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Peter M.

Vogt
Praxis der Plastischen Chirurgie
Peter M. Vogt

Praxis der
Plastischen Chirurgie
Plastisch-rekonstruktive Operationen
Plastisch-ästhetische Operationen
Handchirurgie
Verbrennungschirurgie

Mit 1410 Teilabbildungen, größtenteils in Farbe und 208 Tabellen

123
Univ.-Prof. Dr. med. Peter M. Vogt
Klinik und Poliklinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover

ISBN-13 978-3-540-37571-5 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York

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Planung: Peter Bergmann, Kathrin Nühse, Heidelberg


Projektmanagement: Ute Meyer-Krauß, Heidelberg
Lektorat: Michaela Mallwitz, Tairnbach
Illustration: Nicola Hoffmann, Nina Hirsch, Ingrid Schobel
Coverbilder: © Peter M. Vogt, Hannover (links), Nicola Hoffmann, Wittmar (rechts)
Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Satz, Reproduktion und digitale Bearbeitung der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg

SPIN: 11515654

Gedruckt auf säurefreiem Papier 2111 - 5 4 3 2 1 0




Vorwort

Die Plastische Chirurgie hat die Wiederherstellung oder Verbesserung der Körperform und sichtbar gestörter Kör­
perfunktionen zur Aufgabe. Erst im Verlauf der 1960er Jahre entwickelte sich die Plastische Chirurgie in Deutschland
zu einem selbstständigen Fachgebiet. Die Gründerväter der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen brach­
ten damals ihre Erfahrungen aus Ländern wie USA, Großbritannien, Frankreich und Skan­dinavien, in denen das
Gebiet längst etabliert war, nach Deutschland und legten den Grundstein für eine sich seitdem stetig weiterent­
wickelnde Disziplin.
Zwischen 1978 und 1992 wurde die Plastische Chirurgie noch als Teilgebiet der Chirurgie weitergebildet, seit
2004 jedoch ist die plastisch-ästhetische Chirurgie eine eigenständige Säule der Chirurgie.
Zahlreiche herausragende Vertreter des Gebiets haben immer wieder neue operative Bereiche für die Plastische
Chirurgie entdeckt und Spitzenleistungen der medizinischen Versorgung hervorgebracht, die der Rehabilitation
sowie beruflichen und sozialen Integration von Patienten mit angeborenen Fehlbildungen, unfall- oder tumorbe­
dingten Entstellungen und schwerwiegenden Funktionseinschränkungen dienen. Dies betrifft die rekonstruktive
Mikrochirurgie der Nerven und Gefäße, die plastische und rekonstruktive Mammachirurgie, die Verbrennungs­
chirurgie, die Handchirurgie, die funktionelle Wiederherstellungschirurgie der Gesichtsmimik und an den Extremi­
täten ebenso wie die Ästhetische Chirurgie.
So haben plastische und ästhetische Chirurgen bereits in den 1980er Jahren die Gewebezüchtung in Form von
Keratinozytentransplantaten noch vor anderen Fachgebieten in die klinische Versorgung eingeführt und die In-situ-
Gewebepräformation und Prälamination entwickelt. Die aktuelle Forschung verheißt den zukünftigen Einsatz von
regenerativen Therapieverfahren.
Der hohe Individualisierungsgrad unserer Patienten­behandlung und die Vielzahl der zur Verfügung stehenden
Behandlungsmöglichkeiten erschwert es oft gerade den Anfängern in dem weiten Spektrum der Behandlungs­
optionen den roten Faden zu erkennen. Dies erfordert daher in der Lehre und Weiterbildung eine Darstellung allge­
meingültiger Prinzipien, auf denen methodische Weiterentwicklungen aufgebaut oder aufgrund derer Anpassungen
an den individuellen Behandlungsfall abgeleitet werden können.
Der Gedanke, eine Monographie der Plastischen Chirurgie zu verfassen, entstammte dem Anspruch, die kon­
zeptionellen Grundlagen der Plastischen Chirurgie für den Abschnitt der Weiterbildung aufzubereiten. Die Vielzahl
unterschiedlicher Erkrankungen und Verletzungen bietet einer Universitätspoliklinik dabei die notwendige Vielfalt,
um systematisch die Behandlungsoptionen für die studentische Aus- und die ärztlich-klinische Weiterbildung auf­
zuarbeiten.
Dieses Buch ist mit dem klaren Ziel der Darstellung essenzieller Handlungsempfehlungen entstanden und trägt
daher den Titel Praxis der Plastischen Chirurgie. Es erhebt, allein aufgrund des beschränkten Umfangs und angesichts
der unzähligen Veröffentlichungen in der Plastischen Chirurgie, daher auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Vielmehr soll das dargestellte Spektrum einen Einblick in das Wesentliche und Machbare, die am häufigsten ange­
wandten Verfahren des Fachgebiets geben und dies auf der Grundlage einer sorgfältigen Patien­tenselektion und eines
zeitgemäßen Risikomanagements von der Patientenvorbereitung bis hin zur Thromboseprophylaxe.
Das didaktische Grundkonzept des Buches orientiert sich an der »Chirurgischen Praxis« meines verehrten chi­
rurgischen Lehrers Rudolph Pichlmayr. Am Anfang stand für das Buch eine Ideensammlung meiner ärztlichen
Mitarbeiter. Dabei wurde insbesondere dem Bedürfnis der Weiterzubildenden nach einem praxistauglichen Inhalt
für Diagnostik, operative und konservative Therapieplanung sowie der speziellen Nachbehandlung Rechnung getra­
gen. Es sollte ein Buch aus der Praxis für die Praxis werden.
Kompromisse mussten dabei in vielerlei Hinsicht gefunden werden. So haben wir uns auf die im täglichen kli­
nischen Alltag bewährten und sicheren Verfahren unserer Klink beschränkt.
Zunehmend sieht sich der Plastische Chirurg ­ konfrontiert mit der Position eines Managers seiner
Patienten, in der er spezielle Fälle mit Nachbardisziplinen diskutieren und auch interdisziplinär behandeln muss.
So entstanden Kapitel zur interdisziplinären onkologischen Therapie des Mammakarzinoms ebenso wie zur
Chirurgie der Gesichtsfehlbildungen und Spalten. Zwar werden Letztere heute primär von unseren Kollegen in
der Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie behandelt, aber in unseren Sprechstunden werden Pa­tienten nicht selten
zu Sekundär- und Tertiärkorrekturen vorstellig.
Auch die Entwicklung der Handchirurgie schreitet fort und erforderte eine aktuelle Bestandsaufnahme der
bildgebenden Diagnostik und operativen Therapie. Die Verbrennungsmedizin, die nur in wenigen Kliniken vor­
gehalten wird und sich in ihrem hohen Spezialisierungsgrad deutlich von anderen intensivmedizinischen Diszipli­
nen unterscheidet, konnte im Gegensatz zu großen Monographien hier nur in den Grundzügen behandelt werden.
Die Einhaltung grundlegender Standards bedeutet aber für die betroffenen Patienten einen erheblichen Behand­
lungsvorteil, insbesondere, wenn die notwendige Verlegung in ein spezialisiertes Zentrum rechtzeitig sicherge­
stellt wird.
Ich danke meinen Mitarbeitern der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie und den Kol­
legen Dr. Herbert Rosenthal (Radiologie), Prof. Dr. Dr. Nils Claudius Gellrich und Dr. Dr. Harald Essig (Mund- Kie­
fer- und Gesichtschirurgie) sehr herzlich für ihre engagierte Arbeit als Autoren. Mein besonderer Dank gilt Herrn
VI Vorwort

Dr. med. Andreas Gohritz, der mich bei der Arbeit an diesem Buch mit großem Engagement und vielen guten Ideen
unterstützt hat. Mein Dank geht auch an die Kolleginnen Frau Hoffmann und Frau Hirsch, die einen Großteil der
Illustrationen angefertigt haben, ebenso an die Illustratorin, Frau Schobel, München.
Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter des Springer-Verlags, die die Gestaltung des Buches in
dieser Form erst ermöglicht haben: Frau Ute Meyer-Krauß, Herr Peter Bergmann und vor allem Frau Michaela
Mallwitz, die als externe Lektorin stets den Überblick über das große Manuskriptaufkommen be­halten hat.
Möge die Praxis der Plastischen Chirurgie mit Darstellung praxistauglicher Verfahren der plastisch-rekonstrukti­
ven und Handchirurgie, der Verbrennungs- und Ästhetischen Chirurgie den Lesern eine Hilfe für tägliche Arbeit und
insbesondere allen Weiterbildungsassistenten eine Basis für die eigene fachliche Entwicklung sein.

Peter M. Vogt
Hannover, im September 2011
VII

Inhaltsverzeichnis

I Wundheilung und Wundbehandlung

1 Biologische Grundlagen der Wundheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


M. Aust, K. Reimers, H. Sorg
1.1 Physiologische Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.1 Stadien der Wundheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Ursachen gestörter Wundheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.1 Periphere arterielle Verschlusskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.2 Diabetische Ulzera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.2.3 Chronisch venöse Insuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.4 Druckgeschwüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.5 Strahleninduzierte Hautschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2 Grundlagen der Wundbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13


M. Aust
2.1 Wundauflagen und Externa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.1.1 Interaktive Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2 Autologer und biologischer Hautersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.3 Vakuumtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.4 Narben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.4.1 Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.4.2 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.5 Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3 Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives


Schmerztherapiekonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
M. Aust, B. Weyand, C. Radtke, A. Jokuszies
3.1 Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.2 Präoperative Routineschemata bei Elektiveingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.3 Medikamentöse Vorbehandlung mit Antikoagulanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.3.1 Venöse Thromboembolieprophylaxe (VTE-Prophylaxe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3.3.2 VTE-Prophylaxe nach Körperregionen und Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.3.3 Dauer der VTE-Prophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.3.4 Verbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.3.5 Plastisch-ästhetische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.4 Patientenaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.5 Nahrungskarenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.6 Darmentleerung und Harnableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.7 Rasieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.8 Lagerung, Desinfektion und Abdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.9 Hämodilution und Eigenblutspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.10 Interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.10.1 Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.10.2 Präoperative Information des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.10.3 Schmerzprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.10.4 Postoperative Regionalanästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.10.5 Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.10.6 Unterstützende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.10.7 Perioperative Schmerztherapie­empfehlungen für Erwachsene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
VIII Inhaltsverzeichnis

II Schnitt- und Nahttechniken; Implantate und Transplantate

4 Laserchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
A. Steiert
4.1 Grundlagen der Laserablation – Laserphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.1.1 Laserlicht und seine Gewebeinteraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.2 Laseranwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.2.1 Resurfacing mit ablativen Lasersystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.2.2 Resurfacing mit nicht ablativen Laser­systemen (»intense pulse light«; IPL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.2.3 Laserbehandlung vaskulärer Läsionen/IPL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
4.2.4 Laserbehandlung pigmentierter Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.2.5 Haarentfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

5 Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger Narbenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39


M. Meyer-Marcotty, A. Gohritz, P.M. Vogt
5.1 Grundlagen der Gewebebehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.1.1 Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.1.2 Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.1.3 Atraumatische Gewebebehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.2 Schnittführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.3 Chirurgische Strategien zur Modulation der kutanen Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
5.3.1 Einfluss der Körperregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
5.3.2 Ausrichtung der Narben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
5.3.3 Narbenrevision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

6 Nahtmaterialien und Nahttechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


M. Meyer-Marcotty, P.M. Vogt
6.1 Nahtmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6.1.1 Wechselbeziehung von Nahtmaterial und Narbenqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6.1.2 Nahttypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
6.2 Haut und Unterhaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
6.2.1 Knotentechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
6.2.2 Chirurgische Aspekte der Nahttechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.2.3 Schichtweiser Wundverschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.2.4 Kritische Elemente der Nahttechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
6.2.5 Zusätzliche Maßnahmen zum Wundverschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
6.3 Faszien und Sehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
6.4 Mikrochirurgie von Gefäßen und Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
6.4.1 Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
6.4.2 Nahttechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
6.4.3 Fadenstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

7 Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53


K. Knobloch
7.1 Blutstillung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.1.1 Physikalische bzw. mechanische Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.1.2 Biologische Substanzen zur Aggregationsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.1.3 Physiologische Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.2 Drainage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
7.2.1 Sogstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
7.3 Blutegeltherapie – Anwendung von Hirudo medicinalis in der Plastischen Chirurgie . . . . . . . . . . . 56
7.3.1 Hirudo medicinalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
7.3.2 Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
7.3.3 Komplikationen der Blutegeltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

8 Verbandstechniken, Schienenbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
M. Meyer-Marcotty
8.1 Handchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.1.1 Intrinsic-plus-Stellung der Finger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.1.2 Funktionsstellung des Handgelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
IX
Inhaltsverzeichnis

8.1.3 Ruhigstellung nach Sehnenverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60


8.1.4 Schienen bei Bewegungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
8.2 Lappen- und Brustchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
8.2.1 Verbände nach Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
8.2.2 Taping nach Mammareduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
8.2.3 Stütz-BH mit Stuttgarter Gürtel nach Mammaaugmentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
8.3 Verband nach Hautverpflanzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

9 Gewebeexpansion (Expander), alloplastische Materialien und Implantate . . . . . . . . . . . . 63


M. Meyer-Marcotty
9.1 Expander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
9.1.1 Expanderimplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
9.1.2 Befüllung des Expanders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
9.1.3 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
9.1.4 Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
9.2 Alloplastische Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

10 Lokalanästhesie, periphere Leitungsanästhesie, Tumeszenzanästhesie . . . . . . . . . . . . . . 67


M. Meyer-Marcotty
10.1 Lokalanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
10.2 Nervenblockaden im Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
10.3 Lokalanästhesie an den Extremitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
10.4 Tumeszenzanästhesie bei Aspirationslipektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

III Techniken der Defektdeckung

11 Transplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
B. Weyand
11.1 Hauttransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11.1.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11.1.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.1.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.1.5 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.2 Knorpeltransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
11.2.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.2.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.2.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.2.5 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3 Knochentransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3.1 Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
11.3.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
11.3.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.3.5 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4 Fett- und Dermistransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.4.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.4.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.5 Nerventransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.6 Sehnentransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.7 Muskeltransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
11.8 »Composite Grafts« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
11.8.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
 Inhaltsverzeichnis

12 Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
B. Weyand
12.1 Anatomie und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.2 Gewebezusammensetzung des Lappens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.3 Entfernung des Lappens zum Defekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.4 Methode der Gewebeübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
12.5 Einteilung nach der Art der Blutversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
12.6 Techniken der Lappenpräparation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
12.7 Lappenpräformation: Prälamination und Präfabrikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
12.8 Lappenkonditionierung oder »Delay« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

13 Lappenplastiken am Skalp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
B. Weyand
13.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
13.2 Rekonstruktionstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.2.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.2.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
13.2.4 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
13.3 Spezielle Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

14 Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103


A. Gohritz, P.M. Vogt
14.1 Stirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.1.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.1.2 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.1.3 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.1.4 Präoperative Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.1.5 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
14.1.6 Chirurgische Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
14.1.7 Rekonstruktion knöcherner Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
14.1.8 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
14.2 Schädelbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
14.2.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
14.2.2 Chirurgische Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

15 Grundtechniken der Nah­lappen­plastiken zur Rekonstruktion im Gesicht . . . . . . . . . . . . . 113


A. Gohritz, P.M. Vogt
15.1 Z-Plastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
15.2 W-Plastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
15.3 VY-/YV-Vorschiebelappen (»advancement«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
15.4 Insellappen (»island flap«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
15.5 Rotationslappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
15.6 Zweizipflige oder dreizipflige Lappen (»bilobed«/«trilobed flap«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
15.7 Verschluss von rechteckigen Defekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
15.8 Limberg-Lappen (Rhomboid- oder Rautenlappen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
15.9 Dufourmentel-Lappen (»Dufourmentel-flap«, LLL-Lappen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
15.10 Brückenlappen (»bipedicled«/»tubed flap«, Visier-, Rundstiellappen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
15.11 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

16 Rekonstruktion der Wange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123


M. Busche, A. Gohritz
16.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
16.1.1 Ästhetische Untereinheiten der Wange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
16.2 Rekonstruktionstechniken abhängig von der ästhetischen Untereinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
16.2.1 Supraorbitale Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
16.2.2 Präaurikuläre Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
16.2.3 Bukkomandibuläre Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
16.3 Ausgleich von Konturdefekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
16.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
XI
Inhaltsverzeichnis

17 Rekonstruktion der Nase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127


A. Gohritz
17.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
17.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
17.2.1 Klassifikation von Nasendefekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
17.2.2 Prinzip der ästhetischen Untereinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
17.3 Rekonstruktion der Nase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
17.3.1 Ziele der Nasenrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
17.3.2 Wiederherstellung des Hautmantels der Nase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
17.3.3 Rekonstruktion des Stützgerüsts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
17.3.4 Rekonstruktion des lateralen Nasengerüsts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
17.3.5 Innere Auskleidung der Nase (»nasal lining«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
17.3.6 Komplexe Rekonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
17.3.7 Epithetische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

18 Rekonstruktion der Ohren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133


R. Ipaktchi, A. Gohritz
18.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
18.2 Akute Verletzungen des Ohres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
18.2.1 Otohämatom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
18.2.2 Verbrennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
18.2.3 Riss-, Quetsch- und Bisswunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
18.3 Indikation zur Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
18.4 Defektdeckung des Ohres in Abhängigkeit von Defektlokalisation und -größe . . . . . . . . . . . . . . . 135
18.5 Ohrverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

19 Rekonstruktion der Augenlider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139


A. Gohritz
19.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
19.2 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
19.3 Defekte des Augenlids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
19.3.1 Defekte des Oberlids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
19.3.2 Defekte des Unterlids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
19.4 Ektropium (Eversion des Lidrandes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
19.5 Entropium (Einstülpen des Lidrandes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
19.6 Ptosis des Augenlids (Blepharoptosis = Herabhängen des Lides) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
19.6.1 Rekonstruktion von Augenlid und Kanthus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

20 Rekonstruktion der Lippen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149


A. Gohritz
20.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
20.2 Funktion der Lippen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
20.3 Therapeutisches Vorgehen bei Lippendefekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
20.3.1 Unterlippenrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
20.3.2 Rekonstruktion der Oberlippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

21 Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155


M.A. Altintas, A. Gohritz
21.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
21.1.1 Lymphknotengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
21.2 Neck Dissection . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
21.3 Rekonstruktive Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
21.3.1 Rekonstruktive Ziele in Abhängigkeit von der anatomischen Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

22 Rekonstruktion der Thoraxwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163


22.1 Brustwanddefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
I. Ennker, P.M. Vogt
22.1.1 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
22.1.2 Präoperative Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
22.1.3 Vorbereitung und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
22.1.4 Ziele der Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
22.1.5 Operative Therapie und Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
XII Inhaltsverzeichnis

22.1.6 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166


22.1.7 Perioperative Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
22.1.8 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
22.2 Defekte am Rücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
A. Gohritz
22.2.1 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
22.2.2 Chirurgische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
22.2.3 Intraoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
22.2.4 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
22.2.5 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

23 Bauchwanddefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
I. Ennker
23.1 Rekonstruktionen mit Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.1 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.3 Vorbereitung und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.4 Ziele der Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.5 Operationsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
23.1.6 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
23.1.7 Perioperative Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
23.1.8 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

24 Lappenplastik Leiste und Becken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183


P.M. Vogt, L.-U. Lahoda
24.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
24.2 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
24.3 Operationsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
24.4 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
24.5 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
24.6 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

25 Rekonstruktion im Urogenitalbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197


P.M. Vogt, H. Sorg
25.1 Genitale Embryologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
25.2 Korrektur angeborener Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
25.2.1 Epispadien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
25.2.2 Intersexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
25.2.3 Mikropenis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
25.2.4 Hypospadien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
25.3 Posttraumatische Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
25.3.1 Genitalrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
25.3.2 Genitalreplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
25.3.3 Penisrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
25.3.4 Vaginalrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
25.4 Plastische Chirurgie bei Störungen der Geschlechtsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
25.4.1 Transfrauen (Mann-zu-Frau-Transsexuelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
25.4.2 Transmänner (Frau-zu-Mann-Transsexuelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
25.5 Ästhetische Chirurgie des Genitales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
25.5.1 Ästhetische Chirurgie des weiblichen Genitales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
25.5.2 Ästhetische Chirurgie des männlichen Genitales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

26 Rekonstruktion an der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209


A.D. Niederbichler, P.M. Vogt
26.1 Patientenevaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
26.2 Anamnese und Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
26.3 Schulterregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
26.4 Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
26.5 Ellbogenregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
26.6 Unterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
26.7 Handrücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
XIII
Inhaltsverzeichnis

27 Rekonstruktion an der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223


A. Jokuszies, P.M. Vogt
27.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
27.2 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
27.2.1 Traumatische Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
27.2.2 Onkologische Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
27.2.3 Indikation zur Amputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
27.3 Operationsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
27.4 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
27.4.1 Onkologische Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
27.4.2 Traumatische Defekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
27.5 Weichteildefektdeckung der Oberschenkel- und Leistenregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
27.6 Weichteildefektdeckung der Knie- und Unterschenkelregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
27.7 Weichteildefektdeckung am Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
27.8 Postoperative Behandlung und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
27.9 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

28 Plastische Chirurgie nach Organ­transplantation –


Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
K. Knobloch, H.-O. Rennekampff, P.M. Vogt
28.1 Plastisch-chirurgische Eingriffe nach Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
28.2 Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
28.2.1 Indikationen/Patientenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
28.2.2 Operationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
28.2.3 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
28.2.4 Psychosoziale Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
28.2.5 Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

IV Amputationen

29 Amputationen an der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245


K. Knobloch
29.1 Operationsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
29.2 Standardisierte Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
29.3 Fingerendgliedamputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
29.4 Langfingeramputationen proximal des distalen Interphalangealgelenks (DIP) . . . . . . . . . . . . . . . 247
29.5 Mittelhandstrahlamputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
29.6 Handgelenkexartikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
29.7 Krukenberg-Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
29.8 Typische Folgeeingriffe bzw. Komplikationen nach Amputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
29.9 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
29.9.1 Kortikale Reorganisation nach Amputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
29.10 Minderung der Erwerbstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
29.11 Prothetische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
29.11.1 Kurzer Abriss über die Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
29.11.2 Prothesenklassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
29.11.3 Handgelenkexartikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
29.11.4 Unterarmprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
29.11.5 Oberarmamputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
29.12 Psychologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

30 Amputationen der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253


A. Jokuszies
30.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
30.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
30.2.1 Anamnese und klinischer Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
30.2.2 Körperliche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
30.2.3 Apparative und interventionelle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
30.3 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
XIV Inhaltsverzeichnis

30.4 Stand der operativen und konservativen Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256


30.5 Unterschenkel und Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
30.5.1 Klassische Operationstechnik (Unterschenkelamputation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
30.5.2 Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
30.5.3 Umkehrplastik nach Sauerbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
30.5.4 Amputation des Fußes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
30.5.5 Amputation und Exartikulation der Zehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
30.5.6 Transmetatarsale Amputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
30.5.7 Teilamputation des Vorfußes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
30.5.8 Vollständige transmetatarsale Amputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
30.5.9 Amputation zwischen Lisfranc- und Chopart-Gelenklinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
30.5.10 Amputation und Exartikulation im Rückfuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
30.6 Oberschenkel und Hüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
30.6.1 Amputation im Hüftbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
30.7 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
30.7.1 Wundheilungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
30.7.2 Spätkomplikationen durch äußere Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
30.8 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
30.8.1 Verbandstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
30.8.2 Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
30.8.3 Drainage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.8.4 Hautnähte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.8.5 Antikoagulation, Antinbiotikaprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.8.6 Krankengymnastik, Ergotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.9 Prothetische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.9.1 Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.9.2 Unterschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.9.3 Knie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.9.4 Oberschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.9.5 Hüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.10 Management von Spätkomplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
30.10.1 Plastische Rekonstruktion/Stumpfkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
30.10.2 Weichteildefekte bei Unterschenkel­amputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
30.10.3 Operative Verfahren bei chronischer Osteomyelitis des Tibiastumpfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
30.10.4 Operative Verfahren bei chronischer Osteomyelitis des Femurstumpfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
30.10.5 Komplikationen nach Amputationen im Wachstumsalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

V Hauttumoren

31 Gutartige Tumoren der Haut, inklusive Nävi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271


L.-U. Lahoda, P.M. Vogt
31.1 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
31.1.1 Biopsietechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
31.2 Einteilung/Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
31.2.1 Epidermale Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
31.2.2 Kongenitale Nävi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
31.2.3 Sonstige Hautveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
31.3 Tumoren der Hautanhangsgebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

32 Maligne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279


L.-U. Lahoda
32.1 Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
32.1.1 Diagnosen und Klassifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
32.1.2 Chirurgisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
32.1.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
32.2 Andere bösartige Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
32.2.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
32.2.2 Basalzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
32.2.3 Plattenepithelkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
XV
Inhaltsverzeichnis

32.3 Präkanzerosen und Vorstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286


32.3.1 Aktinische Keratose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
32.3.2 Morbus Bowen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
32.3.3 Queyrat-Erythroplasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
32.3.4 Leukoplakie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
32.3.5 Keratoakanthom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
32.4 Maligne Tumoren als Folge von natürlichen und künstlichen Strahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
32.4.1 Strahlendermatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
32.4.2 Xeroderma pigmentosum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

33 Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
L.-U. Lahoda, P.M. Vogt
33.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2.1 Akute Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2.2 Subakute Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.2.3 Chronische Strahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
33.3 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
33.3.1 Chirurgische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

VI Weichteiltumoren

34 Benigne Weichteiltumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295


B. Weyand
34.1 Übersicht und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
34.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
34.3 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
34.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

35 Gefäßanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
B. Weyand
35.1 Übersicht und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
35.1.1 Gefäßfehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
35.1.2 Gefäßtumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
35.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
35.3 Behandlungsstrategien und Operationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
35.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
35.5 Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

36 Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . 303


P.M. Vogt
36.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
36.2 Diagnostik und Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
36.3 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
36.3.1 Kurative Resektion und Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
36.3.2 Plastisch-rekonstruktive Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
36.3.3 Palliative Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
36.3.4 Besonderheiten im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
36.3.5 Indikation zur Amputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
36.3.6 Onkologiegerechte Resektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
36.3.7 Resektionstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
36.3.8 Palliative Tumorentfernung, Amputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
36.3.9 Chirurgie der Lymphknoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
36.3.10 Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
36.3.11 Lokoregionäre Lappenplastiken und Hauttransplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
36.3.12 Primäre funktionelle Wiederherstellungseingriffe an den Extremitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
36.3.13 Spezielle Verfahren zur Stumpf­verlängerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
36.3.14 Aktuelle Amputationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
36.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
XVI Inhaltsverzeichnis

36.4.1 Spezielle postoperative Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313


36.4.2 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
36.4.3 Physiotherapie, Prothesenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
36.4.4 Funktionelle und ästhetische Spätfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
36.5 Lokalrezidiv nach Multimodaltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
36.6 Adjuvante Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

VII Funktionelle Wieder­herstellung peripherer Nervenfunktionen

37 Physiologische Grundlagen der Nervenregeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321


C. Radtke
37.1 Aufbau des Nervs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
37.1.1 Morphologie der Schwann-Zelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
37.1.2 Axonaler Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
37.2 Nervenverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
37.2.1 Klinische Einteilung von peripheren Nervenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
37.2.2 Nervenregeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
37.2.3 Fortschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
37.2.4 Neurom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

38 Techniken der Nervenrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327


A. Gohritz
38.1 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
38.1.1 Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
38.1.2 Neurophysiologische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
38.2 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
38.2.1 Nervennaht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
38.2.2 Nerventransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
38.2.3 Nerventransposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
38.2.4 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
38.2.5 Neurome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
38.2.6 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
38.3 Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
38.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
38.5 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.1 Wahl des Zeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.2 Alter der Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.3 Ausmaß und Niveau der Nerven­schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.4 Defektgröße und Spannung der Nervennaht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.5 Mechanismus der Nervenverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.6 Dokumentation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
38.5.7 Prognose nach Rekonstruktion spezifi­scher Nerven der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

39 Schädigung des N. facialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333


A. Gohritz
39.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
39.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
39.3 Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
39.4 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
39.4.1 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
39.4.2 Lokalisierung der Läsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
39.5 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
39.5.1 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
39.5.2 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
39.5.3 Operative Therapieverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
XVII
Inhaltsverzeichnis

40 Schädigung des Plexus brachialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341


M. Spies
40.1 Übersicht und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
40.2 Geburtstraumatische Plexus-brachialis-Paresen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
40.2.1 Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
40.2.2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
40.2.3 Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
40.2.4 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
40.2.5 Behandlungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
40.2.6 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
40.2.7 Behandlungsergebnisse und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
40.3 Läsionen des Plexus brachialis im Erwachsenenalter: traumatische Plexus-brachialis-Läsionen . . . . 349
40.3.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
40.3.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
40.3.3 Behandlungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
40.3.4 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

41 Schädigung peripherer Nerven der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353


A. Gohritz
41.1 N. accessorius (XI. Hirnnerv) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
41.2 N. dorsalis scapulae (C3–6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
41.3 N. suprascapularis (C4–C6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
41.4 N. subscapularis (C5–C6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
41.5 N. thoracicus longus (C5–C7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
41.6 N. thoracodorsalis (C6–C8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
41.7 Nn. pectorales (C5–Th1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
41.8 N. musculocutaneus (C5–C6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
41.9 N. axillaris (C5–C6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
41.10 N. radialis (C5–Th1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
41.11 N. medianus (C5–Th1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
41.12 N. ulnaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

42 Schädigung peripherer Nerven der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361


A. Gohritz
42.1 N. ischiadicus (L4–S3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
42.2 N. femoralis (L1–L4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
42.3 N. obturatorius (L3–L4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
42.4 Nn. glutaei (L4–S2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
42.5 N. peronaeus (L4–S2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
42.6 N. tibialis (L4–S3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

43 Motorische und nervale Ersatz­operationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand . . . . . 367
A. Gohritz, P.M. Vogt
43.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.1 Therapieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.2 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.3 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
43.1.4 Wahl des Motors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
43.1.5 Zeitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
43.1.6 Alternativen/Zusatzeingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.1.7 Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.1.8 Team-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.1.9 Prinzipien der Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.2 Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.2.1 Nerventranspositionen bei Lähmungen an Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
43.2.2 Kombinierte Nervenläsionen der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
43.3 Ergebnisse und Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
XVIII Inhaltsverzeichnis

44 Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter-


und Ellbogenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
A. Gohritz, P.M. Vogt
44.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
44.1.1 Evaluation des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
44.1.2 Wahl des Zeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
44.1.3 Chirurgische Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
44.2 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
44.2.1 Nervale Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
44.2.2 Muskuläre Ersatzoperationen an der Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
44.2.3 Wiederherstellung der Ellbogenbeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
44.2.4 Rekonstruktion der Ellbogenstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

45 Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern . . . . . . . . . . . . . . . . . 393


A. Gohritz
45.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
45.1.1 Operationsindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
45.1.2 Zeitpunkt der Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
45.1.3 Teamkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
45.2 Operationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
45.2.1 Wiederherstellung der Ellbogenstreckung (Trizepsfunktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
45.2.2 Wiederherstellung der Greiffunktion nach Gruppen der Internationalen Klassifikation (IC) . . . . . . . . . . . 397
45.2.3 Kombination von Beuger- und Streckerphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
45.2.4 Zusatzoperationen bei Spastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
45.3 Ergebnisse und Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
45.3.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400

46 Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403


P.M. Vogt
46.1 Operationsindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
46.1.1 Ischiadikusparese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
46.1.2 Femoralisparese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
46.1.3 Peronäusparese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
46.1.4 Quadrizepsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
46.1.5 Funktionswiederherstellung der Fußhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
46.2 Postoperative Kontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
46.3 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

47 Denervation bei Schmerzsyndromen an der oberen und unteren Extremität . . . . . . . . . . 411


A. Gohritz
47.1 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
47.2 Präoperative Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
47.2.1 Untersuchung und Testblockade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
47.3 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
47.3.1 Gemeinsame Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
47.3.2 Denervation an der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
47.3.3 Denervation an der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
47.4 Postoperative Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
47.5 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416

48 Kompressionssyndrome der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419


C. Herold
48.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
48.1.1 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
48.1.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
48.2 Kompression des N. radialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
48.2.1 Proximales Radialiskompressionssyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
48.2.2 Supinatorsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
48.2.3 Wartenberg-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
48.3 Kompression des N. medianus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
48.3.1 Pronatorsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
48.3.2 N.-interosseus-anterior-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
XIX
Inhaltsverzeichnis

48.3.3 Karpaltunnelsyndrom (KTS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424


48.4 Kompression des N. ulnaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
48.4.1 Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
48.4.2 Loge-de-Guyon-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

49 Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429


R. Krämer, A. Gohritz
49.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.1.1 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.1.2 Pathologie der Nervenkompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.1.3 Diabetes mellitus und Nerven­kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.1.4 Betroffene Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.2 Einzelne Kompressionssyndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.2.1 N. cutaneus femoris lateralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
49.2.2 N. iliohypogastricus, N. ilioinguinalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
49.2.3 N. genitofemoralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
49.2.4 N. pudendus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
49.2.5 N. femoralis, N. obturatorius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
49.2.6 N. ischiadicus (Piriformissyndrom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
49.2.7 N. saphenus, R. infrapatellaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
49.2.8 N. tibialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
49.2.9 N. peronaeus communis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
49.2.10 N. peronaeus profundus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
49.2.11 Morton-Metatarsalgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
49.2.12 N. suralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

VIII Handchirurgie

50 Anatomie, klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443


C. Hadamitzky, T. Peters
50.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
50.1.1 Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
50.1.2 Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
50.1.3 Bindegewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
50.1.4 Knöcherne Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
50.1.5 Muskuläre Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
50.1.6 Gefäßversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
50.1.7 Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
50.2 Klinische Untersuchung der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
50.2.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
50.2.2 Untersuchungsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
50.2.3 Sensibilitätsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
50.2.4 Prüfung der Durchblutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
50.2.5 Prüfung einzelner Handmuskeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
50.2.6 Spezifische Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

51 Bildgebende Untersuchung der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457


H. Rosenthal, A. Gohritz
51.1 Verfahrenswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
51.2 Röntgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
51.2.1 Röntgenologische Knochenmorphologie an Handgelenk, Handwurzel, Mittelhand und Fingern . . . . . . . 458
51.2.2 Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
51.3 Computertomographie (CT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
51.4 Magnetresonanztomographie (MRT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
51.5 Kinematographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
51.6 Szintigraphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
51.7 Arthrographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
51.8 Angiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
XX Inhaltsverzeichnis

52 Arthroskopie des Handgelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467


J. Redeker
52.1 Bildgebende Diagnostik des Handgelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
52.2 Operative Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
52.2.1 Technische Vorraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
52.2.2 Operative Zugangswege (Portale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
52.3 Diagnostische Arthroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
52.3.1 Untersuchungsgang radiokarpal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
52.3.2 Untersuchungsgang ulnokarpal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
52.3.3 Untersuchungsgang mediokarpal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
52.4 Pathologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
52.4.1 Läsionen des Discus ulnocarpalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
52.4.2 SL-Bandverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
52.4.3 Knorpelläsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
52.5 Therapeutische Arthroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
52.5.1 Partielle Resektion des Discus ulnocarpalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
52.5.2 Diskusnaht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
52.5.3 Synovialektomie/Ganglionresektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
52.5.4 »Wafer Resection« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
52.5.5 Abrasionsarthroplastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
52.5.6 Arthroskopisch unterstützte Versorgung intraartikulärer Radiusfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
52.6 Kontraindikationen und Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

53 Knochen- und Gelenkverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477


S. Schinner, H. Rosenthal
53.1 Frakturen der Finger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
53.1.1 Endgliedfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
53.1.2 Mittel- und Grundgliedfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
53.2 Luxationen der Finger und des Daumens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
53.2.1 Luxationen der Fingerend-, Mittel- und Grundgelenke, Luxationen des Daumenendgelenks . . . . . . . . . . 482
53.2.2 Luxation des Daumengrundgelenks (Skidaumen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
53.2.3 Luxation des Daumensattelgelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
53.3 Frakturen des Daumens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
53.3.1 Bennett-Fraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
53.3.2 Rolando-Fraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
53.3.3 Winterstein-Fraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
53.4 Metakarpale Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
53.5 Köpfchenfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
53.6 Subkapitale Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
53.7 Karpale Fraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
53.7.1 Skaphoidfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

54 Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495


M. Meyer-Marcotty
54.1 Neurovaskuläre Lappen zur Rekonstruktion von Fingerendglieddefekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
54.2 Grundsätze der Finger- und Daumenkuppenrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
54.3 Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
54.4 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
54.4.1 Lokale Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
54.4.2 Fernlappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
54.4.3 Freier mikrochirurgischer Gewebetransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
54.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

55 Sehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507


C. Choi
55.1 Strecksehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
55.1.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
55.1.2 Zonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
55.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
55.1.4 Art der Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
55.1.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
55.1.6 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
XXI
Inhaltsverzeichnis

55.2 Beugesehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512


55.2.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
55.2.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
55.2.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
55.2.4 Art der Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
55.2.5 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
55.2.6 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

56 Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand . . . . . . . . . . . . . . . 517


K.H. Busch, A. Gohritz
56.1 Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
56.2 Evaluation der Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
56.3 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
56.3.1 Therapieplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
56.3.2 Chirurgisches Prozedere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
56.4 Revaskularisation und Replantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
56.4.1 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
56.4.2 Präoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
56.4.3 Technische Voraussetzungen zur Replantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
56.4.4 Chirurgisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
56.4.5 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
56.4.6 Ergebnisbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
56.4.7 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
56.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

57 Infektionen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531


S. Schinner, P.M. Vogt
57.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
57.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
57.2.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
57.2.2 Keimspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
57.3 Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
57.3.1 Anatomische Besonderheiten bei Infektionen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
57.3.2 Wahl der chirurgischen Inzisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
57.3.3 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
57.3.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
57.3.5 Indikation für konservatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
57.4 Einzelne Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
57.4.1 Paronychie und Panaritium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
57.4.2 Infektionen durch Tier- und Menschenbisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
57.4.3 Septische Tenosynovitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
57.4.4 Hohlhandphlegmone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
57.4.5 Erysipel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540
57.4.6 Nekrotisierende Fasziitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
57.5 Differenzialdiagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
57.5.1 Pyoderma gangraenosum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
57.5.2 Herpes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
57.5.3 Rheumatoide Arthritis und Gicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
57.5.4 Tumoren der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
57.6 Operatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
57.6.1 Plastische Weichteildeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
57.6.2 Lokale Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
57.6.3 Regionale Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543
57.6.4 Axial gestielte und freie Fernlappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544
57.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544

58 Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547


K.H. Busch, A. Gohritz
58.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
58.2 Kompartments an Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
58.3 Volkmann-Kontraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
58.3.1 Unterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
XXII Inhaltsverzeichnis

58.3.2 Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552


58.3.3 Arthrodesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

59 Degenerative Sehnenerkrankungen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553


C. Choi
59.1 Tendovaginitis stenosans (»schnellender Finger«, »trigger finger«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
59.1.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
59.1.2 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
59.1.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
59.2 Tendovaginitis de Quervain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
59.2.1 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
59.2.2 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
59.2.3 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
59.3 Tendovaginitis am Handgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
59.3.1 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
59.4 Tendinitis an M. extensor carpi ulnaris/M. flexor carpi radialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
59.4.1 Extensor-carpi-ulnaris-Sehne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
59.4.2 Flexor-carpi-radialis-Sehne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557

60 Degenerative Knochenerkrankungen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559


M. Meyer-Marcotty
60.1 Finger und Mittelhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
60.1.1 Daumensattelgelenk (Rhizarthrose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
60.1.2 Handwurzel (Karpus) und distales Radioulnargelenk (DRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
60.2 Knochennekrosen des Karpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
60.2.1 Nekrose des Os lunatum (M. Kienböck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
60.2.2 Nekrose des Kahnbeins (M. Preiser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569
60.2.3 Avaskuläre Nekrose des Os capitatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570

61 Rheumatoide Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573


M. Meyer-Marcotty

62 Tumoren der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577


62.1 Benigne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
K.H. Busch, J. Redeker, A. Gohritz
62.1.1 Haut- und Weichteiltumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
62.1.2 Gefäßtumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581
62.1.3 Knochen- und Knorpeltumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581
62.2 Maligne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
A. Gohritz, P.M. Vogt
62.2.1 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
62.2.2 Prinzipien der Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
62.2.3 Primäre Hauttumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
62.2.4 Primäre maligne Tumoren des Knochen- und Weichteilgewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586

63 Dupuytren-Kontraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
S. Schinner
63.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.1.1 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.1.2 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.2 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3.1 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3.2 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
63.3.3 Rezidive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
63.3.4 Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
63.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592

64 Komplexes regionäres Schmerzsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593


C. Radtke
64.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
64.2 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
XXIII
Inhaltsverzeichnis

64.2.1 Autonome (sympathische) Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594


64.2.2 Motorische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
64.2.3 Gelenk- und Knochenveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594
64.2.4 Trophische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
64.2.5 Stadieneinteilung des CRPS Typ 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
64.2.6 Klinische Manifestation des CRPS Typ 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
64.3 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
64.3.1 Sympathische Innervation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
64.3.2 Neurogene Entzündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
64.4 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
64.5 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
64.5.1 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
64.5.2 Interventionen am sympathischen Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
64.5.3 Physikalische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
64.5.4 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
64.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

65 Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . 599


A. Jokuszies, P.M. Vogt
65.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
65.2 Replantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
65.3 Daumenrekonstruktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
65.3.1 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
65.3.2 Pollizisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602
65.3.3 Zweitzehentransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
65.3.4 »Wrap-around flap« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
65.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609

IX Plastische Chirurgie der Brust

66 Anatomie und Untersuchung der Brust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613


A. Heckmann
66.1 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
66.2 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
66.2.1 Brustdrüse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
66.2.2 Gefäßversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
66.2.3 Lymphabfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
66.2.4 Innervation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
66.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
66.3.1 Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
66.3.2 Nichtinvasive Untersuchungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
66.3.3 Invasive Untersuchungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617

67 Benigne Tumoren der Brust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619


A. Heckmann
67.1 Normalbefund und benigne Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
67.2 Benigne epitheliale Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
67.3 Benigne papilläre Läsion (Papillom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
67.3.1 Intraduktales Papillom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.4 Myoepitheliale Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.4.1 Myoepitheliose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.5 Fibroepitheliale Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.5.1 Fibroadenom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.5.2 Phylloidestumor (Cystosarcoma phylloides) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.6 Intraduktale proliferative Läsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.6.1 Gewöhnliche duktale Hyperplasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.6.2 Flache epitheliale Atypie (FEA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.6.3 Kolumnarzellhyperplasien mit architekturellen Atypien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
67.6.4 Atypische duktale Hyperplasie, ADH (auch atypische intraduktale Hyperplasie, AIDH) . . . . . . . . . . . . . 621
XXIV Inhaltsverzeichnis

67.7 Lobuläre Neoplasie (lobuläres Carcinoma in situ, atypische lobuläre Hyperplasie) . . . . . . . . . . . . . . 621
67.8 Sonstige Läsionen der Mamma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.1 Lipom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.2 Mastopathie (Mammadysplasie, Mastopathia cystica fibrosa, engl. »cystic disease«) . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.3 Periduktale Mastitis (Duktektasie, Plasmazellmastitis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
67.8.4 Solitärzysten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622

68 Maligne Tumoren der Brust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623


68.1 Mammakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
A. Heckmann, K.H. Breuing
68.1.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
68.1.2 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
68.2 Duktales Carcinoma in situ (DCIS; intraduktales Karzinom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626
A. Heckmann, K.H. Breuing
68.3 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
A. Heckmann, K.H. Breuing
68.3.1 Invasive Karzinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
68.3.2 Inflammatorisches Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
68.4 Staging und Therapiestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
A. Heckmann, K.H. Breuing
68.4.1 Differenzialindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
68.5 Therapeutisches Vorgehen beim invasiven Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
A. Heckmann, K.H. Breuing
68.5.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
68.5.2 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
68.5.3 Systemische Therapie des Mamma­karzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633
68.6 Operationstechnik der Brustrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
T. Bund, A. Gohritz
68.6.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
68.6.2 Wahl des Operationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
68.6.3 Operationszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
68.6.4 Implantatrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
68.6.5 Eigengewebe zur Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636
68.6.6 Alternative Lappenplastiken zur Eigengeweberekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
68.7 Wiederherstellung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
A. Gohritz, K.H. Breuing
68.7.1 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
68.7.2 Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
68.7.3 Rekonstruktion der Mamille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644
68.7.4 Rekonstruktion der Areola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645
68.7.5 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645

X Verbrennungsverletzungen

69 Verbrennungsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
P. Kolokythas, M.C. Aust
69.1 Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650
69.1.1 Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
69.1.2 Verbrennungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
69.1.3 Verletzungsschwere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
69.1.4 Weitere Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
69.1.5 Inhalationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
69.2 Intensivmedizinische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
69.2.1 Intensivmedizinische Besonderheiten der Verbrennungskrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
69.2.2 Beatmungstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.2.3 Schmerztherapie und Sedierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.3 Prinzipien der Therapie in der Akutsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.3.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
69.3.2 Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
XXV
Inhaltsverzeichnis

69.3.3 Operationsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660


69.3.4 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
69.3.5 Postoperative Behandlung und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
69.3.6 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665
69.4 Prinzipien der Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665
69.4.1 Therapie von Narbensträngen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665
69.4.2 Therapie instabiler Narben und flächiger Narbenplatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666
69.4.3 Therapie ästhetischer Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666

XI Ästhetische Chirurgie

70 Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669


A. Steiert
70.1 Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670
70.2 Patientenvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670
70.2.1 Patientenberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670
70.2.2 Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670
70.2.3 Vorbehandlung der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
70.3 Oberflächliches Peeling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
70.3.1 Jessner-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
70.3.2 α-Hydroxysäuren (Glykolsäure) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
70.3.3 10- bis 20%-ige Trichloressigsäure (TCA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
70.4 Mittlere bis tiefe Peelings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674
70.4.1 TCA-Peeling (Trichloressigsäure) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674
70.4.2 Phenol-Peeling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
70.5 Dermabrasio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676
70.6 Laser-Resurfacing mit ablativen Lasersystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678

71 Perkutane Kollageninduktions­therapie (Medical Needling) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681


M. Aust

72 Formkorrektur an Gesicht und Hals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685


72.1 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
A. Steiert
72.1.1 Allgemeine Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
72.1.2 Gesichtsprofilanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
72.1.3 Spezielle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
72.2 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
72.3 Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
A. Steiert, P.M. Vogt
72.3.1 Gesichts- und Halsstraffung (Facelift) mit Spannung des SMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
72.3.2 Stirn- und Brow-Lift – offen chirurgisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
72.3.3 Stirn- und Brow-Lift – endoskopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
72.3.4 Mid Facelift (minimalinvasiv, endoskopisch assistiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
72.3.5 Blepharoplastik des Oberlids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695
72.3.6 Blepharoplastik des Unterlids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695
72.3.7 Submentales Lifting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697

73 Formstörungen der Nase (Rhinoplastik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699


A.D. Niederbichler, P.M. Vogt
73.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
73.2 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
73.2.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
73.2.2 Befunderhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
73.2.3 Analyse der anatomischen Gegebenheiten (Analyse nach Byrd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
73.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
73.3.1 Operative Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
73.3.2 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
XXVI Inhaltsverzeichnis

74 Formkorrektur der Ohren (Otoplastik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711


R. Ipaktchi, A. Gohritz
74.1 Ziel der Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.2 Präoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.3.1 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.4 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.4.1 Konservatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.4.2 Operative Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
74.4.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
74.4.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713

75 Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms . . . . . . . . . . . 717


P.M. Vogt, A.D. Niederbichler
75.1 Seitliche Geweberesektionen im oberen Rumpfbereich (Upper Bodylift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718
75.2 Abdominoplastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718
75.2.1 Chirurgische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719
75.3 Total Bodylift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722
75.3.1 Chirurgische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722
75.4 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722
75.4.1 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725

76 Körperkonturierung nach extremer Gewichtsabnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727


P.M. Vogt, A.Gohritz
76.1 Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
76.2 Chirurgische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728

77 Mammareduktion und -augmentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735


A. Handschin, T. Bund, K.H. Breuing
77.1 Mammareduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
77.1.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
77.1.2 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
77.1.3 Präoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
77.1.4 Operatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738
77.2 Mamaaugmentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
77.2.1 Präoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
77.2.2 Operative Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
77.2.3 Postoperatives Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
77.2.4 Komplikationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745

78 Gynäkomastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
F.-M. Leclère, A. Handschin, K.-H. Breuing
78.1 Einleitung, Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
78.2 Präoperative Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
78.3 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
78.3.1 Subkutane Mastektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
78.3.2 Fettabsaugung (Liposuktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
78.4 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750

79 Formkorrektur an der oberen Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753


F.-M. Leclère, A. Gohritz
79.1 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
79.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
79.2.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
79.3 Therapiewahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
79.3.1 Operationstechniken am Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
79.3.2 Operationstechniken an der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757

80 Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759


A. Gohritz, H. Sorg
80.1 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
80.2 Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
XXVII
Inhaltsverzeichnis

80.2.1 Mediale Oberschenkelstraffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760


80.2.2 Straffungsoperationen im Gesäß-Oberschenkel-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
80.2.3 Liposuktion an der unteren Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
80.2.4 Formkorrekturen am Unterschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
80.3 Komplikationen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762

XII Fehlbildungen

81 Fehlbildungen des Gesichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767


N.-C. Gellrich, H. Essig
81.1 Kraniofaziale Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768
81.1.1 Kraniosynostosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768
81.1.2 Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770
81.1.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770
81.1.4 Kraniofaziale Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
81.1.5 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775
81.2 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
81.2.1 Pathogenese, Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
81.2.2 Klassifikation von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780
81.2.3 Syndrome mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
81.2.4 Therapeutisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785

82 Fehlbildungen der Mammae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791


A. Heckmann, K.H. Breuing
82.1 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
82.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
82.3 Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
82.3.1 Aplasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
82.3.2 Amastie/Athelie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793
82.3.3 Polymastie/Polythelie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793
82.3.4 Aberrantes Brustdrüsengewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793
82.3.5 Mammahypoplasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793
82.3.6 Makromastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793
82.3.7 Juvenile Striae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794
82.3.8 Tubuläre/tuberöse Brust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794
82.3.9 Mammaasymmetrie (Anisomastie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796
82.3.10 Trichterbrust (Pectus excavatum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
82.3.11 Poland-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
82.3.12 Hohlwarze/Schlupfwarze (Koilomastie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
82.3.13 Mamillenhyperplasie/Hyperplasie der Montgomery-Drüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
82.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
82.4.1 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
82.4.2 Stand der operativen und konservativen Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799
82.4.3 Brustimplantate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799

83 Fehlbildungen der Hände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801


A. Gohritz, P.M. Vogt
83.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.2 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.3 Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.3.1 Beratung der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.3.2 Operationszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.4 Einzelne Handfehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.4.1 Syndaktylien (Klasse II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
83.4.2 Kamptodaktylie (Klasse II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
83.4.3 Klinodaktylie (Klasse II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
83.4.4 Polydaktylie (Klasse III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
83.4.5 Schnürringsyndrom (Klasse VI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805
83.4.6 Hypo- und Aplasie des Daumens (Klasse V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806
XXVIII Inhaltsverzeichnis

83.4.7 Radiale Klumphand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808


83.4.8 Makrodaktylie (Klasse IV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808
83.4.9 Fehlbildungssyndrome (Klasse VII) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808
83.4.10 Sonstige angeborene Kontrakturen und Fehlstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808

84 Fehlbildungen der Füße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811


P.M.Vogt, L.-U. Lahoda
84.1 Diagnostisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
84.1.1 Röntgen, MRT, Spezialaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
84.2 Therapieziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
84.3 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
84.3.1 Polydaktylien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
84.3.2 Oligodaktylien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813
84.3.3 Spaltfüße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813
84.3.4 Fehlbildungen des Großzehenstrahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815
84.3.5 Syndaktyliebildung und Apert-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815
84.3.6 Makrodaktylie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815

XIII Dokumentation und Klassifikation

85 Heilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
A.D. Niederbichler, P.M. Vogt
85.1 Die ärztliche Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
85.1.1 Sozialmedizinische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
85.1.2 Aufbau eines ärztlichen Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823
85.2 Berufskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823

86 Untersuchungs- und Dokumentationsbögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 825


G. Valiyeva, A. Gohritz

87 Klassifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833
U. Mirastschijski, A.G. Gohritz, P.M. Vogt
87.1 ASA-Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
87.2 Glasgow Coma Scale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
87.3 Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
87.3.1 Klassifikation offener Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
87.3.2 Distale Radiusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
87.3.3 Skaphoidfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.3.4 Fingerfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.3.5 Frakturen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.4 Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.4.1 Nervenanatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
87.4.2 Nervenrezeptoren – Mechanorezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
87.4.3 Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
87.4.4 Plexus brachialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
87.5 Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.1 Klassifikation des fasziokutanen Lappens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.2 Örtliche Defektdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.3 Gefäßgestielte Lappenplastiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.5.4 Klassifikation der Faszien- und fasziokutanen Lappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840
87.6 Gesicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.1 Ästetische Zonen des Gesichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.2 Einteilung des Gesichts in Proportionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.3 Einteilung der Nase in Proportionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.4 Augenanomalie (Telekanthus, Hypertelorismus, Hypotelorismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.6.5 Spaltbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.7 Mamma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.7.1 Kapselfibrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
87.7.2 Ptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
XXIX
Inhaltsverzeichnis

87.8 Hand und Handgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842


87.8.1 Strecksehnenfächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
87.8.2 Strecksehnen – Zonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
87.8.3 Beugesehnen – Zonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843
87.8.4 Traumatische und degenerative Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843
87.8.5 Fortgeschrittener karpaler Kollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844
87.8.6 Handfehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845
87.8.7 Fehlbildungen der Finger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845
87.8.8 Schnürringsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
87.9 Komplexes regionales Schmerzsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
87.10 Arthrosis deformans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847
87.11 Malignome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847
87.11.1 Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847
87.11.2 Basalzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851
XXXI

Autorenverzeichnis

Herausgeber Breuing, Karl, Dr., FACS Lahoda, Lars-Uwe, Dr. med.


Vogt, Peter M., Univ.-Prof. Dr. med. Plastische und Rekonstruktive Chirurgie Clinique Plastische Chirurgie
Klinik und Poliklinik für Plastische, Hand- Kliniken Essen – Mitte Universitair Medisch Centrum Groningen
und Wiederherstellungschirurgie Henricistraße 92 Huispostcode BB81
Medizinische Hochschule Hannover 45136 Essen Postbus 30.001
Carl-Neuberg-Straße 1 P4.264
30625 Hannover Busch, Kay Hendrik, Dr. med. 9700 RB Groningen
Malteser Krankenhaus Niederlande
Autoren Bonn/Rhein-Sieg
Altintas, Mehmed A., Priv.-Doz. Dr. med. Von-Hompesch-Straße 1 Leclère, Franck-Marie, Dr. med.
Aust, Matthias, Priv.-Doz. Dr. med. 53123 Bonn Department of Plastic Surgery
Bund, Thorsten, Dr.med. Handcenter of Lille University
Busche, Marc, Dr. med. Choi, Claudia, Dr. med. 59810 Lille Lesquin
Ennker, Ina, Priv.-Doz. Dr. med. Klinik für Plastische, Rekonstruktive Frankreich
Gohritz, Andreas, Dr. med. und Ästhetische Chirurgie
Hadamitzky, Catarina Dr. med. Klinikum Bremen – Mitte gGmbH Rosenthal, Herbert, Dr. med.
Heckmann, Andreas, Dr. med. Akademisches Lehrkrankenhaus Klinik für Diagnostische Radiologie
Herold, Christian, Dr. med. der Universität Göttingen Medizinische Hochschule Hannover
Ipaktchi, Ramin, Dr. med. St. Jürgen-Straße 1 Carl-Neuberg-Straße 1
Jokuszies, Andreas, Dr. med. 28177 Bremen 30625 Hannover
Knobloch, Karsten. Prof. Dr. med.
Krämer, Robert, Dr. med. Essig, Harald, Dr. med. Dr. med. dent. Schinner, Susanne, Dr. med.
Meyer-Marcotty, Max, Dr. med. Klinik und Poliklinik für Mund-, Praxis für Plastische Chirurgie
Mirastschijski, Ursula, Priv.-Doz. Dr. Dr. med. Kiefer- und Gesichtschirurgie Clemenstraße 76
Niederbichler, Andreas D., Dr. med. Medizinische Hochschule Hannover 80769 München
Peters, Tina, Dr. med. Carl-Neuberg-Straße 1
Radtke, Christine, Priv.-Doz. Dr. med. 30625 Hannover Spies, Marcus, Priv.-Doz. Dr.med.
Redeker, Jörn, Dr. med. Klinik für Plastische, Hand-
Rennekampff, Hans-Oliver, Gellrich, Nils-Claudius, und wieder­herstellende Chirurgie
Univ.-Prof. Dr. med. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Klinikum der Barmherzigen Brüder
Sorg, Heiko, Dr. med. Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- Prüfeninger Straße 86
Steiert, Andreas, Dr. med. und Gesichtschirurgie 93049 Regensburg
Valiyeva, Gülschän, Dr. med. Medizinische Hochschule Hannover
Weyand, Birgit, Dr. med. Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
Klinik für Plastische, Hand- und Wieder­
herstellungschirurgie Handschin, Alexander Dr. med
Medizinische Hochschule Hannover Städtisches Klinikum Braunschweig
Carl-Neuberg-Straße 1 Holwedestraße 16
30625 Hannover 38116 Braunschweig

Kolokythas, Perikles, Dr. med.


BG-Unfallklinik Hamburg
Bergedorfer Straße 10
21333 Hamburg
XXXIII

Abkürzungen

ABSI Abbreviated Burn Severity Index ECRB M. extensor carpi radialis brevis
ADAM »amniotic deformity adhesions mutilations« ECRL M. extensor carpi radialis longus
(amniotische Schnürfurchen) ECU M. extensor carpi ulnaris
ADH atypische duktale Hyperplasie EDC M. extensor digitorum communis
ADL »activities of daily living« (Aktivitäten EDM M. extensor digiti minimi
des täglichen Lebens) EGF »epidermal growth factor«
ADM M. abductor digiti minimi EI M. extensor indicis
AIDH atypische intraduktale Hyperplasie EIP M. extensor indicis proprius
ALH atypische lobuläre Hyperplasie ELND »elective lymphnode dissection«
ALS amyotrophe Lateralsklerose (elektive Lymphknotendissektion)
ALT-Lappen »antero-lateral thigh flap« (anterolateraler EMG Elektromyographie
Oberschenkellappen) EPB M. extensor pollicis brevis
AP M. adductor pollicis EPL M. extensor pollicis longus
APB M. abductor pollicis brevis FCI-Lappen freier fasziokutaner Infraglutäallappen
APL M. abductor pollicis longus FCR M. flexor carpi radialis
ARDS »acute respiratory distress syndrome« FCU M. flexor carpi ulnaris
ASD Vorhofseptumdefekt FDP M. flexor digitorum profundus
ASSH American Society of Surgery of the Hand FDS M. flexor digitorum superficialis
ATG Antithymozytenglobulin FEA flache epitheliale Atypie
AUB Allgemeine Unfallversicherungs- FFU-Fehlbildung Femur-Fibula-Ulna-Fehlbildung
Bedingungen FGF »fibroblast growth factor«
AV-Loop arteriovenöses Shunt-Interponat FGFR »fibroblast growth factor receptor«
AZA Azathioprin FK506 Tacrolimus
BET brusterhaltende Therapie FKDS farbkodierte Duplexsonographie
BG Berufsgenossenschaft FPB M. flexor pollicis brevis
BK-Liste Berufskrankheitenliste FPL M. flexor pollicis longus
BKV Berufskrankheitenverordnung FRS Fernröntgenseitenbild
BMI Body-Mass-Index [kg/m2] GCS Glasgow Coma Scale
BR M. brachioradialis GdB Grad der Behinderung
BRCA-1/BRCA-2 »breast cancer-1/2-gene« GLOA ganglionäre lokale Opioidanalgesie
cc kraniokaudal Hkt Hämatokrit
CicA Ciclosporin A HLA »human leucocyte antigen«
CLHT Capitatum, Lunatum, Hamatum, Triquetrium IAP »image analysis platform«
CLOVE-Syndrom »congenital lipomatous overgrowth, vascular ICP »intracranial pressure« (Hirndruck)
malformations, epidermal nevi syndrome« IHH idiopathischer hypogonadaler
CMP karpometakarpal Hypogonadismus
CMV Zytomegalievirus IHT Inhalationstrauma
COPD chronisch-obstruktive Lungenerkrankung ILG-1-Lösung Institut-Georges-Lopez-Lösung
cP chronische Polyarthritis (frühere Bezeich­ IP Interphalagealgelenk
nung für rheumatoide Arthritis) IPL «intense pulse light«
CRP C-reaktives Protein ISTA interskapulothorakale Amputation
CRPS »complex regional pain syndrome« ISTO Informationszentrum für Standards
CT Computertomographie in der Onkologie
CTA »composite tissue allotransplantation« KFO Kieferorthopädie
D Digitus (Finger) KH Kieferhöhe
DASH »disabilities of arm, shoulder and hand« KM Kontrastmittel
DCIS duktales Carcinoma in situ KTS Karpaltunnelsyndrom
DFSP Dermatofibrosarcoma protuberans (auch in Gebrauch: CTS)
DIEP-Lappen »deep inferior epigastric perforator flap« Laser »light amplification by the stimulated
DIP distales Interphalangealgelenk emission of radiation« (Akronym)
DISI »dorsal intercalated segment instability« LCIS lobuläres Carcinoma in situ
DMCA-Lappen dorsaler Metakarpalarterienlappen LIN lobuläre intraepitheliale Neoplasie
DPS Dreiphasenszintigraphie LKG-Spalte Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
DRUG distales Radioulnargelenk LLL-Lappen Dufourmentel-Lappen
DSA digitale Subtraktionsangiographie LME »lines of maximum extensibility«
dZh Dokumentationszentrum schwerer Haut­ LN lobuläre Neoplasie
reaktionen LT lunotriquetral
ECA »extensor compartment artery« MACS-Lift »minimal access cranial suspension lift«
XXXIV Abkürzungen

MAK Mamillen-Areola-Komplex SMAS superfizielles muskuloaponeurotisches


MCP-Gelenk Metakarpalgelenk System
MdE Minderung der Erwerbsfähigkeit SMI »sympathetically independent pain«
ME Metallentfernung (sympathisch unabhängige Schmerzen)
MGH Mittelgesichtshöhe SMP »sympathetically maintained pain«
MHK Mittelhandknochen (sympathisch unterhaltene Schmerzen)
MKG Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie SNAC wrist »scaphoid non union advanced collapse
mlo mediolateral wrist«
MM (malignes) Melanom SNUS Sulcus-nervi-ulnaris-Syndrom
MMF Mycophenolatmofetil. SSD »shaded surface display«
MP Metatarsophalangeal(gelenk) (3-D-Oberflächenrekonstruktion)
oder SSF Strecksehnenfach
Meralgia paraesthetica SSSS »staphylococcal scalded skin syndrome«
(je nach Zusammenhang) SSW Schwangerschaftswoche
MPR multiplanare Reformation STT-Gelenk Gelenk Skaphoid/Trapezium/Trapezoideum
MRM modifiziert radikale Mastektomie (Daumensattelgelenk)
MRT Magnetresonanztomographie TAR-Syndrom »thrombocytopenia-absent radius
NAP Nervenaktionspotenzial syndrome«
NCFL N. cutaneus femoris lateralis TCA Trichloressigsäure
NGF »nerve growth factor« TDLU terminale duktulolobuläre Einheit
NL Nasenlänge TEE transösophageale Echokardiographie
NLG Nervenleitgeschwindigkeit TEN toxisch epidermale Nekrolyse
NSAID »non-steroidal anti-inflammatory drugs« TENS transkutane elektrische Nervenstimulation
(nichtsteroidale Antiphlogistika) TEP Totalendoprothese
ODM M. opponens digiti minimi TFCC triangulärer fibrokartilaginärer Komplex
OKT Orthoclone TFL flap M.-tensor-fasciae-lata-Lappen
OP M. opponens pollicis TGF »transforming growth factor«
OSG oberes Sprunggelenk TMG flap transversaler muskulokutaner
P Paratenon Grazilislappen
pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit TNF-α Tumornekrosefaktor α
PCA »patient controlled analgesia« TRAM flap transverser M.-rectus-abdominis-Lappen
PCSA »physiologic cross sectional area« TSR Trizepssehnenreflex
(physiologische Muskelquerschnittsfläche) TVS Tendovaginitis stenosans
PDS Polydioxanon (Nahtmaterial) TVT tiefe Venenthrombose
PEG(-Sonde) perkutane endoskopische Gastrostomie Tx Transplantation
PIP proximales Interphalangealgelenk UGH Untergesichtshöhe
PISI »palmar intercalated segment instability« USG unteres Sprunggelenk
PL M. palmaris longus UW-Lösung University-of-Wisconsin-Lösung
PNF propriozeptive neurophysiologische VAC »vacuum assisted closure«
Fazilitation VACTERL-Syndrom Acronym, das die möglichen Fehlbildungen
PRC »proximal row carpectomy« beschreibt:
PSR Proc. styloideus radii V – vertebrale Anomalien/Fehlbildungen
PSU Proc. styloideus ulnae der Wirbelsäule
PT pisotriquetral A – anale und aurikuläre Anomalien/Fehl­
RA rheumatoide Arthritis bildungen des Afterbereichs, z. B. Analatresie
RSC-Band Lig. radioscaphocapitatum C – Herzfehler, v. a. Kammerscheidewand­
RSD »reflex sympathetic dystrophy« defekt (Ventrikelseptumdefekt)
RSTL »relaxed skin tension lines« T – tracheoösophageale Fistel
SEP somatosensorisch evoziertes Potenzial E – Ösophagusatresie (engl.: »esophagus«)
SFS superfizielles Fasziensystem R – renale Fehlbildung
SGAP-Lappen »superior glutaeal artery perforator flap« L – Fehlbildung der Gliedmaßen
(A.-glutealis-superior-Perforator-Lappen) (engl.: »limb«)
SGB VII 7. Buch Sozialgesetzbuch VAL vakuumasssistierte Liposuktion
SHTX Spalthauttransplantation VAS visuelle Analogskala (zur Schmerzerfassung)
SIAS Spina iliaca anterior superior VEP visuell evozierte Potenziale
SIEA flap A.-epigastrica-superficialis-Lappen VKOF verbrannte Körperoberfläche
SIEAP flap A.-epigastrica-inferior-superficialis-Lappen VRAM flap vertikaler M.-rectus-abdominis-Lappen
SIRS »systemic inflammatory response syndrome« VSD Ventrikelseptumdefekt
SL skapholunär VTE venöse Thromboembolie
SLAC »scapho-lunate advanced collapse« ZA-Brandverletzte zentrale Anlaufstelle für Schwerbrand­
SLND »sentinel lymphnode dissection« verletzte
(Sentinel-Lymphknotendissektion) ZVD zentraler Venendruck
I

Wundheilung
und Wundbehandlung
M. Aust

Kapitel 1 Biologische Grundlagen der Wundheilung – 3


M. Aust, K. Reimers, H. Sorg

Kapitel 2 Grundlagen der Wundbehandlung – 13


M. Aust

Kapitel 3 Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres


postoperatives Schmerztherapiekonzept – 19
M. Aust, B. Weyand, C. Radtke, A. Jokuszies
Die Wundheilung ist ein komplexer fundamentaler biologischer Vorgang der in der Regel zur Wiederherstellung
des Integuments führt. Diese Sektion widmet sich den theoretischen und praktischen Aspekten der Wundheilung
sowie den modernen Konzepten einer adäquaten Wundversorgung. Nicht zuletzt durch die zunehmenden Restrik­
tionen im Gesundheitswesen sowie das wachsende Kostenbewusstsein und die Anspruchsorientierung der Patien­
ten wird ein patientennahes und effizientes Wundmanagement immer wichtiger.
1

Biologische Grundlagen
der Wundheilung
M. Aust, K. Reimers, H. Sorg

1.1 Physiologische Mechanismen – 4


1.1.1 Stadien der Wundheilung –4

1.2 Ursachen gestörter Wundheilung – 8


1.2.1 Periphere arterielle Verschlusskrankheit –8
1.2.2 Diabetische Ulzera – 9
1.2.3 Chronisch venöse Insuffizienz – 10
1.2.4 Druckgeschwüre – 10
1.2.5 Strahleninduzierte Hautschäden – 10

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
 Kapitel 1 · Biologische Grundlagen der Wundheilung

Die primäre Wundheilung nach Galen findet sich bei Wunden mit Unabhängig von der Genese einer Wunde verläuft der Heilungs­
1 glatten Wundrändern, die chirurgisch durch exakte Adaptation der prozess in vergleichbaren Phasen ab. Es werden klassischerweise
Hautschichten verschlossen wurden. Die Wunde ist sauber und 4 Phasen unterschieden, die z. T. auch überlappend stattfinden:
nicht mit Keimen oder Fremdkörpern verunreinigt und heilt kom­ 4 Exsudationsphase (Entzündungsphase, Inflammation),
plikationslos ab. Wundödem, Entzündung und Narbenheilung sind 4 Granulationsphase (Proliferation),
meistens nur schwach entwickelt. 4 Epithelisierungsphase,
Die physiologischen Bedingungen in der Wunde sind geprägt 4 Remodellierungsphase.
durch eine lokale Unterversorgung des Gewebes aufgrund der Zer­
störung des Kapillarnetzes, die sich in einem erhöhten Laktatgehalt Gemeinsames Merkmal aller Phasen ist, dass unterschiedliche Zell­
sowie einem erniedrigten pH- und Sauerstoffgehalt manifestiert. typen miteinander interagieren, über ECM und Zytokine moleku­
Durch Zellzerstörung und Zelluntergang bedingt kommt es zu einer lare Botenstoffe aktiviert werden und proliferieren.
Freisetzung von Lipiden, Proteinen und Peptiden, die eine Signal­
funktion auf die zelluläre Proliferation und Migration ausüben. Die Exsudative Phase
Ionenzusammensetzung ist im Wundmilieu durch einen niedrigen Der Beginn der Wundheilung ist makroskopisch durch die Bildung
Kalzium- und einen hohen Magnesiumgehalt geprägt. eines Blutkoagels (»clot«) und den Blutungsstopp, die Hämostase
An Proteoglykane konjugierte Glykosaminoglykane (GAG) die­ (»hemostasis«) gekennzeichnet. Auf zellulärer Ebene aktiviert
nen als Speicher und Informationsträger für Botenstoffe in der ECM Thrombin über Glykoprotein Ib und die »protease-activated re­
(»extracellular matrix«). Die Zusammensetzung der GAG in der ceptors« (PAR)-1 und -4 die Thrombozyten und führt durch die
Wunde ändert sich im Verlauf der Wundheilung. In den ersten proteolytische Spaltung von Fibrinogen zur Erzeugung von Fibrin.
2 Wochen ist Hyaluronsäure das vorherrschende GAG, wird dann Vasokonstriktion durch Epinephrin infolge der lokalen Ausschüt­
vorübergehend von Chondroitin und Dermatansulfat abgelöst, um tung von Prostaglandinen und Thromboxanen durch die verletzten
schließlich wieder das dominierende Element zu werden. Diese Zellen und das vom sympathischen Nervensystem ausgeschüttete
­Änderungen reflektieren die Eigenschaft der Hyaluronsäure durch Norepinephrin führen zu einer sichtbaren Erblassung des Gewebes
Unterbrechung der Zellinteraktionen mit der Kollagenmatrix, Zell­ während der ersten 15 min nach der Verletzung. Die vorüberge­
migrationen zu fördern. hende Vasokonstriktion wird von einer Vasodilatation mit erhöhter
Des Weiteren muss das Gewebe um die Wunde herum gut Permeabilität der Gefäße abgelöst, die einen verbesserten Austausch
durchblutet sein. Dadurch wird der feine Wundspalt mit dem aus zwischen der Wundfläche und den Gefäßen ermöglicht. Durch die
dem Blut stammenden Fibrin verklebt. Blutbestandteile wie poly­ akute Verletzung kommt es zu einer unspezifischen inflammato­
morphkernige Leukozyten und Makrophagen sorgen durch Phago­ rischen Antwort.
zytose für die Beseitigung untergegangener Zellen und dienen zu­ Die inflammatorische Phase ist in ihrem frühen Stadium durch
sammen mit den Thrombozyten als Speicher für Zytokine und ein Débridement der Wunde durch einströmende polymorphnukle­
Wachstumsfaktoren. Die akut entzündliche Phase dauert maximal äre Zellen (PMN) gekennzeichnet. Zirkulierende Monozyten mi­
4–6 Tage und ist nur mikroskopisch wahrnehmbar. Im Wundspalt grieren als nächste Zelltypen in die Wunde und differenzieren sich
werden eingewanderte Fibroblasten und an den Wundrändern eine dort zu Makrophagen, die sich ebenfalls an der Entfernung von Zell-
beginnende Epithelisierung beobachtet. Primäre Wunden epitheli­ Débris, Fremdkörpern und Bakterien beteiligen. PMN und Makro­
sieren innerhalb von 6–12 Tagen vollständig und haben eine geringe phagen sind eine Quelle proinflammatorischer Zytokine, darunter
Narbenbildung zur Folge. IL-1α, IL-1β, IL-6 und TNF-α, mittels derer der inflammatorische
Prozess aufrechterhalten wird. Die Sekretion weiterer Botenstoffe
wie FGF-2, IGF, TGF-β stimuliert die Kollagensynthese durch Fibro­
1.1 Physiologische Mechanismen blasten, im Fall von TGF-β auch die Differenzierung der Fibroblas­
ten zu Myofibroblasten, die für die Wundkontraktion verantwortlich
Das migrative und proliferative Verhalten von Zellen ist abhängig sind. Zudem wird die Angiogenese durch FGF-2, VEGF-A und
vom Wundmilieu. Schon die alten Römer kannten das Prinzip der TGF-β angeregt sowie die Reepithelisierung durch EGF, FGF-2, IGF-
feuchten Wundauflage. Wurden damals angebrochene Kohlblätter 1 und TGF-α.
um die Wunde gewickelt, so stehen heute moderne Materialien zur Alle Untereinheiten der T-Zellen beeinflussen die Wundheilung
Verfügung. Das feuchte Wundmilieu fördert die Proliferation der am ebenfalls auf spezifische Weise durch Sekretion wichtiger Botenstoffe.
Heilungsprozess beteiligten Zellen und begünstigt deren Wande­ Die dendritischen γδ-epidermalen T-Zellen (DETCT) sezernieren
rung. So können Granulation und Epithelisierung wesentlich schnel­ den für Fibroblastenmigration und Expression von Kollagen I, Fibro­
ler ablaufen. 1962 zeigte Winter erstmals experimentell am Schwein, nektin und α5-Integrin wichtigen Stimulator »connective tissue grow­
dass es unter einem Okklusivverband früher zu einer vollständigen th factor« (CTGF). Ein bedeutendes weiteres zelluläres Infiltrat der
Epithelisierung kommt als bei Luftexposition. Dies konnte in wei­ inflammatorischen Phase sind die zirkulierenden Fibrozyten, die sich
teren Versuchen bestätigt werden und führte zur Entwicklung neuer ebenfalls an der Kollagen- und Zytokinproduktion beteiligen, darun­
synthetischer Verbandmaterialien. ter »macrophage inflammatory protein 1« (MIP-1α, MIP-β, MIP-1)
Die feuchte Wundbehandlung hat sich heute als modernes Ver­ Interleukin 8 (IL-8), »growth related oncogene α« (GRO-α) und
fahren für sekundär heilende Wunden etabliert. »granulocyte macrophage colony-stimulating factor« (GM-CSF).
Es kommt zu einer Hyperämie, erkennbar an einer Rötung, und
zu einem Wundödem. Im optimalen Fall verläuft die exsudative Pha­
1.1.1 Stadien der Wundheilung se recht kurz. Es bilden sich Gerinnsel aus Fibrinmolekülen, Fibron­
ektin, Vitronektin und Thrombospondin. Diese dienen als Leit­
Definition. Kutane Wundheilung ist ein biologischer Vorgang, bei struktur für einwandernde Zellen. Gleichzeitig schütten die Throm­
dem durch Bindegewebebildung, Kontraktion und Epithelisierung bozyten im Koagel Wachstumsfaktoren und Zytokine aus und locken
ein Verschluss des Integuments erfolgt. damit immunkompetente Zellen an den Ort der Gewebeverletzung.
1.1 · Physiologische Mechanismen
 1

. Abb. 1.1 Hautwunde 3 Tage nach Verletzung. Darstellung der Wachstumsfaktoren, die für die Zellmigration in die Wunde verantwortlich sind

Es entsteht eine lokale Entzündung, bei der neutrophile Granulo­ phagen bilden weiterhin durch ihr Zytokinspektrum einen funktio­
zyten eingedrungene mikrobielle Erreger abwehren. Außerdem wird nellen Link zwischen inflammatorischer und proliferativer Phase.
abgestorbenes Zellmaterial durch hochpotente Proteasen im Sinne Die Migration der Fibroblasten wird dabei von PDGF, NGF, TGF-β,
eines autolytischen Débridements beseitigt. In dieser Phase werden CTGF and Cyr61 stimuliert. Fibronektin, ein Bestandteil der provi­
meist große Exsudatmengen abgegeben, die die Selbstreinigung der sorischen ECM, regt ebenfalls die Migration der Fibroblasten zur
Wunde unterstützen (. Abb. 1.1). Wunde an. Die Fibroblasten stammen dabei z. T. aus den differen­
zierten Zellen der Wundumgebung und z. T. aus undifferenzierten
Granulationsphase mesenchymalen Zellpopulationen, die durch die Zytokinproduktion
Die lokale Hyperämie stellt die Versorgung der Zellen für die nach­ der Makrophagen zur Differenzierung in der Wundstelle angeregt
folgenden reparativen Prozesse sicher. Die Adhäsion und Migration werden.
von Neutrophilen, Monozyten, Fibroblasten und Endothelzellen in Die Migration der Fibroblasten wird durch Fibrin, Vitronektin,
das Wundgebiet wird durch Fibronektin ermöglicht. Obwohl in den Fibronektin und Hyaluronsäure der ECM geleitet. Zur Begradigung
letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte im Verständnis der der Wegstrecken werden MMP (Matrixmetalloproteinasen) expri­
Wundheilung erzielt wurden, ist die genaue Interaktion dieser Ent­ miert, die ECM-Bestandteile sowie Wachstumsfaktoren, Zytokine,
zündungszellen und Mediatoren in der Granulationsphase bis heute Chemokine und deren Rezeptoren spalten können. Die Ratio von
nicht vollständig geklärt. MMP zu ihren regulativen Proteinen TIMP (»tissue inhibitors of
Die regenerativen Prozesse laufen in den Tagen 4–7 nach der metalloproteinase«) ist mit fibrotischen Erkrankungen, hypertro­
Verletzung ab. Ausgehend von den Wundrändern wandern in der phen Narben und Keloidbildungen assoziiert.
Granulationsphase Monozyten, Endothelzellen und Fibroblasten Während der Granulationsphase sind Neovaskularisation und
entlang der provisorischen Fibrinmatrix in das Wundareal ein. An Angiogenese von zentraler Bedeutung. Die Zeit bis zur Neubildung
den Rändern des frühen Granulationsgewebes bauen Zellen nekro­ der Gefäße ist neben dem Alter des Patienten, der Art, Lokalisation
tisches Gewebe ab und beginnen am Übergang zum Normalgewebe und Tiefe der Wunde auch von genetischen Faktoren abhängig. Die
mit der Neosynthese einer extrazellulären Matrix. Angiogenese der Wundheilung wird durch die in der Wunde herr­
Nach einigen Tagen nimmt die Zellzahl in dieser Matrix massiv schenden physiologischen Konditionen (wie erniedrigter pH-Wert,
zu. Bindegewebe und Blutgefäße werden sichtbar. Die Fibroblasten gesteigertes Laktat und erniedrigter Sauerstoffgehalt, die eine Unter­
sezernieren u. a. Hyaluronsäure, Chondroitin-4-Sulfat, Derma­tan­ versorgung des Gewebes repräsentieren) induziert, aber auch durch
sulfat und Heparansulfat und bilden zusammen das zell- und gefäß­ eine Vielzahl regulatorischer Wachstumsfaktoren und Zytokine prä­
reiche Granulationsgewebe. Aus Prokollagen entstehen Kollagenfi­ zise gesteuert. Die 4 wichtigsten Wachstumsfaktoren der Angioge­
brillen, die während der ersten Tage vermehrt synthetisiert werden. nese sind VEGF, FGF, Angiopoietin und TGF-β. Die Migration der
Dadurch steigt der Kollagenanteil in den nächsten Wochen im Endothelzellen wird dabei auch von Proteoglykanen und der Struk­
Wundgebiet an, während die Fibroblastenproliferation im gleichen tur der ECM beeinflusst.
Zeitraum nachlässt. Etwa ab dem 4. Tag nach der Verletzung wird In ihrer Migration sind die Endothelzellen von der Expression
die provisorische ECM durch das Granulationsgewebe ersetzt. Die von MMP zur Degradation der ECM und von spezifischen Integri­
makroskopisch granuläre Erscheinung wird dabei hauptsächlich nen wie αvβ3 zur Erkennung der provisorischen ECM der Wunde aus
durch die einsprießenden Kapillaren hervorgerufen. Fibrin und Fibronektin abhängig. Die neugebildeten Kapillaren sind,
Auf zellulärer Ebene ist die nun beginnende proliferative Phase wie es dem Verlauf der Wundheilung entspricht, zunächst durch
der Wundheilung durch die Ankunft der permanent ortsständigen VEGF stimuliert eher porös und durchlässig, nehmen in ihrer Fes­
Zellen, Fibroblasten und Blutgefäßzellen gekennzeichnet. Makro­ tigkeit jedoch im Verlauf der Wundheilung zu.
 Kapitel 1 · Biologische Grundlagen der Wundheilung

. Abb. 1.2 Reepithelisation und Neovaskularisation 5 Tage nach Verlet- Wunde. Epitheliale Zellen verschließen die Wunde. Darstellung der für die
zung: Kleine Blutgefäße wandern vom Wundrand an der Fibrinmatrix in die Zellwanderung wichtigen Proteinasen

Epitheliale Regeneration 3–5 Tage nach der Verwundung beginnt die Kollagenprodukti­
Die epitheliale Regeneration wird durch Keratinozyten, die sich am on. Die Kollagenfasern organisieren sich, und es kommt zur ersten
Übergang zum Normalgewebe befinden, oder durch Keratinozyten Kontinuität des Bindegewebes. Kollagen Typ III reift in Typ-I-Kol­
aus Hautanhangsgebilden ermöglicht. Diese Keratinozyten migrie­ lagen. Der Anteil von Kollagen III zu Kollagen I verschiebt sich da­
ren in die obere Schicht des Granulationsgewebes. In dieser Schicht bei im Laufe der Wundheilung von ursprünglich 30% zu 10%, was
formieren Blutkoagel eine Matrix aus Fibrin, Fibronektin und Kolla­ dem Verhältnis der unverletzten Haut entspricht. Es kommt jedoch
gen Typ V. Die Zellen der Basalmembran am dermoepidermalen nicht zur Neubildung von Elastin, was möglicherweise eine Erklä­
Übergang benutzen die Fibronektinmatrix zur Migration und Zell­ rung für die Steifheit und fehlende Flexibilität des Narbengewebes
anheftung während der Reepithelisierungsphase. darstellt. Die Kollagenfasern beginnen, sich parallel auszurichten.
Die Reepitheliarisierung, die bei gutem Heilungsverlauf, z. B. bei Nach der Phase der Epithelisierung können sich die Umbaupro­
linearen Inzisionen, nach 24–48 h abgeschlossen sein kann, wird von zesse im Gewebe noch bis zu 1 Jahr hinziehen. Die epitheliale Rege­
den wundrandständigen Keratinozyten sowie von an den Haarbäl­ neration sieht man bei keimfreien, oberflächlichen (dermalen) und
gen lokalisierten Stammzellen geleistet. Wie zuvor wird die Migrati­ primär heilenden Wunden. Diese Heilung verläuft meist ohne sicht­
on von den physiologischen Bedingungen der Wunde gefördert, bare Narbenbildung. Ist die Wunde jedoch vollschichtig oder sekun­
ebenso von Wachstumsfaktoren und Zytokinen. Unter ihnen befin­ där großflächig kontaminiert oder tief, erfolgt der Wundheilungs­
den sich die FGF 2, 7 und 10 und TGF-β. Die Proliferation der Ke­ prozess durch Granulationsgewebebildung und Kontraktion und hat
ratinozyten wird u. a. von HB-EGF, HGF, NGF, GRO-α/CXCL-1, im Gegensatz zur epithelialen Wunde eine Narbenbildung zur Folge
IL-6 und GM-CSF angeregt. Nach Bildung der Neoepidermis folgt (. Abb. 1.3; . Tab. 1.1).
dann die terminale Keratinozytendifferenzierung, stimuliert durch
S1P und BMP6 (. Abb. 1.2).

