich zu Fremdkraftpro-
Der konsequenten Armschulung kommt bei den zugbetätigten thesen, sind von Vorteil.
Prothesen besondere Bedeutung zu. Der Patient lernt, die verschie-
denen Bewegungen der Prothese gezielt zu kontrollieren und kann Myoelektrisch gesteuerte Prothesen
sogar ein gewisses Ausmaß an Rückmeldung erreichen. Diese Fremdkraftprothese ist für die Versorgung von Exartikula
tionen im Handgelenk in vielen Fällen der Vorzug zu geben. Voraus-
Myoelektrische betriebene Armprothesen setzung dafür ist, dass ausreichende Muskelaktionspotenziale zur
Es handelt sich um Fremdkraftprothesen. Die spezifischen Eigen- Ansteuerung der Systemelektrohand vorhanden sind. Eine unter-
schaften dieses Systems haben entscheidenden Einfluss auf die Arm- halb des Ellbogengelenks endende Kontaktbettung reicht, bedingt
prothetik genommen. Nicht allein die technische Konstruktion ist durch die distale Verbreiterung des Stumpfes, zur sicheren Prothe-
maßgebend für das Versorgungsergebnis, von wesentlicher Bedeu- senbefestigung aus und lässt eine unbehinderte Pro- und Supinati-
tung ist es, eine zuverlässige »Mensch-Maschine-Verbindung« zu onsbewegung zu. Die Elektroden sind in der Stumpfbettung elastisch
erreichen. Damit ist gemeint, ob der Amputierte in der Lage ist, die aufgehängt. Der Außenschaft bildet die äußere Form, verkleidet Ka-
Prothese in sein Körperschema zu integrieren. bel und Elektroden und nimmt den Wechselakkumulator auf. Die
Zur myoelektrischen Steuerung werden elektrische Aktions- Verbindung zur Systemelektrohand bzw. zum Elektrogreifer wird
potenziale von der Stumpfmuskulatur für die Betätigung der Prothe- über einen im Schaft befestigten Eingussring hergestellt.
se genutzt. Diese Potenziale entstehen bei der Kontraktion eines
Muskels und sind auf der Hautoberfläche im Mikrovoltbereich
messbar. Sie werden von Elektroden abgenommen, verstärkt und als 29.11.4 Unterarmprothesen
Steuersignale zu den Funktionselementen geleitet.
Als Energiespender dient ein aufladbarer 6-Volt-Akkumulator Bei einer Amputation am Unterarm werden Knochen und Weichtei-
bzw. für Kinderprothesen ein 4,8-Volt-Akkumulator, der im Prothe- le möglichst wenig gekürzt, da jeder erhaltene Abschnitt von Vorteil
senschaft untergebracht ist und bei Bedarf vom Patienten gewechselt für die Prothesenversorgung ist. Die Stumpflänge beeinflusst als He-
werden kann. belarm die Prothesenführung und ist für das Ausmaß der Pro- und
Supinationsbewegungen entscheidend. Für die Versorgung von Un-
Hybridprothesen terarmstümpfen unterschiedlicher Amputationshöhe stehen kosme-
Myoelektrisch gesteuerte Armprothesen können bei allen Amputa- tische und funktionelle Prothesensysteme zur Verfügung. Moderne
tionshöhen proximal des Handgelenks eingesetzt werden. Voraus- Anwendungstechniken ermöglichen auch die Versorgung kurzer
setzung dafür ist, dass der Patient die in Frage kommenden Muskel- Stümpfe ohne Befestigung am Oberarm.
gruppen isoliert und ausreichend kräftig anspannen kann. Das ge-
lingt bei den Antagonisten des Unterarms meist ohne Probleme
recht schnell. Bei höheren Amputationen, insbesondere bei Ver 29.11.5 Oberarmamputation
wendung einer Mehrkanalsteuerung, ist ein intensiveres Training
notwendig. In diesen Fällen besteht auch die Möglichkeit, sich auf Bei einer Amputation am Oberarm werden Knochen und Weichtei-
die myoelektrische Ansteuerung der Hand zu beschränken und das le möglichst wenig gekürzt, da auch hier jeder erhaltende Abschnitt
29.12 · Psychologische Aspekte
251 29
für die Prothesenversorgung von Vorteil ist. Die Stumpflänge ist ent-
scheidend für die Prothesenhaftung und beeinflusst als Hebelarm
die Führung der Prothese.
Wie bei den Unterarmprothesen stehen auch für die Versorgung
von Oberarmstümpfen unterschiedlicher Amputationshöhen kos-
metische und funktionelle Prothesensysteme zur Verfügung. Die
dargestellten Prothesensysteme zeigen die unterschiedlichen Mög-
lichkeiten für die Versorgung aller Amputationshöhen am Oberarm
auf. Stumpflänge, Muskelfunktion usw. sowie die körperliche Leis-
tungsfähigkeit des Patienten und seine Ansprüche an die Einsatz-
möglichkeiten der Prothese sind für die Auswahl entscheidend.
Die kosmetische Prothese hat zwar das geringste Gewicht, je-
doch nur eine eingeschränkte passive Funktion. Sie wird meistens
aus Modularbauteilen hergestellt. Bei der zugbetätigten Prothese ist
für die Bewegung der Funktionselemente eine Dreizugbandage er-
forderlich. Bei der Hybridprothese werden Eigenkraft und Fremd-
kraft miteinander kombiniert. Das Ellbogengelenk wird über eine
Schulterbandage betätigt und die Prothesenhand myoelektrisch ge-
steuert. Bei der myoelektrisch gesteuerten Prothese erfolgt die An-
steuerung der Funktionen (Greiforgan und Ellbogengelenk) über
Muskelpotenziale, die von Elektroden abgenommen werden. Ener-
giequelle ist ein 6-Volt-Wechselakkumulator.
Oberarmprothesen bestehen i. Allg. aus einer schulterumfas-
senden Kontaktbettung mit Bandage und dem Außenschaft aus
Gießharz, der über das Ellbogengelenk die Verbindung zum distalen
Bauabschnitt herstellt.
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Wilde B, Baumgartner R (1999) Physiotherapie und Sport nach Beinamputa-
tion, 1. Aufl. Thieme, Stuttgart New York
30
b c
. Abb. 30.3a–c 29-jährige Patientin mit kniegelenknahem Chondrosar- genden Beinanteils und Transplantation des Unterschenkel-Fuß-Segmentes
komrezidiv; Zustand nach Radiatio mit 58 Gy. Trotz multimodalem Therapie- unter 180°-Drehung (Borggreve-Umdrehplastik) und Neuropathie. (Aus:
konzept kein Beinerhalt möglich. Daher Segmentresektion des tumortra- Homann et al. 2007)
Das Femur wird ganz oder teilweise durch die um 180° in der Fron Allgemeines
talebene gedrehte Tibia ersetzt. Es erfolgt eine Exartikulation des 4 Der Erhalt der Sohlenhaut hat höchste Priorität und macht einen
Fußes im Sprunggelenk, der Hautmantel wird vom Unterschenkel Fußstumpf praktisch immer voll endbelastbar!
gelöst und die gefäßgestielte (Poplitealgefäße) Tibia mit den umge 4 Propriozeptive Eigenschaften der Fußsohle vermitteln unschätz
benden tiefen Weichteilen gedreht. Die Tibia nimmt den Platz des bare Informationen für die Fortbewegung.
entfernten Femur ein. 4 Mit jeder Kürzung eines Fußstumpfes reduziert sich die Stand
Bei der Modifikation nach Baumgartner u. Ochsner (Baumgart fläche.
ner u. Botta 1995) wird auf gleiche Weise nur die distale Femurhälfte 4 Je höher die Amputation, umso größer der für den Prothesen
ersetzt. gang erforderliche Energieaufwand (150% beim Unterschenkel-
und 200% beim Oberschenkelamputierten; Baumgartner u.
Botta 1995).
260 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität
a b
c d
30.5.10 Amputation und Exartikulation Zur Stumpfbildung empfiehlt sich je nach Ätiologie und Be
im Rückfuß fund eine gesonderte Vorgehensweise. So sollte eine Myodese und
Myopexie bei gestörter Durchblutung vermieden werden. Hier
Man unterscheidet folgende Methoden der Amputation im Rück empfiehlt sich die Verwendung temporärer transkutaner Muskel
fuß: nähte.
4 Amputation im Chopart-Gelenk, Bei akutem (posttraumatischem) Infekt und stark gestörter
4 kalkaneotibiale Arthrodese nach Pirogow/Spitzy, Durchblutung ist die offene Amputation mit verzögerter Primärnaht
4 Transmalleoläre Amputation nach Syme. in Erwägung zu ziehen. Jedoch hat sich in unserer Klinik auch das
chirurgische Débridement mit kombinierter Jet-Lavage, die vakuum
Chopart-Amputation assistierte Saugdrainagetherapie zur Förderung des Sekretabflusses
Durch Ausschaltung der Fußheber und verstärkten Zug der Achil und Ödemreduktion mit dann Sekundärverschluss im infektfreien
lessehne kommt es zur verstärkten Plantarflexion und Supination. Intervall bewährt.
Nach Fixateur-externe-Anlage zwischen Tibia und Kalkaneus für
2–4 Wochen wird anschließend mit der Frühmobilisation begonnen.
30 Der Rückfuß kann dabei unter voller Belastung abrollen. Das OSG 30.6.1 Amputation im Hüftbereich
bleibt intakt, jedoch in Kraft und Beweglichkeit eingeschränkt.
Zur operativen Korrektur der Spitzfuß- und Supinationsfehl Man unterscheidet die Oberschenkelamputation proximal des
stellung eignen sich die Verlängerung der Achillessehne (Spitzfuß Trochanter minor von der Exartikulation im Hüftgelenk, der Hemi
korrektur um 10–20%) und die Verlagerung der M.-tibialis-anterior- pelvektomie und Hemikorporektomie. Ursächlich sind in 25% ei
Sehne nach lateral. Letztgenanntes Verfahren ist nur sinnvoll, wenn ne pAVK, in 25% Unfallfolgen (meist Kompressionstrauma mit
die Supinationsfehlstellung im USG passiv korrigierbar ist. schweren Begleitverletzungen der inneren Organe) und in 50% Tu
Zur Korrektur von Spitzfuß und Varus dient die Arthrodese im moren (Baumgartner 1995). Der Erhalt des Sitzbeins und/oder des
unteren Sprunggelenk mit Keilresektion (Spitzfuß und Varuskorrek Beckenkamms wäre zur Abstützung einer Prothese erstrebenswert
tur um je 20–30%). (. Abb. 30.5).
Die Amputation erfolgt durch den Femurschaft und reicht vom Über
gang der Kondylen bis proximal am Trochanter minor endend. Der 30.7 Komplikationen
Erhalt des Trochantermassivs und von Anteilen des Femurs ist für die
Sitzfläche von großer Bedeutung. Je kürzer der Femurstumpf, umso 30.7.1 Wundheilungsstörungen
größer die Tendenz zur Abduktion durch die pelvitrochantere Mus
kulatur, zur Flexion durch den M. iliopsoas und zur Außenrotation. Komplikationen wie lokale Nekrosen, Hämatome und Infekte kön
Zur Verbesserung der Durchblutung und Verhinderung einer nen auftreten. Exzision und Sekundärnaht bzw. sorgfältiges Débri
Retraktion ist die myoplastische Stumpfdeckung anzustreben. Aus dement, gute Drainage, Schonung der Gewebe während der Opera
nahmen hierfür sind die periphere arterielle Verschlusskrankheit tion sowie eine exakte Verbandstechnik sind hier entscheidend. Im
(pAVK) und Infekte! Zweifelsfall sollte eine sofortige operative Revision erfolgen.
30.8 · Nachbehandlung
263 30
a b
c d
. Abb. 30.5a–d 60-jährige Patientin mit nekrotisierender Fasziitis der tikalen Rectus-abdominis-Muskellappen (VRAM-Lappen; c). Das postopera-
Glutäal- und Oberschenkelregion nach Abszessspaltung eines perianalen tive Ergebnis zeigt reizlose und belastbare Weichteile. Zur Vermeidung einer
Hufeisenabszesses (a). Autolyse der Gutäal- und Oberschenkelmuskulatur, Wundkontamination erfolgte zudem die temporäre Anlage eines Anus
lebensrettende offene Hüftexartikulation (b). Defektdeckung der Hüftre praeter (d)
gion nach Hüftgelenksexartikulation mittels ipsilateral distal gestielten ver-
30.9.1 Fuß
30.10 Management von Spätkomplikationen
Einzelne Zehenamputationen bedürfen keiner prothetischen Ver
sorgung, die benachbarten Zehen verschließen die Lücke auf phy Stumpfprobleme können mannigfaltig auftreten, z. B.
siologische Weise. Der Mittelfußstumpf kann mit orthopädi 4 ein Stumpfödem durch Abflusshindernisse,
schem Schuhwerk (hoher Schuh; flacher, durchgezogener Absatz; 4 Hauterkrankungen wie die allergische Kontaktdermatitis,
Versteifung der Sohle bis an die Fußspitze; ggf. Pufferabsatz und 4 Prothesenrandknoten (kleine Hautzysten am Prothesenrand als
Abrollrampe) ausreichend versorgt werden. Folge chronischer Überbeanspruchung),
30.10 · Management von Spätkomplikationen
265 30
4 übermaßiges Schwitzen mit vulnerabler Haut und Geruchsbe Besonderheiten
lästigung, Das Spare-part-Konzept ermöglicht den größtmöglichen Längener
4 Follikulitis und halt durch Verwendung nicht replantierbarer Gewebekomponenten
4 Pilzinfekte. oder der Traumazone nachgeschalteter und unverletzter Körperteile.
Neben dem Längenerhalt schafft es einen belastungsfähigen und
Auch können generalisierte Hauterkrankungen wie Acne vulgaris, meist auch sensiblen Stumpf. Zudem entfällt die zusätzliche Hebe
seborrhoische Dermatitis, Ekzeme, Psoriasis, Lichen planus und defektmorbidität (. Abb. 30.3).
Hautwarzen zu Stumpfhautproblemen prädisponieren.
Während der Wundheilungsprozesse können sich am Stumpf
skelett Exostosen bilden. Diese entstehen z. B. durch Periostfransen, 30.10.3 Operative Verfahren bei chronischer
die zur Kallusbildung führen, sowie durch verkalkte Hämatome Osteomyelitis des Tibiastumpfes
oder Sequester. Weiterhin kann es zur Resorption von Knochen
kommen bei Verbrennungen durch den Sägeschnitt und bei der Mit gestielten Muskellappenplastiken ist es möglich, eine Stumpfos
Anlage von Bohrlöchern, bei übermäßigem Zurückstülpen von teomyelitis zu beseitigen. Zur Verfügung stehen für mittellange
Periost und durch Infekte. Osteoporose entsteht durch die ver Stümpfe die Peronäalmuskulatur sowie der Triceps surae, für kurze
minderte mechanische Beanspruchung und hat eine erhöhte Frak und ultrakurze Stümpfe nur der Triceps surae.
turgefahr zur Folge.
Bei Amputation vor Wachstumsabschluss führt diese Minderbe Peronäusplastik. Durch eine Fensterung an der lateralseitigen Ti
lastung außerdem zu einem Wachstumsrückstand. Durch den Druck bia werden die Muskelstümpfe in die ausgehöhlte Markhöhle und
gegen die Prothesenwand und das Auftreffen der Scheuerkräfte kann den Tibiakopf eingeführt.
sich der Knochen abrunden und verkürzen, bzw. die nicht bean
spruchte Seite spitzt sich zu (Wolff-Gesetz → Zusammenhang zwi Trizeps surae-Plastic. Bei kurzen und ultrakurzen Stümpfen erfolgt
schen äußerer mechanischer Beanspruchung und Knochenstruktur; das Ausfräsen des Tibiakopfes von dorsal, die Stümpfe der Gas
. Abb. 30.6). Diese »negative Exostose« kann auch zu Perforationen trocnemii und ggf. Reste des Soleus werden eingebracht, ein Voll
des Stumpfs durch die Weichteile führen. hautlappen bedeckt das Stumpfende.
Weitere Probleme bringt ein Missverhältnis der Weichteile zum Als Alternative kann die Tibiadiaphyse reseziert werden, und die
Knochen mit sich. Zum einen kann sich die Muskulatur zurück Fibula wird unter den Tibiakopf verlagert. Im Laufe der Zeit ent
ziehen oder der Knochen die Muskulatur perforieren, wenn die wickelt sich schließlich ein tragfähiger Stumpfknochen.
Muskelschlingen nicht über dem knöchernen Ende vereinigt wur
den, schon primär nicht ausreichend Muskulatur zur Verfügung
stand, die Muskulatur durch einen zu schmalen Prothesenschaft 30.10.4 Operative Verfahren bei chronischer
eingang zurückgestülpt wurde oder der Endkontakt fehlt. Zum ande Osteomyelitis des Femurstumpfes
ren kann ein Überschuss an Weichteilen im Verhältnis zur Knochen
länge vorliegen. Hier erfolgt die Verplombung der ausgehöhlten Markhöhle mit
Phantomgefühl und Phantomschmerz treten bei amputierten einem gestielten Muskellappen aus dem dorsalen Anteil des M. rec
Kindern im Gegensatz zum Erwachsenen praktisch nie auf, auch tus femoris oder einem freien Lappen.
nicht nach Jahren.
30
a b
c d
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Hauttumoren
L.-U. Lahoda
. Abb. 31.3 Aktinische Keratose des Skalps nach jahrzehntelanger Sonnen . Abb. 31.6 Weiches Fibrom
exposition
274 Kapitel 31 · Gutartige Tumoren der Haut, inklusive Nävi
Riesenzellnävus
Der Riesenzellnävus zeigt ein Entartungsrisiko zum Melanom hin
(5%), das höher liegt als das allgemeine Durchschnittsrisiko. Auf
grund der vorliegenden Größe ergibt sich nicht selten die Notwen
digkeit für den Einsatz von Gewebeexpandern und wiederholten,
sequenziellen Exzisionen (. Abb. 31.8).
. Abb. 31.9 Neurofibromatose
Solare Lentigo (»Altersflecken«)
Altersflecken stellen keine Nävuszellläsionen dar, sie imponieren als
weiche, dunkelbraune Flecken, die bis zu 1,5 cm im Durchmesser
messen können und im Alter als vermehrte Ansammlung von nor talregion. 60% zeigen sich während der Geburt und in der 1. Lebens
malen Melanozyten vorkommen. Typisch ist die Ansammlung in dekade, 80% betreffen Frauen.
sonnenexponierten Stellen des Körpers, wie Handrücken, Gesicht, Differenzialdiagnostisch kommt das Melanom in Frage. Nach
Nacken und Armen. Diese Altersflecken sind klinisch schwer von Malignitätsausschluss ist diese gefärbte Läsion gut durch entspre
»Sommersprossen«, junktionalen Nävi und dem Melanoma in situ chende Laserbehandlung therapierbar. Wie erwähnt, kann bei neu
zu unterscheiden. Nachdem die Diagnose gestellt wurde, kann diese rokutaner Melanose das zweite Lebensalter abgewartet werden, um
Läsion exzidiert und histologisch verifiziert werden. zu sehen, ob sich hieraus neurologische Symptome entwickelt haben,
da durch beispielsweise ein Anlegen eines Shunts im Fall eines Hy
Ephelis (»Sommersprossen«) drozephalus die ZNS-Beteiligung schnell in eine systemische Betei
Sommersprossen zeigen eine pigmentierte Läsion mit normaler Me ligung der Melanose übergeht. Leider ist die entsprechende Progno
lanozytenanzahl, die eine abnormal hohe Menge an Melaningranula se solcher Kinder sehr schlecht.
produzieren. Die beteiligten Melanozyten zeigen keine abnorme
Proliferationstendenz und entsprechen keinem Malignitätskriterium.
31.3 Tumoren der Hautanhangsgebilde
Blauer Nävus
Der blaue Nävus ist fest, entspricht einem scharf abgegrenzten intra Hierzu zählen u. a.Tumoren der ekkrinen und apokrinen Schweiß
dermalen Knötchen aus dermalen Melanozyten. Trotz der sehr sel drüsen, der Haarfollikel und sogar der glatten Muskulatur der Haut.
tenen malignen Degeneration dieser Läsion ist eine Entartung den Papillome, Dermatofibrome, Milien, Pilonidalzysten, Epidermoid
noch nicht auszuschließen. zysten, das Dermatofibrosarcoma protuberans, Angiofibrome und
Hier ist anzumerken, dass die Differenzierung zwischen einem Xanthome/Xanthelasmen, das Xanthoma planum und der Glo
blauen Nävus, der metastatischen Absiedelung eines Melanoms und mustumor sowie einige mehr können dieser Gruppe zugeordnet
dem Kaposi-Sarkom Schwierigkeiten bereiten kann. Vaskuläre Mal werden.
formationen können ebenfalls dem blauen Nävus ähneln, die Diffe Generalisierte Erkrankungen unter hauptsächlicher Mitbeteili
renzierung erfolgt hier durch lokalen Druck, der die vaskuläre Mal gung der Haut sind die Psoriasis, der Lupus erythematodes (diskoid
formation abblassen lässt, wohingegen der Nävus kein Abblassen und systemisch), die systemische und zirkumskripte Sklerodermie,
zeigt. die Neurofibromatose Recklinghausen (. Abb. 31.9), das Xeroderma
pigmentosum, die Epidermolysis bullosa, die Cutis laxa (vera), das
Ota-Nävus Pseudoxanthoma elasticum, die Cutis hyperelastica, Vaskulitiden,
Der Ota-Nävus entspricht einer blau-grauen Farbstörung im Über die Sarkoidose, kutane T-Zelllymphome, die Necorbiosis lipidoica,
gang des 1. und 2. Astes des N. trigeminus. Diese Farbstörung findet die Acne vulgaris, das Kaposi-Sarkom, das Rhinophym und die Acne
sich häufig im Bereich des lateralen Augenwinkels und der Perorbi rosacea.
31.3 · Tumoren der Hautanhangsgebilde
277 31
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32
Maligne Tumoren
L.-U. Lahoda
32.4 Maligne Tumoren als Folge von natürlichen und künstlichen Strahlen – 287
32.4.1 Strahlendermatitis – 287
32.4.2 Xeroderma pigmentosum – 287
32.1 Melanom senzellnävus und die »erworbenen« melanozytären Nävi sowie die
dysplastischen Nävi/atypischen Molen tragen ein überdurchschnitt
Das Melanom (auch: »malignes Melanom«; MM) steht an 8. Stelle liches Entartungsrisiko.
aller Malignome in den USA, seine Inzidenz nimmt jedoch schneller Der Spitznävus stellt ein bei Kindern zu findendes, differenzial
als bei jeder anderen bösartigen Erkrankung zu. Das Lebenszeitrisi diagnostisch bedeutendes Krankheitsbild dar, das als fast immer
ko, an einem Melanom zu erkranken, beträgt 0,5%, jährlich werden gutartiger Tumor auftritt, aber klinisch nur schwer vom Melanom zu
dort 40.000 neu aufgetretene Fälle registriert. unterscheiden ist. Die Sonderform der AJHM (»atypical junctional
Nach Fitzpatrick (1988) werden unterschiedliche Hauttypen un melanocytic hyperplasia«) wird auch als »Lentigo maligna« bezeich
terschieden, die ein unterschiedliches Risiko zur Entwicklung eines net. Es wird als Melanomvorstufe gesehen; hier wird eine Exzision
Melanoms tragen (. Tab. 32.1). mit Sicherheitsabstand von mindestens 5 mm empfohlen.
Zusätzliche Risikofaktoren sind
4 Ausmaß der Sonnenexpositionen,
4 die geographischen Risikofaktoren (UV-Bestrahlung und Inten 32.1.1 Diagnosen und Klassifikationen
sität) und
4 lokoregionäre Faktoren, wie z. B. Größe des Ozonlochs und da An erster Stelle steht die genaue Untersuchung der Körperoberfläche
mit die Stärke des UV-Schutzes. durch einen erfahrenen Dermatologen, laut Literatur werden hier
jedoch nur 60–80% Sensitivität angegeben, die evtl. durch Fotodo
Generell haben Frauen ein geringeres Risiko, an einem Melanom zu kumentation gebessert werden kann. Klinisch wird die ABCDE-Re-
erkranken, die Prognose im Erkrankungsfall ist ebenfalls besser. Ein gel angegeben (. Tab. 32.2).
32 höherer sozioökonomischer Status impliziert interessanterweise ein
höheres Risiko. In der schwarzafrikanischen Bevölkerung stellt das Melanomtypen
akrolentiginöse Melanom eine oft spät erkannte Erkrankung mit Es werden die in der . Übersicht genannten Typen unterschieden
schlechter Prognose dar. (. Abb. 32.1–32.3).
Das Risiko eines weiteren malignen Melanoms (kein Lokalrezi
div) liegt bei schon durchgemachter Erkrankung bei 3–5%. Der Rie
Melanomtypen
4 »Superficial spreading melanoma«:
. Tab. 32.1 Hauttypen nach Fitzpatrick Es handelt sich hier um den häufigsten Typus mit mittlerem
Malignitätsgrad, er entsteht meist aus vorbestehendem Nä-
Haut- Hautfarbe Hautreaktion auf Sonnen vus. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen, wobei
typ exposition der Altersdurchschnitt um das 5. Lebensjahrzehnt liegt.
Männer zeigen ein vermehrtes Auftreten am proximalen
I Weiß Immer Sonnenbrand, niemals Stamm, Frauen vermehrt an den Unterschenkeln. Die Tumo-
Bräunung
ren sind unregelmäßig gefärbt, asymmetrisch und wachsen
II Weiß Gewöhnlich Sonnenbrand, anfangs radial, erst spät vertikal (. Abb. 32.1).
schwierige Bräunung 4 Noduläres Melanom:
III Weiß Gelegentlich geringer Sonnen- Das zweithäufigste Melanom, etwa 15–30%. Dieser aggres-
brand, mittlere Bräunung sivste Typ entsteht meist nicht aus bestehenden Nävi. Män-
ner sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen, meist im
IV Moderat pigmentiert Selten Sonnenbrand, einfache
Lebensalter um 50 Jahre. Die Grenzen des Tumors sind hier
Bräunung
weniger verwaschen, er wächst schnell in die Tiefe. Sein
V Dunkel pigmentiert Selten Sonnenbrand, sehr Auftreten kann nicht direkt mit der Sonnenexposition in Zu-
einfache Bräunung sammenhang gebracht werden. 5% dieser Tumoren sind
VI Schwarz Kein Sonnenbrand, sehr amelanotisch, die Prognose ist schlecht (. Abb. 32.2).
einfache Bräunung 4 Lentigo-maligna-Melanom:
Dieser Typus bildet 10–15% aller Melanome und ist der am
wenigsten aggressive Typ. Er ist sehr deutlich mit der Son-
nenexposition assoziiert und meist an Unterarm, Nacken,
. Tab. 32.2 »ABCDE-Regel«: Melanomkriterien
Gesicht und Kopf lokalisiert. Am häufigsten betroffen sind
ältere Frauen (mehr als Männer), das mittlere Alter liegt bei
ABCD Kennzeichen
70 Jahren. Der Tumor ist häufig größer als 3 cm im Durch-
A »asymmetry« Asymmeterie messer, manchmal finden sich Regressionsareale innerhalb
(Asymmeterie) der Läsion. Vorstufe: Lentigo maligna (wächst nur horizon-
tal, der Einbruch in vertikales Wachstum macht den Unter-
B »border« (Begrenzung) Unscharf begrenzter Rand
schied zum Lentigo-maligna-Melanom).
C color« (Farbe) Änderungen in der 4 Akral lentiginöses Melanom:
Färbung Dieser Typ stellt 2–8% aller Melanome bei Kaukasiern und
D »diameter« Durchmesser über 6–8 mm 35–60% bei Schwarzafrikanern, Hispanics und Asiaten. Es
(Durchmesser) Ausdehnung findet sich an Hand- und Fußflächen, auch subungual. Das
mittlere Erkrankungsalter liegt bei 60 Jahren. Eine irreguläre
E »elevation« >1 mm Erhabenheit über das
6
(Erhabenheit) Hautniveau
32.1 · Melanom
281 32
Wir empfehlen Kontrolluntersuchungen nach chirurgischer Sanie Die UV-Strahlung setzt in einem photochemischen Effekt Elektro
rung im Abstand von 3–4 Monaten für 2 Jahre bei asymptomatischen nen der absorbierenden Atome frei, die wiederum die DNA schädi
284 Kapitel 32 · Maligne Tumoren
mente modulieren die Menge an Strahlung, die auf die Dermis trifft.
Ein weiterer negativer Effekt von UV-Strahlung stellt die supprimie
rende Wirkung auf das Immunsystem dar. Relativ geringe Dosen von
UV-B-Strahlung kompromittieren das Immunsystem und reduzie
ren dadurch die Reaktionsfähigkeit der Haut im Rahmen von aller
gischen Reaktionen. Höhere Dosen können das Immunsystem ins
gesamt beeinträchtigen.
In Bezug auf die ionisierende Strahlung kann festgehalten wer
den, dass eine einzelne Strahlendosis nach einer Latenzperiode zu
einem strahleninduzierten Tumor führen kann. Neben der ionisie
renden Strahlung können maligne Tumoren durch chemische, virale
und hereditäre Faktoren ausgelöst werden, wenn sie die Immunab
wehr der Haut beeinträchtigen. Zu diesen zählen u. a. das Xeroder
ma pigmentosum und das Gorlin-Syndrom.
a
32.2.2 Basalzellkarzinom
32.2.3 Plattenepithelkarzinom
Strahlenfolgen
L.-U. Lahoda, P.M. Vogt
33.1 Ätiologie
33 Ionisierende Strahlung führt direkt zu DNA-Schäden. Daraus resul-
tiert Apoptose (programmierter Zelltod) oder indirekt über Störun
gen des Zellzyklus zeitnah zur applizierten Strahlung der Zelltod.
Langfristig entwickelt sich im bestrahlten Gewebe eine Fibrose.
Der dahinterstehende Pathomechanismus ist noch ungeklärt, wobei . Abb. 33.1 Akute Strahlenfolge nach Radiatio eines resezierten Weich-
proinflammatorische und profibrotische Zytokine eine Rolle spielen. teilsarkoms (t2 N0 M0 R0) mit akutem Strahlenerythem und Wundheilungs-
Eine Möglichkeit ist der Tumornekrosefaktor α (TNF-α). störung im Wundrand eines medialen gestielten Gastroknemiuslappens
Die resultierende Gewebefibrose ist im Laufe der Zeit progre-
dient. Die lebenslange Vulnerabilität der Haut stellt die Hauptur
sache für Wundheilungsstörungen dar. Eine Charakteristik des fraktioniert bestrahlten Gewebes ist die
resultierende Hyperpigmentation und das »hölzerne« Erscheinungs-
bild der Haut. Die Folgen am Gefäßsystem sind histologisch wie folgt
33.2 Klinik charakterisiert:
4 Reduktion der glatten Muskulatur,
Man unterscheidet 4 vermehrte Kollagenfasern mit verdickten Gefäßwänden,
4 akute, 4 hyaline Degeneration und zerfallene Elastinfasern,
4 subakute und 4 Dehiszenzen im endothelialen Verband,
4 chronische Strahlenfolgen. 4 eine fibrinoide Nekrose und
4 Bildung von Mikrothromben in den Endgefäßen, die einen
Sauerstoffaustausch behindern, ebenso wie die Wirkung von
33.2.1 Akute Strahlenfolgen Medikamenten, z. B. Antibiotika.
Akute Schäden entstehen heute fast nur noch im Rahmen von indus-
triellen Unfällen. Die erhaltene Strahlung bewegt sich im Rahmen 33.2.3 Chronische Strahlenfolgen
von 5000-10.000 rad. Der sofortige Effekt an der Haut entspricht dem
eines Sonnenbrandes mit Rötung und Jucken der Haut, Zerstörung Chronische Bestrahlungsfolgen können durch wiederholte, langfris-
der Basalzellen der Dermis, mit allerdings langsamerem Beginn und tige Exposition bedingt sein. Die Folgen entsprechen den subakuten
langsamerem Progress als bei einem thermischen Schaden allein. Es Verläufen mit allerdings vermehrter Ausbildung des Gefäßschadens
folgen ein persistierendes oder wiederkehrendes Erythem, Ödem und einer daraus ggf. resultierenden Gewebenekrose (. Abb. 33.2).
und damit verbunden Schmerz, Jucken und evtl. Desquamation.
Derartige offene Wunden können zur Infektion mit entspre- > Entsprechend dem erwähnten progressiven Charakter der
chenden lokalen oder systemischen Folgen führen (. Abb. 33.1). Strahlenfolgen und der dadurch entstehenden Wunden
muss festgehalten werden, dass diese Ulzerationen jeder
zeit nach Bestrahlung auftreten können und in Größe und
33.2.2 Subakute Strahlenfolgen Ausdehnung von stecknadelkopfgroß bis hin zu imponie
render Größe vorliegen können.
Die subakute Form unterscheidet sich von der akuten dadurch, dass
durch fraktionierte Applikation die absorbierte Energie geringer ist
und das damit verbundene Erythem und Ödem nur transient auf-
tritt. Die Bildung von Nekrosen ist eher ungewöhnlich.
33.3 · Therapeutisches Vorgehen
291 33
Lokal besteht eine hypoxische Situation. Die Schäden in Gewebe und
Gefäßen sowie gestörte Granulozytenfunktionen führen zu einer
eingeschränkten Infektresistenz in bestrahltem Gewebe. Die Gewe-
bepenetration von Medikamenten wie Antibiotika ist deutlich her-
abgesetzt.
Die Osteoradionekrose stellt ebenfalls eine besondere Heraus-
forderung dar, da sequestrierende Defekte mit chronischem, tieflie-
gendem Infekt die radikale Entfernung des avitalen Knochens erfor-
dern. Am Thorax entstehen mitunter Grenzensituationen durch
drohende erhebliche Instabilitäten.
Die äußerst schmerzhaften Strahlenlulzera lassen sich als Folge
chronischer Ischämieschmerzen interpretieren. Dementsprechend
sind viele dieser Patienten als chronische Schmerzpatienten zu betrach-
ten und zu behandeln. Hier ist ein Schmerzmanagement erforderlich,
das neben der physischen auch die psychische Komponente beinhaltet.
. Abb. 33.2 Chronische Strahlenfolge nach Radiatio eines Hämangioms 33.3.1 Chirurgische Behandlung
der Nasenregion im Säuglings- und Kleinkindesalter. Jetzt massive
Schrumpfung der Weichteile sowie des knorpeligen und knöchernen Die Problematik der gestörten Wundheilung, der Infektion und der
Nasenskelettes malignen Entartung spielt für den Chirurgen eine große Rolle in der
Behandlung dieser Patienten.
In der präoperativen Planung ist davon auszugehen, dass das
33.3 Therapeutisches Vorgehen definitive heilungsgestörte Problemfeld weiträumiger geschädigt ist
als das initiale Bestrahlungsfeld. Demnach sollte eine weite Aus-
Therapeutische Interventionen haben folgende Ziele: schneidung angestrebt werden, die als Ziel hat, Wundränder mit
4 Infektprophylaxe oder Infekttherapie, punktförmigen, durchbluteten Rändern zu erzeugen.
4 Schmerzkontrolle,
> Eine spannungsfreie Wundadaptation ist anzustreben.
4 Behandlung oder Prävention von Malignomen im Strahlenfeld,
4 Wundverschluss. Die Möglichkeit der Spalthauttransplantation ist üblicherweise zum
Scheitern verurteilt, demnach bleiben nur lokale oder regional
! Cave gestielte Lappenplastiken oder der freie Gewebetransfer. Diese
Der Behandlungsplan muss berücksichtigen, dass weit bringen ihre eigene Blutversorgung mit, wovon auch das Wundbett
größere Areale des Bestrahlungsfeldes geschädigt sein sekundär profitiert (. Abb. 33.3).
können, als von außen sichtbar ist. Es ist davon auszugehen, dass die Komplikationsrate von Lap-
penplastiken durch fehlenden Anschluss an das bestrahlte Wundbett
Das Gewebe mag unauffällig aussehen, die Heilung nach einer (besonders bei intraoperativer Hochdosisradiatio), aber auch nach
Operation kann dennoch desaströs verlaufen. Vor allem hinterlässt freiem Gewebstransfer bei Durchführung der Mikroanastomosen in
tiefenwirksame Strahlung wie die früher angewandte Telcobalt- bestrahltem Gebiet erhöht ist.
Therapie in tiefen Gewebeschichten ausgedehnte Defekte (Kno- Intraoperativ kann mit folgenden Komplikationen und Hinder-
chennekrosen, Lungenfibrose etc.). Damit ist immer eine plastische nissen gerechnet werden:
Defektdeckung mit gut vaskularisierten Transplantaten erforderlich, 4 vermehrte Blutungsneigung durch vaskuläre Fibrosierung,
um exponierte wichtige Strukturen (z. B. Gefäße, Nerven, Gelenke) 4 »zerbrechlichere« und empfindlichere Anschlussgefäßen bei
zu bedecken. Gewebetransplantationen,
4 erhöhte Infektrate,
> Präoperativ muss neben dem Routinelabor auf einen gu
4 verzögerte Heilung.
ten Ernährungszustand des Patienten geachtet werden.
Bei Eingriffen am Thorax ist eine präoperative intensive Atemgym- Die Deckung ist meist nur durch gut durchblutete gestielte Lappen
nastik erforderlich, die v. a. postoperativ konsequent weitergeführt oder mikrochirurgische Lappen sinnvoll durchführbar.
werden muss. Um exakt präoperativ planen zu können, sind Nativ- Postoperative Komplikationen wie Serome, Hämatome und De
röntgenaufnahmen, ergänzt durch CT und MRT, erforderlich. Gege- hiszenzen erfordern rasches Handeln. Sollte die Operation bei Vorlie-
benenfalls sind diese Untersuchungen zu ergänzen durch Angio gen eines Malignoms im Strahlenfeld durchgeführt worden sein, muss
graphien, wenn Unklarheiten über den lokalen Gefäßstatus besteht engmaschig onkologisch nachbehandelt und kontrolliert werden.
oder insbesondere dann, wenn eine freie Gewebetransplantation ge-
plant ist. Komplikationen
Durch eine vorherige Biopsie eines suspekten Ulkus lässt sich Spezielle postoperative Komplikationen entstehen dadurch, dass
ein Rezidivtumor oder Zweitmalignom (Fibrosarkom im Strahlen- 4 ein nicht erkanntes Malignom vorliegt,
feld) ausschließen. 4 aufgrund technischer Schwierigkeiten bestrahltes (infiziertes)
Restgewebe verblieben ist und Probleme verursacht,
> Instabile Hautverhältnisse, chronische Infektionen und 4 mechanische Beanspruchung anders als in gesundem Gewebe
Inflammation können die Entwicklung eines Malignoms oft sofort zu Komplikationen führt und
begünstigen. 4 bakterielle Infektionen häufig sind.
292 Kapitel 33 · Strahlenfolgen
33
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VI
Weichteiltumoren
P. Vogt
Benigne Weichteiltumoren
B. Weyand
34.3 Operationstechnik
Gutartige Weichteiltumoren metastasieren nicht. Die Rezidivrate ist
abhängig von der Agressivität und Art des Weichteiltumors, der Lo- Kleinere inaktive, über längere Zeit unverändert bestehende Tumo-
kalisation und der Radikalität der chirurgischen Resektion, wobei es ren (Stadium I) können durch regelmäßige Beobachtung kontrol-
mitunter schwierig sein kann, z. B. bei Fibromatosen, zwischen Re- liert werden. Bei aktiven Tumoren (Stadium II), die eine Größen
zidiv und Neuerkrankung zu unterscheiden. zunahme oder eine lokale Verdrängungssymtomatik zeigen, ist die
chirurgische Therapie angezeigt.
Weichteiltumoren sind in der Regel durch eine reaktive Randzo-
34.2 Diagnostisches Vorgehen ne umgeben, die als Pseudokapsel imponiert. Bei benignen Tumoren
mit einer Größe <3–5 cm sollte die Tumorentfernung in toto durch
Die Basisdiagnostik bei einem unklaren Weichteiltumor beinhaltet Mitnahme der Pseudokapsel als Exzisionsbiopsie erfolgen, was einer
zunächst eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung. marginalen Exzision entspricht. Oberflächlich gelegene kleine Tu-
Anamnestisch sollten die Art der Beschwerden, der Zeitraum seit moren können oft unter Lokalanästhesie adäquat entfernt werden.
Auftreten des Tumors sowie der Größenzunahme, allgemeine Tu- Bei tiefer, subfaszial oder intramuskulär gelegenen Tumoren (z. B.
morzeichen (sog. B-Symptomatik) wie Fieber, Schwäche, Abgeschla- intramuskuläres Lipom) oder problematischen anatomischen Loka-
34.4 · Postoperatives Management
297 34
lisationen (z. B. Axilla) sollte die Tumorentfernung in Allgemein- therapie empfohlen, um das Lokalrezidivrisiko zu vermindern. Gut-
oder Regionalanästhesie durchgeführt werden. Eine histologische artige Tumoren des Stadiums I oder II, die in toto chirurgisch rese-
Untersuchung des entnommenen Gewebes ist obligat. ziert wurden, rezidivieren in der Regel nicht.
Bei aggressiven Weichteiltumoren (Stadium III) wie beispiels- Beim Desmoid oder der aggressiven Fibromatose handelt es sich
weise Desmoidtumoren ist aufgrund ihres infiltrativen Wachstums um einen strahlenresistenten Tumor aus der Gruppe der Fibromato-
eine weite Resektion mit Mitnahme des umgebenden gesunden Ge- sen, der sich an Muskelfaszien bildet und aufgrund seines infiltrie
webes erforderlich. Hier können aufwendige plastische Rekonstruk- renden Wachstums zu den niedrigmalignen Sarkomen gezählt wird.
tionen (z. B. nach Resektion eines Desmoidtumors der Bauchwand) Therapie der Wahl ist die Operation, soweit der Tumor entfernt wer-
notwendig werden. Bei Infiltration des Tumors von Nerven- oder den kann, ohne Organe oder Gliedmaßenfunktionen zu gefährden.
Gefäßsträngen ist oft nur eine marginale Resektion möglich. Bei Anderenfalls oder bei Rezidiven folgt eine Chemotherapie, in vielen
Tumoren der Nervenscheide kann eine interfaszikuläre Neurolyse Fällen ist auch eine antihormonelle Therapie (z. B. Tamoxifen) oder
mit mikrochirurgischer Entfernung des Tumors mitsamt dem Peri- Therapie mit Entzündungshemmern (Indometacin oder Sulindac,
neurium durchgeführt werden. beides sind COX-2-Hemmer).
Zeigt sich in der histologischen Diagnostik eines ursprünglich
als benigne eingeschätzten Tumors Anhalt für Malignität, sollte wei-
34.4 Postoperatives Management tere regionale Diagnostik (CT, MRT) sowie ein Staging erfolgen so-
wie nach Zuweisung in ein Tumorzentrum eine chirurgische Nachre-
Bei aggressiven gutartigen Weichteiltumoren wird in einigen Fällen sektion und die Vorstellung des Falles in einer interdisziplinären
eine adjuvante Nachbehandlung durch Strahlen- oder Hormon Tumorkonferenz (7 Kap. 36).
298 Kapitel 34 · Benigne Weichteiltumoren
Literatur
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34
35
Gefäßanomalien
B. Weyand
35.1 Übersicht und Klassifikation oder als in der Haut befindliche intrakutane Bläschen (mikrozysti-
sche Form) imponieren. Eine Sonderform ist das Klippel-Trenaun-
Gefäßanomalien beinhalten Gefäßfehlbildungen (oder vaskuläre ay-Weber-Syndrom mit kapillären oder lymphatisch-venösen Mal-
Malformationen) und Gefäßtumoren (vaskuläre Tumoren), zu de- formationen einer Extremität, einhergehend mit Hypertrophie des
nen auch die Gruppe der Hämangiome zählt. Die neuere Klassifika- Knochens und der Weichteilstrukturen und Varikosis.
tion nach der International Society for the Studies of Vascular Ano- Die rasch durchflossenen Gefäßmalformationen bestehen aus
malies (ISSVA) berücksichtigt die jeweiligen biologischen Eigen- Arterien und Venen, welche entweder als sog. AV-Fistel mit einem
schaften wie Zelltypen, Zellproliferation und Hämodynamik der direkten arteriovenösen Übergang verbunden sind oder als sog. AV-
vaskulären Anomalien (. Tab. 35.1). Malformation über einen Nidus von Gefäßkanälen miteinander
verbunden sind.
35.1.1 Gefäßfehlbildungen
35.1.2 Gefäßtumoren
Gefäßfehlbildungen oder vaskuläre Malformationen sind angebore-
ne Anomalien, die bei Geburt vorhanden sind, jedoch nicht unbe- Benigne Tumoren. Im Gegensatz zu den Malformationen sind
dingt in voller Ausprägung, und daher nicht immer unmittelbar er- Hämangiome gutartige Gefäßtumoren des Kindesalters mit einer
kennbar sind. Sie zeigen im weiteren Verlauf eine Größenzunahme hohen zellulären Proliferationsrate im 1. Lebensjahr, die in den fol-
proportional zum Körperwachstum. Vaskuläre Malformationen un- genden Jahren in der Mehrzahl der Fälle eine langsame, spontane
terscheiden sich hinsichtlich der beteiligten Gefäßsysteme wie Blut- Involution erfahren (. Abb. 35.1). Säuglingshämangiome können
oder Lymphgefäße und ihrer Strömungseigenschaften. Die Gefäß- bei Geburt vorhanden sein, treten aber in der Regel erst in den ersten
fehlbildungen zeichnen sich durch fehlende zelluläre Proliferation Lebenswochen auf. Das »klassische« Hämangiom ist kutan gelegen.
ohne spontane Regression der Gefäßkanäle aus. Zu Beginn ist häufig eine hellrote Makula mit kleinen Teleangiekta-
Die venösen Malformationen, die zu den langsam durchflosse sien und umgebender Vasokonstriktion (»weißer Rand«) zu sehen.
nen Malformationen zählen, sind in der Regel kompressibel, zeigen In der etwa 6–8 Monate dauernden Proliferationsphase entwickelt
keine Überwärmung oder Pulsation und weisen eine bläuliche Ver- sich dann eine Erdbeeren-artige, oft überwärmte, erhabene Schwel-
färbung der Haut auf. Kapilläre Malformationen sind gekennzeich- lung, der sich eine Regressionsphase bis etwa zum 10. Lebensjahr
net durch charakteristische kutane Teleangiektasien (z. B. Naevus anschließt. Tiefliegende, subkutane Hämangiome sind wesentlich
35 flammeus bei Sturge-Weber-Syndrom), während lymphatische Mal seltener und haben ein bläuliches oder farbloses Erscheinungsbild.
formationen als hygromartige Schwellung (makrozystische Form) Die Inzidenz von Hämangiomen beträgt etwa 10% in der weißen
Bevölkerung. Sie ist erhöht bei Frühgeborenen, und Mädchen sind
etwa 3-mal so häufig wie Jungen betroffen.
. Tab. 35.1 Klassifikation der Gefäßanomalien Bei der benignen neonatalen Hämangiomatose treten zahl-
reiche Hämangiome im Hautbereich auf, während bei der multiplen
Gefäßanomalie Bemerkungen neonatalen Hämangiomatose die Hämangiome nicht nur im
Hautniveau zu finden sind, sondern auch innere Organe wie Leber,
Benigne Hämangiome Kutan (ehemals: kapillär) Lunge und Gastrointestinaltrakt befallen und durch Blutungen oder
Gefäß- Subkutan (ehemals: kavernös) Organversagen zu einem plötzlichen, frühzeitigen Tod führen kön-
tumoren Mischform (kapillär-kavernös)
nen. Das Kasabach-Meritt-Syndrom ist ein seltenes lebensbedroh-
Hämangiomatose Benigne neonatale liches Phänomen, bei dem es in einem schnell wachsenden Gefäß
Hämangiomatose tumor oder multiplen Angiomen durch Sequestration von Thombo-
Multiple neonatale zyten und Gerinnungsfaktoren zu einer massiven Verbrauchskoagu-
Hämangiomatose lopathie mit Blutungskomplikationen kommt.
Glomustumor Zu der Gruppe der benignen Gefäßtumoren gehören auch
4 die Glomustumoren, die als kleine, bläulich schimmernde, oft
Granuloma pyognicum
druckschmerzhafte kutane Knötchen an den Extremitäten, gern
»Tufted angioma« auch subungual, imponieren,
Seniles Angiom
4 das Granuloma pyogenicum, eine rasch wachsende, leicht blu-
tende, benigne Kapillarproliferation meist ohne Rückbildungs-
Hämangioperizytom tendenz,
Maligne Kaposi-Sarkom 4 sog. büschelförmige Hämangiome oder »tufted angiomas« und
Gefäß- 4 senile Angiome.
Angiosarkom
tumoren
Lymphangiosarkom Weitere benigne Gefäßtumoren können oft nur histologisch dia-
gnostiziert werden, z. B. das Hämangioperizytom.
Gefäß- Mit langsamem Fluss Venöse Malformation
malfor- Kapilläre Malformation
mationen Lymphatische Malformation Maligne Tumoren. Bezüglich der malignen Gefäßtumoren wird auf
4 makrozystische Form 7 Kap. 36 (»Maligne Weichteiltumoren«) sowie auf die weiterführen-
4 mikrozystische Form de Literatur verwiesen.
Mit schnellem Fluss AV-Malformation
AV-Fistel
Arterielle Malformation
35.3 · Behandlungsstrategien und Operationstechniken
301 35
wachsen proportional zum Körperwachstum. Dabei scheint der
Zeitpunkt des Auftretens abhängig von der Art der vaskulären Fehl-
bildung zu sein: Während kapilläre Malformationen gewöhnlich bei
der Geburt in Erscheinung treten und lymphatische Malforma
tionen entweder bei Geburt oder in der Mehrzahl der Fälle während
des 1. Lebensjahres, treten venöse Malformationen jederzeit zwi-
schen Geburt und früher Adoleszenz auf, wohingegen arterielle und
AV-Malformationen sich gern während hormoneller Umstellungs-
phasen im Rahmen der Pubertät oder einer Schwangerschaft be-
merkbar machen.
b
35.3 Behandlungsstrategien
und Operationstechniken
Die Behandlungsstrategien bei Gefäßanomalien unterscheiden sich
zunächst grundsätzlich darin, ob ein Gefäßtumor wie eine Säug-
lingshämangiom mit spontaner Involutionstendenz oder eine Ge-
fäßmalformation ohne Rückbildungstendenz besteht.
Eine Therapie bei Hämangiomen ist immer indiziert, wenn es
sich um eine funktionelle Beeinträchtigung mit Einschränkung des
Visus, des Hörvermögens oder der Atemwege handelt oder es sich
gar um eine lebensbedrohliche Komplikation wie das Kasabach-Me-
ritt-Phänomen mit Verbrauchskoagulopathie und Herzinsuffizienz
mit drohendem Kreislaufversagen handelt. Hier kommen syste-
mische oder topisch applizierte Steroide zum Einsatz, in schweren
Fällen auch Interferon-α-2a, Embolisation, Chemotherapie mit
Cyclophosphamid oder Vincristin, Strahlentherapie sowie chirur-
c gische Maßnahmen.
. Abb. 35.1a–c Kindliches Hämangiom der rechten Orbita: Spontane
Die zuvor postulierte »Therapie des Zuwartens« bei Säuglings-
Regression, zurückhaltende chirurgische Korrekturen hämangiomen ist in den letzten Jahren zunehmend einer früh
zeitigen Behandlung durch Lasertherapie gewichen, da es in der
Involutionsphase durchaus zur Ausbildung von Narben, Hypopig-
mentationen oder überschüssigen häutigen Anhängseln kommen
35.2 Diagnostik kann.
Die Lasertherapie erfordert in der Regel mehrere Sitzungen in
Anamnese. An erster Stelle bei der Diagnose vaskulärer Anomalien regelmäßigen Abständen von 4–8 Wochen sowie aufgrund der
steht die klinische Beurteilung. In der Anamnese sollte der Zeitpunkt Schmerzhaftigkeit in der Regel eine Kurznarkose. Als geeignet für
des erstmaligen Wahrnehmens der Veränderung, das Wachstums- die Behandlung oberflächlicher, plaqueartiger Hämangiome in
verhalten der Läsion, Schmerz und eventuelle Ausfallserscheinungen einem frühen Entwicklungsstadium hat sich der blitzlampenge-
einer Extremität oder Funktion erfragt werden. Hämangiome zeich- pumpte gepulste Farbstofflaser (FLDL) erwiesen, der auch beim
nen sich durch sehr rasches Wachstum sowie das Auftreten meist in Naevus flammeus die Methode der Wahl ist. Kleine, oberflächliche
den ersten Lebenswochen aus. Vaskuläre Malformationen können, Läsionen können auch mit lokaler Kryotherapie (flüssiger Stickstoff
obwohl bei Geburt vorhanden, sich auch spät manifestieren und oder Kohlendioxid) behandelt werden.
302 Kapitel 35 · Gefäßanomalien
Subkutane oder tiefe interstitielle Hämangiome können mit dem tionen bestimmt der Zeitpunkt des Eingriffes das Ergebnis mit: So
kontinuierlich betriebenen (cw) Nd:YAG Laser perkutan unter stän- beträgt die Erfolgsrate der chirurgischen Behandlung in der Ruhe-
diger Kühlung mit Eiswürfeln oder interstitiell über eine durch eine phase (nach Schobinger) 75% und nimmt im Verlauf der weiterge-
Punktionskanüle geführte dünne Glasfaser behandelt werden, wobei henden Stadien wie der Evolutionsphase, der Phase der Destruktion
bei letzterem Verfahren eine sonographische Kontrolle empfohlen bis hin zum Stadium der Dekompensation kontinuierlich ab. Der
wird. Unterschieden werden sollte dieses Verfahren von dem lang- Einsatz von topischen Steroiden, beispielsweise im Augenbereich,
gepulsten frequenzverdoppelten Nd:YAG-Laser (532 nm, bis 50 ms) kann zu lokalen Nekrosen, Infektionen, Weichteilatrophie, Augap-
mit einer oberflächlichen Reichweite, der zur Behandlung von Tele- felpenetration bis hin zur Erblindung führen. Die Anwendung von
angiektasien, Spider-Nävi und Naevi flammei sowie ebenfalls bei Interferon-α-2a kann zu unerwünschten neurologischen Kompli
oberflächlichen Säuglingshämangiomen eingesetzt werden kann. kationen führen. Ebenso verursachen auch weitere der bei gravie
Der früher verwendete Argon-Laser wird aufgrund seiner Neben- renden Konstellationen eingesetzten Therapiemöglichkeiten, wie
wirkungen wie Ulzerationen, Narbenbildung und Hypopigmenta Chemotherapie, Bestrahlung, Embolisation und Chirurgie, oft weit-
tionen nicht mehr eingesetzt. reichende Komplikationen, die im Einzelfall abgewogen werden
Die Therapie von Gefäßmalformationen unterscheidet sich müssen.
durch das Vorhandensein einer Niederfluss- oder Hochflussmalfor-
mation. Ziel der Behandlung ist ebenfalls die Therapie einer funk Literatur
tionellen Beeinträchtigung oder die Korrektur einer ästhetischen Caparo PA, Fisher J et al. (2002) Klippel-Trenaunay-Syndrome. Plast Reconstr
Deformierung mit Wiederherstellung der Symmetrie, was nicht Surg 109: 2052–2060
immer möglich ist. Diese kann primär chirurgisch, interventionell Ernemann U, Hoffmann J et al. (2002) Interdisziplinäres Konzept zur Diagno-
stik und Therapie gefäßreicher Fehlbildungen im Gesichts- und Halsbe-
(Laser, Sklerosierung) oder kombiniert erfolgen.
reich. Mund Kiefer Gesichtschir 6: 402–409
Kapilläre Malformationen werden je nach ihrer Tiefenausprä-
Gamper TJ, Morgan RF (2002) Vascular Anomalies: Hemangiomas. Plast Re-
gung mit dem blitzlampengepumpten Farbstofflaser oder dem Nd: constr Surg 110: 572–585
YAG-Laser behandelt. Venöse Malformationen werden zunächst in Landthaler M, Hohenleutner U (1997) Zur Klassifikation vaskulärer Fehl- und
etwa 2-monatlichen Abständen sklerosiert, wobei intra- und subku- Neubildungen. Hautarzt 48: 622–628
tane Anteile wegen der Gefahr möglicher Hautulzerationen mit 3% Rössler J, Salfeld P, Niemeyer CM (2005) Diagnostik und Therapie von Gefäß-
Aethoxysklerol behandelt werden, während bei tieferen Anteilen fehlbildungen. Monatsschr Kinderheilkd 153: 364–372
eine perkutane Sklerosierung mit Ethibloc (Maisstärke) oder 96% Werner JA, Dünne AA et al. (2001) Current concepts in the classification, diag-
35 Ethanol angewendet werden kann, falls der transarterielle Weg nicht nosis and treatment of hemangiomas and vascular malformations of the
zugänglich ist. Im Anschluss an die Sklerosierungstherapie erfolgt head and neck. Eur Arch Otorhinolaryngol 258: 141–149
Werner S, Raulin C (1999) Aktueller Stand der Lasertherapie bei Säuglings-
die chirurgische Resektion.
hämangiomen. Hautarzt 50: 841–847
Bei lymphatischer Malformationen kann je nach Lage und Aus-
prägung ebenfalls eine Sklerosierung versucht werden; die chirur-
gische Entfernung ist jedoch zentraler Baustein der Therapie. Bei
arteriovenösen oder arteriellen Malformationen ist die transarteriel-
le Embolisation, ggf. auch mit Spiralen, oder eine Sklerosierungsthe-
rapie möglich, welche vor der kompletten chirurgischen Exzision
mit Entfernung des gesamten Nidus steht.
> Hier ist eine interdisziplinäre Behandlungsstrategie sinn-
voll, insbesondere zur Frage, ob primär chirurgisch oder
interventionell behandelt wird.
Maligne Weichgewebstumoren
des Stammes und der Extremitäten
P.M. Vogt
. Tab. 36.1 Häufigkeitsverteilung [%] der Lokalisation und Typ der Weichteilsarkome. (Nach Enzinger u. Weiss 1983)
Kopf, Hals 16 7 5 35 3 1
Mediastinum 1 1 1 1 1 –
Rumpf 17 14 19 19 24 11
Retroperitoneum 8 9 15 5 50 1
Extremitäten 58 69 62 41 22 87
36.2 · Diagnostik und Indikation
305 36
. Tab. 36.2 TNM-Klassifikation der Weichteilsarkome Erwachsener. . Tab. 36.3 GTNM-Einteilung und Surgical-Staging-System. (Nach
(Nach UICC 1987, TNM 2010) Enneking 1986)
Prätherapeutische GTNM-Einteilung
klinische Klassifikation
Ia G1 T1 N0 M0 Tumor <5 cm, G1, keine Lymphknoten-
metastasen
T Primärtumor
Ib G1 T2 N0 M0 Tumor >5 cm, G1, keine Lymphknoten-
T0 Kein Anhalt für Primärtumor
metastasen
T1 Tumor 5 cm oder kleiner
IIa G2 T1 N0 M0 Tumor <5 cm, G2, keine Lymphknoten-
T2 Tumor größer 5 cm metastasen
T3 Jede Tumorgröße, klinisch oder radio IIb G2 T2 N0 M0 Tumor >5 cm, G2 keine Lymphknoten-
logisch Befall von Knochen, größeren metastasen
Gefäßen oder Nerven
IIIa G3 T1 N0 M0 Tumor <5 cm, G3, keine Lymphknoten-
N Lymphknoten metastasen
N0 Keine regionären Lymphknoten befallen IIIb G3 T2 N0 M0 Tumor >5 cm, G3, keine Lymphknoten-
metastasen
N1 Befall regionärer Lymphknoten
IVa G1–3 T2 N0/1 M0 Tumor infiltriert Knochen, Nerven,
M Fernmetastasen
Blutgefäße, mit oder ohne Lymphkno-
M0 Keine Fernmetastasen tenmetastasen, keine Fernmetastasen
ein Tumorwachstum in Muskellogen unter der tiefen Faszie, eine 36.3.1 Kurative Resektion und Rekonstruktion
intramuskuläre Ausbreitung, schmerzhafte Infiltration, rasche Grö
ßenprogredienz, ein Durchmesser über 5 cm und/oder eine Lokali Nach wie vor gilt die R0-Resektion maligner Weichgewebstumoren
sation in Leiste, Ellenbeuge oder Poplitealregion den Verdacht auf als Therapiestandard mit der besten Prognose für die Vermeidung
ein Weichgewebssarkom lenken. von Lokalrezidiven. Sie ist daher in jedem Falle anzustreben, wenn
Als sicherstes bildgebendes Verfahren gilt die Magnetresonanz gleich bis heute ein positiver Einfluss lokaler Radikalität auf das Lang
tomographie (MRT) die zu Ausdehnung, Morphologie und Bezie zeitüberleben nicht nachgewiesen werden konnte (Tanabe et al. 1994;
hung des Tumors zu benachbarten Strukturen bereits präoperativ Youssef et al. 2002). Unter dem Aspekt, dass die lokal erhöhte Radi
entscheidende Anhaltspunkte gibt (Arca et al. 1994). So lassen sich kalität die Überlebensrate nicht signifikant beeinflusst, sollte daher
notwendiges Resektionsausmaß und auch die erforderlichen Rekon auch die Indikation zur Amputation gründlich überdacht werden.
struktionsmethoden planen. Verglichen mit der Computertomogra
phie (CT) ergibt die MRT die kontrastreicheren Aufnahmen (Chang
1987). Hochdifferenzierte Liposarkome lassen sich von niedrigdif 36.3.2 Plastisch-rekonstruktive Chirurgie
ferenzierten Formen bereits mit den bildgebenden Verfahren der CT
und MRT abgrenzen (Jelinek et al. 1993; Halldorsdottir et al. 1982). Die moderne plastisch-rekonstruktive Chirurgie bietet eine Vielzahl
von Rekonstruktionsmöglichkeiten zur Wiederherstellung nach Re
Probeexzision. Eine aussagefähige histopathologische Untersu sektion von Weichgewebssarkomen. Dabei finden Weichteilplas-
chung erfordert eine Gewebemenge von mindestens 2 cm3 aus rand tiken ebenso wie die Funktion wiederherstellende Maßnahmen
ständigen Tumorarealen. Die Probengewinnung ausschließlich aus Anwendung. Mittels plastischer Verfahren lassen sich auch die Be
dem Zentrum ergibt wegen der hier oft vorhandenen Nekrosen dingungen für die Strahlentherapie verbessern oder deren Folgen
nichtrepräsentative Gewebestücke und erschwert die Diagnosesiche lindern (Cordeiro et al. 1994; Serletti et al. 1998).
rung (Arca et al. 1994). In spezialisierten onkologischen Zentren mit Die Therapieziele plastisch-rekonstruktiver Techniken bei er
großer Erfahrungen in der Diagnostik und Therapie von Weichge weiterter Resektion maligner Weichgewebstumoren sind somit:
webssarkomen werden auch Nadel- oder Stanzbiopsien mit ver 4 onkologisch adäquate Resektion, R0-Resektion,
gleichbaren diagnostischen Ergebnissen eingesetzt (Heslin et al. 4 Auffüllung von Hohlräumen,
1997). Bei Zweifeln an der Gewinnung repräsentativer Tumorgewebe 4 Prävention und/oder Therapie von Wundheilungsstörungen,
durch Nadelaspiration ist weiterhin eine offene Biopsie angezeigt. Die 4 sichere Bedeckung alloplastischer Implantate, tendoplastischer
Schnellschnitthistologie gilt wegen häufiger Unsicherheiten und ins Maßnahmen sowie Gefäßrekonstruktionen,
besondere einer schwierigen Differentialdiagnose als unzuverlässig. 4 Behandlung von Bestrahlungsfolgen,
36 > Bereits bei der Durchführung der Probeexzision muss auf
4 suffiziente Weichteilbedeckung für Sekundärrekonstruktionen,
4 Reduktion der Amputationsindikationen und
mögliche Rekonstruktionsverfahren Rücksicht genommen
4 Transplantation und/oder Salvage-Verfahren zur Stumpferhal
werden, um die für einen eventuellen Gewebetransfer
tung oder -verlängerung.
wichtigen oberflächliche Arterien und Venensysteme zu
schonen (z. B. für den Radialis-Unterarm-Lappen oder Per Plastisch-rekonstruktive Chirurgie
foratorlappen an der unteren Extremität; Cordeiro et al. im multimodalen Therapiekonzept
1994).
Im multimodalen Behandlungskonzept kommt es in 14–58% der
Da die Hautspindel direkt über dem Tumor bei der Resektion in je Fälle zu schwerwiegenden Wundheilungsstörungen (Arbeit et al.
dem Fall mitreseziert wird, empfiehlt es sich, die Probe direkt über 1987). Dem Risiko für diese Komplikation ist bei Planung der Resek
dem Maximum des Tumors zu entnehmen. Weiterhin ist darauf zu tion und auch hinsichtlich der plastischen Rekonstruktion Rech
achten, dass Redon-Drainagen unmittelbar an der Inzisionsstelle nung zu tragen.
ausgeleitet werden, nicht nur, um eine iatrogene Tumorverschlep So kann ein Eingriff im Bestrahlungsfeld, aber auch eine mög
pung, sondern auch um eine unnötige Vergrößerung des Resektions liche adjuvante Radiatio eine klare Indikation zur simultanen Weich
areals der Haut bei definitiver Resektion zu vermeiden (Steinau et al. teilplastik darstellen, da hiermit die Rate postoperativer Wundhei
2001a). Liegt der Tumor epifaszial, wird die Diagnose in der Regel lungsstörungen signifikant gesenkt werden kann bzw. eine Radiatio
unter ambulanten Bedingungen nach Routinetumorexstirpation ge erst überhaupt ermöglicht wird (Barwick 1992). Dies betrifft v. a. die
stellt. Da die pathologische Erstbefundung eher in Routinelabors Lokalisationen an Hand und Fuß sowie in der Nähe der großen Ner
erfolgt, ist die Einholung einer Referenzhistologie erforderlich. venbahnen (Armplexus; Evans et al. 1997).
Neuere Untersuchungen zeigen, dass im multimodalen Konzept
mit intraarterieller Chemotherapie mikrovaskulär angeschlossene
36.3 Therapeutisches Vorgehen Lappentransplantate keine höheren Verluste bzw. Komplikationsra
ten aufweisen (Sadrian et al. 2002).
! Cave
Wegen der hohen Rate an Lokalrezidiven nach initialer
unzureichender Resektion ist die adäquate Nachresektion 36.3.3 Palliative Chirurgie
anzuschließen (Zornig et al. 1995).
Durch geeignete Palliativeingriffe kann auch bei fortgeschrittener,
Die grundsätzliche Anwendung einer adjuvanten Bestrahlung ist chirurgisch inkurabler Tumorerkrankung die Lebensqualität des
weiterhin Gegenstand von Studien (McGrath et al. 1995). Ein posi Krebskranken durch Beseitigung der Schmerzsymptomatik und Ge
tiver Effekt wird für eine präoperative Radiatio bei sehr großen Sar ruchsbelästigung entscheidend verbessert werden. Die Pflege bett
komen gesehen, insofern als die Resektabilität und lokale Kontrolle lägeriger Patienten wird erleichtert. Selten wird zu diesem Zweck ein
verbessert werden (Suit u. Spiro 1994). ablatives Verfahren indiziert sein (Merimsky 2001).
36.3 · Therapeutisches Vorgehen
307 36
36.3.4 Besonderheiten im Kindesalter dar. Wegen der relativen Seltenheit extraabdomineller Weichgewebs
sarkome und ihrer spezifischen Chirurgie sollte ihre Behandlung in
Kindliche Weichgewebssarkome, besonders die, die zur Gruppe der spezialisierten Zentren erfolgen, in denen die interdisziplinären
Ewing-Sarkome gehören, sprechen auf neoadjuvante Chemothera Konzepte für die Diagnostik und adjuvante onkologische Therapie
pie an. Nach der resultierenden Tumorregression kann dann eine vorhanden sind.
lokale Exzision erfolgen. Voraussetzung ist aber in jedem Fall eine Ziel der chirurgischen Therapie maligner Weichgewebstumoren
exakte pathologische Diagnose anhand einer ausreichenden und re ist es, einerseits beim Ersteingriff eine erweiterte, onkologisch adä
präsentativen Probeexzision und einer qualifizierten pathologischen quate Tumorresektion zu erzielen und andererseits synchron die
Beurteilung. Rekonstruktion wesentlicher funktioneller und ästhetischer Struk
Aufgrund der speziellen Bedingungen sollten Weichgewebssar turen durchzuführen (Steinau et al. 2001b). Die Vorteile dieses Vor
kome im Kindesalter innerhalb pädiatrisch-onkologischer Tumor- gehens liegen in der Möglichkeit zur sofortigen Wiederherstellung,
Boards behandelt werden. So verbessert sich die Prognose des kind beschleunigten Rehabilitation und verbesserten Voraussetzungen
lichen Rhabdomyosarkoms unter Chemotherapie und Radiatio von für adjuvante Therapiemaßnahmen, wie z. B. für die Radio-/Chemo
20 auf 52%, bei großen Tumoren des Stadiums III kann die Resek therapie. Als Optionen stehen zur Verfügung:
tion erleichtert werden (Grosfeld 1999; Tabrizi u. Letts 1999). 4 die kurative gliedmaßenerhaltende R0-Resektion mit funktio
Das biologische Verhalten des extraossären Ewing-Sarkoms und neller und ästhetischer Rekonstruktion,
des Rhabdomyosarkoms im Kindesalter und deren Ansprechen auf 4 die kurative gliedmaßenerhaltende R0-Resektion und neoadju
Chemotherapie sind ähnlich. Ein Überleben für mindestens 10 Jah vante Radio-/Chemotherapie (ggf. mit funktioneller und ästhe
re erscheint am wahrscheinlichsten für Patienten mit einer Tumor tischer Rekonstruktion),
lokalisation an Kopf und Hals, Extremitäten, Stamm und solche, bei 4 der gliedmaßenerhaltende Palliativeingriff und
denen vor einer Chemotherapie eine weitgehende Tumorresektion 4 die Amputation unter kurativen oder palliativen Gesichtspunk
möglich war (Raney et al. 1997). ten.
Aufklärung
36.3.5 Indikation zur Amputation In einem ausführlichen Gespräch müssen dem Patienten das mög
liche Ausmaß der Resektion und die resultierenden funktionellen
Im Folgenden werden die heute noch bestehenden Indikationen für und ästhetischen Defizite erläutert werden. Von besonderer Bedeu
eine Amputation aufgezeigt: tung ist die Aufklärung über eine ggf. nicht mögliche Radikalität und
4 ausgedehnte, auch exulzerierende Rezidivtumoren mit Um die Notwendigkeit adjuvanter Therapieverfahren. Hinzuweisen ist
mauerung der Nervenplexus oder Einbruch in große Gelenke, auch auf die durch die Rekonstruktionen entstehenden Hebedefekte
4 Durchbruch der Membranae interosseae mit Gefäß-, Nerven- an anderer Lokalisation.
und Knocheninfiltration und
4 Tumorwachstum durch den Metatarsus oder Metakarpus. Planung der Resektion und Rekonstruktion
Für Extremitäteneingriffe unter Tourniquet-Kontrolle sind Trans
Die Entscheidung sollte immer von einem versierten, interdiszipli fusionen in der Regel nicht erforderlich, es empfiehlt sich aber die
nären chirurgischen Team getroffen werden, welches alle weichteil- eventuelle Einplanung einer Bluttransfusion. Bei Operationen am
und osteoplastischen Maßnahmen unter Einschluss der Endopro Stamm können dagegen erhebliche Blutverluste eintreten, insbeson
thetik beherrscht (Steinau et al. 1997). dere im Sternalbereich. Für eine adäquate Planung der Resektion
Mit den hier dargestellten operativen Prinzipien der plastisch- und der plastischen Wiederherstellung ist eine sorgfältige Festlegung
rekonstruktiven Chirurgie und adjuvanten Therapiemaßnahmen der möglichen Inzisionen ebenso wichtig wie die Abklärung der
reduziert sich heute die Indikation auf <10%, zumal die Prognose Ausdehnung vorhandener Strahlenfelder.
hinsichtlich des Überlebens durch radikalere Vorgehensweisen (z. B.
> Inzisionen sollten, wenn immer möglich, die lympha
Ablatio) nicht verbessert wird.
tischen Kollektoren erhalten, um postoperativen Lymph
Liegt eine Knochenbeteiligung vor, so lassen sich mittels moder
ödemen vorzubeugen.
ner Knochensegmenttransportverfahren heute auch ausgedehnte
Knochenbeteiligungen rekonstruieren (Tsuchiya et al. 1997). Ein
segmentaler Nervenbefall, z. B. des N. ischiadicus, stellt keine prin
zipielle Amputationsindikation mehr dar. Die Gangleistung derar 36.3.7 Resektionstechniken
tiger Patienten erreicht nach kollateraler sensibler Teil-Reinner
vierung der Fußsohle durch Äste des N. saphenus, konsequenter Erweiterte Resektion
Schuhversorgung und funktioneller Rehabilitation funktionell über Bereits die Lokalisation des malignen Weichgewebstumors hat Ein
legene Ergebnisse gegenüber derjenigen von Patienten nach Ampu fluss auf den Umfang der notwendigen Resektion und die Notwen
tation. Mittels der mikrochirurgischen Rekonstruktion sind dabei digkeit einer Rekonstruktion (Russell et al. 1977).
auch atypische oder segmentale Amputationsformen mit funktio Bei Tumoren der Thorax- oder Bauchwand sind in der Regel
nellem Gewinn für die Patienten durchführbar (Windhager et al. allschichtige Resektionen notwendig, sodass auch hier rekonstruk
1995). tive Verfahren erforderlich werden können. Im Kopf-Hals-Bereich
ist oft aus anatomischen Gründen ein weiter Sicherheitsabstand
nicht einzuhalten.
36.3.6 Onkologiegerechte Resektion Nach Anzeichnen der Hautresektion unter Einschluss von Drai
nagestellen erfolgt unter Tourniquet-Kontrolle oder offener Gefäß
Neben einer möglichst radikalen Resektion stellt die plastisch-re okklusion (Leiste) an der Extremität eine ellipsenförmige Umschnei
konstruktive Chirurgie den derzeitigen Standard in der Behandlung dung der dem Tumor aufsitzenden Hautspindel.
308 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten
36
e f
. Abb. 36.1a–e Muskelgruppenresektion mit komplexer primärer Wieder- langstreckige Dissektion der Vasa femoralia erforderlich wurde. e Rekon-
herstellung des Oberschenkels. a Bioptisch gesichertes Fibrosarkom (mali- struktion der Oberschenkel-(Quadrizeps-) Streckerfunktion durch Transpo-
gnes fibröses Histiozytom), Malignitätsgrad G2, das die Kompartmentgren- sition des M. biceps femoris (Caput longum), hier durch eine Hilfsinzision
ze der Quadrizepsgruppe (b Ansicht im CT) überschreitet. Nach radikaler zur besseren Demonstration vorverlagert. Primärverschluss der Wunde.
Resektion unter Entfernung des gesamten M. quadriceps bleibt der Tumor f Sechs Jahre nach dem Eingriff ist der Patient rezidivfrei mit voller Stabilsie-
allseitig von gesundem Gewebe umgeben (hier nach Inzision auf dem rung des Kniegelenkes und uneingeschränkter Gangfähigkeit
unsterilen Abwurftisch, c), wobei d eine Deperiostierung des Femurs und
36.3 · Therapeutisches Vorgehen
309 36
! Cave tionen von Nerven, Gefäßen und Gelenken sowie das Vorliegen von
Es ist zu beachten, dass der ehemalige Biopsiezugang und Lymphknotenmetastasen stellen prognostisch ungünstige Faktoren
die dazugehörigen Redon-Ausstichstellen und -Kanäle, dar (Fong et al. 1993; Torosian et al. 1988). Liegen hochmaligne Re
bei denen immer eine Tumorverschleppung angenommen zidivtumoren vor oder ist es bereits zu einer Fernmetastasierung
werden muss (. Abb. 36.1b), in das Resektionsareal gekommen, wird auch mit großen ablativen Verfahren nicht mehr
miteinbezogen werden. kurativ zu behandeln sein. Im Gegenteil – bei palliativer Chirurgie
ausgedehnter exulzerierter Tumoren ist lediglich die Entfernung des
Es folgt die epifasziale Präparation des Tumors einschließlich der ihn Malignoms zu empfehlen, da die Amputation die Prognose nicht
umgebenden Kapsel in En-bloc-Technik (. Abb. 36.1). verbessert. Zudem weisen Patienten mit niedrigmalignen Tumoren
Hierbei ist die onkologisch gerechte R0-Resektion weit im Ge und oberflächlicher Lokalisation 5-Jahres-Überlebensraten von
sunden mit einem Sicherheitsabstand von 5 cm zur Seite und 2 cm >80% und 10-Jahres-Überlebensraten von >60% auf (Torosian et al.
zur Tiefe gefordert. Der Sicherheitsabstand zur Tiefe kann, je nach 1988; Brooks et al. 1998).
anatomischer Gegebenheit, nicht immer eingehalten werden. An Besteht nach kritischer Abwägung die Indikation zur Amputati
zustreben ist die Mitnahme der umgebenden Muskelgruppen ein on, so sollten alle Möglichkeiten einer möglichst distalen Amputati
schließlich Faszien. Bei Sitz des Tumors in Knochennähe muss eine onsebene, ggf. auch durch atypische Stumpfbildung ausgeschöpft
großzügige Deperiostierung erfolgen, ggf. kann eine tangentiale werden (7 Kap. 36.3.13). Entsprechende weichteilplastische oder or
Teildekortikation notwendig werden. Insgesamt ist die Knochenin thopädische Rekonstruktionsverfahren dienen einer Verbesserung
filtration der Weichgewebstumoren eher selten. der prothetischen Versorgung an der unteren Extremität, also auch
Bei primärer Lokalisation an Finger- oder Zehenstrahl ist der Verbesserung des Gangbildes (Steinau et al. 1997). Daher muss
die Amputation und Resektion der anatomischen Einheit mit Te bei der Durchführung einer Segmentamputation geprüft werden,
nosynovektomie, Deperiostierung und Resektion der Gelenkkapsel inwieweit distale Amputatanteile als mikrochirurgische Transplan
angezeigt. Liegen Nerven oder Gefäße in enger Nachbarschaft tate zur Stumpfverbesserung Verwendung finden können. Dabei
zum Tumor, erfolgen Epineurektomie oder Adventitiaresektion. dürfen die später druckbelasteten Anteile keinesfalls mit Spalthaut
Sind diese Strukturen vom Tumor infiltriert, müssen sie reseziert transplantaten versorgt werden.
werden. Ob sie primär oder sekundär ersetzt werden müssen, hängt
von Art und Umfang des Nervenausfalls und der Möglichkeit ein
facher und schneller motorischer Ersatzoperationen ab (Lee et al. 36.3.9 Chirurgie der Lymphknoten
1993).
Die lymphogene Metastasierungsfrequenz maligner Weichgeweb
Exzision mit eingeschränktem Sicherheitsabstand, stumoren liegt bei 2,6% und erreicht die höchsten Inzidenz beim
Rezidivchirurgie Angiosarkom (13,5%), embryonalen Rhabdomyosarkom (ERMS;
Nicht immer können die bei der onkologisch sicheren Exzision ge 13,6%), und Epithelioidsarkom (16,7%; Fong et al. 1993). Die Anga
forderten Sicherheitsabstände, v. a. in die Tiefe, eingehalten werden. ben hierzu in der Literatur sind sehr unterschiedlich (. Tab. 36.4),
Dabei ist jedoch zu fordern, dass die Resektatränder zumindest wobei der Zeitpunkt der Erstdiagnose und die erfolgte Therapie ent
histologisch tumorfrei sein müssen. So kann z. B. bei Sitz eines scheidende Rollen spielen.
hochmalignen Sarkoms auf dem Periost neben einer Deperiostie Die Entscheidung zur primären Lymphknotendissektion richtet
rung und Dekortikation auch eine adjuvante Therapie indiziert sich nach dem vorliegenden Tumortyp. Bei den oben genannten Sar
sein. komen kann diese indiziert sein. Bei allen anderen Tumortypen
sollte nur bei klinisch palpablem Befund eine Lymphadenektomie
> Lokalrezidive nach chirurgischer Therapie maligner Weich
erfolgen. Liegt die erste Lymphknotenstation bereits im Resektat,
gewebstumoren sind in den meisten Fällen Folge einer un
kann hier eine En-bloc-Resektion durchgeführt werden. Anderen
zureichenden Primäroperation mit ungenügender Radika
falls schließt sich eine systematische Lymphadenektomie an die Tu
lität und/oder fehlender adjuvanter Therapie. Auch beim
morresektion an.
Lokalrezidiv ist primär die Nachoperation in sano als The
rapie der Wahl anzustreben. Die Radiatio oder regionale
Chemotherapie kann als sekundäre Option, selten als neo
adjuvante oder präoperative Therapiemodalität einge
setzt werden. . Tab. 36.4 Häufigkeit primär lymphogener Metastasierung.
(Nach Chang et al. 1989)
Bei Rezidiven oder inkompletter Erstoperation stößt der Operateur
bei der Nachresektion nicht selten auf veränderte anatomische Ge Tumor Häufigkeit lymphogener
gebenheiten und die Schwierigkeit einer lokalen Vernarbung oder Metastasierung [%]
Hämatombildung. Plastische Rekonstruktionsverfahren können
durch vorbestehende Inzisionen erschwert oder sogar unmöglich Malignes Schwannom <1
werden, es kann sogar der Erhalt einer Extremität in Frage gestellt Liposarkom 0–3
sein.
Fibrosarkom 0,5–8
36.3.10 Rekonstruktion
. Abb. 36.3a–e Rotationsbögen und Überschneidungsfelder der häufig- pen; b 3 distal gestielter Rektuslappen, 4 M.-Rectus-femoris-Lappen.
sten Lappenplastiken im Stamm- und Extremitätenbereich. Die Eintrittstel- c 5 M.-tensor-fasciae-latae-Lappen; 6 proximal gestielter M.-rectus-abdo
len, um die die Lappen gedreht werden können, sind markiert. Die gestri- minis-Lappen; d 7 M.-trapezius-Myokutanlappen, 8 M.-latissimus-dorsi-
chelten Areale definieren die Muskelausdehnung mit dem axialen Gefäß- Lappen, 9 M.-tensor-fasciae-latae-Lappen. e 10 Lappen aus medialem und
bündel. a 1 Pectoralis-major-Myokutanlappen, 2 Vastus-lateralis-Muskellap- lateralem M. gastrocnemius. (Nach Steinau et al. 1990)
> Ein spannungsfreies Einnähen beugt Wundheilungsstö werden, und zerstörte dominante Gefäßstiele regionaler Lappen
rungen vor, die gerade bei multimodalen Therapieverfah durch Voroperationen oder Radiatio. Die Verwendung freier Gewe
ren eine unnötige Verzögerung der adjuvanten Radio- betransplantate auch von kontralateral ermöglicht in der Chirurgie
oder Chemotherapie verursachen oder diese gar unmög von Weichgewebstumoren mit Sitz in der Extremitätenperipherie
lich machen. die Gliedmaßenerhaltung. Dabei leisten sie eine suffiziente Bede
ckung von Sehnen, Nerven, Gefäßen, Knochen und alloplastischen
Eine Domäne des freien mikrochirurgischen Gewebetransfers sind Materialien, füllen Hohlräume und Konturdefekte auf und verbes
Resektionsdefekte, die von gestielten Lappenplastiken nicht erreicht sern den Lymphabfluss bestrahlter Areale (Cordeiro et al. 1994).
312 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten
Operationsverfahren zur primären funktionellen Wieder . Tab. 36.6 Mögliche Replantate bei Segmentamputationen
herstellung der Extremität
Lokalisation Chirurgische Maßnahmen
4 Strecker- oder Beugergruppenersatz am Unterarm
– Sehnenersatzplastiken
Segmentamputation auf Replantation von Unterschenkelantei-
– Tenodesen Kniegelenks- oder Unter- len oder osteomyokutaner Kalkaneus-
– Arthrodesen schenkelebene Fußsohlen-Lappen
4 Entfernung der Oberarmbeuger
Segmentamputation im Falls keine innere Resektion möglich,
36 – Ersatzplastik durch Latissimus-dorsi-Lappen, Pectoralis-
major-Lappenplastik, Steindler-Verfahren
Schultergürtelbereich Replantation des Unterarms zur
Defektdeckung der Thoraxwand und/
4 Verlust der Strecker und/oder Peronäalgruppe am Unter- oder Schulterkonturierung
schenkel
– Steigbügelplastik in Kombination mit Tenodese der Segmentamputation im Atypische Handreplantation
distalen Unterarmbereich
Zehenstrecker
4 Verlust der Kniegelenkstrecker
– M.-Biceps-Plastik
4 Verlust der Fußhebung, Zehenstreckung
– Steigbügelplastik, Tenodesen mehraufwendungen beim Gang, die bei der Hüftexartikulation über
100% betragen können (7 Kap. 30.3). Ein möglichst langer und gut
belastbarer Stumpf ist daher anzustreben.
Diese Methoden sollten synchron mit dem Resektionseingriff einge In . Tab. 36.5 sind Lokalisationen, bei denen eine erweiterte
setzt werden und erfordern eine ausreichende Weichteilbedeckung. Resektion mit atypischer Stumpfbildung erfolgen sollte, zusam
Grundprinzip ist es dabei, Anteile antagonistischer Muskelgruppen mengestellt (Steinau et al. 1997). Techniken der Borggreve-Um
als motorische agonistische Einheit zu verlagern. Bekannte Metho kehrplastiken (7 Kap. 30.5.2), Filetlappenplastiken, gestielte oder
den sind die Radialisersatzplastik nach Merle d’Aubignée und die mikrochirurgische Verpflanzung von distalen Amputatanteilen eig
Steigbügelplastik zur Rekonstruktion der Fußheberfunktion nach nen sich zur Stumpfdistalisation. Mögliche Replantate bei Segmen
Peronäusverlust oder Resektion der Fußheber-/Eversionsmuskula tamputationen sind in . Tab. 36.6 zusammengestellt (Steinau et al.
tur (M. tibialis anterior, M. peronaeus longus et brevis). Eine detail 1997).
lierte Beschreibung motorischer Ersatzplastiken findet sich in Bei Lokalisation des Tumors im dorsalen Oberschenkel ist da
7 Kap. 43, 44 und 46. her ein Kniegelenksartikulationsstumpf, dessen dorsale Muskel
gruppen entfernt wurden, dem Hüftgelenksexartikulationsstumpf
und der proximalen Oberschenkelamputation eindeutig überlegen.
36.3.13 Spezielle Verfahren zur Stumpf Funktionell ist auch die atypische Unterarm-, Handgelenks- und
verlängerung Fußstumpfbildung den klassischen hohen Amputationsformen
vorzuziehen. Insbesondere stehen mit dem mikrochirurgischen
Lässt die Tumorausdehnung unter onkologischen Kriterien eine R0- Gewebetransfer (Transplantation der zweiten Zehe zur Greifzan
Resektion nicht zu, sollte vor dem Entschluss zur etagengerechten genbildung) sowie Umsetzung des Zeigefingers in die Daumenpo
Amputation der Extremität unbedingt ein sog. Distalisationsverfah sition, oder Fußfiletierung zur Stumpfdeckung wertvolle Möglich
ren in Betracht gezogen werden (Biemer u. Steinau 1988). keiten zur funktionellen Rehabilitation oder Prothesenanpassung
Nach Baumgartner (1991) resultieren aus den unterschiedlichen zur Verfügung. In der . Übersicht sind die gängigsten Verfahren
Amputationsebenen der unteren Extremität zunehmende Energie zusammengefasst.
36.4 · Postoperatives Management
313 36
Als Grenzbefunde, die einen Extremitätenerhalt kaum noch zu
Differenzialtherapeutische Möglichkeiten zur Rekonstruk lassen, gelten:
tion nach gliedmaßenerhaltender Resektion (Russel 1977) 4 transmetakarpale und transmetatarsale Tumorinfiltration,
4 Haut und Unterhaut 4 Durchwachsen der Membrana interossea,
– Regionale Lappenplastiken (einschließlich fasziokutaner 4 lokoregionäre Dissemination und
und myokutaner Lappenplastiken, Spalt- und Vollhaut- 4 ein exulzerierter, zirkulär wachsender Riesentumor.
transplantate)
– Mikrochirurgische Gewebetransplantationen und ge- Vor der Ablatio ist die Möglichkeit einer neoadjuvanten Therapie
stielte Fernlappenplastiken oder Extremitätenperfusion zu klären, um eine lokale Operabilität
4 Neuromuskuläres System der Extremitäten herbeizuführen.
– Neurovaskuläre Insellappenplastiken
– Nervenresektionen und extraanatomische autologe Inter-
ponate 36.4 Postoperatives Management
– Gestielte oder freie neurovaskuläre Muskeltransplantate
– Sehnentransfer und Tenodesen Besonderer Überwachung bedürfen Patienten mit präoperativer
– Arthrodesen, Resektionsarthroplastiken Radio-/Chemotherapie und konsekutiv niedrigen Leukozyten- und
– Orthesen Thrombozytenzahlen. Ulzerationen von Haut und Schleimhäuten in
– Stumpfdistalisationen, Prothesenversorgung Mundhöhle und Blasen, unerwartete Nachblutungen sowie kardio
4 Skelettsystem respiratorische Probleme erfordern ein intensives Monitoring.
– Knochenresektion und Ersatzverfahren Nach Extremitätenrekonstruktionen und Lappenplastiken zählt
– Spongiosaplastik, kortikospongiöser Span die konsequente Perfusionskontrolle zu den postoperativen Stan
– Mikrovaskuläre Knochentransplantate dards. Bei eintretenden Perfusionsstörungen kann die sofortige Re
– Allografts vision mit guten Erfolgsaussichten den drohenden Transplantatver
– Gelenkresektion, Arthroplastik, Tumorprothesen lust abwenden.
– Alloarthroplastiken
– Verbundosteosynthesen
– Stumpfdistalisationen, atypische Stumpfbildungen 36.4.1 Spezielle postoperative Probleme
4 Blutgefäßsystem
– Ausschälung (Adventitia) Nachblutung, Hämatom- und Serombildung. Als besondere Risi
– Resektion und Interpositionsplastik kofaktoren für die Entstehung von Hautperfusionsstörungen, lang
– Extraanatomischer Bypass wierigen Sekundärheilungen, Abszessen, Sehnensequestern oder
4 Kombinierte Verfahren Osteitis gelten postoperative Hämatome und Serome. Eine Präven
– Mikrochirurgische Transplantationen (z. B. Zehentransfer) tion besteht in der Frühintervention mit Hämatomausräumung,
– Transfer distaler Amputatanteile Wundrandexzision und Sekundärnaht. Dies gilt umso mehr bei
– Filetierungen (auch osteomyokutane Lappenplastiken) langstreckig dissezierten Gefäßen (Leiste, Oberschenkel), Deperios
tierungen langer Röhrenknochen und v. a. bei Gefäßrekonstrukti
onen, da Infektionskomplikationen bis hin zur septischen Ruptur
drohen.
Ein komplexes Distalisationsverfahren, das funktionell sogar einer
Tumorkniegelenksprothese überlegen ist (Hillmann et al. 1999), Durchblutungsstörungen und Nekrosen. Wundranddurchblu
stellt die Verpflanzung des distalen Unterschenkels mit Fußanteil zur tungsstörungen bis hin zu Lappennekrosen bedürfen eines frühzei
funktionellen Kniegelenksrekonstruktion nach Borggreve und van tigen radikalen Débridements, um den Übergang in eine Gangrän
Nes dar (Heeg u. Torode 1998; . Abb. 30.3). Hierbei wird nach Re zu vermeiden. Kommt es dabei zum Verlust der Weichteilbedeckung,
sektion des tumortragenden Knieanteils der nichtbefallene Unter so besteht die klare Indikation für eine erneute Weichteilplastik. Nur
schenkel nach Zehenamputation unter Drehung um 180° an den so kann für den Patienten nachteiligen Verzögerungen der adju
Oberschenkelstumpf gestielt oder mikrochirurgisch replantiert. Das vanten Therapie vorgebeugt werden (Cordeiro et al. 1994).
ehemalige Sprunggelenk fungiert dann als Neokniegelenk. Dieses
Verfahren bringt neben dem funktionellen Vorteil allerdings be Unzureichende Radikalität. Zeigt die abschließende histopatholo
trächtliche ästhetische Veränderungen mit sich. Eine enge Führung gische Untersuchung eine nur marginale Exzision, sollte mit einer
des Patienten ist daher erforderlich (Hillmann et al. 1999). Nachresektion nicht gezögert werden, da keine adjuvante Thera
pieform die chirurgisch-radikale R0-Resektion ersetzen kann. Eine
vorbestehende Wundhöhle sollte dabei en bloc mit ausreichendem
36.3.14 Aktuelle Amputationsstrategie Weichteilmantel exzidiert werden (Zornig et al. 1995).
Verglichen mit der Amputation und Versorgung mit einer Prothese, Lymphabflussstörungen. Nach ausgedehnter Gefäßdisseketion
die das körperliche Leistungsvermögen überfordert, stellt eine »bio und ausgedehntem Verlust der Weichteile des Extremitätenquer
logische Stelze« oder sensible Zangenversorgung an der oberen Ex schnitts kann es auch bei Schonung der Lymphkollektoren zu ausge
tremität einen qualitativ hochwertigeren Restzustand dar, mit dem dehnten Lymphabflussstörungen kommen. Hier ist eine konsequente
ein betagter Patient sich besser selbst versorgen kann (Steinau et al. und frühzeitige Lymphdrainage und postoperative Kompressions
2001). Hier stellt die Einschätzung des vermehrten Energieauf therapie indiziert. Ausgedehnte Lymphödeme bergen ein Risiko für
wandes zur Fortbewegung nach Baumgartner (1991) eine wertvolle die Entstehung von Phlegmonen und erschweren adjuvante Thera
Bewertungsgrundlage dar. piemaßnahmen.
314 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten
a b
36
d
36.4.2 Nachsorge schule und Ergotherapie. Besonderes Augenmerk ist auf die frühzei
tige Prothesenrehabilitation zu richten. Mit den modernen Silikon
Die regelmäßige onkologische Nachsorge, deren Modalitäten noch linern kann die Mobilisation einer Vollkontaktprothese eher reali
nicht einheitlich abgesichert sind, umfasst neben der klinischen Un siert werden als mit langwierigen Interimsprothesen. Es hat sich
tersuchung die bildgebenden Verfahren des MRT und der Sonogra gezeigt, dass dieses Vorgehen auch die gefürchtete Phantomschmerz
phie (Poon-Chue et al. 1999). Nicht selten kommt es zu Problemen problematik positiv beeinflusst und eine deutlich frühere Rehabili
bei der Interpretation der Befunde durch den Radiologen, sodass tation der Patienten ermöglicht.
eine enge Kooperation mit dem Operateur zu empfehlen ist.
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VII
Funktionelle Wieder
herstellung peripherer
Nervenfunktionen
P. Vogt
Physiologische Grundlagen
der Nervenregeneration
C. Radtke
. Tab. 37.1 Klassifikation der Nervenschädigung nach Grad der Schädigung, Ausmaß und Lokalisation der fibrösen Reaktion. (Mod. nach Millesi
1992; Sunderland 1951)
Grad I Neurapraxie mit erhaltenen Axonen, aber Blockierung, Ner- Verletzung ist reversibel und spontane Erholung möglich, Regene-
venleitgeschwindigkeit durch segmentale Demyelinisierung ration innerhalb von einigen Monaten
Grad II Axonotmesis mit axonaler Verletzung und Myelinverlust Intakte Basallamina mit guter Chance zur Regeneration, allerdings
längerandauernd als bei Neurapraxie
Grad III Axonale Verletzung und Zerreißung des Endoneuriums, Regeneration möglich, Perineurium als Leitschiene für regenerie-
intaktes Perineurium rende Axone, aber operative Therapie ist zu empfehlen
Grad IV Zerreißung des Perineuriums, komplette Narbenbildung und Aussicht auf spontane Regeneration schlecht, Operation (Neuroly-
dadurch Kontinuität erhalten, Neurombildung se) mit Resektion, Narbengewebe oder Neurom (ggf. Nerventrans-
plantation)
Grad V Neurotmesis mit kompletter Durchtrennung ohne Erhalt der Keine spontane Regeneration, Resektion und Operation mit Neu-
Kontinuität rorrhapie oder Nerventransplantaion notwendig
37.2.2 Nervenregeneration Nerv enthalten. Nach einer Axotomie kommt es zu einem Abfallen
dieser Konzentrationen und nach Reinnervation zu einer erneuten
Distal der Nervenverletzung gehen sowohl das Axon als auch die Erhöhung.
umgebende Myelinscheide im Rahmen der Waller-Degeneration . Abb. 37.2 zeigt die Nervenregeneration im Überblick.
zugrunde. Der Zelldébris wird von eingewanderten Makrophagen,
Mastzellen sowie Schwann-Zellen abgeräumt. Schließlich bleiben Proximaler Bereich und Wachstumskegel
nur noch Bindegewebsreste und die den Nerv ursprünglich umge Ausgehend vom proximalen Anteil des verletzten Nervs kann es zum
benden Bindegewebshüllen übrig. Parallel zu diesen Prozessen Aussprossen des Axons und unter optimalen Bedingungen zur Re
kommt es nach Kontaktverlust der Schwann-Zellen mit dem Axon generation mit Erreichen des Zielorgans kommen. Innerhalb der
zur morphologischen Veränderung dieser (reaktivierten) Schwann- ersten 24 h nach Trauma beginnt das Aussprossen des proximalen
37 Zellen. Sie beginnen zu proliferieren (Salzer u. Bunge 1980), und Anteils. An diesen Ausläufern findet man sog. Wachstumskegel, die
infolge Migration bilden sie einen Zellstrang entlang der Basallami eine Vielzahl von Vesikeln und Mitochondrien enthalten. An diesen
na (sog. Büngner-Bänder). Dieser dient als Leitschiene für die rege Wachstumskegeln finden sich fingerförmige Ausstülpungen, sog.
nerierenden Axone. Filopodien, die die Umgebung explorieren. Intrazelluläres Ca2+ re
Zu diesem Zeitpunkt wachsen von proximal des verletzten Ner guliert die Beweglichkeit dieser aussprossenden Enden, und es wer
venstumpfs mehrere neu gebildete Axone aus. Zusätzlich werden den Proteasen produziert, um die extrazelluläre Matrix, die eine
neurotrophe Faktoren produziert und vermehrt Adhäsionsmoleküle entscheidende Rolle für die Nervenregeneration spielt, durchdrin
auf der Oberfläche der Plasmamembran exprimiert. Beides ist für gen zu können.
das regenerierende Axon richtungsweisend. Zusätzlich weisen Wachstumskegel Liganden für bestimmte Ad
Im normalen peripheren Nerv wird in den Endorganen sympa häsionsmoleküle auf, wie z. B. Laminin und Fibronektin, die im Be
thischer und sensibler Nerven »nerve growth factor« (NGF) produ reich der Basalmembran und den Schwann-Zellen lokalisiert sind.
ziert und retrograd zum Zellkörper transportiert. Ist nun die Konti Durch diese sog. Kontaktführung und des Weiteren durch chemo
nuität unterbrochen, fehlen diese wichtigen neurotrophen Faktoren. taktische Faktoren kommt es zum gerichteten Aussprossen (Ramon
Nach der Einwanderung von hämatogenen Makrophagen in die Lä y Cajal 1928) der regenerierenden Axone. Diejenigen, die die Basal
sion produzieren diese Interleukin-1, das wiederum Schwann-Zel membran mit den darin enthaltenen Schwann-Zellen erreichen,
len anregt, NGF zu produzieren (Lindholm et al. 1987). Regenerie wachsen weiter und werden an die entsprechende Zielzelle oder
rende sensible Axone wachsen dann in Richtung dieser Faktoren aus. Zielstruktur geleitet, sodass das Neuron die Informationen in Form
Wird die Einwanderung von Makrophagen behindert, dann ist die von elektrischen Impulsen wieder weitergeben kann.
Beseitigung des Myelindébris der zerfallenden Myelinscheide pro
trahiert, und es kommt zu keiner wesentlichen NGF-Sekretion durch
die Schwann-Zellen (Brown et al. 1991). 37.2.3 Fortschritte
In unverletzten peripheren Nerven sowie in Schwann-Zellen
werden normalerweise keine wesentlichen Konzentrationen an Während im peripheren Nervensystem unter bestimmten Bedin
»brain-derived neurotrophic factor« (BDNF) gebildet. Erst nach gungen die Regeneration von verletzten peripheren Nerven statt
Nervenverletzung zeigt sich eine signifikant Erhöhung. BDNF ist ein finden kann, ist die axonale Regeneration bei Verletzungen im zen
essenzieller Faktor für das Überleben und die Regeneration sensib tralen Nervensystem (ZNS) unter normalen Gegebenheiten nur sehr
ler, sensorischer als auch motorischer Nervenfasern. BDNF und begrenzt möglich. Die therapeutischen Mittel sind in beiden Fällen
NGF scheinen ergänzend zusammenzuarbeiten. limitiert.
Ein weiter wichtiger Faktor ist der »ciliary neurotrophic factor« Neue Fortschritte in der Zellbiologie haben zur Präparation und
(CNTF). Es ist in hohen Titern in Schwann-Zellen im unverletzten Kultivierung verschiedener Zelltypen geführt, die nach Transplan
37.2 · Nervenverletzung
325 37
tation demyelinisierte Axone wieder remyelinisieren können und kann durch Berührung im Bereich des Neuroms eine genau lokali
axonales Wachstum unterstützen. In tierexperimentellen Versuchen sierbare Triggerzone identifiziert werden.
konnten bereits Verbesserungen durch Zelltransplantationen von
peripher-myelinbildenden Zellen in die Läsionsstelle, Transplanta Prävention und Therapie
tion von Neuronen sowie die Anwendung von neurotrophen Fak Es hat sich bewährt, die Neuromformation bei einem durchtrennten
toren zu einer Optimierung der Ergebnisse sowohl morphologisch Nerv, in dem die Koadaptation nicht möglich ist, durch Einkapse
als auch funktionell führen. Auch Aspekte der Neuroprotektion lung des Nervenendes zu reduzieren. Es wurden muskuläre und os
scheinen klinisch interessant zu sein. Ein Problem in der poten säre Verlagerung, Elektrokoagulation, Kryotherapie, Kortisoninjek
ziellen klinischen Anwendung z. B. von Schwann-Zellen als Zell tion, Ligation, Verwendung von Silikonröhrchen etc. beschrieben,
therapie, besteht in der begrenzten Anzahl an Zellen, welche autolog wobei die Vielfalt widerspiegelt, dass sich eine Neurombildung trotz
gewonnen werden können. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der sorgfältigster Technik nicht zuverlässig vermeiden lässt.
Überbrückung langstreckiger Nervendefekte. Hier könnten neue Bei einem bereits bestehenden, schmerzhaften Neurom ist die
Biomaterialien verbesserte Möglichkeiten der Regeneration bieten chirurgische Exzision Therapie der Wahl mit anschließender ossärer
(Allmeling et al. 2006, 2007). oder muskulärer Verlagerung des Nervenstumpfs. Allerdings ist oft
mals eine signifikante Verkürzung des betroffenen Nervs oder bei
einem Neuroma in continuitatem sogar eine Nerventransplantation
37.2.4 Neurom notwendig (. Abb. 37.3; 7 Kap. 38.2.2). Nicht selten kommt es zu ei
ner erneuten Neurominduktion, die weitere Interventionen nach
Neurome entwickeln sich dann nach einer Nervenverletzung, wenn sich zieht.
es zu keiner vollständigen Regeneration kommt. Dabei wird durch Unter Umständen kann es bei Revisionseingriffen schwierig
das aussprossende Axon das Zielorgan oder die Zielzelle nicht wie sein, das Neurom im umgebenden Narbengewebe aufzufinden. In
der erreicht, sondern es resultiert ein ungerichtetes Wachstum der diesem Fall empfiehlt es sich, den entsprechenden Nerv proximal
Axone mit Hyperproliferation von Schwann-Zellen, Fibroblasten aufzusuchen und nach distal zu verfolgen. Für die intraossäre Verla
und kollagenen Fasern. gerung sollte eine senkrechte Bohrung in den Knochen erfolgen. Der
Nerv befindet sich dann unter spannungsfreien Bedingungen im
> Eine vermehrte Narbenbildung im Bereich der Läsionsstel-
mittleren Bereich der Bohrung.
le erhöht das Risiko einer Neurombildung. In diesen Fall
sind die regenerierenden Axone nicht in der Lage, die Nar-
> Aufgrund der gesamten Problematik ist der Prävention
be zu durchbrechen, um ihr Endorgan zu erreichen. Es
eines Neuroms besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
kommt zum ziellosen Wachstum mit veränderter Expres
Bei chirurgischen Eingriffen an einem peripheren Nerv ist
sion von Natriumkanälen mit nachfolgender gestörter
spezielle Vorsicht geboten, und atraumatische Techniken
Elektrophysiologie.
sollten strikt eingehalten werden, um Narbenbildung so
Neurome können sehr schmerzhaft sein und beeinträchtigen da gering wie möglich zu halten.
durch oft die Funktion der gesamten Extremität. Es zeigt sich eine
gestörte Erregbarkeit mit Hyperästhesie, Hyperalgesie und ausge
prägtem Hoffmann-Tinel-Zeichen (7 Kap. 50.2.6). Typischerweise
326 Kapitel 37 · Physiologische Grundlagen der Nervenregeneration
a b
37
c d
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38
Die Prognose einer peripheren Nervenverletzung hängt von ei- Hierdurch sind auch Vergleichsmessungen zu verschiedenen Zeit-
ner genauen Diagnose durch Prüfung von Muskelfunktion und punkten möglich.
Sensibilität, der chirurgischen Technik und der Nachbehand- Die NLG der distalen Enden durchtrennter Nerven fällt in den
lung ab. ersten 7–9 Tagen nach der Verletzung ab, somit kann zwischen kom-
pletten und partiellen Leitungsstörungen unterschieden werden
(Carter et al. 2000).
38.1 Diagnostisches Vorgehen Beim EMG-Test wird das Depolarisationspotenzial bei aktiver
und spontaner Muskelbewegung als Muskeleinheitaktionspotenzial
38.1.1 Klinische Untersuchung aufgezeichnet. Von Muskelfasern in Ruhe geht kein elektrisches Si-
gnal aus, Muskelfasern distal einer Nervenläsion zeigen zunächst
Das Ausmaß der Läsion wird durch eine exakte klinische Einschät- normale Signale, bis sie infolge der Waller-Degeneration denerviert
zung der sensiblen und motorischen Nervenfunktion bestimmt werden und anfangen, Fibrillationen zu zeigen. Da dies meist nach
(7 Kap. 37). etwa 14–21 Tagen der Fall ist, kann eine Muskelbeteiligung am be-
sten etwa 3–4 Wochen nach einer Nervenverletzung mittels EMG
! Cave
festgestellt werden. Denervierter Muskel zeigt positive »sharp waves«
Das Ausmaß einer Nervenschädigung ist jedoch nicht im
und Fibrillationen (Carter et al. 2000).
mer allein klinisch sicher zu bestimmen, weil z. B. eine
Muskelfunktion auch bei teilweiser Nervendurchtrennung
oder durch anatomische Varianten (Austausch von Ner
venfasern durch Verbindungen nach Martin/Gruber und
38.2 Therapeutisches Vorgehen
Rich/Cannieu) erhalten bleiben kann. Offene Verletzungen
mit Verdacht auf Nervenbeteiligung sollten daher immer
38.2.1 Nervennaht
exploriert werden.
Bei der Nervennaht (Neurorrhaphie) sind folgende Prinzipien zu
Bei geschlossenen Verletzungen ist das Läsionsniveau oft schwierig beachten:
einzuschätzen, hier sollten ca. 6 Wochen nach dem Trauma bei Ver-
dacht auf eine Nervenschädigung elektrophysiolgische Untersu- 1. Zeitpunkt. Die primäre ist der sekundären Nervennaht allgemein
chungen (NLG-Messungen und EMG) durchgeführt werden, bevor vorzuziehen, meist wird der frühestmögliche Zeitpunkt empfohlen.
die Indikation zur offenen Exploration gestellt wird. Ist eine sofortige Wiederherstellung nicht möglich, z. B. bei komple-
xen oder stark verschmutzten Verletzungen, schweren Begleitver
letzungen oder Replantationen, sollte sie nach wenigen Tagen bis
38.1.2 Neurophysiologische Untersuchungen Wochen erfolgen. Dabei ist auch den lokalen Wundverhältnissen
Rechnung zu tragen: Eine Exploration und zweizeitige Rekonstruk-
Die am häufigsten eingesetzten Verfahren sind hier die Messung tion, z. B. mit Nerventransplantat, erfordert ein adäquates Wundbett
der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und die Elektromyographie und kann in ausgeprägten Narbenzonen scheitern.
38 (EMG; . Tab. 38.1).
Bei Messungen der NLG erfolgt perkutan eine Stimulation von
> Bei der Erstoperation sollten jedoch immer die Nerven
stümpfe markiert werden.
Muskeln und sensiblen Nerven, die zu einem motorischen Summen-
aktionspotenzial oder einem sensiblen Aktionspotenzial führen
kann. 2. Defektausmaß. Defekte von >2–2,5 cm erfordern ein autologes
Der Strom kann nach einer definierten Strecke in afferenter oder Nerveninterponat oder eine Überbrückung (Conduit, z. B. Venentrans-
efferenter Richtung abgeleitet werden, wodurch gemessen werden plantat oder »nerve tube«), um eine spannungsfreie Naht zu ermög
kann, wie schnell der Nerv den Stimulus weiterleitet (v=d/t). Die lichen. Bei kleineren Nerven, z. B. den Digitalnerven, kann auch bei
Strömstärke wird gesteigert, bis eine maximale Antwort erreicht ist. kürzeren Defektstrecken eine Nerveninterposition notwendig sein.
Leitungsblock/ Nicht vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden im Bereich Normal proximal und distal
Neuropraxie des Leitungsblocks, proximal des Leitungsblocks
und distal davon normal
Inkomplette Läsion Vorhanden Vermindert, je nach Normal oder gering verlängert Reduziert
Verletzungsausmaß
38.2 · Therapeutisches Vorgehen
329 38
3. Spannung. Die Eigenelastizität und Blutversorgung lassen eine
Mobilisierung von peripheren Nerven über eine Strecke von maxi- . Tab. 38.2 Mögliche Entnahmestellen für Nerventransplantate
mal 6–8 cm zu. Darüber hinaus kommt es zum
4 Sistieren der Blutversorgung, Entnahmestelle Mögliche Sensibler
4 Untergang von Axonen, maximale Entnahmedefekt
Länge
4 Zunahme von Fibrose an der Nahtstelle.
> Eine Nervennaht ist daher immer möglichst spannungsfrei N. interosseus posterior 15–20 cm Dorsales Handgelenk
durchzuführen (Millesi et al. 1972; Millesi 1992, 2000). N. cutaneus antebrachii 15 cm Lateraler Unterarm
lateralis
4. Epineuriale vs. perineuriale Naht. Die epineuriale Naht ist tech- N. cutaneus antebrachii 20 cm Medialer und anterio
nisch einfach und reicht z. B. für Fingernerven aus. Nachteil ist, dass medialis rer Unterarm
es kaum möglich ist, die Faszikel exakt miteinander zu koaptieren.
R. superficialis n. radialis 25 cm Handrücken, distaler
Die perineuriale Naht koaptiert einzelne Faszikel oder Faszikel- dorsaler Unterarm
gruppen exakter und eignet sich für dickere (gemischte muskulär/
sensible) Nerven an Hand und Unterarm, ist jedoch technisch N. cutaneus femoris 30 cm Lateraler Ober
schwieriger und zeitaufwendiger. Sie bringt auch mehr Fadenmate- lateralis schenkel
rial ins Innere der Faszikelstruktur ein. N. cutaneus femoris 40 cm Medialer und vorderer
anterior Oberschenkel
Nerventransplantationen sind notwendig, wenn Defekte >2 cm N. saphenus 25–40 cm Medialseite des Unter
schenkels und des
überbrückt werden müssen und andere Maßnahmen, z. B. Mobili-
Fußes
sierung oder Transposition, ausgeschöpft oder nicht möglich sind.
Damit das Nerveninterponat durchwachsen werden kann, müssen
folgende Grundsätze beachtet werden:
4 Beide Nervenenden werden rückgekürzt, bis unverletztes Ner-
vengewebe vorliegt. . Tab. 38.3 Motorische Nerventranspositionen an der oberen Extre
4 Die Faszikelgruppen werden dargestellt und identifiziert. mität. (Nach Dvali u. Mackinnon 2003)
4 Die Nerventransplantate werden etwas länger als der Defekt ent-
nommen. Rekonstruk Spendernerven Empfängernerv
tionsziel
4 Zur Rekonstruktion der 3 Stammnerven der oberen Extremität
– Nn. medianus, radialis und ulnaris – sollten mindestens 5 Ner-
Ellenbogen Nn. intercostales N. musculocuta
veninterponate (»Kabel«) verwendet werden. flexion Nn. pectorales mediales neus
4 Das entnommene Interponat wird in umgekehrter Ausrichtung N. thoracodorsalis
zu seinem anatomischen Verlauf eingesetzt.
4 Die korrespondierenden Faszikelgruppen distal und proximal Teil des N. ulnaris (FCU) Äste des N. mus
Teil des N. medianus (FCR) culocutaneus
des Defekts werden durch die Interponate miteinander verbun-
Nn. pectorales (M. biceps brachii
den (evtl. nach einer Skizze). und/oder
4 Bei der perineuralen Naht der Stärke 10-0 reichen in der Regel M. brachialis)
2 Stiche zur Koaptation aus.
4 Die wichtigsten Entnahmestellen für Nerventransplantate sind Schulter N. accessorius (distaler Anteil) N. suprascapularis
abduktion N. thoracodorsalis
in . Tab. 28.2 zusammengefasst. Am häufigsten verwenden wir
Nn. pectorales mediales
den N. suralis als Spendernerv.
Nn. Intercostales N. axillaris
Triceps-Ast des N. radialis
38.2.3 Nerventransposition Nn. pectorales mediales
N. thoracodorsalis
Nerventranspositionen werden v. a. bei weit proximal gelegenen Lä- Unterarm Anteile der Nervenäste zum Pronatorast des
sionen der Stammnerven an der oberen Extremität angewendet. pronation FCU FDS FCR oder PL N. medianus
> Prinzip der Nerventransposition ist es, durch Transposition Intrinsische N. interosseus anterior Motorischer Ast
eines unverletzten motorischen oder sensiblen Spender Handfunktion (distaler Anteil) des N. ulnaris
nervs eine geschädigte Nervenstrecke zu umgehen oder FCR=M. flexor carpi radialis, FCU=M. flexor carpi ulnaris.
die proximale Nervenläsion in eine weiter distale zu ver
wandeln, um die Regenerationsstrecke und -zeit zu ver
kürzen und die Erfolgsaussichten der Rekonstruktion zu
Die Nerventransposition ist ein äußerst vielfältiges Verfahren,
erhöhen.
das auch an der unteren Extremität (z. B. motorische Fasern des
Die wichtigsten Verfahren der sensiblen und motorischen Nerven- N. tibialis auf den N. peronaeus), bei Lähmungen von Hirnnerven
transposition an der oberen Extremität sind in . Tab. 38.3 und 38.4 (Fasern des N. hypoglossus auf den N. facialis) und Rückenmarkver-
dargestellt. letzungen eingesetzt werden kann (. Übersicht).
330 Kapitel 38 · Techniken der Nervenrekonstruktion
38 4 Die Nervennaht sollte für 7–14 Tage durch Immobilisierung ge- 38.3 Kontraindikationen
schützt werden.
4 Bewegungsübungen sollten erst nach 2–3 Wochen begonnen Nervenrekonstruktionen sollten nicht oder erst verzögert durchge-
und für etwa 6 Wochen fortgeführt werden. führt werden, wenn folgende Situationen gegeben sind:
4 Kraftübungen sollten bei komplexen Nervenrekonstruktionen, 4 instabiler Patient,
z. B. am Plexus brachialis, erst nach 3 Monaten durchgeführt 4 stark verschmutzte Wunde,
werden. 4 aktiver Infekt im Operationsgebiet,
4 fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit des Patienten zur Nachbe-
handlung,
38.2.5 Neurome 4 unrealistische Erwartungen des Patienten,
4 knöcherne Instabilität,
Die auswachsenden Axone finden nicht immer ihr eigentliches Ziel, 4 unsichere Abgrenzung der Verletzungszone (Wartezeit empfoh-
sondern können auch fibrotische Nervenfaserknäuel (Neurome) bil- len).
den (7 Kap. 37). Diese können schmerzlos, kaum störend oder aber
extrem schmerzhaft sein oder die Ausbildung einer Reflexdystro-
phie triggern. Eine optimale Therapie von Neuromen existiert nicht. 38.4 Komplikationen
Im eigenen Vorgehen führen wir entweder die Resektion und Über-
brückung mittels autologer Nerventransplantate oder die intra Mögliche Risken einer Nervenrekonstruktion sind:
muskuläre bzw. intraossäre Versenkung durch (Denervation bei 4 Nachblutung,
Schmerzsyndromen der oberen und unteren Extremität, (7 Kap. 47; 4 Reißen der Nervennähte,
Mackinnon u. Dellon 1988, Vernanakis et al. 2003). Bei Plexusaus- 4 Adhäsionen,
rissen ist auch eine retrograde Autokoaptation möglich. 4 Fibrose (v. a. bei Naht unter Spannung oder vernarbtem Wund-
bett),
Sekundäre Eingriffe 4 Neurombildung,
Als Zweiteingriffe sind möglich: 4 Nerveneinengung durch Narbengewebe,
4 interne Neurolyse, 4 Morbidität an der Entnahmestelle eines Spendernervs.
4 erneute Naht des Nervs,
4 Neuromresektion.
38.5 · Ergebnisse
331 38
38.5 Ergebnisse 4 Kürzung des Abstands zwischen den Stümpfen (Resektion eines
Knochensegments, Verlagerung des Nervs, z. B. Ventralisierung
Die Resultate einer Nervenregeneration sind von verschiedenen Ein- des N. ulnaris am Ellbogen),
flussfaktoren abhängig, nur teilweise vom Können des Chirurgen. 4 Dehnung des Nervengewebes (Mobilisierung der Stümpfe, Beu-
Die Kenntnis dieser Faktoren hilft dabei, das postoperative Ergebnis gung benachbarter Gelenke),
realistisch abzuschätzen. 4 Einsatz einer Überbrückung (Nerventransplantat, Conduit).
> Die Funktionswiederkehr nach Nervenverletzung kann, Die Art der Nervenläsion bestimmt das Ergebnis nach der Rekons
abhängig von Ausmaß und Niveau der Läsion, über 1 Jahr truktion in mehrerlei Hinsicht:
andauern, man rechnet mit einem Auswachsen der Axone 4 Scharfe Durchtrennungen, z. B. Schnittverletzungen durch Mes-
von 1–2 mm pro Tag. Die Ergebnisse sind allgemein desto ser, sind prognostisch günstig, weil sie in der Regel primär adap-
besser, je eher die Rekonstruktion erfolgt. Gute Ergeb tiert werden können.
nisse sind wesentlich wahrscheinlicher bei Operationen 4 Traktionsverletzungen führen in der Regel zu einer Demyelini-
innerhalb von 6 Monaten. sierung, bei starkem Zug auch zum Zerreißen von Axon und
Endoneurium; es entsteht eine zweit- bis drittgradige Nerven-
Eine neuromuskuläre Übertragung ist nach einer Denervation von verletzung mit mittlerer funktioneller Prognose.
länger als 15–18 Monaten meist nicht mehr möglich, der Muskel 4 Quetschverletzungen können zu ausgedehnten Zerstörungen
wird reinnervationsrefraktär. des Nervs und umgebendem Gewebe führen, es empfiehlt sich
abzuwarten, bis die Verletzungszone exakt abgegrenzt und eine
Naht von vitalen Nervenenden durchgeführt werden kann.
38.5.2 Alter der Patienten 4 Schussverletzungen haben eine eher schlechte Prognose, da durch
die Wucht des Projektils ausgedehnte Gewebeschäden und Ver-
Bei jüngeren Patienten, v. a. Kindern, tritt die Funktionswiederkehr in schmutzungen in der Wunde entstehen. Es tritt meist eine Axonot-
der Regel schneller und besser ein als bei älteren. Die sensible Regene- mesis ein, obwohl selten auch eine spontane Erholung möglich ist.
ration ist meist besser als die motorische, wahrscheinlich aufgrund
einer besseren Nervenheilung und größeren Plastizität des Gehirns.
Bei Patienten ab dem 40. Lebensjahr kann nach bestimmten 38.5.6 Dokumentation der Ergebnisse
Nervenverletzungen, z. B. des N. peronaeus oder N. radialis, nur
durch Wiederherstellung der Nervenkontinuität allein kaum mehr Die Dokumentation der Rückkehr der sensiblen und motorischen
eine ausreichende motorische Reinnervation erwartet werden. Hier Funktion sollte nach standardisierten Maßstäben erfolgen. Hier ha-
hat sich die simultane Nervenwiederherstellung und motorische Er- ben sich die in . Tab. 38.5 und . Tab. 38.6 dargestellten Schemata
satzoperation bewährt, die zu einer zuverlässigen Funktionswieder- nach Highet etabliert (modifiziert nach Dellon u. Jabaley 1982).
kehr führt.
38.5.4 Defektgröße und Spannung . Tab. 38.5 Einteilung der motorischen Funktionswiederkehr
der Nervennaht
Kraftgrad Charakteristikum der Muskelfunktion
Die Größe des Nervendefekts (»nerve gap«) entspricht der zu über- M0 Völlige Lähmung
brückenden Strecke zwischen den beiden Nervenenden. Diese kann
sich bei verzögerter Versorgung durch eine Retraktion des elasti M1 Spur einer Kontraktion
schen Epineuriums noch vergrößern und die Prognose sich dadurch M2 Aktive Bewegung bei Ausschaltung der Schwerkraft
verschlechtern.
M3 Aktive Bewegung gegen die Schwerkraft
Spannung an der Nervennaht führt zur Ausbildung einer Fibro-
se und von Narbengewebe, was ein Auswachsen der Axone erheblich M4 Aktive Bewegung gegen die Schwerkraft und Wider
behindert oder unmöglich macht. stand
Eine spannungsarme Koaptation der Nervenstümpfe kann durch M5 Normale Muskelkraft
folgende Maßnahmen erleichtert werden:
332 Kapitel 38 · Techniken der Nervenrekonstruktion
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Ein Kraftgrad von M4 ist nur in 20–40% der Fälle (Mackinnon u. Tubiana R (1988) Evolution of the concepts and techniques used in the repair
Dellon 1988) zu erreichen, daher wird bei proximalen Läsionen äl- of peripheral nerves. In: Tubiana R (ed) The hand, vol 3. Saunders, Phila
delphia, pp 367–382
terer Patienten (>40 Jahre) meist eine simultane motorische Ersatz-
Vernanakis AJ, Koch H, Mackinnon SE (2003) Management of neuromas. Clin
operation empfohlen.
Plast Surg 30: 247–268
Hierzu ist zu bemerken, dass die Patientenzufriedenheit eine
wichtige Rolle bei der Beurteilung des erreichten Gesamtergebnisses
spielt: Diese kann v. a. durch eine realistische Aufklärung über die
Prognose und mögliche verbleibende Defizite positiv beeinflusst
werden.
Zusammenfassung
Das Gesicht gilt als Spiegel von Persönlichkeit und Charakter, ein
unversehrtes Gesicht und eine intakte Mimik sind Voraussetzungen . Tab. 39.1 Klinische Gradeinteilung der Fazialisparese. (Mod. nach
für die stimmliche und nonverbale Kommunikation. Patienten mit House u. Brackmann 1985)
Fazialislähmung fühlen sich oft stigmatisiert und diskriminiert, an-
ders als andere Behinderungen lässt sich ihre Gesichtsnervenläh- Grad Nervenlähmung Charakteristika
mung kaum kaschieren.
1 Keine Normale Funktion
Fazialisast Ausfallerscheinung Das Ausmaß der motorischen Lähmung wird durch die Beteiligung
der jeweiligen Fazialisäste bestimmt (. Tab. 39.2).
R. frontalis 4 Augenbraue kann nicht angehoben werden
4 Asymmetrie der Augenbrauen (Ausfall des
M. frontalis)
4 Abgleiten der Augenbraue und faltenlose 39.4.2 Lokalisierung der Läsion
Stirn der paretischen Seite
Die Höhe der Nervenläsion lässt sich aus der Klinik, abhängig von
R. zygomaticus 4 Auge starr und tränend (Ausfall der drainie-
den betroffenen Abgängen, relativ genau erschließen:
renden Funktion des M. orbiculris oculi)
4 Tonusverlust des Unterlids (Ektropion)
4 vor Chorda tympani: Geschmacksstörung in den vorderen bei-
4 Lidschluss inkomplett (Lagophthalmus) den Zungendritteln,
4 Trockenes Auge, Konjunktivitis, Keratitis 4 vor N. intermedius zwischen Ganglion geniculi und Chorda
4 Druckgefühl der Schläfenregion und Orbita tympani: Abnahme der Speichelsekretion,
4 Einengung des lateralen Gesichtfeldes 4 vor Abgang des N. stapedius: Hyperakusis auf der betroffenen
Seite,
Rr. buccales 4 Wange und Mundwinkel schlaff
4 Kollaps der betroffenen Nasenflügel 4 vor Abgang des N. petrosus major: verminderte Tränensekre
4 Nasolabialfalte aufgehoben tion (Diagnostik: Schirmer-Test).
4 Mundhygiene erschwert, versehentliches
Beißen in gelähmte Wange
4 Speichelfluss aus gelähmtem Mundwinkel 39.5 Therapeutisches Vorgehen
4 Narungsaufnahme/Sprache gestört
4 mikrochirurgische Nervennaht/Nerventransplantation (bei fri- Ein wesentlicher Nachteil der Methode ist, dass es beim Essen
scher Nervendurchtrennung), und Sprechen zu unwillkürlichen Gesichtsbewegungen kommen
4 Cross-face-Operation mit Nerveninterponat, kann.
4 selektive Nerventransposition v. a. Hypoglossus-Fazialis-Koap- Direkte und indirekte Nervenrekonstruktionen können auch
tation, kombiniert werden, sodass nach Hypoglossus-Fazialis-Transposi
4 Muskelersatzplastik mit M. temporalis/M. masseter/hinterem tion eine gute Reinnervation im Mundbereich und nach direkter
Anteil des M. digastricus, Nervenrekonstruktion eine günstige Reinnervation im Bereich der
4 freie funktionelle Muskeltransplantation (M. gracilis, M. pecto- Augenregion erzielt wird. Durch funktionelle Trennung der beiden
ralis minor, M. latissimus dorsi, M. rectus abdominis); Innerva- Sphinktersysteme des M. orbicularis oculi und des M. orbicularis
tion durch den kontralateralen N. facialis (»cross face«), oris werden so unerwünschte Massen- und Mitbewegungen redu-
4 Kombinationen aus den vorgenannten Techniken, ziert.
4 Dekompression des N. facialis bei rezidivierenden Fazialispare-
sen, Nervenanschluss auf der gesunden Gegenseite (Cross-face-
4 Straffungsoperationen (»hemi-face lift«, Augenbrauenanhe- Anschluss). Eine weitere Option ist der Anschluss über Nerven-
bung, Nachbildung der Nasolabialfalte), transplantate an gesunde kontralaterale Fazialisäste der Gegenseite
4 korrigierende Operationen bei Verziehung der Nase. (Cross-face-Anschluss). Sie sollte möglichst frühzeitig nach der Lä-
sion durchgeführt werden, v. a. als Sofortrekonstruktion nach Tu-
Operationen am Auge morresektion oder innerhalb weniger Monate nach traumatischen
Die Operationen am Auge nehmen eine Sonderstellung ein, hier Verletzungen.
sind folgende Operationen möglich:
> Der Erfolg einer nervalen Rehabilitation ist wegen des
4 Tarsorrhaphie/mediale Kantorrhaphie,
langsamen Auswachsens des Nervs von 1–2 mm/Tag frü-
4 Muskelplastikersatz zum Lidschluss, z. B. nach Lexer/Gilles,
hestens nach einem halben Jahr beurteilbar, eine Funk
4 Stützung des Unterlides mit Knorpeltransplantat,
tionswiederkehr kann aber auch noch 2 Jahre nach Re
4 Goldgewicht-/Federimplantation am Oberlid,
konstruktion beobachtet werden.
4 Injektion von Botulinustoxin, um das Oberlid abzusenken,
4 mikrochirurgische funktionelle Muskeltransplantation. Zu den typischen Komplikationen nach Nervenrekonstruktion, aber
auch Regeneration nach Axonotmesis, gehören Synkinesien, also
Operation am Nerv eine ungewollte Mitbewegung anderer Muskeln durch Fehlausspros-
sung regenerierender Neurone.
Nervenrekonstruktion
Sekundäre Rekonstruktionen
> Die beste Aussicht auf eine Wiederkehr der willkürlichen
Sekundär plastisch-rekonstruktive Maßnahmen kommen dann in
und emotionalen Bewegung der Gesichtsmuskulatur be-
Betracht, wenn die Wiederherstellung der Nervenleitung nicht mehr
steht durch Rekonstruktionen am Nerv.
möglich ist, aber auch als Zwischenlösung, solange die Nervenrege-
Bei offensichtlicher Verletzung des N. facialis (z. B. nach Operation neration nicht sicher abschätzbar ist.
bei Akustikusneurinom/Speicheldrüsentumoren oder Unfall) ist
eine sofortige spannungsfreie mikrochirurgische End-zu-End-Naht- Statische Verfahren
39 Rekonstruktion anzustreben. Bei Nervendefekt kann eine autologe Die Gesichtssymmetrie in Ruhe lässt sich durch Aufhängung der
Nerveninterposition (meist aus dem nahe liegenden Plexus cervica- gelähmten Ober- und Unterlippe, des Mundwinkels und der Naso-
lis oder dem N. suralis) durchgeführt werden oder eine indirekte labialfalte mit körpereigenem Gewebe (Faszienstreifen) oder allo-
Wiederherstellung durch Nerventransposition. genem Material (Goretex) an der Temporalisfaszie oder am Jochbein
rekonstruieren.
Nerventransposition. Kann der zentrale N.-facialis-Anteil nicht Die Indikation zur rein statischen Operation besteht v. a. bei
mehr zum Anschluss genutzt werden, ist eine Transposition von mo- Gesichtstumoren mit ausgedehnten Resektionen der mimischen
torischen Fasern umliegender Nerven mit befriedigender Ersatz- Muskulatur und ohne Erhalt distaler Endäste des N. facialis. Diese
funktion möglich, meist wird der N. hypoglossus verwendet. Methoden können auch mit mikrochirurgischen Methoden kombi-
niert werden, z. B. um das Zeitintervall bis zur Reinnervation eines
! Cave
Muskeltransplantates zu überbrücken.
Bei Verwendung des gesamten Durchmessers des N. hypo-
glossus kann es v. a. bei älteren Patienten zu einem erheb- > Vorteil statischer Verfahren ist, dass in der Regel einzeitig
lichen Hebedefekt kommen, z. B. halbseitiger Zungena- und innerhalb kurzer Zeit eine gute Ruhesymmetrie er-
throphie, Problemen beim Sprechen, Schlucken und Kauen reicht wird (. Abb. 39.1). Es kann jedoch keinerlei willkür-
sowie persistierendem Speichelfluss. liche oder unwillkürliche Mimik der gelähmten Gesichts-
hälfte erwartet werden.
Die Originalmethode wurde daher als »jump graft« (nur Teilkoapta-
tion des N. hypoglossus über Nerventransplantat), Seit-zu-End-
Anastomose nach mastoidaler Fazialismobilisierung oder Koaptati- Dynamische Methoden/Muskeltransposition
on mit der Ansa cervicalis modifiziert. Diese Variante ist auch bei Prinzipiell werden mimische Schlüsselfunktionen durch Transpo-
einer beidseitigen Fazialisparese möglich. sition von nicht fazialisinnervierten Muskeln ersetzt. Verwendet
Die Hypoglossus-Facialis-Transposition sollte optimalerweise werden seit der Erstbeschreibung 1911 durch Eden und Lexer die
innerhalb von etwa 2 Jahren nach proximaler Fazialisläsion durch- vom N. trigeminus versorgten Kaumuskeln Mm. temporalis und
geführt werden, es sind aber auch später noch positive Ergebnisse zu masseter, außerdem seltener der Venter anterior des M. digastri-
beobachten. cus.
39.5 · Therapeutisches Vorgehen
337 39
b d
c e
. Abb. 39.1 Ergebnisse vor (a) und nach (d, e) statischer Aufhängung einer Das freie Ende wird permanent am Jochbeinbogen fixiert. Durch die Fixie-
inkompletten Fazialisparese. Ein Faszia-lata-Streifen wird Y-förmig in der rung wird eine Symmetrie erzielt, die der Patientin insbesondere zu einer
Mitte der Ober- und Unterlippe jeweils mit einem Schenkel verankert (b, c). verbesserten sprachlichen Artikulation verhilft (e)
Reanimation der Bewegung des Mundwinkels Initial ist eine Überkorrektur zu empfehlen, um ein Nachlassen des
Die Anhebung des Mundwinkels, v. a. zum Lächeln, kann durch M. temporalis auszugleichen. Trotzdem kann in manchen Fällen
Transposition des M. temporalis teilweise wiederhergestellt werden. eine sekundäre Raffung der Zügelung notwendig sein.
Der ventrale Anteil des M. masseter kann ebenso am Mundwin-
kel befestigt und so eine Verbesserung der Ruhesymmetrie als auch Technik der Reanimation des Mundwinkels nach McLaughlin
der willkürlichen Beweglichkeit erzielt werden. Die Bewegungsam- (1953). Bei dieser Operation wird der Ansatz des M. temporalis un-
plitude ist jedoch sehr gering und eher nach lateral als nach kranial ter Mitnahme einer kleinen Knochenschuppe vom Proc. coronoide-
gerichtet, sodass diese Methode heute nur mehr als Reserveverfah- us gelöst und der Mundwinkel mit der Ober- und Unterlippe durch
ren gilt. eine Faszienschlinge aufgehängt (. Abb. 39.2). Hierbei kann der Fas-
Der M. temporalis wird aus der Fossa temporalis gelöst, über zienzügel in der tiefen fasziokutanen Schicht der Gesichtshaut
den Jochbeinbogen subkutan zum Mundwinkel durchgezogen und (SMAS) fixiert und eine sichtbare Strangbildung vermieden werden.
hier mit Fascia-lata-Streifen fixiert. Nachteil ist eine manchmal Der Patient kann durch Aufeinanderbeißen eine zufriedenstellende
sichtbare Strangbildung unter der Wangenhaut, ein Wulst über dem Anhebung des Mundwinkels und damit ein Lächeln erzeugen, das
Jochbein und ein Konturdefekt im Bereich der Fossa temporalis. vor dem Spiegel trainiert werden kann.