Remodellierungsphase
Nach Komplettierung der Granulationsphase überziehen ab dem
8. Tag Epithelzellen das noch unfertige Bindegewebe. Die einfache
Epithelialisierung beginnt bei einfachen Wunden bereits wenige
Stunden nach der Läsion. Diese wandernde Zellschicht ist hochemp­
findlich gegenüber Scherkräften und kann bei einem Verbandwech­
sel leicht reißen. Ausgehend vom intakten Epithelgewebe an den
Wundrändern bei Vollhautwunden und aus Hautanhangsgebilden
bei Spalthautwunden bildet sich die neue Epidermis. Bei vollstän­
diger Epithelialisierung gilt die Wundheilung als abgeschlossen.
Die reparative Phase ist durch Wundkontraktion, Epithelisie­
rung und Narbenbildung (Umbau des Granulationsgwebes) gekenn­
zeichnet. Fibroblasten besitzen dazu ihre duale Funktion als Produ­ . Abb. 1.3 Epitheliale/mesenchymale Interaktionen (durchgezogene
zenten von Wachstumsfaktoren wie PDGF, TGF-β, FGF-2 und Cyr61 Pfeile: Darstellung einer direkten Interaktion; gestrichelte Pfeile: Darstellung
sowie Bestandteilen der ECM und kontraktilen Elemente. eines Pfades für Kofaktoren mitogener Substanzen, z. B. Insulin, IGF-1)
1.1 · Physiologische Mechanismen
 1

. Tab. 1.1 Wachstumsfaktoren mit Effekten auf die Wundheilung

Faktor Quelle Funktion

Angiopoietine 4 Endothelzellen 4 Stabilisierung (Ang-1) und Destabilisierung (Ang-2) von Blutgefäßen

BMP (»bone morphogenetic 4 Epithelzellen 4 ↓ Keratinozytenproliferation


protein«) 4 Fibroblasten 4 ↑ Keratinozytendifferenzierung

CNN (»connetive tissue growth 4 Fibroblasten 4 ↑ Fibroblastenproliferation und Chemotaxis


factor«) 4 ↑ ECM-Proteine und Narbenbildung
4 ↑ Endothelzellproliferation, -migration, -überleben
4 ↑ Angiogenese

EGF (»epidermal growth factor«) 4 Fibroblasten 4 ↑ Kollagenasesekretion durch Fibroblasten


4 Keratinozyten 4 ↓ Fetale Wundkontraktion
4 Eosinophile 4 ↑ Fibroblastenproliferation
4 Haarfollikelepithelzellen 4 ↑ Chemotaktische Aktivität für Endothel- und Epithelzellen
4 Schweißdrüsen 4 ↑ Epithelialisierung und Bildung von Granulationsgewebe
4 Talgdrüsen
4 Thrombozyten

Erythropoietin 4 Haarfollikelzellen 4 ↑ Fibroblasten-, Keratinozytenproliferation und -migration


4 ↑ Epithelialisierung
4 ↑ Angiogenese und Gefäßreifung

FGF (»fibroblast growth factor«) 4 Epithelzellen 4 ↑ Epithelialisierung durch Keratinozyten- und Fibroblastenmigration
4 Basalmembran 4 ↑ Angiogenese durch Endothelzellwachstum und Migration
4 Subendotheliale Matrix 4 ↑ Kollagenremodeling
von Blutgefäßen 4 Prävention der Wundkontraktur

GM-CSF (»granulocate 4 Endothelzellen 4 ↑ Mitose von Keratinozyten


macrophage colony stimulating 4 Leukozyten 4 ↑ Migration und Proliferation von Endothelzellen
factor«)

HGF (»hepatocyte growth 4 Keratinozyten 4 ↑ Granulationsgewebe


factor«)

IGF (»insulin-like growth factor«) 4 Thrombozyten 4 ↑ Mitose von Fibroblasten


4 Fibroblasten 4 ↑ Chemotaxis von Endothelzellen
4 ↑ Epithelialisierung und Bildung von Granulationsgewebe

IL-1 4 Makrophagen 4 ↑ Keratinozyten-, Neutrophilen-, Fibroblastenchemotaxis


4 Mastzellen 4 Kollagensynthese und Degradation
4 Keratinozyten
4 Lymphozyten

IL-2 4 Makrophagen 4 ↑ Fibroblastenmetabolismus und -infiltration


4 Mastzellen
4 Keratinozyten
4 Lymphozyten

IL-4 4 Mastzellen 4 ↑ Fibroblastenproliferation


4 ↑ Proteoglykan- und Kollagensynthese
4 ↓ TNF-α- , IL-1- und IL-6-Expression

IL-6 4 Makrophagen 4 ↑ Fibroblastenproliferation


4 Mastzellen 4 Ischämieschutz für Endothelzellen
4 Keratinozyten
4 Lymphozyten

IL-8 4 Makrophagen 4 ↑ PMN- und Makrophagenaktivierung und -Chemotaxis


4 Mastzellen 4 ↑ Keratinozytenreifung und Adhärenz
4 Keratinozyten
4 Lymphozyten

IL-10 4 Keratinozyten 4 ↓ PMN und Makrophagenaktivierung und -infiltration


4 Monozyten 4 ↓ TNF-α-, IL-1- und IL-6-Expression
4 Regulation der Keratinozyten- und Endothelzellproliferation
und -differenzierung

Leptin 4 Fettzellen 4 ↑ Epithelialisierung


4 ↑ Keratinozytenproliferation
 Kapitel 1 · Biologische Grundlagen der Wundheilung

1 . Tab. 1.1 (Fortsetzung)

Faktor Quelle Funktion

NGF (»nerve growth factor«) 4 Epithelzellen 4 ↑ Einsprossung von Nerven in die Wunde
4 Fibroblasten 4 ↑ Keratinozytenproliferation
4 Myofibroblasten 4 ↓ Keratinozytenapoptose
4 ↑ Enothelzellproliferation
4 ↑ Fibroblastenmigration und α-smooth-muscle-actin-Produktion

PDGF (»platelet derived growth 4 Thrombozyten 4 ↑ Fibroblastenproliferation


factor«) 4 Zellen der Epidermis 4 ↑ Produktion der extrazellulären Matrix
4 Rekrutierung von Fibroblasten und Makrophagen in die Wunde
4 ↑ Proteoglykan- und Kollagensynthese

TGF-α (»transforming growth 4 Makrophagen 4 ↑ Epithel- und Endothelzellwachstum


factor alpha«) 4 Thrombozyten 4 ↑ Endothelzellchemotaxis
4 Keratinozyten

TGF-β (»transforming growth 4 Makrophagen 4 ↑ Fibroblasten- und Leukozytenmigration


factor beta«) 4 Thrombozyten 4 ↑ Synthese der extrazellulären Matrix und Kollagensynthese
4 Lymphozyten 4 ↑ Angiogenese
4 ↑ Wachstumsfaktorproduktion aus Monozyten
4 ↑ Chemotaxis für Makrophagen, Fibroblasten, Narben-Remodelling
und Wundkontraktur
4 ↓ Endothelzellproliferation

TNF-α (»tumor necrosis factor 4 Makrophagen 4 ↑ PMN-Adhärenz, Zytotoxizität, Gefäßpermeabilität, Hämostase


alpha«) 4 ↑ Kollagensynthese und Degradation

VEGF (»vascular endothelial 4 Keratinozyten 4 ↑ Angiogenese


growth factor«) 4 Makrophagen

1.2 Ursachen gestörter Wundheilung > Das therapeutische Ziel jeder Wundbehandlung sollte
sein, heilungshemmende Faktoren zu minimieren und hei-
Definition. Als chronisch wird eine Wunde bezeichnet, die nicht lungsfördernde zu unterstützen.
innerhalb eines bestimmten Zeitraums epithelisiert und sich ver­
schließt, in den meisten Definitionen innerhalb von 30 Tagen.
Chronische Wunden stellen ein komplexes Krankheitsbild dar, 1.2.1 Periphere arterielle Verschlusskrankheit
das neben der individuellen Belastung der Patienten enorme Kosten
und hohen Resourcenverbrauch für ein Gesundheitssystem verurs­ Die häufigste Ursache der peripheren arteriellen Verschlusskrank­
acht. Die Häufigkeit chronischer Wunden ist weit höher, als oft an­ heit (pAVK) ist die Arteriosklerose (90–95%) die v. a. durch Nikotin­
genommen wird, in Schweden beispielsweise liegt die Prävalenz von abusus, Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Hyper­
Ulzera der unteren Extremität bei 1/50 der Bevölkerung. In der lipoproteinämie) und Hypertonie bedingt ist. Da zunehmend jün­
Altersgruppe >70 Jahre wurde eine Prävalenz von verheilten und gere, erwerbstätige Menschen (m:w=4:1) betroffen sind, kommt der
offenen chronischen Wunden der unteren Extremität von 9,8% ge­ pAVK eine große sozioökonomische Bedeutung zu. Die Diagnose
funden. der Lokalisation und des Schweregrades der pAVK ist nach Ana­
mneseerhebung und klinischer Untersuchung (Inspektion, Palpa­
> Chronische Wunden durchlaufen den zeitlich geordneten
tion, Auskultation, Gehtest) eindeutig zu erheben. Der klinische
Reparationsprozess nur unvollständig und gelangen da-
Befund ist vom Kompressionsgrad (Leistungsfähigkeit der Kollate­
her nicht zur anatomischen und funktionellen Wiederher-
ralen) abhängig. Die Dopplersonographie gibt Aufschluss über den
stellung.
peripheren Verschlussdruck (Differenzierung Makro-/Mikroan­
Die Ursachen von chronischen Wunden sind vielfältig. Sie können giopathie). Die Stadieneinteilung erfolgt nach Ratschow-Fontaine
durch genetische, endokrine, psychische, entzündliche und mecha­ (. Tab. 1.4).
nische Faktoren bedingt oder beeinflusst werden (. Tab. 1.2). Der Die Indikation zum operativen Vorgehen sowie die Wahl des Ver­
Untersuchungsgang ist in . Tab. 1.3 dargestellt. fahrens hängen von klinischen Diagnoseparametern ab. Nach Aus­
Bei der Pathogenese von chronischen Wunden spielt die Ge­ schöpfen konservativer Konzepte (Nikotinkarenz, vasoaktive Sub­
webeischämie und -hypoxie eine entscheidende Rolle. Beide Ein­ stanzen, rheologische Maßnahmen, Gewichtsreduktion, Gehtraining,
flussgrößen korrelieren mit der arteriellen Mangeldurchblutung. Antikoagulanzien) und radiologisch-interventioneller (PTA, Stent)
Darüber hinaus besteht bei schlecht durchblutetem Wundgrund ein Verfahren stellen wir die Operationsindikation anhand des klinischen
deutlich höheres Infektrisiko. Stadiums (Kompensationsgrad), der psychosozialen Situation (Alter,
Diese Faktoren haben einen negativen Einfluss auf die verschie­ Beruf) und der Angiographie (Zustrom- und Abflussverhältnisse)
denen Phasen der Wundheilung und verzögern somit den Wundhei­ unter Berücksichtigung stattgehabter Voroperationen und der allge­
lungsprozess. meinen Operabilität (Begleiterkrankungen, lokale Infekte).
1.2 · Ursachen gestörter Wundheilung
 1

. Tab. 1.2 Ursachen chronischer Wunden . Tab. 1.3 Untersuchung einer chronischen Wunde

Ursachen Im Einzelnen Untersuchungs­ Im Einzelnen


schritt
Vaskuläre 4 Venöse Insuffizienz
Ursachen 4 Arterielle Insuffizienz (Arteriosclerosis Anamnese 4 Beginn, Lokalisation, Größe, Tiefe, Drainage,
obliterans, Thrombangitis obliterans, Infektion
Hypertonus) 4 Ursache
4 Antiphospholipidsyndrom 4 Vorbehandlungen (konservativ/chirurgisch)
4 Kryoglobulinämie 4 Gehstatus (Gehstrecke, Claudicatio inter­
4 Lymphstau (Elephantiasis) mittens)
4 Medizinische Vorgeschichte (Vor- und
Entzündung 4 Pyoderma gangraenosum
Nebenerkrankungen, v. a. Diabetes mellitus,
4 Necrobiosis lipoidica diabeticorum
chronische venöse Insuffizienz, Kollagen­
4 Periarteriitis nodosa
erkrankung, Sichelzellanämie)
4 Wegener-Granulomatose
4 Epidermale Narbeninstabilität Körperliche 4 Trophische Veränderungen
Untersuchung 4 Rekapillarisierung
Tumoren/ 4 Spinaliom/Marjolin-Ulkus
4 Hauttemperatur
häma­tologische 4 Basaliom
4 Sensibilität
Ursachen 4 Lymphome
4 Deformitäten/Fehlstellungen
4 Primäre Hauttumoren
4 Pulsstatus
4 Metastasen
4 Verschlussdrücke
4 Sichelzellanämie, Thalasämie
4 Venenstatus
4 Hyperkoagulation (z. B. Protein-C-Mangel)
Labor 4 Blutlabor
Physikalische 4 Verbrennung
4 Antibiogramm
Schädigung 4 Erfrierung
4 Elektrotrauma Apparative 4 Bildgebende Diagnostik (Röntgen, CT, MRT,
4 Chemikalien Diagnostik Szintigraphie)
4 Strahlung 4 Dopplersonographie
4 Drucknekrose 4 Angiographie
4 Dekubitus
4 neuropathische Ulzera

Infektion 4 Bakterien
4 Pilzinfektion . Tab. 1.4 Stadieneinteilung der arteriellen Verschlusskrankheit
4 Viren nach Ratschow-Fontaine
Sonstige 4 Lichen planus
Ursachen 4 Insektenbisse Stadium Kennzeichen
4 Medikamente (Ergotismus, Methotrexat etc.)
4 Selbstschädigung I 4 Stenose ohne klinisches Krankheitsbild

II IIa 4 Schmerzfreie Gehstrecke >100 m


4 Belastungsdekompensation bedingt Claudicatio-
in­termittens-Symptomatik (»Schaufensterkrank-
Ob postoperativ eine Antikoagulation (Heparin, Markumar) heit«)
oder Aggregationshemmung (ASS, Clopidogrel) indiziert ist, muss IIb 4 Claudicatio intermittens mit schmerzfreier Geh­
im Einzelfall interdisziplinär anhand der Gefäßsituation, der Kon­ strecke <100 m
traindikationen und der Kooperationsfähigkeit des Patienten geklärt
werden. III 4 Ruheschmerz

IV IVa 4 Trophische Störungen (z. B. trockene Nekrose)


4 Ruhedurchblutung nicht mehr ausreichend
1.2.2 Diabetische Ulzera IVb 4 Bei bakterieller Infektion entsteht eine feuchte
Gangrän
Diabetische Ulzera sind heute die häufigste Ursache für Amputa­
tionen an der unteren Extremität. Die Inzidenz bei Patienten mit
Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 beträgt etwa 2% pro Jahr. Die
durchschnittlichen Kosten für eine 2-jährige Behandlung belaufen Neuere Konzepte beziehen die neuropathische Komponente
sich auf 27.987 $ pro Patient. stärker mit ein. Danach führt die Sensibilitätsstörung der Füße zur
Diabetische Ulzera sind hauptsächlich neuropathischen Ur­ statischen Sinterung des Fußgewölbes (Charcot-Fuß) und über Mi­
sprungs. Weitere Risikofaktoren sind eine schlechte Stoffwechselein­ krotraumen zu Ulzerationen und Amputationen. Erst zweitrangig
stellung, Fußdeformationen (Charcot-Fuß), Hyperkeratosen, man­ wird die Vaskulopathie wirksam.
gelndes Problembewusstsein, arterielle Durchblutungsstörungen so­ Histopathologisch führen Einlagerungen von sauren Mukopo­
wie Übergewicht. Häufig sind Bagatellverletzungen an druck­belasteten lysacchariden in die Basalmembran der Arteriolen sowie Fibrinabla­
Gebieten des Fußes das auslösende Trauma, wobei das Krankheitsbild gerungen zu einer Diffusionsstörung für Sauerstoff und zu einer
des diabetischen Fußes sich in 6 Stadien einteilt (. Tab. 1.5). Permeabilitätsstörung für weitere Zellnährstoffe.
10 Kapitel 1 · Biologische Grundlagen der Wundheilung

kofaktoren. Ergänzend ist die Kompressionstherapie Mittel der


1 . Tab. 1.5 Stadien des diabetischen Fußes 1. Wahl. Die Wundbehandlung mit verschiedenen Verbandmateri­
alien ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Die operative The­
Stadium Kennzeichen rapie besteht in radikalem Débridement, Perforansligatur und ggf.
Venen-Stripping. Eine weitere Therapieoption stellt die subfasziale
1 Knochendeformationen und Hyperkeratosen ohne
Dissektion von Perforansgefäßen dar. Der Defektverschluss folgt den
Ulzerationen
allgemeinen plastisch-rekonstruktiven Grundsätzen.
2 Ulzerationen der Haut

3 Ulzerationen mit Sehnen- und Gelenkbeteiligung


1.2.4 Druckgeschwüre
4 Ulzerationen mit Knochenbeteiligung (Osteomyelitis)

5 Umschriebene Gangrän Dekubitalulzera sind das Resultat ischämischer Hautschädigungen


infolge anhaltender örtlicher Druckeinwirkung, vorwiegend über
6 Gangrän auf den gesamten Fuß übergreifend
Knochenvorsprüngen. Das Ausmaß der Gewebeschädigung ist von
der Größe des Auflagedrucks und der Zeit abhängig. Schon nach einer
Druckeinwirkung auf das Gewebe von 2 h kann es zu einer Gewebs­
Sollte eine konservative Therapie erfolglos verlaufen sein, ist so­ schädigung kommen. Überwiegend sind ans Bett gebundene Pa­
wohl eine ausführliche vaskuläre Diagnostik als auch die optimale tienten betroffen, die außerstande sind, ihr Gewicht zu verlagern.
Aufklärung der oft multimorbiden Patienten erforderlich. Der erste ­Eine Stadieneinteilung der Dekubitalulzera erfolgt nach Campbell
chirurgische Schritt besteht in einem radikalen Débridement. Ziel (. Tab. 1.6).
jeder chirurgischen Versorgung muss es sein, soweit möglich die
Ursache der Wundheilungsstörung zu beheben und dann in kurzer
Zeit eine effiziente Abheilung zu erreichen. 1.2.5 Strahleninduzierte Hautschäden
Ein Wundverschluss kann mittels konservativer Therapie, etwa
durch feuchte Wundbehandlung oder durch unaufwendige Verfah­ Strahlenulzera entstehen durch den akuten oder chronischen Effekt
ren wie die Spalthauttransplantation, nach vorheriger Wundkondi­ von ionisierenden Strahlen. Die Verletzung kann die Haut, darun­
tionierung erreicht werden. Eine stabile Weichteildeckung, v. a. in terliegendes Weichteilgewebe und sogar tieferliegende Strukturen
Belastungszonen an der unteren Extremität, erfordert häufig kom­ wie Knochen oder am Thorax die inneren Organe betreffen. Das
plexe Techniken, die von lokalen und regionalen Lappenplastiken Erythem der Haut ist die erste klinisch sichtbare Reaktion der Haut
bis hin zur mikrochirurgischen Gewebetransplantation reichen. Die auf eine Bestrahlung. Unterteilt man die Hautreaktionen nach Auf­
freie Gewebetransplantation ermöglicht auch den Verschluss von treten eines Erythems nach einer Einzeitbestrahlung von etwa
langzeitig bestehenden, tiefen Ulzera mit Deckung von freiliegenden 6,0 Gy, so ergibt sich folgender Ablauf:
Knochen, Nerven, Gefäßrekonstruktionen und Implantaten. 4 Früherythem: 1.–4. Tag post radiationem (p. r.),
4 Mittelerythem: 8.–22. Tag p. r.,
> Verglichen mit früher Amputation oder frustraner konser-
4 Spät- oder Hauptreaktion: 24.–51. Tag p. r.
vativer Behandlung ermöglicht dieses Konzept den Extre-
mitätenerhalt, was zu besseren Aussichten für die Rehabi-
Dieser Zeitablauf verändert sich bei fraktionierter Bestrahlung. Das
litation und erhöhter Lebensqualität führt.
Früherythem zeigt sich bei konventioneller Fraktionierung (Frakti­
Weitere Details zu Denervationen an der oberen und der unteren onsdosis 2,0 Gy) nicht, die erythematöse Reaktion tritt etwa nach
Extremität sind in 7 Kap. 47 zu finden. 3 Wochen ein. Hauptursache dieser Reaktionen sind die Störungen
der Gefäßphysiologie, insbesondere eine Vasodilatation.
Die klinische Hautreaktion setzt sich stets aus den Gefäßverän­
1.2.3 Chronisch venöse Insuffizienz derungen im Korium und den Veränderungen in der Epidermis zu­
sammen.
Die Prozesse bei der Entstehung des Ulcus cruris venosum finden
sich sowohl auf der makro- als auch der mikroangiopathischen Ebe­
ne des venösen Systems. Durch eine vermehrte venöse Gefäßfüllung . Tab. 1.6 Stadieneinteilung nach Campbell
und die damit verbundene Reduktion der Strömungsgeschwindig­
keit kommt es zu einer chronisch venösen Hypertonie. Proteine ge­ Stadium Kennzeichen
langen vermehrt transendothelial in die Peripherie. Die dadurch
I Druckläsion mit Erythem
bedingte Ödembildung führt zur Hypoxämie und schließlich zum
Absterben von vitalem Gewebe und somit zur Ausbildung des Ulcus II Rötung, Schwellung, Induration, Blasenbildung,
cruris. Zur Entstehung der chronisch venösen Insuffizienz bestehen Exkoriation
bis heute verschiedene pathogenetische Hypothesen: III Ulzeration mit freiliegendem Subkutangewebe
4 eingeschränkte Sauerstoffdiffusion sowie mangelnder Rück­
IV Ulzeration mit freiliegender Muskelfaszie
transport von interstitiellem Ödem in das Gewebe durch dicke
perivaskuläre Fibrinbeläge, V Nekrosen von Haut, Fett- und Muskelgewebe
4 Okklusion von Kapillaren durch Leukozyten (Mikrothromben). VI Beteiligung knöcherner Strukturen (Periostitis, Osteitis,
Osteomyelitis)
Nach einer umfangreichen Diagnostik zur differenzialdiagnos­
VII Wie VI; zusätzlich septische Komplikationen, patholo­
tischen Abgrenzung besteht die konservative Therapie in der Ver­ gische Frakturen, Luxationen, letale Verläufe
besserung der Blutflussgeschwindigkeit und Eliminierung von Risi­
1.2 · Ursachen gestörter Wundheilung
11 1
Epidermis Eingriff ausgelöst werden können. In der Regel sind bei Heilstö­
Unterteilt man die Hautreaktionen nach dem klinischen Bild, folgen rungen im Strahlenfeld plastisch-rekonstruktive Maßnahmen (Lap­
dem Erythem die durch eine Schädigung der Epidermis verursach­ penplastiken) notwendig.
ten Effekte:
4 Radiodermatitis sicca = trockene Schuppung, leichte epider­ Literatur
male Atrophie, Zellmangel im Stratum spinosum, Einstellung 7 Kap. 3.
der Funktion von Talg- und Schweißdrüsen sowie schwache Broughton G II, Janis JE, Attinger CE (2006) The basic science of wound hea-
entzündliche Infiltration im Korium (übliche Strahlenreaktion ling. Plast Reconstr Surg 117 (7 Suppl): 12S–34S
Efron PA, Moldawer LL (2004) Cytokines and wound healing: the role of cyto-
nach Hochvoltbestrahlung).
kine and anticytokine therapy in the repair response. J Burn Care Rehabil
4 Radiodermatitis acuta bullosa = Auftreten von flüssigkeitsge­
25 (2):149–160
füllten Blasen innerhalb der Epidermis und zwischen Epidermis Werner S, Grose R (2003) Regulation of wound healing by growth factors and
und Korium. Permeabilitätsstörungen der Gefäßplexus. cytokines. Physiol Rev 83 (3):835–870
4 Radiodermatitis acuta erosiva = exsudative Hautreaktion. Ver­
lust der epidermalen Deckung und hochgradige Veränderungen
am Korium.
4 Radiodermatitis acuta gangraenosa = schwerste Form, nekro­
tisches Ulkus.

Pathophysiologisch liegt diesen Prozessen eine Beeinträchtigung der


Proliferation in den germinativen Schichten mit fehlendem Zellnach­
schub aus dem Stratum basale (der Stammzellschicht) ins Stratum
spinosum zugrunde. Bei der schwersten Form führt die Gefäßschä­
digung im Stratum capillare zur umschriebenen Nekrose (radio­
genes Ulkus) mit schlechter Heilungstendenz.
Die radiogene Hautreaktion ist vom bestrahlten Volumen ab­
hängig. Die Strahlenempfindlichkeit der Haut variiert an einzelnen
Körperregionen. Besonders empfindlich sind Hautfalten, Hals, Beu­
geseiten der Gelenke.

Dermis
Die subkutane radiogene Fibrose ist die häufigste Nebenwirkung
einer modernen Strahlentherapie an der Haut. Sie ist durch eine
Verminderung des subkutanen Fettgewebes und eine Verstärkung
der kollagenen Elemente gekennzeichnet, sodass die Haut mit ihrer
Unterlage ihre Elastizität verliert und sich in eine derbe Narbenplat­
te mit Schrumpfungstendenz umwandelt.

Therapie der Hautreaktion


Während die Behandlung der frühen Hautreaktion während einer
Strahlentherapie mit Puder oder hydrophiler Pflegelotion zur Stan­
dardtherapie in der Radioonkologie gehört, ist die Therapie chro­
nischer Strahlenreaktionen mit epidermaler Instabilität oder Ulze­
ration schwierig und oft nur mit plastischer Weichteildeckung aus
unbestrahlten Nachbarregionen in Fachkliniken erfolgreich.
Das früher ausgesprochene Waschverbot bestrahlter Haut ist
nicht mehr gerechtfertigt. Jedoch ist darauf zu achten, dass eine mo­
derate Temperatur eingehalten wird und dass Hautirritationen beim
Waschen (Seife) und auch beim Trocknen vermieden werden müs­
sen. Speziell im Genitalbereich haben sich Sitzbäder zur Vorbeugung
ausgedehnter Hautreaktionen bewährt. Allerdings ist bei exsuda­
tiven Hautreaktionen auf ungehinderte Luftzirkulation und die Ver­
meidung von die Bestrahlungsfelder abdeckenden Verbänden, Klei­
dungstücken usw. zu achten. Mechanische Irritationen sind generell
zu vermeiden.
Operative Eingriffe im Bestrahlungsgebiet sollten, wenn über­
haupt erforderlich, zur Vermeidung von Wundheilungsstörungen
möglichst erst 4–6 Wochen nach Strahlentherapieende erfolgen. Sie
sind – unter Inkaufnahme eines höheren Wunddehiszenzrisikos –
auch eher möglich. In chronisch veränderter Haut müssen chirur­
gische Maßnahmen mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden.
Das gilt auch für chronische Bindegewebsnarben nach Bestrahlung,
bei denen chronische Ulzerationen u. U. erst durch den operativen
2

Grundlagen der Wundbehandlung


M. Aust

2.1 Wundauflagen und Externa – 14


2.1.1 Interaktive Verbände – 14

2.2 Autologer und biologischer Hautersatz – 16

2.3 Vakuumtherapie – 16

2.4 Narben – 16
2.4.1 Differenzialdiagnose – 16
2.4.2 Therapeutisches Vorgehen – 17

2.5 Antibiotika – 17

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
14 Kapitel 2 · Grundlagen der Wundbehandlung

Modernes Wundmanagement umfasst nicht nur die Versorgung der


Wunde, sondern beinhaltet auch die Vernetzung von Ärzten und Anforderungen an einen optimierten Wundverband
Pflegeinrichtungen, medizinischen Diensten, Pflegediensten und 4 Beschleunigung des Wundheilungsprozesses
2 Kostenträgern. Aktuelle Therapiekonzepte, insbesondere die feuch-
te Wundbehandlung, beschleunigen die Wundheilung, reduzieren
4 Reduktion von Schmerz und Juckreiz
4 Aufnahme von Wundexsudat ohne Austrocknung
Schmerzen und eröffnen erhebliche finanzielle Einsparpotenziale. 4 Nichtallergenes, gut verträgliches Material
Das migrative und proliferative Verhalten von Zellen ist ent- 4 Vermeidung der Traumatisierung der Wunde beim Verband-
scheidend vom Wundmilieu abhängig. 1962 erkannte Winter, dass wechsel
eine feuchte Wundbehandlung bei sekundären Wunden zu einem 4 Schutz vor physikalischen, chemischen und mikrobiellen
beschleunigten Heilungsverlauf führt. Inzwischen ist die feuchte Belastungen
Wundbehandlung als moderne Wundversorgung für sekundäre 4 Anpassung an die Wundheilungsphasen
Wunden als lege artis anerkannt. 4 Einfache Handhabung
Bei der Wundversorgung ist es essenziell, ein für alle Phasen 4 Biologische Verträglichkeit
der Wundheilung günstiges feuchtes Wundmilieu zu schaffen und
dieses auch aufrechterhalten. Das Prinzip der modernen feuchten
Wundbehandlung liegt in der Förderung der Autolyse (Selbstreini- Bei der unterschiedlichen Kausalgenese und Beschaffenheit von
gung), zellulärer Infekthemmung, Proliferation (Gewebeersatz) und Wunden liegt es aber nahe, dass nicht eine einzelne Wundauflage
Schmerzminderung. Bei der Autolyse kommt es durch die Aktivie- allen therapeutischen Anforderungen gerecht werden kann. Die
rung körpereigener – vorwiegend eiweißspaltender (proteolytischer) grundlegenden Anforderungen an ein erfolgreiches Wundmanage-
– Enzyme (z. B. Matrixmetalloproteinasen, Plasminogenaktivator- ment sind in der . Übersicht dargestellt.
komplex) zur Selbstreinigung der Wunde. Durch Aktivierung von
Granulozyten sowie des Monozyten-Makrophagen-Systems zur Be-
Anforderungen an ein zeitgemäßes Wundmanagement
kämpfung pathogener Mikroorganismen wird die zelluläre Infekt-
hemmung gefördert. Anschließende Angioneogenese und Fibroge- 4 Diagnose, Differenzialdiagnose
nese unterstützen die Proliferation. Schmerzlinderung wird durch 4 Klärung und ggf. Substitution des Ernährungsstatus
eine Minimierung der Freisetzung von Mediatoren und eine exsuda- 4 Entscheidung konservative/operative/kombinierte Therapie
tive (»feuchte«) Ummantelung freier Nervenendigungen erreicht. 4 Grundsätzliche Therapieentscheidung (lokal/intern/kombi-
niert)
4 Erkennung und Förderung von Ressourcen und Mobilität
2.1 Wundauflagen und Externa 4 Gegebenenfalls physiotherapeutische Förderung und
Aktivierung
Eine Standardisierung der Behandlung auf evidenzbasierten Grund- 4 Berücksichtigung von Alter und allgemeinem Gesundheits-
lagen sichert die Qualität der Behandlung. Prinzipiell erfolgt die zustand
Einteilung der Wundauflagen nach ihrem Wirkungsprinzip in pas- 4 Berücksichtigung der sozialen Situation
sive und aktive Verbände. 4 Erkennen und Behandlung möglicher Faktoren für
Die passive Wundauflage hat vornehmlich eine gute Saugkraft ­Wundheilungsstörungen (Medikamente, Suchtmittel,
zu bieten, sie bestehen meist aus Mull, Vlies oder ähnlichen saugfä- Begleit­erkrankungen u. a.)
higen Stoffen. Das enorm erweiterte Grundlagenwissen zu Physio- 4 Dokumentation
logie und Pathophysiologie der Wundheilung hat in den letzten
Jahrzehnten zur Entwicklung von Wundauflagen geführt, die über
die klassischen Funktionen hinaus zusätzliche Behandlungsopti-
onen eröffnen. So stellt im Gegensatz zur passiven die aktive Wund- 2.1.1 Interaktive Verbände
auflage die Schaffung eines feuchten Wundmilieus durch Okklusion
und Interaktion von Verbandsstoff und Wunde sicher. Eine Vielzahl moderner interaktiver Verbände, die ihre unterschied-
Die Kriterien für die aktive Form der Wundauflage sind einer- liche Wirkung in der jeweiligen Heilungsphase zeigen, ist verfügbar
seits die Schaffung eines feuchten Klimas zur Zellmigration, -proli- (. Tab. 2.1):
feration und -differenzierung, Neovaskularisation, autolytisches 4 Wundfüller: Alginate, Hydrofaser, Hydrogele,
Débridement und Absorption des Wundexsudates. Zum anderen 4 Absorber: Aktivkohleverbände,
sind Gewährleistung des Gasaustauschs, thermische Isolation der 4 Wundabdeckungen: Folien, Hydrokolloide, Schaumstoffe, Ak-
Wunde sowie mechanischer und mikrobiologischer Schutz essen­ tivkohleverbände, Silberverbände.
ziell. Ein geringes allergenes Potenzial, atraumatisches Entfernen des
Verbandsstoffs und eine für den Klinikalltag einfache, zeit- und kos­ Alginate
tensparende Handhabung stellen weitere Qualitätsmerkmale dar. Wegen ihres blutstillenden Effektes und ihrer guten Wundreinigung
Die Anwendungsbereiche von Wundverbänden betreffen so- werden Alginate vorwiegend bei blutenden oder fibrinös belegten
wohl akute als auch chronische sekundäre Wunden. Allgemein las- oberflächlichen und tiefen Wunden eingesetzt. Sie bestehen aus Po-
sen sich die Ziele eines optimierten Wundverbandes wie in der lysacchariden (meist Meeresalgen), besitzen die Wirkungsweise
. Übersicht gezeigt definieren. eines Ionenaustauschers und können Wasser bis zum 20-Fachen des
Eigengewichts aufnehmen. Dieser Wundfüller besitzt die Möglich-
keit, Mikroorganismen und Zelltrümmer der Wunde einzuschließen
und unterstützt damit die Wundreinigung.
4 Präparate: z. B. Algisite M, Kaltostat Tamponade.
2.1 · Wundauflagen und Externa
15 2

. Tab. 2.1 Wundauflagen und Salben

Präparat Indikationen

Wundauflagen Kalziumalginat mit Silber (»Silvercel«) 4 Infizierte, chronische und infektionsgefährdete Wunden
4 Zum Austamponieren bei tiefen, nässenden Wunden

Silberaktivkohleauflage (»Actisorb silver«) 4 Infizierte, chronische sekundär heilende Wunden mit stärkerer Sekretion
4 Geruchsintensive Wunden, z. B. bei Tumoren

Proteasemodulierende Matrix (»Promogran«) 4 Chronische, nichtinfizierte Wunden

Proteasemodulierende Matrix (»Promogran 4 Chronische sekundär heilende Wunden mit Schutz vor Reinfektionen
Prisma«)

Hydrokolloide (»Suprasorb H«) 4 Nichtinfizierte chronische Wunden


4 Oberflächliche Verbrennungen/Verbrühungen
4 Als Sekundärverband bei sauberen Wundverhältnissen

Kalziumalginat (»Suprasorb A«) 4 Nicht infizierte, chronische Wunden/Wundhöhlen

Hydrogel (»Varihesive«) 4 Nekrotische Wunden zur Autolyse

Folienverband (»Suprasorb F«) 4 Tangentielle oberflächliche Hautwunden zur Sekundärheilung

PU-Schaum (»Mepilex/Mepilex border«) 4 Sekundärverband bei allen infizierten oder stark nässenden Wunden

Salben Repithel Hydrogel 4 Chronische, infizierte Wunden


4 Spalthauttransplantate
4 Epithelisierende Wunden

Braunovidon-Salbe 4 Infizierte Wunden


4 Bei gefährdeten Wunden zur Infektionsprophylaxe

Panthenol-Salbe 4 Fetten nach Transplantationen


4 Hautpflege

Lavasept-Gel 4 Antiseptikum, z. B. bei frischen Verbrennungen/Verbrühungen

Hydrofaserverbände Hydrokolloide
Diese Verbände werden aufgrund ihrer Schutzfunktion am Wund- Die ältesten Vertreter der »modernen feuchten Wundbehandlung«
rand bei stark exsudierenden, eher geringer belegten, oberfläch- sind die Hydrokolloide. Sie bestehen aus einem Polyurethanfilm,
lichen und tiefen Wunden mit aufgequollener Wundumgebung ein- auf den eine selbstklebende Hydrokolloidmasse aufgebracht ist. In-
gesetzt. Hauptbestandteil sind Makromoleküle aus Nariumkarboxy- haltsstoffe wie z. B. Karboxymethylzellulose, Pektin, Karajagummi
methylzellulose. Nach Wundkontakt kommt es zur sofortigen oder Gelatine sind in einer Trägersubstanz aus synthetischen Kaut­
­Quellung und Gelbildung (»Instantgele«). Das Gel ist durchschei- schukarten wie Polyisobutylen eingebettet. Die Exsudataufnah-
nend und bleibt formstabil. Wundrand und Wundumgebung blei- me führt zu (langsamer) Quellung und bildet ein feuchtes, zäh­
ben trocken. flüssiges Gel. Dieses Gel muss bei jedem Verbandswechsel entfernt
4 Präparat: z. B. Aquacel Kompresse. werden.
Hydrokolloide werden bei gering bis maximal mäßig exsudie-
Hydrogele renden, oberflächlichen, granulierend-epithelisierenden Wunden,
Hydrogele werden vorwiegend bei fibrinös belegten und trockenen, zunehmend auch bei Fingerkuppendefekten, sowie als Hautschutz
oberflächlichen und tiefen Wunden eingesetzt. Sie weisen einen ho- bei Vakuumtherapie oder zur Dekubitusprophylaxe eingesetzt.
hen Wassergehalt auf (60–95%). Dadurch besteht die Möglichkeit 4 Präparate: z. B. Hydrocoll, Varihesive.
der Rückfeuchtung und Feuchthaltung der schwach exsudierenden
Wunde; dies unterstützt somit die autolytische (=Selbst-)Reinigung. Schaumstoffverbände
4 Präparat: z. B. Hydrosorb. Aus geschäumtem Polyurethan bestehend, nehmen sie Exsudat mit-
tels Kapillarkräften auf und können bis zum 20- bis 30-Fachen ihres
Folienverbände Eigengewichts an Exsudat tragen. Wundseitig besitzen sie eine fein-
Diese Verbände werden bei Bagatellwunden zur kurzzeitigen Abde- porige Struktur, teilweise thermogeglättet oder foliert, um das Risiko
ckung (Hygienemaßnahme u. Ä.) bei der Vakuumbehandlung der Verklebung mit dem Wundgrund zu verringern. Sie finden ihre
(VAC-Therapie; 7 Kap. 2.3) und ggf. für Spalthautentnahmestellen Anwendung bei gering bis stark exsudierenden, oberflächlichen,
eingesetzt. Sie finden sowohl bei oberflächlichen und auch tiefen feuchten bis nassen Wunden.
Wunden Verwendung. Die semipermeable, dünne, transparente 4 Präparate: z. B. Allevyn adhesive, Suprasorb P, Epigard.
Membran aus Polyurethan verhindert das Eindringen von Mikroor-
ganismen und Flüssigkeiten. Ein Gasaustausch ist abhängig von der
Permeabilität unterschiedlich stark möglich.
4 Präparate: z. B. Suprasorb, Tegaderm.
16 Kapitel 2 · Grundlagen der Wundbehandlung

2.2 Autologer und biologischer Hautersatz 2.4 Narben


Der Ersatz zerstörter Haut bei großflächigen Verletzungen oder Ver- Überschießende Narbenbildung ist eine häufige Ursache für plas­
2 brennungen ist nach der Wundreinigung oder -konditionierung die
Endstrecke des operativen Therapiekonzeptes. Je nach Tiefe der Ver-
tisch-chirurgische Sekundäreingriffe oder erfordert zumindest eine
systematische Therapie. Auslöser sind ungeklärte immunologische,
letzung bedarf es dabei der Rekonstruktion epithelialer oder zusätz- genetische oder primäre exogene Störfaktoren wie instabile Wund-
lich dermaler Anteile. verhältnisse und Infektionen, Gewebstraumatisierung oder auch
Die autologe Spalthauttransplantation kann als Goldstandard falsche Inzisionstechniken. Wirken diese Störfaktoren auf den Hei-
für die Deckung großflächiger Defekte bezeichnet werden. Sie setzt lungsprozess ein, können durch die Protrahierung der inflamma­
jedoch einen ausreichend vaskularisierten Wundgrund voraus. torischen oder Remodellierungsphase ästhetisch oder funktionell
Eine virtuelle Vergrößerung der Spalthaut durch die Verarbei- störende Narben entstehen. Nicht nur ist dabei das dermale Narben-
tung zu Maschen- oder Inseltransplantaten ermöglicht die Deckung bild durch hypertrophe und ungeordnete Kollagenmuster charak­
großflächiger Defekte. Je nach Lokalisation der Wunde kann der terisiert, sondern auch unreife Formen der Epithelisierung sind die
Einsatz von Dermisersatzmaterial sinnvoll sein. Verschiedenen Folge. Sekundäre Kontrakturen induzieren Funktionseinschränkun­
Therapieoptionen mittels autologem und biologischem Hautersatz gen (z. B. über Gelenken). Die Ursachen für die Entstehung hyper-
werden in 7 Kap. 69 (»Verbrennungsverletzungen«) eingehend be- tropher Narben und/oder Keloide zeigt die . Übersicht.
handelt.
Entstehungsursachen hypertropher Narben/Keloide
2.3 Vakuumtherapie 4 Trauma (mechanisch, chemisch, thermisch)
4 Dermatologische Erkrankungen (z. B. Erkrankungen der
> Die Vacuum-assisted-closure- (VAC-)Therapie gilt heute Hautanhangsgebilde)
als unverzichtbarer Bestandteil einer offen geführten 4 Organstörungen
Wundreinigung, Ödemreduktion und temporären 4 Infektionen, organische Erkrankungen
Wundokklusion. 4 Genetische Ursachen

Das System beruht auf der Anwendung subatmosphärischen Drucks


auf der Wundoberfläche. Der offenporige Schwamm verteilt flächig Eine hypertrophe Narbe beinhaltet eine benigne, auf die Wunde be-
eine Sogwirkung auf die gesamte Wundoberfläche. Damit keine Umge­ grenzte Gewebshypertrophie. Im Gegensatz dazu dehnt sich beim
bungsluft angesaugt werden kann, wird die Wunde durch eine wasser­ Keloid der Prozess auf die gesunde Umgebung mit ungehemmtem
undurchlässige, transparente und keimdichte Polyurethanfolie abge- Wachstum aus.
klebt. Die Dichtigkeit des Verbandes ist unabdingbar, werden doch Die Inzidenz bei dunkelhäutigen Populationen liegt zwischen
sonst die Keime durch Umgebungsluft durch den Verband gefiltert. 5 und 20%. Kaukasier und Albinos sind deutlich seltener betroffen.
Es kommt darunter zur Ödemreduktion, Angioneogenese und Vorwiegend entstehen sowohl hypertrophe Narben als auch Keloide
Neubildung von Granulationsgewebe. Die so geschaffene Kondi­ zwischen dem 15. und dem 30. Lebensjahr. Frauen sind im Verhält-
tionierung ermöglicht ein sauberes Wundbett für die spontane nis 3:1 häufiger betroffen als Männer.
Epithelisierung oder plastisch-chirurgische Sekundäreingriffe. Die Obwohl die Ursachen noch nicht völlig geklärt sind, gilt es als
Qualität der Wundheilung ist abhängig vom Ausmaß der Schädi- gesichert, dass lokal wirkende Faktoren genauso wie auch endogene
gung sowie von örtlichen und allgemeinen Faktoren. Eindeutig be- und exogene Faktoren für die Ausbildung verantwortlich sind. Es
legte Vorteile der Vakuumtherapie (VAC) sind in der . Übersicht wurde beschrieben, dass ein Trauma das auslösende Moment bei der
genannt. Keloidgenese darstellt. Meist sind mechanische, thermische oder
chemische Schädigungen sowie Verbrühungen, Acne vulgaris, Ex-
koriationen, Tätowierungen, Fremdkörper, Injektionen, Bisswun-
Vorteile der Vakuumtherapie (VAC)
den und chirurgische Manipulationen als Auslöser in der Literatur
4 Stimulation des Wundheilungsprozesses erwähnt.
4 Reinigung der Wunde Es sind vorwiegend pigmentierte Körperstellen betroffen, wobei
4 Keimdichter, geruchsneutraler Wundverband dies mit einer Störung des melanozytenstimulierenden Hormons
4 Verhinderung der Durchfeuchtung oder Mazeration in der (MSH) in Zusammenhang gebracht wird. Bestimmte Körperregio­
Wundperipherie nen, die unter einer erhöhten Hautspannung stehen (z. B. Brust oder
4 Transparenz des Verbandes – und damit kontinuierliche Rücken), sind häufiger betroffen. Auch immunologische Reaktionen
klinische Kontrolle der umgebenden Haut können bei der Entstehung von Keloiden eine wesentliche Rolle
4 Verbandswechsel nur alle 2–4 Tage ­spielen.
4 Mobilisierbarkeit des Patienten
4 Einfache und sichere Handhabung
4 Anwendung sowohl im stationären wie auch ambulanten 2.4.1 Differenzialdiagnose
Bereich möglich
Die Differenzialdiagnose zwischen hypertropher Narbe und Keloid
wird klinisch gestellt. Bei der hypertrophen Narbe wird der Nar-
Risiken des Verfahrens sind die Infektexazerbation bei unzurei- benrand nicht überschritten, und sie bildet sich meistens nach 6–
chendem Primär-Débridement, Protrahierung des plastisch-chirur- 12 Monaten spontan zurück.
gischen Sekundäreingriffs sowie Blutungsgefahr bei Verwendung in Keloide hingegen respektieren den Wundrand nicht und wach-
Gefäßnähe. sen darüber hinaus. Sie heilen nicht, sondern verhalten sich wie ein
2.5 · Antibiotika
17 2

. Tab. 2.2 Behandlungsoptionen hypertrophe Narbe/Keloid

Präventiv Therapeutisch

Hypertrophe Narbe 4 Atraumatische Gewebebehandlung 4 Kompressionstherapie


4 Immobilisierende Steristrips, ggf. Schienen 4 Steroid-Silikon-Externa
4 Intraläsionale Kryotherapie
4 Bestrahlung
4 Laser-Therapie
4 Chirurgische Intervention (bei erfolgloser konservativer Therapie)

Keloid 4 Atraumatische Gewebebehandlung 4 Kompressionstherapie


4 Immobilisierende Steristrips, ggf. Schienen 4 Steroid-Silikon-Externa
4 Intraläsionale Kryotherapie
4 Bestrahlung
4 Laser-Therapie
4 Intraläsionale Exzision (bei erfolgloser konservativer Therapie)

bindegewebiger Tumor. Da es sich um eine multifaktorielle Erkran- 2.5 Antibiotika


kung handelt und die chirurgische Intervention oft mit frustranen
Ergebnissen für den Patienten und Operateur verbunden ist, emp- Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
fiehlt sich ein systematisches Vorgehen mit primär konservativen und des Paul-Ehrlich-Instituts des Bundesgesundheitsamtes besteht
Maßnahmen. Erst wenn diese keinerlei Erfolg gezeigt haben, sollte eine differenzierte Indikationsstellung hinsichtlich der Auswahl der
ein plastisch-chirurgischer Eingriff in Betracht gezogen werden. Antibiotika und der Applikation als einmalige (»single shot«) oder
mehrfache Gabe (bis 3 Tage). Eine präoperative Antibiotikagabe ist
nur bei klinisch manifesten oder vermuteten Infektionen (Weichteil­
2.4.2 Therapeutisches Vorgehen infekte, Pneumonie) indiziert. Die Wahl des Antibiotikums richtet
sich dabei nach der Art der vermuteten oder nachgewiesenen Keim-
Der Entstehung hypertropher Narben sollte präventiv bereits wäh- gruppe.
rend der Entstehungsphase begegnet werden. Atraumatische Ge­
> Eine generelle Antibiotikaprophylaxe sollte wegen des
webebehandlungen bereits bei der Hautnaht, Anwendung von im­
Risikos einer Resistenzentwicklung multiresistenter Bakte-
mobilisierenden Steristrips, ggf. Schienen sowie eine konservative
rien und der Gefahr von Mykosen (Gastrointestinaltrakt,
Therapie bei geringsten Anzeichen für eine Hypertrophieneigung
Atemwege) nicht erfolgen.
stellen die Basisprävention dar. Kompressionstherapie mit Steroid-
oder Silikonexterna, intraläsionale Kryotherapie, Bestrahlung oder Indikationen für eine Single-shot-Gabe bestehen im eigenen Vorge-
Lasertherapie bilden weitere Therapieelemente. hen bei hochelektiven Eingriffen mit i.v. Gabe eines 2.-Generations-
Die Therapie sollte über einen Zeitraum von mehreren Monaten Cephalosporins 30 min vor dem Eingriff (Handchirurgie, Mam-
durchgeführt werden. Die Behandlungsoptionen sind in . Tab. 2.2 maimplantate oder bei großen Weichteileingriffen).
dargestellt. Die intraläsionale und topische Applikation von Stero-
iden kann sowohl in der frühen Phase als auch in der Rückbildung Literatur
älterer Keloide durchgeführt werden. Bei der Kompressionstherapie 7 Kap. 3.
ist ein Druck von 20–25 mm Hg für die Dauer von mindestens
12 Monaten nötig. Die Kryotherapie sollte frühzeitig begonnen und
in Kombination mit Lokalapplikation von Steroiden eingesetzt wer-
den. Als neuere effektive Methode hat sich die intraläsionale Kryo-
therapie mittels zentraler Stickstoffvereisung bewährt. Sollten sich
Patient und betreuender Arzt für eine Bestrahlung zur Rezidivpro-
phylaxe entscheiden, muss diese fraktioniert in einer Gesamtdosis
von 10–12 Gy, meist in Verbindung mit einer chirurgischen Exzi­
sion, verabreicht werden.
Erst nach erfolgloser konservativer Therapie steht die chirur-
gische Intervention. Hier zeigt sich die Wahl des Operationszeit-
punktes als überaus wichtig. Die Narbenrevision sollte erst nach ei-
ner abgeschlossenen Narbenreifungsphase (>12 Monate) erfolgen.
Die intraläsionale Exzision durch einen erfahrenen Chirurgen sollte
hier im Vordergrund stehen und immer mit einer adäquaten post­
operativen Therapie einhergehen. Geeignete Techniken zur Ver­
änderung der Narbenzugrichtung sind Z- oder W-Plastiken, wobei
diese das Risiko einer weiteren Keloidbildung in den neuen Inzisi-
onen in sich bergen.
3

Patientenvorbereitung und
-nachbehandlung,
inkl. interdisziplinäres postoperatives
Schmerztherapiekonzept
M. Aust, B. Weyand, C. Radtke, A. Jokuszies

3.1 Routineuntersuchungen – 20

3.2 Präoperative Routineschemata bei Elektiveingriffen – 20

3.3 Medikamentöse Vorbehandlung mit Antikoagulanzien – 20


3.3.1 Venöse Thromboembolieprophylaxe (VTE-Prophylaxe) – 21
3.3.2 VTE-Prophylaxe nach Körperregionen und Risikofaktoren – 23
3.3.3 Dauer der VTE-Prophylaxe – 23
3.3.4 Verbrennungen – 24
3.3.5 Plastisch-ästhetische Eingriffe – 24

3.4 Patientenaufklärung – 25

3.5 Nahrungskarenz – 25

3.6 Darmentleerung und Harnableitung – 25

3.7 Rasieren – 25

3.8 Lagerung, Desinfektion und Abdecken – 25

3.9 Hämodilution und Eigenblutspende – 25

3.10 Interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept – 26


3.10.1 Rechtliche Grundlage – 26
3.10.2 Präoperative Information des Patienten – 26
3.10.3 Schmerzprophylaxe – 26
3.10.4 Postoperative Regionalanästhesie – 26
3.10.5 Medikamentöse Therapie – 26
3.10.6 Unterstützende Maßnahmen – 28
3.10.7 Perioperative Schmerztherapieempfehlungen für Erwachsene – 28

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
20 Kapitel 3 · Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept

3.1 Routineuntersuchungen 3.2 Präoperative Routineschemata


bei Elektiveingriffen
Für die Erkennung von latenten und manifesten Vorschäden sind
eine genaue Anamneseerhebung, gezielte Befragung und die allge­ Kleiner Eingriff
meine klinische Untersuchung wichtig. Hier sind z. B. Karpaltunnelsyndrom, Ringbandspaltung (. Tab. 3.2)
Routinemäßige Basisuntersuchungen dienen der Sicherheit der zu erwähnen.
3 Patientenbehandlung und sollten zur Erleichterung des Arbeitsab­ 4 Laboruntersuchungen: Bei sehr jungen gesunden Patienten
laufs je nach Schweregrad des geplanten operativen Eingriffs sche­ nicht erforderlich, ansonsten immer Hämoglobin, Thrombo­
matisiert erfolgen (7 Kap. 3.2; . Tab. 3.1). Parameter hierfür sind zytenzahl, Gerinnungsfaktoren (PTT, Quick-Wert).
neben dem Alter des Patienten auch dessen allgemeiner Gesund­ 4 Weitere Untersuchungen lediglich bei auffälliger Anamnese
heitszustand. Aufbauend auf den routinemäßigen Basisuntersuchun­ (Infektion, Gerinnungsstörung, Allgemeinerkrankung).
gen werden natürlich gezielte Erkrankungs- oder situationsorien­ 4 Thoraxröntgenaufnahme: Bei Patienten >60 Jahren, bei Dys­
tierte Spezialuntersuchungen individuell durchgeführt. pnoe, Zyanose, pathologischem Auskultationsbefund und auf­
Eine Grundlage der perioperativen Risikobeurteilung stellt die fälliger Anamnese.
ASA-Klassifikation dar (. Tab. 3.2). Diese beschreibt in einfacher 4 EKG: Bei Patienten >40 Jahren, sonst bei auffälliger Anamnese,
Form den Allgemeinzustand des Patienten, ohne das Alter und den pathologischem Auskultationsbefund; immer 12-Kanal- mit
geplanten chirurgischen Eingriff zu berücksichtigen. Obwohl pri­ Standard- und Brustwandableitung.
mär nicht als Risiko-Score eingeführt, zeigten sowohl prospektive als
auch retrospektive Untersuchungen eindeutige Zusammenhänge Mittelgroßer Eingriff
mit den postoperativen Komplikationen und der perioperativen Le­ Mittelgroße Eingriffe sind z. B. Mammareduktion, gestielte Lappen­
talität. So erfordert ein ASA-III-Status in der Regel eine postopera­ plastiken (. Tab. 3.2).
tive Überwachung. 4 Laboruntersuchungen: Kleines Blutbild, CRP, Elektrolyte und
Harnstoff im Serum, Urinstatus, Glukose im Serum, Leberen­
zyme, Bilirubin, kleiner Gerinnungsstatus und Blutgruppe.
. Tab. 3.1 Beispiele für die Größe der Eingriffe in der Plastischen 4 Thoraxröntgenaufnahme in 2 Ebenen bei Patienten >40 Jahren.
Chirurgie 4 EKG: Standard- und Brustwandableitung.
Größe des Beispiele Großer Eingriff
Eingriffs
Große Eingriffe sind z. B. freie Lappen, Thoraxwandeingriffe, gro­ßer
Kleiner Eingriff 4 Karpaltunnelsyndrom Weichteileingriffe.
4 Ringbandspaltung 4 Laboruntersuchungen: Kleines Blutbild, CRP, Elektrolyte,
4 Frakturversorgung an den Händen Harnstoff, Kreatinin im Serum, Urinstatus, Glukose im Serum,
4 Kleine Hautlappenplastik an Extremitäten Leberenzyme, alkalische Phosphatase, CHE, Bilirubin, LDH,
Mittlerer Eingriff 4 Mammareduktionsplastik Gesamteiweiß, Gerinnungsstatus, Blutgruppe (mit Bereitstel­
4 Abdominoplastik lung von Blutkonserven).
4 Operation bei Handphlegmone 4 Thoraxröntgenaufnahme in 2 Ebenen.
4 Fasziektomie bei M. Dupuytren 4 EKG: Standard- und Brustwandableitung.
4 Gestielte (Muskel-)Lappenplastiken 4 Echokardiographie: Bei kardialer Anamnese.
4 Nekrektomie bei Verbrennungen <15% KOF 4 Lungenfunktionsprüfung: Bei Lungen- oder Herzerkrankung.
Großer Eingriff 4 Freie Lappenplastiken
4 Thoraxwandeingriffe
4 »Total body lift« nach Lockwood 3.3 Medikamentöse Vorbehandlung
4 Nekrektomie bei Verbrennungen >15% KOF mit Antikoagulanzien
Sofern von Seiten der Erkrankung, die eine Antikoagulation er­
. Tab. 3.2 ASA-Klassifikation zur perioperativen Risikobeurteilung fordert, vertretbar, sollte bei Kumarin-Behandlung der Quick-Wert
auf mindestens 70–75% eingestellt werden. Risikopatienten (z. B.
ASA- Kennzeichen Thrombosepatienten) mit Dauerantikoagulationstherapie werden
Klassifikation präoperativ auf niedermolekulares Heparin eingestellt. Dies ermög­
licht eine weitgehend gefahrlose Operation. Postoperativ sollte bald­
ASA I Gesunder normaler Patient möglichst zur präoperativen Behandlung zurückgekehrt werden.
ASA II Patient mit leichter Allgemeinerkrankung Als eine Alternative zur Gabe von unfraktioniertem Heparin gilt
die Gabe von niedermolekularem Heparin, das gewichtsadaptiert
ASA III Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung und
1–2× täglich subkutan appliziert wird. Ein Risiko besteht bei Nieren­
Leistungseinschränkung
insuffizienz mit Kumulation des Wirkstoffs und unkontrollierbarer
ASA IV Patient mit lebensbedrohlicher Allgemein­ Blutungsneigung.
erkrankung Eine zunehmende Zahl älterer Patienten führt lebenslang eine
ASA V Moribunder Patient, Tod innerhalb von 24 h mit Thrombozytenaggregationshemmung durch. Dazu stehen zzt. 2 Me­
oder ohne Operation zu erwarten dikamentengruppen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur
Verfügung: Während Azetylsalizylsäure (ASS) eine irreversible
ASA VI Patient mit festgestelltem Hirntod, dessen
Organe zur Organspende entnommen werden
Hemmung in der Thromboxansynthese des Thrombozyten bewirkt,
handelt es sich bei Ticlopidin und dem Nachfolgeprodukt Clopido­
3.3 · Medikamentöse Vorbehandlung mit Antikoagulanzien
21 3

. Tab. 3.3 Risikogruppen und Häufigkeiten von VTE (AWMF-Leitlinie)

VTE-Risiko Distale Beinvenenthrombose Proximale Beinvenenthrombose Tödliche Lungenembolie

Niederiges VTE-Risiko <10% <1% <0,1%

Mittleres VTE-Risiko 10–40% 1–10% 0,1–1%

Hohes VTE-Risiko 40–80% 10–30% >1%

grel (Plavix) um Adenosindiphosphat- (ADP-) Antagonisten. Es


besteht bei diesen Substanzen keine Möglichkeit der Antagonisie­ . Tab. 3.4 Beispielhafte Risikokategorien (abgeleitet nach ACCP
rung, was zur Folge hat, dass eine Normalisierung der Blutungszeit 2004; Geerts et al. 2004)
in der Regel nach 7 Tagen, also erst mit der Thrombozytenreplika­
tion, erfolgt. VTE-Risiko Operative Medizin
Bei Notfalloperationen bei Patienten mit Thrombozytenaggre­
Niedriges 4 Kleine operative Eingriffe
gationshemmertherapie kann eine Verkürzung der Blutungszeit
VTE-Risiko 4 Verletzung ohne oder mit geringem Weichteil-
durch die intraoperative Gabe von Desmopressin erreicht werden. schaden
4 Kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositio-
nelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risiko­
3.3.1 Venöse Thromboembolieprophylaxe kategorie
(VTE-Prophylaxe)
Mittleres 4 Länger dauernde Operationen
VTE-Risiko 4 Gelenkübergreifende Immobilisation der unteren
Eine konkrete Empfehlung zur perioperativen Thromboembolie­ Extremität im Hartverband
prophylaxe in der Plastischen Chirurgie in Deutschland gibt es bis 4 Arthroskopisch assistierte Gelenkchirurgie an der
dato nicht. Die zunehmende Komplexität mikrochirurgisch-rekon­ unteren Extremität
struktiver Eingriffe und der medizinisch-technische Fortschritt mit 4 Kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositio-
hieraus resultierendem Anstieg des Lebensalters und der Komorbi­ nelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risiko­
ditäten verdeutlicht die Wichtigkeit der Thromboembolieprophyla­ kategorie
xe für die Plastische Chirurgie. Hohes 4 Größere Eingriffe in der Bauch- und Beckenregion
Mit der aktualisierten S3-Leitlinie zur Prophylaxe venöser VTE-Risiko bei malignen Tumoren oder entzündlichen Er-
Throm­boembolien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissen­ krankungen
schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) steht nun eine 4 Polytrauma, schwerere Verletzungen der Wirbel-
evidenzbasierte und praxistaugliche Empfehlung zur Verfügung säule, des Beckens und/oder der unteren Extremi-
(www.AWMF.de). tät
Die Indikation zur medikamentösen Thromboembolieprophy­ 4 Größere Eingriffe an Wirbelsäule, Becken, Hüft-
oder Kniegelenk
laxe orientiert sich dabei an den jeweiligen Risikokategorien für ope­
4 Größere operative Eingriffe in Körperhöhlen der
rative Eingriffe unter Berücksichtigung der expositionellen und
Brust-, Bauch- und/oder Beckenregion
dispositionellen Risikofaktoren. . Tab. 3.3 beschreibt die Häufigkeit
venöser Thromboembolien in Abhängigkeit von der jeweiligen Ri­
sikogruppe. Basismaßnahmen zur VTE-Prophylaxe wie z. B. Frühmobilisa­
> Allgemeine Basismaßnahmen wie Frühmobilisation, Be- tion und Bewegungsübungen sollten für Patienten mit niedrigem
wegungsübungen und die Anleitung zu Eigenbewegun­ VTE-Risiko regelmäßig angewendet werden. Bei Patienten mit mitt­
gen mit Aktivierung der »Muskel-Venen-Pumpe« sind ein lerem und hohem Thromboserisiko sollte additiv eine medika-
wirksamer Bestandteil der VTE-Prophylaxe und sollten mentöse VTE-Prophylaxe durchgeführt werden.
möglichst routinemäßig zur Anwendung kommen. Spe­ Zusätzlich zur medikamentösen Prophylaxe können medizi-
zielle physikalische (medizinische Thromboseprophylaxe­ nische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) eingesetzt werden.
strümpfe, intermittierende pneumatische Kompressio­n) Die Wirksamkeit von MTPS ist zwar gesichert, jedoch ist die Evidenz
und/oder medikamentöse Maßnahmen werden indivi­ für eine zusätzliche Reduktion venöser Thromboembolien bei einer
duell und risikoadaptiert eingesetzt. sachgerechten medikamentösen Prophylaxe schwach.

Die Indikation zur Durchführung einer medikamentösen VTE-Pro­ Medikamentöse VTE-Prophylaxe


phylaxe sollte bei jedem Patienten in Abhängigkeit von Art und Um­
fang des operativen Eingriffs oder Traumas bzw. der Erkrankung
und unter Berücksichtigung der dispositionellen Risikofaktoren ge­ Zugelassene Medikamente zur VTE-Prophylaxe
stellt werden. 4 Niedermolekulare Heparine (NMH), Heparin
Die beispielhaften Risikokategorien für die operative Medizin 4 Danaparoid
sind in . Tab. 3.4 aufgeführt. 4 Fondaparinux
. Abb. 3.1 fasst die 3 Risikogruppen unter Berücksichtigung der 4 Thrombininhibitoren (bei Heparin-induzierter Thrombo-
dispositionellen Risikofaktoren (. Tab. 3.5) und der sich hieraus ablei­ zytopenie; HIT),
tenden Empfehlungen zur physikalischen und/oder medikamentösen 4 Vitamin-K-Antagonisten (Kumarine).
Thromboseprophylaxe in Form eines Algorithmus zusammen.
22 Kapitel 3 · Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept

. Abb. 3.1 Algorithmus zur peri- und postoperativen VTE-Prophylaxe in der Plastischen Chirurgie
3.3 · Medikamentöse Vorbehandlung mit Antikoagulanzien
23 3
saliomexzision, Suralisbiopsie, kleine handchirurgische Eingriffe,
. Tab. 3.5 Dispositionelle Risikofaktoren, geordnet nach relativer Nervendekompression, motorische Ersatzplastiken), mobilen Pati­
Bedeutung enten sowie bei Patienten ohne zusätzliche dispositionelle und expo­
sitionelle Risikofaktoren auf eine medikamentöse VTE-Prophylaxe
Risikofaktor Relative Bedeutung verzichtet werden.
Bestehen jedoch zusätzlich dispositionelle Risikofaktoren
Frühere TVT/Lungenembolie Hoch
(. Tab. 3.4), so soll eine medikamentöse Prophylaxe mit niedermo­
Thrombophile Hämostasedefekte (z. B. Gering bis hoch lekularen Heparinen erfolgen.
Antithrombin-, Protein-C- oder -S-Mangel, Größere plastisch-chirurgische und ästhetische Eingriffe in der
Faktor-V-Leiden-Mutation) Abdominal- und Beckenregion, im Kopf- und Halsbereich, an den
Maligne Erkrankung Mittel bis hoch oberen und unteren Extremitäten (z. B. Abdominoplastik, Bauch­
wandrekonstruktion, freie oder gestielte Lappentransplantate nach
Lebensalter >60 Jahre/Risikozunahme mit Mittel
Tumorektomie oder Trauma, Facelift, Rhinoplastik, onkologische
dem Alter
Eingriffe, Bodylift, Liposuktion, Expanderbehandlung), die eine län­
VTE bei Verwandten 1. Grades Mittel gere Immobilisation erforderlich machen, bedürfen in jedem Fall
Chronische Herzinsuffizienz, Zustand nach Mittel einer medikamentösen Prophylaxe.
Herzinfarkt Patienten mit mittlerem VTE-Risiko sollen eine medikamentöse
VTE-Prophylaxe mit Heparinen erhalten. Die zusätzliche Anwen­
Übergewicht (BMI >30 kg/m2) Mittel
dung von MTPS (medizinischen Thrombosepropphylaxestrümp­
Akute Infektionen/entzündliche Erkran- Mittel fen) ist bei diesen Patienten nicht zwingend.
kungen mit Immobilisation Patienten mit hohem VTE-Risiko sollten sowohl MTPS als auch
Hormontherapie zur Kontrazeption oder Substanzspezifisch
eine medikamentöse VTE-Prophylaxe mit NMH erhalten.
Tumorbehandlung gering bis hoch Alle Patienten mit gefäßchirurgischen Eingriffen sollten Basis­
maßnahmen zur VTE-Prophylaxe erhalten. Sofern keine arterielle
Schwangerschaft Gering Durchblutungsstörung der unteren Extremitäten besteht und es der
Nephrotisches Syndrom Gering operative Eingriff erlaubt, sollten die Patienten eine physikalische
VTE-Prophylaxe erhalten.
Stark ausgeprägte Varikosis Gering
Die VTE-Prophylaxe bei Eingriffen an den Arterien der unteren
Extremitäten im Rahmen der Polytraumaversorgung (Replanta­tion),
ausgedehnten Tumorresektionen und Lappentransplantationen zur
Bei früher aufgetretener Heparin-Unverträglichkeit wird die Gabe plastisch-rekonstruktiven Defektdeckung wird in jedem Fall emp­
von Fondaparinux empfohlen. fohlen und richtet sich an den jeweiligen klinikspezifiischen Algo­
Niedermolekulare Heparine (NMH) sollen unter Abwägung von rithmen aus. Einen evidenzbasierten Standard für mikrochirur­
Effektivität, Blutungs- und HIT-II-Risiko gegenüber unfraktionier­ gische Eingriffe speziell in der Plastischen Chirurgie gibt es bislang
tem Heparin bevorzugt eingesetzt werden, da in einer randomisierten nicht.
doppelblinden Studie eine Überlegenheit von NMH gegenüber un­ Obwohl Thrombozytenaggregationshemmer in der Prophylaxe
fraktioniertem Heparin (UFH) nachgewiesen werden konnte (Geerts der VTE keinen Stellenwert haben, sollten sie bei arteriellen Er­
et al. 1996). Dabei wird das Risiko einer tiefen Beinvenen­thrombose krankungen weiter gegeben werden. In unserer Klinik kommt eine
durch die Gabe gerinnungshemmender Substanzen, insbesondere Kombination aus NMH und Azetylsalizylsäure (100 mg 1× tgl.) zur
von Heparinen, um etwa die Hälfte reduziert (Roderick et al. 2005). postoperativen Thromboembolieprophylaxe nach freien Lappen­
Im Vergleich hierzu ist die Azetylsalizylsäure zur venösen VTE- transplantaten zur Anwendung. Intraoperativ erfolgt die 1-malige
Prophylaxe nicht geeignet, da ihre antithrombotische Wirkung nur Gabe von 1000 IE unfraktioniertem Heparin unmittelbar vor Frei­
schwach ist (Antiplatelet Trialists‘ Collaboration 1994). gabe der Lappenperfusion und das »Flushen« der Gefäße mit Hepa­
Das perioperative Blutungsrisiko ist bei einem Einsatz von jegli­ rin-Spülung (50 IE/1 ml).
cher Art von Antikoagulanzien nur gering erhöht. Im Hinblick auf Bei Patienten ohne zusätzliche dispositionelle Risikofaktoren
die gleichzeitige Gabe von Thrombozytenfunktionshemmern wird kann bei Eingriffen am oberflächlichen Venensystem (z. B. Neuro­
jedoch empfohlen, Antikoagulanzien zur VTE-Prophylaxe in dieser lyse, Narbenkorrektur) auf eine medikamentöse VTE-Prophylaxe
Situation erst postoperativ anzuwenden. verzichtet werden, jedoch sollten bei diesen Patienten Basismaß­
nahmen und physikalische Maßnahmen eingesetzt werden.
> Die medikamentöse VTE-Prophylaxe sollte zeitnah zum
Fixierende Verbände an der oberen und unteren Extremität und
operativen Eingriff, üblicherweise am präoperativen Tag,
eine gelenkübergreifende Ruhigstellung mittels Fixateur externe be­
begonnen werden.
dürfen in jedem Fall einer medikamentösen VTE-Prophylaxe.
Die Dauer der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe sollte
sich zudem am Fortbestehen relevanter Risikofaktoren orientieren
(7 Kap. 3.3.3). 3.3.3 Dauer der VTE-Prophylaxe

Nach Eingriffen im Bauch- und Beckenbereich sollte die Dauer der


3.3.2 VTE-Prophylaxe nach Körperregionen VTE-Prophylaxe unabhängig von einer stationären oder ambulanten
und Risikofaktoren Behandlung in der Regel 5–7 Tage betragen. Bei prolongierter Im­
mobilisation oder Infektion sollte sie fortgeführt werden.
Unabhängig von der Körperregion kann bei kleineren und mittleren Patienten nach onkologiegerechter Tumorentfernung sollten
Eingriffen (z. B. Narbenkorrekturen, lokale Lappenplastiken, Ba­ eine verlängerte VTE-Prophylaxe für 4–5 Wochen erhalten, da hier­
24 Kapitel 3 · Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept

durch sowohl die VTE-Gesamtrate von 14% auf 6% als auch die Rate et al. 2006; Sheridan et al. 1992; Wibbenmeyer et al. 2003). Somit ist
tiefer Venenthrombosen (TVT) signifikant von 5% auf 1% reduziert anzunehmen, dass neben den allgemeinen Risikofaktoren ein Zu­
werden kann (Bottaro et al. 2008). sammenhang zwischen dem Ausmaß der Verbrennungen und dem
Bei Eingriffen am Kniegelenk wird eine medikamentöse VTE- VTE-Risiko besteht (Harrington et al. 2001; Kowal-Vem et al.
Prophylaxe für 11–14 Tage empfohlen. In unserem Patientengut 1992).
betrifft dies v. a. Patienten mit Wundheilungsstörung nach Knie- Hieraus leitet sich die Empfehlung (ACCP 2004) ab, die medi­
3 TEP auf dem Boden einer pAVK und geplantem Gastroknemius­ kamentöse Prophylaxe anzupassen an:
transfer zur Defektdeckung. 4 Verbrennungsausmaß,
Patienten mit operativ versorgten Verletzungen der Knochen 4 Risikoprofil und somit
und/oder mit fixierenden Verbänden an der unteren Extremität er­ 4 individuellen Krankheitsverlauf.
halten eine medikamentöse Prophylaxe bis zur Entfernung des fixie­
renden Verbandes bzw. bis zum Erreichen einer Teilbelastung von Aussagekräftige randomisierte Studien liegen für Patienten mit Ver­
20 kg und einer Beweglichkeit von 20° im oberen Sprunggelenk. brennungen nicht vor.
Da das Risiko für thromboembolische Komplikationen in vielen
! Cave
Fällen auch nach der Krankenhausentlassung fortbesteht, ist es rat­
Ein besonderes Risiko für thromboembolische Komplika­
sam, für die poststationäre Phase (Rehabilitation oder ambulante
tionen besteht bei Sepsis.
Behandlung) eine erneute Risikoeinschätzung vorzunehmen, Pro­
phylaxemaßnahmen anzupassen und den weiterbehandelnden Arzt
hierüber zu informieren (Douketis et al. 2002).
Darüber hinaus sollte diesem bei weiterhin erforderlicher Hepa­ 3.3.5 Plastisch-ästhetische Eingriffe
rin-Gabe der letzte Thrombozytenwert mitgeteilt werden, damit im
Falle einer poststationär auftretenden Thromboembolie eine HIT II > In Anbetracht der häufig asymptomatisch verlaufenden
als mögliche Ursache frühzeitig erkannt werden kann. und nicht selten mit hoher Morbidität und Mortalität asso-
ziierten venösen Thromboembolien muss insbesondere
bei hoch elektiven und medizinisch nicht indizierten
3.3.4 Verbrennungen ästhetischen Eingriffen die Anwendung physikalischer
und medikamentöser Thromboseprophylaxemaßnah-
Patienten mit Verbrennungen sollen eine medikamentöse VTE-Pro­ men in Erwägung gezogen werden.
phylaxe erhalten, wenn das Ausmaß der Verbrennungen zu einer
Immobilisation führt oder zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Die ansteigende Zahl wissenschaftlicher Publikationen zu diesem
In den ersten 48–72 h nach dem Trauma, der Volumenersatz­ Thema verdeutlicht zudem das zunehmende Bewusstsein für diese
phase, führen kardiovaskuläre Faktoren zu einer Hypovolämie mit Thematik unter Plastischen Chirurgen, wobei aus dem eutschspra­
erniedrigtem Blutfluss in Organe und Gewebe (Martyn 1986). chigen Raum bislang nur eine Publikation existiert (Jokuszies et al.
2010).
! Cave
Die Risikostratifikation für das plastisch-ästhetische Patientengut
Als Folge einer Komplementaktivierung und der einsetzen­
orientiert sich ebenfalls an der ACCP-Leitlinie (Geerts et al. 2008).
den Koagulationskaskade erzeugen extensive Verbren-
Unter den bereits erwähnten dispositionellen und expositionel­
nungen darüber hinaus eine Thrombusformation in Kapil-
len Risikofaktoren haben v. a. eine anamnestisch stattgehabte tiefe
laren, Arteriolen und Venolen, wobei sich das Ausmaß
Beinvenenthrombose, die Einnahme von oralen Kontrazeptiva und/
einer Thrombosierung kleiner Gefäße direkt proportional
oder Hormonersatzpräparaten und vorbestehende Gerinnungsstö­
zur Ausdehnung der Verbrennung verhält, d. h. ausgedehn-
rungen eine höhere Risikoeinstufung zur Folge.
tere Verbrennungen haben einen größeren prothrombo-
Geht man davon aus, dass 20–30% der chirurgischen Patienten
genen Effekt.
ohne medikamentöse Thromboseprophylaxe eine tiefe Beinvenen­
Studien konnten zudem aufzeigen, dass eine disseminierte intrava­ thrombose entwickeln und der Anteil der asymptomatischen Ver­
sale Gerinnungsstörung mit Hyperkoagulabilität und Mikrozirkula­ läufe bei >60% liegt, so leitet sich hieraus auch eine besondere Vor­
tionsstörungen wesentlich an Organversagen und tödlichen Verläu­ sicht für das plastisch-ästhetische Patientengut ab, insbesondere
fen beteiligt ist (Dries 1996; Nimah u. Brilli 2003). wenn sich der Patient bereits mehreren chirurgischen Eingriffen un­
Ein Abfall an prokoagulatorischen Proteinen wird zudem mit terzogen hat oder bereits eine tiefe Beinvenenthrombose dokumen­
Verdünnungseffekten und dem Plasmaproteinverlust ins Interstiti­ tiert ist (Geerts et al. 2004).
um erklärt, wobei sich während der 1. Woche eine Normalisierung Mehrere chirurgische Eingriffe innerhalb desselben oder ver­
einstellt. gangenen Monats erhöhen das Risiko für das Auftreten einer tiefen
Beinvenenthrombose. Das entsprechende Risiko der Normalbevöl­
> Bei Patienten mit ausgedehnten Verbrennungen gilt es zu
kerung wird erst nach Ablauf eines operationsfreien Intervalls von
beachten, dass diese im Langzeitverlauf einen Zustand
1 Monat erreicht, sodass Folgeeingriffe erst nach Ablauf dieses Inter­
d­er Hyperkoagulabilität mit erhöhten Raten an thromboti­
valls terminiert werden sollten (Green 2006).
schen Komplikationen und verminderten antithromboti­
Eine stattgehabte tiefe Beinvenenthrombose in der Anamnese
schen Proteinen (Antithrombin, Protein S und C) entwickeln
erhöht das Risiko für ein erneutes Auftreten einer tiefen Bein­
(Kowal-Vem et al. 1992).
venenthrombose oder einer Lungenembolie signifikant und gilt als
Dabei liegt die sonographische oder phlebographische TVT-Inzi­ dispositioneller Risikofaktor, der in die Risikobeurteilung eines Pa­
denz nach schweren Verbrennungen bei etwa 0,9–6%, die Inzidenz tienten entsprechend der aktuellen S3-Leitlinie und ACCP-Leitlinie
von Lungenembolien (LE) bei etwa 0,2–1,2% (Fecher et al. 2004; im Sinne der Einstufung in eine höhere Risikogruppe Berücksichti­
Harrington et al. 2001; Purdue u. Hunt 1988; Rue et al. 1992; Samama gung finden sollte (Geerts et al. 2008; Green 2006).
3.9 · Hämodilution und Eigenblutspende
25 3
Es ist nachgewiesen, dass die Einnahme von oralen Kontrazep­ 3.7 Rasieren
tiva und Hormonersatzpräparaten mit thrombogenen Veränderun­
gen innerhalb der Gerinnungskaskade dosisabhängig korreliert Das Operationsfeld sollte mit einem Sicherheitsabstand möglichst
(Johnson et al. 2008). kurzfristig vor der Operation rasiert werden, da sonst mit Infektion
Für ambulante ästhetische Eingriffe mit einer Eingriffszeit <1 h der unvermeidbaren Hautläsion zu rechnen ist. Enthaarungscremes
und Patienten der niedrigen Risikokategorie, d. h. ohne zusätzliche finden im klinischen Alltag vorwiegend aus Kostengründen keine
dispositionelle oder expositionelle Risikofaktoren, wird empfohlen, Verwendung.
die Östrogeneinnahme 1 Woche vor dem Eingriff auszusetzen, wo­
bei eine medikamentöse Thromboseprophylaxe nicht erforderlich
ist. Bei unmittelbar postoperativer Vollbelastung kann mit der sofor­ 3.8 Lagerung, Desinfektion und Abdecken
tigen Wiedereinnahme begonnen werden (Green 2006).
Bei größeren Eingriffen in Intubationsnarkose, die eine Eingriffs­ Die exakte und sichere Lagerung ist vorwiegend Aufgabe des Ope­
zeit von 1 h deutlich überschreiten (z. B. Abdominoplastik, Mamma­ rateurs. Zu besonders gefährdeten Stellen zählt der Plexus brachialis,
rekonstruktion), wird empfohlen, orale Kontrazeptiva und Hormon­ der bei überstrecktem oder dorsal der Horizontale ausgelagertem
ersatzpräparate 4 Wochen vor dem Eingriff abzusetzen. Mit der er­ Arm in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Weitere Prädisposi­
neuten Östrogeneinnahme sollte 2 Wochen postoperativ oder nach tionsstellen für Lagerungsschäden sind die A.-brachialis- und N.-
Erreichen der Vollbelastung begonnen werden (Johnson et al. 2008). ulnaris-Region bei angelegtem Arm infolge von direkter Druckein­
wirkung sowie der N.-femoralis- und N.-fibularis-Bereich insbeson­
dere durch intraoperative Lageveränderungen und fehlende Kon­
3.4 Patientenaufklärung trollmöglichkeiten nach Abdeckung. Nach jeder intraoperativen
Lagerungsänderung muss geprüft werden, ob die Extremität druck­
Die Aufklärung über eine Operation muss stets die jeweilige Situati­ entlastet gelagert ist.
on berücksichtigen, dabei einfühlend, aber auch verantwortungsbe­ Die Desinfektion der zu operierenden Hautareale muss sorgfäl­
wusst sein. Der aufklärende Arzt muss bei jedem einzelnen Patienten tig und großflächig durchgeführt werden. Das Hautdesinfektions­
erneut entscheiden, welche Kenntnisse für dessen Entscheidung er­ mittel, möglichst ungefärbt, wird jeweils vom Operationsgebiet zur
forderlich sind. Dies impliziert natürlich, dass bei Vorliegen einer Peripherie hin (von innen nach außen) mit einem vollständig ge­
rein ästhetischen Operationsindikation eine weitgehend »scho­ tränkten, sterilen Tupfer aufgetragen. Die Einwirkzeiten sind genau
nungslose« Aufklärung mit Erörterung auch seltener Komplikati­ zu beachten. Zwischen Patient und OP-Tisch soll kein Feuchtigkeits­
onen notwendig ist. Auch die Information über Behandlungsalter­ reservoir entstehen, da dadurch (Kriechstrom-)Verbrennungen ver­
nativen – operativ wie konservativ – ist heute zwingend gefordert. ursacht werden können. Aus diesem Grund wird vor der Hautdesin­
Wichtig ist in diesem Zusammenhang der individuelle Charak­ fektion saugfähiges Papier (z. B. Zellstoff) zwischen Patient und
ter des Aufklärungsgespräches. Dabei muss das Augenmerk mehr OP-Tisch gelegt, das nach dem »Abwaschen« wieder entfernt wird.
auf ein persönliches Gespräch als auf schematisierte Aufklärungs­ Nach erfolgter Wundreinigung bzw. Hautantiseptik wird die
bögen gelegt werden. Keinesfalls darf dem Patienten eine Entschei­ Umgebung des Wund- bzw. Operationsgebietes mit geeigneten
dung überantwortet werden, die er aufgrund seines Wissensstandes sterilen Abdeckmaterialien großflächig abgedeckt. Die Patientenab­
oder aktuellen Gesamtzustandes nicht treffen kann. Der Arzt sollte deckung soll so strapazierfähig sein, dass sie der mechanischen
jedoch in seinem Gespräch über die durchzuführende Operation die Belastung durch Instrumente, Operateur etc. auch unter Flüssig­
Vertrauensbildung zwischen Patient und Arzt verfolgen und nicht keitsbelastung standhält. Für invasive Eingriffe, bei denen eine
allein juristische Kriterien in den Vordergrund stellen. Durchfeuchtung zu erwarten ist, sollen flüssigkeitsdichte Abde­
ckungen und saugfähige Materialien verwendet werden. Bei der
Auswahl der selbstklebenden Lochtücher ist auf deren Eignung und
3.5 Nahrungskarenz ausreichende Größe zu achten.

Vor elektiven Eingriffen wird eine Nahrungskarenz von mindestens


6 h gefordert. In Ausnahmefällen wie Notfalloperationen kann in 3.9 Hämodilution und Eigenblutspende
Rücksprache mit der Anästhesie von diesem Zeitintervall abgewi­
chen werden. Bei Vorliegen von Magen-Darm-Erkrankungen muss Der präoperative Hämoglobinwert sollte nicht unter 10 g/dl liegen.
berücksichtigt werden, dass eine Magenentleerung längere Zeit in Gerade bei älteren Patienten, Patienten im schlechten Allgemeinzu­
Anspruch nehmen kann. Die präoperative Magenentleerung kann stand und vor Operationen mit zu erwartendem nennenswertem
das Risiko einer Aspiration vermindern, aber nicht komplett aus­ Blutverlust ist dieser Wert unbedingt anzustreben. Dies gilt jedoch
schalten. Bei längerer präoperativer Nüchternheit sollte eine i.v. nicht für Patienten mit einem chronischen Hämoglobinmangel (z. B.
Gabe von Elektrolytlösungen erfolgen (Ringer-Lösung, NaCl.) Dialysepatienten), bei denen Werte von 6–8 g/dl heutzutage als aus­
reichend erachtet wird.
Durch die Gewinnung von Eigenblut bei kardial gesunden Pati­
3.6 Darmentleerung und Harnableitung enten (ohne Malignom) mit einem Hämoglobinwert von min­destens
12 g/dl kann eine intraoperative Bluttransfusion mit ihren bekannten
Vor Elektiveingriffen im Abdominalbereich gilt die Entleerung des Gefahren (Hepatitis B/C, HIV) vermieden werden. Wird mit einem
distalen Dickdarmanteils als lege artis, um eine postoperative Eindi­ intraoperativen Blutverlust von ca. 1.000–1.500 ml gerechnet, ist un­
ckung der Fäzes zu vermeiden. Bei allen großen bzw. mehrstündigen mittelbar präoperativ eine induzierte normovolämische Hämodilu­
Operationen sollte eine kontrollierte Harnableitung intraoperativ tion mit einer Gewinnung von etwa 1.000 ml Eigenblut und mindes­
mittels eines transurethralen Harnblasenkatheters bzw. eines supra­ tens isovolämischer Substitution mit Plasmaexpandern und Gluko­
pubischen Katheters erfolgen. se-Elektrolyt-Lösung angebracht. Im eigenen Vorgehen wird bei
26 Kapitel 3 · Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept

elektiven Eingriffen mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von sen werden. Es dürfen dabei keine unrealistischen Erwartungen und
>10% eine Eigenblutspende im Vorfeld angeboten. Derartige Ein­ andererseits keine vermehrten Ängste verursacht werden. Ein infor­
griffe sind Total Body Lift nach Lockwood, große Fettschürzenresek­ mierter Patient hat nachweislich weniger Schmerzen, denn präope­
tionen und in einigen Fällen freie Lappenplastiken. rative Informationen erhöhen das Wissen um die Möglichkeiten der
Einflussnahme.
> Die Patienten müssen heute sowohl über die Möglichkeit
der Eigenblutspende als auch über die Wahrscheinlich-
3 keiten einer Transfusion aufgeklärt werden.
3.10.3 Schmerzprophylaxe

Definition. Unter den sog. »präemptiven Verfahren« versteht man


3.10 Interdisziplinäres postoperatives eine präoperative medikamentöse Therapie bzw. präoperative Ein­
Schmerztherapiekonzept leitung eines Regionalanästhesieverfahrens mit dem Ziel, das post­
operative periphere und zentrale Schmerzlevel prophylaktisch zu
Definition. Von der International Association for Study of Pain senken.
wurde der Schmerz als unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis Der Operateur kann zur Schmerzprophylaxe beitragen, denn
definiert, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung ver­ Auftreten und Stärke postoperativer Schmerzen korrelieren mit der
knüpft ist. Invasivität sowie der Dauer und Lokalisation des operativen Ein­
Am 1. postoperativen Tag klagen 99% der operierten Patienten griffs. Das Weichteiltrauma sollte möglichst minimal sein, um die
über Schmerzen. Eine suffiziente postoperative Schmerztherapie ist postoperative Schmerzsituation positiv zu beeinflussen. Auch span­
seitens des Arztes eine ethisch-moralische Verpflichtung. Der post­ nungsfreie Wundverschlüsse mit adäquat aufgebrachten Verbänden
operative Schmerz ist oft nicht vollständig zu vermeiden, aber er tragen zu einer Schmerzreduktion bei.
sollte auf ein erträgliches Maß gesenkt werden, ohne die sinnvolle
Warnfunktion bei der Entstehung möglicher Komplikation auszu­
schalten. Dabei muss insbesondere darauf geachtet werden, die zen­ 3.10.4 Postoperative Regionalanästhesie
trale Sensibilisierung durch rezidivierende periphere Nozizeptor­
erregung zu verhindern, um eine Chronifizierung der Schmerzen Die Regionalanästhesien am Bewegungsapparat nehmen einen be­
durch Transmitterveränderungen im Verlauf zu vermeiden. sonderen Stellenwert in der postoperativen Schmerztherapie ein.
Grundlage der Visualisierung und Dokumentation des an sich Die regionalen Katheterverfahren zeigen eine längerfristige Wirk­
nicht direkt messbaren individuell und subjektiv erlebten Schmerzes samkeit. Damit kann dann versucht werden, bei Eingriffen an der
ist die Analogisierung auf der »visuellen Analogskala« (VAS). Hier­ oberen Extremität (z. B. Plexus-brachialis-Blockade) bei erhaltener
für wurden verschiedene Schmerzskalen entwickelt, auf denen Motorik die postoperative krankengymnastische Beübung zu unter­
Schmerzen in ihrer Intensität vom Patienten selber eingeschätzt wer­ stützen. Alternative Möglichkeiten sind lokale Infiltrationen des
den können: Wundgebiets oder Single-shot-Leitungsblockaden.
4 nach Zahlen von 0–10,
4 nach Wortbeschreibungen (»kein, gering, mittel, stark, uner­
träglich«), 3.10.5 Medikamentöse Therapie
4 auf einem Schiebersystem oder
4 anhand einer Smiley-Analogskala für Kinder. Im Rahmen der medikamentösen Schmerztherapie stehen Nicht­
opioide, Opioide und Koanalgetika zur Verfügung (. Tab. 3.6). In
> Die Schmerzmessung ist eine Voraussetzung der Therapie, der postoperativen Schmerztherapie wird das WHO-Stufenschema
Effektivitäts- und Verlaufskontrolle. verwendet (. Abb. 3.2). Bei leichten Schmerzen ist die alleinige Gabe
von Nichtopioiden ausreichend. Bei mittelstarken und starken
Schmerzen kommen neben Nichtopioidanalgetika als Basismedika­
3.10.1 Rechtliche Grundlage tion primär Opioide der Stufe III zum Einsatz. Opioide der Stufe II

Im Grundgesetz (Art. 2 II 1 GG) wird auf das Recht auf Schmerz­


freiheit verwiesen. Wenn ein Arzt die erforderliche Schmerztherapie
unterlässt oder nur mangelhaft ausführt, verstößt er gleichzeitig ge­
gen das Berufsrecht (»Leiden lindern«, § 1, Abs. 2), das Zivilrecht
(»unterlassene Schmerztherapie«, § 823 Abs. 1 und 2 BGB) und das
Strafrecht (»fahrlässige Körperverletzung durch unterlassene
Schmerztherapie«, § 229 StGB bzw. »unterlassene Hilfeleistung«,
§ 323c StGB). Krankenhausträger und Klinikleitung haben bezüg­
lich der Schmerztherapie eine personelle und sachliche Organisa­
tions- und Weiterbildungspflicht, bei Nichtwahrnehmung gilt ein
Organisationsverschulden.

3.10.2 Präoperative Information des Patienten

Bereits bei der Aufklärung sollte auf die zu erwartenden postopera­


tiven Schmerzen sowie deren Behandlungsmöglichkeiten hingewie­ . Abb. 3.2 WHO-Stufenschema der Schmerztherapie
3.10 · Interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept
27 3

. Tab. 3.6  Analgetika

Präparat Dosierung/24 h Anmerkung Wirkungsdauer


der Einzeldosis
Freiname Handelsname

Stufe I: Nichtopioid­ Ibuprofen Ibuprofen 2–3×400–800 mg 6–12 h


analgetika
Ibuhexal 2–3×400–800 mg 6–12 h

Diclofenac Voltaren 2–3×50 mg 4–6 h

Azetylsalizyl- Aspirin 4(–6)×500–1000 mg Cave: Nebenwirkungen! 4–6 h


säure

Paracetamol Paracetamol 4×500–1000 mg Grenzdosis 6 g/Tag, toxische 4–6 h


Dosis 10 g/Tag

Parfalgan 4×500–1000 mg Grenzdosis 6 g/Tag, toxische 4–6 h


Dosis 10 g/Tag

Metamizol Novalgin Trpf. 20 Trpf.=500 mg Maximal 6000 mg/Tag 4h

Flupirtin Katadolon 2–3×100–200 mg 4–6 h

Stufe II: schwache Tramaldol Tramal 4×100–150 mg Grenzdosis:400–600 mg/Tag 6h


Opioidanalgetika
Tramal long 2–3×100–200 mg 8–12 h

Tramal Tropfen 20 Trpf.=50 mg Maximal 400 mg/Tag 4h

Tilidin/Naloxon Valoron N retard 100–200 mg Grenzdosis ca. 600 mg/Tag 8–12 h

Stufe III: starke Morphinsulfat Sevredol 1/6 des Tagesbedarfs nach 4h


Opioidanalgetika Bedarf

Morphinsulfat MST Nach Bedarf 19/30/60/100 mg 8–12 h


retard
Capros Nach Bedarf 19/30/60/100 mg 8–12 h

MST-Granulat Nach Bedarf 8–12 h

Fentanyl TTS Durogensic Nach Bedarf 48–72 h

Piritramid Dipidolor 1 Amp.=15 mg, nach Bedarf 6h

Pethidin Dolantin 25–500 mg 2h

Buprenorphin Temgesic 0,2–0,4 mg s.l. 6–8 h

und III sollten nicht miteinander kombiniert werden. Die Koanalge­ Applikation nach der Uhr
tika (7 unten) kommen in der Behandlung von neuropathischen Voraussetzung für eine wirksame Therapie ist der konsequente Ein­
Schmerzen (neuralgiforme Schmerzen, Phantomschmerzen, Thala­ satz der Medikamente »nach der Uhr« und nicht nach Bedarf. Bei
musschmerz, Deafferenzierungsschmerz, Polyneuropathie etc.), bei Langzeitbehandlung sind Retardpräparate vorzuziehen.
Tumorschmerzen und bei Begleitsymptomatiken wie beispielsweise
depressive Verstimmungen bei chronischen Schmerzen zum Ein­ Opioidrotation
satz. Morphin ist ein sog. voller Agonist am µ-Rezeptor und gilt als Mittel
der Wahl. Bei unzureichender Schmerzstillung oder Unverträglich­
Applikationsform keiten wird ein Wechsel erforderlich. Dabei sollte nur auf andere
alleinige μ-Agonisten wie z. B. Hydromorphon, Oxycodon oder Fen­
> Wenn möglich, orale Gabe der Analgetika.
tanyl gewechselt werden. Buprenorphin ist dagegen ein Partialago­
Die orale Therapie ist die Applikation der Wahl. Sie bewährt sich nist und lässt keine ungehinderte Dosissteigerung zu, denn ab einer
durch die nichtinvasive Darreichungsform. Bei Erbrechen oder nicht gewissen Dosierung ist nur noch eine Zunahme der Nebenwir­
therapierbarer Obstipation können alternative Applikationswege kungen zu erwarten (Ceiling-Effekt). Ebenso ist die gleichzeitige
gewählt werden. Vor der Verwendung von Pflastern wird eine Therapie mit einem alleinigen Agonisten und einem Partialago­
Schmerzmitteltitration mit z. B. oralen Morphinpräparaten empfoh­ nisten nicht sinnvoll. Es gibt keinen validen evidenzbasierten Beleg
len. Ein Pflastersystem ist damit in der Regel nicht als Erstverord­ für die Überlegenheit eines bestimmten Vertreters der Opioide.
nung geeignet. Die Resorption aus Pflastern wird durch Wärme
(z. B. Fieber) und Zustand der Haut beeinflusst. Zudem sind die Patientenkontrollierte Analgesie
lange Halbwertszeit und der verzögerte Wirkungseintritt zu be­ Unter PCA (»patient controlled analgesia«) versteht man alle For­
achten. men der Selbstapplikation (i.v., oral, s.c., epidural, intrathekal) von
28 Kapitel 3 · Patientenvorbereitung und -nachbehandlung, inkl. interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept

. Tab. 3.7 Koanalgetika

Präparat Dosierung Indikationen

Freiname Handelsname Beginn Maximal/24 h

3 Antide- Amitriptylin Saroten 25 mg zur Nacht Bis 75 mg 4 Diabetogene und postherpetische


pressiva Schmerzen
Mirtazapin Remergil 15 mg
4 Deafferenzierungsschmerzen
4 Migräne
4 Spannungsschmerzen
4 Rückenschmerzen
4 Tumorschmerzen
4 Chronische Schmerzzustände

Antikon- Carbamazepin Tegretal Einschleichend, 800–1200 mg/Tag 4 Chronische, neuralgiforme Schmerzzu-


vulsiva 100–200 mg zur stände mit einschießendem Charakter
Nacht 4 Trigeminusneuralgie
4 Postherpetische Neuralgie
Neurontin Gabapentin Tag 1: 300 mg 1800 mg/Tag
Tag 2: 600 mg (bis 3600 mg/Tag)
Tag 3: 900 mg

Pregabalin Lyrica 2–3×50 mg/Tag Diabetische periphere 4 Neuropathische Schmerzen


Steigerung bis Neuropathie: 4 Postherpetische Neuralgie
3×100 mg/Tag 300 mg/Tag 4 Fibromyalgie
innerhalb 1 Woche Postherpetische 4 Generalisierte Angststörung
Neuralgie: 600 mg/Tag
Fibromyalgie:
450 mg/Tag

Neuro­ Levome­ Neurocil 10–10–25 mg 4 Therapie des opiodinduzierten


leptika promazin Erbrechens
4 Sedierung
Triflupromazin Psyquil 3×10 mg 25–25–50 mg

Haloperidol Haldol 1–2×0,5 mg 3×1 mg

Clonidin Catapresan 0,15–0,3 mg i.v. 4 Deafferentierungsschmerzen


4 Neuropathische Schmerzen
4 Verstärkung der Opiodanalgesie
4 Wirkungsverstärkung von Lokalanäs-
thesie

Korti­ Dexamethason Fortecortin 4–8 mg bei Tumor- 4 Schmerzen bei Nervenkompression


kosteroide schmerz, ≤100 mg und Entzündung
bei Rückenmark- 4 Kapselspannungsschmerzen (z. B.
kompression Lebermetastasen)

wirksamen Analgetikamengen in festgelegten Zeitabständen. Es nung). Zuwendung durch das Pflegepersonal und Information des
werden PCA-Pumpen genutzt, bei denen Bolusrate und Bolusgröße, Operateurs über den Verlauf wirken psychisch und emotional posi­
Sperrzeit und maximale Dosis programmiert sind. Die Anwendung tiv auf das Schmerzempfinden. Als besonderes Verfahren sollte bei
ist nur bei kooperationsfähigen Patienten sinnvoll und möglich. chronischen Schmerzzuständen (z. B. »complex regional pain syn­
drome«; CRPS) auch das TENS (transkutaner elektrischer Nerven­
Koanalgetika stimulator) erwähnt werden: Hier werden über niedrige Reizfrequen­
Je nach Schmerzart können auch sog. Koanalgetika zum Einsatz zen (1–3 Hz) Reize gesetzt, die eine Stimulierung von Aδ-Fasern
kommen (. Tab. 3.7). Für Antidepressiva, Antiepileptika, Bisphos­ bewirken sollen, welche wiederum zu einer Dephosphorylierung
phonate und Kortikosteroide gibt es wissenschaftliche Wirksam­ synaptischer Proteine am Hinterhorn des Rückenmarks und da­
keitsbelege in der Schmerztherapie. mit zu einem teilweisen Löschen des Schmerzgedächtnisses führen
können.