338 Kapitel 39 · Schädigung des N. facialis
a b
c d
. Abb. 39.3a–d Reanimation des Lidschlusses durch Temporalistransposi- medialen Lig. canthale fixiert (c). Die Patientin schließt das Lid willkürlich
tion nach Gillies. Ein ventral gelegener Streifen wir unter Mitnahme der durch Kaubewegungen. Simultan wurde eine Mundwinkelaufhängung
Temporalisfazie nach kaudal mobilisiert (b), jeweils mit einem Faszienstrei- nach McLaughlin durch Temporalistransfer vorgenommen (d)
fen subkutan in den Lidrand des Ober- und Unterlides gezogen und am
Literatur
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Terzis JK, Noah ME (1997) Analysis of 100 cases of free-muscle transplantation
for facial paralysis. Plast Reconstr Surg 99: 1905
40
40.2 Geburtstraumatische
Plexus-brachialis-Paresen
40.2.2 Epidemiologie
40.2.1 Geschichte
Die Inzidenz der geburtstraumatischen Plexus-brachialis-Parese
Obwohl bereits im Bildnis der Madonna mit Kind (um 1505) von liegt bei etwa 0,5–3 Fällen pro 1000 Lebendgeborene. Dies entspricht
Albrecht Dürer dargestellt, findet sich erst 1764 durch den Geburts- ca. 1000 Kindern pro Jahr im deutschen Sprachraum und etwa 4000
helfer W. Smellie die erste wissenschaftliche Beschreibung der ge- in den USA. Die Inzidenz in Entwicklungsländern liegt z. T. erheb-
burtstraumatischen Plexusparese (»A collection of preternatural lich höher. Allerdings zeigte sich im Verlauf des letzen Jahrhunderts
cases and observations in midwifery«). Duchenne de Boulogne, Erb trotz verbesserter geburtshilflicher Technik und besserem geburts-
und Dejerine-Klumpke beschrieben zwischen 1855 und 1885 später hilflichem Risikomanagement keine Abnahme der Inzidenz.
die mit ihren Namen bezeichneten Lähmungen. In etwa 58–90% der Fälle liegt eine Beteiligung der Wurzeln C5
Bereits um 1900 versuchten Thorburn und Kennedy, sich und C6, die sog. Erb-Duchenne-Lähmung vor. Eine zusätzliche Be-
dem Problem chirurgisch-operativ zu nähern, wobei die anfäng- teiligung der Wurzel C4, d. h. des N. phrenicus, findet sich bei etwa
lichen Ergebnisse so entmutigend waren, dass Taylor 1913 von 5% dieser Patienten. Bei etwa 10% der Kinder ist der gesamte Plexus
dieser Art der Behandlung gänzlich abriet. Erst die Entwicklung brachialis (Wurzeln C5 bis Th1) betroffen. Eine zusätzliche Läsion
der Mikrochirurgie und speziell der Mikrochirurgie peripherer des Ganglion stellatum führt in 30% der kompletten Paresen zum
Nerven durch Millesi in den 1960-er und 70-er Jahren erlaubte Auftreten eines Horner-Syndroms. Eine beidseitige Läsion ist in
eine subtilere und genauere Rekonstruktion des Plexus brachialis 8–23% der Fälle festzustellen.
und verbesserte die Ergebnisse entscheidend. Narakas und Ver-
dan erweiterten das Spektrum durch die Möglichkeit der Ner
ventransplantation, Gilbert aus Paris und andere setzten diese 40.2.3 Risikofaktoren
neuen Techniken konsequent und in großen Fallzahlen erfolg-
reich um. Die Risikofaktoren sind in der . Übersicht dargestellt.
40
. Tab. 40.2 Differenzialdiagnose und rekonstruktive Optionen supra- und infraklavikulärer Plexusläsionen
Supraklavikulär Infraklavikulär
Grad 1 Sichtbare oder tastbare Grad 1 > Die klinische Untersuchung ist die wichtigste Grundlage
Kontraktion der Diagnostik.
Muskel Innervation Klinische Funktion Magnetresonanztomographie (MRT). Die MRT kann zur genaue
ren Lokalisation der Läsion, aber v. a. mit der Frage nach dem Vor-
M. deltoideus N. axillaris (C5, C6) Schulterabduktion
liegen eines Wurzelausrisses oder einer spinalen Halsmarkläsion
M. supraspinatus N. suprascapularis Full-can-Abduktion dienlich sein.
(C5, C6) (d. h. in Außenrotation)
. Abb. 40.2 Doppelfaszikeltransfer nach Oberlin . Abb. 40.3 Axonquellen zur Neurotisation des Plexus brachialis
stellung der Schultermuskulatur erreicht werden. Als zusätzliche monat abgewartet. Bei Ausbildung sekundärer muskulärer oder
extraplexuelle Spender kommen in abnehmender Bedeutung die kapsulärer Gelenkkontrakturen kann allerdings auch vor dem 2. Le-
ipsilateralen Interkostalnerven 3–7, die kontralaterale Wurzel C7 bensjahr u. U. die Durchführung sekundärer funktionsverbessernder
und im Ausnahmefall der N. phrenicus und der N. hypoglossus in Operationen erforderlich werden.
Frage:
4 intraplexual, Sekundäreingriffe
4 Interkostalnerven 3–7, Im Regelfall führen wir sekundäre operative Eingriffe ab dem 2. Le-
4 N. accessorius, bensjahr durch (. Tab. 40.5). Ziel dieser Eingriffe ist es, verbliebene
4 kontralateraler C7, Funktionseinschränkungen, sei es nach operativer Exploration oder
4 N. phrenicus, konservativer Therapie, zu korrigieren bzw. deren Auftreten zu ver-
40 4 N. hypoglossus. hindern.
In der Indikationsstellung und der Auswahl der möglichen Kor-
rektureingriffe gilt hier allerdings das Grundprinzip des »nil nocere«.
> Bei rekonstruktiven mikrochirugischen Eingriffen am Ple-
xus brachialis ist ebenso wie in anderen Abschnitten des ! Cave
peripheren Nervensystems auf spannungsfreie Koaptation Eine Schädigung von bis dato erlernten Kompensations-
der Nervenstümpfe zuachten. mechanismen und effizienter motorischer Ersatzfunkti-
onen ist zu vermeiden. Eine dadurch bedingte funktionel
Die Koaptation selbst kann durch Naht und/oder zusätzliche Fibrin-
le Verschlechterung wird weder von den kleinen Patienten
klebung erfolgen. Die Spannungsfreiheit der Nervenkoaptation wird
noch deren Eltern akzeptiert.
intraoperativ durch passive Bewegung der Extremität getestet. Die
Ruhigstellung erfolgt dann durch einen Modifikation eines Gil- Für manche Eingriffe bzw. deren spezielle Nachbehandlung ist die
christ-Verbandes für 5 Tage. Kooperation der Kinder erforderlich, sodass diese Maßnahmen erst
Für die Hautnaht verwenden wir resorbierbares Nahtmaterial. zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen können. Für motorische Er-
Auf eine neuerliche Narkose zur Fädenentfernung und zum Ver- satzoperationen ist die freie passive Beweglichkeit der betroffenen
bandwechsel kann daher verzichtet werden. Gelenke neben der Kräftigung der umzusetzenden Muskulatur eine
Grundvoraussetzung.
Postoperatives Management
Nach 5-tägiger Ruhigstellung im Gilchrist-Verband wird die Extre- Indikation spezieller Sekundäreingriffe
mität freigegeben. Die krankengymnastische Behandlung wird zeit- Eines der häufigsten Residualprobleme nach geburtstraumatischer
nah fortgesetzt. Bis zum Einsetzen von Reinnervationszeichen er obere Plexus-brachialis-Parese ist die Bewegungseinschränkung des
folgen monatliche klinische Kontrolluntersuchungen. Die weitere Schultergelenks. Dies bedeutet für den Betroffenen, dass die Positi-
Reinnervation wird dann in der Regel bis zum 18. bzw. 24. Lebens- onierung der Hand im Raum, und damit deren Verwendungsfähig-
40.2 · Geburtstraumatische Plexus-brachialis-Paresen
347 40
Handgelenk Handgelenk
Hand PIP-Gelenke
keit, deutlich eingeschränkt wird. Am häufigsten findet sich hier die Die beiden häufigsten Folgen der geburtstraumatischen Plexus
kombinierte Innenrotations-Adduktions-Kontraktur der Schulter. Je parese in Bezug auf die Ellbogenfunktion sind einerseits die Flexi-
nach Ausprägung der Klinik werden unterschiedliche Operations- onsschwäche und andererseits das verbleibende Streckdefizit. Die
verfahren angewendet. Streckunfähigkeit bzw. Streckerschwäche ist eher als Rarität zu be-
Hierbei liegt das Problem im Überwiegen der funktionellen In- trachten und wird meist durch die Patienten geschickt mit Hilfe der
nenrotatoren des Schultergelenks. Durch eine gezielte Schwächung Schwerkraft kompensiert. Die Ellbogenflexion ist die weitaus wich-
der Innenrotatoren und Augmentation der Außenrotatoren kann tigste Funktion, die gelegentlich trotz frühzeitiger rekonstruktiver
eine deutliche Funktionsverbesserung erzielt werden. Bemühungen nur unzureichend wiederherzustellen ist. Verschiede
Bei einer isolierten Innenrotationskontraktur kann im Alter ne Techniken zur sekundären Wiederherstellung wurden hierzu
zwischen 6 Monaten und 2 Jahren bereits die Durchführung der entwickelt.
Lösung des M. subscapularis (»subscapular release«) einen deut- Bei der Operation nach Steindler erfolgt eine Proximalisierung
lichen Bewegungszuwachs bewirken. Durch die zusätzliche Um des Flexoren-Pronatoren-Ansatzes des Unterarms in Höhe des mitt-
setzung der kontrakten M. latissimus dorsi und M. teres major auf leren Oberarms. Allerdings kommt die Technik hauptsächlich zur
den Ansatz des M. teres minor bzw. des M. infraspinatus wird eine Augmentation einer bestehenden Muskelfunktion in Frage, da der
gleichzeitige Verbesserung von aktiver Abduktion und Außenro Unterarm zunächst in Pronation und Handgelenksflexion aus der
tation erzielt (nach L’Episcopo und Hoffer). Durch einen zusätz- Streckung passiv in eine Beugestellung des Ellbogens gebracht wer-
lichen »release« des M. pectoralis major und die Dekompression des den muss, um die volle Kraftentwicklung zu erreichen (sog Steind-
N. axillaris in der lateralen Achsellücke kann eine zusätzliche Ver- ler-Effekt).
besserung erreicht werden (»Mod-Quad-Operation« nach Shenaq; Eine weitere, allerdings im Kindesalter seltener angewendete
. Abb. 40.4). Alternative stellt der Transfer des M. triceps brachii auf den M. bi-
Bei persistierender Innenrotationsfehlstellung und knöcherner ceps brachii dar. Meist jedoch erfolgt eine sekundäre Wiederher
Deformität des Humeruskopfes kann meist nach Abschluss des Kno- stellung der Ellbogenflexion wie im Erwachsenenalter durch einen
chenwachstums eine Humerusderotationsosteotomie notwendig gestielten bipolaren Transfer des M. latissimus dorsi.
werden. Dazu erfolgt die quere Osteotomie unterhalb des Ansatzes Hier scheint jedoch ein gewisser Zusammenhang mit einer In-
des M. deltoideus, die durch eine zusätzliche ventrale Wedge-Oste- nenrotationskontraktur der Schulter zu bestehen, da es häufig nach
otomie zur weiteren Verbesserung der maximalen Flexionsstellung Korrektur der Schulter zu einer deutlichen Verbesserung der Ell
des Oberarms und damit einer verbesserten höheren Positionierung bogenextension kommt. In wenigen Fällen erreicht das Extensions
des Unterarms und der Hand kombiniert werden kann. defizit ein funktionell störendes Ausmaß von >45°.
Die isolierte Schulterabduktionsschwäche bei sonst guter Funk- Die häufig anzutreffende leichte Pronationsfehlstellung mit ein-
tion von Ellbogen und Hand lässt sich im Alter ab 2 Jahren durch die geschränkter Supinationsfähigkeit des Unterarms bedarf meist kei-
Reinserierung des M. trapezius auf den Humeruskopf (Operation ner Korrektur, da hierdurch die Hand eher in eine funktionell güns
nach Saha bzw. Mayer; . Abb. 40.5) verbessern. tigere Position gebracht wird. Ein häufiger bei Patienten mit kom-
348 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis
40
Betroffen sind meist (in etwa 90% der Fälle) junge Männer zwischen
16 und 25 Jahren. In 80–90% der Fälle ereignet sich die Verletzung
im Rahmen eines Hochrasanztraumas, im überwiegenden Fall bei
Verkehrsunfällen. In etwa 2/3 der Fälle handelt es sich dabei um
Motorradunfälle. Dies entspricht in Großbritannien einer Anzahl
von etwa 500 Unfallverletzten pro Jahr.
Ein großes Problem für die Versorgung stellen dabei die häu-
fig vorliegenden Begleitverletzungen dar. So finden sich Schädel-
Hirn- und HWS-Verletzungen, Gefäßverletzungen, stumpfe Tho-
. Abb. 40.5 Ersatz des M. deltoideus durch M.-trapezius-Transfer rax- und Abdominalverletzungen und multiple Extremitätenfrak-
turen.
> Gerade eine Verletzung im Bereich der Subklavia- und
pletter Parese auftretendes Problem ist die Supinationsfehlstellung,
Axillargefäße ist ein Hinweis auf eine gleichzeitig vorlie-
die bei guter Funktion des M. biceps brachii und fehlender Fibrosie-
gende Plexus-brachialis-Läsion.
rung der Membrana interossea durch ein »rerouting« der Bizepsseh-
ne korrigiert werden kann. Weiterhin kann es durch eine Fraktur oder Luxation des Humerus
Alternativ erfolgt eine gezielte Lösung der Membrana interossea zu einer zusätzlichen 2-Etagen-Läsion der Nervenstämme mit ent-
kombiniert mit dem »rerouting« des M. biceps brachii oder einer sprechenden Folgen kommen. Durch die vordringliche Behandlung
Korrekturosteotomie des Radius. der lebensbedrohenden Begleitverletzungen erfolgt oft eine verzö-
Eine Wiederherstellung von gestörten Hand- und Handgelenks- gerte Diagnostik und damit auch Therapie der Läsion des Plexus
funktionen ist in entscheidendem Maß vom Läsions- und spontanen brachialis.
Reinnervationsmuster abhängig und folgt den Regeln der in den Seltener finden sich in Mitteleuropa Stich- oder Schussverlet-
folgenden Kapiteln besprochenen motorischen Ersatzoperationen. zungen als Ursache. Diese sind jedoch im Regelfall frühzeitig und
Speziell kommen hier bei der oberen Plexusparese am häufigsten die aufgrund der relativ isolierten Symptomatik klar zu diagnostizie-
Wiederherstellung der Handgelenksextension (C5/C6) durch Seh- ren.
nentransfer vom M. pronator teres (C6/C7), M. flexor carpi ulnaris
(C7/C8/T1) oder radialis (C6/C7) als »Radialisersatzplastik«, z. B.
nach Merle-d’Aubigné, in Frage. 40.3.2 Diagnostisches Vorgehen
Die fehlende Funktion und häufig fehlende distale Regeneration
bei kompletten Plexusparesen macht bei fehlenden funktionellen Der für die Diagnostik entscheidende Faktor ist häufig der initiale
Spendermuskeln eine Wiederherstellung unmöglich. Hier wird es Verdacht durch den erstversorgenden Arzt. Hier muss eine entspre-
notwendig, nach Abschluss des Knochenwachstums durch gezielte chende Vermutung unbedingt und konsequent diagnostisch verfolgt
Arthrodesen des Handgelenks, der Interphalangealgelenke der Fin- werden.
ger und durch eine Fusion zwischen den Mittelhandknochen des
1. und 2. Strahls eine stabile Beihand zu erreichen. Klinik
Klinisch ist gerade beim polytraumatisierten Patienten die differen-
zierte neurologische Untersuchung nur eingeschränkt möglich.
40.2.7 Behandlungsergebnisse und Prognose Trotzdem sollte sie nach Möglichkeit alle sensorischen und moto-
rischen Qualitäten untersuchen. Es erfolgt die Prüfung der Tiefen-
Glücklicherweise kommt es bei den meisten betroffenen Kindern sensibilität, der Gelenkspropriozeption, der Sensibilität auf Druck,
(70–95%) zu einer vollständigen spontanen Regeneration. Als Nadelstich, leichte Berührung und der statischen wie dynamischen
prognostisch ungünstig sind komplette Plexusparesen, ein beglei- 2-Punkte-Diskrimation.
tendes Horner-Syndrom und Wurzelausrisse zu betrachten. Bei Kin-
dern, die im 3. Lebensmonat eine gute Schulter-, Ellbogen- und Beurteilung von Lokalisation, Motorik
Handfunktion hatten, fand sich im Alter von 5 Jahren in 70% der und Sensorik
Fälle eine vollständige funktionelle Wiederherstellung. Im Gegen- Beim Heranwachsenden oder Erwachsenen sollte neben der Lokali-
satz dazu zeigten Säuglinge mit fehlender Funktion nur in 5% der sationsdiagnostik auch eine Bewertung der sensorischen Qualitäten
Fälle eine vollständige Regeneration. versucht werden. Hier bietet sich das auch international gebräuch-
Je nach Untersucher verbleibt bei 25–65% der Kinder ein gerin liche Klassifikationsschema nach Highet an, mit dem eine verbes-
ges funktionelles oder ästhetisches Defizit. Bei 5–45% finden sich serte Verlaufskontrolle einer einsetzenden Regeneration und Rein-
aber schwere funktionelle oder ästhetische Einschränkungen. Von nervation möglich ist (. Tab. 40.6).
350 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis
C6 Ellbogenflexion, Unterarmpronation und -supination, Die neurophysiologische Untersuchung bietet trotz aller Schwierig-
teilweise Handgelenksextension keiten der Durchführung und der Interpretation wertvolle Hinweise.
So kann das ENG die Verdachtsdiagnose einer präganglionären Lä-
C7 Diffuser Verlust von Funktionen und Kraft ohne komplet-
sion bestätigen. Ab 3 Wochen nach der Verletzung zeigt sich in der
te Paralyse spezifischer Muskelgruppen
EMG die beginnende Denervierung der einzelnen Muskelgruppen.
C8 Handgelenksbeugung, Fingerstreckung, -beugung, Eine Verlaufsbeurteilung der postoperativen Regeneration wird da-
intrinsische Handmuskulatur mit möglich, in Kombination mit der klinischen Untersuchung kann
Th1 intrinsische Handmuskulatur hier die frühzeitige Identifikation von für sekundäre Transferopera-
tionen geeigneten Muskelgruppen erfolgen.
Die motorischen Funktionen können analog zu den oben ge- 40.3.3 Behandlungsziele
machten Ausführungen zur klinischen Untersuchung von geburts
traumatischen Läsionen getestet werden (. Tab. 40.3, . Tab. 40.4). Nach H. Millesi ergeben sich für die Behandlung der traumatischen
In . Tab. 40.7 finden sich die mit der jeweiligen Wurzel einher- Läsion des Plexus brachialis folgende Prioritäten:
40 gehenden motorischen Funktionen. Aus deren Verlust lässt sich mit 4 Wiederherstellung der Ellbogenbeugung,
großer Sicherheit die entsprechende Läsion lokalisieren. Dabei ist 4 Stabilisierung der Schulter:
jedoch auch zu bedenken, dass es aufgrund der Kombination unter- 5 Verbesserung der Außenrotation,
schiedlicher Verletzungsmechanismen bzw. unterschiedlicher Ver- 5 Abduktion,
letzungshöhen zu einem klinischen Mischbild der Funktionsausfälle 4 Wiederherstellung der Ellbogenstreckung,
kommen kann. Beim kooperativen Erwachsenen ist eine differen- 4 Wiederherstellung der Schutzsensibilität,
ziertere motorische Untersuchung auch von Einzelmuskeln möglich. 4 Wiederherstellung der Handfunktion.
Dies ist gerade für die Planung von sekundären operativen Eingrif-
fen wie Muskeltranspositionen von Bedeutung. Diese Prioritäten orientieren sich an der Möglichkeit der Bewegung
der oberen Extremität im Raum und dem Ziel, die Hand möglichst
Bildgebende Verfahren gut im normalen körperlichen Aktionsfeld zu positionieren.
Im Rahmen der Polytraumadiagnostik und der anschließenden frü- Beim erwachsenen Patienten mit traumatischer Plexusparese ist
hen unfallchirurgischen Versorgung erfolgt meist die primäre radio wie im Kindesalter auf ein umfassendes interdisziplinäres Therapie-
logische Diagnostik der knöchernen Begleitverletzungen. In jedem konzept zu achten. Neben physiotherapeutischer, ergotherapeuti
Fall sollten jedoch zur Beurteilung einer traumatischen Plexus-bra- scher und chirurgisch-operativer Behandlung muss hier zusätzlich
chialis-Läsion Röntgenbilder von Halswirbelsäule, Schulter und Kla- in Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsträgern auf die
vikula vorliegen, um Frakturen oder eine Dislokation auszuschlie- frühzeitige soziale und berufliche Reintegration hingearbeitet wer-
ßen. Diese sind ebenso wie Thoraxröntgenaufnahmen zur unmittel- den. Es empfiehlt sich hierzu ein frühzeitiges kritisches Gespräch
baren Operationsplanung notwendig. Ein Zwerchfellhochstand in mit dem Verletzten, möglichst in Anwesenheit von Zeugen (Partner,
der p.-a. Thoraxaufnahme weist auf die zusätzliche Läsion des Angehörige, Freunde), in dem in zurückhaltender Weise die Mög-
N. phrenicus bzw. der Wurzel C4 hin und sollte den Operateur zur lichkeiten und Chancen der funktionellen Wiederherstellung ange-
Vermeidung einer kumulativen pulmonalen Morbidität veranlassen, sprochen werden. Speziell bei Avulsionsverletzungen sollte das zu
40.3 · Läsionen des Plexus brachialis im Erwachsenenalter: traumatische Plexus-brachialis-Läsionen
351 40
erwartende Ergebnis kritisch diskutiert werden. Dabei sollte in je-
dem Fall die Notwendigkeit einer beruflichen Neuorientierung oder
von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen angespro-
chen werden. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, diese Maßnahmen
bereits im Rahmen der Planung der Erstoperation einzuleiten. Durch
die frühzeitige berufliche Neuorientierung bleibt dem Verletzten
eine längere Zeit der Ungewissheit erspart.
Ein wesentlicher weiterer Punkt der Behandlung der frischen
traumatischen Plexus-brachialis-Läsion ist die suffiziente Schmerz-
therapie. Diese gestaltet sich aufgrund der oft hartnäckigen Deaffe-
renzierungsschmerzen speziell bei Wurzelausrissen als problema-
tisch. Neben der differenzierten medikamentösen Therapie kann
hier auch durch die operative Exploration oftmals eine Reduktion
der Schmerzen erreicht werden.
ausgeprägte Knappheit an motorischen Spendern. Eine intraplexale major-Transfer, ggf. kombiniert mit Release-Operationen oder mit
Neurotisation würde dann eine evtl. vorhandene motorische Rest- einer Humerusderotationsosteotomie in Frage.
funktion deutlich beeinträchtigen und muss daher unterbleiben. Als Zur Verbesserung der Handfunktion werden die in den folgen
Spender kommen in dieser Situation und bei komplettem Wurzel- den Kapiteln dieser Sektion genauer beschriebenen Ersatzopera
ausriss C5 bis Th1 die ipsilateralen Interkostalnerven 3–7 für die tionen erforderlich. Hier muss jedoch oftmals aufgrund der unter-
Reinnervation des M. biceps in Frage. schiedlichen Verletzungsmuster die Vorgehensweise individuell
Zusätzlich kann im letzteren Fall das aufwendigere zweizeitige angepasst werden. So kann es aufgrund der Knappheit der zur Ver-
Verfahren des C7-Transfers zur Anwendung kommen. Dazu erfolgt fügung stehenden funktionellen Muskeln notwendig sein, zur Ver-
zunächst die Koaptation eines gestielten ipsilateralen N.-ulnaris- besserung der Handfunktion statt auf den M. pronator teres oder
Transplantates an die kontralaterale Wurzel C7. Nach bioptisch ge- den M. flexor carpi ulnaris zum Ersatz der Handgelenkstreckung
sicherter Axoneinsprossung in das Transplantat wird in einem auf die Handgelenkstenodese oder -arthrodese zur Handgelenksta-
2. Schritt der freie neurovaskuläre Transfer des M. gracilis durchge- bilisierung zurückgreifen zu müssen. Nur die Kombination einer
führt, um z. B. eine Massenbewegung der Fingerbeuger und damit Vielzahl von Techniken durch den erfahrenen Chirurgen erlaubt in
eine tertiäre Greifform zu erreichen. diesen Fällen eine optimale Ausnutzung der noch verbliebenen Res-
Der N. phrenicus und der N. hypoglossus sollten aufgrund der sourcen.
damit verbundenen Einschränkungen der Atem-, Schluck- und
Sprachfunktion nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Prognose
Aufgrund des unterschiedlichen Verletzungsmusters und der meist
Postoperatives Management vorliegenden Begleitverletzungen ist die Prognose des funktionellen
Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung für 5 Tage im Gilchrist-Ver- Resultats beim Erwachsenen äußerst schwierig abzuschätzen. Neben
band. Anschließend wird die krankengymnastische Behandlung der Verletzungsart sind das Alter des Patienten und die Art der
wieder aufgenommen, zunächst als passive Mobilisierung der Ge- durchgeführten operativen Eingriffe (auch der orthopädisch-unfall-
lenke und zur Kräftigung der vorhandenen muskulären Funktionen. chirurgischen) von Bedeutung.
Mit dem Einsetzen von Reinnervationszeichen beginnt das gezielte Im Hinblick auf das funktionelle Ergebnis spielen allerdings so-
Training der reinnervierten Muskelgruppen, zunächst als assistive wohl die Erwartungen des Patienten als auch des Chirurgen eine
Beübung unter Ausschaltung der Schwerkraft über Unterstützung Rolle. Hier ist die empathische, aber auch enge Führung des Patien
durch vorhandene Bewegungsmuster (z. B. PNF) und zunehmend ten durch den erfahrenen Spezialisten von entscheidender Bedeu-
unter Belastung. Begleitend werden zunächst 2-monatliche, dann tung, um einerseits unrealistische Erwartungen zu vermeiden, ande-
mit klaren Reinnervationszeichen monatliche klinische Kontrollen rerseits aber die für die langwierige und schwierige Behandlung und
durchgeführt bis etwa 12–18 Monate nach Trauma. Zu diesem Zeit- Rehabilitation notwendige Compliance sicherzustellen.
punkt werden weitere sekundäre funktionsverbessernde Maßnah-
men geplant. Bei Ausbildung sekundärer muskulärer oder kapsu- Literatur
lärer Gelenkskontrakturen können allerdings auch vor diesem Zeit- Al-Quattan M (2003) Obstetric brachial plexus injury. J Am Soc Surg Hand 3:
punkt Sekundäroperationen erforderlich werden. 41–54
Birch R (2002) Obstetric brachial plexus palsy. J Hand Surg 27B: 2–8
Sekundäroperationen Birch R, Bonney G Wynn Parry CB (1998) Surgical disorders of the peripheral
nerves. Churchill Livingston
Aufgrund der schlechteren Regenerationstendenz wird man im Er-
Gilbert A (2001) Brachial plexus injuries. Martin Dunitz, London
wachsenenalter, insbesondere bei Wurzelausrissverletzungen, früh- Millesi H (2003) Treatment of post-traumatic brachial plexus lesions. Eur Surg
zeitig auf sekundäre Muskel- und Sehnentransferoperationen zur 35: 191–195
Funktionswiederherstellung zurückgreifen. Die Abwägung, ob durch
40 eine frühzeitige Ersatzoperation nicht eine eventuelle Regeneration
Oberlin Ch (2003) Les paralysies du plexus brachial de l’adulte par lésions
radiculaires: conception générale, orientations thérapeutiques et résul-
überdeckt wird und damit mögliche Spender für eine spätere Rekon- tats. Chir Main 22: 273–284
struktion anderer Funktionen verloren gehen, ist auch für den Er- Tomaino MM (2001) Nonobstretical brachial plexus injury. J Am Soc Surg
fahrenen oft schwierig. Hand 1: 135–153
Nervenverletzungen an der oberen Extremität sind häufig. Grund- cessorius bewirkt ein Hängen der betroffenen Schulter (Trapezius-
lage einer suffizienten Therapie ist eine genaue Kenntnis ihrer Ana- lähmung), der Arm kann nicht über die Horizontale gehoben wer-
tomie, die richtige Deutung des klinischen Lähmungsbildes und der den, es bestehen Schmerzen im Schulterbereich.
gezielte Einsatz von Zusatzdiagnostik.
Die Beschreibung des genauen chirurgischen Zugangs in Ab- Diagnostisches Vorgehen
hängigkeit von der jeweiligen Läsionshöhe ginge über den Umfang Im Mittelpunkt der Funktionsdiagnostik steht das EMG des M. trape-
der folgenden Übersicht hinaus, hierzu wird auf die nervenchirur- zius. Der Nerv kann auch seitlich hinter dem M. sternocleidomastoideus
gischen Standardwerke wie z. B. von Millesi (1992) oder Kline u. gereizt werden. An bildgebenden Verfahren stehen CT (Foramen ju
Hudson (2008) und die spezifisch für den jeweiligen Nerv angege- gulare) und MRT (Tumoren der Halsregion) im Vordergrund.
benen Artikel verwiesen. Die Nervenkompressionssyndrome wer-
den in einem eigenen Kapitel (7 Kap. 48) behandelt.
41.2 N. dorsalis scapulae (C3–6)
41.1 N. accessorius (XI. Hirnnerv) Anatomie
Der N. dorsalis scapulae innerviert
Anatomie 4 M. levator scapulae und die
Der N. accessorius (lat.: »zusätzlicher Nerv«) ist der XI. Hirnnerv, 4 Mm. rhomboidei.
seine beiden Wurzeln enthalten ausschließlich motorische Axone.
Die Radix spinalis (»Rückenmarkwurzel«) stammt aus den Ursachen der Schädigung
oberen Halssegmenten des Rückenmarks und tritt seitlich aus dem Häufigste Ursachen sind Unfälle oder Gewaltakte (Stich-, Schussver-
Rückenmark aus und nicht über dessen Radix anterior. Die Nerven- letzungen).
fasern steigen entlang des Rückenmarks im Subarachnoidalraum auf
und ziehen durch das Foramen magnum in die hintere Schädelgrube Klinisches Bild
und versorgen als R. externus den Bei den Patienten bestehen Schmerzen im Bereich des medialen Ska-
4 M. sternocleidomastoideus und pularandes mit einem vergrößerten Abstand zwischen Margo medi-
4 M. trapezius. alis scapulae und der Wirbelsäule, der Angulus inferior scapulae ist
nach außen rotiert.
Die sensible Innervation (Muskelspindeln und Golgi-Sehnenorga-
ne) der beiden Muskeln wird vermutlich über Rr. musculares aus Diagnostisches Vorgehen
dem Plexus cervicalis bewirkt. Bei der klinischen Prüfung in Bauchlage wird der Patient gebeten,
Die Radix cranialis (»Schädelwurzel«) tritt unterhalb des N. vagus den Arm nach hinten zu führen, am stehenden Patient sollen die
aus der Medulla oblongata aus und erhält »branchiomotorische« Fa- Arme in die Hüften gestemmt und der Ellbogen gegen Widerstand
sern aus dem Nucleus ambiguus, der auch an der Bildung des N. glosso- nach hinten gedrückt werden, evtl. EMG.
pharyngeus und des N. vagus (IX. und X. Hirnnerv) beteiligt ist. Differenzialdiagnostisch muss eine Scapula alata (bei Schädi-
Beide Wurzeln vereinigen sich zum N. accessorius und verlassen gung des N. thoracicus longus) abgegrenzt werden.
den Schädel begleitet vom N. vagus durch das Foramen jugulare,
Pars nervosa. Mit Fasern des N. vagus bildet er den N. laryngeus
recurrens (Nerv des 6. Kiemenbogens) zur Versorgung der inneren 41.3 N. suprascapularis (C4–C6)
Larynx- und Pharynxmuskeln.
Anatomie
> Klinisch wichtig sind die motorischen Zuflüsse des Plexus
Der N. suprascapularis entspringt den Wurzeln C4–C6 und erreicht
cervicalis zum M. trapezius, die erklären, dass die Inner
nach dorsal durch die Incisura scapulae ziehend die Mm. supra- und
vation des Muskels bei N.-accessorius-Resektion erhalten
41 bleiben, aber auch bei Schonung des Nervs verloren ge
infraspinatus. Er innerviert
4 M. supraspinatus und
hen kann (infolge Plexus-cervicalis-Resektion).
4 M. infraspinatus (nach Durchtritt durch die Incisura scapulae).
Bei distalen Läsionen ist der Schmerz oft weniger ausgeprägt, da die Klinisches Bild
meist sensiblen Fasern den Nerv bereits proximal verlassen. Zur Das typische Zeichen ist die aufgehobene Fixation und das Abstehen
Kompressionen des Nervs kommt es häufig im Bereich des spinogle- des Schulterblattes vom Thorax (Scapula alata), verstärkt bei der
noidalen und supraskapulären Abschnitts. Armelevation über die Horizontale hinaus oder beim Abstützen an
Als alternative Schmerzursache kommen zahlreiche andere Pa- der Wand. Der Abstand zwischen Margo medialis scapulae und Wir-
thologien für Schmerzen in diesem Bereich in Frage, z. B. degenera- belsäule ist verringert.
tive Erkrankungen der Halswirbelsäule, zervikale Radikulopathie
(v. a. C5), Thoracic-outlet-Syndrom, Pancoast-Tumor, Bursitis sub- Diagnostisches Vorgehen
acromialis, Entzündungen oder Verletzungen der Rotatorenman- Neben der klinischen Funktionsprüfung ist eine EMG-Untersu-
schette oder andere Erkrankungen des Glenohumeralgelenks. chung möglich.
Diagnostisches Vorgehen
Bei der klinischen Untersuchung besteht Schwäche oder Ausfall der 41.6 N. thoracodorsalis (C6–C8)
gelähmten Muskeln, z. B. bei Kratzen am Hinterkopf). Zunächst
kann durch Injektion eines Lokalanästhetikums im Bereich des Anatomie
»scapular notch« eine Lokalisation des Problems erfolgen. Dieser Dieser Nerv versorgt motorisch den
Test ist jedoch nicht sehr spezifisch, da er auch zur Besserung von 4 M. latissimus dorsi und evtl.
anderen Beschwerdebildern führen kann. Durch elektrophysiolo- 4 M. teres major.
gische Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und EMG-Untersu-
chung (M. supra-/infraspinatus) kann eine N.-suprascapularis-Läsi- Ursachen der Schädigung
on identifiziert und lokalisiert werden. Knöcherne Deformitäten Am häufigsten sind traumatische Plexusläsionen Ursache der Schä-
können mittels Röntgen festgestellt werden, komprimierende Pro- digung des N. thoracodorsalis.
zesse, v. a. Ganglien, mittels Ultraschall oder am besten MRT.
Differenzialdiagnostisch muss eine Sehnenruptur der Rotato- Klinisches Bild
renmanschette ausgeschlossen sein. Klinisch sind die Oberarmadduktion und die Innenrotation gestört.
Dies lässt sich erkennen, wenn der Patient in Bauchlage die ge-
streckten Arme gegen Widerstand nach hinten medial führen soll
41.4 N. subscapularis (C5–C6) (wie zum Schürzenbinden).
Diagnostisches Vorgehen
41.5 N. thoracicus longus (C5–C7) Die Klinik lässt sich am leichtesten in leicht elevierter Armhaltung
testen, evtl. zusätzlich EMG.
Anatomie
Der rein motorische N. thoracicus longus entstammt den Wurzeln
C5–C7 und versorgt als längster Plexusast den M. serratus anterior. 41.8 N. musculocutaneus (C5–C6)
Ursachen der Schädigung Anatomie
Häufigste Ursache einer Läsion des N. thoracicus longus ist eine Dieser Nerv aus den Segmenten C5/6 durchbohrt den M. coracobra-
Überbelastung der Schulter, z. B. durch das Heben und Tragen chialis, seine Rr. musculares versorgen motorisch alle Ellbogen
schwerer Lasten oder eine neuralgische Schulteramyotrophie. beuger:
356 Kapitel 41 · Schädigung peripherer Nerven der oberen Extremität
4 M. biceps brachii, tion der Schulter in Ruhe, sodass der Arm leicht nach innen rotiert
4 M. coracobrachialis, steht.
4 M. brachialis (teilweise). Die sensible Versorgung ist charakteristischerweise im Bereich
des lateralen proximalen Oberarms gestört (»Generalsabzeichen«).
Sensibel versorgt der Endast die radiale Haut des Unterarms (N. cu-
taneus antebrachii lateralis). Diagnostisches Vorgehen
Differenzialdiagnostisch ist eine obere Armplexusläsion, Rotato
Ursachen der Schädigung renmanschettenruptur oder eine schmerzbedingte Bewegungsein-
Häufigste Ursache einer Läsion dieses Nervs ist ein Trauma im schränkung, z. B. bei Periarthropathia humeroscapularis (PHS),
Schulterbereich, z. B. durch Stichverletzung, oder eine traumatische abzugrenzen. Seltener sind eine progressive Muskeldystrophie, ar-
obere Plexusläsion, insbesondere durch Hochrasanztrauma mit Au- throgene Muskelatrophie oder Rupturen der Rotatorenmanschette.
ßenrotation der Schulter. Notwendig ist daher neben der Anamnese oft ein EMG, Über-
leitungszeit zum M. deltoideus, bei Verdacht auf Wurzel-/Plexuslä-
! Cave
sion auch CT/MRT der oberen Thoraxapertur bzw. HWS.
Differenzialdiagnostisch muss die Ruptur der langen Bi
zepssehne abgegrenzt werden: Es findet sich der typische
Muskelbauch über dem distalen Oberarm, aber keine Ge
fühlsstörung.
41.10 N. radialis (C5–Th1)
Anatomie
Klinik Der N. radialis (C5–Th1) verläuft am Humerus dorsal und windet
Eine Parese der vom N. musculocutaneus versorgten Muskeln führt sich an diesem im Sulcus n. radialis mit der A. profunda brachii zwi-
zu einer starken Schwächung bis hin zum Ausfall der Ellbogenfle schen dem medialen und lateralen Kopf des M. triceps brachii nach
xion. unten, wobei der Nerv gegen den Knochen nur durch eine 1–3 mm
dünne Bindegewebsschicht gepolstert ist. Er durchbricht distal
> Die klinische Prüfung erfolgt bei supiniertem Unterarm,
das Septum intermusculare brachii laterale und gelangt in die Tiefe
um die in Pronation oder Neutralstellung aktive Flexions
zwischen M. brachioradialis und M. brachialis in die Ellenbeuge.
funktion des N.-radialis-versorgten M. brachioradialis aus
Hier spaltet sich der Nerv in der Regel vor dem Radiusköpfchen in
zuschalten.
einen oberflächlichen sensiblen und einen tiefen motorischen Ast
(. Abb. 41.1).
Diagnostisches Vorgehen Er gibt folgende wichtige Äste ab:
Neben der klinischen Prüfung erfolgt eine EMG-Untersuchung 4 N. cutaneus brachii posterior: Zur Haut der Dorsalseite des
(Überleitungszeit zum M. biceps brachii) und NLG des N. cutaneus Oberarms.
antebrachii lateralis. 4 N. cutaneus brachii lateralis inferior: Versorgt einen unteren
seitlichen Hautbezirk am Oberarm.
4 N. cutaneus antebrachii posterior: Versorgt die Unterarmstreck-
41.9 N. axillaris (C5–C6) seite.
4 Rr. musculares zum
Anatomie 5 M. triceps brachii,
Der N. axillaris entstammt den Wurzeln C5 und C6. Er verläuft 5 M. anconeus,
durch die laterale Achsellücke, dann unter dem M. deltoideus um 5 M. articularis cubiti,
das Collum chirurgicum humeri herum, begleitet von A. circumfle- 5 M. brachioradialis und
xa humeri posterior und 2 gleichnamigen Venen. Er gibt Muskeläste 5 M. extensor carpi radialis longus.
41 ab zum 4 Der R. profundus durchbohrt den M. supinator, läuft zwischen
4 M. deltoideus und oberflächlicher und tiefer Schicht der Strecker und versorgt die
4 M. teres minor. Streckergruppe des Unterarms.
4 N. interosseus posterior: Endast des R. profundus, erreicht auf
Sein sensibler Endast erscheint am hinteren Rand des Deltamuskels der Membrana interossea antebrachii das Handgelenk und ver-
und versorgt sensibel die oberen seitlichen und dorsalen Hautgebiete sorgt es sensibel.
des proximalen Oberarms (N. cutaneus brachii lateralis superior). 4 R. superficialis: Begleitet die A. radialis (radiale Gefäß-Nerven-
Straße), verläuft am Übergang des mittleren zum distalen Ra
Ursachen der Schädigung diusdrittel unter dem M. brachioradialis zum dorsalen Unter-
Häufigste Ursache einer Axillarisläsion ist eine Schulterluxation, v. a. arm und zum Handrücken und versorgt dort die Haut.
nach vorn und unten, sowie die folgende Reposition, oder eine 4 R. communicans cum n. ulnari: Verbindet R. superficialis mit
Oberarmhalsfraktur. Seltener sind Drücklähmungen oder Geburts R. dorsalis n. ulnaris.
trauma oder neuralgische Schulteramyotrophie die Ursache. 4 Nn. digitales dorsales: Sensible Endäste des R. superficialis für
Grund- und Endglieder der radialen 2½ Finger im dorsalen Be-
Klinisches Bild reich, Endglieder von palmar aus.
Eine Parese des N. axillaris führt zu einer Lähmung des M. deltoide-
us und damit zu einer erheblichen Schwächung der Schulterabduk- Ursachen der Schädigung
tion (nur bis ca. 45°) und der Elevation des Armes nach vorn. Die Der N. radialis wird häufig direkt geschädigt bei Schaftfrakturen des
Schulterkontur ist abgeflacht, Akromion und Humeruskopf treten Oberarms (Sulcus radialis), ebenso bei Oberarmschaftbrüchen,
hervor. Die Lähmung des M. teres minor schwächt die Außenrota Frakturen und Luxationen des proximalen Speichenendes (R. pro-
41.11 · N. medianus (C5–Th1)
357 41
Es sind sensible Ausfälle Haut über Streckerseite des Ober- und Un-
terarms zu verzeichnen sowie dorsale Haut der Grund- und Mittel-
glieder der radialen 2½ Finger.
Diagnostisches Vorgehen
Nach der Anamnese und klinischen Untersuchung erfolgen bei Be-
darf zudem Bildgebung, EMG und NLG abhängig von Läsionshöhe
und Lähmungsausmaß.
Klinisches Bild
Als häufigstes Zeichen liegen eine Gefühlsstörung der medianusinn- 4 Proximaler Unterarm: Zugang medial des M. pronator teres. Der
nervierten 3 radialen Finger und ein Ausfall der Daumenopposition Nerv liegt zwischen den beiden Muskelköpfen. Der N. interosse-
41 vor. us anterior tritt proximal des Muskels hervor.
4 Distaler Unterarm: Schräger Zugang zwischen den Sehnen des
> Nur bei hoher Medianusläsion mit Läsion der motorischen FCU und FCR. Der Nerv liegt zwischen den oberflächlichen und
Äste zum FPL und FDS und FDP 2 erfolgt der Faustschluss tiefen Beugesehnen, unter dem M. palmaris longus.
ohne Daumen und Zeigefinger (»Schwurhand«). Ist aber 4 Handgelenk und Palma manus: Zugang parallel zur Hautfalte an
die FPL-Funktion und die FDS- und FDP-Funktion von Zei der Eminencia thenaris. Der Nerv liegt unter dem Lig. carpi
ge- und Mittelfinger möglich, liegt die Läsion distal des transversum. Auf den sensiblen R. palmaris sowie den moto-
Abgangs des N. interosseus anterior. rischen R. thenaris ist zu achten.
Diagnostisches Vorgehen
Immer erfolgt die Anamnese und klinische Untersuchung; Zusatzun- 41.12 N. ulnaris
tersuchungen sind je nach Läsionsniveau zusätzlich EMG und NLG.
Anatomie
Chirurgische Darstellung des N. medianus Der N. ulnaris (C8–Th1) entstammt dem Fasciculus medialis. Er
Die Darstellung erfolgt je nach Höhe der Läsion an folgenden Stellen: läuft auf der Innenseite des Oberarms hinter dem Septum intermus-
4 Arm: Medialer Zugang anterior des Septum intermusculare. Der culare brachii mediale zum Sulcus n. ulnaris an der Unterseite des
Nerv verläuft neben der A. brachialis. Epicondylus medialis, hier liegt er oberflächlich unter der Haut und
4 Ellbogen: Inzision entlang der medialen Begrenzung des M. bi- kann palpiert und durch Beklopfen gereizt werden (»Musikanten-
ceps brachialis. Der Nerv findet sich unter der Fascia antebrachii knochen«). Am Oberarm gibt er keine Äste ab, schlüpft zwischen
und dem Lacertus fibrosus. Caput humerale und ulnare des M. flexor carpi ulnaris zur Beuger-
41.12 · N. ulnaris
359 41
Darstellung des N. ulnaris
4 Arm: Medialer Zugang anterior zum Septum intermusculare.
Der Nerv verläuft unter der Faszie des Septums.
4 Ellbogen: Zugang direkt über dem Sulcus ulnaris, zwischen Ole-
cranon und Epicondylus medialis.
4 Unterarm: Inzision ulnar entlang der medioaxialen Linie, Spal-
tung der beiden Köpfe des FCU, unter dem der Nerv auf dem
FDP verläuft.
4 Handgelenk und Palma manus: Inzision parallel zur Hautfalte an
der Basis der Eminencia thenaris, Inzision über dem Os pisi-
forme, Schonung der Aufteilung zwischen seniblen und moto-
rischen Ästen.
. Abb. 41.4 Froment-Zeichen
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München
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subscapular nerves. Clin Anat 20: 656–659
der Patient z. B. beim Versuch, ein Papier zwischen Dauem und Zei-
gefinger einzuklemmen, mittels Beugung des Daumenendgelenks
(FPL) zu kompensieren versucht (Froment-Zeichen; . Abb. 41.4).
Diagnostisches Vorgehen
Anamnese und klinischer Befund sind obligat, in Zweifelsfällen
bildgebende Diagnostik, EMG und NLG abhängig von der Läsions-
höhe.
42
Klinisches Bild
Sein Ausfall führt zu einer inkompletten Parese der Adduktoren des
Oberschenkels, schwächt den Adduktorenreflex (ausgelöst durch
Schlag auf den Condylus medialis femoris) und bewirkt eine Sensi-
bilitätsstörung medial oberhalb des Knies. Schmerzen sind typi-
scherweise inguinal, perinäal, an Hüfte, Knie (Howship-Rhomberg-
Syndrom) und medialen Oberschenkel lokalisiert.
Diagnostisches Vorgehen
Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese, EMG und Bildgebung
(z. B. CT/MRT des kleinen Beckens). Differenzialdiagnostisch
kommt eine Wurzelläsion (L2–L4), ossäre Prozesse (Hüftgelenk, Os
pubis, Symphyse) oder eine Ansatztendinose in Frage.
fehlt. Geringe motorische Defizite werden leicht übersehen. Eine Der N. glutaeus inferior (L5–S2) versorgt den M. glutaeus maxi-
vollständige Lähmung führt zum Ausfall der Kniestreckung. Der mus.
Patellarsehnenreflex fehlt. Der Kranke vermeidet es dann, das Bein
mit angebeugtem Knie aufzusetzen, weil er dabei nach vorn ein- Ursachen der Schädigung
knickt und stürzt. Daraus resultiert eine empfindliche Störung des Die Nn. glutaei werden am häufigsten durch Entbindungen, Rektum
Gangbildes mit vorsichtigen, kurzen Schritten und Unsicherheit tumoren, intramuskuläre Injektionen (Spritzenläsion), Aneurysmen
beim Treppensteigen. Ist der M. iliopsoas mit betroffen, ist zusätz- und Beckenfrakturen geschädigt.
lich die aktive Hüftbeugung beeinträchtigt.
Im Versorgungsgebiet der sensiblen Äste, des N. cutaneus ante- Klinisches Bild
rior (Oberschenkelinnen- und -außenseite) und des N. saphenus Die Läsion des N. glutaeus superior (L4–L5) lähmt die Mm. glutaeus
(infrapatellar, medialer Unterschenkel und Fuß) ist die Sensibilität medius und minimus sowie den M. tensor fasciae latae und bewirkt
gestört. eine Beckeninstabilität auf der Standbeinseite, das beim Gehen zur
Schwungbeinseite hin abkippt (Trendelenburg-Hinken). Bei unvoll-
Diagnostisches Vorgehen ständiger Lähmung kann dieses Absinken durch Rumpfneigung zur
Feststellung des Schweregrads und Lokalisation der Ursache: Neu- Standbeinseite und Verlagerung des Körperschwerpunktes kompen-
rographie, evozierte Potenziale, Kernspintomographie. siert werden (Duchenne-Hinken, »Watschelgang«).
Die Läsion des N. glutaeus inferior (L5–S1) lähmt den M. glutae-
Therapeutisches Vorgehen us maximus und damit die Hüftstreckung, wodurch z. B. das Trep-
Nach Möglichkeit sollte man versuchen, die Ursache auszuschalten: pensteigen erschwert ist. Die Muskelatrophie lässt sich bei Kontrak-
Ausräumung komprimierender Hämatome oder Tumoren (Lym- tion im Seitenvergleich tasten, die Gesäßfalte steht auf der gelähmten
phome in der Leiste), Neurolyse, Nervennaht bei direkter Verlet- Seite tiefer.
zung. Bevor eine Arthrodese des Kniegelenks in Erwägung gezogen
wird, steht die Bizepstransposition als motorischer Ersatz zur Verfü- Diagnostisches Vorgehen
gung (7 Kap. 46). Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese und EMG. Differenzial
diagnostisch kann auch ein C5-Syndrom, eine Plexus-lumbosacra-
lis-Läsion, Myopathie oder Läsion des N. cutaneus femoris lateralis
42.3 N. obturatorius (L3–L4) (Meralgia paraesthetica) vorliegen.
Anatomie
Der N. obturatorius aus L3–L4 ist motorisch für die Oberschen- 42.5 N. peronaeus (L4–S2)
keladduktoren und sensibel für eine kleine Hautinsel oberhalb der
Kniegelenksinnenseite zuständig. Anatomie
Der N. peronaeus communis zieht am lateralen Rand der Kniekehle
hinter der Bizepssehne um das Collum fibulae herum, tritt in den
364 Kapitel 42 · Schädigung peripherer Nerven der unteren Extremität
Klinisches Bild
Typisch sind ein positives Tinel-Zeichen sowie Schmerzen hinter
dem Malleolus medialis oder an der Fußsohle, die beim Gehen zu-
nehmen können. Die Sensibilität an der Fußsohle ist gestört, die Haut
glatt, trocken und rissig. Das Spreizen der Zehen ist nicht möglich.
Der Nerv versorgt den M. triceps surae, die Zehenbeuger, die
intrinsische Fußmuskulatur und den M. tibialis posterior. Der voll-
ständige Ausfall macht die Stabilisierung des Sprunggelenks im Stand
und beim Gehen unmöglich. Auch partielle Lähmungen können die
Gehfähigkeit empfindlich beeinträchtigen. Vor allem die Plantarfle-
xion des Fußes (Abstoßen des Fußes am Ende der Standphase, Zehen- . Abb. 42.4 Verlauf und Astfolge des N. tibialis
spitzenstand) ist eingeschränkt oder nicht mehr möglich.
Die Sensibilitätsstörung bezieht sich auf die Fußsohle, den late-
ralen Fußrand und die Wade. Durch das Übergewicht der dorsal
extendierenden Muskeln entwickelt sich auf Dauer ein Hackenfuß. kulatur kann diese u. U. als Fußsenker im oberen Sprunggelenk wir-
Durch Ausfall der Plantarflexoren ist der Zehenspitzengang, durch ken, da kein Kraftvektor plantar der Sprunggelenksbewegungsachse
Ausfall der kleinen Fußmuskeln das Zehenspreizen unmöglich. Die besteht.
Asensibilität der Fußsohle erhöht das Risiko für unbemerkte Verlet-
zungen und Ulkusbildungen. Literatur
Die Morton-Metatarsalgie ist ein Schmerzsyndrom eines sen-
Grant GA, Goodkin R, Kliot M (1999) Evaluation and surgical management of
siblen Endastes des N. tibialis (N. digitalis), die beim Auftreten, spä- peripheral nerve problems. Neurosurgery 44: 825–839
ter auch in Ruhe, zu Beschwerden im Vorfußbereich führen kann. Kim DH, Cho Y, Ryu S, Tiel RL, Kline DG (2003) Surgical management and re-
Diese lassen sich auch durch seitliches Zusammendrücken des Vor- sults of 135 tibial nerve lesions at the Lousiana State University Health
fußgewölbes oder Verschieben der Metatarsalköpfchen gegeneinan- Sciences Center. Neurosurgery 53: 1114–1124
der auslösen. Ursache ist wahrscheinlich weniger ein echtes Neurom Kim DH, Murovic JA, Tiel R, Kline DG (2004) Management and outcomes of 353
als eher ein Nervenengpasssyndrom bedingt durch die Ligg. inter- surgically treated sciatic nerve lesions. J Neurosurg 101: 8–17
metatarsalia. Kim DH, Murovic JA, Tiel RL, Kline DG (2004) Management and outcomes in
318 operative common peroneal nerve lesions at the Lousiana State Uni-
Diagnostisches Vorgehen versity Health Sciences Center. Neurosurgery 54: 1421–1428
Kim HD, Midha R, Murovic JA, Spinner RJ (2008) Kline & Hudson’s nerve inju-
Bei Lokalisation der Nervenschädigung im hinteren Tarsaltunnel oder
ries, 2nd edn. Elsevier, Amsterdam
an der Fußsohle (Morton-Metatarsalgie) führt eine Instillation von Kline DG, Tiel R, Kim D, Harsh C (1998) Lower extremity nerve injuries. In: Omer
Lokalanästhetikum oft zur Beschwerdebesserung. Sonst ist eine Be- GE, Spinner N (eds) Management of peripheral nerve problems. Saun-
funddokumentation mittels NLG, EMG und Bildgebung möglich. ders, Philadelphia
Millesi H (1992) Chirurgie der Peripheren Nerven. Urban & Schwarzenberg,
Therapeutisches Vorgehen München
Die zugrunde liegende Pathologie sollte, wo immer möglich, besei-
tigt werden. Bei irreversibler Lähmung ist ein orthopädischer Maß-
schuh indiziert, der das Sprunggelenk stabilisiert und die fehlende
Plantarflexion durch eine Ausstellung des Absatzes nach hinten
kompensiert (Schleppenabsatz). Bei funktionierender Peronäalmus-
43
43.1 Grundlagen
Abkürzungen
4 BR: M. brachioradialis 43.1.1 Therapieprinzip
4 ECRB: M. extensor carpi radialis brevis
4 ECRL: M. extensor carpi radialis longus > Motorische Ersatzoperationen können irreparabel verlo
4 ECU: M. extensor carpi ulnaris rene Muskelfunktionen durch eine Transposition von ge
4 EDC: M. extensor digitorum communis sunden Sehnen-Muskel-Einheiten ersetzen und so die
4 EDM: M. extensor digiti minimi Funktion gelähmter oder zerstörter Muskelgruppen wie
4 EPL: M. extensor pollicis longus derherstellen.
4 FCR: M. flexor carpi radialis
4 FCU: M flexor carpi ulnaris Der Spendermuskel kann unipolar gestielt verlagert werden, wenn
4 FDP: M. flexor digitorum profundus er proximal in situ verbleibt und seine Sehne auf den peripheren
4 FDS: M. flexor digitorum superficialis Anteil des zu ersetzenden Muskels transponiert wird, er wird mit
4 FPB: M. flexor pollicis brevis Ursprung und Ansatz bipolar unter Erhalt des Gefäß-Nerven-Bün-
4 FPL: M. flexor pollicis longus dels verlagert. In Ausnahmefällen ist die freie, d. h. mikrochirur-
4 PCSA: »physiologic cross sectional area« (physiologische gische Transplantation eines funktionellen Muskels (z. B. M. gracilis,
Muskelquerschnittsfläche) M. latissimus dorsi oder M. rectus femoris) möglich.
4 PL: M. palmaris longus
43.1.2 Indikationen
Nervenverletzungen der oberen Extremität führen oft zu schweren
Funktionsbeeinträchtigungen. Mikrochirurgische Techniken haben Angewendet werden motorische Ersatzoperationen in erster Linie
die Ergebnisse nach Nervenrekonstruktion in den letzten Jahr- 4 nach irreparablen Nervenverletzungen,
zehnten deutlich verbessert, allerdings bleibt die Aussicht auf Funk- 4 nach Muskel- und Sehnenzerstörung durch Trauma, Tumor
tionswiederkehr, v. a. bei proximalen Stammnervenläsionen, bei oder Ischämie (Volkmann-Kontraktur),
verspätet oder im höheren Lebensalter versorgten Verletzungen häu- 4 nach Erkrankungen peripherer Nerven (z. B. Lepra, Polio),
fig ungünstig. So zeigt die hohe Radialisparese auch nach primärer 4 nach angeborenen Muskelausfällen (z. B. Arthrogryposis),
Nervenrekonstruktion bei langer Latenzzeit oft unbefriedigende Er- 4 bei Fehlbildungen (z. B. Daumenhypoplasie)
gebnisse, bei proximaler Ulnarislähmung kommt eine Reinnervati- sowie begrenzt
on der Handbinnenmuskeln selten vor. 4 bei spastischen Bewegungsmustern zentraler Erkrankungen
Motorische Ersatzoperationen durch Muskel- oder Sehnen- (z. B. bei Zerebralparese oder nach Apoplex; Richards 2003;
transposition können in jeder Phase nach der Verletzung zu einer Switlick u. Sheppard 2005).
Wiederherstellung verlorener Nervenfunktionen und zur Besserung
der Funktion an der oberen Extremität führen.
4 Eine motorische Ersatzoperation bietet dem Patienten eine Al- 43.1.3 Voraussetzungen
ternative zur dauerhaften Lähmung.
4 Sie vermeidet langfristige Schienenbehandlung. Die wichtigsten Bedingungen für eine motorische Ersatzoperation
4 Sie verkürzt die Rehabilitationsperiode. sind in der . Übersicht zusammengefasst.
43.1.6 Alternativen/Zusatzeingriffe peripheren oder zentralen Lähmungen vertraut sind (Brand u. Hol-
lister 1999; Brüser 1999; Fridén 2005a, b).
Die primäre Rekonstruktion von Nerven, Sehnen oder Muskeln hat
gegenüber der Ersatzoperation den Vorteil, dass meist kein neues
Erlernen notwendig ist und Kraft, Amplitude und Zugrichtung des 43.1.9 Prinzipien der Nachbehandlung
Muskels erhalten bleiben.
Nerventranspositionen sind technisch anspruchsvoll, ermögli- Nach Riordan hängt der Erfolg neben der technischen Kompetenz
chen aber oft die rasche Funktionswiederkehr des neurotisierten des Operateurs entscheidend von »seiner gewissenhaften und sorg-
Muskels und vermeiden Adhäsionen von Sehnen oder Muskeln fältigen Nachsorge ab, weil gewöhnlich nur eine einzige Chance be-
(7 Kap. 38). steht, an einer gelähmten Hand ein gutes funktionelles Ergebnis zu
Durch Tenotomien und Sehnenverlängerungen kann die Ge- erreichen« (Riordan 1974). Die an die jeweilige Operation ange-
lenkbeweglichkeit verbessert werden. Nach statischer oder dynami passte genau Nachbehandlung umfasst die in der . Übersicht aufge-
scher Tenodese kann durch Bewegungen eines proximalen Gelenks listeten Prinzipien (Öhlbauer et al. 2006; Richards 2003).
eine passive Stellungsänderung in einem distalen Gelenk erreicht
werden.
Prinzipien der Nachbehandlung
Die Arthrodese verringert die Anzahl der zu bewegenden Ge-
lenke, sorgt für Stabilität einer bestimmten Funktion (z. B. der Fin- 1. Immobilisation:
gerfunktion bei Handgelenkinstabilität) und setzt zusätzliche Spen- Nach Muskeltranspositionen wird in der Regel 4 Wochen
dermuskeln frei (z. B. die Handgelenkstrecker oder -beuger, die zur durch Schienen ruhiggestellt, um Zugbelastungen auf der
Reanimation der Fingerbewegung eingesetzt werden können). Sehnennaht zu minimieren. Angrenzende Gelenke, deren
Eine Amputation hat eine geringe Rehabilitationszeit, ist aber Bewegung die Sehnennaht nicht belasten, werden passiv
nur extrem selten zu rechtfertigen, weil sie in die Körperintegrität beübt.
eingreift und funktionell kaum Vorteile bietet. 2. Mobilisation:
Nach 4 Wochen wird mit geschützter Krankengymnastik
ohne Belastung begonnen, ab der 6. Woche tragen die
43.1.7 Kontraindikationen Patienten die Schienen nur noch nachts.
3. Kräftigung:
Motorische Ersatzoperationen sind nicht sinnvoll, wenn sie keine Übungen zur Kräftigung sind erst nach 6–8 Wochen erlaubt,
praktisch nutzbare Funktion, sondern nur eine reine Bewegung wie- die Bewegungen gegen Widerstand werden langsam
derherstellen. gesteigert.
Bei fehlender Motivation des Patienten (v. a. zur Nachbehand-
lung) können sie zu einer Verschlechterung der Ausgangssituation
führen. Unvollständige Rehabilitation nach konservativer Behand- Neuere Konzepte haben gezeigt, dass eine Frühmobilisierung nach
lung oder neurochirurgischem Eingriff ist ebenso eine Kontraindi- motorischer Ersatzoperation sicher und sinnvoll ist und viele Vor-
kation, weil dann eine mögliche Funktionsbesserung abgewartet teile gegenüber der traditionellen verzögerten Mobilisierung bietet,
werden muss. Kontrakturen, z. B. eingesteifte Hand- oder Fingerge- sie setzt allerdings eine besonders stabile Sehnennaht (meist Seit-zu-
lenke in funktionell ungünstiger Stellung oder arthrotische Verän- Seit-Technik) und eine intensive und erfahrene Ergo- und Physio-
derungen des Karpus oder des radiokarpalen Gelenks müssen vor therapie voraus (Fridén 2005a, b).
einer Muskelersatzoperation behandelt werden.
Spendermuskeln mit unzureichendem Kraftgrad (Mindestan-
forderung Kraftgrad M4) oder eingeschränkter Kontraktionskraft 43.2 Operative Therapie bei Lähmung peri-
nach Reinnervation oder Fibrose führen in der Regel zu schlechten pherer Nerven an Unterarm und Hand
Ergebnissen.
Bei einer fortschreitenden/systemischen Erkrankungen besteht Die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens nach einer Nervenver
die Gefahr des Verlusts der wiederhergestellten Funktion bei Über- letzung richtet sich v. a. nach der Zeitspanne seit der Läsion und
greifen der Krankheit. dem Schädigungsausmaß. In . Tab. 43.1 sind die motorischen Aus-
Eine völlige Asensibilität der Hand kann den Nutzen funktio- fallmuster bei Läsionen der peripheren Stammnerven zusammenge-
43 neller Rekonstruktionen in Frage stellen. Zumindest sollte eine
diskriminative Sensibilität am Daumen und an der Radialseite des
fasst.
. Tab. 43.1 Motorische Ausfallmuster bei Läsionen der peripheren . Tab. 43.3 Mögliche Quellen für sensible Axone zur Neurotisation
Stammnerven an der Hand
kontraktur mit nach oben gewandter Handfläche ist für eine Greif-
N. musculo 4 Ast zum M. brachialis funktion funktionell sehr ungünstig.
cutaneus Zur dieser Deformität ist die Versetzung des Ansatzes der Bi-
zepssehne nach Zancolli oft ausreichend, je nach Bedarf mit oder
ohne Durchtrennung der Membrana interossea. Bei nicht korrigier-
Die wichtigsten Verfahren der motorischen und sensiblen Ner- barer Fehlstellung oder Dislokation des Radiusköpfchens ist eine
ventransposition am Unterarm und an der Hand sind in . Tab. 43.2– Derotationsosteotomie des Radius indiziert.
43.5 dargestellt.
Distale Transposition der Bizepssehne (»rerouting«). Vorausset-
Lähmungen am Unterarm zung ist die passive Korrigierbarkeit der noch nicht fixierten Supina-
Supinationsfehlstellung tionsstellung. In diesem Fall kann die Umlagerung der distalen Bi-
Klinisches Bild. Durch ein lähmungsbedingtes muskuläres Ungleich zepssehne über einen volaren Zugang durchgeführt werden. Nach
gewicht zwischen den häufig funktionierenden Supinatoren und der treppenförmigen Absetzung der Bizepssehne wird das proximale
schwachen oder gelähmten Pronatoren kann es infolge der prolon- Ende nach lateral um den Radius herumgeleitet und am proximalen
gierten Supination des Unterarms zu einer irreversiblen Retraktion Radius neu fixiert. Auf diese Weise wirkt der Zug an der Bizepssehne
der relaxierten Fasern der Membrana interossea kommen und im nicht mehr supinierend, sondern bringt den Unterarm in Pronation.
Laufe der Zeit aus einer dynamischen Deformität eine fixierte Supi- Wenn nötig, kann simultan die Desinsertion der Membrana interos-
nationskontraktur werden. Bei Kindern nach Plexusparese kön- sea vorgenommen werden.
nen während des Wachstums die zunehmenden Zugkräfte der Im Anschluss sollte eine Immobilisierung für 6 Wochen erfolgen.
Membrana interossea eine progressive Biegung des Radius bewirken,
der sich spiralförmig um die Ulna legt. Radiusköpfchenluxationen Derotationsosteotomie des Radius. Die Operation erfolgt in Rü-
sind mögliche Konsequenz dieser Fehlstellungen. Die Supinations- ckenlagerung, der Arm ist abduziert gelagert. Der Zugang erfolgt
372 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand
von lateral zur proximalen Radiusmetaphyse, die subperiostal dar- Bei fehlendem M. palmaris ist eine Verlagerung oberflächlicher
gestellt wird. Im Anschluss an die an dieser Stelle durchgeführte Beuger (M. flexor digitorum superficialis 3 oder 4) oder des FCR
schräge Osteotomie kann, falls notwendig, zusätzlich eine Desinser- möglich. Theoretischer Nachteil dieser sehr zuverlässigen Standard-
tion der Membrana interossea entlang der Ulna erfolgen. Der Unter- technik ist, dass der FCU als kräftigster ulnarer Stabilisator des
arm sollte sich nun leicht in Pronationsstellung bringen lassen, die Handgelenks geopfert wird, zudem besitzt er eine geringere Gleitam-
Osteosynthese wird in dieser Stellung mittels einer Kompressions- plitude als der zu ersetzende EDC, jedoch eine wesentlich größere
platte gesichert. Kraft. Die geringere Amplitude kann durch leichte Beugung des
Die Extremität sollte durch einen Oberarmgips für 4 Wochen Handgelenks und damit vermehrte Vorspannung der dorsal verlager
immobilisiert werden. ten Sehne ausgeglichen werden, da sich durch diesen dynamischen
Tenodeseeffekt die Langfingerstreckung verbessert.
Lähmungen an der Hand Brand empfahl die Transposition einer oberflächlichen Finger-
Lähmungen des N. radialis beugesehne, deren Gleitamplitude zwar der EDC-Sehne entspricht,
Klinisches Bild. Durch eine komplette Radialislähmung geht die die jedoch erheblich weniger Kraft als die FCU-Sehne besitzt und
Streckung des Ellenbogens, Handgelenks und Daumens verloren, ursprünglich antagonistisch wirkt, wodurch das Umlernen erschwert
einschließlich dessen Radialabduktion. Zudem führt sie zum Exten- ist. Alternativ kann auch der M. flexor carpi radialis mit gutem
sionsverlust der Fingergrundglieder. Von der proximalen Lähmung Erfolg eingesetzt werden (Brand u. Hollister 1999; Brüser 1999;
mit komplettem Ausfall der Handgelenkstreckung (komplette Fall Öhlbauer et al. 2006).
hand) unterscheidet sich die periphere Lähmung des R. profundus
(N. interosseus posterior) mit Ausfall der Daumen- und Finger Nachbehandlung. Die Immobilisation wird für 3 Wochen mit ei-
streckung und geschwächter Handgelenkstreckung bei erhaltener ner palmaren Unterarm-Finger-Gipsschiene mit Daumeneinschluss
ECRL-Funktion (inkomplette Fallhand) (Brand u. Hollister 1999; durchgeführt, die das Handgelenk in 30°-Streckung, die MP-Ge-
Merle d’Aubigné 1999; Riordan 1974). lenke in (Hyper-)Extension, die Fingermittel- und -endgelenke in
Extension und den Daumen in Abduktion und Extension ruhigstellt.
Rekonstruktionsverfahren Nach 3 Wochen kann mit Krankengymnastik aus der Schiene heraus
Trotz der großen Anzahl möglicher Transpositionen – Boyes hat begonnen werden.
1960 bereits insgesamt 58 verschiedene Radialisersatzoperationen
aufgezählt – lässt sich bei den am häufigsten verwendeten Techniken Prognose. Nach Freigabe der Belastung kann die Hand nach wei-
ein relativ homogenes muskuläres Verteilungsmuster erkennen teren 6–8 Wochen meist wieder gut im Alltag eingesetzt werden. Bei
(. Tab. 43.6). einwandfreier chirurgischer Technik, aktiver Kooperation des Pa
Die Handgelenkstreckung wird meist durch Verlagerung des tienten und konsequenter Nachbehandlung hat die Radialisersatz-
N.-medianus-innervierten M. pronator teres auf den M. extensor plastik eine der besten Erfolgsaussichten. Eine Wiederaufnahme der
carpi radialis brevis wiederhergestellt. Da die Regeneration des vollen Aktivität am Arbeitsplatz und in der Freizeit ist nicht selten
N. radialis je nach Rekonstruktionsniveau bis zu 1 Jahr dauern kann bereits nach einigen Monaten möglich (Öhlbauer et al. 2006; Rior-
und die Prognose allgemein bescheiden ist, kann diese Operation dan 1974; Switlick u. Sheppard 2005) (. Abb. 43.1).
auch als temporärer Ersatz sinnvoll sein, da sie als »innere Schie-
nung« wirkt und eine äußere Extensionsschiene ersetzt (Brand u. Lähmungen des N. medianus
Hollister 1999; Brüser 1999; Öhlbauer et al. 2006). Klinisches Bild. Man unterscheidet die proximale von der tiefen
Es gibt zahlreiche, häufig als gleichwertig angesehene Verfahren. Medianuslähmung auf Handgelenksniveau. Bei Ersterer findet sich
In Europa ist die Operation nach Merle d’Aubigné eine häufig an- neben der Asensibilität im Autonomiegebiet des N. medianus (beu-
gewandte, zuverlässige Basistechnik, die wir auch im eigenen Vorge- geseitig am Zeigefingermittel und -endglied) auch eine Hypästhesie
hen favorisieren. Hierbei wird nach der Originalbeschreibung die im medianusversorgten Bereich auf der Beugeseite des Daumens,
Sehne des M. flexor carpi ulnaris auf die Sehnen des M. extensor Zeigefingers, Mittelfingers und der Radialseite des Ringfingers. Die
digitorum communis und auf die Sehne des M. extensor pollicis Beugung im Daumenendgelenk und im Mittel- und Endgelenk des
longus, die Sehne des M. pronator teres auf die Sehnen der Mm. ex- Zeigefingers ist aufgehoben, die Beugung des Mittelfingers ge-
tensor carpi radialis longus und brevis sowie die Sehne des M. pal- schwächt.
maris longus auf die Sehne des M. extensor pollicis brevis und des
! Cave
M. abductor pollicis longus transponiert (Merle d’Aubigné u. Lange
Das oft gepredigte Merkbild von der »Schwurhand« ist bei
43 1946).
der am häufigsten vorkommenden Läsion distal an Unter
arm und Handgelenk irreführend.
Die Daumenzirkumduktion, eine Kombination aus Retropulsion,
. Tab. 43.6 Standardtechniken der Radialisersatzplastik
Abduktion, palmarer Abduktion, Opposition und Adduktion und
Flexion, ist stark beeinträchtigt. Bei Doppelinnervationen median-
Technik Merle d’Aubigné Boyes Brand/Smith usversorgter Muskeln (Ausnahme: M. pronator quadratus) über den
N. ulnaris oder den N. musculocutaneus können Opposition oder
Handgelenk PT-ECRB (ECRL) PT-ECRB PT-ECRB Palmarabduktion des Daumens trotz kompletter Medianusdurch-
sextension trennung teilweise oder ganz erhalten sein.
Finger FCU-EDC/EPL FDS 3/4-EDC/EI FCR-EDC
extension Rekonstruktionsverfahren bei distalen Paresen
Bei der Wahl des Motors zur Opponensplastik bei der distalen Me-
Daumen PL-EPB/APL PL-EPL PL-EPL
extension
dianuslähmung muss insbesondere auf die Verlaufsrichtung des
M. abductor pollicis brevis geachtet werden. Die Sehnenzügel der
43.2 · Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm und Hand
373 43
len zu können. In der Praxis haben sich die vier folgenden Standard-
techniken bewährt, die kurz vorgestellt werden (Merle d’Aubigné
1999).
a b
c d
. Abb. 43.2a–d Schnittführung (a), Transposition (b) und Fixation der Sehne des M. flexor digitorum superficialis 4 am Ansatz der APB-Sehne (c), funktio-
nelles Ergebnis nach Oppositionsplastik (d). (Aus Gohritz et al. 2007)
Transposition des M. abductor digiti minimi (nach Huber). Diese bei muss bedacht werden, dass aufgrund seiner teilweisen Asensibi-
Technik weist die Schwierigkeit der Präparation des Gefäß-Nerven- lität eine erhöhte Verletzungsgefahr des Zeigefingers besteht.
Bündels in der Loge de Guyon auf, löst aber das Problem bei gleich- Zur Rekonstruktion der Opposition sollte im Gegensatz zur tie-
zeitig vorliegender Lähmung der Nn. medianus und radialis sowie fen Medianuslähmung nicht der FDS 4, sondern es muss ein Strecker
bei Pollizisationen oder angeborenen Daumenhypoplasien. (EI, EDM, EPB oder ECRL) verwendet werden.
Die Sehne wird an der Diaphyse der Grundphalanx abgesetzt, Der EI, EDM und ECRL werden um die ulnare Unterarmkante
präpariert und von distal nach proximal unter Trennung von der geführt, der ECRL erfordert zur Verlängerung ein Sehnentransplan-
Beugermuskulatur des Kleinfingers gelöst bis zum Erreichen des tat. Je weiter distal diese Umlenkung um die ulnare Unterarmkante
Gefäß-Nerven-Stiels, der unterhalb des Os pisiforme liegt. Nach Lö- erfolgt, desto mehr nimmt die opponierende Komponente zu, je
sung und Anschlingen des Pedikels wird der proximale Muskelanteil
gelöst und auf die Thenarseite transferiert, vergleichbar mit dem
Umschlagen einer Buchseite. Um jede Torsion des Gefäßstiels und
Kompression des Muskels zu vermeiden, wird ein großer subkutaner . Tab. 43.7 Motorische Ersatzoperationen bei hoher Medianusläh-
43 Tunnel zwischen der radialen Inzision am Grundgelenk des Dau-
mens und der Hypothenarloge gelegt, die ADM-Sehne durchgezo-
mung
Prinzip 4 Fixation eines U-förmigen Kapsellap- 4 Transposition der oberflächlichen 4 Transposition von ECRB/ECRL (oder FCU,
pens auf der distalen Metaphyse des Beugesehnen 3 und 4 auf die BR), verlängert mit Sehnentransplan
Metakarpale A1-Ringbänder taten, fixiert an Interosseusausläufern
oder A1/A2-Ringbändern und der
Grundgliedbasis
Nachteile 4 Keine erhöhte Kraft des Faustschlusses 4 Opfert eine oberflächliche Finger- 4 Opfert Handgelenkstrecker
4 Tendenz zum Spannungsverlust beugesehne 4 Schwanenhalsdeformität möglich (zu
4 Nicht anwendbar bei nicht kontrakten 4 Nicht anwendbar bei nicht kontrak hohe Spannung des Transplantates)
Krallenfehlstellungen, die durch Bou- ten Krallenfehlstellungen, die durch
vier-Manöver reduzierbar sind Bouvier-Manöver reduzierbar sind
376 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand
Literatur
Boyes JH (1960) Tendon transfers for radial palsy. Bull Hosp Jt Dis 21: 97
c
Brand PW, Hollister AM (1999) Clinical mechanics of the hand, 3rd edn. Mosby,
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. Abb. 43.4a–c Intraoperatives Bild bei der Rekonstruktion eines aktiven
Brüser P (1999) Motorische Ersatzoperationen an der oberen Extremität.
Schlüsselgriffs mittels Transposition des M. brachioradialis auf den tiefen
Dtsch Ärztebl 96 A: 1134–1139
Daumenbeuger nach gleichzeitiger Tenodese des Daumenendgelenks mit-
Fridén J (2005a) Neue Konzepte zur Rekonstruktion der Arm- und Handfunk-
tels der distal gespaltenen FPL-Sehne bei einem Patienten nach Plexus-bra-
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chialis-Läsion (kombinierte N.-medianus-ulnaris-Parese). c Anpassung der
Handchir Mikrochir Plast Chir 37: 223-229
Sehnenspannung beim Kneifgriff der Daumenkuppe zur radialen Zeige
Fridén J (ed) (2005b) Tendon transfers in reconstructive hand surgery. Taylor
fingerseite der Sehnenspannung durch Prüfung des Tenodeseeffekts bei
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Handgelenkstreckung. (Aus Gohritz et al. 2007)
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geburtstraumatischen Plexuslähmungen. Orthopäde 26: 723–728
Gohritz A, Fridén J, Herold C, Aust M, Spies M, Vogt PM (2007) Ersatzoperatio-
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378 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand
43
44
Die Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion schränkt den Ge- Lähmungsausmaßes sowie der erhaltenen Restfunktion der gesam-
brauch der oberen Extremität, v. a. die Positionierung der Hand im ten oberen Extremität unter Berücksichtigung von Sensibilität,
Raum, so stark ein, dass eine chirurgische Wiederherstellung immer Schmerzen, aktiver und passiver Beweglichkeit und auch der Ge-
versucht werden sollte. brauchsfähigkeit und Geschicklichkeit (. Tab. 44.1, . Tab. 44.2).
Bei peripheren Nervenläsionen der oberen Extremität, v. a. des Wichtigste Voraussetzung für eine funktionell wertvolle Wieder-
Plexus brachialis, oder ausgedehnten Muskeldefekten hat die Rekon- herstellung der Ellbogenfunktion ist eine weitgehend freie passive
struktion der Schulterabduktion und -stabilität sowie der Ellbogen- Gelenkbeweglichkeit, die durch Krankengymnastik oder eine ope-
beugung oberste Priorität. Die Ellbogenstreckung ist v. a. bei Patien rative Gelenklösung (Arthrolyse) verbessert werden kann, sowie
ten mit hoher Querschnittslähmung (Tetraplegie) von großer Be- ausreichende Stabilität. Um den Mund zu erreichen, ist z. B. eine
deutung. Sie wird bei peripheren Lähmungen meist nur bei ausrei- Beugung von mindestens 120° nötig, das Streckdefizit sollte nicht
chender Ellbogenbeugung wiederhergestellt, kann aber auch hier über 30° betragen.
von großem Nutzen sein. Die verbliebene Kraft der primären Ellbogenmotoren muss
exakt bestimmt werden, hierbei sind auch Inhibitoren, wie z. B. kon-
trakte Antagonisten, zu beachten.
44.1 Grundlagen Bei der Auswahl der Spendermuskeln gelten die bekannten Re-
geln jeder Muskeltransposition, insbesondere muss der Motor eine
44.1.1 Evaluation des Patienten Stärke von mindestens M4 (Bewegung gegen Widerstand; . Tab. 38.5)
aufweisen, da bei der Verlagerung meist 1 Kraftgrad verloren geht.
Die Indikationsstellung richtet sich auch nach individuellen Fakto Eine Ausnahme besteht bei Kokontraktion verschiedener Mus-
ren des Patienten und den Ergebnissen einer eingehenden körper- keln, z. B. von M. triceps und M. biceps, die die Ellbogenbeugung
lichen Untersuchung. stören oder unmöglich machen kann. Bei der Verlagerung des
Die Bedürfnisse des Patienten werden durch Faktoren wie Alter, M. triceps auf den M. biceps addieren sich die Muskelkraftgrade,
Beruf, Händigkeit, funktionelle Ansprüche, Zukunftsaussichten und sodass in diesem Ausnahmefall für den M. triceps als Spendermus-
Wünsche bestimmt. Beispielsweise brauchen Patienten, die sich an kel nicht unbedingt ein präoperativer Kraftgrad M4 zu fordern ist,
Krücken oder mit einem Rollstuhl fortbewegen, eher eine kraftvolle sondern auch M3 funktionell wertvoll sein kann.
Ellbogenextension als -beugung. Diagnostisch kann hier eine temporäre Muskelblockade mit
Ziel ist ein Kraftgrad M3 (. Tab. 38.5) zur Positionierung der Botolinumtoxin erfolgen, z. B. zur Inaktivierung der Trizepskon-
Hand im Raum, von M4 zur Bewegung von Gegenständen. traktionen.
> Die Behandlungsziele müssen mit dem Patienten vor dem
Eingriff genau besprochen werden, er muss über die
Erfolgsaussichten, Komplikationen und Alternativen bei
44.1.2 Wahl des Zeitpunkts
Misserfolg genau informiert werden und selbst realisti
Liegt die Nervenläsion bei einer peripheren Lähmung mit Schädi-
sche Erwartungen an die geplante Operation entwickeln.
gung des unteren Motoneurons weniger als 6 Monate zurück, sollte
Die klinische Untersuchung basiert auf der Kenntnis der Muskel- immer eine nervale Rekonstruktion versucht werden – entweder
und Nervenanatomie der Ellbogenregion und der Feststellung des durch Nervennaht, Neurolyse, Nerventransplantation oder -trans-
. Tab. 44.2 Muskel- und Nervenanatomie der Ellbogenregion . Tab. 44.3 Lähmungsmuster und Auswahl an Spendermuskeln für
(Kennmuskeln und ihre Innervation . Tab. 40.4) die Ellbogenfunktion
position –, da eine anatomische Muskelreinnervation in der Regel Hier gelten die in 7 Kap. 38 dargelegten Regeln.
die besten Ergebnissen bringt. Wird nur eine partielle Funktionswie- An der Schulter richtet sich die Rekonstruktion v. a. auf den
derkehr erreicht, kann diese durch weitere Operationen, z. B. aug- N. axillaris (Abduktion durch den M. deltoideus) und den N. supra-
mentierende Muskeltranspositionen, verbessert werden. scapularis (Mm. infra- und supraspinatus zur Stabilisierung und
Bei lange Zeit bestehenden peripheren Lähmungen stehen mo- Außenrotation der Schulter). Bei der Rekonstruktion des N. muscu-
torische Ersatzoperationen zur Verfügung, deren Auswahl sich nach locutaneus, der aus dem supraklavikulären Plexus brachialis ent-
den zur Transposition geeigneten Spendermuskeln richtet. Sind kei- springt, müssen bei operativer Revision und segmentaler nervaler
ne lokalen Spendermuskeln verfügbar, bleibt die Möglichkeit der Rekonstruktion mit autologen Nerventransplantaten einige Beson-
mikrochirurgischen funktionellen Muskeltransplantation. derheiten beachtet werden.
Nach Rückenmarkläsion im Halsbereich (Tetraplegie) wird
i. Allg. 1 Jahr abgewartet, bis keine Funktionswiederkehr gelähmter Nervennaht und Nerventransplantation
Muskeln mehr erwartet werden kann, der Patient neurologisch stabil Da der N. musculocutaenus zu fast 50% aus sensiblen Fasern be-
ist und sich mit seiner Lähmung auseinandergesetzt und abgefunden steht, führt jede Naht und segmentale Wiederherstellung zu einem
hat. Die Anzahl der ansteuerbaren und potenziell transferablen Gemisch motorischer und sensibler Axone. Ein wesentlicher Anteil
Muskeln bestimmt die Gruppierung des Patienten in der Interna der motorischen Faser des Nervs erreicht so nicht die motorischen
tionalen Klassifikation und damit die rekonstruktiven Möglich- Einheiten, sondern geht durch Regeneration seines sensiblen En-
keiten (. Tab. 44.3). dastes, des N. cutaneus antebrachii lateralis, verloren. Dieser Axon-
verlust kann auf verschiedene Weise teilweise kompensiert werden:
4 Der distale N. cutaneus antebrachii lateralis wird direkt in den
44.1.3 Chirurgische Planung M. biceps brachii implantiert oder
4 bei irreparablem N. radialis wird der sensible Endast direkt mit
Vor allem bei ausgedehnten Verletzungen mit Beteiligung multipler dem motorischen Muskelast des M. brachioradialis koaptiert
Nerven muss eine Strategie zur Rekonstruktion von Schlüsselfunk- (Nagy 2005).
tionen festgelegt werden: In der Regel ist die Ellbogenbeugung das
oberste Ziel, dann die Abduktion und Außenrotation der Schulter, Bei Primärrekonstruktionen ausgedehnter supra- und retroklaviku-
erst dann folgen Ersatzoperationen an Unterarm und Hand. lärer Läsionen des Plexus brachialis bleibt der untere Stamm oft aus-
Solange eine Funktionsrückkehr nach Nervenverletzung im gespart. Reicht die Anzahl der Nerventransplantate für eine kom-
Schulter- und Ellbogenbereich noch realistisch ist (etwa 12–18 Mo- plette anatomische Rekonstruktion nicht aus, müssen in der Regel
nate nach der Läsion), sollte zunächst eine Nervenrekonstruktion folgende Prioritäten gesetzt werden (Millesi 1997):
oder Nerventransposition unternommen werden. 1. N. musculocutaneus zur Ellbogenbeugung (M. biceps brachii,
M. brachialis),
2. N. suprascapularis zur Innen- und Außenrotation der Schulter
(M. infra- und supraspinatus),
382 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion
3. N. axillaris zur Abduktion der Schulter (M. deltoideus), Die wichtigsten Techniken der motorischen Nerventransposition
4. N. radialis (proximalster Ast zum M. triceps, später Trizeps-pro- zur Wiederherstellung der Ellbogenfunktion sind in der . Übersicht
Bizeps-Ersatz möglich), zusammengefasst (mod. nach Wood u. Murray 2007). Die am häu-
5. N. thoracicus longus (M. latissimus dorsi). figsten gebrauchten Axonspender mit ihren Hauptindikationen sind
in 7 Kap. 38 vorgestellt.
Intraplexale Neurotisation an Schulter
und Ellbogen
Auswahlkriterien für motorische Neurotisationen
Bei kompletten Läsionen des Plexus brachialis bleibt in etwa der
Hälfte der Fälle ein Stumpf der C5-Wurzel in der Skalenusregion 4 Kurze Strecke zwischen Spendernerv und motorischem Ziel-
erhalten, die als Axonquelle genutzt werden kann. Meist wird ein organ
Nerveninterponat auf den Truncus superior gelegt, um neben der 4 Geringer Hebedefekt nach der Nerventransposition
Ellbogenbeugung auch eine brachiothorakale Zangenfunktion oder 4 Hoher Anteil des Spendernervs an motorischen Axonen
sogar eine sensible Wiederherstellung im Bereich des N. medianus 4 Spendernerv mit ursprünglich synergistischer Wirkung zum
zu erreichen. Empfängermuskel
Bei inkompletter Lähmung, v. a. im oberen Anteil, die sowohl 4 Spendernerv mit ähnlichem Durchmesser wie Empfänger-
die Schulter als auch die Ellbogenbeugung betreffen, werden zervi- nerv
kale Nervenstümpfe oft zur Reinnervation im Schulterbereich ver-
wendet. Die Rekonstruktion der Ellbogenbeugung erfolgt mit effek-
tiveren lokalen Nerventranspositionen (Nagy 2005).
Nn. intercostales
Extraplexale Neurotisation an Schulter Interkostalnerven sind gute Axonspender für verschiedene Nerven-
und Ellbogen transpositionen, meist zur Ellbogenbeugung. Sie werden am vorde-
Die effektivsten und häufigsten Nerventranspositionen an der Schul- ren Thorax durch subperiostale Dissektion am Unterrand der Rip-
ter sind die Neurotisation des N. suprascapularis durch den N. ac- pen gewonnen. Abgesehen von der schwierigen Dissektion können
cessorius und die Neurotisation des N. axillaris durch einen Ast zu sie aufgrund ihrer Lage jedoch geschädigt und nicht einsetzbar sein,
einem der Trizepsköpfe zur Wiederherstellung der Schulterabdukti- v. a. nach Hochrasanztraumata mit Thoraxbeteiligung, Rippenfrak-
on (. Tab. 44.4). turen mit Kallusbildung oder Verletzung bei der Anlage von Tho-
Alternative Axonquellen zur motorischen Neurotisation an der raxdrainagen. Weiterhin enthalten sie sowohl motorische als auch
Schulter sind die Nn. intercostales, N. thoracodorsalis, N. thoracicus sensible Nervenfasern, sodass stets mehrere Interkostalnerven zur
longus, Nn. pectorales mediales, N. phrenicus, ipsi- oder kontralate- Koaptation auf einen Empfängernerv zusammengefasst werden
rale Wurzel C7 und ausnahmsweise der N. hypoglossus. müssen, im ungünstigen Fall unter Verlängerung durch ein Nerven-
Bei der Wiederherstellung der Ellbogenfunktion durch extraple- transplantat.
xale Nerventransposition wird ein nicht geschädigter Spendernerv Ihre Bedeutung als Spendernerven hat daher abgenommen. Sie
aus der Umgebung so verlagert, dass er über eine möglichst kurze werden verwendet, wenn intraplexale Nerventranspositionen mit
Distanz die Innervation denervierter Muskeln wiederherstellt. So Faszikeln des N. ulnaris und N. medianus oder der Nn. pectorales
wird oft eine proximale Nervenverletzung, mit langer Regenerati- nicht zur Verfügung stehen (Wood u. Murray 2007).
onsstrecke und ungünstiger Prognose bei anatomischer Rekonstruk-
tion, in eine distalere Läsion mit besserer Erfolgsaussicht umgewan- N. accessorius
delt (. Tab. 44.4). Der XI. Hirnnerv enthält nur motorische Fasern und innerviert den
Hierbei gelten folgende Indikationen (Mackinnon et al. 2005 M. sternocleidomastoideus und M. trapezius, dessen obere und
2003; Nath u. Mackinnon et al. 2007): mittlere Innervation erhalten bleiben sollte. Die Nähe des N. acces-
4 Verletzungen des Plexus brachialis ohne unverletzte proximale sorius zum N. suprascapularis erlaubt eine direkte mikrochirur-
Nerven als mögliche Axonquellen. gische Koaptation. Nachteil der Neurotisation des weiter distalen
4 Proximale periphere Nervenverletzung mit langer Nervenrege- N. musculocutaneus oder des N. axillaris ist das meist notwendige
nerationsstrecke. Nerveninterponat, was in der Regel, auch bei Neurotisationen im
4 Vermeidung der Präparation im Gebiet früherer Rekonstruktion Schulterbereich, zu schlechteren Ergebnissen führt (Merrell et al.
von wichtigen Strukturen (z. B. von Gefäßen) oder von Gewebe- 2001).
vernarbung.
4 Schweres Extremitätentrauma mit segmentalem Gewebever- Faszikel des N. ulnaris und N. medianus
lust. Von Oberlin wurde 1994 die elegante und effektive Methode der
44 4 Alternativ bei ungünstiger Prognose einer konventionellen Ner- Reinnervation des M. biceps brachii mittels eines motorischen An-
ventransplantation (z. B. bei veralteten Verletzungen oder Pa teils des N. ulnaris beschrieben (Oberlin C, Beal D, Leechaveng-
tienten in höherem Lebensalter). vongs S et al. 1994). Dieses Vorgehen eignet sich besonders für Pati-
a d
44
. Abb. 44.1 a Obere Plexusläsion mit Ausfall der Ellbogenbeugung links
(M. biceps und brachialis jeweils M0). b Intraoperativer Situs der Verletzung
des oberen Plexus brachialis. c Doppeltransposition eines Faszikels des
N. ulnaris auf den M. biceps brachii und eines Faszikels des N. medianus auf
den M. brachialis. d, e Postoperatives Ergebnis 5 Monate postoperativ mit
kraftvoller Ellenbeugung bis 130°, Funktionsgrad M4. (Aus Gohritz et al.
c
2008)
44.2 · Operationstechnik
385 44
der Außendrehung kann in diesen Fällen der gemeinsame Ansatz »nutzloses Anhängsel« empfunden, in einer Schlinge getragen oder
der Mm. latissimus dorsi et teres major verlagert werden, sodass sie in den Hosenbund gesteckt, damit er nicht hinderlich ist. Auch nur
als Außenrotatoren wirksam werden. die Wiederherstellung der Schulterstabilität und damit der Kontrol-
le über den Arm, z. B. durch eine M.-trapezius-Verlagerung, ist für
Operationstechnik. Nach ventraler Ablösung des Ansatzes der bei- manche Patienten auch bei bescheidener Verbesserung der aktiven
den Muskeln wird dieser nach dorsal umgeleitet und in Außenrota- Beweglichkeit ein großer Gewinn.
tionsstellung des Arms in der Region des Infraspinatusansatzes rein-
seriert. Hierfür ist im Gegensatz zur Rotationsosteotomie eine passiv
wenig bis gar nicht eingeschränkte Außenrotation im Schultergelenk 44.2.3 Wiederherstellung der Ellbogenbeugung
erforderlich. Bei kontrakten Verhältnissen besteht zwar grundsätz-
lich auch die Möglichkeit zur Muskeltransposition, es muss dann Muskeltranspositionen
aber immer ein zusätzlicher ventraler »release« der Kapsel und der Zur Wiederherstellung der Ellbogenbeugung können folgende
Mm. pectoralis et subscapularis durchgeführt werden (7 auch Mod- Kraftspender verlagert werden: Flexor-Pronator-Muskeln, M. latis-
quad-Release, 7 Kap. 40, . Tab. 40.5). simus dorsi, M. pectoralis major und minor, M. triceps brachii.
Mikrochirurgisch können der M. gracilis, M. rectus femoris und
Nachbehandlung. Zur Sicherung des Operationsergebnisses ist M. latissimus dorsi verpflanzt werden.
eine postoperative Immobilisation in einer Thorax-Arm-Abduk Im Folgenden sollen die klassischen motorischen Ersatzoperati-
tionsorthese in 0–20° Abduktion und 0–20° Außenrotation für onen vorgestellt werden (. Tab. 44.5–44.7; Buck-Gramcko u. Nigst
6 Wochen erforderlich. 1991; Friden 2005; Nagy 2005; Nigst 1991; Zancolli 1979).
Ergebnisse. Die beschriebene Verlagerung von M. teres major und Proximalisierung der Flexor-Pronator-Muskeln
M. latissimus dorsi erreicht durch die verbesserte Außenrotation des Unterarms (Operation nach Steindler)
meist eine erhebliche Zunahme des Aktionsradius der Hand. Sie Diese erstmals 1918 von Steindler beschriebene Operation nutzt den
kann jedoch dadurch limitiert sein, dass bereits ein passives Außen- agonistischen Effekt der Unterarmbeuge- und Pronatormuskulatur
rotationsdefizit mit kontrakten Kapselverhältnissen besteht. Die (Mm. flexor carpi radialis, flexor carpi ulnaris, palmaris longus, fle-
Muskelverlagerung spielt deshalb insbesondere in der Behandlung xor digitorum superficialis und pronator teres), die als sekundäre
geburtstraumatischer Läsionen im Kindes- und Adoleszentenalter Ellenbeuger wirken. Ihr Hebelarm zur Ellbogenflexion wird ver
eine Rolle, wenn eine Innenrotationskontraktur durch konsequente bessert, indem der ursprünglich fast am isometrischen Punkt der
Krankengymnastik vermieden werden konnte. Ellbogenachse gelegene Ursprung am Epicondylus medialis um etwa
5 cm auf dem Humerus nach proximal verlagert wird.
Rotationsosteotomie des Humerus
Indikation. Stehen M. teres major und M. latissimus dorsi nicht als Indikation. Die Hauptindikation besteht zur Wiederherstellung der
Spendermuskeln für eine Transposition zur Verfügung, kann die Ellbogenbeugung bei Patienten mit normaler Kraft der Flexor-Pro-
Verbesserung der Außenrotation der Schulter alternativ durch eine nator-Muskulatur, bei denen eine schwache Restbeugung des Ellbo-
Humerusdrehosteotomie erreicht werden, die von Spendermuskeln gens augmentiert werden soll.
unabhängig ist. Die Beteiligung dieser Muskeln an der Ellbogenbeugung kann
bereits präoperativ getestet werden und ist ein gutes prognostisches
Operationstechnik. Operativ wird bei der Außenrotationsosteoto- Zeichen für die Wirksamkeit der Operation. Es empfiehlt sich eine
mie der Humerus subkapital oder istaler mit der oszillierenden Säge elektrophysiologische Untersuchung, um die Funktion des M. flexor
durchtrennt, der distale Humerusanteil um 30–60° nach außen ro- digitorum superficialis und des M. flexor carpi radialis zu prüfen.
tiert und in dieser Position mittels Ostesyntheseplatte stabilisiert. Die Operation wird erleichtert, wenn zuvor, v. a. bei oberen Ple-
Der Rotationssektor wird zugunsten der Außendrehung verschoben. xusläsionen, eine Schulterarthrodese durchgeführt wurde.
Nachbehandlung. Die Nachbehandlung erfolgt im Gilchrist-Ver- Vorteile. Der Eingriff ist technisch einfach, der funktionelle und
band, der aber schon nach wenigen Tagen zur frühfunktionellen kosmetische Hebedefekt sehr gering.
krankengymnastischen Übungsbehandlung abgenommen werden
kann.
. Tab. 44.5 Motorische Nerventranspositionen an der oberen Extre-
Ergebnisse. Mögliche Komplikationen sind temporäre Radialis mität. (Nach Mackinnon et al. 2005)
läsionen, Infektionen und sowohl Über- als auch Unterkorrekturen.
Durch die Korrekturosteotomie wird die Fehlstellung des spontan Rekonstruk Spendernerven Empfängernerv
übermäßig nach innen gedrehten Arms in eine physiologischere tionsziel
Armhaltung überführt. Das Anschlagen des Unterarms am Thorax
Ellbogen- 4 Nn. intercostales 4 N. musculo-
bei Ellbogenbeugung wird beseitigt, sodass die Hand von den Pati-
flexion 4 Nn. pectorales mediales cutaneus
enten postoperativ in die Gesichtsregion geführt werden kann. 4 Anteile des Plexus cervi-
calis, N. thoracodorsalis
Fazit
Der Erfolg von Sekundäroperationen an der Schulter lässt sich nicht 4 Teil des N. ulnaris (FCU) 4 Äste des N. mus-
4 Teil des N. medianus culocutaneus
allein anhand objektivierbarer Kriterien (Bewegungsumfang, Kraft-
(FCR) (M. biceps bra-
grade) beurteilen. Für viele Betroffene ist die Wiedererlangung der
4 Nn. pectorales chii und/oder
Kontrolle über den gelähmten Arm wesentlich wichtiger. Gerade bei brachialis)
kompletten Plexusläsionen wird der betroffene Arm häufig als
386 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion
Faszikel des 4 Wurzelausrisse C5, C6, C7 4 Vorübergehende Paresen von 4 Technisch einfach
N. ulnaris/medianus 4 Lähmung <10 Monate N.-ulnaris/medianus-inner- 4 Zuverlässige Funktionsrückkehr nach
vierten Muskeln kurzer Regenerationszeit
4 Sensible Ausfälle 4 Kurzer Zugang, wenig invasiv
Nn. intercostales 4 Obere oder totale Plexusläsion 4 Dehiszenz der Nervenkoapta- 4 Technisch schwierig
4 Lähmung <6 Monate tion bei Naht unter Spannung 4 Relativ geringe Axonanzahl
4 2 Nahtstellen
Nachteile. Bei alleiniger Steindler-Operation ergibt sich meist nur augmentierender Ersatzoperation eine Kraftzunahme von M1–2 auf
eine schwache Ellbogenbeugung, meist weniger als zu einer guten M4. Es verbleibt oft ein mittleres Streckdefizit von 10–20°.
Funktion notwendig ist. Zudem entsteht häufig ein sog. »Steindler-
Effekt«, der aus einer distalen Aktion des verlagerten M. pronator Nachbehandlung. Postoperativ erhält der Patient eine Oberarm-
teres sowie der Handgelenks- und Fingerflexoren bei Ellbogenbeu- gipsschiene in 100° Beugestellung und leichter Pronationsstellung
gung besteht. Die Ellbogenbeugung führt damit zu einer simultanen des Unterarms über 6 Wochen. Anschließend ist meist ein intensives
Pronation, Handgelenksbeugung und Faustschluss. Diese Kompli- Kräftigungstraining notwendig.
kation kann abgeschwächt werden, wenn der Ansatz am Humerus
nach lateral oder ventral verlagert wird. M.-pectoralis-major-Transposition
Als Komplikationen wurden zudem Dislokationen der verlager- Der M. pectoralis ist aufgrund seiner Innervation aus verschiedenen
ten Knochenschuppe, Irritationen des N. ulnaris und die Tendenz Anteilen des Plexus brachialis bei inkompletten Läsionen meist
zur Beugekontraktur des Ellbogens beschrieben. Vielen Patienten funktionell erhalten und macht ihn auch aufgrund seiner Kraft zu
fällt es zudem schwer, die Stellung des Handgelenks unabhängig von einem guten Spendermuskel (. Abb. 44.2).
44 der Position des Ellbogens zu kontrollieren, d. h. sie müssen das
Handgelenk in einer bestimmten Position fixieren, um den Ellbogen Indikation. Er eignet sich v. a., wenn er einen kräftigen sternokosta
zu beugen. len Anteil besitzt, bei Männern und wenn Alternativmethoden, v. a.
die Operation nach Steindler, nicht günstig erscheinen.
Operationstechnik. Bei der Verlagerung der Unterarmflexoren
und des M. pronator teres wird der mediale Epikondylus als Kno- Vorteile. Der Hebedefekt ist meist gering, v. a. wenn der proximale
chenschuppe abgetragen und das Knochenfragment mit der anhän- Ursprung auf der Klavikula nach medial versetzt wird und eine ge-
genden Muskulatur etwa 5 cm weiter proximal am distalen Humerus wisse Schulterabduktion erhalten bleibt.
festgeschraubt. Hierdurch ändert sich der Hebelarm für die Mus-
keln, sodass neben der regulären Funktion eine zusätzliche Ellbo- Nachteile. Der Eingriff ist technisch anspruchsvoll und erfordert
genbeugung resultiert. Durch diese Verlagerung lässt sich eine aktive eine sehr ausgedehnte Schnittführung über dem vorderen Thorax,
Ellbogenbeugung von etwa 90° und ein Kraftgrad M3 erreichen, bei die v. a. bei Frauen angesprochen werden sollte.
44.2 · Operationstechnik
387 44
a b
c d
. Abb. 44.2a–d M.-pectoralis-major-pro-Bizeps-Ersatz bei kompletter Ple- dermuskels. c Einpassung unter Spannung über der atrophierten Beuger-
xus-brachialis-Läsion infolge eines Motorradunfalls. a Intraoperatives Bild muskulatur. d Fixation am Ansatz der Bizepssehne. (Aus Gohritz A et al.
mit präoperativer Anzeichnung der Schnittführung. b Ablösung des Spen- 2007))
Operationstechnik. In Rückenlage werden der gesamte Hemitho- sive Flexions- und Pronationsübungen nach Abschluss der Wund-
rax und der Arm des Patienten abgedeckt. Der Zugang erfolgt durch heilung begonnen werden können. Danach wird auch die aktive
einen semizirkulären Schnitt entlang der Klavikula bis fast zum Ster- Beugung erlaubt, die Schiene verbleibt bis 10 Wochen postoperativ,
noklavikulargelenk und von dort nach distal über die Sternokostal- dann werden Übungen gegen Widerstand begonnen.
gelenke. Alternativ, v. a. bei Frauen, kann auch eine laterale submam-
märe Inzision durchgeführt werden. In der Ellenbeuge reicht meist M.-latissimus-dorsi-Transposition
eine beugeseitige S-förmige Inzision. Der aus den Wurzeln C6–8 innervierte M. latissimus dorsi besitzt
Nach Anlage von Markierungsnähten zur Festlegung der Muskel- ausreichend Kraft und Exkursion, um alle Ellbogenflexoren zu erset-
spannung erfolgt die Freilegung des M. pectoralis major mit Anteilen zen. Er wurde bereits 1920 von Lexer zum motorischen Bizepsersatz
von Periost und Teilen der äußeren Aponeurose an seiner unteren beschrieben (Lexer 1920). Die bipolare Transposition, von Schott-
Grenze. Durch Anhebung der unteren Muskelanteile werden die er- staedt vorgeschlagen, wird häufig der unipolaren Technik vorge
nährenden Gefäße und die beiden Pektoralnerven erkennbar. Nach zogen.
Dissektion des neurovaskulären Stiels lässt sich die halbkreisförmige
Ablösung des Muskels vervollständigen. Der dreieckige Muskel kann Indikation. Die wichtigste Indikation für den Latissimustransfer
am leichtesten längs eingerollt in den Oberarm eingepasst werden. besteht bei kräftigem M. latissimus dorsi ohne günstige Vorausset-
Vor der bipolaren Transposition des M. pectoralis werden der zungen zur Proximalisierung der Flexoren- und Pronatormuskeln
sternoklavikuläre Ursprung und humerale Ansatz abgelöst. Der ge- des Unterarms. Vor der Wahl dieser Methode zur Rekonstruktion
hobene Muskel wird danach 90° gedreht, zur proximalen Fixation der Ellbogenbeugung sollte geprüft werden, ob sich der Muskel auch
werden das Akromion und das Lig. acromioclaviculare bevorzugt. zur Verbesserung der Schulterfunktion eignet (z. B. Wiederherstel-
Unter Beachtung der Nahtmarken wird der Muskel in 90° Ellbogen- lung der Außenrotation).
beugung auf die richtige Länge gezogen und über dem atrophierten
M. biceps mit dessen Sehne vernäht. Vorteile. Ein großer Vorteil ist, dass in der Regel bei tolerierbarem
Spenderdefekt eine kräftige Beugefunktion des Ellbogens wieder-
Nachbehandlung. Postoperativ erfolgt eine 6-wöchige Immobilisa- hergestellt werden kann.
tion im Gilchrist-Verband zur Sicherung der Fixationen, wobei pas-
388 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion
a c
Nachteile. Der offensichtliche Nachteil dieser Methode besteht im Nachteile. Die Methode erfordert eine äußerst komplexe operative
Verlust der aktiven Ellbogenstreckung, wodurch einer ungestörten Technik und setzt hohe mikrochirurgische Fähigkeiten des Opera-
390 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion
teurs voraus. Die Ergebnisse sind gegenüber konventionellen Mus- primär auf einer genauen körperlichen Untersuchung mit manueller
keltranspositionen bisher oft weniger zuverlässig. Prüfung der Muskelkraft, weiterhin – in Absprache mit dem Patienten
– auf den unterschiedlichen Nachbehandlungsschemata (Friden 2005;
Operationstechnik. Das operative Vorgehen richtet sich nach dem Hentz u. Leclerq 2002; Kozin 2003; Moberg 1978; Zanconelli 1979).
jeweiligen Spendermuskel. Die Einzelheiten überschreiten das Ausmaß
dieses Übersichtsartikels; es sei auf die entsprechenden Angaben in der M.-triceps-Ersatz mit dem hinteren M. deltoideus
Literatur hingewiesen (Chuang 2007; Doi et al. 2000; Nagy 2005). Die Verlagerung der Pars posterior des M. deltoideus wird von vielen
Proximal werden die Muskeltransplantate meist am Akromion Autoren bevorzugt, v. a. bei kräftigem M. deltoideus. Diese Technik
oder dem Lig. coracoacromiale und distal an der anatomischen macht jedoch die Interposition eines Sehnentransplantates (meist
Insertion auf der Bizeps- oder Trizepssehne befestigt. Bei totaler M. tibialis anterior), autologen (Fascia lata) oder synthetischen
Plexuslähmung kann eine Fixation auf den Finger- oder Handge- Materials notwendig, um eine Sehnennaht mit dem M. triceps zu
lenks- und Fingerbeugern durchgeführt werden, um eine gleichzei- erreichen.
tige Aktion von Ellbogen und Handgelenk zu erzielen. Die operative Technik ist in 7 Kap. 45 ausführlich dargestellt.
Nachbehandlung. In der Regel erfolgt die Ruhigstellung im Ober- Nachbehandlung. Postoperativ wird für 4 Wochen eine Ruhig
armgips in 100° Beugung und Supinationsstellung. Nach der Wie- stellung im Gipsverband durchgeführt, um eine stabile Heilung der
derherstellung des passiven Bewegungsausmaßes wird mit aktiver Sehnennaht zu schützen. Nach der Gipsabnahme wird für weitere
Kräftigung erst begonnen, wenn der transplantierte Muskel kli- 8 Wochen eine verstellbare Ellbogenorthese angelegt. Die Ellbogen-
nisch oder im EMG Aktivität zeigt, meist frühestens nach 6 Mona- beugung wird schrittweise alle 2 Wochen um 10° gesteigert, und erst
ten. Zeigt sich keine Reinnervation, sollte eine Revision erfolgen. ab einer Flexion von 90° kann die Schiene abgenommen und die
Im weiteren Verlauf ist bei diesen Patienten immer intensive Arbeit gegen Widerstand erlaubt werden.
Physiotherapie, v. a. zur Kräftigung des Muskels, unabdingbar. Ab dem 1. postoperativen Tag trägt der Patient für 4 Monate eine
spezielle Armstütze, die eine Adduktion der Schulter verhindert, die
zu einer Überdehnung der Sehnennaht führen kann. Zudem braucht
44.2.4 Rekonstruktion der Ellbogenstreckung der Patient in der Regel für die Dauer der Nachbehandlung einen
elektronisch betriebenen Rollstuhl. Beim Schlafen erhält er eine sta-
Muskeltranspositionen bile Schiene, die den Arm in einer leicht abduzierten Position hält.
Die Ellbogenstreckung wird mittels Verlagerung des hinteren An- Speziell beim Umdrehen muss auf eine leicht abduzierte Haltung des
teils des M. deltoideus zum Olekranon oder durch Bizeps-pro-Tri- Arms geachtet werden.
zeps-Ersatz wiederhergestellt (. Tab. 44.8). Der M. triceps brachii
wird aus dem Segment C7 versorgt und ist daher nach einer Schädi Komplikationen. Vor allem muss hier eine Überdehnung oder
gung des Rückenmarks im Halsbereich (Tetraplegie) meist gelähmt. Ruptur der Sehnennaht (bei zu früher oder übermäßiger Belastung)
beachtet werden (7 oben), selten kommt es später zum mechani
> Die Wiederherstellung der Funktion des M. triceps brachii
schen Versagen des Sehnentransplantates. Möglich ist eine Funk
ist integraler Bestandteil der chirurgischen Rehabilitation
tionseinschränkung durch Spastizität des M. biceps brachii oder
der oberen Extremität von Tetraplegikern, weil die aktive
durch mangelnde Kooperation des Patienten bei der postoperativen
Ellbogenstreckung unbedingt notwendig ist, um die Hand
Nachbehandlung.
im Raum einzusetzen und Manöver zur Druckentlastung
(der Sitz- oder Liegefläche) durchzuführen. M.-triceps-Ersatz mit dem M. biceps brachii
Zusätzlich wirkt eine aktive Ellbogenstreckung antagonistisch auf Die Bizepsverlagerung hat in den letzten Jahren verstärkt bei hohen
den M. brachioradialis und erreicht so eine bessere Steuerbarkeit Querschnittslähmungen an Bedeutung gewonnen.
von dessen Funktion nach einer Verlagerung zur Wiederherstellung
der Handgelenksextension, Daumen- oder Fingerbeugung. Vorteile. Die Operationstechnik und die Nachbehandlung sind ein-
Die Standardverfahren sind die Verlagerung des hinteren M. del- facher als bei der Deltoideustransposition. Bei kräftigem M. biceps
toideus oder des M. biceps brachii. Die Verfahrensauswahl beruht brachii wird in der Regel eine Ellbogenstreckung von M4 erreicht.
Jedes Jahr erleiden allein in Deutschland über 1000 Patienten eine Eine völlige Asensibilität der Hand kann den Nutzen funktio-
Querschnittslähmung – meist junge Männer nach Verkehrs-, Sport neller Rekonstruktionen in Frage stellen, meist ist aber ab der Grup-
oder Badeunfall. In etwa 50% der Fälle bewirkt eine Halsmarkschä pe IC 1 eine diskriminative Sensibilität am Daumen und oft auch an
digung die komplette Lähmung der unteren und den Teilverlust der Radialseite des Zeigefingers gegeben.
der oberen Extremitätenfunktion (traumatische Tetraplegie; Bühren Die häufig bei Tetraplegikern vorliegende Spastik muss sich nicht
et al. 1999). Die chirurgische Verbesserung der Hand- und Armfunk- negativ auswirken, da sie von den Patienten stabilisierend eingesetzt
tion ist seit den 1970-er Jahren, v. a. durch die Pionierleistungen von werden kann, sie ist außer bei inkompletten Lähmungen an Armen
Erik Moberg aus Schweden (»Their hands are their life«), in einigen und Händen meist milder ausgeprägt als an der unteren Extremität.
Ländern fester Bestandteil der Versorgung dieser Patienten (Moberg
1975, 1979). Ziel es, ist das verbliebene motorische Potenzial an Schul-
ter, Arm und Hand durch Sehnentransposition optimal einzusetzen. 45.1.2 Zeitpunkt der Operation
Obwohl leider viel zu selten angewandt, bieten motorische Er-
satzoperationen bei mehr als 70% der Patienten mit Querschnitts- Die Operationen werden erst nach der neurologischen Stabilisierung
lähmung im Halsmarkbereich (Tetraplegie) die Möglichkeit zu einer und Rückkehr der verbliebenen motorischen Fähigkeiten durchge-
gebesserten Handfunktion. Die Wiederherstellung von Grundfunk- führt. Der Patient muss motiviert sein und sich in einem guten All-
tionen wie der Handgelenkstreckung, eines Kneifgriffs zwischen gemeinzustand befinden mit stabiler Atmung, Blasenfunktion und
Daumen und Zeigefinger (»key grip«) oder der Fingerbewegung er- neurovegetativer Funktion. Infekte, z. B. der Haut oder Harnwege,
möglicht eine wesentliche Steigerung der Gebrauchsfähigkeit der dürfen nicht vorliegen. In der Praxis sind diese Bedingungen selten
Hand und damit neue Mobilität und mehr Selbstständigkeit und früher als 1 Jahr nach dem Unfall erfüllt, manchmal erst später.
Unabhängigkeit von fremder Hilfe sowie eine Reduktion des Pflege- Der Patient muss seine Behinderung als endgültig akzeptiert ha-
und Kostenaufwandes. ben und über die Möglichkeiten und Grenzen einer Funktionsbes-
serung realistisch informiert sein. Der Kontakt und Austausch mit
bereits operierten Patienten kann hier ist sehr wertvoll sein.
45.1 Grundlagen
45.1.1 Operationsindikation 45.1.3 Teamkonzept
Indikationsstellung Von zentraler Bedeutung ist die Zusammenarbeit in einem Team aus
Die Möglichkeit zur Funktionsbesserung sind stark von der Höhe Ärzten, Krankengymnasten, Ergotherapeuten und Psychologen, die
der Querschnittslähmung abhängig. Oberhalb von C5 ist keine mit querschnittsgelähmten Patienten und motorischen Ersatzopera-
chirurgische Verbesserung möglich. Bei einer Schädigung auf Höhe tionen vertraut sind. Es ist von Vorteil, solche Operationen an Quer-
C5 lässt sich nur eine rudimentäre Funktion erzielen, bei C6–C8 sind schnittsgelähmtenzentren in Kooperation mit einem Handchirurgen
deutlich günstigere funktionelle Ergebnisse möglich. durchzuführen.
> Insgesamt können mindestens 70% aller Tetraplegiker von
funktionellen Operationen profitieren (Moberg 1979).
45.2 Operationstechniken
Mittels motorischer Ersatzoperationen wird zuerst die die Ellbogen-
und Handgelenkstreckung wiederhergestellt oder gebessert, dann 45.2.1 Wiederherstellung der Ellbogenstreckung
ein passiver oder aktiver Kneifgriff zwischen Zeigefinger und Dau- (Trizepsfunktion)
men (Schlüsselgriff) geschaffen, bei genügend Spendermuskeln er-
gänzt durch eine aktive Daumen- und Fingerbeugung. Zentrale Be- Der M. triceps brachii wird aus dem Segment C7 versorgt und ist
deutung hat die Handgelenkstreckung, da durch den bei der Funk- daher nach einer Schädigung des Rückenmarks im Halsbereich
tionshand gebildeten Tenodeseeffekt das Öffnen oder Schließen der (Tetraplegie) meist gelähmt. Bei Tetraplegikern mit hohem und
Finger und des Daumens möglich wird. Zudem werden Umstel- mittlerem Läsionsniveau und fehlender Ellbogenextension ist der
lungsosteotomien, Arthrodesen und Tenodesen genutzt. Aktionsradius der Hand minimal, sie kann nur durch eine schleu-
Hierbei ist unabdingbar, dass die chirurgische Rehabilitation mit dernde Trickbewegung gegen die Schwerkraft vom Körper wegbe-
größter Sicherheit zu einer Verbesserung der Gebrauchsfähigkeit der wegt und im Raum platziert werden: Neu gewonnene Greiffunkti-
oberen Extremität für den Patienten führt. Dies setzt eine sorgfältige onen wären kaum einsetzbar.
Untersuchung und Beratung des Patienten voraus, um gemeinsam
> Die Wiederherstellung der Funktion des M. triceps brachii
einen Behandlungsplan aufzustellen, der das zu erwartende Ergebnis
ist integraler Bestandteil der chirurgischen Rehabilitation
und den individuellen Gewinn detailliert vorhersagt (Fridén 2005).
der oberen Extremität von Tetraplegikern, weil die aktive
Mit der international gültigen Klassifikation kann die Indikation
Ellbogenstreckung unbedingt notwendig ist, um die Hand
45 zur Operation unter Berücksichtigung der noch vorhandenen Funk-
tion exakt festgelegt werden. Entscheidend für die Eingruppierung
im Raum einzusetzen und Manöver zur Druckentlastung
(der Sitz- oder Liegefläche) durchzuführen.
ist die Anzahl der gegen Widerstand beweglichen und damit trans-
ponierbaren Muskeln (Kraftgrad >M4; . Tab. 38.5; McDowell et al. Zudem beruhen viele Techniken zur Wiederherstellung der Greif-
1986). funktion der Hand auf einer Transposition des M. brachioradialis,
dessen beugende Wirkung am Ellbogen nach einer Transposition
Kontraindikationen neutralisiert oder antagonisiert werden muss, um eine gute Steuer-
Es gelten die allgemeinen Regeln motorischer Ersatzoperationen, barkeit der Hand zu erreichen.
v. a. müssen die betroffenen Gelenke passiv frei beweglich und die Zur Wiederherstellung der Ellbogenstreckung gibt es 2 klas-
Patienten zur aktiven Nachbeübung motiviert und fähig sein. sische Möglichkeiten:
45.2 · Operationstechniken
395 45
4 die Transposition des hinteren M.-deltoideus-Anteils (Moberg Spina scapulae über dem hinteren Anteil des M. deltoideus und
1979) und reicht etwa 5 cm nach distal, sodass die Tuberositas des M. del-
4 die Umlagerung des M. biceps brachii (Nigst 1991; Mohammed toideus dargestellt wird. Der M. deltoideus wird mobilisiert und
et al. 1992). die Grenze zwischen dem mittleren und dem hinteren Anteil
bestimmt (. Abb. 45.1a).
Erstere Technik hat den Nachteil, dass ein Interponat zwischen dem Der hintere Muskelanteil wird identifiziert und mit dem Periost
distalen Deltoideusende und der Trizepssehne notwendig ist. Nach- abgelöst. Hierbei muss die dorsal gelegene Aponeurose des
teil der M. biceps-Transposition ist, dass sie die Ellbogenbeugung Spendermuskels unbedingt erhalten und bei der Ablösung des
schwächt. Muskels eingeschlossen werden, da sie als einzige Struktur genug
Die Verfahrensauswahl beruht primär auf einer genauen körper- Stabilität zur Befestigung des Sehnentransplantates bietet. Sie
lichen Untersuchung mit manueller Prüfung der Muskelkraft, wei- reicht mit ihrem distalen Anteil durchschnittlich bis 16 mm pro-
terhin in Absprache mit dem Patienten auf den unterschiedlichen ximal des Apex der Insertion. Bei der weiteren Präparation sind
Nachbehandlungsschemata. der N. axillaris, der N. radialis und die A. circumflexa humeri zu
schonen.
Operationstechnik. Als Standardtechnik soll hier die Transposition 4 Gewinnung des Sehnentransplantats des M. tibialis anterior:
des hinteren M.-deltoideus-Anteils kurz dargestellt werden: Die Die Sehne des M. tibialis anterior wird durch eine anteriore In-
Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten mit frei beweglicher, zision an ihrer Insertion und am muskulotendinösen Übergang
steriler Auslagerung des Arms in leichter Abduktion auf dem Hand- durchtrennt und herausgezogen (. Abb. 45.1b).
tisch, in Blutleere (250 mm Hg) und Intubationsnarkose oder Ple- 4 Proximale und distale Verbindung von M. deltoideus und
xusanästhesie mit Blockade des N. axillaris. Es erfolgt die Desinfek- M. triceps: Der hintere Anteil des M. deltoideus wird nach pro-
tion und sterile Desinfektion der gesamten oberen Extremität und ximal mobilisiert, und es wird ein subkutaner Tunnel von der
des gegenseitigen Unterschenkels zur Sehnentransplantatentnahme. Insertion des M. deltoideus zur distalen Trizepssehne durch
4 Darstellung des M. deltoideus (pars posterior): Der Zugang eine dorsale Inzision auf Höhe des Olekranons geschaffen
beginnt über eine S-förmige Inzision etwa 2 cm unterhalb der (. Abb. 45.1c). Die Sehne des M. deltoideus und das Sehnen-
a c
b d
. Abb. 45.1 a Trennung des hinteren vom vorderen Anteil des M. delto- laufender Technik vernäht. e Distale Fixierung zwischen Sehnentransplantat
ideus, der mit dem Periost und der dorsal gelegenen Aponeurose abgelöst und Trizepssehne. f Stahlmarkierungen zur postoperativen Abstandskon-
wird. b Entnahme der Sehne des M. tibialis anterior durch anteriore Inzision. trolle zwischen Spendermuskel (M. deltoideus), Sehneninterponat und
c Proximale Mobilisierung des hinteren Anteils des M. deltoideus und sub- Empfängermuskel (M. triceps brachii), z. B. um eine Überdehnung frühzeitig
kutane Tunnelierung bis zum Olekranon für das Sehnentransplantat. d Die erkennen zu können (g Nachbehandlung mit spezieller Armstütze). h Erheb
Sehne des M. deltoideus und das Sehnentransplantat des M. tibialis anterior liche Erweiterung des Aktionsradius der Hand durch Wiederherstellung der
werden proximal etwa 5 cm überlappend mit 5-0-Ethibon-Nähten in fort- Ellbogenstreckung. (Aus Fridén et al. 2008)
396 Kapitel 45 · Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern
e g
f h
. Abb. 45.1 (Fortsetzung)
transplantat des M. tibialis anterior werden proximal etwa 5 cm Die Nachbehandlung der Deltoideustransposition wurde von
überlappend mit 5-0-Ethibon-Nähten in fortlaufender Technik Moberg (1975, 1979) genau beschrieben. Die Ellbogenstreckung
vernäht (. Abb. 45.1d). darf nur schrittweise um 15° pro Woche gesteigert werden, um eine
Das Sehnentransplantat wird an der distalen Sehnenverbindung Überdehnung der Sehnennaht zu verhindern. Die Schulterabduk
durch mehrere Schlitze in der flachen Trizepssehne gezogen und tion ist zu vermeiden (Fridén 2005). Ab einer Flexion von 90° kann
festgenäht (. Abb. 45.1e). Die Muskel-Sehnen-Einheit wird in die Schiene abgenommen und die Arbeit gegen Widerstand erlaubt
eine mittlere passive Spannung gebracht, indem der Arm mit werden.
extendiertem Ellbogen an den Körper gelegt wird.
45 Zur Markierung werden an 4 verschiedenen Positionen rostfreie
Stahlnähte der Stärke 3-0 eingebracht:
Nachuntersuchung. Bei der standardmäßigen Nachuntersuchung
der Patienten nach 4 und 6 Wochen sowie 3 und 6 Monate nach der
5 an der Deltoideussehne, Operation werden Röntgenbilder angefertigt, auf denen sich der
5 am proximalen Ende des Sehnentransplantates, Abstand zwischen den Markierungen 1 und 2 (definiert als das pro-
5 am distalen Ende des Sehnentransplantates, ximale Intervall) und zwischen 3 und 4 (distales Intervall) unter
5 an der Trizepssehne im Abstand von 3 cm (. Abb. 45.1f). Verwendung eines Kalibrierungslineals messen lässt. So kann eine
Überdehnung frühzeitig erkannt und z. B. das Beübungsprogramm
Nachbehandlung. Nach eingehendem Wundverschluss und Ver- angepasst werden.
bandanlage wird ein gespaltener Oberarmgips in etwa 10–15° Ellbo-
genstreckung angelegt.
45.2 · Operationstechniken
397 45
. Tab. 45.1 Internationale Einteilung der Voraussetzungen einer beabsichtigten chirurgischen Rekonstruktion der Arm- und Handfunktion
bei Tetraplegie. (Nach McDowell et al. 1986, mod. nach Nigst 1991)
0 Oa oder Cub Kein transponierbarer Muskel unterhalb des Ellbogens Flexion und Supination des Ellbogens
10 Ausnahmen
a
O=»ocular«: Adäquates Sehvermögen, Augenkontrolle (2-Punkte-Diskrimination am Daumen >10 mm).
b
Cu=»cutaneous«: Nützliche sensorische Afferenzen von den Händen vorhanden=kutane Sensibilität (2-Punkte-Diskriminierung an der Daumen
kuppe ≥10 mm).
45.2.2 Wiederherstellung der Greiffunktion zusätzliche Tenodese des M. flexor pollicis longus am Radius ver-
nach Gruppen der Internationalen stärkt. Die erreichte Greifform ist schwach und passiv, da sie voll-
Klassifikation (IC) kommen von der Position des Handgelenks abhängt, bedeutet aber
einen erheblichen Funktionsgewinn. Sie ermöglicht einseitiges Hal-
Bei der Rekonstruktion der Greiffunktion hängt die Wahl des Ein- ten und Handhaben von leichten Gegenständen, z. B. von Papieren,
griffs eng mit der Anzahl zur Umlagerung geeigneter und zur Ver- einer Zahnbürste oder Gabel (. Abb. 45.2).
fügung stehender Muskeln zusammen, die eine Gruppeneinteilung
bestimmt (. Tab. 45.1). Aktiver Schlüsselgriff (M.-brachioradialis-
Transposition auf den M. flexor pollicis longus)
Gruppe IC 0 Besteht neben dem M. brachioradialis dank des zusätzlich funktio-
Diese Patienten verfügen über keinen für eine motorische Ersatzpla- nierenden M. extensor carpi radialis longus (ECRL) eine aktive,
stik nutzbaren Muskel unterhalb des Ellbogens, und so sind durch kräftige Handgelenkstreckung, besitzen die Patienten durch den
Muskeltranspositionen bei diesen Patienten keine Funktionsverbes-
serungen an der Hand zu erzielen. Durch die Implantation von Elek-
troden zur Aktivierung von Muskeln unterhalb des Läsionsniveaus
lässt sich jedoch z. B. eine nützliche Greiffunktion zwischen Dau-
men und Zeigefinger wiederherstellen. Der Nachteil des Verfahrens
liegt darin, dass der Patient darauf angewiesen ist, dass die äußeren
Impulsgeber täglich neu angebracht werden. Neben dem hohen
technischen Aufwand haben die hohen Primär- und Folgekosten
dazu geführt, dass das System seit einigen Jahren aus wirtschaft-
lichen Gründen nicht mehr für Neuimplantationen zur Verfügung
steht (Landi 2003).
Gruppe IC 3
b
In der Gruppe IC 3 funktionieren neben dem M. brachioradialis bei-
de radialen Handgelenkstrecker, also ECRL und M. extensor carpi
radialis brevis (ECRB). Neben dem aktiven Schlüsselgriff durch BR-
auf-FPL-Transposition ermöglicht der motorische Ersatz der tiefen
Fingerbeuger durch den ECRL einen globalen Faustschluss (gleich-
zeitige Greifbewegung aller Finger). Damit die Hand nicht geschlos-
sen bleibt, ist es sinnvoll, auch die Fingerstreckung zu reaktivieren.
Aufgrund der gegensätzlichen Nachbehandlung müssen die Hand-
öffnung und der Handschluss getrennt voneinander und zweizeitig
im Abstand von mindestens 3–6 Monaten durchgeführt werden. Die
Reihenfolge hängt von der Philosophie der Chirurgen ab. Oft wird,
wie beim natürlichen Greifvorgang, zunächst die Handöffnung re-
konstruiert (Leclercq 2002).
Die Streckung von Fingern und Daumen wird passiv durch Te-
nodese am Radius erreicht (Moberg 1979). Neben der Tenodese der
Daumen- und Fingerstrecker kann simultan der Daumenstrahl
durch Sattelgelenksarthrodese dem Zeigefinger beim Schlüsselgriff
c
gegenübergestellt werden. Eine aktive Motorisierung ist z. B. durch
. Abb. 45.3a–c Vergleich der Greifmöglichkeit eines 21-jährigen Tetraple- den M. pronator teres möglich. Die intrinsische Funktion der
45 gikers der Gruppe 7 zur Bewegung des Rollstuhlrades a vor und b nach
Rekonstruktion eines Schlüsselgriffs zwischen Daumen und Zeigefinger
Mm. interossei wird mit der »Lassotechnik« nach Zancolli wieder-
hergestellt (Zancolli 1975), um zu verhindern, dass die Aktivierung
mittels BR-pro-FPL-Transposition. c Globalgriff mit Beugung der Finger der Fingerbeugung zur Bildung einer »Kralle« führt, durch die alle
durch ECRL-pro-FDP-Transposition (Operation nach Lamb). (Aus Gohritz kleineren Gegenstände hindurch fallen können.
et al. 2007) Die Fingerbeuger werden durch den M. extensor carpi radialis
longus ersetzt, der lange Daumenbeuger durch den M. brachiora
dialis, verbunden mit der oben beschriebenen Stabilisierung des
Daumensattelgelenks.
Diese Operationen geben dem Patienten einen Lateralgriff und
eine Greifmöglichkeit der gesamten Hand mit Kraft (»grasp«), mit
45.2 · Operationstechniken
399 45
der er große Gegenstände, wie z. B. Flaschen, Mobiltelefone oder
Gegenstände mit Griff oder Henkel handhaben kann. Dies ermögli-
cht ihm oft eine fast vollkommene Unabhängigkeit beim Anziehen,
Waschen der oberen Körperhälfte, Essen und der Zubereitung von
Mahlzeiten.
Gruppen IC 4 und 5
Bei diesen Untergruppen wird die gleiche therapeutische Strategie
angewendet, weil zusätzlich der M. pronator teres (PT) für eine mo-
torische Ersatzplastik verfügbar ist. Der in Gruppe 5 zusätzlich ak-
tive M. flexor carpi radialis (FCR) wird als wichtiger Handgelenk
stabilisator nicht verlagert. In beiden Gruppen stehen also der BR,
der ECRL und der PT für die Wiederherstellung der aktiven Finger-
und Daumenstreckung, Fingerbeugung und Daumenbeugung zur
Verfügung.
Hierdurch ist der gleiche Funktionsgewinn wie in Gruppe 3
a
möglich, zudem fällt durch die aktive Handöffnung das Ergreifen
größerer Gegenstände (z. B. Flaschen) leichter. Der gleichmäßigere
Muskeltonus wirkt sich positiv auf die Ästhetik der Hand und den
zwischenmenschlichen Kontakt (Handgeben oder Liebkosen) aus.
Gruppe IC 6
Hier liegt eine schwache Streckung der Finger vor, nicht aber des
Daumens. Dieser nicht antagonisierte Streckertonus kann zu einer
flachen, permanent gestreckten Hand führen, auf die der Tenode-
seeffekt des Handgelenks kaum wirken kann, sodass sich ohne vor-
bereitende Maßnahmen keine funktionell wertvolle Ersatzfunktion
zwischen Daumen und Zeigefinger ergibt.
In einem ersten Schritt wird die Daumenstreckung wiederher-
gestellt, entweder durch seitliche Naht der EPL-Sehne an ausrei-
chend kräftige Fingerstrecker oder durch Tenodese am Radius.
Simultan wird die Funktion der Mm. interossei mittels Lassoplastik
wiederhergestellt. Der zweite Operationsschritt entspricht dem
zweiten Operationsschritt für die Gruppen 4 und 5. Der BR kann b
entweder zur Verstärkung der Flexions-Abduktions-Bewegung des
Daumens oder der Lassowirkung verwendet werden.
Gruppe IC 7
Bei intakter Daumen- und Fingerstreckung kann die Rekonstruk
tion auf der Beugeseite ohne Operationen der Streckseite rekons
truiert werden, meist durch Motorisierung der Fingerbeuger mit-
tels ECRL. Für die Daumenbeugung werden der BR oder der PT
verwendet.
Mittels weiterer für motorische Ersatzoperationen nutzbarer
Muskeln kann die Greifform verfeinert werden, z. B. durch Lasso
plastik (mittels M. brachioradialis), Antepulsionsplastik oder Re-
konstruktion der Palmarabduktion des Daumens (durch M. exten-
sor digiti minimi oder M. extensor indicis) oder Opponensplastik
(mittels M. brachioradialis oder M. flexor carpi ulnaris).
Die Transposition des M. digiti minimi auf den gelähmten
c
M. abductor pollicis brevis ermöglicht eine exakte Positionierung
der Daumenkuppe auf der Radialseite des Zeigefingers und ei- . Abb. 45.4 a Mobilisierung, distale Absetzung und b Durchzug des
nen in Kraft und Richtung dosierbaren subterminalen Griff, mit M. digiti minimi durch die Membrana interossea zur Motorisierung des
dem selbst kleine und runde Gegenstände, wie z. B. Tabletten, be- gelähmten M. abductor pollicis brevis. c Nach Neuinsertion gewinnt
herrscht und feinmotorische Tätigkeiten bewältigt werden können der Patient die Palmarabduktion des Daumens wieder und kann so den
(. Abb. 45.4). 1. Zwischenfingerraum aktiv öffnen und die Daumenkuppe auf der Radial-
Die Lasso- und die Opponensplastik verstärken den Grobgriff seite des Zeigefingers positionieren und Kraft sowie Richtung des sub
und schaffen damit eine annähernd normale Handfunktion. terminalen Griffs abstimmen. (Aus Gohritz et al. 2007)
Gruppe IC 8 und 9
Bei diesen Patienten entspricht das motorische Defizit weitgehend
einer kombinierten peripheren Lähmung von N. medianus und
400 Kapitel 45 · Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern
45 Langzeitstudien bewährt. In der Regel sind die Patienten mit dem lung der Ellenbogenstreckung. Unfallchirurg 111: 102–106
erreichten Ergebnis zufrieden. In kaum einem anderen Gebiet Gohritz A, Fridén J, Herold C, Aust M, Spies M, Vogt PM (2007) Ersatzoperatio-
nen bei Ausfall motorischer Funktionen an der Hand. Unfallchirurg 110:
scheint es möglich, Patienten schon durch kleine Fortschritte einen
759–776
so großen Gewinn zu schenken:
Hentz VR, Leclercq C (2002) Surgical rehabilitation of the upper limb in tetra-
plegia. WB Saunders, London
If you have nothing, a little is a lot. (Sterling Bunnell) Landi A (2003) Update on tetraplegia. J Hand Surg (Br) 28 (3): 196–204
Leclercq C (2002) Surgical rehabilitation for the weaker patients (Groups 1
Fehler (. Übersicht) sind extrem selten, können den Operationser- and 2 of the International Classification) in the tetraplegic upper limb.
folg aber schmälern oder verhindern. Hand Clin 18: 461–480
45.3 · Ergebnisse und Komplikationen
401 45
Littler JW (1966) Restoration of the oblique retinacular ligament for correct-
ing hyperextension deformity of the proximal interphalangeal joint. In:
La main rhumatismale. Expansion Scientifique Française, Paris
McDowell CL, Moberg E, House JH (1986) The second international confer-
ence on surgical rehabilitation of the upper limb in tetraplegia. J. Hand
Surg (Am) 11: 604–608
Moberg E (1975) Surgical treatment for absent single hand grip and elbow
extension in quadriplegia. J Bone Joint Surg 57A: 196–206
Moberg E (1979) The upper limb in tetraplegia. A new approach in surgical
rehabilitation. Thieme, Stuttgart
Mohamed KD, Rothwell AG, Sinclair SW (1992) Upper limb surgery for tetra-
plegia. J. Bone Joint Surg (Br) 74 : 873–879
Nigst H (1991) Mototrische Ersatzoperationen der oberen Extremität. Band 3:
Operationen an Tetraplegikern. Hippokarates, Stuttgart
Rothwell AG, Sinnott KA., Mohammed KD, Dunn JA., Sinclair SW (2003) Upper
limb surgery for tetraplegia: A 10-year re-review of hand function. Hand
Surg (Am) 28: 489–497
Zancolli E (1975) Surgery for the quadriplegic hand with active, strong wrist
extension preserved. Clin Orthop 112: 101–113
Zancolli E (1979) Quadriplegia. In: Zancolli E (ed) Structural and dynamic
bases of hand surgery, 2nd edn. Lippincott, Philadelphia, pp 263–283
46
Motorische Ersatzoperationen
an der unteren Extremität
P.M. Vogt
Funktionswiederherstellende Operationen irreparabler Nervenaus- > Wegen der Gefahr von Druckulzerationen – in der Hälfte
fälle der unteren Extremität wurden ursprünglich bei Poliomyelitis, der Fälle kontrakurbedingt – bestehen für die fixierte Kral-
später bei Traumafolgen angewandt. Bei letzterer Indikation ist im- lenzehenbildung Indikationen für Tenotomien und Arthro
mer die Möglichkeit der Nervenrekonstruktion zu prüfen und ent- tomien und ggf. plastische Weichteilrekonstruktionen
sprechend den Grundsätzen der peripheren Nervenchirurgie durch- (Siliski u. Voss 1991).
zuführen (7 Kap. 43, 45).
> Bei irreparablem Nervenschaden ist mit dem Patienten die
Möglichkeit des Sehnentransfers als Alternative zu ortho-
46.1.2 Femoralisparese
pädischen Hilsmitteln (Gehhilfen, Schienen, Orthesen) zu
Die N.-femoralis-Parese resultiert in einem Verlust der aktiven
erörtern.
Streckfähigkeit im Kniegelenk. Von einigen Autoren wird dieser
Dabei konkurrieren die vom Plastischen Chirurgen vorgeschlagenen Verlust als nicht sonderlich belastend beschrieben, da allenfalls bei
tendoplastischen Maßnahmen durchaus mit den gängigen orthopä- besonderen Geländeanforderungen eine Knieinstbilität auffalle. So
dischen Behandlungsoptionen wie knöcherne Fusionen mit und kann zwar auf ebenem Boden durch Schwerpunktverlagerung der
ohne zusätzliche Sehnentransfers. Verlust der Kniestabilisierung noch kompensiert werden, auf un
Die hier vorgestellten Verfahren, die bis auf die frühen orthopä- ebenem Gelände oder beim Treppensteigen kommt es dagegen rasch
dischen Erfahrungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts datieren, zu Gangunsicherheit, Sturzneigung, Fehlbelastungen durch eine
repräsentieren aus plastisch-chirurgischer Sicht effiziente Methoden notwendige Schwerpunktvorverlagerung und bei langem Verlauf zu
mit guter Aussicht auf alltagstaugliche Gangrehabilitation mit hoher sekundärem Gelenkverschleiß. Derartige Langzeitfolgen ließen sich
Patientenzufriedenheit. in der Vergangenheit besonders bei der Poliomyelitis finden, da dort
eine muskuläre Kompensation durch den residualen Muskelmantel
des Oberschenkels nicht gegeben war (Witt 1953).
46.1 Operationsindikationen Heute äußern mehr Patienten den Wunsch nach einer Funk
tionswiederherstellung der Quadrizepsfunktion.
46.1.1 Ischiadikusparese
> Die Quadrizepsfunktion kann mit hoher Erfolgsaussicht
durch Transfer von Beugemuskeln des Oberschenkels als
> Auch bei fehlendem aktivem Kraftspender (N.-tibialis-Pa-
Kraftspender auf den patellaren Quadrizepsansatz wie-
rese) oder hoher N.-ischiadicus-Parese kann mittels tran-
derhergestellt werden.
sossären Tenodesen bereits eine effiziente plantigrade
Stabilisierung im oberen und unteren Sprunggelenk ohne
die Notwendigkeit aufwendiger knöcherner Fusionen er-
zielt werden. 46.1.3 Peronäusparese
Während bei der Ischiadikusläsion die Knieextension noch möglich Für das Problem der Peronäusparese mit den Symptomen Pes equi-
ist, fallen alle anderen wichtigen Funktionen, wie die Sprunggelenks- novarus und Krallenzehenstellung existiert eine Reihe von funktions
und Zehenbeweglichkeit aus. Das sensorische Defizit ist erheblich, wiederherstellenden Operationsmethoden, wenngleich auch eine
wobei nur noch der N. saphenus eine Restsensibilität unterhalb des Versorgung mit Rechtwinkelschiene eine einfache Option darstellt.
Kniegelenks bewirkt. Clawson u. Seddon (1960) haben in ihrer groß- Allerdings führen Hautirritationen mit Druckulzerationen zu Sekun-
en Serie an 329 Patienten das Ausmaß der Defizite beschrieben: därkomplikationen. Ein Teil der Patienten lässt die orthetische Ver-
4 Schmerz (58), sorgung weg und akquiriert damit mittelfristig orthopädische Gang-
4 Parästhesie (21%), probleme, wie den sog. Steppergang mit negativen Auswirkungen auf
4 Hyperästhesie (35%), Hüftgelenk und Wirbelsäulenstatik. Im orthopädischen Fachgebiet
4 gestörte vasomotorische Funktion (50%), wird die Fusion im oberen Sprunggelenk oder eine Kombination aus
4 Druckulkus (14%). Triplearthrodese mit posteriorem Knochenblock, Achillsesehnenver-
längerung und Tibialis-posterior-Sehnen-Transfer favorisiert.
Interessanterweise wies eine Vielzahl der Patienten einen relativ Im eigenen plastisch-chirurgischen Vorgehen hat sich die sog.
hohen körperlichen Aktivitätslevel bis hin zu Sportarten wie Golf, Steigbügelplastik bewährt, bei der mit und ohne Achillessehnenver-
Bergsteigen etc. auf. Dieser Umstand ist immer zu verinnerlichen, längerung, Tenotomien und Tenodesen im Zehenbereich die allei-
wenn z. B. bei langstreckigen Nervendefekten oder auch analogen nige Sehnenverlagerung mit plantigrader Einstellung im oberen
Weichteilschäden der unteren Extremität über den Erhalt der Extre- Sprunggelenk eine sofortige, nach 6 Wochen belastbare funktionelle
mität nachgedacht wird. Insofern wird eine sog. »biologische Stelze« Wiederherstellung ermöglicht (. Abb. 46.1; Steinau et al. 2001).
von den Patienten immer als wertvoller als eine Prothese einge-
schätzt. Ein Teil der Patienten wird wegen Problemen wie Fallfuß
Grundvoraussetzungen für Funktionswiederherstellung
und Klauenzehen eine stabilisiernde Operation wünschen, die im
eigenen Vorgehen durch Tenodesen erreicht wird. Als stabilisierende 4 Vorrangig Beseitigung von fixierten Deformitäten
46 Verfahren kommt aus orthopädischer Sicht eine posteriore Kno- 4 Effiziente und direkte Kraftachse der verlagerten Sehnen
chenblockfusion nach Lambrinudi über eine plantare Arthrodese in 4 Ausreichende Kraft der Spendemuskeln
Frage. 4 Ausreichende Fußstabilität
4 Ossäre Verankerung der transferierten Sehnen
4 Physiotherapie ab gesicherter Einheilung der Sehnen
transfers
46.1 · Operationsindikationen
405 46
. Abb. 46.1a, b Prinzip der funktionellen Ersatzplastik bei N.-peronaeus- wie des ventralen subkutanen Durchzuges der proximal am Unterschenkel
Parese (»Steigbügelplastik«). a Zur Erzielung optimaler Kraftvektoren bedarf abgetrennten M.-peronaeus-longus-Sehne. b Beide Sehnenenden werden
es des Durchzuges der distal an der medialen Fußwurzel abgetrennten in die M.-tibialis-anterior-Sehne unter plantigrader Einstellung des Fußes
M.-tibialis-posterior-Sehne durch die Membrana interossea nach ventral so eingeflochten
46.1.4 Quadrizepsersatz lenk und die bessere Stabilisierung des Knies beim Gehen. Eigene
Erfahrungen an durchgeführten Sehnentransfers zum Quadrizeps
Nach onkologischen Resektionen des M. quadriceps femoris, trau- ersatz bei onkologisch bedingtem Quadrizepsverlust bestätigen
matischer Muskelzerstörung oder irreparablem Ausfall des N. femo- die erzielbaren guten funktionellen Ergebnisse bei Streckerersatz
ralis resultiert ein mehr oder weniger kompletter Ausfall der aktiven des Kniegelenkes, der durch Steinau et al. (2001) in der onkolo-
Streckfunktion des Kniegelenks mit nicht unerheblichen Defiziten: gischen Chirurgie der Extremitätensarkome Verbreitung erfahren
Während auf ebenem Boden durch Schwerpunktverlagerung der hat (. Abb. 46.2).
Verlust der Kniestabilisierung noch kompensiert werden kann,
> Wichtige Voraussetzung ist, dass eine freie Gelenksbeweg-
kommt es auf unebenem Gelände oder beim Treppensteigen zu
lichkeit ohne Kontrakturen vorliegt sowie eine kräftige
Gangunsicherheit, Sturzneigung, Fehlbelastungen durch eine not-
Beugemuskulatur vorhanden ist. Gegebenenfalls erfor-
wendige Schwerpunktvorverlagerung und bei langem Verlauf zu
dert eine geringe Muskelkraft der Beuger eine präopera-
sekundärem Gelenkverschleiß. Derartige Langzeitfolgen ließen sich
tive physiotherapeutische Kräftigung.
in der Vergangenheit besonders bei der Poliomyelitis finden, da bei
diesen Patienten eine muskuläre Kompensation durch den resi Nach isolierter iatrogener N.-femoralis-Lähmung (z. B. nach gefäß-
dualen Muskelmantel des Oberschenkels nicht gegeben ist. chirurgischen Interventionen oder Hüftgelenkseingriffen) ist oft nur
Heute äußern insbesondere aktive, jüngere Patienten den ein Teilausfall mit Funktionserhalt von Anteilen des M. quadriceps
Wunsch nach einer Funktionswiederherstellung und werden, wie vorhanden, sodass sich der Versuch einer intensiven Physiotherapie
auch die schwierige Gruppe der Poliomyelitispatienten zeigt, mit zum Auftrainieren von Restfunktionen in jedem Fall lohnt und eine
Erfolg operativ zu rehabilitieren sein (Shahcheraghi et al. 1996). funktionsverbessernde Operation entfallen kann.
> Analog zur oberen Extremität eignen sich die Beugemus- Operationstechnik
keln des Oberschenkels als Kraftspender für den Ersatz
Die Operationstechnik ist in . Abb. 46.3 dargestellt.
des Oberschenkelstreckers.
Über einen lateralen Zugang wird die am Fibulakopf inserieren-
Lange hat bereits in den 1930-er Jahren den erfolgreichen Sehnen- de Bizepssehne identifiziert und unter sorgfältiger Schonung des
transfer des M. biceps mit oder ohne zusätzliche Ischiokruralmus- hier unmittelbar dahinter gelegenen N. peronaeus communis am
keln beschrieben (Lange 1932). knöchernen Ansatz scharf abgetrennt. Anschließend wird der M. bi-
Witt (1953) beschrieb die Effizienz des verlagerten M. biceps als ceps nach proximal so weit mobilisiert, dass später ein gerader, nach
Ersatz des M. quadriceps und zeigte die aktive Streckung im Kniege- ventral gerichteter Verlauf eine optimale Kraftentfaltung bewirkt.
406 Kapitel 46 · Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität
. Abb. 46.2 Prinzip des Bizepstransfers zum funktionellen Quadrizepser Quadrizepssehne. c Möglichkeit der zusätzlichen Verpflanzung eines Mus
satz am Oberschenkel. a Mobilisierung der Bizepssehne am Fibulaköpfchen. kels der Pes-anserinus-Gruppe von medial
b Verlagerung nach ventral und Einflechtung in die patellaren Ansätze der
! Cave
Dabei sind auch die segmentalen eintretenden neuro
46.1.5 Funktionswiederherstellung
vaskulären Bündel zu schonen (→ Innervation und Durch-
der Fußhebung
blutung!). Präoperative Evaluation
Über den am Oberschenkel vorhandenen oder zu schaffenden ven- Besteht das Problem der Peronäusparese mit den Symptomen Pes
tralen Zugang wird anschließend das Septum intermusculare late- equinovarus, Krallenzehenstellung länger, ist in der Regel bereits
rale ausreichend weit eröffnet und der mit einem 0-er Haltefaden eine typische Fehladaptation mit Steppergang eingetreten, die z. T.
armierte Sehnenstumpf nach ventral durchgezogen. Hier wird die durch eine fixierte, mehr oder minder ausgeprägte Spitzfußstellung
Sehne dann in den Periostfaszienanteil der Patella eingeflochten. Bei kompliziert sein kann. Hier sollte ggf. der Versuch einer präopera-
Streckung im Kniegelenk wird anschließend die nötige Vorspan- tiven Rehabilitation unternommen werden, um eine Verbesserung
nung gewählt und mit 0-er Nyloneinzelknopfnähten fest verankert. des Gangbildes zu erreichen.
Nach ausreichender Drainage und Wundverschluss erfolgt die An-
> Eine wesentliche Voraussetzung des Eingriffes ist, dass der
lage eines Oberschenkelgipses, der dann nach Abschluss der Wund-
zu verlagernde Kraftspender M. tibialis posterior über aus-
heilung auf eine Kniegelenksorthese in Streckung für 6 Wochen
reichend Kraft verfügt und v. a. die übrigen Flexoren den
umgesetzt wird.
transpositionsbedingten Verlust kompensieren können.
> Bei der Physiotherapie ist es wichtig, eine Kniegelenks- Kann der Patient den einbeinigen Zehenspitzen- oder Bal-
beugung nicht zu erzwingen und eine externe Kniegelenk lenstand ausführen, ist der Verlust des Tibialis posterior
stabilisierung über die Orthese noch zusätzlich für etwa kompensierbar.
3–4 Wochen zu belassen.
Eine fixierte Achillessehnenverkürzung bzw. Spitzfußstellung erfor-
Wesentliche physiotherapeutische Maßnahme ist ein moderates dert ggf. eine Z-förmige Verlängerung. Ausgeprägtere Fehlstellungen
Muskelaufbautraining. Ein wichtiger Aspekt ist, dass eine aktive mit deformierenden Arthrosen sind eher eine Domäne orthopä-
Streckung bis 0° nicht immer erreichbar ist und daher auch nicht disch-chirurgischer dreidimensionaler Korrektur – Osteotomien
erzwungen werden muss, ebenso wenig wie eine Flexion >90° im und Arthrodesen (Wiesseman 1981).
46 Kniegelenk. Somit liegt das Indikationsspektrum der Steigbügelplastik bei
Ist der M. biceps allein nicht ausreichend, kann eine mediale der akuten oder durch moderate fixierte Fehlstellung gekennzeich-
Augmentation durch einen zweiten Muskel aus der Pes-anserinus- neten Fallfußproblematik. Allerdings lassen sich fixierte Krallen
Gruppe vorgenommen werden (. Abb. 46.2c). zehenfehlstellungen recht gut durch Tenoarthrotomien analog zur
Achillessehne korrigieren.
46.1 · Operationsindikationen
407 46
Operatives Vorgehen
Im eigenen plastisch-chirurgischen Vorgehen hat sich die sog. Steig-
b bügelplastik (7 Kap. 46.1.3 und . Abb. 46.1) bewährt, bei der mit und
ohne Achillessehnenverlängerung, Tenotomien und Tenodesen im
Zehenbereich die alleinige Sehnenverlagerung mit plantigrader Ein-
stellung im oberen Sprunggelenk eine sofortige, nach 6 Wochen be-
lastbare funktionelle Wiederherstellung ermöglicht (. Abb. 46.4;
Steinau et al. 2001). Im Gegensatz zu den gängigen Verfahren mittels
gabelförmig distal gesplitteter M.-tibialis-posterior-Sehne (»Bridle
procedure«; Mizel et al. 1999) wird hier ein sog. »rerouting« der
M.-peronaeus-longus-Sehne nach anterior mit biomechanisch ver-
besserter Fußeinstellung vorgenommen.
Im Rahmen onkologischer Resektionen der M.-tibialis-anterior-
Gruppe liegt meisten ein offener Situs vor, der gute Übersicht bietet.
Ansonsten wird die in . Abb. 46.4 angegebene Schnittführung
verwendet.
Der Eingriff wird regelhaft in Blutleere durchgeführt. Zuerst er-
folgen nach nochmaliger intraoperativer Prüfung der Gelenksbe-
weglichkeit die Inzision medial zur Abtrennung des M.-tibialis-pos-
c terior-Ansatzes und der Durchzug nach kranial über eine mediale
Inzision hinter der Tibiahinterkante. Danach wird das nunmehr
. Abb. 46.3a–d Quadrizepsersatz: Intraoperativer Aspekt nach Resektion
der gesamten rechtseitigen Oberschenkelstreckmuskulatur wegen eines
freie Sehnenende über eine von ventral angebrachte S-förmige In
Fibrosarkoms. a Laterales Absetzen der Bizepssehne nahe am Fibulakopf zision über das Retinaculum extensorum transmembranös durch
nach Darstellung und Schonung des N. peronaeus. b Einflechten in die kra die Membrana interossea nach ventral ausgeleitet. Wichtig ist die
nial der Patella verbliebenen periostalen Quadrizepssehnenansätze (An Vermeidung jeglichen Hautkontaktes der Sehne (Reduktion der In-
sicht von ventral). c Fertiggestellte Muskeltransposition. d Exzellente fektionsgefahr), die im eigenen Vorgehen analog zur oberen Extre-
Kniestabilisierung nach Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme bei der mität in feuchte Kompressen eingeschlagen wird.
stark adipösen Patientin mit guter Gangstabilität im Alltag Anschließend wird von lateral wie in . Abb. 46.4 wiedergegeben
die M.-peronaeus-longus-Sehne proximal abgetrennt und neu ven-
tral subkutan verlagert. Mit dieser Maßnahme erst wird bei der kom-
pletten Peronäusparese die Supinationsfehlstellung beseitigt (und
auch u. E. eine subtalare Arthrodese obsolet).
408 Kapitel 46 · Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität
a b
c d
e f
g h
i j
46.3 Komplikationen
Zahlreiche Komplikationen sind möglich. Intraoperativ können v. a.
iatrogene Nervenläsionen (N. peronaeus, N. ischiadicus) den Ein-
griff komplizieren.
! Cave
Neben Thrombosen und Embolien als Folge der Immo
bilisierung, die eine entsprechende überwachte Throm
boseprophylaxe erfordern, sind Hämatome und Wund
heilungsstörungen gefürchtet.
> Größere Hämatome sollten auf jeden Fall wegen des Risi-
kos der sekundären Infektion und Gefährdung der direkt
subkutan liegenden Tenodesen frühzeitig ausgeräumt
werden. Eine Prävention von Hämatomen ist nur durch
peinlich genaue intraoperative Blutstillung gegeben.
Für die Sehnendurchflechtungsregion fatal sind bei der Steigbügel-
plastik Wundheilungsstörungen der ventralen S-förmigen Inzision.
Regelhaft kommt es hier postoperativ zu erheblicher Weichteil-
schwellung mit Ödem, sodass die Wunde innerhalb der 1. Woche
massiv unter Spannung geraten kann. Tägliche Wundinspektion,
abschwellende Maßnahmen wie konsequente Hochlagerung und
Antiphlogistika sind hier unabdingbare Voraussetzung für einen
störungsfreien Heilungsverlauf.
Im mittelfristigen Verlauf gefährdet eine forcierte Mobilisie-
rungstherapie die Stabilität und Vorspannung der Tenodesen. Lang-
fristig sind Auslängungen möglich. Wir weisen die Patienten darauf
hin, dass evtl. Nachkorrekturen mit Nachspannen der Sehnentrans-
fers erforderlich sein können. Am Oberschenkel lassen sich akute
Verluste der Vorspannung in der frühen postoperativen Phase kon-
servativ mit erneuter Immobilisierung des Kniegelenks in Streck
stellung und vorsichtiger Physiotherapie in der Regel erfolgreich
behandeln.
47
Die Denervierung ist eine palliative Methode zur Behandlung 4 fortgeschrittene Gelenkdestruktion mit völlig aufgebrauchtem
schmerzhafter Gelenkzustände unterschiedlicher Ursache. Prinzip Knorpel,
ist die gezielte Durchtrennung schmerzleitender afferenter Nerven 4 Einsteifung oder Instabilität (z. B. auch Implantatlockerung) des
fasern, ohne die Oberflächensensibilität oder motorische Innerva Gelenkes,
tion zu tangieren. 4 Infektion, Synovialitis oder rheumatische Entzündung.
> Ziel ist die Schmerzreduktion unter Erhaltung der Rest
funktion des Gelenks, nicht die Sanierung der zugrunde Vorteile der Gelenkdenervation nach Cozzi (1993)
liegenden destruierenden Prozesse. 4 Ziel ist Beseitigung der primären Ursache der Funktionsein
Rüdinger beschrieb schon 1857 die Innervation der menschlichen schränkung, bzw. des Schmerzes.
Gelenke. Die Idee, Gelenkschmerzen durch Neurotomiezu behan 4 Die Integrität des Gelenkes wird erhalten.
deln, entwickelte Camitz 1933, der bei arthrosebedingten Schmer 4 Die Muskelfunktion bleibt unangetastet.
zen des Hüftgelenks eine Durchtrennung sensibler Anteile des 4 Prothesen oder Fremdmaterialien sind nicht notwendig.
N. obturatorius empfahl. Die Wirksamkeit dieses zunächst nur mä 4 Eine postoperative Immobilisation ist nicht notwendig.
ßig erfolgreichen Ansatzes wurde 1942 durch Tavernier und Truchet 4 Die Gelenkdenervation kann in Lokalanästhesie durchge
aufgrund anatomischer Untersuchungen der Hüftgelenkinnervation führt werden.
entscheidend verbessert und das Prinzip in der Folge auch auf ande 4 Sie kann gleichzeitig mit anderen Eingriffen durchgeführt
re Gelenke mit gutem Erfolg übertragen, darunter das Kniegelenk werden.
durch Marcacci 1954, das Schultergelenk durch Nyakas u. Kiss 1955
und die Sprunggelenke, ebenso durch Nyakas 1958. Wilhelm führte
1958 anatomische Studien zur Innervation der gesamten oberen Ex Zudem ist die Methode technisch einfach, kosten- und risikoarm
tremität durch und stellte 1966 darauf basierende Methoden zur und lässt alle Möglichkeiten für spätere Alternativen offen, wie z. B.
Denervierung der Hand- und Fingergelenke ein. Er beschrieb initial Arthrodese, Arthroplastik oder Endoprothese.
eine gute Schmerzreduktion in 80% der Fälle, die nach durchschnitt
lich 10,5 Jahren immer noch 62,5% betrug (Wilhelm 1972, 2001;
Merk u. Rudigier 2002). 47.2 Präoperative Vorbereitung
Obwohl sich die partielle Gelenkdenervation, v. a. am Handge
lenk, bewährt hat, nimmt sie jedoch innerhalb des chirurgischen 47.2.1 Untersuchung und Testblockade
Therapiespektrums eine Außenseiterrolle ein. Dies liegt möglicher
weise an der diffizilen Technik zur Durchtrennung der afferenten Bei der präoperativen Untersuchung des Patienten werden die
Nervenäste, durch die jedoch weder die Grunderkrankung behan Hautareale in der Gelenkumgebung mit Missempfindungen oder
delt noch die Arthrose beseitigt wird. Andererseits beinhalten viele Taubheitsgefühl und die Schmerzpunkte mit positivem Hoffmann-
Gelenkeingriffe eine teilweise Denervierung, wie z. B. die Durch Tinel-Zeichen markiert.
trennung des N. interosseus posterior bei dorsalen Handgelenkein Die präoperative Blockade der schmerzleitenden Nerven
griffen wie der STT-Arthrodese oder der mediokarpalen Teilarthro fasern mittels Lokalanästhetikum (Procain) erlaubt es, die Wirk
dese. samkeit einer geplanten Neurotomie bereits präoperativ abzu
In diesem Kapitel sollen die anatomischen und chirurgischen schätzen. Das Schmerzsyndrom kann durch einen oder mehrere
Grundlagen der Denervation bei neurogenen Schmerzsyndromen Nerven verursacht sein. Welche Nerven verantwortlich sind, kann
an der oberen (Schulter, Ellbogen, Handgelenk, Daumen- und Fin durch die Testblockade geklärt werden. Durch selektive Betäubung
gergelenken) und unteren Extremität (Knie, Sprunggelenk und der einzelnen schmerzleitenden Nervenäste kann so das Ausmaß
Ferse) mit zusammenfassenden Angaben zu ihrer Indikation vor der Denervation für die jeweilige Pathologie festgelegt und der
gestellt werden. Operationserfolg bereits vorher relativ zuverlässig abgeschätzt
werden.
An den schmerzhaften Nervendruckpunkten werden kleine
47.1 Indikationsstellung Mengen 1%-iges Xylocain injiziert, immer streng extraartikulär.
Nach etwa 20 min wird der Effekt dieser Probeblockade überprüft,
Ziel von Gelenkrekonstruktionen sind freie Gelenkfunktion, Stabi nachdem der Patient das betroffene Gelenk bewegt und belastet hat,
lität und Schmerzreduktion. Die Arthrodese bietet meist schmerz z. B. durch Greifbewegungen an einem Ball oder einen kleinen Spa
freie Stabilität, führt jedoch durch Verlust an Beweglichkeit oft zu ziergang, möglichst mit Treppensteigen.
einer erheblichen Einschränkung der Funktion.
> Bei ausbleibendem Erfolg der temporären Testblockade
Die Gelenkprothese erlaubt im günstigsten Fall eine gute und
ist von einer Denervationsoperation abzuraten.
schmerzfreie Gelenkbeweglichkeit, Nachteil ist jedoch die begrenzte
Haltbarkeit mit Risiko von Abrieb, Fremdkörperreaktion und me
chanischem Versagen von der Lockerung bis zum Bruch (Merk u.
Rudigier 2002). 47.3 Operationstechnik
> Im Gegensatz hierzu bewahrt und verbessert die Dener
vation die Funktion ohne Veränderung des Gelenks, sie
47.3.1 Gemeinsame Prinzipien
47 kommt alternativ grundsätzlich bei jeder schmerzhafter
Eingriffe zur Gelenkdenervation werden an der oberen Extremität
Arthrose in Frage.
meist in Plexusanästhesie, an der unteren in Intubationsnarkose
Kontraindikationen bestehen nach Wilhelm (1972, 2001) nur in oder Spinalanästhesie ausgeführt, es ist aber Lokalanästhesie
folgenden Fällen: möglich.
47.3 · Operationstechnik
413 47
a b
a b
werden koaguliert und durchtrennt. Da die im Subkutangewebe ver kuläre Bindegewebe einschließlich der begleitenden Venen auf der
laufenden Nervenäste hierbei nicht sichtbar werden, spricht man gesamten Länge reseziert wird.
von einer »blinden« Denervierung, bei der jedoch im Bereich des In Handgelenkbeugung werden die Beugesehnen mit einem Ha
Caput ulnae unbedingt eine Verletzung des R. dorsalis n. ulnaris ver ken zur Seite gehalten und der M. pronator quadratus sichtbar. Ent
mieden werden muss. Bei ungenügender Übersicht ist ein weiterer lang der distalen Seite des M. pronator quadratus werden durch eine
Zugang auf der Ulnarseite des Handgelenks ratsam. scharfe Inzision bis auf das Periost der palmaren Seite des distalen
Als nächstes wird die Muskelfaszie auf der ulnaren Seite des Radius mit anschließender Elektrokoagulation die Endäste des
M. extensor pollicis durchtrennt. Jetzt können die Extensorsehnen N. interosseus anterior unterbrochen. Zusätzlich wird eine ausge
der langen Fingerstrecker zur Seite geschoben werden, sodass der dehnte Elektrokoagulation der Palmarseite des distalen Radioulnar
N. interosseus posterior und die zugehörige Arterie auf der dorsalen gelenks durchgeführt.
Seite der Membrana interossea erscheinen, der Nerv freigelegt und
auf einer Länge von 3 cm nach Elektrokoagulation reseziert werden. Fingergelenke (Grund-, Mittel- und Endgelenke)
Alternativ kann eine Durchtrennung der Membrana interossea Anatomie
erfolgen, um einen Zugang zum N. interosseus anterior und seiner Nach der Beschreibung von Wilhelm (1958, 1966) erfolgt die Inner
Begleitarterie zu schaffen. Wird der Nerv von hier auf einer Länge vation der Grundgelenke von proximal durch die subfaszial streck
von 3 cm reseziert, ohne dass von palmar zugegangen werden muss, seitig verlaufenden Rr. intermetacarpales aus dem N. ulnaris, radial
besteht der Nachteil, dass hierbei der M. pronator quadratus ebenso am Zeigefingergrundgelenk und ulnar am Daumengrundgelenk
denerviert wird. Meist kommt es jedoch allenfalls zu einem geringen durch Abgänge des R. articularis spatii interossei I. Hinzu kommen
Beweglichkeitsverlust. Wir bevorzugen die Denervierung von pal von proximal Abzweigungen der streckseitig verlaufenden Nn. digi
mar am distalen Rand des M. pronator quadratus (7 unten). tales dorsales communes und von distal Äste der Nn. digitales dor
Die zweite Inzision erfolgt dorsal zwischen der Basis des 1. und sales proprii und digitales palmares proprii. Beugeseitig wird die
2. Metakarpalgelenks, wo die sensiblen Äste des N. radialis im Sub Gelenkkapsel durch Abzweigungen des Ramus profundus n. ulnaris
kutangewebe dargestellt und geschont werden. An dieser Stelle wird innerviert.
aber ein durch die Faszie in die Tiefe ziehender Ast, der die Region Die Mittelgelenke sind von proximal und distal durch Äste der
um das Os trapezium und die Metakarpalgelenke sensibel inner Nn. digitales dorsales proprii und digitales palmares proprii innerviert,
viert, aufgesucht, koaguliert und exzidiert. die Endgelenke nur durch Äste der Nn. digitales palmares proprii.
Ein dritter, 3–4 cm messender bogenförmiger Schnitt beginnt
am Radiokarpalgelenk ulnarseits der A. radialis. Die oberfläch Operationstechnik
liche Faszie wird epifaszial nach radial und dorsal präpariert. Dabei Die Inzision zur Denervation am Fingergrund-, mittel- und -endge
koagulieren und durchtrennen wir alle von den Radialishauptästen lenk zeigt . Abb. 47.3.
subkutan auf die Fascia antebrachii ziehenden kleinen perforierende Gemäß der von Wilhelm (1966) eingeführten Originalmethode
47 Nervenäste. wird am Mittelgelenk jeweils radial und ulnar über einen Mittseiten
Anschließend wird die Faszie auf Höhe der A. radialis eröffnet, schnitt eingegangen (. Abb. 47.3). Am Endgelenk werden die seit
die Arterie und die zugehörigen Venen freipräpariert und die Arterie lichen Schnitte streckseitig durch Querinzision verbunden. Durch
auf einer Länge von mindestens 3 cm skelettiert, wobei das perivas Ablösung des Weichteilmantels vom Streck- und Seitenbandapparat
47.3 · Operationstechnik
415 47
Daumensattelgelenk
Anatomie . Abb. 47.4 Inzision zur Denervation am Daumensattelgelenk
47.5 Komplikationen
Die Komplikationen bestehen in:
4 Infektion, Gefahr des Gelenkinfekts bei versehentlicher Eröff
nung der Kapsel,
4 Wundheilungsstörungen, vermehrt an der unteren Extremität,
4 Narbenbildung mit der Gefahr erneuter Nervenaffektion,
b
4 begrenztem Verlust der Oberflächensensibilität der Haut (sel
. Abb. 47.5a, b Nervale Versorgung des Kniegelenks (a Lateralansicht, ten).
b Medialansicht)
Unabhängig von der Denervation:
4 Fortschreiten der Arthrose,
Operationsvorbereitung 4 erneute Schmerzen durch endostale und subchondrale Schmerz
Präoperativ erfolgt daher in 2 Schritten gelenkfern eine Testaus fasern.
schaltung aller an der Innervation beteiligten Nerven durch gelenk
ferne perineurale Infiltration eines Lokalanästhetikums, um auch Literatur
die schon weit proximal aus dem Hauptstamm der einzelnen Nerven Aszmann OC, Dellon AL, Birely B,McFarland E (1996) Innervation of the human
abgehenden Gelenkäste zu erfassen. shoulder joint and its implications for surgery. Clin Orthop Rel Res 330:
In der ersten Sitzung werden der N. saphenus, der N. peronaeus 202–207
superficialis, der N. peronaeus profundus, der N. interosseus cruris Cozzi B (1993) Denervation of the wrist and hand joints. In: Tubiana R (ed)
und der N. suralis blockiert, später dann der N. tibialis. Surgery of the hand. Saunders, Philadelphia
Dellon AL, Barrett S (2005) Sinus Tarsi Denervation: Clinical Results. J Am Pod
Operationstechnik Med Assoc, 95: 108–113
Dellon AL,Mont M,Mullik T, Hungerford D (1996) Partial denervation for per
Nach Anlage einer hockeyschlägerförmigen Inzision am distalen sistent neuroma pain around the knee. Clin Orthop Rel Res 329: 216–
medialen Unterschenkel mit bogenförmiger Umschneidung des me 222
dialen Malleolus wird der N. tibialis angeschlungen, von proximal Dellon AL, Mont MA, Hungerford DS (1995) Partial denervation for treatment
nach distal freipräpariert und die hierbei aufgefundenen Gelenkäste of persistent neuroma pain after total knee arthroplasty. Clin Orthop Rel
durchtrennt. Dann wird ein ca. 3 cm langer Schnitt am medialen Res 316: 145–150
Unterschenkel am Übergang vom medialen zum distalen Drittel an Dellon AL (2002) Denervation of the sinus tarsi for chronic post-traumatic
gelegt. Der hier neben der V. saphena magna verlaufende N. saphe lateral ankle pain.Orthopedics 25: 849–851
nus wird dargestellt und reseziert. Oft verläuft er in 2 Stämmen, von Foucher G, Long Pretz P, Erhard L (1998) La dénervation articulaire, une ré
ponse simple à des problèmes complexes de chirurgie de la main. Chiru
denen jeweils ungefähr 1 cm reseziert wird. Durch eine ca. 4 cm
rgie 123: 183–188
lange Inzision dorsolateral am Beginn des distalen Unterschenkel
Horner G, Dellon AL (1994) Innervation of the human knee joint and implica
drittels lässt sich der N. suralis in der Nachbarschaft der V. saphena
47 parva auffinden und ebenso resezieren.
tions for surgery. Clin Orthop Rel Res 301: 221–226
Mentzel et al. (1999) Ankle joint denervation, pt 2: Operative technique and
Zur Präparation des N. peronaeus superficialis wird ein 15 cm results. Foot Ankle Surg 5: 21–27
langer Schnitt am ventralen Unterschenkel übergreifend auf den Mentzel W, Fleischmann B, Eifert et al. (2002) Ankle joint denervation, pt 2:
Fußrücken angelegt, der Nerv wird beim Durchtritt durch die Operative technique and results. Foot Ankle Surg 5: 21–27
47.5 · Komplikationen
417 47
Merk R, Rudigier J (2002) Die Denervierung von Fingergelenken als Alterna
tive zur Arthrodese und Endoprothese Handchir Mikrochir Plast Chir 34:
182–186
Rab M, Ebmer J, Dellon AL (2001) Innervation of the Sinus Tarsi: Implications
for treating anterolateral ankle pain.Annals Plastic Surg 47: 500–504
Wilhelm A (1958) Zur Innervation der Gelenk der oberen Extremität. Z Anat
Entwicklungsgesch 120: 331–371
Wilhelm A (1966) Gelenkdenervation und ihre anatomischen Grundlagen.
Hefte Unfallheilkd 86: 1–109
Wilhelm A (1972) Die Schmerzausschaltung an der Handwurzel durch Dener
vation. In: Wachsmuth W, Wilhelm A (Hrsg) Allgemeine und spezielle
Operationslehre, Bd X, Teil 3: Die Operationen an der Hand Springer, Ber
lin Heidelberg New York, S 274–285
Wilhelm A (2001) Denervation of the wrist. Techn Hand Upper Extr Surg 3:
14–18
48
Kompressionssyndrome
der oberen Extremität
C. Herold
48.1 Grundlagen
48.1.1 Pathophysiologie
48.1.2 Diagnostik
a a
b b
. Abb. 48.2 Supinatorlogensyndrom: Anatomie (a) und intraoperativer . Abb. 48.3 Wartenberg-Syndrom: Anatomie (a) und operative Dekom-
Aspekt bei Dekompression (b) pression (b)
Bei dem den N. medianus betreffenden Pronatorsyndrom sind a ußen wie durch enge Armbänder auch durch den Rand des M. bra-
die Schmerzen weiter palmar und ulnar lokalisiert. chioradialis oder fibröse Septen bedrängt werden. Nicht selten liegt
eine zusätzliche Tendovaginitis stenosans de Quervain des 1. Streck-
Therapie sehnenfachs vor.
Bei der operativen Therapie wird der R. profundus über einen Zu-
gang zwischen dem M. brachioradialis und dem M. extensor carpi Klinisches Bild und Diagnostik
radialis longus aufgesucht (. Abb. 48.2b). Bei der Verfolgung des Im Vordergrund stehen in den Daumen ziehende Schmerzen am
Nervs nach distal wird die Frohse-Arkade und der Rand des M. ex- radiodorsalen Unterarm. Sensibilitätsstörungen im Versorgungs
tensor carpi radialis brevis durchtrennt. Im nächsten Schritt wird gebiet des R. superficialis des N. radialis können hinzutreten. Es
nun der M. supinator entweder komplett durchtrennt oder alternativ bestehen ein Druckschmerz und ein positives Hoffmann-Tinel-
lediglich seine sehnigen Anteile gespalten. Da häufig zusätzlich eine Zeichen über dem Ort der Kompression (Wartenberg 1994).
Epicondylitis humeri radialis vorliegt, kann diese für ein zufrieden-
stellendes Operationsergebnis während der gleichen Operation mit- Therapie
versorgt werden. Nach einer Inzision palmar des Nervenverlaufs wird der R. superfi-
cialis zwischen dem M. brachioradialis und dem M. extensor carpi
radialis longus aufgesucht (. Abb. 48.3b). Es folgt eine Spaltung der
48.2.3 Wartenberg-Syndrom intermuskulären Faszie und der Unterarmfaszie sowie bei Bedarf
eine Umkrempelung des Randes des M. brachioradialis.
Anatomie und Ätiologie
Am distalen Unterarm zieht der R. superficialis durch die Unterarm-
faszie (. Abb. 48.3a) und kann hier neben der Kompression von
422 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität
48.3 Kompression des N. medianus versorgten Muskulatur (Werner et al. 1985). Eine Thenaratrophie ist
häufig sichtbar. Der Phalen-Test ist negativ. Das Hoffmann-Tinel-
Verlauf und Innervationsgebiete sind in . Abb. 48.4 dargestellt. Zeichen ist positiv über dem Verlauf des N. medianus. Akut kann es
zur genannten Symptomatik bei Hämatombildung nach Gefäßpunk-
tion in der Ellenbeuge kommen.
48.3.1 Pronatorsyndrom Differenzialdiagnostisch gilt es ein Karpaltunnelsyndron (Phalen-
Test positiv; Lee u. Lastayo 2004), eine zervikale Radikulopathie
Anatomie und Ätiologie (zusätzlich Bizepsschwäche bei C6-Kompression oder Trizepsschwä-
Die häufigste proximal vorkommende Kompression des N. median- che bei C7-Kompression) abzugrenzen. Bei einem Thoracic-outlet-
us wird wegen des M. pronator teres als Pronatorsyndrom beschrie- Syndrom liegt die Sensibilitätsstörung eher am ulnaren Unterarm.
ben (Kopell u. Thompson 1958). Hierbei kann es an 4 Orten zur
Kompression kommen: Therapie
4 am distalen Drittel des Humerus neben dem Proc. condylaris Ist eine antiphlogistische Therapie in Kombination mit Ruhigstel-
und dem Struthers-Ligament, lung in einem Oberarmgips nicht ausreichend effektiv, besteht die
4 im Bereich des Ellbogengelenks durch den Lacertus fibrosus, Indikation zur Neurolyse. Hierzu sollte die Hautinzision min
4 im Verlauf des Nervs durch den M. pronator teres selbst entwe- destens 5 cm über dem Ellbogen beginnend und bis etwa 8 cm in
der durch Hyperplasie des Muskels oder durch eine vergrößerte den mittleren Unterarm fortgesetzt werden. Diese große Freilegung
Aponeurose, soll verhindern, dass eine der 4 möglichen Engstellen übersehen
4 weiter distal durch den sehnigen Rand des M. flexor digitorum wird und um eine effiziente Dekompression zu ermöglichen
superficialis. (. Abb. 48.5).
Nach Unterbindung der Äste der V. basilica wird die Faszie ge-
Klinisches Bild und Diagnostik spalten und der Lacertus fibrosus durchtrennt. Der N. medianus, der
Im Vordergrund stehen Schmerzen im distalen Oberarm und der seine Muskeläste allesamt nach ulnar abgibt, wird nun unter Spal-
Ellenbeuge, die häufig bei Belastung und bei Druck zunehmen. Sen- tung der Köpfe des M. pronator teres weiter nach distal verfolgt, wo
sible Ausfälle an den ersten 3 Fingern sowie an der radialen Seite des im Muskel der N. interosseus nach radial abzweigt. Nach Darstel-
4. Fingers können hinzutreten wie auch motorische Ausfälle der lung des Sehnenbogens der Ursprünge des M. flexor digitorum wird
dieser unter Schonung des Muskels ebenfalls durchtrennt. Postope-
rativ sollte eine Woche lang eine dorsale Oberarmschiene getragen
werden.
48.3.2 N.-interosseus-anterior-Syndrom
Anatomie und Ätiologie
Der Vielzahl von Möglichkeiten der vaskulär, tendinös oder tumorös
bedingten Kompression des N. interosseus anterior ist gemeinsam,
dass der Nerv in seinem Verlauf im proximalen Unterarm kompri-
48
. Abb. 48.4 Innervationsgebiet des N. medianus . Abb. 48.5 Pronatorsyndrom: Anatomie
48.3 · Kompression des N. medianus
423 48
c
a
. Abb. 48.6 N.-interosseus-anterior-Syndrom: Anatomie (a), Klinik (b) und operative Dekompression (c) (FPL=M. flexor pollicis longus, FDP=M. flexor digi-
torum, P.T.=M. pronator teres)
miert wird. Der N. interosseus anterior verlässt den N. medianus Klinisch fällt die Aufhebung des normalen Spitzgriffes auf, d. h. die
etwa 5–6 cm distal des Epicondylus ulnaris und kann von hier an Patienten können keinen Kreis mehr mit Daumen und Zeigefinger
durch die Ansätze des M. flexor digitorum III oder das Caput ulnare bilden (Spinner 1969, 1970; . Abb. 48.6b). Die Kraft der Endglied-
des M. pronator teres eingeengt werden (. Abb. 48.6). beugung des Daumens und der Finger 2 und 3 ist reduziert. Der
M. pronator quadratus kann geprüft werden, indem man den im
Klinisches Bild und Diagnostik Ellbogengelenk gebeugten und pronierten Arm des Patienten ver-
Neben Schmerzen im proximalen Unterarm stehen Paresen des sucht zu supinieren. Neurophysiologische Veränderungen in den
M. flexor pollicis longus, M. flexor digitorum profundus II und betroffenen Muskeln sind häufig. Eine Ruptur der tiefen Beugeseh-
gelegentlich III sowie des M. pronator quadratus im Vordergrund. nen ist auszuschließen.
424 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität
c
a
b d
48 . Abb. 48.7 Karpaltunnelsyndrom: Anatomie (a) und operative Dekompression (b). Darstellung des Lig. carpi transversum (c) und Neurolyse bei erhebli-
cher perineuraler Fibrose (d)
48.4 · Kompression des N. ulnaris
425 48
Blutzufuhr, Alkoholismus, Amyloidose, Trauma, atypische Musku- naht mit 4-0 monofilen Einzelnähten und Einlage einer Wundlasche
latur oder Gefäße (A. mediana) sowie Tumoren werden für die dis beenden den Eingriff. Der Patient erhält eine Handgelenksgipsschie-
tale Kompression des N. medianus genannt (Robbins 1963). Es ist ne für 3 Tage.
das häufigste periphere Nervenkompressionssyndrom und tritt be- Die häufigste Komplikation ist eine empfindliche Narbe. Daher
vorzugt bei Frauen zwischen 40 und 60 Jahren auf. sollte die Hautinzision nicht die Handgelenksbeugefalte (Raszetta)
nach proximal überschreiten.
Klinisches Bild und Diagnostik Mit einer Verbesserung der präoperativen Parästhesien ist in-
Patienten mit Karpaltunnelsyndrom klagen typischerweise über nerhalb von 2 Wochen zu rechnen, häufig ist jedoch bereits direkt
nächtliche Parästhesien der vom N. medianus innervierten Finger, postoperativ eine Besserung feststellbar.
also des Daumens, des 2.–3. und der radialen Seite des 4. Fingers.
Das Krankheitsbild entwickelt sich entweder langsam über Monate Endoskopisches Vorgehen. Die endoskopische Variante ist in der
oder akut traumatisch oder in der Schwangerschaft ab dem 6. Monat geübten Hand alternativ anwendbar, es gibt hier allerdings Kompli-
und kann im Endstadium zu einem permanenten Taubheitsgefühl kationsmöglichkeiten, die beim offenen Zugang nicht in selbem
führen. Häufig imponiert eine Thenaratrophie auf der betroffenen Maße bestehen, wie z. B. Nerven- oder Sehnenverletzungen. Zudem
Seite, wobei zu beachten ist, dass eine Hypertrophie der dominanten sind gelegentlich notwendige Synovialektomien oder Neurolysen
Hand einen Normalbefund darstellt. Die durch Paresen des M. op- nicht durchführbar.
ponens pollicis und des M. abductor pollicis brevis hervorgerufene
> Die endoskopische Karpaltunnelspaltung besitzt zwar den
Kraftminderung bei Daumenopposition und Palmarabduktion führt
Vorteil einer kleineren Narbe, daher ein geringeres Risiko
zu funktionellen Störungen bei Spitz-, Schreib- und Dreipunktgriff.
von Narbenbeschwerden, die Rate der Nervenschädigung
Häufig wird die Oppositionsschwäche durch eine kompensatorische
ist aber höher. Da die Übersicht schlechter ist, können
Daumenendgelenksbeugung kompensiert.
anatomische Varianten leichter übersehen werden. Wei-
Bei der Untersuchung ist das Hoffmann-Tinel-Zeichen distal
tergehende Maßnahmen, wie Synovektomien, sind nicht
der Handgelenksfalte positiv. Mit dem Phalen-Test (Aneinanderle-
durchführbar und erfordern ein offenes Vorgehen. Das
gen der maximal flektierten Handrücken) sind Parästhesien beim
Verfahren erfordert eine längere Lernphase, und bei An-
Karpaltunnelsyndrom in weniger als 15–20 s provozierbar. Zur Be-
fängern besteht ein höheres Risiko für Nerven- oder Seh-
stätigung der Diagnose sollten noch neurophysiologische Untersu-
nenverletzungen und Rezidive aufgrund inkompletter
chungen durchgeführt werden (Phalen 1966).
Spaltung des Retinaculum flexorum.
> Neurophysiogische Untersuchungen dienen der Sicherung
der Diagnose und rechtlichen Absicherung beim Karpal-
tunnelsyndrom. Die motorische Latenz ist auf über 4,5 ms
und die sensorische Latenz auf über 3,5 ms erhöht. Post
48.4 Kompression des N. ulnaris
operativ ist in etwa nach 3 Monaten mit einer Verbesserung
Verlauf und Innervationsgebiete sind in . Abb. 48.8 dargestellt.
der Nervenleitgeschwindigkeit zu rechnen.
48.4.2 Loge-de-Guyon-Syndrom
Anatomie und Ätiologie
Der Nervenstamm oder der motorische Ast des N. ulnaris kann im
Bereich der Loge de Guyon komprimiert werden und somit zum
distalen Kompressionssyndrom des N. ulnaris führen. Der Nerv
zieht zusammen mit der A. ulnaris zwischen dem Os pisiforme und
dem Hamulus ossis hamati unter dem relativ lockeren palmaren kar-
palen Ligament hindurch und teilt sich in seinen oberflächlichen
und tiefen Ast (. Abb. 48.10a; . Übersicht). Meistens ist eine zu
sätzliche Pathologie, wie ein Ganglion, ein Lipom, ein prominenter
Sehnenbogen des M. abductor digiti minimi oder M. flexor digiti
minimi, oder wiederholte traumatische oder mikrotraumatische a
Schädigungen notwendig, um zu einer klinisch manifesten Kom-
pression zu führen (Guyon 1861; Cobb et al. 1996).
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48
49
Nervenkompressionssyndrome
der unteren Extremität
R. Krämer, A. Gohritz
49.1 Grundlagen Besonders bei Assoziation mit Diabetes mellitus zeigen peri
49 phere Neuropathien eine bessere Prognose durch frühe Interven
49.1.1 Ätiologie tion. Eine Dekompression neuropathischer Nerven an physiologi
schen Engstellen führte in kontrollierten Vergleichsstudien bei
Nervenkompressionssyndrome entstehen durch chronische Dru Diabetikern in bis zu 100% zu einer signifikanten Verbesserung der
ckerhöhung an anatomischen Engstellen, wobei es oft durch hormo Symptome (Aszmann et al. 2000; Siemionow et al. 2006).
nelle, metabolische und traumatische Einflüsse zu einer ödematösen
Auftreibung der bindegewebigen Wandstrukturen einer physiolo
gischen Prädilektionsstelle kommt, deren fehlende Nachgiebigkeit 49.1.4 Betroffene Nerven
schließlich die Druckerhöhung bewirkt.
Eine vermehrte Disposition zu Nervenkompressionssyndromen Die Beckenregion und ebenso die untere Extremität bieten eine Viel
wird z. B. bei diabetischer Neuropathie beobachtet, wobei der intraneu zahl an physiologischen Engstellen, welche zu einer chronischen
rale Druck bereits im subklinischen Stadium generalisiert erhöht ist. Kompression von Nerven führen können. Zur besseren Übersicht
werden die hauptsächlich betroffenen Nerven und die Lokalisation
der Engstelle dargestellt.
49.1.2 Pathologie der Nervenkompression
Nevenkompression der unteren Extremität: hauptsächlich
Makroskopisch ist der Nerv am Ort der Kompression häufig ver
betroffene Nerven und Lokalisation der Engstelle
dünnt, proximal findet sich eine deutliche Schwellung in Form eines
sog. Pseudoneuroms, welches ebenfalls distal ausgebildet sein kann. 4 Leisten- und Genitalregion:
Pathophysiologisch wird dies durch einen Stau des axonalen Trans – N. cutaneus femoris lateralis (Meralgia paraesthetica)
ports, eine durch entzündliche Reaktion hervorgerufene Steigerung – N. ilioinguinalis, N. iliohypogastricus
der Gefäßpermeabilität und ein Ödem erklärt. – N. genitofemoralis
In der Mikroskopie finden sich in Anfangsstadien charakteristi – N. pudendus
sche Deformierungen zahlreicher Markscheidensegmente. Das Mye 4 Oberschenkel:
lin auf der Seite der Kompression ist verdünnt, auf der abgewandten – N. ischiadicus (Piriformissyndrom)
Seite dagegen geschwollen. Bei Kompression über einen längeren – N. obturatorius
Zeitraum erfolgt eine paranodale Demyelinisierung, daraufhin – N. femoralis
kommt es zu einer Infiltration mit Fibroblasten, die zunächst eine – N. saphenus, R. infrapatellaris
epineurale Fibrosierung bewirken. Später geht diese Fibrosierung 4 Unterschenkel und Fuß:
auch auf die endoneuralen Strukturen über und bewirkt eine Verdi – N. tibialis
ckung des Perineuriums. Terminal führt die chronische Kompres – N. peronaeus communis
sion zu einem Untergang von Axonen und Waller-Degeneration. – N. peronaeus profundus
– Morton-Metatarsalgie
– N. suralis
49.1.3 Diabetes mellitus und Nervenkompression
Im Bereich der Kniekehle sind Kompressionssyndrome des Nervs 49.2.10 N. peronaeus profundus
selten. Insbesondere der R. profundus verläuft hinter dem Fibula
köpfchen relativ exponiert (. Abb. 42.3), wodurch es hier eher zu Das vordere Tarsaltunnelssyndrom, das erstmals von Marinacci
externen Druckschäden kommt. Eine häufige Ursache ist das Über (1968) beschrieben wurde, stellt ein Kompressionssyndrom des En
einanderschlagen der Beine besonders bei abgemagerten Patienten dastes des N. peronaeus profundus unter dem Lig. cruciforme bzw.
durch den Verlauf in der lateralen Kniekehle. Auch lagerungsbe weiter distal unter der Sehne des M. extensor hallucis brevis dar
dingte Druckschäden in Narkose oder bei Bettlägerigen oder durch (Antoniadis et al. 1992; Mumenthaler et al. 1998).
Gipsverbände bedingte Druckschäden kommen vor.
Der N. peronaeus communis tritt in die Muskelloge zwischen Klinik und Diagnostik
den beiden Köpfen des M. peronaeus longus ein, wo deshalb echte Die Patienten geben ein Taubheitsgefühl zwischen der 1. und 2. Zehe
Kompressionssyndrome möglich sind (Mumenthaler et al. 1998). Sie sowie Schmerzen am Fußrücken bei Belastung, aber auch in Ruhe
wurden v. a. bei Arbeiten in hockender Stellung beschrieben. stellung an.
Eine Verdickung des Nervs kann ebenso zu einer Kompression Klinisch findet sich eine Hypästhesie im Innervationsgebiet des
führen, was in erster Linie durch seltene intraneurale Ganglien N. peronaus profundus und meist eine relativ umschriebene Druck
des N. peronaeus bedingt ist. Diese können belastungsabhängig dolenz sowie ein Hoffmann-Tinel-Zeichen des Nervs in Höhe der
intermittierende Schmerzen und Paresen verursachen und gehen Kompressionsstelle. Weiterhin kann es zu einer Atrophie des M. ex
mit einem dünnen Stiel vom Tibiofibulargelenk aus. Differen tensor hallucis brevis kommen.
zialdiagnostisch muss an ein Tibialis-anterior-Syndrom gedacht Diagnostisch wegweisend können elektroneurographisch im
werden. M. extensor digitorum brevis Denervationszeichen nachgewiesen
49.2 · Einzelne Kompressionssyndrome
435 49
werden mit einer verzögerten distalen motorischen Latenz zum Konglomerat mit der entzündlich veränderten Bursa führt. Dies
M. extensor digitorum brevis. Ein Seitenvergleich kann hier nützlich scheint in den meisten Fällen die Ursache der Morton-Metatarsalgie
sein. Einfache Druckschäden, z. B. durch enge Schnürstiefel sind zu sein.
differenzialdiagnostisch auszuschließen.
Symptomatik und Diagnostik
Therapie Zu den typischen Symptomen zählen belastungsabhängige attacken
Konservative Therapie. Vor einer operativen Therapie werden artig auftretende Schmerzen im Vorfuß mit Ausstrahlung in die
lokale Anästhetika- und Kortikoidinjektionen durchgeführt. Bei mittleren Zehen, die häufig nach Ende der Belastung nicht sistieren,
länger bestehenden Beschwerden und erfolgloser lokaler Kortikoid sondern als dumpfer Dauerschmerz imponieren und durch Tragen
infiltration ist die operative Exploration indiziert. enger Schuhe provoziert werden. Ebenso können sie in der Nacht
auftreten. Die Beschwerden werden oft jahrelang verkannt und als
Operative Therapie. Diese wird in Lokalanästhesie, i.v.-Regionala Spreizfußbeschwerden missdeutet, zumal gleichzeitig eine Spreiz
nästhesie oder Spinalanästhesie und Unterschenkelblutsperre durch fußdeformität vorkommen kann.
geführt. Über eine Längsinzision am Fußrücken wird vorsichtig das In der klinischen Untersuchung zeigt sich eine umschriebene
Subkutangewebe durchtrennt und ein evtl. atypisch verlaufender Druckdolenz zwischen der 3. und 4., selten auch der 2. und 3. Zehe,
sensibler Endast des N. peronaeus superficialis geschont. Das Reti unmittelbar distal oder zwischen den Metatarsalköpfchen. Bei Pal
naculum extensorum wird gespalten. Proximal kann der N. pero pation des Interdigitalraums mit Daumen und Zeigefinger einer
naeus profundus dargestellt und nach distal präpariert werden. Alle Hand unter gleichzeitiger seitlicher Kompression des Vorfußes bzw.
einschnürenden Strukturen werden entfernt, einschließlich eines der Metatarsophalangealgelenke mit der anderen Hand findet sich
öfters hier vorkommenden Ganglions. Bei einer weiter distal gele nicht nur der typische Schmerz, sondern gleichzeitig auch eine Kre
genen Kompression wird die Inzision S-förmig zwischen dem 1. und pitation des Pseudoneuroms (»Klick-Phänomen«). Häufig zeigen
2. Metatarsalraum gelegt und die Sehne des M. extensor digitorum sich sensible Störungen der lateralen Hälfte der 3. und/oder der me
brevis dargestellt und mit einem Haken vorgezogen. Darunter kann dialen Hälfte der 4. Zehe.
der Endast des M. peronaeus profundus aufgefunden werden. Die In die Differenzialdiagnostik müssen in erster Linie Spreizfuß
Sehne wird exstirpiert. beschwerden einbezogen werden, bei denen nicht der Interdigital
Der sensible N. peronaeus superficialis wird im Verlauf des late raum, sondern die Metatarsalköpfchen druckdolent sind. Eine Ten
ralen Unterschenkels bzw. beim Durchtritt durch die Fascia cruris dinitis mit ausgeprägter Druckschmerzhaftigkeit der Strecksehnen
außerordentlich selten isoliert komprimiert. Meist handelt es sich kann für belastungsabhängige Vorfußschmerzen ebenfalls in Frage
dabei um traumatische Läsionen, aufgetreten bei der operativen Ver kommen. Die häufig empfohlene diagnostische Abklärung mittels
sorgung von Außenknöchelfrakturen oder Bandrupturen. Infiltration eines Lokalanästhetikums ist häufig weniger hilfreich, da
neben dem Nerv auch die angrenzenden Strukturen wie Periost und
Sehnen anästhesiert werden.
49.2.11 Morton-Metatarsalgie Die elektrophysiologische Untersuchung der Interdigitalnerven
kann durchgeführt werden, ist aber technisch aufwendig. Dabei wird
Die Morton-Metartarsalgie wurde als erstes Engpasssyndrom eines mit speziellen Elektroden eine Stimulation der gegenüberliegenden
peripheren Nervs 1876 von Morton beschrieben und stellt mit etwa Zehenhälften durchgeführt, wobei das orthodrome SNAP hinter
1,6% der nicht unmittelbar traumatischen Nervenläsionen und 3% dem Innenknöchel des N. tibialis abgeleitet wird.
der Patienten mit Vorfußschmerzen ein relativ seltenes oder selten Eine magnetresonanztomographische Untersuchung ist trotz
erkanntes Krankheitsbild dar (Claustre u. Simon 1978; Mumenthaler neuer hochauflösender Oberflächenspulen bisher noch wenig ver
1974). Das Syndrom tritt vorzugsweise im Interdigitalraum 3/4 und lässlich.
seltener bei 2/3 auf, während es in den übrigen Interdigitalräumen
praktisch nicht vorkommt. Es findet sich bei Frauen mehr als 4-mal Operative Therapie und Indikationsstellung
häufiger als bei Männern (Assmus 1994). Ein konservatives Therapieregime mit Infiltration von Lokalanäs
thetika oder Kortikoidpräparaten führt trotz einzelner positiver Au
Pathogenese torenberichte nur selten zum Erfolg (Tackmann 1989).
Zur Pathogenese wurden seit der Erstbeschreibung durch Morton,
> Die chirurgische Behandlung ist bei der Morton-Meta
der eine Affektion des Metatarsalgelenks der 4. Zehe annahm, zahl
tarsalgie die Therapie der Wahl.
reiche und unterschiedlichste pathogenetische Vorstellungen ent
wickelt. Während die meisten Autoren die Resektion des Pseudoneuroms für
Logisch erscheint jedoch der von Assmus beschriebene patho erforderlich halten, gibt es auch Befürworter einer Neurolyse mit
genetische Mechanismus: Distal des Lig. metatarseum transversum oder ohne Spaltung des Lig. intermetatarseum (Gauthier 1979; Ma
profundum verlaufen die Zehennerven zusammen mit den beglei ckinnon u. Dellon 1988). Alternativ wurde von Gauthier 1979 eine
tenden Gefäßen nach dorsal, jedoch normalerweise nicht im Meta Spaltung des Intermetatarsalbandes ohne Neuromresektion emp
tarsalspalt. Dieser wird von der Bursa intermetatarsophalangea, fohlen.
welche häufig chronisch-entzündliche Veränderungen und Verdi Es wurden verschiedene operative Zugänge beschrieben (Miller
ckungen aufweist, ausgefüllt. Mulder wies erstmals 1951 darauf hin, 1981). Von den meisten Autoren wird der plantare Zugang gewählt,
dass diese voluminöse Bursa und ein relativ lockeres Intermetatar erstmals von Betts im Jahr 1940. Neben der üblichen plantaren
salband zwischen 3. und 4. Zehe die Verlagerung des plantaren Längsinzision ist auch eine plantare Querinzision gebräuchlich, die
Nerv-Gefäß-Bündels in den Metatarsalspalt begünstigen (Assmus eine gleichzeitige Inspektion der benachbarten Interdigitalräume
1994; Mulder 1951). Die dadurch in den Intermetatarsalspalt verla erlaubt.
gerten Digitalnerven erfahren zwischen den Metatarsalköpfchen Da die Narbe an der Fußsohle bei Belastung des Fußes stört und
eine chronische Irritation, die zur Pseudoneurombildung und einem postoperativ eine stationäre Behandlung erforderlich ist, findet der
436 Kapitel 49 · Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität
dorsale Zugang zunehmend Verbreitung, der technisch keine beson Aszmann OC, Kress KM, Dellon AL (2000) Results of decompression of periph-
49 deren Probleme bereitet. Man kann die Zehennerven vom distalen eral nerves in diabetics: a prospective, blinded study. Plast Reconstr Surg
Interdigitalraum, d. h. zwischen den Zehen, aufsuchen oder auch 106 (4): 816–822
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686–688
nächst auf die Bursa, die verdickt und mit dem Pseudoneurom fest Benini A (1992) [Ilio-inguinal and genito-femoral neuralgia. Causes, clinical
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legt. An der Basis der Zehen bzw. am Interdigitalraum wird mit der Dellon AL (2002) Prevention of foot ulceration and amputation by decom-
pression of peripheral nerves in patients with diabetic neuropathy. Os-
Inzision begonnen, die nach proximal auf eine Länge von 4–5 cm
tomy Wound Manage 48: 36–45
fortgeführt wird. Nach Einsetzen eines Wundspreizers und Identifi
Dellon AL, Mackinnon SE, Seiler WA IV (1988) Susceptibility of the diabetic
kation der Metatarsalköpfchen erkennt man im Intermetatarsalspalt nerve to chronic compression. Ann Plast Surg 20(2): 117–119
problemlos die in den meisten Fällen vergrößerte interdigitale Bursa, Ducic I, Dellon AL, Taylor NS. (2006) Decompression of the lateral femoral
die mit dem Morton-Neurom fest verbacken ist. Das Konglomerat cutaneous nerve in the treatment of meralgia paresthetica. J Reconstr
wird mit einer kräftigen Pinzette ergriffen und nach dorsal gezogen. Microsurg 22(2): 113–8
Vor der Resektion wird nochmals eine lokale Infiltration des Neu Fishman LM, Zybert PA (1992) Electrophysiologic evidence of piriformis syn-
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Vor dem Wundverschluss mit 3–4 Einzelknopfnähten wird ein
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Mini-Redovac eingelegt und anschließend ein Kompressionsver at urogenital diaphragm – new critical site for nerve entrapment. Urol-
band bis oberhalb der Knöchelregion angelegt. ogy 66 (5): 949–952
Am Folgetag wird die Drainage zusammen mit dem Verband Kitchen C, Simpson J (1972) Meralgia paresthetica. A review of 67 patients.
entfernt, die Fäden werden nach 10 Tagen gezogen. Direkt postope Acta Neurol Scand 48 (5): 547–55
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nach dem Eingriff in langsam zunehmendem Umfang wieder bela come for decompression surgery in diabetic and nondiabetic neuropa-
stet werden kann. thy. Ann Plast Surg 53 (6): 523–527
Ein protrahiertes Postneurektomiesyndrom kann auftreten, Linscheid RL, Burton RC, Fredericks EJ (1970) Tarsal-tunnel syndrome. South
Med J 63 (11): 1313–23
meist klingt der Wundschmerz oder Neurektomieschmerz aber 4–8
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sis in a primate median nerve model of chronic nerve compression.
Die operative Heilungsquote liegt zwischen 70 und 90% (Ass J Hand Surg Am 13(3): 345–351
mus 1994). Rezidive des operierten Interdigitalraums kommen Marinacci AA (1968) Medial and anterior tarsal tunnel syndrome. Electromy-
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VIII
Handchirurgie
P. Vogt
50.1 Anatomie
Die hochdifferenzierten Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten
der Hand werden durch ein System von 22 Handbinnenmuskeln,
27 Knochen sowie 5 ineinandergreifende Gelenkketten ermöglicht.
Die Innervation erfolgt durch 3 Stammnerven, die Nn. medianus,
radialis und ulnaris.
50.1.2 Haut
Handgelenk N. radialis. Zuständig für die komplette Streckseite bis auf die End-
Das Handgelenk besteht aus Radius und Ulna sowie 8 Handwurzel- glieder des Daumens, Zeige- und Mittelfingers sowie des radialsei-
knochen. Diese sind durch Bänder untereinander und den Metakar- tigen Ringfingers (. Abb. 50.6; gelb).
50.1 · Anatomie
445 50
a b
. Abb. 50.4 Daumensattelgelenk (a) und rotationsbedingte Inkongruenz bei der Opposition (b)
N. ulnaris. Versorgt sensibel den ulnarseitigen Ringfinger und den latur; . Abb. 50.7), sie ermöglichen die Feinmotorik der Hand. Hier-
kompletten Kleinfinger (. Abb. 50.6; blau). zu zählt die Thenarmuskulatur mit dem M. abductor pollicis brevis
(APB), dem oberflächlichen Anteil und der tiefen Schicht des M. fle-
xor pollicis brevis (FPB), dem M. adductor pollicis (AdP) und im ra-
50.1.5 Muskuläre Anatomie dialen Daumenbereich dem M. opponens pollicis (OP). Zudem zäh-
len dazu die Hypothenarmuskulatur mit dem M. opponens digiti
Wir unterscheiden das intrinsische und das extrinsische Muskel minimi (ODM), dem M. flexor digiti minimi (FDM), dem M. abduc-
system der Hand. Zur Beschreibung eines Befundes erfolgt die Ein- tor digiti minimi (ADM) und dem M. palmaris brevis (PB) und die
teilung in Zonen (7 unten). palmaren und dorsalen Mm. interossei sowie die Mm. lumbricales.
Hierbei versorgt der N. medianus die Thenarmuskulatur mit
Intrinsisches System Ausnahme des M. adductor pollicis und des tiefen Kopfs des M. fle-
Die zum intrinsischen System zählenden Muskelgruppen haben alle- xor pollicis brevis, daneben versorgt er die Mm. lumbricales 1 und 2.
samt Ursprung und Ansatz innerhalb der Hand (Handbinnenmusku- Der N. ulnaris innerviert die Muskulatur des Kleinfingerballens, die
446 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung
. Abb. 50.7 Handbinnenmuskeln und Fingersehnenscheiden einer rechten Hand, Palmaransicht. (Aus Tillmann 2010)
448 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung
50
50.1.7 Nerven
N. medianus
Der N. medianus zieht zwischen den beiden Köpfen des PT in den
Unterarm und verläuft hier zwischen M. flexor digitorum superfi-
cialis (FDS) und M. flexor digitorum profundus (FDP; . Abb. 50.14).
Motorisch innerviert er:
4 M. flexor carpi radialis,
4 M. pronator teres,
4 M. flexor digitorum profundus (radiale Hälfte: Digitus 2),
4 M. flexor digitorum superficialis,
4 M. palmaris longus,
4 M. flexor pollicis longus,
4 M. pronator quadratus,
4 M. abductor pollicis brevis,
4 M. opponens pollicis,
4 M. flexor pollicis brevis (Caput superficiale),
4 radiale M. lumbricales.
. Abb. 50.9 Zonen der Strecksehnen N. ulnaris
Der N. ulnaris tritt zwischen den Köpfen des M. flexor carpi ulnaris
Die Kreuzbänder werden von C1–C3 durchnummeriert und liegen (FCU) in den Unterarm und liegt hier unter dem FCU, bis er in den
zwischen dem A2- und A3- (C1), zwischen A3- und A4- (C2) und Guyon-Kanal eintritt (. Abb. 50.15). Er innerviert motorisch:
zwischen A4- und A5-Ringband (C3). 4 M. flexor carpi ulnaris,
4 M. flexor digitorum profundus (ulnare Hälfte: Digiti 3–5,
4 M. adductor pollicis,
50.1.6 Gefäßversorgung 4 M. flexor pollicis brevis (Caput profundum),
4 M. flexor digiti minimi,
Die arterielle Blutversorgung der Hand speist sich aus den Aa. ra- 4 M. abductor digiti minimi,
dialis und ulnaris über einen oberflächlichen und einen tiefen Hohl- 4 M. opponens digiti minimi,
handbogen. Die A. radialis läuft zwischen FCR und M. brachioradi- 4 Mm. interossei,
alis zum Handgelenk und teilt sich dort in einen größeren dorsalen 4 ulnare Mm. lumbricales.
Ast, der durch die Tabatière zum Arcus palmaris profundus läuft,
und in einen kleineren Ast, der zum oberflächlichen Hohlhand N. radialis
bogen läuft. Die A. ulnaris läuft am Handgelenk lateral des N. ulna- Der N. radialis zieht zwischen den Köpfen den M. supinator in den
ris und medial des FCU und teilt sich in den größeren palmaren Unterarm und liegt hier zwischen M. brachioradialis und M. exten-
Ast, der den oberflächlichen Hohlhandbogen dominiert, und einen sor carpi radialis longus und brevis (. Abb. 50.16). Innervation:
kleineren dorsalen Ast, der in den Arcus palmaris profundus mün- 4 M. brachioradialis,
det (. Abb. 50.13). 4 Mm. extensores carpi radialis longus et brevis,
50.1 · Anatomie
449 50
. Abb. 50.11 Zonen der Beugesehnen . Abb. 50.12a, b Ring- und Kreuzbänder der Finger: A1–5: Ligg. anularia,
C1–3: Ligg. cruxiata
450 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung
50
4 Mm. extensores carpi ulnaris, Vor allem bei nichttraumatischer Beschwerdesymptomatik sind fol-
4 M. supinator, gende Informationen zu eruieren:
4 M. extensor digitorum communis, 4 Seit wann und in welcher Intensität bestehen die Beschwerden?
4 M. extensor indicis, 4 Sind andere Gliedmaßen mitbetroffen?
4 M. extensor digiti minimi, 4 Kommt es zur Besserung oder Verschlechterung unter bestimm
4 Mm. extensor pollicis brevis et longus, ten Umständen (typische Bewegungen, Schonhaltungen)?
4 M. abductor pollicis longus. 4 Ergebnisse von Voruntersuchungen?
4 Bestehen Vor-/Begleiterkrankungen (z. B. Gicht, Rheuma
o. A.)?
50.2 Klinische Untersuchung der Hand 4 Medikamentenanamnese.
50.2.1 Anamnese
50.2.2 Untersuchungsablauf
Die Untersuchung der Hand beginnt mit der Anamneseerhebung
und Befragung des Patienten oder Angehöriger zum Unfallgesche- Um keine wichtigen Aspekte zu vergessen, empfiehlt sich eine stan-
hen bzw. dem Verlauf der Beschwerden. Bei einem Unfallereignis ist dardisierte Untersuchung, z. B. nach dem in der . Übersicht darge-
zu klären: stellten Schema.
4 Wann, wo und wie (genauer Mechanismus, in welcher Position Die Bewegungsumfänge werden nach der Neutral-0-Methode
befand sich die Hand/der Finger, ist die Wunde sauber oder ver- gemessen und dokumentiert. Hiernach wird entschieden, ob ggf.
schmutzt)? Röntgensaufnahmen (7 Kap. 51) oder weitere Untersuchungen not-
4 Welche bisherige Therapie (insbesondere Gabe von Schmerz- wendig sind.
mitteln/Lokalanästhetika)?
4 Vorherige Unfälle/Vorschädigung der betroffenen Extremität?
4 Tetanusstatus?
4 Dominante Hand, spezielle berufliche und freizeitliche Ansprü-
che des Patienten?
50.2 · Klinische Untersuchung der Hand
451 50
. Abb. 50.14 Motorische Innervation des N. medianus . Abb. 50.15 Motorische Innervation des N. ulnaris
Durch Drücken der Fingerbeere und des Fingernagels kann man M. extensor digitorum communis (EDC)
sich einen groben Überblick über die Durchblutungssituation ver- Der Patient soll die Finger in den Grundgelenken strecken.
schaffen und die Zeit der Rekapillarisierung bestimmen. Die Aa. ra-
dialis und ulnaris können palpiert werden. Bei Bedarf sollte eine M. extensor indicis proprius (EIP), M. extensor
Ultraschallkontrolle erfolgen. Zur Funktionsprüfung dient der Al- digiti minimi (EDM)
len-Test (. Abb. 50.17). Nach Palpation von Aa. radialis und ulnaris Mit geschlossener Faust soll der Patient den Zeigefinger/Kleinfinger
werden diese durch die Finger des Untersuchers okkludiert. Nun herausstrecken.
50.2 · Klinische Untersuchung der Hand
453 50
Mm. interossei
Während der Untersucher Widerstand am Zeige- und Kleinfinger
außen bietet, soll der Patient versuchen, die Finger zu spreizen.
Phalen-Test die Hand des Patienten nach ulnar abduziert. Schmerzen bei die-
Der Patient wird aufgefordert, beide Hände mit aufgestützten Ellbo- sem Manöver sind ein Hinweis auf eine Tendovaginitis de Quervain
gen für 1 min gebeugt hängen zu lassen. Auch hier kommt es bei (Einengung des 1. Strecksehnenfachs mit APL- und EPB-Sehne;
einem durch ein Karpaltunnelsyndrom vorgeschädigten Nerv zu . Abb. 50.20).
typischen Parästhesien (. Abb. 50.19).
! Cave
Finkelstein-Test Der Einschluss des Daumens in die Faust und eine ruck
Nachdem der Patient den Daumen in der Hohlhand gebeugt hat, artige Deviation der Hand nach ulnar, wie häufig falsch
wird dieser vom Untersucher unter leichter Spannung gehalten und angegeben, führt oft zu falsch-positiven Ergebnissen.
454 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung
50
Grind-Test
Die axiale Kompression und Rotation oder Adduktion des Daumens
beim Grind-Test (engl. »to grind«=reiben, zermalen) lösen bei einer
degenerativen Arthritis, v. a. am Daumensattelgelenk (Rhizarthro-
se), Schmerzen aus (. Abb. 50.20).
Watson-Test
Der Scaphoid-shift-Test nach Watson dient dazu, eine Instabilität
des Skapholunärbands (SL-Instabilität) oder Skaphoidfraktur zu
erkennen, hat allerdings nur eine geringe Sensitivität und Spezifität:
Das Kahnbein wird in Ulnarabduktion vom Untersucher zwischen
. Abb. 50.20 Finkelstein-Test Daumen und Zeigefinger fixiert, wobei der Daumen fest auf den
distalen Pol drückt. Die andere Hand hält hierbei die Ossa meta
carpalia und bewegt das Handgelenk nach ulnar, wobei das Kahn-
bein in Extension gebracht wird (. Abb. 50.21). Liegt eine SL-Band-
verletzung oder Kahnbeinfraktur vor, subluxiert der proximale Pol
nach dorsal und stößt dabei gegen den Zeigefinger des Untersu-
chers.
> Der Test sollte immer auch auf der unverletzten Gegensei-
te wiederholt werden und reicht allein nicht zur Diagnose
aus.
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51
Bei vielen Verletzungen und Erkrankungen der Hand ist eine genaue 51.2 Röntgen
Diagnosestellung und Klassifikation in Ergänzung der klinischen
Untersuchung nur durch zusätzliche bildgebende Verfahren mög- Die Röntgendarstellung der Hand wird standardmäßig in 2 Ebenen
lich. Bekanntlich zeigte das erste von Wilhelm Röntgen selbst 1895 – einer radiopalmaren und seitlichen Standardaufnahme . Abb. 51.1)
mit Hilfe seiner X-Stahlen angefertigte Bild die beringte rechte Hand – angefertigt (. Abb. 51.1). Die Notwendigkeit zu besonderen Un-
seiner Gattin. tersuchungen ergibt sich aus der klinischen Verdachtsdiagnose oder
51 Das konventionelle Röntgen stellt bis heute meist die Basisdia- wenn nach Standardaufnahmen noch keine sichere Aussage möglich
gnostik dar. Zusätzlich sind je nach Art und Ausmaß der pathologi ist. Beispiele hierfür sind Spezialdarstellungen bei Verdacht auf
schen Veränderungen Spezialuntersuchungen notwendig, beispiels- Kahnbeinfraktur, Stressaufnahmen des Handgelenks in Radial- und
weise eine Computertomographie, um eine komplexe knöcherne Ulnarduktion mit Faustschluss (Ballaufnahme; . Abb. 51.2a) bei
Situation zu klären, oder eine Magnetresonanztomographie zur Dar- Verdacht auf SL-Bandruptur oder die Spezialeinstellung des Os pisi-
stellung der Weichteile. forme zum Ausschluss einer pisotriquetralen Pathologie (. Tab. 51.1;
Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über die modernen Methoden . Abb. 51.2).
der Bildgebung, ihre speziellen Indikation an der Hand sowie Beson-
> Zur Abgrenzung pathologischer Veränderungen von
derheiten ihrer Durchführung und Auswertung.
Normvarianten empfiehlt sich das Mitröntgen der Gegen-
seite.
51.1 Verfahrenswahl
Die wichtigsten bildgebenden Diagnostikmethoden in der Handchi- 51.2.1 Röntgenologische Knochenmorphologie
rurgie mit ihrem primären Einsatzgebiet sind in der . Übersicht an Handgelenk, Handwurzel, Mittelhand
dargestellt. und Fingern
Gliederung
Die wichtigsten bildgebenden Diagnostikmethoden Das Handgelenk besteht aus 2 funktionellen Einheiten:
der Handchirurgie 4 Komplex aus Radiokarpal- und Mediokarpalgelenk und
4 Röntgen (Basisdiagnostik) 4 distalem Radioulnargelenk.
4 Sonographie (Weichteile, Entzündungen)
4 Computertomographie (knöcherne Morphologie) Die Gelenkfläche des Handgelenks wird zu 3/4 vom Radius und
4 Magnetresonanztomographie (Weichteildarstellung) zu 1/4 vom ulnaren Knorpel-Band-Komplex gebildet. Die bikon
4 Kinematographie (bewegungsabhängige Pathologien) kave Radiusgelenkfläche besteht aus der Fossa scaphoidea und
4 Szintigraphie (knöcherne Umbauprozesse, Perfusionsver lunata, den Facetten für die entsprechenden Handwurzelkno
änderungen) chen. Die dreieckförmige Fossa scaphoidea bildet an der Spitze den
4 Arthrographie (Gelenkinnenräume) Processus styloideus radii. Ulnarseitig bildet die Incisura ulnaris
4 Angiographie (Gefäßdarstellung) radii die Gelenkfläche zum Ulnakopf im distalen Radioulnar
gelenk.
a b
. Abb. 51.1 Röntgendarstellung der Hand und des Handgelenkes in den 2 Standardebenen: radiopalmar (a.-p.) der gesamten Hand (a), des Handgelenks
(b) und seitlich (c)
51.2 · Röntgen
459 51
c d
. Abb. 51.2a–d Spezialdarstellungen werden bei spezifischen Fragestel Radial- (b) und Ulnarduktion (c) bei Verdacht auf SL-Bandruptur. Schrägauf
lungen durchgeführt. Faustschlussaufnahme (a) und Stressaufnahmen mit nahmen bei Frakturverdacht, z. B. der Metakarpalia (d)
Anordnung der Handwurzelknochen Bei jeder Unterbrechung der Kontur dieser Bögen besteht Verdacht
Die 8 Ossa carpalia gliedern sich in auf eine karpale Instabilität.
4 proximale Reihe (Os scaphoideum, Os lunatum, Os triquetrum)
und Karpale Winkel
4 distale Reihe (Os trapezium, Os trapezoideum, Os capitatum, Os Gefügestörungen der Handwurzel können durch Messung der kar-
hamatum). palen Winkel am Röntgenbild erkannt werden, die sich aus den
Längsachsen durch Radius, Skaphoid, Lunatum und Kapitatum er-
Dazwischen liegt das Mediokarpalgelenk: Das Os pisiforme mit sei- geben.
nem Gelenk zum Os triquetrum ist ein Sesambein der M.-flexor-
> Die bestimmten Winkel und Gelenkabstände sind oft ein
carpi-ulnaris-Sehne, es gehört keiner der beiden Reihen an.
wichtiger Hinweis auf pathologische Veränderungen, z. B.
Karpale Bögen bei der Diagnostik einer skapholunären Bandzerreißung.
Für sich allein sind sie jedoch nicht beweisend.
Beide Handwurzelreihen sind in 3 parallel verlaufenden Karpal
bögen (nach Gilula) angeordnet: Die physiologischen Messgrenzen sind in . Tab. 51.2 dargestellt.
4 Verbindung der proximalen Konturen der proximalen
Reihe, Relative Länge von Ulna und Radius
4 Verbindung der distalen Konturen der proximalen Reihe, Die Gelenkfläche zum Os lunatum liegt normalerweise auf gleicher
4 Verbindung der proximalen Konturen der distalen Reihe. Höhe zur radialen Seite des Ulnakopfes, dabei sind 2 mm Höhen
460 Kapitel 51 · Bildgebende Untersuchung der Hand
Ganze Hand dorsopalmar Trauma, Fehlbildung, Bestimmung des Knochen Hand/distaler Unterarm komplett erfasst
51 alters
Ganze Hand schräg (»Zitherspieler«) Trauma, Fehlbildung, Bestimmung des Knochen Metakarpalia weitgehend, Phalangen vollständig proji
alters ziert
Handgelenk/Karpus dorsopalmar Trauma, karpale Instabilitäten Processus styloideus ulnae im Profil an der Außenseite
des Caput ulnae
Handgelenk/Karpus seitlich Trauma, karpale Instabilitäten Radius und Ulna/Metakarpale 2 und 5 projizieren sich
aufeinander, Karpalia können unterschieden werden
Skapholunäre Lücke spezial Verdacht auf skapholunäre (SL) Bandverletzung Skapholunärer Spalt in maximaler Breite dargestellt
(Monheim-Aufnahme)
Trapezium spezial Verdacht auf Trapezium-, Bennett-, Rolando- Beide Sesambeine aufeinander projiziert
Fraktur, Rhizarthrose
Karpaltunnelaufnahme Verdacht auf knöchern bedingtes Karpaltunnel Tuberositas ossis trapezii, Hamulus ossis hamati und
syndrom (z. B. infolge Lunatumluxation) Pisiforme frei projiziert
Ulnarduktion der Hand Karpale Instabilitäten, Skaphoidfraktur, -pseudar Volle Länge des Skaphoids, Trapezform des Lunatums,
throse »tiefe« Position des Triquetrums
Radialduktion der Hand Karpale Instabilitäten (z. B. SL-Bandruptur) Ringzeichen des Skaphoids
Palmar-/Dorsalflexion des Hand Karpale Instabilitäten, Gelenkadhäsionen Radius/Ulna und Metakarpale 2 und 5 projizieren sich
gelenks aufeinander
unterschied nach proximal oder distal noch innerhalb der Toleranz- 51.2.2 Sonographie
grenze. Man unterscheidet
4 Ulna-plus-Variante (relative Überlänge): Die Ultraschalluntersuchung kann in erfahrener Hand eine wertvol-
Kann Ursache einer Schädigung des ulnokarpalen Bandkom- le Screening-Methode zur Ergänzung der klinischen Untersuchung
plexes sein. sein, sie kann manchmal sogar wesentlich aufwendigere und teurere
4 Ulna-minus-Variante (relative Unterlänge): Verfahren verzichtbar machen. Zur Untersuchung der Handweich-
Kann durch Zunahme der karpalen Belastung eine avaskuläre teile wird ein Schallkopf mit hochfrequentem linearem Ultraschall
Lunatumnekrose begünstigen. (7,5–15 MHz) verwendet, zur Gefäßdarstellung die farbkodierte
Duplexsonographie (. Abb. 51.3).
Beide Längenabweichungen können posttraumatisch (z. B. einge- Die Hauptindikationen sind in der . Übersicht aufgelistet.
stauchte Fraktur oder Fehlstellung) entstehen.
Struktur Echogenität
Sehnen und Echoreich (senkrechtes Anschallen) oder echoarm (schräges Anschallen), fibrilläre Binnenstruktur, Gleitbewegung darstellbar,
Sehnenscheiden Vagina synovialis im Querschnitt echoarmer Ring
Bänder Ähnliche Echotextur wie Sehnen, ulnares Kollateralband am Daumengrundgelenk gut sichtbar, Ring- und Kreuzbänder nur
indirekt beurteilbar (normale Anlagerung der Beugesehne an Phalangen)
Muskeln Echoarm, mit typischer Längsfiederung, parallel verlaufende Septen und Faszien wie schmale hyperreflexive Bänder,
Muskelquerschnitt getüpfelt
Hyaliner Knorpel Fast echofrei, Grenzflächen nur bei senkrechter Beschallung klar sichtbar
Faserknorpel Echoreich, kann aber am triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC) nur ungenau dargestellt werden
Gefäße Arterielle Lumina echoarm bis echofrei und bis in die Fingerkuppen erkennbar, mit farbkodierter Duplexsonographie (FKDS)
farbige Darstellung möglich
Nerven Tubuläre Strukturen, fibrilläre Binnenstruktur (Nervenfaszikel), Echogenität je nach Schalleinfallswinkel (geringer als bei
Sehnen), Epi-/Perineurium echoreich
462 Kapitel 51 · Bildgebende Untersuchung der Hand
Multiplanare Reformation (MPR) Bei den meisten Indikationen erfolgt eine intravenöse Kontrastmit-
Mit dieser Berechnung beliebiger Schichten aus dem axialen Bildsta- telgabe.
pel können standardisierte koronale und sagittale Rekonstruktions- Bei Fragestellungen bezüglich der karpalen Ligamente und des
ebenen erzielt werden (z. B. bei Subluxationen des distalen Radioul- ulnokarpalen Knorpel-Band-Komplexes kann die Aussagekraft der
nargelenks, Darstellung der Handwurzelknochen). Untersuchung durch eine intraartikuläre Gabe (direkte MR-Arthro-
graphie) erheblich erhöht werden.
3-D-Oberflächenrekonstruktion (»shaded surface Problem der MRT-Untersuchung bei handchirurgischen Patien
display«=SSD) ten ist ihre häufig unspezifische Anwendung mit nur geringer Sen-
Dieses Rekonstruktionsverfahren ermöglicht die Darstellung dreidi- sitivität für das zu untersuchende Problem.
mensionaler Ansichten. Hauptanwendungen der SSD-Technik sind
> Eine adäquate MRT-Bildqualität mit hoher diagnostischer
die übersichtliche Darstellung der Fragmente und deren Dislokation
Sicherheit setzt allerdings nicht nur den Einsatz von spe
bei komplexen Frakturen. Zur Sichtbarmachung überdeckter Kno-
ziellen Spulen (»Handspule«) und intravenösen Kontrast-
chenflächen können einzelne Knochenteile bei der elektronischen
mitteln voraus, sondern v. a. aber eine exakte Beschrei-
Berechnung entfernt (»exartikuliert«) werden (. Abb. 51.4).
bung der Fragestellung.
Nur so kann der Radiologe die geeignete Schnittebene und Puls
51.4 Magnetresonanztomographie (MRT) sequenzen, einschließlich fettgesättigter Techniken, für die spezielle
Problematik auswählen.
Die Magnetresonanztomographie ist ein hochinnovatives Verfahren,
das als Spin-Echo- oder Gradientenechosequenzen eingesetzt wird.
> Vorrangiges Ziel der MRT ist die Darstellung der Weich
51.5 Kinematographie
teile, inklusive der Bänder, der Synovialis, des hyalinen
Eine dynamische Untersuchung des Handgelenks unter Röntgen-
Knorpels und des Knochenmarks (. Abb. 51.5). Die MRT
durchleuchtung eignet sich zur Visualisierung von Bandinstabili-
ist zudem bei knöchernen Veränderungen mit Ödemen
täten, die zu Klick- und Schnappphänomenen führen können. Auch
das sensitivste Schnittbildverfahren.
Bandrupturen, z. B. die resultierende Erweiterung des SL-Spaltes
Die wesentlichen Anwendungsgebiete sind in der . Übersicht dar- unter Belastung und Ulnarduktion, kann herausprojiziert und mit
gestellt. der Gegenseite verglichen werden.
a b
. Abb. 51.4 Computertomographie der Handwurzel mit 3-D-Oberflächenrekonstruktion bei perilunärer Luxation
51.8 · Angiographie
463 51
. Abb. 51.5 Magnetresonanztomographie (MRT) des Unterarms in Höhe lichkeit der anatomischen Strukturen wie Muskeln, Streck-, Beugesehnen
des distalen Radioulnargelenks (DRUG) mit detaillierter Darstellungsmög und Gefäß-Nerven-Bündeln
. Abb. 51.7 Die digitale Substraktionsangiographie (hier die direkte An len Aufzweigungen und einen sensitiven Nachweis von Durchblutungsstö
giographie) ermöglicht eine Darstellung der Gefäße bis in die feinsten dista rungen wie bei der hier dargestellen Thrombangiitis
51.8 · Angiographie
465 51
gischer Probleme unbedingt notwendig. Die Wahl des optimalen
bildgebenden Verfahrens richtet sich nach der vorherigen klinischen
Untersuchung.
Bei komplizierten Fragestellungen sollte die Indikation inter
disziplinär zwischen Handchirurg und spezialisiertem Radiologen
gestellt werden. Gemeinsame Fallkonferenzen können für beide
Fachrichtungen wertvolle Anregungen und eine erhöhte gemein-
same diagnostische Treffsicherheit bringen.
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52
Arthrographie
Die Arthrographie dient zur Darstellung von intrakarpalen Band
läsionen und Rissen des Discus ulnocarpalis. Unseres Erachtens hat
sie mit Einführung der direkten Arthro-MRT/CT-Verfahren an Be-
deutung verloren, da selbst bei einer 3-Kompartiment-Arthrogra-
phie keine genügend hohe Sensitivität erzielt wird.
. Abb. 52.1 Lagerung und Aufhängung der Hand am Traction-Tower
Computertomographie (CT)
Die CT-Untersuchung hat ihre Stärken in der hochauflösenden
Darstellung von Knochenveränderungen. So können intraartikuläre
Frakturen sicherer beurteilt werden oder intraossäre Zysten darge-
stellt werden. Die Aussagekraft zu interkarpalen Winkelmaßen und
Gelenkspaltabständen ist nur eingeschränkt möglich, da im Ver-
gleich zur konventionellen Röntgenaufnahme der Arm und die
Hand nicht in Neutralstellung gehalten werden. Die Aussagekraft
des direkten Arthro-CT, also der CT-Aufnahme nach Gabe eines
intrakarpalen Kontrastmittels, bei intrakarpalen Bandverletzungen
ist im Vergleich zur direkten Artho-MRT-Untersuchung noch nicht
vollständig geklärt.
3-4-Portal dorsaler Venen vermeiden. Der Zugang wird in erster Linie als In-
Der am häufigsten genutzte Zugang für das Radiokarpalgelenk lässt strumentenzugang genutzt, bietet aber auch Möglichkeiten, die Ge-
sich durch Tasten der Radiuskante mit dem Daumen etwas distal des lenkfacetten des Os hamatum einzusehen
Tuberculum listeri sicher auffinden. Der Untersucherdaumen gibt
der M.-extensor-pollicis-longus-Sehne direkten Schutz. Der sehr
sichere Zugang bietet direkte Sicht auf das SL-Band. Ein Vorspiegeln 52.3 Diagnostische Arthroskopie
zum Proc. styloideus radii ist ebenso gut möglich wie das Spiegeln
des ulnokarpalen Gelenkes. Die diagnostische Arthroskopie beginnt mit dem sog. 2-Kanülen-
Test. Hierbei wird durch eine Kanüle das Radiokarpalgelenk aufge-
52 4-5-Portal füllt, eine zweite Kanüle, meist im MCR-Portal, kann dann einen
Das Portal zwischen dem 4. und 5. Streckerfach wird in der Regel möglichen Flüssigkeitsübertritt als Ausdruck einer SL-Bandläsion
durch einen Schnittpunkt einer verlängerten Linie der 4. Kommissur preisgeben. Die Wertigkeit dieser Prüfmethode zur Detektion von
und durch den Lichtpunkt des bereits in das Ulnokarpalgelenk vor- karpalen Bandverletzungen ist den gleichen Unsicherheiten wie die
geführten Arthroskops bestimmt. Durch diese Diaphanoskopie kön- Arthrographie unterworfen. Auch hier kann es bei unidirektionalem
nen Verletzungen dorsaler Venen gut vermieden werden. Flüssigkeitsübertritt zu falsch-negativen Ergebnissen kommen. Der
Untersuchungsgang kostet aber kaum Zeit und füllt die Gelenke mit
6-R-/6-U-Portal Flüssigkeit auf, was eine mögliche Knorpelverletzung beim Bougie-
Die radial (6-R) und ulnar (6-U) der M.-extensor-carpi-ulnaris-Seh- ren der Zugangswege minimiert.
ne gelegenen Zugänge bieten insbesondere bei der Diskusnaht die Nachfolgend ist ein möglicher Untersuchungsgang beschrieben.
Möglichkeit, zusätzliche Instrumente einzubringen.
> Entscheidend für die Befundqualität ist, dass man immer
6-U-Portal nach einem klaren und routinemäßigen Schema alle we-
sentlichen intrakarpalen Strukturen abfährt und überprüft.
Beim diesem Zugang ist besondere Vorsicht geboten, da hier der
distale Ast des N. ulnaris häufig quere Gelenkäste abgibt, die verletzt
werden könnten.
52.3.1 Untersuchungsgang radiokarpal
MCR-Portal
Das Mediokarpal-radiale (MCR-) Portal liegt im sog. Softspot etwa Ausgehend vom 3-4-Portal zeigt sich zunächst die Fossa scaphoidea.
1 cm distal des 3-4-Portals zwischen Kahnbeintaille, radialem Kapi- Durch einen Schwenk der Kameraoptik um 90° erhält man im obe-
tatumpol und verlängerter Linie des 3. Mittelhandknochens (MHK). ren Bildabschnitt die Gelenkfläche des Kahnbeins, im unteren die
Der Zugang lässt gute Übersicht auf die mediokarpalen Gelenk der Fossa scaphoidea. Die Kamera wird jetzt entlang der Radiusge-
flächen des Skaphoids, Kapitatums und des Triquetrums zu. Der lenkfläche bis zum Proc. styloideus radii geführt. Hier zeigen sich bei
SL- und der LT-Spalt können eingesehen werden, ebenso das RSC- SL-Bandinstabilitäten oft Anzeichen einer Arthrose.
Band und das STT-Gelenk. Durch Fortführen der Kamera können jetzt der palmare Anteil
der Radiusgelenkfläche und die radiopalmaren Bänder betrachtet
MCU-Portal werden. Bei intakten Verhältnissen sind die Bänder gut angespannt.
In Verlängerung des 4. MHK findet sich das mediokarpal-ulnare Das sog. Testut-Band zeigt palmar als neurovaskuläres Bündel die
(MCU-) Portal etwa 1 cm distal des 4-5-Portals. Auch hier kann man palmaren Anteile des SL-Bandes an. Durch Zurückführen des Ar-
sich den Zugang durch vorausgehendes Aufsuchen des MCR-Portals throskops kann das SL-Band auf ganzer Länge betrachtet werden
und anschließende Diaphanoskopie erleichtern und Verletzungen (. Abb. 52.3).
b
a
. Abb. 52.3 Untersuchungsgang radiokarpal über das 3-4-Portal (a) mit Austasten des SL-Bandes (b)
52.3 · Diagnostische Arthroskopie
471 52
b
a
. Abb. 52.4 Untersuchungsgang ulnokarpal. Zugang über das 6-R-Portal (a). Trampolintest über dem Discus ulnocarpalis (b)
b
a
. Abb. 52.5 Untersuchungsgang mediokarpal: Sicht auf das STT-Gelenk vom MCR-Portal (a) mit Darstellung von Trapezium, Trapezoid und skaphoidaler
Gelenkfläche (b)
52.3.2 Untersuchungsgang ulnokarpal ken werden die Bandstrukturen abgefahren und auf ihre Spannung
geprüft.
Um in das ulnokarpale Kompartiment zu gelangen, wird das Arthro-
skop bis zum Testut-Band vorgeführt. An der palmaren Radiuskante > Für die vollständige Prüfung des LT-Bandes ist mitunter
entlang kann nun das Mondbein teilweise auf das Arthroskop gela- der Wechsel von Instrumenten- und Kameraportal not
den werden. Die Kamera schaut jetzt von palmar nach dorsal über wendig.
die Fossa lunata hinweg auf den Discus ulnocarpalis und die ulno-
dorsale Kapsel. Wie oben erwähnt, kann jetzt der Instrumentenzu-
gang im 4-5-Portal genutzt werden. 52.3.3 Untersuchungsgang mediokarpal
Nach Einbringen des Tasthakens wird die Kamera etwas zurück-
geführt. So können die ulnopalmaren Bänder beurteilt werden. Mit Der Zugang über das MCR-Portal lässt zunächst das Skaphoid und
dem Tasthaken wird der Discus ulnocarpalis abgefahren und auf den radialen Pol des Os capitatum erkennen. Folgt man dem Skapho-
verdeckte Risse überprüft. Dabei findet sich physiologisch ein fe- id, gelangt man zum STT-Gelenk (. Abb. 52.5). Palmar kann das
dernder Widerstand, der als positiver Trampolintest bezeichnet wird RSC-Band (Lig. radioscaphocapitatum) eingestellt werden. Bei ge-
(. Abb. 52.4b). eigneter Ausrichtung der Kamera kann nun proximal der SL-Spalt
Der ulnare Recessus kann ebenfalls dargestellt werden. Hier betrachtet werden. Je nach Formvarianz des Lunatums kann der LT-
findet sich häufig eine ausgeprägte Synovialitis. Mit dem Tastha- Spalt in der gleichen Einstellung sichtbar sein, ansonsten muss man
472 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks
52
b
a
. Abb. 52.6 Sicht auf den SL-Spalt mediokarpal vom MCR-Portal aus (a). Darstellung der Gelenkflächen von Capitatum und Scaphoid (b)
b
a
c d
Die partielle Resektion (bis zu 2/3) des Discus ulnocarpalis führt bei
Belassen des Lig. radioulnare dorsale und palmare nicht zu einer
Instabilität oder zu einer vermehrten Druckübertragung im ulno-
karpalen Kompartiment (Adams u. Holley 1993; Palmer 1989). Nach
eigener Erfahrung erbringt das Débridement sowohl bei degenera-
tiven als auch bei veraltet traumatischen Läsionen eine Schmerzlin-
52 derung. Frische traumatische Läsionen, die nahtfähig sind, sollten
direkt genäht werden. Technisch erfolgt das Débridement mit unter-
schiedlich resezierenden Instrumenten. Im eigenen Vorgehen wird
die kombinierte Verwendung von Punch-Zange und Shaver bevor-
zugt, mit denen insbesondere bei degenerativen Veränderung auch
eine Synovialektomie des DRUG erfolgen kann.
52.5.2 Diskusnaht
Der Zugang für den Shaver ist das 4-5- oder 6-R-Portal.
Nicht zu große Ganglien, die die dorsale Kapsel durchbrechen,
können auf dieselbe Weise entfernt werden. Durch die angeschlos-
sene Saugung wird der Inhalt des Ganglions entfernt. Meist entsteht
eine Fensterung der Gelenkkapsel, ohne dass Anteile des RLT-Ban-
des verletzt werden sollten. Palmare Ganglien oder Ganglien im Be-
reich des pisotriquetralen Gelenkes sind nicht immer sicher mit dem
Arthroskop zu entfernen. Sollte hier eine Beschwerdesymptomatik
bestehen, empfiehlt es sich, auf ein offenes Verfahren umzusteigen.
a
Die Indikation zur »Wafer resection« erfolgt bei fortgeschrittener
Chondromalazie des Ulnakopfes. Mit Hilfe einer Knochenfräse
wird dabei der vorstehende Ulnakopf bis subchondral abgetragen.
Die offenen operativen Alternativen zu diesem Verfahren sind die
Operation nach Bowers (Hemiresektion des Ulnakopfes mit Ein-
schlag eines Kapsellappens in das DRUG) bis hin zur Operation nach
Darach mit kompletter Resektion des Ulnakopfes. Eine weitere Al-
ternative ist die Ulnaverkürzungsosteotomie, die neben der reinen
Niveauoperation auch eine Straffung des ulnokarpalen Komplexes
bringt.
52.5.5 Abrasionsarthroplastik
b
52.5.6 Arthroskopisch unterstützte Versorgung
intraartikulärer Radiusfrakturen
. Abb. 52.9a–c Diskusnaht durch Fadenfängermethode. Nach Anfrischen 52.6 Kontraindikationen und Komplikationen
der Rupturzone wird der intraartikulär durch eine Kanüle eingebrachte
Faden (a) durch eine zusätzliche Schlaufe (Fangfaden) gefasst (b) und damit Kontraindikationen. Eine Kontraindikation zur Handgelenksar-
nach extraartikulär verlagert, wo der Faden dann geknotet wird (c) throskopie besteht bei floriden Infekten oder einem CRPS.
476 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks
Komplikationen. Zu den speziellen Komplikationen aufgrund der Tunnerhoff HG, Haussmann P (2001) [What are the indications for arthro-
relativ schwierigen Punktionstechnik am Handgelenk zählen: scopic repair of ulnar tears of the TFCC?]. Handchir Mikrochir Plast Chir
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53
. Tab. 53.1 Einteilung der kindlichen Frakturen nach Salter-Harris und Aitken
I Reine Ablösung der Epiphyse von der Metaphyse ohne knöcherne Verletzung (Epiphysiolyse)
II I Ablösung der Epiphyse mit Absprengung eines metaphysären Knochenkeils ohne knöcherne Verletzung
der Epiphyse
III II Teilablösung der Epiphyse bei Fraktur der Epiphyse ohne metaphysäre Beteiligung
. Tab. 53.2 Therapeutisches Vorgehen bei Endgliedfrakturen der Finger abhängig vom Frakturtyp
Konservative Therapie
Knöcherner Strecksehnen Geschlossene Fraktur, Fragment in Ruhigstellung: Intrinsic-plus-Lage- 5 Tage Intrinsic-plus- und 6–8 Wochen
ausriss (. Abb. 53.2) Stack-Schiene retinierbar rungsschiene und Stack-Schiene Stack-Schiene (. Abb. 53.2)
Schaftfrakturen geschlossene Fraktur, nicht disloziert Ruhigstellung: Intrinsic-plus-Lage- 5 Tage Intrinsic-plus- und 4–6 Wochen
rungsschiene und Stack-Schiene Stack-Schiene
Operative Therapie
Knöcherner Strecksehnen Offene Fraktur, luxiertes größeres Reposition geschlossen: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
ausriss Fragment, in Stack-Schiene nicht 4 Extensionsblock (. Abb. 53.4) und 4–6 Wochen Stack-Schiene
retenierbar 4 Hakendrahtosteosynthese
Reposition offen:
4 K-Draht-Osteosynthese
4 Schraubenosteosynthese
4 Zuggurtung
Busch-Fraktur Immer operative Reposition und Reposition perkutan: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
Osteosynthese 4 K-Draht-Osteosynthese mit und 4–6 Wochen Stack-Schiene
Extensionsblock (. Abb. 53.5)
Reposition offen:
4 K-Draht Osteosynthese
4 Schraubenosteosynthese
Nagelkranzfrakturen Offene Fraktur, große dislozierte Reposition geschlossen und offen: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
Fragmente, Nagelbettverletzung 4 K-Draht Osteosynthese und 4–6 Wochen Stack-Schiene
Schaftfrakturen Offene Fraktur, disloziert Reposition geschlossen oder offen: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
4 K-Draht-Osteosynthese und 4–6 Wochen Stack-Schiene
4 Schraubenosteosynthese
53
a b
Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Frakturzeichen.
5 Schwellung der Phalanx und/oder des Gelenks.
5 Einschränkung der Beweglichkeit.
5 Fehlstellung, Achsenknick, Rotationsfehler.
5 Bei Luxationsfrakturen: Fehlstellung des Fingers in Gelenk
nähe, Gelenkinstabilität.
4 Radiologisch:
5 Röntgen a.-p./streng seitlich.
5 Präoperativ kann ein CT bei intraartikulären Frakturen mit
fraglicher Indentation des Knorpels und der Kortikalis
manchmal hilfreich sein.
Therapie
4 Therapieziele:
5 Wiederherstellung der knöchernen Kontinuität, der Gelenk-
fläche, der Fingerachse und Korrektur eines Rotationsfeh-
lers.
5 Stabilisierung des Bandapparates.
Konservative Therapie
Einfache Schaft Geschlossene Fraktur, nicht Lagerungsschiene »intrinisc plus« Ruhigstellung für 4–6 Wochen
frakturen disloziert, kein Achsknick und
Rotationsfehler
Knöcherner Ausriss Geschlossene Fraktur, keine Lagerungsschiene Ruhigstellung für 5 Tage, gefolgt
palmare Platte Instabilität, kleines Fragment Frühfunktionelle Beübung im von aktivem Üben im Extensionsblock für
Extensionsblock (10°) 6 Wochen
Knöcherner Ausriss Geschlossene Fraktur, keine Lagerungsschiene Ruhigstellung für 5 Tage, gefolgt
Seitenband Instabilität, kleines Fragment Frühfunktionelle Beübung von aktivem Üben mit »buddy-tape« für
im »buddy-tape« 6 Wochen
Operative Therapie
Köpfchenfrakturen Geschlossene und offene Frakturen Reposition Ruhigstellung für 4–6 Wochen
(. Abb. 53.6) Drahtosteosynthese
Schraubenosteosynthese
Plattenosteosynthese
Köpfchen- und Basis Geschlossene und offene Frak- Reposition Dynamischer Fixateur für 6 Wochen mit
trümmerfrakturen turen, keine osteosynthetische Dynamischer Distraktionsfixateur aktiver und passiver Übungstherapie
(. Abb. 53.7) Retention der Fragmente möglich Physiotherapie
Köpfchen- und Basis- Geschlossene und offene Fraktu- Reposition des indentierten Anteils Dynamischer Fixateur für 6 Wochen mit
frakturen ren, Indention von Anteilen der der Gelenkfläche aktiver und passiver Übungstherapie
Gelenkfläche Spongiosatransplantation
Dynamischer Fixateur
Schaftfraktur Geschlossene oder offene Fraktu- Reposition Ruhigstellung für 4–6 Wochen, aktive Be-
ren, mit oder ohne Achsenknick K-Drahtosteosynthese übung bei Stabilität
und Rotationsfehler Plattenosteosynthese
Schraubenosteosynthese
53
(. Abb. 53.6 und . Abb. 53. 7). Grundsätzlich gelten die in . Tab. 53.3 53.2 Luxationen der Finger und des Daumens
dargestellten Therapieprinzipien.
Ziel ist immer die frühfunktionelle Nachbehandlung. 53.2.1 Luxationen der Fingerend-,
Mittel- und Grundgelenke, Luxationen
Postoperatives Management des Daumenendgelenks
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Bei Frakturen mit bewegungsstabiler Schrauben-/Plattenosteo- Ätiologie
synthese: Wechsel auf kurze Hohlhandfinger-Lagerungsschiene Neben den beschriebenen Luxationsfrakturen stellen reine Luxa
nach 7–10 Tagen für 4 Wochen, Beginn mit aktiven/passiven tionen der Finger und des Daumens den Hauptteil der Fingerver
Übungsbehandlungen aus der Schiene heraus nach 10 Tagen. letzungen dar, häufig als Folgen von Sportverletzungen. Je nach Um-
4 Dynamischer Fixateur externe für 6 Wochen, sofortige Übungs- fang der Bandzerreißung können Luxationen zu einer mono- oder
behandlungen. multidirektionalen Instabilität führen. Liegt eine Dislokation des
4 Kompressionsfingerling nach Fadenentfernung. Knochens vor, so müssen mindestens 2 der anatomischen Struktu-
ren in . Abb. 53.8 verletzt sein. Die Behandlung von Luxationsfol-
Komplikationen von Fingerfrakturen gen der Finger ist in der Regel länger und problematischer als bei
> Neben einer anatomisch genauen Reposition der Fraktur einfachen Fingerfrakturen. Die sofortige intensive Übungsbehand-
ist die frühzeitige Übungsbehandlung, insbesondere lung ist für den weiteren Verlauf und die Folgen der Luxation ent-
nach Luxationsfrakturen, ausschlaggebend für die Ver- scheidend.
minderung von Gelenkkontrakturen und Sehnenverkle-
bungen. Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
Auf die Transfixation eines Gelenks mittels Draht sollte nach Mög- 5 Geschwollenes Gelenk, Beweglichkeit eingeschränkt.
lichkeit verzichtet werden. Schwellungsbedingte Bewegungsein- 5 Versatz der Phalanx.
schränkungen können gut mit der Anpassung eines Kompres 5 Gelenk aufklappbar mit festem Anschlag: Bandelongation
sionsfingerlings und durch Lymphdrainagen therapiert werden. oder Teilruptur.
Andere Komplikationen entsprechen den oben beschriebenen 5 Gelenk aufklappbar, instabil, ohne festen Anschlag: Bandzer-
(7 Kap. 53.1.1 Fingerfrakturen, Endgliedfrakturen, Allgemeine Kom- reißung.
plikationen). 4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen a.-p./streng seitlich, ggf. gehaltene Aufnahmen: Ver-
satz der Phalanx, ggf. unterschiedliche Gelenkspaltweite, ggf.
Rotation der Phalanx sichtbar.
5 MRT (selten notwendig).
53.2 · Luxationen der Finger und des Daumens
483 53
Postoperatives Management
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Konservative Therapie:
5 5 Tage palmare Intrinsic-plus-Lagerungsschiene.
5 Anschließende frühfunktionelle Therapie für 6 Wochen mit-
tels »buddy-taping« (laterale Luxation) oder Extensionsblock
(palmare Luxation).
4 Operative Therapie:
5 14 Tage palmare Intrinsic-plus-Lagerungsschiene.
5 Anschließend frühfunktionelle Therapie für 4 Wochen mit-
tels »buddy-taping« (laterale Luxation) oder Extensionsblock
(palmare Luxation).
5 Bei Transfixation: Transfixationsdraht für 3 Wochen, an-
schließend »buddy-taping« oder Extensionsblock für 3 Wo-
chen.
5 Bei Lengemann-Naht: Entfernung der Naht nach 6 Wochen.
53
. Abb. 53.9a–d Operationsschritte bei Versorgung einer ulnaren Seitenbandläsion. a Inzision. b Eröffnung der Adduktoraponeurose. c Darstellung der
Bandläsion. d Bandrefixation
teralband direkt genäht werden. Bei einem knöchernen Ausriss oder Komplikationen
nicht vorhandenen Bandresten muss das Kollateralband transossär Neben einer verbleibenden Instabilität bei erneuter postoperativer
refixiert werden. Dies kann durch Verwendung einer Drahtnaht Ruptur des Bandes kann als hauptsächliche Komplikation eine Be-
nach Lengemann oder eine transossäre Naht mit einem nicht resor- wegungseinschränkung des Daumengrundgelenks insbesondere für
bierbaren Material (4-0-Polypropylen) erfolgen. Auf eine Transfi die Flexion resultieren. Eine posttraumatische Arthrose kann die
xation des Gelenks mit einem K-Draht sollte möglichst verzichtet Folge sein.
werden. Die inzidierte Adduktoraponeurose muss wieder anatomie-
gerecht hergestellt, begleitende palmare Kapsel-Band-Läsionen (pal-
mare Platte) ebenso rekonstruiert werden. 53.2.3 Luxation des Daumensattelgelenks
Postoperatives Management Ätiologie
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1. Luxationen des Daumensattelgelenks entstehen durch eine massive
4 Ruhigstellung in einer Lagerungsschiene des Daumens und Krafteinwirkung auf das Gelenk und sind eher selten. Oft findet
Handgelenks unter Freigabe des IP-Gelenks für 2 Wochen, weitere man sie nach Motorradunfällen, bei denen der Motorradlenker die
Ruhigstellung für 4 Wochen in einer kurzen Daumenorthese. Kraft des Aufpralls auf das Daumensattelgelenk überträgt. Hierbei
4 Entfernung der Lengemann-Naht und Freigabe des Gelenks kommt es zu einer Ruptur des Lig. metacarpale dorsale 1 und das
nach 6 Wochen. Lig. trapezometacarpale, was aufgrund der Zugwirkung der Sehne
53.2 · Luxationen der Finger und des Daumens
485 53
Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Deutliche Luxationsstellung des Daumens mit dorsaler oder
lateraler Dislokation des Os metacarpale 1.
5 Geschwollenes Daumensattelgelenk.
5 Bewegungseinschränkung des Daumens.
4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen 1. Strahl a.-p./seitlich/oblique, Sattelgelenkzielauf-
nahme.
Therapie
In der Regel muss bei persistenter Luxationstendenz durch den Zug
der M.-abductor-pollicis-longus Sehne die Therapie operativ durch
Naht der Bandstrukturen erfolgen. Hilfreich ist hier zusätzlich die
Transfixation des Metakarpale 1 an das Metakarpale 2 nach erfolgter
Reposition zur Retention und Entlastung der Bandnaht (7 Kap. 53.3.1
Bennett-Fraktur). Manchmal ist die zusätzliche Transfixation des
Daumensattelgelenks notwendig.
Postoperatives Management
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Postoperative Röntgenkontrolle.
4 Ruhigstellung in einer Daumenlagerungsschiene in palmarer
Abduktion des Daumens unter Einschluss des Grundgelenks
und des radialen Handgelenks für 6 Wochen. . Abb. 53.11 Bennett-Fraktur
4 ME der Drähte nach 6 Wochen.
4 Übungsbehandlungen.
486 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen
Komplikationen
Als Folge einer Reruptur oder Elongation der genähten Bandstruk-
turen kann eine persistente Subluxationsstellung im Daumensattel-
gelenk verbleiben. Zudem folgen nicht selten posttraumatische Rhi-
zarthrosen und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Eine
sekundäre Arthroplastik kann indiziert sein.
53.3.1 Bennett-Fraktur
Ätiologie
Die Bennett-Fraktur ist eine intraartikuläre Luxationsfraktur der
Basis des 1. Metakarpale. Axiale Kräfte, die auf einen leicht ge- . Abb. 53.12 Rolando-Fraktur
beugten Daumen treffen, sind meist für die Entstehung der Fraktur
verantwortlich. Durch zwei stabile Bänder, das Lig. metacarpale dor-
sale 1 und das Lig. trapezometacarpale, bleibt der ulnare Anteil der
Basis des Metakarpale 1 am Trapezoideum fixiert, wohingegen der ße des ulnaren Fragmentes kann die Osteosynthese perkutan oder
radiale Anteil des Matakarpale 1 nach proximal abschert. Der Dau- offen mittels Minifragmentschrauben oder Kirschner-Drähten er-
men bleibt durch den kontinuierlichen Zug der M.-abductor-polli- folgen.
cis-longus-Sehne (APL-Sehne) in der Subluxationsstellung und lässt
sich nur schwer reponieren. Bennett Frakturen treten meist als ge- Postoperatives Management
schlossene Frakturen auf. 4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Röntgenkontrolle postoperativ und nach 4 Wochen.
Diagnostisches Vorgehen 4 Ruhigstellung in einer Daumenlagerungsschiene in palmarer
4 Klinik: Abduktion des Daumens unter Einschluss des Grundgelenks
5 Geschwollenes Daumensattelgelenk, Bewegungseinschrän- und des radialen Handgelenks für 4–6 Wochen.
kung. 4 ME der Drähte nach 6 Wochen.
5 Subluxationsstellung des Daumens im Sattelgelenk. 4 Übungsbehandlungen.
4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen 1. Strahl a.-p./seitlich/oblique, Sattelgelenkzielauf- Komplikationen
nahme. Die häufigste Komplikation nach einer Bennett-Fraktur ist die post-
traumatische Sattelgelenkarthrose. Eine anatomiegerechte Wieder-
Therapie herstellung der Gelenkkongruität ist daher von entscheidender Be-
4 Therapieziel: deutung (7 Kap. 53.1.1 Fingerfrakturen, Endgliedfrakturen, Allgemeine
5 Wiederherstellung der Gelenkkongruität und der Beweglich- Komplikationen).
keit.
Eine konservative Therapie ist meist nicht möglich, da durch den 53.3.2 Rolando-Fraktur
kontinuierlichen Zug der APL-Sehne regelhaft eine Dislokation be-
stehen bleibt. Eine Stufenbildung der Gelenkfläche von >1 mm gilt Ätiologie
als Operationsindikation. Nach der Reposition durch Traktion und Die Rolando-Fraktur ist eine Y-förmige Pilonfraktur der Metakar
Abduktion führen wir die geschlossene Retention des reponierten, pale-1-Basis, die in der Regel durch eine axiale Krafteinwirkung
palmar abduzierten Metakarpale 1 durch eine Fixation an das Meta- auf den 1. Mittelhandknochen entsteht (. Abb. 53.12).
karpale 2 mit einem K-Draht durch, ausgehend vom Metakarpale 2
durch einen schräg axialen Draht in das Os trapezium. Je nach Grö-
53.4 · Metakarpale Frakturen
487 53
53.3.3 Winterstein-Fraktur
Ätiologie
Die Winterstein-Fraktur ist eine extraartikuläre Schräg- oder Quer-
fraktur des Metakarpale 1. Sie geht in der Regel mit einer Dislokati-
on und Varusfehlstellung des Daumens einher und bedarf der ope-
rativen Therapie (7 Kap. 53.3.1 und 53.3.2; . Abb. 53.13).
Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Schwellung des Metakarpale 1.
5 Verkürzung und Varusfehlstellung des Metakarpale 1.
4 Apparative Diagnostik:
5 Konventionelles Röntgen a.-p./seitlich.
Therapie
Auch bei dieser Frakturform ist regelhaft die offene Reposition und
Plattenosteosynthese über einen dorsoradialen Zugang notwendig
(Leiterplatte/T-Platte), um der Tendenz zur Dislokation entgegenzu-
wirken.
Postoperatives Management
Das postoperative Procedere entspricht dem der Rolando-Fraktur
(7 Kap. 53.3.2). Mit geführten Übungsbehandlungen aus der Schiene
heraus sollte 1 Woche postoperativ begonnen werden.
53
a b
c d
53
a b
c d
Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Anamnestisch adäquates Trauma.
5 Radialseitig geschwollenes Handgelenk.
5 Verstreichen der Tabatière, Bewegungs- und Druckschmerz
über dem radialen Handgelenk, verstärkt bei Radialduktion
und Extension.
5 Gehäuft symptomarmer Verlauf, daher oft übersehen.
4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen: Obligat: a.-p./seitlich/Ulnarduktion/45° oblique
(Stecher-Aufnahme), ggf. Skaphoidquartett, immer im Seiten
vergleich, bei negativem Befund Kontrolle nach 7–14 Tagen.
5 CT: In der Skaphoidachse, notwendig zur Unterscheidung
stabiler und instabiler Frakturen, genauere Aussage zu Trüm-
merzonen und Humpback-Deformität (. Abb. 53.17) sowie
. Abb. 53.17 Humpback-Deformität des Kahnbeins (links normale Situation) der exakten Lage der Fraktur.
5 MRT: Zur Klärung der Perfusion des proximalen Fragmentes
bei KM-Gabe und zur frühen Erkennung einer Fraktur.
Von den instabilen Frakturen ist der Typ B2 nach Herbert am häu-
figsten. Die Klassifikation nach Herbert ist eine radiologische Klas-
sifikation, die Aussagen bezüglich der Frakturstabilität zulässt
(. Übersicht und . Abb. 53.18). Diese Frakturform stellt aufgrund
der Tendenz zur Ausbildung einer Humpback-Deformität immer
eine Indikation zur operativen Therapie dar.
53
a b c
. Abb. 53.19a–c »Scaphoid non union advanced collapse wrist« (»SNAC wrist«). a SNAC I, b SNAC II, c SNAC III«
4 Humpback-Deformität.
4 Verlust der karpalen Integrität. 4 Offene Schraubenosteosynthese:
4 Dislokation: Abwinkelung der Skaphoidachse von >15% und/ – Bei starkem Achsenknick (»humpback«) mit palmarsei-
oder Dislokation um 1 mm. tiger kortikaler Impression kann ein offenes Vorgehen,
4 Instabilität der Fraktur. ggf. mit einer Spongiosaplastik vom Radius oder Becken-
kamm, notwendig werden. Das Vorgehen erfolgt hier
Diese Indikationsstellung beinhaltet nahezu alle Herbert-Typ-B- eher von palmar. Das Kahnbein wird manuell unter Ulnar-
Frakturen. duktion/Extension und Zuhilfenahme eines Zahnarzt
Frakturen, die das distale Drittel des Kahnbeins umfassen, wer- hakens aufgerichtet.
den in der Regel von einem palmaren Zugang aus operiert, Frak- Bei starker Humpback-Deformität wird der nach dem
turen des proximalen Drittels von einem dorsalen Zugang aus. Frak- Aufrichten verbleibende Knochendefekt mit Spongiosa
turen des mittleren Drittels können von beiden Zugängen aus ver- unterfüttert und das Kahnbein wie oben beschrieben
sorgt werden. Wir empfehlen das in der . Übersicht dargestellte mit einer kanülierten Schraube osteosynthetisiert.
operative Vorgehen zur Osteosynthese einer Skaphoidfraktur.
Weichteilrekonstruktion im Bereich
der Finger
M. Meyer-Marcotty
54.1 Neurovaskuläre Lappen 4 Des Weiteren ist die Lokalisation des Defektes (ulnar oder ra
zur Rekonstruktion dial, Teilverlust oder kompletter Verlust einer Fingerkuppe)
von Fingerendglieddefekten wichtig für die Planung der Rekonstruktion. Ein Defekt an der
radialen Seite eines radial gelegenen Langfingers (2. oder 3. Fin
Die Fingerkuppe ist ein hoch spezialisiertes Endorgan mit besonde ger) ist aufgrund der Einschränkungen bei der Durchführbar
rer Ausbildung des Tastsinns. Sie hat eine große Dichte an speziellen keit des Spitz- oder Schlüsselgriffes gemeinsam mit dem Dau
sensorischen Rezeptoren, wodurch die Form, die Oberflächen men eine stark behindernde Verletzung für den Patienten.
beschaffenheit und die Temperatur eines Objektes unterschieden 4 Die ulnare Handkante und Kuppe des 5. Fingers ist als Tast
werden können [Stereognosis (gr. stereo=fest) Erkennung einer ge organ ein wichtiger Bestandteil einer intakten Hand.
ometrischen Form]. Auch zur Kontaktaufnahme, zur Erfahrung
unseres Umfeldes und Kommunikation und als Teil eines mecha
nischen Greifwerkzeuges haben die intakten Fingerkuppen eine 54.3 Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens
große Bedeutung.
Die Hebung des Lappens muss ebenfalls vor dem Hintergrund der
54 ! Cave
Die besonderen sensorischen Rezeptoren können nicht
in 7 Kap. 54.2 erwähnten Grundsätze sorgfältig geplant werden. Die
Hebemorbidität darf den funktionellen Gewinn nach einer erfolg
durch Verwendung von beliebigen Hautarealen ersetzt
reichen Kuppenrekonstruktion nicht übersteigen.
werden.
Vor einer Fingerkuppenrekonstruktion sollte klar sein, ob die
Um eine bestmögliche Wiederherstellung des Tastsinns und der ste dominante Hand betroffen ist. Auch das Berufsbild und die Patien
reognostischen Fertigkeiten zu erreichen, sollte zur Rekonstruktion ten-Compliance sind wichtige zu bedenkende Faktoren in der Pla
der Fingerkuppen ein möglichst ähnliches Gewebe vom selben Fin nung für eine erfolgreiche neurovaskuläre Fingerkuppenrekons
ger oder von einem anderen Finger, in Einzelfällen auch von einem truktion (→ Kälteintoleranz nach neurovaskulärer Rekonstruktion,
Zeh verwendet werden. schwere körperliche/handwerkliche Arbeit in kalter/feuchter Umge
bung).
> Die erfolgreiche Rekonstruktion von Fingerkuppen
In Einzelfällen ist der Patient mit der »schnellen« Stumpfversor
verletzungen erfordert gute anatomische Kenntnisse,
gung besser versorgt als mit langwierigen und aufwendigen Lappen
Kenntnisse über die zur Verfügung stehenden Rekons
plastiken. Der Patient muss über die Art der Rekonstruktion genaues
truktionstechniken sowie fundierte chirurgische Fer
tens aufgeklärt werden und insbesondere auch über die teilweise
tigkeiten.
wochenlange postoperative Rehabilitationszeit. Manche Patienten
Bei der Zerstörung der Fingerkuppe können weitreichende Beein können nicht nikotinabstinent leben und sind daher nicht geeignet
trächtigungen für den Patienten resultieren. So sagte z. B. Bunnell: für aufwendige rekonstruktive Verfahren.
a b
. Abb. 54.2 Radialer tangentialer Defekt der Fingerkuppe mit eingezeich- näht, Y-förmiger Verschluss des Hebedefektes an der radialen Kante der Fin-
54 netem V-förmigem Lappen (a). Mobilisierter Lappen in den Defekt einge- gerkuppe (b). (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)
Bei der Indikationsstellung zu einem beidseitigen VY-Vorschub det, kann aber auch bei Kuppendefekten der Langfinger eingesetzt
lappen nach Kutler ist zu bedenken, dass die Lappen nur sehr klein werden. Es werden beidseits Mediolateralschnitte angelegt und
sind. Dieser Lappen ist von Seiten der Präparation als unsicher ein der palmare Lappen unter Schonung der beiden palmaren Gefäß-
zustufen, die Reichweite dieser Lappen ist sehr eingeschränkt, und Nerven-Bündel, des Subkutangewebes und der Beugesehnenscheide
schließlich kann die radiale Narbenbildung im Bereich der Finger mobilisiert (. Abb. 54.3a). Die Präparationsebene liegt auf der
kuppe des 2. oder 3. Fingers bei Durchführung des Pinzetten- oder Beugesehnenscheide. Die dorsalen Äste der Arterien und Nerven,
Schlüsselgriffes sehr beeinträchtigend für den Patienten sein. die an der Basis der proximalen Phalanx nach dorsal ziehen, müs
sen erhalten bleiben. Nach ausreichender Mobilisation wird der
Palmare Dehnungslappenplastik nach Moberg Lappen in den Defekt eingenäht. Dies kann unter leichter Flexion
Der Moberg-Lappen, zuerst von Moberg 1964 beschrieben, wird des IP- und MP-Gelenkes erfolgen. Der Hebedefekt kann entwe
bevorzugt zur Deckung von Daumenkuppenverletzungen verwen der über eine großzügige VY-Plastik über dem MCP-Gelenk pri
a b
a b c
. Abb. 54.4 Teilverlust der Fingerkuppe mit Zerstörung des ulnaren Gefäß- parationsebene ist direkt auf der Beugesehnenscheide. Der eingeheilte
Nerven-Bündels am 3. Finger (a). Bis zur Beugefurche des PIP-Gelenkes Lappen mit guter Rekonstruktion der Fingerkuppe (c). (Aus Meyer-Marcotty
mobilisierter Lappen gestielt am radialen Gefäß-Nerven-Bündel (b). Die Prä- et al. 2007a)
mär verschlossen werden oder mittels Vollhauttransplantation truiert werden. Die Präparationsschicht streng auf der Beugeseh-
(. Abb. 54.3b). nenscheide ermöglicht ein sicheres und schonendes Vorgehen.
Postoperativ sollte eine Ruhigstellung in leichter Flexion des
! Cave
IP- und/oder MP-Gelenkes erfolgen, um eine zu große Spannung in
Problematisch kann die Mobilisation eines relativ großen
der Lappenspitze zu vermeiden.
Lappens mit der Gefahr eines Teilverlustes der distalen
! Cave Lappenanteile aufgrund einer eingeschränkten Durchblu-
Die Ruhigstellung darf nicht länger als 10 Tage betragen, tung sein.
um Beugekontrakturen in den Daumengelenken zu ver-
meiden. Palmare oder dorsale Translationslappenplastik
Die Vorteile einer Defektdeckung mittels Moberg-Lappen liegen nach Hueston
4 in der großen Sicherheit der Gefäßversorgung des Lappens und Die Translationslappenplastik nach Hueston wird an einem unilate-
4 der schnellen und relativ einfachen Mobilisation streng auf der ralen Gefäß-Nerven-Bündel gestielt. Hierbei handelt es sich um eine
Beugesehnenscheide der M.-flexor-policis-longus-Sehne. Dehnungs-Rotations-Lappenplastik. Mit dieser Technik können
4 Die Sensibilität der Daumenkuppe kann mit diesem Vorschub kleinere Defekte, z. B. über freiliegenden Sehnen, streck- oder beu
lappen zuverlässig und mit einem guten Ergebnis für den Patien geseitig gedeckt werden (. Abb. 54.5). Eine Überschreitung der funk
ten wiederhergestellt werden. tionellen Einheiten des Fingers sollte bei der Anwendung dieses Lap
pens vermieden werden. Ein Nachteil dieser Lappenplastik ist die oft
Nachteilig kann sich die postoperative Schonhaltung in Flexions notwendige Vollhauttransplantation zur Deckung des Hebedefektes.
stellung des IP- und MP-Gelenkes auswirken, speziell bei Patienten
mit arthrotischen Veränderungen der entsprechenden Gelenke. Die
Ruhigstellung darf nicht mehr als 10 Tage betragen.
Laterale Dehnungslappenplastik
nach Venkataswami und Subramanian
Verletzungen, die mit einem (Teil-) Verlust der Fingerkuppe bei
horizontalem Defektverlauf auf Höhe des mittleren P3-Segmentes
einhergehen mit zusätzlicher Schädigung eines mediolateralen Kup
penanteils und Gefäß-Nerven-Bündels können durch die unilaterale
Dehnungslappenplastik nach Venkataswami und Subramanian ge
deckt werden. Das noch erhaltene unilaterale Gefäß-Nerven-Bündel
versorgt die gesamte rekonstruierte Kuppe. Die Schnittführung und
Präparation sollte großzügig erfolgen, um einen gut schwenkbaren
Lappen zu erhalten.
Wie in . Abb. 54.4 dargestellt wird der Lappen bis an die distale
Grenze der Grundphalanx mobilisiert. Hierdurch kann eine span
nungslose Deckung der gesamten Kuppe unter bestmöglichem Län
generhalt und guter Kuppensensibilität erzielt werden. Der Hebede
fekt wird in VY-Technik verschlossen. . Abb. 54.5a–c Schematische Darstellung eines palmaren Dehnungslap-
Mit diesem Lappenprinzip können Fingerkuppendefekte mit pens nach Hueston. Der Hebedefekt wird durch ein kleines Vollhauttrans-
nur noch einem intakten Gefäß-Nerven-Bündel suffizient rekons plantat verschlossen
500 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger
a b
c d
. Abb. 54.6 Planung des Littler-Lappens von der ulnaren Kante des 4. Fin- fäß-Nerven-Bündel 8 als Stiel. Ligatur des Abgangs der radiopalmaren Arte-
gers gehoben (a). Der distale Bereich der Kuppe des 4. Fingers wird nicht rie und Nerv des 5. Fingers (Arterie/Nerv 9) zur Vergrößerung des Schwenk-
mit gehoben. Präparation des Lappens mit dem Stiel, hier (b) wird das Ge- radius des Lappens (c). (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007b)
54.4 · Methoden
501 54
Foucher-Lappen
Der Foucher-Lappen dient ebenfalls der neurovaskulären Rekon
struktion von Daumendefekten vornehmlich an der ulnaren Dau
menkante (. Abb. 54.7). Foucher u. Brown haben diesen Lappen
erstmalig 1979 beschrieben, wobei der Foucher-Lappen eine Modi
fikation bzw. Weiterentwicklung des Hilgenfeldt-Lappens (Mobert
1972) ist. Als neurovaskulärer Stiel dient die 1. dorsale Intermetakar
palarterie mit dem begleitenden dorsalen Nervenast des N. radialis.