3.10.6 Unterstützende Maßnahmen


3.10.7 Perioperative Schmerztherapie­
Unterstützend wirken auch die optimale postoperative Lagerung empfehlungen für Erwachsene
und eine adäquate Physiotherapie (z. B. Kryotherapie oder auch
Lymphdrainage zur Abschwellung und Reduktion der Gewebespan­ Einen entsprechenden Überblick gibt . Tab. 3.8.
3.10 · Interdisziplinäres postoperatives Schmerztherapiekonzept
29 3

. Tab. 3.8 Perioperative Schmerztherapie: Empfehlungen für Erwachsene

Operation mit wenig Operation mit mittelstarken Operation mit starken Schmerzen
Schmerzen Schmerzen

Prämedikation Ggf. NSAID und/oder Targin 10/5 mg Ggf. NSAID und/oder Targin 10/5 mg

Intraoperativ/AWR Perfalgan 1 g oder Novalgin 1 g Perfalgan 1 g oder Novalgin bis 2,5 g Perfalgan 1 g oder Novalgin bis 2,5 g
Evtl. Dipidolor oder Oxygesic injekt Evtl. i.v. PCA mit Dipidolor oder Oxygesic
fraktioniert injekt fraktioniert oder Bolusgabe bei
Katheterverfahren

Postoperativ auf NSAID +Pantozol und/oder NSAID +Pantozol und/oder Paracetamol NSAID + Pantozol und/oder Paracetamol
Station Paracetamol oder Perfalgan oder Perfalgan 4×1 g oder Novalgin oder Perfalgan 4×1 g oder Novalgin
4×1 g oder Novalgin 4–6×1 g 4–6×1 g 4–6×1 g
Bei Bedarf 20–30 Tropfen Tramal Über 3 Tage Targin 2×10/5 bis 20/10 mg Nach Beendigung i.v. (PCA) oder Katheter-
Bei Bedarf Oxygesic-Kapseln 5–10 mg verfahren
(alternativ retardiertes Stufe-II-Opiod, Targin 2×10/5 bis 20/10 mg
z. B. Tramal long ) Bei Bedarf Oxygesic-Kapseln 5–10 mg
bis zu 7 Tage

NSAID = »non-steroidal antiinflammatory drug«, AWR = Aufwachraum, PCA = »patient controlled analgesia«.

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II

Schnitt- und Nahttechniken;


Implantate und Transplantate
P. Vogt

Kapitel 4 Laserchirurgie   – 33
A. Steiert

Kapitel 5 Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger


Narbenbildung   – 39
M. Meyer-Marcotty, A. Gohritz, P.M. Vogt

Kapitel 6 Nahtmaterialien und Nahttechniken   – 45


M. Meyer-Marcotty, P.M. Vogt

Kapitel 7 Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie   – 53


K. Knobloch

Kapitel 8 Verbandstechniken, Schienenbehandlung   – 59


M. Meyer-Marcotty

Kapitel 9 Gewebeexpansion (Expander), alloplastische Materialien


und Implantate   – 63
M. Meyer-Marcotty

Kapitel 10 Lokalanästhesie, periphere Leitungsanästhesie,


Tumeszenzanästhesie   – 67
M. Meyer-Marcotty
Schnitt- und Nahttechniken sowie die Kenntnis über Implantate sind elementar für die Ergebnisqualität in der
Plastischen Chirurgie. Exakte Inzisionen, akkurate Hautadaptationen und die Wahl geeigneter Techniken sowie
Nahtmaterialien garantieren feine und unauffällige Narben. Darüber hinaus sind genaue Kenntnisse über die kör-
pereigenen Reaktionen auf Implantate und Transplantate unerlässlich, um Gewebereaktivität und dadurch indu-
zierte Narben hinsichtlich der Ergebnisqualität zu optimieren.
4

Laserchirurgie
A. Steiert

4.1 Grundlagen der Laserablation – Laserphysik – 34


4.1.1 Laserlicht und seine Gewebeinteraktion – 34

4.2 Laseranwendung – 35
4.2.1 Resurfacing mit ablativen Lasersystemen – 35
4.2.2 Resurfacing mit nicht ablativen Laser­systemen (»intense pulse light«; IPL) – 35
4.2.3 Laserbehandlung vaskulärer Läsionen/IPL – 36
4.2.4 Laserbehandlung pigmentierter Läsionen – 37
4.2.5 Haarentfernung – 37

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
34 Kapitel 4 · Laserchirurgie

4.1 Grundlagen der Laserablation –


Laserphysik
Der Begriff LASER ist die Abkürzung für »light amplification by the
stimulated emission of radiation«.
Die Prinzipien der Laserphysik sind seit Einsteins Hypothesen
von 1917 unverändert. Laserlicht entspricht im Gegensatz zum
sichtbaren Licht nur einer bestimmten Wellenlänge mit genau einer
Richtung. Dabei haben unterschiedliche Wellenlängen von Laser-
4 licht unterschiedliche Effekte, wenn sie auf Oberflächen treffen.
. Abb. 4.1 soll den Begriff der Wellenlängen veranschaulichen.
Wie . Abb. 4.1 zeigt, kann es sich bei Laserlicht um sichtbares . Abb. 4.2 Prinzip der Gewebeinteraktion mit Strahlung
oder nicht sichtbares Licht handeln. Das Wellenlängenspektrum von
Laserstrahlung reicht vom infraroten bis in den ultravioletten Be-
reich hinein.
. Tab. 4.1 Gewebeinteraktion mit Strahlung
Die Energie von Laserlicht wird in Watt ([W], Energie pro Zeit-
einheit, Joule pro Sekunde [J/s]) angegeben: Kennzeichen
4 W=J/s
Reflexion Wellenlängenspektrum, das vom Gewebe reflektiert
Dabei ist die Effektivität des Lichtes direkt von der Leistung [W] wird
abhängig.
Absorption Wellenlängenspektrum, das vom Gewebe aufgenom­
Ein weiteres Merkmal von Laserlicht ist die Bündelung von
men werden kann und dort eine Wechselwirkung
Strahlung. Durch Verkleinerung eines Sonnenlichtstrahls, beispiels- mit dem Gewebe eingeht (Entwicklung von Wechsel­
weise mit einer Lupe, können die Lichtstrahlen so gebündelt werden, wirkung/Energie)
dass sich die Energie pro cm2 exponentiell erhöht und z. B. Papier
entflammen kann. Transmission Wellenlängenspektrum, das weder reflektiert
noch absorbiert wird und das Gewebe ohne
Zusätzlich sind die Einwirkzeit des Laserlichtes, die Wiederho-
Energieverlust durchdringt und das Gewebe wie-
lung der Laserstrahlung und die Abstände zwischen den Laser-Peaks der verlässt
ausschlaggebend für die Wirkung auf das Gewebe. Hierzu sind für
den Anwender von Lasertechnik im medizinischen Bereich fun-
dierte Kenntnisse zu den einzelnen Lasertypen Voraussetzung, um
Komplikationen und unerwünschte Nebenwirkungen des Lasers zu Wellenlänge gewählt werden. Dabei determiniert die Wellenlänge
vermeiden. auch die Eindringtiefe in dem Gewebe, in dem eine Absorption statt-
finden kann.
> Die Wahl der Wellenlänge und damit die Wahl des geeig-
4.1.1 Laserlicht und seine Gewebeinteraktion neten Lasers bestimmt also, in welchem Gewebe und in
welcher Gewebetiefe eine bestimmte Wirkung erzeugt
Licht beeinflusst Gewebe auf vielfältige Art und Weise. Beispielswei-
werden kann.
se wird die Farbe von Gewebe durch die Qualität des Gewebes be-
stimmt, die dazu führt, dass eine bestimmte Wellenlänge reflektiert Unter diesen Voraussetzungen wurden verschiedene Laser entwi-
wird. Die Qualität des Gewebes ist auch für die Aufnahme- bzw. ckelt, die verschiedene Wellenlängen und damit verschiedene An-
Speicherfähigkeit von Energie verantwortlich. Rotes Gewebe, bei- wendungsgebiete repräsentieren.
spielsweise Blut, reflektiert den roten Wellenbereich des sichtbaren Beispielsweise ist zur Zerstörung von Blutgefäßen eine Wellen-
Lichtes und absorbiert den Rest. Das Prinzip der Gewebeinteraktion länge erforderlich, die die Hautoberfläche nicht verletzt und die ihre
mit Strahlung ist in . Abb. 4.2 dargestellt. Wechselwirkung, also die Energieentfaltung, am roten Blutfarbstoff
Die Eigenschaften des Laserlichtes definieren sich durch seine erzeugt.
charakteristische Wellenlänge (. Tab. 4.1). Um einen bestimmten Die wesentlichen medizinischen Laseranwendungen sind in
Effekt an einem definierten Gewebe zu erzielen, muss eine bestimmte . Tab. 4.2 dargestellt.

. Abb. 4.1 Wellenspektrum von Laser- und sichtbarem Licht


4.2 · Laseranwendung
35 4

. Tab. 4.2 Wesentliche Laseranwendungen in der Medizin

Absorption Lasersystem nm Klinische Anwendung

Wasser Ablative Lasersysteme 4 Resurfacing


4 Aktinische Keratose
4 CO2-Penetration in Wasser: 30 μm 4 CO2 10.600
4 Faltenbehandlung
4 Er:YAG- Penetration in Wasser: 3–10 μm 4 Er:YAG 2.900

Rötliches Gewebe 4 Nd:YAG 532 (1064) 4 Vaskuläre Läsionen

4 IPL (»intense pulse light«) 600–750

Dunkles Gewebe 4 Q-switched Nd:YAG 1064 4 Haarentfernung

4 IPL 690–1000

4 Alexandrite 755

4 Ruby 694

Tattoos

4 Rote, dunkle Tattoos (nicht blau und grün) 4 Q-switched Nd:YAG 532 4 Tattoo-pigmentierte Läsionen

4 Q-switched Alexandrite 755

4 Blaue, schwarze, grüne Tattoos 4 Q-switched Alexandrite 755 4 Tattoo-pigmentierte Läsionen

4 Q-switched Ruby 694

Als Lasersysteme sind die derzeit gängigen und am Häufigsten 1200 nm (. Abb. 4.3). Durch spezielle Filtersysteme kann das IPL-
eingesetzten Systeme angegeben. Die Laserentwicklung unterliegt System in einen bestimmten Wellenbereich gefiltert werden, um ei-
einer stetigen Entwicklung. nen spezifischen Effekt zu erzielen.

Indikation
4.2 Laseranwendung 4 Jüngere Patienten.
4 Keine berufliche Ausfallzeit möglich.
4.2.1 Resurfacing mit ablativen Lasersystemen 4 . Tab. 4.3.

Siehe 7 Kap. 70.6 (Rejuvenation des Gesichtes). Operationstechnik


Mindestens 3–6 Sitzungen einplanen. In einem Jahr nicht mehr als
3 Sitzungen durchführen.
4.2.2 Resurfacing mit nicht ablativen Sehr gutes Langzeitergebnis durch Kombination der IPL-Reju-
Laser­systemen (»intense pulse light«; IPL) venation und des ablativen Laser-Resurfacing.

IPL unterscheidet sich von Laserlicht einfach durch ein Spektrum Komplikationen
mehrerer Wellenlängen, im Gegensatz zum monochromatischen Keine.
Licht einer Wellenlänge eines Lasers. In der Regel werden Systeme
angeboten mit einem Wellenlängenbereich zwischen 500 und

a b

. Abb. 4.3 a Kleine Lachfalten am lateralen Lidwinkel. b Deutliche Falten- einem IPL-System (595 nm); Ergebnis 2 Monate nach Laserbehandlung.
reduktion durch 4 Anwendungen (Sitzungen in 14-tägigem Abstand) mit (Aus: Trelles et al. 2007)
36 Kapitel 4 · Laserchirurgie

. Tab. 4.3 IPL-Resurfacing – Anwendungsgebiete . Tab. 4.4 Lasersysteme zur Behandlung vaskulärer Läsionen

Günstig für IPL-Resurfacing Ungünstig für IPL-Resurfacing Läsion Lasersystem

Sonnenschäden der Haut Faltenbehandlung Besenreiser (>0,5 mm) Nd:YAG: größere Gefäßdurchmesser

Rosazea Zu hohe Erwartungen Teleangiektasien IPL: kleinere Gefäßdurchmesser

Kleine Fältchen Hämangiome »Pulsed dye laser«


4 Grobporige Haut Naevus flammeus Abhängig vom Gefäßmuster

Dunkle Augenringe Venöse Malformationen Nd:YAG

Beruflich/öfentlich aktiv

Sanfte Therapie
Indikation
Ängstliche Patienten
4 Besenreiser (sichtbares Gefäß).
4 Teleangiektasien (kleinere geplatzte Äderchen; . Abb. 4.4).
4 Persistierende Hämangiome bei Kindern nach dem 6. Lebens-
4.2.3 Laserbehandlung vaskulärer Läsionen/IPL jahr.
4 Naevus flammeus.
Vor der Behandlung vaskulärer Läsionen ist die Diagnosesicherung, 4 Venöse Malformationen.
um welche Art vaskulärer Läsion es sich handelt, wichtig.
Einfach zu behandeln sind Teleangiektasien und die typischen Die zu verwendenden Lasertypen sind in . Tab. 4.4 dargestellt.
Besenreiser. Im Rahmen der Aufklärung muss auf die Notwendigkeit mehre-
Bei Kindern muss grundsätzlich zwischen Hämangiomen und rer Sitzungen eingegangen werden.
vaskulären Malformationen unterschieden werden. Letztere unter-
> Ein Probeschuss mit 4-wöchiger Nachbeobachtung ist zur
teilen sich nochmals in venös, arteriovenös, lymphatisch und ge-
Verträglichkeitsprüfung zu empfehlen.
mischte Malformationen.
Hämangiome treten in der Regel erst im 1. Lebensjahr auf und
sind durch eine Größenzunahme gekennzeichnet. Sie sind die häu- Komplikationen
figsten Tumoren im Kindesalter. Es besteht dabei eine hohe Inzidenz Komplikationen sind bei korrekter Indikation und Handhabung
an spontanen Remissionen. Vaskuläre Malformationen bestehen nicht zu erwarten.
von Geburt an, wachsen nicht und sind wesentlich seltener.
Die Kernspintomographie kann die Diagnose meist mit hoher
Verlässlichkeit eingrenzen.

a b

. Abb. 4.4 a Patient mit Läsionen einer hereditären hämorrhagischen dymium:Yttrium-Aluminium-Garnet Laser (Nd:YAG) 1.064 nm. (Aus: Werner
Teleangiektasie. b Deutliche Abschwächung der sichtbaren Gefäßverän­de­ et al. 2008)
rungen 8 Wochen nach der ersten Behandlung mit einem gepulsten Neo­
4.2 · Laseranwendung
37 4
! Cave
Cave bei intramuskulärem Tumor: Bei kernspintomogra- . Tab. 4.5 Lasersysteme zur Behandlung pigmentierter Läsionen
phisch geringstem Sarkomverdacht besteht die Indikation
zur histologischen Sicherung. Pigmentierte Läsion Lasersystem

Tattoo: blau, schwarz, grün Q-switched Ruby: schwächer


als Nd:YAG
4.2.4 Laserbehandlung pigmentierter Läsionen
Tattoo: rot, schwarz Q-switched-Nd:YAG
Pigmentierte Läsionen bedürfen einer dermatologischen Ein­ (schlechter blau und grün) Q-switched Alexandrite
schätzung hinsichtlich Malignitätsverdacht, bevor eine Laser­
behandlung geplant werden kann. Dysplastische Läsionen werden
in unserer Klinik zur histologischen Aufarbeitung chirurgisch ex­
zidiert. . Tab. 70.1) sollte zur Schonung der Haut und Melanozyten nie-
In Abhängigkeit des Hauttyps des Patienten, der Intensität und derenergen mit kürzeren Impulsen (100 ms) behandelt werden.
Tiefe der Läsion – dies gilt insbesondere für Tattoos –, sind der Laser Hier ist eine Nachbehandlung der Haut mit einer kortisonhaltigen
und die Energie auszuwählen. Salbe empfehlenswert. Eine Kontraindikation zur Behandlung stellt
Gerade bei intensiv pigmentierten Läsionen und Tattoos ist der frische Hautbräune dar. Hier kann die Absorption der Laserenergie
Patient über Residuen der Fehlpigmentierungen und eine Reihe von unerwünscht nicht am Haarbalg, sondern an der Epidermis-Der-
Lasersitzungen aufzuklären. mis-Grenze stattfinden, was zu Verbrennungen und Blasenbildung
führt.
Indikationen Ein Effekt der Behandlung ist nur bei dunklem Pigment, also
4 Lentigo solaris. dunklem Haar, zu erwarten.
4 Café-au-lait-Flecken.
4 Melasma. Behandlungs-Setting
4 Nävus Ota. 4 Alle 4 Wochen sind Behandlungen möglich. Die Intervalle kön-
4 Tattoos. nen verlängert werden.
4 Patienten werden nur rasiert behandelt; keine frische Wachsrasur.
Kontraindikationen
! Cave
4 Dysplastische Läsionen.
Laserbeschädigung durch unrasierte Behandlungszonen.
4 Mischfarben-Tattoos bei Ergebnisunsicherheit.
4 Bei starker Behaarung: Antibiotikaprophylaxe.
Die zu verwendenden Lasertypen sind in . Tab. 4.5 dargestellt. 4 Spotsize großzügig wählen: Je größer der Spot, desto tiefer dringt
Licht ein.
Komplikationen 4 Je höher die Energie, desto mehr Kühlung erforderlich; immer
4 Narben bei zu hoher Energie. Kühlgel anwenden.
4 Residuen der Fehlpigmentierung/des Tattoos. 4 Immer Testareal: 4-wöchige Verträglichkeit abwarten.
4 Umschlag der Tattoo-Farbe durch Eliminierung nur eines be-
stimmten Pigmentes bei Mehrfarben-Tattoos. Lasersysteme
4 Nd:YAG (Q-switched)
4 IPL.
4.2.5 Haarentfernung 4 »Long pulse Ruby«.
4 »Long pulse Alexandrite«.
Indikation
4 Entfernung unerwünschter Behaarung jeder Körperstelle. Komplikationen
4 Der Effekt tritt nicht unmittelbar ein.
Die Behandlung unerwünschter Behaarung bedarf eines umfas- 4 Bei sachgemäßer Anwendung: keine Komplikationen.
senden Aufklärungsgespräches. Dem Patienten ist zu vermitteln,
dass je nach Behandlungsareal und Dichte zwischen 6 und 10 Literatur
Behandlungen erforderlich sind. Bei wachsenden Behandlungs­ Astner S, Anderson RR (2005) Treating vascular lesions. Dermatol Ther 18 (3):
intervallen erstrecken sich die Sitzungen über Jahre. Die Patien­- 267–281
ten­zufriedenheit hängt unmittelbar ab von den Erwartungen des Bekhor PS (2006) Long-pulsed Nd:YAG laser treatment of venous lakes. Der-
Pa­tienten und diese wiederum von der schonungslosen Aufklä- matol Surg 32 (9): 1151–1154
rung. Jones A, Roddey P, Orengo I, Rosen T (1996) The Q-switched Nd: YAG laser
Der beste Zeitpunkt der Behandlung ist dann, wenn die Haar- effectively treats tattoos in darkly pigmented skin. Dermatol Surg 22 (12):
wurzel am größten ist: die anagene Phase (frühe Wachstums­phase). 999–1001
Keller G, Lacombe V, Lee P, Watson JP (eds) (2001) Lasers in aesthetic surgery.
Meistens kommt es nach den ersten Behandlungen zu einem er-
Thieme, Stuttgart New York
wünschten synchronisierenden Effekt des Haarwachstums. Zu die-
Khan R (2001) Lasers in plastic surgery. J Tissue Viability 11 (3): 103–107, 110–
sem Zeitpunkt besteht sogar ein dichterer Haarwuchs. Die anschlie- 112
ßenden Behandlungen sind dann aber sehr effektiv. Die Wachstums­ Lepselter J, Elman M (2004) Biological and clinical aspects in laser hair remo-
phasen der Haare sind abhängig von der Lokali­sa­tion. val. J Dermatolog Treat 15 (2): 72–83
Auch bei der Haarentfernung ist der Hauttyp für die Behand- Mariwalla K, Dover JS (2006) The use of lasers for decorative tattoo removal.
lung wichtig. Dunklere Haut (Fitzpatrick IV–VI; 7 Kap. 70.2.2, Skin Therapy Lett 11 (5): 8–11
38 Kapitel 4 · Laserchirurgie

Ort RJ, Dieickx C (2002) Laser hair removal. Semin Cutan Med Surg 21 (2):
129–144
Roy D (2005) Ablative facial resurfacing. Dermatol Clin 23 (3): 549–559
Trelles MA, Mordon S, Calderhead RG (2007) Facial rejuvenation and light: our
personal experience. Lasers Med Sci 22: 93–99
Wanner M (2005) Laser hair removal. Dermatol Ther 18 (3): 209–216
Werner A, Bäumler W, Zietz S, Kühnel T, Hohenleutner U, Landthaler M (2008)
Hereditary haemorrhagic telangiectasia treated by pulsed neodymium:
yttrium-aluminium-garnet (Nd:YAG) laser (1,064 nm). Lasers Med Sci

4 23:385–391
5

Inzisionstechniken und Vermeidung


ungünstiger Narbenbildung
M. Meyer-Marcotty, A. Gohritz, P.M. Vogt

5.1 Grundlagen der Gewebebehandlung – 40


5.1.1 Planung – 40
5.1.2 Zugang – 40
5.1.3 Atraumatische Gewebebehandlung – 40

5.2 Schnittführung – 40

5.3 Chirurgische Strategien zur Modulation der kutanen Heilung – 41


5.3.1 Einfluss der Körperregion – 42
5.3.2 Ausrichtung der Narben – 42
5.3.3 Narbenrevision – 42

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


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40 Kapitel 5 · Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger Narbenbildung

5.1 Grundlagen der Gewebebehandlung tisch gehandhabt werden. Knochen sollten mit ganz besonderer
Aufmerksamkeit behandelt und angefasst werden.
Bei nahezu jedem operativen Eingriff wird unversehrte Haut durch­ Grundsätzlich sollte das Halten der entsprechenden Strukturen
trennt, d. h. eine Verletzung zugefügt. Hierbei sind bestimmte plas­ auf ein absolutes Minimum beschränkt werden, so z. B. sind Sehnen
tisch-chirurgische Prinzipien zu beachten. als bradytrophes Gewebe äußerst vulnerabel. Eine Quetschung
durch den Pinzettengriff bei der Sehnennaht kann zu einer Ernäh­
rungs- bzw. Perfusionsstörung im Nahtbereich oder Verletzung des
5.1.1 Planung Peritendineums führen mit der möglichen Folge einer suboptimalen
Heilung der Sehnennaht und narbigen Adhäsionen.
Eine plastische Operation sollte gut geplant, zügig und sicher durch­ Durch die atraumatische Haltetechnik wird eine Quetschung
geführt werden, um das Trauma für den Patienten möglichst niedrig der Sehne vermieden, und das Risiko einer Durchblutungsstörung
5 zu halten. Dies setzt ein klares präoperatives Konzept der Lösungs­ im Nahtbereich wird minimiert.
möglichkeiten für die vorliegende Problematik voraus. Die Opera­ Nerven und Gefäße sollten mit Mikroinstrumenten oder mit
tionszeit sollte so kurz wie möglich gehalten werden, da das Gewebe atraumatischen Makropinzetten (DeBakey) nur an der Adventitia
austrocknen kann und v. a. bradytrophe Gewebe und Nerven, Seh­ bzw. am Epineurium gehalten werden. Grundsätzlich ist ein scharfes
nen oder Blutgefäße, Knochen, Muskeln und Faszien Schaden neh­ Skalpell zum Schneiden der Haut einzusetzen.
men können. Der Patient verliert Flüssigkeit und Wärme über die Scheren werden zur Präparation der funktionellen Strukturen
Wundoberfläche, und mit zunehmender Operationszeit steigt auch verwendet. Bei Verwendung der Präparierschere muss darauf geach­
das Infektionsrisiko. tet werden, dass die Spitze der Schere vom Operateur immer gese­
Ebenso steigt bei langen Operationszeiten das Risiko für Lage­ hen wird und dass nur sparsame Spreizbewegungen durchgeführt
rungsschäden mit der Konsequenz des Entstehens von Druckstellen, werden. Der kontrollierte Scherenschnitt ermöglicht ein weitaus
Dekubitus und an der oberen Extremität Lagerungsschäden von schonenderes Operieren als das schwer kontrollierbare Reißen des
Nerven (Nn. ulnaris, medianus, radialis, axillaris oder Plexus brachi­ Gewebes bei forciertem Spreizen.
alis). Bei traumatischen oder chronischen Wunden muss ein kompro­
Lange Operationszeiten bedingen über lange Narkosephasen missloses Débridement mit Entfernung avitalen und infizierten Ge­
protrahierte Nachbeatmungszeiten auf der Intensivstation mit der webes durchgeführt werden. Oft ist es in der akuten Situation jedoch
Gefahr ventilationsbedingter pulmonaler Beeinträchtigungen. Kor­ schwierig, zwischen noch vitalem und erhaltungswürdigem Gewebe
respondierend erhöht sich das Risiko einer Thromboseentstehung einerseits und irreversibel geschädigtem Gewebe andererseits zu
und Lungenembolie. ­unterscheiden; ggf. sind daher Folgeoperationen im Intervall not­
wendig.
! Cave
5.1.2 Zugang Ein zu zaghaftes oder verzögertes Débridement mit dem
Risiko des Zurücklassens von avitalem Gewebe in der
Bei der Inzision ist es wichtig, diese in ausreichender Länge über
Wunde erhöht das Risiko für eine persistierende Wund­
dem Operationsareal anzulegen, um eine gute Übersicht über das
infektion mit weiterem Gewebeuntergang.
Operationsgebiet zu gewährleisten und den Eingriff sicher und rasch
durchführen zu können. Andererseits sollte jedoch so narbenspa­
rend wie möglich operiert werden. Ziel ist es, die Narbenlänge zu
minimieren oder durch geeignete Schnittführung die Narbe in 5.2 Schnittführung
­Areale zu legen, die vom Patient weder funktionell noch ästhetisch
als störend empfunden werden. Das Skalpell muss zur Schaffung eines sauberen glatten Schnittrandes
senkrecht auf die Haut gesetzt werden und die Haut senkrecht
durchschnitten werden. Eine spätere Wundrandadaptation wird da­
5.1.3 Atraumatische Gewebebehandlung durch erleichtert und die Narbenbildung optimiert. Die Schnittfüh­
rung sollte parallel zu den Hautspannungslinien (Synonym »relaxed
Eine schonende Behandlung des Gewebes ist hierbei unbedingte skin tension lines«, Entspannungslinien) erfolgen, um eine Narben­
Voraussetzung, da insbesondere in diesem Fachgebiet neben dem verbreiterung oder -hypertrophie zu vermeiden. Langer stellte 1861
funktionellen das ästhetische Ergebnis größte Bedeutung hat. Nach erstmals das Konzept der nach ihm benannten Hautspannungsli­
der Inzision darf der Wundrand nicht mit einer Pinzette gequetscht nien vor. Diese Linien verlaufen senkrecht zu den Hauptzugrich­
werden, da dies zu Drucknekrosen und Wundheilungsstörungen tungen der unter der Haut verlaufenden Muskulatur. Sie lassen sich
führen kann. Vielmehr sollten zum Aufhalten der Wunde feine durch Zusammendrücken der Haut mit 2 Fingern identifizieren
Gilles-Häkchen oder Haltefäden verwendet werden. (. Abb. 5.1).
Die Hautinzisionen sollten, wenn möglich, in unauffälligen, we­
> Ein »Einhaken« der Haut von der Innenseite der Schnittflä­
nig sichtbaren und mechanisch wenig belasteten Körperregionen
che mit einer chirurgischen Pinzette ermöglicht es, die
platziert werden, oder in Bereichen, die aufgrund der anatomischen
Quetschung des Gewebes zu vermeiden.
Verhältnisse eine unauffällige Narbenbildung ermöglichen. Beispiele
Während des Eingriffs ist ein ständiges Feuchthalten der Wunde mit sind die in die Submammarfalte, axillär oder periareolär gelegte In­
isotonischer Kochsalzlösung wichtig, um ein Austrocknen der zision bei Eingriffen an der Mamma. Bei der Planung einer freien
Wundoberfläche zu vermeiden, die durch die Wärmeentwicklung mikrochirurgischen Gewebetransplantation z. B. sollte daran gedacht
der Operationsleuchten verstärkt wird. werden, dass eine Schnittführung am Rücken für die Lappenhebung
Insbesondere sollten funktionelle Strukturen wie Gefäße, Ner­ (z. B. Paraskapularlappen, Latissimus-dorsi-Lappen, Serratuslap­
ven, Sehnen, Muskeln, aber auch Weichgewebe wie Periost atrauma­ pen) vom Patienten nicht gesehen wird (bei der täglichen Körper­
5.3 · Chirurgische Strategien zur Modulation der kutanen Heilung
41 5

a b
. Abb. 5.1 Hautspannungslinien nach Langer im Gesicht (a) und am Rumpf (b)

pflege) und daher als weniger störend empfunden wird als Narben­ ! Cave
verläufe auf der Vorderseite des Körpers. Immer sollten mögliche Mit der Präparationsschere wird grundsätzlich keine Haut
Narbenverläufe dem Patient präoperativ erläutert und idealerweise geschnitten, sondern ausschließlich das subkutane Gewe­
am Körper in Farbe angezeichnet werden. be präpariert. Vorsichtiges Spreizen wechselt mit kontrol­
lierten Schnitten.
> Bei der Planung der Platzierung von Hautschnitten sollte
auch ein zukünftig notwendiges Lappendesign mitberück­
Bei der Exzision von Tumoren ist die Schnittführung spindelförmig
sichtigt werden.
um den Tumor parallel zu den Hautspannungslinien zu legen mit
Die Schnittführung an den Extremitäten erfolgt gerade oder in flach einem ausreichenden Sicherheitsabstand. Bei Biopsien zur Abklärung
geschwungenen Bögen parallel zur Längsachse der Extremität. Hier­ von Tumordignität ist die Inzision über dem Punctum maximum des
durch erreicht man eine gute Übersicht des Operationssitus bei Befundes zu wählen und in die zukünftigen Inzisionen, z. B. bei onko­
gleichzeitiger Vermeidung des Hautuntergangs in den Lappenspit­ logischen Resektionen, einzuplanen (7 Kap. 32 »Malig­ne Tumoren«).
zen bei zu starker Winkelung der Schnittführung. Lineare Inzisionen
über Gelenkbeugen sind grundsätzlich kontraindiziert.
Ein grundsätzliches Problem für evtl. zukünftige plastische 5.3 Chirurgische Strategien zur Modulation
­Operationen besteht darin, dass sog. Standardinzisionen anderer der kutanen Heilung
Fachgebiete z. T. plastisch-chirurgisch relevante Strukturen nicht
respektieren (z. B. Durchtrennung des M. latissimus dorsi bei poste­ Der Einfluss chirurgischer Techniken auf die Narbenbildung er­
rolateraler Thorakotomie). Besonders bei interdisziplinären Eingrif­ streckt sich von der Erzeugung der Wunde im Rahmen chirurgischer
fen sollte hierauf hingewiesen werden. Eingriffe über die Art der Gewebebehandlung bis hin zur Wahl und
Bei der Hautnaht muss auf eine Eversion der Wundränder ge­ Verwendung des Fadenmaterials (Vogt et al. 2009). Chirurgische
achtet werden, da durch eine optimale Approximation der tiefen Strategien zur Kontrolle der Narbenbildung beinhalten daher Maß­
dermalen Anteile flache, unauffällige Narben erreicht werden. Jegli­ nahmen, die die negativen Wirkungen von chirurgischen und me­
che Stufenbildung von adaptierten Hauträndern führt zu ästhetisch chanischen Eingriffen in Bezug auf den Heilungsprozess auf ein
auffälligen Narben. Minimum reduzieren.
Für den Hautschnitt und bei Operationen an den Händen wird Die Entstehung einer feinen Narbe ist abhängig von einer Viel­
in der Regel ein 15-er Skalpell verwendet, mit dem auch (z. B. bei der zahl von Faktoren (. Übersicht).
Dupuytren-Kontraktur) in der Tiefe die funktionellen Strukturen
präpariert werden können. Ein 11-er Skalpell ist für ganz feine
Einflussfaktoren auf die Bildung einer feinen Narbe
punktförmige Schnittführungen geeignet (Kanülenzugang bei Lipo­
suktion, Arthroskopiezugang Handgelenk) oder um die Hautläpp­ 4 Hauttyp und Lokalisation am Körper
chen bei Z-Plastiken exakt zu umschneiden. 4 Spannung der Wundränder
4 Nahtmaterial
> Immer sollte die Klinge nach dem Hautschnitt für die Prä­ 4 Ausrichtung der Wunde in Bezug auf Kraftvektoren und
paration tieferer Strukturen gewechselt werden. Hautspannungslinien
4 Faktoren der Komorbidität
4 Technik des Wundverschlusses
42 Kapitel 5 · Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger Narbenbildung

Die Narbenbildung kann auch durch die verwendete Technik des


Wundverschlusses beeinflusst werden. Die Grundlage für den Er­
halt einer bestmöglichen Narbe bildet dabei
4 die atraumatische Behandlung der Hautränder,
4 die Entfernung von Nekrosen und Fremdkörpern,
4 chirurgisches Débridement bei traumatischer Lazeration oder
Kontamination und schließlich
4 der spannungsfreie Wundverschluss.

Trotz all dieser Bemühungen bleibt die Narbenbildung auch in Wun­


den, die mit akribischer Technik versorgt werden, nach wie vor un­
5 vorhersehbar. Beim selben Patienten kann ein zu unterschiedlichen
Zeitpunkten durchgeführter gleichartiger chirurgischer Eingriff zu
erheblichen Unterschieden in der Narbenqualität führen. Die indi­
a
viduellen immunologischen und pathophysiologischen Faktoren
bleiben dem Einfluss des Chirurgen derzeit noch weitgehend unzu­
gänglich.

5.3.1 Einfluss der Körperregion

! Cave
Wunden an bestimmten anatomischen Regionen, wie an
der Schulter oder am Brustbein sowie über großen Gelen­
ken, weisen eine Tendenz zur Verbreiterung sowie Hyper­
trophie und damit zu ungünstiger Narbenbildung auf.

Im Gegensatz dazu heilen Wunden an anderen Körperregionen, wie


z. B. an den Augenlidern, fast immer mit unauffälliger Narbenbil­
dung ab. b

. Abb. 5.2a, b Gute Narbenbildung: Bei diesem 30 Jahre alten Mann, der
sich einer Fettabsaugung der Pektoralisregion unterzog, sind die Inzisions­
5.3.2 Ausrichtung der Narben linien für die Fettabsaugungskanüle kaum erkennbar. Die Narben wur­
den kurz gehalten und parallel zu den Hautspannungslinien am seitlichen
Die Begriff der »Hautspannungslinien« oder »Hautspaltlinien« M.-pectoralis-Rand platziert. Als Nahtmaterial wurden subdermal gestoche­
(. Abb. 5.1) wurde ursprünglich von Dupuytren (1832), Langer ne evertierende resorbierbare Einzelknopfnähte (4-0 Monocryl) verwendet
(1861) und später auch als »relaxed skin tension lines« von Borges
(1984) beschrieben.
halb der Wunde minimiert wird. Auch durch Naht der Hautränder
> Wenn sich eine Narbe parallel zu den relaxierten Haut­
des noch vorhandenen ausgereiften und damit stabilen Narben­
spannungslinien orientiert, entsteht an den Wundrändern
gewebes nach intraläsionaler Exzision kann eine Entlastung der Ge­
nur eine minimale Spannung (7 Abb. 5.2). Eine maximale
webespannung erreicht und dadurch die Entstehung von besseren
Narbenkontraktion tritt auf, wenn eine Narbe die Linien
Narben gefördert werden. Dies ist insbesondere bei Keloiden von
der minimalen Spannung im rechten Winkel kreuzt.
Bedeutung.
Narben können auch in Konturlinien (d. h. Trennlinien) zwischen
Körperfalten versteckt werden. Dies führt meist zu einer Vergröße­ Chirurgische Indikationsstellung
rung der Narbe. Wenn Narben in einem schrägen Winkel platziert Parsons (1977) hat die für den Chirurgen kritischen Aspekte der
werden, neigen sie eher zur Hypertrophie (. Abb. 5.3d). Ein Beispiel Narbenrevision zusammengefasst:
für unauffällige und minimale Narbenbildung ist in . Abb. 5.4 wie­ 4 Eine Narbe erscheint üblicherweise zwischen 2 Wochen und
dergegeben. Narben sind dagegen sichtbar und auffällig, wenn sie 2 Monaten nach Verletzung am auffälligsten. Narbenrevisionen
Hautspannungslinien kreuzen oder wenn sie Verbreiterungen, Erha­ sollten daher die spontane Narbenreifung abwarten, die abhän­
benheiten und Depigmentierungen aufweisen (. Abb. 5.3). gig von verschiedensten Faktoren zwischen 4 Monaten und
24 Monaten beanspruchen kann (7 oben). Lediglich funktionell
behindernde Narben, z. B. über Gelenkbeugen oder im Gesicht,
5.3.3 Narbenrevision können früher eine Indikation zur Revision darstellen.
4 Eine Narbe wird dann auffällig, wenn sie den Verlauf von Ober­
Eine besondere Herausforderung für den Chirurgen stellt die Nar­ flächenregionen unnatürlich durch abweichende Farbe, Kontur
benrevision dar. Um ein gutes Ergebnis der Narbenrevision zu er­ oder Texturdifferenzen unterbricht.
halten, ist es auch hier entscheidend, die Spannung an den Wund­ 4 Das endgültige ästhetische Ergebnis einer Narbe hängt meis­
rändern zu vermindern. In Studien konnte gezeigt werden, dass die tens mehr von der Schädigungsursache (auch Traumatisierung
Narbenexzision und der Wundverschluss in ausgereiften Narben durch den Chirurgen) als von der Nahttechnik ab. Quetschung,
durchgeführt werden muss, damit die entzündliche Aktivität inner­ Schmutz­tätowierungen, ungünstiger Wundverlauf, Lazeratio­
5.3 · Chirurgische Strategien zur Modulation der kutanen Heilung
43 5

a b

c d

. Abb. 5.3a–d Klinische Auffälligkeiten von Narben: Auffällige Narben leiter«; b, c). Ein ungünstiger Verlauf gegen die Orientierung der Hautspaltli­
sind oftmals depigmentiert (a) und weisen Dehiszenzen oder Stufen auf (b). nien ist oftmals mit Hypertrophie aufgrund der erhöhten Spannung ver­
Insbesondere wenn kräftige, nichtresorbierbare Einzelnähte verwendet bunden (d)
werden, entstehen zusätzliche Vernarbungen durch Hauteinstiche (»Strick­

a b

. Abb. 5.4a, b Um eine Primärheilung mit minimaler Narbenbildung zu er­ nähte (Vicryl 3-0) und durch resorbierbare fortlaufende Intrakutannaht (Mo­
zielen, sind eine präzise Zusammenführung der Hautränder und ein span­ nocryl 4-0; a). Feine und kaum erkennbare Narbe nach Mammaaugmentati­
nungsfreier Wundverschluss erforderlich, am besten durch dermale Einzel­ on über eine inframammäre intrakutan genähte Inzision (b)
44 Kapitel 5 · Inzisionstechniken und Vermeidung ungünstiger Narbenbildung

nen, Spannung und Stufenbildungen am Wundrand führen zu


ungünstigen Resultaten.
4 Weniger die Wahl des Nahtmaterials als vielmehr die techni­
schen Aspekte der Nahtplatzierung und Entfernung bestimmen
die endgültige Narbe. Neuere Entwicklungen resorbierbarer
Nahtmaterialien der letzten 2 Jahrzehnte besitzen hierbei jedoch
Potenzial zur Optimierung der Heilung (Niessen et al. 1997).
4 Die Immobilisierung ist mindestens genauso bedeutsam wie
bei der Frakturheilung. Spannung am Wundrand während der
Wundheilung erzeugt kleinste Geweberupturen mit konsekuti­
ver Narbenbildung (Hypertrophie wie Verbreiterung). Adhäsive
5 Pflaster(Strips) sollten noch 1–2 Wochen nach der Nahtentfer­
nung auf der Hautnarbe verbleiben.
4 Techniken wie die Verlagerung von Narbenverläufen in Haut­
spaltlinien durch Z-Plastiken oder W-Plastiken, ggf. auch durch
Transpositionslappen stellen gängige und bewährte Verfahren
dar, um den ungünstigen und auffälligen Narbenverlauf zu kor­
rigieren. Durch die Reduktion der Narbenspannung verbessert
sich die Hypertrophie und Inflammation oft kurzfristig.

Moderne physikalische Methoden der Inzision oder Ablation wie


Lasersysteme ermöglichen zwar eine atraumatische Gewebetren­
nung, dennoch verbieten bisher der Preis und die aufwendige Hand­
habung eine breite Anwendung in der Oberflächenchirurgie. Auch
eine reduzierte Entzündung kann in einigen Wunden ein Nachteil
für den Heilungsverlauf, insbesondere hinsichtlich stabiler Narben
sein. Daher bildet die Kombination von sorgfältiger Gewebehandha­
bung und die Wahl eines nicht reaktiven Nahtmaterials eine solide
Basis für die Erzeugung feiner und reißfester Narben.

Literatur
Borges AF (1984) Relaxed skin tension lines (RSTL) versus other skin lines.
Plast Reconstr Surg 73 (1): 144
McGregor AD, McGregor IA (eds) (2009) Fundamental techniques of plastic
surgery, and their surgical applications, 10th edn. Churchill Livinstone,
New York
Niessen FB, Spauwen PH, Kon M (1997) The role of suture material in hyper­
trophic scar formation: Monocryl vs. Vicryl-rapide. Ann Plast Surg 39 (3):
254
Parsons RW (1977) Scar prognosis. Clin Plast Surg 4: 181
Vogt PM, Altintas MA, Radtke C, Meyer-Marcotty M (2009) Grundlagen und
Techniken der chirurgischen Naht. Chirurg 80: 437–447
6

Nahtmaterialien und Nahttechniken


M. Meyer-Marcotty, P.M. Vogt

6.1 Nahtmaterialien – 46
6.1.1 Wechselbeziehung von Nahtmaterial und Narbenqualität – 46
6.1.2 Nahttypen – 47

6.2 Haut und Unterhaut – 48


6.2.1 Knotentechniken – 48
6.2.2 Chirurgische Aspekte der Nahttechnik – 49
6.2.3 Schichtweiser Wundverschluss – 49
6.2.4 Kritische Elemente der Nahttechnik – 49
6.2.5 Zusätzliche Maßnahmen zum Wundverschluss – 51

6.3 Faszien und Sehnen – 51

6.4 Mikrochirurgie von Gefäßen und Nerven – 51


6.4.1 Instrumente – 51
6.4.2 Nahttechnik – 52
6.4.3 Fadenstärke – 52

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
46 Kapitel 6 · Nahtmaterialien und Nahttechniken

6.1 Nahtmaterialien
Goldene Regeln zur Erzielung guter Narbenqualität
Das chirurgische Nahtmaterial kann unterteilt werden in 4 Platzierung der Inzisionen in Linien geringster Haut­
4 resorbierbare und nichtresorbierbare, spannung oder in natürlichen Hautfalten
4 monofile oder geflochtene Fäden. 4 Sanfte Gewebebehandlung und Beschränkung des
Débridements auf das notwendige Maß zur Erzielung
Die Fadenstärke bestimmt in hohem Maße die Reißfestigkeit des eines ­sauberen Wundbettes
Fadens. 4 Komplette Hämostase im Wundbereich
Moderne synthetisch hergestellte nichtresorbierbare Nahtmate­ 4 Ausschaltung von Spannung an Hauträndern
rialien (Nylon, Polypropylene) sowie resorbierbare Monofilamente 4 Verwendung feiner Nähte mit frühestmöglicher Ent-
(Polyglecapron; . Tab. 6.1) sind minimal gewebereaktiv und werden fernung
somit für den Wundverschluss bevorzugt, insbesondere dann, wenn 4 Evertierung der Wundränder
kosmetische Aspekte im Vordergrund stehen. Sie alle haben das klas­ 4 Beste Narbenqualität ist eher bei Patientenalter in der Nähe
sische Catgut ersetzt.
6 In einer systematischen Studie untersuchten van Winkle et al. bei
von 90 Jahren als von 9 Jahren zu erwarten
4 Abwarten der Narbenreifung vor Versuch einer Narben­
Hunden 6 chirurgische Nahtmaterialien zum subkutanen Verschluss revision
von abdominalen Inzisionen. Die Auswirkungen auf die Wundhei­
lung wurden mittels mechanischer, biochemischer und histologi­
scher Methoden evaluiert. Unter den mit unterschiedlichen chirur­
gischen Nahtmaterialien versorgten Wunden konnten postoperativ 6.1.1 Wechselbeziehung von Nahtmaterial
bis zu 28 Tage keine Unterschiede in der Wundreißfestigkeit ermit­ und Narbenqualität
telt werden. In Bezug auf die Inzidenz von Wundinfektionen wurde
jedoch die Überlegenheit von monofilen Fäden gegenüber multifilen Experimentelle und klinische Daten aus der Wundheilungsfor­
Nahtmaterialien gezeigt. Unter den nicht resorbierbaren Nahtmate­ schung und aus Nahtstudien helfen heute, Nahtmaterial und Naht­
rialien zeigten die nicht mehr im klinischen Hautverschluss popu­ technik optimal zu kombinieren, um einen sicheren und exakten
lären Materialien Seide und Polyester die höchste Rate an Wund­ Wundverschluss mit einer ästhetisch möglichst günstigen Narben­
infektionen mit einer intensiven und lang anhaltenden Gewebereak­ qualität zu erzielen. Seit langem ist bekannt, dass bei Wunden die
tion. Im Gegensatz dazu erzeugte Polypropylen, als monofile Naht, Nahtfestigkeit erheblichen Einfluss auf die Narbenqualität hat. So
nur eine milde bis moderate Gewebereaktion. Auch wenn die Ergeb­ unterstützen suffiziente Nähte die »schwachen« Kollagenbündel ei­
nisse aus den tierexperimentellen Studien eindeutig waren, empfeh­ ner heilenden Wunde, was vorrangig in den ersten 3 Wochen nach
len die Autoren, bei der Übertragung ihrer Beobachtungen auf den Inzision von Bedeutung ist, da in diesem Zeitraum die Wundreiß­
Menschen Vorsicht walten zu lassen, da man berücksichtigen muss, festigkeit nur 20% der normalen Haut beträgt.
dass bestimmte Spezies auf chirurgisches Nahtmaterial unterschied­
> Die Hauptursache für Narbendehiszenz ist die Separation
lich reagieren.
von »schwachen« Kollagenfasern (Typ-III-Kollagen), bevor
Als synthetisches resorbierbares Nahtmaterial erzeugte Polygla­
sie in gut ausgerichtete Kollagen-Typ-I-Bündel ausreifen.
ctin nur eine moderate Gewebereaktion und war einheitlich zwischen
Eine konstante Dehnung lässt sich daher in Narben be­
dem 28. und 70. Tag nicht mehr nachweisbar. In einer klinischen
obachten, die nicht durch Nähte unterstützt werden.
Studie an 81 Patientinnen wurde dieser Unterschied bestätigt. So
resultierte bei Verwendung von monofilen resorbierbaren Nähten Die Breite einer Narbe in einer nicht durch Nähte unterstützten
(Polyglecapron, Monocryl) zum Verschluss von inframammären In­ Wunde kann sich dabei in 3 Wochen bis 3 Monaten nach der Inzisi­
zisionen von Mammareduktionsplastiken eine signifikant geringere on verdoppeln und sich zusätzlich um weitere 50% zwischen dem
Tendenz zur inflammatorischen Aktivität und Narbenhypertro­ 3. und 6. postoperativen Monat verbreitern.
phie als unter geflochtenem Polyglactin (Vicryl rapide). Allgemeine
Leitlinien zur Wahl des richtigen Nahtmaterials und der Techniken > Daher ist in diesem Zeitraum die mechanische Entlastung
sind in . Tab. 6.2 und der . Übersicht aufgelistet (weitere Details in zur Unterstützung der Narbenreifung von entscheidender
7 Kap. 5). Bedeutung und kann effizient durch folgende Maßnah-
men gefördert werden: Nähte, Vitamine, mikroporöse Ta-
pes und Schienen.

. Tab. 6.1 Eigenschaften moderner resorbierbarer und nichtresorbierbarer Nahtmaterialien

Struktur Eigenschaften Resorbierbar Nichtresorbierbar

Monofil 4 Kein Kapillareffekt 4 Polyglecapron 4 Polyamid


4 Kein Reiben 4 Polydioxanon 4 Polypropylen
4 Glatte Passage 4 Polytrimethylcarbonat 4 Stahldraht
4 Knotengleiten

Geflochten 4 Sichere Knoten 4 Polylyglactin 4 Polyester


4 Hohe Reißkraft 4 Polyglactin rapid 4 Seide
4 Weichheit 4 Polyglactin Plus 4 Stahldraht
6.1 · Physiologische Mechanismen
47 6

. Tab. 6.2 Nahtmaterial bei Weichteilwunden. (Nach Markovchick 1992)

Lokalisation Nahtmaterial Verschlusstechnik Entfernung des


Nahtmaterialsc [Tage]

Skalp 4 3-0, 4-0 nicht resorbierbar 4 Einzelknopfnaht 7–12


4 Monofil 4 Dicht

Gesicht 4 4-0, 5-0 synthetisch resorbierbar 4 Schichtweise, falls Wunde oder Inzision voll­ 3–5
oder schichtig
4 6-0 nichtresorbierbar 4 Fortlaufend oder Einzelknopfnaht
4 Monofil

Augenlid 4 5-0 intrakutan, 6-0 Einzelknopf 4 Einreihig Einzelknopf oder fortlaufend (unter­ 5
4 Nichtresorbierbar stützt durch Steri-Strips für bis zu 10 Tage)
4 Monofil

Lippe oder 4 4-0, 5-0 resorbierbar in Mukosa, Muskel 4 Schichtweise Muskel, Mukosa, Haut 3–5
Mundhöhle intradermaler Schicht 4 Einzelknopfnaht
4 6-0 monofil nichtresorbierbar in Haut

Hals 4 4-0 resorbierbar 4 Zweischichtig für bestes kosmetisches Ergebnis 4–6


4 5-0 nichtresorbierbar 4 Fortlaufend
4 Monofil 4 Intrakutan

Abdomen, 4 3-0 oder 4-0 resorbierbar 4 Ein- oder mehrschichtig 6–12


Rücken 4 3-0 oder 4-0 nichtresorbierbar 4 Fortlaufend
4 Monofil 4 Intrakutan

Extremität 4 3-0 oder 4-0 resorbierbara 4 Einreihig oder mehrreihig (Dermis)a 6–14b
4 3-0 oder 4-0 nichtresorbierbar 4 Schienen bei Wunden über Gelenken oder bei
4 Monofil 3-0 oder 4-0 resorbierbar hoher Wundspannung
4 Fortlaufend
4 Intrakutan

Hände und Füße 4 4-0 oder 5-0 nichtresorbierbar 4 Einreihig mit einfachen oder Einzelknopfrück­ 7–12
4 Monofil stichnähten
4 Schienen bei Wunden über Gelenken oder bei
hoher Wundspannung

Nagelbett 4 6-0 oder 7-0 resorbierbar 4 Exakte Adaptation mit Einzelknopfnähten Resorption
4 Lupenvergrößerung
4 Nagelschienung durch Originalnagel oder Kunst­
nagel (aus 20-ml-Spritze), um Adhäsionen zu
vermeiden
a In Zonen hoher Spannung resorbierbare monofile Nähte (Polydioxanon) sorgen für längere Reißkraft während der kritischen Phase der Kollagen­
bündelentwicklung.
b
An der unteren Extremität verbleiben nichtresorbierbare Fäden bis zu 21 Tage abhängig von Gefäßstatus, Durchblutung und Hautqualität.
c
Bei Verwendung nicht resorbierbaren Materials.

Eine wichtige Eigenschaft moderner Nahtmaterialien besteht darin, 6.1.2 Nahttypen


möglichst eine nur geringe Entzündungsreaktion während der Re­
sorption auszulösen. Bereits auf der Ebene der nichtresorbierbaren Die Haltekraft einer Naht wird bestimmt durch die Reißfestigkeit des
Materialien erzeugen Nähte weniger Entzündungen als Klammern. Materials (. Abb. 6.1).
Bei Verwendung von Klammern besteht eine höhere Inzidenz von In Wunden, die unter milder Spannung stehen, ergeben subkutane
Entzündungen, Beschwerden bei der Entfernung und eine ungüns­ oder intrakutane fortlaufende Nähte kosmetisch sehr gute Ergebnisse
tigere Narbenheilung im Vergleich zu Nähten (Stockley u. Elson (Vogt et al. 2009). Im Gegensatz zu Einzelnähten lassen sie jedoch kei­
1987). Der Vorteil von Klammern bestand in der Schnelligkeit des ne differenzierte Anpassung der Nahtspannung zu, die in einigen kom­
Wundverschlusses. plexen Wunden nötig werden kann. Daher erfordern subkutane fort­
Hinsichtlich der Eigenschaften von resorbierbaren und nichtre­ laufende Nähte korrekt platzierte dermale Einstiche. Greve et al. (1986)
sorbierbaren Nähten fanden sich keine Unterschiede in der erreich­ zeigten, dass sehr gute kosmetische Ergebnisse bei mehr als 1500 Näh­
ten Narbenqualität. Allerdings ließ sich bei Verwendung von dünne­ ten von bis zu 30 cm Länge mit einem resorbierbaren Polydioxanon­
ren inneren (subkutanen) Nähten ein Trend für eine bessere Heilung faden erzielt wurden. Insbesondere spielt hier die Nähe des Nahtma­
beobachtet. Unter den verschiedenen resorbierbaren Materialien terials zur Epidermis eine Rolle. Werden die Fäden zu oberflächlich
erwies sich das Gewebe bei monofilen Fäden weniger reaktiv als bei deponiert und wird zudem die Masse des Materials durch dicke Kno­
geflochtenen Fäden. ten vergrößert, resultieren vermehrte Entzündungsreaktionen.
48 Kapitel 6 · Nahtmaterialien und Nahttechniken

. Abb. 6.1 Reißfestigkeit von Einzelfäden im Organismus. (Mod. nach Ethicon GmbH und Vogt et al. 2009)
6
> Bei allen resorbierbaren Einzelnähten ist auf eine deutlich den verlieren nach 10–12 Tagen 50% ihrer Reißkraft, nach 9 Mona­
subdermale Stichorientierung mit Evertierung der Wund­ ten sind die Fäden in der Regel restlos resorbiert. Im Vergleich zum
ränder zu achten. Eine fortlaufende intrakutane Naht darf früher verwendeten Catgut verursachen diese Kunststofffäden we­
nicht zu oberflächlich platziert werden. sentlich seltener Fremdkörperreaktionen, Antigenreaktionen treten
nicht auf. Problematisch bei diesen geflochtenen Fäden (Vicryl) ist
Der Wundverschluss mit Gewebeklebstoffen wurde wiederholt im die sehr raue Oberfläche, die zu einem Einschneiden in das Gewebe
Laufe der letzten Jahre favorisiert. Die klinische Anwendung ist führen kann. Der PDS-Faden (ein Polydiaxanonfaden) ist ein syn­
bislang auf kleine oberflächliche Wunden beschränkt und wird be­ thetisch hergestellter monofiler Faden, der im Gegensatz zu einem
vorzugt bei Kindern eingesetzt. In einer neueren prospektiven ran­ geflochtenen Faden (z. B. Vicryl) eine sehr glatte Oberfläche hat und
domisierten Studie wurde ein bemerkenswerter Unterschied in der die Reißkraft innerhalb von 70 Tagen verliert.
Wundheilung beobachtet: In 26% der Fälle traten in der Klebstoff­
gruppe Wunddehiszenzen auf, wohingegen keine Dehiszenzen in
der Nahtgruppe zu verzeichnen waren. Daher empfehlen die Auto­ 6.2 Haut und Unterhaut
ren, dass bei Kindern Wunden besser chirurgisch mit einer resor­
bierbaren intrakutanen Naht verschlossen werden sollten. Bei der Hautnaht kommt es primär darauf an, eine optimale Koap­
In allen Situationen, in denen eine hohe Spannung zu erwarten tation der Wundränder zu erlangen, um eine flache unauffällige Nar­
ist, erscheint die Reduktion von Traktionskräften auf die Wundrän­ benbildung zu erzielen.
der obligatorisch. Hogstrom et al. haben bei Ratten an Laparotomie­
! Cave
wunden gezeigt, dass sich die Reißfestigkeit von unter Spannung
Die Wundränder dürfen während der Naht nicht ge-
stehenden Nähten um 77% verringerte und diese bei fast der Hälfte
quetscht werden.
der Tiere insuffizient geworden waren. In Wunden der »Spannungs­
gruppe« wurden in der Peripherie des Fadenmaterials eine verstärkte Um eine feste Knotenbildung zu erreichen, ist es bei den modernen
Gewebemyeloperoxidaseaktivität und eine deutlich erhöhte An­ Nahtmaterialien mit einer sehr glatten Oberfläche und großen
sammlung von neutrophilen Leukozyten nachgewiesen. Die Auto­ ­Elastizität wichtig, eine saubere Knotentechnik zu beherrschen. Im
ren schlussfolgern, dass die verminderte Reißfestigkeit durch die Allgemeinen werden 2 gleichläufige Knoten gefolgt von einem ge­
neutrophilen Granulozyten hervorgerufen wurde. genläufigen und wieder einem gleichläufigen Knoten gesetzt.
In einer neueren Studie erzeugten resorbierbare lange monofile
dermale Nähte, die in einer »Schlingentechnik« eingebracht wurden,
durch lang anhaltende Zugfestigkeit auf das heilende Gewebe die 6.2.1 Knotentechniken
kleinsten Narben. Das Argument der Autoren, Polydioxanon (PDS)
zu verwenden, stützte sich auf die lange Reißfestigkeit der Fäden Die verschiedenen Knotentechniken sind in . Abb. 6.2 abgebildet.
(64 Tage) und eine reduzierte entzündliche Reaktivität dieses Mate­
rials im Vergleich zu anderen Fäden (. Abb. 6.1). Maschinenknoten. Der »Maschinenknoten« wird mit Pinzette und
Die Sterilisation des Nahtmaterials erfolgt allgemein mit Ethy­ Nadelhalter geknotet und ist ein technisch einfach durchzuführen­
lenoxid oder γ-Strahlen. der Knoten. Diese Knotenform wird oft bei Hautnähten bei Einzel­
Heute werden meist Kunststofffäden verwendet, die durch Poly­ knöpfen oder Rückstichnähten eingesetzt. Das Feingefühl für die
merisation von Monomeren hergestellt werden. Die Kunststofffäden Knotenspannung und die Gewebefestigkeit fehlt bei dieser Knoten­
zeichnen sich durch eine sehr gute Gewebeverträglichkeit aus. Durch technik.
die wasserabstoßenden Eigenschaften quellen die Fäden im Gewebe
nicht auf und zeigen keinerlei Dochtwirkung. Das Fehlen der Quel­ Einzelknopfnaht. Die Einzelknopfnaht wird zum Hautverschluss,
lung und Dochtwirkung macht die nichtresorbierbaren Kunststoff­ beispielsweise in der Hohlhand, durchgeführt. Die Narbenbildung
fäden aus Polyamiden (z. B. Ethilon, Seralon, Nylon, Perlon etc.) und ist relativ unauffällig bei optimaler Adaptation der Hautränder anei­
Polyestern (z. B. Mersilene etc.) zu den gebräuchlichsten Nahtmate­ nander und evertierter Naht. Eine locker adaptierende Einzelknopf­
rialien für alle Haut-, Sehnen-, Gefäß- und Nervennähte. hautnaht kann beispielsweise bei verschmutzten Wunden durchge­
Polyglycolsäurefäden (z. B. Vicryl) sind synthetisch hergestellte führt werden, damit noch eventuell bestehendes Wundexsudat
Fäden, die nach einer definierten Zeit resorbiert werden. Diese Fä­ durch die Lücken zwischen den Einzelknopfnähten abfließen kann.
6.2 · Haut und Unterhaut
49 6

a b c

. Abb. 6.2a–e Nahttechniken: a Einzelknopfnaht,


b Rückstichnaht (Donati), c fortlaufende Naht, d intraku­
tan fortlaufende Naht, e subkutane Naht mit versenkten
Knoten
d e

Rückstichnaht. Rückstichnähte (Donati-Naht, Allgöwer-Naht) 6.2.2 Chirurgische Aspekte der Nahttechnik


führen zu einer noch besseren Eversion der Wundränder bei guter
Stabilität. Der durchgreifend tief dermale Nahtanteil sorgt für die Der Wundverschluss kann durch eine Vielzahl von Methoden und
entsprechende Festigkeit, der oberflächliche koriale und epidermale Techniken erzielt werden. Hierzu können Fäden, Klammern, Tape­
Anteil dieses Stiches führt zu einer passenden Eversion der Wund­ verbände oder Gewebeklebstoffe eingesetzt werden. Unabhängig
ränder. Insbesondere bei Wundrändern, die eine Tendenz zu Wund­ davon, welche Methode verwendet wird, müssen die Hautränder
randinversion (z. B. Wundränder von chronischen Wunden) haben, präzise und spannungsfrei zusammengeführt werden.
eignet sich diese Nahttechnik. Bei den Rückstichnähten kann es ver­
mehrt zu ischämisch bedingten Nekrosen des subkutanen Gewebes
kommen. 6.2.3 Schichtweiser Wundverschluss

Intrakutane fortlaufende Hautnaht. Dies ist eine sehr elegante Die verschiedenen Schichten einer Wunde müssen entweder mit
Nahttechnik, um ein optimales Narbenbild zu erreichen. Die stören­ einzelnen oder fortlaufenden Nähten zusammengeführt werden.
den Ein- und Ausstichstellen der Nadel bei Einzelknopf oder Rück­ Dabei wird subkutanes Fettgewebe nicht vernäht. In randomisierten
stichnähten entfallen. Bei der intrakutan fortlaufenden Naht ist die Studien konnte nach V.-saphena-Exzision der negative Effekt von
intradermale Lage des Fadens wichtig mit einem gleichmäßigen Ab­ subkutanen Nähten gezeigt werden. Eine zusätzliche Naht des Fett­
stand zur Hautoberfläche und gleichmäßigem Abstand der Ein- und gewebes führt hier zu Gewebeischämie sowie Nekrose und damit zu
Ausstiche. Bei stark verschmutzten Wunden und solchen Wunden, einem erhöhten Infektionsrisiko. Um eine Entlastung der Spannung
die stark sezernieren und eine entsprechende Drainage der Wund­ an den Wundrändern und gleichzeitig eine ausreichende Reißfestig­
flüssigkeit benötigen, ist diese Nahttechnik nicht geeignet. keit zu erzielen, sind dermale Nähte wichtig.
Aktuell wird resorbierbares Nahtmaterial bevorzugt, das so
Überwendlich fortlaufende Naht. Diese Technik wird bevorzugt durch tief dermale Einstiche mit invertierter Stichrichtung unter der
eingesetzt bei der Einnaht von Hauttransplantaten. Eine gleichmä­ Dermis versenkt wird, dass der Knoten subdermal zu liegen kommt.
ßige Verteilung der Spannung bei guter Festigkeit der Naht kann so Diese Maßnahme reduziert die auf der finalen Hautnaht liegende
erreicht werden. Ein Knoten und Abschneiden des Fadens während Spannung maximal. Durch den versenkten Knoten wird die Rate an
der Hautnaht entfällt. Fadenextrusionen reduziert (7 unten).
Wenn nichtresorbierbares Material oder Klammern zum äuße­
Dynamische Hautnaht. Die dynamische Hautnaht wird bei sekun­ ren Verschluss der Epidermis verwendet werden, sollten diese an
där klaffenden Wunden eingesetzt. Hier wird über einen Zeitraum ästhetisch exponierten Regionen (Gesicht) innerhalb von 5 Tagen
von bis zu einigen Wochen ein stark klaffender Wundspalt durch die von der Hautoberfläche entfernt werden, um unansehnliche Ein­
Dehnbarkeit der Haut direkt verschlossen ohne den Einsatz von stichstellen (»cross-hatching«) zu vermeiden.
Hauttransplantaten.

Subkutannaht. Die Subkutannaht zur Durchführung eines schicht­ 6.2.4 Kritische Elemente der Nahttechnik
weisen Wundverschlusses führt zu einer Optimierung des Wundver­
schlusses durch eine Verkleinerung des Wundhohlraums und zu > Kritische Elemente neben scharfer und sauberer Schnitt-
einer guten Adaptation der Wundränder aneinander. Auch die Reiß­ führung sind korrekte Ausrichtung der Wundränder, Ver-
festigkeit der Wunde kann durch eine Subkutannaht erhöht werden. meidung von Wundhöhlen, schichtweiser Wundverschluss
Es sollte darauf geachtet werden, dass der Knoten in der Tiefe ver­ und Eversion der Wundränder. Tiefe dermale Nähte nä-
senkt wird, um ein Perforieren durch die Haut zu vermeiden. Dies hern die Hautränder aneinander an und helfen, die Span-
wird durch ein invertiertes Einstechen erreicht. nung an diesen zu verringern.
50 Kapitel 6 · Nahtmaterialien und Nahttechniken

Ein häufiges Problem nach subkutanem Hautverschluss von


dermalen Wunden besteht in einer Nahtextrusion. In einem expe­
rimentellen Schweinemodell konnten die klinischen Erfahrungen
am Menschen hinsichtlich Nahtextrusion, Wunddehiszenz, Abszess
der Einstichstelle und Granulombildung eindrucksvoll reprodu­
ziert werden. Die kumulative Inzidenz von Nahtextrusionen über
5 Wochen reichte von 10–33%. In der gleichen Studie wurde ge­
zeigt, dass ein 5-facher chirurgischer Knoten eine höhere kumu­
lative Inzidenz von Nahtextrusionen aufwies als ein 3-facher oder
4-facher chirurgischer Knoten. Beim dermalen Wundverschluss
mittels resorbierbaren Nähten bergen daher asymmetrische Kno­
. Abb. 6.3 Chirurgische Kontrolle der Narbenqualität. Eine optimale Ausrich­ tenkonstruktionen die größte Gefahr einer Fadensequestrierung.
tung der Hautränder (linke Spalte) führt zu einer nichtdehiszenten, nicht­hyper­ In einer anderen Studie konnte gezeigt werden, dass durch hohe
trophen Narbe und vermeidet sichtbare Einstichstellen (»cross-hatching«) Oberflächenreibung sowohl resorbierbares 4-0-Polyglactin als auch
6 4-0-Polyglycolsäure eine gute Knotensicherheit ermöglichen. Aller­
Evertierende Hautnähte werden beim Wundverschluss unter minima­ dings sorgt die raue Oberfläche auch dafür, dass die Fäden schwer
ler Spannung eingebracht, greifen vorwiegend tiefe Anteile der Dermis gewebegängig sind. Dies hat zur Folge, dass ein kontinuierliches
und halten einen möglichst großen Abstand zur Epidermis ein Gleiten der Naht erschwert und dadurch die Spannung schwer zu
(. Abb. 6.3). Aufgrund der hohen kosmetischen Anforderungen sind regulieren ist. Zusätzlich ist auch das Mikrotrauma des Gewebes
diese Grundsätze v. a. im Gesichtsbereich von besonderer Bedeutung. erhöht.

a
b
. Abb. 6.4a, b Postoperatives Narbenmanagement. Angemessene Naht­ de das betroffene Gelenk zur Rezidivprophylaxe des Ganglions für 4 Wo­
technik und Narbenmanagement helfen bei der Entstehung von guten Nar­ chen in einer Schiene immobilisiert. Silikongelstreifen beugen zusätzlich ei­
ben wie im vorliegenden Fall einer Patientin mit Handgelenksganglion. Der ner Narbenhypertrophie vor. Nach 12 Wochen deutet nur noch eine mini­
dermale Wundverschluss wurde mit Polyglactin und die Hautnaht mit male Hyperpigmentierung auf die Existenz einer kleinen Narbe (b)
nichtresorbierbaren monofilen Nähten durchgeführt (a). Anschließend wur­
6.4 · Mikrochirurgie von Gefäßen und Nerven
51 6
6.2.5 Zusätzliche Maßnahmen über dem Handgelenk bei der Rekonstruktion der Extensor-pollicis-
zum Wundverschluss longus-Sehne mittels Transposition der Extensor-indicis-Sehne.
Beide zu vernähenden Sehnen werden 3-mal miteinander verwoben
Tapeverbände (Micropore, Steri-Strip) oder dermale Cyanoacrylat­ und genäht, wobei darauf geachtet werden muss, dass die jeweiligen
klebstoffe wie Dermabond werden für eine maximale Adaptation Ein- und Ausstichstellen der Naht um 90° um die Längsachse der
der Hautränder empfohlen. Durch eine starke lokale Unterstützung Sehne verdreht werden. Die Vernähung der Sehnen miteinander
innerhalb der Wundränder und Ruhigstellung der Epidermis im wird mit einer monofilen nichtresorbierbaren Naht der Stärke 4-0
Wundbereich gegenüber Scherkräften, Mikrotraumata und Entzün­ durchgeführt, zusätzlich zu einer 6-0 monofilen resorbierbaren
dungen kann eine ungestörte Wundheilung mit guten kosmetischen Feinadaptation (. Abb. 6.6).
Ergebnissen erreicht werden (. Abb. 6.4).

6.4 Mikrochirurgie von Gefäßen und Nerven


6.3 Faszien und Sehnen
6.4.1 Instrumente
Bei der Sehnennaht ist primär auf eine besondere Gewebeschonung
zu achten, da das bradytrophe Sehnengewebe keine Quetschung to­ Für die Mikrochirurgie sind einige besondere Spezialinstrumente
leriert und somit Heilungsstörungen bis hin zur Nahtinsuffizienz notwendig, angefangen von einem leistungsfähigen Operationsmi­
der Sehnennaht bei unsachgemäßer traumatisierender Handhabung kroskop mit 2 separaten binokularen Optiken für den Operateur
resultieren können. Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Naht­ und den Assistenten über eine gleichmäßige Lichtquelle bis zu den
techniken, wobei wir eine Modifikation der Kirchmayr-Naht emp­ Mikroinstrumenten. Bei den Mikroinstrumenten sollten jeweils eine
fehlen. lange und eine kurze Version der Pinzette, Nadelhalter und Schere
vorhanden sein und die einzelnen Instrumentengruppen jeweils in
Kirchmayr-Naht. Bei der Kirchmayr-Naht, modifiziert nach Zechner, mindestens 4-facher Anzahl. Weitere hilfreiche Mirkoinstrumente
wird eine Kernnaht der Stärke 4-0 nichtresorbierbar monofil verwen­ sind verschiedene Mikrogefäßclips, Clipanlegezangen und Gefäßdi­
det in Kombination mit einer 6-0 fortlaufenden monofilen resorbier­ latatoren sowie Mikrokanülen zum Anspülen der zu anastomosieren­
baren Säumnaht. Die Dehiszenzrate bei dieser Form der Naht ist ge­ den Gefäße.
genüber der Bunnell-Naht oder der Ausziehnaht deutlich niedriger,
auch ist die mechanische Festigkeit der Sehnennähte mit Kernnaht
und fortlaufender Säumnaht besser als bei einer alleinigen Kernnaht
oder bei einer Kernnaht mit einer Einzelknopfsäumnaht (. Abb. 6.5).

Pulvertaftdurchflechtungsnaht. Diese Nahttechnik ermöglicht


eine sehr feste Sehnenverbindung und kann in Arealen verwendet
werden, in denen keine engen Sehnengleitkanäle vorhanden sind
wie z. B. am Unterarm beuge- oder streckseitig oder auch streckseitig

. Abb. 6.5 Beugesehnennaht nach Kirchmayr, modifiziert nach Zechner . Abb. 6.6 Pulvertaftdurchflechtung (7 Text)
(7 Text)
52 Kapitel 6 · Nahtmaterialien und Nahttechniken

. Abb. 6.7 Mikrochirurgische Nahttechnik (7 Text)

6.4.2 Nahttechnik 6.4.3 Fadenstärke

Vor der eigentlichen Mikronaht sollte ein glatter Gefäßstumpf prä­ Die Fadenstärke richtet sich nach der Gefäßart und -dicke. Finger­
pariert werden. Hierzu wird die Adventitia scharf von der Media arterien können meist mit einem 8-0 oder 9-0 monofilen nichtresor­
abpräpariert. Die Adventitia wird unter dem Mikroskop parallel zur bierbaren Faden genäht werden. Für die Nervenkoaptation sollte ein
Längsachse des Gefäßes über den Stumpf hinaus gezogen/mobilisiert Faden der Stärke 10-0 verwendet werden sowohl für die epineurale
und dann mit der Mikroschere glatt abgetrennt. Nach dem Loslassen Naht (bei Fingernerven) als auch für die perineurale bzw. interfaszi­
der Adventitia weicht diese über den Stumpf zurück, und es bleibt kuläre bei großen polyfaszikulären Nerven.
ein ca. 2–4 mm langer glatter Mediastumpf für die Anastomose. Für die Venennaht im Bereich der Finger empfehlen wir die Ver­
Beim Aufnehmen von Nadel mit Faden sollte darauf geachtet wendung eines 10-0-Fadens, da die Venenwand deutlich schwächer
werden, dass die Nadel vom Nadelhalter senkrecht angefasst wird, als die entsprechende Arterienwand ist.
etwa am Übergang des proximalen zum mittleren Nadeldrittel. Die Bei mikrochirurgischen Nähten im Bereich der oberen und un­
Nadel sollte senkrecht auf die Gefäßwand aufgesetzt werden und teren Extremität kann meist sowohl für die arterielle als auch die
entsprechend der Rundung der Nadel durch die Gefäßwand hin­ venöse Anastomose ein Faden der Stärke 8-0 verwendet werden.
durchgestochen werden. Hierbei darf nur eine Gefäßwand gesto­
chen werden (. Abb. 6.7). Ein Ziehen an der Nadel in Abweichung
Literatur
der vorgegebenen Nadelkrümmung führt zu einem Einschneiden
Ethicon GmbH [www.ethicon.de/upload/catgut/Aktualisierte_Fadenkarte.
der Gefäßwand mit der Gefahr eines Ausreißens der Naht. Der Ab­
pdf )]
stand der Nadeleinstichstelle zum Gefäßstumpf entspricht der Dicke
Greve H, Schumann U, Gallego R, Dittrich H (1986) Intracutaneous skin suture
der Gefäßwand. with a resorbable synthetic monofilament suture. Langenbecks Arch Chir
! Cave 368: 57
Hogstrom H, Haglund U, Zederfeldt B (1990) Tension leads to increased
Eine traumatisierende Quetschung der Gefäßwände durch
­neutrophil accumulation and decreased laparotomy wound strength.
»Anfassen« des Gefäßes mit der Mikropinzette muss un­
Surgery 107: 215–219
bedingt vermieden werden. Auch sind intraluminale Mani- Markovchick V (1992) Suture materials and mechnical after care. Emerg Med
pulationen mit scharfen Instrumenten zu vermeiden, da Clin North Am 10 (4): 673
sonst Mikroverletzungen der Intima resultieren können McGregor AD, McGregor IA (eds) (2000) Fundamental techniques of plastic
mit der Gefahr von Thrombusbildung und Gefäßverschluss. surgery, and their surgical applications, 10th edn. Churchill Livinstone,
New York
Das verwendete Nahtmaterial und Instrumentarium muss absolut
Stockley I, Elson RA (1987) Skin closure using staples and nylon sutures: A
sauber sein, insbesondere dürfen keine »Fussel« von Kompressen comparison of results. Ann R Coll Surg Engl 69: 76
oder Blut- und Gewebereste am Faden kleben, da man diese sonst Van Winkle WJ, Hastings JC, Barker E et al. (1975) Effect of suture materials on
bei Durchführung der Naht in das Gefäßlumen hineinziehen würde. healing skin wounds. Surg Gynecol Obstet 140: 7
Die instrumentierende Schwester muss das Instrumentarium regel­ Vogt PM, Altintas MA, Radtke C, Meyer-Marcotty M (2009) Grundlagen und
mäßig in einer vorbereiteten Heparinlösung säubern. Techniken der chirurgischen Naht. Chirurg 80: 437–447
7

Blutstillung, Drainage
und Blutegeltherapie
K. Knobloch

7.1 Blutstillung – 54
7.1.1 Physikalische bzw. mechanische Substanzen – 54
7.1.2 Biologische Substanzen zur Aggregationsförderung – 54
7.1.3 Physiologische Substanzen – 54

7.2 Drainage – 55
7.2.1 Sogstärke – 55

7.3 Blutegeltherapie – Anwendung von Hirudo medicinalis


in der Plastischen Chirurgie – 56
7.3.1 Hirudo medicinalis – 56
7.3.2 Anwendungsgebiete – 56
7.3.3 Komplikationen der Blutegeltherapie – 57

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
54 Kapitel 7 · Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie

7.1 Blutstillung 4 Präparate: z. B. Dermabond (2-Octylcyanoacrylat, Ethicon)


als schnelltrocknender epidermaler Kleber zum Wundver-
Im Operationssaal erfolgt die Blutstillung über eine Reihe von Maß- schluss adatpierter Wundränder bzw. zum Verschluss von
nahmen. Die direkte Gefäßnaht als Übernähung wird bei Makro- Punktionen oder nach minimalinvasiven Eingriffen (Blondeel
wie auch Mikrogefäßen, ggf. unter Lupenbrillensicht oder unter et al. 2004).
Zuhilfenahme des Operationsmikroskops, durchgeführt. Die Liga-
tur von Gefäßen wird überall dort vorgenommen, wo das Gefäß
entbehrlich für die Organdurchblutung erscheint. Die Elektrokoa- 7.1.2 Biologische Substanzen
gulation kann mit der bipolaren Pinzette bzw. monopolar erfolgen. zur Aggregationsförderung
Clips aus Titan oder Kunststoff werden als Alternative zur Ligatur
durch Nahtmaterial ersetzt. Sie können jedoch leichter als die Liga- Diese Substanzen erleichtern die Plättchenaggregation und Koagu-
tur durch Nahtmaterial dislozieren und auf diese Weise postoperativ lation im Wesentlichen durch Bildung eines dreidimensionalen
zu Blutungsproblemen führen. Netzwerkes. Folgende Substanzen werden unterschieden:
Neben diesen Faktoren können lokale hämostatische Maßnah-
men greifen. Dabei sollte das ideale Hämostyptikum folgende Cha- Gelatine
rakteristika aufweisen (Palm u. Altmann 2008): In Form von unterschiedlichen Applikationsformen wie Puder,
7 4 hohe gerinnungsaktive Potenz,
4 minimale Gewebereaktivität,
Schwämmen, Blättern bzw. Filmen erhältlich. Sie absorbieren als
hygroskopische Substanz Wasser und erleichtern über die Bildung
4 keine Antigenität, eines Netzwerkes die Clot-Formation. Über 4–6 Wochen wird diese
4 In-vivo-Biodegradation, Substanz abgebaut über Proteinasen.
4 einfache Sterilisierbarkeit, 4 Präparate: z. B. Gelfoam (Pfizer), Surgifoam (Johnson u. John-
4 niedrige Kosten, son).
4 an die individuelle operative Situation angepasste Anwendungs-
möglichkeit. Zellulose
Ebenfalls in unterschiedlichen Applikationsformen wie Schwäm-
Derzeit vereint kein erhältliches Hämostyptikum die vorgenannten men oder Streifen erhältlich. Innerhalb von 24–48 h wird eine gela-
Faktoren. Die im Folgenden dargestellten Maßnahmen bzw. Substan­ tinöse Substanz generiert, die nach ca. 1–6 Wochen vollständig re-
zen stehen zur Verfügung. sorbiert wird. Der exakte Wirkmechanismus ist unbekannt. Sowohl
eine tamponierende Wirkung wie auch die Clot-Formation werden
postuliert. Insbesondere bei ausgedehnter Verwendung von Zellulo-
7.1.1 Physikalische bzw. mechanische se sind Fremdkörperreaktionen möglich.
Substanzen 4 Präparate: z. B. Surgicel (Ethicon), Oxycel (Becton Dickinson).

Kompression Poly-N-Acetyl Glucosamin (p-GlcNAc)


Ein Kompressionsverband führt zur Kompression des Kapillarbettes, Als Blatt bzw. Flüssigkeit erhältlich mit multifaktoriellem Ansatz.
fördert die Plättchenaggregation und leitet die Gerinnungskaskade Das positiv geladene p-GlcNAc zieht negativ geladene Erythrozyten
ein. Für kleinere Wunden kann die bis zu 10 min dauernde Kom- an und führt zur Aggregation.
pression zu einer vollständigen Hämostase führen. 4 Präparate: z. B. ChitoSeal (Abbott Vascular), HemCo (HemCon).