Der Lappen wird von der dorsalen Seite der proximalen Phalanx des
2. Fingers gehoben. Nach der Präparation des Stiels folgt die Unter
tunnelung in Richtung Daumendefekt.
Die Deckung des Hebedefektes kann mit Vollhaut erfolgen.
> Mit dem neurovaskulär gestielten Foucher-Lappen kann
eine exzellente Wiederherstellung einer sensiblen Dau-
menkuppe erzielt werden (Tränkle et al. 2004).
Der Gefäßstiel dieses Lappens ist sehr sicher und hat ein gutes Kali a
ber. Wie in . Abb. 54.7 dargestellt, ist die Reichweite des Foucher-
Lappens sehr groß und reicht bis an die Daumenkuppe.
Nachteilig wirkt sich bei diesem Lappen der Sensibilitätsverlust
auf dem Rücken des 2. Fingers aus, der von manchen Patienten als
sehr störend beschrieben wird. Eine Deckung des Hebedefektes mit
Vollhaut ist notwendig, wobei das Paratenon der Strecksehne unbe
dingt als Empfängerbett für das Vollhauttransplantat belassen wer
den muss, da sonst eine Einheilung des Hauttransplantates direkt auf
der Strecksehne gefährdet ist.
Dorsaler Metakarpalarterienlappen
(DMCA-Lappen)
Die dorsale Metakarpalarterie ist der Gefäßstiel für den DMCA-
Lappen. Da diese Arterien von radial nach ulnar in ihrer Kaliber
stärke deutlich abnehmen und auf der ulnaren Handrückenseite
eher inkonstant ausgebildet sind, wird dieser Lappen nur an der 1.
oder 2. dorsalen Metakarpalarterie gehoben (. Abb. 54.8). Der
DMCA-Lappen kann sowohl für palmare als auch dorsale Defekte b
am 1.–3. Finger eingesetzt werden. Präoperativ ist zur sicheren
Darstellung eines Stielgefäßes eine Doppler-Sonographie empfeh
lenswert.
Der DMCA-2-Lappen wird aus dem Bereich des 2. Intermeta
karpalraums entnommen. Die proximale Lappengrenze reicht bis an
die distalen Grenzen der Metakarpalknochenbasen 2 und 3. Das
Subkutangewebe einschließlich der die Interosseusmuskulatur be
deckenden Faszie wird mit dem Stiel präpariert und gehoben. Die
Reichweite dieses Lappens kann bis auf Höhe des proximalen An
teils des Endgliedes ausgedehnt werden (Karacalar u. Özcan 1997;
. Abb. 54.9a). Der größere Schwenkradius ist mit einer größeren Un
sicherheit der Gefäßversorgung verbunden, da die Anastomosen
zwischen dem dorsalen und palmaren Gefäßsystem auf Höhe des
proximalen P1-Segmentes inkonstant sein können. Dieser Lappen
kann als neurovaskulärer Lappen gehoben werden.
Der Hebedefekt wird primär verschlossen, es handelt sich um
ein einzeitiges Verfahren, und der Patient kann früh mobilisiert wer c
den (Karacalar u. Özcan 1997).
. Abb. 54.7 Sensible Rekonstruktion eines Daumens nach Komplettverlust
Cross-finger-Lappen, Reversed-cross-finger- der Weichteile und Leistenlappenrekonstruktion. Lappenplanung (a). Der
Lappen Foucher-Lappen ist gehoben und an seinem Stiel in den zu deckenden De-
Dieser Lappen wurde erstmalig in den 1950-er Jahren von Gurdin u. fekt auf Höhe der Daumenkuppe geschwenkt (b). Resultat nach Einheilung,
Pangman (1950) sowie von Curtis (1957) beschrieben und ist seither sichtbarer Hebedefekt an der Basis des Zeigefingers (c)
vielfach angewandt worden. Sowohl palmare als auch dorsale De
fekte können mit einem Cross-finger-Lappen bzw. einem Reversed-
cross-finger-Lappen gedeckt werden.
502 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger
54 a b
c d
. Abb. 54.8 Der Lappen wird präoperativ eingezeichnet zwischen dem 2. schwenkt. d Der Lappen erreicht palmar die proximalen Anteile des P2-Seg-
und 3. MHK (a), die proximale Lappengrenze reicht bis an die distale Grenze mentes (Mittelglied). Der Lappen basiert auf der Gefäßarkade proximal des
der Handwurzel. b Der Lappen ist distal gestielt gehoben und nach distal MCP-Gelenkes (. Abb. 54.9b). (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)
umgeklappt. c Der gehobene Lappen wird in den palmaren Defekt einge-
a b
. Abb. 54.9a, b Dorsaler Metakarpalarterienlappen (DMCA-Lappen) larterie, 5=rekurrenter kutaner Ast (versorgt den Lappen)]. a Präparation
[1=palmare Digitalarterie, 2=Anastomose zwischen dorsalem arteriellem nach distal über das MCP-Gelenk hinaus → größerer Schwenkradius.
Netzwerk und palmarer Digitalarterie, 3=Anastomose zwischen dorsaler b Präparation bis proximal des MCP-Gelenks → Schwenkradius nach distal
Metakarpalarterie und palmarer Metakarpalarterie, 4=dorsale Metakarpa- limitiert bei sicherer Durchblutung des Lappens
Reversed-cross-finger-Lappen. Die Präparation eines Reversed- subkutane Gewebe unter Belassen des Paratenons auf der Streck
cross-finger-Lappens erfordert zunächst die Hebung eines Vollhaut sehne hin zum Defekt gehoben. Das subkutane Läppchen bleibt an
lappens streckseitig auf dem Nachbarfinger mit Erhalten des Lap der dem defekten Finger zugewandten Seite breit gestielt und wird
penstiels auf der defektabgewandten Seite. Im nächsten Operations auf den streckseitigen Defekt eingeschwenkt. Abschließend wird
schritt wird der eigentliche Lappen präpariert, hierbei wird das noch ein Spalthauttransplantat auf das Läppchen genäht.
54.5 · Zusammenfassung
503 54
54.4.3 Freier mikrochirurgischer Gewebetransfer
Mikrochirurgische Zehenpulpatransplantation
> Die mikrochirurgischen Rekonstruktionsverfahren stellen
höchste Ansprüche sowohl an die operativen Fähigkeiten
des Operateurs als auch an die Infrastruktur der Klinik.
54 b
c d
a b
. Abb. 54.12a, b Bei dieser 3-Finger-Amputationsverletzung wurde der abgetrennte Stumpf des Mittelfingers an die Stelle des Ringfingers replantiert, um
eine verbesserte Greiffunktion zu erzielen. (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)
54.5 · Zusammenfassung
505 54
4 Postoperative Rehabilitation, Krankenhausaufenthalt? Das SK, Brown HG (1978) Management of lost fingertips in children. Hand 10:
4 Steht der (rekonstruktive) Aufwand in Relation zum erwarteten 1–1
Ergebnis? Foucher G, Braun JB (1979) A new island flap transfer from the dorsum of the
index to the thumb. Plast Reconstr Surg 63: 34–49
Gurdin M, Pangman W J (1950) The repair of surface defects of fingers by
In . Abb. 54.13 ist ein Algorithmus als Hilfestellung zur Durchfüh
transdigital flaps. Plast Reconst Surg 5: 36–76
rung der bestmöglichen Fingerkuppenrekonstruktion dargestellt.
Karacalar A, Özcan M (1997) A new approach to the reverse dorsal metacarpal
artery flap. J Hand Surg 22A: 30–10
Literatur Kutler W (1947) A new method for fingertip amputations. JAMA 133: 2–5
Atasoy E, Ioakimidis E, Kasdan ML, Kutz JE, Kleinert HE (1970) Reconstruction Lee WPA, Salyapongse AN (2005) Thumb Reconstruction In: Green DP, Hotch-
of the amputated finger tip with a triangular volar flap: a new surgical kiss RN, Pederson WC, Wolfe SW (Hrsg) Green´s operative hand surgery.
procedure. J Bone Joint Surg 52 (5): 92–26 Elsevier Churchill Livingstone; Philadelphia, pp 186–912
Berger A, Meissl G (1975) Reestablishment of sensation in the distal phalanges Littler JW (1956) Neurovascular pedicle transfer of tissue in reconstructive
using innervated flaps or grafts. Handchirurgie 7 (4): 16–71 surgery of the hand. J Bone Joint Surg [Am] 38A: 91–21
Curtis RM (1957) Cross-finger pedicle flap in hand surgery. Ann Surg.145 Meyer-Marcotty M, Kall S, Vogt PM (2007a) Neurovaskuläre Lappen zur Rekon-
(5):65–55 struktion von Fingerendglieddefekten. Unfallchirurg 110: 433–446
506 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger
54
55
55.1 Strecksehnen
. Tab. 55.1 Systematik der Zoneneinteilung bei Strecksehnenverlet-
Strecksehnenverletzungen an der Hand stellen häufige Verletzungen zungen der Hand
dar, die in vielen Fällen unterschätzt werden. Schon eine unzurei-
chend detaillierte klinische Untersuchung kann zu falsch-negativen Zone Finger Daumen
Befunden führen. Teilweise wird erst nach einigen Wochen eine ver-
1 DIP IP
spätete Diagnose aufgrund von Deformierungen (z. B. Knopfloch-,
Schwanenhalsdeformität) gestellt, die aus der primär übersehenen 2 Mittelphalanx Proximale Phalanx
Verletzung resultieren. 3 PIP MP
> Die sekundäre Rekonstruktion nach Streckverletzungen 4 Proximale Phalanx MHK
ist deutlich schwieriger und erbringt schlechtere Ergebnis
5 MP Retinaculum extensorum
se als die primäre Versorgung.
6 MHK
Die Ergebnisse einer akuten Strecksehnenversorgung variieren mit
Schwere und Lokalisation der Verletzung, der gewählten Technik 7 Retinaculum extensorum
und der Nachsorge. 8 Distaler Unterarm
55 Nach einer Durchtrennung von 40% der Strecksehne über dem
Grundglied wird der Patient weiterhin auch ohne Versorgung den Mittlerer und proximaler
Finger gegen Widerstand gut strecken können. Bei einer ähnlichen 9 Unterarm
Verletzung über dem proximalen Interphalangealgelenk (PIP) je-
doch können unabhängig von der Versorgung ein Verlust der ak-
tiven Streckung und eine schlechte Fingerfunktion resultieren.
Für eine adäquate Versorgung sind daher gute Kenntnisse der 55.1.2 Zonen
Anatomie, eine exakte klinische Untersuchung sowie eine suffiziente
operative und postoperative Behandlung unerlässlich. In Abhängigkeit der Höhe der Verletzung erfolgte eine Einteilung
durch Verdan in 8 topopgraphische Zonen für die Finger und 4 Zo-
nen für den Streckapparat des Daumens. Die 9. Zone beschreibt eine
55.1.1 Anatomie Zone des mittleren und proximalen Unterarms nach Doyle. Das kli-
nische Bild der Verletzung und die Rekonstruktion werden nach der
Die Streckaponeurose des Fingers besteht aus einer Vielzahl von Systematik in . Tab. 55.1 und . Abb. 55.2 kategorisiert.
Sehnenzügeln und Bändern (. Abb. 55.1). Erst die Vereinigung von
extrinsischem und intrinsischem System ermöglicht die Streckfunk-
tion in der gegebenen Art und ist das Ergebnis einer koordinierten, 55.1.3 Diagnostik
gemeinsamen Aktion der einzelnen Anteile. Das extrinsische Sys
tem (Mm. extensor digitorum) bildet den Mittelzügel, bestehend Die Prüfung der Streckermuskeln der Finger und des Daumens wird
aus den langen, vom Unterarm kommenden Streckern und bewirkt in 7 Kap. 50 beschrieben.
eine Streckung in den Grundgelenken. Die extrinsischen Sehnen Zum Ausschluss knöcherner Ausrisse oder von Begleitverlet-
gleiten auf Höhe des Retinaculum extensorum durch die Sehnenfä- zungen sollte die Untersuchung immer durch radiologische Diag
cher und verlaufen dann auf den Mittelhandknochen. Alle Sehnen nostik vervollständigt werden.
sind untereinander durch intertendinöse Juncturae intertendineae
verbunden.
Das intrinsische System (Mm. lumbricales und interossei) bil- 55.1.4 Art der Verletzung
det die Seitenzügel und besteht aus den kurzen Handmuskeln, die
eine Streckung der mittleren und distalen Phalangen bewirken. Geschlossene Verletzungen
Insgesamt bildet die Vernetzung von extrinsischem und intri- Subkutane Rupturen werden in den meisten Fällen am Ansatz der
sischem System eine Aponeurose auf der Dorsalseite der Finger. Sehne an der Basis der Endphalanx gesehen (. Abb. 53.3). Diese
Der Extensorenapparat des Daumens stellt ebenfalls eine Verei- Desinsertionen erfolgen ohne oder mit Abriss eines knöchernen
nigung des extrinsischen (FPL und FPB) und inrinsischen Systems Fragmentes. Diese Verletzung, die auch Hammerfinger (»mallet fin-
(Abductor, Flexor und Adductor brevis) dar. Die Verbindung erfolgt ger«) genannt wird, ist am Daumen nur äußerst selten zu beobach-
auf Höhe des MCP-Gelenkes und bildet einen Zügel, der die Sehne ten. Andere geschlossene Rupturen sind die der EPL-Sehnen im
des EPL auf der Konvexität des 1. MHK stabilisiert. Das intrinsische Bereich ihrer Verlaufsänderung am Tuberculum listeri oder seltener
System beteiligt sich an der Extension des Daumens, es ist aber der die Ruptur des medialen Zügels der Extensorensehne mit Knopf-
EPL, der die Hyperextension ermöglicht. lochdeformität. Beim Faustschlag werden u. a. Rupturen der Exten-
Die subkutane Ruptur oder Verletzung der EPL-Sehne bewirkt sorenzügel auf Höhe der MCP-Gelenke beobachtet.
eine Schwanenhalsdeformität durch alleinige Zugwirkung des EPB Geschlossene Rupturen werden auch als Komplikation nach os-
mit Hyperextension im MP-Gelenk. Umgekehrt führt die EPB-Lä teosynthetischen Versorgungen, insbesondere des distalen Radius
sion zu einer Luxation der EPL-Sehne mit resultierender Knopfloch- beobachtet (. Abb. 53.4).
deformität des Daumens, charakterisiert durch eine Flexion im
MCP- und Hyperextension im IP-Gelenk. Offene Verletzungen
Hierbei sind für die Wahl des therapeutischen Vorgehens Mechanis-
mus und Ausmaß der Verletzungen maßgeblich. Eine offene Streck-
sehnenverletzung am Mittelfinger mit typischem Funktionsausfall
55.1 · Strecksehnen
509 55
. Abb. 55.1 Systematik und Anatomie der Streckaponeurose der Finger. (Aus Tillmann 2010)
zeigt . Abb. 55.5. Quetschungen, Avulsionen und Abrasionen wer- 55.1.5 Therapie
den insbesondere von septischen Wunden wie beispielsweise Biss-
verletzungen unterschieden. Bei einfachen Verletzungen können Bei der Therapie werden die in . Tab. 55.1 und . Abb. 55.2 darge-
nach vollständig ausgeführtem Débridement eine einzeitige Rekon- stellten Zoneneinteilungen sowie Art, Ausmaß und Mechanismus
struktion und die frühzeitige Mobilisierung erfolgen. Bei septischen der Verletzung berücksichtigt.
Wunden ist es u. U. ratsam, die Wiederherstellung sekundär vorzu-
nehmen. Konservative Therapie
Verletzung in Zone 1 (DIP-Gelenk)
Konservative Therapie. Wir bevorzugen die konservative Therapie
des geschlossenen Strecksehnenabrisses an der Endgliedbasis. Bis
510 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand
55
zum Abschwellen erfolgt die Ruhigstellung in einer Schiene, danach Chirurgische Therapie. Die Operationsindikationen werden bei
durch konsequente Ruhigstellung in einer angepassten Stack-Schie- Sehnenverletzungen in Zone 1 kontrovers diskutiert. Wir sehen eine
ne, die jedoch zur Hautpflege unter konsequenter passiver Streckung Indikation zur operativen Therapie bei offenen Verletzungen sowie
des Fingers abgenommen werden sollte. Eine ausführliche Aufklä- bei geschlossenen gelenkbeteiligenden Frakturen, die mehr als 1/3
rung des Patienten ist hier für den Erfolg der Therapie von maß der Gelenkfläche betreffen.
geblicher Bedeutung. Die Dauer der Ruhigstellung im DIP-Gelenk Sollten Gründe, beispielsweise beruflicher Natur, gegen das
beträgt im eigenen Vorgehen 10–12 Wochen. Tragen einer Stack-Schiene sprechen, so ist u. U. die Indikation
Sodann können Bewegungen ohne Belastungen wieder aufge- zur Transfixation im DIP-Gelenk mittels Kirschner-Draht gege
nommen werden. Insgesamt sollte jedoch eine Belastung für weitere ben. Die Ruhigstellung erfolgt im Normalfall hier für 6 Wochen.
6 Wochen vermieden werden. Hier kann u. U. die Schiene bei Bela- Bei zu erwartender Belastung sollte diese individuell verlängert
stung weiterhin getragen werden. werden.
55.1 · Strecksehnen
511 55
mentes mittels eines in die Mittelphalanx eingebrachten Kirschner-
Drahtes und anschließend die reponierende Transfixation im DIP-
Gelenk (7 Kap. 53). Bei größeren Fragmenten kann das knöcherne
Fragment am Endglied auch durch Einbringen einer Schraube oder
eines Kirschner-Drahtes refixiert werden.
Bei Nutzung von Kirschner-Drähten erfolgt die Implantatentfer-
nung nach 6 Wochen.
Offene Verletzungen mit ansatznahen Durchtrennungen oder
Abrissen ohne knöchernes Fragment in Zone 1 werden knöchern
reinseriert. Hierfür nutzen wir eine 4.0-PDS-Naht, die durch einen
V-förmig gebohrten Kanal dorsal im proximalen Endglied gezogen
wird (7 Kap. 55.2.5 Beugesehnenreinsertion). Alternativ ist die Rein-
sertion mittels Durchziehnaht möglich. Hierbei erfolgt das Auffä-
deln des proximalen Sehnenstumpfes auf eine Lengemann-Draht-
naht oder alternativ eine 4.0-PDS-Naht, die durch das knöcherne
Endglied an der Fingerkuppe ausgeleitet wird.
Zur Sicherung ist ggf. eine Transfixation des Endgliedes durch
. Abb. 55.5 Offene Strecksehnenverletzung am Mittelfinger mit typi- einen 1.0-Kirschner-Draht möglich.
schem Funktionsausfall
Verletzung in Zone 3 (PIP-Gelenk)
Durchtrennungen des Mittelzügels in Zone 3 werden bei Verbleiben
eines nahtfähigen distalen Stumpfes durch eine Naht wie oben be-
> Alle anderen Strecksehnenverletzungen sind immer ope
schrieben readaptiert. Knöcherne Ausrisse des Mittelzügels werden
rativ zu behandeln.
operativ reinseriert. Das Vorgehen entspricht demjenigen nach Aus-
riss am Endglied. Bei Nutzung einer Lengemann-Ausziehnaht er-
Operative Therapie folgt die Ausleitung nach dorsal. Auch hier kann eine temporäre
Zugangswege Transfixation erfolgen.
Wie bei allen Handverletzungen ist den Zugangswegen auch hier
spezielle Beachtung zu schenken. Hierdurch werden primäre Kom- Besonderheiten
plikationen wie Hautnekrosen sowie auch sekundäre Probleme Offene Verletzungen über Zone 5 werden häufig nach Faustschlägen
durch Narbenkontrakturen vermieden. Wir empfehlen grundsätz- gegen Zähne eines Gegners gesehen. Diese sind somit als Bissverlet
lich eine longitudinale Schnittführung, auch über den Gelenken. zungen und somit als septisch zu bewerten. Bei der Exploration der
Wunde ist hier das sog. Kulissenphänomen unbedingt zu beachten.
Nahttechniken Es erfordert hier eine genaue Inspektion der funktionellen Struk-
Sehnennähte an durchtrennten Strecksehnen werden an die Sehnen- turen auch unter maximaler Flexion im MP-Gelenk, da eine Stre-
dicke angepasst. Die Dicke der Sehne variiert zwischen 0,55 mm in ckung unter der Operation eine Verschiebung der Strukturen und
Zone 2 bis 1,7 mm in Zone 6 (Doyle). In den distalen Zonen bietet somit eine Bedeckung von tiefer liegenden Defekten und Gelenker-
sich bei den eher flachen Sehnen die Versorgung durch U-Nähte öffnungen bewirken kann.
oder Matratzennähte (4-0 Prolene) an.
> Bissverletzungen erfordern immer eine i.v.-Antibiotika
In den proximalen Abschnitten empfehlen wir in Abhängigkeit
therapie mit einem Penicillin plus β-Laktamaseinhibitor
der Dicke die Nahttechnik nach Kirchmayr-Kessler, modifiziert
oder einem Cephalosporin der 2. Generation, die an die
nach Zechner (7 Kap. 55.2.5 Beugesehnen).
Resistenzbestimmung eines intraoperativen Abstriches
Verletzungen in den Zonen 2 und 4–7 werden durch primäre
angepasst wird.
Sehnennähte versorgt.
Bei Verletzungen der Strecksehnen in den Zonen 1 und 3 wer-
den die Stümpfe nach Débridement in Abhängigkeit der Sehnendi-
cke durch U-Nähte oder Sehnennähte nach Kirchmayr-Kessler ver- 55.1.6 Nachbehandlung
einigt. Für die Kernnaht wird 4.0-Prolene-Nahtmaterial verwandt,
die überwendliche Naht für die Feinadaptation erfolgt mit einer Die physikalische Nachbehandlung bei versorgten Strecksehnenver-
überwendlichen fortlaufenden 6.0-monofilen resorbierbaren Naht letzungen kann statisch wie dynamisch geführt werden.
(PDS). In Zone 2 kann je nach Dicke der Sehne ggf. die Kernnaht mit Wenn es aufgrund der Verletzung oder Lokalisation geboten ist,
einer 5.0-Prolene-Naht erfolgen. favorisieren wir eine dynamische Nachbehandlung in einer Inverse-
In den Zonen 8 und 9 werden Verletzungen im muskulotendi- Kleinert-Schiene. Mit 45° Extension im Handgelenk und 30° Beu-
nösen Übergang bzw. im Muskelbereich mit 3.0-Vicryl-U-Nähten gung der Grundgelenke erfolgt die aktive Beugung in der Fingern bei
versorgt. passiver Retraktion durch die angelegten Gummizügel (. Abb. 55.6).
Ansonsten ist grundsätzlich eine statische Nachbehandlung ange-
Verletzung in Zone 1 (DIP-Gelenk) zeigt.
Die operative Therapie der geschlossenen Endgliedbasisfraktur Bei Patienten mit eingeschränkter Compliance kann eine Ruhig-
(Busch-Fraktur) erfolgt bei gelenkbeteiligenden Frakturen, die mehr stellung bis zur Abheilung der Strecksehne erfolgen. Jedoch sollten
als 1/3 der Gelenkfläche betreffen. Nach Möglichkeit wird diese auch hier unter krankengymnastischer Anleitung passive Bewe-
geschlossen vorgenommen, wir empfehlen die Anlage eines Exten- gungsübungen erfolgen, um Verklebungen und Einsteifung vorzu-
sionsblocks. Hierfür erfolgt die Blockierung des knöchernen Frag- beugen.
512 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand
55 55.2 Beugesehnen
Verletzungen der Beugesehnen sind häufige und chirurgisch an-
spruchsvoll zu versorgende Verletzungen. Anfänglich erbrachten
diese auch bei Versorgung durch gute Handchirurgen nur schlechte
Ergebnisse. Erst ein erweitertes Verständnis der Biomechanik, der
Sehnenheilung und -versorgung sowie der Bedeutung der Sehnen
gleitgewebe beförderte die Entwicklung von primären operativen . Abb. 55.7a, b Die Anordnung des Gefäßsystems der Sehnen der Mm. fle-
xor digitorum profundus (1) und superficialis (2) im Fingerkanal. Jede Sehne
Versorgungstechniken und einer speziellen dynamischen Nachbe-
wird von einem kurzen (3) und einem langen (4) Vinculum versorgt
handlung. Somit wurde eine Rehabilitation mit guten funktionellen
Ergebnissen für einen Großteil der Patienten innerhalb von 8 Wo-
chen ermöglicht. Es ist hierbei zu beachten, dass die Ergebnisse den-
noch multifaktoriell beeinflusst werden. Ausmaß der Verletzung, 55.2.2 Pathophysiologie
Mechanismus und Höhe sowie Begleitverletzungen haben ebenso
nachweisbare Effekte auf individuelle Operationsergebnisse wie die Nach durchgehend schlechten Ergebnissen wurde die Zone 2 von
Mitarbeit des einzelnen Patienten in der Nachbehandlung. Hierbei Bunnell als »Niemandsland« postuliert. In dieser Zone sollte keine
ist zu bedenken, dass diese wesentlich von einer adäquaten Aufklä- Primärversorgung von Beugesehnenverletzungen durchgeführt
rung durch den Operateur abhängt. werden. Erst durch die Pionierarbeiten von Verdan und Kleinert
Ein Versagen der primären Reparatur mit Verklebungen oder wurde diese Tabuzone zum »Nicht-Jedermannsland« relativiert. Das
Rupturen erfordert eine sekundäre Tenolyse oder Rekonstruktion ehemalige Niemandsland ist gekennzeichnet durch den Verlauf der
mit Rehabilitation, die u. U. 6, aber auch bis zu 12 Monate beanspru- Sehne in der Sehnenscheide, die als Gleitlager dient und zugleich
chen kann. nutritive Eigenschaften hat. Diese nutritiven Eigenschaften bewir-
ken im Sinne einer extrinsischen Narbenbildung eine vermehrte
Fibroblastenbesiedelung und induzieren somit Adhäsionen der Seh-
55.2.1 Anatomie nen mit dem Gleitgewebe, die die ursprünglich schlechten Ergeb-
nisse in der Beugesehnenchirurgie verantworteten.
Die oberflächlichen (Mm. flexor digitorum superficialis 2–5) und Einen bedeutenden Schritt im Verständnis der Beugesehnenhei-
tiefen Beugesehnen (Mm. flexor digitorum profundus 2–5) der Fin- lung stellte der Nachweis zusätzlicher intrinsischer Nutrition und
ger erwirken durch ihre unterschiedlichen Ansätze eine Beugung in Narbenbildung dar, die sie aus einer longitudinalen segmentierten
den Gelenken der Finger. Diese vereinfachen eine klinische Über- Mikrovaskularisation bezieht und über die in den dorsalen Vinculae
prüfung und ermöglichen eine differenzierte Diagnosestellung. Die laufende Gefäße gespeist werden.
Beugung des Daumens erfolgt durch den langen Daumenbeuger
(M. flexor pollicis longus).
Besonderheiten der Beugesehnenchirurgie
Die Beugesehnen verlaufen teilweise durch Sehnenscheiden, die
sie bei ihrem Verlauf über Gelenke und Hypomochlien sowie durch 4 In der Beugesehnenchirurgie ist eine möglichst atrauma-
osteofibröse Kanäle schützen und ein Gleitlager bilden. Zusätzlich tische Präparation unbedingt zu beachten.
haben die Sehnenscheiden und insbesondere die Synovialflüssigkeit 4 Vinculae sollten geschont werden, und Sehnenscheiden
eine wichtige nutritive Funktion für die Sehnen. Die nutritive Ver- sowie Ringbänder sollten nach Verletzung oder Eröffnung
sorgung erfolgt zum einen durch Diffusion über die Synovialflüssig- rekonstruiert werden.
keiten und zum anderen über eine direkte Gefäßversorgung. 4 Nahtmaterial ist bevorzugt auf die Palmarseite der Sehnen
Muskulärer Ursprung und knöcherner Ansatz werden über hier zu lokalisieren.
befindliche kleine Gefäße versorgt. An den Fingern verlaufen kleine
Abgänge aus transversen Arterien in den Vinculae zur Dorsalseite
der Gefäße. Alle oberflächlichen und tiefen Beugesehnen weisen
2 lange und 2 kurze Vinculae auf (. Abb. 55.7).
55.2 · Beugesehnen
513 55
55.2.3 Diagnostik
Offene Verletzungen
Hier gilt es, ähnlich wie bei den Strecksehnenverletzungen asep-
tische von kontaminierten und septischen Wunden zu differenzie-
ren. Eine einzeitige Rekonstruktion und frühzeitige Mobilisierung . Abb. 55.9 Klinischer Aspekt bei Durchtrennung der oberflächlichen
sollten nach Möglichkeit immer primär durchgeführt werden. (komplett) und tiefen (partiell) Beugesehne. Weitere Differenzierung durch
klinische Untersuchung der getrennten Funktionen von FDS- und FDP-Seh-
ne. Klarheit bringt letztlich nur die chirurgische Exploration
55.2.5 Therapie
Unter Kenntnis der Anatomie, Biomechanik und Heilung der Beuge Operative Therapie
sehnen konnte ein Konzept der primären Rekonstruktion entwickelt Zugangswege
werden, das eine frühe dynamische Nachbehandlung einschließt. Bei der Wahl der Hautinzision ist wie immer darauf zu achten, eine
Die funktionellen Ergebnisse unter dieser Therapie sind nach ein- ausreichende Übersicht für die Versorgung der verletzten Strukturen
fachen Verletzungen in der Regel gut und ermöglichen eine Rekon- zu schaffen und sekundäre Komplikationen durch Minderperfusion
valeszenz nach 7–9 Wochen. Bei der Therapie werden die oben ge- oder Narbenstränge zu vermeiden. Am Finger erfüllt die Hautinzi-
nannten Zoneneinteilungen (. Abb. 55.8) sowie Art, Ausmaß und sion nach Brunner (. Abb. 55.10) alle Kriterien, die Schnittführung
Mechanismus der Verletzung berücksichtigt. sollte immer an ggf. vorgegebene Wunden adaptiert werden. Eine
dorsolaterale oder Z-förmige Inzision bzw. eine quere Schnittfüh-
Konservative Therapie rung über Gelenken kann zur Erweiterung der vorgegebenen Schnit-
Bei frischen Beugesehnenverletzungen besteht immer die Indikation te genutzt werden.
zur operativen Versorgung.
! Cave
Unter allen Umständen sind palmar gerade Schnitte,
insbesondere über Gelenken, zu vermeiden.
514 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand
Nahttechniken
Wir bevorzugen hier die Nahttechnik nach Kirchmayr-Kessler, mo-
difiziert nach Zechner (. Abb. 55.11b). Die Adaptation der Sehne
erfolgt durch 2 unabhängige Nähte. Für die Kernnaht wird ein 4.0-
Prolene-Faden genutzt, der Knoten wird hierbei durch eine kleine
Inzision in die Sehne hineinverlagert. Beim Knüpfen ist zu beachten,
dass die Enden gut adaptiert sind, ohne einen Wulst auszubilden. Die
Feinadaptation wird über eine epitendineale überwendliche Naht
mit 6.0-PDS-Nahtmaterial erreicht.
Verletzung in Zone 1
Isolierte Durchtrennung der Profundussehne: Ist das distale Ende
ausreichend lang und kräftig, so wird die Beugesehnennaht in der
oben dargestellten Technik durchgeführt. Bei knöchernen Ausrissen
bzw. ansatznahen Läsionen erfolgt die knöcherne Reinsertion durch
55
. Abb. 55.11 Techniken der Beugesehnennaht: Atraumatische Behandlung ist für eine adhäsionsfreie Heilung unabdingbar (a). Sehnennaht nach Kirch-
mayr-Kessler modifiziert nach Zechner (b)
55.2 · Beugesehnen
515 55
eine transossäre Naht (7 Kap. 55.1.5 Strecksehnen) oder durch eine
Ausziehnaht. Hierfür nutzen wir eine Drahtnaht oder eine 4.0-PDS-
Naht, die transossär ausgeleitet wird. Bei Ausleitungen am Nagel
sollte immer beachtet werden, die Naht distal der Lunula auszulei-
ten, um Verletzungen der fertilen Matrix zu vermeiden. Wir empfeh-
len hier die Transfixation im DIP-Gelenk, um eine sekundäre Kon-
traktur zu verhindern.
Verletzungen in Zone 2
Verletzungen in diesem Bereich sind die häufigsten und betreffen ca.
50% der Fälle. Häufig liegen Verletzungen der tiefen und der ober-
flächlichen Beugesehnen vor. Je ansatznäher die Verletzungen der
oberflächlichen Beuger sind, desto eher kommen hier U-Nähte zum
Einsatz. Abhängig vom Kaliber der Sehnen empfehlen wir hier 4.0-
oder 5.0-Prolene-Nähte. Eine der Schwierigkeiten in Zone 2 besteht
in der Enge des Sehnenkanals. Während der Präparation sollte die
synoviale Hülle erhalten oder später rekonstruiert werden, um den
frühzeitigen Synovialfluss zu sichern.
Nach Auffinden der Sehnenenden erfolgt zunächst eine trans-
dermale Fixierung der Enden durch Kanülen, um jegliche Spannung
bis zum Abschluss der Naht zu vermeiden.
> Grundsätzlich ist immer die Rekonstruktion beider Sehnen
anzustreben, im Zweifelsfall jedoch sollte die Priorität auf
der Rekonstruktion der tiefen Beugesehne liegen. . Abb. 55.12 Nachbehandlung nach Beugesehnenverletzung nach Kleinert
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56
Komplexverletzungen,
Revaskularisation
und Replantation der Hand
K.H. Busch, A. Gohritz
Komplexe Handverletzungen sind nicht genau definiert, man ver- 1. Erhalt des Lebens des Patienten.
steht darunter jedoch allgemein schwere Verletzungen multipler 2. Maximaler Gewebeerhalt an der verletzten Extremität.
wichtiger Strukturen, die zur Gefährdung des Überlebens des Kör- 3. Erhalt oder Wiederherstellung der Funktion.
perteils und oft zu erheblichen Funktionseinschränkungen führen. 4. Ästhetische Wiederherstellung.
Die Qualität der Behandlung dieser speziellen Unfallfolgen bestimmt
daher die weitere Einsatzfähigkeit der gesamten oberen Extremität
im Alltag und Beruf und damit die Erwerbsfähigkeit und Lebens- 56.2 Evaluation der Verletzung
qualität des Patienten.
Das Management einer solchen komplexen Handverletzung Komplexe Verletzungen sind zudem oft Kombinationsverletzungen,
bedarf einer fundierten Kenntnis der Anatomie der Hand und des z. B. bei Kreissägenunfällen (. Abb. 56.1). Sie umfassen oft unter-
Karpus, einer gezielten Operationsplanung und chirurgischer Er- schiedliche Verletzungsarten wie
fahrung im Bereich der Knochenchirurgie, der Mikrochirurgie und 4 Schnittwunden (mit glatter Durchtrennung von Strukturen),
der Wiederherstellung von Weichteilen der oberen Extremität mit 4 Rissverletzungen/Quetschungen (mit Gewebekontusion),
Nahlappen, gestielten Fernlappen und freien Lappentransplan- 4 Avulsionen (mit Traktionsschädigung),
taten. 4 thermische Zerstörungen.
a b
c d
. Abb. 56.1 Versorgung einer komplexen Handverletzung (Kreissäge; a). kung der Daumenkuppe aus neurovaskulärem radialseitigem Filet des knö-
Rekonstruktion der Beugesehnenverletzungen am 3. Finger. Defektdeckung chern zerstörten Zeigefingers (b). Exzellente opponierende Greiffunktion
des Weichteildefektes am Ringfinger durch ulnarseitiges Filet. Defektdec- mit sensibler Daumenkuppe (c, d)
56.3 · Therapeutisches Vorgehen
519 56
56.3 Therapeutisches Vorgehen > Polytraumatisierte Patienten, also Patienten mit lebens
bedrohlicher Verletzung von einem oder mehreren Organ
56.3.1 Therapieplanung systemen, müssen immer unter dem Aspekt der führen
den Verletzung beurteilt werden (»life before limb«). Hier
Aufgrund der Beteiligung vieler unterschiedlicher Strukturen ist die beschränkt sich die Therapie der Handverletzung auf die
chirurgische Versorgung auf die in der . Übersicht genannten Ziele provisorische Stabilisierung der knöchernen Verletzungen
gerichtet. und Blutstillung. Amputationen können bei klinisch insta
bilen Patienten sinnvoller sein als langwierige Rekonstruk
tionen.
Ziele der chirurgischen Versorgung komplexer
Handverletzungen
Nach Feststellung der führenden Verletzungen durch das Poly-
4 Komplette Entfernung von avitalem und infiziertem traumamanagement erfolgt die Triage und gemeinsame Festlegung
Gewebe des weiteren Vorgehens. Bezüglich der Extremitätenverletzung
4 Wiederherstellung der Gewebsperfusion sind
4 Knöcherne Stabilisierung mit minimalem zusätzlichem 4 die Blutstillung und
Weichteiltrauma 4 das Verhindern primär lebensbedrohlicher Blutverluste
4 Stabile, gut durchblutete und ästhetisch anspruchsvolle
Weichteilbedeckung erste Ziele im Schockraum.
4 Frühe Mobilisierung der Extremität, um posttraumatische
Vernarbung zu minimieren und Funktion und Bewegung > Zur Erstversorgung gehört ebenso die vollständige In
der Hand zu erhalten spektion nach Entfernen von evtl. am Unfallort ange
brachten Druckverbänden, um die Durchblutung der Ex
tremitäten sicher beurteilen zu können. Häufig zeigt sich
nach Entfernen eines Kompressionsverbandes eine deut
> Die Therapieplanung basiert auf der sorgfältigen initialen lich verbesserte Durchblutungssituation mit wesentlich
Analyse der Verletzung. Dies schließt die Evaluation des günstigeren Voraussetzungen für das weitere Vorgehen
nach der chirurgischen Primärversorgung entstandenen und die Planung.
Defekts und der ausgefallenen Funktionen ein. Wichtig
Nach dem Entfernen der initialen Verbände und klinischer Evalua-
ist es, bereits vor Beginn der Versorgung die Rekonstruk
tion der Verletzung erfolgt zunächst die Durchblutungskontrolle. Ist
tionsmöglichkeiten inklusive der Weichteildeckung zu
der Puls nicht sicher palpabel, so wird der Status dopplersono
planen.
graphisch erhoben. Unbedingt ist auch die Sensibilitätsprüfung vor
Ziele einer vorausschauenden Planung der operativen Versorgung einer evtl. geplanten Intubation durchzuführen.
ist die Wiederherstellung der Handfunktion oder der Erhaltung ei- Die Anamnese schließt Alter, Beruf, Freizeitinteressen, Zusat-
ner Residualfunktion der Hand sowie bei Bedarf die Schaffung güns zerkrankungen, Medikamente, Allergien und andere Faktoren, wie
tiger Voraussetzungen für eventuelle Zweiteingriffe. z. B. Nikotinkonsum ein.
Der Patient ist in diese Überlegungen so weit wie möglich
> Immer ist auch der genaue Unfallhergang und -mechanis
einzubeziehen und umfassend über den möglichen Gewinn, aber
mus (z. B. sollten bei Quetschtrauma durch Walzen der
auch die Risiken des weiteren Vorgehens aufzuklären.
Anpressdruck und Walzenabstand dokumentiert werden;
. Abb. 56.3) zu erheben, da das Ausmaß des Gewebs
traumas die weitere Therapie und Prognose wesentlich
56.3.2 Chirurgisches Prozedere beeinflussen kann.
Das chirurgische Vorgehen kann in Abhängigkeit vom Befund als
! Cave
Flussdiagramm dargestellt werden (. Abb. 56.2). Es unterteilt sich in
Die operative Versorgung von Extremitätenverletzungen
mehrere Schritte:
darf das Leben des Patienten auf gar keinen Fall weiter
gefährden. Die Operationszeit ist möglichst gering zu
1. Akutbehandlung/Schockraummanagement
halten, eine schnelle Amputation kann in solchen Fällen
Die chirurgische Erstbehandlung beginnt mit:
besser sein als der langwierige Versuch des Extremitäten
4 Bewertung der Verletzung und möglicher Zusatzverletzungen
erhalts.
(ABC-Regel, Ausschluss von Lebensgefahr und Beteiligung von
Sinnesorganen, v. a. Augen und Ohren).
4 Stillung akuter Blutungen (durch Druckverband, in der Regel 2. Chirurgische Wundreinigung/Débridement
kein Abklemmen von Gefäßen). Beim Débridement komplexer Handverletzungen gelten folgende
4 Reposition knöcherner Fehlstellungen. Prinzipien:
4 Kontrolle des Tetanusschutzes, ggf. Auffrischung oder Impfung, 4 Exzision der Wunde und aggressives Débridement von nekro-
Antibiotikagabe. tischem und ischämischem Gewebe, v. a. Muskulatur.
4 Kühlung von devaskularisiertem Gewebe (Belassung von intak- 4 Erhalt kritischer Strukturen (Nerven, Sehnen und Arterien).
ten Hautbrücken, bei Ischämie evtl. Anlage eines temporären 4 Präparation in Blutleere.
Gefäß-Shunts). 4 Markierung wichtiger Strukturen wie z. B. Nerven, Gefäße und
Sehnen für eventuelle sekundäre Rekonstruktionen.
520 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand
56
> Bei Amputationen sollten im Rahmen des initialen Débri teilschaden vorliegt, der präoperativ aber in den meisten Fällen un-
dements gut erhaltene und vaskularisierte Gewebeanteile terschätzt wird.
(»spare parts«, z. B. Knochen, Sehnen, Nerven- oder Gefäß
> Ist das genaue Ausmaß der Gewebeschädigung voraus
interponate) immer für den Gebrauch bei der Rekonstruk
sichtlich größer als in der Initialsituation absehbar, erfolgt
tion oder zur Weichteilbedeckung (Filet-Lappen, Haut
zunächst nur eine provisorische Deckung.
transplantate) erhalten werden.
Vom Gesunden her beginnend werden zunächst die funktionellen 3. Rekonstruktion von Knochen und Gelenken
Strukturen dargestellt, meist ist eine Schnitterweiterung nach distal Die Stabilisierung der knöchernen Verletzungen erfolgt in der Regel
und proximal notwendig. mit einer einfachen, schnellen und wenig traumatisierenden Metho-
Das Ausmaß des notwendigen Débridements ist bei Quetschun de, also Kirschner-Draht oder Fixateur externe, seltener mit Platte-
gen oder Kontusion (»crush injuries«) der Hand oft schwer zu beur- nosteosynthese (. Übersicht).
teilen. Die Wundbeurteilung kann insbesondere bei geschlossenen
Verletzungen kompliziert sein, weil hier oft ein erheblicher Weich-
56.3 · Therapeutisches Vorgehen
521 56
a b
c d
e f
. Abb. 56.3 Versorgung einer komplexen Quetschverletzung durch Wal- Langfinger durch gestielten Leistenlappen (c) . Nach Einheilung und Ab-
zenpresse mit dorsalseitiger und palmarseitiger Weichteilzerstörung der trennung des Lappenstiels zunächst Konsolidierung (d) und abschließende
Langfinger (a, b) . Knochen und Weichteilrekonstruktion des 4. und 5. Fin- Separation der Einzelfinger im Sinne einer Syndaktylietrennung (e) mit
gers sowie des Daumens und Defektdeckung der knöchern erhaltenen exzellentem funktionellem und ästhetischem Ergebnis (f)
4. Sehnennaht und -rekonstruktion Bei Makroreplantationen ist zunächst die Revaskularisierung vordring-
Bei der Wiederherstellung von Sehnenfunktionen gelten die in der lich, noch vor Sehnen- und Nervennähten. Gequetschte oder ausgeris-
. Übersicht dargestellten Richtlinien. sene Gefäße müssen bis hinter die Kontusionszonen gekürzt werden.
Zur Venenentnahme für langstreckige Defekte eignet sich die V. saphe-
na magna zur Interposition, sonst Venen vom Unterarm. Zu einer Re-
Wiederherstellung von Sehnenfunktionen
vaskularisi erung proximal der Hand gehört meist auch die Kom-
4 Exzision von gequetschten Handbinnenmuskeln (v. a. partmentspaltung zur Verhinderung eines Kompartmentsyndroms
Mm. interossei und lumbricales) zur Vorbeugung einer infolge der Reperfusion. Es versteht sich von selbst, dass eine arterielle
späteren ischämiebedingten Kontraktur Revaskularisation nur bei gesichertem venösem Abfluss sinnvoll ist.
4 Möglichst Naht der oberflächlichen und tiefen Fingerbeu- Wenn möglich und sinnvoll, sollte bei Makroreplantationen im-
ger, sonst nur der tiefen Fingerbeuger mer der Versuch der Revaskularisation unternommen werden. Bei
4 Rekonstruktion und Naht der A2- und A4-Ringbänder, um der Indikationsstellung ist hierbei immer das zu erwartende funk
Bogensehnenphänomen zu verhindern tionelle Ergebnis in Betracht zu ziehen, auch vor dem Hintergrund
4 Bei Bedarf primäre Tenodese oder Sehnentranspositions des Alters, des Berufes und der Hobbys des Patienten.
operation Bei komplexen Amputationsverletzungen, z. B. von mehreren
4 Spätrekonstruktion mittels Tenolyse, Sehnentransposi- Fingern und des Daumens, kann auch eine extraanatomische Re-
tion, -transplantation oder funktioneller Muskeltransplan konstruktion durch heterotope Replantationen erfolgreich sein, etwa
tation beim Daumenersatz durch einen Finger.
> Bei Replantationen ist immer mit dem funktionell wich
tigsten Amputat zu beginnen.
Sehnennähte werden, wenn möglich, primär durchgeführt. Die
oberflächlichen Beugesehnen können als Spender genutzt werden. Bei Replantationen ist die spätere Funktionalität entscheidend. Kno-
Bei langstreckigen Ausrissen wird meist eine sekundäre Rekon- chen und Sehnen sollten entsprechend gekürzt, Nerven versorgt und
struktion mit Silastik-Stabeinlage und späterer Sehnentransplanta- Osteosynthesen ohne Achs- oder Rotationsfehler ausgeführt wer-
tion (z. B. der PL-Sehne) durchgeführt. Die verletzten Strukturen den, da bei sekundären Korrekturen ein hohes Risiko für Durchblu-
müssen aber bei der Erstversorgung identifiziert und zugeordnet tungsstörungen bis zum sekundären Verlust besteht.
werden.
6. Nervenrekonstruktion
5. Versorgung von Gefäßverletzungen Die Nervenrekonstruktion findet meist als letzter Operationsschritt
Wichtige Gesichtspunkte bei der Rekonstruktion von Gefäßverlet- vor der Weichteildeckung statt (. Übersicht).
zungen, die meist erst nach der Versorgung von Knochen- und Seh-
nenverletzungen stattfindet, sind in der . Übersicht dargestellt.
Nervenrekonstruktion
4 Rückkürzung des Nervs, bis gesunde Faszikelstrukturen
sichtbar werden
4 Epineurale Nervennaht unter dem Mikroskop
4 Nervennaht stets ohne Spannung
56.4 · Revaskularisation und Replantation
523 56
Eine Spannungsverminderung kann durch Beugung angrenzender Defekte im Bereich des distalen Unterarms werden häufig mit
Gelenke, Verlagerung des Nervs (z. B. Ventralisierung des N. ulna- Leistenlappen, Grazilislappen, Latissimuslappen, lateralem Ober-
ris) oder Einbringung eines Nervenkonduits bei kleiner Defektstre- armlappen, ALT-Lappen (als Faszienlappen mit Spalthaut oder mit
cke erreicht werden, ansonsten ist ein Nerveninterponat (N. suralis, Hautinsel) gedeckt.
sensible Unterarmnerven) notwendig.
! Cave
Ist die Nervennaht primär spannungsfrei nicht möglich, werden
Bei der Planung von mikrochirurgischen Lappentransplan
die Nervenstümpfe mit 4-0-Prolene markiert. Die Nervenrekonstruk
tationen nach Ausrissverletzungen ist Vorsicht geboten,
tion erfolgt nach Konsolidierung der Wundverhältnisse sekundär.
weil okkulte Gefäßverletzungen und Intimaeinrisse früh
zeitige mikrochirurgische Lappentransplantationen schei
7. Weichteilbedeckung
tern lassen können.
Die abschließende Weichteildeckung sollte niemals erzwungen wer-
den (. Übersicht), bei Bedarf kann ein temporärer Wundverschluss
mit Epigard erfolgen oder eine Vakuumversiegelung durchgeführt 8. Postoperative Behandlung, Rehabilitation
werden. Der operativen Versorgung schließt sich meist eine Immobilisierung
mit Schienung an. Diese erfolgt meist in Neutralposition oder Exten-
sion des Handgelenks, Flexion der MCP-Gelenke, Extension der
Weichteildeckung IP-Gelenke (Intrinsic-plus-Stellung zur Minimierung von Kontrak-
4 Grundsätzlich sollte ein primärer Weichteilverschluss an turen). Eine möglichst frühe und intensive Nachbeübung soll das
gestrebt werden. Gleiten der Gewebeschichten optimieren.
4 In Ausnahmefällen erfolgt ein definitiver Weichteilver- Zur Prophylaxe und Kontrolle von Ödemen (mit Gefahr der
schluss erst bei stabiler Wundsituation, evtl. nach wieder- Gewebeverklebung durch Lymphstau) erfolgen konsequente Hoch-
holten Débridements, bis dahin Schutz der Wunde vor lagerung, Lymphdrainage, intensive Krankengymnastik mit ziel
Austrocknung orientierter Therapie (Ergotherapie).
4 Wundkonditionierung zwischenzeitlich evt. mit VAC Auch an die Notwendigkeit einer psychologischen Mitbehand
(kontraindiziert bei Infekt oder anhaltender Blutung) lung und sozialen Unterstützung des Patienten muss nach einer
4 Bewegliche Gelenke und Sehnen sollten möglichst mit komplexen Handverletzung immer gedacht werden.
gut vaskularisiertem, dünnem und dehnbarem Gewebe
(Lappenplastiken) bedeckt werden 9. Sekundäreingriffe
4 Weichteildeckung über palmaren, druckbelasteten Flächen Zunächst sollten Eingriffe durchgeführt werden, die eine postopera-
sensibel und mit geringen Scherkräften tive Immobilisation erfordern:
4 Freiliegende Nerven oder Gefäße müssen primär durch 4 Knochentransplantationen,
lokale Lappenplastiken oder gestielte Fernlappen, in Einzel 4 Korrekturosteotomien/Gelenkrekonstruktionen,
fällen auch durch mikrochirurgische Gewebetransplanta 4 Nerventransplantationen,
tionen, gedeckt werden 4 sensible Rekonstruktionen,
4 Bedeckung aller »weißen Strukturen« (Sehnen, Knochen, 4 Muskeltranspositionen/funktionelle Muskeltransplantationen,
Ligamente, Gelenke) ebenso mit einer Lappenplastik 4 Weichteilrekonstruktionen,
4 Verletzungen der Fingerkuppen ohne freiliegenden Kno- 4 Zehentransplantationen.
chen heilen durch sekundäre Wundheilung (Folienverband)
4 Für größere, nicht komplizierte Defekte eigenen sich oft Erst danach erfolgen Eingriffe, die eine frühe Mobilisierung erfordern:
Hauttransplantation (Vollhaut bei kleinen Defekten, Druck- 4 Tenolysen,
arealen oder wenn bewegliche Bedeckung notwendig ist), 4 Kapsulotomien,
bei Lappenplastiken besonders Faszienlappen mit zusätz- 4 Kontrakturauflösungen.
licher Spalthauttransplantation
56.4 Revaskularisation und Replantation
Bewährte gestielte Lappenplastiken (7 Kap. 54) bei Finger-, Hand- Definitionen. Die Begrifflichkeit ist in . Tab. 56.1 erläutert.
und Handgelenkswunden sind der Moberg-Lappen, Cross-finger- Erst die Entwicklung mikrochirurgischer Techniken hat die
Lappen, intrinsische Handlappen, Leistenlappen und radialer Un- Wiederherstellung von teilweise oder komplett abgetrennten Kör-
terarmlappen. perteilen, speziell der Hand, möglich gemacht. Mit diesen Techniken
Beim radialen Unterarmlappen kann ein reiner Faszienlappen kann oft auch bei schwersten Fällen eine gebrauchsfähige Handfunk-
gehoben werden, der dann mit Spalthaut bedeckt wird. Beim Leis tion erreicht werden. Die Handfunktion und daraus folgend die Au-
tenlappen kann die Faszie des M. sartorius eingeschlossen werden, tonomie des Patienten kann u. U. schon bei wesentlich geringerem
um ein Abknicken (»kinking«) des Gefäßstiels zu vermeiden. Die Verletzungsausmaß stark eingeschränkt sein.
sensiblen Nervenäste des N. cutaneus femoris lateralis können er Die routinemäßige Anwendung der Mikrochirurgie bei der Ver-
halten und mikrochirurgisch angeschlossen werden. In der Regel sorgung von Amputationen hat zu einer Steigerung der Überlebens-
erfolgt die Stielabtrennung nach etwa 2 Wochen, die endgültige Lap- raten replantierter Extremitätenteile auf >80% geführt, aber auch zu
peneinpassung nach 3 Wochen. einer kritischeren Beurteilung der hierbei erzielten funktionellen Er-
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität ist eine Thrombose- gebnisse als in der Anfangszeit. Kriterium für einen Erfolg ist an erster
prophylaxe (Cave: Lungenembolie!) notwendig. Stelle der tatsächliche praktische Gebrauchswert der rekonstruierten
Häufig sind später mehrere Ausdünnungsoperationen zur Lap- Hand einschließlich ihrer Sensibilität. Jedoch kann auch bei geringer
penkonturierung notwendig, außerdem über lange Zeit eine inten- Funktionswiederkehr der Aspekt der wiederhergestellten Körperinte-
sive Übungstherapie, um eine Einsteifung zu vermeiden. grität für manche Patienten eine solche Operation rechtfertigen.
524 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand
a b
c d
. Abb. 56.4 Ausrissamputation der Hand durch Fleischwolf (a, b). Replan- Revaskularisierung mittels Veneninteponaten sowie knöcherne Stabilsie-
tation unter knöcherner Verkürzung durch Resektion der durch Quetschung rung durch Fixateur externe (d)
zerstörten proximalen Handwurzelreihe (c). Durchblutetes Replantat nach
> Wegen der hohen funktionellen Wertigkeit des Daumens enten unterschätzen. Gegebenenfalls können nur die am geringsten
ist dessen Replantation in der Regel immer anzustreben, verletzten Finger replantiert werden, und zwar heterotop auf die am
selbst bei Avulsions- oder stark frakturierten knöchernen wenigsten verletzten Teile der Hand bzw. in die funktionell beste
Verletzungen, die eine deutliche Kürzung bedeuten, sowie Position. Die Mittelfinger- und die Ringfingerposition sind in dieser
bei Notwendigkeit von Venen- und Nerventransplantaten. Situation oft die funktionell am besten geeigneten Positionen.
Wenn sowohl der Daumen als auch der Zeigefinger amputiert
Gerade bei proximalen Amputationen des Daumens bedeutet jeder sind und der Daumen zu stark gekürzt werden müsste, erbringt u. U
Zentimeter zusätzliche Länge einen Gewinn für die Handfunktion. eine Versetzung des Zeigefingers auf den Daumenstumpf ein funk-
Bei stark verletzten palmaren Gefäß-Nerven-Bündeln bietet sich ge- tionell besseres Resultat als der Erhalt des Daumens.
rade am Daumen eine Revaskularisierung mit einem langen Venen- Erfolgreiche Replantationen bei transmetakarpalen Amputa
interponat auf die A. radialis oder die A. princeps pollicis an. tionen oder auch Amputationen auf Höhe des Handgelenks
Multiple Fingeramputationen sind ebenfalls immer Indikatio (. Abb. 56.4) und des Unterarms (. Abb. 56.5) zeigen i. Allg. bessere
nen für eine Replantation. Häufig ist es aufgrund des Verletzungs- Ergebnisse im Vergleich zur Prothesenversorgung.
musters nicht möglich, alle Finger zu replantieren, auch darf man Die Sensibilität ist nach Replantation ist zwar deutlich ver
weder die Dauer des Eingriffs noch die Begleitmorbidität des Pati- mindert, reicht aber aus für eine suffiziente Schutzfunktion. Eine
526 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand
a b
56
c b
. Abb. 56.5 Amputation durch Seilwinde (a). Replantation des Unter- zung (b, c). Funktionsergebnis nach sekundärer Weichteilrekonstruktion
arms unter Resektion nekrotischer Unterarmmuskulatur und Knochenkür- durch freien Latissimuslappen (d)
zufriedenstellende Handfunktion wird durch die extrinsische Un Amputationsverletzungen bei Kindern
terarmmuskulatur gewährleistet. Die intrinsische Handfunktion ist Die Replantation nahezu aller amputierten Extremitäten sollten bei
leider oft unzureichend. Kindern versucht werden. Das Epiphysenwachstum setzt sich i. Allg.
Die Gebrauchsfähigkeit der Hand reduziert sich bei weiter pro- uneingeschränkt fort, und die Sensibilität ist wesentlich besser als bei
ximal gelegenen Amputationen zunehmend. Wegen der nur lang- Erwachsenen. Von einem guten Gebrauch der replantierten Körper-
samen Regeneration der Nerven (täglich ca. 1 mm) und der zu teile kann ausgegangen werden.
überwindenden Strecke von 40–80 cm ist nicht mit einer Funktion
der intrinsischen Handmuskulatur zu rechnen. Die Umwandlung Ringavulsionsverletzungen
einer Amputation oberhalb des Ellbogens in eine Amputation un- Eine besondere Entität stellen Ringavulsionsverletzungen dar. Es
terhalb des Ellbogens stellt jedoch bereits einen erheblichen Ge- existieren verschiedene Klassifikationen von Ringavulsionsverlet-
winn dar. zungen, von denen die Einteilung nach Urbaniak am gebräuch-
Gerade bei der Abwägung für oder gegen eine Makroreplanta lichsten ist (. Tab. 56.3).
tion sind die zu berücksichtigenden Faktoren: Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Replantation
4 Ischämiezeit (ca. 6–8 h, je nach Kühlung; . Tab. 56.2), bei Avulsionsverletzungen sind:
4 Replantationseignung des Amputats, 4 Amputationshöhe distal des Ansatzes der FDS-Sehne,
4 Gesundheitszustand des Patienten, 4 vollständige Intaktheit des PIP-Gelenks,
4 Alter. 4 keine weiteren Verletzungen des Grundgliedes.
Postoperativ können die Patienten durch Schmerzen und durch Die Gefäße sind immer ausreichend zurückzukürzen. Gegebenen-
Verletzungen an den distalen asensiblen Anteilen der replantierten falls muss auf Venen- und Nerveninterponate zurückgegriffen wer-
Extremität in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt sein. den.
56.4 · Revaskularisation und Replantation
527 56
teams mit den Amputaten in den Operationssaal. Hier werden die
. Tab. 56.3 Einteilung der Ringavulsionsverletzungen Amputate vorsichtig gereinigt und weiterhin kühl gelagert.
nach Urbaniak Bei Fingern werden durch mitseitliche Inzisionen und unter Lu-
penbrillenvergrößerung die Nerven und die begleitenden palmaren
Grad Kennzeichen Gefäße aufgesucht. Nach dem Identifizieren der Strecksehne Anhe-
ben der streckseitigen Haut und Darstellung der Venen. Spülen von
1 4 Durchblutung des Fingers distal der Verletzung ist
erhalten
Arterien und Venen mit Liquemin. Sind die Venen initial schwer
4 Einfache Weichteilversorgung auffindbar, kann das Anspülen der Arterien hilfreich sein. Sind die
4 Einfache Ostesynthese ist ausreichend Venen auch dann nicht zu identifizieren, kann man warten, bis die
erste arterielle Anastomose genäht ist, um dann den venösen Rück-
2 Durchblutung ist gestört (→ Notwendigkeit der Rekons
strom zu identifizieren: Dieses Vorgehen kann aber am Ende der
truktion entweder der Arterien oder der Venen oder bei-
Operation sehr mühsam sein.
der), aber keine vollständige Amputation
Nun werden alle Strukturen (Nerven, Arterien und Venen) mit
3 4 Vollständige Avulsion mit Amputation und Fraktur im Mikroclips oder mit 9-0-Fäden markiert. Das Markieren der Gefäße
Mittelglied oder Endgelenk und Nerven in dem noch unblutigen Operationsfeld ist im weiteren
4 Ausriss der funktionellen Strukturen Verlauf häufig sehr hilfreich und zeitsparend, v. a bei Mehrfingerre-
4 3.-gradige Avulsionsverletzungen haben die
plantationen.
schlechteste Prognose (insbesondere proximal des
Nach Identifikation der Sehnen wird der Knochen mit der oszil-
PIP-Gelenks)
lierenden Säge begradigt. Sind PIP- oder DIP-Gelenk betroffen, wird
sofort durch entsprechendes Anschrägen die Arthrodese vorbereitet.
Zur Osteosynthese stehen verschiedene Verfahren zur Verfü-
56.4.3 Technische Voraussetzungen gung, allerdings sollten sie möglichst zeitsparend durchgeführt wer-
zur Replantation den können und ohne zusätzliche Verletzung der dorsalen Struk-
turen einhergehen. Nach unserer Erfahrung sind Osteosynthesen
Lupenbrille. Alle beteiligten Operateuren und Assistenten sollten mit einem Kirschner-Draht der Stärke1,0 oder 1,2 mm und eine
Lupenbrillen mit einer 3,5- bis 4,5-fachen Vergrößerung mit einem transossäre Drahtnaht geeignet. Dass in das Amputat ein doppelt
Arbeitsabstand von 35–45 cm tragen. angespitzter K-Draht vorgebohrt werden und bereits der distale An-
teil der Cerclage vorgelegt werden kann, sind weitere –zeitsparende
Operationsmikroskop. Unabdingbar ist ein Operationsmikroskop – Vorteile.
mit ≥20-fachen Vergrößerung. Vergrößerung, Fokus und Verstel-
lung können per Hand oder über einen Fußschalter betätigt werden. Team 2. Der andere Teil des Teams bereitet den Patienten vor. Nach
Im Idealfall besitzt das Mikroskop 2 gegenüberliegende Okulare, die kurzer Anamnese (Beruf, Alter, Begleiterkrankungen, Nikotinkon-
die Sicht auf das gleiche Operationsfeld durch Operateur und Assis sum, Ausschluss von Begleitverletzungen) Aufklärung des Patienten
tenten ermöglichen. über die Erfolgsaussichten der Operation.
Die Anlage eines Plexuskatheters ist bei Amputationsverletzun
Instrumente. Besonders feine Mikroinstrumente mit Pinzettenspit- gen für eine perioperative Sympathikolyse und das postoperative
zen von 0,2–0,3 mm Stärke sind für Replantationen eine Grundvo- Management wichtig. Längere Operationen erfordern zusätzlich
raussetzung. Weitere wichtige Hilfsmittel sind Juwelierpinzetten und später evtl. eine Intubationsnarkose. Bei einem intubierten Patienten
Pinzetten mit beschichteten Spitzen zum besseren Fassen der Fäden, kann jedoch kein Plexuskatheter gelegt werden oder nur mit Hilfe
entsprechend feine Nadelhalter, Mikrospülung und ggf. ein Mikro- eines Neurostimulators, wobei das resultierende Zucken des Arms
dilatator. Die Länge der Instrumente ist auf die individuellen Vorlie- die Operation vorübergehend stark behindert.
ben des Operateurs abgestimmt. Nachdem der Patient im OP ist, beginnt Team 2 mit Lupenbril-
Bei Mikroreplantationen sollten nur Biemer-Klemmchen mit lenvergrößerung und unter Blutsperre mit der Präparation des
einem maximalen Federdruck von 30 g Verwendung finden. Spe Stumpfs. Genau wie am Amputat werden bei Fingeramputationen
zielle Mikroklips zur Präparation der Gefäße und eine Mikrobipo- am Stumpf mitseitliche Inzisionen gelegt und Nerven, Gefäße und
larpinzette mit idealerweise beschichteten Branchen der Größe Sehnen identifiziert und markiert. Die Identifikation der Finger
0,2–0,4 mm sollten ebenfalls vorhanden sein. venen erfordert eine sehr subtile und geduldige Präparation. Der
Replantationserfolg hängt jedoch maßgeblich von der Zahl der ana-
Nahtmaterial. Das Nahtmaterial für Gefäße und Nerven sollte an stomosierten und durchgängigen Venen ab.
den Fingern 10-0, an der Mittelhand 10-0 oder 9-0 und proximal des
> Es kann hilfreich sein, eine bereits identifizierte Vene bis
Handgelenkes 8-0 sein. Auf jeden Fall findet monofiles, nicht resor-
zu ihren Aufzweigungen zu verfolgen und auf diese Weise
bierbares Nahtmaterial, entweder Ethilon oder Prolene o. Ä. Ver-
weitere Venen ausfindig zu machen.
wendung.
Da es sich bei Amputationsverletzungen meist um Finger- oder Mit-
telhandamputationen handelt, werden im Folgenden speziell diese
56.4.4 Chirurgisches Vorgehen Situationen beschrieben. Grundsätzlich gelten die gleichen Vorge-
hensweisen auch bei Makroreplantationen, allerdings ist hierbei
Sofort nach Eintreffen des Patienten mit seinem amputierten Köper- aufgrund der geringeren Ischämietoleranz die Wiederherstellung
teil in der Notaufnahme teilt sich das Replantationsteam auf. der Perfusion vorrangig.
56.5 Fazit
. Tab. 56.4 Chen-Klassifikation zur Beurteilung der funktionellen
Ergebnisse nach Replantation der oberen Extremität 4 Das direkt postoperative Ergebnis hängt ab von der Durchgän-
gigkeit der arteriellen und venösen Mikroanastomose.
Chen- Kennzeichen 4 Das funktionelle Gesamtergebnis – und dieses ist für den Patien
Klassifikation
ten wesentlich – ist abhängig von der Funktion und Beschaffen-
I 4 Patient ist in der Lage, seine ursprüngliche
heit der Sehnen- und Nervennähte sowie der Osteosynthesen.
Arbeit wieder aufzunehmen Asensible oder funktionslose Extremitäten oder Finger, die vom
4 Bewegungsumfang übertrifft 60% des normal Patienten am Ende als störend empfunden werden, rechtfertigen
Möglichen nicht die i. Allg. langwierigen und aufwendigen Replantationen.
4 Annähernd komplette Erholung der Sensibilität 4 Auch wenn ein Großteil der Plastischen Chirurgen ein mikro-
4 Muskelkraft Grad M4 chirurgisches Training erhalten hat, sollten Replantationen in
II 4 Patient ist in der Lage, einige nützliche Arbei-
entsprechenden Zentren, in denen mikrochirurgische Trai-
ten auszuführen ningsmöglichkeiten bestehen und regelmäßig solche Opera
4 Bewegungsumfang übertrifft 40% des normal tionen stattfinden, durchgeführt werden.
Möglichen
4 Annähernd komplette Erholung der Sensibilität Literatur
4 Muskelkraft Grad M3 und M4 Biemer E, Duspiva (1980) Rekonstruktive Mikrogefäßchiurgie. Springer, Berlin
Heidelberg New York
56 III 4 Patient ist in der Lage, die Aufgaben des täg-
lichen Lebens zu bewältigen
Büchler U (1990) Traumatic soft-tissue defects of the extremities. Implications
and treatment guidelines. Arch Orthop Trauma Surg 109:321
4 Bewegungsumfang übertrifft 30% des normal
Buncke Jr HJ (2000) Microvascular hand surgery – Transplants and replants
Möglichen
– Over the past 25 years. J Hand Surg 25A: 415
4 Teilweise Erholung der Sensibilität
Campbell DA, Kay PJ (1996) The hand injury severity scoring system. J Hand
4 Muskelkraft Grad M3
Surg B 21:295
IV 4 Weitgehender Funktionsverlust der replan- Germann G, Levin S (1997) Intrinsic flaps in the hand: new concepts in skin
tierten Extremität coverage. Tech Hand Upper Extrem Surg 1:48
Germann G, Sherman R, Levin S (1999) Decision making in reconstructive
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Germann G, Karle B, Brüner S, Menke H (2000) Behandlungsstrategien bei
Antikoagulanzien komplexen Handverletzungen. Unfallchirurg 103:342–347
Kim JYS, Brown RJ, Jones NF (2005) Pediatric upper extremity replantation.
Es gibt weder ein einheitliches Schema für die Antikoagulation nach
Clin Plast Surg 32: 1
Replantation, noch existiert ein eindeutiger Vorteil bei einer der Me-
Kleinert HE, Jablon M, Tsai TM (1980) An overview of replantation and results
thoden: of 347 replants in 245 patients. J Trauma 29: 390
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4 rheologisch wirksame Substanzen (Dextran, Aspirin, niedermo- repaired arteries and veins on the survival in digital replantation. Ann
lekulares Heparin). Plast Surg 44: 288
McCabe SJ, Breidenbach WC (1999) The role of emergency free flaps for hand
trauma. Hand Clin 15:275–288
56.4.6 Ergebnisbewertung Pederson WC (2001) Replantation. Plast Reconstr Surg 107: 823
Tamai S, Michon J, Tupper J et al. (1983) Report of the subcommittee on
replantation. J Hand Surg 8: 730
Die Beurteilung der funktionellen Ergebnisse zeigt . Tab. 56.4.
Weinzweig N, Sharzer LA, Startker I (1996) Replantation and revascularization
at the transmetacarpal level: Long-term functional results. J Hand Surg
21: 877
56.4.7 Komplikationen
Durch ihre vielfältige Funktion kommt es an der Hand oft zu kleinen > Unter Berücksichtigung des klinischen Bildes und der
Verletzungen, die meist problemlos abheilen. Die Hand ist dennoch diagnostischen Mittel kann die Diagnose meist eindeutig
aufgrund ihrer spezifischen Anatomie mit septierten Bindegewebs gestellt werden.
räumen, insbesondere den bradytrophen Sehnen und gekammerten
Sehnenscheiden, gegenüber eindringenden Pathogenen besonders
infektionsgefährdet. Dabei kommt es nicht selten zu rasch fortschrei 57.2.1 Epidemiologie
tenden massiven Infektionen mit erheblicher Gewebezerstörung.
Patienten mit Handinfektionen stellen einen großen Anteil des Ungefähr 60% der Handinfektionen treten posttraumatisch auf,
Klientels von Notaufnahmen dar. Oft werden sie von jüngeren, un 30–40% durch Bissverletzungen (25–30% nach Menschenbiss, 5–10%
erfahrenen Ärzten primär gesehen. Die Qualität der initialen Versor durch Tierbiss), ca. 10–15% nach Drogenmissbrauch. Die prozentu
gung und die postoperative Behandlung sind jedoch entscheidend ale Verteilung der Ursachen von Handinfektionen ist u. a. abhängig
für die erreichbare Handfunktion und die damit verbundenen so von geographischen Bedingungen und variiert stark. So sind in eini
zioökonomischen Kosten. gen Gegenden Hundebissverletzungen als Ursache von Handinfek
tionen mit ca. 60% führend, wogegen Menschenbissverletzungen
nur 20% der Bissverletzungen ausmachen. Die am häufigsten auftre
57.1 Grundlagen tende Form der Handinfektion ist die Paronychie mit einer Inzidenz
von ca. 35%, gefolgt von dem Panaritium (15%) und der Sehnen
Das Auftreten und die Ausdehnung von Infektionen an der Hand scheidenphlegmone (10%) Zu den seltenen Formen der Handinfek
sind von verschiedenen intrinsischen und extrinsischen Faktoren tion zählen die Osteomyelitis, die septische Arthritis und die nekro
abhängig. tisierende Fasziitis.
4 Intrisische Faktoren, die Infektionen beeinflussen, sind syste
mische Grunderkrankungen, wie Diabetes mellitus, rheuma
57 toide Arthritis oder HIV-Infektionen, konsumierende Tumor 57.2.2 Keimspektrum
erkrankungen, Drogenabusus, chronische Ödeme der Extre
mität, Folgen von vorausgegangenen Verletzungen und die Das Keimspektrum von Handinfektionen ist von der Form der zu
Einnahme immunsuppressiver Medikamente. grundeliegenden Verletzung abhängig und beinhaltet oft Spezies der
4 Zu den extrinsischen Faktoren zählen die Lokalisation der Infek residenten Hautflora der betroffenen Person. Infektionen werden zu
tion, das Ausmaß und die Art der lokalen Gewebezerstörung, die ca. 65% durch aerobe, hauptsächlich grampositive Keime ausgelöst.
Virulenz des vorliegenden Pathogens sowie die Menge und die Im Vordergrund stehen neben Staphylococcus aureus (35–50%)
Art des in die Wunde inokulierten Fremdmaterials. β-hämolysierende Streptokokken (10%). Gramnegative Keime sind
seltener zu isolieren, treten aber hauptsächlich bei immunsuppri
mierten Patienten, Diabetikern oder bei intravenösem Drogenmiss
57.2 Diagnostisches Vorgehen brauch auf.
Infektionen mit gasbildenden Keimen sind sehr selten. Bei einer
Klinik, Symptomatik. Die Diagnose einer Handinfektion ergibt sich Infektion mit erschwertem Erregernachweis und Knistern des Ge
meist klinisch aufgrund der Beschwerdesymptomatik und des Lo webes auf Druck sollte jedoch unbedingt daran gedacht werden.
kalbefundes. Die Patienten geben in der Regel pochende Schmerzen Hier stehen Infektionen mit Peptostreptokokken im Vordergrund.
im infizierten Areal an. Die Beweglichkeit der Finger kann massiv Der durch Clostridium perfringens ausgelöste Gasbrand ist selten,
eingeschränkt sein, je nach Lokalisation und Ausdehnung des In aber immer differenzialdiagnostisch einzubeziehen.
fektes. In einigen Fällen kommen allgemeine Infektzeichen wie Das vielfältige Keimspektrum aus Bissverletzungen umfasst Pa
Schüttelfrost und Fieber hinzu. Inspektorisch finden sich regelhaft thogene aus der Pasteurella spp., Eikenella corrodens und einige
eine Rötung und Schwellung des betroffenen Areals, z. T. mit einer Anaerobier. Eine entsprechende Antibiotikablindtherapie sollte an
deutlichen Lymphangitis oder Lymphadenitis. Druckschmerzen das zu erwartende Erregerspektrum angepasst sein (. Tab. 57.1).
und Bewegungsschmerzen der Finger oder des Daumens sind meist
vorhanden.
Oftmals gehen infektiöse Prozesse der Hohlhand mit einer be 57.3 Therapieprinzipien
gleitenden Schwellung des Handrückens einher. Dies kann zur Fehl
diagnose einer Handrückenphlegmone führen. Die Therapie ist nahezu immer primär chirurgisch. Sie beinhaltet
4 die frühzeitige chirurgische Infektsanierung,
> Die fehlende Fluktuation und oft nur geringe Rötung sind
4 eine adäquate, erregerspezifische antibiotische Behandlung,
entscheidende Kriterien bei der Beurteilung einer Hand
4 die frühfunktionelle Behandlung und
rückenschwellung.
4 die plastische Defektdeckung nach Sanierung des Infektes.
Bildgebende Verfahren. Wichtig ist die Röntgenaufnahme des be Von entscheidender Bedeutung für den Behandlungserfolg ist die
troffenen infizierten Areals, um so eventuell vorhandene Schädi Erstellung eines schlüssigen Therapiekonzeptes unter Einbeziehung
gungen des Knochens und der Gelenke zu visualisieren. der Mikrobiologen und Handtherapeuten.
Häufig hinterlassen ausgedehnte Handinfektionen nur eine
Labordiagnostik. Laborchemisch sollte auf jeden Fall die Leuko Restfunktion der Hand, was durch dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
zytenzahl, C-reaktives Protein (CRP), die Blutsenkungsgeschwin des Patienten, Berentung oder Umschulungsmaßnahmen zu enor
digkeit, die Gerinnung, Blutbild, die Blutglukose und bei Verdacht men sozioökonomischen Kosten führen kann. Um dies zu vermei
auf differenzialdiagnostisch wichtige Erkrankungen der Harnsäure den, muss bereits die primäre Operation von einem geübten Hand
spiegel und Rheumafaktoren untersucht werden. chirurgen unter Kenntnis der Anatomie gründlich durchgeführt
57.3 · Therapieprinzipien
533 57
. Tab. 57.1 Verletzungen und Infektionen der Hand. Typisches Keimspektrum und empfohlene Antibiotikatherapie
Tiefe kontaminierte Wunden, höhergradig Staphylococcus aureus, Cephalosporine der 1. und 2. Generation
offene Frakturen mit ausgedehnter Quet- α-hämolysierende Streptokokken, (Gramaxin, Cefuroxim, Zinacef ), bei Tierexposition:
schung anaerobe Keime, Penicillin G, bei Quetschung: Aminoglykoside
gramnegative Bacilli (Refobacin)
Bissverletzungen bei Diabetikern und Anaerobe Keime, Aminoglykoside (Refobacin, Biklin) oder Cephalo-
immunkompromittierten Menschen gramnegative Keime sporine der 2. und 3. Generation (Cefuroxim,
Zinacef, Claforan, Rocephin),
Nekrotisierende Fasziitis β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Penicilin G und Lincosamide (z. B. Sobelin),
Staphylokokken, Aminoglykoside (z. B. Refobacin)
gramnegative aerobe Keime,
anaerobe Keime
Paronychie und Panaritium Staphylococcus aureus, Cephalosporine 1. Generation (Gramaxin), bei V.a.
Streptococcus spp., E. Coli: β-Laktam Antibiotika +β-Laktamase-Inhibi-
gramnegative Bacilli, z. B. Escherichia coli torn (Augmentan, Unacid) oder Lincosamide
(Clindamycin)
werden. Nur so können häufige Revisionsoperationen vermindert 57.3.2 Wahl der chirurgischen Inzisionen
und die funktionelle Prognose verbessert werden.
Bei Infektionen der Finger, insbesondere bei Beugesehnenscheiden
phlegmonen, sollten mediolaterale Inzisionen gegenüber der pal
57.3.1 Anatomische Besonderheiten maren Brunner-Inzision bevorzugt werden. So werden dorsale und
bei Infektionen der Hand palmare lymphatische Abflusswege geschont, und sowohl Gefäß-
Nerven-Bündel als auch die Sehnen bleiben durch das Weichgewebe
> Handinfektionen breiten sich an vorhandenen Leitstruk bedeckt. Die Schnittführung ist jedoch abhängig von der Lokalisati
turen aus und bleiben primär oft auf die Räume der Hand on des Infektes und sollte dementsprechend angepasst werden.
begrenzt.
57.3.3 Operative Therapie
Zu diesen Leitstrukturen zählen die Sehnenscheiden, die periten
dinös-kutanen Bänder der Finger (Grayson-, Cleland-Bänder und Die Grundregeln der Handchirurgie gelten auch bei der septischen
Ligg. phalangeale propria), die Hohlhandaponeurose mit ihren inter Handchirurgie.
mediären Septen und den Querverstrebungen (Fasciculi transversi,
Lig. natatoria), der Mittelhandraum, die Thenar- und Hypothenarfas > Die Adaptation der Wundränder sollte nur locker erfolgen,
zie, der Karpalkanal und die Loge de Gyon (. Abb. 57.1). Diese Aus bei Infektionen durch Bisswunden ist auf eine Wundnaht
breitungswege sind bei der chirurgischen Intervention zu beachten. vollständig zu verzichten.
534 Kapitel 57 · Infektionen der Hand
57
b d
e
c
. Abb. 57.1 Chirurgisch relevante Ausbreitungsräume der Hohlhand (a). Hohlhandaponeurose mit ihren intermediären Septen und den Querver-
Handinfektionen breiten sich an vorhandenen Leitstrukturen aus und blei- strebungen (Fasciculi transversi, Lig. natatoria), der Mittelhandraum, die
ben primär oft auf die Räume der Hand begrenzt. Zu diesen Leitstrukturen Thenar- und Hypothenarfaszie, der Karpalkanal und die Loge de Gyon.
(b–e) zählen die Sehnenscheiden, die peritendinös-kutanen Bänder der (Aus Kall u. Vogt 2005a, b)
Finger (Grayson-, Cleland-Bänder und die Ligg. phalangeale propria), die
Gewebeproben und/oder Abstriche zur Bestimmung des Keimspek dend ist, dass möglichst früh postoperativ mit aktiver und passiver
trums sollten asserviert werden. Das Débridement muss gründlich Physiotherapie begonnen wird, die nicht über die Schmerzgrenze fort
durchgeführt werden, wobei alle nekrotischen Strukturen entfernt gesetzt werden sollte. Eine adäquate Schmerztherapie ist notwendig
werden müssen. und muss ggf. durch die Anlage eines Plexuskatheters erfolgen.
Postoperativ sollte zunächst eine Gipsruhigstellung erfolgen, wobei In seltenen Fällen kann die Therapie von Handinfektionen zunächst
auf eine gespannte Position der Kolateralbänder an den Fingern zu konservativ begonnen werden. Zu diesen Indikationen zählt die be
achten ist, um eine Gelenkkontraktur zu vermeiden. Dabei gelten die ginnende Paronychie mit einer leichten Rötung des Nagelwalls ohne
Regeln, dass die Extension im Handgelenk 30°–50° und die Flexion Ansammlung putrider Flüssigkeit und das Erysipel. Die konservative
in den Metakarpophalangealgelenken 50°–90° bei kompletter Exten Therapie beinhaltet Handbäder, die Ruhigstellung und Hochlagerung
sion der Mittel- und Endgelenke betragen sollte. Der Daumen muss der Extremität, eine antibiotische Therapie und eine antiphlogistische
in einer maximal palmar abduzierten Stellung retiniert werden. Behandlung. Sollte die Infektion trotz dieser Maßnahmen fortschrei
Bei ausgedehnten, fortschreitenden Infektionen kann eine Revisi ten, ist eine chirurgische Intervention mit Inzisionen und ggf. ausgie
on des Situs mit erneutem Débridement notwendig werden. Entschei bigem Débridement, Abszessdrainage und Spülung unabdingbar.
57.4 · Einzelne Krankheitsbilder
535 57
57.4 Einzelne Krankheitsbilder sollte darauf geachtet werden, dass die Inzision von der germinativen
Matrix des Nagels fortgeführt wird, um postoperative Nagelwachs
57.4.1 Paronychie und Panaritium tumsstörungen zu vermeiden (. Abb. 57.2). Um die Drainage zu
verbessern, können Laschen in die Wunde eingelegt werden. Eine
Akute Paronychie Nahtadaptation der Wundränder wird nicht unbedingt empfohlen.
Die akute Paronychie ist eine Infektion des Nagelwalls, ausgehend
vom eponychialen Raum. Jede Verletzung des Nagelwalls kann zu Postoperatives Management. Tägliche Verbandwechsel sollten
einem Eintritt von Keimen und zur Entstehung einer Paronychie Fingerbäder mit desinfizierenden Lösungen beinhalten. Der betrof
führen. Sie ist die häufigste Infektion der Hand und tritt in einem fene Finger sollte mit einer Lagerungsschiene ruhiggestellt werden.
Verhältnis von 3:1 vermehrt bei Frauen auf. Bei einem hauptsächlich aus Staphylococcus aureus bestehenden
In der Regel liegt einer Paronychie ein Staphylokokkeninfekt zu Keimspektrum muss die antibiotische Therapie entsprechend ange
grunde. passt werden. Cephalosporine der 1. und 2. Generation sind hier das
Mittel der Wahl.
Diagnostik. Die Diagnose ist rein klinisch zu stellen. Es zeigt sich
! Cave
ein geröteter, geschwollener und druckschmerzhafter Nagelwall. Die
Wird eine Paronychie nicht rechtzeitig und ausreichend
Patienten berichten über nächtliches Pochen des Fingers und ausge
behandelt, kann sich die Infektion fortsetzen und zu einer
prägte Schmerzen. Bei einer fortgeschrittenen Paronychie ist oft ein
Destruktion des Nagelbettes sowie zur Ausbildung eines
mit Pus gefülltes Bläschen am Nagelwall erkennbar, das sich spontan
Panaritiums führen.
entleeren kann.
a b c
e f
d
. Abb. 57.2a–f Typisches Panaritium mit Entlastung durch nagelfalzschonende Schnittführung und Laschendrainage. (Aus Kall u. Vogt 2005a)
536 Kapitel 57 · Infektionen der Hand
a b c
. Abb. 57.3a–c Panaritium der Fingerbeere. Die Abszessdrainage über werden muss, um eine Verletzung der Gefäß-Nerven-Bündel zu vermeiden.
eine unilaterale, longitudinale, mediolateral verlaufende Inzision sollte be- Mit einem Klemmchen sollten die osseokutanen Septen der Fingerbeere
vorzugt werden, wobei das Skalpell scharf am Knochen entlanggeführt eröffnet werden, um den Abszess zu drainieren. (Aus Kall u. Vogt 2005a)
Durch bakterielle Superinfektionen kann aus einer chronischen Postoperatives Management. Ruhigstellung, antibiotische Thera
Paronychie eine akute Form hervorgehen. Die Therapie folgt dann pie mit Cephalosporinen der 1. und 2. Generation und tägliche
den Regeln der akuten Behandlung mit chirurgischer Drainage, Handbäder sind obligat.
Ruhigstellung, Fingerbädern und Antibiotikatherapie.
57
a b c
. Abb. 57.6a–c Typische Beugesehnenphlegmone mit empfohlener chirurgischer Inzision. (Aus Kall u. Vogt 2005a)
hin geringen Durchblutung schnell zu einer Nekrose der Sehne, was Der entsprechenden Lösung kann ein Antibiotikum (z. B. Nebace
aufwendige rekonstruktive Maßnahmen nach sich zieht. tin) zugesetzt werden. Die Anlage eines Spülkatheters zur Irrigation
Bei Infektionen der Beugesehnenscheide kann innerhalb von über 48 h ist empfehlenswert, wobei dieser möglichst proximal über
Stunden eine hochakute Situation mit einer Phlegmone bis in die ein Fenster der Sehnenscheide in Höhe des A1-Ringbandes einge
Hohlhand oder zum Handgelenk die Folge sein. Die schnelle chirur führt und die entsprechende Drainage (Lasche oder Redon) an der
gische Intervention ist hier notwendig. Sie beinhaltet distalen Begrenzung der Sehnenscheide ausgeführt werden sollte.
4 die Entlastung und Drainage der Beugesehnenscheide durch Eine Spülung von proximal nach distal ist sinnvoll, um die Ausbrei
Fensterung und tung des Infektes in das proximale Weichgewebe zu vermeiden. Die
4 die mechanische Säuberung derselben, in der Regel durch Irri operative Therapie der Beugesehnenscheidenphlegmone richtet sich
gation mit isotoner Kochsalz- oder Ringer-Lösung. nach der Ausprägung des Infektes, beinhaltet jedoch stets die Exzi
sion der Eintrittspforte der Keime.
57.4 · Einzelne Krankheitsbilder
539 57
Die Beugesehnenscheidenphlegmonen können nach Michon in Interdigitalinfekte
3 klinische Stadien eingeteilt werden, die eine Orientierung für die Klinik, Symptomatik. Interdigitalphlegmonen und -abszesse gehen
chirurgische Therapie bieten können. in der Regel von einer Verletzung im Bereich der Zwischenfingerfal
4 Das Stadium I ist durch eine empfindliche Schwellung des Fin te aus. Neben einer Rötung und Druckschmerzhaftigkeit sind sie
gers gekennzeichnet, wobei die Sehnenscheide entzündlich ver durch eine Erweiterung der Zwischenfingerfalte und die Unfähigkeit
ändert ist und klare bis leicht getrübte Flüssigkeit enthält. In zur aktiven Adduktion der betroffenen Finger gekennzeichnet. Die
diesem Stadium ist die Anlage einer Spüldrainage über eine pro auftretende Schwellung kann sowohl eine dorsale als auch palmare
ximale quere Inzision in Höhe des A1-Ringbandes und eine dis Betonung aufweisen. Abszesse in der Interdigitalfalte haben oft eine
tale Inzision der Sehnenscheide indiziert (. Abb. 57.6b). sanduhrförmige Konfiguration mit einer subepidermalen und einer
4 Das Stadium II ist durch eine hochakute Infektion mit gerötetem, tieferliegenden Eiteransammlung im Fettgewebe. Auf der Palmarsei
massiv geschwollenem Finger charakterisiert. Die Sehnenschei te der Hand findet sich oft eine Ansammlung von Pus palmar der
de ist prall, granulomatös verändert und enthält putride Flüs Hohlhandaponeurose in einem Sinus mit einer zweiten Ansamm
sigkeit. Die Sehne ist noch intakt. Die chirurgische Therapie lung am Lig. metacarpale superficiale transversum.
beinhaltet in diesem Stadium die komplette Exzision der Sehnen
scheide unter Erhalt der Ringbänder und Vinculae. Die Adapta Therapie. Die Therapie der Interdigitalinfektionen ist stets chirur
tion der Wundränder sollte nur sehr sparsam erfolgen, wobei die gisch und beinhaltet die Abszessdrainage, das Débridement und die
Eintrittspforte der Keime sekundär heilen sollte. Wir empfehlen ausgiebige Spülung. Aufgrund der häufig vorhandenen Kammerung
die mediolaterale Inzision und die Anlage eine Spül-Saug- mit einem dorsalen und palmaren Aspekt muss in der Regel beidsei
Systems für 48 h (. Abb. 57.6c). tig eröffnet werden. Die Inzisionen sollten nie transvers erfolgen, da
4 Im Stadium III liegt zusätzlich zur putriden Füllung der Sehnen dies zu kontrakten Narben in der Interdigitalfalte führen kann.
scheide eine Nekrose der Sehne vor. Das Débridement der kom
pletten Sehnenscheide und der nekrotischen Sehne muss radikal Mittelhandphlegmone
durchgeführt werden. Eine septische Arthritis oder Osteomyeli Anatomische Gegebenheiten. Mittelhandphlegmonen sind zu
tis müssen ausgeschlossen werden. Die funktionelle Prognose nächst auf das Mittelhandkompartiment begrenzt, das sich dorsal
einer Beugesehnescheidenphlegmone im Stadium III ist sehr der tiefen Beugesehnen über dem 3. und 4. Metakarpale erstreckt
schlecht und bedarf aufwendiger rekonstruktiver Maßnahmen und dort von der Fascia interossea palmaris begrenzt wird. Die radi
nach Infektsanierung. ale Begrenzung des Mittelhandraums wird gebildet durch das Sep
Die intaoperative Gabe eines adäquaten, erregergerechten Anti tum obliquum, die ulnare Begrenzung durch die Hypothenarfaszie
biotikums, die postoperative Fortführung einer intravenösen und die distale Begrenzung durch vertikale Septen der Hohlhanda
Antibiotikatherapie und die Ruhigstellung im Gips sind von poneurose (. Abb. 57.1b, c). Nach proximal besteht nur eine zu ver
entscheidender Bedeutung. Da in der Regel Staphylokokken nachlässigende Begrenzung, wodurch sich Infektionen des Spatium
(St. aureus) die ursächlichen Keime sind, sollte noch vor mikro palmare medianum schnell über den Karpalkanal im Parona-Raum
biologischer Keimspezifizierung mit der antibiotischen Thera in den Unterarm ausbreiten können.
pie unter Verwendung eines Cephalosporins der 1. oder 2. Ge
neration begonnen werden. Pathophysiologie. Diese Infektionen entstehen durch direkte Ver
letzungen, können aber auch durch fortgeleitete Beugesehnenschei
Postoperatives Management. Die frühfunktionelle aktive und pas denphlegmonen hervorgerufen werden.
sive Physiotherapie sollte sofort nach Entfernung der Spüldrainage
erfolgen. Nur so können funktionelle Defizite durch Sehnenadhä Klinik. Klinisch sind eine Schwellung mit dem Verlust der Hohl
sionen minimiert oder vermieden werden. handkonkavität, eine Rötung und Druckschmerzhaftigkeit sowie
eine dorsale Schwellung und die Bewegungseinschränkung von Mit
tel- und Ringfinger führend (. Abb. 57.7).
57.4.4 Hohlhandphlegmone
Thenarphlegmone
Klinik. Die Thenarphlegmone ist eine purulente subkutane, epifas a
ziale Infektion des Daumenballens. Die Ausbreitung ist meist auf
den Thenar und die 1. Zwischenfingerfalte begrenzt und dehnt
sich nur selten über das Septum obliquum in die Mittelhand aus
(. Abb. 55.7). Die Infektion ist durch eine massive Schwellung und
Rötung des Thenarballens und der 1. Zwischenfingerfalte gekenn
zeichnet. Der Daumen steht in Abduktionsstellung und ist nur
schmerzhaft adduzierbar.
Klinik. Die nekrotisierende Fasziitis ist durch eine Nekrose von Fas
zien gekennzeichnet, die sich rapide ausdehnt. An den Händen und
Unterarmen tritt sie selten auf. Anfänglich präsentiert sich das
Krankheitsbild mit noch intakt erscheinender Haut, die erysipelartig
leicht gerötet sein kann. Im Gegensatz dazu sind die Allgemein
symptome wie Schmerz, Fieber, Schüttelfrost und kardiovaskuläre
Symptome bis zum Schock oft extrem.
Therapie. Trotz der intakt erscheinenden Haut liegen oft schon aus
gedehnte Fasziennekrosen vor, die einer sofortigen chirurgischen
Intervention bedürfen. Bei einem Fortschreiten der Erkrankung
kommt es zu einer Nekrose von Haut, Subkutangewebe und Muskel.
> Die nekrotisierende Fasziitis ist eine per se lebensbedroh
a
liche Erkrankung und erfordert eine schnelle chirurgische
Intervention mit ausgedehntem Débridement der betrof
fenen Areale sowie eine intensive erregergerechte antibio
tische Therapie.
In der Regel sind mehrere Revisionsoperationen notwendig, insbe
sondere bei fortschreitender Gewebenekrose. Patienten mit nekroti
sierender Fasziitis müssen meist aufgrund der großen Wundflächen,
des Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes und der Schmerzen inten
sivmedizinisch betreut werden.
Das ursächliche Erregerspektrum umfasst aerobe und anaerobe
Keime, wobei am häufigsten β-hämolysierende Streptokokken der
Gruppe A isoliert werden. Die antibiotische Therapie umfasst bei
β-hämolysierenden Streptokokken Penicillin G. Anaerobe Patho
gene, gramnegative aerobe Keime und häufig mitisolierte Staphy
lokokken können mit Clindamycin oder Gentamicin gut erreicht
werden.
Nach Infektsanierung erfolgt die Defektdeckung in der Regel
durch Spalthauttransplantationen oder freien Gewebetransfer, je
nach Ausdehnung und Tiefe des Weichgewebsdefektes.
b
Das Pyoderma gangraenosum ist eine nichtinfektiöse, vaskulitisbe Herpesinfektionen können je nach Ausprägung zu unterschied
dingte Hautulzeration mit entzündlich-pustulösem Rand, die sich lichsten Erscheinungsformen von Rötungen, Bläschenbildungen bis
schnell entwickelt und eine Ausdehnung bis zu 20 cm erreichen zu Hautablösungen führen.
kann. Aufgrund des akuten Verlaufs und der Rötung um das Ulkus
herum kann das Pyoderma gangraenosum mit einer infektionsbe
dingten Ulzeration verwechselt werden. In ca. 50% der Fälle entsteht
542 Kapitel 57 · Infektionen der Hand
57.5.3 Rheumatoide Arthritis und Gicht egel einen Osteophyten, der für die Bildung der Mukoidzyste ur
R
sächlich ist.
Akute Schübe von Gelenkrheuma und Gichtanfälle können ein ähn Riesenzelltumoren sind die zweithäufigsten Tumoren der Hand.
liches klinisches Bild wie eine septische Arthritis verursachen. Im Ihre Pathogenese ist unklar. Sie führen zu einer lokalen Auftreibung
Vordergrund stehen die Auftreibung des betroffenen Gelenkes, eine des Fingers und können mit einer Beugesehnenscheidenphlegmone
Rötung und Überwärmung sowie eine massive Schmerzhaftigkeit. verwechselt werden.
Differenzialdiagnostisch wichtig sind hierbei Ähnlich verhält es sich mit Knochentumoren wie Enchondro
4 der akute Beginn der Symptome, men. Sie werden oft erst bei Schmerzhaftigkeit nach Infrakturierung
4 das fehlende Trauma, des Knochens diagnostiziert und gehen mit einer Auftreibung der
4 die fehlende Eintrittspforte für Keime, Phalanx, Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit des Fingers ein
4 die Begrenzung der Rötung und Schwellung auf das betroffene her, sodass sie zur Fehldiagnose der Beugesehnenscheidenphlegmo
Gelenk, ne führen können.
4 die fehlende Lymphangitis, die krankheitsentsprechenden ra Glomustumoren des Nagelbettes können durch ihre Lokalisa
diologischen Veränderungen und tion und ausgeprägte Schmerzhaftigkeit eine Infektion des Nagel
4 die Anamnese des Patienten mit oft bekannter Grunderkran bettes imitieren. Ein Röntgenbild des betroffenen Fingers gibt hier
kung. jedoch Aufschluss, da Glomustumoren ein knochenverdrängendes
Wachstum aufweisen.
Insbesondere bei akuten rheumatischen Schüben deuten bereits vor
handene Deformitäten der Fingergelenke, wie eine Ulnardeviation
der Finger, auf die zugrunde liegende Erkrankung hin. Eine Blutent 57.6 Operatives Vorgehen
nahme mit Bestimmung der Infektparameter (Leukozyten, C-reak
tives Protein, Blutsenkungsgeschwindigkeit) und des Harnsäurespie 57.6.1 Plastische Weichteildeckung
57 gels sowie die Anfertigung von Röntgenbildern sind differentialdia
gnostisch entscheidend. Sowohl die Behandlung eines akuten Rheu Massive Infektionen an der Hand hinterlassen nicht selten ausge
maschubes als auch einer Gicht ist primär nicht chirurgisch, sondern dehnte Weichteildefekte, die einer plastisch-chirurgischen Defekt
wird in erster Linie medikamentös durchgeführt. Die Ruhigstellung deckung bedürfen. Hierbei muss man Die Lokalisation der Defekte
der betroffenen Gelenke kann dennoch eine Linderung der Be unterscheiden:
schwerden herbeiführen (. Abb. 57.10). 4 an den Fingern,
4 am Daumen, am Handrücken und
4 an der Hohlhand.
57.5.4 Tumoren der Hand
Das Ausmaß und die Lokalisation des Gewebeverlustes bestimmen
Verschiedene Tumoren der Hand können zur Fehldiagnose eines über den Modus der Defektdeckung, die von einer einfachen Spalt
Fingerinfektes führen, insbesondere bei tumorbedingter Schwellung hauttransplantation bis zum freien Gewebetransfer reichen kann
und Druckschmerzhaftigkeit der betroffenen Extremität. (. Tab. 57.2).
Ganglien der Gelenke und Beugesehnenscheiden führen zu ei
> Zu beachten ist, dass plastische Defektdeckungen keines
ner lokalen Schwellung und können druckschmerzhaft sein. Treten
falls aus betroffenen oder unmittelbar der Infektionszone
sie als Mukoidzysten an den dorsalen Endgelenken in der Nähe des
benachbarten Geweben gewonnen werden dürfen. Somit
Nagelwalls auf, können sie eine Paronychie mit Schwellung, Rötung
erfolgt die plastische Rekonstruktion im infektfreien Inter
und Druckschmerz imitieren. Palpatorisch lassen sie sich jedoch
vall mit gut durchblutetem Gewebe.
oft als Ganglien identifizieren. Im Röntgenbild sieht man in der
Prinzipiell werden auch an der Hand verschiedene Lappentypen je
nach Blutversorgung unterschieden. Man unterteilt
4 »random pattern flaps«, die ihre Blutversorgung aus dem sub
dermalen Plexus erhalten, und
4 »axial pattern flaps«, bei denen ein axial liegendes Gefäß die
Blutversorgung des entsprechenden Gewebestücks übernimmt.
»axial pattern flaps« werden zusätzlich eingeteilt in
5 kutane Lappen,
5 fasziokutane Lappen und
5 muskulokutane Lappen.
. Tab. 57.2 Lappenplastiken an der Hand, die zur Deckung postinfektiöser Defekte genutzt werden können
Lokale Lappen Regionale Lappen Fernlappen Lokale Lappen Regionale Lappen Fernlappen
57
2005b)
Radialislappen. Zu den bekanntesten gestielten fasziokutanen Tierbissverletzungen haben einen besonderen Stellenwert, da sie oft
Fernlappen zählt der Radialislappen, der zur Deckung palmarer und zu Infektionen führen. Bissverletzungen an der Hand zählen zu den
57.7 · Zusammenfassung
545 57
Hochrisikoverletzungen. Eine antibiotische Prophylaxe wird daher Kanavel AB (1943) Infections of the Hand. A guide to the surgical treatment
empfohlen. of acute and chronic suppurative processes in the fingers, hand, and
Die häufigsten Handinfektionen wie das Panaritium und die forearm, vol 7. Lea & Febiger, Philadelphia
Kappel DA, Burech JG (1985) The cross-finger flap: An established reconstruc-
Paronychie sind in der Regel gut sanierbar. Selten kommt es aber
tive prcedure. Hand Clinics 1: 677
auch hier zu einer Fortleitung des Infektes bis zur Beugesehnen
Kutler WA (1947) A new Method for Finger tip amputation. JAMA 133: 129
scheiden- und Hohlhandphlegmone, die einer massiven chirur Linscheid RL, Dobyns JH (1975) Common and uncommon infections of the
gischen Intervention bedürfen und oft nur mit dem Verbleib einer hand. Orthop Clin North Am 6: 1063
Restfunktion der Hand ausheilen. Bei der Behandlung von Hand Littler JW (1960) Neurovascular skin island transfer in reconstructive hand
phlegmonen ist die Erstellung eines chirurgischen Therapiekon surgery. Trans 2nd Int Congr Soc Plast surgeons 175
zeptes unter Einbindung der Mikrobiologen und Handtherapeuten Louis DS, Jebson PJ (1998) Mimickers of hand infections. Hand Clin 14: 519
von entscheidender Bedeutung. Manthey DE, Schissel DJ (1999) Ulcers on the fingers. Acad Emerg Med 6:
Die Therapie von manifesten Handinfektionen gehört in die 637
Hand eines erfahrenen Handchirurgen. Die primäre chirurgische Matter HC (1998) Sentinella Arbeitsgemeinschaft. The epidemiology of bite
and scratch injuries by vertebrate animals in Switzerland. Eur J Epide-
Versorgung ist für die weitere Prognose der Handfunktion rich
miol 14: 483
tungsgebend. Für die operative Intervention ist eine ausgezeichnete
Medeiros I, Saconato H (2001) Antibiotic prophylaxis for mammalian bites.
Kenntnis der anatomischen Gegebenheiten und der Ausbreitungs Cochrane Database Syst Rev 21: CD001738
modalitäten von Infektionen an der Hand notwendig. Nur so kön Michon J (1974) Le phlegmon des gaines. Ann Chir 28: 277
nen eine möglichst kurze Krankheitsdauer und Rehabilitationszeit Moberg E (1964) Aspects of Sensation in reconstructive surgery of the upper
ermöglicht werden und die sozioökonomischen Kosten, die sich aus extremity. J Bone Joint Surg [Am] 46: 817.
den Folgen massiver Handinfekte ergeben können, gesenkt werden. Mühlbauer W, Herndl E, Stock W (1982) The forearm flap. Plast Reconstr Surg
Die chirurgische Therapie der Handinfektion ist kein Anfängerein 70: 336
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58
Ischämische Kontrakturen
an Unterarm und Hand
K.H. Busch, A. Gohritz
a b
58
. Abb. 58.3a–d Schnittführung zur Entlastung bei Kompartmentsyndrom Unterarmstreckmuskulatur. c S-förmige Inzision zur Kompartmententlastung
am Unterarm. a Gerade Schnittführung mit günstigerer ästhetischer Ver- von Ober- und Unterarm und Umsetzung am Beispiel einer Verbrennung (d).
laufsrichtung aber schlechterer Übersicht. b Inzision dorsalseitig vom Epi- Der ulnare Velauf am Unterarm erhält einen evtl. erforderlichen Radialislap-
condylus lateralis zum 4. Strecksehnenfach reichend für Exploration der pen. [Fotos: © Unpict/Fotolia.com (a) und © Sframe/Fotolia.com (b)]
Unterarms zurückgreifen. Diese Variante hat den Vorteil, ästheti Therapie des Kompartmentsyndroms an der Hand. In der Hohl
scher und unauffälliger zu sein und ggf. gleichzeitig auch das streck hand selbst wird wie zur Fasziektomie im Sinne eines umgekehrten
seitge Kompartment spalten zu können, ist aber unübersichtlicher. Mercedes-Sterns in der Verlängerung der Linea vitalis und dann
Zur Dekompression des Streckerkompartments verwenden wir quer im Verlauf der proximalen Hohlhandbeugefalte geschnitten.
eine gerade Inzision vom Epicondylus humeri radialis oder kurz pro Streckseitig führen wir lediglich eine gerade verlaufende Inzision in
ximal davon in der Mitte des Unterarms über den Fingerextensoren Verlängerung des 3. Strahls durch. Von hier aus lassen sich die Fas
bis zum 4. Streckerfach. zien der Interosseusmuskeln leicht spalten, und man geht nicht das
Risiko ein, dass es zu einer Hautnekrose in der Brücke zwischen den
sonst üblichen zwei parallelen Inzisionen kommt (. Abb. 58.4).
58.3 · Volkmann-Kontraktur
551 58
a b
58.3 Volkmann-Kontraktur den N. ulnaris sind hier der Sulcus nervi ulnaris, der Durchtritt des
Nervs durch den M. flexor carpi ulnaris und die Loge de Guyon zu
58.3.1 Unterarm beachten. Wichtig ist es auch, die Nerven nach erfolgter Neurolyse
nicht wieder in die Muskelnekrosen zurückzulegen, sondern in gut
Die Ausprägung der Folgeschäden nach einer Ischämie der Unter durchblutetes Gewebe zu verlagern. Sind die Nerven vollständig fi
armmuskulatur ist sehr variabel und abhängig von Ausmaß und Art brotisch umgebaut oder fettig degeneriert und dies langstreckig, sind
der Schädigung. Das klinische Erscheinungsbild wird durch die teilweise Nerveninterponate angezeigt, dies aber nur, wenn ein ent
Muskelschädigung mit Kontrakturen der entsprechenden Gelenke, sprechend gut perfundiertes Bett für die Transplantate zur Verfü
zum anderen aber auch durch den Ausfall der motorischen Nerven gung steht.
anteile bestimmt. Vorhandene Muskelnekrosen sollten immer vollständig rese
Ist die Unterarmbeugemuskulatur betroffen, kommt es typi ziert werden, um erneute Verklebungen nach der mühseligen Lö
scherweise zu einer Beugekontraktur im Ellbogen- und im Hand sung zu vermeiden. Einzige Ausnahme stellen kleine Nekrosen am
gelenk. Die Stellung der Finger ist bedingt durch die Lähmung der muskulotendinösen Übergang dar, welche zum Erhalt der Funktion
Handbinnenmuskultur infolge des kombinierten Ausfalls von dienlich sein können.
N. medianus und N. ulnaris und durch die Kontraktur der ober
flächlichen und tiefen Fingerbeuger. Sind M. pronator teres und Operation nach Page-Scaglietti. Das Verfahren der Wahl bei Kon
M. pronator quadratus betroffen, imponiert eine Pronationsstellung trakturen und makroskopisch noch erhaltener Durchblutung der
der Hand. Muskulatur stellt die Desinsertion der Muskelansätze am proxima
len Unterarm nach Page-Scaglietti dar (. Abb. 58.5). Vom Oberarm
Therapieprinzipien. Die Therapie bei geringer Ausprägung und kommend wird nach Darstellung der Nerven und der A. brachialis
akzeptabler Restbeweglichkeit besteht in konservativen Maßnah medial am Oberarm, am Epicondylus humeri ulnaris die Muskulatur
men wie Bewegungsübungen und Streck-Quengeln. desinseriert. Die Desinsertion muss nach distal entlang der Ulna und
Bei ausgeprägteren Formen kann ein einheitlicher Therapie der Membrana interossea fortgeführt werden, bis sich eine ausrei
vorschlag nicht gegeben werden. Die Variabilität der Schädigungs chende Streckung des Handgelenks und der Finger erzielen lässt.
muster der betroffenen Muskelgruppen mit partiellem oder voll Ist der M. flexor pollicis longus mitbetroffen, können eine Re
ständigem zusätzlichem Nervenausfall erfordert ein individuelles sektion des Muskels und Sehnenkopplung an die oberflächlichen
Management nach genauester vorheriger Evaluation des Befundes. Fingerbeuger indiziert sein. Bei einer Pronationskontraktur muss
Bei der operativen Revision ist bei diagnostiziertem Nerven der M. pronator teres ebenfalls desinseriert werden.
schaden auch eine langstreckige Neurolyse angezeigt. Diese wird
zuerst durchgeführt (vor dem Lösen von Verwachsungen, Resektion Postoperatives Management. Grundsätzlich sollte präoperativ ein
von Muskelnekrosen, Ablösen von Muskelansätzen, Tenolysen oder Plexuskatheter angelegt werden, um möglichst frühzeitig postopera
anderen operativen Verfahren), um zusätzlichen Läsionen der häu tiv mit passiven Beübungen beginnen zu können. Postoperativ sollte
fig in narbig umgebautem Muskelgewebe verbackenen Nerven zu das Wundgebiet ausreichend drainiert werden und eine Unterarm
vermeiden. gipsschiene zur Extension des Handgelenks angelegt werden.
Hier ist v. a. auch auf die physiologischen Engstellen der Nerven
zu achten. Von proximal, aus gesundem Gewebe kommend, erfolgt Verlängerungstenotomie. Sind nur einzelne Muskeln betroffen, ist
die Darstellung des N. medianus am Oberarm, hier ist v. a. auf den zur Auflösung der Kontraktur nicht immer eine vollständige Desin
Lacertus fibrosus, den Durchtritt durch den M. pronator teres, die sertion erforderlich. Bei noch vorhandener Restfunktion und nur
Superfizialisarkade und das Retinaculum flexorum zu achten. Für teilweiser Nekrose bietet sich eine Verlängerungstenotomie an. Die
552 Kapitel 58 · Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand
a
58.3.2 Hand
58.3.3 Arthrodesen
Inzision erfolgt hierbei über dem distalen Drittel des Unterarms im
Bereich des muskulotendinösen Übergangs. Nach Darstellen des Als Ultima ratio stehen zur Verbesserung der Gesamtfunktion der
N. medianus und N. ulnaris werden die betreffenden Sehnen nach oberen Extremität bei Volkmann-Kontraktur immer auch Arthro
der Narbenlösung identifiziert. Die Sehnen werden dann treppen desen der Fingergelenke, Metakarpophalangealgelenke oder des
förmig inzidiert. Es ist darauf zu achten, die Inzision in der Sehnen Hangelenks zur Verfügung, da sich hierdurch die Anzahl der zu be
mitte lang genug zu wählen, um genügend Spielraum für die Verlän wegenden Gelenke reduzieren und eine bessere Stabilität der Rest
gerung zu haben. beweglichkeit erreichen lässt. Zudem können frei werdende Mus
keln, z. B. die Handgelenksbeuger oder -strecker, zur Motorisierung
Muskeltransposition. Muss ein Kompartment aufgrund der Nek von Daumen und Fingern eingesetzt werden.
rosen vollständig ausgeräumt werden, sind Muskelumlagerungen
und Transpositionen der Beuger auf die Strecker und umgekehrt Literatur
angezeigt. Bei einer Nekrose des Streckerkompartments wird analog Botte MJ, Gelberman RH (1998) Acute compartment syndrome of the fore-
zur Radialisersatzplastik einer der intakten Handgelenksbeuger arm. Hand Clin 14: 391
ventralisiert und als Motor für die Fingerstrecker genutzt. Bei Verlust Gellman H, Buch K (1998) Acute compartment syndrome of the arm. Hand
des tiefen und oberflächlichen Fingerbeugers kann ebenso einer der Clin 14: 385
Handgelenksstrecker nach palmar umgelagert werden, um hier die Ortiz Jr JA, Berger RA (1998) Compartment syndrome of the hand and wrist.
tiefen Beugesehnen zu versorgen. Hand Clin 14: 405
Auch der M. brachioradialis ist, sofern erhalten, ein wertvoller Serokhan AJ, Eaton RG (1983) Volkmann’s ischemia. J Hand Surg [Am] 8: 806
Motor sowohl für den Streckerersatz als auch für den Ersatz der Whitesides TE, Haney TC et al. (1975) Tissue pressure measurements as a de-
terminant for the need of fasciotomy. Clin Orthop 113: 43
Beugemuskulatur. Er kann Verwendung finden als Ersatz eines
Lanz U, Felderhoff (2000) Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand.
Handgelenksbeugers (FCR) oder Handgelenksstreckers (ECRL)
Handchir Mikrochir Plast Chir. 32: 6–25
oder auch zum funktionellen Ersatz des langen Daumenbeugers Littler JW, Eaton RG (1967) Redistribution of forces in the correction of the
(FPL) oder -streckers (EPL). boutonnière deformity. J Bone Joint Surg Am 49: 1267
In Fällen von stärkster Ausprägung des Muskeluntergangs kann Prommersberger KJ, van Schoonhoven J, Kalb K, Lanz U (2008) Rekonstruk
eine freie, funktionelle Muskelverpflanzung durchgeführt werden. tion nach Kompartmentsyndrom an Unterarm und Hand Unfallchirurg
Als Spendermuskeln kommen der M. latissimus dorsi oder auch der 111: 804–808, 810–811
M. gracilis in betracht.
59
Degenerative Sehnenerkrankungen
der Hand
C. Choi
59.2.1 Diagnostik
59.2.2 Therapie
59.2.3 Besonderheiten
59.3.1 Therapie
Die reaktive Tendinitis der Extensor-carpi-ulnaris- (ECU-) Sehne ist Eine postoperative Ruhigstellung ist nicht erforderlich.
nicht selten und stellt eine Differenzialdiagnose des ulnaren Hand-
gelenkschmerzes dar. Sie wird häufig nach Distorsionstrauma des Literatur
Handgelenks beobachtet, nach 24–48 h kommt es zu zunehmender Clarke MT et al. (1998) The histopathology of de Quervain disease. J Hand
Schwellung und Schmerzen. Häufig werden nächtlicher Schmerz, Surg 23B: 732–734
häufig mit Dysästhesien des darüberliegenden dorsalen N. ulnaris Green D, Hotchkiss R, Pederson W, Wolfe S (1997) Green’s operative hand
surgery, 5th edn. Elsevier, New York
beschrieben.
McAuliffe JA (1010) Tendon disortders of the hand and wrist. J Hand Surg Am
Der Schmerz ist vom Patienten in der Regel nur schwer zu loka-
35: 945–953
lisieren und wird subjektiv häufig als tief im Handgelenk angegeben. Saldana MJ (2001) Trigger digits: diagnosis and treatment. J Am Acad Orthop
Die Bewegungen im Handgelenk sind in alle Richtungen, insbeson- Surg 9, 4: 246–252
dere bei Extension und Ulnardeviation, gegen Widerstand schmerz-
haft und in einigen Fällen krepitierend.
Eine Testblockade mit Scandicain erleichtert eine Differenzie-
rung von intraartikulären Verletzungen.
59.4.2 Flexor-carpi-radialis-Sehne
Der scharfe Winkel des M. flexor carpi radialis (FCR) über dem Os
trapezium und der straffe fibröse Kanal, durch den die Sehne zieht,
können Ursache einer stenosierenden Tendovaginitis sein. Diese ist
häufig mit einer Trapezoiddegeneration vergesellschaftet.
Eine Vielzahl von Fehldiagnosen von Erkrankungen der unmit-
telbaren Nachbarschaft, wie Ganglien, degenerative Gelenkverände-
rungen, Skaphoidfraktur oder -pseudarthrose und TVS de Quervain
können zu einer Verlängerung der Behandlung führen.
Die Anamnese ist häufig schwierig, da der Verlauf meist schlei-
chend ist. Schmerzen werden zumeist auf das palmare Handgelenk
über das Tuberculum scaphoideum projiziert und nehmen bei Fle-
xion und Radialduktion im Handgelenk zu. Es kann eine lokale
Schwellung auftreten oder ein Ganglion über der Sehne liegen. Auch
hier kann differenzialdiagnostisch eine lokale Testblockade durch
Scandicaininfiltration helfen.
Degenerative Knochenerkrankungen
der Hand
M. Meyer-Marcotty
Klinisches Bild
Die Klinik ist geprägt von längeren Verläufen mit zunehmender
Schmerzhaftigkeit der betroffenen Gelenke, Kraftverlust und Bewe
gungseinschränkungen, Schwellungen, ggf. Rötungen sowie im
Spätstadium äußerlich sichtbaren Dislokationen und Fehlstellungen.
Oft ist eine schmerzhafte Krepitation zu tasten, gemeinsam mit
einem deutlichen Druckschmerz. Die Operationsindikation ist pri
mär abhängig von der Klinik und erst sekundär vom radiologischen
Befund, da durchaus Patienten mit schwersten radiologischen Zei
chen einer fortgeschrittenen Arthrose erstaunlich beschwerdearm
. Abb. 60.1a, b Technik der Arthrodese des PIP-Gelenks: Resektionsarthro-
sein können (»ausgebrannte Arthrose«).
dese im Mittelgelenk eines Langfingers mit 2 K-Drähten und Cerclage
Diagnostik
In der Röntgendiagnostik sind alle Stadien möglich, von diskreten
Gelenkspaltveränderungen über eine fast vollständige Gelenksdestruk
tion bis hin zur Ausbildung einer spontanen Arthrodese (Ankylose).
Vor der operativen Therapie steht meist eine rheumatologisch
oder konservativ orthopädische Behandlung.
Operationsindikation
Für die Differenzialdiagnose ist es wesentlich, präoperativ herauszu
finden, ob der Schmerz oder die Funktionseinschränkung aufgrund
60 einer Fehlstellung das Hauptproblem für den Patienten darstellt. Bei
de Symptome können entsprechend operativ behandelt werden, wo
bei meistens Mischformen aus beiden Symptomkomplexen existie
ren und der Operateur gemeinsam mit dem Patienten das am besten
geeignete Verfahren auswählen muss.
Das operative Spektrum umfasst
4 die Synovialektomie,
4 die Arthrodese, die Arthroplastik und . Abb. 60.2 Resektionsarthroplastik mit Resektion des arthrotischen Köpf-
4 den Gelenkersatz durch verschiedene Materialien (Silikon, Pyo chens der Grundphalanx sowie dorsalem Einschlagen der palmaren Platte
carbon etc). als proximal gestielter Lappen (a, b). Schmerzhafte Arthrose im PIP-Gelenk
mit Bewegungseinschränkung (c, d präoperatives Röntgenbild; e, f post-
DIP-Gelenke. Bei Befall der distalen Interphalangealgelenke (DIP- operatives Röntgenbild nach Resektions-Interpositions-Arthroplastik)
Gelenke) mit meist vorliegender Gelenkdestruktion und Deviation
ist eine Arthrodese das Operationsverfahren der 1. Wahl.
Diese Arthrodese kann in der Regel mittels Schrauben (z. B. (. Abb. 60.1) und auch Plattenarthrodesen möglich. Außerdem
Herbert-Schrauben) oder Draht-Cerclagen in Kombination mit ei kann eine Resektions-Interpositions-Arthroplastik durchgeführt
ner Kirschner-Drahtarthrodese durchgeführt werden. Vorteile einer werden (. Abb. 60.2). Zum Einsatz kommen Silikon-Spacer (nach
Arthrodese mittels Draht-Cerclage und Kirschner-Draht sind die Swanson) oder Totalendoprothesen. Weltweit werden die Silikon-
technisch einfache Durchführbarkeit, die bessere mechanische Be Spacer am häufigsten als Gelenkersatz eingesetzt.
lastbarkeit und die geringeren Materialkosten im Vergleich zu ei Bei der Differenzialindikation sind der Wunsch des Patienten
ner Schraubenarthrodese. Allerdings muss nach ca. 6 Wochen der und die berufliche Situation für die Wahl des Verfahrens ausschlag
Kirschner-Draht operativ entfernt werden, wohingegen die Schrau gebend. So sollte jüngeren handwerklich tätigen Patienten eher zu
be meist in situ verbleiben kann. einer Arthrodese des PIP-Gelenkes geraten werden, während die
Zu beachten sind außerdem das Sozialprofil und das Berufsbild Arthroplastik mittels Swanson-Silikon-Spacer ein gutes Verfahren
sowie die Wünsche des Patienten. Patientinnen wünschen oft aus für Patienten ist, die keine maximalen Kräfte ausüben oder keine
optischen Gründen eine Arthrodese der DIP-Gelenke in Streckstel maximale Stabilität des Gelenkes benötigen, z. B. Rheumatiker.
lung, da dies als weniger auffällig angesehen wird und der betrof Wichtig bei der Indikationsstellung zu einem Gelenkersatz mittels
fene Finger länger und schlanker erscheint. Schwer handwerklich Silikon-Spacer ist eine gute Gelenkführung über intakte Seitenbän
tätige Patienten brauchen für einen festen Faustschluss aber eher der oder die Gelenkkapsel.
eine in 20° Flexionsstellung fixierte Arthrodese. Postoperativ kann es nach Implantation einer Gelenkprothese zu
Dislokationen und Instabilitäten kommen. Die Schäfte der Endopro
PIP-Gelenke. Auf Höhe der proximalen Interphalangealgelenke thesen können aus den Phalangen herausbrechen, und die Silikon-
(PIP-Gelenke) sind ebenfalls Arthrodesen wie oben beschrieben Spacer können als solche frakturieren. Rotations- und Achsfehler
60.1 · Finger und Mittelhand
561 60
sind zu vermeiden, da diese ein gutes postoperatives Ergebnis ge
fährden. Eine weitere Komplikation ist die Einsteifung des Gelenkes
nach Prothesenimplantation.
Postoperatives Management
Die Nachbehandlung für die Arthodesen ist für alle Fingergelenke
identisch und besteht in einer 6-wöchigen Ruhigstellung in einer
Schiene, mit anschließender (Teil-)metallentfernung, wobei Schrau
ben oder Platten und auch die Draht-Cerclage belassen werden kön
nen. Im Fall einer Prothesenimplantation sieht die Nachbehandlung
unmittelbar postoperativ eine 5-tägige Ruhigstellung in einer Schie
ne vor mit anschließender geführter Mobilisation mit seitlicher
Schienenführung, z. B. in Form von Zwillingsklettverbänden oder
radial redressierenden streckseitigen Gummizügelverbänden. Diese
geführten Bewegungen sollten insgesamt für 6 Wochen durchge
führte werden.
b
Die Rhizarthrose ist die häufigste Arthrose des Daumens, sie betrifft
Frauen weitaus häufiger als Männer (ca. 10:1).
Symptome treten häufig auf bei Drehbewegungen wie beim Öff
nen von Gläsern oder Auswringen eines Lappens. Die Beschwerden
werden im Bereich der Basis des 1. Metakarpalknochens angegeben.
Klinische Untersuchung
Die Patienten klagen über Schmerzen und Druckschmerzen im Be
reich des Sattelgelenkes. Oft entwickelt sich eine dorsale Prominenz
an der Basis des 1. MHK, welche Zeichen der dorsalen Subluxation
des 1. Strahls im Sattelgelenk bei gleichzeitiger Daumenadduktion
ist. Ein typischer Stauchungsschmerz, oft mit einer tastbaren Krepi
tation verbunden, lässt sich bei der axialen Kompression des
1. Strahls auslösen. Der Spitzgriff zwischen Daumen und Zeige
finger ist im Seitenvergleich oft kraftgemindert und schmerzhaft, c
es kann bereits eine fixiert Adduktionskontraktur vorliegen.
Grundsätzlich sind bei jeder Rhizarthrose die klinische Unter . Abb. 60.3 Implantation von Silastikprothesen (Swanson-Prothese) in
suchung und die beklagten Symptome ausschlaggebend für die je Fingergrundgelenke bei rheumatoider Arthritis. Typische quere Inzision
weilige Therapie. Der radiologische Befund kann eine sehr ausge über den Gelenken (a). Ausraspeln der Markhöhle (b) mit Einbringen der
Prothesen unter Einsatz von Abstandshülsen (Grommets), die eine mecha-
prägte Rhizarthrose aufweisen, obwohl die klinischen Beschwerden
nische Abrasion am Knochen verhindern (c)
nur gering ausgeprägt sind. Umgekehrt können aber auch bei ei
nem altersentsprechenden Normalbefund im Röntgenbild stärkste
Schmerzen bestehen, sodass die Indikation zur Operation besteht.
562 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand
Stadium Kennzeichen
Technik der Resektionsarthroplastik nach Epping. Zunächst wird Postoperatives Management. 4 Wochen postoperativ Belassen des
über einen stufenförmigen radiodorsalen Zugang zum Sattelgelenk Drahtes und 4–6 Wochen Belassen eines Gipses unter Einschluss
unter schichtweiser Präparation und Schonung der Äste des R. su des Daumens und Freilassen des IP-Gelenks, dann funktionelle Be
perficialis n. radialis der dorsale Ast der A. radialis am proximalen übung.
Wundpol dargestellt, angeschlungen und während der weiteren Prä
paration geschont. Nach Eröffnung des Sattelgelenkes folgt das
60.1 · Finger und Mittelhand
563 60
60.1.2 Handwurzel (Karpus) und distales
Radioulnargelenk (DRUG)
Diagnostik
Abklären von Differenzialdiagnosen: Pseudarthrose des Proc. sty . Abb. 60.6 Situation nach Ulnakopfhemiresektion und Kapselinter
loideus ulnae (PSU), »ulna impaction syndrome«; lunotriquetrale position (Bowers-Operation)
Instabilität (LT-Instabilität), Synovitis der ECU-Sehne (ECU=M. ex
tensor carpi ulnaris), pisotriquetrale Arthrose (PT-Arthrose).
Bowers-Operation. Die Beobachtungen von Dingman (1952) ha
Diagnostik ben zur Entwicklung von Operationsverfahren geführt, bei denen
Die Diagnostik umfasst Anamnese, klinische Untersuchung, Rönt die umgebenden Weichteile als Stabilisatoren des DRU-Gelenkes
gen in maximaler Pronation und maximaler Supination und Neu geschont werden und letztendlich nur die Gelenkfläche unter Belas
tralstellung, CT (Hinweise auf eine ulnare Dislokation), Arthro- sen des Proc. styloideus ulnae und des TFCC reseziert wird. Bowers
NMR mit Handgelenkspule zur Beurteilung der Knorpelverhältnisse hat zusätzlich eine Interpositionsarthroplastik durchgeführt, um ein
und des TFCC und Arthroskopie. radioulnares Impingement zu verhindern. Die dorsale Kapsel des
DRU-Gelenkes wird nach der Resektion der Gelenkfläche einge
Therapie schlagen und ossär an der distalen Ulna vernäht (. Abb. 60.6).
Als sog. Rettungsoperation (»salvage procedures«) für die Wieder
herstellung der Umwendbewegung stehen mehrere erprobte Verfah Operation nach Kapandji-Sauvé. Diese Operationstechnik bein
ren zur Verfügung. haltet eine Fusionspseudarthrose des DRU-Gelenks. Das DRU-Ge
lenk wird fusioniert und ein Knochenblock aus der Ulna proximal
Darrach-Operation. Darrach hat 1912 eine Technik zur Behand des DRU-Gelenks reseziert, um eine Umwendbewegung des Unter
lung von Arthrosen des DRU-Gelenkes vorgestellt, bei der er die arms zu ermöglichen (. Abb. 60.7). Bei dieser Operation muss der
distale Ulna komplett reseziert und dadurch das schmerzhafte DRU- resezierte Knochenblock in der proximodistalen Richtung min
Gelenk aufgelöst hat (. Abb. 60.5). Diese Maßnahme kann zu einer destens 1 cm breit sein, um eine Instabilität des proximalen Ulna
Instabilität der gesamten Handwurzel mit einer ulnokarpalen Trans stumpfes durch eine ausreichende Weichteilführung und anderer
lation oder einem radioulnaren Impingement führen und ist deshalb seits eine erneute knöcherne Überbrückung des gesetzten Defektes
heute nicht mehr die 1. Wahl, insbesondere nicht bei jüngeren sport zu verhindern. Ein intakter TFCC ist notwendig für die axiale Kraft
lich aktiven Patienten. übertragung vom ulnaren Karpus auf den Unterarm. Mit dieser
564 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand
b c
a
60
d e
. Abb. 60.7 Operation nach Kapandji-Sauvé (a) bei fehlverheilter Unter- syndrom (b, c). Postoperatives Röntgenbild (d, e), postoperatives Funktions-
armfraktur und aufgehobener Unterarmwendung sowie ulnares Impaktions ergebnis
Operationsmethode kann ein stabiler ulnarer Pfeiler für den Karpus nicht fusionierten Karpalia. Dieser Prozess innerhalb des Karpus ist
hergestellt werden. erst 9–12 Monate nach einer Teilversteifung abgeschlossen. Arthro
Bei Instabilitäten des DRUG mit Luxationen und guten Knorpel desen, die das radiokarpale Gelenk überbrücken (radiolunäre Arth
verhältnissen im DRUG lohnt sich eine ligamentäre Rekonstruktion rodese), führen zu einer besonders ausgeprägten Bewegungsein
mit Refixierung der palmaren und dorsalen radioulnaren Bänder. schränkung.
Eine temporäre Transfixierung von Ulna und Radius wird mit 2 K-
Drähten durchgeführt. Die Drähte und ein Oberarmgips werden für
8 Wochen postoperativ belassen. Als alternative Rekonstruktions 3 Therapieprinzipien im Rahmen einer Teilarthrodese
technik ist auch eine ligamentäre Rekonstruktion mittels freiem Seh des Karpus
nentransplantat (z. B. in der Technik nach Adams) möglich. 4 Unveränderte und gesunde Gelenke dürfen nicht fusioniert
werden (um eine größtmögliche Beweglichkeit zu erhalten,
Handgelenkteilarthrodese. Die Teilarthrodese des Handgelenks 7 oben). Eine Ausnahme bildet die Versteifung von Os hama
ist ein nützliches Verfahren, um spezifische karpale Pathologien tum und triquetrum im Rahmen der CLHT- (Capitatum-Luna-
(SL-Dissoziation dynamisch oder statisch/Geissler III.° und IV.°, tum-Hamatum-Triquetrium-)Arthrodese (mediokarpale oder
ST-Arthrose, Lunatumnekrose, Kahnbeinpseudarthrose, trauma Vier-Quadranten-Arthrodese). Es konnte gezeigt werden,
tische Dislokationen, Mid-karpale Instabilität, kongenitale Synchon dass die zusätzliche Versteifung dieser beiden Knochen keine
drose des STT-Gelenkes) zu behandeln und eine Restbeweglich negative Auswirkung auf die Handgelenksbeweglichkeit hat.
keit des Handgelenks zu erhalten und Instabilität und Schmerz zu 4 Die physiologischen äußeren Ausmaße der zu fusionie-
bessern. renden Ossa carpalia müssen erhalten bleiben. Dies ist ins-
In einem unverletzten Handgelenk limitieren benachbarte besondere wichtig vor dem Hintergrund einer optimalen
Handwurzelknochen und die ligamentäre Aufhängung die Beweg postoperativen Beweglichkeit innerhalb der noch erhal-
lichkeit der umgebenden Knochen. Wenn nun zwei oder mehrere tenen karpalen Gelenke (7 oben).
karpale Knochen miteinander fusioniert werden, kommt es zu einer 6
kompensatorischen Erweiterung der Mobilität der angrenzenden
60.1 · Finger und Mittelhand
565 60
Handgelenkarthrose
Diagnostik
Die klinische Untersuchung bei Verdacht auf eine Handgelenk
arthrose beinhaltet
4 Palpation des SL-Gelenkes insbesondere von dorsal.
4 Fingerextensionstest (in passiver Flexion des Handgelenks löst
die aktive Streckung der Finger gegen Widerstand einen Schmerz
aus).
4 Watson-Test (schmerzhaftes Schnappen des proximalen streck
seitigen Kahnbeinpols über die streckseitige Radiuskante bei
Druck auf den distalen palmaren Kahnbeinpol unter gleich a
zeitiger passiver Mobilisation des Handgelenks von maximaler
Ulnarduktion in maximale Radialduktion). Gleichzeitig dient
der Test der Untersuchung einer möglichen skapholunären Ban
dinstabilität.
4 Palpation des STT-Gelenkes.
Therapie
Bei einer akuten Ruptur des SL-Bandes mit einer Rotationsinstabili
tät des Skaphoids ist die offene Reposition, Naht des SC-Bandes und
interne Fixierung des Gelenks unter direkter Sicht die beste Thera
pieoption. Insbesondere ist die korrekte Wiederherstellung der Ge
lenkverhältnisse zwischen Skaphoid, Lunatum und Capitatum von
großer Bedeutung.
Im Fall einer chronischen SL-Bandinstabilität bestehen je nach
individuellen Bedürfnissen des Patienten (berufliche Tätigkeit, Hob
bys, Alter, Geschlecht) folgende Behandlungsoptionen:
4 eine Weichteilrekonstruktion im Sinne einer dorsalen Kapsulo
dese nach Berger, mit oder ohne direkte SL-Bandnaht
oder
4 eine Teilarthrodese des Handgelenks (STT-Arthrodese nach
Watson).
b
Die dorsale Kapsulodese ist der kleinere operative Eingriff mit einer
geringeren Komplikationsrate im Vergleich zu einer STT-Arthro . Abb. 60.8a, b »SNAC wrist« III. Grades (»scaphoid non union advanced
dese. Die Ergebnisse bei nicht statischen SL-Banddissoziationen collapse wrist« mit Kahnbeinpseudarthrose, radioskaphoidaler und midkar-
waren in einer eigenen Untersuchung signifikant besser in Bezug auf paler Arthrose)
postoperative Kraftminderung, Operationszeit, Krankenhausauf
enthalt und Beweglichkeit. die Reposition der Fragmente in Kombination mit einem korti
Da der Druck, der nach einer STT-Arthrodese von radialer kospongiösen Knochenspan zu versuchen.
Hand und Handgelenk auf den Unterarm über die Fossa scaphoidea
übertragen wird, nach einer STT-Arthrodese deutlich ansteigt und
somit die Belastung in diesem Gelenk zunimmt, ist eine intakte Indikationen für eine STT-Arthrodese
Fossa scaphoidea eine Vorbedingung für eine STT-Arthrodese. Als 4 Sehr weit proximal gelegene Kahnbeinfraktur im Sinne
mögliche Langzeitauswirkung neben der sofort vorhandenen pal eines knöchernen SL-Bandausrisses
maren Bewegungseinschränkung kann eine skaphoradiale Arthrose 4 Sehr weit distal gelegene Kahnbeinfraktur mit Inkongruenz
nicht ausgeschlossen werden. des STT-Gelenks
4 Kahnbeinfraktur in Kombination mit einer SL-Bandläsion
Kahnbeinpseudarthrose (. Abb. 60.8)
Eine unbehandelte Kahnbeinpseudarthrose führt zu einer dege 4 STT-Arthrose
nerativen Handwurzelerkrankung, die in einem »SNAC wrist« 4 Kongenitale STT-Synchondrose
(»scaphoid nonunion advanced collapse«) endet. Wenn möglich, ist
566 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand
a b
60
c d
. Abb. 60.9 Therapieverfahren bei Lunatumnekrose. Revaskularisation des stiel (blauer Pfeil). b Gefäßgestielter Span in das Os lunatum rotiert. c Luna-
Os Lunatum bei Lunatummalazie: a Gefäßgestielter Radiusspan 4/5 ECA tumnekrose Stadium III a präoperativ. d Postoperatives Röntgenbild nach
(»extensor compartimental artery«) mit Span (rote Umrandung) und Gefäß- gefäßgestieltem 4/5-ECA-Radiusspan und Radiusverkürzung
M. Kienböck (Lunatumnekrose) Eine Entfernung des Lunatums ist nicht routinemäßig notwen
Falls noch eine Revaskularisation des Mondbeins sinnvoll erscheint dig und wird im Einzelfall bei andauernden Schmerzen oder Bewe
(Stadium II und IIIa; . Tab. 60.3), stellt die Radiusverkürzung (bei gungseinschränkungen im Intervall durchgeführt. Silastikprothesen
entsprechender Ulna-Minus-Variante) in Kombination mit einem als Ersatz des Lunatums oder Kahnbeins haben historische Bedeu
gefäßgestielten Radiusspan ein sinnvolles Therapieverfahren dar. tung.