Knochenwachs Mikrofibrilläres Kollagen


Insbesondere in der Herzchirurgie wird nach Sternotomie ggf. Kno- Als Blätter oder Schwamm erhältlich, wobei das mikrofibrilläre Kol-
chenwachs auf die Sternumränder aufgebracht. Jedoch können lagen als Netzwerk die Blutstillung erleichtert, wenn es auf trockene
Fremdkörpergranulome wie auch lokale Infektionen begünstigt Oberflächen aufgebracht wird. Möglicherweise insbesondere bei as-
werden. pirininduzierter Plättchenaggregationshemmung sinnvoll.
4 Präparate: z. B. Avitene (Davol), Instat (Ethicon), Helistat (Inte-
Kälteanwendung gra).
Die lokale Kälteanwendung kann den Kapillarfluss reduzieren und
auf diese Weise die Blutungsneigung reduzieren helfen. Dabei
kann bereits die äußerliche Anwendung einer Kältemanschette 7.1.3 Physiologische Substanzen
den Blutfluss in 2 mm Gewebetiefe nach 20 s Anwendung um 45%
redu­zieren. Der venöse Abfluss wird durch Kälte und Kompres­ Diese Substanzgruppe erzielt ihre hämostatische Potenz im Wesent-
sion erleichtert. Die Kombination von Kälte und Kompression ist lichen über eine Vasokonstriktion der Blutgefäße oder durch Inter-
der alleinigen Kälteanwendung überlegen (Knobloch et al. 2006b, vention auf verschiedenen Ebenen der Gerinnungskaskade. Fol-
2008). gende Substanzen seien an dieser Stelle erwähnt:

Acrylate Adrenalin
Cyanoacrylate sind Flüssigkeiten, die extrem schnell polymerisieren. Adrenalin führt über α- und β-mimetische Wirkung u. a. zu einer
Dies führt im Gewebe zur Verklebung, was die Blutung stoppen ausgedehnten Vasokonstriktion. Beispielsweise kann die Applika­
kann. Basierend auf der Länge der Cyanoacrylatseitenketten werden tion von adrenalingetränkten Bauchtüchern nach Spalthautentnah-
kurz- von langkettigen Substanzen differenziert. Alle Acrylate sind me die Blutungsneigung deutlich reduzieren. Bei distaler akraler
relativ unreaktiv, jedoch können Entzündungsreaktionen bzw. Injektion kann Adrenalin zur Malperfusion in der Endstrombahn
­Fibro­se auftreten. führen.
7.2 · Drainage
55 7
Kokain zeigte sich nach Splenektomie bei Verwendung einer offenen Penro-
Als Alkaloid der Erythroxylon coca ist Kokain seit 1884 in klinischer se-Drainage eine signifikant höhere Infektionsrate im Milzbett
Anwendung. Es ist ein raschwirksames Lokalanästhetikum mit be- (90%) als bei Verwendung geschlossener Jackson-Pratt-Drainagen
gleitender potenter vasokonstriktorischer Wirkung. Insbesondere (20%), wenn die Drainagenaustrittsstelle mit Streptococcus inoku-
im hals-nasen-ohrenärztlichen Bereich und in der Augenheilkunde liert wurde (Raves et al. 1984).
wird Kokain verwendet. In geschlossenen Drainagesystemen besteht eine feste Verbin-
dung zwischen dem Ableitungssystem und dem Auffangbehältnis.
Thrombin Der Reflux des Wundexsudats aus dem Reservoir in die Wunddrai-
Thrombin wandelt Fibrinogen in Fibrin um. Es sollte nicht bei gegen nage wird dabei durch den Sog von bis zu 900 mbar (675 mm Hg)
Rinderprodukte allergischen Personen verwendet werden. im Falle der Redon-Drainage und bei der Schwerkraftdrainage nach
4 Präparate: z. B. Thrombostat (Parke-Davis), FloSeal (Baxter). Robinson durch ein Einweglippenventil gewährleistet. Eine retro-
grade Keimaszension ist bei sterilem Wechsel der Auffangbehält-
Fibrinkleber nisse ausgeschlossen.
1973 wurde Fibrinkleber eingeführt, wobei zunächst basierend auf
der Produktion aus Rinder- bzw- humanem Plasma Probleme der
Transfektion übertragbarer Erkrankungen auftraten. Synthetische 7.2.1 Sogstärke
Fibrinkleber von heute sind 2-Komponenten-Systeme.
4 Komponente 1: Fibrinogen, Faktor XIII, Fibronectin, Fibrinoly- Definition. Im Torricelli-Barometer-Design bringt eine Atmosphä-
seinhibitor, re Druck eine Säule von Quecksilber in einem Hg-Barometer auf
4 Komponente 2: Thrombin, Kalziumchlorid. eine Höhe von 760 mm. Der Druck, der eine Quecksilbersäule auf
1 mm steigen lässt, heißt 1 Torr (1 mm Hg= 1 Torr). 1 atm=760 Tor
Die Konzentration des Fibrinogens bestimmt die Stärke des gebil- r=14,696 psi. 1 Torr=1/760 atm.
deten Netzwerkes, während die Thrombinmenge die Geschwindig- Die Sogstärke unterscheidet bei geschlossenen Wunddrainage­
keit bestimmt, mit der das gerinnungsaktive Netzwerk ausgebildet systemen die Schwerkraftdrainage nach Robinson (0 mm Hg) von
wird. Kalzium ist für die Polymerisation nötig. Innerhalb von ca. 30 s der Hochvakuumsogdrainage (Redon-Drainage; bis zu 675 mm Hg).
ist ein Fibrin-Clot gebildet, der nach ca. 5–10 Tagen vollständig re- Derzeit liegt noch kein Konsens aufgrund randomisiert kontrollierter
sorbiert ist. klinischer Studien darüber vor, welche Sogstärke die effektivste ist.
4 Präparate: z. B. Hemaseel (Baxter), Quixil (QMRIX for Johnson Die Endothelheilung im Anastomosenbereich von mikrochirur-
& Johnson). gischen Gefäßnähten wird tierexperimentell durch Sogdrainagen
nicht beeinflusst (Choi et al. 1999). Eine klinische Untersuchung an
77 Patienten, die sich einer mikrochirurgischen Gefäßanastomose
7.2 Drainage unterzogen, zeigte dass keine Gefäße durch ein geschlossenes Drai-
nagesystem angesaugt werden (Lauer et al. 2001). Dabei erfolgte ein
» The more imperfect the technique of the surgeon, the greater the Sog von maximal 735 mm Hg über das geschlossene System.
necessity for drainage. No drainage at all is better than the ignorant Dennoch gibt es Hinweise, dass durch Hochvakuumdrainagen
«
employment of it. (William Halstedt, 1898) Gewebezellverbände angesaugt werden. Nach Schilddrüsenresek­
tionen kann beispielsweise eine gegenüber dem Serum signifikant
Die funktionsgerechte Wunddrainage soll durch Ableitung von Blut, erhöhte Thyroxinkonzentration in der Redon-Drainageflüssigkeit
Exsudat, Zelldetritus und Lymphe sowie durch Annäherung und nachgewiesen werden. Auch der mit dem Ziehen der Redon-Drai-
Stabilisierung der Wundflächen und Verkleinerung entstandener Ge­ nage verbundene Schmerz, auch wenn das Vakuum vor dem Drai-
webehohlräume eine komplikationslose Wundheilung ermöglichen. nagezug entfernt wird, suggeriert, dass die Redon-Drainage mit dem
Bereits 400 Jahre v. Chr. erfolgte die Erstbeschreibung der Drai- Gewebe eine feste Bindung eingehen kann. Soglose Schwerkraft­
nage einer Operationswunde durch einen hohlen Holzstab. Redon, drainagen gewährleisten eine effektive Exsudatableitung. Die Rest-
Jost und Torques führten im Jahr 1954 die Redon-Drainage als ge- hämatommenge und die Komplikationsrate sind gegenüber der
schlossenes System mit Unterdruck ein (Redon et al. 1954). Heute ist ­Redon-Drainage nicht erhöht. Die Hochvakuumdrainage kann ver-
die Redon-Drainage die am weitesten klinisch verbreitete Drainage- gleichsweise höhere Exsudatmengen fördern, ohne dass das Rest­
form. Dabei wird ein Sog von bis zu 800 mbar (600 mm Hg) durch hämatom geringer ist (Willy et al. 2003).
die Redon-Drainage erreicht. Inwiefern die Niedrigdrucksysteme von KCI (VAC) bzw. Smith-
1980 führte Robinson eine soglose Drainage als geschlossenes Nephew (Vista) mit einstellbaren Druckwerten von 50–150 mm Hg
System ein, bei der der Schlauch aus weichem Silikon besteht und Sog Vorteile bieten, ist nicht endgültig bewiesen. Basierend auf einer
das Exsudat der Schwerkraft folgend in einen flexiblen Beutel fließt tierexperimentellen Untersuchung an Schweinen, die Sogstärken
(Robinson et al. 1980). 1971 erfolgte die Erstbeschreibung einer Si- von 25 mm Hg, 125 mm Hg und 500 mm Hg auf die Wundheilung
likondrainage zur Drainage von Subduralhämatomen durch Jackson untersuchte, kristallisierte sich ein Sog von 125 mm Hg heraus, der
u. Pratt. beim VAC-System am häufigsten klinisch Anwendung findet (Mo-
Offene Drainagesysteme leiten das Wundexsudat über einen rykwas et al. 2001). Es gibt jedoch auch Hinweise, dass niedrige
Schlauch, eine Mull-, oder Gummischienen- (»Easy-flow-») Einlage Sogstärken von 50 mm Hg bzw. 75 mm Hg günstigere Effekte erzie-
in den Verband ab. Die Möglichkeit einer sekundären Verunreini- len könnten, beispielsweise zur Behandlung von Sternuminfekten
gung des Verbands, eine mögliche ungünstige Beeinflussung der bzw. bei Mediastinitis bei Säuglingen (Salazard et al. 2007; Kadoha-
Keimökologie des Krankenzimmers und die Möglichkeit einer re- ma et al. 2008). Eine Metaanalyse von 13 randomisiert kontrollierten
trograden Wundinfektion führen dazu, dass offene Wunddrainage- Studien zur Wundtherapie mit VAC (125 mm Hg Sog) konnte je-
systeme im Bereich der Allgemeinchirurgie bei primär nicht infi- doch keine nachhaltigen Vorteile für die VAC nachweisen (Ubbink
zierten Wunden nicht eingesetzt werden sollten. Im Tiermodell et al. 2008).
56 Kapitel 7 · Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie

> Für die Plastische Chirurgie kann derzeit daher kein ab-
schließendes Urteil zur Therapie mit Niedersogsystemen . Tab. 7.1 Effekte der Substanzen des Hirudo medicinalis auf die
aufgrund von großen randomisiert kontrollierten Studien Blutgerinnung
gegeben werden.
Faktor Effekt
Sowohl die Lokalisation der Defektwunden, Patientenfaktoren wie
Hirudin Inhibition der Wechselwirkung von Fibrino­
Alter, Gefäßstatus, Rheologie, operative Details wie auch die Sogstär- gen zu Fibrin
ke können einen Effekt auf das Wundheilungsresultat haben, was in
den notwendigen kontrolliert randomisierten Studien bedacht wer- Apyrase Inhibitor der Plättchenaggregation durch
den sollte. Hemmung von ATP
In Anlehnung an die Weichteilchirurgie in der Allgemeinchirur- Kollagenase Erleichtert die Gewebepenetration
gie können die in der . Übersicht gelisteten Empfehlungen zum Ein-
Hyaluronidase Erleichtert die Gewebepenetration
satz der Wunddrainage in der Plastischen Chirurgie gegeben werden
(Willy et al. 2003). Faktor-Xa-Inhibitor Inhibition der Konversion von Prothrombin
zu Thrombin

Empfehlungen zum Einsatz der Wunddrainage Niedrigmolekulare Inhibition der Plättchenaggregation


7 in der Plastischen Chirurgie »weight factors«

4 Bei primär nicht infizierten Wunden ist die Verwendung von Fibrinase I Auflösung von Thromben
offenen Drainagesystemen nicht zu empfehlen. Fibrinase II Möglicherweise Auflösung von arteriosklero­
4 Soglose Schwerkraftdrainagen im geschlossenen Sys­tem tischen Plaques
gewährleisten eine effektive Exsudatableitung. Die Rest­
Bdellin Inhibition von Plasmin und Trypsin
hämatommenge wie auch die Komplikationsraten sind im
Vergleich zur Redon-Drainage nicht erhöht. Eglin Proteaseinhibitor (Elastase und Cathepsin G)
4 Redon-Drainagen drainieren relativ höhere Exsudatmengen
ohne Einfluss auf die Resthämatommenge oder die Infek­
tionsrate im Vergleich zur Niedrigsogdrainagen. Blutegel können bis zum 3-Fachen ihres Körpergewichtes in Blut
4 Eine Liegedauer einer Drainage bis zu 72 h scheint nicht mit aufnehmen nach Biss und Injektion eines potenten gerinnungshem-
erhöhten Raten an Infektionen über retrograde menden Cocktails (Lent et al. 1988). Dennoch sind die Blutegel nicht
Keimaszension einherzugehen. in der Lage, das aufgenommene Blut selbst zu verdauen, sodass sie
4 Die Redon-Drainagenentfernung sollte schnellstmöglich, je­ in Symbiose mit Aeromonas spp. in ihrem Darm leben, die mit blut-
doch innerhalb von 72 h erfolgen. Eine Exsudatförderung verdauenden Enzymen ausgestattet sind (Steer et al. 2005). Neben
von <30 ml/24 h ist ein weiteres Maß für die Drainageent­ der »aderlassartigen« Therapie als Blutmahl führt der Biss des Blut-
fernung. egels auch in der Folgezeit des Bisses zu einer erhöhten Blutungsnei-
4 Die routinemäßige mikrobiologische Untersuchung gung durch antikoagulatorische Effekte (. Tab. 7.1).
von Drainagespitzen bei niedriger Sensitivität für den Nach­
weis einer postoperativen Infektion wird nicht empfohlen. Experimentelle Arbeiten. Die Laser-Dopplerflussmessung wurde
erstmals 1988 zur Beschreibung der Effekte einer Blutegeltherapie
bei venöser Kongestion im Tierexperiment eingesetzt (Hayden et al.
1988; Lee et al. 1992). In der Folgezeit sind weitere, v. a. tierexperi-
mentelle Arbeiten veröffentlicht worden, die insbesondere mittels
7.3 Blutegeltherapie – Anwendung Laser-Doppler-Flussmessung die Perfusion um die Bissstelle neben
von Hirudo medicinalis dem klinischen Überleben der Lappenplastiken als Zielkriterium
in der Plastischen Chirurgie erfassten.
Das durchschnittliche Blutmahl eines jeden Blutegels liegt bei
Die Verwendung von medizinischen Blutegeln (Hirudo medicinalis, 2,45 ml (Conforti et al. 2002). Laser-Doppler-Untersuchungen in
zur Gattung der Ringelwürmer gehörend) wurde vorüber 2000 Jah- diesem Modell zeigten nach Einsatz von Egeln einen Anstieg der
ren z. B. vom Griechen Nikander von Kolophon im 2. Jahrhundert Oberflächenperfusion in einem Durchmesser von 16 mm um die
v. Chr. beschrieben und hat in den letzten 20 Jahren ein erneutes Bissstelle herum.
Interesse insbesondere in der Plastisch-rekonstruktiven Chirurgie
> Die Kombination der Blutegeltherapie zur Senkung der
geweckt. Den ersten Bericht über den medizinischen Einsatz des
venösen Stase mit hyperbarer Oxygenation (HBO) zur Er-
Blutegels bei venöser Stase nach Lappenplastik publizierten 1960
höhung des physikalisch gelösten Sauerstoffs erhöhte im
Derganc et al.
Tierexperiment die Überlebensrate von venös ligierten
Hautlappenplastiken um den Faktor 3 gegenüber einer
alleinigen Blutegeltherapie.
7.3.1 Hirudo medicinalis

Blutegel sind auf der gesamten Welt verbreitet, leben jedoch überwie-
gend in Süßwasser. In Deutschland und der Schweiz steht der Blutegel 7.3.2 Anwendungsgebiete
unter Naturschutz. Blutegel haben eine feste Anzahl von 32 Segmenten.
Erwachsene Tiere sind bis zu 15 cm lang und langlebig: Sie werden erst Die häufigste Komplikation nach freiem Gewebetransfer bei 427
mit 3 Jahren geschlechtsreif und werden über 30 Jahre alt. Operationen bestand in venöser Stauung (83%; 33 von 40 freien Lap-
7.3 · Blutegeltherapie – Anwendung von Hirudo medicinalis in der Plastischen Chirurgie
57 7
penplastiken) bei einer Lappenüberlebensrate von 73% (Brown et al. β-Laktamasen. Studien zeigten auch eine Resistenz gegenüber 1.-Ge­
2003). Eine 1998 veröffentlichten Übersichtsarbeit zum Einsatz der nerations-Cephalosporinen. Die Sensitivität gegenüber Cephalospo­
Blutegeltherapie beim Versagen von Gesichtslappenplastiken (Utley rinen der 3. Generation ist variabel (Hermansdorfer et al. 1988).
et al. 1998) kam zu folgenden Ergebnissen:
> Gegenwärtig wird daher eine Breitspektrumantibiotika-
4 Das Outcome nach venöser Kongestion nach Lappenplastik ist
prophylaxe mit oralem Ciprofloxacin (Ciprobay 2×250 mg/
insbesondere durch die frühzeitige Erkennung dieser Komplika-
Tag) zur Prävention u. a. einer Aeromonas-hydrophila-
tion bestimmt.
Infektion bzw. verwandter Bakterienspezies bei Hirudo-
4 Blutegeltherapie führte sowohl über das Blutmahl als auch über
medicinalis-Anwendung empfohlen.
die Blutung nach dem Biss zu einer venösen Druckreduktion.
4 Komplikationen der Blutegeltherapie sollten durch eine antibio-
tische Abschirmung mit Ciprofloxacin reduziert werden.
Aus der Praxis der Egelanwendung in der Plastischen
Chirurgie
Der Einsatz von Hirudo medicinalis wurde im Rahmen von venösen
Abflussproblemen an Ohr, Nase, Lippe und Skalp (Frodel et al. 2004), 4 Indikation: Venöse Kongestion nach Fingerreplantation,
aber auch nach Brustrekonstruktionen erprobt (Gross et al. 1992). Lappenplastik
Weiterhin gibt es Berichte nach Fingerreplantationen (Foucher et al. 4 Beginn der Behandlung: Innerhalb der ersten 6 h bei auf­
1981) wie auch nach freiem Gewebetransfer. Erfolgsraten von >80% tretender venöser Kongestion, je früher, desto besser
wurden berichtet für die Behandlung der venösen Stase nach Lap- 4 Anwendungsdauer: Zeiträume von 4–10 Tagen mit
penplastiken, die ansonsten nicht »rettbar« waren (Chepeja et al. z. T. mehrfach täglicher Anwendung
2002). 4 Behandlungstricks:
Eine Gruppe aus der Türkei berichtet von einer Serie mit 13 neu- – Zähmen und führen Sie den Blutegel mit einem
rokutanen Lappenplastiken an der unteren Extremität nach Elektro- Spatel, nicht mit einer Pinzette, an den gewünschten
unfall bzw. bei diabetischer Mikroangiopathie mit venösen Abfluss- desinfizierten Ort
problemen, die in 5 Fällen mit Hirudo-medicinalis-Anwendung – Ein Stich mit einer Lanzette am Wunschort nach
erfolgreich behandelt werden konnten (Gideroglu et al. 2003). Vier- Desinfektion am besten mit warmer, heparinisierter
undsiebzig Patienten mit ausgedehntem Hautverlust an der oberen Kochsalzlösung ist empfehlenswert; keinen Alkohol
und unteren Extremität wurden mit freien Hautlappenplastiken zur Desinfektion verwenden
­versorgt. Bei 20 Patienten entwickelte sich eine venöse Abfluss­ – Die Kombination von Op-Site-Folie und Plastiktüte, über
störung innerhalb der 6.–12. h postoperativ. Bei 17 dieser 20 Patien­ das Wunschareal fixiert, ist empfehlenswert
ten konnte durch die Anwendung von Blutegeln die Hautlappenplas- 4 Anwendungsdauer: bis 30–60 min
tik gerettet werden, während in 3 Fällen trotz Hirudo-medicinalis- – Überwachung der Bissposition durch Hilfsperson
Therapie ein Transplantatverlust nicht aufgehalten werden konnte regelmäßig alle 5–10 min
(Soucacos et al. 1994). 4 Egel niemals wieder verwenden, die Übertragung von HIV
Eine Umfrage aller 62 Plastisch-chirurgischen Abteilungen in ist denkbar!
England und Irland aus dem Jahr 2002 zeigte, dass 80% der Abteilun­ 4 Egel niemals mit Gewalt entfernen
gen postoperativ die Blutegeltherapie bei kompromittierter ­Perfusion 4 Abtöten in einem Gefäß mit 20 ml 8% Ethanol, nach 3 min
einsetzen ebenso wie auch bei digitalen Replantationen (Whitaker zusätzliche 50 ml 70% Spiritus
et al. 2004). Im Durchschnitt wurden pro Jahr pro Abteilung 10 Pa- 4 Antibiotikaprophylaxe mit Chinolonen wie Ciprobay
tienten mit der Blutegeltherapie behandelt. In 78% der Fälle wurde 3×500 mg über 7 Tage
die Applikationsstelle vorab desinfiziert, in 42% mit sterilem Wasser, 4 Hämoglobinbestimmung täglich
in 39% mit Kochsalz, in 10% mit Alkohol. 28% der Abteilungen
überwachten die Blutegeltherapie durch eine Krankenschwester.
Zusammenfassung
Die Anwendung der Blutegel zur konservativen Therapie von venö­
7.3.3 Komplikationen der Blutegeltherapie sen Abflussproblemen nach freiem Lappentransfer oder Fingerre-
plantationen ist empfehlenswert. Sie sollte frühzeitig über 30–60 min
Naturgemäß steht die Anämie bis hin zur Transfusionspflichtigkeit angewendet werden und unter Abschirmung mit einem Breitspek-
als Komplikation der Hirudo-medicinalis-Therapie an 1. Stelle trumantibiotikum wie einem Chinolon erfolgen bei hauptsächlicher
(Steer et al. 2005). 1819 berichtete Anthony White erstmals über ein Virulenz von Aeromonas spp.
2-jähriges Mädchen, das nach einem Blutegelbiss verblutete. Dane- Blutungen können noch bis zu 10 h nach Anwendung auftreten,
ben stellt die Infektion durch Aeromonas spp. aus dem Darm des sodass tägliche Blutbildkontrollen empfehlenswert sind.
Blutegels eine immanente Bedrohung dar. Sie reicht von lokaler Zel-
lulitis bis hin zum großflächigen Hautverlust mit Sepsis und Menin-
Literatur
gitis (Lineaweaver et al. 1992; Ardehali et al. 2006).
Literatur zu Kap. 7.1
> Die Häufigkeit von Infektionen bei der Blutegeltherapie Blondeel PNV, Murphy JW, Debrosse D, Nix JC, Puls LE, Theodore N, Coulthard
liegt zwischen 2% und 20%. P (2004) Closure of log surgical incisions with a new formulation of
2-octylcyanoacrylate tissue adhesive versus commercially available
Neben A. hydrophila sind nach Egelanwendung Infektionen durch methods. Am J Surg 1888: 307–333
Aeromonas sobria, A. caviae und H. michaelensis als endogene Knobloch K, Grasemann R, Jagodzinski M, Richter M, Zeichen J, Krettek C
Keime des Darms von Blutegeln beschrieben worden, die auch pa- (2006a) Changes of Achilles midportion tendon microcirculation after
thogenetisch wirksam sein können. Aeromonas hydrophila ist resis­ repetitive simultaneous cryotherapy and compression with a Cryo/Cuff.
tent gegenüber Penizillinen als Folge penizillinhydrolysierenden ­ Am J Sports Med 34 (12): 1953–9
58 Kapitel 7 · Blutstillung, Drainage und Blutegeltherapie

Knobloch K, Krämer R, Lichtenberg A, Jagodzinski M, Gosling T, Richter M, Hayden RE, Phillips JG, McLear PW. Leeches. Objective monitoring of altered
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8

Verbandstechniken,
Schienenbehandlung
M. Meyer-Marcotty

8.1 Handchirurgie – 60
8.1.1 Intrinsic-plus-Stellung der Finger – 60
8.1.2 Funktionsstellung des Handgelenks – 60
8.1.3 Ruhigstellung nach Sehnenverletzung – 60
8.1.4 Schienen bei Bewegungseinschränkungen – 60

8.2 Lappen- und Brustchirurgie – 61


8.2.1 Verbände nach Lappenplastiken – 61
8.2.2 Taping nach Mammareduktion – 61
8.2.3 Stütz-BH mit Stuttgarter Gürtel nach Mammaaugmentation – 61

8.3 Verband nach Hautverpflanzungen – 61

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
60 Kapitel 8 · Verbandstechniken, Schienenbehandlung

Die Verbandstechniken in der Plastischen und Handchirurgie sind


sehr zahlreich und werden oft den individuellen Anforderungen der
Patienten angepasst. So können z. B. komprimierende Verbände ei-
nerseits sinnvoll sein, um eine postoperative Serombildung zu ver-
hindern, andererseits kann eine Kompression das postoperative Er-
gebnis nach einer freien mikrochirurgischen Gewebetransplantation
gefährden. Im Folgenden werden die Prinzipien von einigen Ver-
bandstechniken erläutert.

8.1 Handchirurgie
8.1.1 Intrinsic-plus-Stellung der Finger a

Eine wichtige Ruhigstellungsform in der Handchirurgie ist die In-


trinsic-plus-Haltung der Finger. Die betroffenen Finger werden in
den Grundgelenken ca. 60–70° gebeugt bei gestreckten Mittel- und
Endgelenken. Hierdurch ist die Gefahr einer Beugekontraktur der
Mittelgelenke und eine Strecksteifigkeit in den Grundgelenken nach
8 der Ruhigstellungsphase minimiert und die Mobilisierung verein-
facht, weil die Kollateralbänder straff gespannt sind und in dieser
Stellung nicht schrumpfen können (. Abb. 8.1).

8.1.2 Funktionsstellung des Handgelenks


b

Das Handgelenk sollte in der Regel in einer Extensionsstellung von . Abb. 8.2 Kleinert-Schiene nach Beugesehnennaht mit 30° Flexion im
20° ruhiggestellt werden, falls nicht operationstechnische Besonder- Handgelenk
heiten eine andere Form der Ruhigstellung erfordern.

maschig durch den Operateur oder einen Physiotherapeuten kon-


8.1.3 Ruhigstellung nach Sehnenverletzung trolliert werden (. Abb. 8.2).
Bei Strecksehnenverletzungen wird nach dem gleichen Prinzip
Beugesehnenverletzungen werden nach erfolgter Naht für insgesamt ein inverser Kleinert-Verband angelegt, wobei nun die Gummizügel
6 Wochen in einer Kleinert-Schiene nachbehandelt. Hierbei ist für eine passive Streckung der betroffenen Finger bewirken und der Pa-
die ersten 3 Wochen postoperativ eine Beugestellung von 30° sowohl tient aktiv gegen den Widerstand der Gummizügel die Finger beugt
im Handgelenk als auch in den Grundgelenken der Finger anzustre- (. Abb. 8.3).
ben. Ab der 4. postoperativen Woche wird das Handgelenk in 0°- Postoperativ sollte eine Hochlagerung der betroffenen Extremi-
Stellung in der Schiene fixiert, wobei die 30° Beugestellung der Fin- tät eingehalten werden, um die einsetzende Schwellung zu minimie-
gergrundgelenke bestehen bleibt. Die benachbarten Finger werden ren. Der Patient soll den Arm aktiv hochhalten, gelegentlich über
mit in die Kleinert-Zügelungsbehandlung eingeschlossen, da durch Kopfhöhe ausstrecken und dabei die freiliegenden Finger beugen
intertendinöse Querverbindungen und aktive Bewegungen des Nach­ und strecken, um so den venösen Rückstrom und den Lymphabfluss
barfingers auch die Sehne des operierten Fingers einer zu starken zu verbessern. Auf die Anlage von »Dreieckstüchern« oder sonstiger
Zugbelastung ausgesetzt ist. »Schlingen« verzichten wir ganz, weil die zusätzliche Immobilisation
Bei der Kleinert-Nachbehandlung wird eine vollständige passive der Schulter zu Bewegungseinschränkungen führen kann.
Beugung im Mittel- und Endgelenk durch an den Fingernägeln be-
festigte Gummizügel erreicht. Der Patient ist zuverlässig in die Be-
wegungsübungen einzuweisen, und der Trainingserfolg sollte eng- 8.1.4 Schienen bei Bewegungseinschränkungen

Quengel-Schienen werden in Form von Streck-Quengel-Schienen


zum Aufdehnen von beugekontrakten Fingermittelgelenken einge-
setzt (. Abb. 8.4). Dies kann als präoperative Maßnahme zur Vor­
bereitung auf die Korrektur einer Knopflochdeformität für einige
Wochen indiziert sein. Der Patient muss exakt in die korrekte Hand-
habung dieser Schiene eingewiesen werden. Täglich sollten mehr-
fach maximal 10-minütige Quengel-Intervalle durchgeführt werden,
da bei stundenlangem Quengeln (z. B. nachts) eine Durchblutungs-
störung des Fingers auftreten kann.

. Abb. 8.1 Ruhigstellung der Hand in Intrinsic-plus-Stellung mit 70° Flexi-


on der Grundgelenke und Streckung der Mittel- und Endgelenke
8.3 · Verband nach Hautverpflanzungen
61 8

a b

. Abb. 8.3 Reversed-Kleinert-Schiene nach Strecksehnennaht mit Gummizügeln

a b

. Abb. 8.4 Nachbehandlung mit 3-Punkte-Quengelschiene nach Mittelgelenkarthrolyse. (Aus Richter 2008)

8.2 Lappen- und Brustchirurgie ßige Verbandswechsel entfernt verkrustete und verhärtete Kompres-
sen und damit mögliche Kompressionsfaktoren.
8.2.1 Verbände nach Lappenplastiken

In der Plastischen Chirurgie werden komprimierende Verbände, 8.2.2 Taping nach Mammareduktion
z. B. nach der Entnahme von großen myokutanen Gewebeblöcken
am Rücken (Latissimus-dorsi-Lappen, Paraskapularlappen) in Form Selbstklebende Tape-Verbände werden zur direkt postoperativen
von Thoraxkompressionsverbänden angelegt. Hierdurch soll eine Unterstützung für etwa 10 Tage nach durchgeführter Mammareduk-
Serombildung verhindert werden, durch die eine optimale Verkle- tionsplastik angewandt. Hierdurch wird die neue Brustform ge-
bung der Gewebsschichten begünstigt wird. schient, zusätzlich wird ein stützender BH angelegt, der 6 Wochen
Andererseits dürfen nach der mikrochirurgischen freien Ge- lang 24 h am Tag, dann 6 Wochen 12 h/Tag getragen wird.
websverlagerung keine komprimierenden Verbände angelegt wer-
den, um den venösen Rückfluss nicht zu gefährden. Direkt post­
operativ nach einem freien mikrochirurgischen Gewebetransfer, 8.2.3 Stütz-BH mit Stuttgarter Gürtel
z. B. zum Unterschenkel, wird das betroffene Areal mit locker aufge- nach Mammaaugmentation
schlagenen Kompressen und einem locker gewickelten Wattever-
band unter Vermeidung einer Kompression verbunden. Ab dem Nach einer Mammaaugmentation wird ebenfalls ein Spezial-BH an-
5. postoperativen Tag beginnen wir mit einer elastischen Wicklung gelegt. Eine breite elastische Borte unterhalb des BHs auf Höhe der
des Areals zunächst für 3×5 min/Tag, was dann innerhalb der nächs­ Submammarfalte in Kombination mit einem Stuttgarter Gürtel, der
ten 5 Tage bis hin zur dauerhaften elastischen Wicklung gesteigert am oberen Pol der Brüste zirkulär um den Thorax angelegt wird,
wird. Durch die maßangefertigte Kompression kann gleichmäßig reduziert das Risiko eines postoperativen Verrutschens der Implan-
die herzgerichtete Entstauung erreicht werden, wodurch sich die tate nach kranial. Die Kombination aus BH und Stuttgarter-Gürtel
postoperative Schwellung und der Gewebeüberschuss im Verlauf wird für 3 Monate verordnet.
reduzieren.
Nach einer Replantation eines Fingers legen wir einige locker
aufgeschlagene Kompressen an den replantierten Finger, um die 8.3 Verband nach Hautverpflanzungen
Saugfähigkeit des Verbandes zu erhöhen unter Vermeidung von zir-
kulären einschnürenden Verbänden. Auch wird meist direkt post­ Überknüpfverbände werden zur optimalen Kompression nach einer
operativ auf eine Schienenversorgung der replantierten Gliedmaße erfolgten Voll- oder Spalthauttransplantation angelegt. Unter Zu­
verzichtet, um eine Druckschädigung zu vermeiden. Der regelmä- hilfenahme eines Schaumstoffkissens, das über das transplantierte
62 Kapitel 8 · Verbandstechniken, Schienenbehandlung

Areal genäht wird, wird ein gleichmäßiger Druck auf die Spalthaut
oder Vollhaut ausgeübt, um eine gute Einheilung zu erreichen. Der
Verband sollte saugfähig sein, um Wundexsudat aufnehmen zu
­können.
> Die Anlage eines Vakuumverbandes über einer transplan-
tierten Spalthaut kombiniert die Prinzipien einer dauer-
haften definierten und gut steuerbaren Kompression mit
einem semiokklusiven Verband unter kontinuierlichem
Abtransport von Wundexsudat.
Ein Überknüpfverband wird für 5 Tage postoperativ belassen.

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8
9

Gewebeexpansion (Expander),
alloplastische Materialien und
Implantate
M. Meyer-Marcotty

9.1 Expander – 64
9.1.1 Expanderimplantation – 64
9.1.2 Befüllung des Expanders – 64
9.1.3 Materialien – 65
9.1.4 Reichweite – 65

9.2 Alloplastische Materialien – 65

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
64 Kapitel 9 · Gewebeexpansion (Expander), alloplastische Materialien und Implantate

9.1 Expander nate durchgeführt. Die Injektion beginnen wir am 6.–8. postopera-
tiven Tag, nachdem die Wunde eine gewisse Stabilität erreicht hat.
Die Expanderimplantation zur Gewebeexpansion in der heutigen Während der Aufdehnung wird 1–2× wöchentlich ein gewisses Vo-
Form geht auf die Arbeiten von Neumann in den 1950er-Jahren zu- lumen (je nach Schmerztoleranz) in den Expander injiziert. Hat
rück Die Grundidee ist die Schaffung von zusätzlichem Gewebe zur der Expander seine maximale Ausdehnung erreicht, sollten noch
Deckung eines großen Defektes bei gleichzeitiger Möglichkeit eines einmal einige Wochen vor der Explantation des Expanders in maxi-
primären Wundverschlusses der Hebestelle. Die Größe des Defektes mal gedehntem Zustand abgewartet werden, um eine bestmögliche
limitiert oft die Nutzung von benachbartem Gewebe zur Defekt­ Ausdeh­nung und Präkonditionierung der Haut/des Gewebes zu er-
deckung, das nicht in ausreichender Menge vorhanden ist. In diesen reichen.
Fällen ist die Gewebeexpansion eine sehr gute Methode, um orts- Es sollten tendenziell eher mehrere kleinere Expander als ein
ständig Gewebe für eine Defektdeckung zu erhalten. großer Expander implantiert werden, da bei einer sehr hohen Ver-
lustrate von bis zu 27% eine größere Chance besteht, dass zumindest
ein Teil der Expander die gesamte Zeit der Expansion übersteht. Ein
9.1.1 Expanderimplantation weiterer Grund für die Implantation von mehreren Expandern ist
die größere Flexibilität und bessere Gestaltungsmöglichkeit bei der
Der Expander wird unter der Haut eingesetzt, um die Hautausdeh- Defektdeckung.
nung zu vergrößern und somit die Voraussetzungen für die Verlage- Die Planung einer korrekten Expanderanlage ist der wichtigste
rung eines Rotations- oder Verschiebeschwenklappens zu schaffen. Schritt im Rahmen dieser Therapieoption.
Falls ein fasziokutaner Lappen expandiert werden soll, wird der Ex-
> Neue Narben für die Expanderanlage sollten unbedingt
pander unter die tiefe Faszie eingebracht, für einen muskulokutanen
vermieden werden. Der Zugang zur Schaffung der Expan-
Lappen wird der Expander unter den Muskel gelegt. Der Expander
dertasche sollte am Rand eines bestehenden Narben-
sollte nicht direkt unter den dominanten Gefäßstiel am Eintritt für
9 den entsprechenden Lappen eingebracht werden, um eine Verlet-
feldes erfolgen, sodass diese Narbe im Rahmen der Nar-
benexzision und Gewebeverlagerung mitentfernt wird.
zung des Stiels bei der Expansion zu verhindern.
Diese Schnittführung soll radiär auf eine Ecke des liegenden Expan-
ders zulaufen, um bei einer Schnittführung parallel zu der geplanten
9.1.2 Befüllung des Expanders Expandertasche nicht das Risiko einer Wunddehiszenz einzugehen
(. Abb. 9.1).
Eine sofortige Aufdehnung des Gewebes ist möglich, jedoch wird
meistens eine verzögerte Aufdehnung des Gewebes über 1,5–3 Mo-

a b

c d

. Abb. 9.1 Platzierung und Inzisionslinien bei der Expandereinbringung. lage im Narbenfeld radiär auf den Expander zulaufend (grüne gestrichelte
a Verbreitertes Narbenfeld am ventralen Thorax. b Nach Anlage und Expan- Linie). c, d Patientin nach Narbenkorrektur durch Exzision der verbreiterten
sion eines Expanders zur Narbenkorrektur. Schnittführung zur Expanderan- Narbe und Defektdeckung mittels expandierter Haut
9.2 · Alloplastische Materialien
65 9
9.1.3 Materialien

Expander sind in sehr vielen verschiedenen Formen und Anferti-


gungen erhältlich. Die Größe kann von wenigen cm3 bis zu einem
Fassungsvermögen von 1 l reichen. Die Injektions-Ports können
über ein Schlauchsystem entfernt vom Expanderkissen liegen oder
direkt in die Kissenwand eingearbeitet sein. Die Expander können
rund, rechteckig, hörnchenförmig oder oval sein. Die Hülle kann
glatt oder texturiert sein, und sie kann eine einheitliche Dicke und
Konsistenz haben oder von sehr unterschiedlicher Konsistenz sein,
um dann in eine bestimmte Richtung zu expandieren.
Außerdem gibt es osmotische Expander, die sich nach der Im- . Abb. 9.2 Geometrische Berechnung von Expandervolumina bei der Ge-
plantation in das Gewebe quasi »automatisch« aufgrund eines osmo- webeexpansion. Eine gute Schätzung der zu erwartenden Lappenlänge ist
tischen Gradienten ausdehnen. Der Vorteil dieser Expander besteht die Strecke über der Kuppe des Expanders (gestrichelte Linie) abzüglich der
in der Vermeidung von wiederholten Injektionen (z. B. bei Kindern), Basisbreite des Expanders (6 cm)
aber die Kontrolle über die Expansion ist mangelhaft, da der osmo-
tische Gradient nicht steuerbar ist.
Bindegewebes, was eine komplette Umscheidung des Implantates
nach 4–6 Wochen bewirkt. In seltenen Fällen kann eine straffe Kap-
9.1.4 Reichweite selfibrose entstehen, die durch eine vermehrte Aktivität von Myofi-
broblasten verursacht ist. In diesen Fällen (mit Mammaimplantat)
Eine ungefähre Abschätzung über die Reichweite der expandierten ist eine chirurgische Intervention zur Auflösung der Kapselkontrak-
Haut kann durch die folgende Formel annäherungsweise berechnet tur notwendig.
werden: Der Bogen über dem expandierten Expander abzüglich der Auch Schrauben oder Osteosyntheseplatten können aus resor-
Breite der Grundfläche entspricht in etwa der Reichweite des expan- bierbarem Material hergestellt werden. Im Bereich der kraniofazi-
dierten Gewebes (. Abb. 9.2). alen Chirurgie, insbesondere bei Kindern, wird dieses Verfahren
eingesetzt. Hierbei handelt es sich beispielsweise um ein PLA/PGA-
> Der Blutfluss und auch die Gefäßdichte innerhalb des ex-
Gemisch (Poly-L-Lactat und Polyglycolsäure). Das Implantat wird
pandierten Gewebes nehmen zu, die Dermis wird dünner.
resorbiert; somit ist eine Dislokation nach intrakraniell seltener als
bei Titanimplantaten. Das Implantat behindert nicht das Wachstum
des kindlichen Schädels, und die postoperative radiologische Be­
9.2 Alloplastische Materialien urteilbarkeit in Bezug auf onkologische Fragestellungen oder Frak-
turheilung ist uneingeschränkt möglich. Außerdem werden resor-
Die Anwendung von alloplastischen Materialien in der Plastischen bierbare Clips oder resorbierbare mikrochirurgische Anastomosen-
Chirurgie ist weit verbreitet. Sie bietet folgende Vorteile: ringe für eine automatisierte Venenanastomose (»Coupler device«)
4 Zusätzliche Hebedefekte entstehen nicht. verwendet.
4 Die Operationszeit ist meist kürzer, da eine Hebung eines auto- Silikon (PDMS) besteht aus einer Kette von Si-O-Einheiten mit
logen Gewebeblocks entfällt. Methylgruppen angehängt an die Silikonatome. Abhängig von der
4 Die Verfügbarkeit ist praktisch grenzenlos. Si-O-Kettenlänge und Vernetzung kann Silikon einerseits flüssig,
4 Individuelle Konstrukte für spezielle Anwendungen können maß­ gelartig oder gummiartig sein. Silikon ist sehr biokompatibel, nicht
angefertigt werden, um den Gewebedefekt optisch und funk­ toxisch, nicht allergen und resistent gegenüber Abbau und Resorp-
tionell bestmöglich zu rekonstruieren. tion. Die Gewebeantwort auf ein Silikonimplantat besteht in einer
leichten Fremdkörperreaktion gefolgt von einer Ummantelung. Die­
Die Oberflächenbeschaffenheit der verschiedenen Implantate ist se kann zu einer Kapselkontraktur führen, der häufigsten Komplika-
sehr unterschiedlich. Eine Netzstruktur wird gut durchbaut (Marlex tion nach einer Mammaaugmentation.
Polypropylen Mesh) und ermöglicht so z. B. eine stabile Wiederher- Silikon wird in vielen verschiedenen Bereichen innerhalb der
stellung der Bauchdeckenstabilität bei einer Hernie. Auf der anderen Medizin eingesetzt, z. B. als ventrikuloperitoneale Shunts, Schritt-
Seite wird durch Implantation eines Silikonstabs ein Sehnengleitla- macher, Herzklappen, intraokuläre Linsen etc. In der Plastischen
ger bei der zweizeitigen Sehnenrekonstruktion durch bindegewebige Chirurgie wird Silikon im Rahmen der ästhetischen Chirurgie zur
glatte Umscheidung der alloplastischen Oberfläche geschaffen. Brustvergrößerung oder Konturveränderung im Gesicht eingesetzt,
Ideale Implantate sind: auch werden Fingergelenksprothesen (Swanson-Spacer) oder Pe-
4 biologisch kompatibel, nisprothesen, Hautexpander u. a. aus Silikon verwendet. Implantate
4 nicht toxisch, nicht allergen, werden nach Maß aus Silikon angefertigt wie z. B. ein keilförmiger
4 mechanisch stabil, Silikonblock zum Ausgleich einer Trichterbrust, der subkutan im
4 resistent gegenüber Resorption, Bereich des Xiphoids eingesetzt wird.
4 wachstumshemmend gegenüber Mikroorganismen, Cyanoacrylat ist ein starker, biologisch abbaubarer Gewebekleb-
4 leicht zu formen, zu entfernen und zu sterilisieren, stoff, der in Kontakt mit Gewebe polymerisiert. Dermabond, ein
4 strahlendurchlässig. moderner Cyanoacrylatgewebeklebstoff, wird zum Wundverschluss,
insbesondere bei plastisch-chirurgischen Interventionen im Gesicht
Die normale Reaktion des Gewebes auf eine Polymerfremdkör- oder im Rahmen der Notfallversorgung eingesetzt.
perimplantation besteht in einer inflammatorischen Reaktion mit Fluorocarbon-Polymere zeichnen sich durch eine sehr geringe
der Ablagerung von Kollagenfasern und einer Reifung des fibrösen Bioreaktivität aus. Gore-Tex ist das am weitesten verbreitete Fluoro-
66 Kapitel 9 · Gewebeexpansion (Expander), alloplastische Materialien und Implantate

carbon-Polymer. Es findet Verwendung z. B. für Gefäßprothesen


und als Netz zur Rekonstruktion von Thorax- oder Bauchwandde-
fekten.

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10

Lokalanästhesie,
periphere Leitungsanästhesie,
Tumeszenzanästhesie
M. Meyer-Marcotty

10.1 Lokalanästhetika – 68

10.2 Nervenblockaden im Gesicht – 68

10.3 Lokalanästhesie an den Extremitäten – 69

10.4 Tumeszenzanästhesie bei Aspirationslipektomie – 70

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
68 Kapitel 10 · Lokalanästhesie, periphere Leitungsanästhesie, Tumeszenzanästhesie

10.1 Lokalanästhetika
Lokalanästhetika hemmen die Nervenleitfähigkeit durch eine Blo-
ckade der Na-Kanäle innerhalb der Zellmembran. Die Wirkdauer ist
abhängig von der lokalen Konzentration und vom Blutfluss der be-
treffenden Nervenfaser. Je höher die Fettlöslichkeit des Agens, desto
länger ist die Wirkdauer.
Man unterscheidet:
4 den Esthertyp (Procain; relative anästhetische Potenz: 1) und
4 den Amidtyp (Lidocain, Mepivacain, Bupivacain, Etidocain; re-
lative anästhetische Potenz: 2–8).

Die systemische Toxizität basiert auf einem exzessiv hohen Plasma-


spiegel der Substanz, wobei eine versehentliche intravasale Injektion
die häufigste Ursache für systemische Nebenwirkungen ist. Zentral-
nervöse Symptome sind Unruhe, Übelkeit, Schwindel, verwaschene
Sprache, Sedierung und schließlich tonisch-klonische Krämpfe und
Apnoe. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen, die meist erst nach den . Abb. 10.1 Sensible Innervation des Gesichts: 1: N. supraorbitalis, R. late-
zentralnervösen Nebenwirkungen auftreten, äußern sich in ­Hypo­to­nie ralis, 2: N. supraorbitalis, R. medialis, 3: N. supratrochlearis, 4: N. infratroch-
und eingeschränkter kardialer Reizleitfähigkeit oder Arrhythmien. learis, 5: N. infraorbitalis, 6: N. mentalis
Allergische Reaktionen auf Lokalanästhetika sind extrem selten.
Lidocain (Xylocain) ist das am häufigsten gebrauchte Lokalanäs-
thetikum, u. a. wegen seines raschen Wirkungseintritts, der guten
Wirkstärke und der günstigen mittleren Wirkdauer. Die Kombina­
10 tion mit Epinephrin (z. B. Adrenalin 1:200.000) kann die Wirkdauer
durch einen verzögerten Abtransport auf 120 min verlängern. Die
Maximaldosis für eine Regionalanästhesie beträgt 7 mg/kg KG, d. h.
bei einem 80 kg schweren Patienten darf maximal eine Gesamtdosis
mit Vasokonstriktor von 560 mg verabreicht werden.
Bupivacain (razematische Mischung aus gleichen Teilen des
S- und R-Enantiomers, Maximaldosis 2 mg/kg KG) ist ebenfalls ein
sehr beliebtes Lokalanästhetikum, wobei hier eine sehr gute Blocka-
de der schmerzleitenden Fasern bei erhaltener Motorik erreicht
wird. Die Kardiotoxizität ist gegenüber Lidocain erhöht.
Ropivacain (Naropin) ist das reine S-Enantiomer aus der raze-
matischen Mischung aus der S- und R-Form von Bupivacain. Die
Schmerzleitung ist wie bei Bupivacain sehr gut geblockt, jedoch ist
die Wirkung auf die Motorik schwächer ausgeprägt.

. Abb. 10.2 Blockade der sensiblen Endäste des N. trigeminus: Blockade


10.2 Nervenblockaden im Gesicht N. supraorbitalis

Die sensorische Innervation des Gesichts wird über die 3 Äste des
N. trigeminus geleitet: N. ophthalmicus, N. maxillaris und N. man-
dibularis (. Abb. 10.1). Die kutane Innervation des Hinterkopfes
und Nackens übernehmen zervikale Nerven.
Die terminalen sensorischen Äste von
4 N. ophthalmicus (supraorbital und supratrochlear),
4 N. maxillaris (infraorbital) und
4 N. mandibularis (mentalis)

können geblockt werden, sodass eine ausreichende Anästhesie für


rein kutane Eingriffe besteht.
Im Gesicht hat sich eine Kombination eines Lokalanästhetikums
mit Epinephrin aufgrund der längeren Wirkdauer und des verrin-
gerten Blutverlustes mit besserer intraoperativer Übersicht bewährt.
Der supra-, infraorbitale und mentale Ast liegen in einer Linie ca.
2,5 cm lateral der Mittelinie (. Abb. 10.2–10.3).

Ohr. Die Sensibilität des Ohrs kann über eine anteriore und pos­
teriore (jeweils 6–10 ml Lokalanästhetikum) rautenförmig das Ohr . Abb. 10.3 Blockade der sensiblen Endäste des N. trigeminus: Blockade
umgebende Anlage von Lokalanästhetika ausgeschaltet werden. Der N. infraorbitalis
10.3 · Lokalanästhesie an den Extremitäten
69 10

. Abb. 10.4 Blockade der sensiblen Endäste des N. trigeminus: Blockade . Abb. 10.6 Regionalblockade Nase durch Blockade der Nn. supraorbitalis,
N. mentalis supratrochlearis, infratrochlearis, infraorbitalis und Rr. nasales externi mit je
1 ml Lokalanästhetikum

. Abb. 10.5 Regionalblockade äußeres Ohr: Blockade des N. auricularis . Abb. 10.7 Blockade N. medianus
magnus

N. auricularis magnus und der N. occipitalis inferior versorgen die Hier werden insgesamt 2–4 ml eines Lokalanästhetikums ohne Va-
posteriore Hälfte des Ohrs, und der R. auriculotemporalis des sokonstringens auf Höhe der Grundgelenksbeugefalte an den ulna­
N. mandibularis versorgt die Ohrvorderseite (. Abb. 10.5). ren und radialen Nervenast injiziert. Nachdem ein subkutanes De-
pot von 0,5 ml appliziert wurde, wird unter Aspiration die Nadel auf
Nase. Die Nase wird sensibel hauptsächlich durch den N. infratro- den Knochen geführt und sodann direkt am Knochen jeweils radial
chlearis, infraorbitalis und externe nasale Nerven versorgt. Die Re- und ulnar ein Depot gesetzt. Diese Prozedur kann für den Patienten
gionalanästhesie der externen Nase kann über eine Blockade der sehr unangenehm sein. Es empfiehlt sich, das Lokalanästhetikum
entsprechenden Nerven erfolgen (. Abb. 10.6), eine intranasale Blo- vor Gabe leicht in der Hand zu erwärmen und dann sehr langsam zu
ckade wird z. B. durch einen mit Kokain getränkten Baumwolltupfer applizieren.
erreicht.
Hand. Die Nervenausschaltung der Handnerven kann selektiv er-
folgen. Der N. medianus, der direkt radial des M. palmaris longus
10.3 Lokalanästhesie an den Extremitäten liegt, wird mit 2–4 ml eines Lokalanästhetikums infiltriert. Hierbei
spürt der Patient elektrisierende Sensationen im Ausbreitungsgebiet
> Die Oberst-Leitungsanästhesie ist ein sehr gutes und siche­ des N. medianus (. Abb. 10.7).
res Verfahren einer Leitungsanästhesie an den Händen Der N. radialis, der sich auf Höhe der Tabatière schon aufgeteilt
oder Füßen. hat, wird über ein subkutanes fächerförmiges Depot infiltriert. Als
Orientierungspunkte zur Begrenzung des Fächers dienen das I. und
III. Strecksehnenfach (. Abb. 10.8). Der N. ulnaris verläuft in un-
70 Kapitel 10 · Lokalanästhesie, periphere Leitungsanästhesie, Tumeszenzanästhesie

. Abb. 10.8 Blockade N. radialis . Abb. 10.9 Blockade N. ulnaris

10

a b

. Abb. 10.10a, b Leitungsanästhesie n. Oberst am Fingernerven von palmar (a) und von dorsal (b)

mittelbarer Nachbarschaft ulnar der A. ulnaris und wird ebenfalls


über ein entsprechendes Depot von 2–4 ml Lokalanästhetikum auf
Höhe der Linea raszetta infiltriert (. Abb. 10.9).
Die Oberst-Leitungsanästhesie an den Fingernerven zeigt
. Abb. 10.10, ein Mittelhandblock ist in . Abb. 10.11 dargestellt.

10.4 Tumeszenzanästhesie
bei Aspirationslipektomie
Die Tumeszenzlösung (. Tab. 10.1) im Rahmen einer Liposuktion
enthält neben 1000 ml NaCl 0,9% und 1. Amp. Suprarenin (1 mg)
und Na-Bikarbonat auch Lidocain (500 mg). Durch die zugefügte
Lokalanästhesie kann eine Fettabsaugung sicher und schonend ohne
eine systemische invasive Narkoseform durchgeführt werden. Die
Tumeszenzlösung wird zu Beginn der Operation in das subkutane
. Abb. 10.11 Mittelhandblock Gewebe injiziert und nach einer Einwirkzeit von 15 min mit dem
subkutanen Fett abgesogen.
10.4 · Tumeszenzanästhesie bei Aspirationslipektomie
71 10

. Tab. 10.1 Tumeszenzlösungen

Tumeszenz- Bestandteile Enthaltene


lösung Menge

Breuninger- Prilocain 1% (Xylonest) 25 ml


Lösung 0,08%
Ropivacain 1% (Naropin) 15 ml

Epinephrin 1:1000 (Suprarenin) 1 ml

Ringer-Lösung 460 ml

Sattler-Lösung Prilocain 1% (Xylonest) 50 ml

Epinephrin 1:1000 (Suprarenin) 1 ml

Natriumhydrogencarbonat 8,4% 6 ml

Isotone Kochsalzlösung 0,9% 1000 ml

Klein-Lösung Lidocain 1% (Xylocain) 50 ml


(=500 mg)

Epinephrin 1:1000 (Suprarenin) 1 ml

Natriumhydrogencarbonat 8,4% 12,5 ml

Triamcinolon 10 mg 1 ml

Isotone Kochsalzlösung 0,9% 1000 ml

Nach Breuninger et al. (2000); Sommer u. Sattler (1998); Klein (1987).

Literatur
Ahlstrom KK, Frodel JL (2002) Local anesthetics for facial plastic procedures.
Otolaryng Clin N Am 35 (1): 29
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25
Breuninger H, Schimek F, Heeg P (2000) Subcutaneus infusion anesthesia with
diluted mixtures of prilocaine and ropivacaine. Langenbecks Arch Surg
385: 284–289
Klein JA (1987) The tumescent technique for liposuction surgery. Am J
Cosmetic Surg 4: 236–267
Sommer B, Sattler G (1998) Tumeszenzlokalanästhesie. Weiterentwicklung
der Lokalanästhesieverfahren für die operative Dermatologie. Hautarzt
49: 351–360
Zilinsky I, Bar-Meir E, Zaslansky R et al. (2005) Ten commandments for minimal
pain during administration of local anesthetics. J Drugs Dermatol 4 (2):
212
III

Techniken der Defektdeckung


B. Weyand

Kapitel 11 Transplantate   – 77
B. Weyand

Kapitel 12 Lappenplastiken   – 87
B. Weyand

Kapitel 13 Lappenplastiken am Skalp   – 97


B. Weyand

Kapitel 14 Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis   – 103
A. Gohritz, P. M. Vogt

Kapitel 15 Grundtechniken der Nahlappenplastiken zur Rekonstruktion


im Gesicht   – 113
A. Gohritz, P. M. Vogt

Kapitel 16 Rekonstruktion der Wange   – 123


M. Busche, A. Gohritz

Kapitel 17 Rekonstruktion der Nase   – 127


A. Gohritz, P. M. Vogt

Kapitel 18 Rekonstruktion der Ohren   – 133


R. Ipaktchi, A. Gohritz

Kapitel 19 Rekonstruktion der Augenlider   – 139


A. Gohritz

Kapitel 20 Rekonstruktion der Lippen   – 149


A. Gohritz

Kapitel 21 Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich   – 155


M.A. Altintas, A. Gohritz

Kapitel 22 Rekonstruktion der Thoraxwand   – 163


I. Ennker, P. M. Vogt, A. Gohritz

Kapitel 23 Bauchwanddefekte   – 177


I. Ennker
Kapitel 24 Lappenplastik Leiste und Becken   – 183
P.M. Vogt, L.-U. Lahoda

Kapitel 25 Rekonstruktion im Urogenitalbereich   – 197


P.M. Vogt, H. Sorg

Kapitel 26 Rekonstruktion an der oberen Extremität   – 209


A.D. Niederbichler, P.M. Vogt

Kapitel 27 Rekonstruktion an der unteren Extremität   – 223


A. Jokuszies, P.M. Vogt

Kapitel 28 Plastische Chirurgie nach Organtransplantation –


Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)   – 235
K. Knobloch, H.-O. Rennekampff, P.M. Vogt
Der Begriff Defekt (lat. »deficere, defectum« = fehlen) bezeichnet in der medizinischen Terminologie den Schaden
oder das Fehlen eines Organs oder Organteils oder seiner Funktion. Eine Domäne der Plastischen und Wiederher-
stellungschirurgie ist die Rekonstruktion oder Deckung von Defekten im Bereich der Weichteile zur Wiedererlan-
gung einer Haut- und Weichteilkontinuität unter kurativen oder palliativen, funktionellen und/oder ästhetischen
Gesichtspunkten. Hierzu steht ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung, sei es durch eine lokale Lap-
penplastik, ein Hauttransplantat bis hin zur freien mikrochirurgischen Gewebetransplantation. Bei der Planung
müssen viele Punkte berücksichtigt werden, da oft mehrere Lösungsmöglichkeiten existieren und der für den Pa­
tienten individuell am besten geeignete Weg gewählt werden sollte.
Gewebedefekte können folgende Ursachen haben:
4 angeboren, z. B. im Rahmen einer Fehlbildung wie bei Spina bifida,
4 erworben, etwa durch Trauma, z. B. eine Verbrennung oder eine offene Fraktur,
4 tumorbedingt,
4 vaskulär bedingt, z. B. durch eine Durchblutungsstörung (Ulzera bei chronisch venöser Insuffizienz),
4 aufgrund einer eingeschränkten Mobilität, z. B. bei Druckulzera,
4 infolge eines autoimmunologischen Geschehens.

Wichtig ist die Berücksichtigung und Behandlung der zugrundeliegenden Grunderkrankung, die u. U. entscheidend
für einen längerfristigen Therapieerfolg sein kann. Weitere Entscheidungskriterien sind
4 Größe, Tiefe, Lokalisation, Infektion,
4 betroffene Strukturen wie Faszien, Muskeln, Knochen, Nerven- und Gefäßsystem,
4 Allgemeinzustand und Motivation des Patienten.

Im Folgenden werden allgemeine und spezielle Techniken für Defektdeckungen dargestellt und ihre Einsatzbereiche
sowie Vor- und Nachteile diskutiert.
11

Transplantate
B. Weyand

11.1 Hauttransplantate – 78
11.1.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 78
11.1.2 Operationstechnik – 78
11.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge – 79
11.1.4 Postoperative Komplikationen – 79
11.1.5 Spezielle Techniken – 79

11.2 Knorpeltransplantate – 79
11.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 79
11.2.2 Operationstechnik – 81
11.2.3 Postoperatives Management – 81
11.2.4 Komplikationen – 81
11.2.5 Spezielle Techniken – 81

11.3 Knochentransplantate – 81
11.3.1 Indikation – 81
11.3.2 Operationstechnik – 81
11.3.3 Postoperatives Management – 82
11.3.4 Postoperative Komplikationen – 83
11.3.5 Spezielle Techniken – 83

11.4 Fett- und Dermistransplantate – 83


11.4.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 83
11.4.2 Operationstechnik – 83
11.4.3 Postoperatives Management – 84
11.4.4 Postoperative Komplikationen – 84

11.5 Nerventransplantate – 84

11.6 Sehnentransplantate – 84

11.7 Muskeltransplantate – 84

11.8 »Composite Grafts« – 85


11.8.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 85
11.8.2 Operationstechnik – 85
11.8.3 Postoperatives Management – 85
11.8.4 Postoperative Komplikationen – 85

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
78 Kapitel 11 · Transplantate

Definition. Ein Transplantat (engl. »to graft« = pflanzen) ist ein Ge- 11.1.2 Operationstechnik
webeanteil, der ohne vaskulären Anschluss verpflanzt wird. Sind
Spender und Empfänger identisch, spricht man von einem »Auto- Die Technik der Hauttransplantation erfordert zunächst eine gute
graft«, sind Spender und Empfänger unterschiedliche Personen, von Vorbereitung des Wundgrundes des zu deckenden Areals. Dieser
einem »Allograft« (früher: »Homograft«). Wird Gewebe von einem sollte infektfrei, sauber granulierend und gut durchblutet ohne frei-
Tier entnommen und einem Menschen eingepflanzt, wird dieses als liegendes Sehnen-, Knochen- oder Knorpelgewebe sein.
»Xenograft« bezeichnet. Materialien nicht biologischen Ursprungs
werden als alloplastisch bezeichnet. Entnahme der Spalthaut. Die Lokalisation der Entnahmestelle
Eine Grundvoraussetzung für das Einheilen eines solchen Trans- sollte präoperativ im Gespräch mit dem Patienten festgelegt werden.
plantates ist ein rascher Anschluss an das vaskuläre System des Emp- In erster Linie geeignet sind die lateralen Hüften und Oberschenkel,
fängers. Günstig hierbei sind Gewebe, die natürlicherweise durch gefolgt von Unterschenkeln, Rücken, Bauchbereich und Glutäalbe-
Diffusion ernährt werden (wie z. B. Knorpel), wobei immer auch die reich. Zunächst erfolgt die Abmessung bzw. Abschätzung der Größe
Dicke des Grafts neben der Durchblutungssituation des Empfänger- des zu deckenden Defektes und – auch im Hinblick auf die Gesamt-
ortes über das Gelingen entscheidet. Darüber hinaus müssen neben situation – die Entscheidung, ob und in welchem Verhältnis gemesht
der Konservierung der Allografts oder Xenografts noch Vorkeh- werden soll.
rungen getroffen werden, um die Immunogenität des Transplantates Vor der Entnahme mit dem Dermatom ist die Einstellung der
für den Empfängerorganismus zu zerstören und eine Abstoßung Schnittdicke zu überprüfen, die im Normalfall 2/10–3/10 mm be-
­damit zu verzögern. Dies gelingt z. B. durch Kryokonservierung. trägt. Die Entnahme erfolgt nach nochmaliger gründlicher Hautdes-
Zusätzlich ist eine ausgiebige Testung des Materials zum Schutz des infektion und anschließender Einfettung der Haut, z. B. mit sterilem
Empfängers vor Infektionserkrankungen unabdingbar. Paraffinöl oder einem Teil des Fetts der Wundkompresse mit dem
Weckmesser (geeignet für kleinere Spalthauttransplantate) oder
durch Dermatome, die entweder mit Batterie oder elektrisch betrie-
11.1 Hauttransplantate ben werden. Die Entnahme erfolgt im Winkel von 45° zum Hautni-
veau langsam und unter gleichmäßigem Druck (. Abb. 11.1a und
11.1.1 Indikation und Anwendungsgebiete 7 Kap. 69 »Verbrennungsverletzungen«).

Hauttransplantate dienen der Wiederherstellung der Hautintegrität Meshen der Spalthaut. Ist eine Flächenvergrößerung erwünscht,
11 bei Hautdefekten, bei denen nur ein tief dermaler Anteil oder gar wird die entnommne Spalthaut mit der Oberseite nach unten auf
kein Hautanteil verblieben ist (Verbrennungswunde der Tiefe 2b–3)
und somit auch kein oder wenig Regenerationspotenzial zurückge-
blieben ist. Zur erfolgreichen Einheilung erfordern Hauttransplan-
tate ein
4 gut durchblutetes und
4 infektionsfreies Wundbett ohne freiliegendes Knochen- oder
Sehnengewebe.

Ist über dem Sehnengewebe noch eine funktionelle Gleitschicht (Pa-


ratenon) erhalten, kann ein Hauttransplantat auch hier einheilen,
sonst besteht die Gefahr der Entstehung einer instabilen Narbe, von
Verwachsungen oder Nekrose.
Je nach Dicke des Transplantates und der enthaltenen Haut-
schichten unterscheidet sich Spalthaut (= Epidermis mit Stratum
reticulare der Dermis) von Vollhaut (Epidermis mit vollständiger
Dermis). Die Dicke des Transplantates und damit der Anteil der a
Lederhaut entscheiden über die Eigenschaften des Transplantates:
Vollhaut ist
4 widerstandfähiger und belastbarer,
4 neigt weniger zur Schrumpfung, was besonders in Gelenkbe-
reichen von Vorteil ist,
4 heilt aber auch schlechter ein, da die Diffusionsstrecke höher ist.

Zudem sollte die Entnahme wegen des Hebedefekts nur an ausge-


wählten Körperstellen erfolgen (Cave: stigmatisierende Narben bei
Entnahme am Handgelenk) und ist flächenmäßig stark begrenzt.
Im Gegensatz dazu kann Spalthaut auch in schlechter durchblu-
teten Arealen einheilen und hat den Vorteil, dass sie durch die sog.
Mesh-Technik auf weitaus größere Areale ausgedehnt werden kann.
Diese Eigenschaft hat sich besonders in der Verbrennungsbehand-
lung bewährt. Da sich der Hebedefekt ausgehend z. B. von Keratino- b
zytenstammzellen im Bereich der Haarbälge wieder regenerieren
kann, ist nach Reepithelisierung die wiederholte Entnahme von . Abb. 11.1a, b Entnahmetechnik von Spalthaut am Oberschenkel (a) und
(dünner!) Spalthaut möglich. Aufbereitung in Mesh-Gerät zu einem Transplantat (b)
11.2 · Knorpeltransplantate
79 11
eine sog. Mesh-Trägerplatte gelegt, die zuvor mit steriler Kochsalz- mität begonnnen werden kann. Jetzt sollte auch eine konsequente
lösung anfeuchtet wurde, und sorgfältig an den Rändern glatt ausge- Kompressionsbehandlung für möglichst 24 h/7 Tage durch maßan-
rollt. Die Mesh-Platte mitsamt der Haut wird nun durch ein Ma- gefertigte Kleidung erfolgen, die für 1–2 Jahre andauern sollte. Zu-
schentransplantatschneidegerät gedreht, wobei in gleichmäßigen sätzlich sollten die transplantierten Areale und die Spalthautentnah-
Abständen Schlitze in die Haut gestanzt werden, was je nach Mesh- mestellen für mindestens 1–2 Jahre vor direkter Sonneneinstrahlung
Platte theoretisch eine Flächenausdehnung auf das 1,5- bis 6-Fache geschützt werden, um Pigmentverschiebungen zu vermeiden.
der ursprünglichen Größe ermöglicht (. Abb. 11.1b).

Transplantation der Haut. Ist keine Flächenausdehnung erforder- 11.1.4 Postoperative Komplikationen
lich oder erwünscht, kann die Spalthaut mit einem spitzen Skalpell
»gestichelt« werden, um den Ablauf von Wundexsudat zu ermögli- An der Hebestelle von Spalthauttransplantaten sind als Komplika-
chen. Ein Vollhauttransplantat wird vor Transplantation (umgedreht tionen mögliche Pigmentierungsstörungen sowie die hypertrophe
über dem Finger gespannt und mit einer Schere) sorgfältig von sub- Narbenbildung zu nennen, die durch eine Kompressionsbehandlung
dermalem Fett befreit. Das Hauttransplantat wird nun unter Beach- verhindert oder gebessert werden kann. Meist entstehen Komplika-
tung der Orientierung auf die zu deckende Fläche aufgebracht, an tionen bei zu tiefer Abnahme der Hauttransplantate.
den Rändern passgenau mit einer feinen Hautschere zugeschnitten Mögliche Komplikationen im Bereich der Empfängerseite sind
und mit Hautnähten oder Metallklammern fixiert. Technische De- 4 lokale Infektionen und Wundheilungsstörungen,
tails finden sich in 7 Kap. 69 »Verbrennungsverletzungen«. 4 Minderperfusion des Wundgrundes mit ausbleibender Einhei-
Bei Kindern bevorzugen wir wenn möglich die Spalthautentnah- lung des Hauttransplantates,
me vom rasierten Hinterkopf, wobei vorher subkutan sterile Koch- 4 Bildung von instabilen Narben bei prolongierter Heilung,
salzlösung als Flüssigkeitskissen injiziert wird, um die Entnahme zu 4 hypertrophe Narben oder Narbenkeloide,
erleichtern. 4 Verwachsungen,
4 länger andauernde Rötung oder Juckreiz.
> Die Fixierung des Hauttransplantates erfolgt bei Kindern
mit resorbierbarem Nahtmaterial.
Gelegentlich kommt es, oft nach erfolgreicher Abheilung, zur Bildung
Zuviel entnommene Spalthaut kann bei 4°C im Kühlschrank in eine eines akneähnlichen Ausschlags der transplantierten Haut. Dies ist
mit NaCl befeuchtete, sterile Kompresse gewickelt, in einem sterilen zum einen durch die gestörte Schweißsekretion erklärbar, zum ande-
Behältnis aufbewahrt und noch 7–10 Tage später transplantiert ren auch durch eine mögliche allergische Reaktion auf die stark rück-
werden. fettenden Pflegesalben. Empfehlenswert sind in diesem Fall eine
Umstellung der Pflegeutensilien auf pH-neutrale Seifen und Salben
Verbandstechnik. Das Spalthaut- oder Vollhauttransplantat erhält sowie eine ausreichende Luftexposition der betroffenen Areale.
1–2 Lagen Fettgaze sowie in der Regel einen Überknüpfverband aus
sterilem Schaumstoff oder aufgeschüttelten Baumwollkompressen.
In ausgewählten Fällen erfolgt der Verband des Spalthauttransplan- 11.1.5 Spezielle Techniken
tates mit Suprathel oder mit Hilfe eines Vaccuseal-Schwamms, Letz-
teres z. B. bei tiefen Wunden oder/und zu erwartender starker Se­ Alternativ zur Hauttransplantation ist die Verwendung von kulti-
kretion. Für den Verband der Spalthautentnahmestelle eignen sich vierten Keratinozyten-Sheets möglich. Eine neue Methode ist das
mehrere dicke Lagen Fettgaze unter sterilen Kompressen oder Hy- Aufsprühen einer suspendierten Keratinozytenlösung, die intra­
drogel- oder Okklusivfolienverbände. operativ aus einem kleinen Stück Spalthaut enzymatisch isoliert wer-
den kann und entweder direkt bei kleinen Defekten verwendet wird
(ReCell) oder nach externer Expansion aufgesprüht wird.
11.1.3 Postoperative Behandlung und Nachsorge Gezüchtete Keratinozyten in Form von sog. Sheets werden vor-
nehmlich bei Schwerstverbrannten angewendet, haben aber den
Bei Infektfreiheit belassen wir den Überknüpfverband für 5 Tage entscheidenden Nachteil, dass zwischen Entnahme eines Hautbiop-
nach Transplantation. Darüberliegender Verbandsmull sollte bei Se- sates zur Kultivierung der Zellen und der Transplantation min­
zernierung alle 1–2 Tage gewechselt werden. Werden ungemeshte destens 2–3 Wochen vergehen. Beide Methoden werden derzeit nur
Spalthaut-Sheets transplantiert (z. B. an Händen, im Gesichts-/Hals- an ausgewählten Patienten und unter Studienbedingungen durch­
bereich), empfehlen wir eine offene Behandlung, wobei ein regelmä- geführt.
ßiges Einfetten der Sheets erforderlich ist, sowie eine engmaschige
Kontrolle auf die Entstehung von Hämatomen, die zeitnah abpunk-
tiert werden sollten. 11.2 Knorpeltransplantate
Bei Spalthauttransplantationen im Bereich der Extremitäten,
insbesondere gelenknah oder gelenkübergreifend, stellen wir die be- 11.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete
troffene Extremität grundsätzlich mit einer Schiene bis zur stabilen
Einheilung des Transplantates ruhig. Eine Thromboseprophylaxe ist Knorpeltransplantate finden ihre Anwendung auch als Composite-
selbstverständlich erforderlich. Transplantate in erster Linie in der Rekonstruktion von Nase, Unter-
Nach vorsichtiger Abnahme des Überknüpfverbandes werden lid und Ohren sowie im Rahmen des vaskularisierten Gelenkersatzes
die zunächst noch fragilen Mesh-Tansplantate mit Repithel-Salbe als kombiniertes Knorpel-Knochen-Transplantat an den Fingerge-
und Fettgaze und nach vollständiger Einheilung mit Fettsalbe ge- lenken. Indikationen sind sowohl angeborene Fehlbildungen als auch
pflegt. Nach Erreichen einer zufriedenstellenden Stabilität werden traumatisch oder kanzerös bedingte Defekte im Gesichts­bereich.
die Klammernähte entfernt und die Extremitätenschienung beendet, Knorpeltransplantate sind häufig Teil einer komplexen Rekon-
sodass mit krankengymnastischer Beübung der betroffenen Extre- struktion im Rahmen eines prälaminierten oder präfabrizierten Gewe-
80 Kapitel 11 · Transplantate

a b

11

c d

. Abb. 11.2a–e Entnahme von Konchaknorpel in Form eines chondroku-


tanen Composite-Transplantates (a) zur Korrektur eines Ektropiums. Das
Hauttransplantat wird, wenn möglich, größer gewählt, um die Revaskula­
risation zu verbessern (b, c). Nach dem Einnähen (d) wurde ein Überknüpf-
e
verband zur Sicherung des Hauttransplantates angebracht (e)

betransfers (7 Kap. 12.7). Sie zeichnen sich durch ihre anatomisch be- sind hier komplexe Rekonstruktionen mittels vaskularisierter Ge-
dingte gute Formbarkeit sowie geringe Resorption aufgrund ihres lenktransfers möglich. Als Spenderareale können hier, beispiels­
bradytrophen Stoffwechsels aus. Für kleinere Knorpeltransplantate weise bei komplexen Handverletzungen, heterodigitale Transfers
werden als Spenderareale beispielsweise Konchaknorpel, der meist oder homodigitale Transfers (DIP-zu-PIP-Transfer) angewandt wer-
durch einen retroaurikulären Zugang gewonnen wird, sowie Nasen- den. Bei angeborenen Handfehlbildungen werden im Rahmen der
septumknorpel gewählt. Bei größeren Transplantaten, beispiels­wei­se Pollizisationen komplexe Strahltranspostionen unter Einschluss von
zur Ohrrekonstruktion, sind Rippenknorpeltransplantate notwendig. Zehenmittel- oder -grundgelenken zur Fingergelenk- oder Daumen­
Im Gelenkbereich kann destruierter Gelenkknorpel durch freie, gelenkrekonstruktion auf PIP-, MP- oder Karpometakarpal-Level
nicht vaskularisierte Knorpeltransplantate ersetzt werden; ferner durchgeführt.
11.3 · Knochentransplantate
81 11
11.2.2 Operationstechnik 11.3 Knochentransplantate
Konchaknorpel. Über einen retroaurikulären Schnitt wird der 11.3.1 Indikation
Konchaknorpel unter Erhalt des Perichondriums freipräpariert und
sorgfältig ein Transplantat der entsprechenden Größe unter Erhalt Die Versorgung von Knochendefekten kann durch eine Spongiosa-
des Perichondriums herausgelöst (. Abb. 11.2a). Der Verschluss des plastik oder einen kortikospongiösen Span erfolgen, wenn die De-
Perichondriums erfolgt mit resorbierbarem Nahtmaterial, dann fektgröße <6 cm ist. Beim Fehlen von Knochenanteilen >8–10 cm
Hautverschluss, ggf. Einlage einer kleinen Drainage oder Lasche. stellt sich die Indikation zum freien, mikrovaskulär anastomosier-
ten Knochentransplantat, sofern nicht alternative Methoden wie
Nasenseptumknorpel. Die Entnahme von Nasenseptumknorpel die Kallusdistraktion angewandt werden können. In Einzelfällen
erfolgt unter sorgfältigem Erhalt des gegenseitigen Mukoperichon- können auch gefäßgestielte Knochentransplantate, beispielsweise
driums, der Verschluss des Zugangs mit resorbierbarem Nahtmate- bei aseptischen Knochennekrosen oder Pseudarthrosen im Bereich
rial. Bei Entnahme innerhalb des zentralen Anteils ist ein L-förmiger der Handwurzelknochen zur Versorgung eines knöchernen Defektes
Rahmen von mindestens 1 cm zu belassen. gewählt werden.
Ursachen für Knochendefekte sind eine unzureichende Kno-
Rippenknorpel. Zur Rekonstruktion der Ohrmuschel durch Rip- chenheilung
penknorpel nach Tanzer und Brent wird zur Helixrekonstruktion 4 nach Trauma (Zerstörung von Knochenanteilen, Minderperfu-
Knorpel der VIII. Rippe verwendet, für die Formung von Anthelix sion, Schädigung der Wachstumsfugen),
und Koncha wird meist Knorpel aus der Synchondrose der VI. und 4 nach Infekten,
VII. Rippe verwendet. 4 nach Störungen der Knochenbiologie, z. B. bei avaskulärer Ne-
In Allgemeinnarkose erfolgt ein schräger Hautschnitt über der krose oder
VI. und VII. Rippe. Darstellung der VI.–VIIII. Rippe nach Durch- 4 bei Knochentumoren mit erforderlicher radikaler Entfernung
trennung der Fasern des M. obliquus externus und Inzision der betroffener Skelettanteile.
­äußeren Rektusscheide und des M. rectus abdominis. Zunächst
­Abschieben des Perichondriums von der VIIII. Rippe, die in toto
herausgelöst wird. Dann Längsinzision des Perichondriums über der 11.3.2 Operationstechnik
VI. und VII. Rippe und Entnahme des Knorpelblocks unter sorgfäl-
tiger Schonung der angrenzenden Pleura. Verschluss des Perichon- Knochenspongiosatransplantat vom distalen Radius. Bei jungen
driums durch fortlaufende, resorbierbare Naht, Adaptation der Mus- Patienten ist die Gewinnung einer Spongiosaplastik oder eines kor-
kelanteile und Hautverschluss nach Einlage einer Redon-Drainage. tikospongiösen Spans begrenzter Größe vom Radius möglich. Über
eine dorsoradiale Inzision über dem distalen Radius erfolgt proximal
des Retinaculum extensorum ulnar von den Sehnen der Mm. exten-
11.2.3 Postoperatives Management sor carpi radialis longus et brevis die Präparation bis auf den distalen
Radius. Hier wird mit dem Meißel ein Knochenfenster eröffnet und
Die Entnahmestellen sind v. a. auf postoperative Hämatome sowie ein kortikospongiöser Span bzw. eine Spongiosaplastik entnommen.
Zeichen einer Wundheilungsstörung zu kontrollieren. Die Nach­ Ein vaskularisiertes Knochentransplantat mit retrogradem Fluss zur
behandlung der Empfängerstellen hängt von der Art der Operation Behandlung der Skaphoidpseudarthrose wird durch superfizielle
und der gewählten Technik ab. Gefäße am Retinaculum extensorum wie die ICSRA-1,2- und -2,3-
Gefäße (»intercompartmental supraretinacular arteries« 1,2 und 2,3)
sowie die tiefer gelegenen Gefäße des 4. oder 5. Strecksehnenkom-
11.2.4 Komplikationen partments (4th & 5th ECA = 4th und 5th »extensor compartment
arteries«) versorgt. Bei einem palmaren Zugang kann das Transplan-
Bei Verdacht auf Verletzung der Pleura bei der Entnahme von Rip- tat auch an vaskuläre Gefäße am M. pronator quadratus (pMeta =
penknorpel sollte umgehend eine Thoraxröntgenaufnahme zum »palmar metaphyseal arch«) gestielt werden.
Ausschluss eines Pneumothorax durchgeführt werden. In der Regel
resorbiert sich die Luft im Pleuraspalt aber spontan. Knochentransplantat vom Beckenkamm. Lateral der Spina iliaca
anterior superior und etwa 2 cm distal und parallel zum Becken-
kamm erfolgt eine schräge, etwa 6–8 cm messende Inzision. Unter
11.2.5 Spezielle Techniken Schonung von Ästen des N. cutaneus femoris lateralis erfolgt die
Darstellung des Beckenkamms zwischen dem Ansatz des M. rectus
Vaskularisierte Gelenktransfers erfordern eine gründliche präope­ abdominis und den Hüftabduktoren. Nach Dissektion des Periosts
rative Planung. Bei der Präparation sind die anatomischen Voraus- erfolgt mit einem breiten Meißel zunächst eine horizontale Osteoto-
setzungen – wie die Hauptversorgung der PIP- und DIP-Gelenke mie zur Darstellung einer Art »Deckel« entsprechend der Konvexität
über das palmare Gefäßversorgungssystem und der notwendige Er- des Beckenkamms und dann die Entnahme eines entsprechend
halt der Gelenkkapsel, der palmaren Platte sowie des Gefäßbündels großen kortikospongiösen Spans. Der Periost-Knochen-Deckel
bei der doppelten Osteotomie – zu beachten. Die Fixierung der Kno- kann dann wieder mit resorbierbarem Nahtmaterial readaptiert wer-
chenanteile erfolgt in der Regel über Zuggurtungsosteosynthesen. den. Nach sorgfältiger Blutstillung sollte die Einlage einer Drainage
Hinsichtlich Einzelheiten sei auf die Spezialliteratur verwiesen vor vollständigem Wundverschluss erfolgen. Der Einsatz eines vas-
(Green et al. 2005, S. 1813–1833). kularisierten Beckenkammtransplantates erfordert entweder den
Einschluss des M. obliquus internus oder einen doppelten Pedikel
der tiefen und oberflächlichen superfiziellen A. circumflexa iliaca
(DCIA und SCIA).
82 Kapitel 11 · Transplantate

a b c

11
. Abb. 11.3a–d Vaskularisiertes Knochentransplantat: Osteokutanes Fibu-
latransplantat vor der freien Transplantation in den Unterarm zur Defektre-
d
konstruktion eines Radiussegmentdefektes

Knochentransplantat von der Fibula. Es ist auch möglich, Trans- dann distal mit der Gigli-Säge abgetrennt. Dabei sollten 7–8 cm der
plantatmaterial aus der Fibula zu entnehmen. distalen Fibula stehengelassen werden und zusätzlich bei Kindern
(bei Erwachsenen nicht erforderlich) zur Stabilisierung eine distale
Freies Fibulatransplantat. Ein freies Knochentransplantat der Fi- tibiofibulare Syndesmose durchgeführt werden.
bula mit einer möglichen Länge von 26–30 cm ist eine Therapie- Die distalen Peronäalgefäße werden ligiert und nach proximal
op­tion bei größeren segmentalen Knochendefekten (. Abb. 11.3). durch den M. tibialis posterior unter Ligatur von Muskelästen wei-
Die Gefäßversorgung erfolgt über die Peronäalgefäße, die zwischen terverfolgt. Der M. flexor hallucis longus wird von der Fibula ab­
dem M. tibialis posterior und dem M. flexor hallucis longus freiprä- gesetzt, und die Fibula wird mit den proximalen Gefäßen an die
pariert werden müssen. Empfängerseite transplantiert und nach stabiler Osteosynthese
Für die Entnahme erfolgen die Lagerung des Patienten auf dem mikrochirurgisch an das Empfängerstromgebiet angeschlossen. Das
Rücken mit Unterpolsterung des Gesäßes und das sterile Abwa- Transplantat kann je nach Erfordernis des Defekts als osteokutaner,
schen des gesamten Beins mit Anlage einer sterilen Oberschen­ osteomuskulärer oder als osteomuskulokutaner Lappen gehoben
kelblutsperre und die Positionierung des Unterschenkels mit ge- werden.
beugtem Kniegelenk unter Fixierung des Fußes. Der bevorzugte
Zugangsweg von lateral entlang der longitudinalen Achse der ­Fibula
wird eröffnet und der M. peronaeus longus exponiert. Die Dissek- 11.3.3 Postoperatives Management
tion erfolgt zunächst auf Höhe eines schmalen Fettstreifens zwi-
schen dem M. peronaeus longus und dem M. soleus. Der Ursprung Die postoperative Nachsorge umfasst die Kontrolle der Perfusion
des M. flexor hallucis longus am posterioren Rand der Fibula wird über eine kutane oder muskuläre Monitorinsel, sonst wird die Ana-
dargestellt, die vor dem Muskel verlaufenden Peronäalgefäße wer- stomose dopplersonographisch kontrolliert. Eine postoperative
den sorgfältig unter Ligatur der zum M. soleus verlaufenden Äste Röntgenkontrolle zeigt Ausrichtung, Stabilität und Struktur des
freipräpariert und angeschlungen, und der M. soleus wird vom Transplantates und gibt Hinweise auf den biologischen Einbau im
Fibulahals gelöst. zeitlichen Verlauf. Eine Ruhigstellung sollte erfolgen, bis eine ausrei-
Jetzt wird zunächst das laterale Kompartment unter Schonung des chende Stabilität des Transplantates und der Ostesynthese gegeben
N. peronaeus superficialis und dann das anteriore Kompartment un- ist. Die Einheilungsrate des Transplantates wird durch eine rigide
ter Schonung des N. peronaeus profundus von der Fibula gelöst. Die Fixation verbessert. Bei unklarer Einheilung kann ein MRT oder
A. tibialis anterior und die Membrana interossea werden identifi- eine Szintigraphie durchgeführt werden.
ziert. Letztere wird sorgfältig von der Fibula scharf abgetrennt. Unter
Schonung der Peronäalgefäße wird die Fibula zunächst proximal,
11.4 · Fett- und Dermistransplantate
83 11
11.3.4 Postoperative Komplikationen

Bei ausbleibender knöcherner Heilung des freien Fibulatransplan-


tates sollte nach 6 Monaten eine sekundäre konventionelle Knochen-
transplantation (Spongiosaanlagerung) erfolgen.

11.3.5 Spezielle Techniken

Weitere Techniken des vaskularisierten Knochentransfers beinhal-


ten ein vaskularisiertes Transplantat des Os pisiforme oder des
2. Metakarpalknochens zur Behandlung der Lunatummalazie oder
der Skaphoidpseudarthrose. Des Weiteren kann ein frei vaskulari-
sierter kortikoperiostaler Lappen aus der medialen Femurkondyle
a
(A. genicularis descendens), dem Humerus oder der Skapula (late-
raler osteokutaner Skapulalappen basierend auf der A. circumflexa
scapulae) gewonnen werden.
Ein freies Rippentransplantat, welches heutzutage eher selten ver-
wendet wird, kann an der A. mammaria interna oder den suprako-
stalen Gefäßen gewonnen werden, wobei diese nur die periostea­len
Gefäße versorgen, während die Hauptversorgungsarterie der Rippe
aus der A. intercostalis posterior entspringt und aufgrund der Mit-
versorgung des Rückenmarks bei der Präparation hier die Gefahr der
Querschnittslähmung als katastrophale Komplikation gegeben ist.

11.4 Fett- und Dermistransplantate


11.4.1 Indikation und Anwendungsgebiete
b
Fett- und Dermistransplantate werden zur Konturformung und Un-
terfütterung der Haut verwendet. Hauptanwendungsgebiete sind im
Gesicht die Nasolabialfalten und Lippen, wobei Fett- oder Dermi-
stransplantate grundsätzlich auch in alle übrigen Körperregionen als
freies Transplantat verpflanzt werden können. Dermis- und Faszien-
transplantate haben ihren Stellenwert bei der Unterfütterung von
eingezogenen Narben, Einbettung von Implantaten oder bei Züge-
lungsplastiken im Bereich des Gesichtes, beispielsweise zur Behand-
lung von Fazialisparesen. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die
Brustrekonstruktion mit mikrovaskulär an einem Perforatorgefäß
transplantierten Haut-Fett-Lappen, die eine Weiterentwicklung der
myokutanen Lappen darstellt. Diese Technik wird in 7 Kap. 68 be-
schrieben.

c
11.4.2 Operationstechnik
. Abb. 11.4a–c Gewinnung von Fett durch Tumeszenzaspiration nach Co-
leman (a). Ausgestrichenes Fett (b). Injektion fächerförmig in die aufzufül-
Freies autologes Fetttransplantat. Freie Fetttransplantate können lende Region in Kanälen (c)
über die Aspirationsliposuktionstechnik oder durch direkte Exzision
gewonnen werden. Hauptspendergebiete sind hierbei subkutane
Fettdepots an Abdomen, Oberschenkel und Flanke oder Glutäalbe- Dermis-Transplantates. Das gewonnene Fett wird in 50 ml sterile
reich (. Abb. 11.4a). Falcon-Röhrchen gegeben und für 10 min bei 800 U/min und
Zunächst erfolgt die örtliche Betäubung des Spenderareals durch 4°C zentrifugiert. Die Flüssigkeit wird sorgfältig abgenommen,
ein Lokalanästhetikum oder Tumeszenzlösung. Derzeit gibt es keine und das freie Fett mit dem bodenständigen Zellpellet wird in eine
klinische Evidenz für einen diskutierten negativen Effekt von Adre- 20-ml-Spritze gegeben und über eine 14-G-Kanüle und nach vor­
nalinzusätzen im Lokalanästhetikum hinsichtlich der Überlebensra- hergehen­der örtlicher Betäubung in die Empfängerstelle injiziert
te des Fetttransplantates, sodass wir bei entsprechender Lokalisation (. Abb. 11.4c).
Adrenalin (1:100.000) im Lokalanästhetikum oder in der Tumes- Neue Methoden erlauben die Gewinnung, Aufbereitung und
zenzlösung zusetzen. Konzentrierung der Fettzellen in einer Geräteeinheit mit Hilfe nied-
Zur Gewinnung des Fettes verwenden wir eine 14-G-Kanüle riger Vakuum- und Drucklevel (z. B. Lipivage). Eine weitere Innova-
oder eine Liposuktionskanüle, alternativ erfolgt die direkte Exzision tion stellt ein neues Gerät (Celution 800/CRS-System der Firma
über einen Hautschnitt, beispielsweise bei Gewinnung eines Fett- Cytori Therapeutics) dar, in dem aus dem Fettaspirat die Fraktion
84 Kapitel 11 · Transplantate

. Abb. 11.5 Fascia-lata-Transplantat

der adipogenen Stammzellen separiert, gewaschen und weiter kon-


zentriert wird, um dann zusammen mit einer Fraktion der Fettzellen a
direkt zurück in den Körper an die entsprechende Stelle injiziert
oder in Kombination mit einer Matrix implantiert zu werden.
> Aufgrund der lokalen Schwellung sowie der eingeschränk­
ten Überlebensrate des freien Fetttransplantates empfieh-
lt sich eine leichte Überkorrektur des Empfängergebietes.
Erfolgt eine Entnahme des Fetttransplantates zusammen mit einem
Dermisstreifen, wird auf den Zentrifugationsschritt verzichtet und b
eine umgehende Transplantation mit subkutaner Fixation durch re-
sorbierbares Nahtmaterial an der Empfängerstelle vorgenommen. . Abb. 11.6a, b Entnahme eines Suralistransplantates zur Rekonstruktion
eines peripheren Nervs
Freies autologes Faszientransplantat. Die Gewinnung eines Faszien-
streifens erfolgt in der Regel aus der Fascia lata im Hüftbereich, entwe-
der über einen kleinen offenen Schnitt mittels Sehnenstripper oder indirekt betroffenen Nervs erforderlich machen. Nerventransplan-
minimalinvasiv endoskopisch (. Abb. 11.5). Die Einsatzmöglichkeiten tate können verwendet werden
11 sind vielfältig, beispielsweise bei Zügelungsplastiken im Gesichts­ 4 als einfache, freie Transplantate zur Überbrückung kleinerer
bereich, wobei hier für Details auf 7 Kap. 39 verwiesen werden soll. Defekte,
4 als mikrovaskulär anastomosierte Transplantate sowie
4 in Kombination mit einem Muskeltransplantat.
11.4.3 Postoperatives Management
Hinsichtlich der speziellen Technik der Nervenchirurgie und mög-
Die postoperative Kontrolle bei Fett-Dermis- und Faszientrans­ liche Spenderareale möchten wir auf Sektion VII (7 Kap. 37–49) ver-
plantaten beinhaltet die lokale Wundinspektion auf Wundheilungs­ weisen.
störungen oder lokale Infektionen sowie regelmäßige Fotodoku-
mentationen zur Beurteilung der Einheilung. Bei komplexen Züge-
lungsplastiken durch Faszienstreifen im Gesicht empfiehlt sich eine 11.6 Sehnentransplantate
temporäre Kau- und Sprechkarenz, um die Einheilung des Trans-
plantates nicht zu gefährden. Sehnentransplantate benötigen für ein erfolgreiches Einheilen eine
ausreichende Weichteilbedeckung, einen infektfreien Wundgrund
und eine intakte oder neuinduzierte Sehnenscheide, um die Durch-
11.4.4 Postoperative Komplikationen blutung des Transplantates durch Diffusion zu gewährleisten. Ty-
pische Spenderseiten sind die Palmaris-longus-Sehne oder die Plan-
Neben lokalen Wundheilungsstörungen und Infektionen kann das tarissehne, die jedoch in 10% bzw. in 20% der Fälle fehlen können.
freie Transplantat unzureichend einheilen oder resorbiert werden, Als weitere Spender können beispielsweise die Extensor-digitorum-
bei Volumenverlust, Atrophie, Dellenbildung und Asymmetrie sind longus-Sehnen am Fuß erwogen werden, wobei sich hier jedoch eine
Nachkorrekturen erforderlich. Einflussfaktoren für das Überleben Beugedeformität der Zehen ausbilden kann.
der Fetttransplantate sind v. a. Zur Formung einer Sehnenscheide ist in vielen Fällen ein zwei-
4 anatomische Lokalisation, zeitges Vorgehen mit Induktion einer Sehnenscheide durch Implan-
4 Vaskularisierung der Empfängerseite, tation eines Silastikstabes für mindestens 8–12 Wochen vor dem
4 induzierte lokale Fibrose (Cave: Bestrahlung!), Einbringen des eigentlichen Sehnentransplantates erforderlich.
4 Anzahl der injizierten vitalen Fettzellen, die nicht nur von der Wichtig ist auch der Erhalt oder die Rekonstruktion der Ringbänder
Technik der Fettgewinnung und Reinjektion, sondern auch von des entsprechenden Fingers (sekundäre Beugesehnenrekonstruk­
Begleiterkrankungen und lokalen Störungen abhängt. tion 7 Kap. 55).

11.5 Nerventransplantate 11.7 Muskeltransplantate


Nerventransplantate (. Abb. 11.6) dienen der Rekonstruktion von Muskeltransplantate können nur zusammen mit einem vaskulären
peripheren Nerven nach traumatischer Schädigung oder Verlust so- Versorgungszufluss als gestielte oder freie, mikrovaskulär anasto-
wie bei tumorösen Neubildungen, die eine Resektion des direkt oder mosierte Muskellappen verpflanzt werden. Zusätzlich besteht die
11.8 · »Composite Grafts«
85 11
Möglichkeit, bei Erhalt oder Wiederanschluss der neuronalen Ver- Während der ischämischen Phase ist eine Kühlung des Composite
sorgung die Muskelinnervation zu erhalten. Einzelheiten werden in Grafts zur Herabsetzung der Metabolie empfehlenswert. Zusätzlich
den nachfolgenden Kapiteln dieser Sektion (7 Kap. 12–27) ausge- empfiehlt sich in den ersten postoperativen Tagen ein Schutz des
führt. Möglich sind auch Kombinationen aus Muskel, Haut und Transplantates vor Austrocknung, beispielsweise durch einen Fo­
Knochen aus dem Subskapularis-System (»chimäre Lappen«). lienverband, zur Herstellung eines feuchten Milieus.

11.8 »Composite Grafts« 11.8.4 Postoperative Komplikationen

11.8.1 Indikation und Anwendungsgebiete Zentrale Nekrosen durch unzureichende Revakularisation können
zu narbigen Einziehungen führen. Die Ausbildung eines Hämatoms
Definition. Composite Gafts sind freie Transplantate, die sich aus oder einer Infektion können ebenfalls die Einheilung des Composi-
unterschiedlichen Gewebebestandteilen zusammensetzen. Hier sind te Grafts behindern und zum Verlust des Transplantates führen.
v. a. chondrokutane und chondromuköse Transplantate zu nennen,
die im Bereich des Ohrs und des Vestibulum nasi entnommen wer- Literatur
den können. Green D, Pederson WC, Hotchkiss R, Wolfe (eds) (2005) Green’s operative hand
Eingesetzt werden die Composite Grafts zur Rekonstruktion, surgery, 5th edn. Elsevier Churchill Livingstone, USA, pp 1813–1833
wenn eine flexible Knorpelstütze sowie eine einseitige oder beid­ Kaufmann MR, Bradley JP et al. (2007) Autologous fat transfer national con-
sensus survey. Plast Reconstr Surg 119: 323–331
seitige kutane bzw. muköse Abdeckung gewünscht ist, z. B. bei De-
Kitamura K, Kajitani K, Hedrick M, Suigmachi K (2007) Stem cell augmented
fekten im Bereich der Nasenspitze oder des Nasensteges, der Augen-
reconstruction: a new hope for reconstruction after breast conservation
lider, des äußeren Ohrs oder zur Stabilisierung einer Prothesen­ therapy. Breast Cancer Res Treat 106 (Suppl): Abstract 4071
höhle in der Augenhöhle (nach Exenteratio orbitae). Krupp S, Rennekampff HO, Pallua N (1999) Plastische Chirurgie. Klinik und
Praxis Loseblattwerk in 3 Ordnern (12/1999). Ecomed, Landshut
Kuhbier JW, Weyand B, Radtke C, Vogt PM, Kasper C, Reimers K (2010) Isolati-
11.8.2 Operationstechnik on, characterization, differentiation and application of adipose-derived
stem cells. Adv Biochem Eng Biotechnol 21 (PMID 20091288)
Chondrokutane Composite Grafts können am äußeren Ohr im Be- Merle M, Dautel G, Rehart S (1997) Chirurgie der Hand. Thieme, Stuttgart New
reich der Skapha, der Koncha, des Antitragus und der Radix helicis York
Sommer B, Sattler G (2000) Curent concepts of fat graft survival. Dermatol
entnommen werden. Die Defekte können primär verschlossen oder
Surg 26; 12: 1159–1166
durch Vollhauttransplantate gedeckt werden.
Vogt PM, Reimer K et al. (2006) PVP-iodine in hydrosomes and hydrogel –
Chondromuköse Transplantate werden aus dem Nasenseptum A novel concept in wound therapy leads to enhanced epithelialisation
gewonnen, wobei bei der Präparation darauf zu achten ist, das gegen- and reduced loss of skin graft. Burns 32: 698–705
überliegende Mukoperichondrium nicht zu verletzen. Der verblie- Weyand B, von Schroeder HP (2005) Bone challenges for the hand surgeon:
bene Defekt kann der Sekundärheilung überlassen werden. from basic bone biology to future clinical application. Clin Plastic Surg
Wenn das Transplantat die Größe von 2 cm überschreitet, sind 32: 537–547
Maßnahmen zur Verbesserung der Einheilung empfehlenswert:
Hierzu gehören die Fensterung des Knorpelanteils zur Verbesserung
der Revaskularisation sowie eine Vergrößerung der Kontaktfläche
zwischen Empfänger und Transplantat, insbesondere im unteren
Anteil des Composite-Transplantates.

11.8.3 Postoperatives Management

Composite Grafts durchlaufen während der Einheilung verschie-


dene Durchblutungsstadien (. Übersicht).

Durchblutungsstadien von Composite Grafts


1. Stadium der Ischämie:
Unmittelbar postoperativ erscheint das Composite Graft
blass und blutleer.
2. Stadium der venösen Stase:
Etwa 48 h postoperativ ist das Maximum der venösen Stase
erreicht; das Composite Graft erscheint geschwollen und
dunkel-violett verfärbt.
3. Stadium der Etablierung des venösen Abflusses:
Ab dem 3.–4. postoperativen Tag geht die Schwellung zu-
rück, gleichzeitig ändert sich die dunkel-bläuliche Verfär-
bung ins Rötliche als Zeichen einer Etablierung des venösen
Abflusses durch Anschluss der neugebildeten Kapillaren an
das Venensystem.
12

Lappenplastiken
B. Weyand

12.1 Anatomie und Systematik – 88

12.2 Gewebezusammensetzung des Lappens – 88

12.3 Entfernung des Lappens zum Defekt – 88

12.4 Methode der Gewebeübertragung – 88

12.5 Einteilung nach der Art der Blutversorgung – 91

12.6 Techniken der Lappenpräparation – 93

12.7 Lappenpräformation: Prälamination und Präfabrikation – 94

12.8 Lappenkonditionierung oder »Delay« – 94

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
88 Kapitel 12 · Lappenplastiken

12.1 Anatomie und Systematik


Ein Lappen ist ein Gewebeanteil mit einem vaskulären Versorgungs-
netz, der zur Rekonstruktion eines sekundären Gewebedefektes ver-
pflanzt wird. Die Einteilung von Lappen erfolgt nach verschiedenen
Gesichtspunkten, wie
4 der Gewebezusammensetzung des Lappens,
4 der Entfernung zum Defekt,
4 der Methode der Gewebeübertragung oder
4 der zugrundeliegenden Blutversorgung des Lappens.

12.2 Gewebezusammensetzung des Lappens


In der Nomenklatur werden die einzelnen Bestandteile beschrieben,
aus denen sich ein Lappen zusammensetzt, z. B. a b
4 der kutane oder Hautlappen, . Abb. 12.1a, b Prinzip der Dehnungslappenplastik mit Burow-Dreieck
4 der fasziokutane Lappen mit zusätzlichen Faszienanteilen,
4 der myokutane Lappen mit Muskelkomponente, der mit Hautin-
sel oder als reiner Muskellappen transplantiert werden kann,
4 der osteokutane oder osteomyokutane Lappen, der zusätzlich
ein Knochentransplantat enthält oder ein freies Transplantat mit
Omentum oder Darmanteilen.

12.3 Entfernung des Lappens zum Defekt


a b c
Die Einteilung nach der Entfernung zum deckenden Defekt unter-
scheidet:
12 4 den lokalen Lappen, der mit dem Defekt mindestens eine Seite
teilt,
4 den regionalen Lappen, der in der Nähe liegt, aber nicht unmit-
telbar an den Defekt angrenzt,
4 den Fernlappen, der in wesentlicher Distanz zum Defekt liegt
und
4 den freien Lappen, der mit seinem Gefäßanschluss flexibel
­mikrochirurgisch verpflanzt werden kann.
d e f
. Abb. 12.2a–f Prinzip der VY-Dehnungslappenplastik
12.4 Methode der Gewebeübertragung
Verschiedene Möglichkeiten der Gewebetransposition stehen hier zur Rotationsbewegung dar. Er eignet sich besonders zur Deckung von
Verfügung: Ein lokaler Hautlappen kann durch einfache Verschie- Defekten im Gesichtsbereich, in denen die Haut wenig elastisch ist,
bung oder Dehnung zur Deckung eines begrenzten Defektes heran- beispielsweise im Bereich der Nase (. Abb. 12.3).
gezogen werden. Zu beachten sind hierbei die vorhandene Hautver- Werden die Prinzipien der Verschiebung und Transposition im
schieblichkeit sowie die maximale mögliche Hautspannung, um die Hautniveau miteinander kombiniert, spricht man von Verschiebe-
Hautdurchblutung nicht zu gefährden, wobei im Bereich der Lappen- schwenklappen. Der Defekt wird hierbei in runder oder ovalärer
basis ggf. durch seitliche sog. dreieckförmige Exzisio­nen nach Burow Form ausgeschnitten. Der angrenzend umschnittene Lappen wird
eine Spannungsentlastung erreicht werden kann (. Abb. 12.1). eingeschwenkt und die den Defekt umgebende Haut verschoben.
Mit dem sog. VY-Dehnungslappen wird ein dreieckig ausge- Davon abzugrenzen ist der sog. Rotationslappen, der halbkreis-
schnittener Lappen in Form eines Ypsilons verschlossen (. Abb. 12.2). förmig in verhältnismäßig großer Entfernung vom Defekt geschnit-
Dieser Lappen wird gern im Nasen- und Lippenbereich und bei De- ten und in den Defekt hineinrotiert wird. Um hier an der äußeren
fekten der Fingerkuppen angewendet. Lappenbasis einen Primärverschluss zu erreichen, kann ebenfalls ein
Eine weitere Möglichkeit ist die Deckung durch Transposition Burow-Dreieck ausgeschnitten werden (»advancement rotation
einer Hautplastik. Ein möglichst rechteckiger Lappen wird in einen flap«) oder ein kleine querverlaufende Inzision als sog. »back cut«,
idealerweise dreieckigen Defekt eingeschwenkt. Das Längen-Brei- um eine höhere Lappenmobilität auf Kosten einer etwas erhöhten
ten-Verhältnis sollte nicht mehr als 2–3:1 betragen. Der Drehpunkt Spannung zu erreichen (. Abb. 12.4).
entspricht nicht der Basis des Defektdreiecks, sondern dem ent- Eine Kombination aus Rotations- und Transpositionsbewe-
ferntesten Punkt der Lappenbasis. Somit muss der Lappen bis zu gung stellen sowohl der Limberg- als auch der Dufourmentel-Lap-
30% größer geplant werden (. Abb. 12.3). pen dar. Der Limberg-Lappen wird als Raute mit gleich langen Sei-
Der von Esser 1918 beschriebene zweizipflige Lappen, besser tenlängen und spitzen Winkeln von 60° und stumpfen Winkeln von
bekannt als »bilobed flap«, stellt eine doppelte Transposition mit 120° geplant und in Fortführung der Diagonalen des zu deckenden
12.4 · Methode der Gewebeübertragung
89 12

a b

c d e

f g h

. Abb. 12.3a–e Transpositionslappenplastik mit Drehpunkt und zu de­cken­ einen direkt daneben befindlichen Defekt. Beim Transpositionslappen sollte
dem Defekt (Prinzip: a–e). Klinisch (f–h) hier als »bilobed« Lappen an der der Winkel <90° betragen
Nasenspitze (Prinzip: b). Jeweils 1 Lappen deckt als Transpositionslappen

a b c d
. Abb. 12.4a–d Prinzip der Rotationslappenplastik
90 Kapitel 12 · Lappenplastiken

a b

. Abb. 12.5a, b Prinzip der Limberg-Lappenplastik . Abb. 12.8 Klassischer Crossleg-Lappen

. Abb. 12.6 Prinzip der Dufourmentel-Lappenplastik

12

. Abb. 12.9a, b Prinzip der Visier- oder Brückenlappenplastik

Defektes um die Seitenlänge der Raute verlängert (. Abb. 12.5). Der


Dufoumentel-Lappen stellt eine Variation des Limberg-Lappens
dar und ist geeignet zur Deckung von rautenförmigen Defekten mit
spitzen Winkeln >75°, ebenfalls in Bereichen mit elastischer, gut ver-
a schieblicher Haut (. Abb. 12.6).
Im Gesichtsbereich ist beispielsweise auch die Kombination eines
Rotationslappens mit einer asymmetrischen Z-Plastik (Wangen-
Hals-Rotationslappen nach Schrudde mit zusätzlichem retroauriku-
lärem Winkellappen) beschrieben. Weitere Methoden der Gewebe-
übertragung sind Fernlappenplastiken wie der Rolllappen, der Wan­
derlappen, der Cross-leg-, Cross-finger- oder Thenarlappen oder
das freie mikrovaskuläre Gewebetransplantat (. Abb. 12.7, 12.8).
Der Visier- oder Brückenlappen wird auch als bipedikuläre Trans-
lationslappenplastik bezeichnet (. Abb. 12.9). Hier ist bei größeren
Defekten eine Deckung des Hebedefektes durch ein Spalthauttrans-
plantat erforderlich. Wichtig ist die Planung einer ausreichend breiten
Basis im Verhältnis 1:2 zur Länge des Defektes, um die lokale Durch-
blutung durch die parallele Schnittführung nicht einzuschränken.
Die klassische Z-Plastik wird auch als Austauschplastik bezeich-
net und ermöglicht eine Gewebeverschiebung in die Längsachse auf
a
Kosten der Querachse. Den optimalen Längengewinn erhält man bei
. Abb. 12.7a, b Prinzip des gestielten Fernrolllappens gezeigt am Leisten- Wahl der entsprechenden Winkel von 60° (. Abb. 12.10). Diese Tech-
lappen. Formung zu einem geschlossenen Stiel und Transposition des freien nik eignet sich zur Prävention und Behandlung von Narbenkontrak-
distalen Endes auf einen Defekt turen und wird in nachfolgenden Kapiteln ausführlicher behandelt.
12.5 · Einteilung nach der Art der Blutversorgung
91 12

c d g h
. Abb. 12.10a–d Prinzip der Z-Plastik (a, b). Variationen: Multiple Z-Plastik (c, d), Schmetterlingsplastik (e, f), 4-Lappen-Z-Plastik (g, h)

12.5 Einteilung nach der Art einem anatomisch definierten Gefäß versorgt wird. Ein Lappen kann
der Blutversorgung sich aus mehreren Angiosomen zusammensetzten. Für die Blutver-
sorgung von Hautlappen hat sich die folgende Einteilung nach
Nach den anatomischen Gegebenheiten der jeweiligen Gewebe- McGregor etabliert:
strukturen lassen sich die Lappen auch hinsichtlich ihrer Blutversor- Bei den kutanen Lappen unterscheidet man den Lappen mit
gung einteilen. Zugrundeliegend ist hier ist das Prinzip des »Angio- der Zufallsversorgung, den sog. Random-pattern-Lappen, der über
soms«, das 1987 von Taylor und Palmer eingeführt wurde. Ein An- Mus­kelarterien versorgt wird, die die subkutane Faszie durch­brechen
giosom beschreibt einen dreidimensionalen Gewebeblock, der von und sich bis in die Dermis verteilen (. Abb. 12.11b). Zu beachten ist
92 Kapitel 12 · Lappenplastiken

a b

12

c d

e f

. Abb. 12.11a–f Prinzip der Gefäßversorgung der Haut, wobei Perforato­ Lappen (c), fasziokutane gestielte Lappen mit septokutanem Gefäßstiel (d),
ren, die transmuskulär oder septokutan in den subdermalen Plexus ein- myokutane Lappen mit gefäßtragendem Muskelstiel (e) und nach spezieller
münden, den subdermalen Plexus speisen (a). Aus dieser Anatomie leiten Dissektion transmuskuläre Perforatoren (f). Alle axialen Lappen können
sich die Perforatorlappen ab. Random-pattern-Lappen (b), Axial-pattern- sowohl gestielt als auch frei transplantiert werden, ggf. in Kombination
12.6 · Techniken der Lappenpräparation
93 12
hier, dass das Verhältnis Lappenbasis zu Lappenlänge maximal
1:2,5–3 (außer im Gesicht bis 1:5) betragen sollte, um Minderdurch-
blutungen zu vermeiden.
Der axiale Lappen (. Abb. 12.11c) wird dagegen über eine defi-
nierte Gefäßachse versorgt: Hier entspringen interstitielle Äste aus
einer axialen Hauptarterie und verlaufen senkrecht, bis sie in den
epifaszialen und subkutanen Plexus einmünden und hier unterei-
nander anastomosieren (z. B. der Leistenlappen durch die A. cir-
cumflexa iliaca superficialis).
Als Spezialfall gilt noch der distal gestielte Lappen mit der um-
gekehrten Flussrichtung, bei dem sich sowohl arterieller als auch
venöser Fluss zur Versorgung des proximalen Hautabschnittes um-
kehren; man spricht von einer retrograden Perfusion (z. B. A.-radi-
alis-Umkehrlappen oder A.-suralis-Lappen).
Bei fasziokutanen Lappen ziehen von der Basis her über ein
Faszienseptum kommende Perforatoren in einen auf Höhe der ­Faszie
befindlichen epifaszialen Gefäßplexus, von dem aus Äste die Subku-
tis und Kutis versorgen.
Die Klassifikation der fasziokutanen Lappen nach Cormack und
Lamberty (1984) basiert auf ihrem Verständnis der vaskulären Ver- . Abb. 12.12 Prinzip der Perforatorlappen aufgrund der definierten Ge-
sorgung des epifaszialen Gefäßplexus. Nach ihrer Einteilung wird fäßpedikel
bei der Versorgung des Hautmantels unterschieden zwischen zahl-
reichen, in den epifaszialen Gefäßplexus ziehenden Gefäße ohne
spezifischen Ursprung (Typ A), einen einzigen, gewöhnlich direkt 4 Ein muskulärer oder muskulokutaner Perforator ist ein Gefäß,
verlaufenden, fasziokutanen Perforator (Typ B) oder mehreren klei­ das durch Muskeln hindurchtritt und die tiefe Faszie durch-
neren segmentalen Perforatoren, die aus demselben subfaszialen bricht, um die darüberliegende Haut zu versorgen.
Ursprungsgefäß entspringen (Typ C). 4 Ein septaler oder septokutaner Perforator tritt nur durch das
Eine weitere Klassifikation des fasziokutanen Lappens nach Septum, bevor es die tiefe Faszie durchbricht, um die darüberlie-
Nahai und Mathes beschreibt die Versorgung des Lappenhaut­ gende Haut zu versorgen; man spricht von einem septalen oder
areals entweder durch einen einzigen direkten kutanen Perfo­ septokutanen Perforatorlappen.
rator (was dem Begriff des axialen Hautlappens entspricht; 4 Ein Hautlappen, der durch einen Muskelperforator versorgt
Typ A), durch einen septokutanen Perforator (Typ B), der in dem wird, heißt Perforatorlappen oder muskulokutaner Perforator-
Zwischenkompartment oder intermuskulär entlang zieht, oder lappen.
durch einen oder mehrere indirekte muskulokutane Perforatoren
(Typ C). Für die Einteilung der Muskellappen wurde in Anlehnung an die
Noch dezidierter erscheint die Einteilung nach Nakajima, der Einteilung nach Taylor nach Art der Innervation eines Muskels
insgesamt 6 verschiedene Muster der Perforatoren aus der tiefen Fas- durch einen oder mehrere motorische Nerven folgende Klassifika­
zie zur Versorgung von Hautlappen unterscheidet: tion basierend auf der Gefäßanatomie des Muskels von Mathes und
4 einen direkten kutanen Perforator (A), Nahai vorgeschlagen (. Tab. 12.1, . Abb. 12.13).
4 einen direkten septokutanen Perforator (B),
4 einen direkten kutanen Ast eines Muskelgefäßes (C),
4 einen den Muskel perforierenden kutanen Ast eines Muskelge- 12.6 Techniken der Lappenpräparation
fäßes (D),
4 einen septokutanen Perforator (E) und Bei der Planung einer Lappenplastik müssen verschiedene Punkte
4 einen muskulokutanen Perforator (F). in ihrer Gesamtheit betrachtet und erwogen werden. Zunächst sind
Größe, Lokalisation und Gewebetiefe des zu deckenden Defektes zu
Eine vereinfachte Einteilung unterscheidet zwischen direkten und bestimmen. Die rekonstruktive Leiter (. Abb. 14.2) reicht vom Pri-
indirekten Perforatorlappen, wobei hier entweder eine direkte Ge- märverschluss, der lokalen Lappenplastik, der regionalen Lappen-
fäßversorgung des fasziokutanen Lappens vorliegt oder nach Versor- plastik, der Fernlappenplastik, dem freien nichtvaskularisierten
gung der epifaszialen Plexusschicht durch einen hieraus hervorge- Hauttransplantat bis hin zur mikrovaskulär anastomosierten Lap-
henden Perforator. pentransplantation, bei Bedarf sogar unter Anlage einer mikrovas-
Nach Wei ist ein Perforatorlappen dadurch definiert, dass die kulären AV-Gefäßschleife zum Anschluss der Lappenplastik an
von einem definierten Gefäß abstammenden Perforatoren zunächst ­weiter entfernte Empfängergefäße. Die Deckung kann über ein ein-
den Muskel und die tiefe Faszie durchdringen müssen, um ein zeitiges, zweizeitiges oder mehrzeitiges Verfahren erfolgen.
Hautareal zu versorgen (. Abb. 12.12). In die Entscheidungsfindung müssen außerdem einfließen
4 Alter und Allgemeinzustand des Patienten,
Definition. In einer Konsensuskonferenz 2002 in Ghent wurden die 4 vorliegende Begleiterkrankungen und Voroperationen mit den
Definitionskriterien festgelegt (Blondeel 2003): daraus resultierenden Narben und Defekten,
4 Ein Perforatorlappen besteht aus Haut und subkutanem Gewebe, 4 stattgefundene Chemo- oder Radiotherapien sowie
die durch isolierte Perforansgefäße (Perforatoren) ernährt wer- 4 die Operabilität des Patienten.
den, die von ihrem Ursprungsgefäß ausgehen und durch tiefer-
gelegene Gewebe (meist Muskeln) hindurchtreten.
94 Kapitel 12 · Lappenplastiken

a b c d e
. Abb. 12.13a–e Klassifikation des Muskellappens nach Mathes und Nahai (Erklärung . Tab. 12.1)

Bei Planung einer freien Lappenplastik sollte unbedingt der lokale fäßstiels erfolgt unter Lupenvergrößerung durch sorgfältige Prä­
Gefäßstatus durch die sorgfältige klinische Untersuchung, Doppler- paration unter subtiler Blutstillung, wobei hier möglichst nur Ge-
sonographie und eine Angiographie abgeklärt sowie eine Labor­ ­fäß-Clips oder ein bipolarer, kein monopolarer Kauter verwendet
untersuchung der Gerinnung (Quick, PTT und Antithrombin III) werden sollten, um einen Stromfluss über den Lappenstiel zu ver-
durchgeführt werden. In die Vorbereitungsphase fallen des Weiteren meiden.
eventuelle abführende Maßnahmen, z. B. bei geplanter Rekonstruk-
tion der Bauchwand oder Verwendung einer Bauchwandlappen­
plastik als Spenderareal. Bei länger geplanten sekundären Rekons­ 12.7 Lappenpräformation:
truktionen sollte auch die Möglichkeit einer Eigenblutspende erwo- Prälamination und Präfabrikation
gen werden, falls ein entsprechender Blutverlust zu erwarten ist und
12 keine Kontraindikationen bestehen. Prälamination einer Lappenplastik beinhaltet die Einführung zu-
sätzlichen Gewebes in das zu verpflanzende Transplantat, z. B. das
> Ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten
Einbringen von Knorpel, Mukosa oder Haut in einen mikrovaskulär
sowie eine Planungszeichnung im Bereich der Donor-/
anastomosierten myokutanen Lappen.
Empfängerseite sind obligat.
Bei der Präfabrikation wird ein neuer Gefäßstiel in den zu trans-
Die Durchführung der Lappenentnahme beginnt mit einer sorgfäl- plantierenden Lappen eingebracht, z. B. ein AV-Loop oder ein Ge-
tigen Lagerung des Patienten, wobei nach Möglichkeit Empfänger- fäßstiel, sodass die Lappenplastik nach einer Phase der Neovaskula-
und Spenderseite frei zugänglich sein sollten. Nach Reevaluation risation der hinzugefügten Gefäße mit diesen als Hauptversorgung
und Débridement der Empfängerseite erfolgen nochmals eine ge- transplantiert werden kann. Beide Techniken ermöglichen die For-
naue Abmessung des Defektdurchmessers sowie die Verifikation der mung von individuellen, aus mehreren Geweben bestehenden Lap-
Maße der vorgeplanten Lappenplastik (z. B. die erforderliche Größe pen, die v. a. für komplexe Rekonstruktionen im Bereich des Ge-
der Hautspindel bei einer freien, myokutanen Lappenplastik). sichtes, der Nase oder Ohren genutzt werden können.
Bei einer gestielten oder freien mikrovaskulär anastomosierten
Lappenplastik beginnt die Präparation i. Allg. fern des Lappenstiels.
Wird ein zusammengesetzter Lappen präpariert, z. B. ein faszioku- 12.8 Lappenkonditionierung oder »Delay«
taner Lappen oder ein myofasziokutaner Lappen, sollte die Faszie
mit ihrem Gefäßplexus durch Einzelknopfnähte an die Dermis und/ Unter Lappenkonditionierung versteht man ein mehrzeitiges Vorge-
oder den Muskel fixiert werden, um Scherkräfte zu vermeiden und hen bei der Lappentransposition, d. h. der Lappen wird zunächst
die Integrität des Gefäßplexus zu schonen. Die Freilegung des Ge- umschnitten und abgehoben, aber erst in einem 2. Schritt, etwa

. Tab. 12.1 Klassifikation des Muskellappens nach Mathes und Nahai

Typ Kennzeichen Beispiele

I 1 dominanter Gefäßstiel . Abb. 12.13a Gastrocnemius, Tensor-fasciae-latae-Lappen

II Dominanter Stiel mit nichtdominanten Gefäßen . Abb. 12.13b Trapezius, Gracilis

III 2 dominante Gefäßstiele . Abb. 12.13c Serratus anterior, Glutaeus maximus

IV Segmentarterien . Abb. 12.13d Tibialis anterior, Sartorius

V Dominanter Stiel mit Segmentarterien . Abb. 12.13e M. obliquus internus, Latissimus dorsi
12.8 · Lappenkonditionierung oder »Delay«
95 12
8–10 Tage später, in den Defekt eingebracht. Man spricht hier von
einem vorgeschnittenen Lappen (engl. »delay«).
Vorteil hier ist, dass sich so die Perfusion des Lappens oft verbes-
sern und Nekrosen, v. a. im distalen Bereich, vermindern lassen, weil
die Transposition erst erfolgt, wenn sich der Lappen an die nach der
Hebung geänderte Durchblutungssituation adaptiert hat, bevor das
Trauma der Transposition folgt. Dieses Verfahren ist auch intraope-
rativ als Rettungsmaßnahme möglich, wenn sich eine insuffiziente
Durchblutung zeigt und der Lappen in die Entnahmestelle bis zur
verzögerten Verlagerung zurückgelegt wird.

Literatur
Blondeel PN, Van Landuyt KHI, Monstrey SJM, Hamdi M, Matton GE, Allen RJ,
Dupin C, Feller A-M, Koshima I, Kostakoglu N, Wei F-C (2003 The »Gent«
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Krupp S, Rennekampff HO, Pallua N (1999) Plastische Chirurgie. Klinik und
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Taylor GI, Palmer JH (1987) The vascular territories (angiosomes) of the body: Ex-
perimental study and clinical applications. Br J Plast Surg 40: 113–141
13

Lappenplastiken am Skalp
B. Weyand

13.1 Anatomie – 98

13.2 Rekonstruktionstechniken – 99
13.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete – 99
13.2.2 Operationstechnik – 99
13.2.3 Postoperatives Management – 101
13.2.4 Postoperative Komplikationen – 101

13.3 Spezielle Techniken – 101

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
98 Kapitel 13 · Lappenplastiken am Skalp

13.1 Anatomie Die Galea aponeurotica stellt eine fibröse Verbindung zwischen dem
M. frontalis und M. occipitalis dar und ist damit verantwortlich für
Definition. Als Skalp wird die behaarte Kopfhaut bezeichnet, deren die fehlende Elastizität des Skalps. In der Parietalregion gleiten die
Hautdicke mit 3–8 mm die dickste des ganzen Körpers ist. Der Skalp temporoparietale Faszie und die tiefe Temporalfaszie übereinander
setzt sich aus mehreren Schichten zusammen: und erlauben so eine etwas größere Mobilität der behaarten Kopf­
4 Haut (Epidermis und Kutis), haut. Die Gefäßversorgung erfolgt über die jeweils paarig angelegte
4 Subkutangewebe, A. supratrochlearis und A. supraorbitalis von frontal, die A. tempo­
4 Galea aponeurotica, ralis superficialis und A. auricularis posterior von temporoparietal
4 lockeres Bindegewebe, und und die A. occipitalis von okzipital.
4 das darunter liegende Perikranium und Der Skalp ist prinzipiell an nur einem Gefäßstiel überlebensfähig
4 angrenzendes Kranium, bestehend aus Tabula externa und Ta­ (. Abb. 13.2). Die nervale Versorgung erfolgt über Äste des Trigemi­
bula interna, die wiederum nach innen mit den Hirnhäuten nus und aus der Wurzel C3: N. supratrochlearis (V1), N. supraorbi­
(Dura mater, Arachnoidea mater, Pia mater) das Gehirn bedeckt talis (V1), N. cygomaticotemporalis (V2), N. auriculotemporalis
(. Abb. 13.1). (V3), N. occipitalis minor (V3), N. occipitalis (C3).

13

. Abb. 13.1 Querschnitt durch die Schichten des Skalps und Kraniums im Übergang Zygomaticum und Fossa temporalis

. Abb. 13.2 Gefäß- und nervale Versorgung des Skalps


13.2 · Rekonstruktionstechniken
99 13
13.2 Rekonstruktionstechniken 13.2.2 Operationstechnik

13.2.1 Indikation und Anwendungsgebiete Wesentlich bei der Operationsplanung von Skalpdefekten sind
­Größe und Lage des Defektes sowie Allgemeinzustand und Komor­
Größere Skalpdefekte auf dem Boden eines akuten Traumas, auf­ bi­ditäten des Patienten. Die Haarliniengrenzen sollten durch die
grund einer Tumorentfernung, einer Bestrahlungsnekrose oder bei ­Lappenplastik nicht verzogen werden, was eine sorgfältige Planung
traumatisch bedingter Alopezie erfordern eine chirurgische Rekons­ ­erfordert. Einen Tag präoperativ sollten die Haare mit einem medi­
truktion mit Hilfe von Lappenplastiken. zinischen Shampoo gewaschen werden, eine Rasur muss nur in Aus­
nahmefällen erfolgen.

. Abb. 13.3a–g Verschluss von Skalpdefekten: a Primärverschluss, b Primärverschluss mit M-Plastik, c, d ein- und beidseitige Vorschublappen,
e A-zu-T-Verschluss, f O-zu-Z-Verschluss, g Rhomboid-Lappen
100 Kapitel 13 · Lappenplastiken am Skalp

c d
b

13

. Abb. 13.4a–f Rotationslappen


e f
beim lateralen Skalpdefekt

Während lokale Lappenplastiken auch in Lokalanästhesie oder linie, um diese nicht zu verziehen, sowie um Narben im sichtbaren,
Sedierung durchgeführt werden können, erfordern freie Lappenpla­ nicht haartragenden Hautbereich zu vermeiden (. Abb. 13.4).
stiken immer eine Allgemeinnarkose, jedoch empfiehlt sich auch
hier eine lokale Unterspritzung mit Lokalanästhetikum und Adrena­ Windradlappen (4-Flügel-Lappen). Der sog. Windradlappen (be­
lin zur besseren Kontrolle von Blutungen. schrieben von Orticochea) setzt sich im Prinzip aus 4 entgegen­
gesetzten Rotationsdehnungslappen zusammen und eignet sich zur
> Grundsätzlich ist bei allen Techniken die Einlage von einer
Deckung von Defekten besonders im Okkzipitalbereich, wenn län­
oder mehreren Drainagen zur Vermeidung eines Häma-
gere Inzisionslinien vermieden werden sollen.
toms empfehlenswert.
. Abb. 13.3 zeigt die verschiedenen Operationstechniken im Detail. Bananenschalenlappen (»banana peel flap«). Bei dieser ebenfalls
von Orticochea beschriebenen, jedoch weniger häufig eingesetzten
Rotationslappen, Rotationsdehnungslappen, VY-Dehnungslap­ Technik wird der Skalp in mehrere Lappen »wie eine Banane ge­
pen.­ Kleinere Skalpdefekte von 2–5 cm² können über Rotationsdeh­ schält«, die dann mobilisiert und gegeneinander verschoben werden,
nungslappen oder VY-Verschiebelappenplastiken geschlossen wer­ um eine Deckung des Defektes, der sich möglichst okzipitoparietal
den. Große Defekte können über einen Rotationslappen verschlossen befinden sollte, zu erreichen (. Abb. 13.5).
werden, wobei die Länge der Inzision etwa 4–6× der Größe des zu
deckenden Defektes entsprechen muss. Diese Technik empfiehlt sich Orticochea-Lappen. Ausgeprägte große Defekte (>25 cm²) können
z. B. von unilateral zur Deckung von Defekten nahe der Haaransatz­ über die Technik nach Orticochea verschlossen werden. Hierbei
13.3 · Spezielle Techniken
101 13
werden 2 Lappen gestielt an der A. temporalis superficialis sowie ein
großer Rotationslappen mit Basis zum M. occipitalis angehoben und
zur Defektdeckung gegenseitig angenähert.

Freie Lappenplastiken. Rekonstruktionsmöglichkeiten zur De­


ckung ausgeprägter Skalpdefekte sind z. B. die Deckung mit einem
freien M.-latissimus-dorsi-Lappen in Kombination mit einem freien
Spalthauttransplantat oder mit einem freien fasziokutanen Paraska­
pularlappen.

13.2.3 Postoperatives Management

Der initiale Verband kann mit Sprühklebepflaster und/oder einem


Kopfverband erfolgen, der ab dem 2.–5. postoperativen Tag in der Re­
gel weggelassen werden kann. Die eingelegten Drainagen sollten zeit­
a nah entfernt werden. Auch das Nahtmaterial kann in der Regel um den
10. postoperativen Tag entfernt werden. Bei freien Lappenplastiken ist
selbstverständlich ein engmaschiges Monitoring der Lappenperfusion
in den ersten 48 h erforderlich. Zur entlastenden Lagerung ist mitunter
die Montage eines Halo-Fixateur-Rings sinnvoll, mit dem auch die
Pflege und Luftexposition dorsaler Defekt­areale erleichtert werden.

13.2.4 Postoperative Komplikationen

Aufgrund der guten lokalen Durchblutungssituation am Skalp sind


Wundheilungsstörungen und Infektionen eher seltener. Postopera­
tive Hämatome sollten drainiert oder ausgeräumt werden. Bei De­
ckung von Defekten des Kraniums mit freiliegender Dura, die in der
Regel durch freie Muskellappenplastiken erfolgen, sollte eine anti­
biotische Abdeckung und eine engmaschige Kontrolle des Patienten
auf Zeichen von Meningitis, Enzephalitis und Hirndrucksteigerung
durchgeführt werden.
b

13.3 Spezielle Techniken


Spalthauttransplantat. Bei ausgedehnten Defekten und/oder z. B.
Verbrennungstraumata im Bereich des Skalps kann auch eine De­
ckung mit Spalthauttransplantaten erfolgen, die bei intaktem Peri­
kranium direkt hierauf aufgebracht werden können. Bei Verlust des
Perikraniums kann eine Spalthauttransplantation auch nach Auf­
bohrung des Kraniums und Abtragung der Tabula externa direkt auf
die Knochenspongiosa erfolgen.

Hautexpander. Eine weitere Möglichkeit der Deckung von größe­


ren Skalpdefekten ist ein zweizeitiges Vorgehen mit dem Einbringen
von Expandern unter die behaarte Kopfhaut, wodurch größere Alo­
pezieareale elegant verschlossen werden können. Da mit dem Ein­
bringen eines Fremdkörpers immer ein erhöhtes Infektionsrisiko
verbunden ist, empfehlen sich hier die präoperative Kopfrasur und
eine Antibiotikaprophylaxe über 3–5 Tage perioperativ.

c
Literatur
Krupp (1999) Plastische Chirurgie. Klinik und Praxis 12. ecomed, Landshut
. Abb. 13.5a–c Bananenschalenlappen (»banana peel flap«) beim Skalp- Leedy JE, Janis JE, Rohrich RJ (2005) Reconstruction of acquired scalp defects:
defekt An algorithmic approach. Plast Reconstr Surg 116: 54e-72e
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Mehrara BJ, Disa JJ, Pusic A (2006) Scalp Reconstruction. J Surg Oncol 94:
504–508
Seery GE (2002) Surgical anatomy of the scalp. Dermatol Surg 28, 7: 581–587
14

Rekonstruktion von Defekten


der Stirn und der Schädelbasis
A. Gohritz, P.M. Vogt

14.1 Stirn – 104


14.1.1 Anatomische Grundlagen – 104
14.1.2 Indikationen – 104
14.1.3 Klassifikation – 104
14.1.4 Präoperative Planung – 104
14.1.5 Therapieziele – 104
14.1.6 Chirurgische Technik – 105
14.1.7 Rekonstruktion knöcherner Defekte – 107
14.1.8 Komplikationen – 109

14.2 Schädelbasis – 110


14.2.1 Therapieziele – 111
14.2.2 Chirurgische Technik – 111

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


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104 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis

14.1 Stirn
14.1.1 Anatomische Grundlagen

Die Stirnregion wird nach kranial von der vorderen Skalpregion,


seitlich durch die Schläfen und kaudal durch die Augenbrauen und
die Glabella begrenzt (. Abb. 14.1). Sie ist von einem dünnen Haut­
mantel bedeckt, der aus dünner Haut und Subkutanschicht und dem
M. frontalis besteht, der von einer dünnen supramuskulären Faszie
bedeckt ist. Unter dem M. frontalis findet sich eine unelastische ad­
härente Schicht, durch die die Verschieblichkeit der darüberlie­
genden Gewebelagen limitiert ist.
. Abb. 14.1 Anatomische Zonen der Stirnregion
Gefäßversorgung
Die rechte und linke A. supratrochlearis und supraorbitalis entstam­
men der A. carotis interna und versorgen den zentralen Sirnbereich, > Lappenplastiken an der Stirn sollten die gleiche Hautdicke
die seitlichen Bereiche werden von Ästen der A. temporalis superfi­ wie die Defektumgebung haben, um einen auffälligen
cialis versorgt, die mit der A. carotis interna anastomisiert. »Nadelkisseneffekt« (»pin cushioning«) zu vermeiden.

Nervale Versorgung Die Hautlaxizität kann durch den Kneiftest (»pinching«) in horizon­
Der Ramus frontalis des N. facialis versorgt den M. frontalis, in sei­ taler oder vertikaler Richtung geprüft werden. Die Wundrandmobi­
nem Verlauf ist er über dem Arcus zygomaticus nur von einer dün­ lisierung geschieht meist durch Unterminierung in der mittleren
nen Weichteilschicht bedeckt und kann hier besonders leicht ver­ Subkutanebene unterhalb des dermalen Gefäßplexus oder unterhalb
letzt werden. Der Ramus temporalis des N. facialis innerviert den der oberflächlichen Muskelfaszie.
M. frontalis an seiner Unterseite, seine Läsion, z. B. bei Tumor­ Die Laxizität der Stirnhaut beeinflusst ihre Mobilität, sie hängt
exzisionen an der Schläfe, kann zum Herabhängen des Augenlides v. a. von der Sonnenexposition und vom Alter des Patienten ab und
führen. ist bei älteren Patienten meist stärker ausgeprägt, sodass Lappenpla­
Die sensible Versorgung der Stirn wird aus den Nn. suprtroch­ stiken leichter ausgeführt werden können. Die Hautdicke und Talg­
leares und supraorbitales geleistet, die von gleichnamigen Arterien drüsenkonzentration nimmt vom Haaransatz zu den Augenbrauen
begleitet werden. Bei tiefen Inzisionen oder Schnittverletzungen in hin zu.
den M. frontalis können sie verletzt werden und eine vorüberge­
> Der horizontale Wundverschluss empfiehlt sich in den la­
hende oder permanente Gefühlsstörung in ihrem Versorgungsbe­
teralen und paramedianen Anteilen der Stirn, weil hier die
reich verursachen.
Narben unauffällig in die queren »relaxed skin tension
lines« (RSTL) oder in die Stirnfalten gelegt werden können.
14 14.1.2 Indikationen
In der Mitte der Stirn sollte wegen der medianen Raphe
der Galea eine vertikale Narbe angelegt werden.
Die Indikation zu wiederherstellenden Eingriffen bestehen meist
nach Trauma oder der Entfernung benigner oder maligner Hauttu­
moren. 14.1.5 Therapieziele

14.1.3 Klassifikation
Die wichtigsten Ziele der Wiederherstellung
im Stirnbereich
Die Stirn unterteilt sich in
4 den zentralen Bereich, aus einer mittigen, paramedianen und 4 Wiederherstellung der ästhetischen Einheiten von Stirn und
lateralen Untereinheit, Schläfe und ihrer Symmetrie
4 die Supraorbitalregion (rechte und linke) und Glabella (zentral) 4 Erhalt der motorischen Funktion des R. frontalis des N. facia-
sowie lis – ein Ausfall kann zum Mimikverlust im oberen Gesichts-
4 die Temporal- oder Schläfenregion (. Abb. 14.1). bereich und zur Ptosis des Auges führen
4 Erhalt der sensiblen Nerven (N. supratrochlearis und
N. supraorbitalis), um die Gefühlsempfindung an der Stirn
14.1.4 Präoperative Planung zu erhalten
4 Berücksichtigung der Symmetrie der Augenbrauen und der
An der Stirn spielen Farbe und Textur der Haut und entstehende Haaransatzlinie
Narben eine besonders wichtige Rolle, weil es sich um eine relativ 4 Möglichst unauffällige Platzierung entstehender Narben im
flache Oberfläche mit wenig Licht- und Schattengebung handelt. Verlauf der »relaxed skin tension lines« oder nahe der Haar-
Konturunregelmäßigkeiten, wie z. B. Stufenbildungen bei Narben, ansatzlinie oder Augenbraue
fallen hier besonders auf, v. a. bei tangentialem Lichteinfall von der 4 Lappenplastiken sollten daher die gleiche Hautdicke wie die
Decke oder der Wand. Defektumgebung haben, um einen »Nadelkisseneffekt«
(»pin cushioning«) zu vermeiden
14.1 · Stirn
105 14
14.1.6 Chirurgische Technik

Gemäß der rekonstruktiven Leiter lassen sich Defekte im Bereich der


Stirn mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad verschließen (. Abb. 14.2).

Sekundäre Wundheilung/Granulation
Die kontrollierte Sekundärheilung ist die einfachste Methode zum
Wundverschluss, sie ist in Arealen mit wenig mobiler Haut und mit
stabiler knöcherner Unterlage mit guten Ergebnissen möglich, z. B. im
oberen zentralen und im seitlichen Stirnbereich und an der Schläfe.
> Voraussetzung für die kontrollierte Granulation ist ein gut
durchblutetes Wundbett. Bei freiliegendem Knochen bie­
tet das Periost einen geeigneten Granulationsboden. Bei
blankem Schädelknochen ist jedoch ein Anbohren der
Kortikalis erforderlich, damit auf der Diploe eine Granula­
tion stattfinden kann.
Die allmähliche Auffüllung des Defekts mit Granulationsgewebe
wird durch regelmäßige Verbandswechsel mit kochsalz- oder alko­
holgetränkten Kompressen unterstützt. Eine Epithelialisation ist
spontan von den Wundrändern aus möglich oder kann durch sekun­
däre Spalthauttransplantation beschleunigt werden. Ein weiterer
Vorteil der Methode besteht in der Defektverkleinerung durch kon­
zentrische Wundkontraktion.

Primärverschluss
Kleine Defekte, z. B. nach Tumorexzisionen, lassen sich oft durch Un­
terminierung der Stirnhaut und des darunterliegenden und anhaf­
tenden M. frontalis in vertikaler oder horizontaler Richtung primär . Abb. 14.2 Rekonstruktive Leiter der Defektdeckung
verschließen. Die Zugrichtung beim Wundverschluss richtet sich nach
der Orientierung des Defekts und der Stirnfalten des Pa­tienten, in
denen die Narbe meist relativ unauffällig verborgen werden kann. und blasser Haut. Eine Spalthauttransplantation ist jedoch indiziert
Bei größeren Defekten kann die Annäherung der Wundräder bei Patienten, bei denen ein hohes Rezidivrisiko eines Hauttumors
durch eine vorsichtige vertikale Einritzung an der Unterseite der besteht oder eine Beobachtung der Exzisionsstelle geboten ist.
unterminierten Wundränder erleichtert werden. Vertikal verlaufen­
de sind meist weniger sichtbar als paramediane Narben. Lokale Lappenplastiken
Selbst große zentrale Wunden an der Stirn lassen sich durch Die wichtigsten lokalen Lappenplastiken finden sich in . Abb. 13.3
fusiforme Schnittführung und ausgiebige Unterminierung in der zusammengefasst (. Übersicht).
Subfrontalisebene vertikal oft primär und ohne Risiko einer Gefäß-
oder Nervenverletzung verschließen. Hierbei entstehende Hautauf­
werfungen lassen sich als Burow-Dreieck oder mittels W-Plastik in Die wichtigsten lokalen Lappenplastiken (. Abb. 13.3)
der Glabellaregion exzidieren. 4 Primärverschluss
4 Primärverschluss mit M-Plastik
! Cave
4 Ein- und beidseitige Vorschublappen
Bei starker horizontaler Spannung kann sich die Position
4 A-zu-T-Verschluss
der Augenbrauen verändern, worauf der Patient vorher
4 O-zu-Z-Verschluss
hingewiesen werden muss, weil z. B. eine mediale Ver­
4 Rhomboidlappen
ziehung der Augenbraue zu einem besorgten Aussehen
führen kann.
Eine unbeabsichtigte Brauenanhebung ist bei älteren Patienten eher Vorschublappen. Als Vorschublappen sind einfach und doppelte
akzeptabel als bei jüngeren. Der Effekt lässt oft bereits nach einigen Vorschublappen möglich, Burow-Lappen, A-zu-T-, O-zu-Z-Lappen
Monaten wieder nach. oder doppelt gestielte Verschiebelappen (. Abb. 13.3).
Bei einfachen oder beidseitigen Vorschublappen lassen sich die
Hauttransplantate Inzisionen in die horizontal verlaufenden Hautfurchen der Stirn le­
Hauttransplantate können angewandt werden, wenn kein Primär­ gen, sodass sie kaum auffallen. Bei Defekten im medianen Drittel der
verschluss möglich ist oder eine Lappendeckung nicht ohne Verzie­ Stirn sind beidseitige Verschiebelappen oft günstiger.
hung durchgeführt werden kann. Sie eignen sich auch zur temporä­
ren Bedeckung vor einer geplanten Gewebeexpansion. > Bei jüngeren Patienten mit glatter Stirn sind die bei diesen
Vollhauttransplantate mit günstiger Hauttextur und -farbe fin­ Techniken entstehenden Narben eher sichtbar. Hier kann
den sich in der Hals- oder Supraklavikularregion. jedoch präoperativ die Lage der Stirnfurchen und damit
Spalthauttransplantationen führen eher selten zu optimalen ästhe­ die günstigste Narbenposition bestimmt werden, wenn
tischen Ergebnissen, Ausnahme sind z. B. ältere Patienten mit dünner der Patient seine Augenbraue anhebt.
106 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis

verbessert werden. Nachteil dieser Technik ist eine mögliche Verzie­


hung des Haaransatzes nach unten.

Rotationslappen. Rotationslappen sind in vielen Fällen eine ideale


Lösung zur Defektdeckung an der Stirn, solange der Haaransatz
nicht wesentlich verzogen wird.
Rotationslappen können unilateral oder bilateral, symmetrisch
oder ineinander verschoben transponiert werden. Der große Vor­
teil dieser Techniken ist, dass sich ausreichend Gewebe selbst zur
Deckung großer Defekte mobilisieren lässt, das aufgrund der
breiten Lappenbasis gut perfundiert bleibt. Die Inzisionslinien
lassen sich meist im haartragenden Bereich der Kopfhaut ver­
bergen.
Bei großen Defekten sollten eher bilaterale Rotationslappen ein­
a
gesetzt werden, weil sie weniger zu einer Asymmetrie führen als
einseitige Geweberotationen. Der Nachteil dieser Lappen liegt darin,
dass sie den Haaransatz und die Augenbrauen verziehen können.
Die notwendigen Inzisionen sind im Verhältnis zur initialen Defekt­
größe oft sehr lang, bei Durchtrennung der sensiblen Stirnnerven
kommt es zur Taubheit der Stirn.

Transpositionslappen. Transpositions- oder Rhomboidlappen eig­


nen sich v. a. für den Glabellabereich und die Schläfe, wo die Haut
gut mobilisierbar ist (. Abb. 14.3).
Allgemeine Nachteile sind die entstehenden Narben, die sich nur
schwierig in den natürlichen Hautfurchen verbergen lassen, mög­
liche Konturstörungen (je nach Ausrichtung und Lokalisation des
Lappens und der resultierenden Hautaufwerfungen) und der starke
Zug an den Wundrändern, der z. B. die Augenbraue verziehen
b könnte.
Der klassische Limberg-Lappen und seine Varianten werden am
besten so angelegt, dass der Defektverschluss in Richtung der ge­
ringsten Hautspannung ausgerichtet ist (»lines of maximum exten­
sibility«; LME). Die Inzisionslinien bei Rhomboidlappen zeigen
14 leider in mehrere verschiedene Richtungen und sind so nur schwer
in Hautlinien zu tarnen.

Insellappen. Subkutan gestielte Lappen von der Schläfe eignen sich


für größere mittige Defekte, die entstehenden Narben sollte in die
natürlichen Hautfalten der Stirn gelegt werden. Als Nachteile ent­
stehen mehrere Narben, die Augenbraue kann verzogen und der
R. frontalis des N. facialis (z. B. beim Durchzug des Gefäßstiels) ver­
letzt werden.

c Gewebeexpansion
Die Stirnhaut eignet sich gut zur Expansion. Vorteil ist eine Rekon­
. Abb. 14.3a–c Basaliom an der Schläfe (a). Defektdeckung mittels Rhom-
struktion mit exakt übereinstimmender Hautfarbe und -textur.
boidlappen: Der Rotationspunkt befindet sich im Bereich des spitzeren
Winkels, da hier der geringste Rotationsbogen besteht (b). Unauffälliger
Die Gewebedehnung ist aufwendig und dauert relative lang, es
Narbenverlauf durch Platzierung der hebedefekseitigen Narbe in eine empfiehlt sich in vielen Fällen daher eine sekundäre Rekonstruktion
»relaxed skin tension line« (c) mit primärer Deckung mittels Spalthauttransplantation.
Die Expander werden unter die Galea eingebracht und über
mehrere Wochen durch transkutane Injektion in eine Portmembran
Bei Vorschublappen lässt sich mit zusätzlicher Exzision eines Burow- mit Kochsalzlösung befüllt, bis eine ausreichende Hautoberfläche
Dreiecks die Spannung am Rand des Defekts und damit der Zug an erreicht ist (. Abb. 14.4). Bei rechteckiger Form sollte die Basis des
anatomischen Strukturen vermindern, sie eignen sich daher v. a. an Expanders etwa 2,5-mal so groß sein wie der Defekt.
der seitlichen Stirn. Häufige Komplikationen sind Infekte, Extrusion des Expanders
Beidseitig gestielte Lappenplastiken können bei medianen und oder sonstige mechanische Probleme und Schmerzen.
paramedianen Defekten in der Nähe der Haargrenze eingesetzt wer­ Eine intraoperative Aufdehnung kann angewandt werden, wenn
den. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie die Spannung minimieren und ein primärer Wundverschluss durch Wundrandmobilisierung nicht
die horizontale Ausrichtung des Defekts erhalten. Die Verschieblich­ möglich ist, aber nur wenig Gewebe fehlt. Mit einem eingeführten
keit des Gewebes im Bereich des Primärdefekts kann hierbei durch 30-ml-Foley-Katheter lässt sich innerhalb von 20 min ein Gewinn
eine 2–3 cm hinter der Haarlinie verlaufende Parallelinzision noch von ca. 10–20 mm erzielen.
14.1 · Stirn
107 14

a b

. Abb. 14.4a–c Weichteilrekonstruktion im Stirnbereich nach ursprüng­


licher Meshgraft-Deckung eines Defektes nach Entfernung eines Melanoms
(a). Präexpansion durch 2 Hautexpander (b). Resektion des Spalthautareals
und Ausbreitung der expandierten Hautlappen. Aspekt unmittelbar post-
d
operativ (c) und nach einigen Wochen (d)

Gestielte Lappen 14.1.7 Rekonstruktion knöcherner Defekte


Als gestielte Lappen im Bereich der oberen Gesichtsregion sind ein-
oder beidseitig gestielte Techniken möglich, die auf den temporalen Die Stirnkontur wird wesentlich von der Form des darunterliegen­
Gefäßen beruhen. In speziellen Fällen kann hier z. B. der beidseitig den Knochens bestimmt, sodass die Rekonstruktion dieser Integrität
gestielte Visierlappen eine gut vaskularisierte Deckung ermöglichen oft entscheidend für das Ergebnis der Defektdeckung ist. Bei trau­
(. Abb. 14.5). matischen Defekten kann eine interne Fixation erfolgen. Tumoren
und deren Entfernung führen jedoch nicht selten auch zu knöcher­
Mikrochirurgische Lappentransplantation nen Zerstörungen, die mit autologem oder alloplastischem Material
Bei ausgedehnten Defektflächen von über 50 cm2, z. B. des gesamten aufgefüllt werden müssen.
zentralen Stirnbereichs mit exponiertem Knochen, reichen lokale
Lappenplastiken zur Deckung nicht aus (. Abb. 14.6). Hier kann Autologes Material
durch eine mikrochirurgische Gewebetransplantation eine Rekon­ Hier können am besten in der Diploe geteilte Anteile der Schädelka­
struktion »aus einem Stück« erreicht werden. Am ehesten eignen lotte (»split-calvarial bone grafts«) verwendet werden, bei Rippen­
sich hier der myokutane Latissimus-dorsi-Lappen, der präexpan­ knorpel besteht das Problem der Resorption.
dierte Leistenlappen oder andere Lappenplastiken mit großem Mus­
kelvolumen und ausreichender Hautinsel. Alloplastisches Material
Alloplastische Materialien haben den Vorteil der unbeschränkten
Verfügbarkeit und der fehlenden Hebedefektmorbidität. Am häu­
figsten wird hier wie bei anderen kranioplastischen Eingriffen Poly­
methylmethacrylat (PMMA) verwendet, das den Schädelknochen
108 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis

a b

14
c d e

. Abb. 14.5a–f Defektdeckung eines ausgedehnten Defektes nach Exenteration der Orbita und
Teilresektion im Ethnoidalbereich wegen fortgeschrittenen sklerodermiformen Basalioms (a–c).
Wegen der marginalen Resektion und besseren lokalen Befundkontrolle Verzicht auf freie Lappen-
plastik und Defekteckung durch bilateral an A. und V. temporalis gestielten Visierlappen sowie
Glabellalappen im Bereich der Nasenwurzel (d). Verschluss des parietalen Hebedefektes durch Spalt-
haut (e). Günstiges ästhetisches Ergebnis bei guter Verlaufskontrolle unter dünnem Fasziokutan­
f
lappen (f)
14.1 · Stirn
109 14

a b

c d

tet ohne Hitzeentwicklung aus, ist aber mechanisch nur bedingt belast­
bar und kann zu einer verzögerten Entzündungsreaktion führen.
Polyethylen kann als semirigides Material Knochen ersetzen, es
gibt sowohl bestimmte vorgegebene Formen als auch die Möglich­
keit einer maßangefertigten Einpassung. Seine poröse Struktur er­
laubt ein Einwachsen von durchblutetem Gewebe, wodurch die Ge­
fahr einer Infektion oder Migration verringert wird. Es eignet sich
daher für viele kranioplastische Eingriffe, einschließlich an der Stirn.
Bei Rekonstruktionen des Schädelknochens über dem Sinus fronta­
lis muss darauf geachtet werden, dass es nicht zur Ausbildung einer
Muskozele kommt, d. h. dass für alle Schleimhäutoberflächen wei­
terhin ein Abfluss zum Ductus nasofrontalis verbleibt.
Titanimplantate, die als 3-D-Modelle gefräst werden, werden
bei sehr ausgedehnten Defekten eingesetzt. . Abb. 17.7 zeigt ein Bei­
spiel für die Deckung eines knöchernen Defektes der Stirn.
! Cave
Alloplastische Materialien dürfen keinen direkten Schleim­
. Abb. 14.6a–e Defektdeckung an der Stirn bei ausgedehntem Strahlen- hautkontakt haben, da dies eine hohe Infektgefahr in sich
schaden nach Bestrahlung wegen eosinophilen Granuloms mit exponiertem birgt.
avitalem Stirnknochen (a). Defektdeckung durch M. latissimus-dorsi-Lap-
pen (c, d)
14.1.8 Komplikationen
hinsichtlich der Zug- und Torsionsstabilität noch übertrifft. Nach­ Mögliche Risiken wie Infektionen und Wundheilungsstörungen sind
teilig ist, dass es nicht mit dem Knochen verwächst und sich daher aufgrund der guten Perfusion der Stirnregion rar. Häufiger sind
als Onlay lockern kann. Selten kommt es zu einer entzündlichen Nachblutungen, Hämatome, Serome oder ungünstige Narbenbil­
Fremdkörperreaktion. dung. Aus einer falschen Planung bei Lappenplastiken können äs­
Hydroxyapatitzement besteht aus Kalziumsalzen und kann sich in thetisch störende Verziehungen des Haaransatzes, der Brauen oder
den Knochen integrieren. Es lässt sich leicht in Form bringen und här­ Augenlider resultieren.
110 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis

a b

14

c e

. Abb. 14.7a–e Rekonstruktion eines knöchernen frontalen Knochende- Weichteildefizit, das mit einem freien mikrovaskulären Latissimusmyokut-
fektes mit »custom-made« Titankalottenimplantat. Nach Freilegung des De- anlappen rekonstruiert wird (Anschluss an A. facialis und V. jugularis
fektes wird das Ausmaß des Verlustes des frontalen Schädeldachs nach ei- externa, c). Sekundäre Lappenausdünnung (d) führt zu einem guten ästhe-
ner veralteten Schussverletzung sichtbar (a). Ein in CAD-CAM-Technik maß- tischen Ergebnis (a)
gefertigtes Kalottenimplantat wird eingesetzt (b) und führt zu einem

Haarverlust tritt meist infolge einer Traumatisierung der Follikel 14.2 Schädelbasis
auf, meist wächst das Haar aber nach 3–6 Monaten wieder nach.
Permanenter Haarverlust kann z. B. durch übereifrigen Gebrauch Defekte an der Schädelbasis entstehen v. a. infolge von Tumorresek­
des Elektrokauters bei der Lappenhebung entstehen. tionen, seltener durch Trauma, Mukozelen, kraniofaziale Fehlbil­
Bei Verletzung des Stirnastes des N. facialis verliert der Pati­ dungen oder Zystenbildungen. Sie werden in der Regel von Kollegen
ent die Fähigkeit, die Stirn zu runzeln und die Augenbraue anzu­ der Neurochirurgie, HNO oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie be­
heben. handelt, der Plastische Chirurg wird aber zur interdisziplinären Un­
terstützung hinzugezogen.
14.2 · Schädelbasis
111 14
Hier sollen nur die Grundzüge der plastisch-chirurgischen Ver­
sorgung zusammengefasst werden.

14.2.1 Therapieziele

Vor allem onkologische Exzisionen an der Schädelbasis hinterlassen


oft ausgedehnte Defekte mit Freiliegen von Hirn, Dura und Knochen
und angrenzender Strukturen. Die Ziele einer dringend erforder­
lichen Deckung sind in der . Übersicht dargestellt.

Therapieziele
4 Verschluss und Abdichtung der Hirnhäute
4 Separation und Abdichtung der intrakraniellen Strukturen
vom oberen Atmungs- und Digestivtrakt, v. a. auch als Keim-
a
barriere
4 Wiederherstellung der Orbita und des Oropharynx
4 Rekonstruktion der inneren Gerüstfunktion und der äuße-
ren Form
4 Obliteration von Wundhöhlen (Totraumplombierung)

14.2.2 Chirurgische Technik

Zur Erreichung der Therapieziele stehen verschiedene Verfahren zur


Verfügung:

Transplantate
Zur Abdichtung können Haut, Faszie, Fett- oder Dermis-Fett-Lap­
pen oder alloplastische Materialien eingesetzt werden.
Lokale Lappen sind Stirn- und Skalplappen, Galea- und perikra­ b
niale Lappen, M.-temporalis-Lappen, Septumschleimhautlappen.
Aus der Defektumgebung können während der Kraniotomie
perikraniale oder perikraniale Galealappen gehoben und zur Bede­
ckung von Duralecks verwendet werden. Diese werden meist durch
die supraorbitalen und supratrochlearen Gefäße versorgt.
Zur Auffüllung von Wundhöhlen wird lokal der M. temporalis
eingeschwenkt, z. B. nach medial zur Deckung von anterolateral ge­
legenen Defekten der Schädelbasis oder bei orbitomaxillären De­
fekten. Zur Rekonstruktion des Orbitabogens kann er mit einer
Knochenkomponente aus der Schädelkalotte verlagert werden. We­
gen seines engen Schwenkradius ist sein Einsatz allerdings auf
gleichseitge Defekte der orbitofrontalen Region, des Unterkiefers,
der Schläfe und der Fossa infratemporalis begrenzt.
Um die Blutversorgung aus der A. maxillaris interna zu erhalten,
muss der Muskel der Ursprung am Processus coronoideus geschont
werden. Bei Transposition des gesamten Muskels besteht die Gefahr
einer sichtbaren Konturstörung der Schläfe. c
Bei größeren medialen Defekten mit Verbindung zum Nasopha­
rynx reicht der M. temporalis oft nicht mehr aus, hier sollten in der . Abb. 14.8a–c Defektdeckung eines frontobasalen Knochen- und Weich-
Regel freie Lappentransplantate verwendet werden. teildefektes nach Resektion eines nasoethmoidalen Sarkoms. Der Lappen
enthält eine separate Hautinsel für den Verschluss an der Schädelbasis zur
Regionale Lappen Nasenhöhle hin und eine zweite zur Rekonstruktion des frontalen Haut-
Regionale Lappen wie weichteildefektes
4 M.-pectoralis major-Lappen,
4 M.-latissimus-dorsi-Lappen,
4 inferiorer M.-trapezius-Lappen

entstammen dem Kopf-Hals-Bereich, nicht aber der unmittelbaren


Defektumgebung. Gemeinsam ist ihnen ihr langer Gefäßstiel, der
112 Kapitel 14 · Rekonstruktion von Defekten der Stirn und der Schädelbasis

eine Verlagerung des distalen Lappenanteils in den Defekt erlaubt,


während die Basis an der Hebestelle verbleibt. Meist handelt es sich
um muskulokutane Lappenplastiken mit intramuskulären Perfora­
torgefäßen und einer Hautinsel. Durch diese Techniken haben sich
in den 1970-er Jahren die Rekonstruktionsmöglichkeiten nach Tu­
morentfernung im Bereich der Mundhöhle und des Ororpharynx
wesentlich erweitert.
Für Defekte im Bereich der Schädelbasis reicht der Muskelstiel
nicht aus. Hier sind freie Lappentransplantate erforderlich.

Mikrochirurgische Lappenplastiken
Die Einführung der mikrochirugischen Gewebetransplantation hat
die Möglichkeiten der Rekonstruktion an der Schädelbasis revoluti­
oniert, v. a. vor einer geplanten oder nach einer Bestrahlung.
Am häufigsten eingesetzt werden:
4 myokutaner M.-latissimus-dorsi-Lappen,
4 radialer Unterarmlappen (fasziokutan),
4 myokutaner M.-rectus-abdominis-Lappen,
4 Lappenplastiken des A.-subscapularis-Systems (osseo-/myofas­
ziokutan),
4 Omentum-majus-Lappen.

Fasziokutane Lappen mit langem Gefäßstiel, wie z. B. der radiale


Unterarmlappen, eignen sich besonders gut für periorbitale Rekon­
struktionen, weil sie kein Veneninterponat benötigen.
Muskellappen mit Hautinsel bringen gut durchblutetes Gewebe
ein, schützen rekonstruierte Defekte der Hirnhäute und können di­
ese auch bei Restleckage »wasserdicht« abschließen. Bei Austritt von
zerebrospinaler Flüssigkeit unterstützt die Muskelplombe den spon­
tanen Verschluss. Hier hat sich v. a. der myokutane M.-latissimus-
dorsi-Lappen bewährt. . Abb. 14.8 zeigt ein Beispiel.
Durch Kombination des skapulären und paraskapulären Gefäß­
systems und des M. latissimus dorsi lassen sich sehr große sog. axil­
läre Megalappen mit mehreren Gewebekomponenten (Chimären­
14 lappen) bilden.

Literatur
Literatur zu 7 Kap. 14.1
Chang DW, Robb GL (2000) Microvascular reconstruction of the skull base.
Semin Surg Oncol 19: 211–217
Chiu ES, Kraus D, Bui DT et al. (2008) Anterior and middle fossa skull base re-
consrtruction using microvascular free tissue techiques: surgical compli-
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Weber SM, Kim JH, Wax MK (2007) Role of free tissue transfer in skull base
reconstruction. Otolaryngol Head Neck Surg 136: 914–919

Literatur zu 7 Kap. 14.2


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temple. Facial Plast Surg Clin North Am 13 (2): 243–251
Seline PC, Siegle RJ (2005) Forehead reconstruction. Dermatol Clin 23 (1):
1–11
15

Grundtechniken
der Nah­lappen­plastiken
zur Rekonstruktion
im Gesicht
A. Gohritz, P.M. Vogt

15.1 Z-Plastik – 114

15.2 W-Plastik – 114

15.3 VY-/YV-Vorschiebelappen (»advancement«) – 114

15.4 Insellappen (»island flap«) – 116

15.5 Rotationslappen – 116

15.6 Zweizipfliger oder dreizipflige Lappen (»bilobed«/«trilobed flap«) – 116

15.7 Verschluss von rechteckigen Defekten – 118

15.8 Limberg-Lappen (Rhomboid- oder Rautenlappen) – 118

15.9 Dufourmentel-Lappen (»Dufourmentel-flap«, LLL-Lappen) – 119

15.10 Brückenlappen (»bipedicled«/»tubed flap«, Visier-, Rundstiellappen) – 119

15.11 Komplikationen – 120

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
114 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nah­lappen­plastiken zur Rekonstruktion im Gesicht

Aufgrund der besonderen Qualität der Haut in der Gesichtsregion, Bei der Planung einer Z-Plastik sollten die Balken am besten in
v. a. hinsichtlich von Elastizität und Durchblutung, liegen hier be­ Richtung der Hautspannungslinien verlaufen, dies muss bei der
sonders günstige Voraussetzungen für lokale Nahlappenplastiken Wahl der Winkel bedacht werden (. Abb. 15.1).
vor. Die gebräuchlichsten Techniken sind auch in den meisten
­an­deren Körperregionen anwendbar und sollen mit ihrer speziel­
len Indikation, Vor- und Nachteilen kurz zusammengefasst werden 15.2 W-Plastik
(s. a. Kapitel 12).
Bei der W-Plastik wird eine auffällige Narbe in kleine, zick-zack-
förmige Komponenten aufgelöst. Dies gelingt v. a., wenn die neue
15.1 Z-Plastik Narbe mit den meisten ihrer Teilstrecken in Richtung der Hautspan­
nungslinien oder in bestehenden Hautfalten verläuft (. Abb. 15.2)
Die Plastik hat ihren Namen wegen ihres typischen Z-förmigen Mit dieser Schnittführung können auch eingezogene oder ge­
Schnitt- und späteren Narbenverlaufs, sie kann auch mit anderen spannte Narben der Umgebung angeglichen werden. Sie eignet sich
Nahlappen, z. B. der VY-Plastik oder dem Limberg-Lappen, kombi­ v. a. zur Narbenkorrektur im Gesicht, insbesondere in Bereichen
niert werden. natürlicher Faltenbildung, z. B. an der Stirn.

Planung. Im Prinzip werden bei einer Z-Plastik die Diagonalen Planung. Bei der W-Plastik wird die alte Narbe zunächst exzidiert,
eines Parallelogramms gegeneinander vertauscht. Die zu korrigie­ indem gleichschenkelige Dreiecke mit einer Basislänge von 3–7 mm
rende Struktur, z. B. Narbe, die bei geringer Breite exzidiert wird, angelegt werden, die Winkel liegen meist zwischen 50° und 60°. Je
liegt auf der kürzeren Diagonale, die längere zeigt in die Richtung der nach der Narbenform (z. B. bei gebogener Narbe) müssen die gegen­
späteren Mittellinie der Z-Plastik. überliegenden Dreiecke so angepasst werden, dass die Dreiecke an
Es werden 2 Lappen gegeneinander verschoben, die jeweils ein der konvexen Seite entsprechend breiter als an der konkaven Seite
gleichschenkeliges Dreieck bilden und eine Seite gemeinsam haben, sind.
welche durch die zu korrigierende Struktur gebildet wird. Im Winkel
von 30°–90° dazu werden an den entgegengesetzten Enden gleich Vorteile. Die W-Plastik ist technisch einfach, vielfältig anwendbar
lange Schnitte angebracht, sodass alle 3 Strecken des Z – die Mittel­ und sicher.
linie und die beiden Balken – gleich lang und die beiden Winkel
gleich groß sind. Nachteile. Die Ausführung ist wegen der vielen kleinen Dreiecks­
lappen relativ zeitaufwendig. Anders als bei der Z-Plastik kann die
Gewebespannung durch die Narbenexzision noch zunehmen.

15.3 VY-/YV-Vorschiebelappen
(»advancement«)
Zur Verlängerung wird die Narbe V-förmig exzidiert und die Wun­
dränder des entstandenen Defekts nach Mobilisierung sternförmig
15 aneinandergenäht. Es ergibt sich so aus einem V-förmigen Defekt
eine Y-förmige Narbe.
Kleinere Korrekturen sind oft mittels einer VY- oder YV-Plastik
möglich, indem z. B. bei Narbenkontraktur eine lineare Verlänge­
a rung oder Verkürzung einer Strecke erreicht wird.

Indikationen. Hauptindikation besteht in der Korrektur von nar­


bigen Kontrakturen oder Strikturen, z. B. auch das Lippenbändchen.
Besondere Bedeutung besitzt diese Technik bei der Defektdeckung
von kleinen kreisförmigen Defekten, die sich in schmalen Regionen
befinden. Am Nasenrücken z. B. sollte die Defektgröße <3 cm liegen.
Eine Variante dieser Technik im Bereich der Nasenspitze wurde
von H. Gillies und R. Millard unter dem Namen »extended glabella
flap« angegeben und von Rieger mit einer Rotationskomponente
modifiziert (. Abb. 15.3).

Vorteile. Vorteil ist die relativ einfache Schnittführung, mit der eine
b lineare Verlagerung eines Punktes oder einer Strecke erreicht wird.
Kleine, runde Defekte lassen sich so gut verschließen. Die Technik
c kann besonders bei schmalen Bezirken, etwa am Nasenrücken, ein­
. Abb. 15.1a–c Längenaustausch in der Z-Plastik. a Z-Plastik ABCD an
gesetzt werden.
der zu korrigierenden Struktur BC. AD entspricht der Lage der neuen Mittel-
linie der ausgeführten Z-Plastik. aus dem umgekehrten »Z« entsteht ein »Z« Nachteile. Die VY-Plastik muss exakt geplant und ausgerichtet wer­
mit BADC und ein Gewebegewinn zwischen C und B. b Umsetzung des Prin- den, die Fehlertoleranz ist gering. Sie ist nur bis zu einer bestimmten
zips der Z-Plastik Defektgröße möglich.
15.3 · VY-/YV-Vorschiebelappen (»advancement«)
115 15
. Abb. 15.2a–e Narbenkorrektur mittels W-Plastik. a, b Prinzip,
c–e Klinische Anwendung

c e

. Abb. 15.3a–g VY-Vorschiebelappen. a–f Prinzip,


g Klinische Anwendung

a b c

g
d e f
116 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nah­lappen­plastiken zur Rekonstruktion im Gesicht

15.4 Insellappen (»island flap«)


Der Insellappen ist wird durch einen definierten zentralen Gefäßstiel
(»axial pattern«) versorgt, an dem er mobilisiert und spannungsarm
in weiter entfernte Bereiche eingebracht werden kann.
Bei der Durchführung muss vermieden werden, dass der Stiel
abknickt oder unter Zug gerät. Der Hebedefekt ist bei korrekter Pla­
nung oft primär verschließbar. Der Stiel lässt sich auch unter einer
Hautbrücke hindurchstecken (»tunneled flap«), sodass oberflächlich
keine Verbindung zwischen dem Spender- und Empfängerareal
sichtbar ist.

Indikationen. Der Insellappen lässt sich in allen Körperregionen


a b
anwenden und eignet sich auch für Rekonstruktionen im Gesicht.
Ähnlich wie mikrovaskulär transplantierte Gewebeinseln sind die . Abb. 15.4a, b Wangenrotation nach Esser (1917) als Sonderform des
Insellappen v. a. in Geweben mit verminderter Perfusion vorteilhaft, Rotationslappens
z. B. nach Bestrahlung, weil sie durch ihre mitgebrachte eigene Ver­
sorgung nicht geschädigtes, gut durchblutetes Gewebe einbringen.
Der Schnitt zur Lappenlösung wird in der Ausdehnung eines
Vorteile. Bei sorgfältiger Planung sind selten Entlastungsschnitte Halbkreises auf dieser Linie ausgeführt, sodass die Lappenbasis die
der Haut notwendig, um den Lappenstiel zu mobilisieren. Bei güns­ gleiche Ausdehnung wie die Schenkel des Dreiecks hat. Der Radius
tiger Lage der Hebestelle lässt sich diese oft primär verschließen. Im des Kreises sollte dieselbe Länge haben wie die Summe aus der
Bedarfsfall, z. B. zur Lippenrekonstruktion, kann auch ein begleiten­ kurzen Seite und der Seitenlänge des Dreiecks.
der Nerv mitgehoben werden (neurovaskulärer Insellappen). Die entstehenden Spannungen verteilen sich gleichmäßig über die
Kreislinie des Lappens: Je größer der Lappen geschnitten wird, desto
Nachteile. Die Defektgröße ist bei dieser Methode auf 0,5–5 cm be­ weniger Spannung entsteht an den einzelnen Punkten des Lappens. Zu
grenzt. Wegen seiner empfindlichen Blutversorgung wird der Insel­ starke Spannung kann durch einen Rückschnitt (»back cut«) an der
lappen hauptsächlich im gut perfundierten Kopfbereich verwendet. Lappenbasis vermindert werden, entweder wenn die mögliche Lap­
Die Präparation dieser Lappen erfordert besondere Anatomiekennt­ pengröße begrenzt ist oder die Lappengröße zu klein geplant wurde.
nisse, v. a. kann die Darstellung des Gefäßstiels technisch äußerst an­ Durch den Rückschnitt lassen sich zwar zwischen 15° und 20° an Ro­
spruchsvoll sein. Nicht selten tritt ein »pin cushioning« auf (Nagel­ tation gewinnen, er kann jedoch auch die Blutversorgung des Lappens
kisseneffekt) durch eine erheblich gestörte Lymphabflussstörung. gefährden. Wenn nötig, sollte ein Rückschnitt auf das Kutangewebe
Durch die zirkuläre Narbe kann es zu einem flickenähnlichen beschränkt werden und der subkutane Gefäßplexus geschont werden.
Aussehen kommen. Der Sekundärdefekt samt Rückschnitt ist meist primär, sonst mit
einem Hauttransplantat verschließbar.

15.5 Rotationslappen Vorteile. Der Rotationslappen hat eine breite Basis und ist daher
15 sicher durchblutet. Die Technik ist auch mehrfach hintereinander
Die Rotationsplastik wird häufig angewandt, obwohl sie nicht selten durchführbar, ohne das Gewebe zu gefährden oder auffälligere Nar­
eine ungünstige Narbe hinterlässt, die im Verhältnis zum Defekt ben zu produzieren, was von Bedeutung in der Chirurgie des sakral­
recht groß ist. Ihre Indikation findet diese Technik deswegen an op­ en Dekubitus ist.
tisch weniger exponierten Stellen, z. B. im Bereich der Haargrenze.
Eine frühe Form des Rotationslappens geht auf Curt Schimmel­ Nachteile. Der Rotationslappen lässt sich aufgrund der Größe nur
busch zurück, Esser entwickelte die Technik in der Zeit des I. Welt­ aufwendig mobilisieren. Er kann im Verhältnis zu seiner Größe nur
krieges v. a. zur Rekonstruktion der Wange weiter (. Abb. 15.4). kleine Defekte decken und erfordert bei ungenügender Planung oft
Imre wandte einen kombinierten Verschiebe-Rotations-Lappen an, einen Entlastungsschnitt. Es entsteht eine lange halbkreisförmige
v. a. zur Lidrekonstruktion. Narbe, die sich nur bei exakter Planung und guter Nahttechnik in
bestehenden Falten oder unter Haaren verbergen lässt.
Indikationen. Die Rotationsplastik wird v. a. in der Stirnregion und
in der Wangenregion eingesetzt, idealerweise wird die Schnittlinie in
der Haarlinie versteckt. 15.6 Zweizipflige oder dreizipflige Lappen
Prinzipiell ist sie in jeder Körperregion möglich, durch Kombi­ (»bilobed«/«trilobed flap«)
nation zweier Rotationslappen können auch größerer Defekte ge­
deckt werden. Der zweizipflige Lappen ist ein Deckungsprinzip, bei der ein Primär­
defekt durch einen angrenzenden Transpositionslappen, der entste­
Planung. Der Defekt wird in Form eines gleichschenkeligen Drei­ hende Sekundärdefekt wiederum mit einem Transpositionslappen
ecks umschnitten, dessen Scheitelwinkel zwischen 30° und 60° liegen gedeckt wird, dessen Hebedefekt meist primär verschlossen wird
sollte. Der Mittelpunkt P, um den die Rotation ausgeführt wird, soll (. Abb. 15.5).
auf der Verlängerung einer der beiden Dreieckschenkel liegen. Um
diesen wird ein Kreis geschlagen, auf dem die beiden Ecken am Rand Indikationen. Diese Technik erweist sich besonders nutzbringend,
der kurzen Seite des Dreiecks liegen. Das Dreieck wird somit als wenn der Primärdefekt so ungünstig liegt, dass der Hebedefekt eines
Sektor eines Kreises aufgefasst. angrenzenden Schwenklappens nicht günstig primär verschlossen
15.6 · Zweizipfliger oder dreizipflige Lappen (»bilobed«/«trilobed flap«)
117 15

a b c

d e

g
. Abb. 15.5 Zwei- und dreizipfliger Lappen (a–c; 7 Kap. 12) zur Anwen-
dung an der Nasenspitze (d–g)

werden kann. Hier ermöglicht der zweizipflige Lappen eine einzei­ Behinderung einzeitig in die gewünschte Position gebracht werden
tige Versorgung, er wird im Gesicht v. a. an den Nasenflügeln oder können. Die Lappen können in einem Winkel von 45°–180° zuei­
den Wangen angewendet. nander liegen. Ein Winkel von 90° zueinander gilt als optimal, wenn
die Spannungslinien der Haut gleichmäßig verteilt sind. Der beson­
Planung. Der zweizipflige Lappen besteht eigentlich aus 2 Lappen, dere Vorteil dieser Technik besteht u. a. in dem additiven Effekt der
die eine gemeinsame Basis besitzen und dadurch ohne gegenseitige Elastizität der Lappen und der umgebenden Haut.
118 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nah­lappen­plastiken zur Rekonstruktion im Gesicht

Durch entsprechende Unterminierung und Dehnung lässt sich a b


der letztendliche Donorbereich häufig primär verschließen. Durch
Anwendung dieses Lappens verlagert man den Verschluss des Pri­
märdefekts in eine andere Region, wo er z. B. weniger sichtbar mit
Spalthaut zu decken ist oder wo die Dehnbarkeit der Haut einen
primären Wundverschluss erlaubt.
Bei einer erhöhten Spannung der Haut oder komplexer Oberflä­
chenanatomie lässt sich die Plastik weiterhin um einen weiteren
Schwenklappen zum dreizipfligen Lappen erweitern.
> Eine Domäne in der Anwendung besteht in der Nasenspit- . Abb. 15.6a, b Prinzip der Limberg-Plastik
zenrekonstruktion.
Seiten und jeweils mit 2 gleich großen, sich gegenüberliegenden
Vorteile. Der zweizipflige Lappen ermöglicht eine einzeitige Ope­ Winkeln von 60° und 120° (. Abb. 15.6).
ration in Situationen, in denen ansonsten entweder 2 Operationen Diese Exzisionsform ermöglicht einen sehr viel geringeren Ver­
indiziert wären oder ein nur weniger befriedigendes Ergebnis mit lust an intaktem Gewebe als die Spindelform.
nur einer Operation erreichbar wäre. Dadurch wird in der Regel ein Der entstandene Exzisionsdefekt erfordert einen Verschiebelap­
Wundverschluss durch eine einfache Naht und damit ein befriedi­ pen, er muss daher genau geplant werden. Zwei parallele Seiten der
gendes kosmetisches Ergebnis erreicht. Raute sollten senkrecht zu den Hautspannungslinien stehen. Eine
dieser Seiten wird um den gleichen Betrag verlängert und bildet die
Nachteile. Ein gewichtiger Nachteil besteht in der ausgedehnten Basis eines Lappens in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks.
Narbenführung, die sich schwer in befriedigender Weise an die Die 4 Seiten – die kurze Diagonale der Raute und die beiden
RSTL (»relaxed skin tension lines«) oder in das vorgegebene Falten­ Seiten des dreieckigen Lappens – sind gleich lang. Die Basis des Lap­
relief einfügen lässt. Da die Plastik im Prinzip aus 2–3 Einzellappen pens und die Seite des dabei gegenüberliegenden Dreiecks, das spä­
besteht und diese entsprechend mobilisiert werden müssen, ist ein ter die 2. Hälfte des Defektes deckt, haben ebenfalls diese Länge. Ist
besonders sorgfältiges Arbeiten notwendig, um Komplikationen wie der Defekt in seiner Rautenform entstanden, gibt es theoretisch
Nekrosen oder Wundheilungsstörungen zu vermeiden. 4 Möglichkeiten der Lappenbildung.
> Die wichtigste Regel bei der Lappenwahl ist, die kurze Dia-
gonale des Lappens in Richtung der »lines of maximum
15.7 Verschluss von rechteckigen Defekten extensibility« (LME) zu positionieren und die Spenderregi-
on nicht in Richtung einer verschiebbaren Landmarke zu
Lässt sich eine Läsion nicht im Verlauf der Hautspannungslinien
legen, da sonst eine auffällige Deformität entstehen kann.
exzidieren und verschließen, kann sie in einen rechteckigen Defekt
umgewandelt und mit einer im Folgenden beschriebenen Techniken Diese Erfahrung stimmt mit den experimentellen Ergebnissen über­
verschlossen werden. Dieses Vorgehen bietet sich an, wenn eine Lä­ ein, dass die stärkste Spannung in der durchgeführten Plastik in
sion entweder von der Fläche her zu groß ist, um nach Wundrand­ Richtung der kurzen Diagonalen des Spenderareals herrscht und die
mobilisierung primär verschlossen zu werden, oder wenn die Gefahr Narbe in dieser Ebene die größte Dehnung erfährt.
15 einer Verziehung eines Mund- oder Augenwinkels oder einer ande­ Die Schwierigkeit der besten Positionierung des Limberg-Lap­
ren wichtigen Struktur besteht. pens erhöht sich noch, wenn sich der zu verschließende Defekt zwi­
Die Prinzipien der rautenförmigen Lappendeckung stammen schen 2 solchen problematischen Punkten befindet.
von Limberg, der die mathematischen Grundlagen 1946 in russi­ Es lassen sich jedoch auch 2 Rauten um einen Defekt konstruie­
scher Sprache veröffentlichte. Die Anwendungsmöglichkeiten dieser ren. Die 1. Raute muss nur um einen Winkel von 30° gekippt werden.
rautenförmigen Lappenplastiken wurden durch die von Dufourmen­ So ergeben sich wieder 4 Möglichkeiten, auf die dieselben Regeln
tel 1962 beschriebenen Lappenformen noch erweitert. anwendbar sind.
Bedenkt man alle diese Konstruktionsmerkmale, lässt sich der
Limberg-Lappen am besten in Regionen einsetzen, in denen gut ver­
15.8 Limberg-Lappen schiebliches Gewebe vorliegt. Liegen größere ovale oder kreisför­
(Rhomboid- oder Rautenlappen) mige Defekte vor, können mehrere Limberg-Lappen miteinander
kombiniert werden, indem ein Rechteck aus zwei sich gegenüberlie­
Die einfachste Methode zum Verschluss eines rechteckigen De­ genden Limberg-Plastiken gebildet oder ein runder Defekt mit drei
fekts ist der Limberg- oder Rhomboidlappen, weil sich die meis­ Rauten in Form eines symmetrischen Sechsecks angenähert wird.
ten Läsio­nen leicht in die Ausgangsform dieser Plastik überführen Beim rautenförmigen Limberg-Lappen muss darauf geachtet
lassen. werden, dass die längere Diagonale nach Möglichkeit parallel der
Hautspannungslinien zu liegen kommt.
Indikationen. Fast jede Defektform kann in eine Rautenform um­ Bei der Planung der Deckung eines großen Defektes durch meh­
gewandelt werden, die dann mit einem Limberg-Lappen verschlos­ rere Limberg-Lappen (. Abb. 15.7) müssen die Lappenbasen so an­
sen werden kann. Der Lappen eignet sich v. a., wenn ein einfacher gelegt werden, dass sie sich in ihrer Mobilisierung und Ernährung
Verschluss nach spindelförmiger Exzision wegen zu großer Fläche nicht gegenseitig behindern. Weiterhin dürfen 2 Spenderbereiche
nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist. nicht benachbart liegen, d. h. sie dürfen sich weder mit einer Seite
noch mit einem Winkel berühren, da sonst verstärkt Probleme in der
Planung. Beim Limberg-Lappen wird eine Läsion rautenförmig Hautkontur, in der Lappenperfusion oder im Verschluss der Spen­
­exzidiert, d. h. es entsteht ein Parallelogramm mit 4 gleich langen derareale auftreten können.
15.10 · Brückenlappen (»bipedicled«/»tubed flap«, Visier-, Rundstiellappen)
119 15

a b c

. Abb. 15.7a–c Annäherung eines großen Defektes durch drei Limberg-Lappen (Sechseck)

Vorteile. Der Limberg-Lappen ist technisch relativ einfach und si­ Vorteile. Der Dufourmentel-Lappen verfügt über eine exzellente
cher durchzuführen, wenn beim Verschluss ein festes Lappenlänge- Blutversorgung und besitzt eine breitere Anwendbarkeit als der
Basis-Verhältnis eingehalten wird. So lassen sich auch Defekte ver­ ­Limberg-Lappen, da aufgrund der Variabilität der Winkel ein noch
sorgen, die mit einem Rotationslappen oder fusiformer Exzision mit größerer Spielraum in der Planung besteht und die Spannung im
oder ohne Z-Plastik allein nicht zu bewältigen wären. Gewebe geringer als beim Limberg-Lappen ist.

Nachteile. Die Lappenplanung muss die Umgebung des Spenderbe­ Nachteile. Der Dufourmentel-Lappen ist in Planung und Ausfüh­
zirkes wegen eventueller verschieblicher anatomischer Strukturen rung schwieriger als der Limberg-Lappen, weil der Spenderbereich
beachten. Die Narben lassen sich oft nicht vollständig in Körperfal­ des Lappens in einem kleineren Winkel zum Defekt liegt als beim
ten verbergen, da sie einen sehr eigentümlichen, geometrischen Ver­ Limberg-Lappen. Die genaue Lage dieser Plastik muss mit einem
lauf haben und im Verhältnis zu anderen Techniken sehr ausgedehnt Winkelmesser bestimmt werden.
sind, sodass Einziehungen oder Vorwölbungen im Narbenverlauf
vorkommen.
Hier kann zur Korrektur sekundär eine Z-Plastik angewendet 15.10 Brückenlappen (»bipedicled«/
werden, wenn sich kleinere Unebenheiten nicht mit der Zeit von »tubed flap«, Visier-, Rundstiellappen)
selbst angleichen.
Beim Brückenlappen wird eine Parallelverschiebung einer Gewebe­
brücke durchgeführt. Er kann als Nahlappen oder als gestielter Lap­
15.9 Dufourmentel-Lappen pen angewendet werden.
(»Dufourmentel-flap«, LLL-Lappen) Der Brückenlappen war eine der ersten bekannten Methoden
zur Defektdeckung mit Fernlappen.
Der Dufourmentel-Lappen ist eine Abwandlung des Limberg-Pla­
stik, schwieriger zu planen und auszuführen, aber in bestimmten Indikationen. Obwohl der Brückenlappen sich prinzipiell für alle
Situation diesem überlegen. Körperregionen eignet, wird er heute nur noch selten eingesetzt, da
er als Rundstiellappen von freien Lappenplastiken abgelöst wurde.
Indikationen. Die Indikationen zum Dufourmentel-Lappen ent­ Seine Möglichkeiten sollten jedoch nicht vergessen oder unterschätzt
sprechen denen des Limberg-Lappens. Er sollte nur zum Einsatz werden.
kommen, wenn der Limberg-Lappen unzureichend ist, da er schwie­ Typische Indikationen liegen bei schwierigen Durchblutungs­
riger als dieser zu planen und auszuführen ist. Viele Defekte lassen situationen vor, weniger im Gesicht, aber z. B. an Extremitäten mit
sich in die rautenförmigen Grundformen überführen oder können fortgeschrittener Arteriosklerose, insbesondere am Unterschenkel
in diese Form umgewandelt werden. Es sollte stets die Methode ge­ oder Unterarm. Enoral wird der Lappen zum Verschluss von Gau­
wählt werden, die am einfachsten und am sichersten anwendbar menspalten benutzt, bei der Rekonstruktion des Gaumens mit
erscheint. 2 Brückenlappen wird die Versorgung durch den doppelten Stiel
(»random pattern flap«) und auch durch die A. palatinae von dorsal
Planung. Im Gegensatz zum Limberg-Lappen ist es beim Dufour­ als axial gestielter Lappen gewährleistet.
mentel-Lappen nicht unbedingt nötig, den Exzisionsdefekt exakt als
Raute zu formen. Es können Winkel von 60°–90° gewählt werden, Planung. Konzeptionell versucht man mit dem Brückenlappen das
d. h. die entstehenden Parallelogramme reichen von echter Rauten­ festgelegte Verhältnis zwischen Lappenbasis und -länge zugunsten
form mit 4 Lappenbildungen bis zum Quadrat mit 8 Möglichkeiten.
Anders als beim Limberg-Lappen wird eine Seite der Spenderregion
nicht durch die Verlängerung der kurzen Diagonalen des Defekts,
sondern in einem bestimmten Winkel zu dieser konstruiert. Hierzu
wird die Winkelhalbierende zwischen der kurzen Diagonalen und
einer Seite des Parallelogramms bestimmt. Auf dieser Linie wird eine
Seite des späteren Lappens mit der gleichen Länge der Parallelo­
grammseiten festgelegt. Der Winkel zwischen dieser Seite und der
kurzen Diagonalen beträgt immer 150° (plus oder minus ca. 4°). Die
2. Seite des Lappens wird danach parallel zur langen Diagonalen
festgelegt. Die Basis des Lappens sollte wieder in Richtung der LME
liegen (. Abb. 15.8). . Abb. 15.8 Dufourmentel-Lappen
120 Kapitel 15 · Grundtechniken der Nah­lappen­plastiken zur Rekonstruktion im Gesicht

Abschließend sollen nochmals die Vor- und Nachteile von


Nahlappenplastik gegenübergestellt werden (. Übersicht).

Vor- und Nachteile von Nahlappenplastiken


4 Vorteile
– Hohe Sicherheit und Erfolgsrate
– Sehr ähnliche Hautqualität (Textur, Farbe) von Spender-
und Empfängerregion
– Geringe Tendenz zur Gewebeschrumpfung/Narbenkon-
traktur
– Operation in Lokalanästhesie möglich
– Gut geeignet für ältere Patienten (Cutis laxa)
4 Nachteile
– Exakte Planung und Erfahrung notwendig
– Gefahr der Verziehung von Landmarken (Haargrenze,
Augen-, Mundwinkel etc.)
– Bei Verlust des Lappens Entstehung eines großen
Defektes in der Donorregion
a b
– Weniger geeignet bei Kindern und Jugendlichen (hohe
. Abb. 15.9a, b Brückenlappen Hautspannung)

der Länge zu verbessern (. Abb. 15.9). Hierzu werden statt nur einer
Basis zwei angelegt. Der Defekt wird ellipsenförmig exzidiert und 15.11 Komplikationen
parallel zu einer Seite inzidiert, das so umschnittene Hautareal sub­
kutan gelöst und mobilisiert und in den Primärdefekt verschoben. Die wichtigsten Risiken nach lokalen Lappenplastiken im Gesicht
Der entstehende Sekundärdefekt – parallel verschoben zum Primär­ nach Jackson (1985) sind in der . Übersicht zusammengestellt.
defekt – wird wiederum verschlossen, mit Spalthaut gedeckt oder
der freien Granulation überlassen.
Risiken nach lokalen Lappenplastiken im Gesicht
! Cave 4 Tumorrezidiv bei unzureichender Exzision (falsche Ein­
Bei der Hebung dürfen keine Strukturen wie Sehnen, schätzung)
größere Gefäße oder Knochen freiliegen, sonst ist diese 4 Lappen zu klein (Planungsfehler)
Lappentechnik kontraindiziert. 4 Hämatom (technischer Fehler)
Zur Erhöhung der Mobilität des Lappens kann diese Plastik bei 4 Schädigung der Blutversorgung (technischer Fehler)
einem sicheren Längen-Breiten-Verhältnis in einen Transposi­ 4 Lappen zu groß (Ausdehnung über Blutversorgung hinaus –
15 tionslappen überführt werden, indem man den Lappen an einem technischer Fehler)
Ende durchtrennt. Rollt man den Lappen nach Präparation entlang 4 Wundverschluss unter Spannung, fehlender Rückschnitt,
seiner Längsachse ein, kann er als Rundstiel- oder Wanderlappen zu kurzer Stiel (alles technische Fehler)
nach einer Konditionierungszeit in eine ferne Empfängerregion 4 Verziehung anatomischer Landmarken
transponiert werden. Nach der Einheilung kann der Lappen mit 4 Verletzungen von Nerven, v. a. des N. facialis
gesicherter Durchblutung in den Defekt eingenäht werden. Eine 4 Vorwölbung des Lappens (»pin cushioning«, Lymphdrai­
Konditionierung ist u. U. durch zweizeitige Umschneidung indi­ nage zur Ödemreduktion, chirurgische Korrektur erst nach
ziert. 12–18 Monaten möglich)

Vorteile. Der besondere Vorteil des Brückenlappens besteht in sei­


ner guten Perfusion, die durch 2 gegenüberliegende Stiele gesichert Die meisten dieser Komplikationen lassen sich durch eine wohlüber­
ist. In seiner Funktion als Rundstiellappen ist er als Fernlappen sehr legte Planung und eine sorgfältige chirurgische Technik (Blutstil­
sicher und kann in bestimmten Situationen, z. B. bei schlechter Per­ lung!) vermeiden. Zeichnet sich intraoperativ eine beginnende
fusion, als Alternative zur freien Gewebetransplantation dienen. Komplikation ab, z. B. Zyanose des Lappens bei zu enger Naht, muss
darauf sofort reagiert werden, indem einige Nähte entfernt werden.
Nachteile. Die Präparation des Brückenlappens ist an schwierig zu­ Bei einem Hämatom muss die Wunde wieder geöffnet und die Blu­
gänglicher Lokalisation problematisch. Seine Mobilität ist bedingt tung gestillt werden.
durch die 2 Stiele gering. Sein Sekundärdefekt erfordert oft eine wei­
tere Gewebeplastik oder Hauttransplantation. > Lässt sich durch solche Hilfsmaßnahmen keine echte Ver-
Die Schwierigkeit in der Praxis liegt in der Unterminierung des besserung erreichen, ist der Lappen wieder in sein Ent-
Lappens zur Mobilisation, durch die die Durchblutung des Lappens nahmebett zurückzulegen und erst nach einer zeitlichen
und tiefer liegender Strukturen gefährdet sein kann. Verzögerung (»delay«) zu verlagern.
Bei der Überführung eines Brückenlappens in einen Transposi­
tionslappen lässt sich die Durchblutungssituation durch zeitweises
Abklemmen eines Stiels vor dem Durchtrennen überprüfen.
15.11 · Komplikationen
121 15
Literatur
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Carthy JG (ed) Plastic surgery, vol 1. Saunders, Philadelphia, pp 275–328
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Riefkohl R, Barwick WJ (eds) Textbook of plastic, maxillofacial, and re-
constructive surgery, vol 1, 2nd edn. Williams & Wilkins, Baltimore, pp
29–40
Jankauskas S, Cohen IK, Grabb WC (1991) Basic techniques of plastic surgery.
In: Smith JW, Aston SJ (eds) Grabb and Smith’s Plastic surgery, 4th edn.
Little, Brown, Boston, pp 31–64
Jackon IT (1985) Local flaps in head and neck reconstruction. Mosby, St. Louis
Krizek TJ (1994) Grafts and flaps. In: Ruberg RC, Smith DJ (eds) Plastic surgery:
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pitfalls. In: Cohen M (ed) Mastery of plastic and reconstructive surgery,
vol 1. Little, Brown, Boston, pp 56–70
16

Rekonstruktion der Wange


M. Busche, A. Gohritz

16.1 Anatomische Grundlagen – 124


16.1.1 Ästhetische Untereinheiten der Wange – 124

16.2 Rekonstruktionstechniken abhängig von der ästhetischen


Untereinheit – 124
16.2.1 Suborbitale Defekte – 124
16.2.2 Präaurikuläre Defekte – 125
16.2.3 Bukkomandibuläre Defekte – 126

16.3 Ausgleich von Konturdefekten – 126

16.4 Zusammenfassung – 126

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
124 Kapitel 16 · Rekonstruktion der Wange

16.1 Anatomische Grundlagen


Unter der Haut und dem Unterhautfettgewebe der Wange befindet
sich das subkutane muskuloaponeurotische System (SMAS). Die
Muskulatur der Wange wird vom M. orbicularis occuli, dem M. zy­
gomaticus und dem M. masseter gebildet. Die Gefäßversorgung er­
folgt aus Endästen der A. carotis externa, v. a. der A. facialis.
Sensibel wird die Wange aus den Ästen des N. trigeminus ver­
sorgt, dem N. infraorbitalis, N. mentalis, N. mandibularis, N. auri­
cularis magnus.