Die Resektion der proximalen Handwurzelreihe (»proximal row car
pectomy«) ist als Rettungsoperation möglich. Bei einer Lunatumne Skapholunäre Dissoziation
krose im Stadium IIIb mit fortschreitendem Kollaps des Lunatums Eine Zerreißung des SL-Bandes führt zu einer Rotationsinstabilität
und der Handwurzel und palmarer Verkippung des Kahnbeins des Kahnbeins mit einer palmaren Verkippung des Kahnbeins und
und einer DISI- oder PISI- (»dorsal«/«palmar intercalated segment einer dorsalen Verkippung des Mondbeins (DISI, »dorsal intercala
instability«) Stellung des Mondbeins rekonstruiert die STT-Arthro ted segment instability«). Der SL-Winkel vergrößert sich (>55°).
dese die karpale Höhe bei erhaltener Gelenkfunktion. Die palma Therapieoptionen sind eine direkte Bandnaht mit temporärer
re Verkippung des Kahnbeins wird aufgerichtet und somit die kar K-Draht-Arthrodese, eine dorsale Kapsulodese nach Berger oder die
pale Höhe wieder hergestellt, das Lunatum wird druckentlastet STT-Arthrodes nach Watson.
(. Abb. 60.9).
60.1 · Finger und Mittelhand
567 60
»SLAC wrist«/»SNAC wrist«
. Tab. 60.2 Stadieneinteilung »SNAC/SLAC wrist« Die häufigste Ursache für ein »SLAC wrist« (»scapholunate advan
ced collapse«; . Abb. 60.10) ist eine palmare Verkippung des Kahn
Stadium Ausmaß der Arthrose beins infolge einer Zerreißung des SL-Bandes. Ein »SNAC wrist«
(»scaphoid non-union advanced collapse«; . Abb. 60.8) tritt auf
I Schliffarthrose Processus styloideus radii
nach einer nicht behandelten Kahnbeinpseudarthrose und endet im
II Arthrose im Radioskaphoidalgelenk gleichen Schädigungsmuster. In beiden Fällen läuft die Arthrose in
mehreren Stadien ab (Stadieneinteilung . Tab. 60.2).
III Mediokarpale Arthrose
Andere Ursachen eines fortgeschrittenen karpalen Kollapses
sind M. Preiser (aseptische Nekrose des Skaphoids), Mid-karpale
Instabilität, intraartikuläre Frakturen, die das radioskaphoidale Ge
STT-Arthrose lenk betreffen, und ein M. Kienböck. Bei jeder dieser Erkrankungen
Etwa 95% der degenerativen Erkrankungen der Handwurzel liegen ist das Kahnbein betroffen und folglich auch das radioskaphoidale
periskaphoidal. Eine STT-Arthrose ist entsprechend häufig und Gelenk. Der radiolunare Gelenkanteil (Fossa lunata) ist sehr wider
kann durch eine STT-Arthrodese sehr gut behandelt werden. Nach standsfähig gegen degenerative Veränderungen und bleibt in allen
dem Befund sollte auch immer in Richtung einer Sattelgelenksar Phasen des »SLAC wrist« meist erhalten. Im Rahmen einer CLHT-
throse gefahndet werden. (Capitatum-Lunatum-Hamatum-Triquterum-) Arthrodese erfolgt
a c
b d
. Abb. 60.10 »SLAC wrist« III. Grades mit Erweiterung des SL-Spaltes, ra- corner fusion«) zur Behandlung einer SLAC-Wrist III. Grades mit Fusion von
dioskaphoidaler und midkarpaler Arthrose (a, b). CLHT-Arthrodese (»four Capitatum, Lunatum, Hamatum, Triquetrum (c, d)
568 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand
die gesamte verbleibende Beweglichkeit und die Druckübertragung 60.2 Knochennekrosen des Karpus
vom Karpus auf den Unterarm über das RL-Gelenk.
60.2.1 Nekrose des Os lunatum (M. Kienböck)
> Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung eines
»SLAC/SNAC wrist« liegt in der korrekten Reposition des
Das Os lunatum ist der am häufigsten von einer avaskulären Kno
Lunatums in die Fossa lunata aus der DISI-Stellung heraus.
chennekrose betroffene Karpalknochen. Männer erkranken ca. dop
Wenn die Fossa lunata oder die lunäre Gelenkfläche höhergradige pelt so häufig wie Frauen.
Schädigungen aufweisen, kann eine CLHT-Arthrodese nicht durch Kienböck hat 1910 erstmalig die später nach ihm benannte Er
geführt werden. Dann sind die »proximal row carpectomy« (bei in krankung beschrieben und ging noch von einer traumatisch be
takter Fossa lunata und intaktem proximalem Capitatumpol) oder dingten Schädigung des Mondbeins aus mit der Folge einer Durch
die Panarthrodese als Rettungsoperationen durchzuführen. blutungsstörung. Die Durchblutung basiert auf einem extra- und
einem intraossären System. Das extraossäre Durchblutungssystem
LT-Arthrodese. Indikationen für diese seltener durchgeführte Teil besteht aus einem dorsalen und ventralen Anteil.
versteifung der Handwurzel sind eine symptomatische Dislokation
des LT-Gelenks, degenerative Erkrankungen und eine kongenitale Ursachen
Synchondrose des LT-Gelenks. Die besten Ausheilungsergebnisse Eine ungleichmäßige Lastverteilung über den Karpus wird als mögliche
werden mit einer bikonkaven Aushöhlung der korrespondierenden Ursache für die Entwicklung eines M. Kienböck diskutiert. Insbesonde
lunären und triquetralen Gelenkflächen unter Erhaltung eines äuße re fällt auf, dass bei Patienten mit M. Kienböck oft auch eine deutliche
ren Randes der jeweiligen Gelenkflächen und Implantation eines Ulna-Minus-Situation besteht. Die normale Kraftverteilung läuft zu ca.
spongiösen Knochenspans erreicht. Das arthrodetisierte LT-Gelenk 80% über den radialen Karpus und zu 20% über den ulnaren Karpus.
wird mit 2 K-Drähten für 6–8 Wochen vereinigt. Bei einer Ulna-Minus-Variante von 2,5 mm beträgt die Kraftübertra
gung im radialen Karpus 96% gegenüber 4% im ulnaren Karpus.
CL-Arthrodese. Die CL-Arthrodese wird sehr selten durchgeführt, Die exakte Ursache für den M. Kienböck ist unklar, wobei eine
meist in Fällen einer isolierten Schädigung der CL-Gelenkfläche Kombination aus einer ungleichmäßigen Gewichtsverteilung über
(Fraktur, Arthrose). Es hat sich gezeigt, dass ein Einschluss von dem Karpus, z. B. bei Ulna-Minus-Variante, oder akute und chro
Hamatum und Triquetrum in die Arthrodese (CLHT-Arthrodese) nische traumatische Einflüsse oder auch eine venöse Stauung als
keine negativen Auswirkungen in Bezug auf die postoperative Be Teilursachen gelten können.
weglichkeit, Kraft und Haltbarkeit hat.
Diagnostik
60 Skapholunäre (SL)-Arthrodese. Die skapholunäre Arthrodese Zunächst zeigen sich meist unspezifische Symptome wie Schmerzen,
scheint auf den ersten Blick ein ideales Verfahren zur Therapie einer Schwellungen, Bewegungseinschränkungen und Kraftminderung in
SL-Dissoziation, es sprechen jedoch zwei ganz wesentliche anato der betroffenen Hand. Die Diagnose M. Kienböck wird durch radio
mische Tatsachen gegen den Einsatz einer solchen Teilversteifung: logische Bildgebung gestellt. Im konventionellen Röntgen sind sta
4 Die sehr kleine Kontaktfläche zwischen S und L, die knöchern dienabhängig Sklerosierungen oder Frakturen des Mondbeins zu
durchbaut werden muss und in der Folge eine große Belastung erkennen. Eine verminderte Mondbeinhöhe weist auf einen M. Kien
aushalten muss, erklärt eine sehr hohe Pseudarthrosenrate. böck hin. Der Höhenindex nach Youm als Relation der Höhe
4 Fossa lunata und Skaphoidea werden durch eine wallartige Er des 3. Mittelhandknochens zur Gesamthöhe des Karpus (normal
hebung voneinander separiert, die einer adäquaten Artikulation 0,54±0,03) ist vermindert (Youm et al. 1978).
nach SL-Fusion entgegensteht. In der Szintigraphie kann ein »heißes« Mondbein Hinweise auf
die vorliegende Erkrankung geben. Schnittbildverfahren wie die CT
Skaphoid-Kapitatum- (SC-) Arthrodese. Bei der SC-Arthrodese oder auch NMR sichern die Diagnose. Mit der Kernspintomographie
wird die Lastübertagung vom Karpus auf den Unterarm direkt über können bereits Frühstadien der Erkrankung sicher diagnostiziert
die Arthrodese geleitet, nämlich vom Kapitatum zum Skaphoid werden. In der T1-gewichteten Phase erscheint das fettreiche Kno
auf den Radius, wodurch die Arthrodese direkt einer sehr großen chenmark der karpalen Knochen als helles Signal. Beim M. Kien
Belastung ausgesetzt ist. Das normalerweise nur sehr geringe Be böck wird das fettreiche Knochenmark durch abgestorbenen Kno
wegungsausmaß zwischen Kahnbein und Capitatum ist bei der chen ersetzt, sodass dieses deutlich schwächer signalgebend ist und
SC-Arthrodese aufgehoben. Bei einer STT-Arthrodese beispiels auf den NMR-Filmen schwarz erscheint.
weise kann aber nach der Fusionierung von Skaphoid, Trapezium Differenzialdiagnostisch sollten entzündliche Arthropathien,
und Trapezoideum weiterhin eine Beweglichkeit zwischen Ska posttraumatische Arthritiden, Frakturen, karpale Instabilitäten,
phoideum und Kapitatum stattfinden und so eine gegenüber der ulnokarpales Impaktionssyndrom und eine posttraumatische
SC-Arthrodese verbesserte Handgelenksbeweglichkeit erhalten Ischämie ausgeschlossen werden. Die Stadieneinteilung des M. Kien
werden. böck nach Delcoux u. Lichtman zeigt . Tab. 60.3.
Daneben ist eine radiologische Klassifikation nach Stäbler u.
Radiolunäre (RL-) Arthrodese. Die Zerstörung des RL-Gelenks und Vahlensieck nützlich (. Tab. 60.4).
eine ulnare Translation des Karpus stellen die einzigen Indikationen
für eine RL-Arthrodese dar. Die Gelenkfläche zwischen Kapitatum Therapie
und Lunatum muss für die Durchführbarkeit einer RL-Arthrodese Die Therapie des M. Kienböck ist stadienabhängig. Grundsätzlich
erhalten sein. Eine leichte Überkorrektur der karpalen Höhe durch sind 4 Faktoren bei der Therapieplanung zu berücksichtigen:
Implantation eines großen Knochenblocks zwischen Radius und Lu 4 Stadium der Erkrankung,
natum wird angestrebt, da ein zu kleiner Knochenblock mit einer 4 Ulnavarianz,
Abnahme der karpalen Höhe und verminderter Handgelenksbeweg 4 Alter und individuelle funktionelle Faktoren des Patienten,
lichkeit und -stabilität inhergeht. 4 Vorhandensein einer Arthrose im Handgelenk
60.2 · Knochennekrosen des Karpus
569 60
. Tab. 60.3 Stadieneinteilung des M. Kienböck. (Nach Delcoux u. schrieben, wobei wir diesen Eingriff aufgrund der hohen
Lichtman) Rate an Pseudarthrosenbildung (Quenzer u. Linscheid 1993)
im Osteotomiespalt eher nicht als Therapie der 1. Wahl an-
Stadium Kennzeichen sehen.
Zusätzlich zur Radiusverkürzung führen wir in diesen Stadien
I Kernspintomographische Diagnose, mit entsprechender
der Erkrankung eine direkte Revaskularisation (gefäßgestiel
Klinik ohne radiologische Veränderungen im konventio-
nellen Röntgen ter Radiusspan) durch (. Abb. 60.11). Hierzu wird ein an der
4,5 ECA (»extensor compartment artery«) gestielter Span
II Beginnende Sklerosierung des Mondbeins in der kon- aus dem dorsalen distalen Radius gehoben und in das Luna-
ventionellen Röntgenaufnahme ohne Frakturen, die
tum eingepflanzt.
Höhe des Lunatums ist erhalten
4 Stadium IIIb:
IIIa Sklerosierung, Kollaps des Lunatums und der karpalen Bei der fixierten Flexionsfehlstellung des Kahnbeins führen
Höhe (Höhenindex n. Youm), die Relation zwischen wir eine STT-Arthrodese zur Druckentlastung des Lunatums
Kahnbein und Mondbein ist erhalten ohne karpale und Aufrichtung und Stabilisierung des Karpus durch. Auch
Instabilität eine »proximal row carpectomy« (PRC) kann im Stadium IIIb
IIIb Zunehmender Kollaps des Lunatums, Zeichen der kar- als sinnvolle Therapie durchgeführt werden.
palen Instabilität mit fixierter palmarer Verkippung des 4 Stadium IV:
Kahnbeins (Ringzeichen), DISI- (»dorsal intercalated Die »proximal row carpectomy« wird als Rettungsoperation
segment instability«) oder PISI-Stellung (»palmar inter- bei älteren Patienten empfohlen, die ein geringes Belas
calated segment instability«) des Mondbeins tungsprofil im Bereich der Handwurzel aufweisen. Für jun-
IV Generalisierte degenerative Veränderungen im gesam- ge, körperlich aktive Patienten ist eine Panarthrodese indi-
ten Karpus mit fixierter Palmarverkippung des Kahn- ziert.
beins und vollständigem Kollaps des Lunatums, das
Mondbein ist fragmentiert
. Tab. 60.4 Radiologische Klassifikation des M. Kienböck. (Nach Stäbler u. Vahlensieck 2000)
II Inhomogene, geographische Signalveränderung Hypointens Hypo- oder Fokal fleckig Sklerose, Zysten
hyperintens
Therapie
Operative Therapie. Die operative Therapie besteht in der Revas
kularisation des Kapitatums, wobei ein Erfolg im Sinne eines Still
standes der Nekrose bzw. eine Verbesserung der Durchblutung nicht
garantiert werden können.
Therapie Literatur
Bei diesem Krankheitsbild existieren verschiedene Therapieopti Literatur zu Kap. 60.1
onen: Von konservativer symptomatischer Therapie, Débridement Clayton ML, Ferlic DC (1984) Arthrodesis of the arthritic wrist. Clin Orthop
der Gelenkflächen, Silikonarthroplastik bis hin zu Elektrostimula Relat Res Jul-Aug; 89–93
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tion. Abhängig vom Stadium der Kahnbeinnekrose, den Gelenkflä
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chen radioskaphoidal und den Wünschen und dem Belastungsprofil Hamalainen M, Kammonen M, Lehtimaki M et al. (1992) Epidemiology of wrist
des Patienten machen wir einen Erhaltungsversuch mittels gefäßge involvement in rheumatoid arthritis. J Rheumatol 17: 1–7
stieltem Radiusspan (1,2 ICRSA-Span), wobei mit dem Patienten Watson HK, Goodman ML, Johnson TR (1981) Limited wrist arthrodesis.
präoperativ abgeklärt werden muss, dass im Falle einer Unmöglich Part II: Intercarpal and radiocarpal combinations. J Hand Surg [Am] 6 (3):
keit dieser Revaskularisation auch eine Kahnbeinresektion mit me 223–233
60.2 · Knochennekrosen des Karpus
571 60
Krimmer H, Wiemer P, Kalb K (2000) [Comparative outcome assessment of the
wrist joint – mediocarpal partial arthrodesis and total arthrodesis]. Hand-
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Rheumatoide Arthritis
M. Meyer-Marcotty
Ätiologie
Die genauen Gründe für die Entstehung einer RA sind bis heute
unbekannt, viele der krankhaften Befunde weisen auf einen autoim-
munologischen Hintergrund hin. Eine weitere Theorie geht davon
aus, dass enzymatische Vorgänge an der Zerstörung der Gelenk-
strukturen und Sehnen beteiligt sind. Die chronische Entzündung
führt gemeinsam mit enzymatischen Abläufen zu einer Zerstörung
der Gelenkstrukturen und über die gleichzeitig vorhandene Sehnen-
scheidensynovialitis letztendlich zur Ruptur von Sehnen.
Klinik
Erscheinungsbild der rheumatoiden Arthritis . Abb. 61.1 Rheumatische Arthritis der Hand mit typischen röntgenologi-
4 Schmerzen schen Veränderungen der Fingergelenke mit bereits erfolgter Alloarthro-
4 Schwellung plastik der PIP-Gelenke und einer Arthrodese des Kleinfinger-DIP-Gelenks
4 Bewegungseinschränkung
4 Funktionsstörung und Kraftminderung, die typischerweise
Veränderungen an den Fingergelenken
an mehreren Stellen gleichzeitig auftreten
Ulnardeviation. Die beginnende synovialitische Schwellung lässt
sich streckseitig in mittlerer Beugung des Gelenks zwischen 2 Fin-
Am Anfang der Erkrankung bestehen Morgensteifigkeit der Gelenke gergrundgelenken tasten. Durch die zunehmende Schwellung rutscht
mit Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit. die Strecksehne zur Ellenseite ab. Die Seitenbänder lockern sich, und
Da es sich bei der rheumathoiden Arthritis um eine dynamisch die Instabilität nimmt zu. Dies führt zu einem Streckdefizit und zu
fortschreitende Erkrankung handelt, können im weiteren Verlauf einer Ulnardeviation der Finger.
61 zunächst Schwellungen der Gelenke, Gelenkfehlstellungen und
schließlich funktionsbehindernde Gelenkzerstörungen auftreten. Schwanenhalsdeformität. Bei dieser Fehlhaltung werden die Finger
Hierdurch kommt es zu stark schmerzhaften und funktionseinge- grund- und -endgelenke in Beugung und das Mittelgelenk in Über-
schränkten Gelenken und zu deutlich sichtbaren Achsabweichungen streckung gehalten, die den Faustschluss und den feinen Spitzgriff
mit grotesken Fehlstellungen z. B. der Hände. zwischen Daumen und betroffenem Finger behindern (. Abb. 61.2).
Nervenengpasssyndrome werden gehäuft beobachtet, beispiels- Ursächlich sind rheumatische Veränderungen an den Gelenken, den
weise das Karpaltunnelsyndrom oder die Kompression des N. ulna- Handbinnenmuskeln und den Beugesehnenscheiden.
ris durch Synovialitis des Ellbogengelenks. Die Hände sind bei fast Zusätzlich kann ein »Schnapp-Phänomen« vorliegen: Bei nor-
allen Rheumapatienten, oft schon in der Frühphase, betroffen (typi- malem Faustschluss verbleibt der Finger in Überstreckstellung. Bei
scherweise das Handgelenk, die Fingergrund- und -mittelgelenke Verstärkung der Beugung wird das Mittelglied über den Grund-
und das Daumengrundgelenk; . Abb. 61.1). gliedkopf gezogen, wobei es zu einem typischen Schnappen kommt.
Im Folgenden wird kurz auf die wichtigen rheumatischen Ver- Erst jetzt ist ein Faustschluss möglich.
änderungen an der Hand eingegangen:
Veränderungen am Handgelenk
Im Frühstadium weisen Schmerzen und Bewegungseinschränkun
gen auf eine Handgelenksynovialitis, die sich als wulstige Schwel-
lung tasten lässt, hin.
Es kommt zu Rupturen der Strecksehnen infolge der Synoviali-
tis, die sich, beginnend am Kleinfinger, später bis zum Mittelfinger
ausdehnt. Die Folgen einer entzündungsbedingten Zerstörung des
Ellenkopfes werden als Caput-ulnae-Syndrom bezeichnet.
Die Lockerung des Kapsel-Band-Apparates sowie destruktive
Veränderungen an Knorpel, Knochen und Bändern begünstigen
und verstärken die geschilderten Fehlstellungen. Im Endstadium
kommt es zu einer radialen Abkippung der Handwurzel und zu
einer erheblichen Dislokation der Hand zur Beugeseite hin.
Je nach Verlaufsform treten im Spätstadium spontane Einstei-
fungen des Handgelenks oder eine funktionseinschränkende Insta-
bilität auf. . Abb. 61.2 Schwanenhalsdeformität
61 · Rheumatoide Arthritis
575 61
Knopflochdeformität. Die Synovialitis dehnt und lockert den Mit- ßerdem werden z. B. bei der Sattelgelenkarthrose Resektionsarthro-
telzügel des Streckapparates und schwächt die Streckung des Mittel- plastiken mit Sehnenplastiken durchgeführt. Bei fortgeschrittener
gelenks. Die Aponeurose zwischen Mittel- und Seitenzügel weitet Instabilität mit skelettalem Kollaps besteht die Indikation zur Arth-
sich, die Seitenzügel dislozieren nach palmar und wirken nun als rodese, um Restfunktionen der Hand zu erhalten.
Flexoren im Mittelgelenk und als Extensoren im Endgelenk
> Generell sollten möglichst einfache Eingriffe mit geringer
Belastung für den Patienten, kurzer Rehabilitationszeit
Veränderungen am Sattelgelenk des Daumens
und hoher Erfolgsaussicht bevorzugt werden.
Sehr häufig sind arthrotische Veränderungen am Sattelgelenk des
Daumens mit Schmerzen zu finden. Diese Schmerzen sind schon bei
festem Zugreifen, Fassen eines Schlüssels oder beim Halten der Kaf- Synovialektomie
feetasse vorhanden. Es resultiert eine deutliche Kraftminderung. Die Kombination aus Synovialitis und (Druck-)belastung führt
bei der rheumatoiden Arthritis zu einer Zerstörung der Gelenke.
Diagnostik Als einfache Grundregel bei der Behandlung der RA kann daher
Besteht der Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung, sollte die die Minimierung bzw. die Ausschaltung zumindest eines dieser
Abklärung durch einen speziell ausgebildeten Rheumatologen erfol- beiden Faktoren angesehen werden. Bei der Synovialektomie in
gen. Die Diagnose wird anhand von Beschwerden, der Untersuchung Gelenken ist jedoch zu beachten, dass die Funktion der Gelen-
des Patienten, Röntgenuntersuchung sowie der serologischen Para- kinnenhaut beeinträchtigt wird. Die Ernährung, der Schutz des
meter (Rheumafaktoren, Entzündungswerte, Autoimmunserologie) Knorpels und der Abtransport von Débris werden durch eine
gestellt. Regelmäßige radiologische Kontrollen informieren über den Synovialektomie behindert, und so eine Zerstörung des Knorpels
aktuellen Befund und das Fortschreiten der Erkrankung. Wichtige beschleunigt.
Kennzeichen im Röntgenbild sind hierbei Eine typische Fehlstellung der rheumatischen Hand ist die Ul-
4 eine Verschmälerung des Gelenkspaltes, nardeviation und palmare Subluxation in den MP-Gelenken der
4 der Nachweis von Zysten und Arrosionen der Knochen Langfinger. Bei dieser Fehlstellung empfehlen wir die Durchführung
struktur, eines »intrinsic release«. Hierzu wird ein transversaler dorsaler
4 Dislokationen, Hautschnitt über den betroffenen MP-Gelenken angelegt. Die ulnar-
4 Osteoporose, seitig ansetzende intrinsische Muskulatur wird inzidiert, zusätzlich
4 Ankylose. zu einer Teilresektion der ulnarseitigen schrägen Fasern der Stre-
ckerhaube. Bei einer Ulnardeviation auch der Strecksehnen kann
Therapie eine Zentrierung der Strecksehne nach radial erfolgen im Sinne ei-
Da die RA eine fortschreitende Allgemeinerkrankung ist, muss die ner Raffung der radialen Kapsel und Sehnenanteile.
chirurgische Therapie in enger Abstimmung mit den behandelnden Bei einer symptomatischen Arthrose der distalen Interphalan
Rheumatologen erfolgen. So sollte z. B. vor einer geplanten Opera gealgelenke (DIP) bietet sich meistens eine Arthrodese des DIP-Ge-
tion die immunsupprimierende Medikation auf ein Mindestmaß lenks in Funktionsstellung an. Hierbei muss mit dem Patienten prä-
reduziert werden, da sonst Wundheilungsstörungen drohen. operativ die individuell beste Stellung besprochen werden. Optisch
vorteilhafter wird z. B. eine möglichst gerade Stellung der DIP-Ge-
lenke insbesondere bei Frauen angesehen, da der Finger in gerader
Zielsetzungen einer chirurgischen Behandlung
Stellung länger und eleganter wirkt. Ein handwerklich noch tätiger
in der Frühphase der RA
Patient ist eher an einer gebesserten Greiffunktion interessiert; somit
4 Verlangsamung des Krankheitsprozesses sollte ein Arthrodesewinkel von ca. 10–20° angestrebt werden. Die
4 Verminderung der Schmerzen zwei radialen Langfinger sollten in einer Supinationsstellung von ca.
4 Verbesserung oder Wiederherstellung von nützlichen Funk- 5–10° eingestellt werden, um den Feingriff zwischen D1 und D2/3
tionen zu ermöglichen.
4 Verhinderung fortschreitender Zerstörungen Das »Cup-Cone-Verfahren« schafft eine gute Kontaktfläche zwi-
4 Verbesserung des ästhetischen Erscheinungsbildes schen spongionösem Knochen. Hierzu wird das Köpfchen des Mit-
telgliedes von Knorpel befreit und abgerundet (»cone«). Die Basis
des Endgliedes wird ausgehöhlt (»cup«). Es kann dann eine optima-
Die 3 Grundprinzipien sind in der . Übersicht dargestellt. le Stellung erreicht werden unter Verwendung von 2 0,8-er K-Dräh-
ten und einer 0,5-er Draht-Cerclage.
Auch bei einer rheumatischen Zerstörung der proximalen Inter-
Grundprinzipien der chirurgischen Rheumatherapie
phalangealgelenke (PIP) kann eine Arthrodese wie oben beschrie-
4 Verhinderung fortschreitender Destruktion durch ben durchgeführt werden. Zum Bewegungserhalt wird aber auch bei
Synovialektomie guter Knochensubstanz und noch bestehender guter Beweglichkeit
4 Wiederherstellung verlorener Funktionen ein Silikongelenkersatz (z. B. Swanson-Spacer) eingesetzt. Hierbei
4 Eingriffe, mit denen Restfunktionen erhalten werden ist es wichtig, eine stabile seitliche Führung für den Gelenkersatz zu
können, z. B. Arthroplastik oder Sehneneingriffe erhalten und anhand von Schablonen die korrekte Größe des Im-
plantates auszumessen. Auch bei schwacher kortikaler Abstützung
verstärken sog. Grommets (. Abb. 60.3) im Schaft die Stabilität der
Vorbeugende Operationen sind z. B. Synovialektomien, die frühzei- Implantation. Ein Swanson-Spacer ist nicht sehr belastungsstabil,
tig durchgeführt werden sollten, um drohende Sehnenzerreißungen sodass dieses Verfahren für junge, noch sehr aktive Patienten nicht
zu verhindern. Rekonstruktive Maßnahmen haben die Wiederher- als 1. Wahl angesehen werden kann.
stellung von Weichteilmantel und Gelenken (auch durch Einbringen
von Kunstgelenken) und z. B. Sehnenverlagerungen zum Ziel. Au-
576 Kapitel 61 · Rheumatoide Arthritis
Literatur
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61
62
62.1 Benigne Tumoren und 4. Strecksehnenfach oder direkt distal des 4. Strecksehnenfaches
und geht von der Handgelenkskapsel in Höhe des SL-Bandes aus.
K.H. Busch, J. Redeker, A. Gohritz Etwa 10–25% aller Ganglien im Erwachsenenalter sind beuge-
seitig lokalisiert, bei Kindern unter 10 Jahren ist diese Lokalisation
am häufigsten. Die beugeseitigen Ganglien gehen von der FCR-Seh-
Mehr als 95% aller Tumoren der Hand sind gutartig. Die häufigste ne, dem Radiokarpalgelenk oder dem STT-Gelenk aus.
Form ist das Ganglion, danach folgen in der Häufigkeit die Ein- Beugeseitig an den Fingern finden sich über den A1-Ringbän-
schlusszysten, Warzen, Riesenzelltumoren, Granulome und Häman- dern oder den A2-Ringbändern sog. Ringbandganglien, die von den
giome. Benigne Handtumoren können zu Schmerzen und Bewe- Beugesehnen ausgehen. Diese sind oft nur stecknadelkopfgroß, für
gungseinschränkungen führen. Sie können vaskulärer, knöcherner, die Patienten aber beim Faustschluss sehr störend.
perichondraler oder kutaner Genese sein und lokalisierte Raumfor- Ganglien an den Streckseiten der Fingerendglieder resultieren
derungen an typischen Stellen der Hand bilden. Obwohl sehr selten, aus Arthrosen und Exophyten an den Endgelenken. Diese Mukoid-
sollte bei einer Exzision in der Regel eine histologische Untersu- zysten sind nicht schmerzhaft, drohen aber, die Haut zu perforieren
chung zum Ausschluss eines seltenen Malignoms erfolgen. und dann eine direkte Verbindung zum Endgelenk zu bilden.
Lokalisationen an allen anderen Gelenken der Hand sind mög-
Klassifikation lich, ebenso an allen Beuge- und Strecksehnen, aber selten.
Gutartige Tumoren lassen sich in die in der . Übersicht dargestellten Spontane Rückbildungen sind durchaus möglich (bis zu 40–50%
Stadien einteilen. aller Ganglien bei Erwachsenen bilden sich spontan teilweise oder
ganz zurück). Die Indikation zur Operation ist an die Beschwerden
des Patienten adaptiert.
Die Stadien gutartiger Tumoren
4 Latenzstadium: Therapie
Keine wesentliche Veränderung, evtl. spontane Rückbildung Bei den Operationen sind die Besonderheiten der einzelnen Loka
→ Keine Exzision notwendig lisationen zu beachten. Streckseitige Ganglien werden durch eine S-
4 Aktives Stadium: förmige Inzision über dem Ganglion angegangen. Es wird stets bis auf
Begrenztes Wachstum innerhalb anatomischer Grenzen die Hülle des Ganglions präpariert und das Ganglion verfolgt bis zur
→ Entfernung meist mit Tumorrändern oder intraläsional Darstellung des Stiels bzw. der Schwachstelle in der Gelenkkapsel.
(z. B. Kürettage)
4 Lokal aggressives Stadium: Streckseitige Ganglien. Bei den streckseitigen Ganglien kann es
Wachstum über anatomische Grenzen hinaus → En-bloc- nötig werden, das 4. Strecksehnenfach zu eröffnen. Hierbei sollte die
Resektion Eröffnung unbedingt treppenförmig erfolgen, damit am Ende der
Operation auch ein Verschluss des Strecksehnenfachs erfolgen kann.
Die primäre Naht ist oft schwierig oder unmöglich und führt zu
Die häufigsten Tumoren lassen sich nach ihrem Ursprungsgewebe Stenosen und Einengungen im 4. Streckerfach mit funktionellen
62 einteilen:
4 Haut- und Weichteiltumoren,
Ausfällen.
a c
. Abb. 62.1 Die häufigsten Lokalisationen für Ganglien an der Hand sind
radiopalmar zwischen A. radialis und M. flexor carpi radialis (a), die Beuge-
sehnenscheiden auf Höhe des Grundgelenks (b), die radiodorsale Handwur-
zel zwischen Os scaphoideum und Os lunatum (Stiel oft bis zum SL-Band
reichend; c). Ganglionähnlich stellen sich degenerative Mukoidzysten dar,
die meist bei zusätzlich bestehender Heberden-Arthrose am Fingerend
gelenk auftreten oder, seltener, wie hier vom Interphalangealgelenk des
b
Daumens ausgehen (d)
Bei epidermalen Einschlusszysten handelt es sich um feste, eine Zystenentfernung sind Schmerzen, Ausdünnung der Haut,
nicht schmerzhafte, dicht unter der Haut gelegene Tumoren. Flüssigkeitsaustritt oder Nagelwachstumsstörungen (. Abb. 62.3).
Anamnestisch ist eine Stichverletzung an der entsprechenden Stelle
vorausgegangen, wobei das Trauma bereits Monate oder gar Jahre Noduläre Fasziitis
zurückliegen kann. Berufsgruppen, die häufig Stichverletzungen an Die noduläre Fasziitis tritt als schnell wachsender Tumor an der
den Fingern erleiden, sind prädisponiert. Radiologische Untersu- Hand hervor. Histologisch handelt es sich um eine Reaktion des
chungen sind bei der Diagnostik in der Regel nicht wegweisend, Subkutangewebes, pathogenetisch liegt eine Lokalreaktion oder eine
allerdings können auch diese gutartigen Tumoren zu Knochenar Inflammation vor. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
rosionen führen. Sonographisch erkennt man die typische Zysten- In der Hälfte der Fälle besteht ein unangenehmes Druckgefühl
morphologie. oder Schmerzen, meist am beugeseitigen Unterarm. Typischerweise
Die vollständige Exszision des Tumors ist auch hier die Therapie manifestiert sich die noduläre Fasziitis als runder oder ovaler Kno-
der Wahl. Die Rezidivraten sind gering, wenn bei der Exszision kei- ten, der mit oder ohne Kapsel auftreten kann. Feingeweblich beste-
ne Zellen in situ verblieben sind. hen diese Knoten aus unreifen Fibroblasten mit kurzen, unregelmä-
Sie treten meist bei Frauen im Alter zwischen 40 und 70 Jahren ßig angeordneten Bündeln. Differenzialdiagnostisch ist ein Fibro-
auf. Am häufigsten ist der Zeige- und Mittelfinger betroffen, meist sarkom abzugrenzen. Der Verlauf der nodulären Fasziitis ist gutartig.
liegen arthrotische Veränderungen des Endgelenks vor. Anlass für Die Therapie besteht in der lokalen Exzision.
580 Kapitel 62 · Tumoren der Hand
a b
c d
. Abb. 62.2 Typisches radialseitiges Ganglion im Bereich der A. radialis (a). Streckseitiges Ganglion mit Bezug zum dorsalen skapholunären Gelenk-
Mikrochirurgische Resektion unter Lupebrillensicht mit Entfernung und spalt (d)
Ligatur des Stiels, der aus der beugeseitigen Gelenkkapsel entspringt (b, c).
62
a b
. Abb. 62.3 Typische Mukoidzyste mit Ursprung im Fingerendgelenk bei Heberden-Arthrose (a). Elevation eines kleinen Hautlappens, der anschließend
das Gelenk bedeckt (b)
62.1.2 Gefäßtumoren
Hämangiome
Hämangiome an der Hand sind eher selten, auf ihre Behandlung
wird ausführlich in 7 Kap. 35 eingegangen.
Glomustumoren
Glomustumoren sind Gefäßerweiterungen und Aneurysmen des
Glomussystems, also des distalen arteriovenösen Systems an den
Fingerkuppen, das dort die Zirkulation regelt (. Abb. 62.4). . Abb. 62.4 Glomustumor
Diagnostik
Die Diagnose ist aufgrund der klassischen Symptomatik klinisch motorischen Astes. Bei kleinen Befunden kann eine spannungsfreie
problemlos möglich. Es finden sich kleine stecknadelkopfgroße, primäre Anastomose möglich sein, sonst sollte u. E. immer eine mi-
aber äußerst schmerzhafte Weichteilveränderungen, meist subungu- krochirurgische Rekonstruktion mittels Veneninterponat durchge-
al an den Fingerendgliedern. Neben der Druckschmerzhaftigkeit führt werden.
besteht auch eine ausgesprochene Kälteempfindlichkeit. In 25% der
Fälle sind Tumoren an mehreren Lokalisationen vorhanden. Mit den
Hochfrequenzultraschallköpfen, wie sie für die Hand genutzt wer- 62.1.3 Knochen- und Knorpeltumoren
den (8.000–13.000 MHz) kann man die Läsionen darstellen. In Pro-
blemfällen sind T2-gewichtete MRT-Untersuchungen sinnvoll. Riesenzelltumoren
Riesenzelltumoren, auch villonoduläre Synovitis genannt, sind nach
Therapie den Ganglien die zweithäufigsten Tumoren der Hand. Sie treten zwi-
Die Therapie besteht in der Exzision des Tumors unter Mitnahme schen dem 40. und dem 60. Lebensjahr auf und betreffen bevorzugt
einer Spindel des Nagelbetts. Der Fingernagel muss hierfür entfernt die radialen 3 Finger (. Abb. 62.5).
werden und wird postoperativ zur Schienung als Kunstnagel wieder Anamnestisch ist nicht selten eine Verletzung an der entspre-
aufgelegt. Die Rezidivrate ist bei vollständiger Entfernung gering. chenden Phalanx zu eruieren. Sonographisch läst sich eine eindeu-
tige Differenzierung von Ganglien treffen, da es sich nicht um flüs-
Hypothenar-Hammer-Syndrom sigkeitsgefüllte Zysten handelt, sondern vielmehr um Tumoren mit
Beim Hypothenar-Hammer-Syndrom handelt es sich um ein Aneu- multiplen Fibroxantomen, also kleinen gelblichen spindelförmigen
rysma der A. ulnaris. Durch ein repetitives Trauma auf den Hypo- Einschlüssen, die sich sonomorphologisch deutlich von einem
thenar, wie z. B. durch das Hämmern mit dem Kleinfingerballen, Ganglion unterscheiden. Zudem betreffen Riesenzelltumoren tie
kommt es zu einer Schwächung der Gefäßwand und Ausbildung des fere Strukturen der Hand. Die radiologische Diagnostik offenbart
Aneurysmas. zuweilen eine Arrosion des Knochens.
Aneurysmale Knochenzyste
Aneurysmale Knochenzysten machen etwa 5% aller gutartigen
Knochtumoren aus und treten in 3–5% der Fälle an der Hand auf
(hier oft mit Schmerzen und rascher Größenzunahme), meist um
die 2. Lebensdekade, nicht selten in der Schwangerschaft. Am häu-
figsten sind die Mittelhandknochen betroffen, am zweithäufigsten
a die Phalangen, selten die Handwurzelknochen.
Radiologisch ähneln sie Riesenzelltumoren mit seifenblasenar-
tigem Aussehen ohne Kalzifikation. Die Läsionen erscheinen lytisch,
exzentrisch und expansiv, die Ränder sind typischerweise scharf be-
grenzt und ohne Sklerose.
Die Behandlung besteht meist in Kürretage und Spongiosa
plastik, die Kürretage allein führt zu einer hohen Rezidivrate. Die
totale Exzision birgt das Risiko funktioneller Einschränkungen und
sie scheint nur bei Rezidiven gerechtfertigt.
62 Periphere Nerventumoren
Die peripheren Nerventumoren machen 1–5% aller Handtumoren
aus. Der Ursprung der peripheren Nervenscheidentumoren sind die
b Schwann-Zellen.
Periphere Nerventumoren fallen häufig erst durch die Schwel-
. Abb. 62.5 Riesenzelltumor der Beugesehnenscheide (a). Exstirpation
lung in der Hohlhand oder an den Fingern auf. Bei Unterbrechung
und histologische Untersuchung (b)
der Reizleitung sind Ausfälle für die entsprechenden Qualitäten zu
finden.
Die Diagnose wird durch CT- und MRT-Untersuchungen zur
Osteoidosteome Ausbreitungsdiagnostik gestellt.
Subperiosteal gelegene Osteoidosteome sind vorwiegend bei Kin-
dern und jungen Erwachsenen zu finden und können Schmerzen
und Schwellungen der Hand verursachen. Es handelt sich um gutar- Typen der peripheren Nerventumoren
tige Läsionen, die etwa 10–12% aller Knochentumoren ausmachen 4 Schwannom
und v. a. im Bereich des Kortex und der Metaphyse von Röhren – Häufigster peripherer Nerventumor
knochen auftreten. Etwa die Hälfte aller Osteoidosteome ist in der – Vorkommen im mittleren Lebensalter
intra- oder juxtaartikulären Region von Femur und Tibia lokalisiert. – Asymptomatische knotige Schwellungen exzentrisch
Klassischerweise treten nächtliche lokalisierte oder auf das anlie- dem Nerv aufgelagert (. Abb. 62.6)
gende Gelenk übertragene Schmerzen auf, die sich auf Gabe von 4 Neurofibrom
antiinflammatorischen Medikamenten (NSAID) oft fast vollständig – Kann innerhalb der Nervenfasern proliferieren
zurückbilden. – Funktionelle Ausfälle einschließlich Paresen
Die pathologischen Kennzeichen im Röntgenbild sind ein – Kann Gigantismus in den betroffenen Fingern auslösen
avaskulärer zentraler Anteil, der von sklerotischem Knochen umge- 4 Neurofibromatose
ben ist. – Autosomal-dominant erblich
Die Behandlung von Osteoidosteomen besteht in Exzision und – Café-au-lait-Flecken
Drainage. Die Exzision des Nidus ist kurativ. Bei inkompletter Ent- – Entartung zu Sarkomen in 10–15% der Fälle
fernung kommt es oft zum Rezidiv.
62.2 · Maligne Tumoren
583 62
Therapie
Therapeutisch stehen die nervenkontinuitätserhaltende Resektion
(interfaszikuläre Neurolyse) oder die En-bloc-Resektion und Ner-
ventransplantation zur Verfügung. An den Digitalnerven gelingt im
Gegensatz zu den größeren peripheren Stammnerven die interfaszi-
kuläre Entfernung nicht, sodass Kabelinterponate nötig werden.
Die Diagnostik maligner Handtumoren umfasst die in der . Über- v. a. hinsichtlich onkologisch notwendiger Resektionen funktio-
sicht genannten Maßnahmen. neller Strukturen oder Amputationen, die mit dem Patienten vorher
im Detail besprochen werden müssen. Durch Kompartmentresekti-
onen (7 Kap. 36.2) kann in manchen Fällen eine Amputation vermie-
Diagnostik maligner Handtumoren
den werden. Bei notwendiger Amputation des Daumens (7 Kap. 65)
4 Klinische Untersuchung mit kann ein primärer Ersatz durch eine Zeigefingerumsetzung zum
– Inspektion Daumen (Pollizisation) erfolgen.
– Palpation (insbesondere auch der axillären Lymphknoten) Intraoperativ ist eine exakte Markierung des Resektates obligat.
4 Bildgebung mit Im eigenen Vorgehen wird es dem Pathologen auf einer Styropor-
– Röntgen (Identifizierung osteogener Tumoren, Usuren platte seitenmarkiert zugesandt.
bei Weichteiltumoren, intratumoröse Verkalkung)
– CT (Form und Ausdehnung von Knochentumoren)
– MRT (Ausdehnung und Invasion von Weichteiltumoren) 62.2.3 Primäre Hauttumoren
– Angiographie (Darstellung von Gefäßtumoren)
Hier handelt es sich in 90% um Plattenepithelkarzinome oder Basal-
zellkarzinome oder Melanome, seltener kommen Dermatofibrosar-
coma protuberans, Kaposi-Sarkom, Schweißdrüsentumor oder ein
Histologie Merkel-Zellkarzinom vor.
Auf eine feingewebliche Untersuchung sollte nur ausnahmsweise,
z. B. bei eindeutig gutartigem Befund (z. B. Ganglion) verzichtet Plattenepithelkarzinom
werden, der Befund muss in jedem Fall exakt festgehalten werden. ! Cave
Ein Verdacht auf ein Plattenepithelkarzinom besteht
Klassifikation grundsätzlich bei jeder verhornenden oder exulzerie
Hier wird unterschieden zwischen renden Läsion (. Abb. 62.7)!
4 Primärtumoren (Hauttumoren, v. a. Plattenepithelkarzinom
und Melanom, muskuloskettale Tumoren oder Weichteiltu Das Plattenepithelkarzinom ist für 75–90% aller Handtumoren ver-
moren), antwortlich, tritt selten vor dem 60. Lebensjahr und meist dorsal und
4 Metastasen an der Hand (<0,5% aller neoplastischen Metas interdigital auf, selten sub- oder paraungual. Hauptrisikofaktoren
tasen). sind Sonnenexposition, ionisierende Strahlung, chronische Entzün-
dung, Immunsuppression, Xeroderma pigmentosa, M. Bowen
Bei der Beurteilung maligner Tumoren an der Hand ist zunächst das (. Abb. 62.8), Leukoplakie, HPV und Rauchen.
Staging (TNM, Grading) von großer Wichtigkeit, bei dem die Tumo- Klinisch reicht das Spektrum von kleinen Hyperkeratosen mit
rausbreitung festgestellt wird. Von dieser hängt dann das Ausmaß umgebender Rötung bis zu exulzerierenden exophytisch wachsen-
der Resektion ab. Zunächst angegeben werden: den Tumoren. Die Tumoren manifestieren sich meist als kleine
4 die anatomische Lokalisation (T), Knoten mit schlecht abgrenzbarem Rand oder Plaques. An der
4 die Beteiligung von Lymphknoten (N), Oberfläche können Unregelmäßigkeiten vorliegen, die Hautfarbe ist
4 das Vorhandensein von Fernmetastasen (M) und oft braun und neigt zu Blutung, Schuppen- und Krustenbildung.
4 die histologische Gradeinteilung (G) bei Sarkomen. Typischerweise wächst das Plattenepithelkarzinom lokal invasiv, je-
doch ist eine Metastaserate von bis zu 20% bekannt, v. a. bei aggres-
siveren Formen wie in chronischen Wunden nach Radiatio oder
62.2.2 Prinzipien der Therapie Verbrennung (Marjolin-Ulkus).
Die Diagnostik schließt eine Palpation der regionalen Lymph-
Die Tumorchirurgie an der Hand erfordert aufgrund des eng be- knoten sowie Inspektion, insbesondere aller sonnenexponierten
grenzten anatomischen Raumes eine besonders genaue Planung, Areale (v. a. Gesicht, Schläfen, Ohren) ein.
584 Kapitel 62 · Tumoren der Hand
Eindringtiefe Resektionsabstand
in situ 0,5 cm
<2 mm 1 cm
>2 mm 2 cm
. Abb. 62.9 Akrolentiginöses Melanom (<0,75 mm) des Daumens (a). Dau- . Abb. 62.12 Defektdeckung mittels Vollhauttransplantat
menendgliedamputation und Stumpfbildung mit Vertiefung der Interdigi-
talfalte (b, c)
Die Prognose ist nur unterhalb einer Eindringtiefe von 1 mm Die Therapie besteht in chirurgischer Exzision mit einem Si-
günstig. cherheitsabstand von 3–5 cm unter Mitnahme der tiefen Faszie,
um ein Rezidiv zu vermeiden. Mittels histographischer/mikrogra
Dermatofibrosarcoma protuberans phischer Chirurgie können geringere Sicherheitsabstände (1 cm)
Das Dermatofibrosarcoma protuberans (DFSP) ist ein seltener, nied- eingehalten und gesunde Haut geschont werden, da nur die
rigmaligner, von der Dermis ausgehender Tumor. Er manifestiert Zonen histologisch tumorifiltrierter Haut reseziert werden. Das
sich meist als schmerzlose violett-rot gefärbte Plaque oder Knoten, Verfahren stellt aber hohe Anforderungen an die Aufarbeitungs-
häufig über mehrere Jahre und nach einem lokalen Trauma. technik.
586 Kapitel 62 · Tumoren der Hand
Dupuytren-Kontraktur
S. Schinner
63.1 Grundlagen
Definition. Die Dupuytren-Kontraktur (Baron Guillaume Dupuy-
tren, 1777–1835) ist eine Fibromatose der Palmaraponeurose und
der aponeurotischen Strukturen der Hand mit knotiger und stran-
gartiger Verdickung der Kollagenfasern.
Die Ätiologie ist unklar, sie ist mit großer Sicherheit multifakto-
riell bedingt. Als wichtige Faktoren wurden neben der genetischen
Disposition ein handwerklicher Beruf, Alkoholismus, Epilepsie,
Diabetes mellitus und Nikotinabusus diskutiert. Eine traumatische
Genese wird von den Patienten oft vermutet, ist aber fast nie nach-
weisbar. Männer erkranken häufiger als Frauen (m:w=9:1). Es sind
v. a. Menschen im 4. und 5. Lebensjahrzehnt betroffen, meist an bei-
den Händen, bevorzugt der Ring- und Kleinfinger.
63.1.1 Pathophysiologie
a b c
d e f
g h i
4 auf eine Arthrolyse der Gelenke, falls eine Beugekontraktur be- sowie bei einem selektiven Befall der Finger ohne Stränge in der
steht und Hohlhand, was aber selten der Fall ist. Entscheidend ist die akribi
4 auf die Unterbrechung des natürlichen Bandverlaufes durch die sche Exzision der betroffenen Palmaraponeurose sowie der aponeu-
Anwendung von Z-Plastiken und Transpositionsläppchen vom rotischen Bänder (intermetakarpale Septen, Grayson- und Cleland-
gleichen oder benachbarten Finger. Bänder). Je nach Ausprägung des M. Dupuytren gibt es verschiedene
Zugangswege (. Abb. 63.2–63.5).
Die operative Therapie des M. Dupuytren ist ab dem Stadium II
nach Iselin indizert (Streckdefizit von >30° in den Grundgelenken)
590 Kapitel 63 · Dupuytren-Kontraktur
a b
c d
. Abb. 63.3a–d Auflösung einer Dupuytren-Kontraktur an Daumen und Kleinfinger mittels fortlaufenden multiplen Z-Plastiken, am Ringfinger über eine
Brunner-Inzision
63
a b
. Abb. 63.4a, b Auflösung einer Dupuytren-Kontraktur in der Hohlhand und am Kleinfinger nach Brunner
63.3 · Therapie
591 63
a b
durchgeführt wird (. Übersicht). Nach jedem einzelnen Schritt ist eine thermoplastische Hohlhand-Finger-Lagerungsschiene in Stre-
die Streckbarkeit des Gelenkes zu überprüfen. ckung der Fingergelenke angelegt, die für die ersten 2 Wochen post-
operativ Tag und Nacht getragen werden sollte, anschließend für ein
halbes Jahr zur Nacht.
Gestaffelte Arthrolyse nach Lanz
4 Exzision der Grayson-Bänder in Höhe des PIP-Gelenks Literatur
4 Exzision der Cleland-Bänder und quere Inzision am distalen Saar JD (2000) Grothaus PC. Dupuytren’s disease: An overview. Plast Reconstr
Rand des A2-Ringbandes Surg 106: 125
4 Durchtrennung der akzessorischen Kollateralbänder und McFarlane RM, Jamieson WG (1966) Dupuytren’s contracture: The manage-
der Check-rein-Bänder der palmaren Platte ment of one hundred patients. J Bone Joint Surg [Am] 48: 1095
4 Umschneidung der palmaren Platte, ggf. Exzision der pal- Hueston JT (1986) Dupuytren’s contracture. Lancet 22 (2): 1226
Lubahn JD (2003) Dupuytren’s disease. In: Trumble TE (ed) Hand surgery up-
maren Platte
date 3. Hand, elbow and shoulder. Illinois: American Society for Surgery
of the Hand, pp 393–401
Tubiana R, Leclercq C, Hurst LC et al. (2000) Dupuytren’s disease. Martin
Die Transfixation des Mittelgelenkes mit einem Kirschner-Draht Dunitz
birgt das Risiko der thermischen Knorpelschädigung und verhindert
die sofortige postoperative Mobilisation. In Ausnahmesituation,
z. B. bei palmarer Subluxationstendenz des Gelenks nach Arthrolyse,
kann diese für höchstens 3 Wochen erfolgen.
63.3.3 Rezidive
Komplexes regionäres
Schmerzsyndrom
C. Radtke
Komplexe regionale Schmerzsyndrome (»complex regional pain > Wichtig für eine gute Prognose des CRPS sind die frühzeiti
syndrome«; CRPS) entstehen infolge eines schmerzhaften Traumas ge Diagnose sowie kompetente und konsequente Therapie.
meistens der distalen Extremität. Mit CRPS wird eine Schmerzer-
krankung bezeichnet, die sich durch das Auftreten von Spontan-
schmerzen, Berührungs- und Belastungsschmerzen der Haut und 64.2 Klinik
der Gelenke, autonomen Störungen und Beeinträchtigungen der
Motorik manifestiert. Man unterscheidet ein CRPS Typ 1 von einem Das CRPS wird in der Mehrheit (Baron et al. 2003) durch eine distal
Typ 2. Typische Beschwerden beinhalten sensorische, sensible, mo- gelegene Verletzung einer Extremität hervorgerufen. Das Spektrum
torische und autonome Symptome. der Verletzungen reicht von Bagatelltraumata über operative Ein-
Das CRPS kann vom typisch territorial begrenzten neuropa- griffe (Karpaltunnelsyndrom, Dupuytren-Kontraktur) bis zu kom-
thischen Schmerz unterschieden werden. Charakteristischerweise plexen Traumata. Gelegentlich entwickelt sich ein CRPS auch nach
sind die Symptome nicht auf das Ausbreitungsgebiet peripherer Ner- viszeralen Ereignissen oder Verletzungen des zentralen Nervensys
ven begrenzt. tems (z. B. Apoplex). Heute wird das CRPS als eine neurologische
Entscheidend für den Erfolg einer Therapie ist eine frühzeitige Erkrankung gesehen, deren Ursache sowohl zentral als auch peri-
interdisziplinäre Behandlung, bei welcher neben der Schmerzthera- pher entzündlich bedingt ist.
pie die Physiotherapie entscheidend für die Rehabilitation ist. Das CRPS Typ 1 (M. Sudeck, sympathische Reflexdystrophie)
manifestiert sich nach auslösendem Ereignis, meist Fraktur oder
Definition. Komplexe regionale Schmerzsyndrome entstehen als Weichteilverletzung der distalen Extremität (90%). Die Patienten
inadäquate Konsequenz eines Traumas einer Extremität. Die kli- entwickeln typische brennende Schmerzen, die mit einer Schwellung
nischen Zeichen sind variabel und beinhalten sensible Störungen einhergehen.
mit Allodynie und Spontanschmerz, Veränderungen des Blutflusses
! Cave
und des vermehrten Schwitzens einschließlich ödematöser Schwel-
Der Ort der primären Schädigung muss nicht in dem
lung der betroffenen Extremität. Es treten motorische Störungen im
Bereich liegen, in dem sich die Schmerzen manifestieren.
Sinne von passiver und aktiver Funktionseinschränkung auf mit ge-
legentlichem Tremor und Dystonie. Charakteristisch sind des Wei- Charakteristisch ist der dauerhafte Brennschmerz, der diffus in der
teren trophische Störungen der Haut, von Hautanhangsgebilden und Tiefe der Extremität lokalisiert wird. Es kommt oft zu einer Schmerz-
im späteren Stadium sogar der Gelenke und Knochen. verstärkung bei herabhängender Extremität, typisch ist auch eine
Schmerzauslösung durch Druck und Mobilisation kleiner Gelenke.
> Der Schweregrad des CRPS korreliert nicht mit dem
Schweregrad der vorausgegangenen Verletzung.
Das CRPS Typ 1 bezeichnet ein Krankheitsbild, das ohne vorheriges 64.2.1 Autonome (sympathische) Störungen
Vorliegen einer Nervenläsion entsteht. Das CRPS Typ 2 ersetzt den
Begriff der Kausalgie. Aufgrund abnormer Hautdurchblutung kann ein Hauttemperatur
unterschied der betroffenen Seite im Vergleich zur gesunden Seite
Geschichte. Schon 1872 beschrieb Mitchell bei verletzten Soldaten bestehen. 80% der betroffenen Patienten zeigen eine erhöhte Haut-
ein Krankheitsbild mit brennenden Schmerzen und autonomen temperatur besonders im Akutstadium der Erkrankung, wohingegen
Störungen der verletzten Extremität. Es wurde mit dem Begriff Kau- bei 20% auch eine verminderte Temperatur zu verzeichnen sein kann.
salgie bezeichnet. Paul Sudeck definierte 1900 das Krankheitsbild Es besteht zusätzlich häufig eine Dysregulation der Schweißproduk-
mit chronischen brennenden Schmerzen ohne Nervenläsion nach tion im Sinne einer Hyper- oder seltener auch Hypohidrosis. Im An-
Verletzung peripherer Extremitäten. Als charakteristisches Krank- fangsstadium ist zusätzlich ein deutliches Ödem zu finden, das bei
64 heitsmerkmal galt eine kleinfleckige Knochenentkalkung der be herabhängender Extremität oder unter Belastung verstärkt wird.
troffenen Extremität. Dieser Symptomenkomplex wurde Morbus
Sudeck genannt. Der Begriff der sympathischen Reflexdystrophie
wurde 1936 von Evans geprägt. Schließlich wurde 1996 das kom- 64.2.2 Motorische Symptome
plexe regionale Schmerzsyndrom (»complex regional pain syn-
drome«; CRPS), welches sich an der klinischen Symptomatik orien- Es besteht eine deutliche Einschränkung der aktiven Motorik, be-
tiert, benannt. sonders von feinmotorischen Bewegungen. Die Hälfte der Patienten
weist einen feinschlägigen Tremor auf. Einige Patienten entwickeln
das Gefühl, dass die betroffene Extremität nicht zum Körper gehöre
64.1 Epidemiologie (Agnosie). Bewegungen können dann nur unter visueller Kontrolle
ausgeführt werden (Neglect-Syndrom). Zusätzlich finden sich Hin-
Das CRPS Typ 1 tritt deutlich häufiger auf als das CRPS Typ 2. Jähr- weise auf Störungen im sensomotorischen Kortex, v. a. Störungen
lich sind etwa 15.000 Patienten in Deutschland betroffen (Dertwin- der Funktion parietaler Kortexareale. Diese Dysfunktion kann auch
kel et al.1998). das oben genannte Neglect-Syndrom erklären.
Das durchschnittliche Alter der Patienten beträgt 50 Jahre, wo-
bei Frauen 3-mal häufiger betroffen sind als Männer. Das Verhältnis
des Auftretens an der oberen zur unteren Extremität beträgt 2:1. Bei 64.2.3 Gelenk- und Knochenveränderungen
Kindern ist allerdings die untere Extremität häufiger betroffen (5:1).
Mädchen im Alter von 15 Jahren stellen das größte Patientenkollek- Das CRPS äußert sich an peripheren Gelenken durch Beugekontrak-
tiv dar (Verhältnis Mädchen zu Jungen 4:1). Leider kommt es in den turen, z. B. im Handgelenk, in proximalen Interphalangealgelenken
meisten Fällen trotz Therapie zu einer Chronifizierung der Erkran- sowie Überstreckungen in den übrigen Fingergelenken. Im Verlauf
kung. der schmerzhaften Bewegungseinschränkungen entwickeln sich
64.2 · Klinik
595 64
a
b
c
. Abb. 64.1 Zeichen der kleinfleckigen Demineralisierung der rechten gebiet zeigt (b) und als Hinweis auf ein CRPC ein pathologisches Pooling
Hand und des Unterarms nach Radiusfraktur (a). Typische 2-Phasen-Skelett nach 2 h mit periartikulärer Anreicherung (c), v. a. in den nicht betroffenen
szintigraphie, die nach 10 min eine Anreicherung im ehemaligen Fraktur Skelettanteilen (IP-Gelenke)
Muskelatrophien und Sehnenverkürzungen. Die von Sudeck be- Stadium 1 beschreibt dabei die Frühphase der Erkrankung im Sinne
schriebenen fleckigen Knochenentkalkungen treten Wochen bis einer akuten Entzündung mit sympathischer Dysfunktion. Typisch
Monate nach erfolgter Erkrankung auf, jedoch bereits im Frühstadi- ist der akut auftretende brennende Schmerz, v. a. in Ruhe mit Ödem
um zeigt sich in der Szintigraphie bereits ein erhöhter Knochenstoff- und Funktionsminderung. Es zeigt sich eine Überwärmung der
wechsel (. Abb. 64.1). Haut der betroffenen Extremität mit teigiger Konsistenz sowie eine
Hyperhidrose.
Bei weiterem Fortschreiten schließt sich das Stadium 2 mit cha-
64.2.4 Trophische Störungen rakteristischen dystrophen Veränderungen an. Eine Reduktion der
im Stadium 1 auftretenden Ruheschmerzen ist möglich, jedoch ist
Als Ausdruck trophischer Störungen kann man eine Atrophie der der Bewegungsschmerz verstärkt. Konsekutiv kann es bei nicht
Haut, eine vermehrte Behaarung und ein gestörtes Nagelwachstum adäquater Therapie zu einer zunehmenden Ankylose kommen. Die
beobachten. Im Fall eine Chronifizierung zeigen sich zusätzlich Hy- Haut ist zyanotisch-livide verfärbt mit Hypothermie, und es ent
perkeratosen und vermehrte Fibrosierungen. wickelt sich eine Weichteilfibrose. In diesem Stadium zeigen sich
Demineralisierungen im konventionellen Röntgenbild.
peripheren Nervs nachweisbar. In ca. 5% der Fälle entwickelt sich 4 die nahezu spontane Entwicklung der Beschwerden, die im Ge-
nach traumatischer Nervenläsion ein CRPS Typ 2 mit den charakte- gensatz zur ursprünglichen Verletzung diffus und tief im Gewe-
ristischen sensiblen, autonomen und motorischen Störungen wie be empfunden werden.
beim CRPS Typ 1. Die Symptomatik dehnt sich deutlich über das
Innervationsgebiet des primär betroffenen Nervs aus. Die Diagnose sollte mit der Anamnese im Zusammenhang mit dem
klinischen Bild und klinischen Methoden gestellt werden wie
4 Temperaturmessung,
64.3 Pathophysiologie 4 Ischämietest und
4 3-Phasen-Skelettszintigraphie.
Pathophysiologisch sind 2 Mechanismen von entscheidender Be-
deutung: Zum einen eine Funktionsstörungen des sympathischen Das Auftreten von Temperaturdifferenzen von >2,2°C stellt ein Kri-
Nervensystems mit sympathisch-afferent unterhaltener Kopplung, terium hoher Spezifität und Sensitivität dar. Im Ischämietest zeigt
andererseits eine neurogene Entzündung. Kommt es zum Auftreten sich nach Anlage einer Blutleere eine 50%-ige Schmerzreduktion.
eines CRPS, so bestehen die Schmerzen trotz Ausheilung der initia- Eine diagnostische Sympathikusblockade kann durchgeführt wer-
len Verletzung weiter, der Schmerz hat somit seine physiologische den, allerdings ist diese nicht immer wegweisend, da beim CRPS
Funktion verloren. Typ 1 sowohl sympathisch unterhaltene Schmerzen (»sympatheti-
cally maintained pain«; SMP) als auch sympathisch unabhängige
Schmerzen (»sympathetically independent pain«; SMI) auftreten
64.3.1 Sympathische Innervation können.
Die von Sudeck beschriebene Inaktivitätsosteoporose mit
Als Ursache für die Entstehung eines CRPS wird sowohl eine inadä- kleinfleckiger Demineralisierung ist erst röntgenologisch nach Mo-
quate Aktivierung peripherer nozizeptiver Afferenzen als auch eine naten feststellbar, wohingegen bereits im Frühstadium mit Hilfe der
veränderte Impulsverarbeitung afferenter Nerven im ZNS vermutet. Szintigraphie ein vermehrter Knochenstoffwechsel nachgewiesen
Die periphere Sensibilisierung führt zu einer übersteigerten Reaktion werden kann. Es zeigt sich darin eine periartikuläre Anreicherung
auf mechanische, thermische und chemische Reize an den afferenten im Sinne einer vermehrten Knochenresorption.
Neuronen. Periphere nozizeptive Neurone exprimieren infolgedessen
> Die Röntgendiagnostik, die immer im Seitenvergleich er
vermehrt Adrenalin- und Noradrenalinrezeptoren, und die sich da-
folgt, kann trotz hoher Spezifität bei symptomatischen
raus ergebende gesteigerte chemische Affinität bezüglich noradrener-
Patienten nur als Entscheidungshilfe, nicht aber als Dia
ger Transmitterstoffe resultiert in einer Interaktion aus sympathischen
gnosekriterium dienen.
und afferenten Nervenfasern (»cross talk«). Es kommt zu einer Aus-
sprossung sympathischer postganglionärer Fasern im Spinalganglion,
die eine funktionelle Kopplung zwischen sympathischer Aktivität und Differenzialdiagnose
den afferenten Nervenzellen des Spinalganglions herstellen. Durch Differenzialdiagnostisch ist die Neuralgie zu sehen, bei der aber die
diese Interaktion zwischen Sympathikus und dem somatosenso- Beschwerden den Innervationsbereich des verletzten Nervs nicht
rischen System wird die periphere und danach die zentrale Sensibi überschreiten. Chronische Erkrankungen peripherer Nerven zeigen
lisierung verstärkt und der Schmerz langfristig unterhalten. im Vergleich zum CRPS sehr selten eine generalisierte Ausbreitung
der Beschwerden. Zusätzlich sind die Symptome im Unterschied
> Diese Kopplung bildet die Grundlage für den therapeu
zum CRPS klar begrenzt auf ein Versorgungsgebiet des peripheren
tischen Erfolg von Sympathikusblockaden.
Nervs.
64
64.3.2 Neurogene Entzündung 64.5 Therapeutisches Vorgehen
Schon Sudeck vermutete in der Entstehung des CRPS einen lokalen Wichtig ist eine frühzeitige und interdisziplinäre Therapie. Eine ef-
entzündlichen Entstehungsprozess (Sudeck 1942). In neuerer Zeit fiziente Schmerztherapie mit Sympathikolyse in Kombination mit
konnte eine deutliche Erhöhung entzündlicher Mediatoren wie In- Physiotherapie hat die Erhaltung oder Wiederherstellung der Extre-
terleukin 6, TNF-α (Huygen et al. 2002) gezeigt werden. Es kommt mitätenfunktion zum Ziel.
zu einer Erregung nozizeptiver Fasern und Ausschüttung von Neu-
ropeptiden wie Substanz P und CRGP (»calcitonin gene related pep-
tide«) mit einer Vasodilatation und gesteigerter Plasmaextravasation 64.5.1 Pharmakotherapie
(Birklein et al. 2001).
Analgetische Therapie
Zur Akutlinderung der Schmerzen werden nichtsteroidale Anti-
64.4 Diagnostisches Vorgehen phlogistika (NSAID) oder Metamizol empfohlen. Vor allem in der
Frühphase der Erkrankung kann so eine Linderung erzielt werden.
Das uneinheitliche Erscheinungsbild in Kombination mit dem mög- Die medikamentöse analgetische Behandlung erfolgt nach dem
lichen Fehlen einzelner Symptome besonders in der Frühphase er- WHO-Stufenschema. Im fortgeschrittenen Stadium können kurz
schwert oftmals die frühe Diagnosestellung. Indizierend und charak fristig Opioide eingesetzt werden, allerdings ist zu empfehlen, diese
teristisch für ein CRPS sind gerade bei längerer Behandlungszeit aufgrund des Abhängigkeits
4 die Lokalisation der Symptome, potenzials durch eine Sympathikusblockade zu ersetzen. Die Schmerz
4 das gemeinsame Auftreten von Schmerzen mit der reduzierten therapie sollte, soweit möglich, durch eine Schmerzambulanz über-
Gelenkfunktion sowie wacht werden.
64.6 · Fazit
597 64
Antidepressiva und Antikonvulsiva Der Einsatz von Schienen soll der Entwicklung von Kontrakturen
Zusätzlich zur oben genannten medikamentösen Schmerztherapie entgegenwirken, zur Ödemreduktion kann eine Lymphdrainage er-
sind Antikonvulsiva sowie trizyklische Antidepressiva als Koanalge- folgen.
tika zu empfehlen. Die Linderung der Schmerzen tritt dabei erst
nach einigen Tagen ein. Zusätzlich kommt es zu einer Schmerzdis
tanzierung sowie einer Reduktion schmerzbedingter Depressionen 64.5.4 Psychotherapie
und Angstzustände.
Bei Symptomen wie Affektlabilität, erhöhte Ängstlichkeit und de-
Kortikosteroide pressive Reaktionen kann eine Psychotherapie indiziert sein.
Die Gabe systemischer Glukokortikoide hat sich in der Akutphase
des CRPS Typ 1 als wirksam erwiesen (Christensen et al. 1982). Al-
lerdings wird die Anwendung in der Literatur kontrovers gesehen, 64.6 Fazit
und z. T. werden hohe Dosen angewandt. Eine Langzeittherapie ist
deshalb nicht zu empfehlen und die Indikation streng zu stellen. Das CRPS entwickelt sich als inadäquate Konsequenz eines Traumas.
Die klinische Symptomatik ist durch die Trias von sensiblen, auto-
Kalzitonin nomen und motorischen Symptomen gekennzeichnet. Pathophy
Kalzitonin wirkt im Bereich des Knochenstoffwechsels aufgrund siologisch ergeben sich Anhaltspunkte für neurogen-entzündliche
seiner antiosteoklastären Wirkung. Es kommt zu einer Reduktion Mechanismen in der Peripherie und Störungen der zentralen auto-
der Aktivität der Osteoklasten sowie einer Steigerung der Osteoblas- nomen Regulation sowie sensibler und motorischer Kortexareale.
ten, wodurch die charakteristische Demineralisierung vermindert Bei einem Teil der Patienten bildet sich eine sympathisch-afferente
werden soll. Zusätzlich werden eine schmerzlindernde Wirkung und Kopplung aus, die sich durch das Symptom des sympathisch un
die Abnahme der Schwellung beschrieben (Gobelet et al. 1992). terhaltenen Schmerzes äußert. Eine ausführliche Anamnese, kör
Schürmann et al. (2001) beschreiben vielfältige Nebenwirkungen bei perliche Untersuchung sowie bildgebende Verfahren sichern die
limitierten Behandlungserfolgen. Diagnose.
Die frühe klinische Diagnosestellung ist entscheidend, um eine
Sonstige Chronifizierung zu vermeiden. Die multimodale interdisziplinäre
Ebenso kann die intravenöse Applikation von Bisphosphonaten im Therapie beinhaltet v. a. die Schmerztherapie in Kombination mit
Frühstadium zur einer Verminderung des Ödems, der Schmerzen adäquater Physiotherapie.
und zur Verbesserung der Motorik beitragen (Adami et al. 1997;
Varenna et al. 2000). Literatur
In der Akutphase des CRPS Typ 1 zeigt die topische Behand- Adami S, Fossaluza V, Gatti D, Fracassi E, Braga V (1997) Bisphosphonate ther-
lung mit Radikalfängern, z. B. Dimethylsulfoxid, die in Form einer apy of reflex sympathetic dystrophy syndrome. Ann Rheum Dis 56: 201–
50%-igen Salbe angewandt werden, eine Verbesserung der Symp- 204
Baron R, Binder A, Ulrich W, Meier C (2003) Complex regional pain syndrome.
tome.
Reflex sympathetic dystrophy and caulsagia. Schmerz 17: 213–226
Birklein F, Schmelz M, Schifter S, Weber M (2001) The important role of neuro-
peptides in complex regional pain syndrome. Neurology 57: 2179–2184
64.5.2 Interventionen am sympathischen Christensen K, Jensen EM, Noer I (1982) The reflex dystrophy syndrome. Re-
Nervensystem sponse to treatment with systemic corticosteroids. Acta Chir Scand 148:
653–655
Wenn durch die medikamentöse Therapie keine ausreichende Dertwinkel R, Strumpf M, Zenz M (1998) Sympathetic reflex dystrophy and
Schmerzreduktion zu erreichen ist, dann sollten möglichst früh phantom pain. Diagnosis, therapy and prognosis. Z Arztl Fortbild Quali-
Sympathikusblockaden erfolgen. Diese sind beim CRPS mit sympa- tatssich 92 (1): 35–40
thisch unterhaltenen Schmerzen (SMP) erfolgreich. Eine weitere Evans JA (1936) Reflex sympathetic dystrophy. Surg Clin North Am 26: 435–
448
Form der Beeinflussung der sympathischen Aktivität stellt die gang-
Gobelet C, Waldburger M, Meier JL (1992) The effect of adding calcitonin to
lionäre Applikation von Opioiden (GLOA) im Bereich des Grenz-
physical treatment on reflex sympathetic dystrophie. Pain 48: 171–175
strangs dar, wobei eine Blockade der sympathischen Aktivität durch Huygen FJ, De Bruijn AG, De Bruin MT, Groeneweg JG, Klein J, Zijistra FJ (2002)
diese Maßnahme nicht erfolgt. In schwersten Fällen kann perma- Evidence for local inflammation in complex regional pain syndrome type
nente Sympathektomie oder Rückenmarkstimulation (TENS) emp- 1. Mediators Inflamm 11: 47–51
fohlen werden. Mitchell SW, Morehouse GR, Keene WW (1872) Gunshot wounds and other
injuries of nerves. Lippincott, Philadelphia
Schürmann M, Vogel T, Gärtner A, Andress HJ, Gradl G (2001) Erfahrungen mit
64.5.3 Physikalische Therapie der Kalzitonin-Behandlung bei Patienten mit Complex Regional Pain
Syndrome Type I (CRPS I – M. Sudeck) . Z Orthop Ihre Grenzgeb 139:
452–457
Die suffiziente Physio- und Ergotherapie ist unabdingbare Voraus-
Sudeck P (1902) Über die akute (trophoneurotoxische) Knochenatrophie
setzung zur Wiederherstellung der Funktion der betroffenen Extre-
nach Entzündungen und Traumen der Extremitäten. Dtsch Med Wochen-
mität. schr 28: 336–342
> Als Grundregel gilt, dass die Behandlung erst beginnt, Sudeck P (1942) Die sogenannte akute Knochenatrophie als Entzündungs-
wenn der Patient schmerzfrei ist, und dass sie selbst keine vorgang. Chirurg 14: 449–458
Varenna M, Zucchi F, Ghiringhelli D, Binelli L, Bevilacqua M, Bettica P, Siniga-
Schmerzen provozieren darf.
glia (2000) Intravenous clodronate in the treatment of reflex sympathet-
ic dystrophy syndrome: A randomized, double blind, placebo controlled
study. J Rheumatol 27: 1477–1483
65
Eine differenzierte und koordinierte Greiffunktion der Hand ist Wenn möglich, sollten die beiden beugeseitigen Arterien und
ohne Daumen nur sehr eingeschränkt möglich. mindestens eine Vene mikrochirurgisch rekonstruiert werden.
Die anatomischen Besonderheiten des Karpometakarpalgelenks Langstreckige Gefäßdefekte erfordern oft ein Veneninterponat vom
als Sattelgelenk ermöglicht das Opponieren des Daumens in und Unterarm oder Fußrücken, was bereits bei der präoperativen Pla-
auch senkrecht zur Handebene. Hieraus resultieren die im Alltag so nung zu bedenken ist.
wertvollen Greifformen wie Spitz-, Schlüssel- oder Klemmgriff. Da-
> Ist jedoch eine Replantation nicht mehr möglich, sollte
bei ist nicht nur die Daumenlänge entscheidend, sondern der Erhalt
insbesondere am Daumen bei der Stumpfbildung jeder
einer sensiblen Daumenkuppe mit stabilem Nagelorgan.
weitere Längenverlust durch Rückkürzung zum Stumpf-
Die Exponiertheit und soziokulturellen Bedeutung der Hand als
verschluss vermieden werden.
Werkzeug, Symbolträger und Begreiforgan erfordert die Einbezie-
hung funktioneller und ästhetischer Überlegungen. Hier empfehlen sich primäre Weichteilplastiken (z. B. Moberg-Lap-
pen, Leistenlappen).
Bei Arthrodesen im Daumenend- und -grundgelenk von jeweils
65.1 Klassifikation 0–20° ist zusätzlich eine etwas stärkere Innenrotation des Daumens
in Richtung Hohlhand um ca. 10–15° zur Verbesserung der Oppo
Daumenverluste können kongenital mit unterschiedlichen Längen sitionsfähigkeit zu empfehlen. Eine rotationsstabile Osteosynthese
bis zu totaler Aplasie oder erworben vom einfachen Kuppenverlust wird durch 2 gekreuzte Kirschner-Drähte mit Cerclage, Platten oder
bis hin zu komplexen Verletzungen mit Komplettverlust reichen. Zugschrauben erreicht, die im Endgliedbereich auch von zentral her
Eine gebräuchliche Klassifikation der Amputationshöhen eingebracht werden können.
stammt von O’Brien u. Morrison (. Abb. 65.1).
65.3 Daumenrekonstruktionsverfahren
65.2 Replantation
> Bietet eine Replantation oder Revaskularisation auch nur Verfahren zur Daumenrekonstruktion
die geringste Erfolgsaussicht, so ist der Erhaltungsversuch
4 Groß- oder Zweitzehentransplantation
jeder Rekonstruktion funktionell überlegen. Dabei folgt
4 Pollizisation
das operative Vorgehen dem gängigen Algorithmus für
4 Knochendistraktion
Amputationsverletzungen (. Abb. 65.2).
4 Knochenspaninterposition
4 Phalangealisierung
Großzügige Erweiterungsschnitte bieten eine bessere Übersicht über
4 Osteoplastische Verfahren mit neurovaskulärem Insellappen
die zu vereinigenden Strukturen. Gelenkzerstörungen erfordern die
funktionsgerechte Arthrodese. Zur besseren Stabilität empfehlen wir
die transossäre Draht-Cerclage in Kombination mit einem axialen Die Phalangealisierung und Daumenverlängerung über Distraktion
Kirschner-Draht. Alternative Osteosyntheseverfahren sind bei gelen- und Knochenspaninterposition stellen aufgrund der reduzierten
knahen Abschnitten und bei längsverlaufenden Splitterverletzungen Daumenkuppensensibilität Kompromisslösungen dar. Bei manchen
ggf. erforderlich. Zur Vorbereitung der Beugesehnennähte kann die Patienten mit schweren Verletzungen kann eine Beihandfunktion
Kernnaht mit 4-0 nicht resorbierbarem Faden vorgelegt werden. erreicht werden, bei anderen verbieten sich aufgrund des Risiko
profils, der Begleiterkrankungen oder fehlender Compliance auf-
wendigere Rekonstruktionen. Bei letzterer Gruppe können auch
Daumenorthesen eine brauchbare Greiffunktion herstellen.
Für Amputationen bei Kindern ist die Verlängerung des Meta-
65 karpale aufgrund des Wachstums ebenfalls nur ein Kompromiss,
hier sind die Pollizisation und der Zweitzehentransfer die Verfahren
der Wahl.
65.3.1 Indikationen
Angeborene Daumenaplasie bei Kindern
Daumenanomalien machen ca. 11% aller kongenitalen Handdefor-
mitäten aus, hierbei entfallen 6,6% auf radiale Polydaktylien und
damit die verbleibenden 4,6% auf hypo- oder aplastische Daumen
(Lister 1991; Scheker u. Cendale 2000).
Da bei Kindern das Knochenwachstum im Vordergrund steht,
kommt zur Rekonstruktion des Daumens die Pollizisation oder der
Zweitzehentransfer in Frage. Wir schließen uns der Empfehlung von
Buck-Gramcko und Foucher an und führen die Pollizisation bis zum
1. Lebensjahr durch. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der
Entwicklung eines sog. »Daumengefühls« ab dem 6. Lebensmonat
und zum anderen in der Tatsache, dass mit zunehmender Dauer der
. Abb. 65.1 Klassifikation der Amputationshöhen am Daumen Daumenfunktion des transpositionierten Zeigefingers dessen Mus-
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
601 65
. Abb. 65.2 Reihenfolge der bei Replantation zu versorgenden Strukturen mosierung der radialen Zeigefingerarterie und Digitalnerven nach Separie-
mit Kürzung und Naht der M.-extensor-indicis-proprius-Sehne, Reanasto- rung bis zur Aufzweigung in Höhe des N. digitalis communis
kel- und Knochenwachstum zunimmt und sich somit strukturell der schen Daumens darstellen, stehen Eltern aufgrund des ästhetischen
Gestalt des Daumens annähert (Buck-Gramcko 1971; Foucher et al. Ergebnisses mit dysmorpher Hand diesen Eingriffen oft ablehnend
2005). gegenüber (Kay et al. 1996). Ebenso spielen soziokulturelle Aspekte
Beim kongenitalen Daumenverlust mit 3- oder 4-gliedriger Hand bei der Entscheidungsfindung für ein Rekonstruktionsverfahren
ist die Zeigefingerpollizisation nach Buck-Gramcko (1971) das Ver- eine Rolle, sodass oft nur ein Distraktionsverfahren oder die
fahren der Wahl, weil der M. interosseus dorsalis 1 als wichtiger mikrochirurgische Zweitzehentransplantation zur Verfügung steht
Spendermuskel für die motorische Daumenfunktion unversehrt ist, (Scheker u. Cendale 2000).
v. a zur Abduktion und Opposition (O’Brien u. Morrison 1987). Die Technik der Pollizisation bei kongenitalen Daumenhypo-
War in der Vergangenheit der mikrovaskuläre Großzehentrans- oder -aplasien basiert auf den Erfahrungen aus der rekonstruktiven
fer aufgrund seiner im Vergleich schlechteren funktionellen Ergeb- Chirurgie nach traumatischen Amputationen des Daumens.
nisse der 1- bis 2-gliedrigen Hand mit Daumenhypo- oder -aplasie Wegweisende Beiträge zum operativen Daumenersatz von Litt-
vorbehalten, so ist er heute aufgrund der erheblichen Hebedefekt- ler und Hilgenfeldt aus den 1950-er Jahren seien zur Lektüre emp-
morbidität nicht mehr 1. Wahl (OBrien et al. 1978). fohlen (Littler 1953; Hilgenfeldt 1950).
Die Einteilung der Hypoplasieformen des Daumens erfolgt nach
Blauth (1967; . Tab. 65.1; auch . Tab. 83.4). Traumatischer Daumenverlust bei Kindern
Eine Subklassifikation des Typs III wird von Manske u. McCar- Da bei einer totalen Daumenamputation der für die Pollizisation
roll (1992) beschrieben. Typ IIIA beschreibt hiernach Fehlbildungen erforderliche M. interosseus dorsalis 1 meist mitverletzt oder gar
der intrinsischen und extrinsischen Muskulatur bei intaktem CMC- zerstört ist, wird hier die Indikation zugunsten des Zweitzehentrans-
Gelenk und Typ IIIB Fehlbildungen der intrinsischen und extrin- fers gestellt. Bei ausgedehntem Hautweichteilverlust des radialen
sischen Muskulatur bei Aplasie der Metakarpale-1-Basis. Handaspektes muss ggf. zunächst ein Leistenlappentransfer in Vor-
Die Daumenhypo- oder -aplasie ist häufig mit der radialen bereitung zum Zehentransfer erfolgen.
Klumphand assoziiert (Swanson 1976). In der Klassifikation der ra- Bei der subtotalen Amputation werden mit dem Zweitzehentrans
dialen Klumphand von Bayne u. Klug (1987) beschreibt Typ IV die fer ebenfalls gute ästhetische und funktionelle Ergebnisse erzielt.
schwerste und häufigste Form mit fehlendem Radius und hypo- oder
aplastischem Daumen. Kongenitale Daumenaplasie und -hypoplasie
Obwohl die Pollizisation und der Zweitzehentransfer die aktu- im Erwachsenenalter
ellen Standardverfahren in der Behandlung des hypo- bzw. aplasti Beim vollständigen Fehlen ist wie beim Kind auch hier die Pollizisa-
tion das rekonstruktive Verfahren der Wahl. Allerdings sind Er-
wachsene in der Regel gut an die Handfunktion ohne Daumen ad-
aptiert.
. Tab. 65.1 Klassifikation der Daumenhypoplasie nach Blauth (1967)
Schwere- Kennzeichen
Traumatischer Daumenverlust
grad im Erwachsenenalter
Defekte der Daumenpulpa oder segmentale Daumenverluste im dis-
Typ I Milde Form der Daumenhypoplasie talen Anteil lassen sich zuverlässig mit Pulpa- oder Composite-Flaps
Typ II Ossäre Hypoplasie des Daumens mit Laxizität/Dyspla- der Zehen rekonstruieren.
sie des MCP-Gelenks und Kontraktur der Zwischen Der »wrap-around flap« ist das Verfahren der Wahl bei subtota-
fingerfalte len Amputationen im distalen Anteil, d. h. distal des Metakarpopha-
Typ III Ossäre Hypoplasie des Daumens mit rudimentärem langealgelenkes. Alternativ kämen hier noch osteoplastische Verfah-
CMC-Gelenk; Aplasie der Thenarmuskulatur mit schwe- ren in Kombination mit neurovaskulären Insellappen in Betracht
ren Fehlbildungen der extrinsischen Muskulatur (Foucher et al. 1984; Doi et al. 1981).
Typ IV Fehlendes Metakarpale 1 mit »flottierendem Daumen« Im Falle der subtotalen Amputation im proximalen Anteil, d. h.
(als Hautanhänsel ohne knöcherne Verbindung) proximal des Metakarpophalangealgelenkes mit intakter Thenar-
muskulatur und erhaltenem Trapeziometakapalgelenk ist der Ein-
Typ V Daumenaplasie
schluss eines Gelenks bei der Rekonstruktion zu beachten, sodass
602 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen
b c
. Abb. 65.3a–c Prinzip der Pollizisation: Rotation und Transposition des Neodaumen als Trapeziumersatz fungiert (a). Das Metakarpophalangealge-
Zeigefingers bzw. Neodaumens auf Höhe des Metakarpaleköpfchens bei lenk wird somit zum Karpometakarpalgelenk. Die proximale Phalanx des
traumatischem Verlust. Hierdurch wird eine optimale Greiffunktion mit Dau- Zeigefingers wird zum »1.« Metakarpale, das proximale Interphalangealge-
menopposition zu den Fingerkuppen erzielt. Zur Erreichung eines vollglied- lenk zum Metakarpophalangealgelenk des Neodaumens und das distale In-
rigen Daumens ist die ossäre Reduktion des Zeigefingers erforderlich (b, c). terphalangealgelenk zum IP-Gelenk des Neodaumens (a). Die Funktions
Bei kongenitaler Daumenaplasie ohne Sattelgelenk ist die Resektion des änderung der transferierten Muskulatur ist bei kongenitalen Aplasien von
Metakarpale mit Ausnahme des Metakarpaleköpfchens nötig, welches am besonderer funktioneller Bedeutung (a)
Die Verlagerung der Interosseusmuskulatur macht neben der Funktionelle Ergebnisse nach Pollizisation
radialseitigen Schnittführung eine zusätzliche dorsale und längsge- Die Opposition des Neodaumens zu den Langfingern mit hieraus
richtete Inzision über der Grundphalanx erforderlich. Die aus der resultierender Greiffunktion ist letztlich das Ziel der Pollizisation
Muskelverlagerung resultierende Volumenzunahme in Höhe der und Indikator für den Erfolg des Eingriffs.
proximalen Phalanx erfordert zudem eine lokale Lappenplastik dor- Buck-Gramcko beschreibt in seiner Nachuntersuchung von
salseitig. 37 Kindern mit 100 Pollizisationen, dass die wesentlichen funktio-
604 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen
a b
c d
65
e f
65.3.3 Zweitzehentransplantation
. Tab. 65.3 Klassifikation der radialen Klumphand Bayne u. Klug
Die Zweitzehentransplantation wurde erstmalig im Rahmen der
(1987)
American Replantation Mission to China in 1973 erwähnt. Es war
Yang, der diesen Eingriff in 1966 erfolgreich durchführte (American Typ Kennzeichen
Replantation Mission to China 1973; Yang u. Yudong 1979).
I Verkürzter Radius
> Aufgrund der erheblichen Hebedefektmorbidität beim
Großzehentransfer wird heute der Zweitzehentransfer als II Hypoplastischer Radius
Standardverfahren zum Daumenersatz angewandt.
III Partielle Radiusaplasie
Voraussetzung ist meist die Ablehnung der Eltern gegenüber einer IV Radiusaplasie
Pollizisation aus ästhetischen, religiösen oder soziokulturellen
606 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen
Operationstechnik
Der Eingriff erfolgt in Intubationsnarkose und idealerweise mit
2 Teams, um Eingriffs- und Ischämiezeit möglichst gering zu halten.
Zur postoperativen Schmerzprophylaxe und Sympathikolyse erfolgt
intraoperativ bereits die Anlage eines Plexuskatheters.
Bei der Resektion der Zehe einschließlich des Metatarsale und
Metatarsophalangealgelenks sollte zur späteren Rekonstruktion der
Kommissur ein ausreichender Hautlappen mitgehoben werden. Die
retrograde Gefäßdissektion kann sowohl über die A. metatarsalis
plantaris des 1. Zwischenzehenraums entlang der A. metatarsalis
dorsalis 1 oder alternativ über die A. metatarsalis plantaris 1 entlang
der A. dorsalis pedis erfolgen.
Zur funktionellen Rekonstruktion werden die Sehnen des M. ex-
tensor und Mm. flexor digitorum longus und brevis mit eingeschlos-
sen. Zur sensiblen Innervation erfolgt die Mitnahme des dorsalen
und plantaren sensorischen Hautnervs. Die Osteotomie geschieht
. Abb. 65.5 Präparation bei Zweitzehentransplantation auf Höhe des proximalen Metatarsale. Der Hebedefekt lässt sich in
der Regel primär verschließen.
65
a b c
. Abb. 65.6a–j Technische Durchführung und Resultat bei Zweitzehen- gesetzte 2. Zehe mit der A. dorsalis pedis und A. metatarsalis dorsalis I, der
transplantation. Zustand nach frustraner Replantation des Daumens mit se- A. digitalis plantaris communis, den plantaren Digitalnerven, dem Os meta-
kundärer Nekrose. a Gangränöser replantierter Daumen eines 23-jährigen tarsale 2 sowie den Sehnen des M. extensor digitorum longus et brevis und
Patienten nach schwerem Quetschamputationstrauma. b, c Schnittführung den Sehnen des M. flexor digitorum longus et brevis. f Intraoperatives Er-
zur Explantation der 2. Zehe auf der Dorsal- und Plantarseite des linken Fu- gebnis nach Zweitzehentransplantation. g Postoperatives Resultat des He-
ßes. d Anschlussregion mit dem Os metacarpale 1, den Anschlussgefäßen bedefektes. h Opposition des Neodaumens zum Zeigefinger im Sinne eines
(A. radialis und V. cephalica), der M.-extensor-pollicis-longus-Sehne und Spitzgriffs. i Kraftvoller Pinch-Griff. j Grobgriff mit der Möglichkeit, auch
den markierten Digitalgefäßen und nnerven. e Die zur Transplantation ab- schwere Gegenstände sicher zu halten
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
607 65
d e
i
. Abb. 65.6a–j (Fortsetzung)
608 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen
65.4 Postoperatives Management Kay SP, Wiberg M, Bellew M, Webb F (1996) Toe-to-hand transfer in children.
Part II: Functional and psychological aspects. J Hand Surg 21B: 735–745
Neben dem obligatorischen Perfusionsmonitoring mit Beurteilung Kozin SH, Weiss AA, Webber JB et al. (1992) Index finger pollicization for con-
genital aplasia or hypoplasia of the thumb. J Hand Surg 17A: 880–884
der Rekapillarisierung zählen die Heparinisierung mit niedermole-
Lee KS, Chae IJ, Hahn SB (1995) Thumb reconstruction with a free neurovas-
kularen Heparinen und die Gabe von Thrombozytenaggragations-
cular wrap-around flap from the big toe: long-term follow-up of thirty
hemmern (ASS) und tägliche Verbandswechsel zum standardisier- cases. Microsurger 16 (10): 692–7
ten postoperativen Management unserer Klinik. Dabei verzichten Lee KS, Park JW, Chung WK (2000) Thumb reconstruction with a wrap-around
wir zum Schutz der transplantierten Zehe auf irkuläre, potenziell free flap according to the level of amputation. Microsurgery 20 (1): 25–
schnürende Verbände und Kompressen in der Interdigitalfalte. Der 31
postoperative Verband besteht ausschließlich aus locker aufgelegten Leung PC, Wong WL (1983) The vessels of the first metatarsal web space.
und aufgeschüttelten Kompressen sowie einem Watteverband. J Bone Joint Surg 65 (A): 235
Bei Kindern wird eine Oberarmgipsschiene mit individueller Lister G (1991) Pollex abductus in hypoplasia and duplication of the thumb.
Anpassung auf Hand- bzw. Neodaumenniveau angelegt. J Hand Surg 16A: 626–633
Littler JW (1953) The neurovascular pedicle method of digital transposition
Eine Ruhigstellung dauert in Abhängigkeit zur knöchernen
for reconstruction of the thumb. Plast Reconstr Surg 12: 303–319
Konsolidierung und Ausheilung der Sehnennähte 8–12 Wochen,
Lowdon IMR, Nunley JA, Goldner RD, Urbaniak JR (1987) The wraparound
wird aber ab der 4. Woche mit passiver vorsichtiger Krankengym procedure for thumb and finger reconstruction. J Microsurg 8: 154–157
nastik ergänzt. Nach Einleitung der krankengymnastischen und Manske PR, McCarroll HR (1992) Reconstruction of the congenitally deficient
ergotherapeutischen Übungsbehandlung wird der Verlauf regel thumb. Hand Clin 8: 177–196
mäßig ambulant kontrolliert im Hinblick auf das funktionelle und Manske PR, McCaroll HR (1995) Type IIIA hypoplastic thumb. J Hand Surg 20A:
sensorische Ergebnis. 246–253
Manske PR, Rotman MB, Dailey LA (1992) Long-term functional results after
pollicization for the congenitally deficient thumb. J Hand Surg 17A:
Literatur 1064–1072
Bayne LG, Klug MS (1987) Long-term review of the surgical treatment of ra- Mochert J, Raff T (2008) Secondary thumb reconstruction after avulsion or
dial deficiencies. L Hand Surg 12A: 169–179 amputation injury with free wrap-around toe flap. Handchir Mikrochir
Berger A, Tizian C (1985) Anatomical variations in blood vessels and their Plast Chir 40 (2): 115–121
effect on the technic in toe transfer. Handchir Mikrochir Plast Chir 17 (2): Morrison WA, O’Brien BM, Macleod AM (1980) Thumb reconstruction with a
89–91 free neurovascular wrap-around flap from the big toe. J Hand Surg 5:
Blauth W (1967) Der hypoplastische Daumen. Arch Orthop Unfallchir 62: 575–583
225–246 Nunley JA, Goldner RD, Urbaniak JR (1985) Thumb reconstruction by the
Buck-Gramcko D (1971) Pollicization of the index finger. J Bone Joint Surg wrap-around method. Clin Orrhop 195: 97–103
53A: 1605–1617 O’Brien B, Morrison W (1987) Reconstructive microsurgery. Churchill Living-
Chu NS, Wei FC (1995) Recovery of sensation and somatosensory evoked po- stone, Philadelphia
tentials following toe-to-digit transplantation in man. Muscle Nerve 18: O’Brien B McC, Black M, Morrison WA, MacLeod AM (1978) Microvascular great
859–866 toe transfer for congenital absence of the thumb. Hand 10: 113–124
Clark DI, Chell J, Davis TR (1988) Pollicisation of the index finger. A 27-year Royle ND (1938) An operation for paralysis of the intrinsic muscles of the
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A new procedure on making a thumb one stage reconstruction with free ing congenital thumb anomalies in children: opponensplasty and polli-
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Am 67: 439–44 Urbaniak JR (1985) Wrap around procedure for thumb reconstruction. Hand
Doi K, Hattori Y, Dhawan V (2002) The wrap-around flap in thumb recon- Chir 1: 259–269
66.1 Entwicklung
Die Brustdrüse geht aus dem nicht zurückgebildeten Rest der beiden
Milchleisten hervor. Sie entwickelt sich aus einer umschriebenen
Epithelverdickung, von der bis zu 25 sich verzweigende Epithelzapfen
in die Subkutis vorwachsen und später die Drüsenlappen bilden.
Die Brustdrüsen sind bei beiden Geschlechtern vorhanden und
grundsätzlich gleichartig aufgebaut. Ab der Pubertät unterliegt die
weibliche Brustdrüse sexualzyklischen Veränderungen und beginnt,
sich über die Thelarche ca. ab dem 10. Lebensjahr zu entwickeln. Die
volle Entfaltung erfährt sie nur bei der Frau, und zwar während der
Gravidität und der Laktation. Nach Beendigung der Keimdrüsenak-
tivität geht die Brust in eine Altersinvolution über.
66.2 Anatomie
66.2.1 Brustdrüse
Über einen Proc. lateralis projiziert sich die Brust nach kraniolateral
in Richtung Axilla. Das Verhältnis von Fett- zu Drüsengewebe vari-
iert individuell. Mit Erreichen der Menopause verändert sich dieses
Verhältnis zugunsten des Fettgewebes unter Rückgang des Drüsen-
anteils.
Die Milchdrüse besteht aus 15–25 radiär angeordneten tubulo- b
alveolären Einzeldrüsen, die jeweils einzeln in die Brustwarze mün-
den. Die Milchdrüse gliedert sich in
4 Ductus lactifer(i) (Milchgänge),
4 Ductus lactiferus colligens (Ausführungsgang) und
4 Sinus lactifer(i) (Milchsäckchen).
. Abb. 66.1 Anatomischer Aufbau der weiblichen Brust (Ansicht a von
ventral, b von lateral)
Diese sind für die Sekretion der laktierenden Mamma zuständig und
münden in der Spitze der Brustwarze, die das Zentrum des Mamil-
len-Areolen-Komplex bildet. Dessen Haut ist stark pigmentiert und A. thoracoacromialis und der A. thoracodorsalis versorgt. Faszien-
enthält Talg- und Schweißdrüsen, feine Härchen und apokrine nahe Anteile des Corpus mammae erhalten ihren arteriellen Zufluss
Areolendrüsen, die bei Kontraktion der glatten Muskulatur als Tu- über Rr. mammarii des R. cutaneus lateralis der 2–5. Interkostal
bercula Montgomery knötchenförmig hervorspringen können. arterie. Die Durchblutung der Brusthaut erfolgt über einen subder-
Jede Drüse ist von einem zellreichen Bindegewebsmantel umge- malen Plexus, welcher mit den tieferen das Brustparenchym versor-
66 ben, wird durch straffe Bindegewebssepten (Retinacula) von den genden Gefäßen kommuniziert.
Nachbardrüsen getrennt und ist mit dem umgebenden Fettgewebs- Der venöse Abfluss erfolgt über Vv. thoracicae internae und
körper verbunden. Über Ligg. suspensoria (Cooper-Ligamente) ist laterales.
die Drüse fest mit der Haut und verschieblich auf der Muskelfaszie
fixiert.
Der Bindegewebsapparat bestimmt Form und Festigkeit der 66.2.3 Lymphabfluss
Brustdrüse. Mit Verlust der Elastizität des Bindegewebsapparats und
des Drüsenanteils im Alter und nach dem Stillen kommt es zu einer Beim Lymphabfluss sind 2 Lymphgefäßnetze zu unterscheiden:
zunehmenden Ptosis der Brust. 4 ein oberflächliches unter der Brustwarze, dem Warzenhof und
der Haut, und
4 ein tiefes innerhalb des Drüsenparenchyms.
66.2.2 Gefäßversorgung
Die Lymphflüssigkeit erfährt 2 hauptsächliche Drainagewege
Die arterielle Versorgung der Brustdrüse erfolgt im medialen Ab- (. Abb. 66.2):
schnitt durch Rr. mammarii mediales aus der 2–4. Interkostalarterie 4 die axilläre Abflussbahn, die hauptsächlich die Lymphflüssigkeit
aus der A. thoracica interna. Lateral und kranial wird die Brustdrüse aus den lateralen Brustbereichen zu den axillären Lymphknoten
über Rr. mammarii laterales aus der A. thoracica lateralis, der drainiert,
66.3 · Diagnostik
615 66
a b
. Abb. 66.2 Querschnitt der Brustdrüse (a). Lymphsystem der weiblichen Brust (b): axillar, infraklavikulär, parasternal
4 die interkostale Abflussbahn, die vornehmlich die mediale Drü- 66.3 Diagnostik
se zu den parasternalen Lymphknoten drainiert.
66.3.1 Klinische Untersuchung
Relevanz beim Mammakarzinom
Durch die häufig lymphogene Metastasierung eines Mammama In den vergangenen Jahren konnten mehrere Studien zeigen, dass die
lignoms finden sich erste Metastasen meistens in den axillären Vorsorgeuntersuchung und Früherkennung beim Mammakarzinom
Lymphknoten, über die ein Großteil der Lymphflüssigkeit der Brust- zu einer Absenkung der Mortalität bzw. zu höheren Überlebensraten
drüse drainiert wird. Bei Befall können die axillären Lymphknoten führt (Brenner et al. 2005). Die klinische Untersuchung der weib-
vergrößert und palpabel sein, weshalb bei der Tastuntersuchung der lichen Brust stützt sich auf die gezielte Befragung in der Anamnesee-
Brust auch immer beide Axillen mit abgetastet werden sollten. Ul- rhebung, die Inspektion, die Palpation und weiterführende tech-
traschalluntersuchung, Stanzbiopsien, die Sentinel-Lymphknoten- nische Verfahren.
biopsie oder die axilläre Lymphadenektomie gehören hierbei zu den
diagnostischen und therapeutischen Standardprozeduren. Inspektion, Palpation. Inspektion und Palpation sollten sowohl an
Seltener metastasiert das Mammakarzinom lymphogen über die der stehenden als auch an der auf dem Rücken liegenden Patientin
parasternalen und subklavikulären Bahnen. Dennoch sollten auch vorgenommen werden. An der stehenden Patientin sind Form, Nip-
diese Bereiche bei jeder Brustuntersuchung immer mit abgetastet pelposition und die Haut gut zu beurteilen. Asymmetrie, Inversion
werden. Die Metastasierung erfolgt zudem auch hämatogen, hierbei oder Bluten der Brustwarze, Hauteinziehungen oder -vorwölbungen
bevorzugt in Knochen und Leber. und Koloritveränderungen sind mögliche zu entdeckende Verände-
rungen, die einen malignen Prozess andeuten können. Zudem kön-
nen in der stehenden Position supra- und infraklavikuläre sowie
66.2.4 Innervation axilläre Lymphadenopathien gut getastet werden.
Die Innervation der Brust erfolgt über die anterolateralen und me- Körperliche Untersuchung. Die körperliche Untersuchung der
dialen Äste der Interkostalnerven 1–4 über Rr. mammarii laterales Brust umfasst den Bereich zwischen Klavikula, medialem Sternal-
und mediales aus dem R. cutaneus lateralis und medialis. Suprakla- rand, mittlerer Axillarlinie und Submammarfalte. Zusätzlich werden
vikuläre Nerven aus dem Plexus cervicalis innervieren zusätzlich die Lymphabflussgebiete der Axilla, der Infra- und Supraklavikular-
kraniale und laterale Bereiche der Brust. Die Innervation des Mamil- gruppe und parasternal abgetastet. Die Befunde werden den 4 Qua-
len-Areolen-Komplexes erfolgt primär über den lateralen Ast aus dranten, der Mamillenregion und den Lymphabflussgebieten zuge-
dem Segment T4. ordnet. Darüber hinaus sind Größe, Konsistenz eines evtl. vorhan-
denen Knotens, umgebendes Gewebe, Tiefenausdehnung, Fixierung
zur Haut und zur Unterlage zu dokumentieren.
616 Kapitel 66 · Anatomie und Untersuchung der Brust
> Die Brustuntersuchung sollte bei prämenopausalen Mammographie-Screening. In Deutschland wird derzeit ein nati-
Frauen in der 1. Zyklushälfte erfolgen. Bei auffälligen Be- onales Mammographie-Screening-Programm zur Brustkrebsvor-
funden in der 2. Zyklushälfte sollte eine Befundkontrolle sorge unter Beachtung der entsprechenden europäischen Leitlinie
in der 1. Zyklushälfte nach Abschluss der Regelblutung er- aufgebaut. Dieses Mammographie-Screening ist für Frauen ab dem
folgen. Alter von 50 Jahren bis zum Ende des 70. Lebensjahres konzipiert
und Bestandteil der Richtlinie über die Früherkennung von Krebser-
Selbstuntersuchung. Die Selbstuntersuchung der Brust durch die krankungen (Gemeinsamer Bundesausschuss gemäß § 91 SGB V,
Frau wird monatlich postmenstruell ab einem Alter von 18 Jahren 2004). Für das Mammographie-Screening wurde unter Betrachtung
empfohlen. Ab dem 20. Lebensjahr sollte eine jährliche inspekto- der vorliegenden Studiendaten in der 2006 erfolgten Cochrane-Ana-
rische und palpatorische Untersuchung durch einen Arzt erfolgen. lyse eine relative Risikoreduktion der Brustkrebssterblichkeit von ca.
Die Leitlinie der Amerikanischen Cancer Society (Smith et al. 2003) 15% erhoben (Gøtzsche u. Nielsen 2006).
empfiehlt die klinische Untersuchung der Brust im Alter von 20–40
Jahren, bevorzugt alle 3 Jahre im Rahmen von periodischen Gesund- Indikationen. Die Indikationen zur Mammographie zeigt die
heitsuntersuchungen sowie eine jährliche ärztliche Untersuchung in . Übersicht.
Kombination mit einer Mammographie für Frauen ab dem 40. Le-
bensjahr.
Indikation für Mammographie
BRCA-1, BRCA-2, BRCA-3. Frauen mit einer Mutation in den Genen 4 Knoten in der Brust
BRCA-1, -2 und/oder -3 oder mir einem anderen hohen Risiko sol- 4 Verhärtung der Brust oder von Teilen der Brust
len in spezialisierten Zentren für erblichen Brustkrebs beraten und 4 Tastbar vergrößerte Lymphknoten in der Achsel-
hinsichtlich einer Früherkennungstherapie betreut werden (Stufe-3- höhle
Leitlinie, 1. Aktualisierung 2008) 4 Bei erhöhtem Risiko für Brustkrebs (eigene Erkrankung,
Krebsvorstufen oder familiäre Belastung)
LCIS, ADH. Frauen mit einem lobulären Carcinoma in situ (LCIS)
oder atypischer duktaler Hyperplasie (ADH) haben ein höheres re-
latives Risiko, Brustkrebs zu entwickeln. Diese Frauen sollten jähr- Dabei gilt polymorpher, gruppiert liegender Mikrokalk als frühes
lich Kontrollmammographien erhalten. diagnostisches Kriterium des duktalen Carcinoma in situ (DCIS;
Die meisten Tumoren in der Brust werden von der Frau meist in Frühkarzinom). In diesem Frühstadium des Tumors sind die Mikro-
Form einer Hautvorwölbung, Hauteinziehung (sog. Plateauphäno- verkalkungen in 80–90% der Fälle oft alleiniger Hinweis für einen
men) oder durch Tastbefund selbst entdeckt. malignen Prozess.
Klassifikation B1 B2 B3 B4 B5
Diese weist nur ein sehr gering erhöhtes Risiko (1,5-fach) für die
67.3.1 Intraduktales Papillom Entwicklung eines Mammakarzinoms auf.
67.4.1 Myoepitheliose
67.6.3 Kolumnarzellhyperplasien
In der Regel sind Adenomyoepitheliome benigne. Sie besitzen aber mit architekturellen Atypien
ein geringes malignes Potenzial, weshalb sie in der Stanz-/Vakuum-
biopsie als B3 eingestuft werden und eine vollständige Exzision emp- Diese zeigen im Gegensatz zur FEA Mikropapillen und Brücken mit
fohlen wird. Deutlich seltener sind die malignen Formen (maligne gering zytologischen Atypien. Diese Veränderungen werden mittler-
Adenomyoepitheliome), bei denen die epitheliale und/oder myoepi- weile in Abhängigkeit von der Art und Ausdehnung der zytolo-
theliale Komponente entartet sein kann. gischen und strukturellen Atypien als ADH oder Low-grade-DCIS
klassifiziert (Pinder et al. 2007).
Das Fibroadenom ist als Mischtumor aus epithelialen und mesen- Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen einer ADH und einem
chymalen Lobulusanteilen. Es ist der häufigste benigne Mammatu- Low-grade-DCIS schwierig sein. Nichtsdestotrotz bleibt die Not-
mor und tritt bei fast jeder 3. Frau auf. Der Häufigkeitsgipfel liegt im wendigkeit der diagnostischen Abgrenzung zwischen ADH und
3. Lebensjahrzehnt. Prämenstruell kommt es im Bereich der Tumor- DCIS wegen der klinischen Konsequenzen bestehen. Die ADH geht
lokalisation häufig zu starken Schmerzen in der Brust. Eine maligne mit einem moderaten Risiko für die Entwicklung eines invasiven
Entartungsgefahr besteht nicht. Der Tumor ist gut begrenzt, rund bis Karzinoms einher (WHO 2003). Das relative Risiko nach Diagnose
oval und manchmal knollig. Bei nicht eindeutiger Diagnostik und einer ADH ist bilateral jeweils in der gesamten Brustdrüse um den
bei schnell wachsenden Adenomen erfolgt meist eine operative Ent- Faktor 4–5 für die nächsten 10–15 Jahre erhöht (O’Malley u. Pinder
fernung, um kein Karzinom zu übersehen. Es besteht die Möglich- 2006; WHO 2003). Bei der Diagnose ADH ist das Vorgehen der
keit einer Assoziation mit anderen proliferierenden Läsionen oder Wahl die regelmäßige mammographische Kontrolle. Eine Indikation
In-situ-Karzinomen. zu einer weiteren Operation besteht nicht.
Das LCIS wird nur selten von Kalzifikationen begleitet und ist oft Palpatorisch zeigen sich bei der klinischen Untersuchung diffuse
ein Zufallsbefund nach Brustdrüsengewebeentnahmen. Die Inzi- Verhärtungen oder gar Knoten in den Brüsten. Die Brüste schwellen
denz des LCIS ist nicht genau bekannt, wird aber in der Literatur mit prämenstruell häufig an, und begleitend treten Spannungsgefühle
0,6–3,9% angegeben. Isoliert auftretend repräsentiert es bis zu 6% und Mastodynien auf. In ca. 2/3 der Fälle wird die Mastopathie durch
aller Mammakarzinome und bis zu 50% der diagnostizierten nichtin- mammographisch sichtbare Mikrokalzifikationen begleitet. Mam-
vasiven Karzinome. Das Wachstum ist in 46–85% multizentrisch mographie, Mammasonographie und ggf. Probeexzisionen gehören
und in 30–67% bilateral. zur Diagnostik und Verlaufskontrolle bei bestehender Mastopathie.
Retrospektive Studien zeigen eine Entwicklung von invasiven Insbesondere bei der drittgradigen Mastopathie ist eine engmaschige
Karzinomen nach LCIS ipsilateral in 14–23% und bilateral in 9,19% Kontrolle indiziert. Gegebenenfalls ist hier bei zusätzlichen Risiko-
der Fälle. Dabei handelt es sich jeweils in 60% um invasiv duktale faktoren wie positiver familiärer Anamnese eine subkutane Mastek-
Karzinome. Der Anteil der prognostisch ungünstigen invasiv lobu- tomie mit ggf. anschließender Rekonstruktion notwendig.
lären Karzinome ist mit 25% gegenüber der Allgemeinbevölkerung
mit 8% erhöht.
Das LCIS wird in die Gruppe der Präkanzerosen eingegliedert, 67.8.3 Periduktale Mastitis (Duktektasie,
die aber im Vergleich zum DCIS günstiger und weist eine Latenzzeit Plasmazellmastitis)
zum Übergang in ein invasiv lobuläres Karzinom von bis zu 25 Jah-
ren (beim DCIS ca. 10 Jahre) auf. Beim LCIS wird derzeit eine Indi- Die Erkrankung zeigt häufig eine plasmazellreiche, chronische, teils
kation zur Mastektomie nicht mehr zwingend gesehen. histiozytenreiche Entzündungsreaktion in der Umgebung der Gän-
Ein Grading der LN wird laut WHO nicht generell empfohlen ge, histiologisch mit granulomatösem Aspekt. Kalzifikationen und
(WHO 2003). eine ausgeprägte Fibrose des Drüsenkörpers sind möglich.
Low grade Kleine, monomorphe Zellen mit uniformen – Lamellär Bögen, kribriform, solide und/
Kernen (KG 1) oder mikropapillär
Intermediate grade Zytologie ähnlich low grade (KG 1) oder +/± Lamellär oder amorph Solide, kribriform, mikropapillär
intermediär (KG 2)
High grade Hochgradige Zellatypien mit pleomorphen ± Amorph Eine Zelllage, mikropapillär,
Kernen (KG 3) kribriform oder solide
. Tab. 68.6 Van-Nuys-Prognostik-Index des DCIS USC/VPNI Faktoren für ein erhöhtes DCIS-Rezidivrisiko bei brust
erhaltender Therapie
Score 1 2 3
4 Hohes nukleäres Grading
Größe [mm] <15 16–40 >41 4 Komedonekrosen
4 Sicherheitsabstand zum Resektionsrand <5 mm
Minimale Distanz >10 1–9 <1 4 Resektionsrand befallen
zum Resektions-
4 Tumorgröße >2,5 cm
rand [mm]
4 Multizentrizität
Van Nuys- 1 2 3
Gruppe
Medulläres Karzinom > Bei Verdacht auf Tumorbefall einer Brust ist die Untersu-
chung der Gegenseite immer obligat.
Muzinöses Karzinom 4 Muzinöses Karzinom
und andere muzinreiche 4 Zystadenokarzinom und zylinder
Tumoren zelliges muzinöses Karzinom
Häufigste histologische Typen des Mammakarzinoms
4 Siegelringzellkarzinom
4 Lobuläres Karzinom
Neuroendokrine 4 Solides neuroendokrines Karzinom
– Carcinoma lobulare in situ (LCIS)
Tumoren 4 Atypischer Karzinoidtumor
– Invasiv lobuläres Mammakarzinom (10%)
4 Kleinzelliges Karzinom
4 Duktales Karzinom
4 Großzelliges neuroendokrines
Karzinom – Duktales Carcinoma in situ (DCIS)
– Invasives duktales Karzinom:
Invasives papilläres – invasiv duktal (70–80%)
Karzinom – medullär (<1%)
Invasives mikropapilläres – Gallertkarzinom (2%)
Karzinom – tubulär (1–2%)
– papillär (<1%)
Apokrines Karzinom
– M. Paget der Mamille mit invasivem duktalem Mamma-
Metaplastische 4 Rein epitheliale metaplastische karzinom
Karzinome Karzinome
4 Plattenepithelkarzinom
4 Adenokarzinom mit Spindelzell
Zu einer Metastasierung kommt es in Abhängigkeit vom histomor-
metaplasie
phologischen Typ und der biologischen Charakteristik frühzeitig.
4 Adenosquamöses Karzinom
4 Mukoepidermoides Karzinom
Dabei besteht eine direkte Beziehung zur Größe des Tumors.
4 Gemisches epithelial-/mesenchy- > Je größer der Tumor, desto eher die Wahrscheinlichkeit
males metaplastisches Karzinom der frühen hämatogenen oder lymphogenen Metastasie-
Lipidreiches Karzinom rung.
Sekretorisches Karzinom Ein 20 mm großer Tumor hat eine Matastasierungsrate von 50%
gegenüber einem 5 mm großen Tumor mit 10%. Die lymphogene
Onkozytäres Karzinom Metastasierung erfolgt zunächst in die regionären Lymphknoten.
Adenoidzystisches Der Großteil der Lymphflüssigkeit aus der Brust wird über die axil-
Karzinom läre Strombahn drainiert. Bei Metastasen in den axillären Lymph-
68 Azinuszellkarzinom
knoten wird davon ausgegangen, dass auch eine hämatogene Streu-
ung stattgefunden hat.
Glykogenreiches Klarzell- Prognose und Therapie des Mammakarzinoms hängen vom
karzinom Vorliegen hämatogener Metastasen ab. Diese manifestieren sich zu
35% ossär, 20% lokoregionär, pulmonal und zu 5% viszeral (meist
Sebazeöses Karzinom
hepatisch) und zu 20% in sonstige Lokalisationen (. Übersicht).
Inflammatorisches Mikrometastasen können viele Jahre klinisch stumm bleiben. Bei
Karzinom peripherer Metastasierung spricht man auch vom Stadium der Ge-
neralisation.
68.3 · Klassifikation
629 68
medullären Karzinome Hormonrezeptor-triple-negativ (ER-, PR-,
Metastasierungswege Her-2-negativ).
4 Hämatogen: insbesondere Knochen, Lungen, Leber und Ge-
hirn
Tubuläres Karzinom
4 Lymphogen: Das tubuläre Karzinom hat eine Häufigkeit von 1–19% (WHO 2003)
– Lymphangiomatosa carcinomatosa und weist insgesamt eine gute Prognose auf. Es ist ein hochdifferen-
– retro-/parasternale LK, axilläre LK, sub- und supraklaviku- ziertes invasives Karzinom, das definitionsgemäß mindestens zu
läre LK 90% ein klassisches tubuläres Wachstumsmuster zeigen muss. Abge-
grenzt werden vom reinen Typ sog. gemischte tubuläre Karzinome
mit größeren Anteilen eines invasiv duktalen Karzinoms oder einer
lobulären Tumorkomponente (tubulolobuläres Karzinom), die
Invasiv duktales Karzinom prognostisch weniger günstig sind.
Diese häufigste Form des Mammakarzinoms tritt mit einer Inzidenz
von bis zu 80% auf. Die Subklassifikation enthält auch die seltenen M. Paget der Mamille
Formen des muzinösen, medullären, papillären, tubulären, adenoid- Diese Erkrankung stellt eine intraepidermale Manifestation eines
zystischen und des apokrin duktalen Karzinoms. Sie besitzen eine duktalen Karzinoms an der Mamille dar. Der M. Paget kommt in
besondere Wachstumsform und verfügen über einen besonderen Abhängigkeit des Primärtumors als nichtinvasive und invasive Form
klinischen Verlauf mit gesonderter Prognose und unterschiedlicher vor. In der Mehrzahl der Fälle liegt hier aber ein invasives Karzinom
Therapieempfindlichkeit. zugrunde. Die Prognose wird durch das ursächliche intraduktale
Als prognostisch günstige Typen mit einer hohen 5-Jahres- Karzinom (Tumortyp, Ausdehnung und Metastasierung) bestimmt.
Überlebensrate von bis zu 95% gelten stadienbezogen das tubuläre,
papilläre und das muzinöse Karzinom.
Beim invasiv duktalen Karzinom unterscheidet man hinsichtlich 68.3.2 Inflammatorisches Karzinom
der intraduktalen Tumorkomponenten zwischen dem invasiv duk-
talen Karzinom mit prädominierender intraduktaler Komponente Meist handelt es sich hierbei um gering differenzierte invasive duk-
(Verhältnis intraduktaler zu invasivem Tumoranteil 4:1) und dem tale Karzinome mit ausgeprägter begleitender Lymphangiosis carci-
invasiv duktalen Karzinom mit extensiver intraduktaler Komponen- nomatosa. Der Krankheitsverlauf ist fulminant, und die 5-Jahres-
te (EIC, intraduktaler Tumoranteil von mindestens 25%, der über die Überlebensrate beträgt trotz neo- und adjuvanter Chemotherapie
Grenzen des invasiven Tumoranteils hinausgeht). Das EIC hat ein und Radiatio weniger als 5%.
erhöhtes Rezidivrisiko nach brusterhaltender Therapie (BET) und Die TNM-Klassifikation und die Einteilung der UICC sind in
primärer Radiatio. . Tab. 68.8 bis 68.10 dargestellt.
Bei allen invasiven Mammakarzinomen ist ein Grading durch-
Invasiv lobuläres Karzinom zuführen (WHO 2003; . Tab. 68.9). Dies sollte im Falle einer prä
Mit einer Inzidenz von 6–15% stellt es das zweithäufigste Karzinom operativen Diagnostik bereits am Stanz- bzw. Vakuumbiopsiemate-
der Mamma dar. Es werden Varianten mit unterschiedlichem pro- rial erfolgen. Allerdings kann es gelegentlich Abweichungen zwischen
gnostischem Wert abgegrenzt: Solide, alveoläre, siegelringzellige, der Stanz-/Vakuumbiopsie und dem Operationspräparat geben.
tubulolobuläre und pleomorphe Variante sowie Mischtypen. Pro- Dementsprechend erfolgt die abschließende Zuordnung des histolo-
gnostisch verhält sich das invasiv lobuläre Karzinom stadienbezogen gischen Gradings am Operationspräparat. Die Übereinstimmungs-
wie das invasiv duktale Karzinom. rate ist aber mit ca. 75% relativ hoch. Das histopathologische Gra-
ding zur Beurteilung des Malignitätsgrads erfolgt nach den Kriterien
Muzinöses Karzinom des Gradings für das Mammakarzinom nach Elston u. Ellis (1991)
Seine Inzidenz liegt bei 1–2%. Der Altersdurchschnitt der betrof- (. Tab. 68.11).
fenen Frauen ist im Vergleich zum invasiv duktalen Karzinom er- Der Nottingham-Prognose-Index (. Tab. 68.12) gibt die Pro-
höht, vornehmlich sind ältere Frauen betroffen. Die 10-Jahres-Über- gnose der 15-Jahres-Überlebensrate in Bezug auf Tumorgröße, Gra-
lebensrate liegt stadienbezogen bei 80–100% (O’Malley u. Pindler ding und Lymphknotenstatus an und gilt als sehr aussagekräftig.
2006; WHO 2003). Seine Angabe wird als optional angesehen.
Beim invasiven Mammakarzinom und beim DCIS sind bereits
Typisch medulläres Karzinom in der Primärdiagnostik (Stanzbiopsie) (Carlson et al. 2006, Wolff et
Das typisch medulläre Karzinom hat eine Inzidenz von ca. 3% aller al. 2007) als auch im Operationspräparat der Hormonrezeptorstatus
Mammakarzinome und weist insgesamt eine gute Prognose auf und der HER-2-Status zu bestimmen. Die Bestimmung des Östrogen
(10-Jahres-Überlebensrate 84% bei nodal negativ, nur 10–25% (ER)- und Progesteronrezeptorstatus (PR) erfolget immunhistoche-
Lymphknotenmetastasen; WHO 2003). misch. Gemäß dem St. Gallen-Konsens 2005 wird zwischen dem
hormonsensitiven und dem nicht hormonsensitiven Mammakar
Atypisch medulläre Karzinome zinom unterschieden (Goldhirsch et al. 2005). Die Autoren empfeh-
Sie erfüllen nicht alle Kriterien des typischen medullären Karzi- len die in . Tab. 68.13 dargestellte Unterteilung für den ER und/
noms und werden deshalb als atypisch bezeichnet. Die sog. aty- oder PR.
pischen medullären Karzinome besitzen keinen prognostischen Ein positiver immunhistochemischer Nachweis des HER-2/neu-
Vorteil wie das typische medulläre Karzinom. Sie sollten als in Status dient als Entscheidungshilfe für die Therapie mit HER-2-In-
vasiv duktale Karzinome klassifiziert werden. In der neueren hibitoren, z. B. Trastuzumab (Herzeptin) und Lapatinib.
Klassifikation der WHO werden diese Tumoren aufgrund ihres
ausbleibenden Prognosevorteils als invasiv duktale Karzinome
(NOS) klassifiziert (WHO 2003). Sie sind meist wie die typischen
630 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust
. Tab. 68.8 TNM-Klassifikation Mammakarzinom. (Nach TNM 7. Auflage, Wittekind et al. 2010)
Primärtumor Lymphknoten
Tis (CLIS) Lobuläres Carcinoma in situ N2a Fixiert axillär pN2a 4–9 axilläre LK
T1 mic ≤0,1 cm N2b A. mammaria interna, pN2b A. mammaria interna,klinisch nicht erkennbar/
klinisch erkennbar keine axillären LK
T1b >0,5–1 cm N3b Axillär und A.mammaria, pN3b Axillär und A. mammaria, klinisch erkennbar
klinisch erkennbar
T3 >5 cm
. Tab. 68.9 TNM-Klassifikation Mammakarzinom. (Nach TNM 7. Auflage, Wittekind et al. 2010)
M1 Fernmetastasen G2 Mäßig differenziert R0 Resektionsrand ist frei von Tumorgewebe (sicher entfernt)
G3 Schlecht differenziert R1 Tumor reicht bis an den Resektionsrand (nicht sicher entfernt)
G4 Undifferenziert
68.4 Staging und Therapiestand Bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen und bei klinischem Ver-
68 dacht auf Metastasierung sollte bereits prätherapeutisch ein Staging
A. Heckmann, K.H. Breuing erfolgen. Alle Brustkrebspatientinnen sollten hinsichtlich der Tumo-
rausbreitung vollständig klinisch untersucht und nach dem TNM-
Beim Staging wird die Ausbreitung des Primärtumors aus dem Ent- System der UICC klassifiziert werden. Eine Mammographie der
stehungsorgan in die Nachbarorgane und in andere Organe festge- Gegenseite ist hierbei obligat. Insbesondere bei Patientinnen mit
legt, wobei die Größe des ursprünglichen Tumors, die Zahl der be- einem lokal fortgeschrittenen Tumor müssen die Zeichen des loka-
fallenen Lymphknoten und die Metastasen nach dem TNM-System len Tumorwachstums exakt beschrieben werden (entzündliche
der UICC erfasst werden. Komponente, Ulzerationen, Satellitenmetastasen, Brustwandbefall;
. Übersicht).
68.4 · Staging und Therapiestand
631 68
. Tab. 68.10 TNM-Klassifikation Mammakarzinom. (Nach TNM . Tab. 68.12 Nottingham-Prognose-Index für invasive Karzinome
7. Auflage, Wittekind et al. 2010)
Merkmal Kriterium Scorewert
UICC-Stadiengruppierung Kennzeichen
Grading nach Elston G1 1
0 Tis N0 M0 und Ellis
I T1mic, T1 N0 M0 G2 2
IIA T0, T1 N1 M0 G3 3
T2 N0 M0 Lymphknotenstatus pN0 1
T3 N0 M0 >4 LK positiv 3
. Tab. 68.11 Kriterien des Gradings für das Mammakarzinom. (Nach . Tab. 68.13 Unterscheidung des Östrogen (ER)- und Progesteron
Elston u. Ellis 1991) rezeptorstatus (PR). (Nach Goldhirsch et al. 2005).
Stark 3
Die lokale und systemische Therapie des Mammakarzinoms unter- Die Bestimmung des histologischen Lymphknotenstatus (pN-Sta-
liegen dem Einfluss des histopatholgischen Tumortyps, dem stan- tus) ist Bestandteil der operativen Therapie des invasiven Mamma-
dardisierten histopathologischen Grading, der pTNM-Klassifikat karzinoms. Diese erfolgt mit Hilfe der Sentinel-Lymphknotenent
ion und dem Lymphknotenstatus, welcher eine prognostisch wich- fernung (SLNE). Die SLNE ist der Axilladissektion gleichwertig. Die
tige Relevanz besitzt und mitbestimmend für eine systemische Morbidität nach SLNE ist aber im Vergleich zur Axilladissektion
Therapie ist. Des Weiteren spielen im Hinblick auf die Wahl der signifikant reduziert. Bei Patientinnen, die keine SLNE erhalten kön-
operativen Therapie und Strahlentherapie das Vorliegen von peri- nen oder die einen positiven SLN aufweisen, muss eine axilläre
tumoralen Gefäßinvasionen, multipler Tumorherde, die Residual- Dissektion mit Entfernung von mindestens 10 Lymphknoten aus
klassifikation (R) und der Sicherheitsabstand zum Schnittrand eine den Levels I und II erfolgen.
entscheidende Rolle. Hinzu kommt heute noch die immunhistolo- Beim intramammären Tumorrezidiv (DCIS/invasives Karzi-
gische Verifizierung des Hormonrezeptorstatus (Östrogen und Pro- nom) wird durch eine sekundäre Mastektomie die beste lokale
gesteron) und des HER-2/neu-Status. Rezidivrate und Risiko eines Tumorkontrolle erzielt. Insbesondere beim fehlenden Nachweis
68 invasiven Karzinoms werden durch das nukleäre Grading, den von Fernmetastasen ist diese sog. Salvage-Mastektomie die The
Resektionsrand und die Ausdehnung bzw. der Größe des Tumors rapie der Wahl. Bei günstiger Ausgangssituation, z. B. DCIS oder
bestimmt. invasives Karzinom mit langem rezidivfreiem Intervall, fehlen
dem Hautbefall, großem räumlichem Abstand zur ersten Tumor
lokalisation, kann in vertretbaren Fällen organerhaltend operiert
68.5.1 Therapieziele werden. Bei organerhaltender Operation muss die Patientin auf
ein erhöhtes Risiko für ein erneutes intramammäres Rezidiv hin
Ziel beim Mammakarzinom ist eine tumortypadaptierte Therapie, gewiesen werden. Ein isoliertes Thoraxwandrezidiv ist nach Mög-
die kurativ ist oder Lebensqualität und Überlebenszeit erhöht. Ne- lichkeit operativ vollständig und onkologisch sicher (R0) zu ent
benwirkungen sollten dabei auf ein Minimum reduziert sein. fernen. Im Fall eines isolierten regionalen Rezidivs soll eine lokale
Ältere Frauen sollten prinzipiell gleichartig wie jüngere Frauen Kontrolle der Erkrankung durch Operation/Radiotherapie an-
behandelt werden. Durch ein qualitätsgesichertes, fachübergreifen- gestrebt werden.
68.5 · Therapeutisches Vorgehen beim invasiven Karzinom
633 68
Der Wert einer postoperativen Systemtherapie nach Resektion werden. Bei positivem Hormonrezeptorstatus ist eine Remission bei
eines lokoregionalen Rezidivs ist hinsichtlich des Gesamtüberlebens 60% der Patientinnen zu erwarten, bei negativem Hormonrezeptor-
nicht ausreichend belegt. Es liegen aber Hinweise vor, dass das status bei <10%. Spricht eine Patientin auf eine endokrine Therapie
krankheitsfreie Intervall durch eine Systemtherapie verlängert wer- an, wird diese bis zur Progression durchgeführt.
den kann. Erster endokriner Behandlungsschritt bei Metastasierung ist bei
Eine Bestrahlung nach Rezidivoperation sollte interdisziplinär postmenopausalen Patientinnen nach adjuvanter Therapie mit Ta-
diskutiert und entschieden werden. Eine postoperative Radio moxifen oder keiner Hormontherapie der Einsatz eines Aromatase-
therapie ist indiziert, wenn keine vorangegangene Radiotherapie hemmers. Weitere Schritte in der endokrinen Behandlungskaskade
erfolgt ist oder das Lokalrezidiv nicht radikal operiert wurde. Bei bei postmenopausalen Patientinnen stellen je nach antihormoneller
inoperablem Lokalrezidiv kann eine palliative Radiotherapie sinn- Vorbehandlung der Einsatz von Antiöstrogenen, Östrogenrezeptor
voll sein. antagonisten, hoch dosierten Gestagenen oder der Wechsel des
Aromataseinhibitors von einem steroidalen auf einen nichtsteroida-
len Aromataseinhibitor oder vice versa dar. Bei prämenopausalen
68.5.3 Systemische Therapie des Mamma Patientinnen ist die Ausschaltung der Ovarialfunktion (GnRH-Ana-
karzinoms loga, Ovarektomie, Radiomenolyse) in Kombination mit Tamoxifen
die Therapie der 1. Wahl. In der Folge kann in der Prämenopause
Da es sich bei einem Mammakarzinom am ehesten um eine genera- eine Ovarialsuppression in Kombination mit einem Aromatasehem-
lisierte Erkrankung handelt, muss auch eine generalisiertes Thera- mer zum Einsatz kommen.
pieschema zur Behandlung angelegt werden. Einen weiteren Schritt stellt die Behandlung mit hoch dosierten
Gestagenen dar. Eine neoadjuvante (primäre, präoperative) syste-
> Die systemische neoadjuvante und adjuvante Therapie
mische Therapie wird heute als Standardbehandlung bei Patientin
ist ein integraler Bestandteil der Therapie von Brust
nen mit lokal fortgeschrittenen, primär inoperablen oder inflamm-
krebspatientinnen und trägt neben der chirurgischen
atorischen Mammakarzinomen im Rahmen eines multimodalen
Tumorentfernung wesentlich zur Reduktion der Mortali-
Therapiekonzeptes angesehen.
tät bei.
Die neoadjuvante Chemotherapie stellt eine alternative Be-
Vor der Durchführung einer systemischen Therapie müssen der All- handlungsmöglichkeit für Frauen dar, bei denen eine Indikation für
gemeinzustand der Patientin erhoben und die Compliance abge- eine Mastektomie vorliegt, die aber eine brusterhaltende Operation
schätzt werden. Die Therapieentscheidungen sind heute aufgrund wünschen. Der Effekt ist bei hormonrezeptornegativen Karzinomen
erweiterter Diagnostik und Therapiemöglichkeiten sehr komplex am größten. Eine Resektion in den neuen Tumorgrenzen ist mög-
geworden. Die individuelle Risikobeurteilung der Patientin rich- lich, wenn dadurch eine R0-Resektion mit ausreichendem Sicher-
tet sich nach klinisch-pathologischen Kriterien wie Tumorgröße, heitsabstand erreicht werden kann.
Lymphknotenstatus und molekularen Prädiktoren des biologischen Eine primäre Hormontherapie stellt eine Option für postmeno-
Verhaltens des Tumors. Durch zielgerichtete Therapien gegen HER- pausale Patientinnen mit rezeptorpositivem Tumor dar, bei denen
2 und durch Aromataseinhibitoren der 3. Generation stehen neue eine Operation kontraindiziert ist oder wenn eine Operation abge-
Behandlungsoptionen zur Verfügung, die in die modernen Thera- lehnt wird. Patientinnen mit befallenen axillären Lymphknoten
piealgorithmen integriert werden müssen. sollten eine adjuvante Kombinationstherapie mit Taxanen erhalten.
Aufgrund der Heterogenitat der Metastasen und der individuel-
len Krankheitsverläufe kann keine einheitliche Therapiestrategie
Adjuvante endokrine Therapie (anschließend an
vorgegeben werden. Dies gilt insbesondere für die zytostatische Be-
Chemotherapie) bei positivem Hormonrezeptorstatus
handlung des metastasierten Mammakarzinoms. Die Monotherapie
(ER-positiv und/oder PgR-positiv)
weist zwar niedrigere Remissionsraten als Polychemotherapien auf,
die Überlebenszeit wird hiervon jedoch nicht signifikant beeinflusst. 4 Prämenopausal:
Monotherapien sind besser verträglich, sodass nach Möglichkeit – Tamoxifen 5 Jahre
eine solche durchgeführt werden sollte. Lediglich bei starken Be- oder
schwerden, raschem Tumorwachstum und aggressivem Tumorver- Goserelin 2–3 Jahre und Tamoxifen 5 Jahre
halten ist eine Polychemotherapie indiziert. 4 Postmenopausal:
Vor Durchführung sowie während einer Chemotherapie muss – Tamoxifen 5 Jahre (ausschließlich Niedrig-Risiko-Patien-
der Allgemeinzustand der Patientin untersucht und beurteilt wer- tinnen)
den. Während der Therapie muss regelmäßig der Grad der Toxizität – Aromatasehemmer (z. B. Anastrozol, Letrozol) 5 Jahre
bestimmt werden. Eine Evaluation des Therapieeffektes sollte min- – Alternativ: nach 2–3 Jahren Tamoxifen Umsetzen auf
destens alle 3 Monate erfolgen. Bei Progress oder ausgeprägter Toxi- Aromatasehemmer (z. B. Exemestan, Anastrozol)
zität sollte die Therapie abgebrochen werden. Der therapeutische – Alternativ: Erweiterte endokrine adjuvante Therapie:
Index (individueller Patientenvorteil vs. therapiebedingte Neben- nach 5 Jahren Tamoxifen weitere 2–5 Jahre Aromatase-
wirkungen) sollte in der Gesamtbeurteilung der Therapie positiv hemmer (z. B. Letrozol)
ausfallen.