16.1.1 Ästhetische Untereinheiten der Wange

Die Wange lässt sich in 3 sich teilweise überlappende ästhetische


Untereinheiten einteilen (. Abb. 16.1; Zide 1990):
4 supraorbitale Region,
4 präaurikuläre Region und
4 bukkomandibuläre Region.
. Abb. 16.1 Ästhetische Einheiten der Wange: suborbital (1), präaurikulär
(2) und bukkomandibulär (3)

16.2 Rekonstruktionstechniken abhängig


von der ästhetischen Untereinheit
Haut mit Nähten am Periost des Arcus zygomaticus und inferiolate­
16.2.1 Suborbitale Defekte ralen Orbitabogen verankert (Juri u. Juri 1979). In manchen Fällen
ist eine laterale Kanthopexie notwendig, um ein Ektropion zu ver­
Kleinere Wunden und Defekte sind meist primär verschließbar, meiden.
wenn der Defekt elliptisch in Richtung der natürlichen Haut­
> Vor allem bei Rauchern wird empfohlen, zur Rekonstruk­
spannungslinien exzidiert wird. Es muss vermieden werden, dass
tion der Region der lateralen Orbita und der Schläfe den
es zur Verziehung benachbarter Strukturen kommt, z. B. des Unter­
Vorschublappen noch tiefer zu präparieren (»deep plane
lides.
advancement«).
Vollhauttransplantate eignen sich für Defekte mit einer Tiefe von
<5 mm. Sie werden am besten anhand einer Schablone von prä- oder Ein oft medial entstehendes »dog ear« wird durch eine horizontale
postaurikulär oder supraklavikular entnommen und eingepasst. Inzision wie bei der Blepharoplastik korrigiert.
Bei Defekten <4 cm werden lokale Lappenplastiken angewandt.
Rhomboidlappen (. Abb. 14.3) sollten so geplant werden, dass die Gewebeexpansion
entstehende Narbe im Verlauf der natürlichen Hautspannungslinien Die Hautaufdehnung bietet Haut mit optimaler Farbe und Textur.
zu liegen kommt. Es empfiehlt sich, den Lappen inferior zu stielen, Am Hals werden meist 2 Expander eingesetzt und über 6–8 Wochen
um keine falltürartige Narbe (»trap door deformity«) zu produzieren mit Kochsalzlösung befüllt. Nach Wieslander (1991) sollten hierbei
und ein postoperatives Ödem zu minimieren. Der Rhomboidlappen die in der . Übersicht zusammengestellten Kriterien eingehalten
16 kann auch kreisförmig modifiziert werden, der Schnittwinkel sollte werden (7 Kap. 14).
dann bei 60° liegen.
Beim zweizipfeligen Lappen (»bilobed flap«) nach Esser (mod.
Kriterien für die Gewebeexpansion
nach Zitelli) wird die Spannung auf 2 Vorschublappen verteilt. Er
eignet sich am besten für mittlere bis größere zentrale Defekte, bei 4 Orientierung der Inzision für die Expanderimplantation per-
denen die laterale präaurikuläre Haut zur Bildung des primären pendikulär zum Expander
Lappens verwendet werden kann. Der Lappen zum Verschluss des 4 Länge und Breite des Expanders entsprechen mindestens
Sekundärdefektes kann dann aus der postaurikulären Region oder den Ausmaßen des Defekts
aus dem Hals nachgeschoben werden (. Abb. 16.2a–e). 4 Der Expander wird bereits intraoperativ submaximal befüllt,
um Hämatom- und Serombildung zu minimieren
> Vor der Umschneidung dieses zweiten Lappens sollte die 4 Postoperative Erstbefüllung nach etwa 2 Wochen, dann
Verschlussmöglichkeit des ersten Lappens immer mittels wöchentlich
eines Pinch-Tests überprüft werden. 4 Überexpansion des Expanders um mindestens 30–50% der
Nachteil dieser Technik ist die Entstehung von weiteren Narben. Defektgröße, um die Gewebekontraktion nach der Lappen-
Bei Defekten >4 cm empfiehlt sich ein Hals-Gesichtshaut-Vor­ hebung auszugleichen
schublappen (»cervicofacial flap«), mit dem reichlich Haut mit sehr 4 Inzision der Kapsel, um die Ausdehnung des Lappens opti-
guter Farbangleichung, Textur und Formbarkeit aus der unteren Ge­ mal auszunutzen, aber keine Kapsulektomie
sichts- und der Halsregion verschoben werden kann (. Abb. 16.2).
Bei der Variante nach Juri wird die Unterminierung des Lappens
entlang der Haarlinie durchgeführt und so ein großzügiger Rota­
tionsvorschublappen gebildet, um übermäßige Spannung an der
Nahtstelle zu vermeiden. Um ein Ektropion zu vermeiden, wird die
16.2 · Rekonstruktionstechniken abhängig von der ästhetischen Untereinheit
125 16

a b c

. Abb. 16.2a–e Zervikofazialer Wangenrota­


tionslappen zur ästhetischen Rekonstruktion
eines Defektes nach Hämagiombestrahlung im
d e
Kindesalter

Abhängig von der Defektausdehnung und Verfügbarkeit regionaler riore Defekte in dieser Region nützlich. Er wird in der subkutanen
Lappen können auch freie mikrochirurgische Lappen indiziert sein, Ebene bis hinunter zur Clavicula gehoben. Die Blutversorgung er­
z. B. folgt aus der A. facialis und der A. submentalis. Um eine zu tiefe
4 fasziokutane Unterarmlappen, Präparation (»deep plane dissection«) zu vermeiden, kann das Pla­
4 anterolaterale Oberschenkellappen (ALT), tysma 4 cm unterhalb der Mandibula durchtrennt werden. Bei Ein­
4 Paraskapularlappen oder schluss des Platysma gewinnt der Lappen noch an Vaskularität. Zum
4 myokutane Lappen (M. latissimus dorsi). Verschluss der Entnahmestelle ist manchmal eine Hauttransplanta­
tion notwendig.
Der zervikopektorale Lappen eignet sich für größere Defekte
16.2.2 Präaurikuläre Defekte von 6–10 cm, er schließt Haut von der vorderen Brustwand ein,
ebenso das Platysma sowie Teile der Fascia der Mm. deltoideus et
Begrenzte Defekte pectoralis major. Die Perfusion erfolgt aus vorderen Perforatoren der
Bei begrenzten Defekten sind Vorschiebelappen von vertikal oder A. mammaria interna.
posterior möglich. Die gute Mobilisierbarkeit der Haut in dieser Re­ Der deltopektorale Lappen ist medial gestielt und besteht aus gut
gion erlaubt einen Vorschub wie bei einer Gesichtsstraffung. Die durchbluteter und farblich gut geeigneter Haut aus dem Schulterbe­
präaurikuläre Inzision wird zum Hals fortgeführt, um so weiter gut reich. Ein vorheriges Delay durch Ligatur der thorakoakromialen
durchblutetes Gewebe aus diesem Bereich zum Defektverschluss zu Gefäße ist möglich.
gewinnen. Der Pectoralis-major-Lappen eignet sich sowohl zur äußeren als
auch zur inneren Defektdeckung an Mastoid, Hals oder Wange, trägt
Größere Defekte jedoch oft zu stark auf und muss sekundär ausgedünnt werden.
Diese erfordern regionale Lappenplastiken: Der Latissimus-dorsi-Lappen kann gestielt tunneliert einge­
Der anterior gestielte zervikofaziale Lappen, beschrieben von bracht werden. Er eignet sich v. a. für große Ulzera nach Radiatio, da
Kaplan u. Goldwyn (1978), ist v. a. für posteriore und größere ante­ er gut durchblutetes Gewebe aus nicht bestrahltem Gebiet einbringt.
126 Kapitel 16 · Rekonstruktion der Wange

Auch hier sind ausnahmsweise mikrochirurgische Gewebetrans­ 16.4 Zusammenfassung


plantate notwendig, bevorzugt die dünnen und gut formbaren Un­
terarmlappen, Tensor-fasciae-lata-Lappen, Paraskapular- oder ALT- 4 Bei der Wangenrekonstruktion sollte möglichst die gesamte äs­
Lappen. thetische Einheit rekonstruiert werden.
4 Die Gegenseite wird als Vorbild benutzt.
4 Zum Lappendesign werden exakte Schablonen der Defektgröße
16.2.3 Bukkomandibuläre Defekte verwendet.
4 Vertikale Inzisionen vor einer gedachten perpentikulären Linie
Tiefere Defekte in dieser Region können eine Wiederherstellung der zum lateralen Kanthus sollte vermieden werden.
Haut, der Innenauskleidung der Wangen und der Lippe erfordern. 4 »Dog ears« können durch eine Blepharoplastikinzison oder in
der Nasolabialfalte verborgen werden.
> Rekonstruktionen der Innenauskleidung sollten als erstes
4 Einem Ektropion kann bei großflächigen Vorschublappen durch
durchgeführt werden, um die Wunde zur Mundhöhle hin
Ankernähte am Periost vorgebeugt werden.
abzudichten.
Zur Korrektur von Narben, die den Unterkiefer überkreuzen, sind Literatur
lokale Lappen, Transpositionslappen, Rhomboidlappen, W- oder Z- Jackson IT (1985) Local flaps in head and neck reconstruction. Mosby, St. Louis
Plastik möglich. Jelks GW, Jelks EB (2001) Prevention of ectropion in reconstruction of facial
Große Defekte werden durch inferior gestielte Vorschublappen defects. Clin Plast Surg 28: 297–302
Juri J, Juri C: Advancement and rotation of a large cervicofacial flap for cheek
gedeckt (Kroll et al. 1994), alternativ durch Gewebeexpansion. Zur
repairs. Plast Reconstr Surg 64: 692–696, 1979
inneren Auskleidung der Wange kann ein Zungenlappen (gestielt an
Kaplan E, Goldwin RM (1978) The versatility of the laterally based cervicofaci-
der A. lingualis), ein bukkaler Fat-pad-Lappen oder eine Einschwen­ al flap for cheek repairs. Plast Reconstr Surg 61: 390–393
kung von Anteilen des M. masseter durchgeführt werden. Kroll SS, Reece GP, Robb G et al: DIEP-Plane cervicofacial rotation-advance-
Der sog. Deep-plane-composite-Lappen ist für tiefere komplexe ment flap for reconstruction of large cheek defects. Plast Reconstr Surg
Defekte und Hochrisikopatienten vorgesehen. Er schließt die tiefe 94: 88–93, 1994
subkutane Fettschicht und das SMAS mit ein, wodurch Perfusion Mennick FJ (2001) Reconstruction of the cheek. Plast Reconstr Surg 108: 496–
und Mobilität des Lappens weiter verbessert werden. Nachteil ist die 505
aufwendige Dissektion mit langer Operationszeit und dem Risiko Waldman J, Langstein HN (2008) Lip, cheek and scalp reconstruction. In: But-
einer N.-facialis-Läsion. ler CE, Fine NA (eds) Principles of cancer reconstructive surgery. Springer,
Berlin Heidelberg New York, pp 96–117
Bei Defekten von über 10 cm oder vollschichtigen Defekten eig­
Wieslander JB (1991) Tissue expansion in the head and neck. A six-year review.
nen sich mikrochirurgische fasziokutane Lappen am besten, weil sie
Scand J Plast Reconstr Hand Surg 25: 47–56
relativ dünn und gut anmodellierbar sind und kaum atrophieren.
Hier bieten sich der Unterarmlappen, der Tensor-fascia-latae-, Para­
skapular-, der laterale Oberarm-, Leisten- oder ALT-Lappen an.
Nachteil ist das relativ schlechte »color match«.

16.3 Ausgleich von Konturdefekten


Im Bereich der Wange kommen häufig auch Konturdefekte vor,
z. B. bei
16 4 M. Romberg (hemifaziale Atrophie),
4 Sklerodemie,
4 fazialer Lipodystrophie (v. a. bei antiretroviraler Langzeitmedi­
kation bei HIV-Infektion),
4 Gesichtsverletzungen.

Zum Ausgleich kommen folgende rekonstruktive Verfahren in


Frage:
4 Injektion von Kollagen (meist begrenzte Haltbarkeit, 6–12 Mo­
nate),
4 dermale Fettlappen (Fett wird teilweise resorbiert, trotzdem
bleibt das Volumen des Transplantats weitgehend erhalten),
4 autologe Fetttransplantation (Volumenabnahme bei 50% inner­
halb eines Jahres, das Fett sollte in möglichst kleinen Portionen
eingebracht werden),
4 freie Gewebetransplantate (z. B. deepithelialisierter Leisten-
oder Skapular- oder Paraskapularlappen).
17

Rekonstruktion der Nase


A. Gohritz, P. M. Vogt

17.1 Anatomische Grundlagen – 128

17.2 Diagnostisches Vorgehen – 128


17.2.1 Klassifikation von Nasendefekten – 128
17.2.2 Prinzip der ästhetischen Untereinheiten – 128

17.3 Rekonstruktion der Nase – 128


17.3.1 Ziele der Nasenrekonstruktion – 128
17.3.2 Wiederherstellung des Hautmantels der Nase – 129
17.3.3 Rekonstruktion des Stützgerüstes – 129
17.3.4 Rekonstruktion des lateralen Nasengerüsts – 132
17.3.5 Innere Auskleidung der Nase (»nasal lining«) – 132
17.3.6 Komplexe Rekonstruktionen – 132
17.3.7 Epithetische Versorgung – 132

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
128 Kapitel 17 · Rekonstruktion der Nase

Techniken zur Rekonstruktion der Nase gehören zu den ältesten


Verfahren der plastischen Chirurgie. Bereits Sushruta beschrieb
etwa 600 v. Chr. Methoden zur Nasenrekonstruktion mit Gewebe
aus der Wange. Nasenrekonstruktionen wurden damals v. a. als ent-
ehrende Verstümmelungen, z. B. für bestimmte Verbrechen (Ehe-
bruch, Diebstahl) oder von Kriegsgefangenen durchgeführt. Die
Rekonstruktionen wurden meist von Angehörigen einer speziellen
Kaste von Töpfern ausgeführt.
Die erst später als solche bezeichnete »indische Methode« mit-
tels Stirnlappen gelangte im 18. Jahrhundert nach Europa. Die »ita-
lienische Methode« durch Fernlappenbildung vom Arm wurde im
15. Jahrhundert durch Angehörige mehrerer Familien, z. B. der
Brancas, verwendet, vom bayerischen Wundarzt Heinrich von Pfalz-
paint um 1465 schriftlich niedergelegt und 1597 von Talliacozzi in
seinem berühmten Buch ausführlich illustriert.
. Abb. 17.1 Untereinheiten der Nase nach Burget u. Menick (1 Glabella,
2 Nasenrücken, 3 Nasenspitze, 4 Columella, 5 2 seitliche Nasenwände
17.1 Anatomische Grundlagen (Nasenabhänge), 6 2 Nasenflügel (Alae), 7 Facette (knorpelfreies Hautareal
unterhalb der Dome der Nasenflügel; Nasenspitze und Columella bilden
Die Nase unterteilt sich in ein den Nasensteg)
4 proximales Drittel (Os nasi und knöchernes Septum),
4 mittleres Drittel (obere laterale Knorpel und Septum) und
4 distales Drittel (knorpeliges Septum und Alarknorpel). 17.2.2 Prinzip der ästhetischen Untereinheiten
Das distale Drittel besteht aus den Crurae mediales, dem Alardom Nach dem Vorschlag von Burget u. Mennick lässt sich die Nase in
und den Seitenknorpeln. folgende topographische Untereinheiten einteilen (. Abb. 17.1):
> Die Haut der Nase ist am Nasenrücken und im Bereich der
Columella dünn und gut verschieblich, im Bereich der
Nasenspitze und der Alae jedoch deutlich dicker, mit der
17.3 Rekonstruktion der Nase
knorpeligen Unterlage verwachsen und talgdrüsenreich.
Die Gefäßversorgung der Nase speist sich aus Prinzipien
4 A. angularis, die die Nase lateral versorgt,
4 Es gilt die Regel, dass bei Defekten, die >50% einer Unter-
4 A. labialis superior (Äste zum unteren Anteil der Alae und des
einheit einnehmen, besser die gesamte Untereinheit rekon-
nasalen Septums),
struiert werden sollte, um ein flickenhaftes Rekonstruktions-
4 A. ophthalmica, die den Nasenrücken und die Seitenwände ver-
ergebnis zu vermeiden.
sorgt.
4 Wenn möglich, sollte die nicht betroffene Untereinheit der
Gegenseite als Vorbild für die Rekonstruktion dienen.
Parallel zur arteriellen Versorgung verläuft der venöse Blutabfluss.
4 Große Defekte werden in die jeweiligen Untereinheiten un-
Sensibel wird die Nase durch den N. ophthalmicus aus dem
terteilt, die jede für sich rekonstruiert wird. Die gleichzeitige
N. trigeminus und den N. maxillaris versorgt.
Rekonstruktion mehrerer Untereinheiten mit einem großen
Die motorische Versorgung der Mm. procerus, depressor septi
Lappen führt meist zu schlechteren ästhetischen Ergebnis-
17 nasi et nasalis entstammt dem N. facialis.
sen, wenn asymmetrische Narben entstellen.

17.2 Diagnostisches Vorgehen


17.3.1 Ziele der Nasenrekonstruktion
Vor jeder Nasenrekonstruktion muss eine genaue Analyse der Atem-
wege der Nase, im knorpeligen wie im knöchernen Anteil, erfolgen. Hauptziele sind, für den Patienten eine intakte Luftpassage und ein
Dies setzt zumindestens eine Untersuchung mit dem Spekulum vo- gutes ästhetisches Ergebnis zu erreichen. Hierbei wird die Wieder-
raus, weitere Untersuchungsmethoden, um z. B. das exakte Ausmaß herstellung aller verloren gegangenen Gewebeschichten mit mög-
einer Verletzungsfolge oder einer Tumorinfiltration festzustellen, lichst ähnlichem Gewebe angestrebt.
sind Röntgen, CT und MRT. 4 Innenauskleidung der Nase (»nasal lining«),
4 Stützgerüst (Knochen und Knorpel),
17.2.1 Klassifikation von Nasendefekten 4 Hautweichteilmantel.

Defekte der Nase lassen sich grob einteilen in In der Regel wird eine Sofortrekonstruktion versucht, es sei denn, es
4 oberflächliche (1- bis 2-schichtige) Defekte und liegt eine verschmutzte, infizierte Wunde vor bzw. eventuelle Tumor­
4 3- oder vollschichtige Gewebeverluste. ränder sind nicht sicher frei, oder es handelt sich um einen besonders
aggressiven Tumortyp, der eine Beobachtungszeit erfordert. Auch bei
Das Ausmaß der Rekonstruktion richtet sich nach den betroffenen Beteiligung tieferer knöcherner Strukturen oder wenn eine Radiatio
ästhetischen Untereinheiten (7 unten). geplant ist, wird eher eine sekundäre Rekonstruktion durchgeführt.
17.3 · Rekonstruktion der Nase
129 17

. Tab. 17.1 Stufenschema zur Rekonstruktion des Hautmantels der Nase

Phase Bemerkungen

1 Sekundärheilung Defekte im Bereich der Glabella und des medialen Cantus können oft durch Sekundärheilung zum Verschluss
gebracht werden, im Bereich der Nasenspitze und der Alarknorpel führt dies jedoch häufig zu einer Verziehung.

2 Spalthauttransplantate Spalthauttransplantate haben das Risiko der narbigen Kontraktion und Verziehung, sind aber sinnvoll, wenn zu-
nächst eine Beobachtung des Tumorherds notwendig erscheint.

3 Vollhauttransplantate Vollhauttransplantate werden in der Regel von prä- oder postaurikulär entnommen, da sie gut in Textur und Haut-
farbe entsprechen und die Entnahmestelle unauffällig ist. Kleinere Defekte können auch mit Transplantaten aus
dem Bereich der Nasolabialfalte gedeckt werden, alternativ aus der Supraklavikulärregion, wobei hier die Narben
auffälliger sind.

4 Haut-Knorpel- Haut-Knorpel-Transplantate werden für kleinere vollschichtige Defekte im Bereich des Alabogens oder der Coumel-
Transplantat la verwendet. Die Entnahme erfolgt vom Ohr (Helixwurzel, Helixrand oder Koncha). Sie sind auf ein gut vaskularisier­
tes Wundbett angewiesen und heilen in Strahlenfeldern schlecht ein. Die Maximalgröße für ein solches Composite
Graft liegt bei ca. 1,5 cm.

5 Lokale Lappenplastik Lokale Lappenplastiken beruhen häufig auf der größeren Gewebeverschieblichkeit im Bereich der oberen zwei
Drittel der Nase und erlauben dann eine Defektdeckung im unteren Drittel.

17.3.2 Wiederherstellung des Hautmantels Stirnlappen. Der Stirnlappen oder paramediane Lappen kann an
der Nase der A. supraorbitalis oder supratrochlearis von einer oder beiden
Seiten gestielt werden. Der typische Stirnlappen basiert auf einem
Ziel ist es, eine möglichst nahe Angleichung der Rekonstruktion einzelnen supratrochlearen Gefäßstiel und erlaubt die Rekonstruk-
hinsichtlich Farbe, Hautdicke und Textur zu erreichen. tion großer Defekte im Bereich der Nasenspitze oder eine subtota-
Die Rekonstruktion richtet sich nach dem in . Tab. 17.1 ge- le oder totale Nasenrekonstruktion. Der verbleibende Hebedefekt
zeigten Stufenschema. kann durch sekundäre Wundheilung mit gutem Ergebnis verschlos-
sen werden. Eine Gewebeexpansion kann zu stärkerer Vernarbung
Defekte ≤2 cm und schlechterer Formbarkeit führen.
Die Defekte ≤2 cm können mit lokalen Lappen meist gut verschlos-
sen werden. »Scalping flap«. Diese Technik stellt eine zuverlässige Methode dar,
4 »Banner flap«: Eigentlich ein Transpositionslappen, Defektgrö- um mit einem großen Hautgebiet aus dem Bereich der Stirn große
ße bis ca. 1,5 cm. Nasendefekte zu decken. Er wird durch einen posterior der A. tem-
4 Zwei- oder dreizipfeliger Lappen (»bilobed flap«) nach Esser poralis superficialis gelegenen Koronarschnitt entnommen, die Haut­
oder Zitelli. insel reicht bis zur kontralateralen Stirn. Die Entnahmestelle wird
4 Glabellalappen: Aus dem Bereich der Nasenwurzel mit gut ver- durch ein Hauttransplantat verschlossen, der temporäre Skalpdefekt
schieblicher Haut, die Inzisionen verschwinden gewöhnlich in mittels Verband feucht gehalten. Der Lappen wird dann in einem
den Glabellafalten (. Abb. 17.2). 2. Schritt eingesetzt und abgetrennt, wobei der Stiel wieder in seine
4 Dorsonasaler Lappen (nach Rieger): Sichelförmiger Lappen mit ursprüngliche Position verbracht wird. Der Lappen bietet ausrei-
lateraler Basis, die gesamte Haut des Nasenrückens wird rotiert chend Gewebe von guter Farb- und Texturqualität. Der Entnahme-
und nach kaudal verschoben, um Defekte von <2 cm zu decken, defekt ist jedoch erheblich.
die nicht bis in die Columnella reichen.
4 Nasaler VY-Lappen: Gleitlappen aus dem Bereich der oberen Temporomastoid- oder Washio-Lappen. Dieser wird aus der post­
Nasenflügelfalte, um kleine Defekte im Bereich der lateralen Na- aurikulär gelegenen Haut an der A. temporalis superficialis gestielt
senspitze zu decken. und zur Nase transponiert. Die Haut ist in der Regel haarlos und
4 Nasolabiallappen: Vielseitiger Lappen, der vorwiegend zur reicht für eine nahezu komplette Bedeckung der Nase aus. Es kann
­Rekonstruktion der Nasenseitenwände verwendet wird. Er auch Ohrknorpel mit in den Lappen integriert werden.
kann von superior oder inferior gestielt werden, getunnelt, als
Insellappen entnommen oder umgedreht zur inneren Aus­ Fernlappen oder freie Gewebetransplantate. Es handelt sich z. B.
kleidung der Nase verwendet werden. Der Verschluss der Ent- um Unterarmlappen; diese können vor dem Einsatz zur Nasenre-
nahmestelle erfolgt durch primäre Naht, die meist gut heilt. konstruktion prälaminiert werden, z. B. zum Aufbau eines Nasenge-
Es wird zweizeitig vorgegangen, um den Lappen zu heben und rüsts. Sie haben jedoch die Nachteile schlechter Farbabstimmung
einzusetzen. In einem 3. Schritt kann der Lappen ausgedünnt und sind häufig sehr auftragend. Der mikrochirurgische Anschluss
werden. erfolgt meist an die A. facialis oder an die A. labialis.
4 Wangenrotationslappen (nach Esser): Hautverschiebungen
von lateral eignen sich gut zur Rekonstruktion der Nasenseiten-
wände. 17.3.3 Rekonstruktion des Stützgerüsts
Defekte >2 cm Vorrangige Ziele sind hier eine Rekonstruktion der Nasenprojektion
Defekte >2 cm erfordern meist regionale Lappen. und die Durchgängigkeit der Atemwege. Zum einen wird das mitt-
130 Kapitel 17 · Rekonstruktion der Nase

a b

17

. Abb. 17.2a–f Rekonstruktion der Nasenspitze nach Verbrennung mit


Stirnlappen. Sofortige Abtragung der Nekrosen bis auf Knorpelniveau (a, b)
. Passgenaues Zuschneiden des Lappens für die Nasenspitze mittels Scha-
blone (c) . Exakte Einpassung an der Nasenspitze (c, d) und Ergebnis nach
f
Stieldurchtrennung (e, f) . Der Stirndefekt wurde mit Spalthaut gedeckt
17.3 · Rekonstruktion der Nase
131 17

a b

c d

e f

. Abb. 17.3a–g Rekonstruktion des Nasengerüstes nach mehrfachen


reduzierenden Voroperationen und weitgehendem Septum- und Dreiecks-
knorpelverlust durch Rippen-L-Span. Massive Atmungsbehinderung bei
­insuffizienter äußerer Nasenklappe. Zugang über offene Rhinoplastik (a).
Darstellen des Befundes am instabilen Stützgerüst (b). Präparation der
Columnellatasche für den kurzen Schenkel des Rippen-L-Spans (c). Gewin-
nung des Rippenknorpel-L-Spans aus der IX. Rippe (d). Einsetzen über dem
defizitären Septum (e). Sichtbare Anhebung der Nasenspitze und Stabilität
g
der äußeren Nasenklappe (f, g)
132 Kapitel 17 · Rekonstruktion der Nase

lere Nasengerüst, zum anderen das seitliche Nasengerüst wiederher- ist, dass es bei einem partiellen Gewebeuntergang der Naseninnen-
gestellt. auskleidung oder des Stützgerüstes sekundär zu einer Kontraktion
Die Rekonstruktion des mittleren Nasengerüsts kann mittels der Rekonstruktion mit einer Distorsion kommen kann.
L-förmigem Rippenspan oder Knochenspan erfolgen, die auf die Wird in mehreren Schritten vorgegangen (»staged reconstruc-
Nasenwurzel gesetzt werden, meist in Form eines Hockeyschlägers tion«), beispielsweise bei großen Defekten im Bereich der Nasenin-
(. Abb. 17.3). Nachteil ist hier aber die geringe laterale Stabilität. nenauskleidung, ist dies oft sicherer. Nachteilig ist jedoch, dass es
durch Narbenbildung zu einer Versteifung des Gewebes kommen
kann, die eine spätere Nachbildung der Nase erschwert.
17.3.4 Rekonstruktion des lateralen
Nasengerüsts
17.3.6 Komplexe Rekonstruktionen
Flügelknorpel. Es können 4–6 mm breite Knorpelstreifen aus dem
Bereich des Septums oder der Koncha entnommen werden, um ei- Bei besonders ausgedehnten Weichteildefekten finden v. a. an der
nen oder beide Alaknorpel zu rekonstruieren. Frontobasis bei interdisziplinären onkologischen Resektionen mi-
krochirurgische Lappentransplantationen Anwendung.
Hier hat sich besonders der M. latissimus dorsi als universell
17.3.5 Innere Auskleidung der Nase einsetzbar und vorteilhaft erwiesen, da Lappengröße und -volumen
(»nasal lining«) gut an die Defektsituation angepasst werden können und die Durch-
blutung sehr sicher ist (s. a. Kapitel 14, . Abb. 14.8).
Hierbei ist beabsichtigt, sowohl die Struktur der Nase zu erhalten als
auch eine Kontraktion der Rekonstruktion zu verhindern.
17.3.7 Epithetische Versorgung
Eingeschlagene Lappen (»turn-in flaps«). »Turn-in-flaps« eignen
sich besonders, wenn ein skelettales Stützgerüst erst später wieder- Die Rekonstruktion mittels Prothese (Epithese) ist indiziert, wenn
hergestellt wird, weil sie zwei unabhängig voneinander durchblutete sich der Patient nicht für eine Operation eignet. Hier können osteo-
Oberflächen schaffen. Beispiel für einen eingeschlagenen regionalen integrierte Implantate mit einer Prothese mit gutem Erfolg angewen-
Lappen ist der Stirnlappen, der eine innere Auskleidung der Nase det werden. Gleichzeitig kann eine Brille angefertigt werden, die die
schaffen kann. Die äußere Bedeckung wird dann durch ein Vollhaut- Epithese meist noch unauffälliger macht.
transplantat, einen weiteren Stirnlappen oder einen Lappen aus der
Wangenregion gebildet. Literatur
Burget GC (1985) Aesthetic restoration of the nose. Clin Plast Surg12: 463–
Stirnlappen mit Hauttransplantat. Ein Vollhauttransplantat kann 480
auf die Unterseite des Stirnlappens gelegt werden, um so eine innere Burget GC, Menick FJ (1989) Nasal support and lining: the marriage of beauty
and blood supply. Plast Reconstr Surg 84: 189–202
Nasenauskleidung zu erreichen, alternativ kann ein Composite Graft
Burget GC, Mennick TJ (1994) Aesthetic restoration of the nose. Mosby, St
aus Haut und Knorpel vom Ohr verwendet werden oder ein chon-
Louis
dromukosales Segment aus dem Bereich des Nasenseptums, das man Jackson IT (1985) Local flaps in head and neck reconstruction. Mosby, St. Louis
auf die Spitze eines Stirnlappens setzt. Joseph J (1931) Nasenplastik und sonstige Gesichtsplastik. Kabitzsch, Berlin
Millard RD Jr (1967) Hemirhinoplasty. Plast Reconstr Surg 40: 440–445
Septale Türflügellappen. Diese Technik beinhaltet einen gefalteten Millard RD Jr (1996) A rhinoplasty tetralogy: corrective, secondary, congeni-
Lappen aus dem Bereich der Septumschleimhaut von ipsilateral in tal, reconstructive. Lippincott Williams & Wilkins
den Defekt, wobei ein angemessen großer Lappen aus septalem Washio H (1969) Retroauricular-temporal flap. Plast Reconstr Surg 43: 162–
Knorpel mit kontralateraler Schleimhaut anhängend gebildet wird. 166

17 Diese »septale Tür« wird dann zur Rekonstruktion verschwenkt.


Hierbei muss jedoch ein ausreichender Anteil des Septums im Be-
reich des Nasenrückens belassen werden, um das Nasengerüst in der
Mittellinie zu erhalten und einen Nasenkollaps zu vermeiden.

Septaler mukoperichondraler Lappen. Große dreiecksförmige Lap­


pen aus Mukosa und einem Composite Graft aus Schleimhaut und
Perichondrium können kaudal an einem septalen Ast der A. labialis
superior gestielt werden. Der Drehpunkt des Lappens befindet sich
anterior in der Nähe des Nasenrückens. Er wird nach außen gefaltet,
um eine Innenauskleidung für den Nasendom zu erreichen.

Vorschublappen aus Schleimhaut. Diese werden auch als »muco-


sal advancement flap« bezeichnet.

Wahl des Zeitpunkts der Rekonstruktion


Die Innenauskleidung wird sofort rekonstruiert, wenn gleichzeitig
ein Stützgerüst und eine Weichteilbedeckung der Nase möglich sind.
Dies fördert eine Heilung der Gewebe und bietet eine maximale Fle-
xibilität der Gewebe, bevor eine Wundkontraktion eintritt. Nachteil
18

Rekonstruktion der Ohren


R. Ipaktchi, A. Gohritz

18.1 Anatomische Grundlagen – 134

18.2 Akute Verletzungen des Ohres – 134


18.2.1 Otohämatom – 134
18.2.2 Verbrennungen – 134
18.2.3 Riss-Quetsch- und Bisswunden – 134

18.3 Indikation zur Rekonstruktion – 134

18.4 Defektdeckung des Ohres in Abhängigkeit von Defektlokalisation


und -größe – 135

18.5 Ohrverlust – 137

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
134 Kapitel 18 · Rekonstruktion der Ohren

Erworbene Defekte entstehen am Ohr durch Tumoren, Traumata,


speziell Verbrennungen. Bei Tumoren des Ohres, die ca. 5–10% aller
Malignome im Kopf-Hals-Bereich ausmachen, handelt es sich meist
um Hauttumoren, vorwiegend Spinaliome. Die Rekonstruktion von
Ohrdefekten sind technisch oft schwierig und stellen hohe
Anforderungen an das ästhetische Ergebnis. Wichtig ist v. a. eine
ungestörte Kontur des Ohrrandes, weniger entscheidend ist eine
exakte Symmetrie, da beide Ohren nur selten gleichzeitig wahr­ge­
nommen werden.

18.1 Anatomische Grundlagen


Die Oberflächenanatomie des Ohres wird in . Abb. 18.1 darge-
stellt.
Die Durchblutung des Ohres rekrutiert sich aus 3 Gefäßen:
4 Die A. temporalis superficialis versorgt den lateralen Anteil der
Ohrmuschel, es handelt sich um einen Endast der Carotis exter-
na.
4 Die A. auricularis posterior, ebenso ein Endast der Carotis exter-
na, versorgt den hinteren Anteil der Ohrmuschel, den Lobolus
und die retroaurikulare Haut. . Abb. 18.1 Oberflächentopographie des äußeren Ohres
4 Die A. occipitalis versorgt ebenso die hintere Ohrmuschel, den
Lobolus und die retroaurikuläre Haut.
18.2.3 Riss-, Quetsch- und Bisswunden
Die Innervation des Ohres erfolgt durch den N. auricularis major
(C2/C3), den N. auricotemporalis (V3), den N. occipitalis minor Obwohl das Ohr aus elastischem Knorpelgewebe besteht, kann es
und den Ramus auricularis des N. vagus, der die Koncha und den durch Zug häufig zu Riss- und Quetschverletzungen kommen. Auf-
hinteren Anteil des äußeren Gehörkanals versorgt. grund der guten Durchblutung am Ohr zeigen diese Verletzungen in
Das normale Ohr misst ca. 6–6,5 cm in der Höhe und 3,5 cm in aller Regel eine sehr gute Heilungstendenz. Die gute Perfusion er-
der Breite. Die normale Projektion des Ohres liegt bei einem Helix- laubt auch gute Ergebnisse nach Deckung freiliegenden Knorpels
Mastoid-Abstand von 17‑21 mm, dies entspricht etwa einem Winkel durch lokale Lappenplastiken mit dünnen und schmalen Gefäßstie-
von 30°. len. Bei Verletzungen sollte primär ein sparsames, jedoch gründ-
liches Wunddébridement durchgeführt werden. Menschen- und
Tierbisse sollten stets nach der Primärversorgung antibiotisch abge-
18.2 Akute Verletzungen des Ohres deckt werden.
> Definitive Versorgungen von komplexen Verletzungen am
18.2.1 Otohämatom Ohr sollten erst im Verlauf und nach gesicherter Wundhei-
lung erfolgen.
Otohämatome entstehen in der Regel durch ein stumpfes Trauma,
beispielsweise bei Kontaktsportarten. Es kommt zu Einblutungen
zwischen Knorpel und Perichondrium. Hämatome, die sich subpe-
richondral gebildet haben, können unbehandelt zur Bildung von 18.3 Indikation zur Rekonstruktion
Neuknorpel führen, wodurch groteske Veränderungen der Ohrform
entstehen können (z. B. »cauliflower ear« = Blumenkohlohr). Aus- Hier wird zwischen angeborenen und erworbenen Defekten unter-
18 geprägte Otohämatome sollten daher frühzeitig punktiert oder schieden.
durch eine kleine Inzision entlastet und drainiert werden, da größe- Bei angeborener Mikrotie (Inzidenz bei ca. 1:8000 Geburten,
re Blutkoagel oft nicht aspiriert werden können. Zur Rezidivprophy- öfter rechts, in 50% der Fälle assoziiert mit hemifaszialer Mikrosto-
laxe empfiehlt es sich, postoperativ eine Kunststoffschiene mit brei- mie) wird eine Rekonstruktion meist im Alter zwischen 6 und 7 Jah-
ter Auflagefläche für etwa 10 Tage anzupassen. ren durchgeführt. Meist wird ein beidseitiges Vorgehen empfohlen.
Im 1. Schritt wird ein kartilaginöses Ohrgerüst aus Rippenknor-
pel geformt und in einer subkutanen Tasche eingelegt. In einem
18.2.2 Verbrennungen 2. Schritt wird dieses Ohrgerüst vom Kopf abgehoben, wobei der
postaurikuläre Sulkus durch ein Hauttransplantat rekonstruiert
Aufgrund seiner exponierten Lage und einer fehlenden Protektion wird. Im 3. Schritt erfolgt dann die Rotation des Lobulus in seine
ist das Ohr bei Verbrennungs- oder Verpuffungsverletzungen im anatomische Position.
Gesicht häufig mitbetroffen, bei tiefen Verbrennungen nicht selten Bei Avulsionen und Amputation des Ohrs richtet sich das Vor-
mit Knorpelmitbeteiligung. Ohrverbrennungen werden primär spar­ gehen nach der Größe und dem Zustand von Amputat und Stumpf.
sam abgetragen, um vitales Perichondrium und Knorpelgewebe Es sollte immer eine Replantation versucht werden, da diese zu den
möglichst zu erhalten, bei Bedarf wird nachdébridiert. Als schwer- besten ästhetischen Ergebnissen führt.
wiegende Komplikation kann etwa zwischen dem 3. und 5. Tag eine Bei thermalem Trauma muss bei Erfrierungen eine schnelle Er-
Chondritis auftreten, die antibiotisch behandelt werden sollte. wärmung des Ohres mit antibiotischer Abdeckung versucht werden,
18.4 · Defektdeckung des Ohres in Abhängigkeit von Defektlokalisation und -größe
135 18
am besten mit hoher Gewebepenetranz auch für Knorpel. Hier eig- Wedge-Resektion. Bei Wedge-Resektionen ist eine Buckelbildung
net sich am besten Maphinitazetat (Mafenide). Bei Verbrennungs- des Ohres durch eine sternförmige Resektion zu verhindern
verletzungen des Ohres muss auf eine behutsame Positionierung bei (. Abb. 18.2). Ein direkter Verschluss ist im Bereich des Ohres bis zu
Kopfverbänden geachtet werden, um weitere Schädigungen zu ver- Defekten von ca. 1,5 cm möglich.
meiden. Die meisten Ohrverbrennungen heilen unter konservativer
Therapie, sind größere Knorpelsegmente freiliegend, müssen diese Resektion nach Anita u. Buch. Bei der Technik nach Anita u. Buch
bedeckt oder exzidiert werden. (1967) handelt es sich um einen chondrokutanen Vorschub des Ohr-
randes bei Defekten des Ohrrandes bis etwa 3 cm. Der Ohrrand wird
inzidiert.
18.4 Defektdeckung des Ohres in Abhängig-
keit von Defektlokalisation und -größe Crikelair-Lappen. Der Crikelair-Lappen oder »banner flap« wird
ebenso bei Ohrdefekten im oberen Drittel verwendet. Die Basis dieses
Die Einteilungen der Verletzungen oder Deformitäten am Ohr Lappens ist anterior-superior im Sulcus auriculocephalicus gelegen.
erfolgen in 3 Zonen. Sie werden in ein oberes, mittleres und ein Im 1. Schritt wird ein Knorpeltransplantat entnommen, geformt und
unteres Drittel unterteilt. Während Ohrdefekte im oberen Drittel in den Knorpeldefekt im oberen Drittel des Ohres eingebracht. Dann
z. B. durch Tragen von langen Haaren leicht zu verdecken sind, kön­ wird der Lappen gehoben und über den Knorpel gelegt. Die Entnah-
nen sie z. B. im Alltag von Brillenträgern als sehr störend und hin­ mestelle wird mit Spalthaut gedeckt. Im 2. Schritt wird einige Wochen
derlich empfunden werden. Defekte im unteren Drittel können später die Basis des Lappens durchtrennt und hierbei genug haarlose
schlechter kaschiert werden und belasten den Patienten deutlich Haut belassen, um den aufsteigenden Helixrand zu rekonstruieren.
mehr. Eine Rekonstruktion in diesen Bereich wird daher in den Das übrige Gewebe des haartragenden Lappenanteils wird wieder
meisten Fällen primär aus ästhetischen Gründen durchgeführt. zurückgelegt und die Haargrenze wiederhergestellt (. Abb. 18.3).

a b c
. Abb. 18.2a–c Wedge-Resektion

a b c

. Abb. 18.3a–c Crikelair-Lappen oder »banner flap«. Das Ohr wird nach vorn gezogen und ein superior gestielter Lappen im retroaurikulären Sulkus gebildet
136 Kapitel 18 · Rekonstruktion der Ohren

stelle wird durch Vorschublappen oder ein Hauttransplantat be-


deckt.

Rundstiellappen. Mittelgroße und große Defekte des Helixrandes,


z. B. bei Verbrennungen mit Erhalt der retroaurikulären Haut, lassen
sich durch Rundstiellappen decken. Im 1. Operationsschritt wird ein
retroaurikulärer Rundstiellappen doppelt gestielt gebildet und an
den Helixrand vernäht (. Abb. 18.5). Im 2. Schritt wird dieser
Rundstiellappen dann nach 2–3 Wochen angehoben, bei noch nicht
ausreichen autonomisierter Durchblutung wird der Lappen im
2. Schritt nur einseitig angehoben und die zweite Seite dann in einem
3. Schritt.

Postaurikulärer Lappen nach Dieffenbach. Rekonstruktionen im Be-


reich des mittleren Drittels erfolgen meist durch einen postauriku-
lären Lappen nach Dieffenbach, der bis an die Grenze zur Haar­linie
geplant wird. Die Breite des Lappens entspricht der Breite des Defekts.
Die Länge muss ausreichen, um die Vorderseite, den Rand und die
a b
Hinterseite des Ohres zu bedecken. Der Lappen wird in einem
. Abb. 18.4a, b Helixrekonstruktion mit dem chondrokutanen Koncha- 1. Schritt von retroaurikulär gehoben, der freie Rand des Lappens wird
transpositionslappen nach Davis dann an den vorderen Aspekt des Hautdefektes vernäht. Im 2. Schritt
nach 2–3 Wochen wird der Lappen abgetrennt und mit seinem proxi-
malen Anteil der posteriore Aspekt des Ohres bedeckt (. Abb. 18.6).
Konchatranspositionslappen nach Davis. Größere Defekte im obe­ Defekte im Bereich des unteren Drittels des Ohres werden durch
ren Drittel der Helix lassen sich durch einen chondrokutanen Kon- lokale Lappenplastiken gedeckt. Zusätzlich kann ein Knorpeltrans-
chatranspositionslappen rekonstruieren. Diese Technik ist technisch plantat von kontralateral eingebracht werden, um das Ohrgerüst und
anspruchsvoll, eignet sich aber z. B. besonders gut für den Verlust die Kontur zu verbessern.
des obe­ren Helixrandes nach Verbrennungen, wenn oft die Haut im
Bereich des Mastoids zerstört, der zentrale Bereich des Ohres aber Ohrknorpeltransplantation nach Brent. Bei großen Defekten ent-
erhalten ist. Die gesamte Koncha wird als chondrokutaner Lappen weder des oberen oder unteren Ohrdrittels empfiehlt sich eine kon-
an einem anterioren Gefäßstiel der Crus helix nach oben rotiert. tralaterale Ohrknorpeltransplantation nach Brent. Der Erfolg dieser
Konturunregelmäßigkeiten werden angepasst, und der untere Anteil Operation hängt von einer intakten und gut formbaren Haut im
des Lappens wird in den Defekt eingesetzt (. Abb. 18.4). Die koncha- Bereich von Schläfe und Mastoid ab.
le Entnahmestelle und der neu geschaffene Ohrrand werden mit Zunächst wird von der Gegenseite durch anterolateralen oder
Spalthaut gedeckt. posterioren Zugang ein entsprechendes Konchatransplantat ent-
nommen. Bei einer Rekonstruktion des oberen Ohrdrittels wird das
Converse-tunnel-Defektdeckung. Die ­ Converse-tunnel-Operati- Knorpelstück unter die Haut des Mastoids implantiert und am Rest
on eignet sich für helikale Defekte von >3 cm Größe. In einem der Helixwurzel befestigt. In einem 2. Schritt wird über einen Schnitt
1. Schritt wird ein Knorpelstück gehoben und dann unterhalb die an der Haarlinie der obere Anteil des Ohres unterminiert, ange­hoben
retroaurikulären Haut gelegt, mit der die Ränder des Helixran­ und die Entnahmewunde mit Spalthaut bedeckt. Brent bevorzugt
des vernäht werden. In einem 2. Schritt wird das Knorpelkons­ eine Inzision im Bereich der geplanten Konchawand und des Crus
trukt angehoben mit der retroaurikulären Haut, die zur Bedeckung inferior, über die der beidseits gestielte Lappen des oberen Ohres als
des Helixrandes verwendet wird. Die retroaurikuläre Entnahme- »Kofferhenkel« (»valise handle«) abgehoben werden kann.

18

a b c
. Abb. 18.5a–c Rundstiellappen
18.5 · Ohrverlust
137 18

a b

c d
. Abb. 18.6a–d Dieffenbach-Lappen zur Ohrrekonstruktion mittels retroaurikulärem Lappen

b
. Abb. 18.7a–c Brent-Lappen mit Koncha-Knorpel-Transplantat von der ein beidseits gestielter Lappen gebildet und als »Kofferhenkel« angehoben.
Gegenseite zur Rekonstruktion des unteren Ohrdrittels. Im 2. Schritt wird Die Entnahmestelle wird mit Spalthaut gedeckt

Eine ähnliche Operation kann auch im Bereich des unteren Ohr- 18.5 Ohrverlust
drittels durchgeführt werden. Hier ergibt die Abhebung des »Koffer-
henkels« eine bessere Definition der hinteren Koncha (. Abb. 18.7). Replantation. Bei totalem Ohrverlust kann eine mikrochirurgische
Ein Rundstiellappen kann zur Nachformung der unteren Helix und Replantation erfolgen. Allerdings sind die versorgenden Gefäße des
des Ohrläppchens verwendet werden. Ohres extrem klein, und die Anastomose ist daher sehr schwierig ist.
Zumindest sollte eine Anastomose der Arterie versucht werden, die
venöse Drainage erfolgt dann durch Auflage von Blutegeln.
138 Kapitel 18 · Rekonstruktion der Ohren

»Ear banking«. Eine zeitweise ektopische Einlage des Ohres (»ear


banking«) führt zu unsicheren Ergebnissen.
! Cave
Bei Ohrreplantationen unter Verwendung der A. tempo­
ralis superficialis muss bedacht werden, dass diese die
Fascia temporoparietalis versorgt, was deren Gebrauch für
die Zukunft erschweren kann.

Literatur
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ginal defect of the ear. Plast Reconstr Surg 39 (5): 472
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Eriksson E, Vogt PM (1992) Ear reconstruction. Clin Plast Surg 19: 637–643

18
19

Rekonstruktion der Augenlider


A. Gohritz, P. M. Vogt

19.1 Therapieziele – 140

19.2 Anatomische Grundlagen – 140

19.3 Defekte des Augenlids – 140


19.3.1 Defekte des Oberlids – 140
19.3.2 Defekte des Unterlids – 141

19.4 Ektropium – 145

19.5 Entropium – 147

19.6 Ptosis des Augenlids – 147


19.6.1 Rekonstruktion von Augenlid und Kanthus – 147

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
140 Kapitel 19 · Rekonstruktion der Augenlider

Tumorentfernungen und Verletzungen am Augenlid führen häufig 19.3 Defekte des Augenlids
zu Defekten, die zu einer Beeinträchtigung des Sehens und stigma-
tisierenden Vernarbungen führen können. Die Rekonstruktion der > Die Haut und die Drüsen des Augenlids sind häufig von
Augenlider erfordert daher eine genaue Kenntnis ihrer Anatomie Tumoren betroffen, v. a. im Bereich des Unterlids (90% vs.
und eine äußerst exakte Operationstechnik. 10% am Oberlid). Die häufigsten malignen Augenlidtumo­
ren stellen Basaliome dar. Plattenepithelkarzinome des
Augenlids sind selten, mechanische und Brandverletzun­
19.1 Therapieziele gen dagegen häufiger.

Jede Rekonstruktion an den Augenlidern umfasst folgende Ziele: Die Prävention des Rezidivs nach Exzision eines Basalioms erfordert
4 Ersatz von innerer Auskleidung, Gerüst und Hautbedeckung, eine weite Exzision. Melanome in situ (Melanoma lentigo maligna)
4 Wiederherstellung einer Bedeckung der Kornea und der Funk- erfordern ebenso eine weite Exzision mit einem Sicherheitsabstand
tion der Tränengänge (Befeuchtung der Kornea), von mindestens 5 mm.
4 Möglichst optimales ästhetisches Ergebnis bei verschieblichen ! Cave
Weichteilen. Die Rekonstruktion des Augenlids sollte erst bei onkolo­
gisch sicherer und pathologisch bestätigter Tumorfreiheit
durchgeführt werden. Der Defekt wird bis dahin offen be­
19.2 Anatomische Grundlagen handelt.

Die Augenlider bestehen aus


4 Haut, 19.3.1 Defekte des Oberlids
4 M. orbicularis oculi, bestehend aus 3 separaten Anteilen:
5 prätarsaler Anteil, Das Oberlid hat eine bedeutende Funktion in der Protektion des
5 präseptaler Anteil, Auges vor kornealen Schäden. So muss das Oberlid sowohl ausrei-
5 orbitaler Anteil, chende Protektion der Hornhaut während des Schlafes bieten als
4 tarsaler Platte, auch über genügend Muskelkraft zur Elevation für einen ausrei-
4 Konjunktiva. chenden Visus verfügen.
Bis zu einer Defektgröße von 25 % des Lidrandes ist meist ein
Das Oberlid enthält zudem Sehnen der Augenlidretraktoren. Primärverschluss von vollschichtigen Defekten des Oberlids mög-
Der prätarsale M. orbicularis oculi ist v. a. für den unwillkür- lich. Wie am Unterlid wird die Inzision durch den Tarsus in perpen-
lichen Lidschluss (Blinzeln) zuständig, der präseptale Anteil dient als dikulärer Richtung zum Lidrand geführt, um eine Buckelbildung
Muskelpumpe für das Tränengangsystem und als Hilfsmuskel beim des Tarsus zu vermeiden. Der Tarsus wird mit resorbierbarem
willentlichen Lidschluss. Der M. orbicularis oculi orbitalis zieht die Nahtmaterial genäht, die Oberlidhaut wird nicht resorbierbar ver­
mittlere Augenbraue herunter und ermöglicht den willentlichen Lid- schlossen (Fadenstärke 6–0).
schluss. Ist ein primärer Wundverschluss nicht möglich, wird eine latera­
Das Augenlid wird in eine anteriore und posteriore Lamella un- le Kanthotomie und Kantholyse durchgeführt. Die laterale Inzi­sion
terteilt. Die vordere Lamella besteht aus Haut und dem M. orbicula- wird in den Kanthus gesetzt, zusätzlich eine entlastende Inzision im
ris oculi, während die hintere Lamella den Tarsus, die Lidretraktoren Bereich des oberen Schenkels der Kanthusansatzsehne (s. unten).
und die Konjunktiva enthält.
Die tarsale Platte enthält vertikal orientierte Drüsen, deren Aus- Hautdefekte
scheidungsgänge am Lidrand liegen und eine ölige Flüssigkeit sezer- Hautdefekte des Oberlids und der medialen kanthalen Region wer-
nieren, die sich mit der Tränenflüssigkeit zu einem Schutzfilm für den mit Vollhauttransplantaten, vorzugsweise aus dem kontralate-
die Konjunktiva mischt. ralen Oberlid, rekonstruiert. Haut aus dem Retroaurikularbereich
Medial und lateral verengen sich die tarsalen Platten in fibröse eignet sich für Transplantate am Unterlid, Haut aus der Supraklavi-
Bündel, die dann die Sehnen zum medialen und lateralen Kanthus kularregion für kombinierte Defekte von Unterlid und Wange.
bilden.
Medial am Ober- und Unterlid liegen die Ausscheidungsgänge Defekte der Konjunktiva
19 der Tränendrüse, die Tränen aus der Tränendrüse über die Tränen-
drüsengänge und dann in den Tränensack drainieren. Der Tränen-
Konjunktivadefekte, die sich nicht primär verschließen lassen, er­
fordern freie Transplantate, wobei diese bei Entnahme, z. B. aus der
sack entleert sich in den Meatus inferior durch den Tränendrüsen- ipsi- oder kontralateralen Lidregion, das Risiko einer kompromit-
gang, der Tränenfluss wird durch Blinzeln verstärkt, weil hierdurch tierten Hebestelle als auch eine ausgeprägte Kontraktionstendenz
die Tränen durch den Tränendrüsengang gedrückt werden. aufweisen und damit schwierig zu handhaben sind. Die dünnere
Die Positionierung des Oberlids geschieht durch Anspannung bukkale Mukosa kontrahiert mehr (bis 50%) als die etwas dickere
des M. levator palpebrae superioris und des Müller-Muskels (Ober- nasale Mukosa (ca. 20%), sodass wir Letzterer den Vorzug geben.
lidretraktor). Der Levatormuskel entspringt an der Orbita und wird
durch den N. oculomotorius aus dem N. trigeminus innerviert. Er Defekte der Tarsalplatte
verbreitert sich in den M. levator aponeurosis und nähert sich dem Diese Defekte werden durch freie Composite-Transplantate oder
Müller-Muskel an, bevor er an der oberen Tarsalplatte ansetzt. Der Lappen rekonstruiert. Chondromukosale Gewebe entnehmen wir
Müller-Muskel wird vom Sympathikus reguliert (Ganglion cervicalis entweder aus dem Nasenseptum und dem Dreiecksknorpel, chon-
superior). drokutane Gewebe vorzugsweise aus der Ohrkoncha. Komplexe und
ausgedehnte Defekte erfordern u. U. kombinierte Transplantate aus
den fehlenden Einzelkomponenten. Zur Prävention einer Hornhaut­
19.3 · Defekte des Augenlids
141 19

a b c

. Abb. 19.1a–e Einfacher Advancment-Lappen des


Oberlides (a–c). Technik nach Cutler u. Beard zur Rekons­
truktion großer Oberliddefekte mittels rechteckigem
Lappen, der den Tarsalrand am Unterlid erhält und nach
d e 6–8 Wochen an der Hebestelle abgetrennt wird (d, e)

a b c

. Abb. 19.2a–c Kombinierte Unterlidrekonstruktion durch Konjunktival- (a) und dort mit einem Vollhauttransplantat bedeckt (b). Der kraniale Teil
lappen und Vollhauttransplantat. Ein transkonjunktivaler Lappen aus dem wird mit dem M. levator palpabrae vernäht. Durchtrennung des Pedikels
evertierten Unterlid wird basal gestielt an die Reste des Oberlids geheftet nach 5–8 Wochen (c)

irritation durch verhornende oder haartragende epidermale Anteile > Kleine Defekte lassen sich meist primär verschließen, wo­
wird die Mukosa über den Knorpel gezogen. bei ein vertikaler Narbenzug der Wundränder verhindert
werden sollte, um ein Ektropium (Eversion des Augenlids)
Vollschichtige Defekte zu vermeiden.
Hier sind gestielte »advancements« (nach Cutler u. Beard; . Abb. 19.1),
mukosale Umkipplappen des Unterlides mit Spalthaut (. Abb. 19.2) Analog zum Oberlid erfordern größere Defekte der Kutis einen
oder medial bzw. lateral gestielte Unterlidlappen (nach Mustardé; Hautersatz, am einfachsten durch ein Hauttransplantat aus der Re-
. Abb. 19.3) zur optimalen Rekonstruktion erforderlich. troaurikularregion oder aus überschüssiger Oberlidhaut. Vollhaut-
transplantate sind Spalthauttransplantaten hier meist überlegen, da
sie weniger zur Kontraktur neigen und meist eine bessere farbliche
19.3.2 Defekte des Unterlids Entsprechung und Textur bieten.

Nicht vollschichtige Defekte Vollschichtige Defekte des Unterlids


Diese Defekte des Unterlids betreffen entweder nur die Haut oder Tiefergehende oder vollschichtige Defekte erfordern nicht nur einen
zusätzlich den M. orbicularis. analogen Ersatz der verloren gegangenen Gewebsschichten, sondern
Mögliche Rekonstruktionsverfahren umfassen hier zudem die Rekonstruktion eines stabilen Tarsus, um einem Ektropi-
4 den primären Wundverschluss, um vorzubeugen.
4 Vollhauttransplantate und Spalthauttransplantate, Vollschichtige Defekte des Unterlids mit Verlust von Haut,
4 lokale Lappenplastiken. M. orbicularis oculi, Tarsus und Konjunktiva lassen sich abhängig
142 Kapitel 19 · Rekonstruktion der Augenlider

a b

c d

. Abb. 19.3a–d Lateral gestielter (a, b) und medial gestielter Unterlidlappen (c, d). (Mod. nach Mustardé 1983)

. Tab. 19.1 Stufenschema zur Rekonstruktion vollschichtiger Defek-


te des Unterlids

Phase Kennzeichen

1 Primärer Wundverschluss

2 Laterale Kanthotomie (Abtrennung des Kanthus) mit


Kantholyse (Abtrennung des Kanthusbändchens) und
primärer Wundverschluss

3 Laterale Exzision mit semizirkulärem Lappen nach Tenzel

4 Laterale Exzision mit Z-Plastik (McGregor-Lappen)

5 Tarsokonjunktivaler Lappen vom Oberlid (modifizierter


Hughes-Flap) mit Hauttransplantat oder lokalem Lappen

6 Wangenrotation (nach Esser oder Mustardé-Lappen), in


Kombination mit einem Knorpel-Schleimhaut-Transplantat . Abb. 19.4 Unterlidverschiebungen mit oder ohne Kantothomie durch
»advancement cheek flap«, hier bei keilförmiger Tumorexzision (. Abb. 19.5)

von ihrer Ausdehnung nach dem in . Tab. 19.1 gezeigten Stufen- So sind Defekte, die bis zu 1/3 der Lidbreite umfassen, durch
schema rekonstruieren. Unterlidverschiebungen mit oder ohne Kantothomie sowie eine ad-
Ein primärer Wundverschluss kann meist bei Defekten erreicht ditionelle Kanthopexie rekonstruierbar (. Abb. 19.4, 19.5).
19 werden, die nicht mehr als 25–33% des Lidrands umfassen. Die tar-
sale Platte sollte exakt parallel exzidiert werden, um nach der Appro-
Bei erhaltener Mukosa eignen sich auch chondrokutane Kon-
chatransplantate, da sie eine stabile Abstützung gegenüber einem
ximierung keine störende Knotenbildung zu produzieren. vertikalen Zug und damit gegenüber der Ausbildung eines Ektropi-
Bei der Durchführung des tarsalen Release sind folgende Punkte ums darstellen. Aus dem Oberlid ergeben sowohl doppelt gestielte
zu beachten: Brückenlappen (nach Tripier) oder unilateral gestielte Hautmuskel-
Der Tarsus wird mit einer resorbierbaren 4-0-PDS-Naht appro- lappen des ipsilateralen Oberlids einen Weichgewebsersatz mit aus-
ximiert, die Haut mit nicht resorbierbarem Faden verschlossen. Bei gezeichneter Übereinstimmung von Farbe und Textur. Allerdings
Defekten von einigen Millimetern wird durch laterale Kanthotomie erfordern diese Lappenplastiken eine zusätzliche tarsale Abstützung,
mit Kantholyse so ein primärer Wundverschluss ermöglicht. Hierbei bzw. Faszienstreifenaufhängungen bei fehlendem Kanthus.
wird der untere Schenkel des lateralen Kanthusbändchens abgelöst, Vollschichtige Lappenplastiken des Oberlids verwenden wir
um eine Relaxation des lateralen Anteils des Unterlids zu erreichen. wie andere Autoren (Mustardé 1983) wegen der Alteration des
Die laterale Kanthotomie wird häufig superolateral durchgeführt, für den Augenschluss wichtigen Oberlides primär nicht. Chondro­
um zusätzlich einen semizirkulären Lappen zu schaffen, der eine ku­tane oder mukokutane Konchatransplantate in Kombination
weitere Mobilisierung ermöglicht. Durch eine zusätzliche Z-Plastik mit Verschiebeschwenklappen oder Rotationslappen bieten dage-
können nochmals einige Millimeter gewonnen werden. gen nicht nur ausreichende vertikale Stabilität gegenüber Narben-
19.3 · Defekte des Augenlids
143 19

a b

c d

. Abb. 19.5a–d Defektverschluss des Unterlids nach Exzision eines Mela- (alternativ auch möglich mit orbital gestielten Perioststreifen) und externer
noms. Nach Resektion (a) wird die Konjunktiva mittels lokaler Schleimhaut- Weichteilrekonstruktion durch Wangenrotation nach Esser. Funktionell kei-
verschiebung verschlossen (b, c). Nach medialer Kanthotomie mit Verlänge- nerlei Einschränkungen nach 6 Wochen mit stabilem Unterlid (d)
rung der Lidkante erfolgt eine laterale Aufhängung mittels Faszienstreifen

zug und damit Ektropiumentwicklung, sondern schonen auch das Vorgehen. Zuerst erfolgt die Durchtrennung des unteren Schenkels
Oberlid. des lateralen Lig. canthale und der orbitalen Anheftungen, dann
Der Vorteil gestielter Lappen aus Lidanteilen ist, dass sie gleichzei- wird ein 1–2 cm messender Haut-Muskel-Lappen gehoben und me-
tig eine konjunktivale Innenauskleidung, ein Gerüst sowie einen dial in den Defekt hinein rotiert. Eine dreiecksförmige Gestaltung
Wimpern tragenden Hautersatz schaffen. Hierzu zählt auch der Lap- des Defektes erleichtert die Lappeneinpassung, und liefert zusätz-
pen nach Tenzel. Ursprünglich für die Rekonstruktion sowohl des liche Konjunktivalschleimhaut. Zur Formung des kanthalen Win-
Ober- als auch des Unterlids beschrieben, beinhaltet das Verfahren kels wird eine über einem Tupferwiderlager geknotete Matratzen-
einen modifizierten lateralen Verschiebe-Rotations-Lappen des naht angelegt (. Abb. 19.6).
­äußeren Kanthus, mit dem bis zu 3/4 des Augenlids rekonstruiert wer- Bei Defekten von über 60–80% des Unterlides sind diese Techni­
den können. Indikationen stellen subtotale Ober- und Unterlidge- ken jedoch nicht mehr möglich. Zur Rekonstruktion der Innenaus-
websverluste mit seitlichen Kanthusresten von mindestens 2 mm dar. kleidung und des Lidgerüsts kann entweder ein tarsokonjunktivaler

a b c

. Abb. 19.6a–c Defektrekonstruktion am Unterlid mit zusätzlicher Kanthotomie und Kantholyse


144 Kapitel 19 · Rekonstruktion der Augenlider

a b c

. Abb. 19.7a–c Tarsokonjunktivaler Lappen modifiziert nach Hughes. Neuere Modifikationen vermeiden eine Verletzung der tarsusnahen Konjunktiva am
Spenderoberlid

Lappen (modifiziert nach Hughes 1937, Ursprungsbeschreibung leicht entnommen werden und eignen sich selbst für die Rekons­
durch Landolt 1881) oder ein chondromukosales Composite Graft truktion totaler oder nahezu kompletter Liddefekte. Diese Knorpel-
verwendet werden. Schleimhaut-Transplantate bedürfen einer zusätzlichen Lappen­
In der Modifikation des tarsokonjunktivalen Hughes-Lappens deckung, entweder durch medial und lateral gestielte Hautlappen,
werden aktuell folgende Schritte durchgeführt (. Abb. 19.7): Wangenrotation oder einen doppelt gestielten Tripier-Lappen. So
4 Der tarsokonjunktivale Lappen wird mindestens 3–4 mm in- kann eine gut durchblutete Bedeckung der Transplantate geschaffen
nenseitig oberhalb des Tarsus gehoben. werden, selbst bei sehr ausgedehnten Defekten von bis zu 75% des
4 Transsektion des Müller-Muskels und der Levatoraponeurose Lidrandes (. Abb. 19.8).
am Oberrand der Tarsalplatte mit Dissektion knapp unterhalb
der Konjunktiva. Zusammenfassung
4 Bedeckung des Lappens durch Vollhauttransplantat. In . Tab. 19.1 werden die oben angeführten Rekonstruktionsverfah-
4 Abtrennung des Lappens nach 3–4 Wochen mit Sekundärhei- ren zur Ober- und Unterlidplastik zusammengefasst, die Komplika-
lung der mukokutanen neuen Lidkante. tionen zeigt die . Übersicht.

Bei noch ausgedehnteren Defekten müssen Knorpel, Schleimhaut


Mögliche Komplikationen von Ober- und Unterlid­
oder Composite Grafts verwendet werden. Hier können Ohrknor-
plastiken
pel, Schleimhauttransplantate aus dem Mund (vom harten Gaumen
oder der Wangenschleimhaut) und Knorpeltransplantate des Nasen- 4 Asymmetrie
septums Entnahmestelle und Größe der Transplantate richten sich 4 Unterlidlaxizität
nach der Defektgröße. Ohrknorpeltransplantate werden meist bei 4 Lagophthalmus
größeren Defekten verwendet. 4 Ektropium
Schleimhauttransplantate vom harten Gaumen haben den Vor- 4 Intropium
teil eines inneren Gerüsts mit zusätzlicher Schleimhautbedeckung, 4 Infektion
im Gegensatz hierzu sind Schleimhauttransplantate aus dem Mund 4 Konjunktivitis
häufig zu dünn, sie werden vorwiegend für die innere Auskleidung 4 Trichiasis (Einwärtsdrehung der Augenwimpern)
und Rekonstruktion des verwendet.
Knorpeltransplantate vom Nasenseptum bieten dagegen ein sta-
biles Gerüsts und zusätzliche Schleimhautbedeckung. Sie können

19

a b c

. Abb. 19.8a–c Kutaner Transpositionslappen des Oberlides zur Deckung von Knorperltransplantaten
19.4 · Ektropium (Eversion des Lidrandes)
145 19
4 Defekte von bis zu 25% des Augenlids können meistens durch
mehrschichtigen primären Wundverschluss verschlossen wer-
den. Kleinere mediale partielle Defekte können durch Sekundär-
heilung abheilen.
4 Für konjunktivale Defekte sind unbedingt Schleimhauttrans-
plantate notwendig. Dabei muss darauf geachtet werden, dass
von einer erheblichen Kontraktion des Transplantates ausgegan-
gen werden muss.
4 Ein dreieckiger Defekt sollte vor dem Verschluss in einen pen­
tagonalen Defekt umgewandelt werden, da sich hierdurch die
Spannung der Wundränder und damit das Risiko für eine Lid-
retraktion erheblich vermindern lässt.
4 Eine hilfreiche Technik zur Rekonstruktion des Lidgerüstes ist
es, einen lateral gestielten Streifen vom Periost einzuschlagen,
der den Tarsus ersetzen kann.

19.4 Ektropium (Eversion des Lidrandes)


Die spontane Entwicklung eines Ektropiums wird durch eine mit
dem Alter zunehmende Insuffizienz des Tarsus und ein Absinken
der periorbitalen Weichteile begünstigt. Ebenso ist die Pathologie
auch im Rahmen einer neurogenen Läsion (Fazialisparese) zusam-
men mit einem Lagophthalmus möglich.
Postraumatisch (mechanisch, Verbrennungen) oder iatrogen
nach operativen Eingriffen (Tumorexzisionen, Unterlidblepharoplas­
tiken) führen narbige Verziehungen oder vertikal verkürzte Weich-
teile zu einer Eversion des Unterlids.
Zu den stabilisierenden Faktoren des Unterlides zählen:
4 die Integrität der Tarsalplatte,
4 die ligamentären und sehnigen Anheftungen des Tarsus,
4 die an diesen Strukturen ziehende Haut und Orbikularismus-
keln.
> Mit dem Snap-back-Test kann man sehr effizient die spon­
tane Rückstellung des Unterlides zum Bulbus testen. Eine
Insuffizienz lässt sich ferner durch eine Verlängerung der
Distanz zwischen lateralem Winkel und Orbitarand (nor­
mal bis 6 mm) und die Lateralisierbarkeit des Punctum
lacrimalis um >5 mm bei lateralem Zug am Unterlid diag­
nostizieren.
Beim Involutionsektropium kommt es zu einem »scleral show«, da-
nach zur Eversion des Tränenpünktchens und zur Konjunktivalrei-
zung, schließlich zur Exposition des Bulbus.
Bei posttraumatischen Ursachen verläuft die Entwicklung meist
sehr rasch fortschreitend.

Therapeutisches Vorgehen
Eine mediale kanthale Laxizität wird am besten durch direkte Raf-
fung korrigiert. Zudem existieren zahlreiche Vorschläge zur Keil­
exzision. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, keine Knoten­ . Abb. 19.9a–c Laterale Kanthoplastik nach Jelks. Der Unterlidanteil des
bildung oder wulstige Narbenbildung mit Irritation des Bulbus zu lateralen Retinakulums wird abgetrennt (a), dann wird das freie Ende mit-
erzeugen. tels doppelter Schlingennaht (b) am Periost des Orbitarandes fixiert (c).
Bewährte Verfahren sind z. B. die pentagonale Vollschichtexzi- Neben der Korrektur des Ektropiums eignet sich das Verfahren zur Besei­
sion oder eine laterale Kanthopexie. Wenngleich Keilexzisionen die tigung einer Laxizität bei negativem Vektor (Rückweichen des Jochbeins
Lidkante sehr effizient straffen, besteht doch eine Tendenz zur Run- gegenüber dem Bulbus) und des »scleral show« bei der Blepharoplastik
dung des lateralen Kanthus. Jelks et al. (1997) beschreiben eine late-
rale inferiore Kanthoplastik, die neben der Laxizität auch die Mal­
position adressiert. Dabei wird über einen Zugang am Oberlid ohne
Tangieren des äußeren Unterlides der Anteil des Lig. canthale latera­
le des Unterlids am Orbitarand mit nichtresorbierbarer Naht fixiert
(. Abb. 19.9).
146 Kapitel 19 · Rekonstruktion der Augenlider

a b

c d

19
e f

. Abb. 19.10a–f Auflösung eines massiven narbigen Ektropiums nach (b); das Composite Graft wird mit ausreichender Knorpelhöhe zur Erzielung
Strah­lenfibrose durch vollschichtige Narbenlösung (a) und Einsetzen eines der notwendigen Abstützung entnommen. Überknüpfverband zur Ruhig-
chondrokutanen Konchatransplantates (b–e). Entnahme des Transplantates stellung im Situs (f)
19.6 · Ptosis des Augenlids (Blepharoptosis = Herabhängen des Lides)
147 19
Weitere Varianten, die allerdings allesamt die laterale Lid­ um sie vor Austrocknung und Schädigung zu bewahren. Chirur-
kante narbig extern verändern, umfassen die laterale Raffung gisch erfolgt eine horizontale Straffung des Augenlids von medial
entweder kutan (Lidspaltung und laterale Keilexzision) oder oder lateral. Es kann außerdem eine temporäre oder permanente
im Bereich des Lig. canthale laterale in zahlreichen Modifika­ Tarsorraphie durchgeführt werden. Bei permanenter Tarsorraphie
tionen. wird eine resorbierbare Naht zur Befestigung der oberen und unte-
Resultiert das Ektropium durch narbige Verziehung im Unter- ren Tarsalplatten aneinander durchgeführt. Mittels Goldgewicht
lidbereich, werden Transplantate erforderlich. Diese werden entwe- kann das Oberlid beschwert und ein Lagophthalmus verhindert
der allein nach konsequenter und gründlicher Beseitigung sämt- werden.
licher Narbenanteile oder in Kombination mit Faszienaufhängungen Narbenbedingte Formen werden durch Behandlung der zu-
oder supportiven Knorpeltransplantaten verwendet. Insbesondere grunde liegenden Ursache behandelt. Chirurgisch kann eine In­
bei Verbrennungsfolgen oder Strahlenfolgen reicht u. E. eine reine zision des Narbengewebes mit vertikaler Verlängerung des Au­
tarsale Raffung mit oder ohne Faszienstreifen nicht aus. Zusätz­li­ genlids durch ein Vollhauttransplantat durchgeführt werden. Am
che, der Bulbuskonvexität folgende Ohrkonchatransplantate sor- Unterlid ist zudem eine gleichzeitige horizontale Verkürzung not-
gen für dauerhafte Stabilität des Unterlides gegen retraktive Kräfte wendig.
(. Abb. 19.10).

19.6 Ptosis des Augenlids (Blepharoptosis =


19.5 Entropium (Einstülpen des Lidrandes) Herabhängen des Lides)
Ein kongenitales Entropium entsteht meistens bei Entwicklungsstö- Unterschiedliche Formen sind:
rungen des Unterlides, Dysgenese der Unterlidretraktoren oder 4 kongenitale Form bei Dysgenesie des Levatormuskels,
strukturellen Abnormitäten des Tarsus und muss chirurgisch kor- 4 erworbene Form (Muskelerkrankungen wie chronische progres-
rigiert werden. Akute spastische Entropien lassen sich meistens sive externe Ophthalmoplegie, Myastenia gravis oder okulopha-
durch zeitweises Tapen der Augenlider behandeln. Eine Botoxin­ ryngeale Dystrophie).
jektion kann hilfreich sein, selten ist eine chirurgische Therapie
notwendig.
> Die chirurgische Behandlung richtet sich nach der Leva­
Involutional oder altersbedingte Ursachen des Entropiums
torfunktion. Ist eine Exkursion von >5 mm vorhanden,
sind:
kann eine Resektion durchgeführt werden. Beträgt die
4 horizontale Laxizität,
Exkursion <5 mm, ist eine Suspension des M. frontalis
4 Desinsertion der Augenlidretraktoren,
bzw. ein Stirnlift notwendig.
4 narbenbedingtes Entropium, v. a. durch Kontraktur von Tarsus
und Konjunktiva, Neurogene Formen können angeboren oder erworben sein, bei er-
4 Ektropium, Ausstülpung des Augenlids (Triefauge), worbenen Formen liegt ebenso entweder eine Trigeminuslähmung,
4 kongenitale und altersbedingte Formen, v. a. sekundär bei hori- ein Horner-Syndrom oder eine Myastenia gravis vor.
zontaler Augenlidlaxizität, meist bei Laxizität des lateralen und Die Trigeminuslähmung ist typischerweise mit einer Unfähig-
medialen Kanthusbändchens, meist am Unterlid. keit zur Elevation, Depression und Adduktion des Augapfels ver­
bunden; es ist eine frontale Suspension notwendig.
Therapeutisches Vorgehen Beim Horner-Syndrom liegt durch Schädigung des sympathi­
Die Korrektur eines Entropiums umfasst typischerweise die in der schen Grenzstrangs nur mehr eine verminderte Elevation des Mül-
. Übersicht genannten Schritte. ler-Muskels vor, zusätzlich eine Myosis, die pharmakologisch zur
Differenzialdiagnose geprüft werden kann.
Weiterhin können eine mechanische Ptosis des Augenlides, z. B.
Korrekturschritte des Entropiums
durch einen Tumor des Oberlides, oder posttraumatisch ein Prolaps
4 Resektion eines dünnen Streifens infraziliarer Haut sowie von orbitalem Fett vorliegen, bei dem es zur Verletzung des Levators
Tarsus und Naht des oberen Wundrandes an den Unterrand oder der Aponeurose gekommen ist.
des Tarsus zur Erzielung einer anterioren Rotation des Lid-
randes.
4 Lösung konjunktivaler Adhäsionen und Schleimhauttrans- 19.6.1 Rekonstruktion von Augenlid
plantat und Kanthus
4 Spaltung des Lidrandes und Rotation
4 Knorpeltransplantat Zunächst Angleichung des Lidrandes, dann Naht der tarsalen Platte
ohne Erfassen der Konjunktiva. Naht des Lidrandes mit vertikaler
Matratzennaht und zum Abschluss Hautnaht (. Übersicht).
Bei milderen Formen des Entropiums wird eine Verödung oder eine
Exzision der Konjunktiva und der Unterlidretraktoren durchgeführt
sowie ein Verschluss der Unterlidretraktoren mit invertierender
Naht. Bei mittleren und schweren Formen ist eine horizontale Ver-
kürzung, eine laterale und mediale Straffung des Kanthus oder eine
laterale Kanthoplastik mit Reinsertion der unteren Augenlidretrak-
toren notwendig.
Bei lähmungsbedingten Formen (Parese des N. facialis) ist eine
ausreichende Lubrikation (Befeuchtung) der Kornea notwendig,
148 Kapitel 19 · Rekonstruktion der Augenlider

Technische Besonderheiten
Chirurgisches Vorgehen zur Rekonstruktion von Augenlid 4 Bei Patienten mit M. Basedow wird zunächst eine orbitale De-
und Kanthus kompression, dann Eingriffe zur Strabismuschirurgie und dann
4 Oberlid erst die Augenlidrekonstruktion durchgeführt.
– Oberlidrekonstruktionen erfolgen bei Defekten von bis 4 Bei Operationen am Augenlid sollte niemals versucht werden,
zu 1/3 durch primären Wundverschluss mit Rekonstruk­ das orbitale Septum zu verschließen.
tion des Lidrandes. 4 Bei Rekonstruktion des Unterlides sollte niemals eine vertikale
– Bei Defekten zwischen 1/3 und der Hälfte des Lidrandes Spannung entstehen, um ein Ektropium zu vermeiden.
erfolgt eine laterale Kanthotomie und Kantholyse mit 4 Vor allen Lidoperationen sollte eine ausführliche Fotodokumen-
Release des Lids lateral sowie Vorschub eines lateralen tation erfolgen, auch bei traumatischen Verletzungen des Au-
muskulokutanen Lappens. genlids.
– Defekte von 50–75% werden mittels semizirkulärem Ten- 4 Inzisionslinien sollten am Patienten vor der Injektion von Lokal-
zel-Lappen, der eine laterale Kanthotomie und Kantholy- anästhetika eingezeichnet werden.
se erfordert, zum Verschluss gebracht. Bei Defekten von
>75% erfolgt ein Cutler-Beard-Flap (. Abb. 19.1). Hierbei
Literatur
Codner MA, Weinfeld AB (2007) Comprehensive eyelid reconstruction. ANZ J
wird ein vollschichtiger Unterlidlappen vom Unterlidrand
Surg Suppl 1: A71
gehoben und in den Oberliddefekt eingenäht. Die Lap-
Erdogmus S, Govsa F (2007) The arterial anatomy of the eyelid: importance
pendurchtrennung erfolgt in einem 2. Schritt nach 2–3 for reconstructive and aesthetic surgery. J Plast Reconstr Aesthet Surg 60:
Wochen. Alternativ ist eine freie Transplantation eines 241–245
­tarsokonjunktivalen Transplantates vom kontralateralen Jelks GW et al. (1997) The inferior retinacular lateral canthoplasty: a new tech-
Oberlid mit Bedeckung durch verbliebene Oberlidhaut nique. Plast Reconstr Surg 100: 1262
möglich. Jordan DR, Anderson RL, Nowinski TS (1989) Tarsoconjunctival flap for upper
4 Unterlid eyelid reconstruction. Arch Ophthalmol 107: 599–603
– Unterliddefekte von 33% oder weniger werden mittels McGregor IA (1973) Eyelid reconstruction following subtotal resection of up-
primärem Hautverschluss und Lidrandnaht versorgt. per or lower lid. Br J Plast Surg 26 (4): 346–354
Mustardé JC (1983) Reconstruction of eyelids. Ann Plast Surg 11: 149
– Bei Defekten von 33–50% ist eine laterale Kanthotomie
Okada E, Iwahira Y, Maruyama Y (1997) The V-Y advancement myotarsocuta-
und Kantholyse zusätzlich notwendig mit Vorschub eines
neous flap for upper eyelid reconstruction. Plast Reconstr Surg 100:
lateralen myokutanen Lappens.
996–998
– Bei Defekten von 50–75% erfolgt der Defektverschluss Pham RT (2005) Reconstruction of the upper eyelid. Otolaryngol Clin North
mittels semizirkulärem Lappen nach Tenzel, der in Form Am 38 (5): 1023–1032
eines Bogens entnommen wird. Tenzel RR, Stewart WB (1978) Eyelid reconstruction by the semicircle flap
– Außerdem kann ein Wangenvorschublappen nach technique. Ophthalmology 85: 1164–1169
Mustardé durchgeführt werden, auch zur Bedeckung Chandler DB, Gausas RE (2005) Lower eyelid reconstruction. Otolaryngol Clin
eines tarsokonjunktivalen Transplantats, das das hintere North Am 38 (5): 1033–1042
Augenlidgerüst wiederherstellt. Crestinu JM (1988) Reconstruction of the lower eyelid. Plast Reconstr Surg 82:
720
– Bei Defekten >75% kann ein tarsokonjunktivaler Lappen
Holds JB, Anderson RL (1993) Medial canthotomy and cantholysis in eyelid
vom Oberlid erfolgen, der axial gestielt ist und seine eige-
reconstruction. Am J Ophthalmol 116: 218–223
ne Blutversorgung mitbringt. Dieser Lappen wird mit Iliff CE, Iliff NT (1980) Partial and total reconstruction of the lower eyelid. Oph-
einem Vollhauttransplantat oder einem muskulokutanen thalmology 87: 272–278
Vorschublappen bedeckt. Hierbei muss in einem 2. Schritt Matsuo K, Sakaguchi Y, Kiyono M, Hataya Y, Hirose T (1991) Lid margin recon-
der Lappen eröffnet werden und ein neuer Unterlidrand struction with an orbicularis oculi musculocutaneous advancement flap
entstehen. and a conchal cartilage graft. Plast Reconstr Surg 87: 142–145
– Bei Defekten im Bereich des medialen Kanthus wird zu- Papp C, Maurer H, Geroldinger E (1990) Lower eyelid reconstruction with the
nächst das Tränengangsystem untersucht und ein kleines upper eyelid rotation flap. Plast Reconstr Surg 86: 563–565 (discussion
Silikonröhrchen eingelegt, damit sich der Gang wieder 566–568)
Rohrich RJ, Zbar RI (1999) The evolution of the Hughes tarsoconjunctival flap
regenerieren kann. Dann wird das mediale Lidbändchen
for the lower eyelid reconstruction. Plast Reconstr Surg 104: 518–522
dargestellt und gesichert.
19 – Kleine Hautdefekte heilen sekundär. Bei größeren Defek­
ten ist ein Vollhauttransplantat notwendig, bei noch grö-
ßeren Defekten kann ein medialer Stirnlappen eingesetzt
werden.
– Bei Defekten im Bereich des lateralen Kanthus können la-
terale Tarsusstreifen verwendet werden, um den Unterlid-
tarsus am Periost des lateralen Orbitalrandes zu fixieren.
Hier kann auch ein periostaler Lappen zur Verlängerung
vom lateralen Orbitalrand zum verbliebenen lateralen
Augenlid verwendet werden. Haut- und Muskeldefekte
werden mittels muskulokutaner Vorschublappen oder
Vollhauttransplantate gedeckt.
20

Rekonstruktion der Lippen


A. Gohritz

20.1 Anatomische Grundlagen – 150

20.2 Funktion der Lippen – 150

20.3 Therapeutisches Vorgehen bei Lippendefekten – 150


20.3.1 Unterlippenrekonstruktion – 150
20.3.2 Rekonstruktion der Oberlippe – 153

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
150 Kapitel 20 · Rekonstruktion der Lippen

Defekte im Lippenbereich entstehen in 95% infolge von Tumoren, > Bei allen chirurgischen Maßnahmen an den Lippen
daneben traumatisch, nach Verbrennungen (z. B. durch Stromka­ empfiehlt es sich, den Lippenrot-Haut-Übergang mit Me-
beln bei Kindern), seltener kongenital (Nävi, Hämangiome) nach thylenblau oder durch oberflächliches Ritzen mit dem
Infektionen und Vaskulitiden. Die Rekonstruktion der Lippen stellt Skalpell zu markieren, bevor die Lokalanästhesie in-
hohe Ansprüche, da sie eine wichtige ästhetische Komponente bil­ filtriert wird.
den und zudem für die verbale und nonverbale Kommunikation, das Bei Exzision werden vertikale elliptische Exzisionen
Essen, die taktile Gnosis und die Sexualität (Küssen) sehr wichtig bevorzugt. Diese sollten das Lippenrot in einem Winkel
sind. von 90° kreuzen und so parallel zu den Hautspannungs­
linien verlaufen.