Die moderne neoadjuvante und adjuvante systemische Therapie
basiert nunmehr auf individualisierten Risikoprofilen und beinhaltet Die St. Gallen-Konsensuskonferenzen haben eine Risikostratifizie-
neben der klassischen Chemotherapie v. a. endokrine Therapieopti- rung auf der Basis prognostischer Parameter wie Primärtumorgröße,
onen und immunologische Therapieansätze. Die endokrine Thera- Nodalstatus, Hormonrezeptorstatus, HER-2/neu-Expression und
pie ist die Therapie der Wahl bei positivem Hormonrezeptorstatus. histologischer Merkmale entwickelt (Goldhirsch et al. 2005, 2007)
Eine endokrine Therapie ist weniger toxisch als eine Chemotherapie und Therapieempfehlungen formuliert, die nicht das Rezidivri
und sollte daher grundsätzlich als Erstlinientherapie eingesetzt siko, sondern therapeutische Zielstrukturen wie Hormonrezeptor-
634 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust
. Abb. 68.1 Schema zur plastisch-rekonstruktiven Brustrekonstruktion. (Nach Deutsche Krebsgesellschaft e. V.)
Zweizeitiges Vorgehen erscheint und deutlich tastbar ist. Auch besteht ein erhöhtes Risiko
Die Sekundärrekonstruktion erlaubt den Frauen nach Diagnosestel- einer Kapselfibrose. Erfolgt eine Bustrekonstruktion nur durch ein
lung und Primärtherapie einen zeitlichen Abstand, um sich mit den Implantat, so wird es zur besseren Bedeckung submuskulär (subpek-
Möglichkeiten plastischer Rekonstruktion in Ruhe auseinanderset- toral) platziert, wobei der kaudale Implantatpol durch eine biologische
zen zu können. Ersatzmatrix (Alloderm, Stratice-Sheet) bedeckt werden kann.
Falls vor einer geplanten Strahlentherapie ein Gewebeexpander
bereits implantiert worden war, soll dieser zunächst komplett gefüllt
und die Gewebereaktion nach der Bestrahlung abgewartet werden, um Vor- und Nachteile der Implantatrekonstruktion
dann zu entscheiden, ob eine definitive Prothesenimplantation oder 4 Vorteile:
aber eine Lappenrekonstruktion das bessere Ergebnis bringen könnte. – Kurze Operationszeit
– Geringe perioperative Komplikationsrate
4 Nachteile:
68.6.4 Implantatrekonstruktion – Tastbares Implantat bei dünner Weichteilbedeckung
– Kapselfibrose
Implantate zur Brustrekonstruktion werden in unserer Klinik v. a. bei – Fremdkörpergefühl
der Sofortrekonstruktion nach brusterhaltender Tumorresektion ver- – Perforationsgefahr
wendet, wenn ein ausreichend großer Haut- und Weichteilmantel – Eingeschränkte Formbarkeit
vorhanden ist. Bei Sekundärrekonstruktionen nach modifiziert radi- – Bei adjuvanter Radiation sekundäre Schrumpfung
kaler Mastektomie (MRM) findet man in der Regel nur einen dünnen, und Deformität
retrahierten Weichteilmantel, sodass ein Implantat optisch auffällig
636 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust
68.6.5 Eigengewebe zur Rekonstruktion wird soweit vorbereitet, dass der Lappen intraoperativ in Seitenlage
in den Defekt eingeschwenkt werden kann.
Eine Rekonstruktion mit Eigengewebe erscheint v. a. bei straffem Die erforderliche Breite der Hautinsel ergibt sich aus der Diffe-
Hautmantel und dünnem Subkutangewebe indiziert, da sich durch renz der Strecken zwischen Jugulum und Unterbrustfalte der gesun-
Verpflanzung von Gewebe mitsamt darüberliegender Hautinsel ne- den Brust und der abladierten Seite. Die Länge der erforderlichen
ben der Volumenrekonstruktion auch ein Ausgleich des relativen Hautinsel ergibt sich aus der Differenz der maximalen Brustbreiten
Hautmangels erzielen lässt. Daher ist dieses Verfahren insbesondere von gesunder und abladierter Seite. Ist eine spätere Reduktion der
für die Sekundärrekonstruktion nach MRM oder nach Radiatio gesunden Seite geplant, ist dies bei der Planung der Hautinsel zu
geeignet. berücksichtigen. Es ist zu beachten dass die Größe der Hautspindel
durch die Spannung beim Verschluss des Hebedefektes limitiert ist.
Dies limitiert auch die Größe der zu rekonstruierenden Brust, was
Vor- und Nachteile von Eigengewebe zur Brust
bei sehr großen Brüsten zur Vermeidung einer Asymmetrie eine
rekonstruktion
angleichende Reduktion der Gegenseite erfordern kann.
4 Vorteile: Idealerweise wird bei der Anzeichnung eine Schablone der
– Natürliche Konsistenz der Brust Hautinsel angefertigt, dann die erforderliche Stiellänge zwischen Haut
– Natürliches Alterungsverhalten insel und dem axillären Gefäßanschluss ausgemessen und die Haut
– Keine Sekundäreingiffe (kein Implantatwechsel) insel mit dieser Stiellänge auf die Entnahmestelle übertragen. Die
– Kein Fremdkörper/keine Kapselfibrose Hautspindel wird über dem Muskel platziert, wobei die Verlaufsrich-
– Hohe Akzeptanz, hohe Identifikation mit dem Trans tung der späteren Narbe in Absprache mit der Patientin entweder
plantat horizontal in Höhe des BHs oder entsprechend dem Verlauf der
4 Nachteile: Hautspannungslinien schräg von kranial/lateral nach kaudal/medial
– Technisch schwieriger Eingriff gewählt werden kann. Eine schräge Orientierung ermöglicht bei ma-
– Erhöhte Komplikationsrate ximaler Breite der Hautinsel den unproblematischen Hautver-
– Verlust des verpflanzten Gewebes möglich schluss.
– Hebedefektmorbidität Die Lappenhebung erfolgt in Halbseitenlagerung, wobei der
Arm der betroffenen Seite mit abgewaschen und frei beweglich über
eine Stütze gelagert wird.
Gestielter Latissimus-dorsi-Lappen mit oder Zur Implantation des Latissimuslappens kann eine Umlagerung
ohne Implantat der Patientin in eine halbsitzende Position erforderlich sein. Wäh-
Der gestielte myokutane Latissimus-dorsi-Lappen wurde erstmals rend des Umlagerns wird der präparierte Muskellappen je nach Grö-
1906 durch Tansini zur Deckung von ulzerierenden Wunden an der ße entweder in der Axilla gelagert oder steril verbunden und am
vorderen Thoraxwand beschrieben, geriet dann in Vergessenheit, Thorax fixiert und mit steriler Folie abgeklebt.
ehe er von Olivari 1976 wiederentdeckt wurde.
> Wir führen regelmäßig eine Durchtrennung des humera-
> Der gestielte M.-latissimus-dorsi-Lappen hat sich seither len Sehnenansatzes sowie eine Segmentresektion des
aufgrund seiner Sicherheit und geringen Hebedefektmor- N. thoracodorsalis durch, um eine bessere Mobilisierung
bidität sowohl bei der Brustrekonstruktion als auch bei zu ermöglichen und ein störendes Muskelzucken zu ver-
der Defektdeckung am Thorax nach ausgeprägten Rezidiv hindern.
eingriffen als Standardtherapie in der Brustchirurgie eta-
bliert. Operationstechnik
Wir verwenden den M.-latissimus-dorsi-Lappen in der Regel in Die Präparation der Empfängerregion beginnt mit der Exzision der
Kombination mit einem Silikongelimplantat, da die alleinige Ein- Mastektomienarbe, welche stets zur histologischen Aufarbeitung
bringung des myokutanen Lappens aufgrund denervierungsbeding eingesendet wird. Es folgt die Unterminierung des Haut-Weichteil-
ter Muskelathrophie keinen dauerhaften Volumenersatz erlaubt. Mantels auf der Brustwandmuskulatur entsprechend der Brustaus-
Da die Lappenpräparation und -hebung eingehend in 7 Kap. 12 dehnung der Gegenseite.
(»Lappenplastiken«) beschrieben wird, soll hier nur auf für die Anschließend wird durch stumpfe Präparation ein ausreichend
Brustrekonstruktion wichtige Details eingegangen werden. großer Tunnel zur Axilla geschaffen, der einen Durchzug des Mus-
Die Gefäßversorgung des M. latissimus dorsi aus der A. thora- kellappens ohne Kompression des Gefäßstiels erlaubt. Der distale
codoralis ist äußerst stabil. Eine Gefäßverletzung auch bei ausge- Lappenpol wird mit einer Backhaus-Klemme gefasst und der Lappen
dehnter Axilladissektion ist so selten, dass wir präoperativ keine vorsichtig durch den Tunnel in den Defekt gezogen, ohne dass
68 routinemäßige Gefäßdarstellung durchführen. Eine intakte Innerva- hierbei Zug auf den Gefäßstiel ausgeübt wird. Nach korrekter Posi-
tion korreliert meist mit einer intakten Gefäßversorgung. tionierung der Hautinsel wird zunächst der kraniale muskuläre
Lappenanteil subkutan ausgebreitet und mit 2-0 PDS fixiert. Zur
Präoperative Planung Rekonstruktion der vorderen Axillarlinie sollte der Muskelstiel in
Die Operationsplanung erfolgt an der stehenden Patientin. Markiert diesem Bereich auf die Thoraxwand pexiert werden.
werden insbesondere die Höhe der geplanten Unterbrustfalte und Nun wird mit Hilfe von Probeimplantaten die erforderliche Im-
die Ausdehnung der Brustdrüse durch Übertragung von der Gegen- plantatgröße ermittelt. Hierbei ist zu bedenken, dass der denervierte
seite. Zu beachten ist, dass es nach Brustrekonstruktionen durch Muskel atrophieren wird und das Lappenvolumen dadurch je nach
Eigengewebe stets durch Narbenschrumpfung zu einer Kranialisie- Größe der Hautinsel und des mitverlagerten subkutanen Fettgewe-
rung der intraoperativen Brustumschlagsfaltenposition kommt, so- bes – das nicht atrophiert – an Volumen verlieren kann. Das Implan-
dass diese bei der Planung etwa 2–3 cm unterhalb der Höhe der tat sollte daher stets größer gewählt werden, als es für eine intaope-
Gegenseite eingezeichnet werden sollte. Die Implantationsregion rative Symmetrie erforderlich wäre. Vorzugsweise verwenden wir
68.6 · Operationstechnik der Brustrekonstruktion
637 68
anatomische Silikongelimplantate, die epipektoral unter den M. la- dität konnten sich diese Spendeareale aber nur als Ausweichmög-
tissimus dorsi eingebracht werden. lichkeit behaupten. Die am häufigsten genutzten modernen Tech-
Vor der Implantatpositionierung wird eine 12er-Redon-Draina- niken beruhen auf der Gewebeentnahme vom Unterbauch. Ein
ge eingebracht und unter Schonung des Lappenstiels axillawärts Operationsbeispiel ist in . Abb. 68.2 gezeigt.
ausgeleitet. Anschließend erfolgt die Fixierung der kaudalen Lap-
penanteile in der Unterbrustfalte, sodass die Implantatkammer ge- Anatomische Grundlagen
schlossen ist. Sollte sich beim Einpassen der Hautinsel diese als zu Die Wiederherstellung der weiblichen Brust mit Unterbauchgewebe
groß erweisen, werden die überschüssigen Anteile deepithelisiert basiert auf der Muskel-, Gefäß- und Nervenanatomie des M. rectus
und nach subkutan verlagert. abdominis.
Nach dem Hautverschluss durch subkutane Einzelknopfnähte Der M. rectus abdominis besitzt eine duale Blutversorgung
und fortlaufende Intrakutannaht erfolgt der Verband durch Ste- durch die oberen und unteren epigastrischen Gefäße, die intramus-
ristrip-Pflaster, Haut-Tapes und Rollwatte. kulär durch zahlreiche Anastomosen miteinander kommunizieren
und die Gefäßsysteme der A. subclavia und der A. iliaca externa mit-
Eigengeweberekonstruktion durch Unterbauch einander verbinden. Die Perfusion des freien TRAM-Lappens er-
gewebe folgt aus dem Angiosom der A. epigastrica inferior profunda, die aus
Die Einführung der freien Gewebetransplantation zu Beginn der der A. iliaca externa entspringt und bis zum Rippenbogen das domi-
1970-er Jahre revolutionierte auch die rekonstruktive Mammachi- nante Versorgungssystem der Bauchwand ist. Ihr durchschnittliches
rurgie. Als Spenderareale wurden neben dem Gesäß die Leiste, der Kaliber liegt bei 3,5 mm und entspricht dem Doppelten der A. epi-
Oberschenkel und die Hüftregion beschrieben. Wegen technischer gastrica superior. Die beiden Begleitvenen münden in die V. iliaca
Schwierigkeiten, geringen Volumens oder hoher Hebedefektmorbi- externa, ihr durchschnittlicher Durchmesser beträgt je etwa 2,5 mm.
a b
c d
. Abb. 68.2 Brustrekonstruktion mit gestielten Lappen: Latissimus-dorsi- Strahlenfeld nach Bestrahlung eines gestielten Latissimus-Lappens. f Pla-
Lappen und Implantat bei »skin-sparing« Mastektomie wegen multifokalen nungszeichnung für einen kontralateral gestielten TRAM-Lappen. g Exzision
duktalen Mammakarzinoms mit Entfernung der Mamille. Präoperativer des Strahlenareals. Umschneidung und Hebung des Lappens und Durchzug
Befund (a), Hebung des myokutanen Lappens (b) und Sofortrekonstruktion in den Defekt (h, i). Einpassung und Endergebnis nach finaler Mamillen
(c). d Zustand nach Mamillenrekonstruktion und Radiatio. e Kontralateral rekonstruktion (j, k)
gestielter TRAM-Lappen nach fehlgeschlagener Implantatrekonstruktion im
638 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust
e f
g h
i j
68
k
. Abb. 68.2 (Fortsetzung)
68.6 · Operationstechnik der Brustrekonstruktion
639 68
a b
. Abb. 68.3 Gefäßversorgung der Bauchwand durch das tiefe Arteriensystem (a; 7 Text). Gefäßversorgung des freien TRAM-Lappens durch A. und V. epi-
gastrica inferior (b)
Liegt nur ein Stamm vor, beträgt dessen Kaliber etwa 4,5 mm. Damit zweigen sich und bilden schließlich innerhalb des Muskels zahlreiche
liegen günstige Voraussetzungen zur mikrochirurgischen Trans- Anastomosen mit dem Versorgungssystem des unteren epigasti-
plantation vor. schen Gefäßsystems. In ihrem Verlauf senden beide longitudinale,
Oberhalb des Nabels bilden beide Gefäßsysteme ein dichtes intramuskuläre Gefäßsysteme Perforatoren durch das vordere Blatt
Anastomosennetz (. Abb. 68.3). der Rektusscheide paramedian zur darüber liegenden Haut.
Die versorgenden Perforansgefäße des freien TRAM-Lappens Die Häufung dieser perforierenden Gefäßäste um und unterhalb
entstammen der Hauptgefäßachse des tiefen epigastrischen Systems des Nabels ermöglicht es, eine recht große quere Hautinsel des Un-
und steigen direkt zur Haut auf. Über horizontale Kollateralen des terbauchs am kranial gestielten Rectus-abdominis-Muskel in den
subdermalen Plexus bestehen Verbindungen zur Gegenseite, ein zu- Mastektomiedefekt einzuschwenken.
sätzliches Verbindungsnetz gibt es im Bereich der Fascia scarpae. Nachteilig sind jedoch die aufwendige Technik und die Versor-
Die Anzahl der Perforatoren ist periumbilikal am dichtesten. gung durch die nicht dominanten Gefäße der Bauchwand und damit
Hier strahlen sie in alle Schichten der Bauchwand und gehen Verbin- das erhöhte Risiko von Fettgewebenekrosen. Der nach oben umge-
dungen zu Ästen der A. epigastrica superficialis, A. circumflexa ile- schlagene Muskelstiel kann eine unschöne Deformität verursachen.
um superficialis und den Interkostalgefäßen ein, die aber bei der Die Entnahme von mindestens einem M. rectus abdominis führt zur
Lappenumschneidung durchtrennt werden. Bauchwandschwächung, die eine asymptomatische Vorwölbung der
Die dem Gefäßstiel gegenüberliegende Seite wird vom subder- Bauchwand im Stehen (»bulging«) oder eine echte Bruchsackbil-
malen Plexus im Sinne eines Random-pattern-Flaps versorgt. dung zur Folge haben kann. Aus diesen Gründen wird diese Technik
von mikrochirurgisch versierten Chirurgen nur mehr ausnahmswei-
! Cave
se angewandt.
Der Perfusionsdruck der Kapillaren nimmt zur Peripherie
des Lappens mit jeder Anastomose stufenmäßig ab. Bei zu Freier TRAM-Lappen
großer Dimensionierung kann zwar die Haut überleben,
Die mikrochirurgische Gewebetransplantation von Unterbauchge-
das subkutane Fett aber ischämisch und später nekrotisch
webe zur Brustrekonstruktion geht auf Holmström (1979) zurück.
werden, besonders in den mit III und IV bezeichneten
Er entwickelte die Transplantation einer queren Unterbauchge
Randzonen.
webeinsel zur Brustrekonstruktion aus der Beobachtung, dass die
Fettschürze bei einer Abdominoplastik auch nach kompletter
Gestielter TRAM-Lappen Umschneidung von den M. rectus abdominis perforierenden Ge-
Von Holmström (1979) und Hartrampf et al. (1982a, b) wurde ein fäßen durchblutet bleibt, solange sie auf der Muskelfaszie haftet.
querer Rectus-abdominis-Muskel-Haut-Lappen (»tranverse rectus Seine Veröffentlichung von 2 klinischen Fällen und anatomischen
abdominis myocutaneous« = »TRAM flap«) beschrieben. Dieser Studien dieses »abdominoplasty flap« (Bauchdeckenplastiklappen)
kranial gestielte Lappen wird aus den oberen epigastrischen Gefäßen wurde erst nach der Etablierung der Mikrochirurgie zum Standard-
perfundiert. Diese treten als Verlängerung der Vasa thoracica inter- verfahren in der Plastischen Chirurgie wiederentdeckt (. Über-
na aus dem Thorax in die Scheide des M. rectus abdominis ein, ver- sicht).
640 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust
Operationstechnik
Präoperativ erfolgt das Anzeichnen des Lappens an der stehenden
Patientin. Es empfiehlt, sich die periumbilikalen Perforatoransge-
fäße mittels eines Handdopplergerätes bereits am Vortag in Ruhe zu
lokalisieren und deren Durchtrittpunkte zu markieren.
Die kaudale Inzision der abdominalen Hautspindel wird so lo-
kalisiert, dass die spätere Narbe durch die üblicherweise von der
Patientin getragene Unterwäsche verdeckt wird. Die obere Inzisions-
linie muss mindestens einen Querfinger kranial des Nabels verlau-
fen, um die meist periumbilikal gelegenen Hauptperforatoren sicher
einzuschließen (. Abb. 68.5b). Sollte der entnommene Lappen hier-
durch voluminöser sein als zur symmetrischen Rekonstruktion er-
forderlich, kann eine Ausdünnung oder Verkleinerung durch Ver-
werfen der Zone IV vor dem Einnähen erfolgen. Weiterhin werden
präoperativ die Mittellinie, die Medioklavikularlinie und die Sub-
mammärfalte sowohl der gesunden Seite als auch der zu rekonstru-
ierenden Seite markiert. Es ist zu beachten, dass die Position der
neuen Submammärfalte durch die Straffung im Rahmen des Hebe-
defektverschlusses nach kaudal wandert.
a b
c d
Der Verschluss des muskulofaszialen Defektes erfolgt entweder al- zwischen Os pubis und Spina iliaca anterior superior, ihr Durchmes-
lein durch fortlaufende 2-0 PDS-Nähte oder mittels Duplikatur der ser liegt bei 2–4 mm.
kontralateralen Faszie zur Symmetrierung der Bauchwand und des Die Lappenplanung entspricht derjenigen des freien TRAM-
Nabels. Diese Duplikatur erfolgt beidseits bis in das Epigastrium. oder DIEP-Lappens, wobei die kaudale Inzision möglichst tief ge-
Abschließend erfolgt der Verschluss der Bauchdecke wie bei der Ab- wählt werden sollte, um das Auffinden der oberflächlichen inferi-
dominoplastik unter Einbringen von 4 Redon-Drainagen. oren Gefäße zu erleichtern.
Im Unterschied zum DIEP-Lappen sind folgende Punkte zu be-
A.-epigastrica-inferior-superficialis-Lappenplastik achten:
(SIEAP-Lappen) 4 Perfusion nur des halben Unterbauches (»hemi flap«) gesichert,
Der SIEAP-Lappen stellt eine weitere Verfeinerung des DIEP-Lap- jenseits der Mittellinie ist sie fraglich.
pens dar, da die Gewebeentnahme nur oberhalb der Rektusfaszie 4 Verwendung der kontralateralen Unterbauchhälfte, um leichter
erfolgt und die vordere Bauchwand in ihrer Integrität nahezu voll- mit 2 Teams arbeiten zu können und bei kurzem Gefäßstiel eine
kommen erhalten bleibt. spannungsfreie Anastomose am Thorax zu erreichen.
4 Senkrechte Inzision in der Mitte des Unterbauchtransplantates
68 ! Cave
Die Perfusion dieser Lappenplastik entstammt dem ober-
bildet die Basis, die inferiore Inzision die mediale Grenze der
rekonstruierten Brust.
flächlichen inferioren epigastrischen Gefäßsystem, das
4 Durchtrennen der temporär ausgeklemmten Perforansgefäße
allerdings bei etwa 30% der Patientinnen nicht angelegt
erst, nachdem die Durchblutung des »hemi flap« am Unterbauch
ist. Das Vorhandensein dieser Gefäße muss präoperativ
über das oberflächliche inferiore epigastrische Gefäßsystem si-
durch Dopplersonographie oder sonstige Bildgebung
chergestellt ist, ansonsten Konversion zum DIEP- oder TRAM-
(Angio-CT oder MRT) festgestellt werden.
Lappen.
Die A. epigastrica superficialis entspringt in ca. 50% mit einem ge-
meinsamen Stamm der A. circumflexa ilium superficialis aus der Der SIEAP-Lappen teilt die Vorteile des DIEP-Lappens, hat diesem
A. femoralis und wird von 2 Venen begleitet, die in die V. femoralis aber einen noch geringere Hebedefekt voraus. Die Lappenplastik ist
münden. Die V. epigastrica superficialis liegt am häufigsten medial nur bei etwa 70% der Patientinnen (mit geeignetem oberflächlichem
am Übergang vom lateralen zum medialen Drittel auf der Strecke inferiorem epigastrischem Gefäßsystem) anwendbar, weitere Nach-
68.7 · Wiederherstellung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK)
643 68
teile sind die weniger sichere Perfusion, die deutlich kleinere Lap- neue Technik hat zuwenig Haut- und Unterhautfettgewebe oder
pengröße und die geringe Erfolgsaussicht bei Revision der mikrochi- Narben im Unterbauchbereich, um einen TRAM- oder DIEP-Lap-
rurgischen Anastomose. pen einsetzen zu können, gleichzeitig bestehen aber Fettgewebere-
serven im Oberschenkelbereich. Im Idealfall ist die Haut an der
Oberschenkelinnenseite schlaff, sodass die Patienten zusätzlich von
68.6.6 Alternative Lappenplastiken einer medialen Oberschenkelstraffung profitiert.
zur Eigengeweberekonstruktion Bei der Einzeichnung des bis ca. 30×8 cm großen Lappens be-
steht die vordere Begrenzung in der Sehne des M. adductor longus,
Wenn das Unterbauchgewebe nicht zur Verfügung steht, bieten sich die sich bei abgespreiztem Bein meist gut tasten lässt. Damit ist die
als alternative Spenderareale für mikrochirurgische Gewebetrans- Narbe später von vorn meist nicht sichtbar. Die posteriore Begren-
plantationen die Glutäalregion und die Oberschenkelinnenseite an. zung der Hautinsel ist meist die Medianlinie des Oberschenkels, sie
kann aber bis zum Ausläufer der Infraglutäalfalte verlängert werden.
A.-glutaealis-superior-Perforator-Lappen Die Breite der Hautspindel richtet sich nach der Elastizität der Ober-
(SGAP-Lappen) schenkelhaut. Bis 8–10 cm Breite lässt sich ein spannungsfreier pri-
Die Anwendung des myokutanen Glutäallappens durch Shaw in den märer Wundverschluss erzielen.
1980-er Jahren war durch die komplizierte Präparation und den Das dominante Gefäß für den M. gracilis entspringt aus der
kurzen Gefäßstiel technisch äußerst anspruchsvoll und mit erheb- A. und V. profunda femoris und besteht aus der A. circumflexa fe-
lichem Hebedefekt verbunden. Die Blutversorgung von Haut-/Fett- moris medialis.
gewebe über dem M. glutaeus maximus wird durch Perforansgefäße Den großen Vorteil dieser Lappenplastik bildet seine unauffäl-
gespeist, die der A. glutaealis superior und der A. glutaealis inferior lige Hebestelle. Die Präparation ist im Vergleich zu den Perforator-
entstammen und einen Durchmesser von 1–1,5 mm besitzen. Die lappen einfacher und schneller, die Durchblutung aufgrund der
A.-glutaealis-superior-Perforator-Lappenplastik (SGAP) beruht auf konstanten Anatomie und guten Kaliberstärke der Blutversorgung
Perforansgefäßen der A. glutaealis superior. Sie ist der myokutanen sehr zuverlässig. Nachteile sind das limitierte Volumen je nach Kör-
Version in folgenden Punkten überlegen: perbau zwischen 150 und 500 ml Gewebe pro Oberschenkelseite
4 Längerer Gefäßstiel mit vereinfachter Präparation und mikro- sowie der relativ kurze Gefäßstiel, der den Anschluss an die Vasa
chirurgischer Anastomose. mammaria interna notwendig macht.
4 Veneninterponate meist verzichtbar.
4 Muskelsparende Hebung des SGAP-Lappens, daher keine Funk-
tionausfälle bei Hüftextension und -rotation. 68.7 Wiederherstellung des Mamillen-
4 Bessere Modellierbarkeit als Glutäallappen mit Muskelkompo- Areola-Komplexes (MAK)
nente (aber schlechter als Unterbauchgewebe!).
4 Deutlich kürzere Erholungsphase A. Gohritz, K.H. Breuing
Die Menge des Fettgewebes über der superioren Glutäalregion ent- Die Rekonstruktion des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK) ver-
spricht meist gut der angestrebten Brustgröße. Die Hebestelle lässt vollständigt die Nachbildung der Brust nach der initialen Volumen-
sich in der Unterwäsche verbergen. Entstehende Konturdeformi- rekonstruktion und sekundären Formkorrektur und der Anglei-
täten sind meist moderat, bei Bedarf kann eine angleichende Lipo- chung der Brustform an die Gegenseite. Damit findet oft auch die
suktion durchgeführt werden. Nachteile sind die insgesamt an- gesamte Behandlung der Brustkrebserkrankung ihren Abschluss.
spruchsvollere Operationstechnik und die schlechtere Modellier Daher hat dieser Eingriff nicht nur eine wichtige optische Wirkung,
barkeit des septierten glutäalen Fettgewebes als Glutäallappen im sondern auch eine große psychologische Bedeutung.
Vergleich zur Eigengeweberekonstruktion aus dem Unterbauchge-
webe.
68.7.1 Indikationsstellung
Freier fasziokutaner Infraglutäallappen
(FCI-Lappen) Eine MAK-Rekonstruktion sollte jeder Patientin nach Brustrekon-
Der freie fasziokutane Infragutäallappen (FCI) beruht auf dem struktion angeboten werden. Der Zeitpunkt zur MAK-Rekonstruk-
R. descendens der A. glutaea inferior, die ein bis zu 600 cm3 mes- tion ist abhängig von der Art der Rekonstruktion, z. B. Sofort- oder
sendes Lappenvolumen sicher versorgen kann. Die Entnahmestelle Sekundärrekonstruktion. Meist wird jedoch empfohlen, einen Zeit-
liegt im Bereich der Infraglutäalfalte verborgen, durch die muskel- raum von 6–12 Monaten abzuwarten, bis ein stabiles Ergebnis der
sparende Entnahme wird eine Beeinträchtigung der Gesäßmuskula- Rekonstruktion hinsichtlich Form, Ptose und Projektion anzuneh-
tur vermieden. Präoperativ muss per Doppler-/Duplexsonographie men ist.
der Verlauf des R. descendens der A. glutaea inferior gesichert wer-
den, der in 15–20% der Fälle fehlen kann.
Vorteil gegenüber dem SGAP-Lappen ist der noch längere Lap- 68.7.2 Planung
penstiel. Zur Vermeidung von Seromen an der Spenderregion muss
nach Drainage-Entfernung für mindestens 6 Wochen eine maßan- Bei der präoperativen Planung ist die korrekte Lage des MAK, ins-
gefertigte Kompressionsmiederhose getragen werden. besondere die der Mamille, von größter Wichtigkeit. Eine asymme-
trisch positionierte Mamille kann den optischen Eindruck einer
Transversaler muskulokutaner Grazilislappen Brustrekonstruktion stark beeinträchtigen und dazu führen, dass die
(TMG-Lappen) Patientin mit dem Gesamtergebnis unzufrieden ist.
Der freie TMG-Lappen bietet ausreichend Gewebe, um kleine bis Die Bestimmung der neuen Mamillenposition sollte daher in
mittelgroße Brüste aufzubauen. Die ideale Patientin für diese relativ Ruhe und nicht erst im Operationssaal durchgeführt werden. Sie
644 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust
Transplantation der geteilten Mamille . Abb. 68.6 Rekonstruktion der Mamille mit »star flap«: Ein sternförmiges
der Gegenseite (»nipple sharing«) Hautmuster wird radiär umschnitten (a) und nach Deepithelisierung der
Zwischenräume (b) die 4 Sternstrahlen freipräpariert (c). Nach Mobilisie-
Diese Technik eignet sich für alle unilateralen Brustrekonstruk rung des zentralen Pfeilers (d) und Elevation desselben (d) werden die radi-
tionen bei nicht zu flacher Brustwarze der gesunden Seite. ären Strahlen heruntergeklappt und mit sich vernäht (5-0 Nylon) (e)
Technik
Auf der gesunden Seite wird die Brustwarze zunächst mit Kochsalz-
Lokalanästhetikum-Lösung (ohne Adrenalinzusatz!) aufgespritzt,
dann die Hälfte der Mamilla tangential oberhalb einer dünnen in
Mamillenmitte eingestochenen Kanüle mit dem Skalpell zur Trans-
plantation abgetrennt. Die Spendermamille wird mit Fettgaze ver-
sorgt, sie bildet sich in Form und Höhe meist fast komplett wieder
nach. Nach Entepithelialisierung der Mamillenposition auf der re-
konstruierten Brust wird die abgetrennte Mamilla auf diese Stelle
aufgebracht und mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert. Der Nip-
pel wird in seiner Position beim Verband durch einen Schaumstoff
für 5–7 Tage fixiert.
Das »nipple sharing« erfüllt das Rekonstruktionsprinzip »Glei
ches mit Gleichem«, die neu geschaffene Brustwarze ist der Gegen-
seite in Farbe und Textur sehr ähnlich. Die Technik ist außerdem
einfach und die initiale Anwachsrate hoch, meist wird eine langzeit-
beständige Projektion erreicht. Nachteil ist jedoch ein möglicher
Sensibilitätsverlust an der Spenderseite, über die jede Patientin vor
der Operation informiert werden muss.
68
Lokale Lappenplastiken
Bei allen Techniken zur Mamillenrekonstruktion mit lokalen Lap-
penplastiken soll eine Projektion durch eine zentrale Stützung von
subkutanem Fettgewebe erreicht werden. Die an unserer Klinik be-
. Abb. 68.7 Rekonstruktion der Mamille mit »skate flap«: Ein aus 2 ge
vorzugten Techniken sind der »star flap« und der »skate flap« dachten kreuzenden Ellipsen bestehendes sternförmiges Hautmuster wird
(. Abb. 68.6 und 68.7; . Abb. 68.8 zeigt den »fish tail flap«). umschnitten (a), wobei der vertikale Pfeiler subkutan mobilisiert und auf
gerichtet wird (b). Nach Herumklappen der freien seitlichen Hautzipfel (c)
Vollhaut- und andere Transplantate werden diese mit sich vernäht und zur Areolenrekonstruktion der deepithe-
Ein »nipple sharing« ist nicht immer möglich (z. B. beidseitigem Auf- lisierten Fläche ein freies Hauttransplantat aufgebracht (d)
bau): Lokale Lappenplastiken können zu einer starken Verziehung der
Brustform führen (z. B. nach periareolärer hautsparender Mastekto-
68.7 · Wiederherstellung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK)
645 68
transplantat vom Rand der Areole gehoben und um die rekonstru-
ierte Mamilla gelegt, sodass eine einzige zirkuläre Narbe entsteht.
Spalthauttransplantate von der Spenderareole und Techniken mit
spiralförmiger Narbenbildung wirken unnatürlich und sollten nicht
angewandt werden.
Als Alternative bleibt die Leistenregion zur Entnahme eines Voll-
hauttransplantats zur Areolenrekonstruktion. Häufig tritt jedoch eine
unberechenbare Depigmentation auf, die mittels Tätowierung korri-
giert werden muss. Daher verwenden wir am zweithäufigsten nach
der kontralateralen Areolahaut bei entsprechender Verkleinerung die
proximale Oberschenkelinnenseite, die ausreichend pigmentierte
Hauttransplantate bei unauffälliger Entnahmestelle bietet.
Eine alternative Lösung stellt die beidseitige Entnahme von dün-
nen Vollhauttransplantaten bei der oberen Blepharoplastik dar, die der
Patientin bei entsprechender Ptosis angeboten werden kann. Die Ober-
lidtransplantate werden vorsichtig ausgedünnt und dann als 2 Halb-
monde um die Mamille auf die Areola aufgenäht. Die leicht dunkle
Pigmentation der Oberlidhaut ist derjenigen der Areola oft recht ähn-
lich und verändert sich im Laufe der Zeit nur selten. Nachteile sind die
. Abb. 68.8 Rekonstruktion der Mamille mit »fish tail flap«: Aus einem
Schwellneigung bei ungenügender Entfettung und die geringe Gewe-
Fischschwanzflossen-ähnlichem Hautareal werden zwei gestielte Hautläpp- beausbeute, die nur zur einseitigen Rekonstruktion ausreicht.
chen geschnitten (a) und gegeneinander vernäht (b), wobei der zweite
Zipfel unter den ersten partiell deepithelisiert durchgezogen wird (c). Auch Aufbewahrung (»banking«) der Areola zur späteren Transplanta
hier wird analog die Areolafläche mit resorbierbarem (5-0) Faden rekonstru- tion. Das Areola-Banking ist einfach, aber onkologisch umstritten
iert (d). Diese kann entweder tätowiert oder mit Hauttransplantat aufge- und führt außerdem nicht selten zu Pigment- und Texturverlust. Es
baut werden wird daher kaum mehr angewandt.
mie). In diesen Fällen kann mit einem Vollhauttransplantat eine zen- 68.7.5 Komplikationen
trale Stütze von subkutanem Fettgewebe angehoben und gesichert und
so eine dauerhafte Mamillaprojektion erreicht werden. Es ist allerdings Mögliche Komplikationen sind Infektion, Epidermiolyse, teilweiser
von einem nicht unerheblichen Projektionsverlust auszugehen, sodass oder kompletter Gewebeverlust, narbige Verziehungen, Asymmetrie
eine initiale Überkorrektur von etwa 50% sinnvoll ist. und Depigmentation von Hauttransplantaten oder Verblassen nach
Andere Transplantate, wie z. B. Teilen der Schamlippe, Zehen- Tätowierung sowie Verlust der Nippelprojektion.
pulpa oder Ohrläppchen, werden aufgrund ihres starken Projektions
> Zur Kompensation der Gewebeschrumpfung empfiehlt
verlustes kaum mehr verwendet.
sich eine initiale Überkorrektur von 30–50%.
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X
Verbrennungsverletzungen
P. Kolokythas, M.C. Aust
Verbrennungsverletzungen
P. Kolokythas, M.C. Aust
Die Breite der Stasezone ist abhängig von der Durchblutung, der
Umgebungstemperatur und der Verbandanordnung. Hypothermie,
Hypotonie, Ödem und Austrocknung führen zu einer Vergrößerung
der Zone der Stase (7 unten).
> Chirurgische Zonen der Brandwunde:
4 Nekrose,
4 Stase,
4 Hyperämie.
Systemisch führt die thermische Einwirkung auf das Gewebe zu
mediatorinduziertem kapillarem Leck und damit generalisiertem
Austritt von Flüssigkeit (Ödem). Durch den Durchtritt onkotisch
wirksamer Plasmaproteine – insbesondere Albumin – kommt es a b
zur Aufhebung der Flüssigkeitsregulation im Kapillargebiet. Wesent
lich für die Rückresorption im venösen Teil des Kapillarstrom . Abb. 69.2 Schätzung der Flächenausdehnung von Brandverletzungen
(Neunerregel nach Wallace)
69 gebietes ist der kolloidosmotische Druck, bei dessen Wegfall ein
Übergewicht nach extravasal durch den hydrostatischen Druck des
Blutstroms resultiert. Das Kapillarleck schließt sich spontan nach
24–36 h. tigkeit). Nach Abtragen der evtl. vorhandenen Hautblasen, Reini-
Die richtige Einschätzung des Ausmaßes der Brandverletzung gung und Rasur der Körperhaare erfolgen die Bestimmung der
ist Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung Schwerbrand Ausdehnung (. Abb. 69.2) sowie die Einschätzung der Verbren-
verletzter. Diese Einschätzung kann nur am vollständig entkleide nungstiefe.
ten Patienten korrekt erfolgen. Brandverletztenzentren verfügen
daher über einen klimatisierten Schockraum mit Duschmöglich- > Ausdehnung und Tiefe definieren das Ausmaß der Ver-
keit (Aufnahmebad: bis 37°C heizbar bei 70% relativer Luftfeuch- brennung
69.1 · Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik
651 69
69.1.1 Ausdehnung
69.1.2 Verbrennungstiefe
Grad 1
Die vermehrte Vasodilatation führt zu Erythem und Ödem
(. Abb. 69.3). Gelegentlich kommt es in der Folge zu intraepiderma-
ler Epitheliolyse, die nach einer kurzen Phase der Schuppung in
längstens 7 Tagen narbenfrei abheilt. Infolge lokaler Mediatorfrei
setzung kommt es zu deutlich gesteigerter Nozizeptorenaktivität.
Neben einem mäßigen Dauerschmerz ist die starke Hyperästhesie,
z. B. auf Kleidung, charakteristisch. . Abb. 69.3 Brandverletzung Grad 1
. Tab. 69.1 Schätzung der Flächenausdehnung von Brandverletzungen (nach Ergänzungsblatt der gewerblichen Berufsgenossenschaften)
Lokalisation/Alter <1 Jahr 1–4 Jahre 5–9 Jahre 10–14 Jahre 15 Jahre Erwachsene
Kopf 19 17 13 11 9 7
Hals 2 2 2 2 2 2
Rumpf vorn 13 13 13 13 13 13
Rumpf hinten 13 13 13 13 13 13
Genitale 1 1 1 1 1 1
Oberarm rechts 4 4 4 4 4 4
Oberarm links 4 4 4 4 4 4
Unterarm rechts 3 3 3 3 3 3
Unterarm links 3 3 3 3 3 3
Grad 2a
Die Epidermis und oberflächliche Anteile der Dermis werden zer-
stört). Blasen entstehen durch seröse Exsudation aus hitzegeschä-
digten Gefäßen im Bereich der dermoepidermalen Verbindungen
(. Abb. 69.4). Osmotisch wirksame Plasmabestandteile und Zelldé-
bris im Blasenexsudat bewirken im zeitlichen Verlauf eine flächen-
hafte Größenzunahme der Blase durch Konfluieren.
Die Reepithelisierung erfolgt aus den erhaltenen Basalzellen der
Hautanhangsgebilde (Haarfollikel, Schweiß- und Talgdrüsenausfüh-
rungsgänge) und ist, je nach Alter des Patienten und Verbandanord-
nung, in 10–14 Tagen abgeschlossen. Die Areale heilen in diesem
Zeitraum narbenfrei ab.
Freiliegende, vitale Schmerzrezeptoren und freigesetzte Schmerz
mediatoren verursachen heftigen Nozizeptorschmerz.
Grad 2b
Zusätzlich zur Zerstörung der Epidermis kommt es zum weitgehen-
den Verlust der Dermis (. Abb. 69.5). Nur wenige Basalzellen der
Hautanhangsgebilde bleiben erhalten. Nozizeptoren werden zum
großen Teil ebenfalls zerstört.
Die Reepithelisierung ist deutlich verzögert, starke Fibroblasten- . Abb. 69.6 Brandverletzung Grad 3. Bereits durchgeführte Entlastungs
aktivität mit Ablagerung von Kollagen und übermäßiger Angioneo- inzisionen bei zirkulären Verbrennungen
genese führen zu hypertrophen Narben. Die Schmerzintensität ist
sehr variabel. Im Verlauf der Heilung kann es durch insuffiziente erfolgen immer unter hypertropher, oft kontrakter Narbenbildung.
Reparaturversuche des Nervensystems zu neuropathischen Schmer- Daher ist ein Débridement mit nachfolgender Defektdeckung nötig.
zen kommen. Langfristig besteht die Tendenz zu Juckreiz. In débridierten Arealen kann infolge insuffizienter Nervenregenera-
Durch Entfernung der geschädigten Hautanteile und Hauttrans- tion ebenfalls neuropathischer Schmerz ausgelöst werden. Langfris
plantation kann der oben beschriebene Verlauf deutlich gemildert tiger Juckreiz als Spätfolge ist häufig.
69 werden, daher besteht Operationsindikation.
Einschätzung der Verbrennungstiefe
Grad 3 . Abb. 69.7 zeigt die Hautschädigung der Verbrennungsgrade im
Das Ausmaß der Schädigung beinhaltet eine vollständige Zerstö- Überblick.
rung aller Hautschichten und ggf. der darunterliegenden Gewebe Die klinisch-visuelle Einschätzung der Verbrennungstiefe erfor-
(. Abb. 69.6). Ebenso sind sämtliche Nervenstrukturen zerstört, die dert viel Erfahrung. Regelmäßig ist das korrekte Ausmaß der Ver
Wunde ist zunächst schmerzfrei. letzung nur aus dem Verlauf zu stellen. Daher wurde immer wieder
Sehr kleine Areale heilen durch Kontraktion und Reepithelisie- der Versuch unternommen, diese Einschätzung zu objektivieren:
rung vom Wundrand aus unter Narbenbildung ab. Größere Areale Optische Systeme wie Laser-Doppler oder Multispektralanalyse sind
können unbehandelt zu Sepsis und Tod führen. Spontane Heilungen erprobt, finden jedoch keine breite Anwendung. Durch routinemä-
69.1 · Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik
653 69
ßigen, breiten Einsatz solcher Systeme in naher Zukunft ist eine zu- (. Tab. 69.3). Die oben beschriebene Endstrecke der Hautschädi-
nehmend geringere Fehlerquote in der Tiefenbestimmung zu erwar- gung ist dabei im Wesentlichen dieselbe.
ten; zusätzlich sind die erhobenen Daten digitalisierbar, erleichtern Daraus ergeben sich für die Therapie einige relevante Besonder-
die Dokumentation und ermöglichen Telekonsulting. heiten:
Verbrühung
69.1.3 Verletzungsschwere Diese Verletzungen (. Abb. 69.8) werden initial überwiegend un
terschätzt – aufmerksame Verlaufskontrolle und rechtzeitige Opera-
Um die Schwere der Verletzung einschätzen zu können, werden Aus- tionsindikation sind daher notwendig.
maß der Verbrennung, Begleitverletzungen und Inhalations- oder
Ingestionstraumata sowie Vorerkrankungen zum Alter und ggf. Ge- Verätzung
schlecht der Patienten in Relation gesetzt: Säureverätzungen sind meist Koagulationsnekrosen, Laugenverät-
Der Verbrennungsindex nach Baux erlaubt eine rasche, erste zungen Koliquationsnekrosen. Letztere können im frühen Verlauf
Einschätzung der Prognose: tiefer werden, wenn sie nicht sofort neutralisiert werden.
4 Alter des Patienten + VKOF = Sterbewahrscheinlichkeit 4 Flusssäure kann bereits in geringen Mengen zu systemischen
Muskel- und Knochennekrosen sowie vital bedrohender Hyper-
Eine genauere Einschätzung gelingt mit dem Abbreviated Burn kalzämie führen. Die Standardbehandlung besteht in lokalem
Severity Index (ABSI; . Tab. 69.2) nach Tobiasen. Umspritzen des betroffenen Areals mit Kalziumglukonat und
Die nackten Zahlen dieser Indizes entheben das Verbrennung- intraarterieller Injektion in die verletzte Extremität.
steam nicht von der Verpflichtung der individuellen Entscheidung 4 Weißer Phosphor entzündet sich auch bei Raumtemperatur (ca.
über die weitere Therapie. Da es sich um Wahrscheinlichkeiten 34°C). Stetige Spülung mit Wasser und Neutralisation mit 0,5%
handelt, muss immer abgewogen werden, ob in Anbetracht der Ver- Kupfersulfat ist die Therapie der Wahl.
letzung, Vorerkrankung und Vorgeschichte sowie des sozialen Um- 4 Phenol und Kresol wird mit Polyethylenglykol-Lösung (PEG-
feldes eine ausreichende Überlebenschance besteht oder ob nur eine 300 zu Ethanol im Verhältnis 2:1) lokal neutralisiert. Spülung
unnötige Leidenszeit mit infauster Prognose zu erwarten ist. Es sollte mit Wasser oder wässrigen Lösungen ist unwirksam. Eine auf-
im Team stets ein Konsens gefunden werden, um Motivations tretende Azidose wird mit Natriumbikarbonat behandelt. Ein
problemen und Frustrationen entgegenzuwirken. Nierenversagen ist häufig.
4 Schwefelsäure (farb- und geruchlos) wird bei Neutralisations-
versuch mit Wasser heiß – daher sollte man reichlich kaltes Was-
69.1.4 Weitere Verletzungen ser (15–20°C) verwenden.
Variable Punkte
Mann 0
Frau 1
Alter
0–20 1
21–40 2
41–60 3
61–80 4
Verbrennung 3. Grades 1
Schwere Nebenerkrankung Je 1 Punkt . Tab. 69.3 Verletzungsmuster mit Hautschädigungen, die denen
bei Flammenverbrennung entsprechen
% VKOF
91–100 10
Auswertung: Bei mäßiger Myoglobinämie sollte der Harn mittels oraler Gabe von
Gesamtpunktzahl Sterbewahrscheinlichkeit Kaliumnatriumhydrogencitrat oder intravenöser Gabe von Natrium
bikarbonat alkalisiert werden, um Schädigungen der Nierentubuli
2–3 <1%
durch ausfallendes Myoglobin zu verhindern. Massive Myoglobin-
4–5 >2% werte führen zu Anurie und Nierenversagen, hier ist der frühzeitige
6–7 10–20% Einsatz einer Hämofiltration oder Dialyse notwendig (. Abb. 69.9).
. Abb. 69.9 Hochvoltelektrotrauma mit Hämoglobinurie durch Muskel . Abb. 69.10 Hautläsionen bei toxisch-epidermaler Nekrolyse (TEN)
nekrose
III Blasse Schleimhaut aufgrund von Nekrose, nicht selten 69.2 Intensivmedizinische Therapie
gesunder Schleimhaut ähnelnd
Volumenmangelschock, Schmerzen, Organdysfunktion und wieder-
holte Operationen erfordern eine intensivmedizinische Betreuung
des Schwerbrandverletzten. Bewährt hat sich eine Kooperation zwi-
Ruß im Tracheobronchialsystem ist jedoch nicht beweisend für schen erfahrenen Plastischen Chirurgen und spezialisierten Inten-
ein Inhalationstrauma, er sollte jedoch so gründlich wie möglich sivmedizinern.
entfernt werden. Betroffen sind meist nur die oberen Atemwege;
lediglich bei längerer Dampfexposition kann es durch die verbes- Ausstattung
serte Wärmeleitfähigkeit zu einer direkten Hitzeschädigung der Die Intensivstation sollte die in der . Übersicht gelistete Ausstattung
Alveolen kommen. besitzen.
Ein toxisches IHT manifestiert sich im Verlauf der ersten Tage,
hier sind indirekte Zeichen wie Stridor, Atemnot, pathologische
Ausstattung der Intensivstation gemäß den Leitlinien
Blutgasanalyse oder beim beatmeten Patienten eine Verschlechte-
der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin
rung der Beatmungsparameter durch alveoläres Ödem richtungwei-
send. Die initiale Bronchoskopie ist oft unauffällig, tägliche bron- 4 Heizbarer Aufnahme- und Schockraum (sog. »Verbren-
choskopische Kontrollen sind hilfreich. Dabei kann gleichzeitig die nungs-« oder »Aufnahmebad«) mit Vorhalten aller Geräte für
bei beiden Formen stets gestörte mukoziliäre Clearance durch eine Reanimation oder sofortige Intensivtherapie (Beatmungs-
bronchoskopische Bronchialtoilette ersetzt werden. Auch Atelekta- gerät, Pulsoxymeter, hämodynamische Überwachung, Bron-
sen durch Fibrinausgüsse der Bronchien können so wirksam behan- choskopie, Ultraschall, Verbrennungsbad; . Abb. 69.11)
delt werden. Aufgrund der geschädigten Schleimhaut sollte dies je- und direkt angegliedert
doch erfahrenen Untersuchern vorbehalten bleiben. 4 Intensivüberwachungs- und Behandlungseinheit mit min-
destens 4 Betten mit Einzelzimmern (. Abb. 69.12) und der
Möglichkeit maximaler Intensivtherapie
4 Chirurgischer Behandlungs-/Verbandraum mit der Möglich-
keit der Hydrotherapie
4 Operationseinheit innerhalb der Brandverletztenstation mit
täglicher Operationsmöglichkeit
4 Personenschleuse, Material- und Bettenschleuse
4 Möglichkeit der kontinuierlichen bakteriologischen Über-
wachung
4 Einrichtung zur kontinuierlichen Hämofiltration bzw.
Dialyse
4 Fotodokumentation
der Nierentubuli deutlich ansteigt. In der Abwägung zwischen dro- (Blutdruck, Puls, Schmerzmimik, -gestik) analgetisch therapiert
hendem Nierenversagen und schädlicher Wirkung der persistieren werden.
den Ödeme durch Verzögerung der Operationsfähigkeit und da-
durch verspäteter Elimination der toxinbildenden Wundflächen ist Analgesie im Krankenhaus
jedoch die kurzfristige Gabe von Schleifendiuretika oft notwendig. Nach der Erstversorgung im Verbrennungsbad kann eine grobe Ein-
schätzung der Verbrennungstiefe und damit eine Abschätzung der
zu erwartenden Schmerzintensität erfolgen.
69.2.2 Beatmungstherapie
Leichte Brandverletzung
Ein weiterer spezifischer Aspekt der Intensivmedizin Schwerbrand- Hier ist eine orale Analgetikagabe mit Nichtopioiden oft ausreichend
verletzter ist die maschinelle Beatmung: und wird bei Bedarf ergänzt durch schwache Opioide nach WHO-
Die hohe Frequenz an Operationen (Débridement und Wund- Stufenschema. Zusätzlich bewirkt eine okklusive Verbandtechnik
verschluss durch Hauttransplantation) und die personalintensive eine direkte Schmerzreduktion durch Abdeckung freiliegender Ner-
operative und intensivmedizinische Therapie machen es notwendig, venendigungen und eine indirekte durch Verlängerung der Ver-
die Planung der Beatmungs- und Entwöhnungsphasen an die Ope- bandwechselintervalle.
rationszeitpunkte anzupassen.
Bei Vorliegen eines Inhalationstraumas ist die Indikation zur Mittelschwere Brandverletzung
Tracheostomaanlage großzügig zu stellen. Dies kann perkutan Bewährt haben sich eine Analgesie mit Opioiden i.v., vorzugsweise
durch Dilatationstracheostoma oder klassisch als mukokutanes, plas über PCA-Pumpe, kombiniert mit Nichtopioiden, sowie tiefenadap-
tisches Tracheostoma erfolgen. Bei zeitlich verzögerter Durchfüh- tierte Wundbehandlung.
rung ist dem letzteren Verfahren aufgrund der massiven Ödeme der
Vorzug zu geben. Schwere Brandverletzung
Die Tracheostomie erleichtert auch, neben der Entwöhnung der Fortführung der Analgosedierung (starkes Opioid kombiniert mit
maschinellen Beatmung, die in vielen Fällen notwendige, häufige Benzodiazepin) und der maschinellen Beatmung. Die Steuerung
bronchoskopische Bronchialtoilette. der Sedierung erfolgt nach dem Ramsay-Score. Bei länger dauern
Ist die vordere Halsregion mit geschädigt, bietet sich die nasotra- der Analgosedierung wird aufgrund der Tachyphylaxie im Verlauf
cheale Intubation als Alternative an: Die Rate an typischen Neben- ein Wechsel der Substanzen notwendig. Hier kommen dann u. a.
wirkungen (Drucknekrosen im Nasenbereich, Nasennebenhöhlen- Ketamin, Propofol, Clonidin, in Ausnahmefällen Barbiturate und
infektionen) ist vergleichsweise gering. Das geschädigte Halsareal Neuroleptika zum Einsatz. In hartnäckigen Fällen ist nur die Gabe
kann frühzeitig operativ behandelt werden, und die Anlage des Tra- volatiler Anästhetika wirksam. Bei Manipulationen (Verbandwech-
cheostomas ist dadurch noch rechtzeitig möglich. sel, Physiotherapie) sind zusätzliche, rechtzeitige Bolusgaben eines
Ist ein Inhalationstrauma ausgeschlossen, kann die Entwöhnung stark wirksamen Opioids angezeigt, alternativ kommt hier eine
vom Respirator rasch erfolgen. Eine Spontanatmung mit nasotra- Kurznarkose in Frage, sofern die technischen Voraussetzungen be-
chealer Intubation oder mit Trachealkanüle wird oft besser toleriert stehen.
als wiederholte Intubationen bei notwendigen Narkosen für schmerz
hafte Verbandwechsel oder Operationen. Nach Abschluss der Wundheilung
Hier stehen neuropathische Schmerzen und v. a. Juckreiz im Vorder-
grund. Gelegentlich treten muskuloskelettale Nozizeptorschmerzen
69.2.3 Schmerztherapie und Sedierung aufgrund von Fehlbelastungen oder Amputationen auf.
Notwendig ist ein multimodales Schmerzkonzept unter Einbe-
Erstmaßnahme am Unfallort ziehung eines erfahrenen Schmerztherapeuten. Ergänzt wird das
Als bewährte Erstmaßnahme gilt, nach Beseitigung der Hitzequelle, Behandlungsteam um Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psy-
die sofortige Kaltwassertherapie. Dadurch können noch marginal chotherapeuten und Orthopädiemechaniker. Eine suffiziente Kom-
vitale Gewebeareale unter die kritische Temperatur von 52 °C ge- pressionstherapie kann zu massiver Reduktion insbesondere der
bracht werden. Die analgetische Wirkung ist ein hoch geschätzter Juckreizproblematik beitragen.
Nebeneffekt. Die Dauer der Kaltwasserbehandlung richtet sich nach
dem Ausmaß der Brandverletzung und sollte 20 min nicht über-
schreiten, um eine Unterkühlung zu vermeiden. 69.3 Prinzipien der Therapie
Nach dem Eintreffen der professionellen Helfer muss die Kalt- in der Akutsituation
wassertherapie beendet werden. Nach Einschätzung der Verbren-
nungstiefe erfolgt ein stadienabhängiges Vorgehen: 69.3.1 Therapieziele
Patienten mit oberflächlichen Verletzungen verspüren Dauer-
69 schmerzen sehr großer Intensität, verstärkt durch Berührung und
Bewegung des verletzten Areals. Patienten mit tiefen Verletzungen
Nach Ankunft der Patienten im Brandverletztenzentrum erfolgt zu-
nächst die standardisierte Aufnahmeprozedur. Sie beinhaltet
nehmen in den ersten Stunden sehr wenig bis gar keine Schmerzen 4 die Körperreinigung und Rasur,
wahr. 4 die Einschätzung des Ausmaßes der Brandverletzungen und
Wache Patienten werden mit i.v.-Bolusgaben eines Opioids aus 4 die Fotodokumentation.
der Hand, je nach Schmerzangabe und Vigilanz, behandelt, anschlie-
ßend mit Bolusgaben, Perfusor oder PCA-Pumpe (»patient control- Bei zirkulären Brandverletzungen kommt es in wenigen Stunden
led analgesia«). durch Ödem und fehlende Dehnbarkeit der Haut zu Zirkulationsstö-
Intubierte Patienten können mit Bolusgaben, ggf. Perfusor rungen an den Extremitäten. Diagnostisch hilfreich ist dabei die
(Opioid oder Ketamin), in Abhängigkeit von vegetativen Zeichen Pulsoxymetrie, sofern das Hautkolorit aufgrund der Schädigung
69.3 · Prinzipien der Therapie in der Akutsituation
659 69
zung ist Steinschnittlage, seltener Heidelberger Lagerung nötig. Bei durchbluteter Wundgrund erreicht wird (. Abb. 69.16). Blutpunkte
der Lagerung müssen die Spalthautentnahmeareale stets mitberück- im Abstand von 1 mm kennzeichnen die korrekte Tiefe. Die Blutstil-
sichtigt werden. lung erfolgt durch das Auflegen heißer Kompressen oder Tücher,
Elektrokoagulation ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die ef-
Instrumentarium fektivste Blutstillung ist die umgehende autologe Spalthauttrans-
Das im OP eines Brandverletztenzentrums benötigte Instrumenta- plantation.
rium zeigt . Abb. 69.15.
Chirurgische Therapie drittgradiger Brand
Chirurgische Therapie tief zweitgradiger verletzungen – epifasziale Nekrektomie
Brandverletzungen – tangentiale Exzision Die Schädigung des gesamten Koriums macht zusätzlich zu seiner
Bei 2b-Verletzungen sind noch Anteile des Koriums vital. Die Entfernung auch eine Resektion des darunter liegenden, subkutanen
schichtweise Abtragung der Nekrosen erfolgt so lange, bis ein gut Fettgewebes notwendig. Eine Spalthauttransplantation auf Fettgewe-
662 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen
Spalthautgewinnung
Die Entnahme der Spalthaut erfolgt zweckmäßigerweise mit dem
Dermatom (druckluft- oder akkugetrieben; . Abb. 69.18). Je nach zur
Verfügung stehenden Entnahmearealen und Bedarf wird die gewon-
nene Spalthaut durch Umwandlung in ein Maschentransplantat
(»mesh-graft«) expandiert. Das zu transplantierende Areal ist dann
größer als das Entnahmeareal, Blut und Wundsekret können zwischen
den Maschen abfließen. Es kann ein Maschenverhältnis von 1:1,5 bis
1:6 gewählt werden. Aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit bevorzugen
wir bei großen Flächen sog. Endlos-Meshgeräte (1:2 oder 1:4), bei
kleineren Arealen sind sog. Platten-Meshgeräte (1:1,5, 1:3) verbreitet.
Bei großflächigen Brandverletzungen stehen oft nur wenige
Spenderflächen zur Verfügung. Hier hat sich die Sandwichtechnik
nach Alexander bewährt, bei der weit gemeshte Spalthaut (1:6) zu-
sätzlich mit Fremdhaut bedeckt wird, um die sonst regelhafte Bil-
. Abb. 69.18 Spalthautentnahme dung von Granulationsgewebe zwischen den Maschen zu verhin-
69 dern. Vor allem bei großflächigen Verletzungen des Rückens ist
dieses Verfahren unser Standard. Durch die zwangsläufig in Rücken-
be ist nur in Ausnahmefällen erfolgreich (z. B. im Bereich der Mam- lage nahezu permanent bestehende Kompression erzielt man ein
ma oder bei Kindern). Die nächste gut vaskularisierte Schicht ist sehr gutes Ergebnis ohne hypertrophe Narbenbildung.
die Muskelfaszie, sofern das lockere, von Gefäßen durchzogene epi- Eine weitere Alternative zur Expansion ist das MEEK-Verfahren,
fasziale Bindegewebe vital ist und geschont werden kann. Daher bei dem die gewonnene Spalthaut in zwei Dimensionen expandiert
wird bei drittgradigen Verletzungen die geschädigte Haut mitsamt wird (. Abb. 69.19).
der Subkutis im Sinne einer epifaszialen Nekrektomie débridiert Als Spenderareal der 1. Wahl gilt für Kinder die behaarte Kopf-
(. Abb. 69.17). Bei jungen Patienten kann gelegentlich auf die sub- haut. Die Vorteile sind die extrem schnelle Regeneration aufgrund
kutane Fettgewebsfaszie (Scarpa-Faszie) transplantiert werden. der maximalen Dichte an Hautanhangsgebilden, die einzigartige
69.3 · Prinzipien der Therapie in der Akutsituation
663 69
Möglichkeit der Mehrfachentnahme (bis zu 3-mal) und die Tatsache, Meinung nach jedoch inakzeptabel. Ein einzeitiges Vorgehen ist
dass das Spenderareal durch die nachwachsenden Haare unsichtbar hierbei zu favorisieren.
wird. Nachteilig sind dagegen die eher schmalen Transplantate und Matriderm ist eine dreidimensionale Matrix aus nativ struktu-
die Tatsache, dass die Haut des Schädels vor der Entnahme mit NaCl- riertem, bovinem Kollagen der Typen 1, 3 und 5, welches mit Elas
Lösung unterspritzt werden muss. Am häufigsten wird daher beim tin-Hydrolysat versetzt ist. Die Matrix wird in wenigen Wochen zu
Erwachsenen, nicht zuletzt wegen des hier größeren Flächenbedarfs, körpereigenem (humanem) Kollagen ungebaut. Das Produkt wird in
der unverletzte Oberschenkel oder Rücken als Spenderareal genutzt. Schichtdicken von 0,5 mm, 1 mm und 2 mm, jeweils in den Größen
Die Fixierung der Spalthauttransplantate erfolgt aus Gründen DIN A6 und DIN A4 vertrieben. Die einzeitige Anwendung (Matrix
der Praktikabilität und Zeitersparnis mit Klammernahtgeräten. plus Spalthaut) ist bei den dünneren Varianten unproblematisch, die
Diese können sparsam eingesetzt werden, da die Transplantate 2-mm-Matrix sollte, aufgrund der verlängerten Diffusionsstrecke,
auf einem ausreichend débridierten Wundgrund gut haften. Einige mit einem Vakuumverband kombiniert werden. Sie bietet Vorteile in
Zentren verzichten sogar zur Gänze auf den Einsatz von Hautklam- puncto Elastizität und Narbenqualität. Tierexperimentell konnte
mern. Bei Transplantation über Gelenken hat sich eine Schienen auch eine ästhetische Verbesserung des Aspektes des Maschenmu-
ruhigstellung für 5 bis maximal 7 Tage bewährt. sters belegt werden. Nachteile betreffen lediglich die Handhabung
der Spalthaut im OP. Die Einheilungsrate ist nicht signifikant ver-
Hautersatzmaterialien schlechtert.
Je nach Lokalisation, Verbrennungstiefe und Verlauf ist die alleinige, Bei großflächigen Brandverletzungen (>70%) kommen in sel-
autologe Spalthauttransplantation jedoch mit Nachteilen in punkto tenen Fällen Keratinozytenkulturen (Epicell) zum Einsatz. Dabei
Funktion und Ästhetik behaftet: So führt sie stets zu mehr oder we- werden körpereigene Keratinozyten des Patienten aus einer kleinen
niger auffälligen, oft zu hypertrophen oder kontrakten Narben. Im Vollhautbiopsie isoliert und in wenigen Wochen unter sterilen Kau-
Gesicht hat dies Entstellung und Stigmatisierung zur Folge, an den telen im Labor vermehrt. Die so gewonnenen, nur wenige Zelllagen
Extremitäten Bewegungseinschränkung. Die alleinige Spalthaut- dicken Transplantate können dann auf die Wunden aufgelegt wer-
transplantation auf epifaszial nekrektomierte Areale nach dritt den. Das Verfahren ist aufwendig und sehr teuer, die Entwicklung
gradigen Brandverletzungen hinterlässt in der Regel starre Narben- stark hypertropher Narben ist regelhaft. Die Einheilungsrate liegt bei
platten, ebenfalls mit deutlichen funktionellen und ästhetischen ca. 60%. Daher wird die Indikation nur sehr zurückhaltend gestellt.
Defiziten. Bei kleineren Flächen ist die Anwendung des ReCell-Kit mög-
Bei grenzwertigen, tief zweitgradigen, mehr noch bei drittgradi- lich; dabei erfolgt lediglich eine Isolation der Epidermiszellen
gen Brandverletzungen kann durch den Einsatz von Hautersatz (Keratinozyten und Melanozyten) ohne Kultivierung intraopera
materialien, sog. Dermisäquivalenten, eine Verbesserung der Wi- tiv im Bedside-Verfahren und umgehende Replantation auf den
derstandsfähigkeit, Geschmeidigkeit, Temperaturregulation und der débridierten Wundgrund. Um einen passenden Farbton oder eine
Sensibilität der Haut erzielt werden. Der Einsatz von Dermisersatz- der ursprünglichen Haut ähnliche Textur zu erreichen, wählt man
material war mit den bisher kommerziell erhältlichen Produkten die Biopsie aus der unmittelbaren Umgebung oder kontralateralen
logistisch aufwendig, teuer und mit einer relativ hohen Komplika Region.
tionsrate behaftet. Das bisher am weitesten verbreitet Material Alternativ ist die Transplantation allogener Keratinozyten aus
war eine dreidimensionale, silikonbeschichtete Kollagenmatrix einer Hautbank möglich; sie dienen als biologischer Verband und
(Integra), die innerhalb von 3–4 Wochen vaskularisiert und all beschleunigen die Regeneration noch vorhandener Basalzellen oder
mählich von körpereigenem Kollagen ersetzt wurde. In einem zwei- weit expandierter Maschen- oder MEEK-Transplantate.
ten Schritt erfolgte dann die endgültige Defektdeckung durch Die Wundabdeckung mit Fremd- oder Kunsthaut (Leichen-,
Transplantation ultradünner, autologer Spalthaut. Schweinehaut, Biobrane, Suprathel, Epigard) kann helfen, die Wund-
Vertretbar ist die Anwendung von Integra bei großflächigen heilung zu unterstützen oder die Phasen zwischen Débridement und
Brandverletzungen und verhältnismäßig geringer Spalthautspen- definitiver Transplantation zu überbrücken.
derfläche, da ohnehin auf das »Nachwachsen« der Spenderareale Eine Übersicht über die Hautersatzmaterialien zeigt . Tab. 69.5,
gewartet werden muss. Eine Wartezeit von 3 Wochen auf die endgül- die Akuttherapie des Brandverletzten ist im Überblick dargestellt in
tige Spalthauttransplantation bei kleineren Wundflächen ist unserer . Abb. 69.20.
. Tab. 69.5 Einteilung der gebräuchlichsten Hautersatzmaterialien hinsichtlich der Herstellung, Anwendung und des Hautanteils, der ersetzt
werden soll
Temporär Permanent
Biologisch Allogene HK Allogene FH, xeno Epicell, ReCell Integra, Matriderm, Apligraf
gene FH, Amnion AlloDerm
. Abb. 69.20 Handlungsalgorithmus Akuttherapie des Brandverletzten (ITN=Intubationsnarkose, IMC=»intermediate care unit«)
69.3.5 Postoperative Behandlung und Nachsorge und intensive Hautpflege helfen, die Reepithelisierungszeit zu ver-
kürzen und Wundheilungsstörungen und Komplikationen zu mini-
Die postoperative Wundehandlung ist in den Verbrennungszentren mieren. Diese Behandlung ist jedoch zeit- und personalintensiv,
meist standardisiert. darüber hinaus erfordert sie viel Erfahrung.
Die Verbandanordnung der transplantierten Areale muss in der Die Hautklammern können an den Händen und Fingern nach
69 Lage sein, Scherkräfte zu vermeiden und Druckbelastung zu ver
ringern, um die anfangs empfindlichen Transplantate nicht zu ge-
5 Tagen, an allen weiteren Lokalisationen nach 7–10 Tagen ent-
fernt werden. Das erleichtert die Durchführung der Frühmobili
fährden. Auflagen aus Schaumstoff haben sich ebenso bewährt wie sation, die ab dieser Zeit beginnen muss, um Bewegungseinschrän-
der Einsatz entsprechender Therapiebetten mit pneumatischen kung durch Immobilisation zu verhüten. Eine intensive physio- und
Wechseldrucksystemen. ergotherapeutische Behandlung schließt sich an. Diese muss gleich-
Die Wundauflage auf den Hauttransplantaten verbleibt in der zeitig vorsichtig und unter Sichtkontrolle der Transplantate erfolgen,
Regel 5 Tage, dann erfolgt der erste Verbandwechsel. Abhängig vom um gefährliche Scherkräfte und Druckschädigungen zu vermeiden.
Zustand der Transplantate und Wunden werden die weiteren Ver- Nach vollständiger Epithelisierung können die transplantierten
bandwechselintervalle geplant. Regelmäßige, intensive Wundreini- Areale ohne Wundauflage verbleiben; sie bedürfen jedoch der kon-
gung, penible Abtragung von Krusten und Belägen, Balneotherapie sequenten Pflege mit fetthaltigen Externa, da die Hautanhangsgebil-
69.4 · Prinzipien der Rekonstruktion
665 69
de und damit der Eigenschutz der Haut fehlen. Scherkräfte sollten 69.3.6 Komplikationen
für den Zeitraum von 3–6 Monaten vermieden werden, bis die
Hornschicht widerstandfähig genug ausgebildet ist. Der Schwerbrandverletzte ist zusätzlich zu der Schwere seiner Ver-
Eine konsequente Kompressionstherapie muss nach vollständi letzung durch Komplikationen bedroht.
gem Wundverschluss erfolgen. Die Kompression führt zu einer be- In erster Linie besteht durch die zerstörte Hautbarriere die Ge-
absichtigten Minderdurchblutung im Narbenareal und damit zu fahr einer Wundinfektion und Sepsis. Dabei ist die Kolonisierung
einem geringeren Einsprossen von Myofibroblasten. Die Narbenbil- der Wunden ab einer Ausdehnung von 30% als regelhaft anzusehen.
dung kann dadurch wirksam verringert werden. Die Kompressions- Das Hauptaugenmerk sollte darauf gerichtet sein, eine Keiminvasion
behandlung sollte durchgeführt werden, solange die Narbe aktiv ist, zu verhindern und die Entwicklung multiresistenter Keine zu verhü-
das ist in der Regel ein Zeitraum von 12–18 Monaten, kann aber auch ten. Auch die systemischen Reaktionen auf die Verletzung (SIRS)
bis zu 36 Monate andauern. tragen einen wesentlichen Teil dazu bei.
Die regelmäßige Kontrolle des Heilungsverlaufes hilft, Narben- Kardiovaskuläre Störungen wie Herzinsuffizienz sind oft medi-
kontrakturen und daraus resultierende funktionelle Defizite recht- atorinduziert. Pulmonale Insuffizienz trifft man nicht nur bei Inha-
zeitig zu erkennen. Konservative Maßnahmen wie Silikonpflaster, lationstraumata an, sondern auch, selten, im Rahmen eines ARDS
Narbenmassage, Physiotherapie und Quengel-Behandlung können oder als Folge mechanischer Erschöpfung bei Thoraxverbrennung.
die Notwendigkeit operativer Korrekturen reduzieren oder, sind sol- Als Folge des Volumenmangels droht ein akutes Nierenversa-
che unumgänglich, deren Erfolgsaussichten erhöhen. Dazu gehören gen. Auch die verordneten Medikamente (Antibiotika, Diuretika)
Kontrakturauflösungen, Narbenresektionen, Vollhauttransplantatio können zu medikamentös-toxischem Nierenversagen führen. Elek-
nen oder plastisch-chirurgische Rekonstruktionen durch gestielte trolytimbalancen werden nahezu regelhaft beobachtet und sind
oder freie mikrovaskuläre Lappenplastiken. Folge der massiven Volumenverschiebungen in den ersten 48–72 h.
Idealerweise schließt sich an eine Akutbehandlung eines Schwer- Metabolische Störungen können ebenfalls als mediatorindu-
brandverletzten eine differenzierte Rehabilitation an: Die Schwer- ziert angesehen werden. Gastrointestinale Störungen sind häufig
punkte sollten dabei sowohl in der medizinisch-funktionellen Be- bei verspäteter enteraler Ernährung, Sepsis oder unter Gabe vasoak-
handlung liegen wie auch in der sozialen und beruflichen Reintegra- tiver Substanzen oder nach Opioidgabe anzutreffen.
tion. Eine psychologische Betreuung sollte selbstverständlich sein Gerinnungsstörungen treten bei langen Operationen oder
(. Übersicht). ebenfalls im Verlauf eines septischen Krankheitsbildes auf. Septi
sche Schockzustände enden, im Vergleich zu internistischen oder
klassischen Traumapatienten, häufiger letal.
Inhalte des Rehabilitationsprogramms Brandverletzter
4 Allgemeine Kräftigung und Konditionierung (Ausdauer-
und Krafttraining, Walking, Bewegungsbad) 69.4 Prinzipien der Rekonstruktion
4 Kontrakturprophylaxe und Verbesserung der Beweglichkeit
(Lagerungs- und Quengel-Behandlung, Physio-/Ergothera- In der frühen Phase der Rehabilitation stehen konservative Maßnah-
pie, Balneotherapie) men im Vordergrund. Kommt es jedoch zu therapieresistenten funk-
4 Haut-/Narbenpflege (Verbände bei Restdefekten oder Span- tionellen Einschränkungen noch vor Abschluss der Narbenreifung,
nungsblasen, Narbenmassage, Anleitung zur Narbenpflege ist in Ausnahmefällen die vorzeitige operative Intervention unver-
und zum Umgang mit der Kompressionskleidung) meidbar.
4 Amputationen (Stumpfabhärtung, Prothesentraining, Nach Ausreifung der Narben können 3 unterschiedliche ästhe-
Komplikationsmanagement) tisch-funktionelle Probleme bestehen bleiben:
4 Aktivitäten des tägliche Lebens (Alltagstraining, Nutzung 4 Narbenstränge,
adaptiver Gebrauchselemente, Arbeitstherapie, Sport 4 instabile Narben,
therapie) 4 Narbenplatten.
4 Anleitung zur optimalen Ernährung (Energiebedarf,
Proteine, Vitamine, Spurenelemente)
4 Schmerzbekämpfung Besonders häufig betroffene Regionen
4 Begleiterkrankungen und Folgeschäden (Behandlung neuro- 4 Augenlider (Ektropion)
logischer Störungen, Logopädie, Umgang mit PEG-Sonden) 4 Mund (Mikrostomie)
4 Soziale Reintegration und berufliche Wiedereingliederung 4 Hals (mentosternale Kontraktur)
4 Psychologische Betreuung (Einzel- und Gruppengespräche, 4 Achselhöhlen
Angstbewältigung, Kontakt zu Selbsthilfegruppen) 4 Ellbogen
4 Zwischenfingerfalten der Hände
4 Kniekehlen
4 Füße und Zehen
Die wichtigsten Säulen der Therapie Brandverletzter
in der Zusammenfassung
4 Frühnekrektomie
4 Enterale Ernährung 69.4.1 Therapie von Narbensträngen
4 Feuchte Wundbehandlung
4 Autologe Hauttransplantation Kommt es durch dermatogene Narbenkontrakturen zu funktionell
4 Frühmobilisation und Kompressionstherapie wirksamen Narbensträngen, ist eine operative Indikation gegeben.
4 Psychologische Betreuung Das Prinzip der Therapie besteht in der Unterbrechung des Narben-
stranges. Dies kann durch Inzision erfolgen. Der Schnitt muss dabei
666 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen
bis über den Drehpunkt des jeweiligen Gelenkes geführt werden, um Literatur
erneute, längs verlaufende Narben zu verhindern. Man ist immer Aust MC, Fernandes D, Kolokythas P, Kaplan HM, Vogt PM (2008) Percutaneous
wieder verwundert, wie breit der durch Inzision und Aufdehnung collagen induction therapy: an alternative treatment for scars, wrinkles,
entstandene Defekt wird. Die Defektdeckung erfolgt mit mitteldi- and skin laxity. Plast Reconstr Surg 121: 1421–1429
Baker RH, Akhavani MA, Jallali N (2007) Resuscitation of thermal injuries in the
cker Spalthaut oder Vollhaut. Eine Schienenruhigstellung für 8–10
United Kingdom and Ireland. J Plast Reconstr Aesthet Surg 60 (6): 682–
Tage hat sich bewährt.
685
Bei kleineren Kontrakturen sind Z-Plastiken oder serielle American Burn Association (1984) Guidelines for service standards and sever-
W-Plastiken erfolgreich einsetzbar, das Prinzip besteht hierbei in ity classifications in the treatment of burn injury. Am Coll Surg Bull 69:
der Umlenkung der Narbenrichtung. 24
Bei minder durchblutetem Wundgrund kommen gelegentlich Baxter CR (1974) Fluid volume and electrolyte changes of the early postburn
gestielte oder freie mikrochirurgische Lappenplastiken zum Ein- period. Clin Plast Surg 1 (4): 693–703
satz. Becker DG, Himel HN, Nicholson WD et al. (1993) Salvage of a patient with
burn inhalation injury and pancreatitis. Burns 19 (5): 444–446
Demling RH, Wong C, Jin LJ (1985) Early lung dysfunction after major burns:
role of edema and vasoactive mediators. J Trauma 25 (10): 959–966
69.4.2 Therapie instabiler Narben und flächiger
Jackson DM (1953) The diagnosis of the depth of burning. Br J Surg 40: 588–
Narbenplatten 596
Kao CC, Garner WL (2000) Acute burns. Plast Reconstr Surg 105 (7): 2482–
Das Prinzip der operativen Therapie besteht im Ersatz des minder- 2492; quiz 2493; discussion 2494
wertigen Gewebes oder mindestens in der Unterbrechung des bewe- Moritz AR, Henriques FC (1947) Studies of thermal injury. II. The relative im-
gungseinschränkenden Narbenareals. Idealerweise wird der durch portance of time and surface temperature in the causation of cutaneous
Exzision entstandene Defekt mit expandierter Haut aus der unmit- burns. Am J Pathol 23: 695–720
telbaren Umgebung ersetzt, diese besitzt die gleiche Farbe, Textur Pereira CT, Murphy KD, Herndon DN (2005) Altering metabolism. J Burn Care
und Konsistenz. Vor allem im Bereich des behaarten Kopfes wird Rehabil 26: 194–199
diese Technik der Dermaexpander mit guten Erfolg eingesetzt. Auch Pruitt BA Jr, Goodwin CW (1990) Burn injury. Early care of the injured patient,
3rd edn. Decker, New York
wenn sich die Anzahl der Kopfhaare nicht wesentlich vermehrt, ist
Smith DL, Cairns BA, Ramadan F et al. (1994) Effect of inhalation injury, burn
das Ergebnis doch in den meisten Fällen ein gut mit Haaren be-
size, and age on mortality: a study of 1447 consecutive burn patients. J
deckter Schädel. Allerdings beträgt die Komplikationsrate ca. 30%. Trauma 37 (4): 655–659
Ist das Areal zu groß oder ist die Umgebung mitgeschädigt, kom- Weaver AM, Himel HN, Edlich RF (1993) Immersion scald burns: strategies for
men dicke Spalthaut- oder Vollhauttransplantate zum Einsatz. Steht prevention. J Emerg Med 11 (4): 397–402
nicht genug Haut zur Verfügung, muss auf Dermisersatzmaterial Wharton SM, Khanna A (2001) Current attitudes to burns resuscitation in the
zurückgegriffen werden. UK. Burns 27 (2): 183–184
Dabei droht jedoch die Schrumpfung des flächig-narbigen Are- Williams JB II, Ahrenholz DH, Solem LD et al. (1990) Gasoline burns: the pre-
als, des Weiteren ist eine erneute Hauttransplantation erforderlich. ventable cause of thermal injury. J Burn Care Rehabil 11 (5): 446–450
69
XI
Ästhetische Chirurgie
P. Vogt
Rejuvenation – Hautverjüngung
der Gesichtshaut
A. Steiert
Zahlreiche Faktoren beeinflussen das Ergebnis einer Behandlung. Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttypus
Die Fitzpatrick-Klassifizierung teilt den Hauttypus in unterschied-
> Priorität im Beratungsgespräch ist die Klärung der erreich-
liche Klassen ein. Die Klassifizierung erfolgt durch die Neigung der
baren Behandlungsziele bezogen auf die Patientenerwar-
Haut, nach UV-Exposition zu hyperpigmentieren oder durch UV-
tungen (. Abb. 70.1).
Exposition eine Verbrennung zu erleiden (. Tab. 70.1).
In einer umfassenden Beratung zur Rejuvenation des Gesichtes
sollte zwischen der Behandlung schwerkraftbedingter Verände- Hautdicke und Hautstruktur
rungen und der Auswirkung des Photoagings unterschieden wer- Die Hautdicke und die Hautstruktur sollte im Behandlungsplan ei-
den. Pigmentierungsveränderungen, multiple feine und einzelne ner Resurfacing-Behandlung berücksichtigt werden. Die Hautdicke
grobe Gesichtsrhytiden sowie Aknenarben sind mittels chemischer, (. Abb. 70.5) ist besonders relevant bei mitteltiefen und tiefen Pee-
mechanischer oder photoelektrischer Techniken besser zu be lings, da die retikuläre Dermis dünner Haut von den Peeling-Sub-
handeln, da sie den auf die Dermis und Epidermis begrenzten, lo stanzen schneller durchdrungen werden kann.
kalisierten Schaden besser behandeln als chirurgische Verfahren Patienten mit dicker, fettiger Haut reagieren meist gut auf ein
70 (Facelift). Programm zur Unterdrückung der Fettproduktion; Retin-A und
Im Beratungsgespräch sollten die einzelnen Verfahren und de- Glykolsäuren werden sehr gut vertragen. Ein verbleibender Fettfilm
ren Vor- und Nachteile dem Patienten erklärt werden. Wichtig für vor der Peeling-Prozedur erschwert das Eindringen der Peeling-Sub-
den Patienten ist die Aufklärung über berufliche und gesellschaft- stanz. Daher sollte bei Patienten mit erhöhter Talgproduktion der
liche Ausfallzeiten. Des Weiteren sollten Lebensgewohnheiten, ins- meist auch deutlich dickeren Haut ein längeres Vorbehandlungspro-
besondere hinsichtlich Sonnenexposition und Rauchen, anamne- gamm und entfettende Maßnahmen vor der Peeling-Prozedur
stisch erhoben werden, um sich ein Bild über die Bereitschaft des durchgeführt werden.
70.2 · Patientenvorbereitung
671 70
Fitzpatrick-Typ Kennzeichen
Hauttyp I 4 Diese Patienten sind gewöhnlich rothaarig oder hellblond. Ihre Augenfarbe liegt im Bereich grün oder blau und ist niemals
dunkel.
4 Diese Patienten erleiden bei UV-Exposition immer einen Sonnenbrand und vermeiden daher meist die Sonnenexposition.
Ein Bräunungseffekt durch UV-Exposition tritt nicht auf.
4 Daher sind in dieser Patientengruppe aktinische Pigmentveränderungen seltener, und die Inzidenz von Hyperpigmentie-
rung nach jeglichem Resurfacing-Verfahren ist niedriger.
Hauttyp II 4 Patienten mit einem Hauttyp II zeigen eine Intoleranz gegenüber längerer UV-Bestrahlung und erleiden ohne UV-Schutz
einen Sonnenbrand. Schonende UV-Exposition führt zu einem Bräunungseffekt der Haut.
4 Die Patienten haben helle Haare und überwiegend helle Augen.
4 Setzt sich diese Patientengruppe chronischer UV-Bestrahlung aus, werden die Folgen des Photoaging sichtbar werden.
4 Obgleich eine Hyperpigmentierung nach einer Rejuvenationsbehandlung nicht auszuschließen ist, sind diese Patienten
ideale Kandidaten für mitteltiefe und tiefe Peelings, ebenso wie für Laser-Resurfacing.
Hauttyp III 4 Patienten mit Hauttyp III bräunen leicht, erleiden nach längerer UV-Exposition ohne UV-Schutz aber einen Sonnenbrand.
4 Diese Patientengruppe hat einen hellen bis mittelhellen Teint und meist dunkle Haare und braune Augen. Bei blondem
Haar, aber dunklen Augen und dunklen Augenbrauen sollte der Patient eher als Hauttyp III eingestuft werden, um dem
Risiko der Hyperpigmentierung durch entsprechende Vorbehandlung vorzubeugen.
4 Bei diesen Patienten besteht eine Neigung zur Hyperpigmentierung nach tiefen Resurfacing-Verfahren.
4 Daher ist bei diesen Patienten eine Vorbehandlung mit Retin-A und Hydrochinon dringend zu empfehlen, um das Risiko
einer Hyperpigmentierung zu minimieren.
Hauttyp IV 4 Patienten mit diesem Hauttyp sind häufig südländischer oder hispanischer Herkunft und haben einen mitteldunklen Haut
teint und dunkelbraunes bis schwarzes Haar. Die Augen sind ebenfalls braun oder dunkler.
4 Diese Patienten bräunen unter UV-Exposition schnell und ziehen sich nur selten einen Sonnenbrand zu.
4 Wegen der erhöhten Pigmentierung in der Epidermis sind diese Patienten im Hinblick auf Hyperpigmentierung nach Resur-
facing höher gefährdet. Ein mitteltiefes oder tiefes Resurfacing ist daher nur nach längerer Vorbehandlung mit Retin-A und
Hydrochinon zu empfehlen.
4 In der Nachbehandlung sind meist Bleichmittel erforderlich.
Hauttyp V 4 Patienten mit Hauttypus V besitzen einen dunklen Teint, schwarzes Haar und dunkle Augen. Die Herkunft ist orientalisch,
indisch, ostasiatisch oder afrikanisch.
4 Sie bräunen unter UV-Exposition stark und können durch Hautverletzungen, wie Trauma, Akne oder Infektionen (Herpes)
fleckige Pigmentierungen aufweisen.
4 Ein Resurfacing muss bei dieser Patientengruppe zurückhaltend durchgeführt werden. Eine Vorbehandlung mit Retin-A und
Hydrochinon ist dabei unabdingbar.
4 Da die Patienten meist den Arzt zur Behandlung der fleckigen Pigmentierungen aufsuchen, sind mehrere oberflächliche
Peelings und ein tägliches Hautpflegeprogramm sinnvoller, als die Patienten den Gefahren eines tieferen Resurfacing-
Verfahren mit Hypo- oder Hyperpigmentierungen auszusetzen.
4 Als zusätzliche Komplikation bei tieferen Peelings kann auch ein fleckiger Pigmentverlust auftreten, der zu einem vitiligo-
ähnlichen Aussehen führen kann.
Hauttyp VI 4 Diese Patienten sind typischerweise afrikanischer Herkunft mit dunklem Teint der Haut, schwarzen Haaren und dunklen
Augen.
4 Diese Patienten erleiden niemals einen Sonnenbrand. UV-Bestrahlung bewirkt eine verstärkte Pigmentierung, typische
Stigmata des Photoagings fehlen.
4 Sollten trotz des deutlich erhöhten Risikos von Fehlpigmentierungen Resurfacing-Verfahren in Erwägung gezogen werden,
ist ein längeres Vorbehandlungsschema einzuhalten und über die Risiken der Keloidbildung und hypertropher Narben
bildung schonungslos aufzuklären.
70.2.3 Vorbehandlung der Haut Hydrochinon (4%) wird zusammen mit Retin-A zunächst alle
2 Tage zur Nacht aufgetragen. Entsprechend der Anwendung von
Retin-A Retin-A kann die Anwendungsfrequenz bei guter Verträglich-
Tretinoin (Retin-A), ein Vitamin-A-Derivat, kann die durch UV- keit gesteigert werden. Auf dem Markt sind Hydrochinon-Pro
Einwirkung hervorgerufenen Schäden der Haut günstig beein dukte, die einen Sunblocker enthalten, was dem Patienten die
flussen. Die epidermale Wirkung zeigt sich histologisch in einer Applikation einer weiteren Substanz auf seiner Haut erspart. Bei
Verdünnung des Stratum corneum; zusätzlich ist eine melanozyten- Patienten mit Hyperpigmentierungsstörungen, z. B. fleckige Hy-
supprimierende Wirkung nachgewiesen. Retin-A steigert den Grad perpigmentierungen beim Hauttyp Fitzpatrick V/VI, kann Hyd
der Eindringtiefe der Peeling-Substanzen und beschleunigt die Re rochinon auch 2× täglich aufgetragen werden, dabei wird die
epithelialisierung. Wird Retin-A in der täglichen Hautpflege ange- Substanz nachts zusammen mit Retin-A und morgens singulär
wandt, kommt es nach 6–12 Wochen nach Behandlungsbeginn zu aufgetragen.
den ersten sichtbaren Effekten. Die Haut zeigt eine glattere Struktur,
erhält eine glänzende rosarote Farbe und eine gleichmäßigere Pig-
mentierung. Histologisch ist nach einer Anwendung von 6 Monaten 70.3 Oberflächliches Peeling
eine Kollagenneogenese und vermehrte Angiogenese gezeigt worden.
Die Retin-A-Vorbehandlung sollte mit 0,1% Retin-A beginnen. Mit oberflächlichen Peeling-Substanzen lassen sich aktinische Kera-
Die Mehrzahl der Patienten zeigt eine temporäre Dermatitis, die tosen, feine Gesichtsfalten und oberflächliche Dyschromasien gut
innerhalb von 2–3 Wochen abklingt. Die Patienten sollten angewie- behandeln. Oberflächliche Peelings werden regelmäßig über mehre-
sen werden, zunächst nur kleinste Mengen, etwa Erbsengröße, der re Wochen und Monate durchgeführt.
Creme vor dem Schlafengehen auf das gesamte Gesicht aufzutragen. Es gibt für oberflächliche Peelings gegenüber den aggressiveren
Um sanft zu beginnen, kann diese Anwendung z. B. zunächst alle Peelings eine Reihe von Vorteilen. Sie sind beispielsweise geeignet
2 Nächte erfolgen. Die Patienten sind darauf hinzuweisen, dass das für Patienten, deren Lebensstil eine längere Ausfallzeit nicht erlaubt.
Retin-A gleichmäßig im Gesicht zu verteilen ist und nicht auf Areale, Nach einem oberflächlichen Peeling ist der Patient noch am Tage der
die den Patienten besonders stören, fokussiert werden soll, da es Anwendung wieder gesellschaftsfähig. Da keine Hypopigmentie-
dann zu unregelmäßigen, unkontrollierten Eindringtiefen des Pee- rung nach einem oberflächlichen Peeling auftritt, besteht kein Un-
lings kommen kann und damit das Gesamtergebnis der Behandlung terschied zwischen behandelten und unbehandelten Arealen. Die
gefährdet ist. Anwendung ist schmerzfrei, und nur selten wurden Komplikationen
Stellen sich Hautreizungen ein, sollte der Patient ermutigt wer- oder ungünstige Resultate beschrieben.
den, die Behandlung nicht abzubrechen und eine kleinere Menge alle Der ideale Patient wünscht sich ein jüngeres Erscheinungsbild
3–4 Nächte aufzutragen. Alternativ kann auch die Konzentration des der Haut und zeigt fleckige Pigmentierungsstörungen und feine
Retin-A auf 0,05% reduziert werden. Bei Unverträglichkeiten auch Rhytiden. Das Behandlungsziel ist die Wiederherstellung eines ge-
geringerer Konzentrationen und Anwendungsmengen des Retin-A sünderen, dynamischen Aussehens durch die Beseitigung von Pig-
kann zusätzlich eine Hydrokortisonsalbe appliziert werden. Kommt mentunregelmäßigkeiten. Die Patienten müssen motiviert werden,
es im weiteren Verlauf nicht zur gewünschten Verbesserung der Ver- ein tägliches Hautpflegeprogramm durchzuführen, und über die
träglichkeit, sollte das Retin-A durch ein Glykolsäurepräparat der Notwendigkeit wiederholter Anwendungen zur Erreichung des Be-
Konzentration 10–14% ersetzt werden. handlungsziels aufgeklärt werden.
Nachdem der Patient das Retin-A regelmäßig alle 2 Nächte ver- Zur Behandlung stehen zahlreiche Substanzen zur Verfügung.
trägt, wird die Frequenz der Applikation auf jede Nacht gesteigert. Am häufigsten eingesetzt werden die Jessner-Lösung, α-Hydroxy-
Sobald auch die tägliche Anwendung gut vertragen wird, können die säuren und 10–20% Trichloressigsäure (TCA).
Retin-A-Mengen gesteigert werden.
> Retin-A erhöht die Photosensibilität der Haut, sodass die
Anwendung von sog. Sunblockern für den Patienten erfor-
70.3.1 Jessner-Lösung
derlich wird.
Die Jessner-Lösung (Dr. Max Jessner) wird seit über 100 Jahren
Für Patienten mit ausgesprochen trockener Haut sollte 0,05% Reti- erfolgreich eingesetzt und setzt sich wie in . Tab. 70.2 gezeigt
nolsäure anstatt Retin-A verwandt werden, damit die Haut nicht zusammen.
weiter austrocknet. Die Jessner-Lösung führt zur Keratinolyse und Eiweißkoagulie-
rung. Sie beseitigt das Stratum corneum und keratokoaguliert An-
Hydrochinon teile der Dermis.
Hydrochinon wird zur Vorbehandlung der Haut auf chemische Pee-
lings angewandt. Es dient zur gleichmäßigeren Pigmentierung nach
Peeling und zur Vorbeugung einer postoperativen Hyperpigmentie-
rung. Hydrochinon hemmt die enzymatische Oxygenierung von
. Tab. 70.2 Bestandteile der Jessner-Lösung
Tyrosin 3,4-Dihydroxyphenylalanin (Dopa) und die Melaninpro-
duktion in der basalen Epidermis. Da lediglich die Bildung von Bestandteil Menge
70 »neuem« Melanin gehemmt wird, ist die Wirkung erst nach Wochen
bemerkbar. Resorzin 14 g
Bei den Hauttypen >III nach Fitzpatrick sollten Hydrochinone in
Salizylsäure 14 g
der Vorbehandlung eingesetzt werden. Die Wirksamkeit der Hydro-
chinone wird durch die simultane Anwendung von Retin-A gestei- Milchsäure (85%) 14 g
gert, da die Eindringtiefe durch das Retin-A erhöht wird und Retin-A Ethanol (95%) 100 ml
in der Hemmung der Melaninproduktion synergistisch wirkt.
70.3 · Oberflächliches Peeling
673 70
Technik
Die Behandlung erfolgt nach Vorbehandlung mit Retin-A und Hy-
drochinon, um die Wirksamkeit der Jessner-Lösung zu erhöhen.
Nach Hautreinigung und -entfettung mittels Alkohol oder Aceton
werden zum Auftragen mit Jessner-Lösung befeuchtete Gaze-
Schwämme verwendet. Im Gegensatz zur Glykolsäure ist eine ab-
schließende Neutralisierung mit Wasser nicht erforderlich.
Die Eindringtiefe und der Endpunkt des Peelings werden an-
hand der klinischen Erscheinung der Haut festgelegt. Eine einzige
gleichmäßige Applikation auf vorbereitete Haut verursacht milde
Erythema, minimales Stechen oder Prickeln, was nach 5–10 Tagen a
abklingt. 2–3 Applikationen der Lösung führen zu einem tieferen
Peeling mit einem moderaten bis 30 min anhaltendem Stechen und
mildem Erythem.
Die Hautpflege nach dem Peeling erfolgt durch eine neutrale
feuchtigkeitsspendende Substanz, die 3–4× pro Tag aufgetragen wird.
Sunblocker sind erforderlich, da die äußere Schutzschicht der Haut
entfernt worden ist. Jessner-Peelings können alle 1–3 Wochen wieder
holt werden, je nach Tiefe und Toleranz und Wunsch des Patienten.
Die Jessner-Lösung eignet sich auch zur Vorbehandlung eines
tiefen Peelings mit 35%TCA, insbesondere dann, wenn der Eindruck
entstehen sollte, dass die Vorbehandlung mit Retin-A und Hydro-
chinon bei dicker Haut nicht regelmäßig erfolgte. b
Komplikationen sind unwahrscheinlich, da die Eindringtiefe der
. Abb. 70.2a, b Jessner-Peeling. a Hyperpigmentierung vor der Behand-
Jessner-Lösung begrenzt ist. Hyperpigmentierung sind Zeichen lung, b klinisches Bild nach oberflächlichem Jessner-Peeling
einer zu frühen, ungeschützten UV-Strahlung.
Ein klinisches Beispiel zeigt . Abb. 70.2.
> Da die Haut an der Stirn am dicksten ist, sollte an der Stirn
70.3.2 α-Hydroxysäuren (Glykolsäure) mit dem Peeling begonnen werden.
α-Hydroxysäuren sind natürlich vorkommende Säuren mit Kohlen- Die Hautbeschaffenheit ist auch bei den Hydroxy-Peelings zu beach-
stoffketten und einer endständigen Carboxylgruppe. Diese Sub- ten, da eine Applikation einer 70%-igen Lösung auf dünner, atropher
stanzgruppe umfasst Glykol-, Milch-, Zitronen-, Apfel- und Wein- Haut über 7–8 min ein tiefes Peeling verursachen kann.
säure. Das Stratum corneum wird verdünnt, und die epidermale Die behandelte Haut wird mit der Zeit zunächst rosa und dann
Permeabilität steigt an. Glykolsäure ist die in den USA am häufigsten zunehmend röter, was dem gewünschten Grad der Eindringtiefe ent-
eingesetzte Hydroxysäure. spricht. Sind kleine grau-weiße Flecken erkennbar, wird die Grenze
Für die tägliche Hautpflege sind Präparate mit einer Konzentra- zur Dermis erreicht. Tieferes Eindringen in die Dermis zeigt sich
tion zwischen 8% und 14% auf dem Markt, als oberflächliches Pee- durch eine weiße, frostartige Hautveränderung und entspricht nicht
ling wird eine Konzentration von 30–70% eingesetzt. Glykolsäure- der Anwendung der Hydroxysäuren als oberflächliche Peeling-Sub-
Peelings entfalten ihre Wirksamkeit proportional zur Einwirkzeit stanz.
und bedürfen daher einer sorgfältigen Aufsicht. Ein Glykolsäure- Ist der gewünschte Endpunkt erreicht, wird das komplette Ge-
Peeling in einer 50%-iger Konzentration kann bei längerer Ein sicht mit reichlich Wasser abgespült, um keine Reste der Hydroxy-
wirkungszeit die Dermis durchdringen und zu Erosionen führen, säure zu belassen.
während ein Peeling mit einer 70%-iger Konzentration bei kurzer Oberflächliche Peelings verursachen lediglich ein mildes Ab-
Einwirkzeit nur einen milden Effekt aufweist. schuppen und werden mit einem Feuchtigkeitsspender und Schmin-
Die Anwendung von Hydroxysäuren ist in Gelform zu empfeh- ke abgedeckt. Solche Peelings können je nach Verträglichkeit wö-
len, da die Handhabung einfach ist. Gele sind leicht aufzutragen, chentlich oder alle 3 Wochen wiederholt werden.
tropfen nicht und verlaufen nicht auf Oberflächen, insbesondere auf Bei Patienten, die nach 2 Anwendungen kein verbessertes Er-
Areale, die nicht behandelt werden sollen. gebnis zeigen, sollte ein invasiveres Vorgehen vorgeschlagen werden.
Komplikationen nehmen mit der Behandlungstiefe zu. Am häu-
Technik figsten sind ein verlängertes Erythem und selten Hyperpigmentie-
Die Vorbehandlung der Haut erfolgt mit Retin-A und Hydrochinon rungen.
über 6–8 Wochen. Vor Anwendung des Peelings wird die Haut von
Schmutz und Kosmetika gereinigt. Die Hydroxysäure wird mit
einem Baumwolltupfer gleichmäßig und zügig auf das Gesicht auf- 70.3.3 10- bis 20%-ige Trichloressigsäure (TCA)
getragen, da der Endpunkt der Anwendung des gesamten Areals
durch die Applikation von Wasser bestimmt wird. Besteht also zwi- Leichte TCA-Peelings können bei Patienten durchgeführt werden,
schen der Benetzung des Startpunktes und des zuletzt behandelten die milde aktinische Veränderungen aufweisen, und bei Patienten,
Areals ein zu langes Zeitintervall, werden die Intensität des Peelings die eine längere Rekonvaleszenz akzeptieren.
und entsprechend die Eindringtiefe unterschiedlich sein, was ggf. Bereits nach 90 s Kontaktzeit kommt es zu einem generalisierten
durch Pigmentverschiebungen sichtbar werden könnte. Erythem des behandelten Areals. Nach 3 min können fleckiger Frost
674 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut
Tween 20 8 Trpf.
Komplikationen
Postoperative Hyperpigmentierungen sind durch die täglichen An-
wendungen von 0,1% Retin-A zur Nacht und 2-maliger Hydrochi-
non 4%-Applikation gut zu behandeln. Bei Patienten, die Retin-A
a schlecht vertragen, kann alternativ Koji-Säure in Kombination mit
Hydrochinon aufgetragen werden. Koji-Säure hemmt, wie Hydro-
chinon, den Melanozytenmetabolismus. Bis ein Effekt sichtbar wird,
sind meist 2 Zellzyklen (90 Tage) erforderlich.
Hypertrophe Narben können bei tiefem Peeling auftreten. Die
Behandlung erfolgt durch Silikonsalben und Kortikoidinjektio-
nen. Kommt es nicht innerhalb von 3 Monaten zu einer deut-
lichen Verbesserung, wäre ein Medical Needling (7 Kap. 71) zu
diskutieren.
Die Herpes-simplex-Infektion kann zu einer ernsthaften Kom-
plikation werden, sodass jeder Patient mit Herpes-simplex-Ana-
mnese entsprechend abgeschirmt werden sollte. Die Herpes-sim-
plex-Prophylaxe sollte am Vortag des Eingriffs in einer Dosierung
von 3×400 mg Aciclovir p.o./Tag beginnen und bis zum 4. postope-
rativen Tag fortgeführt werden.
b
70.4.2 Phenol-Peeling
. Abb. 70.3a, b Peeling mit Trichloressigsäure (TCA). a Aknenarben vor
dem Peeling. b Leichte zentrale Hyperpigmentierung nach einem mittel Das Phenol-Peeling entspricht einer kontrollierten Hautverletzung,
tiefen TCA-Peeling, die mit Hydrochinon und Retin-A gut behandelbar ist die durch die Regeneration die gewünschten Effekte der Hautverjün-
gung mit nachhaltigem Effekt erzielt. Die Nachteile gegenüber einem
TCA-Peeling sind längere Ausfallzeiten für den Patienten. Das Phe-
der gewünschte Grad an Eindringtiefe erreicht ist, wird das Peeling nol-Peeling hinterlässt eine ungewöhnlich starke Bleichwirkung.
mit Eiswasser zur Beschwerdelinderung des Patienten gründlich ab- Dadurch können deutliche und scharfe Abgrenzungen zwischen be-
gespült. handelter und unbehandelter Haut entstehen. Das Phenol-Peeling
Die Rückkehr der Hautfarbe nach dem Peeling ist ein weiterer kann für Patienten mit groben Rhytiden geeignet sein, hier stehen
Indikator für die stattgehabte Eindringtiefe des Peelings. aber alternativen Methoden wie Dermabrasio (7 Kap. 70.5) oder ab-
Sanfte, mitteltiefe Peelings nehmen bereits nach 10–15 min eine lative Lasersysteme (7 Kap. 70.6) zur Verfügung.
erythematöse Farbe an. Papilläre Peelings, die mit einem gleichmä-
ßigen weißen Frost assoziiert waren, erscheinen nach 20–30 min Toxikologie
erythematös. Tiefe retikuläre Peelings, bei denen die Haut grau- Phenol wird über die Haut absorbiert, in der Leber entgiftet und über
weißlich erschien, benötigen 40–60 min, bis die Haut eine wieder die Niere ausgeschieden. Nach Studienlage scheint sich die Toxizität,
eine erythematöse Farbe annimmt. die sich im Wesentlichen auf kardiale Arrhythmien beschränkt, zu
Ein klinisches Beispiel zeigt . Abb. 70.3. erhöhen, je schneller eine kritische Menge aufgetragen wird. Die
Applikation eines Phenol-Gesichtspeelings sollte daher nicht kürzer
Tiefes Peeling als 60 min dauern. Zusätzlich sollten alle Patienten elektrokardiogra-
Zunächst ist zu prüfen, ob Patienten, die für ein tiefes Peeling vorge- phisch überwacht werden.
sehen sind, nicht besser von einer Dermabrasio oder einem Laser-
Resurfacing profitieren würden. Indikationen
Das tiefe Peeling wird mit 50%-iger TCA-Lösung durchgeführt, Die stark bleichende Wirkung des Phenols macht die Patientenaus-
modifiziert unter Zusatz von Glycerin und Tween ergibt sich eine wahl zum kritischen Faktor des Erfolges. Patienten mit hellem Teint
Konzentration von 40–50% (. Tab. 70.3). Tiefe Peelings bedeuten für und wenig Sonnenbestrahlung sind bessere Kandidaten als Haut-
den Patienten längere Ausfallzeiten und setzen ihn einem höheren typen Fitzpatrick III–VI. Rothaarige Patienten mit Sommersprossen
Risiko für Komplikationen, wie Hyperpigmentierung und hypertro- sind ebenfalls bedingt schlechte Kandidaten, da auch die Sommer-
pher Narbenbildung, aus. Allgemein eignen sich Patienten mit dün- sprossen gebleicht werden und die Grenze zwischen behandelter
ner und atropher Haut nicht für tiefe Peelings, eher geeignet sind Haut und unbehandelter Haut oft sichtbar bleibt.
676 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut
Komplikationen
Die offensichtlichste Komplikation ist die sichtbare Grenze zwischen
Technik behandelter und unbehandelter Haut. Hier ist die kaudale Grenze
Das Phenol-Peeling erfordert eine Sedierung des Patienten. Eben- der Gesichtsbehandlung am kaudalen Unterrand der Mandibula
falls ist die perioperative Überwachung zu gewährleisten. Eine Vor- wichtig. Das Peeling darf keinesfalls in den Halsbereich hinein fort-
behandlung beim Phenol-Peeling mit Retin-A ist nicht erforder geführt werden.
lich. Die Patienten werden angewiesen, am Vorabend das Gesicht Es besteht für 4–6 Monate eine besondere Sonnenempfindlich-
gründlich zu reinigen und ohne Kosmetika zur Behandlung zu er- keit, über die der Patient aufgeklärt werden muss, und weswegen er
scheinen. Sunblocker anwenden sollte. Direkte Sonnenexposition sollte für
Die Hautbehandlung unmittelbar vor dem Peeling entspricht 1 Jahr vermieden werden.
der Behandlung wie beim TCA-Peeling (7 Kap. 70.4.1).
> Wichtig ist auch die Aufklärung, dass die Hautbräunung
Die Aufbereitung der Phenol-Lösung ist in . Tab. 70.4 darge-
dauerhaft nicht vergleichbar zur Situation vor der Behand-
stellt.
lung sein wird.
Die Mixtur wird mit einem Watteträger aufgetragen. Damit kein
unerwünschtes Abtropfen auf nicht zu behandelnde Haut erfolgt, Die häufigste Komplikation ist die Hyperpigmentierung, jedoch bei
kann der Watteträger vor dem Auftragen auf die Haut auf einer den Patienten, die sich nicht an die Vorgaben halten, und bei Pa
Kompresse abgestrichen werden. Für den Fall eines Augenkontaktes tienten mit einem Hauttyp Fitzpatrick >III, die einem Phenol-Pee-
sollte eine Augenspülung bereitgehalten werden. Wird die Lösung ling nicht hätten zugeführt werden sollen.
auf die Haut aufgebracht, nimmt diese sofort eine grauweißliche Ver- Die Herpesprophylaxe ist ein wichtiger Baustein zur Vermei-
färbung an. Der Patient verspürt meist ein brennendes Gefühl, das dung der Herpes-Simplex-Infektion, einer unangenehmen und ge-
jedoch aufgrund der lokalanästhesierenden Eigenschaft der Sub- fährlichen Komplikation. Stellt sich eine Herpes-simplex-Infektion
stanz schnell abklingt. Die Applikation des Phenols auf ein kom- nach einem Peeling ein, sollte die Dosis auf 3×800 mg/Tag gesteigert
plettes Gesicht sollte mehr als 60 min dauern und sektorartig erfol- werden und zusätzlich eine topische Behandlung mit Aciclovir-Salbe
gen. Die Watteträger sollten regelmäßig ausgetauscht werden, für ein erfolgen. Führt diese Behandlung nicht innerhalb 48 h zu einer dra-
komplettes Gesicht werden gewöhnlich 8–10 Watteträger benötigt. stischen Befundbesserung, sind eine stationäre Therapie und die
Das Auftragen des Phenols sollte an der Stirn beginnen und bis Applikation von Aciclovir intravenös dringend anzuraten.
an die Haargrenze aufgetragen werden. Die Applikation erfolgt dann Die Komplikation und die Behandlung hypertropher Narben
zur Augenbraue und bis in den Bereich der Augenbraue hinein, um entsprechen dem Vorgehen beim tiefen TCA-Peeling (7 Kap. 70.4.1).
hier keine sichtbaren Übergänge zwischen behandelter und unbe-
handelter Haut zu erzeugen. Das Phenol beeinflusst nicht das Haar-
wachstum und verursacht keine Allopezie. 70.5 Dermabrasio
Ebenso wie beim TCA sollte die Wirksubstanz nicht zu dicht an
den Tarsus heran aufgetragen werden, um das Augenlidödem zu Die Dermabrasio wurde durch die Entwicklung der Lasersysteme
begrenzen. Die prätarsale Haut bedarf ohnehin meist keiner Be- zunehmend in den Schatten gestellt, bietet aber dennoch einige Vor-
handlung. Zum unteren Lidrand sollte ein Abstand von 3 mm ein- teile. Die Dermabrasio ist in den Händen des Erfahrenen zweckmä-
gehalten werden. Das Peeling endet am Unterrand der Mandibula, ßig mit breitem Anwendungsspektrum und nicht teuer. Das Ery-
da hier der Übergang zwischen behandelter und unbehandelter haut them blasst i. Allg. nach 4–6 Wochen vollständig ab.
am unauffälligsten ist. Perioral erfolgt die Behandlung etwas über die
Lippenrotgrenze hinaus, um auch hier keine sichtbaren Übergänge Wirkungsmechanismus
zu hinterlassen. Die Dermabrasio ist das gesteuerte Abhobeln der Epidermis und
eines variablen Anteils der Dermis unter Anwendung eines rotie-
Verband renden Schleifrädchens.
Als Verband ist eine Okklusion mittels transparenter Vaseline aus-
70 reichend. Diese Methode bietet zahlreiche Vorteile. Zum einen ist es Indikationen
für den Patienten weniger unangenehm als mehrschichtige Klebe- Rhinophym
verbände, zum anderen ist die Wunde jederzeit beurteilbar. Die ausgeprägte Hyperplasie der Talgdrüsen kann durch die Derma-
brasio sehr gut behandelt werden. Insbesondere die Konturierung
Pflege der Übergänge zur unbehandelten Haut gelingt durch die Derma-
Der perioperative venöse Zugang wird zunächst postoperativ belas- brasio sehr gut. Oft beschleunigt eine chirurgische Resektion des
sen, um ggf. schmerzlindernde Medikamente zu applizieren. Die Rhinophyms mit anschließender Feinkonturierung das Verfahren.
70.5 · Dermabrasio
677 70
Typ Kennzeichen
Aknenarben
Die Behandlung von Aknenarben ist kritisch wegen der unregelmä-
ßigen Höhen und Tiefen der Narben, denn mit ablativen Verfahren
können auch sog. Täler vertieft werden. Gleiches gilt für die abla-
tiven Lasersysteme. Erfahrungsgemäß führt ein Resurfacing-Ver-
fahren zu einer Patientenzufriedenheit von 30–50%. Hier erbringen
Kombinationen von Behandlungsmethoden inkl. Peeling und Medi-
cal Needling (7 Kap. 71) die günstigsten Ergebnisse.
Periorale Rhytiden
Periorale Rhytiden können in milde, mittelschwere und schwere
Rhytiden eingeteilt werden (. Tab. 70.5).
4 Typ-I-Rhytiden sind mild und oberflächlich. Sie beginnen am
Lippensaum und erstrecken sich über ein Areal von maximal der
Hälfte der Oberlippe. Die Unterlippe ist deutlich weniger beein-
trächtigt.
4 Typ-II-Rhytiden sind mitteltief und erstrecken sich über 2/3 der
Oberlippe. Die Unterlippe ist mitbeteiligt. b
4 Typ-III-Rhytiden sind grob und tief und erstrecken sich über die
gesamte Oberlippe. Unterlippe und Kinn sind mitbeteiligt. . Abb. 70.4 Schmauchverletzung durch Explosion: a vor Bürsten-Derma-
brasio, b 6 Wochen nach Bürsten-Dermabrasio
> Die Dermabrasio ist eine wirksame Behandlung für perio-
rale Rhytiden.
In jedem Fall sollte eine Herpes-simplex-Prophylaxe erfolgen
Zur Behandlung der Typ-I-Rhytiden ist meist ein Peeling ausrei- (3×400 mg Acyclovir 1 Tag präoperativ beginnen und bis 4 Tage
chend, wohingegen Typ II und Typ III aggressivere Verfahren wie postoperativ fortführen).
Dermabrasio und Laser-Resurfacing benötigen. Unmittelbar präoperativ sollten kein Make-up oder andere Pfle-
Bei Patienten vom Hauttyp >III, die ungeeignet für ein Phenol- gemittel auf der Gesichtshaut aufgetragen sein.
Peeling sind, eignen sich daher eher für die Anwendung einer Der- Die Anästhesie kann als Analgosedierung oder als Intubations-
mabrasio, da hier die Hypopigmentierung milder sein wird. narkose erfolgen. Leitungsanästhesien sind ebenfalls möglich, je-
Spezifische Kontraindikationen einer Dermabrasio sind virale doch bei größeren Flächen durch die Notwendigkeit mehrerer Infil-
Infektionen wie HIV und HCV, da durch das ablative Verfahren trationen hinsichtlich Patientenkomfort nicht zu empfehlen.
Viruspartikel über Aerosole aufgenommen werden können. Seitens der technischen Anwendung ist zwischen Stahl- und
. Abb. 70.4 zeigt das klinische Beispiel einer Schmauchverlet- Diamantfräsen zu unterscheiden.
zung durch Explosion und Behandlung durch Bürsten-Abrasio. Stahlbürsten schneiden schneller und tiefer und erlauben daher
dem erfahrenen Operateur ein schnelleres Vorgehen. Da jedoch der
Technik Anpressdruck entscheidend die Abtragungstiefe bestimmt, kann bei
Auch zur Vorbereitung einer Dermabrasio kann 2–4 Wochen prä unsachgemäßer Handhabung ein Dermisdefekt resultieren.
operativ Retin-A-Creme zur Nacht aufgetragen werden. Die Retin- Die Dermabrasio mit Stahlbürsten wird gewöhnlich mit einer
A-Behandlung ist schonender, wenn man zunächst mit einer Geschwindigkeit zwischen 800 und 2000 Umdrehungen/min durch-
0,025%-igen Konzentration beginnt und nach 14 Tagen auf 0,05% geführt. Die Dermabrasio mit Diamantfräsen benötigen höhere Ge-
steigert. schwindigkeiten (12.000–15.000 U/min).
678 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut
Pflege > Je intensiver die Behandlung ist, desto länger wird das
postinterventionelle Erythem anhalten. Hier muss mit dem
Postoperativ werden die behandelten Flächen mit Hydrogelverbän-
Patienten ein Kompromiss zwischen Wirkung, Beständig-
den abgedeckt. Nach 24 h darf der Patient erstmals duschen. An den
keit der Wirkung und Ausfallzeit besprochen werden.
folgenden Tagen sollte der Patient einmal pro Tag das Gesicht mit
einer milden Seife waschen und mit desinfizierenden Externa ver- Erbium-Laser abladieren grundsätzlich oberflächlicher und können
bunden werden (z. B. Lavasept). Eine Reepithelialisierung ist nach nicht in die tiefe retikuläre Dermis eindringen. Sie haben daher ein
7–10 Tagen zu erwarten. Hiernach ist eine rückfettende Behandlung geringes Komplikationspotenzial. Außerdem kommt es an der be-
ausreichend. Das Erythem wird innerhalb 6–8 Wochen allmählich handelten Oberfläche nicht zu einer Koagulation, sodass sich hier-
abklingen. aus andere, zusätzliche Behandlungsoptionen ergeben, wie z. B. die
Postoperativ sollte zur Vermeidung einer Hyperpigmentierung Kombination der Laserablation und Reepithelialisierung mittels
ein Sonnenschutz (SSF: 50) für 6 Monate aufgetragen und die direkte Verfahren wie ReCell. Innovative Verfahren, wie ultrahochgepulste,
Sonnenexposition vermieden werden. Der Sonnenschutz muss auch sog. fraktionierte Laser, aber auch der neue Er:YSGG, ein 2790 nm
unter Kosmetika angewandt werden. Ebenfalls für 6 Monate sollte Erbium: Yttrium Scandium Gallium Garnet-fraktionierter Laser,
auf die Einnahme von Östrogenpräparaten und Kontrazeptiva zur haben das Ziel, das postinflammatorische Erythem zu reduzieren
Vermeidung von auffälligen Hyperpigmentierungen verzichtet und damit die Ausfallzeit des Patienten zu minimieren. Effekt und
werden. Nachhaltigkeit sind jedoch nicht mit einem gewöhnlichen CO2-
Laser-Resurfacing zu vergleichen.
> Bei Patienten mit Hauttyp Fitzpatrick >III sollte nach
Dermabrasio mit Retin-A und Hydrochinon nachbehandelt Indikationen
werden, um die postinflammatorische Hyperpigmentie-
Ein Laser-Resurfacing ist indiziert bei Patienten, deren zu behan-
rung zu hemmen.
delnde Hautveränderung in der retikulären Dermis lokalisiert ist
Nach Abheilung ist zu empfehlen, keine potenziell hautirritie- (. Tab. 70.6). Geeignet sind die Behandlungen lichtgeschädigter
renden Pflegeprodukte zu verwenden. Die zunächst erst etwas tro- Haut, da durch die Kollagenneogenese die Haut straffer und verjüngt
ckene und juckende Haut wird mit rückfettenden Externa gut be- erscheint. Insbesondere lässt sich durch die Lasersysteme sehr do-
handelt. Sollte dennoch ein starker Juckreiz auftreten, ist eine anti- siert auch dünne Haut, wie an den Oberlidern, kontrollierter behan-
70 histaminhaltige Salbe indiziert. Kosmetika sollten ölfrei und auf deln als mit einer Dermabrasio.
Wasserbasis hergestellt sein, da ölhaltige Kosmetika die Poren ver- Sehr gut lassen sich mit dem Laser-Resurfacing epidermale Dys-
stopfen. plasien und aktinische Keratosen behandeln.
Die Behandlungsergebnisse der Aknenarben ist mit ablativen
Gefahren und Risiken Lasersystemen in der Regel nicht besser als mit der Dermabrasio, da
Die Abtragungstiefe hängt u. a. vom Anpressdruck durch den Ope- die Probleme identisch sind. Die Regeneration ist bei narbigen Haut-
rateur ab. veränderungen eingeschränkt, die Narbe wird durch die Behandlung
70.6 · Laser-Resurfacing mit ablativen Lasersystemen
679 70
Akne Asiaten
nicht entfernt, und ggf. können Täler tiefer und damit die Unregel-
mäßigkeiten verstärkt werden. Jedoch ist die Handhabung mit einem
1-mm-Handstück eines CO2-Lasers wesentlich exakter möglich als
bei der Dermabrasio.
Technik
Ein ablatives Laser-Resurfacing sollte nur in entsprechenden ästhe-
tischen Einheiten stattfinden:
4 komplettes Gesicht, sog. »full-face«,
4 perioral,
4 Unterlider . Abb. 70.5 Dimensionen der Epidermis im Bereich des Gesichtsschädels
Erythem, das bis zu 6 Monate andauern kann, müssen daher wich- Literatur zu 7 Kap. 70.6
tiger Bestandteil des Aufklärungsgespräches sein. Baker TJ, Stuzin JM, Baker (TM (1999) Facial skin resurfacing. Johann Ambro-
Wir benutzen als postoperativen Verband sterile Folie oder auch sius Barth, Heidelberg
moderne Hydrogele. Diese Verbandstechnik wird bis zur Reepithe- Keller G, Lacombe V, Lee P, Watson JP (eds) (2001) Lasers in aesthetic surgery.
Thieme, Stuttgart New York
lialisierung der behandelten Areale beibehalten. Anschließend kann
Khan R (2001) Lasers in plastic surgery. J Tissue Viability 11 (3): 103–107,110–
die Haut mit einem verträglichen Präparat gefettet werden. Die Pa-
112
tienten sollten dann bereits als unterste Schicht Sunblocker verwen- Roy D (2005) Ablative facial resurfacing. Dermatol Clin 23 (3): 549–559
den. Eine Abdeckung mit Make-up ist nach Reepithelialisierung
auch möglich. Wichtig ist es, auftretende Hyperpigmentierungen
mit einem Hydrochinonpräparat früh zu behandeln.
Komplikationen
Die Komplikationen entsprechen im Wesentlichen denen der Der-
mabrasio (7 Kap. 70.5).
Um die postinflammatorische Hyperpigmentierung zu unter-
drücken, sollten Retin-A und Hydrochinon nach Reepithelialisie-
rung angewandt werden. Direkte Sonnenexposition sollte für 6 Mo-
nate gemieden werden, Sunblocker sind unabdingbar einzusetzen.
Kommt es in der retikulären Dermis zu einer zu starken Hitze-
entwicklung, kann es zu schwer behandelbaren Hypopigmentie-
rungen kommen.
Nach 2–3 Monaten sollte das Erythem nach Laser-Resurfacing
abblassen. Sollte ein Erythem nur verzögert abblassen, können Hy-
drokortisonsalben topisch verkürzend wirken.
Weitere Laseranwendungen – nicht ablative Laser-Systeme,
ablative Laser-Rejuvenation (»intense pulse light«; IPL), Laserbe-
handlung vaskulärer und pigmentierter Läsionen sowie Haarentfer-
nung sind in 7 Kap. 4.2 beschrieben.
Literatur
Literatur zu 7 Kap. 70.1 bis 70.4
Baker TJ, Gordon HL, Stuzin JM (1996) Chemical peeling and dermabrasio. In:
Surgical rejuvenation of the face, 2nd edn. Mosby, St. Louis, p 45
Baker TJ, Stuzin JM, Baker (TM (1999) Facial skin resurfacing. Johann Ambro-
sius Barth, Heidelberg
Bark JP (1994) A systematic approach to Retin-A. Facial Plast Surg Clin North
Am 2(1):11
Fitzpatrick TB (1988) The validity and practicality of sun-reactive skin types I
through IV Arch Dermatol 124:869
Rubin MG (1995) Manual of chemical peels: Superficial and medium depth.
Lippincott, Philadelphia
Stuzin JM, Baker TJ, Gordon HL (1993) Treatment of photoaging: Facial chemi-
cal peeling and dermabrasio. Clin Plast Surg 20: 9
70
71
Perkutane Kollageninduktions
therapie (Medical Needling)
M. Aust
Technik
Die natürliche, posttraumatische Inflammationskaskade wird durch
einen mit 3 mm langen Nadeln besetzten Roller induziert
(. Abb. 71.1). Intraoperativ fährt der Chirurg mit dem Instrument
unter Druck vertikal, horizontal und diagonal über die Haut des
zu behandelnden Areals. Die Nadelstiche erzeugen Tausende von
Mikrowunden in der Dermis und regen so die Fibroblasten zur
Kollagensynthese an (. Abb. 71.2, . Abb. 7.13).
Indikationen
4 Falten/Photoaging (. Abb. 71.4),
4 Cutis laxa nach z. B. Fettabsaugung,
4 Schwangerschaftsstreifen (. Abb. 71.5b).
71
. Abb. 71.1 Medical Roller (Vivida-SA cc, Renaissance Body Science Insti- . Abb. 71.3 Intraoperatives Bild geneedelter Verbrennungsnarben am
tute, Cape Town, South Africa) rechten Arm
71 · Perkutane Kollageninduktionstherapie (Medical Needling)
683 71
a a
b b
. Abb. 71.4 48 Jahre alte Patientin mit Gesichtsfalten präoperativ (a) und . Abb. 71.5 39 Jahre alte Patientin mit Striae abdominales nach 3 Schwan-
12 Monate postoperativ (b) gerschaften präoperativ (a) und 12 Monate postoperativ (b)
4 Narben:
5 Narben nach Selbstverletzung (Borderline-Störung;
. Abb. 71.6),
5 Striae (. Abb. 71.7),
5 Verbrennungsnarben (. Abb. 71.8).
Präoperatives Regime
Durch eine mindestens 3-wöchige Vorbehandlung der Haut mit lo-
kalen Vitamin-A-Externa und Antioxidanzien wird die Wirkung der
Behandlung optimiert.
a
> Das Medical Needling kann an allen Körperregionen
und bei allen Hauttypen angewendet werden.
Der Eingriff kann entweder unter Lokalanästhesie und Analgosedie-
rung oder in Kurznarkose durchgeführt werden.
Postoperatives Regime
Direkt nach der perkutanen Kollageninduktion ist das behandelte
Gebiet hämatös geschwollen. Nach wenigen Minuten ist die initiale
Blutung gestoppt. Über die Stichkanäle sondert die Haut binnen der
ersten Stunden seröse Flüssigkeit ab. In dieser Zeit sollten feuchte b
Kompressen auf die Haut gelegt werden, um eine Krustenbildung zu
vermeiden. Rund 1 h postoperativ wird die Haut mit einem Teebau- . Abb. 71.6 29 Jahre alte Patientin mit Borderline-Narben am linken
möl gereinigt und die lokale Vitamin-A- und Vitamin-C-Therapie Unterarm präoperativ (a) und 6 Monate postoperativ (b)
684 Kapitel 71 · Perkutane Kollageninduktionstherapie (Medical Needling)
a b
. Abb. 71.7 24 Jahre alte Patientin mit Striae der Mammae beidseits präoperativ (a) und 6 Monate postoperativ (b)
a b
. Abb. 71.8 59 Jahre alter Patient mit tief zweitgradigen Verbrennungsnarben präoperativ (a) und 2 Jahre postoperativ (b)
zur Maximierung der Kollagenproduktion und zur Freisetzung von Als nachteilig gilt, dass die Operation nur unter Anästhesie
Wachstumsfaktoren fortgeführt. Der Eingriff ist für den Patienten durchführbar ist und sich die Schwellung in den ersten 4–7 Tagen
schmerzarm, nach ca. 1 Woche ist die Schwellung kaum mehr zu nach dem Eingriff als erheblich darstellt.
sehen.
Nachhaltigkeit
Vor- und Nachteile Nachdem es sich um eine körpereigene Kollagenproduktion bzw.
Ein Vorteil des Medical Needlings liegt darin, dass die Patienten, einen körpereigenen regenerativen Prozess handelt, kommt es zu
nachdem lediglich die Epidermis und das Stratum corneum durch- keinem beschleunigten Abbau des Kollagens bzw. anderer Gewebe-
stochen werden, schon nach wenigen Stunden wieder geschlossene faktoren im Vergleich zu nicht geneedelter Haut.
Wundverhältnisse aufweisen. Dies minimiert das Risiko einer Infek-
tion und verkürzt die Heilungsphase erheblich. In Laborversuchen Literatur
konnte nachgewiesen werden, dass postoperativ TGF β3 freigesetzt Aust MC et al. (2008a) Percutaneous collagen induction therapy (PCI) – An
wird, was zur narbenfreien Abheilung der Haut führt. alternative treatment for scars, wrinkles and skin laxity. Plast Reconstr
Nachdem die auf der Basalmembran verankerten Melanozyten Surg 121: 1421–1429
Aust MC, Reimers K, Stahl F et al. (2008b) Percutaneous Collagen Induction
nicht verletzt werden, besteht kein Risiko einer postoperativen Pig-
(PCI) – Minimally invasive skin rejuvenation without risk of hyperpigmen-
mentverschiebung. Dieses Problem zeigte sich v. a. häufig bei der
tation – fact or fiction? Plast Reconstr Surg 122: 1553–1563
Laser- oder Peelingbehandlung von Hauttypen III und IV (Eintei- Camirand A, Coucet J (1997) Needle dermabrasion. Aesthetic Plast Surg 21:
lung nach Fitzpatrick; . Tab. 70.1).
71 Nach dem Medical Needling werden in den ersten Monaten
48–51
Fernandes D (2002) Percutaneous collagen induction: An alternative to laser
postoperativ Wachstumsfaktoren, z. B. »epidermal growth factor« resurfacing. Aesthetic Surg J 22: 315–317
(EGF), »fibroblast growth factor« (FGF), freigesetzt, die zu einer Orentreich DS (1995) Subcutaneous incisionless (subcision) surgery for the
Regeneration der Epidermis und der Dermis führen. correction of depressed scars and wrinkles. Dermatol Surg 6: 543
72
72.1 Diagnostik
A. Steiert
72.1.2 Gesichtsprofilanalyse
Definitionen
4 Nasenlänge (NL): Strecke von Nasenwurzel bis Nasenspitze.
4 Mittelgesichtshöhe (MGH): Strecke Glabella bis Nasenflügelbasis. . Abb. 72.2 Mittelgesichtshöhe (MGH), Kieferhöhe (KH) und Untergesichts
4 Kinnhöhe (KH): Strecke zwischen Stomamitte und kaudalem höhe (UGH) in ihren relativen Proportionen [N=Nasenspitze, NL=Nasen
Pol des Mentums. länge, G=Glabiella, R=Radix (Nasenwurzel), STF=Supratarsalfalte,
72 4 Untergesichtshöhe (UGH): Strecke zwischen Nasenflügelbasis NFB=Nasenflügelbasis, SM=Stomamitte, M=Mentum (Kinn)]. (Foto: © Anton
und kaudalem Pol des Mentums. Zabielskyi/Fotolia.com)
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
687 72
72.2 Therapieziele
Therapieziel in der ästhetischen Gesichtschirurgie ist die Schaffung
eines jüngeren Erscheinungsbildes unter der Berücksichtigung des
Patientenwunsches und des chirurgisch Machbaren. Die Patienten-
zufriedenheit über das Operationsergebnis hängt von den Erwar-
tungen des Patienten ab, die in der präoperativen Patientenaufklä-
rung eingegrenzt und realistisch eingeschätzt werden sollten. Insbe-
sondere Patienten, die im öffentlichen Leben stehen, müssen auf
etwaige postoperative Veränderungen, wie beispielsweise Gesichts-
schwellung oder periorbitale Hämatome, hingewiesen werden.
Zum Therapieziel gehört auch die Minimierung von Komplika-
tionen, die bei der Patientenauswahl beginnt.
> Raucher erhalten in unserer Klinik nur nach Entwöhnung
einen elektiven ästhetischen chirurgischen Eingriff.
. Abb. 72.3 Proportionales Verhältnis Nasenlänge zu Untergesicht
[(N=Nasenspitze, NL=Nasenlänge, NFB=Nasenflügelbasis, NLK= Nasen-
In der ausführlichen Anamnese erhobene pathologische Befunde
Lippen-Kinn-Linie, R=Radix (Nasenwurzel)]. (Foto:© Anton Zabielskyi/ sind vor einem elektiven ästhetischen Eingriff abzuklären. Bereits
Fotolia.com) bekannte, operationspflichtige oder behandlungsbedürftige Befunde
sind dringlicher und der Wunsch nach einer elektiven ästhetischen
Operation daher zurückzustellen.
Der Operateur muss das Komplikationsmanagement chirur-
Ein weiteres wichtiges Maß zur Beurteilung der Nasenlänge in Zu- gisch-technisch und logistisch beherrschen und bei der Auswahl
sammenhang mit dem Untergesicht stellt eine Linie zwischen der seines Operationsspektrums berücksichtigen. Bei ambulanten Ein-
Nasenlängenmitte und der Oberlippe dar (. Abb. 72.3). Bei Frauen griffen ist eine Notfallbehandlung zu gewährleisten.
sollte das Kinn etwa 3 mm hinter dieser Linie beginnen, bei Män-
nern sollte diese Linie das Kinn berühren. Dies ist besonders bei
skelettalen Fehlanlagen wichtig. 72.3 Chirurgische Maßnahmen bei
Die ideale Nasenlänge sollte sich an der von der Fehlbildung Formstörungen an Hals und Gesicht
oder erworbenen Deformität nicht betroffenen Struktur orientieren.
Bei Fehlanlagen und Deformitäten im Mittelgesicht richtet sich die A. Steiert, P.M. Vogt
Nasenlänge nach der Kinnhöhe, bei Fehlanlagen des Kinns errechnet
sich die ideale Nasenlänge aus der Mittelgesichtshöhe (67%). In Stu- Abgesehen von seltenen kongenitalen Erkrankungen mit altersun-
dien zeigten sich durchschnittliche Nasenlängen von 41 mm und abhängiger Hauterschlaffung, z. B. Ehlers-Danloss- oder Werner-
Mittelgesichtshöhen von 61 mm. Syndrom, bzw. erworbenen Störungen (Fazialisparese) dienen Ope-
Der ideale Winkel der Nase zum Gesicht beträgt nach Byrd 30– rationen zur Nachspannung der Gesichts- und Halshaut zur ästhe-
36°, bei einem durchschnittlichen Nasolabialwinkel von 95–110° bei tischen Verjüngung bei typischen altersbedingten Veränderungen.
Frauen und etwa 90–95° bei Männern. In jedem Fall sollten 2–3 mm
der Columella der Nase in der Frontalansicht sichtbar sein.
72.3.1 Gesichts- und Halsstraffung (Facelift)
mit Spannung des SMAS
72.1.3 Spezielle Diagnostik
Indikation
4 Keine Gesichtsoperation bei floriden Infektionen; diese müssen Zielgruppe dieser Eingriffe sind Patienten meist im Alter um 50 Jah-
zuvor abgeklärt werden. re oder älter, bei denen es durch die Hautalterung zum Verlust der
4 Präoperativer Status der motorischen und sensiblen Gesichtsin- Gewebeelastizität und damit zu Hängewangen, Ptose der Stirn, der
nervation. Augenbrauen und des Platysmas gekommen ist.