20.1 Anatomische Grundlagen Die Rekonstruktion der Schleimhaut geschieht bei kleinen Defekten
durch muskulomukosale VY-Vorschublappen.
Die Lippenregion besteht aus folgenden Untereinheiten: Axiale Lappenplastiken, basierend auf der A. labialis, können für
4 Oberlippe mit oberem Lippenrot (Vermillion), einer zentralen vollschichtige Defekte der Unterlippe von <1/3 der Lippenlänge ver­
und zwei lateralen Untereinheiten und dem Philtrum, wendet werden.
4 Unterlippe mit unterem Lippenrot und einer langen zentralen
Einheit, die lateral bis an die labiomentalen Falten reicht.
20.3.1 Unterlippenrekonstruktion
Der N. facialis innerviert die mimische Muskulatur. Sein R. margi­
nalis innerviert die Muskeln der Unterlippe und des Kinns, v. a. den Die Rekonstruktion der Unterlippe richtet sich nach folgendem Al­
M. depressor anguli oris. Verletzungen dieses Nervenastes führen zu gorithmus:
einer abnormalen Elevation der Unterlippen auf der betroffenen Sei­
te beim Lächeln. Vollschichtige Defekte von bis zu 1/3 der Lippe
Die sensorische Innervation der Oberlippe erfolgt durch den Diese können primär verschlossen werden. Hier eignen sich eine
N. labialis superior des N. infraorbitalis aus dem N. trigeminus. Die W- oder V-förmige Exzision und die schildförmige Exzision, die zu
Unterlippe wird durch den N. mentalis aus dem N. alveolaris infe­ längeren Wundrändern mit kürzerem Verschluss führt. Die geführte
rior des N. trigeminus versorgt. Er verlässt die Mandibula etwa in Sekundärheilung und sekundäre Korrektur des verheilten Defekts,
ihrer Mitte unterhalb des 2. prämolaren Zahns. v. a. nach Riss-Quetsch-Verletzungen und größeren Substanzver­
Die Blutversorgung der Lippen entstammt den Aa. labialis supe­ lusten, hat sich im eigenen Vorgehen jedoch auch gut bewährt.
rior und inferior ausgehend von der A. facialis, die unterhalb des
M. orbicularis oris austritt. Defekte von 1/3 bis zu 2/3 der Unterlippe
Hier existieren 5 Haupttechniken zum Defektverschluss:

20.2 Funktion der Lippen Karapandzic-Lappen. Die kreisförmige Inzision um den Mund he­
rum entspricht in ihrer Breite der Defekthöhe (. Abb. 20.1). Die
Eine Störung der oralen Kompetenz führt zum Auslaufen von Spei­ Dissektion erfolgt unterhalb der Haut und des subkutanen Gewebes
chel und Schwierigkeiten bei der Aufnahme fester oder flüssiger mittels vorsichtiger Spreizung des Gewebes, um die Innervation und
Nahrung. Sie kann bei einem Verlust der Sensibilität, der moto­ Gefäßversorgung des M. orbicularis oris zu erhalten. Die Refixation
rischen Innervation oder tiefen Defekten der Lippen auftreten. Eine des Modiolius (Muskelknoten am Mundwinkel, an dem sich die
verkleinerte Mundöffnung (Mikrostomie) kann ebenso zu Schwie­ ­Fasern der Gesichtsmuskeln miteinander vereinigen) an den M. or­
rigkeiten beim Essen, der Zahnhygiene und der Reinigung und Re­ bicularis oris führt zu einer verbesserten oralen Funktion. Die
paratur von Zähnen führen und das Kauen beeinträchtigen. Hier ­Operation ermöglicht bei einzeitigem Vorgehen eine sensible Lap­
kann eine Munddehnung mittels spezieller Instrumente versucht pendeckung, der Erhalt der Sphinkterfunktion bewahrt die orale
werden. Operationen an den Lippen führen im Langzeitverlauf zwar Kompetenz. Risiken sind jedoch eine auffällige Narbenbildung und
nur selten zu schweren Einschränkungen der Sprache, können aber die Ausbildung einer Mikrostomie.
dennoch durch stigmatisierende Verziehungen und Narben die zwi­
schenmenschliche Kommunikation negativ beeinflussen. Estlander-Lappen. Die Lappenbreite sollte 1/3 bis die Hälfte der
Defektgröße betragen. Dies führt zu einer proportionalen Vermin­
derung der Breite beider Lippen. Der Lappen wird so geplant, dass
20.3 Therapeutisches Vorgehen bei Lippen- er im mesolabialen Sulkus zu liegen kommt, damit er leichter rotiert
20 defekten und die Narben besser versteckt werden können. Die Höhe des Lap­
pens entspricht der Defekthöhe (. Abb. 20.2).
Oberflächliche traumatische Läsionen werden entweder primär ver­ Diese Rekonstruktion führt meistens zu einer runden Mund­
schlossen oder der Sekundärheilung überlassen. form, eine Kommissuroplastik kann später korrigierend ausgeführt
Spalthauttransplantate sind problematisch, da sie neben einer werden. Gefahr ist eine Asensibilität der rekonstruierten Lippe, die
ungenügenden Textur und Farbe narbig kontrahieren. zu unangenehmem Speichelverlust führen kann.
Auch bei größerer Ausdehnung vollschichtiger Defekte bevor­
zugen wir eine geführte Sekundärheilung mit erstaunlichen spon­ Abbé-Lappen. Diese gestielte Lappenplastik wird vorrangig ange­
tanen Korrekturtendenzen. Die dabei entstehenden Narbenzüge, die wendet, wenn ausreichend Lippengewebe vorhanden und die Kom­
an der Oberlippe zu lippenspaltenähnlichen Narben führen, lassen missur nicht beteiligt ist. Sie kann sowohl bei Ober- als auch Un­
sich sekundär mit geringerer operativer Narbenbildung korrigieren terlippendefekten verwendet werden. Bei Philtrumdefekten ist sie
als primäre lokale Lappenplastiken. schwieriger anzuwenden. Die Lappenhebung wird mit einer Ecke
20.3 · Therapeutisches Vorgehen bei Lippendefekten
151 20

a b

c d
. Abb. 20.1a–d Karapandzic-Lappen

a b c
. Abb. 20.2a–c Estlander-Lappen

am Zusammenstoß vom mittleren zum lateralen Drittel der Lippe Bernard-Operation. Diese wird angewendet, wenn nur noch Reste
durchgeführt. Die Breite der Gewebeentnahme sollte nicht mehr als des Lippengewebes vorhanden sind. Es erfolgt eine vollschichtige
2–3 cm betragen. Die Höhe des Lappens sollte der Höhe des Defekts Exzision des oberen Dreiecks. Lippengewebe wird dann aus der
entsprechen. Die Breite des Lappens wird meist so gewählt, dass sie Wange mobilisiert, dies führt zu einer geringeren Rate an Mikrosto­
der Hälfte des Defekts entspricht, wobei sich bessere Resultate erge­ mien (. Abb. 20.4). Nachteil ist eine Störung der nasolabialen und
ben, wenn der Lappen dem Defekt in den Ausmaßen genau gleich­ nasomentalen Falte, bei asensibler Unterlippe kann es zu einem
kommt. Triefphänomen kommen. Die Modifikation nach Ginestet verlagert
Der Lappen kann medial oder lateral gestielt werden. Zur Pla­ die Dreiecksinzision lateral des Nasolabialsulkus und erhält damit
nung eignet sich eine Papierschablone, um auch den Rotationsbogen mehr M. orbicularis oris. Zudem wird eine rechteckige Exzision der
zu planen, wobei die Gewebemobilisierung beim Verschluss der Ent­ Unterlippe, z. B. bei Tumorentfernungen, durchgeführt.
nahmestelle mitbedacht werden muss (. Abb. 20.3). Mit diesen Lap­
penplastiken können meist ästhetisch akzeptable Ergebnisse erreicht Modifizierte Bernard-Burow-Operation. Diese kann angewendet
werden. Nachteil ist, dass ein zweiter Operationsschritt zur Stiel­ werden, wenn nur noch ungenügend Lippengewebe vorhanden ist
durchtrennung erforderlich ist. und der Defekt >2/3 der Lippenlänge ausmacht. Hierbei werden
dreieckige nasolabiale Exzisionen von partieller Dicke in der Naso­
labialfalte durchgeführt. Zur Rekonstruktion des Lippenrots wird
152 Kapitel 20 · Rekonstruktion der Lippen

a b c

d e

. Abb. 20.3a–e Abbé-Lappen

a b

. Abb. 20.4a, b Ginestet-Bernard-Operation

Mundschleimhaut verwendet. Vorteil ist hier eine geringere Rate an lappen wie der M.-pectoralis-major-Lappen, M.-deltopectoralis-
20 Mikrostomien, weiterhin bleibt die labiomentale Falte unangetastet, Lappen oder freie Lappentransplantationen (z. B. Unterarmlappen)
und die Sensibilität ist meist gut. Bei fehlender Sensibilität und Mo­ durchgeführt werden.
bilität kann sich ein Triefphänomen ergeben.
Besondere Indikationen
Defekte von 2/3 und mehr der Unterlippe Nach Resektion des vorderen Lippenrots bei prämalignen und ober­
Bei ausreichend Gewebe in der Defektumgebung an der Wange kann flächlichen malignen Tumoren kann ein labialer bukkaler Vorschub­
ein Karapandzic-Lappen erfolgreich bei Defekten bis zu 80% der lappen verwendet werden. Bei der Dissektion sollten die Speichel­
Länge der Unterlippe durchgeführt werden, wenn individuelle Fak­ drüsen mitgenommen werden, der M. orbicularis occuli und die
toren des Patienten, v. a. sein Alter, die Gewebeelastizität und die A. labialis jedoch geschont werden.
resultierende Mikrostomie beachtet werden. Alternativ ist eine Ber­ Für größere Defekte des Lippenrots eignet sich der »cross
nard-Burow-Operation möglich. Ist nicht ausreichend Gewebe zur lip mucosal flap«, es ist allerdings ein zweizeitiges Vorgehen not­
Defektdeckung in der Umgebung vorhanden, müssen gestielte Fern­ wendig.
20.3 · Therapeutisches Vorgehen bei Lippendefekten
153 20
Literatur
Abbé R (1898) A new plastic operation for the relief of deformity due to
double harelip. Med Rec 53: 447
Estlander JA (1877) Méthode d’autoplastie de la joue ou d’une lèvre par un
lambeau emprunté à l’autre lèvre. Rev Mens Med Chir 1: 344
Gillies HD (1980) Plastic surgery of the face. Oxford University Press, London
Karapandzic M (1974) Reconstruction of lip defects by local arterial flaps. Br J
Plast Surg 27: 93–7
Kazanjian VH, Converse JM (1972)Kazanjian and Converse’s surgical treat-
ment of facial injuries, 3rd edn. Lippincott Williams & Wilkins, Baltimore
Mazzola RF, Lupo G (1984) Evolving concepts in lip reconstruction. Clin Plast
Surg 11: 583–617
von Bruns V (1857/1860) Chirurgischer Atlas. In: Bildliche Darstellung der chi­
rurgischen Krankheiten und der zu ihrer Heilung erforderlichen Instru-
mente, Bandagen und Operationen. II Abt: Kau- und Geschmacks-Organ.
. Abb. 20.5 Reverser Karapandjic-Lappen zur Rekonstruktion eines ausge- Tab XIII, XIV, X
dehnten Oberlippendefektes von Burow CA (1855) Beschreibung einer neuen Transplantations-Methode
(Methode der seitlichen Dreiecke) zum Wiedersatz verlorengenangener
Teile des Gesichts. Nauck, Berlin
Bei größeren mukosalen Defekten sind Zungenlappen möglich, Webster JP (1955) Cresentic peri-alar-cheek excision for upper lip flap ad-
jedoch aufgrund des ungünstigen kosmetischen Ergebnisses nur vancement with a short history of upper lip repair. Plast Reconstr Surg
noch selten in Gebrauch. 15: 434
Defekte nach totaler Entfernung des Lippenrots (Vermillionek­ Webster RC, Coffey RJ, Kelleher RE (1960) Total and partial reconstruction of
tomie/Lipshave-Operation) bedürfen eines Vorschubs der inneren the lower lip with innervated muscle-bearing flaps. Plast Reconstr Surg
Schleimhaut in Form eines doppelt gestielten Lappens, um den ent­ 25: 360
standenen Defekt des Lippenrots zu ersetzen.

20.3.2 Rekonstruktion der Oberlippe


Defekte von 1/3 der Oberlippe
Bei lateralen Defekten kann meistens ein primärer Wundverschluss
durchgeführt werden. Bei zentralen Defekten wird eine perialare
ansteigende Exzision mit Vorschub des Kinns durchgeführt. Die
Exzisionen erfolgen hier in voller Schichtdicke entweder uni- oder
bilateral. Bei intaktem Lippenrot kann ein Nasolabiallappen für
kleinere Defekte einzeitig oder zweizeitig durchgeführt werden.
Nachteilig sind eine unschöne Narbe und die Störung der Gesichts­
symmetrie bezüglich der Nasolabialfalte.

Defekte von 1/3 bis 2/3 der Oberlippe


Bei zentralen Defekten werden ein perialares ansteigendes Advance­
ment und ein Abbé-Flap durchgeführt, weil hierdurch eine weniger
starke Verziehung als bei einem Karapandzic-Lappen zu erwarten
ist. Nachteil ist das zweizeitige Vorgehen.
Bei sehr großen Defekten der Oberlippe und Wunsch nach einer
einzeitigen Operation ist ein reverser Karapandzic-Lappen möglich
(. Abb. 20.5). Die zirkumoralen Inzisionen enden typisch an der
Kommissur. Bei lateralen Defekten ohne Beteiligung der Kommissur
wird ein Abbé-Lappen verwendet, sonst ein Estlander-Lappen.

Defekte von mehr als 2/3 der Oberlippe


Diese können mit einer Bernard-Burow-Operation gedeckt werden,
v. a. bei zentralen Defekten. Alternativ kann die Technik nach Gilles
angewendet werden, bei der einzeitig ein vollschichtiger Lappen
durch Rotation des mesolabialen Gewebes in den Defekt geschwenkt
wird, wobei der laterale Lappenanteil die mesolabiale Falte wieder­
herstellt. Dieser Lappen kann große Mengen an Gewebe mobilisie­
ren. Es resultiert jedoch meist eine weitgehend asensible und wenig
bewegliche Mundfunktion mit eingeschränkter oraler Kompetenz.
Bei lateralen Defekten wird eine Bernard-Burow-Operation mit kon­
tralateral perioraler »crescendic excision« nach Webster (1955/1960)
angewandt.
21

Prinzipien der Lappendeckung


im Kopf-Hals-Bereich
M.A. Altintas, A. Gohritz, P. M. Vogt

21.1 Anatomische Grundlagen – 156


21.1.1 Lymphknotengruppen   – 156

21.2 Neck Dissection – 157

21.3 Rekonstruktive Ziele – 157


21.3.1 Rekonstruktive Ziele in Abhängigkeit von der anatomischen Region – 157

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_1,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
156 Kapitel 21 · Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich

Dieses Kapitel behandelt v. a. Tumorerkrankungen im Kopf-Hals- 4 Nasopharynx


Bereich mit Ausnahme der Tumoren der Haut. Plattenepithekarzi- Der Nasopharynx erstreckt sich vom Septum nasale bis zur hin-
nome tragen 90% zu diesen Tumorerkrankungen bei, die v. a. Män- teren Pharynxwand. Die kraniale Begrenzung wird durch die
ner im höheren Lebensalter betreffen. Schädelbasis, die kaudale durch den weichen und harten Gau-
men gebildet.
> Die wichtigsten ätiologischen Faktoren von Tumoren im
4 Hypopharynx
Kopf-Hals-Bereich sind
Der Larynx unterteilt sich in Supraglottis, Glottis und Infraglot-
4 Alkoholkonsum,
tis. Die vordere und hintere Kommissur werden auch als Teil der
4 Nikotinabusus.
Glottis betrachtet. Die Strukturen der Supraglottis umfassen die
Tumoren der Speicheldrüsen, der Schilddrüse und der Nebenschild- Epiglottis, die Ventrikel, die Arythenoidea und die falschen
drüsen leiten sich nicht von spinozellulären Zellen ab und kommen Stimmbänder.
auch bei jüngeren Patienten vor. Tumoren der Schilddrüse und der
Nebenschilddrüse werden nur ausnahmsweise primär von plasti-
schen Chirurgen versorgt. 21.1.1 Lymphknotengruppen
Die Einteilung der Tumoren erfolgt nach der TNM-Klassifika­
tion entsprechend Die Einteilung der Lymphknotengruppen erfolgt am Hals nach
4 der Ausdehnung des Primärtumors (T), Robbins (Robbins et al. 1991) anatomisch in 6 verschiedene Level
4 des Status der regionären Lymphknoten (N) und (. Tab. 21.2).
4 der Fernmetastasen (M) (. Tab. 21.1).

Eine Stadieneinteilung nach dem histologischen Grading ist klinisch . Tab. 21.2 Einteilung der Lymphknotengruppen
nicht gebräuchlich.
Level Definition

I Submentale und submandibuläre Lymphknotengruppe


21.1 Anatomische Grundlagen
II Tiefe kraniojuguläre Lymphknotengruppe
Die Mundhöhle reicht von der Grenze des Lippenrots bis zur Verei- III Tiefe mediojuguläre Lymphknotengruppe
nigung von hartem und weichem Gaumen.
IV Tiefe kaudojuguläre Lymphknotengruppe
Der Pharynx unterteilt sich in 3 Höhlen:
4 Oropharynx V Akzessoriusgruppe des posterioren Halsdreiecks
Der Oropharynx reicht ventral vom harten und weichen Gau-
VI Vorderes Kompartment, para- und retropharyngeale
men bis zur hinteren Pharynxwand. Die lateralen Begrenzungen Lymphknotengruppe
sind die Tonsillen und die Tonsillenkissen.

. Tab. 21.1 TNM-Klassifikation der meisten Tumorerkrankungen der Mundhöhle und Oropharynx nach Primärtumor, regionären Lymphknoten [1]
und Fernmetastasen

TNM-Klassifikation Definition

T: Primärtumor Tx Primärtumor nicht beurteilbar

T0 Kein Anhalt für einen Primärtumor

Tis Carcinoma in Situ

T1 Primärtumor 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung

T2 Primärtumor mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 4 cm in größter Ausdehnung

T3 Primärtumor mehr als 4 cm in größter Ausdehnung

T4 Massiver Tumor mehr als 4 cm in größter Ausdehnung mit Tiefeninvasion

N: Regionäre Nx Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden


Lymphknoten
N0 Keine regionalen Lymphknotenmetastasen

21 N1 Einzelne regionäre ipsilaterale Lymphknotenmetastase kleiner als 3 cm

N2a Einzelne regionäre ipsilaterale Lymphknotenmetastase größer als 3 cm, aber kleiner als 6 cm

N2b Multiple regionäre ipsilaterale Lymphknotenmetastasen, keine größer als 6 cm

N2c Bilaterale oder kontralaterale Lymphknotenmetastasen, keine größer als 6 cm

N3 Metastase (n) in Lymphknoten, mehr als 6 cm in größter Ausdehnung

M: Fernmetastasen M0 Keine Fernmetastasen

M1 Fernmetastasen
21.3 · Rekonstruktive Ziele
157 21
21.2 Neck Dissection
Die wichtigsten Ziele einer chirurgischen Rekonstruktion
> Nach dem therapeutischen Ziel unterscheidet man eine im Kopf-Hals-Bereich
prophylaktische von einer therapeutischen Neck Dissec- 4 Wiederherstellung der Symmetrie
tion. Bei der prophylaktischen Neck Dissection werden 4 Erhalt der strukturellen Integrität von Nase und Ohren
ohne eine nachgewiesene Metastasierung die Lymph­ (aus ästhetischen und funktionellen Gründen, z. B. zur
knoten entfernt. Ziel ist es, auch nicht sichtbare Mikrome- Befestigung von Brillen und Epithesen, zum Erhalt der
tastasen zu entfernen. Von einer therapeutischen Neck Nasenatmung)
Dissection spricht man, wenn bereits Metastasen in den 4 Erhalt der Öffnung und des Verschlusses von Augen und
Lymphknoten nachgewiesen sind. Ohren (Vermeidung des Risikos von Narbenkontrakturen)
4 Ersatz kompletter anatomischer Untereinheiten bei Rekons-
Nach der Operationstechnik wird eine radikale Neck Dissection von truktion größerer Defekte, um ein möglichst gutes ästhe-
einer funktionellen Neck Dissection unterschieden (Suen u. Goep­ tisches Ergebnis zu erreichen
fert 1987). Bei der radikalen Neck Dissection werden zu den 4 Erhalt oder Wiederherstellung einer Sprachfähigkeit, der
Lymphknoten noch folgende anatomische Strukturen entfernt (Crile Atmung und der Schluckfunktion
1906 u. Greene 1906): M. sternocleidomastoideus, M. sternothyreo-
ideus, M. sternohyoideus, M. omohyoideus, Glandula submandi­
bularis, V. jugularis interna und N. accessorius. Nach dem Verlust
von Lymphknoten, Fett- und Bindegewebe, Speicheldrüsen, Blutge- 21.3.1 Rekonstruktive Ziele in Abhängigkeit
fäßen und Muskelgewebe ist mit funktionellen Einschränkungen zu von der anatomischen Region
rechnen.
Bei der funktionellen Neck Dissection werden die oben ge- Mittelgesicht
nannten Muskeln, der N. accessorius und die Glandula subman­
> Vorrangige Zielsetzungen sind hier:
dibularis erhalten (Bocca et al. 1980). Die V. jugularis interna wird
4 Wiederherstellung der Kontur und Projektion
nur entfernt, wenn Lymphknoten mit der Vene verbacken sind. Die
4 Wiederherstellung der Maxilla
funktionelle Neck Dissection hat ein besseres kosmetisches und
4 Trennung der Mund- und Nasenhöhlen
funktionelles Ergebnis und muss nicht zwangsläufig mit einer
4 Ermöglichung einer prothetischen Versorgung, z. B.
schlechteren Lebenserwartung als die klassische Neck Dissection
des Periokularbereichs oder des Auges
einhergehen.
4 Erhalt der Funktion des Tränengangsystems
Sind Lymphknotenmetastasen eines Primärtumors auf einer
Halsseite nachgewiesen oder verdächtig, können bei der selektiven In dieser anatomischen Region kommen auch Prothesen mit gu­
Neck Dissection selektiv die Regionen einer Halsseite entfernt wer- tem Ergebnis zum Einsatz. Sie können ohne oder in Kombination
den [7]. Die selektive Neck Dissection wird in supraomohyoidal mit einer Gewebetransposition oder -transplantation eingesetzt
(Level I–III), lateral (Level II–IV), posterolateral (Level II–V), ante- werden.
rior (Level VI) und anterolateral (Level I–IV) eingeteilt. Als regionale Lappenplastiken eignen sich der Deltopektorallap-
pen, der Temporalismuskellappen und der Stirnlappen zur Deckung
begrenzter Defekte. Nicht vaskularisierte Knochentransplantate
21.3 Rekonstruktive Ziele können zur Auffüllung knöcherner Lücken verwendet werden, be-
dürfen jedoch einer gut vaskularisierten Bedeckung und stabilen
> Patienten mit Tumoren im Kopf-Hals-Bereich haben oft Fixation.
nur eine begrenzte Lebenserwartung. Oft ist zusätzlich zur Bei freier Gewebetransplantation wird oft der osteokutane Radi-
operativen eine Radio- und Chemotherapie notwendig. alis-Unterarm-Lappen eingesetzt, der mit einem bis zu 10 cm langen
Das vorrangige Ziel ist es daher, möglichst einzeitig eine Radiusspan zur knöchernen Rekonstruktion entnommen werden
schnelle Rekonstruktion mit optimaler Funktion, niedriger kann. Weiterhin eignet sich gut der osteokutane Skapularlappen mit
Komplikationsrate und Morbidität durchzuführen. Dem oder ohne Hautinsel, bei größeren Defekten der M. latissimus dorsi.
Patienten ist möglichst lange eine gute Lebensqualität zu Alternative Möglichkeiten sind der Rectus-abdominis-Muskellap-
erhalten oder wiederzugeben. pen oder der ALT- (antero-lateral-thigh-) Lappen (Genden u. Jacob-
son 2005).
Diese Patienten werden multidisziplinär behandelt. Resektion von Für größere knöcherne Rekonstruktionen kann eine freie Fibu-
Tumoren des Nasopharynx, Larynx und der Mundhöhle sowie latransplantation angewandt werden.
Schädelbasis im Kopf-Hals-Bereich sowie die plastische Rekons­-
truktion werden in Deutschland traditionsgemäß primär von Mandibula
Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen und Hals-Nasen-Ohren-Ärzten
> Vorrangige Zielsetzungen sind hier:
durchgeführt. Eine Beteiligung des plastischen Chirurgen erfolgt
4 Wiederherstellung der Gesichtskontur,
eher sekundär im Rahmen postonkologischer Fragestellungen
4 Erhalt der Zungenmobilität und
oder spezieller Komplikationen. Nachfolgend sollen daher die für
4 Wiederherstellung von Kaufähigkeit und Sprache.
den plastischen Chirur­gen relevanten Aspekte kurz dargestellt
werden. Die Rekonstruktion großer Defekte erfolgt entweder sofort oder ver-
zögert (Genden u. Haughey 1996). Der Trend geht zur Sofortrekons-
truktion durch ein separates chirurgisches Team. Nachteil ist hier
jedoch die Frage der onkologisch gesicherten Resektion, die eine
verzögerte Versorgung ratsam erscheinen lässt.
158 Kapitel 21 · Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich

a b

. Abb. 21.1a–d Patientin mit einer chronischen Mundbodenfistel nach


chirurgischer Exstirpation und Bestrahlung eines Tonsillenkarzinoms (a).
b Exzision der Fistel und des Strahlenschadens und Planung eines gestiel-
ten Pektoralislappens zur Weichteilrekonstruktion. c Patientin 6 Monate
postoperativ. d Verschiedene Möglichkeiten der Platzierung von Haut­inseln
für die kutane Rekonstruktion d

Die Wahl des rekonstruktiven Verfahrens hängt von der Defekt- phisch die arterielle Gefäßversorgung geprüft werden. Meist wird
größe und der Lokalisation ab. Kleine knöcherne Defekte, v. a. lateral das linke Bein als Spender verwendet, da es für bestimmte Aktivi-
gelegen, bedürfen keiner knöchernen Auffüllung oder können mit täten weniger wichtig als das rechte Bein ist (z. B. Auto fahren).
autologen Spongiosatransplantaten aufgefüllt werden (Kildal et al. Der vaskularisierte Beckenkamm, versorgt durch die A. circum-
2001). Nicht vaskularisierte Knochentransplantate vertragen Strah- flexa ilium profunda, eignet sich aufgrund seiner leicht gebogenen
lentherapie sehr schlecht, hier besteht ein hohes Risiko für eine Os- Form v. a. zur Rekonstruktion der Mandibula. Es ist auch eine totale
teonekrose. Metallimplantate (z. B. zur Mandibularekonstruktion) Rekonstruktion der Mandibula möglich. Als weitere Knochenspen-
können als Platzhalter dienen; sie führen im Langzeitverlauf jedoch derareale kommen Radius, Rippen, Skapula und Ossa metatarsalia
häufig zu Problemen. in Frage.
Vaskularisierte Knochentransplantate sind die Methode der
Hals
21 Wahl, um größere knöcherne Defekte – v. a. anterior gelegene De-
fekte – zu verschließen. Diese Lappenplastiken unterstützen die
> Zielsetzung ist hier, wichtige vitale Strukturen wie Gefäße,
Knochenheilung, sind strahlenresistent und erlauben auch eine
Nerven und die Luftwege sicher zu bedecken.
zahnärztliche Versorgung mit osteointegrierten Implantaten. Hier
eignet sich am besten die freie Fibulatransplantation oder die freie Hier kommen v. a. folgende Lappenplastiken zum Einsatz (Teknos et
Beckenkammtransplantation. al. 2001):
Die freie Fibula, die durch Perforatoren aus der A. peronaea ver-
sorgt wird, kann mit einer Knochenkomponente von bis zu 26 cm, Gestielter M.-pectoralis-Lappen. Diese Technik eignet sich zur Be-
mit oder ohne zusätzliche Hautinsel, entnommen werden. Ein we- deckung des Halses (. Abb. 21.1, 21.2). Eine maximale Mobilisation
sentlicher Hebedefekt entsteht nicht. Präoperativ sollte angiogra- wird durch Durchtrennung der Muskelinsertion und der Fasern zur
21.3 · Rekonstruktive Ziele
159 21

. Abb. 21.2a–g Patientin mit einer chronischen ösophagokutanen Fistel


aus proximaler Ösophagusstenose auf dem Boden einer Anastomoseninsuf-
fizienz nach Magenhochzug bei Ösophaguskarzinom (a). Anatomie des ge-
stielten Pektoralislappens zur Ösophagusrekonstruktion (b). Intraoperativer
Befund mit präpariertem myokutanem Pektoralislappen (c). Vernähung
zu einem Rohr (d, e). Distale Anastomose zum Ösophagus (f) und gleiche
g
­Pa­tientin 6 Monate postoperativ (g)
160 Kapitel 21 · Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich

. Abb. 21.3 Superior gestielter myokutaner Trapeziuslappen (a Prinzip).


Intraoperativer Befund eines Patienten nach radikaler Exzision eines ausge-
dehnten Nuchalabzesses und VAC-Therapie (=»vacuum assisted closure«; b)
bzw. nach Hebung eines superior gestielten myokutanen Trapeziuslappens
(c). Postoperatives Bild des gleichen Patienten vor der stationären Entlas-
c
sung (d)

Klavikula erreicht. Der Lappen wird durch die A. thoracoacromialis M.-trapezius-Lappen. Der Trapeziuslappen kann auf 3 verschie-
gespeist. dene Arten entnommen werden. Der superior gestielte Trapezius-
lappen (. Abb. 21.3) beruht auf der A. occipitalis und paraver-
21 Gestielter M.-latissimus-dorsi-Lappen. Der Lappen basiert auf
dem thorakodorsalen Ast der A. subscapularis und kann als ge-
tebralen Perforatoren. Diese Gefäßversorgung ist am zuverlässigsten
und erlaubt die Entnahme eines Hautareals lateral über der Skapu-
stielter Lappen unter dem M. pectoralis major oder subkutan ent- laspitze.
lang des vorderen Thorax getunnelt werden. Häufige Problematik ist Der inferior gestielte Trapeziuslappen beruht auf dem abstei-
die Serombildung an der Entnahmestelle, daher ist eine ausreichend genden Ast der A. transversa cervicalis und kann als Muskellappen
lange Drainage notwendig. Nachteil dieser Technik ist die notwen- oder muskulokutaner Lappen entnommen werden. Sein Rotations-
dige intraoperative Umlagerung des Patienten, v. a. wenn anteriore punkt liegt posterior an der Basis des Halses.
Halsdefekte gedeckt werden sollen. Der lateral gestielte Trapeziuslappen basiert auf der A. transver-
sa cervicalis über dem Akromion und eignet sich zur Deckung klei-
ner lateraler Defekte.
21.3 · Rekonstruktive Ziele
161 21
Deltopektorallappen. Der Deltopektorallappen wird durch Perfo-
ratoren aus der A. mammaria interna versorgt. Vorteil ist seine gute
Formbarkeit und der relativ weite Radius, der bis zum Mund reichen
kann. Nachteilig ist die relativ auffällige Entnahmestelle.

Mundhöhle
> Hauptziele sind der Erhalt der oralen Kompetenz, des
Mundbodens und die Wiederherstellung von Sensibilität
und Mobilität im Bereich des Mundes, insbesondere, um
die Aspirationsgefahr zu minimieren.

Zungenlappen. Für kleine intraorale Defekte können Zungenlap-


pen genutzt werden, solange hierdurch die Zunge selbst nicht in
­ihrer Funktion eingeschränkt wird.

Radialislappen. Dieser eignet sich zur Rekonstruktion großer in-


traoraler Defekte. Er basiert auf der A. radialis und ihrer V. commu-
nicantes und eignet sich aufgrund seiner guten Formbarkeit und
geringen Dicke sehr gut für die Rekonstruktion der intraoralen Aus-
kleidung. Auch eine sensible Rekonstruktion ist durch Koaptation
des N. lingualis an den N. cutaneus antebrachii lateralis möglich.
Er wird zunehmend durch den anterolateralen Oberschenkellap- . Abb. 21.4 Freies Jejunumtransplantat für die Rekonstruktion von Hypo-
pen abgelöst, da dieser leichter mit geringerem Hebedefekt zu he- pharynxdefekten
ben ist.

Gestielter M.-latissimus-dorsi-Lappen. Der gestielte Latissimus-


dorsi-Lappen kann für besonders große Defekte im Bereich der 4 Hauttransplantate, mit denen die Innenauskleidung des Öso-
Mundhöhle verwendet werden. Vorteil ist hier die Lappengröße. Es phagus oder Pharynx wiederhergestellt werden kann – meist
wird auch mikrochirurgisch frei mit Einschluss von knöchernen wird zunächst ein Stent eingelegt, um zum einen die Adhärenz
Skapulaanteilen verpflanzt. des Hauttransplantates zu gewährleisten und Strikturen zu ver-
meiden.
Zunge
Bei partiellen, nicht zirkumferenziellen Defekten werden Pektora-
> Die Zielsetzung bei der Rekonstruktion der Zunge ist die
lis-, Latissimus- oder Trapeziuslappen zur Abdeckung verwendet.
Wiederherstellung der Sprache und der Schluckfunktion.
Zur Rekonstruktion von zirkumferenziellen Defekten kommen
Die Zunge heilt besonders gut, Infekte oder Narben sowie
folgende Lappenplastiken zum Einsatz:
Transplantatverlust sind selten.
4 Durch freie Jejunumtransplantation kann ein komplettes Seg-
ment ersetzt werden (Leu et al. 2008; Haughey 1994). Die Perfu-
Set-up-Operation. Bei partiellen Zungenverlusten können sog. Set- sion basiert auf Ästen der A. mesenterica, die im Bereich des
up-Operationen zur Anwendung kommen. Hierbei wird der kontra- Halses anastomosiert werden (. Abb. 21.4). Als Komplikation
laterale vordere Anteil der Zunge verwendet, um die Zungenbasis ergeben sich Veränderungen der Stimme, chronischer Mundge-
wiederherzustellen. Die Ergebnisse sind in der Regel gut, vorausge- ruch und Dysphagie.
setzt, dass zumindest einer der beiden Nn. hypoglossi erhalten ge- 4 Mit einem zum Rundstiel geformten Radialislappen lässt sich
blieben ist. ebenso eine Passage wiederherstellen. Es kommt hier jedoch
häufig zur Ausbildung von Strikturen.
Totalrekonstruktion. Eine totale Rekonstruktion der Zunge ist 4 Bei Patienten mit Tumoren unterhalb des zervikalen Anteils des
nach einer Glossektomie notwendig. Hier sind die Ergebnisse oft Ösophagus ist ein Magenhochzug möglich.
bescheiden. Zielsetzungen der Neuformung der Zunge sind der
Schutz der Atemwege, die Wiederherstellung des Schluckvorgangs Literatur
und der Artikulation sowie der Verschluss des Gaumens. Hier eig- Candela FC, Shah J, Jaques DP, Shah JP (1990) Patterns of cervical node meta-
nen sich kleine Myokutanlappen (Rectus-abdominis-Lappen, Gra- stases from squamous carcinoma of the larynx. Arch Otolaryngol Head
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Defekte im Bereich des Hypopharynx und ösophagopharyngeale
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Defekte werden in partielle und totale (d. h. in voller Zirkumferenz)
Suen JY, Goepfert H (1987) Standardization of neck dissection nomenclature.
eingeteilt. Head Neck Surg 10: 75–77
Partielle Defekte können verschlossen werden entweder durch Crile (1906) Excision of cancer of the head and neck. J Am Med Assoc 47:
4 Primärverschluss, wobei darauf geachtet werden muss, dass das 1780–1786
Lumen nicht zu sehr eingeengt wird, um eine Stenose zu vermei- Greene FL (1906) PDFI AJCC Cancer Staging Manual, 6th edn. Springer, Berlin
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162 Kapitel 21 · Prinzipien der Lappendeckung im Kopf-Hals-Bereich

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21
22

Rekonstruktion der Thoraxwand


22.1 Brustwanddefekte – 164
I. Ennker, P.M. Vogt
22.1.1 Indikationen – 164
22.1.2 Präoperative Diagnostik – 164
22.1.3 Vorbereitung und Aufklärung – 164
22.1.4 Ziele der Operation – 164
22.1.5 Operative Therapie und Planung – 165
22.1.6 Operationstechnik – 166
22.1.7 Perioperative Maßnahmen – 170
22.1.8 Postoperatives Management – 170

22.2 Defekte am Rücken – 171


A. Gohritz
22.2.1 Indikationsstellung – 171
22.2.2 Chirurgische Therapie – 171
22.2.3 Intraoperatives Vorgehen – 175
22.2.4 Nachbehandlung – 175
22.2.5 Komplikationen – 176

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
164 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

22.1 Brustwanddefekte Abgrenzung der Tumorrandzonen lokal schwer in sano zu resezie­


ren ist.
I. Ennker, P.M. Vogt Angeborene Ursachen
Im Bereich der kongenitalen Brustwanddefekte handelt es sich um
22.1.1 Indikationen individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte Veränderungen und
Deformationen. Dabei ist die Trichterbrust (Pectus excavatum) mit
Rekonstruktionen mit Lappenplastiken (axiale oder freie mikrovas­ einer Inzidenz von 1:400 bis 1:100 die bekannteste und häufigste
kuläre Lappenplastiken) sind indiziert, wenn eine Defektdeckung Deformität. In 86% dieser Fälle liegt die pathologische Veränderung
mit mehrschichtigem stabilem, gut durchblutetem Weichteilgewebe bereits im 1. Lebensjahr vor (Fonkalsrud 2003; Hecker et al.
erforderlich ist. 1988a, b).
Mögliche Ursachen für Brustwanddefekte zeigt die . Übersicht. Das Gegenstück zur Trichterbrust ist die Kielbrust (Pectus cari-
natum), auch als Hühnerbrust (Pectus gallinatum) bezeichnet. Wei­
tere therapiewürdige Anomalien können beim Marfan-Syndrom
Ursachen für Brustwanddefekte
sowie dem Poland-Syndrom auftreten (Colombani 2003).
4 Infektionen
4 Tumorerkrankungen
4 Bestrahlungsschäden 22.1.2 Präoperative Diagnostik
4 Voroperationen
4 Traumata Als diagnostische Maßnahmen werden neben der ausführlichen
4 Angeborene Defekte Anamnese und klinischen Untersuchung bildgebende Verfahren wie
Sonographie, TEE, CT und MRT eingesetzt, die Aufschluss über
mögliche Tumoren, Infektionen sowie über deren Ausmaß geben.
Infektion Der Gefäßstatus muss zur Operationsplanung abgeklärt sein, insbe­
Eine häufig anzutreffende Indikation stellt dabei die postoperative sondere wenn die Patienten voroperiert sind oder eine periphere
Infektion nach kardiochirurgischen Eingriffen als Mediastinitis arterielle Verschlusskrankheit aufweisen. Geeignete Maßnahmen
und/oder Sternumosteomyelitis dar, die in bis zu 5% auftritt und sind die Doppleruntersuchung, Angiographie und die DSA.
einen deutlichen Anstieg der Mortalität und Morbidität verursacht. EKG, Thoraxröntgenaufnahme und Lungenfunktionsprüfung
Spezielle Risikofaktoren hierfür sind sind obligat. Zusätzlich müssen Infekt- und Gerinnungsparameter,
4 Übergewicht und Diabetes mellitus, Leber- und Nierenwerte, der Elektrolytstatus sowie die Blutgruppen­
4 allgemeine Infektionen und Immunsuppression, serologie erfasst werden. Bei Risikopatienten sollte die Indikation zu
4 Verwendung beider Aa. mammariae internae (die das Sternum einer kardiologischen Abklärung großzügig gestellt werden.
versorgen),
4 Operationstechnik und Operationsverlauf sowie
4 Notfalloperationen. 22.1.3 Vorbereitung und Aufklärung
Defekte können ebenso durch maligne und benigne Primärtumoren In der präoperativen Phase ist der Patient neben den allgemeinen
wie durch Metastasierung bedingt sein oder durch lokoregionales über die eingriffsspezifischen Risiken am Thorax aufzuklären, hier
invasives Wachstum entstehen. vorrangig über postoperative Ateminsuffizienz und die Notwendig­
Die bei Infektionen am häufigsten anzutreffenden Infektions­ keit intensivmedizinischer Überwachung.
erreger sind Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis, Bei viszeraler Beteiligung sind evtl. geeignete Abführmaßnah­
Enterokokken, Pseudomonaden und Serratia marcescens. men wie prograde Darmspülungen durchzuführen. Die Rasur des
Operationsgebietes erfolgt, um die Infektionsrate zu minimieren,
Benigne Tumoren zeitnah zur Operation.
Unter den gutartigen Neoplasmen der Brustwand werden meist
> Bei Thoraxeingriffen ist eine intensive atemtherapeutische
Osteochondrome oder fibröse Dysplasien angetroffen. Dorsal im
Vorbehandlung obligat, um postoperativen Ventilations-
Skapulabereich lokalisiert stellt das Elastofibroma dorsi eine spe­
problemen vorzubeugen.
zielle Entität benigner Tumoren dar. Diese lassen sich durch die lo­
kale Entfernung in der Regel ausreichend therapieren.

Maligne Tumoren 22.1.4 Ziele der Operation


Der häufigste primäre maligne Tumor der Brustwand ist das Chon­
drosarkom, bei dem eine Metastasierung in die Lunge nicht sel­ Es ist nicht zwingend notwendig, bei einer Brustwandresektion eine
ten ist. starre Rekonstruktion der Thoraxwand durchzuführen, weil oftmals
An erster Stelle im Plastisch-chirurgischen Krankengut steht das die Rekonstruktion mit Nylon-Netzen, die lokale muskuläre Situa­tion
22 Mammakarzinom, welches infolge einer lokoregionären Metastasie­ und die verbliebenen Skelettanteile eine ausreichende Stabilität ge­
rung und lokoregionären invasiven Rezidivwachstums große Anfor­ währleisten. Eine paradoxe Beweglichkeit des Thorax sollte aber nach
derungen an radikale Resektion und Rekonstruktion darstellt. Möglichkeit vermieden werden, um respiratorischen Insuffi­zienzen
Als semimaligner, aber lokal destruierender Tumor ist die agres­ und damit verbundenen pulmonalen Infektionen vorzubeugen sowie
sive Fibromatose bzw. das Desmoid eine problematische Tumoren­ eine ungestörte Einheilung der Rekonstruktion zu ermöglichen.
tität, die bei entsprechender Tumorgröße wegen der kaum mög­ Weniger die Art der Stabilisierung als vielmehr die »Opferung«
lichen makroskopischen und nur sehr schwierigen histologischen wichtiger Atemhilfsmuskeln bedingen postoperative Ateminsuffizi­
22.1 · Brustwanddefekte
165 22
enzen. Als unproblematisch gilt die Verwendung des M. pectoralis
und des M. latissimus dorsi, wohingegen abdominelle Muskeltrans­ . Tab. 22.1 Rekonstruktionsmöglichkeiten der vorderen Thorax-
plantate (VRAM, TRAM) die Lungenventilation schwächen. Eine wand
Untersuchung der Parameter (FEV1) und FEV1/FVC-Ratio an 45 Pa­
tienten am Operationstag und 10,6 Monate nach der Rekonstruktion Defektlokalisation Rekonstruktionstechnik
zeigte einen Anstieg von FVC and FEV1 um 8,4% bzw. 9,2%. Schmer­
Sternal 4 M.-pectoralis- (Advancement-, Turnover-,
zen waren reduziert. und darunter besserte sich die mittlere FVC and Transpositions-) Lappen
FEV1 auf 60% gegenüber den präoperativen Werten. Eine Rekons­ 4 M.-pectoralis-rectus-abdominis-Brücken-
truktion mit Muskellappen erhöhte die FEV1 and FVC um 8,6% and lappen
7,3%. Im Langzeitverlauf zeigte sich eine Lungenfunktionsstörung 4 »Zyklopenbrust«
mit einer Restriktion um ca. 20%. 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
Die geringste Einschränkung der Lungenfunktion fand sich da­ 4 M.-rectus-abdominis- (TRAM-, VRAM-)
bei bei Verwendung von M. pectoralis major gegenüber der Rekons­ Lappen (gestielt, frei)
truktion mittels M. rectus abdominis (Cohen et al. 1997). 4 M.-tensor-fascia-latae-Lappen (frei)
4 anteriorer Oberschenkellappen (ALT, frei)
4 Omentum majus (gestielt)
Ziel der Rekonstruktion
Parasternal/seitliche 4 Fasziokutaner Transpositionslappen
4 Débridement allen infizierten und nekrotischen Materials Thoraxwand 4 Thorakoepigastrischer Lappen
4 Deckung der vitalen Strukturen 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
4 Wiederherstellung der Funktionalität durch 4 M.-serratus-Lappen
– Stabilisierung des knöchernen Thoraxdefektes mittels 4 M.-rectus-abdominis- (TRAM-, VRAM-)
Netz Lappen (gestielt, frei)
4 M.-tensor-fascia-latae-Lappen (frei)
– Plombierung von leeren Körperhöhlen (Resthöhlen)
4 Anteriorer Oberschenkellappen (ALT, frei)
4 Berücksichtigung ästhetischer Aspekte
4 Omentum majus (getielt)
4 (M.-trapezius-Lappen bei kranialen,
dorsalen Defekten)

Axillär/Schulter 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
22.1.5 Operative Therapie und Planung 4 Paraskapularlappen
4 Skapulalappen
Die operative Rekonstruktion ist prinzipiell erreichbar über: 4 M.-serratus-anterior-Lappen
4 autologes Gewebe: freie und gestielte Muskellappen, Faszie, 4 M.-pectoralis-Lappen (gestielt an
freie oder vaskularisierte Rippen-Grafts, A. thoracoacromialis)
4 synthetisches Material: Teflon-, Acryl- und Prolene-Netze, 4 Dorsaler Oberarmlappen
Gore-Tex-Interponate, 4 Dorsale Filetlappen oder Spare-part-
4 »composite mesh«: Marlex-Netze. Transplantate (freier osteokutaner Unter-
armfiletlappen) bei Schulter-/Oberarm-
amputation
Die meisten Brustwanddefekte lassen sich mit ortsständigem mus­
kulokutanem Gewebe therapieren, bei infektbedingten Defekten Mikrochirurgischer 4 A. mammaria interna
nach Sternotomie und anderen vorderen Brustwanddefekten meist Anschluss 4 A. thoracoacromialis
durch den M. pectoralis major. 4 »Thoraxwandast« der A. thoracodorsalis
4 AV-Loop (V. brachiocephalica → A. axilla-
> Diese Infektionen erfordern eine radikale Exzision aller ris, A. thoracoacromialis)
avitalen, infizierten und nekrotischen Gewebeanteile.
Fremdmaterial, wie z. B. Draht-Cerclagen, müssen entfernt
werden.
Für eine funktionell zufriedenstellende Rekonstruktion ist eine
Bei kurz zurückliegendem kardiochirurgischem Eingriff und unzu­ ausreichende Stabilität des knöchernen Thorax erforderlich. Hier
reichender Bindegewebeplatte zwischen Herz und Sternum muss kann die Weichteildeckung ausreichen, bei zu ausgedehnten knö­
eine Restabilisierung des Sternums mit Cerclagen oder PDS-Kordel chernen Defekten oder unzureichendem Weichteilmantel stehen
erfolgen, um eine Verletzung des Herzens durch die scharfen Ster­ autogene oder synthetische Materialien zur Verfügung.
numkanten zu verhindern. Erst bei Keimfreiheit erfolgt dann die An körpereigenem Material kommen grundsätzlich Rippen
Deckung mit vitalem Gewebe. Bis zur Infektfreiheit hat – als additive oder Beckenkamm zur Stabilisierung zum Einsatz, an synthetischen
Interimsmaßnahme – die Vakuumtherapie einen festen Stellenwert Materialien Prolene-, Gore-Tex- oder Marlex-Netze zum Einsatz. Im
(Ennker et al. 2009). eigenen Vorgehen verzichten wir auf starre Rekonstruktionen, wie
Als weitere Optionen stehen der M. latissimus dorsi und der z. B. die von Thoraxchirurgen gern verwendeten Pallacos-Implan­
M. rectus abdominis, rein muskulär oder muskulokutan, zur Verfü­ tate, und erzielen mit Nylon- (Prolene-) Netzen eine ausreichende
gung. Prinzipiell können diese Lappen frei oder als Insel-, Verschie­ Stabilität.
be- oder Rotationsplastiken eingesetzt werden (Hugo et al. 1994; Kavitäten, z. B. Postpneumektomiehöhlen oder insuffiziente
Latham et al. 2006), und diverse freie Lappentransplantate der un­ Bronchusstümpfe, erfordern größere voluminöse Transplantate.
teren Extremität sind einsetzbar. Aufgrund der in Rückenlage am Hier kommen vorrangig der gestielte M. latissimus dorsi, M. rectus
besten erreichbaren Lokalisationen sind als freie Lappen der Tensor- abdominis oder das Omentum majus in Frage.
fasciae-lata- und ALT-Lappen praktikabel. Eine Synopsis inkl. der
mikrovaskulären Anschlusssituation gibt . Tab. 22.1 wieder.
166 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

Die Optionen der lokoregionären plastischen Defektdeckung


der Thoraxwand bei Thoraxwanddefekten zeigt . Abb. 22.1.

22.1.6 Operationstechnik

Fasziokutane Transpositionslappen. Bei lokal unbestrahlter Haut


bilden große, einfache Verschiebeschwenk-, oder Transpositions­
lappen eine effiziente Deckungsmöglichkeit (. Abb. 22.2). Der He­
bedefekt wird, falls möglich, entweder primär oder durch Spalthaut­
transplantat verschlossen.

M.-pectoralis-major-Lappen. Der M. pectoralis eignet sich am bes­


ten, um Vorderwanddefekte der Brustwand zu verschließen, v. a. hat
er sich bei der Rekonstruktion von tiefen Wundinfektionen nach
medianer Sternotomie (Sternumosteomyelitis) bewährt.
Die Gefäßversorgung erfolgt über die A. und V. thoracoacromi­
alis. Möglich ist ein myokutaner und osteomyokutaner (Rippen-)
Lappen.
Bei der Hebung des axialen Lappens sind folgende Techniken
möglich:
4 Uni- oder bilateraler Lappen, mit oder ohne Desinseration des
Ansatzes am Humerus (ohne subkutane Mobilisierung).
Die Desinseration erfolgt bevorzugt am nichtdominanten Arm
und kann durch eine 2. Inzision über dem Sulcus deltoideus pec­
toralis erleichtert werden.
4 Lappen mit kompletter Auslösung von Ansatz und Ursprung
sowie subkutaner Abpräparation und alleinigem Verbleib am
thorakoakromialen Gefäßstiel. Der Lappen ist dann sehr mobil
und kann in den Defekt hineinverlagert werden (. Abb. 22.3).
4 Turnover-Lappen, bei dem der Muskel am humeralen und kla­
vikulären Ansatz sowie dem Gefäßstiel komplett abpräpariert
wird und nur an den sternalen Perforatoren verbleibt (kommt
. Abb. 22.1 Optionen der lokoregionären plastischen Defektdeckung der bei Sternumdefekten meist nicht zum Einsatz, da die abhängige
Thoraxwand bei Thoraxwanddefekten. 1 = M.-latissimus-dorsi-Lappen; Lappenversorgung fehlt). Der so gehobene Lappen kann dann
2 = Omentum majus; 3 = transverser M.-rectus-abdominis-Myokutanlappen von lateral nach medial in den Defekt verlagert werden. Nachteil
(TRAM); 4 = M.-pectoralis-major-Lappen; 5 = M.-trapezius-Lappen; 6 = ge- ist ein medial gelegener Wulst, der ästhetisch störend sein
stieltes Oberarmfilet; 7 + 8 = mikrovaskuläre Unterarmfilets (Radialislappen,
kann.
osteomyokutaner Lappen); 9 = kontralaterale Mamma mit M. pectoralis
major und Latissimusarkade. (Aus Steinau et al. 1997)
Bei der M.-pectoralis-Lappenplastik ist das kaudale Drittel des Ster­
nums schwer zu bedecken. Hier empfiehlt sich die sog. »Brückenlap­
pentechnik«, bei der der kaudale M. pectoralis in Kontinuität mit
Reservelappenplastiken dem M. rectus abdominis verlagert wird.
Zum Auffüllen größerer Defekthöhlen, insbesondere im distalen
Drittel des Sternumdefektes, eignet sich ein Omentumhochzug. Der M.-latissimus-dorsi-Lappen. Die Lappenplastik mit dem M. latiss­
Nachteil hierbei ist die Notwendigkeit eines Zweihöhleneingriffs. mus dorsi ist eine vielseitig einsetzbare und sichere Technik. Der
Lappen wird von der A. thoracodorsalis und von weiteren sekundä­
! Cave
ren lumbalen und interkostalen Arterien versorgt. Der M. latissimus
Bei allen synthetischen Rekonstruktionen besteht ein er-
dorsi ist ein großflächiger Muskel und eignet sich gut für ausgedehn­
höhtes Infektionsrisiko, eine antibiotische Abdeckung ist
te Defekte, v. a. als gestielte Lappenplastik, zum Wiederaufbau der
daher routinemäßig durchzuführen.
Brustwand und der ipsilateralen Thoraxwand. Als freier mikrovas­
Im eigenen Vorgehen bevorzugen wir wegen der besseren bindege­ kulärer Lappen kann er nahezu die gesamte vordere, seitliche und
webigen Einwachsung ein Nylon-Netz. hintere Brustwand bedecken (. Abb. 22.4). Nachteilig ist die für
die zentral anteriore Platzierung notwendige Umlagerung des Pati­
> Einer Rekonstruktion mit körpereigenem Gewebe ist im-
enten.
22 mer der Vorzug zu geben.
Bei sehr ausgedehnten Befunden und notwendiger Amputation der ! Cave
oberen Extremität bilden Filetlappen der dorsalen Schulter-Ober­ Bei der Umlagerung des Patienten von Seit- auf Rücken­
arm-Region oder freie, sog. Spare-part-Transplantate (z. B. osteoku­ lage ist größte Sorgfalt erforderlich, um nicht den Lappen-
taner Unterarmlappen) wertvolle Möglichkeiten für eine ausreichen­de stiel zu schädigen.
lokale Radikalität und auch den Aufbau einer knöchernen Schulter­
kontur wie nach interskapulothorakaler Amputation (ISTA).
22.1 · Brustwanddefekte
167 22

. Abb. 22.2a–c Deckung eines vollschichtigen Defektes (Weichteil und


4 Rippen) nach Resektion eines malignen Thoraxwandtumors. a Fasziokuta-
ner Transpositionslappen (über paraspinalen Perforator des 4. ICR bzw. inter-
kostale Perforatoren versorgt) zur Defektdeckung nach Prolene-Netz-Stabili-
b
sierung (b) der Thoraxwand. c Klinisches Resultat

M.-rectus-abdominis-Lappen. Die Gefäßversorgung erfolgt über Hinterkopfbereich. Er findet als horizontaler fasziokutaner Lappen
die A. und V. epigastrica superior und inferior und über Inter­ oder als vertikaler myokutaner Insellappen Verwendung. Bei der
kostalgefäße. Der M. rectus abdominis kann als kranialer gestielter Präparation des Muskels muss auf die Vermeidung von Nervenver­
muskulokutaner TRAM- (transversaler Rectus abdominis) oder letzungen, insbesondere der Spinalnerven, geachtet werden.
VRAM-Lappen (vertikaler Rectus abdominis) eingesetzt werden
(. Abb. 22.5). M.-serratus-anterior-Lappen. Die Gefäßversorgung erfolgt über
Die Hauptindikationen sind: die A. und V. thoracodorsalis. Der Serratus kann als axialer Lappen
4 uni- oder bilateraler Aufbau der Brust, zur Rekonstruktion der Brustwand bei kleineren Weichteildefekten
4 Rekonstruktion der unteren Thoraxwandabschnitte, herangezogen werden, sein Einsatz ist jedoch durch seine anato­
4 Defekte des Sternums (als kranial gestielter Muskellappen). mische Lage, Größe und die Rotationsbeschränkung limitiert. Der
Serratus kann bei Mitnahme des lateralen Anteils der VI. Rippe auch
Bei ausreichendem Hautmantel kann der Hebedefekt direkt ver­ als osteomuskulärer und als muskulokutaner Lappen verwendet
schlossen werden, wobei eine ästhetisch störende Wulstbildung ent­ werden. Er findet eher als freier Lappen für die peripheren Extremi­
stehen kann. Bevorzugt sollte der M.-rectus-abdominis-Lappen täten Verwendung. Bei kompletter Entnahme resultiert eine Scapula
Verwendung finden bei intakter ipsilateraler A. mammaria interna. alata.
In bestimmten Fällen kann dieser Lappen auch nach Entfernung
der Brustarterien genutzt werden; die kollaterale Blutversorgung Omentum-majus-Lappen. Die Versorgung erfolgt über die Aa. und
über Interkostalgefäße kann ausreichen, die Perfusion der Hautinsel Vv. gastroepiploica dextra und sinistra. Aufgrund seiner guten Vas­
ist jedoch dann weniger zuverlässig. In Zweifelsfällen ist die freie kularität und Füllmöglichkeiten bei distalen thorakalen Defekten
mikrovaskuläre Verpflanzung indiziert. werden Lappenplastiken mit dem großen Netz gern in thoraxchirur­
gischen Abteilungen verwendet. Omentum-majus-Plastiken werden
M.-trapezius-Lappen. Die Gefäßversorgung erfolgt über die an der linken oder rechten A. gastroepiploica gestielt und von der
A. dorsalis scapulae und 2 Begleitvenen. Der M. trapezius wird eher großen Kurvatur des Magens und vom Querkolon abgelöst. Dabei
genutzt als gestielter Lappen für Defekte an Schulter-, Hals- und sollte ein Gefäßstiel von bis zu 12 cm, ausgehend von der A. gastro­
168 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

. Abb. 22.3a–c M.-pectoralis-Lappenplastik mit kompletter Mobilisierung


zur medianen Bedeckung des Perikards nach radikal débridiertem Sternum-
infekt (a, b). Die Hautnekrose nach initialem Primärverschluss wurde über
b
gut durchblutetem Muskel mit Spalthaut bedeckt (c)

a b

22
. Abb. 22.4a–c Tiefer Defekt des mittleren und unteren Sternumdrittels (a).
Planung eines mit schräg orientierter Hautinsel gehobenen Latissimus-dorsi-
Lappens (b). Ventral verlagerter M. latissimus-Myokutanlappen mit präpek-
toralem Durchzug und sichtbarer präaxillarer Inzision nach humeraler Desin-
c
sertion (c)
22.1 · Brustwanddefekte
169 22

a b

. Abb. 22.5a–d Ausgedehnter vollschichtiger Defekt nach nahezu subto-


taler Resektion der Thoraxvorderwand mit freiliegendem Herzen bei ent-
ferntem Perikard nach transthorakal infiltrierendem Mammakarzinom (a, b).
Defektdeckung mit einem an die linke A. und V. subclavia über Veneninter-
ponat angeschlossenen freien TRAM-Lappen. Die Stabilisierung der Thorax-
d
wand erfolgte mittels Prolene-Netz und Omentum-majus-Transplantat (c, d)

epiploica, erhalten bleiben. In der Regel belässt man die rechte zeichnet ist. Sie lässt sich in eine chondromanubriale Form und in
A. gastroepiploica, da diese einen größeren Durchmesser aufweist. eine chondrogladiolare Form unterteilen (Latham et al. 2006; Hecker
Bei der Herausnahme des Lappens muss besondere Sorgfalt auf die et al. 1988a).
Zugempfindlichkeit dieses Gewebes gelegt werden, um Schäden am
umliegenden Gewebe zu vermeiden. Pectus excavatum. Der Begriff Trichterbrust wurde erstmalig von
Für den Patienten besteht jedoch auch hier die Nachteile eines Ebstein (1882) genutzt. Er beschreibt eine dorsale Verlagerung der
Zweihöhleneingriffs und des sekundären epigastrischen Hernien­ vorderen Thoraxwand kaudal der Manubrium-Corpus-sterni-Ver­
risikos. Ein weiteres Problem, das die lokale Zone der Defektde­ bindung mit einer Beteiligung der Ringknorpel von der III–VII. Rip­
ckung beeinflusst, ist die langwierige Sekretion sowie evtl. die Not­ pe. Die individuellen Ausprägungen können sehr unterschiedlich
wendigkeit von Hauttransplantaten. Ästhetisch besser und unkom­ sein, zeigen aber vielfach nach rechts verlagerte Asymmetrien und
plizierter sind fasziokutane oder Hautmuskellappen, die im eigenen stark vorgewölbte Rippenbögen, die oft zu einer typischen asthe­
Vorgehen bevorzugt werden. nischen und nach vorn geneigten Körperhaltung führen (Hecker et
Die wichtigsten Rekonstruktionsoptionen in der Übersicht zeigt al. 1988b; Sigalet et al. 2003; Bawazir et al. 2005).
. Tab. 22.1.
Marfan-Syndrom. Im Zuge des Marfan-Syndroms und seiner Bin­
Defektrekonstruktionen bei angeborenen degewebsanomalien kann es neben den typischen kardiovaskulären
Fehlbildungen Ausprägungen auch zu einer Einbeziehung des Skelettsystems mit
Pectus carinatum. Die Kielbrust (oder auch Hühnerbrust genannt) Ausbildung einer Trichter- oder Kielbrust kommen. Eine Korrektur
ist eine kongenitale Fehlbildung der Brustwand, die durch ein Vor­ erfolgt aus ästhetischen Erwägungen oder bei schwerer kardiopul­
springen des Throrax im Bereich des vorderen Sternums gekenn­ monaler Dysfunktion. Die Rekonstruktion ergibt sich aus dem pa­
170 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

tischen Chirurgen ausgeführte Korrektur besteht aus ästhetischer


Indikation in Form von submuskulär eingelegten und maßangefer­
tigten (»custom made«) Silikonimplantaten (. Abb. 22.6). In neue­
rer Zeit wird auch von guten Ergebnissen nach repetitivem Lipofil­
ling berichtet.

Poland-Syndrom. Merkmal des Poland-Syndroms (benannt nach


dem englischen Chirurgen Alfred Poland; 1841) sind eine einseitige
Agenesie oder Hypoplasie des M. pectoralis (am häufigsten des ster­
nokostalen Anteils) und Anomalien der ipsilateralen Hand bis hin
zu Symbrachydaktylie. Das Poland-Syndrom ist eine komplexe Fehl­
bildung unklarer Ursache. Berichtet wurde auch über verschiedene
Anomalien der Mamma und Mamille und das Fehlen weiterer
Schultermuskeln. Die Prävalenz bei Geburt ist etwa 1–3:100.000.
Das männliche Geschlecht ist häufiger betroffen als das weibliche.
Das Poland-Syndrom tritt meist sporadisch auf, selten wurden fami­
a
liär gehäufte Fälle mit autosomal-dominanter Vererbung berichtet.
Für das Poland-Syndrom wird eine vaskuläre Ursache angenommen,
z. B. eine Hypoplasie der A. subclavia. (Golladay u. Golladay 1997;
Colombani 2003). Das Poland-Syndrom tritt gelegentlich zusam­
men mit dem Moebius-Syndrom, einer angeborenen Lähmung der
Gesichtsmuskulatur, auf (Kuklik 2000).
Die plastische muskuläre Rekonstruktion erfolgt in der Regel
durch den ipsilateralen M.-latissimus-dorsi-Lappen. Die Hebung
des Lappens kann auch minimalinvasiv erfolgen.
Je nach Ausprägung einer Skelettdeformität kann eine Stabilisie­
rung mit Marlex- oder Prolene-Netz additiv notwendig sein. Even­
tuell müssen subperichondrale Knorpelkorrekturen oder interdis­
ziplinäre Sternumosteotomien sowie deren Rotationen allein oder in
Kombination den Eingriff komplettieren.
Bei weiblichen Patienten steht das teilweise oder komplette Feh­
len der Brust im Vordergrund, hier ist dann eine Brustrekonstrukti­
on indiziert.

22.1.7 Perioperative Maßnahmen


b
Eine Antibiotikaprophylaxe mit einem Cephalosporin der 1. Gene­
ration sowie eine Antikoagulation sind obligatorisch. Das Antibioti­
kum sollte 1 h vor Operationsbeginn intravenös verabreicht werden,
um einen entsprechenden Wirkspiegel zu erreichen.

22.1.8 Postoperatives Management

Zum Monitoring von Lappenplastiken wird auf 7 Kap. 12 ver­


wiesen.
Im Zuge der postoperativen Nachsorge muss insbesondere auf
mögliche Nachblutungen in den Operationsgebieten geachtet wer­
c den sowie auf Anzeichen einer beginnenden Infektion. Im Fall einer
Infektion sollte ein mikrobiologisches Monitoring erfolgen und die
. Abb. 22.6a–c Ästhetische Rekonstruktion bei Trichterbrust durch maß- Antibiotika nach Antibiogramm verabreicht werden. Frühzeitige
angefertigtes Silikonimplantat bei Marfan-Syndrom. Platzierung unter dem chirurgische Interventionen sind angezeigt.
M. pactoralis
> Größere Hämatome sollten frühzeitig ausgeräumt werden.

22 thologischen Hintergrund. Sowohl bei der Trichter- wie auch der Bei der Heparingabe muss auf die vorherige Medikation des Patien­
Hühnerbrust zeigt sich vermehrtes pathologisches Wachstum des ten geachtet werden. Dies spielt insbesondere bei vorherigen Klap­
Knorpel-Rippen-Ansatzes, das zu der typischen Einziehung oder penoperationen und bei Herzrhythmusstörungen eine Rolle. Die
Vorwölbung des Thorax führt. Mobilisation des Patienten sollte möglichst frühzeitig erfolgen, und
Die operative Rekonstruktion dieser Deformität erfordert eine zwar in der Regel innerhalb der ersten 24 h nach der Operation.
Reposition des Sternums durch multiple Osteotomien des selben Insbesondere ist auf eine ungestörte Magen-Darm-Passage zu ach­
und der angrenzenden mitbetroffenen Rippenanteile. Die von Plas­ ten und die orale Alimentation frühzeitig anzustreben, wobei eine
22.2 · Defekte am Rücken
171 22
S­ ubileus- und Ileussymptomatik zuvor auszuschließen ist. Dies be­ Meist werden diese Defekte mittels lateralem Haut-/Weichteil-Ad­
zieht sich v. a. auf Patienten mit intraperitonealem Operationszugang. vancement oder Brückenlappen durch Neurochirurgen versorgt,
nur etwa 25% erfordern eine Plastisch-chirurgische Deckung.
> Essenziell ist ein intensives Atemtraining zur Prävention
von Pneumonien.
Angeborene Pigmentnävi. Sie treten nicht selten am Rücken auf.
Da ein Lebenszeitrisiko einer malignen Entartung von ca. 15% gege­
ben ist, wird eine frühzeitige komplette Exzision empfohlen, am
22.2 Defekte am Rücken besten im Kleinkindalter. Häufig ist eine Rekonstruktion durch
mehrfache Gewebeexpansionen möglich, die Expander werden
A. Gohritz ober- und unterhalb der Läsion platziert. Die Perfusionssicherheit
der gewonnenen Hautlappen kann durch Einbeziehung von paraspi­
Defekte im Bereich des Rückens erfordern oft komplexe Rekons­ nalen Perforatorgefäßen erhöht werden.
truktionstechniken, die sich in den vergangenen Jahrzehnten durch
ein besseres Verständnis der Anatomie, v. a. hinsichtlich der Angio­ Erworbene Defekte
some, stetig fortentwickelt haben. Früher oft verwendete Techniken, Diese resultieren am häufigsten aus
wie z. B. die weite Unterminierung großer Hautlappen mit Wund­ 4 Unfällen,
verschluss unter Spannung haben aufgrund ihrer hohen Komplika­ 4 Infektionen,
tionsrate an Bedeutung verloren. 4 Verbrennungen,
Ziel moderner Techniken, besonders Lappenplastiken, die auf 4 Strahlenulzera,
Muskel- und Perforatorgefäßen basieren, ist eine einzeitige, sichere 4 Tumorresektionen und
Einbringung von gut perfundiertem Gewebe, die so zu einer stabilen 4 Druckgeschwüren (Dekubitus).
Wundbedeckung trotz der besonderen mechanischen Anforde­
rungen am Rücken führt.
22.2.2 Chirurgische Therapie
22.2.1 Indikationsstellung Die Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens ist abhängig von
4 Größe,
Analyse der Defektsituation 4 Lokalisation,
Neben der Ätiologie und dem Ausmaß des Defektes ist die Lokalisa­ 4 Defektausmaß,
tion des Defektes (oberer, mittlerer oder unterer Rücken) ein wich­ 4 vorheriger Therapie (Operationen und Bestrahlung) sowie
tiger Faktor bei der Entscheidung, mit welchem Verfahren, v. a. mit 4 verfügbarem Restgewebe.
welcher Lappenplastik, die Rekonstruktion erfolgen soll.
Prinzipiell basiert die Operationsplanung auf einer eingehenden
Therapieentscheidung Anamnese und Untersuchung des Patienten und, wenn nötig, Bei­
Nach Casas u. Lewis (1995) wird ein oberer (C3 bis T7), mittlerer ziehung anderer Fachrichtungen, z. B. der Neurochirurgie, Infektio­
(T7 bis L1) und unterer Bereich (L1 bis S5) unterschieden. Bei der logie, Inneren Medizin (Pulmonologie) und Ernährungsberatung.
Wundbeurteilung ist auf eine Infektion, nekrotisches Gewebe sowie Eine Defektdeckung kann erst nach kompletter Entfernung aller
Exposition von Osteosynthesematerial, Knochen- oder Duraanteile nekrotischen und infizierten Anteile von Weichteilen, Knorpel und
zu achten. Knochen erfolgen.

Defektursachen > Ziel ist es, möglichst durch einzeitige Operation und in-
nerhalb kürzester Zeit eine stabile Wundbedeckung zu
Defekte im Bereich des Rückens können in angeborene und erwor­
erreichen.
bene Ursachen unterteilt werden.
Zum Überblick über die Rekonstruktionsmöglichkeiten kann
Angeborene Defekte . Tab. 22.2 dienen.
Spina bifida. Diese ist mit ca. 1 von 800 Geburten der häufigste
Geburtsdefekt des zentralen Nervensystems und durch eine inkom­ Rekonstruktionsmethoden
plette Fusion der dorsalen Wirbel bedingt. Es werden 2 Formen un­ Die Rekonstruktionsmethoden reichen je nach Art des Defekts von
terschieden: der einfachen Spalthauttransplantation über lokale Lappenplastiken
4 Spina bifida aperta (cystica), bis hin zu mikrochirurgischen Gewebetransplantationen.
4 Spina bifida occulta.
Hauttransplantationen
Bei der Spina bifida cystica können 4 verschieden Varianten vor­ Diese eignen sich nur für oberflächliche Defekte, sind aber wegen
liegen: der Scherkräfte und Druckbelastung am Rücken oft zu wenig stabil.
4 Meningozele, Ihre Einheilung ist insbesondere in bestrahlten Gebieten unsicher.
4 Myelomeningozele,
4 Syringomyelozele, Lokale Lappenplastiken
4 Myelozele. Limberg- (Rhomboid-) Lappen. Rhomboidlappen können zur
Deckung kleiner Defekte am Rücken oder in der Sakralregion ver­
Außer bei der Myelozele ist die epitheliale Bedeckung der neuralen wendet werden. Ihre Blutversorgung beruht auf dem subdermalen
Elemente intakt. Ziel ist eine Deckung mit gut durchblutetem Gewe­ Gefäßplexus. Sie können bei kleinflächigen Defekten, z. B. ober­
be, um epitheliale Einrisse und nachfolgende Infekte zu vermeiden. flächlichen sakralen Dekubiti, angewandt werden (. Abb. 22.7).
172 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

. Abb. 22.7a–d Limberg-Lappen an der mittleren dorsalen Thoraxregion.


Zustand nach nach inkompletter Exzision eines Hämagioms (a). Nach Exzi­
b
sion (b) Defektdeckung durch Limberglappen (c, d)

Rotationslappen. Sie sind für größere Defekte einsetzbar, die eine spinosi auf beiden Seiten erhalten, er reicht 2–3 cm über die gegen­
dickere Bedeckung mit sicher durchblutetem Gewebe erfordern. überliegende Grenze der paraspinalen Muskeln hinaus. Vorteilhaft
Mit dem glutäalen Rotationslappen können tiefere sakrale Wunden ist die schnelle und relativ blutarme Hebung, bei der kein Muskel
verschlossen werden, z. B. bei Dekubitus, Bestrahlungsulkus oder gehoben werden muss. Nachteilig sind die geringe Dicke, die unsi­
Meningomyelozele. Es handelt sich um einen inferior gestielten chere Durchblutung der Lappenspitze, der geringe Rotationsbogen
Haut-Fett-Lappen, der ein Längen-Breiten-Verhältnis von 1:1 er­ und die Unmöglichkeit, die Hebestelle primär zu verschließen.
laubt.
Interkostalisinsellappen. Hierbei handelt es sich um einen zuver­
> Es empfiehlt sich, den Lappen eher größer zu planen.
lässigen, stabilen und sensiblen Insellappen, nützlich v. a. bei quer­
schnittsgelähmten Patienten. Prinzipiell kann jedes interkostale Ge­
Thorakolumbaler Lappen. Diese Lappenplastik ist medial gestielt fäß-Nerven-Bündel verwendet werden, eine Defektdeckung ist da­
und kann aus dem hinteren thorakalen, lumbalen oder glutäalen her vom Nacken bis zum Os sacrum möglich. Die Breite des Lappens
Bereich gehoben werden. Er basiert auf Perforatoren der interkosta­ ist begrenzt, wenn die Hebestelle primär verschlossen werden soll.
22 len und lumbalen Gefäße und kann ebenso zur Bedeckung sakraler
Wunden verwendet werden. Skapular- und Paraskapularlappen. Die A. circumflexa scapulae
ist das dominante versorgende Gefäß dieser beiden Lappenplastiken.
Transverser lumbosakraler Rückenlappen. Dieser Lappen ist eine Der Skapularlappen besitzt eine horizontal ausgerichtete Hautinsel,
gute Alternative zur Deckung von mittleren bis großen Defekten im der Paraskapularlappen eine vertikale. Bei primärem Verschluss der
Bereich der unteren lumbalen, sakralen und kokzygealen Region. Hebestelle ist eine Lappenbreite je nach Hautelastizität von bis zu
Bei der Hebung wird der Gefäßstiel seitlich entlang der Mm. para­ 10–12 cm möglich.
22.2 · Defekte am Rücken
173 22
4 Bilaterale Vorschublappen: Diese basieren beidseits auf dem
. Tab. 22.2 Rekonstruktionsmöglichkeiten der dorsalen Rumpfregi- thorakodorsalen Gefäßstiel und können Defekte in der Rücken­
on. Fettgedruckt die primären Optionen gestielter Lappenplastiken in mitte bedecken, ohne dass ihre Insertion abgelöst werden
den drei Hauptdefektzonen muss.
4 Reverse M.-latissimus-dorsi-Lappen: Der Muskel wird neben
Defektlokalisation Rekonstruktionstechnik
seiner thorakodorsalen Hautversorgung auch von praraspinalen
Zervikal 4 M.-trapezius-Lappen
Perforansgefäßen versorgt, hauptsächlich aus den 9.–11. Inter­
4 M.-latissimus-dorsi-Lappen kostalgefäßen. Diese Perforatoren treten etwa 5 cm von der Mit­
4 Freie Lappen tellinie entfernt nach oben, der Lappen kann an diesen Gefäßen
gestielt auch nach hinten verlagert werden. Die humerale Inser­
Thorakal 4 M.-trapezius-Lappen
tion des Muskels wird durchtrennt, um eine Mobilisierung zu
4 M.-latissimus dorsi-Lappen
erleichtern. Nachteile dieser Technik sind die unsichere Perfusi­
(gestielt, frei)
4 M.-serratus-anterior-Lappen
on in distalen Bereich des Lappens und der insgesamt sehr knap­
4 VRAM (vertikaler Rektus-abdominis- pe Rotationsbogen.
Lappen, frei) und sonstige freie Lappen
Superior gestielter M.-glutaeus-maximus-Lappen. Dieser Lappen
Lumbal 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
wird v. a. bei lumbosakralen Wunden querschnittsgelähmter Pati­
(evt. »reversed«, frei)
enten angewandt. Die A. glutaealis superior wird mit dem Doppler
4 M.-glutaeus-maximus-Lappen
4 Mm.-paraspinosus-Lappen lokalisiert, sie liegt meist etwa 3 cm lateral der Mittellinie und etwa
4 Perforatorlappen 5 cm unterhalb der Spina iliaca superior posterior.
4 Freie Lappen
M.-paraspinosus-Lappen. Dieser Lappen wird segmental aus me­
Sakral 4 M.-glutaeus-maximus-Lappen
dialen und lateralen lumbalen Perforatoren versorgt. Der M. para­
4 »glutaeal thigh flap«
4 Perforatorlappen
spinosus wird von seinem Ursprung an der Wirbelsäule abgelöst und
4 Freie Lappen dann stumpf von medial nach lateral vom M. multifidus, Processus
transversus, Mm. intertransversi und der Fascia transversalis. Die
Mirkochirurgischer 4 A. axillaris Technik ist relativ einfach und schnell, und sie kommt ohne eine
Anschluss 4 A. cervicalis descendens
weitere Inzision zur Muskeldissektion aus. Sie eignet sich gut für
4 »Thoraxwandast« der A. thoracodorsalis
lumbale Wunden.
4 A.V.-Loop (V. brachiocephalica → A. axil-
laris, oder V. saphena → A. femoralis
communis) mit dorsaler Verlagerung M.-rectus-abdominus-Lappen. Dieser Lappen wird von der A. epi­
gastrica superior und inferior versorgt. Der auf dem paarigen Muskel
beruhende Lappen kann nur als Muskel- oder als Muskel-Haut-Lap­
pen zur Deckung am seitlichen hinteren Thorax verwendet werden.
Gewebeexpansion Nachteil ist, dass zur Hebung eine Eröffnung der vorderen Rektus­
Die Gewebeexpansion ist gerade bei Defekten an der posterioren scheide der Bauchwand notwendig ist. Bei langen zentralen Defekten
Thoraxwand sehr hilfreich, da sie eine Hautdeckung mit gleicher über der thorakalen Wirbelsäule bietet ein freier »extended« VRAM-
Dicke, Textur und Farbe bietet. Sie kommt v. a. bei großen angebo­ Lappen genügend Gewebe zur suffizienten Bedeckung bei z. B. frei­
renen Nävi und instabilen Narbenarealen zur Anwendung. Bei aus­ ligenden Osteosnythesematerialien nach Wirbelkörperfusion.
gedehnten Flächen sind mehrere Teilschritte notwendig.
Fasziokutane Lappen
Axiale Muskel- und Muskel-Haut-Lappen Paralumbaler fasziokutaner Lappen. Dieser Lappen kann beidsei­
Sie besitzen meist eine sehr sichere Blutversorgung und damit am tig verwendet werden, um einen Defektverschluss bei großen Mye­
Rücken eine bessere Widerstandskraft gegenüber Infektionen und lomeningozelen zu erreichen. Die paraskapularen and skapularen
sonstigen Komplikationen. Sie erleichtern die Wundheilung durch ihr Abgänge der A. circumflexa scapulae versorgen die oberen lateralen
gut perfundiertes Gewebe, den Antibiotikatransport und die Plombie­ Anteile dieser Lappen. Ausläufer der A. circumflexa iliaca superfi­
rung von tiefen Wundhöhlen, z. B. bei Patienten mit Querschnitts­ cialis versorgen die unteren lateralen Anteile. Die Präparationsebene
lähmung. Ihr Hauptnachteil ist jedoch der muskuläre Hebedefekt. liegt unmittelbar oberhalb der lumbodorsalen Aponeurose der lon­
gitudinalen paraspinalen Muskelgruppen.
M.-trapezius-Lappen. Dieser Lappen besitzt eine dominante Perfu­
sion durch die A. transversa colli und eine zusätzliche Versorgung Lateraler thorakaler fasziokutaner Lappen. Dieser Lappen wird
durch Äste der A. dorsalis scapulae, A. occipitalis und aus Perfora­ hauptsächlich vom Hautast der A. thoracica lateralis versorgt, 2 wei­
toren der hinteren Interkostalgefäße (Typ II; . Abb. 22.8). Die kom­ tere Gefäße, die A. thoracica lateralis accessoria und der Hautast der
plette Muskelentnahme kann zu einem Herabsinken der Schulter A. thoracodorsalis, versorgen das gleiche Gebiet. Der superior ge­
führen, meist bleibt die Schultergelenksfunktion aber weitgehend stielte Lappen erstreckt sich von der Axillarfalte bis zum 6. Interkos­
erhalten. talraum und reicht bis zur Schulter und zum seitlichen Rumpf.

M.-latissimus-dorsi-Lappen. Die dominanten versorgenden Ge­ Glutaeal-thigh-Lappen. Die Haut der Oberschenkelrückseite kann
fäße sind die A. und V. thoracodorsalis, sekundäre segmentale Ge­ als fasziokutaner Lappen an der A. glutaealis inferior gestielt geho­
fäße entstammen den posterioren Interkostalgefäßen und den ben werden. Die maximalen Ausmaße dieses Lappens liegen bei
Lumbalgefäßen (. Abb. 22.9). Diese exzellente Durchblutungssitua­ 10×35 cm, er kann also selbst große Sakraldefekte verschließen. Der
tion ermöglicht weitere Lappenvarianten: Lappen wird meist bis zur Glutäalfalte in der Schicht der tiefen Fas­
174 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

. Abb. 22.8a–c Defektdeckung nach Resektion eines kutanen malignen


Hauttumors an der kranialen Rückenpartie durch proximal gestielten Trape-
ziuslappen. Defekt nach Resektion mit Lappendesign und Markierung des
R. descendens der A. transversa colli (a). Hebung des myokutanen Lappens
mit inkorporiertem Gefäßstiel (b) und Aspekt nach eingeheilter Lappen­
b
plastik (c)

zie gehoben. Der Einschluss der unteren Hälfte des M. glutaeus ma­ rotiert. Die Muskelintegrität des M. glutaeus maximus wird erhalten,
ximus kann den Rotationsbogen erheblich erweitern. ebenso die Option aller an der A. glutaealis inferior gestielten Lap­
penplastiken.
Perforatorlappen
Regionale Perforatorlappen ermöglichen die Deckung ohne die Lumbalarterienperforatorlappen. Der am 4. lumbalen Perforator
Notwendigkeit einer Muskelentnahme. Dies ist ein Vorteil v. a. bei (5–9 cm paramedian gelegen) gestielte Lappen, der bis zu 4 paarige
Patienten mit reduziertem Muskelpotenzial, z. B. Querschnittsge­ Gefäße mit den kräftigsten Abgängen aus der 2.–4. Lumbalarterie
lähmten. Die Lappenplanung kann nach Darstellung der relevanten enthalten kann, kann Haut von der posterioren Mittellinie bis nach
Perforatorgefäße (z. B. durch Dopplersonographie) individuell auf ventral zum Rektusmuskel tragen.
die Wundsituation angepasst werden.
A.-intercostalis-Perforatorlappen. Die interkostalen Perforatorans­
> Aufgrund ihrer geringen Spenderdefektmorbidität sind
gefäße gehen etwa im Bereich der midaxillären Linie ab. Das ver­
Perforatorlappen besonders wertvoll, wenn z. B. bei Deku-
sorgte Hautareal liegt über dem 9.–10. Interkostalraum. Es sind Lap­
bituspatienten mit wiederholten Eingriffen gerechnet
pengrößen bis 18×25 cm möglich (. Abb. 22.1).
werden muss.
Omentum-majus-Lappen
Superior-glutaeal-artery-perforator- (SGAP-) Lappen. Die Lage Das Omentum majus kann auch am Rücken zur Deckung von kom­
der A. glutaealis superior wird zunächst markiert. Sie liegt regelhaft plexen Wunden bis zu einer Größe von bis zu 600 cm2 eingeschwenkt
22 im 1. Drittel einer gedachten Linie zwischen Spina iliaca posterior werden. Die Versorgung basiert auf der A. gastroepiploica dexter
superior und dem Trochanter major. Verwendet werden die aus die­ oder sinister. Das gut durchblutete Netz wird durch eine retroperito­
sem Gefäß abgehenden Perforansgefäße oberhalb des M. piriformis. neale Öffnung in der Fascia lumbalis zum Rücken mobilisiert. Zu­
Diese liegen oberhalb einer gedachten Linie zwischen dem Trochan­ sätzlicher Vorteil ist die immunologisch wirksame Funktion des
ter major und einem Punkt in der Mitte zwischen Spina ilaca poste­ Omentum, Nachteil ist die Notwendigkeit des Zugangs zur Bauch­
rior superior und Os coccygeum. Nach meistens sehr anspruchs­ höhle.
voller Stielpräparation wird der Lappen dann an seinem Perforator
22.2 · Defekte am Rücken
175 22
Die Lappenentnahme erfolgt meist in Bauchlage.
Als Anschluss eignen sich:
4 A. femoralis superficialis und profunda,
4 A. epigastrica inferior,
4 A. glutaealis superior und inferior,
4 A. lumbalis,
4 Aa. intercostales und
4 A. thoracodorsalis mit ihren Begleitvenen.

Häufig sind jedoch lange Veneninterponate oder die Anlage eines


A.V.-Loops erforderlich.

Filetlappen des Ober- oder Unterschenkels


Bei paraplegischen Patienten kann als Ultima ratio ein Filetlappen
des Ober- oder Unterschenkels gebildet werden, um große Wund­
höhlen zu obliterieren und Defekte zu verschließen, wenn alle kon­
ventionellen Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Typische Notfal­
lindikationen sind z. B. tiefgreifende Osteomyelitiden oder große
infizierte Haut-Weichteil-Defekte.
! Cave
Bei Querschnittsgelähmten sollte der M. latissimus dorsi
a möglichst als Rumpfstabilisator erhalten bleiben.

22.2.3 Intraoperatives Vorgehen

Um Hämatombildung zu vermeiden, sind eine besonders sorgfältige


Blutstillung und die Einlage von Redon-Drainagen obligat. Der
Wundverschluss muss spannungsfrei erfolgen.
> Der Einsatz von 2 Teams kann die Operationszeit wesent-
lich verringern.
Die Entfernung von Osteosynthesematerial, v. a. nach Eingriffen an
der Wirbelsäule, z. B. nach Fusion oder Achskorrekturen, stellt ein
schwieriges Problem dar. Infiziertes Fremdmaterial sollte immer
komplett entfernt werden. Allerdings kann in manchen Fällen unter
antibiotischer Abdeckung und Vakuumversiegelung eine knöcherne
b Konsolidierung und Stabilisierung der Wirbelsäule abgewartet wer­
den, bevor das Osteosynthesematerial entfernt und ein suffizientes
. Abb. 22.9a, b Defektdeckung durch proximal gestielten M.-latissimus- Débridement vor der Defektdeckung durchgeführt wird. Anderen­
dorsi-Lappen. Hebung des Lappens mit schräg in den dorsalen Hautfalten falls ist nach der Metallentfernung eine Gipsruhigstellung des ge­
orientierter Hautinsel (a) und Aspekt nach Einheilung (b) samten Rumpfes (»body cast«) notwendig.

Mikrochirurgische Lappenplastiken 22.2.4 Nachbehandlung


Als weitere Therapieoption bieten mikrochirurgische Gewebetrans­
plantationen die vielseitigsten Möglichkeiten eines einzeitigen defi­ Eine sorgfältige Nachbehandlung ist ebenso wichtig wie die eigent­
nitiven Wundverschlusses, wenn keine gleichwertigen lokalen Lap­ liche Operation. Eventuell muss wie bei den ventralen thorakalen
penplastiken möglich sind. Dies kann allerdings bei mehrfach vor­ Rekonstruktionen der Patient in den ersten Tagen intensivmedizi­
operierten, multimodal vorbehandelten und onkologischen multi­ nisch überwacht werden. Für etwa 3 Wochen erfolgt eine strenge
morbiden Patienten eine Herausforderung darstellen. Die Probleme Druckentlastung in einem Spezialbett oder einer Spezialmatratze
bei Defekten am Rücken liegen hierbei jedoch in der begrenzten und Lagerung auf dem Bauch oder mit regelmäßiger Wechselseitla­
Anzahl von Anschlussgefäßen und der schwierigen postoperativen gerung, um Druckschäden zu vermeiden.
Lagerung.
Geeignete Transplantate sind: > Ein überwachtes Atemtraining ist äußerst wichtig, um
4 M. latissimus dorsi, einer Minderbelüftung mit Gefahr einer Pneumonie vor-
4 M. serratus anterior, zubeugen.
4 M. tensor fascia lata,
4 Lateral-thigh-Lappen,
4 M.-rectus-abdominis-Lappen (auch als extendierte Variante mit
proximalem fasziokutanem Ausläufer).
176 Kapitel 22 · Rekonstruktion der Thoraxwand

22.2.5 Komplikationen plications with Pectoralis Major myocutaneous advancement flaps. Plast
Reconstr Surg 93: 1433
Serombildungen sind am Rücken sehr häufig, v. a. im Bereich der Kuklik M (2000) Poland-Mobius syndrome and disruption spectrum affecting
the face and extremities: a review paper and presentation of five cases.
Entnahmestelle des M. latissimus dorsi, bedingt durch die großen
Acta Chir Plast 42 (3): 95–103
sezernierenden und gegeneinander verschieblichen Wundflächen.
Latham K, Fernandez S, Iteld L, Panthaki Z, Armstrong MB, Thaller S (2006)
Redon-Drainagen sollten daher für mindestens 1 Woche belassen Pediatric breast deformity. J Craniofac Surg 17 (3): 454–467
werden. Eine straffe Kompressionsbandage der Hebestelle unter Sigalet DL, Montgomery M, Harder J (2003) Cardiopulmonary effects of closed
engmaschiger Kontrolle des frei gelagerten Lappenstiels wird im ei­ repair of pectus excavatum. J Pediatr Surg 38 (3): 380–385
genen Vorgehen für mindestens 3 Wochen angelegt. Persistierende Steinau HU et al. (1997) Reconstructive plastic surgery of thoracic wall defect.
Flüssigkeitsansammlungen sind unter sterilen Bedingungen zu Chirurg 68: 461–468
punktieren. Bei lang andauernden Seromen kann auch eine Injekti­
on von verklebenden Substanzen (z. B. Tetrazyklinen) durchgeführt
werden. Literatur zu 7 Kap. 22.2
Hämatome treten eher selten auf, wenn vor dem Wundver­ Ao M, Mae O, Namba Y et al. (1998) Perforator-based flap for coverage of
schluss auf eine sorgfältige Blutstillung geachtet wird. Sie können lumbosacral defects. Plast Reconstr Surg. 101: 987–991
aber durch Kompression, v. a. auf den Gefäßstiel, bis zum kompletten Bostwick J 3rd, Scheflan M, Nahai F et al. (1980) The »reverse« latissimus dorsi
muscle and musculocutaneous flap: anatomical and clinical considera-
Lappenverlust führen.
tions. Plast Reconstr Surg 65: 395–399
Wunddehiszenzen entstehen durch insuffizienten Wundver­
Casas LA, Lewis Jr VL (1995) A reliable approach to the closure of large ac-
schluss und lokale Durchblutungsstörungen. Wir verwenden der­ quired midline Clin Plast Surg 22: 167
male Nähte mit langer Resorptionszeit (PDS), die in Zonen größerer Cohen M, Yaniv Y, Weiss J, Greif J, Gur E, Wertheym E, Shafir R (1997) Median
Spannung auch als Schlingennähte angelegt werden, und bevorzu­ sternotomy wound complication: the effect of reconstruction on lung
gen resorbierbares Hautnahtmaterial. function. Ann Plast Surg 39 (1): 36–43
Randständige Lappennekrosen sind meistens unproblema­ Daniel RK, Kerrigan CL, Gard DA (1978) The great potential of the intercostal
tisch, wenn der zentrale Lappenanteil fest auf der Unterlage einheilt, flap for torso reconstruction. Plast Reconstr Surg 61: 653–665
und lassen sich sekundär zur Abheilung bringen. Bei gestautem Lap­ Dumanian GA, Ondra SL, Liu J et al (2003) Muscle flap salvage of spine wounds
pen kann eine lokale Ischämie durch teilweises Entfernen der Nähte with soft tissue defects or infection. Spine 28: 1203
Hill HL, Brown RG, Jurkiewicz MJ (1978) The transverse lumbosacral back flap.
gebessert und damit eine Lappenteilnekrose verhindert werden.
Plast Reconstr Surg. Aug 62: 177–184
Bei Infektionen muss zunächst alles infizierte und avitale Gewe­
Hochberg J, Ardenghy M, Yuen J et al. (1998) Muscle and musculocutaneous
be entfernt werden, bevor ein erneuter Wundverschluss geplant wer­ flap coverage of exposed spinal fusion devices. Plast Reconstr Surg 102:
den kann. Die häufigsten Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, 385
Hämatombildung und Verbleiben von nekrotischem Gewebe in der Hung SJ, Chen HC, Wei FC (2000) Free flaps for reconstruction of the lower
Wunde. back and sacral area. Microsurgery. 20: 72–76
Meningitis ist eine gefährliche Komplikation v. a. bei spinalen Kroll SS, Rosenfield L (1988) Perforator-based flaps for low posterior midline
Defekten mit Exposition der Meningen und Austritt von zerebrospi­ defects. Plast Reconstr Surg. 81: 561–566
naler Flüssigkeit.