4 Präoperativer ophthalmologischer Status.
688 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals
Präoperative Vorbereitung
Vor der Operation sind folgende Maßnahmen notwendig:
4 Kopfwaschung am Vorabend mit desinfizierendem Shampoo,
ggf. am Operationstag wiederholen.
4 Reinigung von Haaren und Kopfhaut mit alkoholischem Desin-
fektionsmittel auf dem OP-Tisch.
4 Tamponade der äußeren Gehörgänge.
4 Hautdesinfektion bis über die Schultern und den Nacken, damit
die Abdeckung eine Übersicht über alle Halspartien zulässt.
4 Frei bewegliche Lagerung des Kopfes, lange Haare werden durch
sterile Haargummis gebündelt.
4 Eine halbsitzende Lagerung reduziert den perioperativen Blut-
verlust.
Anästhesie
Ein kombiniertes Gesichts-Hals-Lift ist in der Regel ein mehrstün-
diger Eingriff, der in Lokalanästhesie mit Sedierung oder in Vollnar-
kose durchgeführt wird. Eine Kreislaufüberwachung und Sauer a
stoffversorgung des Patienten ist erforderlich. Zur Lokalanästhesie
werden Lokalanästhetika mit Adrenalinzusatz an den Nervenaus-
trittspunkten des N. trigeminus, N. auricularis magnus und N. trans-
versus colli injiziert. Die Infiltration der Subkutis zur Hydrodissek-
tion erfolgt in der späteren Präparationsschicht über dem superfi
ziellen muskuloaponeurotischen System (SMAS).
Schnittführung
Die Schnittführung soll unauffällige Narben hinterlassen und eine
Verankerung der gespannten Haut an stabilen Strukturen, wie Tem-
poralisfaszie und Mastoid, ermöglichen. Die Standardinzision
(. Abb. 72.4) erfolgt temporal ca. 3 cm dorsal der Schläfenhaargren-
ze nach präaurikulär zum Tragus, vom kaudalen Tragusrand über
die präaurikuläre Hautfalte und nach retroaurikulär über das Mas-
toid im 90°-Winkel in die behaarte Okzipitalregion auslaufend. Im
Bereich der Ohrläppchen ist auf besondere Sorgfalt zu achten, da
hier leicht deutliche Asymmetrien entstehen können, sodass der
Schnitt exakt um die Basis des Ohrläppchens herumlaufen sollte.
Die okzipitale Schnittführung bestimmt die Straffung des Halses, b
sodass hier bei starker Erschlaffung der Halshaut durch Schnitter-
weiterung entlang der Haargrenze nach nuchal gestrafft werden
. Abb. 72.4 Standardschnittführung beim Facelift prätragisch mit vertika-
kann. Entsprechend den Empfehlungen von Marchac wird die retro- lem Übergang in den Skalp oder anteriorer Schnitt vor der Haargrenze (a).
aurikuläre Inzision in neuerer Zeit nicht mehr nach mastoidal hori- Alternative Schnittführungen mit vertikalem Auslaufen in die retroaurikulä-
zontal, sondern auch hier vertikal orientiert. Damit verhindert man re Haarzone und mit retrotragischem Verlauf (b)
die sichtbare Wanderung der retroaurikulären Narbe.
. Abb. 72.6 Möglichkeiten der Straffung des SMAS eher in vertikaler Raf- 7
fung zum Jochbogen (a), oder kombinierter vertikaler wie dorsaler Raffung
(b). Das MACS-Lift kombiniert die Vorteile einer kurzen präaurikulären Nar-
be mit alleiniger Raffung des SMAS, wobei 3 unterschiedlich orientierte
Raffnähte entweder nur die wangenseitigen Anteile oder zusätzlich auch c
den malaren Fettkörper anheben (c)
690 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals
Es erfolgt die subtile Blutstillung, die feine Blutungen an der Lap sieren. Oberhalb davon ist die Verletzungsgefahr des R. marginalis
penunterseite zur Schonung des subdermalen Plexus schonen sollte. n. facialis hoch. Nach Mobilisation des SMAS-Platysma-Komplexes
Erst nach der Fixierung der SMAS-Raffung erfolgt das anpas- erfolgt die dorsokraniale Transposition zur Egalisierung der Nasola-
sende Resezieren der Haut. bialfalte. Entscheidend für das Straffungsergebnis ist die Veranke-
Zur Vorspannung sind Haltefäden an den Hautlappen sinnvoll. rung des elevierten SMAS-Flaps an der Temporalisfaszie und peri-
Die gleichmäßige Spannung wird an den Lidkanten und Mundwin- ostal (4-0-PDS).
keln überprüft. Die Hautspannung und v. a. die exakte Ausrichtung Zur Straffung der zervikalen Anteile, ohne Überkorrektur der
(Vektor!) können durch Situationsnähte prä- und retroaurikulär Nasolabialfalte, kann der SMAS-Flap auch segmentiert werden und
fixiert werden. Dies wird erleichtert durch einen Schnitt, der in die der kaudale Anteil nach retroaurikulär Richtung Mastoid gestrafft
präaurikulär gespannte Haut nach kaudal in Verlängerung der werden.
Antehelixfalte gelegt wird und die Festlegung des neuen Fußpunk Eine aktuelle Variante besteht im sog. MACS-Lift (»minimal
tes des Ohrläppchens ermöglicht. access cranial suspension lift«; 7 oben).
Temporal wird das Spannungsergebnis zusätzlich mit resorbier- Über eine L-förmige präaurikuläre Inzision mit Verlängerung
barem Nahtmaterial an der Temporalisfaszie verankert. Präaurikulär unter die Haarkotelette wird die Haut nur knapp unterminiert.
sollte nur soviel Haut reseziert werden, dass ein spannungsfreier 2 starke nichtresorbierbare Nähte in U- oder schräger O-Form wer-
zweireihiger Hautverschluss (subkutane Einzelknopfnähte, resor- den in das superfizielle muskuloaponeurotische Gewebe eingefloch-
bierbar farblos, 4-0; intrakutan fortlaufend, resorbierbar farblos, 5-0) ten und an der tiefen Temporalfaszie auf der Höhe der Crus helicis
möglich ist. Danach erfolgt identisches Vorgehen temporal und ok- verankert. Durch Knoten soll eine effiziente vertikale Korrektur der
zipital; ggf. Einlage einer Redon-Drainage am tiefsten Punkt der abgesackten Gesichtsweichteile vornehmlich an den Jochbeinen und
präparierten Hautlappen für 24 h. am oberen Hals erzielt werden.
Durch eine 3. Tabaksbeutelnaht zum malaren Fettkörper kann
Superfizielles muskuloaponeurotisches System (SMAS) ein gleichzeitiges Anheben des Mittelgesichtes vorgenommen wer-
Die Inzision des SMAS-Komplexes erfolgt in einer umgekehrten den. Merkmale und Vorteile des Verfahrens sind in der . Übersicht
L-Form unterhalb des Jochbogens und parallel präaurikulär. dargestellt.
Dabei sollte ein Abstand zum Tragus von 1,5–2 cm nicht unter-
schritten werden. Im Wangenbereich kommen nach Inzision des
SMAS kranial das Sub-SMAS-Fett und kaudal die Parotisfaszie zum MACS-Lift (»minimal access cranial suspension lift«)
Vorschein. Vorsicht ist bei Inzisionen nahe am Jochbogen geboten. 4 Die Inzisionen werden auf die Falte an der Ohrvorderseite
Ab hier sollte nach kranial streng subkutan zur Vermeidung einer und die Haargrenze oberhalb der Ohren beschränkt.
Nervenläsion des Temporalastes präpariert werden. 4 Durch eine sehr limitierte Hautunterminierung reduziert
sich das Risiko für Nachblutung und Durchblutungsstörun-
Präaurikuläre SMAS-Präparation gen sowie von Schwellungen und Hämatomen mit deutlich
Individuell ist es bei manchen Patienten schwierig, die Parotisfaszie verkürzter Rekonvaleszenz.
vom SMAS zu trennen. Wird bei scharfer Präparation dabei auch die 4 Vertikal gerichtete SMAS-Raffung mit langem Straffungs
Parotisfaszie mit gehoben, entstehen hierdurch keine Konsequenzen, effekt.
wenn das Parenchym unverletzt bleibt. Im kaudalen Bereich der Par- 4 Günstiger Effekt auf die periorbitale Region.
otis sind bei weiterer Präparation des SMAS-Flap nach kaudal Pla- 4 Effizienz wie bei ausgedehnteren und aggressiveren Opera-
tysmafasern erkennbar. In diesem Bereich sollte zur Schonung der tionsverfahren postuliert; Langzeitergebnisse jedoch be-
Fazialisäste überwiegend nicht mehr scharf disseziert werden. 2 cm grenzt.
unterhalb des Mandibularandes lässt sich das Platysma gut mobili-
a b
. Abb. 72.7 Facelift mit SMAS-Straffung als Rezidiveingriff bei Erstopera halb der Kotelette zur Resektion des massiven Hautüberschusses bei
tion 15 Jahre zuvor (a, b). Stark verbreiterte und die Patientin störende vertikaler Straffung (e, f). Postoperativer Befund mit nunmehr verlagerter
72 retroaurikuläre Narbe (c). Höherplatzierung der neuen retroaurikulären Inzi- retreoaurikulärer Narbe (g, h)
sion (d). Inzision präaurikulär antetragisch mit zusätzlicher Inzision unter-
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
691 72
c d
e f
g h
Komplikationen Die Dissektion der Galea vom Periost kann stumpf erfolgen und
In der frühen postoperativen Phase sollten Hämatome und Serome über den Orbitarand hinaus präpariert werden. Dabei sind beidseitig
umgehend angegangen werden. Größere Hämatome erfordern eine die Gefäß-Nerven-Bündel zu schonen. Glabella und Korrugatoren
Revision. Hautnekrosen sind Folge von übermäßiger Spannung, werden teils scharf vom Periost abgelöst. Der M. frontalis kann par-
Perfusionsstörungen durch unsachgemäße Präparationstechnik, In- tiell, parallel zu den Stirnfalten, ausgedünnt werden, sollte aber nie-
fektion oder Nikotinkonsum. Hautnekrosen müssen nicht umge- mals komplett reseziert werden.
hend reseziert werden, da eventuelles Reepithelialisierungspotenzial Ist der komplette frontotemporale Flap gehoben, wird das Straf-
abgewartet werden kann und der Prozess meist schrumpft, sodass fungsziel definiert. Dazu muss der Lidschluss komplett sein, und ein
Korrekturen im Intervall meist kleiner und unproblematischer aus- oberes »scleral show« darf nicht auftreten.
fallen. Läsionen an Endästen der Fazialisstämme sind meist reversi- Unter der erforderlichen moderaten Spannung wird dann ein
bel, sodass eine periphere Nervenregeneration von ca. drei Monaten Streifen Stirnhaut von 2–3 cm reseziert. Durch galeale Nähte (3-0
abgewartet werden sollte. resorbierbar) wird ein wenig Spannung von der Haut genommen.
. Abb. 72.7 zeigt das klinische Beispiel einer SMAS-Straffung als Eine subgaleale Redon-Drainage ist empfehlenswert. Das Ergebnis
Rezidiveingriff. kann durch eine Kanthopexie oder eine Unterlidplastik ergänzt wer-
den, eine Blepharoplastik des Oberlides sollte nicht in derselben Sit-
zung durchgeführt werden.
72.3.2 Stirn- und Brow-Lift – offen chirurgisch Ein klinisches Beispiel zeigt . Abb. 72.8.
Indikationen Komplikationen
Indikationen stellen der Deszensus der Augenbraue, eine Gesichts- Durch subgaleale Präparation ist eine Verklebung zwischen Galea
feldeinschränkung durch Stauchung des Oberlides, quere ausge- und Periost zu erwarten, und somit sind auch gute Langzeiter
prägte Stirnfalten, Glabellafalten und ausgeprägte Falten der late- gebnisse produzierbar. Als Nachteil kommt es regelmäßig zu Paräs-
ralen Orbita dar. thesien kranial der Inzisionslinie, die 6–12 Monate fortbestehen
Bei Gesichtsfeldeinschränkung kommt es zu einer kompensato- können. Haarausfall im Bereich der bikoronaren Inzision kann
rischen Augenbrauenelevation als Versuch der Visusverbesserung, 3 Monate anhalten und bei älteren Patienten auch bleibend sein.
was zu ausgeprägten Stirnfalten führt. Eine Schwächung des motorischen Frontalisastes ist möglich, aber
reversibel.
Technik
Operationsplanung
Bei der Planung eines Stirn- und Augenbrauenliftings ist die typge- 72.3.3 Stirn- und Brow-Lift – endoskopisch
rechte Neoplatzierung der Augenbraue entscheidend. Die ideale Au-
genbraue sollte medial parallel zur Lidkante im 1. Drittel kranial- Technik
wärts ansteigen, sodass sich das mittlere Drittel der Augenbraue über Das Stirnlift eignet sich als endoskopisches Operationsverfahren.
dem Orbitarand projiziert. Das laterale Drittel fällt dann parallel zur Es werden 3 Zugänge ca. 1 cm kranial der Haargrenze medial,
Oberlippenrot-weiß-Gernze ab. Der höchste Punkt der Augenbraue rechts- und links-lateral gewählt. Die Optik wird in den medialen
steht im Lot (L) mit der lateralen Tangente der Iris. Die Tangente Zugang eingeführt und die Instrumente über die seitlichen Zugänge
mündet in der Kinnmitte. (. Abb. 72.9d).
Eine wichtige Entscheidung in der Operationsplanung ist die Mit Dissektoren wird dann ein subgalealer Raum geschaffen, der
Wahl zwischen bikoronarer und prätrichaler Inzision. bis ca. 2 cm kranial des Orbitadaches präpariert wird. Danach wird
Nach Untersuchungen wird eine Stirnhöhe um 50 mm als at- das Periost quer inzidiert und mittels Raspatorium subperiostal auf
traktiv empfunden. Die Indikation der prätrichalen Inzision wird bei den Orbitarand und die Nasenwurzel unter subtiler Darstellung und
einer Distanz zwischen Augenbraue und Haaransatz von mehr als Schonung der supratrochlearen und supraorbitalen Nervenäste wei-
5 cm bei einem Augenbrauen-Pupillen-Abstand von 2,5 cm gestellt. ter präpariert.
4 Prätrichale Inzision: Stirn- oder Zornesfalten werden durch selektive Myektomien
Die prätrichale Inzision sollte W-förmig mit schräg angeschnit- der Mm. frontalis, corrugatores, depressores supercilii und procerus
tenen Haarwurzeln verlaufen. In Höhe der lateralen Lidkante behandelt. Die Augenbrauen lassen sich beliebig anheben. Das Straf-
kann die Schnittführung nach temporal in die Haarregion ver- fungsergebnis wird durch Mikroschrauben an der Tabula externa
laufen. für 1 Woche fixiert. Zusätzlich können temporal Nähte an der Tem-
4 Bikoronare Inzision: poralisfaszie angebracht werden. Fibrinkleber kann zur besseren
Die bikoronare Inzision sollte etwa 6 cm hinter der anterioren postoperativen Adhäsion der verschobenen Gewebeschichten bei-
Haarlinie verlaufen und parallel zu den Haarfollikeln von einem tragen.
Ohransatz zum anderen reichen.
Komplikationen
Durchführung Asymmetrische Augenbrauen.
Die Präparation erfolgt subgaleal, da hier eine blutarme Präparation
mit dem Effekt der postoperativen Gewebeadhäsion zwischen Galea
und Periost möglich ist. Bei der subgalearen Technik besteht jedoch 72.3.4 Mid Facelift (minimalinvasiv,
die Gefahr der temporolateralen Verletzung des R. temporalis n. fa- endoskopisch assistiert)
cialis, der sichtbar unter der Fascia temporalis verläuft. Hingegen
bestehen bei der rein subkutanen Präparationstechnik die Gefahr Indikation
72 der Haarfollikelverletzung sowie das Risiko der nutritiven Minder- Ausgeprägte Nasolabialfalten bei Patienten zwischen 40 und 50 Jah-
versorgung. ren, die noch keines kompletten Facelifts bedürfen.
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
693 72
a b
c d
Technik
Zunächst Lokalanästhesie beider Wangen mit jeweils 10 ml Lokal- der Straffung wird am Periost des lateralen Augenwinkels ver
anästhetikum (2%) und Adrenalinzusatz (1:100.000). ankert.
Die Hautinzision erfolgt subziliar vom medialen zum lateralen Bei älteren Patienten, bei denen der M. orbicularis occuli bereits
Augenwinkel und ca. 2–3 cm nach lateral-kaudal, parallel zur Lip- erschlafft ist, sollte nach der epifaszialen Präparation der M. orbicu-
penrot-weiß-Grenze der lateralen Oberlippe (. Abb. 72.10). laris occuli subperiostal vom ganzen Orbitarand abgehoben werden,
Die Präparation erfolgt zunächst auf den M. orbicularis oc- um eine Keilexzision des Muskels als Straffung des Unterlides durch-
culi. Anschließend wird epifaszial nach kaudal in der traditionellen führen zu können.
Präparationsschicht des Facelifts bis zur Nasolabialfalte präpariert.
Der Hautüberschuss wird nun unter moderater Straffung so rese- Komplikationen
ziert, dass medial mehr Gewebe erhalten bleibt, um ein unteres 4 Unterlidektropium.
»scleral show« zu vermeiden. Der Hautrand kann zur Kontur 4 Durch passagere Schwellung kann ein temporäres »scleral show«
verbesserung etwas entfettet werden (3–5 mm). Der laterale Anteil entstehen.
694 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals
. Abb. 72.9a–d Brauen-Stirn-Lift subperiostal endoskopisch. Durch einen . Abb. 72.10 Technik des Mid Facelift. (Foto: © Anton Zabielskyi/Fotolia.com)
zentralen Zugang für die Optik werden von beidseitig temporal die supra-
orbitale Schlitzung des Stirnperiosts und ggf. auch eine Exhairese der
Mm. corrugatores supercilii durchgeführt (d). Klinischer Aspekt vor und
nach endoskopischem Lift (a–c)
72
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
695 72
a b c
d e f
. Abb. 72.11 Technik der Blepharoplastik des Oberlides und Unterlides. Nach Exzision der Haut
spindel oder mit dieser vollschichtig erfolgt die Entfernung eines schmalen Orbicularis-Muskelstrei-
fens (b). Anschließend wird Fett aus den medialen Kompartimenten, falls erforderlich, teilweise rese-
ziert (c). Am Unterlid wird nach Straffung des Septum infraorbitale oder Verteilung des Fettes unter-
halb des unteren Orbitarandes ein Muskelstreifen aus dem kranialen M. orbicularis gebildet (d). Nach
Umschlagen nach kranial wird dieser am inneren lateralen Orbitarand fixiert (e). Der hierdurch erzielte
Straffungseffekt lässt einen Hautüberschuss entstehen, der lateralseitig verbleibt und anschließend
reseziert wird. Damit entsteht kein vertikaler Zug am Unterlid und wirkt einer Ektropiumentstehung
entgegen (f). Die zu erzielenden Straffungsvektoren verlaufen am Unterlid im Gegensatz zum Oberlid
g
schräg lateral (g) (. Abb. 72.12)
72.3.5 Blepharoplastik des Oberlids tiert werden. Durch die Raffung sollte die Lidspalte maximal 1–2 mm
klaffen.
Indikationen Das umschnittene Hautareal wird reseziert. Falls erforderlich,
4 Gesichtsfeldeinschränkung. wird nach stumpfem Spreizen der Muskelfasern des M. orbicularis
4 Fettgewebshernien. occuli das Septum orbitale eröffnet und das hervorquellende Fett
4 Dermatochalasis. unter leichtem manuellem Druck auf das Unterlid reseziert. Das er-
öffnete Septum orbitale sollte mit resorbierbarem Nahtmaterial wie-
Patientenvorbereitung der verschlossen werden. Nach subtiler Blutstillung erfolgt der
4 Präoperativer ophthalmologischer Befund. Wundverschluss fortlaufend.
4 Bestimmung der Tränensekretion.
4 Schirmer-Test.
Komplikationen
4 Augenbrauenptose? 4 Insuffizienter Lidschluss.
4 Stirn- und Brow-Lift? 4 Conjunctivitis sicca.
a b c
d e f
g h
. Abb. 72.12 Blepharoplastik des Unterlides. Hautinzision etwa 2–3 mm Umverteilung des orbitalen Fettgewebes zur Augmentation des inferioren
subzilliar (a). Unterminierung der Haut mit der Schere, ohne das Septum or- Orbitarandes (f). Präparation und periostale Fixierung eines Muskelstreifens
bitale zu eröffnen (b). Präparation eines Haut-Muskel-Lappens (c). Eröffnung am lateralen Orbitarand (g). Sparsame Resektion des Hautüberschusses (h).
des Septum orbitale (d) und Präparation des orbitalen Fettgewebes (e). (Foto: © Anton Zabielskyi/Fotolia.com)
Zusätzliche Platysmadopplung
Literatur zu 7 Kap. 72.3.2
Die zusätzliche mediane Halsraffung eignet sich für Patienten mit
Conell BF, Lambros VS, Neurohr GH (1989) The forehead lift: Techniques to
starkem Doppelkinn und lockerem Platysma.
avoid complications and to produce optimal results. Aesth Plast Surg 19:
Dazu wird die Stichinzision submental auf eine Breite von ca.
217–237
3–4 cm erweitert. Hier wird dann unter Sicht auf das Platysma prä- Litton C (1989) Forehead and eyebrow lift: anatomical and clinical aspects. In:
pariert. Eine Leuchtquelle ist zur Präparation sehr hilfreich. Das The art of aesthetic plastic surgery. Little, Brown, Boston
mediale Halsfett kann dann direkt unter Sicht exzidiert werden. Es
kann bis auf eine Höhe, die dem kaudalen Rand des Schildknorpels Literatur zu 7 Kap. 72.3.3
entspricht, präpariert werden. Die Fettschicht zwischen Platysma Daniel RK (1994) Endoscopic forehead lifting. aesthetic surgery. Springer, Ber-
und tiefer Halsfaszie kann über diesen Zugang sehr gut abgesaugt lin Heidelberg New York, pp 16–18
werden. Der am Mandibularrand verlaufende R. marginalis mandi- Mühlbauer W, Fairley J, von Wingerden J (1995) Mimetic modulation for prob-
bulae ist dabei zu schonen, was durch Absaugen strikt kaudal der lem creases of the face. Aesth Plast Surg 19: 183
Mandibula einfach möglich ist. Ramirez O (1994) The anchor subperiostal forehead lift. Plast Reconstr Surg
Danach werden die beiden medialen Ränder des Platysmas in 93: 1004
der Mediallinie mit einer 3-0-resorbierbaren Naht gedoppelt. Um
eine natürliche Halskontur zu schaffen, kann es erforderlich werden, Literatur zu 7 Kap. 72.3.4
vor der Platysmadopplung die medialen Ränder des Platysmas auf Hagerty RC (1995) Central suspension technique of the midface. Plast Re
vertikal mittlerer Höhe, quer etwa 1–2 cm zu inzidieren. Das Straf- constr Surg 96: 728
fungsergebnis durch die Platysmadopplung kann zu lateralen Ein- Lemperle G (1997) Das Midface-Lifting – eine erweiterte Unterlidplastik.
ziehungen der Haut führen, sodass diese stumpf oder, wenn erfor- Hand-Mikro-Plast Chir 29: K30
Millard DR, Youan RTW, Devine JW (1987) A challenge to the undefeated
derlich, scharf gelöst werden müssen.
nasolabial folds. Plast Reconstr Surg 80: 37
Eine kleine Drainage, die retroaurikulär ausgeleitet werden
kann, ist zu empfehlen. Für den Wundverschluss sind Einzelknopf-
Literatur zu 7 Kap. 72.3.5
nähte, die am 5. postoperativen Tag entfernt werden, ausreichend.
Berry EP (1974) Planning and evaluating blepharoplasty. Plast Reconstr. Surg.
Auch hier ist ein Druckverband mittels fixiertem Schaumstoffstrei-
54: 257
fen nützlich. Owsley jr JQ (1980) Resection of the prominent lateral fat pad during upper
lid blepharoplasty. Plast Reconstr Surg 65: 4
Komplikationen
4 Einziehungen der Haut durch nicht gelöste Adhäsionen zwi- Literatur zu 7 Kap. 72.3.6
schen Platysma und Kutis. Aston S (1982) Skin-muscle flap lower lid blepharoplasty: an easier dissection.
4 Verletzung des R. marginalis mandibulae. Aesth Plast Surg 6: 217
4 Nachblutungen sind zu revidieren. Kleinere Hämatome können Hamra ST (1995) Arcus marginal is release and orbital fat preservation in mid-
punktiert werden. face rejuvenation. Plast Reconstr Surg 96: 354
698 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals
72
73
Das Ziel eines ästhetischen operativen Eingriffes an der Nase ist die 5 Die Nasenspitze wird im lateralen Anteil (nasenflügelwärts)
73 Neuformung der äußeren Erscheinung der Nase unter der Maßgabe, von der A. angularis versorgt, die übrige Versorgung erfolgt
die Funktion der Nasenatmung möglichst zu verbessern oder zu- durch den äußeren R. nasalis der A. ethmoidalis anterior.
mindest zu erhalten. Die Rhinoplastik zählt zu den häufigsten ope- 4 Der venöse Abfluss erfolgt im Verlauf der arteriellen Versorgung,
rativen Eingriffen in der ästhetischen Chirurgie, aber auch zu den die Bezeichnung der Venen stimmt mit der der Arterien überein.
schwierigsten. Deshalb ist vor der Durchführung eines ästhetischen
Eingriffs der Nase die genaue Anamnese- und Befunderhebung von Sensible Versorgung durch Äste des N. trigeminus
größter Wichtigkeit. 4 Pars ophthalmica (V1):
Um Frustration und Enttäuschung über das operative Ergebnis Sensible Innervation der Nasenwurzel sowie des kranialen An-
zu vermeiden, ist es notwendig, in genügend großem zeitlichem Ab- teils der Nasenflügel. Rr. supratrochleares et infratrochleares
stand zum geplanten Operationstermin dem Patienten die chirur- n. ophthalmici.
gischen Möglichkeiten zu vermitteln und sie mit seinen Wünschen 4 Pars maxillaris (V2):
in Einklang zu bringen. Sollte dies nicht möglich sein, ist es oft bes- Die sensible Innervation des kaudalen Nasenrückens und der
ser, einen ästhetischen Eingriff zu verschieben oder nicht durchzu- Nasenspitze erfolgt durch den äußeren Ast des N. ethmoidalis
führen. Der erste Schritt bei der Diagnostik vor einem geplanten anterior, der zwischen dem knöchernen Anteil der Nase und
ästhetischen Eingriff der Nase ist daher die Anamnese oder das »di- dem oberen lateralen Nasenknorpel aufsteigt. Der untere Anteil
agnostische Gespräch«: Zunächst muss der Operateur einschätzen, der Nase (Columella, Nasenflügel und Vestibulum) wird durch
ob der Patient ästhetische Wünsche hat, die operativ in seinem Fall die infraorbitalen Äste des N. maxillaris sensibel versorgt.
zu erreichen sind und die sich harmonisch in das Gesamtbild des
Gesichtes des Patienten einfügen, oder, ob der Patient überzogene, Nasenlöcher
technisch nicht machbare ästhetische Wünsche hat, die eine harmo- Die Basis der Nase sollte einem gleichseitigen Dreieck ähneln. Als
nische Erscheinung seines Gesichtes stören würden. Vestibulum nasi wird der Bereich bezeichnet, der sich einwärts
direkt an die externen Anteile der Nasenlöcher anschließt.
73
a b
73
. Abb. 73.5 Zugangsmöglichkeiten für die geschlossene und die offene sion, da hier die geringste Narbenbildung mit Beeinträchtigung der äuße
Rhinoplastik. Die offene Rhinoplastik wird im eigenen Vorgehen über eine ren Nasenklappe zu befürchten ist. Die inneren Inzisionen werden mit re
stufenförmige Inzision an der Columella durchgeführt. Die geschlossene sorbierbaren 5-0-, die äußeren mit 6-0-Nylon-Einzelknopfnähten verschlos
Rhinoplastik erfolgt im Standardvorgehen über eine transkartilaginäre Inzi sen. Hemitransfixationsschnitte mit 4-0-Nylon
73.3 Therapie
73.3.1 Operative Technik
. Abb. 73.7 Abtragung des knorpeligen Nasenhöckers mittels Skalpell. . Abb. 73.8 Wenn die Projektion der Nasenspitze stark vergrößert werden
Der knöcherne Anteil wird abgemeißelt oder nur geraspelt muss, empfiehlt sich die Positionierung der Knorpel-Onlays (A) mit Hilfe ei
nes eines Columellatransplantates (»columellar strut«; B). Dieses hat durch
die posteriore und kaudale Abstützung, v. a. auf der Spina nasi (C), einen
größeren Effekt als das Onlay-Transplantat, insbesondere bei schwachen
Flügelknorpeln oder insuffizientem kaudalem Septum
a b c d
e f
. Abb. 73.9 Zur Stabilisierung, Verschmälerung, Projektionsverbesserung auf der Spina nasi abgestützt werden, verbessern zusätzlich Höhenprojek
und Symmetrisierung der Flügelknorpel eignen sich interkrurale (a) oder tion und Stabilisierung der Nasenspitze (d). Insuffiziente Flügelknorpel
transdomale Nähte (5-0 monofil; b). Bei unzureichender Formgebung der bei instabiler äußerer Nase können durch kraniale Streifentransplantate
Nähte erlauben Knorpeltransplantate (»tip grafts«) aus Septum oder Ohr (»batton grafts«) verstärkt werden (e). Eine instabile, verengte oder ab
koncha eine weitere Verbesserung der Nasenspitzenprojektion durch unter gesackte mittlere Nase wird durch spreizende Knorpelstreifen (»spreader
schiedliche Platzierung der Knorpelstückchen (c). Stütztransplantate (»colu grafts) zwischen Septum und medialem Dreiecksknorpel erweitert und
mella strut«) im Bereich der medialen interkruralen Tasche, die zusätzlich stabilisiert (f)
706 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)
73
a b
c d
e f
c d
. Abb. 73.11 Prä-, intra- und postoperativer Aspekt einer 22-jährigen Resektion des kranialen Randes der Flügelknorpel, des kaudalen Septum
Patientin mit verbreiterter Basis und Spitzendeformität (engl. »box tip de randes zur Anhebung der Nasenspitze sowie die Verfeinerung der Nasen
formity«; a–c). Über offenen Zugang (engl. »step incision«; d) erfolgt eine spitze durch interdomale Nähte (e–h). i–k Postoperatives Ergebnis
708 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)
73
e f
g h
i j
k
. Abb. 73.11 (Fortsetzung)
73.3 · Therapie
709 73
a e
c f
Weitere Techniken
4 Knorpeltransplantate
5 »Spreader grafts« (zwischen dorsalem System und Dreiecks-
knorpeln):
Sie werden verwendet, um die Nasenhöhle in Bezug auf ihre
seitlichen Begrenzungen zwischen oberem lateralem Knor-
pel und dem Septum wiederherzustellen.
4 Columellatransplantate:
Sie werden verwendet, um die Crura media zu verstärken und
die Projektion der Nasenspitze (7 oben) zu vergrößern.
4 Knorpeltransplantate zur Nasenspitze (z. B. »shield graft«;
. Abb. 73.9):
Sie vergrößern die Projektion der Nasenspitze und können zur
Korrektur der Proportionen zwischen Nasenlöchern und Na-
senspitze benutzt werden.
Bei Formkorrekturen des Ohres handelt es sich um eine Korrektur 74.3.1 Indikationsstellung
von stark abstehenden Ohren, die bei etwa 5% aller Europäer vorlie-
gen. Der Begriff der Otoplastik wurde bereits 1845 von Dieffenbach Die Indikation zur Otoplastik richtet sich nach dem Ausmaß der
74 erwähnt, es handelte sich jedoch um eine Ohrrekonstruktion. Die
erste rein kosmetische Korrektur der Ohrform wurde 1881 durch Ely
Deformität und dem subjektiven Leidensdruck des Patienten.
Kontraindikationen sind:
beschrieben, der bei starker Apostasis otis die Exzision eines Knor- 4 unrealistische Erwartungshaltungen,
pelstreifens empfahl. Heute werden abstehende Ohren weiterhin als 4 Neigungen zur Bildung von hypertrophen Narben oder Ke
kosmetische Deformitäten angesehen. Dies gilt v. a. für kleine Kin- loiden,
der, die oft von anderen Kindern gehänselt werden. Abstehende Oh- 4 schlechte Compliance.
ren liegen in aller Regel beidseits vor, können aber auch einseitig
vorkommen.
74.4 Therapie
74.1 Ziel der Operation 74.4.1 Konservatives Vorgehen
Die Otoplastik wird durchgeführt, um eine symmetrische, unauffäl- Da bei Neugeborenen innerhalb der ersten Wochen die Ohrmuschel
lige und nicht überkorrigierte Ohrformen zu schaffen. noch sehr weich ist, kann hier durch Schienung der Ohrmuschel eine
Korrektur der Ohrform herbeigeführt werden. Dieses Verfahren ist
später nicht mehr erfolgreich.
74.2 Präoperatives Vorgehen
Der Operationszeitpunkt sollte erst festgelegt werden, wenn das Ohr 74.4.2 Operative Techniken
seine Form weitgehend entwickelt hat, was frühestens nach etwa
dem 3. Lebensjahr der Fall ist. Kinder sollten noch im Vorschulalter Die Techniken zur Korrektur einer Otapostasis lassen sich in 4 Grup-
operiert werden, um eine Diskriminierung und psychische Belas- pen einteilen:
tung in der Schule (»Jumbo«, »Segelfliegerohren«) zu vermeiden 4 Anmodellierung des Ohrknorpels durch Haltefäden (z. B. zur
und um ihnen eine »normale« soziale Entwicklung zu ermöglichen. Anthelixbildung),
Unter diesem Aspekt handelt es sich auch nicht um einen rein ästhe- 4 Exzision von Knorpelanteilen,
tischen Eingriff, der daher meist durch die Krankenkassen über- 4 Ausdünnen von Knorpelanteilen,
nommen wird. 4 Kombination aus diesen Techniken.
Bei Erwachsenen hingegen wird oft nicht mehr von einer we-
sentlichen psychischen Belastung ausgegangen und aufgrund feh- Rekonstruktion der Anthelixfalte
lender funktioneller Beeinträchtigung die Kostenübernahme meis- Zur Rekonstruktion einer nur mäßig ausgebildeten oder fehlenden
tens verweigert. Anthelixfalte sind mehrere Verfahren möglich.
Die Operation kann, außer bei Kleinkindern, in Lokalanästhesie
oder intravenöser Sedation mit zusätzlicher lokaler Nervenblockade Technik nach Stenström. Bei dem von uns favorisierten Verfahren
durchgeführt werden. Blutverdünnende Medikamente, auch pflanz- nach Stenström (. Abb. 74.1, Operationsbeispiel in . Abb. 74.2)
liche Präparate, sollten vor der Operation rechtzeitig abgesetzt wird über eine retroaurikuläre Stichinzision mit der Schere ein sub-
werden. kutaner Tunnel auf der zu bildenden Anthelixfalte geschaffen, der
nach frontokranial bis auf die Vorderfläche des Ohrknorpels reicht.
Auf der Skapha angekommen, wird nun das Perichondrium und
74.3 Diagnostik Teile des darunter liegenden Knorpels mit einer Raspel im Bereich
der vorher markierten neuen Anthelixfalte eingeritzt. Mittels U-
Die Diagnose einer Otapostasis wird rein klinisch gestellt. Nähten (4-0 Nylon, farblos) wird die neue Anthelixfalte dauerhaft
Ein reguläres Ohr ist ca. 5–6 cm lang. Der Abstand zwischen der fixiert. Die Stenström-Technik hat den Vorteil einer sehr guten Va-
Helix und dem Mastoid sollte am oberen Pol nicht mehr als 20 mm riierbarkeit bei den verschiedensten Deformitäten, ggf. in Kombina-
betragen. Der Winkel zwischen der Ohrmuschel und der Hinter- tion mit einer Kavumrotation.
kopfebene sollte höchstens 30–35° betragen. Im oberen Drittel des
Ohrs sollte sich die Anthelix leicht vorwölben und dann in einem Technik nach Mustardé. In dieser Technik wird das Ohr ange-
Winkel von 90° in die Koncha übergehen. legt und eine Anthelixfalte gebildet. Die Begrenzungen und die
Ursachen einer Apostasis otis sind Position geplanter Haltefäden werden mit einem Stift markiert.
4 am häufigsten eine unterentwickelte Anthelixfalte mit einem Nun wird von posterior mit Haltefäden die Anthelixfalte aufgerich-
Übergangswinkel in die Koncha von >90°, tet, indem man diese mit Rückstichen von der Skapha in Richtung
4 eine prominente Koncha oder eine auf die Koncha fixiert. Hierzu wird nicht oder nur langsam resor-
4 Protrusion des Ohrläppchens. bierbares und möglichst farbloses Nahtmaterial verwendet. Diese
Operation eignet sich v. a. bei geringgradiger Deformität und dün-
Diese Deformitäten können einzeln oder aber auch kombiniert vor- nem Ohrknorpel.
liegen.
Eine genaue prä- und postoperative Fotodokumentation ist un- Technik nach Luckett. Bei zahlreichen anderen Techniken, wie z. B.
bedingt notwendig. Hierbei sollten beide Ohren in frontaler, late- von Luckett beschrieben, wird nach posteriorem Zugang in der
raler und schräger Ansicht fotografiert werden, spezielle Bereiche Längsachse des Ohres eine spindelförmige Exzision von Vollhaut
evtl. sogar mit Vergrößerung dokumentiert werden. und Knorpel durchgeführt und anschließend die Anthelix neu ge-
74.4 · Therapie
713 74
aurikulär wird eine spindelförmige Knorpelexzision durchgeführt,
die ein Anlegen des Ohres ermöglicht. Hierbei muss besonders dar-
auf geachtet werden, die Anthelix nicht zu verletzen oder sichtbare
Knorpelkanten zu schaffen.
Gelegentlich ist bei der Rekonstruktion der Koncha ein kombi-
niertes Vorgehen notwendig.
Zum Schutz des operierten Ohrs sollte für 5–7 Tage ein permanenter
Verband getragen werden. Hierbei ist auf eine gute Polsterung zu
achten, da Kompression zu starken Schmerzen und in Einzelfällen
b sogar zu Nekrosen der Haut oder Ohrmuschel führen kann.
Anschließend sollten insbesondere Kinder für weitere 4–6 Wo-
. Abb. 74.1a, b Ergebnisse vor und nach Otoplastik in der Technik nach
Stenström (mit Neubildung der Anthelixfalte) chen möglichst ganztags ein Stirnband tragen. Hierdurch soll ver-
hindert werden, dass v. a. nachts unbeabsichtigt Scherkräfte am ope-
rierten Ohr wirken können.
Eine prophylaktische antibiotische Therapie ist postoperativ
formt. Nachteil hierbei ist jedoch, dass sich postoperativ eine Kan- nicht indiziert.
tenbildung der Anthelix und der gesamten Ohrmuschel ausbilden
und das Ohr eine unnatürliche Form annehmen kann.
74.4.4 Komplikationen
> Die retroaurikuläre Inzision darf wegen der besseren
Wundheilung und der unsichtbaren ästhetischen Narben
Hämatome zählen zu den häufigsten Frühkomplikationen. Revisions
bildung nicht im Bereich des Sulkus, sondern muss auf der
pflichtige Nachblutungen sind zwar selten, jedoch sollte bei Vorlie-
Hinterwand der Ohrmuschel liegen.
gen eines ausgeprägten Hämatoms umgehend eine Entlastung und
Evakuation erfolgen, um ein Otohämatom und eine nachfolgende
Korrektur der Ohrmuschel Deformität zu verhindern.
Zur Korrektur der Koncha erfolgt am häufigsten: Gelegentlich kommt es auf der Vorderseite der neu geformten
4 die Remodellierung durch Haltefäden (Kavumrotation) oder Anthelixfalte zu einer Hautnekrose, die jedoch meist konservativ zur
4 die Knorpelresektion. Abheilung gebracht werden kann. Infektionen sind sehr selten nach
einer Otoplastik. Bei lokalem Infekt sollte zur Vermeidung einer
Bei der Neuformung durch Fixationsnähte, beschrieben von Furnas, Knorpelbeteiligung eine sofortige antibiotische Therapie eingeleitet
wird die Koncha zunächst von posterior freigelegt, der M. auricularis werden, in manchen Fällen kann ein lokales Débridement notwen-
posterior reseziert und dann der Winkel zwischen Ohrmuschel und dig werden.
Mastoid mit Fäden zwischen der Koncha und der Faszie im Bereich Komplikationen können auch durch das Nahtmaterial hervorge-
des Mastoideus verkleinert. Häufig muss gleichzeitig die Anthelix- rufen werden. So kann insbesondere die Verwendung von gefloch-
falte neu geformt werden, weshalb hier mehrere Verfahren kombi- tenen Nahtmaterialien lokale Fadengranulome verursachen.
niert werden können. Eine Überkorrektur, d. h. ein zu flaches Anliegen des Ohres,
führt ebenso zu einem unnatürlichen Erscheinungsbild, bessert sich
! Cave
selten spontan und ist schwierig zu korrigieren.
Unbedingt ist hierbei eine Einengung des Meatus
Rezidive können bei mangelhafter Operationstechnik oder auch
acusticus zu vermeiden.
bei Patienten mit fehlender Compliance (Verzicht auf Verband/
Bei stark prominenter Koncha kann zur Korrektur eine Knorpelex- Stirnband) auftreten. Wenn intraoperativ die Ohrform nicht wie ge-
zision notwendig werden. Nach Darstellung der Koncha von retro- wünscht korrigiert werden kann, ist auch durch verlängerte post
714 Kapitel 74 · Formkorrektur der Ohren (Otoplastik)
74
a b
c d
e f
g h
. Abb. 74.2a–h Otoplastik in der Technik nach Stenström. a, b Präoperativ. U-Nähten (4-0 Nylon farblos; e). Postoperative Situation im OP (f) und klini-
c Freipräparieren der Vorderseite der Ohrmuschel. d Ritzinzision der Skapha sches Resultat (g, h)
nach Stenström; zusätzlich Platzierung von subkutanen permanenten
74.4 · Therapie
715 74
operative Fixation und Schienung nur selten eine Besserung zu er-
warten. Auch Infekte und Hämatome können zu erneuter Ohrdefor-
mität führen.
Literatur
Dieffenbach JF (1845) Die operative Chirurgie. Brockhaus, Leibzig
Ely ET (1881) An operation for prominence of the auricles. Arch Otolaryngol
10: 97
Furnas DW (1968) Correction of prominent ears by conchamastoid sutures.
Plast Reconstr Surg 42: 189–193
Luckett WH (1910) A new operation for prominent ears based in the anatomy
of the deformity. Surg Gynecol Obstet 10: 635–637
Mustardé JC (1963) The correction of prominent ears using simple mattress
sutures. Br J Plast Surg 16: 170
Stenström SJ (1963) A »natural« technique for correction of congenitally
prominent ears. Plast Reconstr Surg 32: 509
75
Ästhetische Chirurgie
des oberen Rumpfes,
Abdomens und Körperstamms
P.M. Vogt, A.D. Niederbichler
Körperkonturierende Eingriffe im Bereich des Körperstammes, ins > Bei der Resektion von lateralem überschüssigem Gewebe
besondere des Adbomens, zählen zu den häufigsten Eingriffen der können gut perfundierte fasziokutane Lappen gebildet
ästhetischen Chirurgie. Sie umfassen insbesondere Straffungsope werden, die auch zur autologen Augmentation der
rationen der Bauchdecke, wie die Fettschürzenresektion und Abdo erschlafften Brüste eingeschwenkt werden können.
minoplastik und das untere Body Lift, und richten sich damit auf
Problemzonen, die den Patienten im wahrsten Sinne ständig »vor
75 Augen liegen« und die daher oft als besonders belastend empfunden
werden. 75.2 Abdominoplastik
Gemeinsame Ziele dieser Verfahren sind:
4 Abflachung des Abdomens mit Erhalt oder Neupositionierung Indikationen
des Nabels, Die Indikationen zur Abdominoplastik besteht bei:
4 Schaffung einer Taille bei Frauen, 4 überschüssiger Bauchhaut nach starker Gewichtsreduktion,
4 Definition des Gesäßes und 4 überschüssigem Fettgewebe, Lipodystrophie,
4 Anhebung und Straffung des unteren Rumpfes mit dem Mons 4 Striae distensae.
pubis und proximalen Oberschenkelbereich.
Ziele
Der Zweck der Abdominoplastik ist, ein flaches Abdomen mit einem
75.1 Seitliche Geweberesektionen im oberen normal erscheinenden Bauchnabel zu erreichen und hierbei mög
Rumpfbereich (Upper Bodylift) lichst auffällige Narbenbildung zu vermeiden.
a b c
. Abb. 75.1a–c Möglichkeiten der Konturierung am Thorax. a Beim Mann zontale Resektionen von Hautüberschüssen am Stamm mit Platzierung der
können bei extremen Hautüberschüssen Resektionsverfahren wie bei der Narben im BH-Gurtbereich und Richtung Axilla am Rand der Mamma (b, c)
weiblichen Mammareduktion erforderlich werden (a). Entsprechende Kon- Es gilt, die Narben in der Axilla in die Hautfalten zu legen, um Narbensegel
turierungen können auch nach lateral und dorsal erfolgen. Analoge hori- zu vermeiden
75.2 · Abdominoplastik
719 75
Anatomie Die geplante Schnittführung und damit die voraussichtliche Lage
Perfusion. Die Perfusion der Bauchwand wird nach Hugier in 3 Zo der Narben sollte ebenso genau besprochen und möglichst in einer
nen eingeteilt: Zeichnung demonstriert werden.
4 Zone I befindet sich direkt über dem M. rectus abdominis und
> Die Anzeichnung der geplanten Resektionen erfolgt
wird durch die Aa. epigastricae profundae superior und inferior
zunächst immer am stehenden Patient, idealerweise be-
versorgt.
reits am Tag vor der Operation. Zusätzlich wird die ge-
4 Hugier-Zone II befindet sich im inferolateralen Anteil der
plante Schnittführung am liegenden Patienten im Bett
Bauchwand und wird durch die Aa. circumflexae sowie die Aa.
oder auf dem Operationstisch simuliert, indem die zu
epigastricae und pudendae superficiales versorgt.
resezierende Haut nach ventral gezogen wird, um das
4 Die Zone III nach Hugier befindet sich lateral über den M. obli
zu erwartende Ergebnis der Dermatolipektomie zu über-
quus internus und externus. Sie wird über segmental angeord
prüfen.
nete lumbale und interkostale Perforatoren perfundiert. Die
Zone III ist diejenige, über die der gebildete Lappen bei der
Abdominoplastik versorgt wird, daher sollte eine exzessive Mo Operationstechniken
bilisation und Unterminierung in diesem Bereich unterlassen Bei der Operationstechnik existieren hinsichtlich ihres Resektions
werden. ausmaßes unterschiedliche Methoden, die sich nach den individu
ellen Gegebenheiten des Patienten richten.
Innervation. Die sensible Innervation der Bauchwand erfolgt über
die Interkostalnerven VI–XII sowie über den N. cutaneus femoris Vakuumasssistierte Liposuktion (VAL). Die vakuumasssistierte Li
lateralis, welcher bei der Präparation verletzt werden kann, was zu posuktion (VAL) kann allein oder assistierend eingesetzt werden,
Parästhesien und Neurombildung führen kann. Er verläuft ca. 6 cm um Patienten mit minimalem Hautüberschuss, guter Hautelastizität
medial der Spina iliaca anterior superior. Äste des N. iliohypogastri und adäquatem Muskeltonus zu behandeln.
cus und ilioinguinalis können ebenfalls aufgrund ihrer topogra
phischen Lage bei der Dissektion verletzt werden, insbesondere bei Miniabdominoplastik. Die Miniabdominoplastik ist bei Haut-
tiefer Doppelung der Faszie des M. rectus abdominis. Weichteil-Überschuss im unteren Bereich des Abdomens indiziert,
meist wird sie mit zusätzlicher Liposuktion kombiniert.
Muskulatur. Die Bauchwandmuskulatur besteht aus dem M. rectus Ein 6–15 cm langes, ellipsenförmiges Areal wird, ausgehend von
abdominis, den Mm. obliquus internus und externus sowie dem der Schamhaargrenze, reseziert. Die Höhe des resezierten Areals
M. transversus abdominis. Das superfizielle Fasziensystem wird aus wird durch Zug auf den Bauchnabel, welcher nicht unterminiert
der Scarpa-Faszie gebildet. wird, und die Breite des exzidierten Areals bestimmt. Zur zusätz
lichen Taillierung kann eine Fasziendoppelung des M. rectus abdo
Mögliche Kontraindikationen minis unterhalb des Bauchnabels erfolgen (. Abb. 75.2).
4 Ausgedehnte Narben nach abdominellen Voroperationen und
Durchblutungsgefährdung. Modifizierte Abdominoplastik. Die Indikation zur modifizierten
4 Supraumbilikale Narbenbildung. Abdominoplastik besteht bei Überschuss an supraumbilikaler Haut
4 Geplante Schwangerschaft in der Zukunft. und Diastase des M. rectus abdominis im oberen Bereich mit epigas
4 Nikotinabusus (Gefahr von Minderdurchblutung und Wund trischer Laxizität. Eine ausgedehnte Unterminierung des Gewebes
heilungsstörungen). verbietet sich aufgrund vorhandener Narben im Bereich des Opera
4 Schwere chronische Allgemeinerkrankungen (z. B. Diabetes tionsgebietes.
mellitus, COPD etc.). Die Operationstechnik besteht in einer ellipsenförmigen Resek
tion des Areals unterhalb des Bauchnabels. Die Inzision erstreckt
sich jedoch nicht bis ganz zur Spina iliaca anterior superior. Danach
75.2.1 Chirurgische Therapie erfolgen die Unterminierung der Wundränder und Plikation des
M. rectus abdominis vom Xiphoid bis zum Schambein über der ge
Operative Planung samten Länge sowie in einer Unterminierung des Gewebes ober-
Die operative Planung sollte neben der körperlichen Basisunter und unterhalb des Bauchnabels. Um eine Neupositionierung des
suchung und dem Lokalbefund (Narben im Operationsgebiet, Diag Nabels zu ermöglichen, kann es in manchen Fällen erforderlich sein,
nostik von Rektusdiastase und Herniationen) insbesondere die Be die Basis des Bauchnabels zu durchtrennen.
rechnung des aktuellen Body-Mass-Index (BMI; Körpergewicht in
kg geteilt durch Quadrat der Körpergröße in m) beinhalten. Standardabdominoplastik. Sie ist bei Patienten mit erheblichem
Da es sich meist um vorwiegend ästhetische Eingriffe handelt, Haut-Weichteil-Überschuss und Diastase des M. rectus abdominis
müssen auch die Evaluation der psychischen Situation und Motiva indiziert. Die Inzision erfolgt weit U-förmig von der einen Spina
tion des Patienten und die voraussichtliche Compliance (periopera iliaca anterior superior zur anderen Seite (. Abb. 75.3a). Die Breite
tive Nikotinkarenz, konsequente postoperative Kompressionsbe des zu resezierenden Areals richtet sich nach individuellen Gegeben
handlung) in die Überlegungen einbezogen werden. heiten und wird durch die Breite der Spindel limitiert.
> Vor allem bei primär ästhetischer Indikation muss umfas- > Um eine Einziehung der Narbe im Unterbauch zu vermei-
send auf die erhebliche Komplikationsrate, die insbeson- den, wird der kaudale Exzisionsrand mit seiner dicken
dere bei Rauchern erhöht ist, hingewiesen werden: Auffäl- Fettschicht schräg nach kranial auslaufend eingeschnit-
lige Narbenbildung, Wundheilungsstörungen, Gewebe- ten, sodass der meist wesentlich dünnere kraniale Wund-
verlust und mögliche Nachkorrekturen können das ästhe- rand ohne Stufenbildung eingepasst werden kann.
tische Ergebnis negativ beeinflussen.
720 Kapitel 75 · Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms
75
a b
c d
e f
. Abb. 75.2 Bei der Miniabdominoplastik wird ein unterhalb des Nabels exzidierten Areals, bestimmt (c, d). Zur zusätzlichen Taillierung kann eine
vorhandener Gewebsüberschuss (a, b) ellipsenförmig ausgehend von der Fasziendoppelung des M. rectus abdominis unterhalb des Bauchnabels er-
Schamhaargrenze reseziert. Die Höhe des resezierten Areals wird durch Zug folgen. e, f Endergebnis nach Dermolipektomie und abdomineller Faszien-
auf den Bauchnabel, welcher nicht unterminiert wird, und die Breite des raffung
Die Unterminierung des oberen Wundrandes sollte mittig bis zum > Der Wundverschluss mit Rekonturierung der Bauchwand
Xiphoid und zur Rippengrenze erfolgen, lateral reicht oft eine weni sollte am besten zunächst durch entlastende Nähte der
ger ausgedehnte Mobilisierung aus. Scarpa-Faszie und Dermis von lateral nach medial durch-
Die Neupositionierung des Bauchnabels, der dreiecksförmig geführt werden, wobei durch Zug des kranialen Wund-
umschnitten und schornsteinartig aus der Bauchwand gelöst wird, randes nach medial die Ausbildung von seitlichen Gewe-
erfolgt durch eine umgekehrte U-förmige Inzision an neuer Stelle im beüberschüssen (»dog ear«) vermindert werden kann.
Bereich des Abdominoplastiklappens (. Abb. 75.3).
Erst die plissierende Intrakutannaht erfolgt dann von medial nach
> Der Bauchnabel wird dreiecksförmig eingenäht, da eine
lateral, zusätzlich wird die Wunde mit längs aufgeklebten Steristrips
kreisförmige Naht eher die Gefahr einer zirkulären Kon-
stabilisiert.
traktion birgt.
Nach erneuter Blutstillung erfolgt der schichtweise Wundverschluss.
75.2 · Abdominoplastik
721 75
a b
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e f
High-lateral-tension-Abdominoplastik. Bei dieser Technik, 1995 Erwähnenswert ist, dass die Rekonstruktion des SFS bei Opera
erstmals durch Ted Lockwood beschrieben, erfolgt die Unterminie tionen wie der Abdominoplastik und der Total-Bodylift-Operation
rung des Haut-Weichteil-Lappens limitiert auf den Bereich der pa zur Reduktion von Wunddehiszenzen und Narbenverbreiterung
ramedianen Zone. Danach wird diskontinuierlich mit der Liposuk führt, was die Wichtigkeit unterstreicht, diese stabile Faszienschicht
tion nach lateral Gewebe mobilisiert. Durch dieses Vorgehen werden nach Abdominoplastik und Total-Bodylift-Operation zu rekonstru
die Perforatorgefäße der Huger-Zone III nicht beschädigt, sodass die ieren und somit die postoperative Wundstabilität nicht ausschließ
75 Perfusion des Abdominoplastiklappens nicht kompromittiert wird. lich der Subkutan- bzw. Hautnaht zu überlassen.
! Cave
Bei jeder Liposuktion im Bauchbereich, gerade bei Patien
ten nach starken Gewichtsschwankungen (Rektusdiasta-
75.3.1 Chirurgische Therapie
se!), muss v. a. periumbilikal auf oft schwer zu erkennende Hautmarkierungen
Hernien geachtet werden, da eine Verletzungen innerer
Diese sollten unbedingt am stehenden Patienten ausgeführt werden.
Organe durch die Absaugkanüle zu lebensgefährlichen
Der geplante Verlauf des Hautverschlusses sollte in der Falte zwi
Komplikationen (Peritonitis) und Tod führen kann.
schen Perineum und Oberschenkel liegen, vertikal entlang dem
Es folgen eine hohe laterale Hautresektion und die Rekonstruktion Mons pubis und nach lateral 2–3 cm unterhalb der Spina iliaca ante
des superfiziellen Fasziensystems (SFS). Der Effekt dieses Vorgehens rior superior verlaufen. Dorsal soll der Hautverschluss bogenför
besteht in einem seitlichen Gewebezug, was sich bei ungleichför mig nach kaudal nah dem oberen Aspekt der Glutäalfalte erfolgen
miger Fettgewebsverteilung in den Flanken positiv auf die postope (. Abb. 75.4).
rative Gewebefestigkeit auswirkt: Der Haut-Weichteil-Mantel wird
sozusagen nach lateral oben »aufgespannt«. Operationstechnik
Die Lagerung des Patienten erfolgt zunächst meist in Bauchlage,
! Cave
dann intraoperativ in Rückenlage.
Von diesen Standardtechniken ist das Vorgehen bei
Die Hautlappen werden direkt über der korrespondierenden
Patienten nach massiver Gewichtsabnahme abzugrenzen
Muskelfaszie gehoben, sodass sich das subkutane Fettgewebe samt
(7 Kap. 76), bei denen oft ein modifiziertes Vorgehen
SFS im gehobenen Lappen befindet (. Abb. 75.4). Es ist unbedingt
notwendig ist, um Komplikationen, v. a. Gewebeverluste,
zu beachten, nicht in das lymphatische Abflusssystem des femoralen
zu vermeiden.
Dreiecks zu gelangen, um langwierige Komplikationen wie z. B. eine
Oft kann jedoch in diesen Fällen z. B. durch eine reine Amputation Lymphozele zu vermeiden. Der N. cutaneus femoris lateralis muss
einer massiven Fettschürze, ohne Unterminierung der Wundränder, dargestellt und geschont werden.
ein guter Kompromiss aus ästhetisch-funktionellem Gewinn und Weiterhin werden Haut-Weichteil-Lappen glutäal und in der
akzeptabler Komplikationsrate erreicht werden. Trochanterregion gehoben, wobei darauf geachtet werden muss,
oberhalb der Glutäalgefäße zu präparieren, um diese nicht zu verlet
zen. Im Bereich der Trochanterregion muss sorgfältig darauf geach
75.3 Total Bodylift tet werden, alle bindegewebigen Bänder zu lösen, um ein optimales
ästhetisches Ergebnis zu erreichen.
Indikation Ein wichtiger Schritt der Operation ist das zirkumferenzielle Un
Diese Operation kann bei Patienten sinnvoll sein, die an einer mit terminieren des Haut-Weichteil-Mantels der Oberschenkel bis auf
telgradigen bis schweren Laxizität des Haut-Weichteil-Gewebes des die Höhe der Kniegelenke mit dem Lookwood-Dissektor, um die
Gesäßes, der lateralen und medialen Oberschenkelregion sowie des SFS-Verbindungen zu lösen und eine Mobilisation und Neupositio
unteren Körperstamms leiden. Der ideale Patient für eine Total-Bo nierung des Gewebes zu ermöglichen, ohne die Perforatoren zu zer
dylift-Operation ist gewichtsstabil bei nahezu idealem Körperge stören. Dies ist mit der Liposuktionskanüle (ohne Sog) gut möglich.
wicht und weist eine normale Dicke des subkutanen Fettgewebes auf, Ein Vorteil ist die maximale Schonung der vaskulären Strukturen
aber eine starke Hautlaxizität im Bereich des unteren Körperstamms sowie der Lymphgefäße.
und der Hüftregion, meist nach starker Gewichtsabnahme. Die überschüssige Haut wird nun reseziert, danach ein schicht
weiser Wundverschluss, beginnend von der SFS, durchgeführt. Die
Präoperative Diagnostik Einlage von Redon-Drainagen ist von essenzieller Wichtigkeit, um
Die körperliche Untersuchung richtet sich hier speziell auf die zu Hämatome und Seromformation zu vermeiden.
resezierenden Hautüberschüsse im unteren Rumpfbereich und die Zum Schluss wird der Patient aufgesetzt, die Hüften werden ge
mechanischen Qualität der Haut in diesen Arealen, die mit dem beugt und die Knie angewinkelt. Die perineale Resektion wird unter
Kneiftest (»pinch«) untersucht wird. Der Body-mass-Index (BMI) Schonung der Lymphgefäße im Bereich des medialen Oberschenkels
wird bestimmt, um Veränderungen im Verlauf der Behandlung ob durchgeführt. Die Resektion sollte bei Frauen vorsichtig geschehen,
jektivieren zu können. um Verziehungen der Vulva zu vermeiden.
Anatomie
Das zentrale Element der 1992 von Lockwood beschriebenen Ope 75.4 Postoperatives Management
ration ist die Straffung der Scarpa-Faszie, die er als superfizielles
Fasziensystem (engl. »superficial fascia system«; SFS) bezeichnet. Der Patient wird mit elastischen Binden bandagiert. Die Kompres
Das SFS ist ein bindegewebiges Netzwerk im subkutanen Fettgewebe, sion schließt die kompletten Beine und auch die Hüft- und untere
welches Haut- und Fettgewebe mit dem muskuloskelettalen System Stammregion ein. Nach 2–3 Tagen Bettruhe beginnt die vorsichtige
verbindet. Die Funktion des SFS ist es, das subkutane Fettgewebe zu Mobilisation. Die elastische Kompression wird jedoch beibehalten,
umschließen und so zu seiner Stabilität beizutragen. am besten durch eine speziell angepasste Kompressionshose für
75.4 · Postoperatives Management
723 75
c
a b
d e f
. Abb. 75.4 Inzisionslinien beim Bodylift. Man beachte die laterale Rota resektion (c–e). Es wurden die alten Abdominoplastiknarben als stabile
tion der hüftseitigen Haut nach kranial (a, b). Hier wird das Maximum kraniale Verankerung gewählt (f). Intraoperativer Situs mit gut erkennbarem
an Hautresektion erzielt. Unteres Bodylift bei Patientin nach massiver Ge- supefiziellem (Scarpa-)Fasziensystem (g). Intraoperatives Ergebnis (h, i).
wichtsabnahme und Zustand nach bereits erfolgter Bauchfettschürzen Postoperativer Befund (j–l)
724 Kapitel 75 · Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms
75
h i
j k l
Patienten äußerst befriedigende Ergebnisse der Körperkonturierung entsprechenden Eingriff zu unterziehen. Realistische Aufklärung
erzielen. und fachärztliche Standards sind hier unabdingbare Vorausset-
Wichtige Grundsätze für die einzelnen Körperregionen sind in zungen, um die Eingriffe für die Patienten sicher und für die Kosten-
der . Übersicht zusammengefasst. träger ressourcenschonend durchzuführen.
a c
76
a b
. Abb. 76.2 Ausgeprägte Fettschürze Grad V (a) und die relativ kompli
kationsarme Guillotine-Resektion einer 20 kg schweren Fettschürze (b, c).
! Cave
Drainagen sollten erst gezogen werden, wenn über 24 h
<40 ml nachlaufen. Serome müssen frühzeitig drainiert
werden, bevor sich eine Kapsel ausbildet.
77.1 Mammareduktion
In der Plastischen Chirurgie stellt die Brustverkleinerung (Mamma-
reduktion) ein gutes Beispiel für einen Eingriff dar, der sowohl dem
rekonstruktiven wie auch dem ästhetischen Spektrum zuzurechnen
ist. Das Ziel der Mammareduktion ist die Schaffung einer Brustform,
die in Einklang mit den bestehenden Körperproportionen ist. Hier-
bei sind bestimmte anatomische Landmarken zu beachten, von de-
nen insbesondere die Inframammarlinie und die Position der neuen
Brustwarze entscheidende Bedeutung haben.
Grad I MAK an der Inframammärfalte und oberhalb der Brustkontur MAK bis zu 1 cm kaudal der Inframammärfalte
(Drüse hinter dem MAK)
Grad II MAK unterhalb der Inframammärfalte, aber oberhalb der Brust- MAK 1–3 cm unterhalb der Inframammärfalte
kontur (Drüse hinter dem MAK)
Grad III MAK unterhalb der Inframammärfalte und bildet den tiefsten MAK >3 cm unterhalb der Inframammärfalte und bildet
Punkt der Brustkontur (Drüse kranial des MAK) den tiefsten Punkt der Brust
Pseudoptosis MAK kranial der Brustumschlagsfalte bei nach kaudal durchhängendem Drüsengewebe (häufig nach Mammareduktionsplastik)
77.1 · Mammareduktion
737 77
Insbesondere zusätzliche Risikofaktoren wie Nikotinabusus, Ge-
rinnungsstörungen, Einnahme von Kontrazeptiva oder rheologisch
wirksame Medikamenten müssen präoperativ abgeklärt werden.
Wir bestehen auf eine mindestens 2-wöchige präoperative Niko-
tinkarenz vor formverändernden Eingriffen an der Brust.
Im Rahmen der ambulanten Vorstellung erfolgt auch eine Bera-
tung über den Operationszeitpunkt. Eine Brustverkleinerung sollte
bei adipösen Patientinnen, die eine Gewichtsreduktion planen, erst
nach Erreichen eines stabilen Normalgewichtes durchgeführt wer-
den, um das perioperative Risiko zu senken und das Operations
ergebnis nicht zu gefährden.
> Mammareduktionsplastik nur bei stabilen Gewichts
verhältnissen. Optimaler BMI <28 kg KG/m2!
Bei noch nicht abgeschlossener Familienplanung und Wunsch
nach Erhalt der Stillfähigkeit empfehlen wir, eine geplante Brust
verkleinerung erst nach Verwirklichung des Kinderwunsches
durchführen zu lassen. Bei jugendlichen Patientinnen sollten . Abb. 77.2 Wundheilungsstörung im Bereich der umgekehrten T-Narbe.
Formveränderungen an der Brust erst nach Abschluss des Drüsen- In der Regel kommt es unter konservativer Wundtherapie zu einem sponta-
wachstums durchgeführt werden. Ausnahmen sind hierbei eine nen Abheilen
massive Gigantomastie mit entsprechend nachvollziehbarem Lei-
densdruck.
Zur standardisierten Befunderhebung hat sich in unserer Kli- > Ausführliche und genaue präoperative Aufklärung über
nik ein Mammaanamnesebogen (7 Anhang) bewährt. In ihm wird Risiken, Komplikationen und Nachbehandlung ist gerade
neben der Anamnese und den objektiven Befunden (Größe, Ge- bei Mammareduktionen unerlässlich!
wicht, Cup-Größe, Jugulum-Mamillen-Abstand, Thoraxumfang
inframammär und in Höhe des MAK, intermamillärer Abstand, Indikation zur Brustverkleinerung
Brustbasisdurchmesser, Ptosisgrad und das Vorliegen von Asym- Eine medizinische Indikation für eine Brustverkleinerung kann
metrien) auch die Vorstellung der Patientin dokumentiert und hier- sowohl aufgrund somatischer wie psychischer Beschwerden – oder
auf aufbauend der Behandlungsplan fixiert. einer Kombination – gegeben sein. Schwere, ptotische Brüste
Um das Risiko einer intraoperativen Tumoraussaat eines bislang können zu chronischen Nacken-/Rückenschmerzen führen und
okkulten Mammakarzinoms zu vermindern sowie zur Schaffung schmerzhafte Einschnürungen des BH-Trägers im Schulterbe-
einer Grundlage für die spätere mammographische Beurteilung ver- reich verursachen. Oft haben die Patientinnen eine Anamnese
langen wir altersunabhängig von allen Patientinnen vor formverän- von physiotherapeutischen oder orthopädischen Behandlungen,
dernden Brusteingriffen eine Mammographie, die zum Operations- welche aufgrund der reinen Symptomorientiertheit meist erfolg-
zeitpunkt nicht älter als 3 Monate sein sollte. los bleiben. Weitere Probleme können durch schmerzhafte Brüste
Sowohl präoperativ als auch 3 und 6 Monate postoperativ führen (Mastodynie) und hygienischen Folgen der Intertrigobeschwerden
wir eine Fotobefunddokumentation durch. entstehen.
Darüber hinaus werden oft psychische Belastungen angeben, die
Therapieziele z. B. bei sportlichen Aktivitäten (Schwimmen) entstehen. Der posi-
Wie bei allen ästhetischen Eingriffen muss das Therapieziel im Rah- tive Effekt einer Brustreduktion auf die psychische Belastung ist in-
men des Patientengespräches gemeinsam von Chirurg und Patientin zwischen durch Studien belegt (Iwuagwu et al. 2006).
definiert werden. Hierbei muss neben dem Wunsch der Patientin
v. a. präoperativen Gegebenheiten wie vorbestehender Asymmetrie, Aufklärung
Art der Hautbeschaffenheit, Tendenz zu überschießender Narben- Grundlage der Aufklärung ist die Information der Patientin über
bildung und Ähnlichem Rechnung getragen werden. Eine detaillier- verschiedene Operationstechniken sowie eine realistische Einschät-
te Aufklärung über das postoperativ erzielbare Ergebnis ist hierbei zung der damit jeweils erzielbaren Ergebnisse. Neben den allgemei-
unerlässlich, um das »ästhetische Risiko« eines für den Chirurgen nen Operationsrisiken wie Blutung, Infekt und Narbenbildung sind
gelungenen, für die Patientin jedoch nicht zufriedenstellenden Ope- die Patientinnen auf die spezifischen Risiken des bei ihr geplanten
rationsergebnisses zu minimieren. So ist die Patientin auf bereits Eingriffes hinzuweisen (. Übersicht). Je nach gewählter Operations-
bestehende Asymmetrien hinzuweisen, da diese intraoperativ nicht technik ergeben sich unterschiedliche Risiken für die Entwicklung
immer vollständig ausgeglichen werden können und durch eine von Fettgewebenekrosen, Durchblutungsstörungen des Mamillen-
Brustvergrößerung postoperativ sogar noch deutlicher hervortreten Areolen-Komplexes bis zur Totalnekrose, Wundheilungsstörungen
können. (. Abb. 77.2), Asymmetrie, Unter- oder Überkorrektur, Sensibili-
Ebenso hat es sich bewährt, übergewichtige Patientinnen darauf tätsstörungen des MAK oder für einen Verlust der Stillfähigkeit.
hinzuweisen, dass nach erfolgter Brustverkleinerung ein bereits prä- Auch die Stabilität der intraoperativ erzielten Brustform ist abhängig
operativ bestehender adipöser Bauch deutlicher ins Auge fällt. Soll vom gewählten Operationsverfahren. Die Patientin muss daher dar-
eine narbensparende Bruststraffung nach Lejour durchgeführt wer- über informiert werden, dass es im Langzeitverlauf zu einer Über-
den, muss die Patientin die lange Persistenz der Hautplissierung so- dehnung des unteren Brustpols mit Kranialrotation der Mamillen
wie Nachkorrekturen akzeptieren. kommen kann (»bottoming out«).
738 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation
Operative Techniken
Komplikationen nach Mammareduktionsplastik Mammareduktion nach Höhler
4 Hämatom Der Eingriff erfolgt in Beach-chair-Lagerung mit angelagerten
4 Sensibilitätsstörung im Mamillen-Areolen-Komplex Oberarmen. Zur Vereinfachung der Orientierung müssen bei der
4 Nekrosen im Mamillen-Areolen-Komplex OP-Abdeckung »Landmarken« wie das Jugulum, der Nabelansatz
4 Fettgewebsnekrosen und die Schulterkappen sichtbar bleiben.
4 Asymmetrie > Tipp: Zur vereinfachten Beurteilung der Brustasymmetrie
4 »Dog ears«, Haut-/Weichteilüberschuss hat sich eine exakt symmetrische Abdeckung bewährt.
4 Hypertrophe Narbenbildungen
4 Wundheilungsstörungen Der Eingriff beginnt mit dem Festlegen der zukünftigen Mamillen-
4 Verlust der Stillfähigkeit durchmesser mit Hilfe des Mamillotoms. Anschließend wird die
77 Anzeichnungsfigur umschnitten und die periareoläre Straffungs
figur deepithelialisiert.
Danach folgt die Resektion der unteren Quadranten unter Be
77.1.4 Operatives Vorgehen lassung eines breitbasigen kranialen Stils.
Das gesamte resezierte Gewebe wird zur histologischen Unter-
Stand der operativen Therapie suchung eingesendet, da in 0,4–1% der Fälle okkulte Karzinome im
Praktisch alle Operationsverfahren, die in den letzten Jahrzehnten Resektionsgewebe gefunden werden (Kayar 1996). Die Mamille wird
beschrieben worden sind (McKissock 1972, Pitanguy 1962, Skoog an ihrem kranialen Stiel in die neue Position verbracht. Die Neufor-
1963, Strömbeck 1983), führen zu einer Narbenbildung um die kra- mung der Brust erfolgt durch Einstülpung der seitlichen Pfeiler. Der
nialisierte Brustwarze herum, davon 4–6 cm nach kaudal ziehend, mediale und der laterale Pfeiler werden durch resorbierbare, subku-
um dann in der Inframammarlinie quer zu verlaufen (umgekehrte tane Einzelknopfnähte vereinigt und die kaudalen Pfeilerenden
T-Technik). In bestimmten Fällen können auch sehr gute Ergebnisse durch eine Dreiecksnaht an die Brustumschlagsfalte pexiert.
mit einer rein vertikalen Narbe erzielt werden (Lejour 1994, Lassus Die Mamille wird durch radiäre subkutane resorbierbare Einzel-
1970, Hall-Findlay 1999). knopfnähte in ihrer neuen Position aufgespannt und durch eine re-
Ist eine deutliche Reduktion des Brustvolumens geplant, ver- sorbierbare Intrakutannaht eingenäht. Vor dem Hautverschluss
wenden wir die Reduktionstechnik nach Höhler (später modifiziert durch fortlaufende Intrakutannaht mit resorbierbarem Nahtmateri-
nach Pitanguy) mit kranialem Mamillenstiel und T-förmiger Nar- al der Stärke 4-0 wird eine 14-er Redon-Drainage in den Situs einge-
benbildung (. Abb. 77.3). bracht und nach axillär ausgeleitet. Intraoperativ wird ein formender
Steht dagegen eine Straffung einer ptotischen Brust bei nur ge- Pflasterverband angelegt, nachdem die Nähte mit Steristrip-Pflaster
ringem Resektionsvolumen im Vordergrund, wird die narbenspa- bedeckt wurden. Anschließend erfolgt eine formende Wicklung des
rendere, vertikale Technik nach Lejour verwendet. Bei nur geringer Thorax mit Watte und elastischen Binden. Hierbei bleiben die Ma-
Ptose kann eine Straffung mit rein periareolärer Schnittführung in- millen zur Beurteilung der Durchblutung ausgespart. Nach sekreti-
diziert sein. onsabhängiger Entfernung der Redon-Drainagen wird ein Stütz-BH
angepasst, der für 3 Monate getragen werden sollte.
Operationsplanung
Die Operationsplanung und Anzeichnung erfolgt an der stehenden Periareoläre Raffung
Patientin. Zunächst werden Mediane, Medioklavikularlinie, Jugu- Auch hier erfolgt zunächst die Festlegung des neuen Areolendurch-
lum-Mammillar-Linie und Brustumschlagsfalte markiert, wobei messers mit Hilfe eines Mamillotoms. Intraoperativ können das Aus-
bestehende Asymmetrien deutlich werden. maß der Straffung und die Symmetrie durch das Aufspannen der
Als Nächstes wird die neue Position des MAK auf der Medio Areola mit Hilfe radiärer Positionsnähte simuliert werden. Ist das
klavikularlinie festgelegt. Sie befindet sich in Höhe der Brustum- optimale Straffungsausmaß festgelegt, wird die Umschneidungsfi-
schlagsfalte und sollte außer bei sehr kleinen Frauen 20 cm ab Jugu- gur mit einem sterilen Hautstift markiert. Es ergibt sich hierbei meist
lum nicht unterschreiten. Postoperativ besteht aufgrund der norma- eine längsovale Figur, bei der die Mamille je nach geplanter Anhe-
len physiologischen Brustabsenkung (»setting in«) die große Gefahr bung im mittleren oder am Übergang zum kaudalen Drittel der
der zu hoch platzierten Mamille (»high riding nipple«), was sehr Längsachse sitzt. Nach Lösen der Positionsnähte wird die Haut
schwierig zu korrigieren ist. Sollte postoperativ der MAK dann zwischen der Umschneidungsfigur und dem Außenrand des neuen
doch zu tief sein, kann dies sehr einfach in Lokalanästhesie korrigiert Areolendurchmessers deepithelialisiert. Bei der Annäherung der
werden. Hautränder von Areola und verbliebener Brusthaut durch eine in-
Durch Verschwenken der Brust nach medial und lateral werden tradermale zirkuläre Tabaksbeutelnaht mit nicht resorbierbarem
nun in Abhängigkeit von der geplanten Volumenreduktion die Re- Nahtmaterial wird die deepithelialisierte Dermis nach innen einge-
sektionsgrenzen festgelegt. stülpt.
Die Längen des medialen und lateralen Pfeilers sollten 6,5 cm, Der Hautverschluss erfolgt durch fortlaufende Intrakutannaht
gemessen ab dem Rand des späteren MAK, nicht überschreiten, da mit resorbierbarem Nahtmaterial. Als Verband werden Steristrip-
diese Strecke postoperativ die Distanz zwischen Mamille und Infra- Pflaster aufgebracht.
mammärfalte bildet.
Die Planzeichnung wird durch Verbinden der Resektionspfeiler Narbensparende Bruststraffung nach Lejour
nach lateral bzw. medial mit der Unterbrustfalte komplettiert. Das zunächst von Lassus beschriebene und später von Lejour modi-
fizierte Verfahren erlaubt eine Brustverkleinerung, nach welcher
neben einer periareolären Narbe nur eine Längsnarbe am unteren
Brustpol verbleibt (Lassus 1970; Lejour 1994). In den letzten Jahren
findet diese Technik zunehmend Anwendung und wurde in ver-
77.1 · Mammareduktion
739 77
a b
c d
e f
. Abb. 77.3 Planung (a–d) und Durchführung (e–i) einer Mammaredukti- T-Schnitt). Klinischer Aspekt prä- (j) und postoperativ (k). (Zeichnungen
onsplastik mit kranialem zentralem Stiel (Höhler-Technik, umgekehrter von Dr. S. Schinner mit frdl. Genehmigung)
740 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation
77
g h
k
. Abb. 77.3 (Fortsetzung)
schiedenen Varianten modifiziert (Hall-Findlay 1999; Hoffmann tur der Erschlaffung und Ptose der Brüste und nur eine geringe
et al. 2007). Volumenreduktion wünschen.
Da der Erfolg dieser Operation sehr von der Retraktionskraft der
Haut abhängt, sollte die Technik hauptsächlich bei jungen Patien- > Vertikale Reduktionsplasik: Unmittelbar postoperativ
tinnen mit retraktionsfähiger Haut angewendet werden. Als Nachteil noch keine definitive Brustneuformung! Aufklärung
dieses Verfahrens ist die lange Persistenz der Hautplissierung im über mehrmonatigen Verlauf bis zur Formung des End
Bereich der Narbe im Aufklärungsgespräch intensiv zu besprechen. ergebnisses und evtl. Notwendigkeit von Nachkorrek
Dieses Verfahren ist geeignet für Patientinnen, die v. a. eine Korrek- turen.
77.2 · Mamaaugmentation
741 77
Operationsvorbereitung. Auch hier sind eine präoperative Opera- Implantate und die Möglichkeit einer optimalen Brustkrebsvorsorge
tionsplanung und die Markierung unerlässlich. Zunächst wird die auch nach der Augmentation.
Brustumschlagsfalte nachgezeichnet. Dann wird die Brustmitte be-
stimmt und von der Mamille nach kaudal bis über die Brustum-
schlagsfalte hinaus markiert. Das Festlegen der Resektionsschenkel 77.2.1 Präoperatives Management
erfolgt auch hier durch Verschwenken der Brust nach medial und
lateral. Mediale und laterale Resektionsgrenzen werden angezeich- Indikation
net und die Linien ca. 2 cm oberhalb der Brustumschlagsfalte bogig Die Indikation zur Augmentation ergibt sich bei Aplasie, nachvoll-
zusammengeführt. ziehbarer Hypoplasie oder Asymmetrie der Brüste. Auch eine beid-
Anschließend wird die neue Mamillenposition in der vorbe- seitige Involutionsathrophie mit nur mäßigem Hautüberschuss und
schriebenen Weise bestimmt. Hier wird eine domförmige Straf- geringer Ptosis kann bei entsprechendem Leidensdruck der Patientin
fungsfigur angezeichnet und mit den beiden Resektionsschenkeln durch eine alleinige Implantateinlage ästhetisch korrigiert werden
verbunden. (. Abb. 77.6).
> In der Regel liegt eine rein ästhetische Indikation vor.
Operatives Vorgehen. Der Eingriff erfolgt ebenfalls an der ca. 60°
aufgesetzten Patientin. Sofern eine Volumenreduktion der Brust ge-
wünscht ist, erfolgt zunächst nach Infiltration einer Tumeszenzlö- Aufklärung
sung eine Liposuktion der medialen und lateralen Brustanteile unter Da es sich meist um eine rein ästhetische Indikation handelt, hat
Auslassung des retromamillären Bereichs. nach geltender Rechtsprechung eine »schonungslose Aufklärung«
Anschließend wird die angezeichnete Straffungsfigur deepithe- zu erfolgen. Neben der Information über Art und Beschaffenheit der
lialisiert und die medialen und lateralen Resektionsgrenzen inzidiert verwendeten Implantate und das operative Vorgehen sowie der da-
(. Abb. 77.4). Nun wird ein kranialer, die Mamille tragender Stiel mit einhergehenden allgemeinen Operationsrisiken wie Blutung,
präpariert, der die Mamille um 5–6 cm nach kaudal überragt. Auf Infekt und Narbenbildung sind die Patientinnen insbesondere auf
eine ausreichende Stielbreite ist hierbei zu achten. Die Stieldicke soll- die spezifischen Risiken des Eingriffs hinzuweisen. Hierzu gehört
te nicht zu breit gewählt werden, um eine spannungsfreie Verlage- zunächst das Risiko der Entwicklung einer Kapselfibrose (. Abb. 77.5;
rung der Mamille zu ermöglichen. auch 7 Kap. 82.5.1).
Nun wird der Hautmantel des medialen und lateralen Drüsen- Hierbei handelt es sich um die häufigste Komplikation nach ei-
pfeilers sowie des kaudalen Brustpols bis zur Unterbrustfalte unmit- ner Brustvergrößerung, die in der Literatur mit einer Inzidenz bis zu
telbar subkutan mobilisiert. Nur eine ausreichende weite subkutane 50% angegeben wird (Cunningham et al. 2000; Slavin et al. 2007).
Präparation erlaubt der Haut, sich der späteren Brustform anzupas- Der Grad der Kapselfibrose wird in der Baker-Klassifikation be-
sen und ausreichend zu schrumpfen. schrieben (. Tab. 77.3).
In der Unterbrustfalte erfolgt die Präparation bis auf die Thorax- Die Ursache der Kapselfibrose ist Gegenstand von aktuellen Stu-
wand. Die Geweberesektion erfolgt aus dem kaudalen Brustpol so- dien. Mehrere Faktoren werden in der Literatur diskutiert. Insbeson-
wie keilförmig von zentral. Zur Augmentation des oberen Brustpols dere postoperative Hämatome und subklinische Kontamination mit
wird nun unmittelbar kranial der Mamille gelegenes Drüsengewebe S. epidermidis werden als mögliche Ursachen einer Kapselfibrose
weit oben an der Brustwand auf der Pektoralisfaszie durch Naht pe- betrachtet (Slavin 2007). In einer prospektiven Studie konnte S. epi-
xiert. Die Adaptation der Brustdrüsenpfeiler erfolgt durch resor dermidis auf der Oberfläche von 90% der entfernten Implantate
bierbares Nahtmaterial der Stärke 0 unter leichter Überkorrektur der nachgewiesen werden (Pajkos et al. 2003). Zur Reduzierung des Auf-
Brustform. tretens einer klinisch relevanten Kapselkontraktur können mögli-
Vor dem definitiven Wundverschluss ist bei locker adaptiertem cherweise eine submuskuläre Implantation sowie die Verwendung
Hautmantel auf Einziehungen und Schnürfurchen zu achten und von Implantatgrößen ≤350 ml beitragen (Slavin 2007). Auch scheint
ggf. eine Erweiterung der subkutanen Präparation durchzuführen. die Einlage von Drainagen einen möglichen Risikofaktor darzustel-
Anschließend werden Redon-Drainagen eingebracht. Es erfolgt ein len und wird von einigen Autoren abgelehnt (Araco 2006).
2-reihiger Wundverschluss durch fortlaufende Nähte unter Plissie-
> Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Risiko einer
rung der Haut. Hierbei fasst die Subkutannaht aus resorbierbarem
Kapselkontraktur mit der Notwendigkeit einer Folgeope
Material der Stärk 3-0 das darunter liegende Drüsengewebe mit, um
ration Kernpunkt des Aufklärungsgesprächs sein sollte.
so den Hautmantel an der Drüse zu fixieren. Die Intrakutannaht
sowie das Einnähen der Mamille erfolgt mit resorbierbarem Naht-
material der Stärke 4-0.
Der Wundverband besteht aus Steristrip-Pflastern sowie for- . Tab. 77.2 Stadien der Kapselfibrose nach Baker (1978)
menden Pflasterverbänden. Zur Stabilisierung der Brust wird an-
schließend ein Stützverband aus Watte und elastischen Binden ange- Stadium Palpationsbefund
legt. Nach zeitgerechter Entfernung der Wunddrainagen wird ein
Stütz-BH angelegt, der dann für 3 Monate konsequent getragen wer- Baker I 4 Die Brust ist normal weich
4 Das Implantat ist nicht tastbar
den muss.
Baker II 4 Die Brust ist etwas fester
4 Das Implantat ist tastbar, aber nicht sichtbar
77.2 Mamaaugmentation Baker III 4 Die Brust ist verhärtet
4 Das Implantat ist tastbar und sichtbar
Bei der Vergrößerung der weiblichen Brust als hoch elektivem Ein-
Baker IV 4 Brust verhärtet, verformt und schmerzhaft
griff steht die Patientensicherheit im Vordergrund. Dies gilt sowohl 4 Das Implantat ist tastbar und deutlich sichtbar
für die angewendete Operationstechnik als auch für die verwendeten
742 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation
77
a b
e f
. Abb. 77.4 Planung und Durchführung (a–d) einer vertikalen Mammareduktionsplastik. Klinischer Aspekt prä- (e) und postoperativ (f). (Zeichnungen von
Dr. S. Schinner mit frdl. Genehmigung)
77.2 · Mamaaugmentation
743 77
Operatives Vorgehen
> Die Operation beginnt in flacher Rückenlage mit 70°
abduzierten Armen, jedoch ist bereits bei der Lagerung
der Patientin darauf zu achten, dass ein intraoperatives
Aufsetzen bis auf 60° möglich ist.
Literatur
Literatur zu 7 Kap. 77.1
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78
Gynäkomastie
F.-M. Leclère, A. Handschin, K.-H. Breuing
. Abb. 78.2 Gynäkomastie Stadium III präoperativ (a) und nach subkuta-
ner Mastektomie mit periareolärer Raffung (b)
78 a
. Abb. 78.3 Zeichnung für die periareoläre Straffung nach Huang. Der in-
nere Kreis hat die Größe der neuen Mamille. Der zu resezierende Hautüber-
schuss kann sowohl konzentrisch als auch exzentrisch geplant werden. Bei
der exzentrischen Exzision wird die Mamille neu positioniert
78.4 Komplikationen
78.3.2 Fettabsaugung (Liposuktion)
Komplikationen der operativen Therapie werden in der Literatur mit
Die Fettabsaugung findet zunehmende Anwendung in der chirur- einer Häufigkeit von 3–28% angegeben (Steele et al. 2002; Wiesman
gischen Behandlung der Gynäkomastie. Insbesondere bei der Pseu- et al. 2004). Häufige Komplikationen (ca. 7%) sind Nachblutungen
dogynäkomastie sowie bei Formen mit überwiegend Fett-/Drüsen- und Hämatome sowie eine Serombildung (Handschin et al. 2008).
überschuss ohne Notwendigkeit der Hautentfernung sind gute Er- Die konsequente Kompressionstherapie über einen Zeitraum von
gebnisse beschrieben worden (. Abb. 78.5). 6–8 Wochen reduziert diese Rate erheblich. Weitere, seltene Kompli-
78.4 · Komplikationen
751 78
a b
. Abb. 78.5a, b Liposuktion. Die alleinige Liposuktion eignet sich insbesondere für die Behandlung der Pseudogynäkomastie ohne vergrößerten und
fibrosierten Drüsenkörper und ohne wesentlichen Hautüberschuss
kationen sind Wundheilungsstörungen, Epidermolysen, Hautnekro- Simon BE, Hoffman S, Kahn S (1973) Classification and surgical correction of
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79
Formkorrektur
an der oberen Extremität
F.-M. Leclère, A. Gohritz
. Abb. 79.1 Entscheidungsbaum zur Therapiewahl bei der Oberarmstraffung. (Mod. nach Appelt et al. 2006)
a b
. Abb. 79.2a, b Lipoplastik an den Oberarmen durch Liposuktion bei M. Madelung. Die Zugänge werden jeweils distal am Oberarm (Pfeil) gewählt, da hier
der beste Aktionsradius für die Kanüle besteht
756 Kapitel 79 · Formkorrektur an der oberen Extremität
79 a c
b d
. Abb. 79.3 Lipoplastik an den Oberarmen durch Dermolipektomie bei eine medialseitig bogenförmige Inzision (a), die konvex in Richtung Bizeps
massivem Hautüberschuss (a, b). Entscheidend für ein befriedigendes orientiert ist, wird ein postoperatives »Abwandern« der Narbe nach dorsal
Ergebnis ist neben der Formgebung die Positionierung der Narben. Durch in den sichtbaren Bereich verhindert (c, d)
Besonders nach massiver Gewichtsabnahme kann die Schnittfüh- dass die Gefahr der Narbenverlagerung nach dorsal in den sicht-
rung mit der Inzision einer simultanen Bruststraffung kombiniert baren Bereich verhindert wird.
werden, meist wird in dieser Situation zu einer geschwungenen
Schnittführung geraten. Anästhesie und Lagerung
Oberarmstraffungen erfordern meist eine Vollnarkose. Die Arme
> Die Inzision am Oberarm sollte im Verlauf des Sulcus
werde auf Armtischen steril in 90° Abduktion gelagert.
bicipitalis medialis geplant werden.
Hier ist eine weitgehend gerade Schnittführung – nach ventral kon- Gewebeexzision und -straffung
vexe oder nach Pitanguy eine S-förmig geschwungene – Inzision an Gemäß der vorher markierten Schnittführung erfolgt in der Axilla
der Oberarminnenseite möglich. Die Schnittführung endet meist die Resektion von überschüssiger Haut und subkutanem Fettgewebe
vor dem Ellbogen. Nur bei ausgeprägter Hauterschlaffung im dista- bis auf die axilläre Faszie. Die Inzision im Bereich des Arms erfolgt
len Oberarmbereich sollte eine T-förmige Gewebeexzision nach Juri durch das oberflächliche Fasziensystem hindurch. Das zu resezie-
angeschlossen werden. Die Inzision sollte stets so platziert werden, rende Gewebe wird unterhalb dieser Ebene durch teils stumpfe, teils
79.3 · Therapiewahl
757 79
scharfe Dissektion angehoben, wobei nur eine minimale Untermi- aktiv und verblassen nur zögerlich. Der Hautüberschuss ist über den
nierung der Wundränder erfolgen sollte. gesamten Oberarm verteilt und nicht auf die Regionen Axilla und
Ellbogen beschränkt. Häufig ist es notwendig, die Narbenverläufe
Wundverschluss auf die Regionen laterale Thoraxwand und proximaler Unterarm
Nach der Exzision der Gewebeüberschüsse erfolgt immer ein mehr- auszudehnen, um eine entsprechend ausreichende Hautstraffung zu
schichtiger Wundverschluss. In der Tiefe erfolgt eine Faszienaufhän- erzielen.
gung mit nicht resorbierbaren Nähten der Stärke 1-0, an der Dermis
wird mit 3-0 und an der Haut mit 4-0 mit resorbierbarem Fadenma- Nachbehandlung
terial genäht. Ein dicker Verband reicht von der Hand bis in die Axilla. Nachdem
Drainagen müssen nach sorgfältiger Blutstillung nicht unbe- die Wunde geheilt ist, sollte eine leichte Kompression für 2–4 Wo-
dingt eingelegt werden. Von einigen Autoren wird allerdings die chen mit schrittweiser Wiederkehr zum normalen Alltagseinsatz der
Einlage von Drainagen mit Ausleitung in der Axilla zur Erhöhung oberen Extremität begonnen, anfangs jedoch eine maximale Abduk-
der Sicherheit empfohlen. Nach der Operation sollte ein leicht kom- tion vermieden werden.
primierender Verband angelegt werden. Eine Lage gewickelter Wat-
te schützt vor einem Abdruck der oberflächlichen Kompressions
wickelung. 79.3.2 Operationstechniken an der Hand
Postoperative Maßnahmen Hautstraffung (»Hand lifting«)
Lockere Kompressionsbandagen und leicht elevierte Arme für die Operationen zur Faltenstraffung am Handrücken sind bekannt,
ersten 3 Tage nach der Operation führen zu einer guten Abschwel- meist von einer in der Handgelenkfalte oder an der ulnaren Hand-
lung und sind angenehm für den Patienten. kante gelegenen Inzision aus, werden aufgrund häufig unbefriedi-
Es werden intrakutane resorbierbare Fäden verwendet und gender Resultate und erheblicher Komplikationsmöglichkeiten je-
den Patienten sind anstrengende Armbelastungen für 4 Wochen doch nur selten angewandt.
untersagt. Kompressionsbandagen reduzieren die Ausbildung über-
schießender Narben. Autologe Fettinjektion
Die Auffüllung atrophierten subkutanen Fettgewebes an der Alters-
Aufklärung und Komplikationen hand kann bei Anwendung von freien Fettgewebstransplantaten in
Die Brachioplastik führt unvermeidbar zu langen Narben. Hierüber mehreren Sitzungen nach dem Coleman-Verfahren (Coleman 1995)
muss der Patient im Aufklärungsgespräch informiert werden. Der zu guten Resultaten führen.
Patient und der Plastische Chirurg sollten zwischen dem ästhe- Besondere Vorsicht ist angezeigt, um die Handrückenvenen
tischen Gewinn durch die Brachioplastik und den verbleibenden nicht zu beschädigen und die Fettgewebspartikel in vielen Kanälen
Narben abwägen. zu platzieren. Das transplantierte Fettgewebe schafft ein pralleres
Da es sich um einen rein ästhetischen – und darüber hinaus re- subkutanes Fettgewebspolster und kaschiert dadurch die durch den
lativ komplikationsträchtigen – Eingriff handelt, muss der Patient Alterungsprozess vermehrte Venenzeichnung.
über alle Komplikationen, auch die seltenen, aufgeklärt werden Nach der Operation kann es zu Pigmentverschiebungen kom-
(. Übersicht). men. In diesen Fällen ist die Behandlung mit 4%igem Hydrochinon
erfolgversprechend.
Komplikationen der Brachioplastik
4 Ungünstige sichtbare oder hypertrophe Narben (die Nar- Literatur
benreifung dauert am Oberarm 18–24 Monate, erst dann Abramson, DL (2004) Minibrachioplasty: Minimizing scars while maximizing
ist eine feine abgeblasste Narbe zu erwarten) results. Plast Reconstr Surg 114: 1631
4 Unschöne Gewebeübergänge, v. a. an Axilla und Ellbogen Appelt EA, Janis JE, Rohrich RJ (2006) An algorithmic approach to upper arm
4 Konturunregelmäßigkeiten contouring. Plast Reconstr Surg. 118 (1): 237–46
4 Ödeme (daher möglichst keine venösen Zugänge im Correa-Iturraspe, M, Fernandez JC (1954) Dermolipectomia braquial. Prensa
Bereich der Arme) Med Argent 34: 2432
Gilliland MD, Lyos AT (1997) CAST liposuction of the arm improves aesthetic
4 Lymphödem oder Lymphozele
results. Aesth Plast Surg 21: 225
4 Serome (wenn nötig Punktion)
Glanz S, Gonzalez-Ulloa M (1981) Aesthetic surgery of the arm: Part I. Aesth
4 Wundinfektionen, Dehiszenzen oder Nahtabszesse
Plast Surg 5: 1
4 Über- oder Unterresektion Hurwitz DJ, Holland SW (2006) The L brachioplasty: an innovative approach
4 Ausbildung von queren Hautfalten to correct excess tissue of the upper arm, axilla, and lateral chest. Plast
4 Verletzung von Strukturen im Operationsgebiet, am Reconstr Surg 117 (2): 403–11
häufigsten des N. cutaneus antebrachii medialis, selten Knoetgen J 3rd, Moran SL (2006) Long-term outcomes and complications
Schädigung tiefer gelegener Strukturen in der Axilla associated with brachioplasty: a retrospective review and cadaveric
oder im Septum intermusculare (Nerven, Gefäße, Lymph- study. Plast Reconstr Surg 117 (7): 2219–2223
bahnen) Lockwood, T (2000) Contouring of the arms, trunk, and thighs. In Achauer BM
(ed) Plastic surgery: indications, operations, and outcomes, 1st edn.
Mosby, St. Louis, pp 2839–2858
Pitanguy I (1975) Correction of lipodystrophy of the lateral thoracic aspect
Gerade bei dieser Operation sollte eindringlich auf die lang verlau- and inner side of the arm and elbow dermosenescence. Clin. Plast Surg
fenden, deutlich sichtbaren Narben hingewiesen werden, die bereits 2: 477
bei kurzärmeliger Kleidung sichtbar sind. Im Gegensatz zu anderen Pitanguy I (2000) Evaluation of body contouring surgery today: A 30-year
Körperregionen sind die Narben im Bereich der Oberarme lange perspective. Plast Reconstr Surg 105: 1499
758 Kapitel 79 · Formkorrektur an der oberen Extremität
79
80
Formkorrektur an Gesäß
und unterer Extremität
A. Gohritz, H. Sorg
Der Wunsch nach einer ästhetischen Operation an den unteren das femorale Dreieck markiert, um eine intraoperative Verletzung
Extremitäten und am Gesäß ist im Vergleich zu anderen Körper in diesem Bereich zu vermeiden. Die gedachten Inzisionslinien
regionen eher selten anzutreffen. Es hat sich jedoch im Laufe der werden an der Oberschenkelinnenseite am Sitzbein angezeichnet.
Jahre eine erhebliche Erweiterung möglicher Indikationen und Sie reicht weiter medial entlang der Innenseite der Gesäßfalte und
Techniken ergeben. setzt sich nach vorn bis etwa auf Höhe der Labia majora bei der
Chirurgische Eingriffe zur Konturverbesserung in diesen Re Frau fort.
gionen umfassen v. a. Mit einem Pinch-Test wird das Gewebe zwischen Daumen und
4 Straffungsoperationen am Oberschenkel, Zeigefinger genommen und eine elliptische Exzisionslinie einge
4 Straffungsoperationen und Konturverbesserungen am Gesäß, zeichnet. Bei Patienten, bei denen unterhalb des oberen Oberschen
4 Liposuktion im Bereich des gesamten Beins und keldrittels ein Hautüberschuss besteht, wird weiterhin eine vertikale
4 Operationen zur Verminderung, selten auch zur Augmentation Ellipse angezeichnet, sodass im Endresultat eine T-förmige Narbe
(Implantation) des Wadenumfangs. entsteht (. Abb. 80.2).
> Der Patient muss präoperativ eingehend über die nicht
selten auffälligen Narben informiert werden.
80.1 Diagnostik
Die meisten Patienten, die aufgrund eines ästhetischen Problems der
unteren Extremitäten auf die Hilfe des Plastischen Chirurgen hoffen, 80.2.2 Straffungsoperationen
beklagen einen störenden Fettgewebeüberschuss am Oberschenkel im Gesäß-Oberschenkel-Bereich
80 glutäal, medial oder in der Trochanterregion sowie im Kniebereich,
seltener auch am Unterschenkel oder im Waden- und Knöchelbe Bei der Dermolipektomie in der Glutäal-Oberschenkel-Region han
reich. Dieser kann inspektorisch und durch Kneiftest festgestellt delt es sich um eine zirkumferenzielle oder teilzirkumferenzielle
werden. Haut-Fettgewebs-Resektion zur Definition der Infraglutäalfalte.
Bei der Planung operativer Maßnahmen sind wichtige anato- Der Glutäalbereich wird diagonal nach oben gezogen oder in die
mische Strukturen, v. a. Gefäße und Nerven, aber auch Haupt Infraglutäalfalte gelegt. Bei hoher Inzisionslinie kann die entstehen
bahnen der Lymphabflusswege zu berücksichtigen und unbedingt de Narbe gut in der Unterwäsche verdeckt werden. Es besteht jedoch
zu schonen. der Nachteil des Flachziehens des Gesäßprofils. Dies wird bei einer
tieferen Narbenführung weitgehend vermieden, dafür sind hier die
Narben oft auffälliger.
80.2 Indikationsstellung Für die Straffung der Glutäalregion kann ein deepithelisierter
dermaler Lappen zur Anwendung kommen. Dieser muss im Vorfeld
Die Fettabsaugung bietet die Möglichkeiten, Deformitäten in be am stehenden Patienten angezeichnet werden (. Abb. 80.3). Hierfür
stimmten Bereichen zu korrigieren, in denen postoperativ eine Aus muss zunächst die bestehende sowie die neue infraglutäale Falte
sicht auf eine elastische Retraktion der Haut besteht (. Abb. 80.1). markiert werden. Zudem sollte die Zone der Deepithelialisierung
Bei weniger elastischen Hautüberschüssen bleibt die straffende Der angezeichnet werden.
matolipektomie die Methode der 1. Wahl. Für die Operation liegt der Patient in Bauchlage mit etwas er
höhter Glutäalregion. Im ersten Schritt wird die präoperativ mar
kierte Zone deepithelisiert und anschließend horizontal in einen
80.2.1 Mediale Oberschenkelstraffung kranialen 2/3- und einen kaudalen 1/3-Lappen unterteilt. Diese Tei
lung repräsentiert die neue Infraglutäalfalte.
Das Fettverteilungsmuster bei Frauen unterscheidet sich von dem Im Weiteren wird nun eine tiefe Schicht bis auf die Glutäalfaszie
bei Männern. Aufgrund einer weniger elastischen Haut im Ober unterminiert. Gegebenenfalls kann hier nun überschüssiges Fett re
schenkelbereich kommt es schon früher zur Gewebeerschlaffung seziert werden. Der kraniale Lappen wird nun mit Prolenefäden an
mit Ausbildung von Hängefalten. Auch über den Knien und unter die Glutäalfaszie genäht und führt am Ende zur Position der neuen
halb des charakteristischen »Reithosenspecks« sowie unterhalb glutäalen Kurvatur und der Infraglutäalfalte. Der kaudale Lappen
des Gesäßes bilden sich Hautfalten, die durch den von oben nach wird an die erste Naht des kranialen Lappens zurückgenäht. Die
unten drückenden Weichteilschub zu typischen Gewebsstauchungen Hautnaht erfolgt durch intradermale Naht (3-0- oder 4-0-Monocryl)
führen. des kaudalen Lappens an die kraniale Haut (. Abb. 80.3).
Bei der Resektion von überschüssigem Haut- und Fettgewebe im Wenn ein schlaffer Hautüberschuss auf der Oberschenkelinnen
Oberschenkelbereich handelt es sich oft um einen aufwendigen Ein seite auch mit dorsaler Rotation des Lappens nicht verbessert werden
griff, der in manchen Fällen eine intraoperative Umlagerung des kann, muss er mit einer medialen Dreiecksresektion entfernt wer
Patienten notwendig macht. den. Weiter distal gelegenes, störendes Fett kann abgesaugt werden,
was auch das Verlagern des Lappens erleichtert.
! Cave
Solche Eingriffe sollten nur bei Patienten ohne wesent- > Wesentlich für die Dauerhaftigkeit des Ergebnisses sind
liche Risikofaktoren durchgeführt werden, v. a. hinsicht- die tiefen Verankerungen des Lappens mit Einzelknopf-
lich Wundheilungsstörungen und Lymphstauungen. nähten an der Adduktorenfaszie im Bereich des Tubercu-
lum pubicum.
Operationstechnik Wir benützen dazu spät resorbierbares Nahtmaterial der Größe 0.
Zunächst erfolgt die präoperative Anzeichnung am stehenden Ebenfalls unerlässlich sind mehrschichtige Fasziennähte im ganzen
Patienten. Die Beine sind gespreizt. Als erstes werden die Regionen Wundrandbereich, wobei nicht nur der repositionierte Haut-/Fett
mit Fettüberschüssen für die Liposuktion eingezeichnet, dann wird lappen tief an der Muskelfaszie verankert wird, sondern auch die in
80.2 · Indikationsstellung
761 80
a b
c d
. Abb. 80.1a–d Aspirationslipektomie bei einer Patientin mit typischer Reithosendeformität, vor und nach beidseitiger Absaugung an Hüfte und latera-
lem Oberschenkel in Tumeszenztechnik
Zwischenebenen durch das Fettgewebe ziehenden, oberflächlichen Ist eine Abdominoplastik ebenfalls indiziert, so kann sie mit ei
(Scarpa-) Faszien als Haltestruktur verwendet werden. In diesem ner zirkumferenziellen oder teilzirkumferenziellen Oberschenkel
Bereich verwenden wir meist 3-0 resorbierbares Nahtmaterial. dermolipektomie kombiniert werden.
Um einer sekundären Deformität vorzubeugen, empfiehlt es
sich, einen breiten deepithelisierten Fettlappen unter den Nahträn
dern vorzuziehen und hoch zu verankern. Hoch eingenähte Dermis 80.2.3 Liposuktion an der unteren Extremität
zügel können ebenfalls ein distales Absacken der Haut-Fett-Massen
verhindern. Wird eine vermehrte Rundung des Gesäßes gewünscht, Die Ergebnisse und Anforderungen an eine Fettabsaugung an der
kann das überschüssige Fettgewebe gestielt zur formverbessernden unteren Extremität unterscheiden sich abhängig von den jeweiligen
Augmentation der Glutäalregion genutzt werden. Regionen.
762 Kapitel 80 · Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität
Knieregion
In der Knieregion liegt bei vielen Patientinnen ein Fettpolster vor,
das die schlanke Kontur der Beine beeinträchtigen kann. Dieses
Polster kann jedoch leicht abgesaugt werden. Hierbei werden gute
a
Resultate erzielt, wenn der Ausläufer zum Tibiakopf hin mit abge
saugt wird. Im Gegensatz dazu lässt sich die Außenseite des Kniege
lenks und insbesondere der oberhalb der Patella gelegene Wulst
kaum absaugen, da das Fett hier stark septiert ist.
80 Knöchelregion
Die Region der Fesseln ist ebenso eine relativ schwierige Zone, da es
hier keine eigentlichen Fettpolster gibt, sondern nur das oberfläch
liche subkutane Fett verdickt ist. Hier besteht das Risiko einer ve
nösen oder lymphatischen Rückflussstauung nach der Absaugung.
Es kann Monate dauern, bis die Ödeme verschwinden, und zudem
können Hyperpigmentierungen auftreten. Auch dauerhafte Lymph
abflussstörungen sind möglich.
c e
. Abb. 80.3 a Präoperative Markierung für eine Straffung der Infraglutäal- dem kranialen und dem kaudalen Lappen und somit die neue Infraglutäal-
region. Hier bei einer 38-jährigen Patientin mit glutäaler Ptosis und Zustand falte. c Die dermalen Lappen werden nun in den kranialen (2/3) und kauda-
nach mehrfacher Liposuktion. Eingezeichnet in blau ist die undefinierte len (1/3) Lappen unterteilt. Der kraniale Anteil ist bereits an die Glutäalfas-
abgesenkte Infraglutäalregion sowie in rot die Planung der neuen Infraglu- zie mit Prolenefaden genäht. Hierdurch wird die neue glutäale Kurvatur
täalfalte. Der blaue Bereich markiert zudem die Zone für die Deepitheliali- sowie die Infraglutäalfalte sichtbar. d Fixierung des kranialen und kaudalen
sierung. b Die präoperativ markierte, nach lateral ansteigende Zone ist nun Lappens an die Glutäalfaszie. e Postoperatives Ergebnis nach Einlage von
deepithelisiert. Die blaue horizontale Linie markiert die Grenze zwischen Drainagen und kompletter Hautnaht
764 Kapitel 80 · Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität
Literatur
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Szalay L (1995) Twelve years’ experience of calf augmentation. Aesth Plast
Surg 19: 473–476
XII
Fehlbildungen
P. Vogt
81.1.1 Kraniosynostosen
. Abb. 81.1 Veränderungen von Hirnvolumen und Hirnschädelkapazität [ml]
Kraniosynostosen und daraus entstehende Stenozephalien resul
tieren aus der verfrühten Synostose (Verknöcherung) einer oder
mehrere Schädelnähte. Bereits Hippokrates beschrieb die daraus schiedlicher Penetranz, abhängig vom jeweiligen Syndrom (Inzidenz
resultierenden Veränderungen der Schädelform und brachte diese von 2/1 Mio. Lebendgeburten). In Deutschland muss bezogen auf
81 mit der Entwicklung der Schädelnähte in Verbindung. Die moderne die Gesamtpopulation mit etwa 600–800 Fällen pro Jahr gerechnet
wissenschaftliche Aufarbeitung von Schädelmissbildungen begann werden (Neuhauser et al. 1976; Berg et al. 1997). Im westlichen Eu-
jedoch erst 1800 durch Sömmerring (Cohen 1975). Virchow (1851) ropa ist die Synostose der Pfeilnaht (Skaphozephalus) am häufigsten
verfeinerte diese Beobachtungen und postulierte das, was als Vir anzutreffen.
chow’sches Gesetz bekannt wurde: Das Wachstum wird im rechten
Winkel zur betroffenen Schädelnaht behindert und findet kompen- Klassifikation der Kraniosynostosen
satorisch entlang dieser Naht und an nicht betroffenen Schädelnäh- Die Kraniosynostose kann in eine primäre und sekundäre Form ein-
ten statt. geteilt werden. Bei der primären Kraniosynostose liegt eine Störung
Charakteristisch ist eine Verkleinerung des Schädelumfangs bei des Verknöcherungsprozesses der Schädelnaht vor, die sekundäre
normalem Gehirnvolumen. entwickelt sich aufgrund einer Vorerkrankung (Stoffwechselstörung,
Voroperation). Die Einteilung erfolgt nach der Lokalisation der be-
! Cave
troffenen Schädelnaht (. Abb. 81.2, . Tab. 81.1).
Durch das Wachstum des Gehirns kommt es jedoch bald
zu Schädeldysmorphien mit möglichem Anstieg des intra-
Sutura sagittalis. Die isolierte vorzeitige Verknöcherung der Pfeil-
kraniellen Drucks (>15 mm Hg bei 42% aller Patienten
naht findet sich in 50–60% der prämaturen Kraniosynostosen. Jun-
mit multiplen betroffenen Schädelnähten) und hieraus
gen sind etwa 3,5-mal häufiger als Mädchen betroffen (Lajeunie et
folgender neurologischer Symptomatik.
al. 1995). Durch den frühzeitigen Verschluss der Sagittalnaht wächst
Im Alter von 6 Monaten erreicht das Hirnvolumen etwa 50% des der Schädel vermehrt in die Länge. Das Wachstum in die Breite
adulten Volumens und verdreifacht sich innerhalb der ersten 2 Jahre bleibt zurück. Es resultiert ein Dolichozephalus (Langschädel). Ste-
im Vergleich zum Geburtsvolumen (Gault et al. 1990). Nach dem hen die beiden Os parietalia in einem sehr steilen Winkel, spricht
4. Lebensjahr nimmt es bis zum Erwachsenenalter nur noch um 1% man von einem Skaphozephalus (Kiel- oder Kahnschädel; Grunert
zu (. Abb. 81.1). et al. 1998).
Kraniosynostosen können sekundäre Symptome wie mentale
Retardierung, Papillenödeme, Sehstörungen, Exophthalmus und Sutura frontalis. Bei etwa 10% der Kinder mit prämaturer Kranio-
Lagophthalmus zur Folge haben. Das klinische Erscheinungsbild ist synostose verknöchert die Frontalnaht (Sutura frontalis, Sutura
von der betroffenen Sutur abhängig.
Operative Verfahren wurden bereits 1890 durch Lannelongue
(David u. Simpson 1982) veröffentlicht. Er schnitt Kanäle entlang
. Tab. 81.1 Kraniostosen
der betroffenen Synostosen in die Schädelknochen. Tessier revoluti-
onierte durch die frontoorbitale Mobilisation nach erfolgter Le-Fort-
Schädelform Betroffene Schädelnaht/Sutur
III-Osteotomie die operative Therapie bei Schädelmissbildungen
(Tessier 1967; Tessier et al. 1967). Die Methode des »schwimmenden Frontaler Plagiozephalus Koronarnaht (einseitig)
Stirnbeins« (»floating forehead«) wurde von Marchac und Renier
entwickelt und 1979 erstmals publiziert (Marchac u. Renier 1979). Okzipitaler Plagiozephalus Lambdanaht (einseitig)
. Abb. 81.2 Einteilung der Kraniosynostosen. Vorzeitige Synostose der rot markierten Sutur(en). (Mod. nach Marchac et al. 1981)
metopica). Die Frontalregion bleibt im Breitenwachstum zurück, Befall multipler Suturen. Synostosen, die multiple Schädelnähte
während kompensatorisch die Os parietalia in die Breite wachsen. betreffen, finden sich in etwa 10% aller Kraniosynostosen. Ein
Durch die schmale mittige Stirnprominenz und Abflachung an bei- Oxyzephalus (Spitzschädel) entsteht durch vorzeitige Verknöche-
den Stirnseiten imponiert eine dreieckige Schädelform (Trigonoze- rung der Koronarnähte, der Sagittalnaht und der Lambdanaht. Bei
phalus, Dreiecksschädel). Die Orbitae sind nach medial verlagert kleinem Schädel zeigt sich eine hohe Stirn mit abfallendem Hinter-
mit einem daraus resultierenden Hypotelorismus. Neurologische haupt. Häufig sind Hypertelorismus und Exophthalmus assoziierte
Störungen oder geistige Retardierung werden beim Dreiecksschädel Symptome. Eine Sonderform der multiplen Kraniosynostosen und
nur selten beobachtet (Muhling u. Zoller 1996). eine sehr seltene Fehlbildung ist der Kleeblattschädel. Die Bezeich-
nung der Schädelform mit bitemporalen Vorwölbungen resultiert
Sutura coronalis. Bei 20% aller prämaturen Kraniosynostosen aus der Ähnlichkeit mit einem dreiblättrigen Kleeblatt (. Abb. 81.3).
liegt eine vorzeitige Verknöcherung der Kranznaht vor, die zu International wurden bisher weniger als 150 Fälle publiziert.
einem verstärkten Breitenwachstum führt. So entsteht ein Brachy-
zephalus, der sich durch einen kurzen, hohen Schädel auszeichnet. Ätiologie
Durch die kurze anterior-posteriore Dimension resultiert eine Zum Zeitpunkt der Geburt sind die flachen Deckknochen der Schä-
verkürzte vordere Schädelgrube mit flachen Orbitae, die mit Hy delkapsel, die sich direkt aus dem mesenchymalen Bindegewebe
pertelorismus, Exophthalmus und Strabismus vergesellschaftet sein (desmale Ossifikation) entwickeln, im Bereich der Schädelnähte
können. durch Bindegewebe voneinander getrennt. An der Verbindungsstel-
Eine einseitige Koronarsynostose bedingt einen Plagiozepha- le von mehr als 2 Knochen weiten sich die Schädelnähte zu Fonta-
lus (Schiefschädel). Es zeigt sich eine abgeflachte Stirn mit Rücklage nellen aus. Durch endo- und exokranielles Wachstum werden die
und Hochstand der gleichseitigen Augenbraue. Die nicht betroffene Schädelknochen dicker und größer. Das Wachstum findet im Be-
Stirnseite kann durch das fortschreitende Wachstum betonter und reich der Schädelnähte statt. Bis zum endgültigen Verschluss stellen
beulenartig vorgewölbt erscheinen. Die bilaterale Koronarsynostose die Schädelnähte häutige Verbindungen (Syndesmosen) dar.
tritt im Vergleich zur unilateralen familiär gehäuft auf (Lajeunie Eine Kraniosynostose entwickelt sich in utero oder post partum.
et al. 1995, 1999). Je früher der Nahtverschluss stattfindet, desto größer ist der Einfluss
auf die Schädelform. Die Ätiologie und der Pathomechanismus sind
Sutura lambdoidea. Die Lambdanaht verknöchert in 5% aller prä- noch nicht abschließend geklärt. Diskutiert werden (Cohen 1991,
maturen Fälle. Der Schädel ist am hinteren Teil abgeflacht, erhöht 2005):
und zusätzlich verbreitert. Bei beidseitiger Synostose der Lamb 4 genetische Veränderungen,
danähte wird die Schädeldeformität als Platyzephalus (okzipitaler 4 Stoffwechselerkrankungen,
Brachyzephalus) bezeichnet. 4 Erkrankungen des Kindes (Hyperthyreoidismus etc.),
770 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
a b
. Abb. 81.3 Kleeblattschädel. Seltene kraniofaziale Fehlbildung in 3-D-CT-Rekonstruktion (a) und klinischer Aspekt von kranial betrachtet (b)
4 hämatologische Erkrankungen, schlecht, sind unruhig oder auch apathisch. Vereinzelt zeigen sich
81 4 Einfluss von teratogenen Stoffen (Valproinsäure, Vitamin-A- symptomatische epileptische Anfälle. Ein erhöhter Hirndruck kann
Säure) und jedoch auch ohne klinische Hirndruckzeichen einhergehen (Rifkin-
4 Missbildungen (Mikrozephalie, Hydrocephalus occlusus etc.). son-Mann et al. 1995).
Auch Wachstumsfaktoren scheinen an der Pathologie beteiligt zu Ophthalmologische Symptome. Durch die Steigerung des in
sein. Vor allem genetische Defekte der Rezeptoren für Fibroblasten- trakraniellen Hirndrucks ist oftmals der N. opticus betroffen. Oph-
wachstumsfaktoren (FGFR = »fibroblast growth factor receptor«) thalmologische Komplikationen wie Optikusatrophie, Strabismus,
werden verantwortlich gemacht (Rutland et al. 1995; Hollway et al. Stauungspapillen und Exophthalmus sind beschrieben worden. Von
1997). Im Zusammenhang mit Kraniosynostosen lassen sich Verän- besonderem Interesse sollte daher die augenärztliche Untersuchung
derungen der Chromosomen 2, 4, 5, 7, 11 und 22 nachweisen. sein. Bis zu 25% der Kinder mit Kraniosynostosen, die klinisch weit-
gehend unauffällig sind, können pathologische VEP (visuell evo-
zierte Potenziale) aufweisen (Mursch et al. 1998).
81.1.2 Symptomatik Zu den mit Kraniosynostosen assoziierten ophthalmologischen
Erscheinungen gehören neben der Protrusio bulbi (Orbitastenose,
Kraniosynostosen werden häufig erst spät erkannt. Abhängig von flach ausgebildete Orbita) auch die Orbitadystopien wie Hyper- und
der betroffenen Naht entwickelt sich eine charakteristische Schädel- Hypotelorismus. Dies kann zu einer Inkompetenz des Lidschlusses
deformierung. Bei Befall nur einer Naht kann die veränderte Schä- mit folgenden Hornhauterosionen, zu Motilitätsstörungen mit
delform das einzige Symptom sein und v. a. ästhetische Probleme Störungen des binokularen Sehens und Visusbeeinträchtigungen
aufwerfen. Sofern die Synostose nur diskret ausgeprägt ist, kann sie führen.
leicht übersehen werden.
Auswirkung auf das stomatognathe System. Die prämature Syn-
! Cave
ostosierung der Schädelnähte mit folgender Wachstumsbeeinträch-
Bei Befall von mehreren Nähten treten jedoch häufig orga-
tigung des Viszerokraniums behindert die anterokaudale Rotation
nische Komplikationen wie Hirndruckerhöhung oder Seh-
der Maxilla. Aus diesem Grund kann es zu einer Hypoplasie des
nervbeteiligung auf. Bei geringstem Verdacht auf eine
Mittelgesichtes kommen.
Kraniosynostose sollte eine regelmäßige, engmaschige
und gründliche Untersuchung stattfinden.
81.1.3 Diagnostik
Intrakranielle Hirndrucksteigerung. Die synostosenbedingte Limi-
tation des Schädelwachstums führt zu einer intrakraniellen Druck- Die Untersuchung eines Patienten mit einer kraniofazialen Fehlbil-
steigerung, die sich auf die inneren Strukturen des zentralen Ner- dung beinhaltet
vensystems auswirkt (. Abb. 81.4). Bei längerem Bestehen des erhöh 4 Inspektion,
ten Hirndrucks (ICP; »intracranial pressure«) werden Liquorräume 4 Palpation,
verdrängt und das Hirngewebe komprimiert mit gleichzeitiger Ver- 4 Fotodokumentation (Standardfotografie, 3-D-Fotografie, Vide-
minderung des lokalen zerebralen Blutflusses. In fortgeschrittenen odokumentation),
Stadien bestehen oft Stauungspapillen und Papillenödeme. Im Ex- 4 Röntgenuntersuchung (Nativröntgenaufnahmen einschließlich
tremfall kann die Sehbahn irreversibel geschädigt werden. Beim FRS=Fernröntgenseitenbild, ggf. Computertomographie, Kern-
Säugling äußert sich der erhöhte Hirndruck meist unspezifisch. spintomographie) und
Übelkeit mit schwallartigem Erbrechen ist typisches Zeichen des 4 die Anfertigung von Gipsmodellen von Ober- und Unterkiefer
erhöhten Hirndrucks. Die betroffenen Kinder gedeihen häufig mit Modellanalyse.
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
771 81
Die Inspektion des Patienten mit einer kraniofazialen Fehlbildung Eine Computertomographie ist bei einer kraniofazialen Fehl
ist wichtig, um Asymmetrien des Hirnschädels und des Ober-, Mit- bildung insbesondere bei der Fragestellung nach einer operativen
tel- und Untergesichtes zu erfassen sowie Weich- und Hartgewebe- Korrektur wünschenswerter Standard. Zusätzlich zur Bildgebung
defizite zu erkennen. Typische Weichgewebedefizite sind Hypopla- erlauben CT-Datensätze die exakte Analyse von Deformitäten auf
sien von Haut, Fettgewebe und Muskulatur oder auch rudimentäre einer Workstation mit metrischer Quantifizierung von Wachstums-
Anlagen wie z. B. Mikrotie oder Mikrophthalmus. Typische Hart hemmung bzw. Deformität. Ein CT-Datensatz kann mit Hilfe einer
gewebedefizite sind hypoplastische oder fehlende Kieferanteile (wie Bildanalyseplattform (»image analysis platform«; IAP) ausgewertet
z. B. Retrognathien, aplastische Kiefergelenksregionen) oder unter- werden und ist für die dreidimensionale Operationsplanung und
entwickelte Hirnschädelanteile infolge von z. B. frühzeitigen Ver- Modelloperationen von Bedeutung.
knöcherungen der Schädelnähte. Ergänzend kann nach Röntgennativbildgebung und Computer-
Zu den Untersuchungen gehört selbstverständlich auch der tomographie die Knochenszintigraphie durchgeführt werden (de
Symmetrievergleich Gesichtsschädel vs. Hirnschädel und Unter- Rossi u. Focacci 1979; Tait et al. 1997).
und Oberkiefer vs. Gesichtsmittellinie. Zu einer vollständigen Sym- Initial ist die Erhebung des ophthalmologischen Status erforder-
metriebewertung gehört ferner die Gesamtansicht des Patienten. Bei lich, die nicht nur das Sehvermögen und das Gesichtsfeld beurteilen,
einem symmetrischen Hirn- und Gesichtsschädel kann dennoch sondern auch eine Exophthalmometrie und eine funduskopische
ein asymmetrischer Gesamttypus durch eine Schiefhaltung des und orthoptische Untersuchung beinhalten sollte. Die Neurooph-
Kopfes oder der gesamten Körperhaltung vorliegen oder vorge- thalmologie ist bei Patienten mit kraniofazialen Fehlbildungen in
täuscht werden. der postoperativen Phase und auch während des weiteren Wachs-
Zur Untersuchung gehören ferner die Funktionsbewertung der tums eng in den Behandlungsablauf eingebunden.
Sehbahn, der Okulomotorik, der Mundöffnung, der Beweglichkeit Neurologische Untersuchungen beinhalten den neurologischen
des Unterkiefers und die Bewertung der Innervation der mimischen Status des Patienten mit Überprüfung der altersgerechten Funktion
Muskulatur. des zentralen und peripheren Nervensystems sowie die Erhebung
Die vorgenannten Aspekte überschneiden sich bereits mit der von Form und Wachstum des Hirnschädels.
Palpation z. B. der knöchernen Symmetrie im Bereich des Hirn Wichtig ist ferner die Bewertung der oberen Luftwege, die Dia-
schädels unter der behaarten Kopfhaut. Bei der Bestimmung der gnose möglicher Choanalatresien, pathologischer Zungen- und
Fontanellenweite bei Säuglingen ist eine vorsichtige, behutsame Vor- Schluckfunktionen, äußerer oder innerer Ohrdeformitäten mit
gehensweise notwendig. möglichen Hörschäden sowie die phoniatrische Bewertung.
Da in der Therapie kraniofazialer Fehlbildungen operative Zudem ist die frühe Bewertung von dentalen und skelettalen
Eingriffe neben der postnatalen Frühbehandlung auch erst später Fehlstellungen erforderlich, um deren möglichen negativen Effekt
erforderlich werden können, sind je nach Alter des Patienten Un im ohnehin wachstumsbeeinträchtigten Fehlbildungsbereich gering
tersuchungen des Zahnstatus, Modellauswertung der Unter- und zu halten: Dazu gehört z. B. die mangelnde Entwicklung des Stereo-
Oberkieferabformung und die kephalometrische Analyse eines sehens beim Kleinkind, die aus der Fehlstellung von knöchernen
Fernröntgenseitbildes durch den Kieferorthopäden von Bedeutung. Augenhöhlen resultieren kann.
Als Minimalforderung sind Röntgennativaufnahmen des Schädels
in 2 Ebenen sowie – beim kooperativen Patienten – ein Orthopanto-
mogramm erforderlich. Besteht der Verdacht auf eine Beteiligung
der Lambdanaht, wird zusätzlich eine 3. Ebene aufgenommen.
772 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
81.1.4 Kraniofaziale Syndrome ab dem 3. Monat festzustellen. Die Inzidenz beträgt etwa 1:65.000
Geburten. Innerhalb der Kraniosynostosen macht das Apert-Syn-
Unter dem Begriff Syndrom werden Krankheitsbilder mit einem drom nahezu 4% aller Fälle aus (Cohen u. Kreiborg 1992). Ursäch-
Symptomenkomplex zusammengefasst. Aktuell sind etwa 100 Syn- lich ist eine Mutation im Fibroblastenwachstumsfaktorrezeptor-2-
drome bekannt, bei denen kraniofaziale Fehlbildungen mit anderen Gen (FGFR 2), lokalisiert auf Chromosom 10 (direkte Genotyp-Phä-
Fehlbildungen kombiniert sind. Wichtig ist bei deren Behandlung notyp-Korrelation). Die Fehlbildung tritt meist sporadisch auf und
das Gesamtkonzept einer plastisch-rekonstruktiven Wiederherstel- wird autosomal-dominant vererbt.
lung. Im Folgenden wird eine Auswahl von Syndromen vorgestellt, Das Apert-Syndrom kann mit einer Vielzahl von weiteren Mal-
die mit kraniofazialen Fehlbildungen assoziiert sind. formationen vorkommen. Häufig werden eine Fusion der Halswirbel
von C5 und C6 sowie kardiovaskuläre und urogenitale Anomalien
Akrozephalosyndaktyliesyndrome. Hierbei handelt es sich um au- beobachtet.
tosomal-dominant vererbte Krankheitsbilder mit einer genetisch
bedingten Kombination aus prämaturen Kraniosynostosen und Carpenter-Syndrom (Akrozephalopolysyndaktyliesyndrom II).
häutigen oder knöchernen Syndaktylien der Finger oder Zehen. Das Carpenter-Syndrom, das als einziges Akrozephalosyndaktylie-
Aufgrund der vielfältigen klinischen Expressivität und Überschnei- syndrom autosomal-rezessiv vererbt wird, besteht aus einer pri-
dungen innerhalb klinischer Manifestationen gab es viele Einteilun mären Kraniosynostose aller Schädelnähte mit Brachyzephalie und
gen von verschiedenen Syndromen, die diesem Komplex zugeordnet Gesichtsdysplasien.
wurden. Seit 1994 wurde die Gruppe der Akrozephalosyndaktylie-
syndrome auf 3 klinische Hauptgruppen reduziert: Nicht-Apert-Syndrome (Akrozephalosyndaktyliesyndrom III).
4 Apert-Syndrom, Hier sind das Pfeiffer- und das Saethre-Chotzen-Syndrom zu nennen:
4 Nicht-Apert-Syndrom (Pfeiffer-Syndrom, Saethre-Chotzen- 4 Das Pfeiffer-Syndrom zeigt eine Kranznahtsynostose mit Tur-
Syndrom) und ribrachyzephalie und geringgradig ausgebildeten Gesichtsasym-
81 4 Carpenter-Syndrom (Pfeiffer et al. 1977). metrien. Das klinische Erscheinungsbild ist dem Apert-Syndrom
ähnlich. Die Syndaktylien sind eher unregelmäßig ausgeprägt
Ätiologisch zeigt sich eine molekulargenetische Gemeinsamkeit be- mit breiten, nach außen gerichteten Endgliedern der Daumen
züglich einer Mutation des Fibroblastenwachstumsfaktorenrezep- und Großzehen (Soekarman et al. 1995). Ätiologisch ist eine
tors (FGFR; »fibroblast growth factor receptor« 1–3). Neumutation im FGFR-2-Gen verantwortlich.
4 Im Gegensatz zu den bisher genannten Syndromen wird das
Apert-Syndrom (Akrozephalosyndaktyliesyndrom I). Eugene Apert Saethre-Chotzen-Syndrom nicht von einer Mutation eines
beschrieb 1896 erstmals die klinische Trias des nach ihm benannten Fibroblastenwachstumsfaktorrezeptors, sondern durch eine au-
Syndroms: tosomal-dominant vererbte Fehlbildung mit chromosomaler
4 Malformation des Schädels (Breit- oder Turmschädel mit Exoph- Veränderung auf Chromosom 7 (Wieland et al. 2005; de Heer et
thalmus), al. 2005; el Ghoutti et al. 1997) verursacht. Der Phänotyp erin-
4 Hypoplasie des Mittelgesichts und nert an das Apert-Syndrom in milder Ausprägung. Typisch sind
4 symmetrische Syndaktylien von Händen und Füßen (Abrate et zusätzlich ein niedriger Stirnhaaransatz und eine Ptosis der
al. 1990; . Tab. 81.2). Oberlider.
Die faziale Morphologie wird durch das typische Erscheinungsbild Dysostosis craniofacialis (M. Crouzon). Beim M. Crouzon liegt
der flachen, elongierten Stirn mit breiter bitemporaler Region und eine prämature Kraniosynostose aufgrund einer Genmutation mit
okzipitaler Abflachung charakterisiert (Turribrachyzephalus). Wei- Defekt des Rezeptors für Fibroblastenwachstumsfaktoren (FGFR 2)
terhin imponieren ein Hypertelorismus mit Exophthalmus und nach vor. Dabei kommt es jedoch zu keinen Fehlbildungen an den
kaudal abfallende Lidspalten. Meist setzen die Ohren etwas tiefer an Extremitäten. Nach dem Erstbeschreiber Louis Edouard Octave
und sind vergrößert (Marsh et al. 1991; Cohen u. Kreiborg 1996; Crouzon (1912) zeigen sich 4 klinische Zeichen (. Abb. 81.5 und
Ferraro 1991). Im Kiefer-Gesichts-Bereich liegen Zahnengstellun- . Tab. 81.2):
gen, ein frontoffener Biss und ein hoher Gaumenbogen mit ggf. 4 Exorbitismus und Proptose (Hervortreten der Bulbi),
Spaltbildung vor. 4 Retromaxillie (maxilläre Retrognathie),
Durch eine Fruchtwasseruntersuchung ist diese Fehlbildung ab 4 Inframaxillie (vertikal unterentwickeltes Mittelgesicht) und
der 8. Schwangerschaftswoche und durch die pränatale Sonographie 4 paradoxe Retrogenie.
Malformationen der Extremitäten Keine Symmetrische Syndaktylie von Händen und Füßen
Ophthalmologische Besonderheiten Nystagmus, Strabismus, Atrophie des N. opticus Ptosis, antimongoloide Lidachse
a b c
. Abb. 81.5 M. Crouzon. Präoperativer klinischer Aspekt (a, b) und nach frontoorbitalem Advancement (c)
. Abb. 81.7 Einteilung der hemifazialen Mikrosomie. (Mod. nach Pruzansky 1969)
81
a b c
. Abb. 81.8 Typische Deformität bei manifestierter und bislang unkorrigierter hemifazialer Mikrosomie in 3-D-CT-Rekonstruktion (a), koronarem Schnitt-
bild (b) und im klinischen Aspekt (c) bei einem 10-jährigen Kind
basis. Eine Weichgewebshypoplasie liegt häufig auf der betroffenen säulenanomalien (z. B. Kyphoskoliose), Hemihypoplasie des Ge-
Seite vor. Die Inzidenz beträgt ca. 1:5.000. Die hemi- oder bilaterale sichtes, verkleinerte Jochbeine, Mikro-/Retrognathie und angeborene
kraniofaziale Mikrosomie kann mit einer Makrostomie oder auch Herzfehler (Fallot-Tetralogie). Die Inzidenz beträgt etwa 1:45.000.
einer queren Gesichtsspalte einhergehen.
Hemiatrophia faciei progressiva (Parry-Romberg-Syndrom). Es
Goldenhar-Syndrom (okuloaurikulovertebrale Dysplasie). Dieses handelt sich um eine halbseitige Gesichtsatrophie, die ohne bekann-
Syndrom betrifft v. a. Derivate des 1. Schlundbogens. Eine Beteiligung te genetische Komponente sporadisch auftritt. Die von-Romberg-
genetischer Faktoren ist noch nicht geklärt. Klinische Zeichen sind Erkrankung beginnt typischerweise um das 20. Lebensjahr und
v. a. Augenfehlbildungen (Oberlidkolobom, Mikrophthalmus), epi- betrifft sowohl das Weich- als auch das Hartgewebe. Es tritt eine
bulbäre Dermoide, Ohrfehlbildungen (Mikrotie bis Anotie), Wirbel- progrediente Atrophie des subkutanen Fettgewebes, der Haut (skle-
rodermiform, »coup de sabre«) und der Muskeln auf. Es können
verspätete Zahndurchbrüche und atrophische Zahnwurzeln resul-
tieren. Eine Beteiligung der primär nicht betroffenen Seite kann im
. Tab. 81.3 Einteilung der hemifazialen Mikrosomie fortgeschrittenen Krankheitsstadium auftreten. Im Allgemeinen
kommt es nach 2–10 Jahren zum Stillstand der Erkrankung, in sel-
Typ Kennzeichen
tenen Fällen ist jedoch auch das Persistieren über längere Zeiträume
I Hypoplastisch zu verzeichnen. Als ursächlich werden virale Infektionen oder Schä-
Reduzierte Translationsbewegung bei Mundöffnung digungen des sympathischen Nervensystems diskutiert.
IIa Abgeflachter Proc. condylaris
Hyper- und Hypotelorismus. Der Hypertelorismus ist eine Form
IIb Rudimentärer Proc. condylaris einer kongenitalen kraniofazialen Fehlbildung, bei der sowohl die
Kiefergelenkatresie knöchernen Orbitae als auch der Augenhöhleninhalt nach lateral
III Fehlen des R. mandibularis
verlagert sind. Das Hypertelorismus-Hypospadie-Syndrom ist eine
Kombination kraniofazialer und genitaler Fehlbildungen mit einem
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
775 81
heterogenen Fehlbildungskomplex. Es liegt eine Mutation eines Nur die Zusammenarbeit in einem solchen Team erlaubt die um
Gens auf dem X-Chromosom vor, dessen Proteine an der Entwick- fassende Einstufung der kraniofazialen Fehlbildung mit der erfor-
lung des Mittellinienfeldes beteiligt sind. Daraus können ein Brachy- derlichen frühzeitigen Weichenstellung für eine Therapie und Ein-
zephalus, Vergrößerungen von Cisterna magna und 4. Ventrikel, leitung rehabilitativer Maßnahmen.
eine Corpus-callosum-Hypoplasie, ein Telekanthus, Lippen-Kiefer- Die Korrektur kraniofazialer Fehlbildungen bedarf chirurgischer
Gaumen-Spalten und Ohrmuscheldysplasien mit ggf. zusätzlicher Techniken, die den Strukturen des Gehirn- und des Gesichtsschädels
geistiger Retardigung resultieren. Bei Frauen liegt in der Regel eine gerecht werden. Ziel einer solchen chirurgischen Korrektur können
erheblich mildere Symptomatik vor. das Schädeldach selbst, die knöcherne Schädelbasis mit den Orbitae,
Das Gegenteil vom Hypertelorismus ist der Hypotelorismus, der die Gesichtsschädelknochen ebenso wie der Unter- und Oberkiefer
eine noch seltenere kraniofaziale Fehlbildung darstellt und am häu- sein. Die chirurgische Behandlung kraniofazialer Fehlbildungen
figsten mit einem Trigonozephalus, seltener mit einer Trisomie 13 geht in der modernen Form auf Tessier und Mitarbeiter zurück und
oder einem Mikrozephalus verbunden sein kann. Der orbitale Hy- stellt einen der bedeutenden Fortschritte der modernen rekonstruk-
potelorismus ist kein Syndrom, sondern ein fakultatives, mit kra tiven Chirurgie des Kopfes dar.
niofazialen Fehlbildungen einhergehendes, klinisches Zeichen. Ur- Die Behandlung der kraniofazialen Fehlbildungen wird unter-
sächlich für einen orbitalen Hypotelorismus sind möglicherweise schieden in
verschiedene Spaltformen und vorzeitige Synostosen von kraniofa- 4 eine Frühbehandlung (vor Ende des 1. Lebensjahres) und
zialen Suturen. 4 eine Spätbehandlung (nach Ende des 1. Lebensjahres).
Gegenüber dem Hyper- und Hypotelorismus als kraniofaziale
Fehlbildungen unterscheidet sich ein Telekanthus durch eine nor- Folgeoperationen während und nach Abschluss des Wachstums sind
male Bulbusposition bei einer Verschiebung der Lidbandinsertionen möglich.
bzw. der medialen Orbitawände nach lateral. Die Wahl des Therapiezeitpunktes ergibt sich aus der Schwere
der einzelnen Symptome, d. h. aus neurochirurgischer Indikation,
wenn z. B. eine lebensbedrohliche Hirndrucksymptomatik vorliegt.
81.1.5 Therapeutisches Vorgehen Ebenso können ophthalmologische, gesichtschirurgische oder
HNO-ärztliche Indikationen (z. B. Kompression des N. opticus mit
Operative Technik Erblindungsgefahr des Auges) eine chirurgische Intervention erfor-
> Voraussetzung für die erfolgreiche Planung und Behand- dern. Bei allen kraniofazialen Fehlbildungen muss jede Therapie die
lung von kraniofazialen Fehlbildungen ist ein interdiszip- Gesamtsituation des Patienten berücksichtigen, insbesondere bei
linäres Team, das sich aus folgenden Fachbereichen zu- Syndromen mit weiteren Fehlbildungen z. B. des kardiovaskulären
sammensetzen muss: Neurochirurgie, Mund-, Kiefer- und Systems, der Extremitäten, des Respirationstrakts (z. B. Choanala-
Gesichtschirurgie, HNO-Heilkunde und Phoniatrie, Plasti- tresie, Laryngomalazie) oder des oberen Verdauungstrakts (z. B.
sche Chirurgie, Neuroophthalmologie, Neuroradiologie, Ösophagusatresie). Daraus ergibt sich bereits die Notwendigkeit der
Kinderchirurgie, Pädiatrie/Neuropädiatrie, Humangenetik, Behandlung durch mehrere Fachdisziplinen. Dies gilt auch für die
Neurologie, Kieferorthopädie, klinische Psychologie, Phy- weitere Rehabilitation, in die die oben genannten Fachrichtungen
siotherapie, Sozialarbeiter und Sprachtherapeut. einzubeziehen sind.
a b c
d e
. Abb. 81.9 Patient mit M. Crouzon. Operative Schritte der virtuellen Planung unter Benutzung einer »image analysis platform« (a–c). Vergleich von prä-
operativer und postoperativer Computertomographie (d, e)
776 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
a b c
81
d e
f g
. Abb. 81.10a–g Distraktionsosteogenese bei hemifazialer Mikrosomie exzentrischer p.a.-Aufnahme nach Clementschitsch (d, e) sowie prä-opera
rechts. Darstellung in Fernröntgen-seitlich-(FRS)-Aufnahme (a–c), in kaudal tiver (f) und postoperativer (g) klinischer Aspekt (vor Distraktorentfernung)
Chirurgische Frühbehandlung. Zur chirurgischen Frühbehand- notwendig sein, um eine drohende Einengung des kranioorbitalen
lung der Kraniosynostosen gehören die Liquordrainage (Anlage von Übergangs, z. B. im Rahmen eines M. Crouzon, zu vermeiden und
Schlauchverbindungen zwischen Liquorraum (z. B. Seitenventrikel) damit eine Erblindung zu verhindern.
und Blutgefäßsystem (z. B. rechter Herzvorhof oder Bauchhöhle)
zur Vermeidung oder (auch) Behandlung eines Hydrozephalus, und Chirurgische Spätbehandlung. Diese Therapie der Kraniosynosto-
die streifenförmige Kraniektomie, die je nach Schädeldeformität un- sen beinhaltet folgende Operationsverfahren:
terschiedlich ausgedehnt sein kann. Zur Vorbewegung des frontalen 4 ein frontoorbitales Advancement, Le-Fort-III-Osteotomie mit
und orbitalen Bereiches wurde das sog. frontoorbitale Advancement Vorverlagerung (um das 3.–4. Lebensjahr oder erst im späteren
eingeführt, das mit einer Kraniektomie oder Kranioplastik verbun- Jugend- oder auch Erwachsenenalter),
den werden kann. 4 die kombinierte Vorverlagerung des Mittelgesichtes mittels Le-
Falls Funktionseinbußen z. B. des Sehsystems durch ein ausge- Fort-III-Osteotomie und der Stirnregion,
prägtes sagittales Wachstumsdefizit vorliegen, kann zur Kompensa- 4 die Vorverlagerung des Mittelgesichtes auf Le-Fort-II-Ebene
tion vor dem 1. Lebensjahr eine komplexe kraniofaziale Vorbewe- sowie
gung erforderlich werden. Im Rahmen der Frühbehandlung können 4 operative Korrekturen im Bereich von Oberkiefer, Unterkiefer
zusätzlich modellierende Osteotomien im sehkanalnahen Abschnitt und Jochbein (. Abb. 81.9).
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
777 81
. Abb. 81.11 Verwendung einer nicht resorbierbaren Osteosyntheseplatte und deren Darstellung in der postoperativen Verlaufskontrolle (MRT-Diagnos
tik; a) sowie intraoperativer Aspekt (b)
Die skelettale Korrektur von Ober- und Unterkiefer wird in der Regel sind. Um hier eine Tracheotomie zu vermeiden, kann die frühe Vor-
im späteren Jugend- und frühen Erwachsenenalter durchgeführt. verlagerung des Unterkiefers und des Zungenapparates durch Dis-
Für die chirurgische Therapie der kraniofazialen Fehlbildungen traktion nach anterior gerechtfertigt sein. Bei Kindern mit Rücklage
sind die Neuentwicklungen der Osteosynthese und der dynamischen der Zunge (Glossoptose) und Verlegung der Atemwege ist auch eine
Fixierungsverfahren (Distraktoren) bedeutsam (. Abb. 81.10). anteriore Zungenzügelung mittels einer durchgreifenden Matratzen-
Als eine der größten Errungenschaften für die Fixierung im Be- naht durch den Zungengrund zu erwägen, die wiederum am ante
reich des Hirnschädels darf die Einführung resorbierbarer Osteo- rioren Unterkiefer lingual oder vestibulär fixiert werden kann.
synthesematerialien gelten, die bei Kleinkindern nach Umstellungs- Bei orbitalen Korrekturen ist die neuroophthalmologische Wer-
osteotomien im Bereich des Schädeldaches und frontoorbitalem tung wichtig, um Verlagerungen des Orbitainhalts mit Beeinträchti-
Advancement keine Osteosynthesematerialentfernung mehr erfor- gung des Stereosehens, Schielstellungen, mögliche Kompressionen
dert. Belässt man hingegen z. B. Osteosynthesematerialien aus Titan, des Sehnervs oder auch Lidschlussinsuffizienzen mit der Gefahr
kommt es zum relativen Durchwandern der verbliebenen Platten der Hornhautaustrocknung frühzeitig zu erkennen (Gellrich et al.
und Schrauben zentralwärts, da das nach außen gerichtete Wachs- 2008). Hierdurch können ursprünglich später geplante Operationen
tum des Hirnschädels weiter voranschreitet (. Abb. 81.11). Dadurch in eine frühere Behandlungsphase gerückt werden, wie dies bei ex-
werden spätere Osteosynthesematerialentfernungen unmöglich, tremen Fehlbildungen (z. B. einem Kleeblattschädel) erforderlich
und es können sogar durch die Wachstumskräfte Plattenbrüche auf- sein kann.
treten.
> Die in der Regel komplexe Gesamttherapie der kraniofazi-
Insbesondere für die kieferverlagernden Operationen sind die
alen Fehlbildungen ist an chirurgische Zentren gebunden,
modernen Methoden der Distraktion als Innovation anzusehen, bei
die den erforderlichen personellen und materiellen Anfor-
denen entweder durch interne oder externe Distraktoren schon im
derungen gerecht werden können, welche die anspruchs-
frühen Kindesalter Vorverlagerungen schonend möglich sind. Die
volle Therapie und Rehabilitation der Patienten mit kranio
Osteotomien an sich unterscheiden sich jedoch nicht von denen der
fazialen Fehlbildungen stellen.
einzeitigen Vorverlagerungen. Durch interne und externe Distrak-
toren kann die Aktivierung des osteotomierten Knochenareals in der
Regel um 1 mm pro Tag anteriorwärts über einen Zeitraum von 2–4 Frontoorbitales Advancement und Modifikationen
Wochen erfolgen. Zudem können Überkorrekturen geplant und Der operative Zugang erfolgt über einen Bügelschnitt auf Höhe der
durchgeführt werden. Nachkorrekturen in der späteren Retentions- Kranznähte. Der Haut-Galea-Lappen wird vom Periost bis auf Höhe
phase sind möglich. der supraorbitalen Wülste präpariert und die Nasenpyramide frei
gelegt. Anschließend werden die Bulbuskapsel vom Orbitatrichter
> Alle chirurgischen Lageveränderungen der Kiefer sollten
gelöst und die Osteotomielinien markiert. Das frontoorbitale Kno-
von einer kieferorthopädischen Behandlung begleitet
chensegment wird durch eine horizontal verlaufende Osteotomie
werden.
linie geteilt. Das frontoorbitale Advancement ist die operative
Die frühe Distraktion des Unterkiefers kann schon im Kleinkindal- Grundlage für Osteotomien aller pathologischen Schädelformen
ter notwendig sein, wenn respiratorische Störungen vital bedrohend (. Abb. 81.12).
778 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
a d
81
b e
c f
. Abb. 81.12a–f Frontoorbitales Advancement. Schematische Darstellung und klinischer Aspekt prä- und postoperativ
Nach Entnahme des frontalen Knochensegmentes wird der Kraniektomie kombiniert. Parallel zur Sagittalnaht wird jeweils ein
Stirn- und Schläfenlappen epidural vom Periost gelöst. Es folgen die etwa 1 cm breiter Knochenstreifen reseziert.
extrakranielle Osteotomie im Bereich der Nasenwurzel und der Bei extremen Kraniosynostosen mit mehreren betroffenen Su-
Temporalregion unter Schutz der Dura sowie die intrakranielle turen kann das frontoorbitale Advancement mit der totalen Krani-
Osteotomie des Keilbeinflügels und des Orbitadachs unter Schutz ektomie kombiniert werden. Dazu wird das Os parietale beidseits bis
des Bulbus. Entsprechend der betreffenden Fehlbildung werden zur Sutura temporosquamosa, der Sutura lambdoidea und der hin-
nach der Osteotomie die Knochensegmente ausgeformt und an- teren Fontalle vollständig reseziert. Der ausgedehnte Kalottendefekt
schließend mit meist resorbierbarem Osteosynthesematerial fixiert. kann im 1. Lebensjahr reossifizieren. Anschließend ist die totale
Abschließend erfolgt die Einlage von Redon-Drainagen und das Zu- Kraniektomie aufgrund deutlich nachlassender Reossifizierungs-
rückschlagen des Haut-Galea-Lappens mittels mehrschichtigem potenz nicht indiziert und das Risiko einer inkompletten Schädel-
Wundverschluss. verknöcherung zu hoch.
Modifikationen sind bei der Therapie des Skaphozephalus not- Bei Vorliegen einer ausgeprägten Mittelgesichtshypoplasie im
wendig. Hier wird das frontoorbitale Advancement mit der linearen Rahmen einer Kraniosynostose kann zusätzlich zum frontoorbitalen
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
779 81
Advancement eine Le-Fort-III-Osteotomie notwendig werden, um satz begrenzt werden. Später fusionieren die Oberkieferwülste mit
die starke Protrusio bulbi bei Orbitastenose operativ zu korrigieren den medialen Nasenwülsten und bilden gemeinsam die Oberlippe
und ophthalmologische Komplikationen zu vermeiden. Hierfür und in der Tiefe das Zwischenkiefersegment (mit Philtrum, Alveo-
werden nach abgeschlossenem frontoorbitalem Advancement die larfortsatz der Inzisivi und primärem Gaumen). Nach kranial be-
Weichteile im Bereich der Maxilla und Nase vollständig vom Kno- steht über das Nasenseptum eine Verbindung zum Stirnfortsatz. Der
chen gelöst, die Bulbuskapsel zirkulär aus dem Orbitatrichter gelöst weitaus größere Teil des definitiven knöchernen Gaumens geht je-
und Osteotomien im Bereich der Sutura zygomaticofrontalis und des doch aus Fortsätzen der Oberkieferwülste hervor, die gemeinsam die
Jochbogenansatzes am Os zygomaticum posterior der Margo infra- Gaumenplatte bilden (6. SSW). Anfangs verhindert die Zunge das
orbitalis bis in die mediale Orbitawand auslaufend durchgeführt. Fusionieren der Gaumenplatte, verlagert sich ab der 7. SSW jedoch
Durch die Downfracture-Technik wird das Oberkiefersegment mo- nach kaudal, sodass sich der sekundäre Gaumen bilden kann. Im
bilisiert, in die entsprechende Position verlagert und osteosynthe- anterioren Bereich verschmelzen sekundärer Gaumen und primärer
tisch fixiert. Gaumen aus dem Zwischenkiefersegment (10. SSW; Barteczko u.
Orbitadystopien wie der Hyper- und Hypotelorismus stellen Jacob 2004) auf Höhe des Foramen incisivum.
eine Sonderform der kraniofazialen Fehlbildungen dar. Beim Hyper- Der Tränennasengang entsteht durch sekundäre Kanalisation
telorismus erfolgt über eine zirkuläre Osteotomie des Orbitatrichters aus der Tränennasenfurche, die zwischen Oberkieferwulst und late-
die Verlagerung nach medial. Zwingend erforderlich ist die mediale raler Nasenwulst liegt, und senkt sich soweit ab, dass beide genann-
Kanthopexie nach einer Hypertelorismusoperation, um die me ten Wülste verschmelzen können. Maxilla und Jochbein entstehen
dialen Lidbänder in der neuen Position zu fixieren. aus den Oberkieferwülsten. Unterlippe und Unterkiefer gehen nach
medianer Verschmelzung aus beiden Unterkieferwülsten hervor.
Komplikationen Teratogene Einflüsse oder genetische Veranlagungen führen
Die Operationstechnik des frontoorbitalen Advancements kann v. a. im kritischen Zeitfenster (4.–12. SSW) durch fehlende Verschmel-
durch hohen intrakraniellen Druck erschwert werden, da der zu os- zung oder Verwachsung der Gesichtsfortsätze zur Manifestation
teotomierende Kalottenknochen druckbedingt stark ausgedünnt einer entsprechenden Spaltbildung (Dursy 1869; His 1892). Man
sein kann. Hier besteht die Gefahr der Duraverletzung mit Aus unterscheidet dabei vordere von hinteren Spaltbildungen. Eine
bildung einer Liquorfistel. Des Weiteren können Verletzungen der Grenzlinie kann im Bereich des Foramen incisivum gezogen werden.
Sinus zu großen Blutverlusten führen. So bilden sich laterale Lippenspalte, Kieferspalte und die Spalte
Ein nicht unerhebliches Infektionsrisiko besteht bei bereits zwischen primärem und sekundärem Gaumen vor dem Foramen
ausgebildeten Stirnhöhlen (ältere Kinder). Um aszendierende In incisivum aufgrund einer ungenügenden Fusion von Oberkiefer-
fektionen zu vermeiden, sollte die Stirnhöhle deepithelisiert und wulst und medialer Nasenwulst. Hintere Spaltbildungen wie die
obliteriert werden. Weichgaumenspalte und die Uvula bifida entstehen durch fehlende
Weitere Risiken sind epidurale Nachblutungen, die Verletzung Vereinigung der Gaumenplatte. Als Ursache gelten die zu kleine
des Tränen-Nasen-Gangs, Schleimhauteinrisse im Bereich der La- Gaumenplatte und die fehlende Verlagerungsmöglichkeit der Zunge
mina cribrosa mit anhaltender Liquorrhö, postoperative Kiefer- nach kaudal bei Mikrognathie. Spaltbildungen, die sowohl vor als
klemmen nach Ablösung des M. temporalis im Rahmen des koro- auch hinter dem Foramen incisivum liegen, bilden die vollständigen
naren Zugangs und Bulbusverletzungen. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten.
Die Wahrscheinlichkeit der oben genannten Komplikationen bei Eine Ausbildung von schrägen Gesichtsspalten ergibt sich bei
kraniofazialen Eingriffen wird mit etwa 5–10% angegeben. Eine fehlender Verschmelzung von Oberkiefer- und lateralen Nasenwüls-
postoperative intensivmedizinische Überwachung, eine periopera- ten. Mediane Spaltbildungen sind sehr selten und bilden sich durch
tive Antibiotikaprophylaxe und abschwellende Maßnahmen sind eine unvollständige Vereinigung der beiden medialen Nasenwülste.
indiziert. Meist liegen gleichzeitig Hirnfehlbildungen mit unterschiedlich aus-
geprägtem Verlust von medialen Strukturen vor.
81
vom Typ der Spaltbildung der Elterngeneration, sondern auch vom 81.2.2 Klassifikation von Lippen-Kiefer-Gaumen-
Geschlecht. So zeigt sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Spalten
Sohn einer Mutter mit Lippen- oder vollständiger LKG-Spalte (Kot
u. Kruk-Jeromini 2007). Generell beträgt die Wahrscheinlichkeit bei Entsprechend der zeitlich versetzten Entwicklung von Lippe, Kie-
nicht selbst betroffenen Eltern und einem Kind mit Lippenspalte für fer und Gaumen ergeben sich abhängig von Art, Stärke und Zeit-
das Auftreten desselben Defektes beim nächsten Kind etwa 4%. punkt einer während der Schwangerschaft einwirkenden Störung
Wenn bereits zwei Kinder betroffen sind, steigt das Risiko auf etwa unterschiedliche Formen und Ausprägungsgrade der Spaltbil-
9% an. Das individuelle Risiko lässt sich durch eine genetische Bera- dungen.
tung näher bestimmen und wird Eltern mit weiterem Kinderwunsch Man unterscheidet 4 verschiedene Spaltabschnitte:
empfohlen. 4 von der Oberlippe zum Naseneingang,
Als Ursache werden exogene und endogene Einflussfaktoren 4 im Bereich des Alveolarkamms,
genannt. Eine Vielzahl von Studien untersuchen genetische Kompo- 4 am Hart- und am
nenten, die für die Entstehung von LKG-Spaltbildungen verantwort- 4 Weichgaumen.
lich gemacht werden (Wong u. Hagg 2004; Stanier u. Moore 2004).
Gegenwärtig wird eine multifaktorielle Genese angenommen. Dabei Spaltbildungen können jeweils einseitig (rechts oder links) oder auf
scheinen jedoch v. a. exogene Einflussfaktoren wie Strahlenexposi beiden Seiten des Gesichtes auftreten und dabei unvollständig
tion, Einnahme teratogener Medikamente (z. B. Antiepileptika), (z. B. Lippenspalte, die in der Oberlippe endet) oder vollständig
Alkohol- und Nikotinabusus (Romitti et al. 2007), virale Infektionen (z. B. Lippenspalte bis in den Naseneingang reichend) ausgeprägt
von Mutter und Kind, fortgeschrittenes Alter der Eltern (Bille et al. sein (. Abb. 81.13 bis . Abb. 81.17).
2005), Fehl- und Mangelernährung [Folsäuremangel (Natsume et al. Daneben gibt es verdeckte Spalten: Die Spaltbildung erstreckt
1999), Vitamin-A-Überdosierung] sowie körperlicher und psy- sich nur auf die Muskulatur (submukös), während die darüberlie-
chischer Stress zu dominieren. gende Haut und Schleimhaut intakt sind. Die frühzeitige Diagnostik
sog. submuköser Spaltbildungen ist von besonderer Bedeutung, da
trotz intakter Gaumenschleimhaut die für die Aussprache und Be-
lüftung des Ohres wichtige Muskulatur nicht vereint ist. Unbehandelt
kann es zu Sprechstörungen und Belüftungsstörungen des Mittel-
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
781 81
a a
c c
. Abb. 81.14 Einseitige vollständige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte . Abb. 81.15 Beidseitige vollständige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
präoperativ (a, b) und nach operativer Versorgung (c) präoperativ (a, b) und – nach Primäroperationen – im Alter von 6 Jahren (c)
ohres mit evtl. resultierender Schwerhörigkeit kommen. Das Be- Seltene Gesichtsspalten (. Abb. 81.18, . Abb. 81.19) werden in
handlungskonzept submuköser Spalten entspricht dem der offenen der LAHS-Nomenklatur jedoch nicht abgebildet. Hierfür findet die
Spaltformen. Internationale Klassifikation der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
Die LAHS-Nomenklatur (Koch et al. 1995) stellt eine interna (1967) Verwendung:
tional anerkannte topographisch-anatomische Klassifikation von 4 Zu Gruppe 1 gehören vordere Spaltbildungen (primärer Gaumen),
Spaltbildungen dar (. Tab. 81.4). Die Buchstaben bezeichnen den 4 zu Gruppe 2 vordere und hintere Spaltbildungen und
betroffenen anatomischen Bereich: So steht »L« für eine Lippenspal- 4 zu Gruppe 3 isolierte hintere Spaltbildungen (sekundärer Gau-
te, »A« für eine Kieferspalte (Alveolus), »H« für eine Hart- (»hard men).
palate«) und »S« für eine Weichgaumenspalte (»soft palate«). Nicht 4 Die seltenen Gesichtsspalten werden in Gruppe 4 subsumiert
betroffene anatomische Abschnitte werden mit einem Minuszeichen 5 mediane Spalten,
gekennzeichnet. Der linke Teil des Codes betrifft die rechte Patien- 5 oroorbitale schräge Gesichtsspalten,
tenseite und umgekehrt. Kleine Buchstaben symbolisieren unvoll- 5 oroaurikuläre quere Gesichtsspalten,
ständige Spaltbildungen. 5 andere seltene Spalten.
782 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
LAHS-Nomenklatur Kennzeichen
L– – – – – – Rechtsseitige Lippenspalte
– – – S– – – Isolierte Weichgaumenspalte
a c e
b d f
. Abb. 81.17 Unvollständige Spaltformen: Lippenkolobom (a, b), einseitige Lippenkerbe (c, d), unvollständige beidseitige Lippenspalte (e, f)
a b c
81
d e
f g
Gaumenspalten. Isolierte Gaumenspalten gehören zu den hinteren, schleimhaut maskiert. Klinisch fallen die betroffenen Kinder häufig
posterior des Foramen incisivum liegenden Spaltbildungen und zei- erst durch spaltbedingte Funktionsstörungen im Sinne von Belüf-
gen in der Regel keine Beteiligung des Alveolarknochens. Abhängig tungsstörungen des Mittelohrs auf, die rezidivierende chronische
von der anterior-posterioren Ausdehnung wird die Uvula bifida (ge- Paukenergüsse zur Folge haben. Häufig findet sich eine submuköse
spaltenes Zäpfchen) von der submukösen Gaumenspalte sowie der Gaumenspalte im Rahmen syndromaler Erkrankungen.
unvollständigen und der vollständigen Gaumenspalte unterschieden Bei unvollständigen Gaumenspalten erstreckt sich die Spaltbil-
(. Abb. 81.21). dung von der Uvula bis in den Weichgaumen. Sollte die Spaltbildung
Funktionell bedeutsam ist die veränderte Anatomie der Gau- bis zum Foramen incisivum reichen, spricht man von einer vollstän-
mensegelmuskulatur (Mm. levator und tensor veli palatini). Der digen Gaumenspalte. Der Vomer ist nicht mit dem Gaumendach
M. levator palatini zieht physiologischerweise das mittlere Drittel verwachsen. Eine Ausnahme bildet die vollständige Gaumenspalte
des Weichgaumens nach posterior und kranial, um einen dichten in Kombination mit einer einseitigen Lippen-Kiefer-Spalte: Hier
Abschluss mit der Pharynxhinterwand zu erreichen. Unterstützend kann der Vomer einseitig mit dem Gaumen auf der nicht betroffenen
ziehen die paarigen Mm. palatopharyngei das Gaumensegel nach Seite verwachsen sein.
posterior und der M. constrictor pharyngealis superior die laterale
Pharynxwand nach medial. Bei Gaumenspalten liegt eine Desorien- Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
tierung v. a. des M. levator palatini vor. Statt in der Medianebene entstehen durch eine Kombination aus vorderer und hinterer Spalt-
in der Palatinalaponeurose zu münden, sind die Muskelfasern lon- bildung. Sie können einseitig oder doppelseitig vorkommen und
gitudinal orientiert und setzen im posterioren Bereich des Os pala- zeigen dann alle oben genannten klinischen Merkmale in milder bis
tinum an. starker Ausprägung.
Die submuköse Gaumenspalte zeigt eine fehlende mediane Ver-
einigung der Gaumenmuskulatur und wird durch intakte Gaumen-
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
785 81
werden jedoch auch kardiale und urogenitale Veränderungen be-
schrieben.
81.2.3 Syndrome mit Lippen-Kiefer-Gaumen- Begleitend erfolgt die Überwachung von Sprach- und Hörentwick-
Spalten lung durch die Phoniatrie sowie die Unterstützung bei Fehl- oder
Nichtanlage von Zähnen durch die Fachbereiche Kieferorthopädie,
In der aktuellen Literatur finden sich über 250 Syndrome und einige Prothetik und Zahnerhaltung, unter besonderer Berücksichtigung
Chromosomenaberrationen (Trisomie 13, Trisomie 18), die mit Lip- der Prophylaxe. Da Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten auch mit ande-
pen-Kiefer-Gaumen-Spalten assoziiert sein können (Cohen 1978; ren Fehlbildungen, z. B. der Extremitäten, vergesellschaftet sein kön-
Gorlin et al. 1971; Fara et al. 1972). In bis zu 25% der Fälle liegen bei nen, sollten Plastische Chirurgen in das erweiterte Behandlungskon-
Kindern mit Spaltbildungen weitere Fehlbildungen, Erkrankungen zept integriert werden.
oder Auffälligkeiten vor. Dabei finden sich diese Veränderung am Die wichtigen frühen Schritte der interdisziplinären Behandlung
häufigsten im Bereich der Extremitäten und der Wirbelsäule. Es beginnen bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten mit dem
786 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
In regelmäßigen Abständen bis zum Erwachsenenalter Beratung der Eltern in interdisziplinärer Sprechstunde
Eingliedern einer Gaumenplatte (Trinkplatte) durch den Kieferor- Bei allen Lippenspalten sollten keine größeren Anteile der äuße-
thopäden. ren Haut, der Schleimhaut oder insbesondere der Lippenmuskulatur
Prinzipiell dient die Gaumenplatte der Trennung von Mund- reseziert werden. Grundlage der Lippenspaltplastik ist die funktio-
und Nasenhöhle: Die Zunge wird in der Mundhöhle gehalten und nelle Vereinigung der fehlinserierten Stümpfe des M. orbicularis
daran gehindert, sich in die Nasenhaupthöhle einzulagern. Das oris. Bei doppelseitigen Lippen-Kiefer-Spalten enthält das Zwischen-
Schlucken, die Nasenatmung und die Nahrungsaufnahme werden kiefersegment meist keine funktionell verwertbare Muskulatur,
erleichtert. Seitliche Muskelzüge werden abgehalten. Mit der Gau- weshalb beim Lippenspaltverschluss aus den beiden lateralen Lip-
menplatte kann das Wachstum und die Harmonisierung des Ober- penstümpfen die Fasern des M. orbicularis oris mobilisiert werden
kiefers gesteuert werden. Auf der anderen Seite gibt es aber durchaus müssen.
auch Kinder mit breiten LKG-Spalten, die bei entsprechender An Abhängig von der Spaltbildung und der Ausprägung haben sich
leitung auch ohne Trinkplatte normal gestillt und ernährt werden unterschiedliche Lippenspaltplastiken etabliert, die sich in der Praxis
können. maßgeblich in der Hautschnittführung unterscheiden. Demgegen
Die unmittelbar nach der Geburt eingesetzte Gaumenplatte wird über ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass v. a. der funktionellen
vom Kind zumeist schnell akzeptiert. Sie sollte feucht eingesetzt wer- Rekonstruktion der Lippen- und mimischen Mittelgesichtsmusku-
den und hält im Mund des Säuglings über Adhäsion. latur besondere Rechnung getragen werden muss.
Die Gaumenplatte wird im Verlauf in den Bereichen ausgeschlif- Bei einseitigen, unvollständigen Lippenspalten kann mittels ge-
fen, in denen Wachstum erfolgen soll. Da im 1. Lebensjahr das größ- rader Schnittführung (nach Veau), Bildung eines Dreiecksläppchens
te Wachstum stattfindet und damit der größte Effekt erzielt werden (nach Tennison 1952, 1966; Randall 1957), Schnittführung nach
kann, muss die Platte regelmäßig angepasst und etwa alle 3–3 Mo- Millard (1969, 1964; . Abb. 81.22) oder Wellenschnittführung nach
nate erneuert werden. Die Gaumenplatte wird zunächst von der Ge- Pfeifer (1967) ein harmonischer Amorbogen mit gut ausgeprägtem
burt bis zum Lippenspaltverschluss getragen. Mit Hilfe der Gaumen- Pounting erreicht werden. Bei allen Techniken wird der M. orbicu-
platte wird bereits eine deutliche Harmonisierung der Form des laris oris aus der unphysiologischen Anheftung an Oberkiefer und
Oberkiefers erreicht. Nach dem Verschluss der Lippe wird bis zum Nasenflügel gelöst.
Verschluss des Gaumens eine neue Gaumenplatte angefertigt und Doppelseitige, unvollständige Lippenspalten werden z. B. nach
getragen. Der durch den Verschluss ermöglichte Druck der Lippen- Veau (1922) und Cronin u. Penoff (1971) operiert. Diese Technik hat
muskulatur wirkt kieferregulierend und führt bereits zu einer deut- sich bei hypoplastischem und muskelfreiem Prolabium zur Auffül-
lichen Harmonisierung der Kieferform. lung des Lippenrots und Verlängerung der Spaltkante des Prolabi-
ums bewährt. Unter Schonung der Lippenrot-weiß-Grenze im Pro-
Chirurgische Primärbehandlung labium werden die Lippenstümpfe aufgetrennt und das Lippenrot
Lippenspaltplastik. Die ästhetisch und funktionell adäquate Re- durch gegeneinander verschränkte Lippenrotläppchen aufgefüllt.
konstruktion der Oberlippe unter Berücksichtigung einer harmo- Bei einseitigen vollständigen Lippenspalten werden die oben
nischen und symmetrischen Lippenrot-weiß-Grenze mit ausgepräg genannten Techniken durch die Rekonstruktion des Nasenbodens
tem Philtrum und anatomisch korrekt ausgeformtem Naseneingang und den Verschluss der Kieferspalte nach Axhausen (May 1946) bis
ist das Ziel der Lippenspaltplastik. Immanentes Ergebnis des Lippen- in Höhe des Foramen incisivum ergänzt. Dabei wird das Mukoperi-
verschlusses sind ferner der Verschluss des Vestibulums und der ost von Zwischenkiefer und Nasenseptum abgelöst und mit dem
schleimhäutige Verschluss des Kieferspaltbereichs. Mukoperiostlappen der kontralateralen Seite und der darüberlie-
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
787 81
und Sprechen und das verbesserte Belüften des Mittelohrs durch Zug
an der Tuba auditiva zum Ziel.
Bei allen Gaumenspaltverschlussplastiken werden das nasale
und das orale Schleimhautblatt vom knöchernen Gaumen gelöst.
Dann erfolgt der Verschluss der Nasenschleimhaut, sodass Mund-
und Nasenraum endgültig voneinander getrennt sind. Nach Lösen
der Gaumenmuskulatur von ihrer unphysiologischen Anheftung am
harten Gaumen erfolgt die anatomisch korrekte Vereinigung der
Muskulatur des weichen Gaumens. Abschließend wird die Schleim-
haut auf der Mundhöhlenseite verschlossen.
Der Verschluss des weichen Gaumens kann mit der Stiellappen-
oder Brückenlappentechnik erfolgen. Widmaier (1961) beschreibt
die Mobilisierung zweier kurzer, dorsal gestielter Mukoperiostlap-
a pen, die in der Medianen vereint werden und eine Verlängerung des
weichen Gaumens gestatten. Bei simultanem Verschluss von hartem
und weichem Gaumen können mit der Stiellappenplastik sowohl
Velum- als auch ausgedehnte Hart- und Weichgaumenspalten sicher
verschlossen werden.
Eine Variante stellt die Brückenlappenplastik dar. Hierbei wird
der Mukoperiostlappen im Bereich des anterioren Gaumens nicht
abgesetzt. Plastiken mit ventral oder dorsal gestielten Lappen eignen
sich besonders für den Gaumenspaltverschluss bei Erwachsenen.
Nachteilig wirkt sich die fehlende Verlängerungsmöglichkeit nach
dorsal aus.
Beim Gaumenspaltverschluss wird simultan immer eine primä-
re (Epi-/Meso-)velopharyngoplastik durchgeführt, bei der laterales
Pharynxgewebe medial flächig – nach dreiecksförmiger beidseitiger
Schleimhautexzision des nasalen spaltnahen Geweberandes – distal
der Weichgaumenhinterkante zusammengeführt wird. Diese erhöht
erstens die velopharyngeale Suffizienz und ist zweitens die einzige
b verlässliche chirurgische Möglichkeit, einen hinteren Gaumenbogen
. Abb. 81.22 Unvollständige Lippen-Kiefer-Spalte links (a) und Schema- bereits primär zu formen und somit auch einen zu kurzen Weichgau-
zeichnung der Lippenverschlussplastik nach Tennison-Randall (b) men zu verhindern (Joos et al. 2006).
Sekundärbehandlung
Man unterscheidet Eingriffe, die routinemäßig zur chirurgischen
genden Apertura piriformis vereinigt. Eine Modifikation der Tech- Rehabilitation von Spaltbildungen zählen (Kieferspaltosteoplastik,
nik zur Wiederherstellung des Nasenbodens und zum Kieferspalt- Nasenstegverlängerung bei doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-
verschluss beschreibt Stellmach (1964). Spalten), von Korrektureingriffen zur ästhetischen und funktio-
Bei doppelseitigen vollständigen Lippenspalten können eben- nellen Verbesserung bei nicht befriedigenden Primäroperationen.
falls verschiedene Operationsmethoden kombiniert werden. Eine
extreme Protrusion des Zwischenkiefersegments kann in Ausnah- Kieferspaltosteoplastik. Die Spaltbildung im Bereich des Alveolar-
mefällen einen zweizeitigen operativen Ansatz erforderlich machen. fortsatzes wird üblicherweise kurz vor Durchbruch des bleibenden
Vorteile eines einzeitigen Vorgehens liegen jedoch in der besseren Eckzahns (8.–11. Lebensjahr) verschlossen, der dann in diese Lücke
Ausformbarkeit der Lippe und der insgesamt besseren symmet- bewegt werden kann und ein festes knöchernes Lager vorfindet.
rischen Gestaltung der Lippe und des Naseneingangs (Stein et al. Nach vestibulärer und palatinaler marginaler Schnittführung wird
2007). transplantierter Knochen (Spongiosaentnahme aus dem Becken-
kamm) eingebracht, um einen regelrechten Alveolarkamm zu bil-
Verschluss des harten und weichen Gaumens. Bei der Wahl des den. Ein spannungsfreier Verschluss der Schleimhautblätter führt zu
Zeitpunktes für den Verschluss des harten und des weichen Gau- einer erfolgreichen Einheilung der Osteoplastik. Die Knochenaufla-
mens gilt es 2 Punkte zu beachten: Einerseits sollte der Gaumen so gerung sollte sich an den benachbarten Kieferstümpfen orientieren
früh wie möglich verschlossen werden, um eine möglichst ungehin- und deren Höhe erreichen.
derte Sprachentwicklung zu ermöglichen, andererseits wird durch
eine Narbe am Gaumen evtl. das Wachstum des Oberkiefers gestört. Sprachverbessernde Operationen
Dies ist der Grund dafür, dass der Gaumen nicht schon zusammen Sprachverbessernde Operationen werden dann notwendig, wenn
mit der Lippe verschlossen wird, sondern erst im Alter von 9–11 Mo- durch den primären Velumspaltverschluss kein adäquater velopha-
naten, also zum Zeitpunkt, wenn das Kind die ersten Laute bildet. ryngealer Abschluss erreicht werden konnte. Ein sog. offenes Näseln
Beim Gaumenverschluss kommt es ebenfalls auf die Rekons- (Rhinophonia aperta) kann Folge einer mangelnden Abschlussfunk-
truktion einer physiologischen Muskelschlinge und auf eine exakte tion eines zu kurzen Gaumens gegen den Rachen sein. In diesen
Vereinigung der einzelnen Schichten an, damit die vielschichtigen Fällen empfiehlt sich eine sprachverbessernde Operation (Velopha-
Funktionen des Gaumens wiederhergestellt werden können. Diese ryngoplastik). Die Indikation zu einer sprachverbessernden Opera-
Vereinigung hat das Abdichten des Nasenraums beim Schlucken tion wird gemeinsam mit dem Phoniater oder Logopäden gestellt.
788 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts
Literatur
Literatur zu 7 Kap. 81.1
Abrate M, Baracchini P, Fulcheri E, Lapertosa G, Pantarotto MF, Mastroiacovo
P (1990) [Epidemiological study of anencephaly in Italy and anatomo-
82.1 Diagnostik
. Tab. 82.1 Fehlbildungen der Mamma nach anatomischem
Die Diagnose Brustfehlbildung stützt sich auf die Anamnese und Erscheinungsbild
klinische Untersuchung der betroffenen Patientin. Inspektion und
Brustdrüse Mamillen- Angrenzende
Palpation sowie bildgebende Verfahren, wie Ultraschalluntersu- Areolen- anatomische
chungen und ggf. Mammographie, gehören zum medizinischen Komplex (MAK) Strukturen
Diagnosestandard. Weiterführende bildgebende Verfahren wie CT
und MRT sind in der Regel nicht notwendig und nur bei besonderer Anzahl 4 Aplasie 4 Aplasie 4 Poland-
Fragestellung indiziert. 4 Amastie 4 Athelie Syndrom
4 Polymastie 4 Polythelie 4 Skoliose
> Das Gros der diagnostischen Arbeit kann der versierte 4 Trichterbrust
Größe 4 Hyperplasie 4 Mamillen
Arzt in der Regel allein durch Anamnese und die körper- 4 Thorax
4 Hypoplasie hyperplasie
liche Untersuchung leisten. asymmetrie
4 Inversion
. Abb. 82.1 Polythelie rechts . Abb. 82.2 Aberrantes Brustdrüsengewebe in der rechten Axilla
794 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae
a b
. Abb. 82.3 a Tuberöse Brust Typ IV. b Zustand nach Drüsenformung in der Technik nach Ribeiro (7 auch . Abb. 82.6a,b)
. Abb. 82.4 Schematische Darstellung der Klassifikation der tuberösen Brust. (Nach Rees u. Aston 1976)
a b
. Abb. 82.5a, b »Double Bubble« nach Rekonstruktionsversuch einer tuberösen Brust mit Implantat
ken in I-, L- und T-Technik erzielt werden. Wenn beide unteren nen lokale Schwenk- und Fernlappenplastiken zur Korrektur des
Quadranten bei ausreichendem Hautmantel unterentwickelt sind Hautdefizits Anwendung finden. Die alleinige Verwendung von
(Typ-II-Deformität), kann durch das »einfache Unfurling« durch Hautexpandern ohne chirurgisches Auflösen der Unterbrustfalte
horizontales Aufteilen der Drüse und Anterokaudalisierung des sollte nicht erfolgen, da sie das Problem nicht löst.
neu geschaffenen unteren Drüsenlappens ein gutes »Auffüllen«
der unteren Quadranten erfolgen (Puckett u. Concannon 1990;
. Abb. 82.7). 82.3.9 Mammaasymmetrie (Anisomastie)
Bei einem zusätzlich bestehenden Hautdefizit (Typ-III- und -IV-
82 Deformität) sollte zur Verhinderung des Double Bubble eine Aus- Die Mammaasymmetrie manifestiert sich als ein in Form, Größe
dehnung der Präparation des unteren Lappens bis in das Oberbauch- und Position unterschiedliches Brustpaar. Die Mammaasymmetrie
fettgewebe erfolgen (»erweitertes Unfurling«; . Abb. 82.8). Dieser wird nach Juri eingeteilt (. Tab. 82.4, . Abb. 82.9).
größere Weichteillappen wird dann evertiert zurückgeschlagen und Die Asymmetrie entsteht angeboren durch Fehlbildung, Unfall-
vernäht. folge (z. B. Verbrennung), Kapselflbrose nach Augmentation/Re-
Zusätzliche Hautmantelkorrekturen können durch eine Keilex- konstruktion oder als Krankheitsfolge (z. B. nach Mammatumor,
zison über der ehemaligen Unterbrustfalte erfolgen. Alternativ kön- Abszess, Mastitis). Zudem durchläuft die Brust im Verlauf des Al-
. Abb. 82.11 Silikonimplantat mit Kapselfibrose . Abb. 82.12 Möglichkeit der Schnittführung bei Implantataugmentation
82.4.2 Stand der operativen Zur Augmentation bei Mammahypolpasie können die Implan-
und konservativen Therapie tate submuskulär unter den M. pectoralis major und subglandulär
auf dem Muskel implantiert werden. Dabei hängt die Platzierung der
Die Vielzahl der Formvarianten erfordert ein auf jede Patientin in- Implantate vom bestehenden Weichteilmantel der Brust, der Ptosis
dividuell abgestimmtes Behandlungskonzept. Überschüssige Anla- und von der sportlichen Aktivität der Frau ab. Bei ausreichend
gen können operativ entfernt werden. Bei fehlenden Anlagen oder dickem Weichteilmantel (ab 2 cm Dicke) und bei ausgeprägtem
einer Minderausprägung kann die Brust auf 2 Wegen vergrößert M. pectoralis major durch sportliche Aktivität werden die Implan-
bzw. rekonstruiert werden: tate in der Regel subglandulär auf den Muskel implantiert. Der
4 durch den Einsatz von Fremdmaterialien (Silikongelimplantate, Weichteilmantel verspricht eine ausreichende Bedeckung des oberen
Expander) sowie Implantatrandes im Dekolleté, und die epipektorale Lage verhindert
4 durch den Einsatz von körpereigenem Gewebe, z. B. Rücken- ein Verziehen der Brust bei Aktivierung des Pektoralismuskels. Bei
muskel (M.-latissimus-dorsi-Flap) oder Haut-Fettgewebs-Lap- dünnem Weichteilmantel besteht die Gefahr des Abzeichnens des
pen aus dem Unterbauch (DIEP-Flap) oder Gesäß (SGAP-Flap). oberen Implantatpols und des sog. »Ripplings« (wellenförmiges Auf-
werfen der Haut durch das Implantat) im Dekolleté oder gar eine
Im Falle der Anisomastie kann entsprechend jeweils eine Brust Perforation durch die Haut.
verkleinert oder vergrößert werden. Um den Mamillen-Areolen-
Komplex zu rekonstruieren, werden örtliche Lappenplastiken sowie Komplikationen
Hautverpflanzungen vorgenommen (7 Kap. 68.7.3). In Einzelfällen Majorkomplikationen bei Implantaten sind die Bildung von
kommt auch eine Tätowierung in Frage. Um der sog. Trichterbrust schmerzhaften Silikonomen bei Austritt von Silikon (»Bleeding«)
entgegenzuwirken, kann das Brustbein ggf. operativ aufgerichtet und die Kapselfibrose (Kapselkontraktur; . Abb. 82.11; 7 Kap. 77.2.1,
werden. . Tab. 77.2).
Verschiedene schonende Verfahren stehen zur Verfügung, um Die Beurteilung des Fibrosegrades ist letztendlich subjektiv vom
Fehlbildungen der Brust zu korrigieren. Sie kommen individuell zur Chirurgen zu bestimmen. Es lässt sich aber doch eine recht gute
Anwendung. Der Leidensdruck der Patientinnen ist oft groß, den- Einschätzung der Ausprägung der Fibrose abgeben. Therapeutisch
noch sollten Korrekturoperationen nur nach Abschluss der Brustent- kann hier ein Implantatwechsel mit Exzision der umgebenden Kap-
wicklung oder mit ausdrücklicher Einwilligung der Eltern frühestens selfibrose erfolgen.
im Alter von 16 Jahren durchgeführt werden. Ansonsten gilt, wie für
alle ästhetischen Eingriffe, die Volljährigkeit als Voraussetzung. Operationstechnik
Als chirurgische Zugangswege stehen die Schnittführung in der
Unterbrustfalte, semiperiareolär, transpapillär und -areolär sowie
82.4.3 Brustimplantate (endoskopisch assistiert) transaxillär zur Verfügung (. Abb. 82.12).
Das chirurgische Vorgehen (Schnittführung, Platzierung der Im-
Implantate werden heute hauptsächlich zur Augmentation bei Mam- plantate) ist präoperativ mit der Patientin mit allen Vor- und Nach-
mahypoplasie, bei Anisomastie und zur Rekonstruktion nach Mam- teilen in Abhängigkeit von der Brustform und den realisierbaren
maablation verwandt. Sie haben alle aufgrund ihrer Gewebeverträg- Wünschen der Frau sowie der Implantatwahl (Größe, Form und Fül-
lichkeit und guten mechanischen Eigenschaften eine Hülle (glatt lung) ausführlich zu erörtern. Gegebenenfalls ist zusätzlich bei aus-
oder texturiert) aus einem Silikonpolymer. In Europa werden meist geprägter Ptosis mammae eine Straffung des Haut-Weichteil-Man-
runde oder anatomisch geformte Silikonimplantate mit einer Kohe- tels notwendig.
sivgelfüllung verwendet. Alternativ stehen auch runde Implantate
mit flüssigem Silikongel oder Kochsalzlösung zur Verfügung. Letz-
tere haben ihre Verbreitung hauptsächlich in den USA.
800 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae
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Fehlbildungen an Arm und Hand sind bei ca. 1 von 600 Neugebore-
nen zu verzeichnen. Die häufigsten Formen sind die miteinander . Tab. 83.1 Fehlbildungen der Hand nach dem ASSH-Schema nach
verwachsene (Syndaktylie) und überzählige Finger (Polydaktylie). Schmitt u. Lanz (1992)
Nur 5% der Handfehlbildungen sind erblich bedingt, wie z. B. bei
Apert-Syndrom oder Trisomie 21, oder die Folge von exogenen Fak- Klasse Fehlbildung Häufigkeit
toren wie Umweltgiften oder Medikamenten. Thalidomid führte
I Fehlende Bildung von Teilen 12%
z. B. zu Reduktionsfehlbildungen an der oberen Extremität von der 4 Transversal (von Schulter bis Finger)
Daumenaplasie bis zur Amelie (komplettes Fehlen der Gliedmaße). 4 Longitudinal
Die restlichen 95% treten sporadisch auf, d. h. spontan und ohne a. Präaxial – Hypoplasie von Daumen und
erkennbare Ursache. Radius
b. Zentral – Typische und atypische Spalt-
hand
83.1 Klassifikation c. Postaxial – Ulnare Hypoplasie bis Hypo-
thenarhypoplasie
Angeborene Handfehlbildungen werden meist nach dem Schema d. Zwischengeschaltet – Phokomelie
der American Society of Surgery of the Hand (ASSH) eingeteilt II Fehlende Differenzierung von Teilen 31%
(Swanson 1976; . Tab. 83.1). 4 Weichteile: Syndaktylie, Poland-
Syndrom, Kamptodaktylie
4 Skelettal – Synostosen
83.2 Diagnostisches Vorgehen 4 Tumoren – Alle vaskulären und
nervalen Malformationen
Die Behandlung einer angeborenen Handfehlbildung beginnt mit III Duplikation 36%
der Erstellung einer genauen Anamnese, einschließlich Besonder- 4 Gesamtheit oder Teile der Extremität
heiten während der Schwangerschaft, Details aus der Neugebore- 4 Spiegelhand
nenzeit und Familienanamnese. Mit einer kompletten körperlichen 4 Polydaktylie
Untersuchung der gesamten oberen (Vorhandensein des M. pecto- IV Überentwicklung (Hyperplasie) 0,5%
ralis major) und unteren Extremität dient sie auch zum Ausschluss
83 von angeborenen Syndromen (. Tab. 83.2). Erstbefund und Verlauf
4 Hemihypertrophie oder Makrodaktylie
VI Schnürbandsyndrome 6,5%
83.3 Therapieprinzipien 4 Mit oder ohne Lymphödem
4 Variable Höhe der Einschnürung/
Amputation
83.3.1 Beratung der Eltern
VII Fehlbildungssyndrome – Unklassifiziert Variabel
Das geplante Vorgehen muss mit den Eltern genau besprochen wer-
den, Art und Zeitpunkt der Eingriffe mit ihren Erfolgsaussichten
und Risiken müssen ausführlich dargestellt werden. Auch später
notwenige Korrekturoperationen müssen erwähnt werden. Ruhigstellung muss sichergestellt werden, dass das Kind die Schiene
> Unrealistische Wunschvorstellungen sind frühzeitig ein nicht selbst entfernen kann, daher ist oft ein Oberarmgips not
fühlsam zu korrigieren. Ein komplett normales Aussehen wendig.
der Hand ist nur selten möglich. Hierzu können Bilder von
Operationsergebnissen oder der Kontakt zu einer ähnlich
betroffenen Familie hilfreich sein. Letztendlich kommt es 83.4 Einzelne Handfehlbildungen
auf die Funktionalität an.
83.4.1 Syndaktylien (Klasse II)
83.3.2 Operationszeitpunkt Im Rahmen einer Syndaktylie sind eine oder mehrere Finger mitein-
ander verschmolzen. Betroffen sind entweder nur die Weichteile
Bei der Operationsplanung ist der Zeitpunkt von entscheidender (»Schwimmhaut«) oder auch die Knochen.
Bedeutung. Das Anästhesierisiko vermindert sich bei Kindern durch Die Inzidenz liegt bei etwa 1:20.00 Lebendgeburten und ist bei
die Lungenreifung jenseits des 6. Lebensmonats. Eventuell müssen Kaukasiern wesentlich häufiger als bei Dunkelhäutigen. Männer
zuerst wichtigere Probleme gelöst werden, z. B. bei zusätzlich beste- sind etwa doppelt so häufig wie Frauen betroffen. Meist betrifft die
henden Organfehlbildungen. Syndaktylie den Mittel- und Ringfinger (etwa 50–60%; . Abb. 83.1)
Es ist zu bedenken, dass sich die Handgröße innerhalb der ersten fast nie den Daumen und den Zeigefinger (3%). In 15–40% liegt eine
2–2,5 Lebensjahre fast verdoppelt. Dies ist insbesondere im Hinblick positive Familienanamnese vor; ein autosomal-dominanter Erbgang
auf mikrochirurgische Rekonstruktionen zu beachten. mit variabler Penetranz ist möglich.
Weiterhin muss die Reife des Kindes hinsichtlich der postope- Anatomisch findet sich häufig eine Verdickung der Clealand-
rativen Rehabilitation und Schienung nach der Operation einge- und Grayson-Ligamente. Die Palmarfaszie ist im Bereich der Kom-
schätzt werden. Allgemein sollte jedoch die Operation vor der Ein- missur stark verdickt und angrenzende Gelenke häufig in ihrer
schulung des Kindes abgeschlossen sein. Bei einer postoperativen Beweglichkeit eingeschränkt.
83.4 · Einzelne Handfehlbildungen
803 83
a c
Nach der Länge der Verwachsung unterscheidet man zwischen einer Deltaphalanx möglich. Selten kann auch eine Arteriographie
kompletter (ganzer Finger verwachsen, einschließlich Fingernägel, nützlich sein, um die Gefäßversorgung zu klären (z. B. bei Apert-
häufigste Form) und inkompletter Syndaktylie (Aussparung des Syndrom).
Endglieds). Nach dem Grad der Verschmelzung kann eine einfache,
d. h. nur häutige Syndaktylie vorliegen, meist mit normalen Band- Therapeutisches Vorgehen
strukturen, aber oft mit Doppelanlagen von Sehnen, Nerven und > Eine frühe Intervention ist meist nur notwendig, wenn
Gefäßen. Hiervon unterscheidet sich die komplexe Form mit knö- komplexe Fehlbildungen vorliegen (z. B. bei querliegen
cherner Fusion, oft mit zusätzlichen Fehlbildungen der Finger kom- den knöchernen Komponenten), um ein Fehlwachstum
biniert: der Hand zu vermindern. Meist empfiehlt es sich, im Alter
4 Akrosyndaktylie (distale Fusion, proximale Phalangen getrennt, von 18–24 Monaten zu operieren.
häufig mit Brachydaktylie = Kurzfingrigkeit),
4 Oligo- und Polysyndaktylie (oft bei Syndromen, verminderte Bei einfacher Syndaktylie lässt sich durch Zickzack-Inzisionen (in-
oder vermehrte Fingerzahl), terdigitale Z-Plastiken) mit spitzen Winkeln zur Hautlappenbildung
4 Symbrachydaktylie (phalangeale Fusion und Kurzfingrigkeit, die Notwendigkeit von Hauttransplantaten (meist Vollhaut aus der
meist ulnar und nicht vererbt, oft auch unilateral am Fuß), Leiste) vermindern (. Abb. 83.1).
4 Poland-Syndom (unilateral hypoplastische Hand mit Symbra- Hauttransplantate sollten v. a. bei der Rekonstruktion der
chydaktylie und Aplasie des M. pectoralis major und Reduk Kommissuren vermieden werden. Hier werden palmare und
tionsfehlbildungen des Schultergürtels), dorsale Dreieckslappen gebildet, deren Spitzen bis an das Mittel
4 Akrozephalodaktyliesyndrome (7 unten). gelenk reichen, um Narben und Inzisionen in der Zwischen-
fingerfalte zu vermeiden. Vollhauttransplantate sollten nach ei-
Diagnostisch ist die radiologische Darstellung (a.-p.-Aufnahme) der ner exakt abgemessenen Schablone entnommen und eingesetzt
Hand zur Beurteilung der knöchernen Beteiligung unbedingt not- werden.
wendig. Eine falsch-positive und falsch-negative Interpretation ist Bei der Trennung des interdigitalen Fettgewebes sollten die Ge-
z. B. durch inkomplette Ossifikationen oder das Vorhandensein fäß-Nerven-Bündel zuerst proximal und palmar dargestellt werden.
804 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände
83.4.2 Kamptodaktylie (Klasse II) . Abb. 83.2 Klassifikation der radialen Polydaktylie nach Wassel
Spiegelhand
Äußerst rar ist eine doppelte Anlage der Ulna und der ulnarseitigen . Tab. 83.4 Klinische Schwerengrade der Hypo- und Aplasie des
Strahlen (ulnare Dimelie). Der Radius und die radialseitigen Finger Daumens nach Blauth (1967)
fehlen, sodass sich 6–8 gleichartige Finger ergeben und eine schein-
Grad Kennzeichen
bare Spiegelbildlichkeit von Unterarm und Hand vorliegt.
I Leichte Hypoplasie
Alle Glieder angelegt
83.4.5 Schnürringsyndrom (Klasse VI) Keine Funktionsstörung
II Reguläres Skelett
Als Schnürringsyndrom oder Streeter-Syndrom werden Fehlbil-
Adduktionskontraktur
dungen der Finger und des Daumens mit amputationsähnlichen
MP 1 instabil
Defekten durch strangulierende zirkuläre Einziehungen beschrie- Hypoplastische Thenarmuskulatur
ben, die einzelne Finger, Unter- oder Oberarm oder die untere Ex-
III Deutliche knöcherne Hypoplasie, unterschieden wird
4 CMC-1-Gelenk vorhanden
4 Proximales Metakarpale 1 fehlend, intrinsische Sehnen
. Tab. 83.3 Klassifikation des Schnürringkomplexes
aplastisch, extrinsische Sehnen hypoplastisch, Insta
bilität aller Gelenke
Grad Kennzeichen
IV »Flottierender Daumen«
I Einfache Schnürringe und Furchen Meist kurzes, instabiles und funktionsloses Daumenan
hängsel am MP-2-Gelenk fixiert
II Schnürringe mit peripheren Fehlbildungen, mit oder
ohne Lymphödem V Komplette Aplasie des Daumenstrahls, der 1. MHK und die
Thenarmuskulatur können jedoch vorhanden sein
III Schnürringe mit Akrosyndaktylien, kombiniert mit
Amputationen Bei Grad II und III sind Syndaktylien mit dem Zeigefinger möglich.
806 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände
a b
83
c
Funktionslose Fingerstümpfe können entfernt werden, evtl. mit menstrahls (Aplasie) reichen. Isolierte Fehlbildungen sind Teil
Fingerstrahlresektion. Bei Daumenaplasie ist eine Transposition von verschiedenen Syndromen, häufig kombiniert mit radialer
des benachbarten Zeigefingers oder eine Zehentransplantation Klumphand, seltener mit Herzfehlbildungen (z. B. Holt-Oran-Syn-
möglich. drom).
Sekundär ist eine Verlängerung einzelner Finger mittels Kallus- Die klinischen Schwerengrade werden nach Blauth klassifiziert
distraktion möglich. (. Tab. 83.4; auch . Tab. 65.1).
Die größte Gefahr besteht bei der Syndaktylietrennung und
> Bei der klinischen Untersuchung wird v. a. geprüft, ob der
Kommissurenvertiefung durch Durchblutungsstörungen wegen der
hypoplastische Daumen eingesetzt wird.
distal häufig sehr dünnen Gefäße.
Prognostisch ist ein normales Aussehen nur selten zu erreichen,
oft jedoch eine deutliche Besserung der Funktion. Therapeutisches Vorgehen
Operationsindikation besteht bei den Schweregraden II–V (auch
7 Kap. 65.3). Eine Pollizisation sollte möglichst frühzeitig, d. h. im
83.4.6 Hypo- und Aplasie des Daumens (Klasse V) 1. Lebensjahr, durchgeführt werden, da spätere Operationen durch
das notwendige Umlernen bisheriger Greiffunktionen erschwert
Hierunter versteht man eine Deformität des Daumenstrahls, meist sein können (. Abb. 83.4). Kinder mit einer Daumenhypoplasie
Reduktion, kombiniert mit Fehlbildungen der Radialseite von Grad II sollten erst später, d. h. im 4.–6. Lebensjahr, korrigiert wer-
Arm und Unterarm. Die Ausprägung kann von einer leichten den, da die erforderliche Opponensplastik eine aktive Mitarbeit des
Daumenverschmächtigung bis zum kompletten Fehlen des Dau- Kindes bei der Nachbehandlung erfordert.
83.4 · Einzelne Handfehlbildungen
807 83
Operationstechnik
4 Grad I: 4 Grad III:
Keine Behandlung notwendig. Entfernung des funktionslosen Daumens und Pollizisation
4 Grad II: des Zeigefingers. Alternativ kann eine Knochen- oder Gelenk
Verbreiterung der 1. Zwischenfingerfalte durch Z-Plastik, Sei- transplantation durchgeführt werden, kombiniert mit Seh
tenbandrekonstruktion, v. a. ulnar, Opponensplastik mit Flexor nentransposition und Hautplastiken. In der Regel sind mehrere
digitorum superficialis 4 oder M. abductor digiti Operationen notwendig.
minimi (Technik nach Huber). Dadurch entsteht auch eine ge- 4 Grad IV und V:
wisse Thenareminenz. Das distale Ende des M. flexor digitorum Pollizisation des Zeigefingers, alternativ mikrochirurgische
superficialis kann als Bandplastik benutzt werden. Zehentransplantation (7 Kap. 65.3).
808 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände
. Tab. 83.5 Fehlbildungssyndrome, die mit Strukturdefekten der Hand vergesellschaftet sind
Möbius-Syndrom (kongenitale 4 Aplasie an der Hand oder den Fingern 4 Hirnnervenparesen VI und VII
Gesichtsdiplegie) 4 Polydaktylie 4 Mentale Retardierung
4 Syndaktylie 4 Klumpfuß
4 Brachydaktylie 4 Hüftluxation
Poland-Syndrom 4 Unilaterale Hypoplasie von Unterarm und Hand 4 Ipsilateral Aplasie des M. pectoralis, Fehl
4 Brachymesophalangie bildungen des knöchernen Hemithorax
4 Synbrachydaktylie
Diese ist in der Regel passiv ausgleichbar. Meist führt eine konserva-
tive Streckschienenbehandlung zur Erholung der aktiven Streckfä-
higkeit. Anderenfalls besteht die Indikation zur Sehnentransposition
(z. B. Indizisplastik, M. flexor digitum superficialis 4).
Madelung-Deformität
Hierbei handelt es sich um eine Epiphysenwachstumsstörung im
distalen Radius mit sekundärer trichterförmiger Verformung der
proximalen Handwurzelknochen, die durch vorzeitigen Schluss des
ulnopalmaren Anteils der Epiphysenfuge verursacht wird. Sie wird
meist mit 10–12 Jahren bemerkt und tritt vorwiegend beidseitig und
bei Mädchen auf.
83 Therapeutisch kann frühzeitig eine Achskorrektur der distalen
Radiusgelenkfläche durch Osteotomie mit Knochenspaninterposi
tion, Ellenkopfresektion oder Ulnaverkürzung die Exzision eines
abnormalen Ligamentes zwischen Lunatum und Radius erfolgen.
Literatur
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84
84.2 Therapieziele
Funktionelle Gesichtspunkte mit dem Ziel einer optimalen Gangen-
twicklung und Versorgung mit Konfektionsschuhen stehen im Vor-
dergrund, jedoch sollten ästhetische Aspekte ebenso berücksichtigt
werden.
> Während die konservativen Verfahren bereits direkt
postpartal seitens der technischen Orthopädie erfolgen,
finden operative Verfahren eher zu einem späteren Zeit
punkt, meistens im Vorschulalter Anwendung.
Nach Blauth (1989) gelten die in der . Übersicht dargestellten . Abb. 84.1 Klassifikation der Syndaktylien nach Blauth. (Mod. nach Wirth
Grundsätze der operativen Behandlung. 2002)
84.3 · Klassifikation
813 84
In 80–90% sind randständige Strahlen betroffen und mit entspre-
chender Fußverbreiterung verbunden.
Zusätzlich zu den radiologisch fassbaren knöchernen Verände-
rungen sind Weichteilanomalien mit Gabelbildungen an Nerven,
Gefäßen, Sehnen oder Doppelung von Muskeln zu verzeichnen.
Klinisch findet sich eine größenabhängige Variationsform, die von
der mildesten Ausprägung in Form einer einfachen Verbreiterung
eines Knochens über doppelte Endglieder, Mittel- oder Grundglieder
bis hin zu doppelten Metatarsalia oder auch Fußwurzelknochen
reichen.
Das numerische Fehlen von Zehen stellt eine Minusvariante dar, bei
der insbesondere der äußere Fußrand im Sinne einer postaxialen 84.3.3 Spaltfüße
Aplasie [zusammen mit weiteren Fehlbildungen des Unterschenkels,
Femur-Fibula-Ulna-(FFU)-Fehlbildung], oder seltener der mediale Es handelt sich um hereditäre doppelseitige Fehlbildungen auto
Rand in Form einer präaxialen Aplasie (mögliche Fehlanlage der somal-dominanter Genese (1,3:100.000).
Tibia) betroffen ist. Zentrale Strahlaplasien kommen bei den Spalt-
> Spaltfüße sind häufig mit Spalthänden kombiniert.
fußbildungen vor.
Am Vorfuß fehlen meistens die 4. und 5. Zehe inkl. der Metatar- Sie kommen in unterschiedlichen Ausprägungen vor und sind ge-
salia, selten der 3. oder der isolierte Strahl. kennzeichnet durch das keilförmige Fehlen von Fußanteilen. Ent-
Als Variante kommen neben Y- oder gabelförmigen Mittelfuß- wicklungsgeschichtliche Ursache ist ein Fehlen des primitiven
knochen auch zentrale Verschmelzungen benachbarter Metatarsalia Weichteilblastems der Fußanlage.
bei distal davon vollständig ausgebildeten Zehen vor. Syndaktylien Beim typischen Spaltfuß fehlen die mittleren Stahlen in unter-
finden sich zwischen der 2. und 3. Zehe (seltener zwischen der schiedlichem Ausmaß. Bei Fehlen aller 3 zentralen Strahlen sind
3. und 4. Zehe) oder auch zwischen 3 Zehen. Röntgenologisch sind anlagebedingt nur Großzehen- und Kleinzehenstrahlen vorhanden.
Synostosen der Fußwurzel (Talus, Kalkaneus, Os naviculare) auszu- Diese Deformität ist auch als Hummerscherendeformität (»lobster
schließen. claw«) bekannt. Blauth u. Borisch (1990) unterscheiden 6 Typen
(. Tab. 84.1).
Stand der operativen und konservativen Therapie Die knöchernen Strukturen können viele Abweichungen aufwei-
Es besteht bei lediglich reduzierter Zehenanzahl und verschmäler- sen. Insbesondere sind Achsenknicke möglich, die sich in Druckstel-
tem Fuß ohne wesentliche Gangbeeinträchtigung keine operative len der Randstrahlen durch das Schuhwerk manifestieren und das
814 Kapitel 84 · Fehlbildungen der Füße
a b
c d
84 . Abb. 84.3 Polysyndaktylie der Großzehe (a). Korrektur durch Resektion und Weichteilplastik der präaxialen doppelten Zehenanlage (b–d)
a b
c d
. Abb. 84.4 Oligosyndaktylie (a). Entfernung der präaxialen akzessorischen Irritation der Nachbarzehe (b, c). Bei insgesamt normalem Gangbild sind
Großzehenanlage mit störendem Nagelwachstum zur Beseitigung einer aus funktionellen Gründen keine weiteren Korrekturen sinnvoll (d)
84.3 · Klassifikation
815 84
Stand der operativen und konservativen Therapie
. Tab. 84.1 Klassifikation der Spaltfußbildung nach Blauth u. Borisch Da konservative Maßnahmen in der Regel scheitern, sind operative
(1990) Verfahren allein erfolgversprechend.
Bei Entfernung zentraler Zehenstrahlen, die für eine Varusfehl-
Typ Kennzeichen stellung mitursächlich sind, ist immer nach fibrösen Strängen an der
Medialseite des 1. Metatarsale zu fahnden, diese sind zu durchtren-
I 5 normale Mittelfußknochen
nen. Meistens sind weitere Kapsel- und tendoplastische Maßnahmen,
II 5 z. T. hypoplastische Mittelfußknochen aber auch Osteotomien und Sehnentransfers indiziert (. Abb. 84.5).
III 4 unterscheidbare Mittelfußknochen > Bei weiterem Wachstum kann es trotz gutem Primärergeb
IV 3 unterscheidbare Mittelfußknochen nis im späteren Lebensalter wachstumsbedingt zu erneu
ten Fehlstellungen kommen, die zusätzliche Sekundärein
V 2 unterscheidbare Mittelfußknochen (Hummerscheren
griffe erfordern. Über diesen Umstand sind die Eltern und
deformität)
die kleinen Patienten vorsorglich aufzuklären.
VI Schwerste Form mit nur noch einem Strahl (meist fibularer
»monodaktyler Spaltfuß«)
a b
84
c d
e f
. Abb. 84.5 Hallux varus congenitus (a). Operative Korrektur durch me medialen fibrösen Bandes sowie mediale kutane Z-Plastik (b–e). Postoper
diales Kapsel-Release, Lateralisierung der Extensorsehne und Lösen eines tives Ergebnis (f)
84.3 · Klassifikation
817 84
Literatur
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Wirth CJ (Hrsg) (2002) Orthopädie und Orthopädische Chirurgie: Fuß. Thieme,
Stuttgart, S 217–230
Dokumentation
und Klassifikation
P. Vogt
Heilverfahren
A.D. Niederbichler
Das deutsche Unfallversicherungswesen besteht aus 3 Elementen: Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und Grad der Behinde-
4 der gesetzlichen Unfallversicherung, rung (GdB). Diese Begriffe werden in der gesetzlichen Unfallversi
4 dem sozialen Versorgungswesen und cherung sowie in der Kriegsopferversorgung verwendet. Die Angabe
4 den Privatversicherungen. von MdE erfolgt in Prozent (% MdE; . Tab. 85.1). MdE und GdB
sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen
Im Grundgesetz wird bereits festgestellt, dass die jeweiligen Leistun Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Ge
gen der einzelnen Unfallversicherungsträger dem Versicherten ge sundheitsschadens.
genüber unterschiedlich sind und daher eine Vergleichbarkeit der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit zur Bewer
Leistungen nicht möglich ist. In diesem Kapitel werden die Grund tung von MdE und GdB sind unter http://anhaltspunkte.vsbinfo.de
züge der Begutachtung und Dokumentation sowie spezifische Be übersichtlich nach Organen und Organsystemen dargestellt.
grifflichkeiten erklärt. Beurteilungsrichtlinien und Bemessungs
grundlagen für die ärztliche Begutachtung der gesetzlichen und Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit. Diese Begriffe werden in
privaten Unfallversicherung sowie des sozialen Versicherungswe der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie der
sens werden im Überblick dargestellt. knappschaftlichen Rentenversicherung verwendet.
Der Gutachter entscheidet nicht über die Anerkennung einer Hand im Handgelenk 55%
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, 7 unten), stellt
eines Daumens 20%
keine Berufsunfähigkeit fest und erkennt auch bei Zusam-
menhangsfragen keinen kausalen Zusammenhang an. eines Zeigefingers 10%
Diese Entscheidungen werden gültig entweder von Verwaltungsbe eines anderen Fingers 5%
amten oder vom Richter getroffen, das ärztliche Gutachten stellt im eines Beines über der Mitte des Ober
Rahmen der Entscheidungsfindung daher eine medizinisch begrün 70%
schenkels
dete Aussage dar, die angefordert und in den Entscheidungsprozess
eines Beines bis zur Mitte des Ober
(meist maßgeblich) einbezogen wird. 60%
schenkels
Die Anforderungen an den Gutachter sind daher
4 fundiertes medizinisches Wissen und eines Beines bis unterhalb des Knies 50%
4 eingehende Kenntnis pathophysiologischer und ätiologischer eines Beines bis zur Mitte des Unter
Zusammenhänge. 45%
schenkels
4 Arbeitsmedizinische Kenntnisse sind bei der Gutachtenerstel
eines Fußes im Fußgelenk 40%
lung unabdingbar, da in vielen Fällen die Auswirkungen der Er
krankung oder des Unfalls auf die erwerbliche Leistungsfähig einer großen Zehe 5%
keit beurteilt werden muss.
einer anderen Zehe 2%
Darüber hinaus muss der Gutachter in allen Stadien der Gutach eines Auges 50%
tenerstellung eine objektive, sachliche Arzt-Patienten-Beziehung beider Augen 100%
schaffen und erhalten, die sich von der im klinischen Alltag vorherr
schenden subjektiven, helfenden und heilenden Einstellung dem des Gehörs auf einem Ohr 30%
Patienten gegenüber unterscheidet. des Gehörs auf beiden Ohren 60%
85.1.2 Aufbau eines ärztlichen Gutachtens > Der ärztliche Gutachter kann Zusatzgutachten durch an-
dere Fachdisziplinen anfordern. Die Gesamt-MdE bzw. der
Grundsätzlich wird zwischen einem »freien Gutachten«, welches Gesamt-GdB wird dann ggf. durch Addition der bei den
meist von privaten Versicherungsgesellschaften angefordert wird, verschiedenen Gutachten erhobenen Befunde errechnet.
und einem im Rahmen der Abläufe der gesetzlichen Unfallversiche Üblich sind z. B. radiologische oder neurologische Zusatz-
rung (»Rentengutachten«, »BG-Gutachten«) zu erstellenden Gut gutachten.
achten unterschieden. Der objektive Befund sollte zur besseren Anschaulich-
keit mittels Farbfotografien festgehalten werden, dies ver-
> Bei beiden ist besonders auf die durch den Auftraggeber
anschaulicht oft umständliche Beschreibungen.
gestellten Fragen einzugehen. Die folgende Gliederung
hat sich bei der Erstellung jeglicher Gutachtenformen
In sog. Zusammenhangsgutachten wird ausführlich erörtert und
bewährt, im Anschluss an diesen allgemeinen Teil kann
festgestellt, ob ein Körperschaden oder eine Erkrankung mit einem
dann, vor der abschließenden Einschätzung durch den
bekannten Ereignis in der Vorgeschichte des Patienten in kausalem
Gutachter, auf die speziell durch den Auftraggeber gestell-
Zusammenhang steht. Es muss auch festgestellt werden, in welchem
ten Fragen eingegangen werden.
Ausmaß das Trauma oder die Erkrankung die körperliche oder geis
Einleitend muss dargelegt werden, wer (wann) den Gutachtenauf tige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
trag erteilt hat und anhand welcher Feststellungen das Gutachten
von wem (wann) erstellt wurde (z. B. aufgrund eigener Untersu
chung, nach Aktenlage, aufgrund apparativer oder laborchemischer 85.2 Berufskrankheiten
Untersuchungen etc.; . Übersicht).
Eine Krankheit, die im Rahmen der Berufsausübung entsteht, ist
nicht automatisch eine Berufskrankheit: Solche Erkrankungen wer
Empfehlung zum Aufbau eines ärztlichen Gutachtens den erst dann in die Berufskrankheitenliste (BK-Liste) aufgenom
1. Vorgeschichte: men, wenn Erkenntnisse darüber vorliegen, dass sie durch besonde
Gliedert sich in re berufliche Einwirkungen verursacht wird, denen die Berufstätigen
– subjektive Anamnese (vom Antragsteller/Patienten durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße ausgesetzt sind als die
dargestellt) und übrige Bevölkerung. Aus dieser Formulierung – sie stammt sinnge
– objektive Anamnese (durch den Gutachter erstellte mäß aus dem 7. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) – ist zu ersehen,
Anamnese, aufgrund der in den Akten erhobenen dass eine Kausalität gegeben sein muss und nicht alle Erkrankungen
Befunde und durchgeführten Untersuchungen und als Berufskrankheiten zu bezeichnen und evtl. zu entschädigen sind.
Therapiemaßnahmen sowie Angaben zum Heilverlauf ). So fällt z. B. nur ein kleiner Teil der Rückenerkrankungen unter be
2. Klagen des Antragstellers: stimmten Voraussetzungen unter das Berufskrankheitenrecht
Möglichst wörtliche Wiedergabe der subjektiven Klagen des (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule oder
Patienten. Hinweis: Es kann sinnvoll sein, sich vom Patien der Halswirbelsäule).
6 In § 9 SGB VII »Berufskrankheiten« ist genau definiert, was un
ter einer Berufskrankheit zu verstehen ist. Allerdings stehen im Ge
824 Kapitel 85 · Heilverfahren
85 Literatur
Dörfler H, Eisenmenger W, Lippert HD, Wandl U (2008) Medizinische Gutach
ten. Springer, Berlin Heidelberg New York
VSBinfo.de. Informationen zum Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht
[http://anhaltspunkte.vsbinfo.de]
86
Untersuchungs-
und Dokumentationsbögen
G. Valiyeva, A. Gohritz
Im Folgenden sind der Anamnesebogen Mamma (. Abb. 86.1), der Untersuchungsbogen »Plexus« (. Abb. 86.2) sowie der DASH-Fragebo-
gen (»disabilities of arm, shoulder and hand«) wiedergegeben (. Abb. 86.3).
86
86
Plexus (Fortsetzung)
. Abb. 86.2 (Fortsetzung). In den Sparten der Muskelgruppen 1.–31. werden die klinisch erhobenen Kraftgrade (M0–5)
eingetragen
830 Kapitel 86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen
86
. Abb. 86.3 DASH-Fragebogen (DASH = »disabilities of arm, shoulder and als auch durch mehrfache Bestimmung ein Verlauf (z. B. prä- und postope-
hand«). Es handelt sich um einen Evaluationsmaßstab, mit dem sowohl eine rativ) dargestellt werden kann (Mod. nach Germann et al. 1999)
Einschränkung der oberen Extremität in ihrer Schwere eingeschätzt werden
86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen
831 86
Literatur
Germann G, Wind G, Harth A (1999) Der DASH-Fragebogen – Ein neues
Instrument zur Beurteilung von Behandlungsergebnissen an der oberen
Extremität. Handchir Mikrochir Plast Chir 31: 149–152
86
87
Klassifikationen
U. Mirastschijski, A.G. Gohritz, P.M. Vogt
ASA-Klassifikation Kennzeichen
ASA V Moribunder Patient, Tod innerhalb von 24 h mit oder ohne Operation zu erwarten
ASA VI Patient mit festgestelltem Hirntod, dessen Organe zur Organspende entnommen werden
. Tab. 87.2 Glasgow Coma Scale (GCS). Beobachten → Ansprechen → Schmerzreiz setzen nach Teasdale u. Jennett (1974)
Unartikuliert 2 Stöhnt 2
Beugereaktion 3 Beugereaktion 3
Streckreaktion 2 Streckreaktion 2
CGS Bewusstseinsstörung
>12 Leicht
11–8 Mittelschwer
<7 Schwer
836 Kapitel 87 · Klassifikationen
87.3 Frakturen
87.3.1 Klassifikation offener Frakturen
. Tab. 87.4 zeigt die verschiedenen Klassifikationen für offene Frakturen. . Tab. 87.5 klassifiziert zusätzlich den vergesellschafteten Weich
teilschaden.
Typ Kennzeichen
II Offene Fraktur
Wunde <1 cm
Ohne massive Weichteilschädigung, Lappenbildung oder Avulsionsverletzungen
III Jede offene Mehretagenfraktur
Jede offene Fraktur mit massiven Weichteilschäden
Jede traumatische Amputation
Schussverletzungen
Verletzungen in der Landwirtschaft mit Erdverschmutzung
Frakturen mit Gefäßverletzungen
Offene Frakturen >8 h
Frakturen bei Opfern von Massenunfällen (z. B. Krieg, Tornado)
– IIIA Adäquate Weichteildeckung der Wunde trotz Lappenbildung oder Hochenergietrauma, unabhängig von der Wundgröße
– IIIB Knochen liegt frei, das Periost ist abgestreift
Meistens massive Kontamination
– IIIC Mit Arterienverletzung, die chirurgisch versorgt werden muss
Grad Kennzeichen
Die unterschiedlichen Klassifikationen sind in . Tab. 87.6 bis . Tab. 87.9 dargestellt.
. Tab. 87.6 AO-Klassifikation der distalen Radiusfraktur (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen; Müller et al. 1990)
Typ Kennzeichen
B3 Partiell artikuläre Fraktur des Radius, volare Kante (»reversed« Barton, Goyrand-Smith II)
Typ C: C1 Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, artikulär einfach, metaphysär einfach
Vollständig intraartikulär
C2 Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, artikulär einfach, metaphysär mehrfragmentär
. Tab. 87.7 Klassifikation der Radiusfraktur nach Frykman (1967) . Tab. 87.9 Mayo-Klassifikation der intraartikuläre Radiusfrakturen
nach Cooney et al. (1980)
Typ Kennzeichen
Typ Kennzeichen
I 4 Extraartikulär
Typ Kennzeichen
1 4 Stabil
4 Wenig eingestaucht
2 4 instabil
4 Ulnare Schlüsselfragmente im Verbund
3 4 Instabil
4 Ulnare Schlüsselfragmente im Verbund disloziert
4 Zusätzliches palmares Schaftfragment
4 4 Instabil
4 Weite Dislokation des dorsalen und palmaren ulnaren
Schlüsselfragmentes
838 Kapitel 87 · Klassifikationen
Die Klassifikationen der Skaphoidfrakturen sind in . Tab. 87.10 bis . Tab. 87.13.
. Tab. 87.12 dargestellt.
. Tab. 87.10 Klassifikationen der Skaphoidfrakturen nach Herbert u. . Tab. 87.13 Einteilung der Fingerfrakturen
Fisher (1984); Krimmer et al. (2000)
Lokalisation Frakturtyp
Typ Kennzeichen
Frakturtypen Schaft 4 Querfraktur
A Stabile Fraktur: Querfraktur und Fraktur des Tuberkulums 4 Schrägfraktur
ohne Dislokation 4 Torsionsfraktur
4 Mehrfragmentfraktur
B Instabile Fraktur
Frakturtypen Gelenk 4 Unikondylär
– B1 Schrägfraktur distales Drittel
4 Bikondylär
– B2 Verschobene Fraktur mittleres Drittel 4 Mehrfragmentkopffraktur
4 Knöcherner Basisausriss mit zuneh-
– B3 Proximale Polfraktur mender Luxation
– B4 Luxationsfraktur
– B5 Trümmerfraktur
– Quer
– Vertikal-schräg
87.4 Nerven
87.4.1 Nervenanatomie
. Tab. 87.12 AO-Klassifikation der Skaphoidfrakturen (Arbeits
gemeinschaft für Osteosynthesefragen, Petracic u. Siebert 1995) Im Querschnitt zeigen sich die folgenden Strukturen:
C C1–C3 Mehrfragmenttrümmerfraktur
Epineurium
Lockeres Bindegewebe, das den gesamten peripheren Nerv sowie die
Faszikelgruppen umgibt.
Perineurium
Umhüllung eines Nervenfaszikels.
Endoneurium
Füllt den Raum zwischen den Axonen innerhalb eines Faszikels.
87.4 · Nerven
839 87
Faszikel
Die kleinste mikrochirurgisch manipulierbare anatomische Nerven . Tab. 87.15 Einteilung der Nervenverletzung nach Seddon (1943),
struktur. Faszikel enthalten Axone und sind in Gruppen angeordnet. Sunderland (1951), Mackinnon u. Dellon 1988)
Je nach Anzahl der Faszikel unterscheidet man monofaszikuläre,
oligofaszikuläre und polyfaszikuläre Nerven. Grad Kennzeichen
Läsionen
. Tab. 87.17.
Obere Plexus- C5–C6 M. deltoideus Über dem M. deltoideus Fehlen des Brachioradialis- und Bizepsreflexes,
läh-mung M. supra- und infraspinatus (N. axillaris), radiale Seite nach innen rotierter Arm hängt schlaff herun-
(Erb-Duchenne- M. biceps brachii von Unterarm und Hand ter, kann im Ellbogen nicht gebeugt und im
Lähmung) M. brachialis Schultergelenk nicht angehoben werden
M. brachioradialis
Untere Plexus- C8–TH1 Kleine Handmuskeln Ulnare Seite von Unter- TSR abgeschwächt, häufig zusätzlich ein
lähmung (Klumpke- und Fingerbeuger arm und Hand Horner-Syndrom (Folge einer Schädigung des
Lähmung) unteren Halsgrenzstrangs)
TSR=Trizepssehnenreflex.
87.5 Lappenplastiken . Tab. 87.18 Klassifikation der Muskel- und muskulokutanen Lap-
pen nach Mathes u. Nahai 1981)
87.5.1 Klassifikation des fasziokutanen Lappens
Typ Kennzeichen Beispiele für Muskellappen
Random pattern flap (Zufallsversorgung)
4 Gefäßversorgung: subdermale Plexus. I Ein Gefäßstiel Gastrocnemius, Tensor fascia
4 Rechteckförmiger Lappen mit einer Ratio Basis :Länge von lata, Abductor digiti minimi
5 2:1 (Extremitäten) II Ein dominanter Gefäßstiel Trapezius, Gracialis
bis und kleinere Äste
5 1:5 (Gesicht).
III Zwei dominante Gefäß Rectus abdominis, Glutaeus
stiele maximus, Serratus anterior,
Axial pattern flap Temporalis
4 Gefäßversorgung: oberflächlich verlaufender Gefäßstiel.
4 Beispiele: seitliche Stirn (A. temporalis superficialis); deltopek IV Segmentale Gefäßstiele Sartorius, Tibialis anterior,
87 toral (Äste der A. mammaria interna); Füßrückenlappen Flexor hallucis longus
. Tab. 87.19.
87.5.2 Örtliche Defektdeckung
C Muskulokutaner Gefäßstiel
. Tab. 87.18.
87.7 · Mamma
841 87
87.6 Gesicht Hypertelorismus
Übernormal großer Abstand zwischen zwei Organen, meist syno
87.6.1 Ästetische Zonen des Gesichts nym für den okulären Hypertelorismus.
3 Orbital
. Tab. 87.21 Klassifikation der Gesichtsspalten nach Tessier (1976)
4 Temporal
Spalten Nr. Kennzeichen
5 Labial
0 Mediane kraniofaziale Gesichtsspalte
6 Bukkal
1 Paramediane kraniofaziale Gesichtsspalte
7 Mental
2 Paramediane, laterale kraniofaziale Gesichtsspalte
3 Okulonasale kraniofaziale Gesichtsspalte
. Tab. 87.23; weitere Details sind in 7 Kap. 77.1 zu finden. Die Zoneneinteilung der Strecksehnenverletzungen zeigt . Tab. 87.25.
. Tab. 87.23 Klassifikationen der Ptose nach Regnault (1976) . Tab. 87.25 Zoneneinteilung der Strecksehnenverletzungen an der
Hand nach Kleinert u. Verdan (1983)
Grad Ptose
Zone Gelenk Kennzeichen
Normale Brust Nippel-Areola-Komplex oberhalb der
Inframammärfalte 1 Endgelenk Das Endglied hängt herab
Knöcherner Ausriss (geschlossen)
1) Leichte Ptosis Nippel-Areola-Komplex auf Höhe der
Subkutaner Ausriss (geschlossen)
mammae Inframammärfalte
Durchtrennung (offen)
2) Moderate Ptosis Nippel-Areola-Komplex unterhalb der
2 Mittelglied Kein oder wenig Streckdefizit
mammae Inframammärfalte und oberhalb der
Die Pars triangularis hat keine Streck-
unteren Brustkontur
funktion
3) Schwere Ptosis Nippel-Areola-Komplex unterhalb der
3 Mittelgelenk Durchtrennung von Mittelzügel und
mammae Inframammärfalte und unterhalb der
beiden Pars medialis der Seitenzügel:
unteren Brustkontur
Streckdefizit im PIP-Gelenk
Pseudoptosis Nippel-Areola-Komplex oberhalb der Alleinige Durchtrennung des Mittelzü-
Inframammärfalte, jedoch befindet sich gels: Klinik möglicherweise nicht eindeu-
das Brusparenchym unterhalb der Infra- tig durch Kompensation der Seitenzügel;
mammärfalte Cave: Entwicklung einer Knopflochdefor-
mität
Parenchymale Fehl Nippel-Areola-Komplex und Brustgewebe Knopflochdeformität
verteilung des Drüsen- unterhalb der Inframammärfalte
gewebes 4 Grundglied Kaum Streckdefizit, nur bei Durchtren-
nung der gesamten Aponeurose
Grad Kennzeichen
. Tab. 87.26 Zoneneinteilung der Beugesehnen an der Hand nach
Verdan (1972) I 4 Adäquate Durchblutung
4 Standardosteosynthese und Weichteilrekonstruktion
Zone Lokalisation an den Lokalisation am Daumen empfohlen
Fingern II 4 Komplette Ischämie
4 Venentransplantate zur Gefäßanastomosierung not-
1 Distal der Insertion des Distal des IP-Gelenks wendig mit simultaner Nervenrekonstruktion
FDS (nur FDP betroffen) 4 Erfolgsrate: ca. 75%.
2 A1-Ringband bis FDS- Grundphalanx (IP-Gelenk bis III 4 Komplette Avulsionsverletzungen
Insertion (»no man’s land« A1-Ringband) 4 Vor allem Verletzungen proximal der FDS sollten ampu-
– Bunnell) tiert werden
3 Distaler Rand des Karpal- Thenarbereich 4 Wenn das PIP-Gelenk verletzt oder die Grundphalanx
kanals bis proximal des frakturiert sind, wird ebenfalls eine Amputation emp-
A1-Ringbands fohlen
Frakturen
7 Kap. 87.3.
Lunatummalazie – M. Kienböck
. Tab. 87.29 Einteilung des triangulären fibrokartilaginären Kom- Die zwei Einteilungen des M. Kienböck nach Decoulx und Lichtman
plexes (TFCC) nach Palmer (1989) sind in . Tab. 87.31 und . Tab. 87.32 dargestellt.
Einteilung Kennzeichnung
. Tab. 87.31 Radiologische Einteilung des M. Kienböck
Traumatisch Ia Radiusnaher Riss nach Decoulx et al. (1957)
Ib Abriss ulnarseits mit/ohne Fraktur
Stadium Kennzeichen
Ic Ruptur der ulnokarpalen Bänder
. Tab. 87.34 Handfehlbildungen (Einteilung nach Swanson 1976) . Tab. 87.36 Klassifikation der Makrodaktylie nach Temtamy
u. McKusick (1978)
Gruppe Kennzeichen
Typ Kennzeichen
1 Mediane Spalthand ohne Beteiligung des Daumens
oder Kleinfingers I Makrodaktylie 4 Typ IA: Echte Makrodaktylie mit Hyper
als isolierte plasie des Knochens
2 Medioradiale Spalthand mit Daumenbeteiligung, aber
Anomalie
erkennbarem Restfinger 4 Typ IB: Pseudomakrodakylie ohne Kno-
chenhypertrophie, Weichteilgigantismus
3 Radiale Spalthand mit Daumenaplasie
durch Hämangiome, arteriovenöse Fisteln,
4 Medioulnare Spalthand mit Kleinfingerbeteiligung, aber Lymphödem (Schnürringkomplex)
erkennbarem Restfinger
II Partieller 4 M. von Recklinghausen (Neurofibromatose)
5 Ulnare Spalthand mit Kleinfingeraplasie Riesenwuchs
4 M. Ollier (Enchondromatose)
als Teil eines
Syndroms 4 Mafucci-Syndrom
4 Klippel-Trenaunay-Weber Syndrom
4 M. Milroy
846 Kapitel 87 · Klassifikationen
. Tab. 87.39 Klassifikation der Kamptodaktylie nach Benson et al. . Tab. 87.42 Schweregradeinteilung des CRPS
(1984)
Grad Stadium Kennzeichen
Typ Kennzeichen
1 Akutes Stadium Umschriebener Schmerz am Ort
Stadium II pT3 N0 M0
Kennzeichen
pT Primärtumora
. Tab. 87.45 Stadieneinteilung nach den Empfehlungen der Deut-
pTX Primärtumor kann nicht beurteilt werden schen Dermatologischen Gesellschaft nach Orfanos et al. (1994)
pT0 Kein Primärtumor
Stadium pT N M 10-Jahres-
pTis Melanoma in situ (Clark-Level I) Überle-
pT1 Tumordicke ≤0,75 mm und Clark-Level II bensrate
pT2 Tumordicke 0,76–1,5 mm und/oder Clark-Level III Stadium IA pT1 (≤0,75 mm)* N0 M0 97%
pT3a Tumordicke 1,51–3,0 mm und/oder Clark-Level IV Stadium IB pT2 (0,76–1,5 mm)* N0 M0 90%
pT3b Tumordicke 3,01–4,0 mm und/oder Clark-Level IV Stadium IIA pT3 (1,51–4,0 mm) a
N0 M0 67%
pT4a Tumordicke >4,0 mm mm und/oder Clark-Level V Stadium IIB pT4 (>4,0 mm)* N0 M0 43%
pT4b Satelliten innerhalb von 2 cm vom Primärtumor Stadium IIIA pTa, pTbb N0 M0 28%
N Regionäre Lymphknoten Stadium IIIB jedes pT N1, N2 M0 19%
NX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden Stadium IV jedes pT jedes N M1 3%
N0 Keine regionären Lymphknotenmetastasen a Die pT-Klassen werden nach der vertikalen Tumordicke nach
Breslow festgelegt, nur bei fehlender Tumordickenangabe wird der
N1 Metastase(n) 3 cm oder weniger in größter Ausdehnung in
Invasionslevel nach Clark in Anlehnung an die TNM-Klassifikation
irgendeinem regionären Lymphknoten
herangezogen.
N2 Metastase(n) mehr als 3 cm in größter Ausdehnung b
Satelliten-Metastasen werden als pTa und In-transit-Metastasen als
in irgendeinem regionären Lymphknoten und/oder pTb bezeichnet.
In-transit-Metastasenb
N2b In-transit-Metastase(n)
87.11.2 Basalzellkarzinom
N2c Metastase(n) mehr als 3 cm in größter Ausdehnung und
In-transit-Metastase(n) Die histologische Subtypisierung der Basalzellkarzinome basiert auf
M Fernmetastasen unterschiedlichen Differenzierungsmustern, die auch in der aktu
ellen histologischen Klassifizierung der WHO zum Ausdruck kom
M0 Keine Fernmetastasen
men (Lever u.Schaumburg-Lever 1990; Heenan et al. 1996). Die in
M1a Befall von Haut, Subkutis oder Lymphknoten jenseits der . Tab. 87.46 dargestellte Einteilung hat sich in der Praxis bewährt
regionären LK (7 Kap. 32.2.2).
M1b Viszerale Metastasen
a Bei Diskrepanzen zwischen Tumordicke und Clark-Level richtet sich
die pT-Kategorie nach dem jeweils ungünstigsten Befund.
b In-transit-Metastasen sind Metastasen der Haut oder Subkutis, die
mehr als 2 cm vom Primärtumor entfernt, aber nicht jenseits der
regionären Lymphknoten liegen.
848 Kapitel 87 · Klassifikationen
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Stichwortverzeichnis
A –
–
Fuß 225
– Komplikationen 262
Areola
– banking 645
A-zu-M-Verschluss 100 – – Operationsprinzipien 260 – Rekonstruktion 645
Abbé-Lappen 150, 153 – Grad der Behinderung/Minderung Arm
Abbreviated Burn Severity Index (ABSI) 653 der Erwerbstätigkeit 249 – Amputation 246, 248
ABCDE-Regel 280 – Hand 246, 520 – Anatomie
Abdomen – Höhe – – Handmuskulatur 446
– Adipositas 728 – – obere Extremität 246 – – Muskelkompartimente 548
– apertum 180 – – untere Extremität 256 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
– Bodylift 718 – Komplikationen 248, 262, 265 237
– Dermolipektomie 719 – Ohr 134, 137 – CRPS 594
– Fettschürze 718, 722, 730 – postoperatives Management 249, 263 – DASH-Fragebogen 830
– Gastroschisis 178 – Replantation 246 – Ellbogenfunktion 381, 385, 394
– Hernie 178 – Salvage 226 – Ersatzoperation, muskuläre 390
– Liposuktion 719 – Schnittführung 257 – Fehlbildung 802
– Nahttechnik, /-material 47 – Spare-part-Konzept 265 – Froment-Test 425
– Omphalozele 178 – Stumpfkorrektur 265 – Gewichtsreduktion, massive, Formkorrektur
– Rekonstruktion Bauchwanddefekt 178 – Stumpfprobleme 315 754
– Wundverschluss 178 – Stumpfverlängerung 312 – Kennmuskeln Plexus brachialis 344
Abdominoplastik 718 – subtotale, Definition 843 – Kompartmentsyndrom 548
ABSI-Score (Abbreviated Burn Severity Index) – totale, Definition 843 – Kontraktur 548
653 Amputationsneurom 248 – Krukenberg, Operation nach 248
Achillessehnenrekonstruktion 228 Amputationsverletzung – Mittelfingertest 420
Acrylat 54 – Hand 520, 524 – Motor Grading Scale des British Medical
Adenomyoepitheliom, Mamma 621 – Ischämiezeit 524 Research Council 343
Adipositas – Kind 526 – Nevenschädigung 355, 366
– bariatrische Operation 728 – Transport Amputat 524 – Neurotisation 382
– Bodycontouring 729 amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 364 – Parese 371
– Klassifikation 728 Analgesie 26, 28 – Plexus, Untersuchungsbogen 828, 829
Advancement, frontoorbitales 777 Anästhesie – Plexus-brachialis-Parese 342, 839, 840
Advancement-Lappen, einfacher 141 – Facelift 688 – – Therapie 381, 386
Aitken, Klassifikation Fingerfrakturen nach 478 – Lappenplastik 100 – Pronatorsyndrom 422
Aknenarben – Leitungsanästhesie 69 – Prothese 250
– Dermabrasio 677 – Lokalanästhesie 68 – Rekonstruktion 210
– Laser-Resurfacing 678 – Nervenblockade 68 – Spendernerv 382
– Peeling 675 – Tumeszenzanästhesie 70 – Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS) 425
– Needling 682 Angiographie in der Handchirurgie 463 – Supinatorsyndrom 420
Akrosyndaktylie 803, 845 Angiom 300 – Tetraplegie 390, 394
Akrozephalosyndaktyliesyndrom 772 Angiomatose 297 – Volkmann-Kontraktur 551
Aktivkohleverband 14 Angiosarkom 300 – Wartenberg-Syndrom 421
Alexander, Sandwichtechnik zur Spalthaut Angiosom 91, 171 – Weichgewebstumor, maligner 312
gewinnung nach 662 Anisomastie 796 Arsen 286
Alginat 14 Antia u. Buch, Resektion nach 135 Arterie, VTE-Prophylaxe 23
Allen-Test 452 Ankylose 560 Arthrographie in der Handchirurgie 463, 469
Allgöwer-Naht 49 Anogenitalregion Arthrogryposis multiplex congenita 810
Allograft 78 – Dekubitus 190 Arthrose
Allotransplantation 236 – Hypertelorismus-Hypospadie-Syndrom 774 – Arthrosis deformans 847
α-Hydroxysäure 673 – Rekonstruktion 203 – ausgebrannte 560
Altersflecken 276 – Tumor, maligner 186, 310 – Denervation 412
Altershand 757 Antibiotika – Hand 560
Amastie 793 – Infektion Hand 532 – Handgelenk 565
Amputation – Wundheilung 17 – Zeichen 847
– Arm 246 Antikoagulation 20 ASA-Klassifikation 20, 835
– Bein 225 AO-Klassifikation ASSH-Klassifikation der Handfehlbildung 802
– – Komplikationen 262, 265 – Radiusfraktur 837 Ästhetische Chirurgie
– – Operationsprinzipien 257 – Skaphoidfraktur 838 – Aufklärung 25
– Definition 523 Apert-Syndrom 815 – Nikotinabusus 687
– Elektrotrauma 654 – Gesicht 772 – VTE-Prophylaxe 24
– Extremität – Hand 802, 809 Atasoy, palmare VY-Dehnungslappenplastik nach
– – obere 246 Aplasie 792 497
– – untere 225, 255–265 Apostasis otis 712 Atemhilfsmuskulatur, Thoraxwandrekonstruktion
– Finger 246 Arbeitsunfähigkeit, Definition 823 164, 175
Stichwortverzeichnis
853 A–C
Athelie 793 Becken Body-Mass-Index (BMI) 728
Aufklärung 25 – Dekubitus 184, 190 – Abdominalplastik 719
– Ästhetische Chirurgie 25 – Kompressionssyndrom 430 – Total Bodylift 722
– – Nase 700 – Lappenplastik 187 Bodycontouring 729
– – Rejuvenation 670 – Nervenschädigung 432 Bodylift 730
– Bluttransfusion 26 – Tumor, maligner 184, 187 – Total Bodylift 722
– Eigenblutspende 26 Begutachtung 822 – Upper Bodylift 718
– Haarentfernung 37 Bein Bogensehnenphänom 522
– Schmerzen, postoperative 26 – Amputation 255, 262 Borderline-Störung, Narbe 683
– Thoraxwandrekonstruktion 164 – – Unterschenkel 257 Borggreve-van Nes, Umdrehplastik 258
– Weichgewebstumor, maligner 307 – Ästhetische Chirurgie 760 bow-stringing 554
Auge – CRPS 594 Bowen, Morbus 286
– Hypertelorismus 841 – Denervation 415 Bowers, Ulnakopfhemiresektion und
– Hypotelorismus 841 – Fußheberlähmung 364 Kapselinterposition nach 563
– N.-facialis-Parese 335 – Knie, nervale Versorgung 415 Brachioplastik, Gewichtsreduktion 757
– Ota-Nävus 276 – Kompressionssyndrom 430 Brachydaktylie 802, 804
– Schädelfehlbildung 770 – Liposuktion 760 Brachysyndaktylie 802
– Telekanthus 841 – Meralgia paraesthetica 430 Brachyzephalus 769
Augenbraue, Facelift 692 – Nevenschädigung 362, 404, 430–436 brain-derived neurotrophic factor (BDNF) 324
Augenlid – Reithosendeformität 760 Brand, Sehnentransfer nach 375
– Anatomie 140 – Rekonstruktion 224 Brandverletztenzentrum 657
– Ektropium 145 – Stelze, biologische 404 Brandverletzung 7 Verbrennungsverletzung 650
– Entropium 147 – Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes BRCA1-Gen/breast cancer gene 625
– Ptosis/Blepharoptosis 147 258 Brent, Ohrknorpeltransplantation nach 136
– Rekonstruktion 140 – Weichgewebstumor, maligner 312 Breslow, Klassifikation nach 584
Austauschplastik 90 Bell-Parese 334 Bridle procedure 407
Autograft 78 Benelli, periareoläre Straffung nach 750 Brückenlappen 90
AV-Fistel, AV-Malformation 300 Bennett-Fraktur 485 – Gesicht 119
Avulsion, Ohr 134 Bernard-(Burow-)Operation 151, 153 – Schnittführung 119
axial pattern flap 840 Berufskrankheit 823 Brunner, Hautinzision nach 513, 590
Axon 322, 324, 330 Berufsunfähigkeit 822 Brust 7 Mamma
– Plexus-brachialis-Parese 345 best of parts 805 Brustwand
Axonotmesis 323, 331, 839 Beugesehnen Hand, Zoneneinteilung 843 – Brustrekonstruktion nach Tumorchirurgie 636
Azetylsalizylsäure (ASS) 20 Bewusstseinsstörung, GCS 835 – Interponat, synthetisches 165
bilobed flap 88 – Lappenplastik 165
– Gesicht 116 – Rekonstruktion 164
B – Schnittführung 116
Biobrane 660, 663
– – Weichgewebstumor, maligner 310
Buck-Gramcko, Zeigefingerpollizisation nach 601
Baker, Kapselfibrose 741, 841 Biopsie, Technik 272 buddy-taping 483
banana peel flap 100 bipedicled flap 119 Bundesknappschaft 823
bariatrische Operation 728 Bissverletzung Büngner-Band 324
Basalzellkarzinom 283 – Hand 511, 536 Bupivacain 68
– Hand 584 – Mensch 533, 536 buried penis 199, 206
– Typen 284 – Ohr 134 Burkhalter, Transposition des M. extensor indicis
Basedow, Morbus, Augenlidchirurgie 148 – Tier 533, 536, 541 nach 373
Bauchnabel, Abdominoplastik 719 – Wundversorgung 533 Burow-Dreieck 88, 105
Bauchwand – Zahnschlagverletzung 537 Busch-Fraktur 511
– Abdominoplastik 718 Blasenexstrophie 198
– Anatomie 719 Blauth, Klassifikation der Daumenhypoplasie
– Perfusion, Hugier-Zoneneinteilung 719
Bauchwanddefekt 178
nach 601
Blauth, OP-Grundsätze nach 812
C
– Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) Blauth u. Borisch, Klassifikation der Spaltfuß Café-au-lait-Flecken 37
239 bildung 815 Camitz, Transposition des M. palmaris longus nach
– Gastrochisis 178 Blepharoplastik Ober-/Unterlid 695 373
– Hernie 178 Blepharoptosis 147 Campbell, Stadieneinteilung Dekubitalulzera
– – Abdominalplastik 722 Blindenschrift 496 10
– Omphalozele 178 Blutegeltherapie 56 Caput-ulnae-Syndrom 574
– Operationsplanung 178 Blutstillung 54 Carcinoma in situ der Mamma
– Wundverschluss 178 Bluttransfusion 26 – duktales 626
Baux, Verbrennungsindex nach 653 – Tumorresektion 307 – lobuläres 621
Bayne u. Klug, Klassifikation der radialen Blutung, perioperative Carpenter-Syndrom 772
Klumphand 605 – Antikoagulanzien 23 Charcot-Fuß 9
854 Stichwortverzeichnis
F – Denervation 414
– Bänder, stabilisierende 482
– Versorgung, motorische 448
– Versorgung, sensible 444
Facelift 687 – Diagnostik Fingernagel
– minimal access cranial suspension lift (MACS) – – Bildgebung 458 – Infektion 535
689 – – Froment-Zeichen 359 – Schnittführung, nagelfalzschonende 535
– Nasolabialfalten 692 – – Mittelfingertest 420 – Trauma 478
– superfizielles muskuloaponeurotisches System – Dupuytren-Kontraktur 588 Finkelstein-Test 453, 555
(SMAS) 689 – Einschlusszyste, epidermale 579 Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttyps 280,
Faden – Ersatzoperation, motorische, nach Quer- 670
– geflochtener 46 schnittslähmung 397 floating forehead 768
– Mikrochirurgie 52 – Fehlbildung 802 4-Flügel-Lappen 100
– monofiler 46 – – Einteilung 845 Fluorocarbon-Polymer 65
– nichtresorbierbarer 46 – Fraktur Folienverband 15
– resorbierbarer 46, 47 – – Klassifikation 478, 838 Fontanellenweite 771
Fallfuß 364 – – Therapie 478, 479, 511 Formkorrektur
Fallhand 357, 372 – Hammerfinger 508 – Bein 762
Falten – Infektion 532, 535 – Gesicht 686
– Medical Needling 682 – Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – Hals 697
– Nasolabialfalten 692 – Knopflochdeformität 508, 845 – Mamma 643, 795, 797
– Rejuvenation 670 – Kombinationsverletzung 518 – Nase 700, 704
– – Dermabrasio 676 – Komplexverletzung 518 – obere Extremität 754
– – Laser-Resurfacing 678 – Krallenstellung 375 – Ohr, Otoplastik 712
– – Peeling 672 – Kuppe, defekte 496 Foucher-Lappen 376, 497, 501, 543, 544
Fanconi-Anämie 809 – Lappenplastik 542 Fournier-Gangrän 202
fascial partition 179 – Lassoplastik 375, 399 Fraktur
Faszie – Loge-de-Guyon-Syndrom 427 – Finger 838
– Fasziektomie 549 – Lokalanästhesie 70 – Kind 838
– Fasziensystem , superfizielles 722 – Luxation 482 – Klassifikation 836
– Nahtmaterial, -technik 51 – Mallet-Finger 508, 844 – Radius 837
– Transplantation 84 – Mukoidzyste 579 – Skaphoid 838
Fasziitis – N.-interosseus-anterior-Syndrom 422 Franceschetti-Zwahlen-Syndrom 773
– noduläre 297, 579 – Nerv Frau-zu-Mann-Transsexueller 205
– nekrotisierende (Hand) 541 – – Anatomie 448 Froment-Test, -Zeichen 359, 425
– proliferative 297 – – Schädigung 357, 357, 422 Frühmobilisation 21
Faustschluss, Tetraplegie 398 – – Tastsinn 496 Frykman, Klassifikation der Radiusfraktur nach
Fazialisparese 334 – Phlegmone 537 837
– Ektropium 145 – Pollizisation als Daumenersatz 601, 602 Funktionswiederkehr, motorische/sensible
Fehlbildung, Fuß 812 – Rekonstruktion 496 – Highet, Schema nach 331
Femoralisparese 404 – – Gewebetransfer, freier 503 – Seddon-Modifikation 349
Femur-Fibula-Ulna-Fehlbildung 813 – – Lappenplastik 496 Fuß
Fernlappenplastik 90 – – Spare-part-Transplantation 503 – Amputation 255, 259, 260
Fettinjektion, autologe – Replantation 523, 843 – Anatomie 415
– Altershand 757 – – Blutegeltherapie 57 – Apert-Syndrom 815
Fettschürzenresektion 719, 722, 729, 730 – rheumatoide Arthritis 574 – CRPS 594
Fetttransplantation 83 – Ringavulsionsverletzung 526 – Denervation 415
Fibrin – Ringbandstenose 554 – diabetischer 9
– Fibrinkleber 55 – Schnapp-Phänomen 574 – Fallfuß 364
856 Stichwortverzeichnis
G – – Augenlid 140
– – Lippe 150
– Fetttransplantation 83
– Hauttransplantation 78
Galaktographie 616 – – Nase 128 – Knochentransplantation 81
Ganglion 578 – – Wange 124 – Knorpeltransplantation 79
Gastrochisis 178 – Äthetische Chirurgie 686 – Lappenplastik (7 auch jeweils dort) 88
Gastroknemiuslappen 94, 227, 228, 265, 267, – Augenbraue 692 – Muskeltransplantation 84
311, 434, 840 – Blepharoplastik Ober-/Unterlid 695 – Nerventransplantation 84
Gaumenplatte 786 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) – Sehnentransplantation 84
Gaumenspalte 779, 784 237, 239, 240 Gewichtsreduktion, massive
GdB, Definition 822 – Einheit, ästhetische 679 – Abdominoplastik 718, 722
Geburtstrauma, Plexus-brachialis-Parese 342 – Entwicklung, embryonale 779 – Bodycontouring 729
Gefäß – Facelift 687 – obere Extremität 754
– Anastomosenring 65 – Falten – Wundheilungsstörung 725
– Becken/Leistenregion (Tumorchirurgie) 189 – – Medical Needling 682 Gicht, Hand 542, 560
– Clip 54, 65 – – Rejuvenation 670 Gigantomastie 736
– Coupler device 65 – Fehlbildung, kraniofaziale 768, 775 Gillies, Temporalistransposition nach 338
– Elektrokoagulation 54 – Formkorrektur 686 Glabella-Lappen 108, 129
– Finger – Hautalterung 670 Glasgow Coma Scale (GCS) 835
– – Komplexverletzung 522 – Lappenplastik Gliazelle 322
– – Replantation 529 – – Komplikationen 120 Gliedertaxe, Definition 823
– Flushen 23 – – Techniken 114 Glomustumor 300
– Hand – MACS-Lift (minimal access cranial suspension – Finger 581
– – Anatomie 448 lift) 689 Gluteallapen 203, 643
– – Angiographie 463 – Medical Needling 682 Glykolsäure 673
– – Diagnostik 452 – Mikrosomie 776 Goldenhar-Syndrom 774
– – Komplexverletzung 522 – N.-facialis-Parese 334 Gore-Tex 65
– – Replantation 529 – Nahtmaterial, -technik 47 – Bauchwanddefekt 179
– Kompartmentsyndrom 548 – Nase, Formkorrektur 700 Grad der Behinderung (GdB)
– Laserbehandlung 36 – Nävus 275 – Arm-/Handampuation 249
– Ligatur 54 – – Ota-Nävus 37, 276 – Definition 822
– Malformation 300 – Nervenblockade 68 Granulationsphase 5
– Mamma 614, 641 – Proportionen 686, 841 Granuloma pyognicum 300
– Muskelischämie 548 – Rejuvenation 670 Grayson-Band 444
– Nahtmaterial, -technik 51 – – Dermabrasio 676 Grazilislappen 161, 180, 202–205, 523, 643
– Nase 700 – – Laser-Resurfacing 678 Green, Einteilung der Ringbandstenosen
– Revaskularisation 523 – – Peeling 672 am Finger nach 554
– Strahlenulkus 291 – Rekonstruktion 114 Grind-Test 454
– Thromboembolie, venöse (VTE) 21 – – Augenlid 140 Gummizügel 60
– Trauma 224 – – Lippe 150 Gustilo, Unterschenkelfraktureinteilung 224
– Tumor, benigner 300, 581 – – Nase 128 Gutachen, ärztliches 822
– Übernähung 54 – – Wange 124 Gynäkomastie 748
– Vasokonstriktion 54 – Resurfacing 670 – Liposuktion 750
– Venenanastomose, automatisierte 65 – Spaltbildung 779 – Mastektomie 749
Stichwortverzeichnis
857 F–H
H –
–
Fehlbildung 802, 845
Fraktur
– Richtungszuordnung 444
– Ringavulsion 843
Haarentfernung – – metakarpale 487 – Ruhigstellung, postoperative 60
– ästhetische (Laser) 37 – – Mittelhand 487 – Schlüsselgriff (Tetraplegie) 397
– Rasur, präoperative 25 – – Skaphoid 489 – schnellender Finger 554
Hackenfuß 365 – Froment-Zeichen 359 – Schwurhand 358
Hallux valgus 815 – Ganglion 578 – Sehne
Hallux varus 815 – Gefäßtumor, benigner 581 – – Erkrankung, degenerative 554, 555
Hals – Gewichtsreduktion, massive, Formkorrektur – – Replantation 528
– Ästhetische Chirurgie 686 754 – – Strecksehnenfach 508, 528, 554, 842
– Formkorrektur 686 – Greiffunktion 394, 397 – – Verletzung 508, 522
– Liposuktion 697 – Griffformen 249, 600 – Supinatorsyndrom 420
– Nahtmaterial, -technik 47 – hand lifting 757 – Tendovaginitis de Quervain 453, 555
– Platysmadopplung 697 – Haut 444 – Tendovaginitis stenosans (TVS) 554
– Rekonstruktion 157 – – Tumor, benigner 578 – Terminologie 444
– Wirbelsäule, Nervenverletzung 354 – – Tumor, maligner 583, 584 – Tetraplegie 394
Haltetechnik, atraumatische 40 – Humpback-Deformität 489 – – Klassifikation 397
Hämangiom 36, 297, 300 – Infektion 532 – – Rekonstruktion 397
– Hand 581 – Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – Tumor
Hämangiomatose 300 – Kienböck, Morbus 566, 568 – – benigner 578, 581
Hämangioperizytom 297, 300 – Kleinert-Schiene 515 – – maligner 542, 583, 586
Hammerfinger 508 – Klumphand 601, 605 – Versorgung, motorische 448
Hämodilution 25 – Knochen – Versorgung, sensible 444
Hämoglobin 25 – – Anatomie 444, 459 – Wartenberg-Syndrom 421
Hämostyptikum 54 – – Tumor, benigner 581 – Zahnschlagverletzung 487, 511, 537
Hand – – Tumor, maligner 586 Handgelenk
– Allotransplantation 239, 240 – Knopflochdeformität 575 – Abrasionsarthroplastik 475
– Altershand 757 – Kombinationsverletzung 518 – Anatomie 444
– Amputation 246, 247 – Kompartmentsyndrom 548 – Arthrose 565
– Anatomie 444 – Komplexverletzung 518, 520 – Arthroskopie 468
– – Leitstrukturen bei Infektion 533 – Kontraktur 548 – – Traction-Tower 469
– – Muskelkompartimente 548 – – Dupuytren-Kontraktur 588 – – Zugang (Portal) 469
– Arthrodese 563 – – Volkmann-Kontraktur 552 – Diagnostik, bildgebende 458, 468
– Arthrose 560 – Kulissenphänomen 511 – Discus ulnocarpalis 472, 474
– Basallzellkarzinom 584 – Lappenplastik (postinfektiöser Defekt) 542 – Ganglion 578
– Beihand 376 – Lipom 580 – – Resektion 474
– Beugesehnen – Loge-de-Guyon-Syndrom 427 – Knorpelläsion 474
– – Anatomie 512 – Lokalanästhesie 69 – Phalen-Test 453
– – Dupuytren-Kontraktur 588 – Luxationsfraktur 487 – rheumatoide Arthritis 574
– – Replantation 528 – Melanom 584 – Ruhigstellung, postoperative 60
– – Trauma 512 – Muskelsystem, intrinsisches/extrinsisches – skapholunäres Band 472
– – Zoneneinteilung 843 445, 508 – SLAC wrist 567, 844
– Bissverletzung 511, 536 – N.-interosseus-anterior-Syndrom 422 – SNAC wrist 493, 565, 567, 844
– Brunner, Hautinzision nach 513 – Nahtmaterial, -technik 47 – Synovialektomie 474
– Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) – Nerv – Wafer resection 475
237, 239, 240 – – Anatomie 448 Hannover-Klassifikation von Frakturen und
– CRPS 594 – – Blockade 478 Weichteiltraumata 224
– DASH-Fragebogen 830 – – Schädigung 357, 371–375, 420 Harnblasenkatheter 25
– Denervation – Parese 372 Haut
– – Finger 414 – Phlegmone 539 – Abdominoplastik 718
– – Handgelenk 413 – Plattenepithelkarzinom 583 – Alterung 670
– Diagnostik – Plexus-brachialis-Parese 343, 352 – Angiektasie 300
– – Anamnese 450 – Preiser, Morbus 569 – Antiseptik 25
– – Arthroskopie Handgelenk 468 – Pronatorsyndrom 422 – Basalzellkarzinom 283
– – Bildgebung 458, 468 – Prothese 249 – – Typen 847
– – Tests, spezifische 453 – Quetschtrauma 519 – Biopsie 272
– – Untersuchung, klinische 450 – Rekonstruktion 210 – Bodylift 718
– Einschlusszyste, epidermale 578 – Replantation 523 – Cutis laxa, Medical Needling 682
– Erysipel 540 – – Daumen 600 – Desinfektion 25
– Fallhand 357, 372 – – Indikationen 843 – Dicke 670
– Fasziitis, noduläre 579 – rheumatoide Arthritis 542, 574 – Ersatz 16,
– Faustschluss (Tetraplegie) 398 – – Nervenengpasssyndrom 574 – – Material 660, 663
858 Stichwortverzeichnis
Haut
– Expander 106
Hebedefekt
– Dekubituschirurgie 190
I
– Facelift 687 – Lappenplastik 88 Immunsuppression
– Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttyps – Spalthaut 79 – Allotransplantation 238
670 – Verband 61 – Infektion 532
– Hand 444 Heidelberger Lagerung 193 – plastisch-chirurgischer Patient 236
– Hautinzision Hemiatrophia faciei progressiva 774 Implantat
– – Expander 64 Hemikorporektomie 262 – Dislokation 745
– – Hand, Technik nach Brunner 513 Hemipelvektomie 262 – Majorkomplikation 799
– Laser-Rejuvenation 35 Heparin 20 – Mammafehlbildung 799
– Makula 272 HER-2-Status 629 – Ruptur 743, 745
– Malignitätskriterien 272 Herbert, Klassifikation Skaphoidfrakturen nach Infektion
– Medical Needling 682 489 – CRPS 596
– Melanom 280, 847 Herbert u. Fisher, Klassifikationen der Skaphoid- – Hand
– Memory-Effekt 634 fraktur nach 838 – – Bissverletzung 536
– Mole, atypische 275 Hermaphroditismus 199 – – Erregerspektrum 532
– Naht Hernie – – Erysipel 540
– – evertierende 50 – Abdominalplastik 718 – – Gasbildung 540
– – fortlaufende 49 – Bauchwand 178, 180 – – Leitstruktur 533
– – intrakutan fortlaufende 49 – Narbenhernie 178 – – Panaritium 535
– – überwendlich fortlaufende 49 – Omphalozele 178 – – Paronychie 535
– Nase 700 Hibernoma 297 – – Phlegmone 537
– Nävus 272 hidden penis 199, 206 – – Tenosynovitis, septische 537
– Neurofibromatose 276 Highet, Schema der motorischen/sensiblen – – Therapie 532, 542
– Nodulum 272 Funktionswiederkehr nach 331 – – Zahnschlagverletzung 537
– Papula 272 Hirudo medicinalis 56 – Mastitis, periduktale 620, 622
– Photoaging 280, 670 Histiozytom 297, 304 – Verbrennungsverletzung 665
– Plaque 272 Hoffmann-Tinel-Zeichen 330, 453 Inhalationstrauma 655
– Plattenepithelkarzinom 285 Höhler, Mammareduktion nach 738 – Beatmung 658
– Präkanzerose 286 Holt-Oran-Syndrom, Handfehlbildung 809 Insellappen 116
– Pyoderma gangraenosum 541 Homograft 78 – Schnittführung 116
– Rejuvenation 670–678 Horner-Syndrom 343 Integra 663
– Replantation Hand/Finger 529 – Augenmotilität 147 intense pulse light (IPL) 35
– Sohlenhaut 259 Howship-Rhomberg-Syndrom 363 Interimsprothese 249
– Spalthaut 78 Huang, periareoläre Straffung nach 750 Intersexualität 199
– Spannungslinien, Hautspaltlinien 40, 42 Huber, Transposition des M. abductor digiti Instep-Lappen 232
– Strahlendermatitis 287 minimi nach 374 Intrinsic-plus-Lagerungsschiene 483
– Strahlenfolgen 290, 291 Hueston-Lappen 499, 543 Intrinsic-plus-Stellung 60
– Struktur 670 Hüfte Invaliditätsgrad, Definition 823
– Transplantation 78 – Amputation 262 Inzisionsbiopsie 272
– – Areola 645 – Denervation 412 Ischiasnerv, Schädigung 362, 404
– – Expander 64 – Kompressionssyndrom 430 Iselin, Stadieneinteilung der Dupuytren-
– – Fremdhaut 663 – Nervenschädigung 362, 363, 430, 432 Kontraktur nach 588
– – Hautbank 663 Hughes-Lappen 144 Interosseus-posterior-Lappen 220, 543, 544
– – Kunsthaut 663 Hugier, Zoneneinteilung der Bauchwandperfusion Ito-Nävus 272
– – Penis 202 nach 719
– – Rücken 171 Hühnerbrust 164, 169
– – Stirn 105
– – Verband 61
Humerusderotationsosteotomie 347
Hummerscherendeformität 813
J
– – Verbrennungsverletzung 661 Humpback-Deformität 489 Jackson-Test, Mammakarzinom 616
– Tumor Hydrochinon 672 Jessner-Lösung 672
– – benigner 272, 578 Hydrofaserverband 14, 15 jump graft 336
– – maligner 280, 283, 583, 847 Hydrogelverband 14 Juri, Klassifikation der Mammaasymmetrie nach
– – Rekonstruktion 156 Hydrokolloidverband 15 796
– Typ nach Fitzpatrick 280, 670 Hydrozephalus 776 juristische Aspekte 822
– Vollhaut 78 Hypertelorismus 774, 841 – Aufklärung 25
– Wundheilung Hypospadie 201 – – Weichgewebstumor, maligner 307
– – gestörte 8 Hypotelorismus 774, 841 – Bluttransfusion/Eigenblutspende 25
– – primäre 4 Hypothenar-Hammer-Syndrom 581 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
– Xeroderma pigmentosum 287 241
Hautspaltlinien 42 – Minderung der Erwerbstätigkeit nach Arm-/
Hautspannungslinien 40, 42 Handamputation 249
Stichwortverzeichnis
859 H–L
– Schmerzen, postoperative 26 Klumphand 601, 808 – Dupuytren-Kontraktur 588
– Transsexuellengesetz 205 – Klassifikation nach Bayne u. Klug 605 – Volkmann-Kontraktur 552
Klumpke-Lähmung 342, 840 Konturlinien 42
Knie, Rekonstruktion 227 Kopf-Hals-Region
K Knochen
– Altersbestimmung 460
– Lappenplastik 160
– Melanom 282
Kahnbeinnekrose 569 – Arthrose 560 – Rekonstruktion 156
Kamptodaktylie 802, 804, 846 – CRPS 594 Körpergewichtsreduktion, massive
Kanthusrekonstruktion 148 – Epiphysenfugen, Wachstumspotenz 265 – Abdominoplastik 718, 722
Kapandji-Sauvé, Fusionspseudarthrose des DRUG – Fraktur – Hannover-Klassifikation 224 – Bodycontouring 729
nach 563 – Osteoradionekrose 291 – obere Extremität 754
Kapitatumnekrose 570 – Osteosynthesematerial, alloplastisches 65 – Wundheilungsstörung 725
Kaposi-Sarkom 272, 300 – Rekonstruktion Körperoberfläche, verbrannte (VKOF), Ermittlung
– Hand 586 – – Hand 520 651
Kapselfibrose 741, 745, 841 – – Stirn 107 Körperstamm
Kapselkontraktur 741 – Replantation Hand/Finger 528 – Adipositas 728
Karapandjic-Lappen 150, 153 – Rotationsosteotomie des Humerus 385 – Ästhetische Chirurgie 718
– reverser 153 – Transplantation 79, 81 Kraftentwicklung, motorische 343
Karpalbogen (nach Gilula) 459 – Tumor Krallenzehen 404, 406
Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – – benigner 581 kraniofaziale Fehlbildung 768, 775
Kausalität, haftungsbegründende/ – – maligner 307, 586 Kraniosynostose 768, 776
haftungsausfüllende 824 Knochenwachs 54 Kranium, Anatomie 98
Keloid 16 Knochenzyste, aneurysmale 582 Kreuzband Hand, Anatomie 446
Keratinozyten-Sheet 79 Knopflochdeformität Krückenlähmung 357
Keratoakanthom 287 – Definition 845 Krukenberg, Operation nach 248
Keratose – rheumatoide Arthritis 575 Kryotherapie, Blutstillung 54
– aktinische 273, 274, 286 – Sehnenverletzung 508 Kulissenphänomen 511
– seborrhoische 273, 274 Knorpel Kürettage 272
– solare 286 – Abrasionsarthroplastik Handgelenk 475 Kutler-Lappen 497, 543
Kieferorthopädie 777 – Tumor, benigner 581
Kieferspalte 779, 782 Knorpel-Knochen-Transplantation 79
Kielbrust 164, 169
Kind
Knorpeltransplantation 79
Knoten
L
– Amputation 265 – Fadeneigenschaften 46 Labienhypertrophie 206
– Amputationsverletzung 526 – Techniken 48 Lagerung 25
– Bauchwanddefekt 180 – versenkter 49 – Dekubituschirurgie, Becken/Leistenregion
– Daumenhypo-/aplasie 600 Knotengleiten 46 193
– Formkorrektur Ohr 712 knuckle pad 588 – Dekubitusprophylaxe 184
– Fraktur 838 Koagulation 54 – Fußrekonstruktion 232
– Glasgow Coma Scale (GCS) 835 Koanalgetika 26 – intraoperative, bei Thoraxwanddefekt 166
– Hämangiomatose, neonatale 300 Kofferhenkel, Ohrrekonstruktion 136 – Plexus-brachialis-Parese 351
– Hauttransplantation 79 Koilomastie 798 – postoperative
– Marquardt, Wachstumsknorpeltransplantat Kollageninduktionstherapie, perkutane 681 – – Amputation der unteren Extremität 263
nach 267 Kolumnarzellhyperplasie, Mamma 621 – – Thoraxwanddefekt 175
– Plexus-brachialis-Parese, geburtstraumatische Koma, Glasgow Coma Scale (GCS) 835 – Verbrennungsverletzung 660
342 Kompartmentresektion 305 Lagerungsschaden 40
– Säuglingshämangiom 301 Kompartmentspaltung 549 Lagophthalmus 145, 335
– Weichteiltumor 304 – Hand 550 – N.-facialis-Parese 338
– – Sarkom 307 Kompartmentsyndrom LAHS-Nomenklatur der LKG-Spalten 781
Kinematographie in der Handchirurgie 462, – Arm 548 Lambdanaht 769
468 – Elektrotrauma 654 Langer, Hautspannungslinien 40
Kirchmayr-Kessler, Nahttechnik nach 514 – Hand 548 Lanz, gestaffelte Arthrolyse bei Dupuytren-
Kirchmayr-Naht 51 – Volkmann-Kontraktur 551 Kontraktur nach 592
Kirner-Deformität 804 komplexes regionales Schmerzsyndrom 594 lap band 728
Kleeblattschädel 769 Komponentenseparationsmethode 179 Lappenkonditionierung 94
Kleinert-Schiene 60, 515 Kompressionssyndrom Lappenplastik
Klinodaktylie 804 – obere Extremität 420 – Abbé-Lappen 150, 153
Klippel-Trénaunay-Syndrom – untere Extremität 430 – Advancement-Lappen 114, 141
– Fußfehlbildung 815 Kompressionsverband 54 – Allgemeines 88
– Handfehlbildung 809 Konchaknorpeltransplantation 81 – Anästhesie 100
Klippel-Trénaunay-Weber-Syndrom 255, 300 Kontraktur – Anogenitalregion 203
Klitorisgigantismus 199 – Arm 548 – Arm 214
860 Stichwortverzeichnis
N – Prothese/Epithese 132
– Rekonstruktion 128
– – Facelift 688
– Mamma (Innervation) 615
Nachbrennen (Verbrennungsverletzung) 650 – Strahlenfolgen 291 – Morton-Metatarsalgie 435
Nadelkisseneffekt 104, 120 – Untereinheit, ästhetische 128 – N.-facialis-Parese 334, 335
Nager-de-Reynier-Syndrom 773 Nasenknorpel 700 – N.-facialis-Äste 335
Nahai u. Mathes, Klassifikation des fasziokutanen Nasenseptumknorpeltransplantat 81 – N.-interosseus-anterior-Syndrom 422
Lappens 840 Nasolabialfalte 153, 692 – N. trigeminus
Nahrungskarenz, präoperative 25 Nävus 272 – – Ota-Nävus 276
Nahtextrusion 50 – blauer 272, 276 – – Trigeminuslähmung 147
Nahtmaterial – dysplastischer 275 – Naht 328
– Bestandteile 48 – Entartung 280 – – Material, -technik 51
– Eigenschaften 46 – epidermaler 272 – – Wurzelausrissverletzung 351
– Entzündungsreaktion 47 – Formen 274 – Nase 700
– Faszie 51 – Melanomrisiko 280 – Nervenengpasssyndrom bei rheumatoider
– Gefäß 51 – Naevus flammeus 300 Arthritis 574
– Mikrochirurgie 52 – Ota 37, 276 – Neurom 325
– Nerv 51, 328 – Pigmentnävus, angeborener 171 – Neurotomie 412
– Sehne 51 – Riesenzellnävus 276 – peripherer
Nahttechnik 47 Nävuszellnävus 274 – – obere Extremität 354
– Faszie 51 Neck Dissection 157 – – untere Extremität 362
– Gefäß 51 – Schädigung N. accessorius 354 – Plexus-brachialis-Parese 342, 839, 840
– Haut 48 Neopenis 204 – – Therapie 381
– Knoten 48 Neovaskularisation 6 – Pronatorsyndrom 422
– mikrochirurgische 52 Nerv – Querschnittslähmung 381, 394
– Nerv 51, 328 – Anatomie 322, 838 – Regeneration 324, 331
– Replantation Hand/Finger 527 – Aufbau 323 – – Plexus-brachialis-Parese 345
– Sehne 51 – CRPS 594 – Rekonstruktion
– – Hand 511, 514 – Daumen, sensorische Ersatzoperation 600 – – Hand 522
– Wundverschluss, schichtweiser 49 – Defektgröße 331 – – N.-facialis-Parese 336
Narbe – Denervation 412 – – Naht 328
– Akne – – obere Extremität 413 – – obere Extremität 372, 381
– – Dermabrasio 677 – – untere Extremität 415 – – Prognose 331
– – Laser-Resurfacing 678 – Diagnostik 328 – – Spendernerv 382
– – Peeling 675 – Fasern 323 – – Technik, operative 328
– Dekubitus 190 – Femoralisparese 404 – – Transplantation 329
– falltürartige 124 – Finger – – Transposition 329
– hypertrophe 16 – – Replantation 529 – Replantation Hand/Finger 529
– – Bodylift 725 – – Stereognosis 496 – Rückenmarkläsion 381
– Karpaltunnelsyndrom 425 – – Tastsinn 496 – Schädigung 7 Nervenschädigung
– Lippendefekt 150 – – Versorgung, motorische 448 – Supinatorsyndrom 420
– Medical Needling 681 – – Versorgung, sensible 444 – Tarsaltunnelsyndrom 433
– Verbrennungsverletzung 665 – Funktion 323 – Testblockade 412, 413
864 Stichwortverzeichnis
W – Nahtmaterial 46
– Nahttechnik 48
W-Plastik (Gesicht) 114 – Prinzip 42
Wachstumsfaktoren, Wundheilung 6 – Stirn 104
Wade, Vergrößerung/Verschmälerung 762 – Ulkus, diabetisches 10
Wafer resection 475 – Vakuumtherapie 16
waiters tip position 343 – Verbände 14
Wallace, Neunerregel nach 651 – Wundmanagement 14
Waller-Degeneration 323
Wange
– Anatomie 124
– Gewebeexpansion 124
X
– Konturdefekt 126 Xenograft 78
– N.-facialis-Parese 335 Xeroderma pigmentosum 287
– Rekonstruktion 124
– Rotationslappen 116
– Vollhauttransplantation 124
Wangen-Hals-Rotationslappen nach Schrudde
Y
90 YV-Vorschiebelappen 114
Wartenberg-Syndrom 421
Washington-Regime 515
Washio-Lappen 129
Watschelgang 363
Z
Watson-Test 454 Z-Plastik 90
Wedge-Resektion 135 – Gesicht 114
Weichgewebe – Schnittführung 114
– Abdominoplastik 718 – Variationen 91
– Traumaklassifikation 836 Zahnschlagverletzung 487, 511, 537
– Tumor Zancolli, Kapsulodese/Lassoplastik nach 375
– – benigner 296, 297, 578 Zange, sensible 312
– – maligner 304, 307, 312–315, 586 Zechner, Nahttechnik nach 51, 514
Weichteiltrauma Zehen
– Finger 496 – Amputation 260
– Hannover-Klassifikation 224 – Fehlbildung 812