Literatur
Literatur zu 7 Kap. 22.1
Bawazir OA, Montgomery M, Harder J, Sigalet DL (2005) Midterm evaluation
of cardiopulmonary effects of closed repair for pectus excavatum. J Pedi-
atr Surg 40 (5): 863–867
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Ennker IC, Pietrowski D, Voehringer L, Kojcici B, Vogt PM, Ennker J (2009) Sur-
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Hugo, NE, Sultan, MR, Ascherman, JA, Patsis, MC, Smith, CR, Rose, EA (1994)
Single-stage management of 74 consecutive cases sternal wound com-
23

Bauchwanddefekte
I. Ennker

23.1 Rekonstruktionen mit Lappenplastiken – 178


23.1.1 Indikationen – 178
23.1.2 Diagnostisches Vorgehen – 178
23.1.3 Vorbereitung und Aufklärung – 178
23.1.4 Ziele der Rekonstruktion – 178
23.1.5 Operationsplanung – 178
23.1.6 Operationstechnik – 180
23.1.7 Perioperative Maßnahmen – 181
23.1.8 Postoperatives Management – 181

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
178 Kapitel 23 · Bauchwanddefekte

23.1 Rekonstruktionen mit Lappenplastiken chirurgischen Lappenplastiken muss der Status der Anschlussgefäße
vorliegen. Neben einer Doppleruntersuchung kann eine Angiogra-
23.1.1 Indikationen phie oder eine DSA indiziert sein. Die präoperative Vorbereitung
entspricht der bei Thoraxwanddefekten (7 Kap. 22).
Bauchwanddefekte stellen ein häufiges klinisches Erscheinungsbild
dar und werden meist allgemeinchirurgisch therapiert. Gelegentlich
sind sie jedoch nicht mit ortsständigem Material zu verschließen 23.1.3 Vorbereitung und Aufklärung
und erfordern eine komplexe Rekonstruktionsmaßnahme. Eine
Lappenplastik ist indiziert, wenn eine Defektdeckung mit stabilem, Diese entsprechen dem Vorgehen vor Thoraxwandeingriffen
gut durchblutetem Gewebe erforderlich ist. Die häufigsten Fälle (7 Kap. 22).
(. Übersicht), die eine plastisch-chirurgische Rekonstruktion benö-
tigen, werden nachfolgend erörtert.
23.1.4 Ziele der Rekonstruktion
Bauchwanddefekte mit Indikation zur plastisch-
chirurgischen Rekonstruktion
Primäre Ziele
4 Bauchwandinfektionen mit Verlust von Weichteilen
4 Deckung vitaler intraabdomineller Strukturen
4 Ausgedehnte Tumorresektionen
4 Wiederherstellung der Funktionalität
4 Nekrotisierende Fasziitis
4 Stabilisierung der Bauchdecke
4 Trauma
4 Berücksichtigung ästhetischer Aspekte
4 Mehrfachrezidive von Hernien
4 Angeborene Bauchwanddefekte (Gastroschisis,
Omphalozele, Aplasien) Die Rekonstruktion der Bauchwand ist abhängig von Umfang und
Art des zu ersetzenden Gewebes. Bei Infektionen oder Nekrosen ist
ein Débridement voranzustellen.
Insgesamt ist die Hernie der häufigste Eingriff aller Bauchwand­
! Cave
defekte mit einem Anteil am Patientengut von ca. 10–20%. Eine
Ein spannungsfreies Vorgehen ist unabdingbar, ein Bauch-
Rezidivhernie ist eine häufige Indikation für rekonstruktive Maß­
deckenverschluss niemals bei Gefahr eines abdominellen
nahmen.
Kompartmentsyndroms zu erzwingen.
Als kongenitale Defekte sind die Gastrochisis und die Omphalo-
zele zu nennen. Als Gastroschisis wird eine pränatal spontan entste-
hende häufig rechts vom Nabel gelegene Fehlbildung der Bauchwand
beim Fetus bezeichnet, die durch den Vorfall von Darmschlingen 23.1.5 Operationsplanung
gekennzeichnet ist. Eine Omphalozele ist eine Nabelschnurhernie,
die durch eine Fehlbildung der Bauchwand beim ungeborenen Kind Eine Rekonstruktion ist prinzipiell mit autogenem oder synthe-
hervorgerufen wird. Es treten Teile der Bauchorgane, insbesondere tischem Material zu erreichen. Als autogenes Gewebe stehen freie
Teile des Darms, durch den Nabel hervor und verbleiben anschlie- oder gestielte Muskellappen, Faszie oder Hauttransplantate zur Ver-
ßend in der sackartig aufgeblähten Nabelschnur. fügung, als synthetische Materialien Teflon-, Acryl-, Prolene-, Gore-
Sarkome, Liposarkome und Rhabdomyosarkome sind die am Tex- und Composite-Produkte.
häufigsten auftretenden malignen Tumoren der Bauchwand. Metas- Bei Bauchwanddefekten nach abdominellen Traumata müssen
tasen anderer Primärtumoren sind selten. Desmoidtumoren (aggres- die intraabdominalen Verletzungen zuerst versorgt werden. An-
sive Fibromatome) sind lokal invasiv wachsende benigne Tumoren, schließend erfolgt ein chirurgisches Débridement aller nicht vitalen
die zu Rezidiven neigen und mit einem ausreichenden Sicherheits­ oder infizierten Anteile der Bauchdecke. Wenn möglich, sollte ein
abstand reseziert werden müssen. Gleiches gilt für das selten auftre- primärer, spannungsfreier Wundverschluss in der Linea alba an-
tende dermale Neoplasma, das Dermatofibrosarcoma protuberans. gestrebt werden. Die Indikation zu Second-look-Operationen ist
Postoperative Infektionen führen zu einer erhöhten Rate an großzügig zu stellen.
Narbenhernien und ggf. zu Weichteilverlusten, die je nach Rezidiv­ Ein primärer Wundverschluss gewährleistet meist die Wieder-
anzahl und Umfang einer plastischen Deckung bedürfen. Eine pri- herstellung der normalen Funktion des M. rectus abdominis und
märe nekrotisierende Fasziitis ist selten, jedoch mit einer sehr hohen führt oft zu einer vollständigen Heilung der Wunde. Das Auftreten
Letalität assoziiert, und hinterlässt teilweise ausgedehnte Weichteil- von Zugspannungen sollte während des Wundverschlusses vermie-
verluste. den werden, weil es zu akuter Dehiszenz oder bei länger andauernder
Spannung zu Hernien führen kann. Auch die Entwicklung eines ab-
> Das Verletzungsausmaß und die Ätiologie der Bauchwand­
dominellen Kompartmentsyndroms mit Ileussymptomatik kann bei
verletzungen bestimmen letztlich die operative Strategie.
erzwungenem Wundverschluss resultieren.
Falls ein Verschluss der Faszie nicht spannungsfrei möglich ist,
kann die Nutzung eines synthetischen Netzes eine Alternative sein
23.1.2 Diagnostisches Vorgehen (Mathes et al. 2000). Auch die Vakuumtherapie hat einen Stellenwert
zum Interimsverschluss des Abdomens (Scott et al. 2005, Lambert
23 Als diagnostische Maßnahmen sind neben der ausführlichen Anam- et al. 2005). Prothetische Materialien können temporär oder per­
nese und der klinischen Untersuchung bildgebende Verfahren wie manent eingesetzt werden. Beim temporären Einsatz kann nach
Sonographie, TEE, CT und MRT nützlich, um Aufschluss über mög- Ausheilung des Ödems oft ein direkter Verschluss in der Linea alba
liche Tumoren, Infektionen und deren Ausmaß zu geben. Vor mikro­ erfolgen (. Abb. 22.1).
23.1 · Rekonstruktionen mit Lappenplastiken
179 23
Permanente synthetische Implantate sollten auf der Innenseite In den Fällen, in denen der Einsatz prothetischer Materialien
der Bauchwand angebracht werden, da nur so eine erneute Hernien­ nicht indiziert ist, kann die Therapie der Bauchwanddefekte auch
entstehung verhindert werden kann. Je nach Material muss ein di- mit ortsständigem Gewebe oder Lappenplastiken erfolgen. Beim
rekter Kontakt mit dem Darm mit Verwachsungen und daraus resul- Verschluss mit ortsständigen Geweben kommen im Wesentlichen
tierenden Darmfistelungen vermieden werden. Bei intaktem Omen- die Komponentenseparationstechnik von Ramirez und Dellon – in
tum majus kann dieses interponiert werden. Sollte kein autogenes den 1990er-Jahren eingeführt (Ramirez et al. 1990) – und die »fascial
Gewebe zur Verfügung stehen, ist GoreTex als Interponat zwischen partition« oder auch »musculofascial release« von Levine et al.
Darm und synthetischem Netz eine Alternative. Andere Materialien (2001) in Frage.
wie Vicryl-Netze bleiben nicht dauerhaft erhalten und sind daher Bei der Komponentenseparationsmethode wird der M. rectus
v. a. hilfreich, wenn es nur auf einen temporären Verschluss an- abdominis und die Faszie zur Mittellinie hin mobilisiert. Die Faszien
kommt oder um einen primären Wundverschluss zu unterstützen des M. obliquus internus und des M. transversus abdominis werden
(McCarthy et al. 2005, Thorne u. Beasly 2006). Auch besteht die mobilisiert und posterior am lateralen Rand der Rektusscheide fi-
Möglichkeit, auf ein interponiertes Vicrylnetz Spalthaut zu trans- xiert, während die Faszie des M. obliquus externus komplett inzi-
plantieren, wodurch zwar kein funktionell stabiler Verschluss, zu- diert wird und so nach lateral zurückweicht. Mit dieser Technik
mindest aber ein Wundverschluss erreicht werden kann. lassen sich kleine bis mittlere Defekte verschließen.
Wir bevorzugen im eigenen Vorgehen Netze aus Prolene-Mate- Die Musculofascial-release-Technik besteht aus je 2 vertikalen
rial (in neuerer Zeit auch Produkte mit resorbierbarer Beschich- parasagittalen bilateralen Inzisionen des M. obliquus externus und
tung), da eine sehr gute Langzeitstabilität und auch eine sichere bin- des M. transversus abdominis. Die Schnittführung erfolgt von der
degewebige Einheilung möglich ist, sowie azellularisierte Dermis viszeralen Seite aus. Durch die so erreichte Relaxierung der Bauch-
(Strattice). decke können auch mittlere bis größere Defekte verschlossen wer-

a b

c d

. Abb. 23.1a–d Hernienverschluss bei Zustand nach Abdomen apertum nach Peritonitis. Offene Bauchwandrevision, Mayo-Faziendoppelung, Narbenex-
zision und Haut-Advancement
180 Kapitel 23 · Bauchwanddefekte

den. Der M. obliquus internus bleibt intakt. Alternativ kann auch der
M. obliquus internus inzidiert werden, und der M. transversus ab-
dominis bleibt intakt.
Eine Expansionsbehandlung kann bei verzögerter Rekonstruk-
tion oder bei pädiatrischen Patienten mit Geburtsdefekten der
Bauchwand indiziert sein. Bei akuten Infektionen ist diese Technik
kontraindiziert. Bei medianen Bauchwandhernien und noch ausrei-
chendem Eigenmaterial ist eine Fasziendopplung nach Mayo anzu-
streben (. Abb. 23.1). Lappenplastiken sind indiziert, wenn kein
Verschluss mit ortsständigem Eigengewebe oder synthetischem Ma-
terial möglich ist.

23.1.6 Operationstechnik

M.-tensor-fascia-lata-Lappen. Der M. tensor fascia lata wurde ur-


a
sprünglich von Nahai zur Dekubituschirurgie eingesetzt (Nahai et al.
1978). Die Versorgung erfolgt über die A. circumflexa femoris late-
ralis und 2 Begleitvenen. Der Lappen wird meistens als axialer fas-
ziokutaner Lappen benutzt. Er eignet sich ideal zum Rekonstruieren
von Bauchdeckendefekten und ist der am häufigsten verwendete
Lappen für diese Indikation. Als myokutaner Lappen ist die Reich-
weite eingeschränkt und die Hautinsel nicht so zuverlässig. Eine
Verwendung als freier mikrovaskulärer Lappen ist ebenfalls mög-
lich.

M.-rectus-femoris-Lappen. Die Versorgung erfolgt auch über die


A. circumflexa femoris. Der M.-rectus-femoris-Lappen besitzt eine
axiale Blutzufuhr und hat somit einen besseren Rotationswinkel als
der M. tensor fasciae latae und eignet sich für eine myofasziale oder
myokutane Lappenplastik. Als extendierter Oberschenkellappen
(»mutton chop flap«) reicht er über das Hemiabdomen bis zum Rip-
penbogen. b

M.-rectus-abdominis-Lappen. Die Versorgung erfolgt über die


Aa. und Vv. epigastrica superior und inferior. Die Einsatzmöglich-
keit besteht als kranial oder kaudal gestielter TRAM- (transversaler
Rectus-abdominis-Muskel-Haut-) oder VRAM- (vertikaler Rectus-
abdominis-Muskel-Haut-) Lappen (. Abb. 23.2). Auch hier muss auf
die intakte A. mammaria interna der verwendeten Seite geachtet
werden. In Ausnahmefällen ist mikrovaskuläre Transplantation
möglich.

M.-gracilis-Lappen. Die Versorgung erfolgt über die A. und V. cir-


cumflexa femoris medialis und kann als muskulokutaner Lappen
verwendet werden, gilt aber aufgrund des geringen Volumens wie
der M. vastus lateralis als 2. Wahl (Harii et al. 1976).
Eine sichere großflächige Deckung ist auch durch einen ventra-
len myofasziokutanen Oberschenkellappen (»mutton chop flap«)
möglich. Unter Einschluss von Mm. rectus femoris, sartorius und a
tensor fasciae latae, versorgt durch das A.-circumflexa-femoris-late-
ralis-System, lässt sich ein großer, sicher perfundierter Lappen mit . Abb. 23.2a–c Extendierter VRAM-Lappen zur Defektdeckung eines aus-
großem Schwenkradius bilden. gedehnten Defektes der unteren Bauchwand nach Sarkomresektion

Omentum-majus-Lappen. Bestehen keinerlei Deckungsmöglich-


keiten mit den oben genannten Maßnahmen, kann das Omentum Damit lässt sich zwar keine funktionelle Stabilität der Bauchdecke
majus über den Bauchwanddefekt gelegt und darüber eine Netzplas- erreichen, wohl aber ein narbiger Verschluss des Abdomens nach
tik mit einem synthetischen Material (vorzugsweise Nylon) konstru- außen.
23 iert werden. Das Netz kann dann an den lateral verbliebenen Struk- Als Ultima ratio muss gelegentlich auf ausgedehnte plastisch-
turen eingenäht und kranial am Rippenbogen fixiert werden. Darauf rekonstruktive Maßnahmen verzichtet werden. Insbesondere beim
kann dann nach einer entsprechenden Einheilungszeit des Netzes – Abdomen apertum stellt bei infektfreiem Abdomen die sekundäre
in der Regel 3–4 Wochen – eine Spalthauttransplantation erfolgen. Ausheilung über eine granulierende Narbenplatte, z. B. mittels Va-
23.1 · Rekonstruktionen mit Lappenplastiken
181 23

a b

c d

. Abb. 23.3a–d Expandervordehnung und Hautlappenausbreitung zur ästhetischen Korrektur einer ausgedehnten Verbrennungsnarbenfläche

kuumversiegelung, und sekundäre Spalthautdeckung eine Alternati- 23.1.8 Postoperatives Management


ve dar. Nach Stabilisierung des Allgemeinzustandes und der lokalen
Wundverhältnisse kann dann eine definitive höherwertige plastische Dieses entspricht dem Vorgehen nach Lappenrekonstruktionen bei
Rekonstruktion – dann v. a. mit reduziertem Risiko einer Darmper- Thoraxwanddefekten (7 Kap. 22).
foration – durchgeführt werden.
Bei rein kutanen Defekten wie ausgedehnten Narbenzonen sind Literatur
Expandervordehnungen mit sekundärer Hautlappenausbreitung in- Harii K, Ohmori K, Sekiguchi J (1976) The free musculocutaneous flap. Plast
diziert (. Abb. 23.2). Reconstr Surg 57 (3): 294–303
Lambert KV, Hayes P, McCarthy M (2005) Vacuum assisted closure: a review of
development and current applications. Eur J Vasc Endovasc Surg29 (3):
219–226
23.1.7 Perioperative Maßnahmen Levine JP, Karp NS (2001) Restoration of abdominal wall integrity as a salvage
procedure in difficult recurrent abdominal wall hernias using a method
Eine Antibiotikaprophylaxe mit einem Cephalosporin der 1. Gene- of wide myofascial release. Plast Reconstr Surg 107 (3): 707–716
ration sowie eine Antikoagulation sind obligat. Das Antibiotikum Mathes SJ, Steinwald PM, Foster RD, Hoffman WY, Anthony JP (2000) Complex
sollte 1 h präoperativ verabreicht werden, um einen entsprechenden abdominal wall reconstruction: a comparison of flap and mesh closure.
Wirkspiegel zu erhalten. Ann Surg 232 (4): 586–596
182 Kapitel 23 · Bauchwanddefekte

McCarthy JG, Galiano RD, Boutros S (2005) Current therapy in plastic surgery.
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Nahai F, Silverton JS, Hill HL, Vasconez LO (1978 ) The tensor fascia lata mus-
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Thorne C H., Beasley RW (2006) Grabb and Smith‘s plastic surgery. Lippincott
Williams & Wilkins

23
24

Lappenplastik Leiste und Becken


P.M. Vogt, L.-U. Lahoda

24.1 Therapieziele – 184

24.2 Indikationsstellung – 184

24.3 Operationsvorbereitung – 184

24.4 Operationstechnik – 186

24.5 Postoperatives Management   – 194

24.6 Postoperative Komplikationen – 194

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
184 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken

24.1 Therapieziele Débridement, was auch segmentförmig ausgeschaltete Hohlorgane


umfasst.
Defekte in der Region von Becken und Leiste stellen für die Patienten
erhebliche Belastungen dar und bedeuten aufgrund der schwierigen Dekubitus
Ausgangssituation der betroffenen Patienten eine große Herausfor­ Definition. Der Begriff Dekubitus definiert ein Druckgeschwür
derung für die rekonstruktive Chirurgie und das allgemeine Patien­ über knöchernen Prominenzen, etwa an Hinterhaupt, Steißbein
tenmanagement. oder Ferse.
Es ist zu unterscheiden zwischen der großen Gruppe der Patien­ Mit veranschlagten 400.000–500.000 Neuerkrankungen jähr­
ten, die an Durchliegegeschwüren oder Infektionsfolgen leiden, und lich, davon 17% aller in Pflegeheimen aufgenommenen Patienten
derjenigen der Patienten mit onkologischen Behandlungsfolgen. In und 5–8% aller Paraplegiker, entstehen ernorme Anforderungen an
beiden Patientenkollektiven ist es das Therapieziel, einen belastba­ die Pflege und letztendlich der dringende Bedarf für eine plastisch-
ren Weichteilverschluss oder unter palliativen Gesichtspunkten eine chirurgische Rekonstruktion.
pflegerische Erleichterung zu erzielen. Das Auftreten von Druckgeschwüren, aber auch die Rezidivrate
Vor der eigentlichen Rekonstruktion müssen zugrundeliegende nach plastischer Weichteilrekonstruktion korrelieren klar mit der
Infektzustände, meistens durch radikales Débridement, und im Fal­ Immobilität von Patienten und dem erreichbaren Maß an regelmä­
le onkologischer Patienten Tumorrezidive und Zweittumoren thera­ ßiger Druckentlastung. Inzidenzen bei hospitalisierten Patienten
piert werden. Dies erfordert nach entsprechend sorgfältiger Patien­ liegen zwischen 1 und 11% (Allmann 1986; Scheckler 1986). Erwei­
tenvorbereitung ein Débridement, das infektfreie und durchblutete terte Kenntnisse der Genese und verbesserte Prävention, insbe­
Wundränder anstrebt. Die Defektdeckung hat nicht nur eine best­ sondere Lagerungstechniken, haben zu einer deutlichen Reduktion
mögliche Wiederherstellung der Weichgewebe zum Ziel, sondern geführt. Den Effekt einer konsequenten Prophylaxe belegen Daten
sollte, wann immer möglich, funktionelle Strukturen der Anogeni­ aus der geriatrischen Klinik des Universitätsspitals Basel, in dem die
talregion mitbehandeln. Inzidenz von 15,5% auf ca. 1,9% gesenkt werden konnte.
Durch eine frühzeitige Wiederherstellung lassen sich sowohl die Nicht zu unterschätzen ist der spontane Lagerungswechsel, der
primäre Komplikationsrate senken als auch die aus der Tumorresek­ beim Gesunden im Schlaf etwa spontan alle 15 min erfolgt. Alle
tion entstehenden Mutilationen reduzieren, zu denen insbesondere Arten von Bewusstseinstrübung, insbesondere aber auch Sedation,
Resthöhlenbildungen zählen. Diese sind eine häufige Ursache für heben diesen natürlichen Schutzmechanismus auf. Die bevorzugten
rezidivierende Fistelbildung, Infektionen und Osteomyelitis, sie ver­ Lokalisationen sind in fallender Inzidenz die Sakralregion, Fersen-,
zögern oder verhindern sogar eine notwendige adjuvante Radioche­ Trochanter- und Malleolarregion. Insbesondere bei Intensivpatien­
motherapie. ten werden weitere Lokalisationen evident, so z. B. nach dorsoven­
Wegen der besonderen Anforderungen an das operative Vorge­ traler Wechsellagerung im Rahmen der Therapie des Lungenversa­
hen werden die Indikationsgruppen Dekubitus und onkologisch gens, an Stirn, Nase, Kinn, Knien etc. . Abb. 24.1 zeigt die Prädilek­
bedingte Defekte jeweils getrennt besprochen. tionsstellen für die Entstehung von Dekubiti.
Aus diesen pathophysiologischen Voraussetzungen ergeben sich
nicht nur für die Wahl des operativen Verfahrens, sondern v. a. für
24.2 Indikationsstellung die postoperative Nachsorge hinsichtlich einer Druckentlastung ent­
sprechende Anforderungen an die Lagerung.
Onkologische Defekte Die Indikationen zum operativen Eingriff ergeben sich im We­
Vornehmlich finden sich Zustände nach viszeropelvinen Eingriffen sentlichen aus pflegerischen und vitalen akuten medizinischen Pa­
(Exenterationen; Khoo et al. 2001; Small et al. 2000) sowie nach gy­ rametern: Arrosionsblutungen, Sepsis, Osteomyelitis, Narbenkarzi­
näkologischen und urologischen Voroperationen (Perticucci 1977), nom, Schmerzlinderung, Pflegeerleichterung und Prophylaxe von
z. T. auch mit Exenteration und Teilentfernung von knöchernen Infektionen (. Tab. 24.1).
Strukturen wie des Sakrums bis hin zu Hemipelvektomien (Fuchs
et al. 2002). Als weitere Indikationen gelten primäre maligne Kno­
chentumoren und multimodale Therapiefolgen (z. B. Analkarzi­ 24.3 Operationsvorbereitung
nom) bzw. Kombinationen aus den genannten Gruppen.
Eine besondere Problematik postonkologischer Defekte der Be­ Onkologische Defekte
ckenregion liegt in einer konsumierenden Wundsituation und pfle­ Hier ist zunächst eine interdisziplinäre Diskussion der Ausgangs­
gerischen Problemen. Superinfizierte verjauchende Defekte stellen situation indiziert, da der plastisch-rekonstruktive Eingriff im Rah­
eine Quelle aufsteigender Infektionen mit der Gefahr der Sepsis dar. men der onkologischen Gesamtbehandlung geplant werden sollte.
Die Patienten sind hinsichtlich des Allgemeinzustandes oftmals bis Neben der kurativen Indikationsstellung bei bereits tumorchirur­
hin zu Kachexie reduziert. Die offenen Wunden führen wegen der gisch beherrschtem Grundleiden werden dem plastischen Chirurgen
Geruchsbelästigung zu einer reduzierten sozialen Akzeptanz (Vogt zunehmend Patienten mit Tumorrrezidiverkrankungen, Zweitmalig­
et al. 2004). nomen im Strahlenfeld oder auch palliativ anzugehenden exul­
Darüber hinaus können offene Wunden im Beckenbereich die zerierenden Riesentumoren vorgestellt (Vogt et al. 2006). Großes
notwendigen adjuvanten Therapiemaßnahmen wesentlich hinaus­ Augenmerk ist auf den Gesamtstatus der Patienten zu richten und
zögern. In Einzelfällen liegt eine vitale Gefährdung durch die Gefahr gemäß der ASA-Klassifikation (7 Kap. 3.1) eine Risikoeinschätzung
der Arrosion der großen Gefäße der Beckenstrombahnen vor. vorzunehmen. Eine saubere Aufarbeitung onkologischer Vorbe­
Die Ziele einer jeden plastisch-chirurgischen Weichteilrekons­ funde (inkl. Tumorstadien und Gradings), bildgebende Diagnostik
truktion sind daher neben dem Wundverschluss die Plombierung (MRT, CT) und allgemeines Staging ergänzen die klinische Befun­
von Resthöhlen und die Protektion von Gefäßen und Organen. In dung.
24 Einzelfällen kann auch eine gleichzeitige plastische Rekonstruktion
im Genitalbereich erfolgen. Fortsetzungen hierfür sind ein radikales
24.3 · Operationsvorbereitung
185 24

a b

. Abb. 24.1a, b Prädilektionsstellen für die Entstehung von Dekubiti

. Tab. 24.1 Operationsindikation beim Dekubitus. (Nach Lüscher 1994)

Vitale Indikation Absolute Indikation Relative Indikation

4 Akute arterielle oder venöse Arrosions­ 4 Tiefe Osteomyelitis des Knochens im 4 Schnellerer Wundverschluss und bessere Weich­
blutung Dekubitusgrund teilbedeckung
4 Schwere Sepsis (immer unter intravenöser 4 Gelenkbeteiligung im Dekubitusgrund, 4 Elimination eines möglichen septischen Herdes
Antibiotikagabe; in der Akutphase v. a. des Hüftgelenks 4 Verminderung der chronischen Schmerzen
nur Débridement, niemals plastische 4 Multiple tiefe Dekubitalulzera 4 Erleichterung der Pflege und Senkung der Be­
De­ckung) handlungskosten
4 Narbenkarzinom 4 Möglichkeit der Verlegung nach Hause oder in
ein Altersheim
4 Prophylaxe des Wundinfektes

> Bei kachektischen onkologischen Patienten wie auch bei Bei geplanten Resektionen bzw. Débridements im kleinen Be­
den unten besprochenen Dekubituspatienten ist eine nu- cken ist eine präoperative Ureterenschienung eine protektive Maß­
tritive Verbesserung zum Ausgleich von Mangelzuständen nahme zum Schutz der Harnleiter im oftmals fibrosierten und be­
(insbesondere Gesamtprotein, Gerinnungsstatus, Vita- strahlten Situs.
mine) unabdingbare Voraussetzung zur Optimierung des
Heilungsverlaufs. Dekubitus
Die Therapie des Dekubitus ist immer ganzheitlich zu betrachten, es
Auch empfiehlt sich eine konsequente, bereits präoperativ einge­ ist die Grunderkrankung zu berücksichtigen sowie die Tatsache, dass
leitete Physiotherapie inkl. Atemtraining. die Betroffenen meistens unter nutritiven Defiziten leiden. Entschei­
186 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken

dend ist, welches Ausmaß der Rehabilitation oder der pflegerischen


Verbesserung durch den operativen Eingriff erzielt werden kann. Therapieplanung bei Dekubiti
Falls eine postoperative Mobilisation oder regelmäßige Lagerung 4 Labor: Gesamtprotein, Albumin, Hb, Elektrolyte
nicht gewährleistet ist, hat dies für die Entscheidung zur Operation 4 Abstrich mit keimspezifischer antibiotischer Therapie
oder zum Operationsverfahren insofern Bedeutung, als dass die Re­ 4 Débridement, temporärer Wundverschluss
zidivgefahr exponentiell erhöht ist. 4 Anlage eine Stomas
Voroperationen mit multiplen Inzisionen im Bereich poten­ 4 Proteinreicher Kostaufbau, Ausgleich nutritiver Defizite
zieller Lappenspendegebiete schränken das Spektrum mindestens (Mikronährstoffe)
ebenso ein. Dehydratation und insbesonderer Eiweiß- und Vitamin­ 4 Wundbiopsie (Knochen, Weichteile) zum Malignomaus­
mangel sind präoperativ auszugleichen. Ebenso ist rechtzeitig eine schluss
adäquate Lagerungstherapie sicherzustellen. 4 Planung der Defektdeckung nach Allgemeinzustand des Pa­
tienten, Defektlokalisation, Größe, Gewebsbeschaffenheit
Perioperatives Management. Aufgrund der Lokalisation von be­
ckennahen Dekubitalulzera in der Nähe von Darmausgang und
Urogenitaltrakt werden diese immer als potenziell kontaminiert
angesehen. Es liegt in der Regel eine Mischflora aus normalen Haut­ 24.4 Operationstechnik
keimen sowie Kontamination durch Erreger aus dem Darm und
dem Urogenitaltrakt vor. Nicht selten kommt es jedoch auch zum Bei den meistens bereits einige Wochen bis zu Jahren bestehenden
Auftreten von sog. Problemkeimen. Häufige Keime bei gut granu­ Defekten leitet ein radikales Débridement, bei dem insbesondere
lierenden Ulzera sind Staphylokokken, Enterokokken und E. coli. bradytrophes Narbengewebe, Restnekrosen und infizierte Gewebs­
Bei schlecht heilenden Wunden finden sich jedoch signifikant anteile inkl. prominenter Knochen (Osteomyelitis) reseziert werden
­häufiger Problemkeime wie Pseudomonas aeruginosa und Anaero­ müssen, die Vorbereitung des Wundgrundes ein. Eine stark konta­
bier. minierte oder infizierte Wundsituation erfordert oftmals wiederhol­
Eine Antibiotikatherapie sollte bei entzündeten, phlegmonösen te Revisionen, z. T. durch temporäre Wundabdeckung durch ein
Dekubitalulzera und in jedem Fall bei Sepsis erfolgen. Man richtet Vakuumversiegelungssystem (Vakuumsog bei 100–125 mm Hg),
sich nach Möglichkeit nach dem Antibiogramm, in akuten Fällen oder antiseptische imprägnierte Wundauflagen oder Tamponaden,
kann die Kombination eines Cephalosporins der 2. Generation (z. B. um einen weiteren Keimanflug von extern bis zur plastischen De­
Gramaxin) in Kombination mit Metronidazol (z. B. Clont) empfoh­ ckung zu reduzieren.
len werden (Fuchs et al. 2002). Bei Lappenplastiken führen wir ge­
nerell perioperativ und postoperativ für mindestens 5 Tage eine Onkologische Defekte
Antibiotikaprophylaxe durch. Bestrahlungsfolgen erschweren oftmals die klinische Unterscheidung
Zur Optimierung der präoperativen Wundpflege und Konditio­ zwischen Malignom und Strahlenfibrose, sodass geplante Etappen­
nierung sowie Einheilung der zukünftigen Lappenplastik empfiehlt eingriffe mit histologischer Untersuchung zur Sicherung der Diag­
sich eine Stuhlregulation, ggf. Anlage eines Anus praeter, und Kon­ nose indiziert sein können. Im areaktiven Wundgrund einer Strah­
trolle des Urinabgangs über Blasenkatheter oder besser suprapu­ lenhöhle schafft allerdings erst die plastische Weichteildeckung mit
bische Harnableitung. gut durchblutetem Gewebe die optimalen Durchblutungsverhält­
Die relevanten Eckpunkte der Operationsplanung sind in der nisse zur Beherrschung der bakteriellen Verkeimung und sollte nicht
. Übersicht wiedergegeben. unnötig verzögert werden.

. Tab. 24.2 Möglichkeiten der Defektdeckung mit gestielten Lappenplastiken bei onkologisch bedingten Defekten

Gestielte Lappenplastiken Gefäßversorgung Region der Defektdeckung

M.-lastissimus-dorsi-Lappenplastik (»turnover flap«) Paravertebrale Perforatoren Obere Sakralregion

Subkostallappenplastik Aa. subcostalia Obere Sakralregion

M.-glutaeus-maximus-Lappenplastik Aa. glutea superior und inferior Sakralregion

TRAM-Lappenplastik A. epigastrica inferior Beckenboden

VRAM-Lappenplastik A. epigastrica inferior Beckenboden, Leiste

Leistenlappenplastik A. circumflexa femoris medialis Perinealregion

M.-gracilis-Lappenplastik A. circumflexa femoris medialis Perinealregion

M.-pudendus-Lappenplastik A. pudenda externa Perinealregion

M.-tensor-fasciae-latae-Lappenplastik A. circumflexa femoris lateralis Sitzbeinregion, Leiste

M.-rectus-femoris-Lappenplastik A. circumflexa femoris lateralis Sitzbeinregion, Beckenschaufel, Leiste

M.-vastus-lateralis-Lappenplastik Oberschenkellappen A. circumflexa femoris lateralis Sitzbeinregion, Perineum, Unterbauch


24 (»mutton-chop-flap«)
24.4 · Operationstechnik
187 24

a b

c d

. Abb. 24.2a–d Palliative Operationsindikation bei 34-jährigem Patienten. len Resektion des knapp 3 kg schweren Tumors (lokal noch knapp R0) und
Exulzeriertes blutendes Rezidiv eines malignen neuroektodermalen Tumors Defektdeckung mittels gestieltem M.-rectus-abdominis-Lappens. Danach
mit Lymphknotenpaketen in der linken Leiste im Strahlenfeld sowie pulmo­ wieder selbstständige Mobilität, Erholung und Möglichkeit der Durchfüh­
nalen Metastasen. Bei Arrosionsblutung, Kachexie und schwierigem Wund­ rung einer erneuten radikalen Radiatio und einer Chemotherapie
pflegezustand des fötide superinfizierten Ulkus Durchführung einer radika­

Die heute zur Verfügung stehenden Methoden der Defektde­ In der Mehrheit handelte es sich bei den Patienten im eigenen
ckung basieren auf der Verlagerung gut durchbluteter Gewebe, die Kollektiv um solche, bei denen Folgezustände nach Exenterationen
neben Haut und Muskel auch vaskularisierten Knochen beinhalten vorlagen. Hierbei ist insbesondere der Beckenausgang betroffen. Bei
können. einzeitigen kombinierten onkologischen und plastisch-chirur­
gischen Eingriffen kann sehr einfach mittels Durchzug eines sakra­
> Primär ist immer auf das Vorliegen infektfreier Wundver-
hältnisse zu achten.
Bei der Auswahl der Lappenplastik wird unter dem Primat der ein­
fachsten und besten Defektdeckung im Sinne der therapeutischen . Tab. 24.3 Möglichkeiten der Defektdeckung mit freien Lappen­
plastiken
Leiter vorgegangen. . Tab. 24.2 und 24.3 geben die Möglichkeiten der
Defektdeckung mit gestielten Lappenplastiken und mit freien Lap­
Gefäßsystem Freie Lappenplastiken
pentransplantaten bei onkologisch bedingten Defekten wieder.
Entsprechend dieser Systematik kommen im eigenen Vorgehen Subskapularsystem 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
der primäre Wundverschluss durch Hautweichteil-Advancement, (paravertebrale 4 Skapular-/Paraskapularlappen
regionale Verschiebeschwenklappen (Glutaeus maximus), regionäre Perforatoren) 4 M.-serratus-anterior-Lappen
Fernlappen [Rectus-abdominus-Lappen (. Abb. 24.2), Rectus femo­ 4 Lappenkombinationen
ris] und erst in zweiter Linie freie Lappenplastiken zum Einsatz; Letz­ A. epigastrica inferior 4 Vertikaler M.-rectus-abdominis-
tere bei entsprechend ausgedehntem Defekt mit großen Resthöhlen. Lappen (VRAM)
Insbesondere in den sitzbeinnahen Lokalisationen sollten gut 4 Erweiterter VRAM-Lappen
belastbare, vorwiegend myokutane Lappenplastiken eingesetzt wer­
A. circumflexa femoris 4 Anterolateraler Oberschenkellappen
den (Foster et al. 1997), wenngleich heute von einigen Autoren
lateralis 4 Tensor-fasciae-latae-Lappen
­fasziokutane Lappen favorisiert werden (Yamamoto et al. 1993).
4 Lappenkombinationen mit Einschluss
Dünnere fasziokutane Transplantate eignen sich auch für den Be­ von M. rectus femoris,M. vastus lateralis
reich der Perineal- und Genitalregion (Jurado et al. 2000).
188 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken

a b

. Abb. 24.3a–e Freie Lappenplastik. a Ausgedehnter Defekt nach abdomi­


noperinaler Rektum- und Sakrumexstirpation. Resektion von angrenzender
Glutäalmuskulatur, Prostataresektion mit Teilentfernung der Harnröhren­
hinterwand. b Ausdehnung des Defektes im MRT. c, d Fasziomyokutaner
c
Kombinationslappen des linken Oberschenkels, der über das Gefäßsystem
des M. rectus femoris und M. tensor fasziae latae (A. und V. circumflexa femo­
ris lateralis) versorgt wird, mit Anschluss an AV-Loop (. Abb. 24.5). e Unter
der gut durchbluteten Lappenplastik konnte dann eine Brachytherapie mit
insgesamt 54 Gy komplikationslos durchgeführt werden

der Schwenkradius regionaler gestielter Lappenplastiken oft nicht


ausreichend, und es werden freie Lappenplastiken erforderlich
(Hung et al. 2000; Ninkovic u. Dabernig 2003; . Abb. 24.3)
Sinnvolle und funktionell günstige Rekonstruktionen lassen sich
auch durch Kombination gestielter Lappen erzielen (. Abb. 24.4).
Hierzu stehen vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung, die den jewei­
ligen individuellen lokalen Defektsituationen angepasst werden (Ju­
rado et al. 2000; Koh et al. 2004; Gradinger et al. 1989). Heute können
auch bei einem Fehlen der entsprechenden lokalen Anschlussgefäße
e freie Gewebetransfers durch zweizeitige Anlage einer arteriovenösen
Gefäßschlinge vorgenommen werden (Freedman u. Meland 1989).
Aufgrund der heute bestens bekannten anatomischen Verhält­
len Rektuslappens von ventral eine Rekonstruktion des Beckenbo­ nisse der Körperoberfläche lassen sich aus der Vielzahl der Lappen­
dens erfolgen (Giampapa et al. 1984; McAllister et al. 1994; Bruce plastiken dann die geeigneten Verfahren auch in Kombination
et al. 2000). Dieses Verfahren ist bei chronischen Defektzuständen durchführen (Vogt et al. 2004). So ist es möglich, beispielsweise bei
technisch schwieriger, da oftmals ausgedehnte Verwachsungen re­ der Rekonstruktion der hinteren Vaginalwand ein externes und in­
tropubisch und am Beckenboden vorliegen und entsprechende Prä­ ternes Lining in einem Eingriff zu schaffen. Idealerweise wird die
24 parationen schwieriger sind. Hier sind dann von extern eingebrachte Wiederherstellung simultan mit dem mutilierenden Engriff durch­
Lappenplastiken vorzuziehen. Aufgrund der Größe der Defekte ist geführt (Jurado et al. 2000).
24.4 · Operationstechnik
189 24

a
d

. Abb. 24.4a–d Gestielte Lappenplastiken. Eine 64-jährige Patientin litt


nach abdominoperinialer Rektumexstirpation bei multimodal vorbehandel­
tem Analkarzinom und Resektion der Vaginalhinterwand an den Folgen
eines ausgedehnten Defektes. Defektrekonstruktion mit Bildung einer neuen
Vaginalhinterwand durch 2 perineale Umkipplappen. Die äußere weichteil­
plastische Wiederherstellung erfolgte durch einen linksseitig an der A. und
V. glutaea inferior gestielten unteren Glutaeus-maximus-Myokutanlappen
mit sensibler Innervation. d Nach unkomplizierter Wundheilung war die Pa­
b
tientin wieder sitz- und kohabitationsfähig

> Aufgrund der nicht unerheblichen Morbidität und Gefähr- Additive Operationsverfahren und interdisziplinäre Begleitein­
dung durch konsumierende Infekte oder auch drohende griffe. Im Rahmen des interdisziplinären Vorgehens werden z. B.
Gefäßarrosionen besteht ein eindeutiger Vorteil für die Verbundosteosynthesen im Sakrumbereich, Ostektomien (Osteo­
einzeitige Defektdeckung im interdisziplinären onkolo- myelitis der Steißbein-Sakrum-Region) und Beckenexenterationen
gisch/plastisch-chirurgischen Vorgehen. erforderlich. In Fällen, bei denen eine freie Lappenplastik erfor­
derlich, aber aufgrund fehlender Gefäßanschlusssituation primär
Durch eine sofortige Wiederherstellung lassen sich sowohl die pri­ nicht möglich ist, wird simultan oder vorangestellt zweizeitig ein
märe Komplikationsrate als auch die aus der Tumorresektion mit arteriovenöser Loop angelegt. Dazu wird die an einem Bein distal
entsprechenden Defekten entstehenden Mutilationen reduzieren. abgesetzte V. saphena magna proximal gestielt in der Leistenregion
Resthöhlenbildung als Ursache von rezidivierender Fistelbildung, arteriell an die A. femoralis communis oder superficialis anasto­
Infektionen und Osteomyelitis werden zudem minimiert (McAlli­ mosiert und mit ihrem Scheitelpunkt in die prospektive Anasto­
ster et al. 1994). Ebenso wird ein erzwungener Wundverschluss un­ mosenregion nach dorsal verlagert. Nach suffizienter Perfusion er­
ter Spannung mit konsekutiven Durchblutungsstörungen vermieden folgt dann die Lappenplastik simultan oder nach 5–7 Tagen mit
und ein primärer Heilungsverlauf erzielt. freiem mikrovaskulärem Anschluss an den arteriellen und venösen
190 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken

Schenkel nach Durchtrennen des AV-Loops am Scheitelpunkt


(. Abb. 24.5)

Dekubitus

Vorrangige Therapieziele in der operativen Behandlung


des Dekubitus
4 Verminderung des Proteinverlustes über die Wundflächen
4 Verhinderung von Infektionsfolgen wie Osteitis, Sepsis
4 Verhinderung von sekundären Organerkrankungen oder
Malignomen (Narbenkarzinom)
4 Senkung der Pflege- und Rehabilitationsaufwendungen
4 Verbesserung der Lebensqualität, insbesondere Schmerz­
reduktion
4 Langfristige Stabilität und Belastungsähigkeit der Weich­
a teile

> Muskulatur und Subkutangewebe sind deutlich druck-


empfindlicher als die Haut; dies muss bei der Wahl einer
Weichteilplastik berücksichtigt werden.
Bei der Wahl der Lappenplastik ist v. a. die Einfachheit der Präpa­
ration mit Schaffung einer narbenfreien belastbaren Weichteilzone
vorrangig, insbesondere zur Minimierung der Hebedefektmorbi­
dität. So kann eine falsche Indikation mit aufwendig präpariertem
Lappen trotz guter Bedeckung des Primärdefektes im sekundären
Hebedefekt zu massiven Heilungsstörungen führen und das ge­
samte Behandlungskonzept in Frage stellen. Über die Wahl der
­Lappenplastik entscheiden unter diesen Prämissen Lokalisation
und Größe des Defektes, mögliche Voroperationen und v. a. die
Voraussetzungen seitens des Patienten. Ohne postoperative adä­
quate Lagerungstherapie sind plastische Operationen nicht erfolgs­
b
versprechend.
Aufgrund der Datenlage werden fasziokutane Lappen aufgrund
ihrer Druckresistenz bevorzugt. Zum Auffüllen von Resthöhlen eig­
nen sich jedoch aufgrund des größeren Volumens in erster Linie
myokutane Lappen. Neben einer ausreichenden Weichteilpolsterung
ist v. a. auf einen spannungsfreien Wundverschluss zu achten (Yama­
moto et al. 1993).
Im eigenen Vorgehen werden Lappentransplantate mit axialem
bzw. definiertem Gefäß (Perforatorlappen) gegenüber Random-pat­
tern-Lappen bevorzugt (. Abb. 24.6; Foster et al. 1997).
> Lappenplastiken sollten so großzügig bemessen werden,
dass auch bei zukünftig auftretenden Geschwüren eine er-
neute Transposition oder Rotation in den erneuten Defekt
möglich ist. Besonders gilt es, keinen Narbenverlauf in
druckbelasteten Zonen der Lappenplastik zu erzeugen.
Dieses Problem ergibt sich oft bei den VY-Plastiken, weshalb diese
c
im eigenen Vorgehen möglichst nicht eingesetzt werden und eher
. Abb. 24.5a–c Anlage eines AV-Loops bei fehlendem Gefäßanschluss in große Rotationslappenplastiken oder Verschiebeschwenkplastiken
der Sakrumregion bei erforderlicher freier Lappenplastik. Die komplett Einsatz finden (. Abb. 24.7). Eine sinnvoll auch das zukünftige Pati­
mobilisierte proximal venös gestielte V. saphena magna wird an die Femo­ entenschicksal antizipierende Rekonstruktion erfordert daher eine
ralarterie End/Seit anastomosiert und dann in die Defektregion durchgezo­ vorausschauende Planung (Conway u. Griffith 1956).
gen (b), wo der freie Lappen dann nach Durchtrennung der Gefäßschenkel
angeschlossen werden kann (c) ! Cave
Ebenso muss auch der Verschluss des Hebedefektes anti­
zipiert werden. Keinesfalls dürfen dessen Narben in Zonen
erhöhter Druckbelastung oder Wundspannungen liegen,
24 da sonst eine iatrogene Problemwunde durch die konse-
kutiven Wundheilungsstörungen entsteht.
24.4 · Operationstechnik
191 24

a b c d e

f g h i

k l m n o

. Abb. 24.6a–o Gebräuchliche Lappenplastiken in der Dekubituschirurgie. taeus-Lappen. Kraniale, fasziokutane oder myokutane gegenläufige Rotati­
Sitzbeinregion: a M.-gracilis-Lappen. b Tensor-fasciae-latae-Lappen. Als onslappen. Trochanterregion: i M.-vastus-lateralis-Lappen (Muskellappen
sensibler Lappen bietet das Transplantat die Möglichkeit, neurogene Sitz­ zur Plombierung oder myokutan). j Anterior-random-pattern-Oberschen­
beinulzera ab S1 bei Spina bifida und erhaltenem sensorischem Somatom kellappen. k Tensor fasciae latae, auch bei kombiniertem Sitzbeinulkus.
(L5 im Bereich des TFL) sensibel zu versorgen. c M.-biceps-V-Y-Lappen bzw. l, m Gluteal-thigh-Lappen (mit Planung). n, o Anterior und posterior gestiel­
Hamstgring-Lappen. d Medial gestielter Gluteal-thigh-Lappen (auch latera­ ter Random-pattern-Oberschenkellappen
le Stielung beschrieben). e Gluteal-thigh-Insellappen. Os sacrum: f, g, h Glu­
192 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken

a b

c d

e f

. Abb. 24.7a–f Beispiele für typische Verschiebeschwenklappenpkastiken fektes am Übergang LWS/Sakrum mit fasziokutanem Rhomboidlappen (d)
in der Dekubituschirurgie. Bei der Planung ist es wichtig, Narbenzonen in und eines oberflächlichen kleinen Defektes distal sakral durch Primärnaht
den Belastungszonen zu vermeiden. Sakrale Defekte: Bei diesem sakralen (e). Sitzbeindefekt bei 24-jährigem Paraplegiker bei Spina bifida mit erhal­
Dekubitus bietet der glutäale Verschiebeschwenklappen (a, b) Vorteile – hin­ tender Sensibilität bis L3 und Ausfall ab L4; Defektdeckung im Bereich des
sichtlich operativem Aufwand und Belastungsstabilität – gegenüber dem rechten Sitzbeins durch sensiblen Tensor-fasciaelatae-Lappen (f)
bilateralen VY-Lappen (c). Nach Wundkonditionierung Deckung eines De­

24
24.4 · Operationstechnik
193 24

a b
. Abb. 24.8a, b Anatomisch wichtigste Spenderegionen für fasziokutane und muskulokutane Lappenplastiken zur Deckung von Dekubitlaulzera

Bei immobilen Patienten mit fixierten Beugekontrakturen im Hüftge­ Eher selten werden Lappen der Oberschenkelinnenseite eingesetzt
lenk stellt die dorsale Hebestelle von Lappenplastiken am Oberschen­ (M. gracilis).
kel ein hohes Risiko für Wunddehiszenzen mit langwierigen Sekun­ . Tab. 24.4 gibt eine Systematik der Defektdeckung wieder.
därheilungen dar. Aufgrund dieser Betrachtungen schränkt sich das
Spektrum der zur Verfügung stehenden Verfahren fallspezifisch ein. Spalthautdeckung. Grundsätzlich schafft die Spalthauttransplan­
Die intraoperative Lagerung erfolgt am günstigsten in der sog. tation keinen belastungsfähigen Wundgrund und bleibt besonderen
Heidelberger Lagerung (Bauchlage mit Hüftabknickung) für sakrale Indikationen vorbehalten. Voraussetzung für die Deckung mit Spalt­
oder ischiale Ulzera bzw. in Seitenlage oder 60° Schräglage für tro­ haut ist ein gut durchbluteter, keimarmer (<105 Keime/g Gewebe)
chantere Ulzerationen. Wundgrund. Sie kommt in Betracht bei oberflächlichen Defekten
Im Wesentlichen stehen 3 dominante Spenderegionen bei der und Patienten in schlechtem Allgemeinzustand im Sinne einer we­
weichteilplastischen Deckung von Dekubitalulzera zur Verfügung nig belastenden Operationsmethode. Die Tendenz zur Kontraktion
(. Abb. 24.8): führt zur sekundären Wundverkleinerung. Das Prinzip der Defekt­
4 Glutäusregion, verkleinerung kann man sich auch für einen provisorischen Wund­
4 Vastus-lateralis- (TFL-) Region, verschluss mit sekundär geplanter Lappenplastik zunutze machen
4 M. biceps. (Fuchs et al. 2002). In der Literatur werden die Heilungschancen

. Tab. 24.4 Systematik der plastischen Defektdeckung bei Dekubitalulzera

Ulkus- Verschluss Sensibilität Belast­ Größe des Bevorzugte Schwierigkeit


größe Hebedefekt des Lappens barkeit Eingriffs Defektlokalisation Operation

Primärnaht + Kein Hebe­defekt Ja +++ + Fisteln (Sk, Si, Tr) +

Spalthaut ++(+) Epithelisierung Umgebung 0 + Unbelastete Areale +

Nahlappen +(+) Primär Teilweise +++ ++ Sk, Si (Tr) ++

Glutäusrotation ++ Primär Ja +++ ++ Sk, Si ++

Glutaeus maximus ++(+) Primär Nein +++ +++ Sk (Si, Tr) ++ (+)

Posterior thigh ++ Primär Ja +++ ++ Tr (Sk) ++

Biceps femoris ++ Primär Nein +++ +++ Tr (Si) ++

Gracilis ++ Primär Nein +++ ++ (+) Tr (Si) +++

Tensor fasciae latae ++(+) Primär Ja +++ ++ (+) Tr, Si ++ (+)

Total thigh ++++ Amputation Ja +++ ++++ Si, Tr (Sk) +++

Freier Lappen ++++ Primär Teilweise +++ ++++ Si, Tr, Sk ++++

Sk = Sakrum, Si = Sitzbein, Tr = Trochanter.


194 Kapitel 24 · Lappenplastik Leiste und Becken

nach Spalthautdeckung bei Sakralulzera mit 60%, bei Sitzbeinulzera Genitalbereich. Blutversorgung durch A. circumflexa femoris me­
und Ulzera über dem Trochanter mit nur 30% angegeben (Fuchs et dialis und sensorische wie motorische Innervation durch Ramus
al. 2002). anterior N. obturatorius. Aufgrund fehlender funktioneller Ausfälle
bietet sich dieser Lappen besonders bei nicht gelähmten Patienten
Fasziokutane Lappen. Diese bieten den geringsten Entnahmede­ an, bei vorliegender Querschnittslähmung ist die Präparation durch
fekt, sind allerdings weniger weichteilgepolstert als Muskel-Haut- die Atrophie schwierig (Fuchs et al. 2002).
Lappen. Dennoch ist ihre Belastbarkeit auch in mechanisch bean­
spruchten Gebieten gut. Fasziokutaner Tensor-fasciae-latae-Lappen. Indikation zur De­
Lokale Lappenplastiken, wie z. B. ein Rhomboidlappen, eignen ckung tiefer Defekte über dem Trochanter major und bei bis über das
sich gut zum Verschluss kleiner Dekubitaldefekte bis Grad III nach Sitzbein reichenden Dekubitalulzera. Die Blutversorgung erfolgt
Seiler (. Abb. 24.7). Es handelt sich um Gewebe aus der unmittel­ über einen Endast der A. circumflexa femoris lateralis aus der
baren Umgebung des Defektes ohne definierte Blutversorgung (sog. A. profunda femoris, die sensible Innervation durch den N. cutanae­
»random pattern flaps«). Der lokale Lappen kann kutan oder wegen us femoris lateralis (L2/L3). Vorteil ist die daher mögliche sensible
der sicheren Blutversorgung besser fasziokutan gehoben werden. Defektdeckung bei Paraplegie unterhalb dieses Niveaus, wodurch
Perforatorgefäße, z. B. bei Platzierung über dem M. glutaeus ma­ die Gefahr eines Rezidives deutlich verringert wird (. Abb. 24.7).
ximus, dürfen dabei nur im oberen Anteil auf etwa 6–8 cm durch­ Die Defektdeckung erfolgt primär oder mit Spalthaut.
trennt werden, da ansonsten bei weiterer Präparation nach kaudal Bei vorausgegangenen Hüftoperationen sollte ggf. präoperativ
die Hautversorgung eines evtl. später notwendig werdenden Glutae­ eine Angiographie zur Darstellung der A. circumflexa femoris late­
us-maximus-Haut-Muskel-Lappens zerstört würde. ralis veranlasst werden (Fuchs et al. 2002). Im Falle einer Flexions-
Adduktions-Kontraktur ist ggf. zur Rezidivprophylaxe eine Tenoto­
Glutäaler Rotationslappen. Damit kann man mittlere und größere mie der Adduktorenmuskulatur erforderlich.
Defekte über dem Sakrum verschließen. Es wird ausschließlich die
Verwendung eines kaudal gestielten Lappens empfohlen, um Narben »Total Thigh Flap«. Indikation nur in extremen Ausnahmefällen bei
über dem Sitzbein zu vermeiden und den Patienten mit erhaltener geriatrischen Patienten mit multiplen Dekubitalulzera und akuten
Sensibilität die Nn. clunei zu erhalten. Der Lappen sollte für den Fall Gefäßverschlüssen. Dieser Eingriff setzt die Amputation des betrof­
eines Rezidivs großzügig geschnitten werden, um ihn ein weiteres fenen Beines voraus und ermöglicht die Deckung ausgedehnter De­
Mal heben und in den Defekt drehen zu können (. Abb. 24.6h). fekte über Trochanter und Sitzbein mit offenem Hüftgelenk.

Glutaeus-maximus-Muskellappen. Indikation sind ausgedehnte Freie mikrovaskuläre Lappenplastiken. Die Indikation zu freien
tiefe Defekte über dem Sakrum (. Abb. 24.7), Osteomyelitis oder mikrovaskulären Lappenplastiken wird in diesem Zusammenhang
Radionekrose und Zustand nach Kokzygektomie. Die Blutversor­ äußerst selten gestellt, d. h. erst nach Ausschöpfen aller beschrie­
gung erfolgt über die Aa. glutaea superior et inferior, motorisch in­ benen Möglichkeiten bei extrem tiefen und ausgedehnten Defekten
nerviert der N. glutaeus inferior. Die Desinsertion am Sakrum oder mit begleitender Osteomyelitis oder auch bei Strahlenulzerationen.
Femur kann zu Kraftminderung und Gehschwäche führen. Bei ger­ Der mikrovaskuläre Anschluss erfolgt, falls möglich, an die oberen
iatrischen Patienten sowie bei Patienten mit partiellen neurolo­ oder unteren Glutäalgefäße, die Leistengefäße oder über lange Ve­
gischen Ausfällen kann ggf. ein V-Y-Lappen ohne Desinsertion der neninterponate an die Leistengefäße oder als Anschluss über eine
Muskeln am Sakrum verwendet werden (. Abb. 24.7), hierbei lässt temporäre arteriovenöse Schlinge. Als Transplantate kommen vor­
sich ein Gewebevorschub von 3–4 cm erreichen. Nachteilig ist hier wiegend der M. latissimus dorsi oder auch periphere Amputate (z. B.
jedoch die Lage der senkrechten Narbe über der Belastungszone des aus dem Unterschenkel) in Frage.
Sakrums.

»Posterior Thigh Flap«. Dieser wird zum Verschluss von mittel­ 24.5 Postoperatives Management
großen, nicht tiefen Defekten über dem Sitzbein als sensibler faszio­
kutaner Lappen verwendet. Die Blutversorgung erfolgt über den Eine konsequente Entlastung des Transplantates und konsequentes
Endast der A. glutaea inferior, die sensible Versorgung durch den Lappenmonitoring ist wie bei allen Weichteilpalstiken zu fordern.
N. cutaneus femoris posterior. Als fasziokutaner V-Y-Lappen oder Unerlässich ist eine ausreichende Drainage durch intraoperativ
als Insellappen kann er ca. 10 cm nach kranial geschoben werden, eingelegte großvolumige Saugdrainagen. Augenmerk ist auch auf
bei Spaltung des Glutaeus maximus können weitere 8–10 cm Länge mögliche übersehene intraoperative Verletzungen der ableitenden
gewonnen werden. Ist die A. glutaea inferior jedoch nach vorausge­ Harnwege (Ureter, Harnblase) bei sakralen Resthöhlensanierungen
gangenem Glutaeus-maximus-Lappen zerstört, kann der Posterior- zu richten. Harnableitungen (suprapubischer Katheter) und Stuhlre­
thigh-Lappen nicht mehr gehoben werden. gulierung erleichten die lokale Wundpflege.

Hamstring-Lappen. Die Kombination aus M. biceps femoris (Ca­


put longum), M. semimembranosus und M. semitendinosus als sog. 24.6 Postoperative Komplikationen
Hamstring-Lappen wird zum Verschluss tiefer Defekte über dem
Sitzbein angewendet. Die Muskulatur wird distal am Ansatz abgelöst Infizierte Hämatome und Nachblutungen stellen die Hauptkompli­
und mit der darüberliegenden Hautinsel in V-Y-Technik verscho­ kationsmöglichkeiten und wesentliche Ursache von postoperativen
ben. Zur Auffüllung tiefer Defekthöhlen ist auch eine proximal ge­ Wundheilungsstörungen dar. Insofern ist eine konsequente Draina­
stielte Muskelplombe ohne Hautinsel möglich. ge des Wundgebietes unerlässlich.
Im Strahlenfeld ist die Einheilung von Weichteilplastiken verzö­
24 Muskulokutaner Gracilis-Lappen. Indikation bei wiederholten Re­ gert und kann damit noch längere Zeit zu anhaltenden Sekretentleh­
zidiven über der Sitzbeinregion oder bei Defekten im Perineal- und rungen führen.
24.6 · Postoperative Komplikationen
195 24
Zeitnahe Revisionen helfen, die dadurch bedingten Wundhei­
lungsstörungen zu reduzieren und bei onkologischen Patienten den
Übergang in die notwendige adjuvante (Strahlen- und Chemothera­
pie) zu beschleunigen.

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25

Rekonstruktion im Urogenitalbereich
P.M. Vogt, H. Sorg

25.1 Genitale Embryologie – 198

25.2 Korrektur angeborener Fehlbildungen – 198


25.2.1 Epispadien – 198
25.2.2 Intersexualität – 199
25.2.3 Mikropenis – 201
25.2.4 Hypospadien – 201

25.3 Posttraumatische Zustände – 202


25.3.1 Genitalrekonstruktion – 202
25.3.2 Genitalreplantation – 203
25.3.3 Penisrekonstruktion – 204
25.3.4 Vaginalrekonstruktion – 204

25.4 Plastische Chirurgie bei Störungen der Geschlechtsidentität – 205


25.4.1 Transfrauen (Mann-zu-Frau-Transsexuelle) – 205
25.4.2 Transmänner (Frau-zu-Mann-Transsexuelle) – 205

25.5 Ästhetische Chirurgie des Genitales – 206


25.5.1 Ästhetische Chirurgie des weiblichen Genitales – 206
25.5.2 Ästhetische Chirurgie des männlichen Genitales – 206

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
198 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich

Für den Plastischen Chirurgen relevante Indikationen für Eingriffe mung einer Elongation und zylindrisches Wachstum weiter. Gleich-
25 im Urogenitalbereich resultieren aus Fehlbildungen (Blasenekstro- zeitig schließen sich urethrale Falten über der Harnröhrenrinne und
phie, Hypo-, Epispadie), traumatischen Verletzungen oder onkolo- entwickeln sich zu einer Urethra und Mittellinienraphe. Mesen­
gischen Folgen. Zunehmend stellen sich aber auch Patienten und chymales Gewebe konfluiert und umgibt die Urethra mit Ausbil-
Patientinnen mit dem Wunsch eines ästhetischen Eingriffes am Ge- dung eines Schwellkörpers. Diese Entwicklungen finden vollständig
nitale vor. unter dem Einfluss (→ männlich) oder dem Fehlen (→ weiblich) von
Besondere Anforderungen stellen die geschlechtsumwandeln- Tes­tosteron, Testosteronderivativen (z. B. Dihydrotestosteron) und
den Operationen dar, da hier unterschiedliche Bedingungen hin- 5-α-Reduktase zwischen der 6. und 13. Woche der Gestation statt
sichtlich der zugrunde liegenden genetischen, gonadalen oder phä- (. Abb. 25.1) Das Präputium wächst und bedeckt die Glans penis,
notypischen Differenzierung vorliegen. Diese Chirurgie kann nur aber wird nicht durch Dihydrotestosteron beeinflusst.
im interdisziplinären Kontext erfolgen und basiert auf einer umfang- Im weiblichen Embryo wird aufgrund des Ausbleibens der durch
reichen humangenetischen, psychologischen, urologischen, gynäko- Testosteron beeinflussten Virilisierung der urogenitale Sinus und
logischen und endokrinologischen Analyse. der genitale Tuberkel in einer perineal fixierten Position gehalten.
Für das anatomische Verständnis von Fehlbildungen, Störungen Die urethrale Rinne bleibt offen, und Falten differenzieren in die
in der persönlichen Geschlechtsidentifikation (Transsexualismus) Labia minora. Der genitale Tuberkel krümmt sich größenkonstant
eines Patienten und mögliche plastisch-korrektive Maßnahmen sind nach ventral. Die Labia majora wandern unter Größenzunahme
grundsätzliche Kenntnisse der Genitalentwicklung und der daraus nach kaudal und fusionieren zur hinteren Kommissur.
abzuleitenden Störungen unerlässlich (. Tab. 25.1).

25.2 Korrektur angeborener Fehlbildungen


25.1 Genitale Embryologie
25.2.1 Epispadien
Das genetische Geschlecht wird bei der Konzeption determiniert
und führt in der frühen embryonalen Entwicklung aus mesenchy- Exstrophie und Epispadie
malen Geweben zur Entstehung einer genitalen Prominenz. Erst ab Die Blasenexstrophie, eine Entwicklungsstörung in der 3.–9. Woche,
der 7. Woche kommt es zur Ausdifferenzierung des gonadalen tritt bei ca. 1 von 30.000 Geburten auf, wobei das männliche Ge-
Geschlechtes mit testikulärer Entwicklung durch die Einflüsse des schlecht 3-mal häufiger betroffen ist. Die Erkrankungen Epispadie
Y-Chromosoms. Leydig-Zellen in den Tubuli seminiferi der testi­ und Exstrophie sind durch eine offene und prolabierende Blase, eine
kulären Anlagen produzieren Testosteronanaloge mit folgenden Ef- offene Urethra und einen verkürzten und epispadischen Penis ge-
fekten: kennzeichnet. In 1/3 der Fälle liegt eine Blasenexstrophie, Epispadie,
4 Ausreifung der Samenkanälchen und Nebenhoden, des Vas de- Rektusdiastase und Symphysendiastase vor, in 2/3 Deformierungen
ferens und der Samenblasen. der Symphyse, in 30% nur eine Epispadie, in 10% extreme Fehlbil-
4 Extratestikuläre Entwicklung mit typischer phänotypischer Ge- dungen mit Kloake.
nitaldifferenzierung durch eine irreversible Reduktion zu Dihy-
> Ätiologisch besteht eine Störung in der frühen Entwick-
drotestosteron durch das Enzym 5-α-Reduktase. Dihydrotesto-
lungsphase zwischen der 3. und 9. Woche.
steron ist für die Virilisierung des Genitales und der vorderen
Urethra verantwortlich. Die Primärbehandlung der Fehlbildung liegt in den Händen von
Urologen und Orthopäden, dennoch ist der Plastische Chirurg gele-
Das phänotypische Geschlecht wird dadurch bestimmt, ob das gentlich meist in späteren Phasen konsiliarisch gefragt.
­ uberculum genitale sich in eine männliche oder weibliche Form
T Ziele der Therapie sind
differenziert. 4 Rekonstruktion eines urogenitalen Systems,
Im männlichen Differenzierungsweg wandern urogenitale Zell- 4 Verhinderung einer durch Exstrophie begünstigten Mukosame-
vermehrungen ventral und nach anterior mit Formung eines taplasie der Blase und
Skrotums. Der weibliche Tuberkel entwickelt sich durch Ausfor- 4 Wiederherstellung eines stabilen Beckenringes.

. Tab. 25.1 Kriterien der Geschlechtsdeterminierung

Parameter Zeit Kriterium

Chromosomales Geschlecht Konzeption XX- oder XY-Chromosom

Gonaden 45 Tage HY-Antigen

Interne Genitalien Erste 3 Monate Testosteron + Inhibitor des Müller-Duktus

Externe Genitalien Erste 6 Monate Rezeptoren, 5-Dihydromethyl-Testosteron

Geschlechtshormonmuster Fetal bis Menarche Pulsatiles FSH und LH vs. nichtpulsatil

Zerebrale Verhaltenszentren Prä- oder perinatal Geschlechtsdimorphe Differenzierung

Geschlechtsspezifische Zugehörigkeit und Erziehung Umwelt Geschlechtsdimorphe Differenzierung

Psychosexuelle Differenzierung Lebenslang Geschlechtsidentität


25.2 · Korrektur angeborener Fehlbildungen
199 25
Im Wesentlichen ist die Penislänge durch die präpartale Ent-
wicklung determiniert. Penisverlängerungen können daher allen-
falls durch subperiostale Lösung der penopubischen Ligg. suspenso-
ria mit sorgfältiger Schonung der neurovaskulären Bündel erfolgen.
Trotz der Fortschritte der Primärrekonstruktion sucht ein Teil
der Patienten im späteren Lebensalter aufgrund verbliebener De-
fekte insbesondere bei kleinem und unterentwickeltem Penis den
Plastischen Chirurgen auf. Diesen Patienten kann man mikrochirur-
gische Methoden anbieten, wobei in vielen Fällen aufgrund einer
nicht erfolgreichen Urethrarekonstruktion ein Urostoma besteht
und auch die samenableitenden Strukturen meist präpubisch deviie-
ren. Hier sollte die Indikation für eine erneute Urethrarekonstrukti-
on im interdisziplinären Kontext geprüft werden.
Ein weiteres Problemfeld stellen Deviationen v. a. bei der Erek-
tion dar. Vom Patienten angefertigte Fotographien unter Erektion
helfen bei der Dokumentation und Objektivierung. Bei der opera-
tiven Korrektur werden über eine Zirkumzisionsinzision mit Rück-
stülpen der Penishaut und Separation der Tunicafaszie die Schwell-
körper dargestellt und evtl. Narbenstränge entfernt. Mit Plikations-
nähten der Tunica kann der Penis unter artifizieller Erektion begra-
digt werden. Eventuell sind Dermistransplantate notwendig, um
Gewebedefizite auszugleichen.

25.2.2 Intersexualität
Weiblicher Pseudohermaphroditismus
Ein weiblicher Pseudohermaphroditismus resultiert aus einer An-
drogenexposition bei regelhaftem weiblichem Chromosomensatz
(46 XX) während der ersten 11 Wochen der Gestation, wodurch es
zur Virilisierung der Genitalanlagen (Klitorisgigantismus, Fusion
der Labien) kommt.

Männlicher Pseudohermaphroditismus
Bei genetisch männlichem Karyotyp (46 XY) kann eine Störung im
Testosteronstoffwechsel die Virilisierung des Genitales verhindern
und zu unbestimmten oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen füh-
ren. Zu den Ursachen zählen diverse Störungen im Testosteronstoff-
wechsel: gestörte Testosteronbiosynthese, gestörte 5-α-Dihydrote-
stosteronbildung und Androgenresistenz.
. Abb. 25.1 Geschlechtsdifferenzierung unter dem Einfluss von Andro­
Echter Hermaphroditismus
genen
Hier liegt differenziertes männliches und weibliches Gonadenge­
webe mit asymmetrischer Verteilung vor. Die meisten Patienten be-
sitzen einen 46 XX-Karyotyp und ein H-Y-Antigen, was die Um­
Während der ersten 2 Tage nach Geburt lässt sich der Defekt, inklu- differenzierung weiblicher Gonaden zu Hoden ermöglicht. Zur
sive der Symphyse, noch mit Nähten schließen, danach ist das Vor- ­Diagnosestellung bedarf es neben der klinischen Untersuchung der
gehen zunehmend aufwendiger, u. U. nur mit Osteotomien und ggf. Chromosomenanalyse, urologischer und gynäkologischer Diagnos-
auch interdisziplinären plastischen Rekonstruktionen. tik, Laparoskopie, radiologischer Diagnostik sowie Biopsien aus Go-
nadegewebe.
Standardtechnik. In der Standardtechnik wird nach Heben eines Die geschlechtsspezifische Zuordnung erfolgt anhand der ana-
Bauchwandlappens über eine W-förmige Abdominoplastikschnitt- tomischen, phänotypischen Erscheinung, nicht der Chromosomen-
führung die dorsale Urethralrinne komplett gelöst, zu einem Rohr muster. Indikationen für geschlechtsumwandelnde oder -korrigie-
geformt und anschließend durch die seitlich mobilisierten Schwell- rende Operationen sind wie bei Pseudohermaphroditismus indivi-
körper ventral überdeckt. Der Abdominallappen wird anschließend duell zu diskutieren.
zur Hautrekonstruktion des Mons pubis und des dorsalen Penis-
schaftes verwendet. Verbesserungen in der Penisrekonstruktion ba- Versteckter Penis (»buried penis«, »hidden penis«)
sieren im Wesentlichen auf sorgfältiger anatomischer Dissektion Diese Deformität stellt für Patienten ein erhebliches Problem und für
mit Lösung sämtlicher Chordae, die für Wachstumshemmung und den Plastischen Chirurgen eine Herausforderung dar. Bei Kindern,
Deviationen verantwortlich sind. Aktuelle Verbesserungen der Ure- Adoleszenten wie Erwachsenen liegt gleichermaßen definitions­
thralrekonstruktion resultieren aus der Verwendung der vaskulari- gemäß ein normal großer, jedoch im perinealen und subkutanen
sierten ventralen Tunica-dartos-Faszie. Gewebe versteckter Penis vor, der in einem abnorm fettreichen (gy-
200 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich

25

a b

c d e

f g

. Abb. 25.2a–g Glanslappen zur dorsalen Verlagerung einer geringen Über eine erste Einzelknopfnahtreihe wird eine fortlaufende Nahtreihe ge-
Hypospadie. Inzisionslinien im Präputium ermöglichen die Rekonstruktion legt (d). Diese Nahtreihe wird ventral durch einen abdichtenden Lappen aus
der medianen Raphe mittels Vorhaut (a). Inzisionen mit Mobilisierung der umgebendem Subkutangewebe bedeckt (e). Die Glanslappen werden an-
Glanslappen (b). Die Neourethra wird bei eingelegtem 8-Charr-Harnröhren- schließend ventral zur Neourethra vereinigt (f). Nach Tourniquet-Lösung
katheter durch die Tubularisierung des Mittelliniengewebes geformt (c). und Blutstillung separate Rekonstruktion des inneren und äußeren Präpu­
Eine erste distale Naht bestimmt die ventrale Ausdehnung des Meatus. tialblattes (g). (Nach Horton et al. 1990)

nekoiden) Mons pubis, oftmals vergesellschaftet mit allgemeiner Skrotum bieten Z-Plastiken oder V-Y-Plastiken die Möglichkeit der
Adipositas, verschwindet. Differenzialdiagnostisch ist ein Mikrope- optischen Penisschaftverlängerung und Definition eines Übergangs
nis abzugrenzen. zum Skrotum.
Die operative Korrektur besteht bei Kindern in der direkten Weitere Ursachen für ein Hidden-penis-Syndrom sind posttrau-
Resektion von suprapubischem und perinealem Fett über einen matischer Natur (Verbrennungen), Penisinkarzerationen, Balanitis-
W-Schnitt oder Pfannenstiel-Schnitt. Liposuktionen sind lediglich folgen oder Fournier-Gangrän. Hier liegen Narbenzüge am Penis-
beim Erwachsenen effizient. Eine verkürzte Tunica dartos führt schaft vor, die nach Exzision eine Hauttransplantation erfordern.
über Verbindungen mit der Scarpafaszie zum Phänomen des An- Diese darf wegen der Gefahr kontrahierender Narbenstränge auf
schoppens der Penisschafthaut und Überschüssen der Vorhaut. keinen Fall längsgerichtet aufgelegt werden, sondern wird zirkulär
Dies erfordert eine entsprechende Lösung der Stränge sowie ggf. »gewickelt«.
der penopubischen Ligg. suspensoria. Für die oftmals vorhandenen
segelartigen Hautübergänge des verkürzten Penisschaftes zum
25.2 · Korrektur angeborener Fehlbildungen
201 25

a b

c d e

. Abb. 25.3a–e Turnover-Lappen (Flip-Flap-Technik) zur einzeitigen mung zu einem Urethralrohr. Weitere Penisplastik analog zu Glanslappen
Rekons­truktion der distalen Urethra und des Meatus. Bilaterale Umschnei- (. Abb. 25.2a–e)
dungen mit distaler Stielung der urethralen Platte. Umklappen und For-

25.2.3 Mikropenis Distale Hypospadie


Bei minimaler Hypospadie und nur wenig Beeinträchtigung der
Im Gegenzug zum verborgenen Penis, der in der Regel eine Norm- Miktion im Stehen besteht allenfalls eine ästhetische Indikation zur
größe aufweist, liegt die Länge des Mikropenis unterhalb der 2-fa- Verlagerung des Meatus. Dislokationen des Meatus im koronalen
chen Standardabweichung der Norm. Sulkus oder am distalen Schaft erfordern urethroplastische Me­
Rekonstruktive Maßnahmen sind äußerst schwierig und werden thoden.
kontrovers diskutiert. Prinzipiell kommen alle Verfahren bis hin zu Bei stärkerer Ausprägung mit Behinderung der Miktion werden
mikrochirurgischen Methoden in Frage, wobei jeweils ein individu- vorzugsweise Methoden zur Tubularisierung der Urethralplatte ver-
eller Therapieplan – auch abhängig von der erworbenen Geschlechts­ wendet.
identität – erforderlich ist.
Die Fortschritte der mikrochirurgischen Phallusrekonstruktion Glansreapproximierung. Dieses Verfahren ist für Kinder mit dista-
(7 Kap. 25.3) ermöglichen diese Verfahren auch für den Mikropenis, ler Hypospadie geeignet, bei denen noch eine Rinne in der Glans
allerdings nur für Erwachsene. Präpubertal und im Adoleszentenal- vorhanden ist. Unter Tourniquet-Kontrolle und Erektionstest zum
ter wird die konstruktive Chirurgie des Penis weiter kontrovers dis- Ausschluss von chordabedingter Deviation wird mit Glansläppchen
kutiert. Sie ist technisch insofern unausgereift, als dass allenfalls ein eine distale Neourethra um den eingelegten Harnröhrenkatheter
artifizielles Organ rekonstruiert wird. geformt (. Abb. 25.2, 25.3).

Sonstige Verfahren. Weitere Verfahren wie Meatoplastik und


25.2.4 Hypospadien Glansplastik sowie die tubuläre Rekonstruktion mit Inzision der
urethralen Platte stellen Varianten zu der in . Abb. 25.3 dargestell-
Es existiert ein Vielzahl an historischen und in vielen Lehrbüchern ten Methode dar.
fortgeschriebenen Methoden, die aber zunehmend durch moder- Die Rekonstruktion mit scharnierartigem Umklappen der Ure-
nere Verfahren abgelöst werden. Diese beruhen auf der Tubularisie- thralplatte nach Umschneiden kann für proximalere Hypospadien
rung der vorhandenen Anlagen der Urethralplatte oder der zweizei- des Penisschaftes verwendet werden.
tigen Rekonstruktion der Urethralplatte mittels Hauttransplantaten.
Ziel ist es dabei insbesondere, am distalen Meatus eine schlitzför- Proximale Hypospadien
mige Harnröhrenöffnung zu erzielen. Bei sehr viel weiter proximalen Hypospadien oder gar proximalem
Austritt ist ein zweizeitiges Vorgehen mit primärem Hauttransplan-
tat zur Schaffung eine neuen Urethralplatte und dann sekundärer
202 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich

25

a b

c d

. Abb. 25.4 Skrotumrekonstruktion nach Fournier-Gangrän (a) durch Grazilis-Lappenplastik (b–d)

Tubularisierung derselben indiziert. Zunächst wird die Glans ge- > Wenn möglich, wird ein Direktverschluss angestrebt, an-
spalten, um einen Meatus zu schaffen, anschließend nach Resektion sonsten werden Hauttransplantate oder Random-pattern-
von Narben das Hauttransplantat in der Länge der gewünschten Ne- Lappen, Fasziokutanlappen, distale Lappen oder mikro-
ourethra eingelegt und mit einem Überknüpfkomressionsverband chirurgische Transplantate verwendet.
versehen. Nach sicherer Einheilung und Konsolidierung nach 6 Mo-
naten erfolgt dann die Formung zum Urethralrohr. Analog zu anderen Regionen ist eine radikale Exzision nekrotischer
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Bildung eines tubulären Gewebe mit früher Hauttransplantation indiziert, wobei allerdings
Lappens aus einem abgespaltenen inneren Präputialblatt, das dann die regenerative Kapazität der Haut von Skrotum und Glans ähnlich
perineal anastomosiert wird. Distal wird es in einem sagittalen Spalt dem Kopf/Hals-Bereich überdurchschnittlich ausgeprägt ist, sodass
in der Glans ausgeleitet und durch das äußere Präputium über­deckt. an der Glans eher eine Regeneration abgewartet wird.

Hauttransplantate
25.3 Posttraumatische Zustände Transplantate am Penisschaft werden aus ästhetischen und narben-
sparenden Gründen ungemesht aufgelegt und erfordern eine spezi-
25.3.1 Genitalrekonstruktion elle Wickeltechnik (7 oben). Als Verbandsanordnung hat sich ein
zirkulärer Schaumstoffköcher bewährt.
Als Folge eines traumatischen, infektions-, oder onkologisch be- Rekonstruktionen des Skrotums folgen identischen Prinzipien,
dingten Verlustes des äußeren Genitales werden rekonstruktive Ver- wobei im Gegensatz zum Penisschaft gemeshte Hauttransplantate
fahren erforderlich. bevorzugt werden, da sie die runzelige Skrotalhaut gut nachbilden.
Verbrennungen, Avulsionsverletzungen, Infektionen und Gang- Bei komplett einzeln freiliegenden Hoden, z. B. nach radikalem Dé-
räne führen zu Haut-Weichteil-Defekten. Wenn möglich, ist ein Pri- bridement einer Fournier-Gangrän, wird durch eine temporäre in-
märverschluss anzustreben, gefolgt von Hauttransplantaten, lokalen guinale Verlagerung eine simple Weichteildeckung erzielt. Sekundär
oder Random-pattern-Lappen, Muskulokutanlappen, Fasziokutan- ist dann eine Rückverlagerung im infektfreien Zustand in ein rekon-
lappen, Fernlappen und mikrochirurgischem Gewebstransfer. struiertes Neoskrotum möglich (. Abb. 25.4).
25.3 · Posttraumatische Zustände
203 25
Lappenplastiken der Anogenitalregion Fasziokutane Lappen aus dem System der A. circumflexa ilium
Zu den gebräuchlichsten Lappenplastiken zählen solche der A. puden- superficialis (Leistenlappen) und der A. epigastrica superficialis
da superficialis, die die Haut des Penisschaftes versorgen und damit (SIEA-Lappen), der anteromediale Oberschenkellappen (»antero-
proximal gestielte Lappenplastiken, z. B. für den Penisschaft und ante- medial thigh«) und der Pudendal-thigh-Lappen stellen Möglichkei­
riore Harnröhrenrekonstruktionen, ermöglichen. Distale Lappenplas­ ten mit geringerer Hebedefektmorbidität dar. Der mediale Ober-
tiken, aus dem Stromgebiet der A. balaniticae und vom inneren Blatt schenkellappen (externes Pudendagefäßsystem und Äste der A. pro-
der Vorhaut versorgt, dienen der Wiederherstellung der Glansregion. funda femoris) und der hintere Glutäallappen (»gluteal posterior
Lappenplastiken des Abdomens oder Mons pubis sind wegen thigh flap«, A. glutea inferior) eignen sich sowohl für die Rekon-
der andersartigen Hautstruktur, Behaarung und des ausgeprägten struktion der Vagina als auch eines Phallus.
Fettgewebes für Genitalrekonstruktion dagegen nicht geeignet. Gestielte myokutane regionale oder Fernlappen (transverser
Gleiches gilt für Skrotallappen aufgrund der rigiden und behaarten bzw. vertikaler Rectus-abdominis-Myokutanlappen; TRAM bzw.
Struktur. VRAM) sind zwar für große Defektdeckungen wie ausgedehnte
Gestielte Lappen aus dem Stromgebiet der A. pudenda werden Strahlenfolgen notwendig und geeignet. Ihre Bedeutung bei diffi-
durch die Leistenfalte und die Labia majora begrenzt und können ziler Genitalrekonstruktion ist aufgrund der ungeeigneten, v. a. vo-
beidseitig in einer Ausdehnung von 15×6 cm fasziokutan gehoben luminösen Gewebsbeschaffenheit stark eingeschränkt.
werden. Neben dem sehr verlässlichen Gefäß ist der Lappen neuro-
vaskulär über Äste des Sakralnervenplexus (S2–S4) versorgt. Die
A. pudenda interna misst 10–12 cm (Durchmesser 1–1,5 mm) und 25.3.2 Genitalreplantation
kann auf der Faszie der Adduktorenmuskulatur dargestellt werden.
Am Ende findet sich ein Gefäßplexus mit Anastomosen zur A. pu- Nach der ersten erfolgreichen Penisreplantation 1977 durch Cohen
denda externa und zur A. circumflexa femoris medialis. Mit einem und Tamai wurden weltweit mittlerweile über 100 weitere Fälle be-
Rotationsbogen des 15×6 cm großen Lappens ist die Kontralateral- richtet. Die funktionellen Ergebnisse sind zu einem Großteil über­
seite des Genitales erreichbar, ipsilateral kann damit der Ursprung raschend gut, was u. a. darauf zurückgeführt wird, dass jedes der
der Adduktorenmuskulatur bedeckt werden. Das Zentrum des Lap- potenziell zu anastomosierenden Gefäße – ventral, tief und dorsal
pens befindet sich über und im Verlauf der Inguinalfalte. – nicht nur per se allein das Amputat dominant versorgen kann,
Der Hebedefekt lässt sich mit einer Basisbreite des Lappens von sondern wie auch die Venen über die Schwellkörper gleichsam ein
6 cm meist direkt verschließen. An der Basis kann die Haut über dem alternatives System der sekundären Transplantateinheilung besit-
dominanten Gefäß verbleiben oder der Lappen kann als echter Insel- zen.
lappen gehoben und nur an seinem Gefäß gestielt verwendet werden.
Verschränkt man beidseitig gehobene Lappen und stülpt diese nach Penis
innen, so erhält man die Möglichkeit, damit eine Neovagina zu bil- Die meisten der in unseren Breiten betroffenen Patienten haben eine
den. Hierfür werden die Lappen getunnelt in den Defekt der ehema- psychiatrische Diagnose und hatten sich die Verletzung selbst in
ligen Vagina eingeschwenkt und dort mit sich invertierend vernäht. Form einer scharfen Abtrennung zugefügt. Sie sollten engmaschig
Es empfiehlt sich, die Kontaktstellen zuvor zu deepithelialisieren. psychiatrisch fachärztlich mitbetreut werden. Traumatische unver-
Nach evtl. durchgeführter Vulvektomie ist dieser Lappen aufgrund schuldete Amputationen der Genitalien kommen eher als Quetsch-
des Gefäßschadens u. U. nicht mehr verfügbar. Beim Mann lässt sich oder Ausrissamputationen vor und sind prognostisch ungünstiger
ein Neoskrotum durch Aneinandernähen bilateraler Lappen formen. zu bewerten.
Bei komplexen Defekten besteht ein Bedarf an Muskellappen.
> Das Management entspricht den Regeln der Replantation
Dabei gilt der Grazilislappen (myokutan, als Muskellappen oder Per-
wie bei anderen Gliedmaßen.
forator-Haut-Lappen) als »Arbeitspferd« in dieser Region und wird
zur plastischen Deckung von Harnröhrenanastomose, exponierten Im Rahmen der Operationsvorbereitung erhält der Patient einen
Knochen, nach Penisrekonstruktion, Plombierung perinealer Höh- suprapubischen Katheter, der den Urinfluss für 2–3 Wochen ableitet.
len und bei Strahlenschäden eingesetzt. Mit einer Ausdehnung von Zunächst wird das typischerweise gekühlte Amputat im Wund-
6×24 cm liegt dieser dünne Muskel zwischen dem M. adductor bereich unter dem Operationsmikroskop inspiziert, minimal débri-
longus dorsal und dem Sartorius ventral. Der dominante Gefäßstiel diert und die Urethra über einen Blasenkatheter geschient. Es folgt
entspringt der A. circumflexa femoris medialis und erlaubt mit 6 cm die Naht der Urethra, Tunica albuginea und der Corpora cavernosa.
Länge und einem Durchmesser von ca. 1,6 mm einen Rotationsbo- Die Wiederherstellung der Gefäßstrombahn erfolgt mikro­
gen, der von der Inguinalregion, Os pubis, Perineum bis zum Os is- chirurgisch mit 9-0- and 10-0-Nylonmikrogefäßnähten im Bereich
chii reicht. Eine Hautinsel wird über den proximalen 2/3 des Muskels der tiefen dorsalen Arterie sowie der tiefen und oberflächlichen dor-
mit bis zu 16×18 cm entnommen. salen Venen. Die Nervenkoaptation wird entsprechend den Grund-
sätzen der Mikronervenchirurgie mit 10-0- oder 11-0-Einzelnähten
> Der Grazilislappen ist ein universelles Transplantat für die
durchgeführt. An der Oberfläche werden Tunica dartos und Haut
Haut-Weichteil-Rekonstruktion bei komplexen perinealen,
locker adaptiert.
analen und genitalen Defekten.
Ergänzend kann durch den Tensor-fasciae-latae-Lappen, den ge- Testes
stielten Leistenlappen oder den kaudal gestielten M. rectus abdomi- Replantationen der Testes erfordern die Anastomosierung der eher
nis eine weichteilplastische Rekonstruktion der Urogenitalregion kleinkalibrigen A. testicularis mit Aufzweigungen für den Hoden,
erzielt werden. dessen oberen Pol und den Globus major des Nebenhodens. Zur
Alternativ findet der M.-rectus-abdominis-Lappen Verwen- Gefäßversorgung tragen ferner bei: A. deferentis, A. vesicularis infe-
dung, insbesondere im Symphysenbereich sowie am Penisschaft. rior (Nebenhoden) und die Cremasterarterie.
Den Vorteilen einer leichten Präparation und guter Durchblutung Im Gegensatz zur Penisreplantation sind die anatomischen Vo-
steht eine nicht unerhebliche Hebedefektmorbidität gegenüber. raussetzungen bei der Testesreplantation oder Revaskularisation
204 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich

handelte es sich um Kriegsverletzungen, man konnte damals nur auf


25 einfache Random-pattern-Lappen zurückgreifen, die sich mittels
aufwendiger Rundstiellappen kompliziert und unvorhersehbar ge-
stalteten. Erst Orticochea beschrieb die Verwendung eines Grazilis-
myokutanlappens. Mit der Einführung der Mikrochirurgie und Etab­
lierung ausreichender Kenntnisse zur neurovaskulären Versorgung
a
des Penis und möglicher Transplantate wurden auch präzise Anfor-
derungen an eine Wiederherstellung definiert. Heute stellen einzei-
tige Verfahren mittels mikrochirurgischer Transplantate die Metho-
de dar, um den Anforderungen sowohl an die Rekonstruktion eines
sensiblen Phallus mit funktionaler Urethra als auch die Möglichkeit,
versteifende Penisprothesen zur Erektion einzusetzen, zu entspre-
b chen.
Die erste freie Verpflanzung eines tubularisierten Leistenlappens
durch Puckett leitete den Erfolg der mikrochirurgischen Transplan-
tate ein. Chang u. Gilbert führten den freien Radialislappen ein, der
im Sinne eines Rohr-im-Rohr durch eine hauptsächlich ulnar plat-
zierte Hautinsel auch eine suffiziente Urethrarekonstruktion über
einem temporären Blasenkatheter ermöglichte. Biemer u. Boyd mo-
difizierten die Technik durch Zentrierung über der A. radialis mit
sicherer Durchblutung über der Neourethra. Nachteilig ist die radial
c stärkere Behaarung der urethralen Haut und bei dem Verfahren
nach Boyd der kürzere Penis durch die Umklappung der Neourethra.
Allerdings überwiegt hier der Vorteil der sicheren Durchblutung der
urethralen Anastomose. Lovie schlug ein direkt über die A. ulnaris
vaskularisiertes Transplantat vor, was eine sichere Durchblutung mit
haarfreier Haut kombiniert.
. Abb. 25.5 zeigt die die Totalrekonstruktion eines Neopenis aus
d einem mikrovaskulären Unterarmlappen.
Komplikationen neben einem Fehlschlag des mikrovaskulären
Transfers sind insbesondere Atrophie, Urinfisteln aus insuffizienter
Neourethra oder proximaler Anastomose, ausbleibende sensorische
Regeneration und Harnröhrenstrikturen. Bei Armierung mit Pe-
nisprothesen zur Erzeugung einer Erektion kann es zu Infektionen
oder Perforationen kommen.
Eine verbesserte Beherrschung der chirurgischen Probleme an
e
der Urethra kann durch Grazilislappen zur Weichgewebsaugmenta-
tion erreicht werden sowie Korrekturen der Urethra analog zu den
Hypo- und Epispadien mit Hauttransplantaten.
Unter allen Patientengruppen besteht die größte Patientenzu-
friedenheit nach Penisersatz bei kongenitaler Fehlbildung oder Pe-
nisaplasie.
f

. Abb. 25.5a–f Neopenistotalrekonstruktion aus mikrovaskulärem Unter-


armlappen. Hier wird die zentrale Achse der Urethra (3×12 cm) über der
25.3.4 Vaginalrekonstruktion
A. radialis platziert (a). 2 deepithelisierte Streifen zwischen den Hautinseln
ermöglichen die Formung und den wasserdichten Verschluss einer Neoure-
Prinzipien der Rekonstruktion bei kongenitaler
thra durch innere Einformung (b, c). Darüber werden die seitlichen Hautin-
Aplasie
seln (7×12 cm) als äußerer Penisschaft vereinigt und umscheiden damit die Basis der meisten Verfahren bei Vaginalatresie ist die Methode nach
Neourethra. Die mikrovaskuläre Anastomosierung erfolgt über A. radialis, Abbe-McIndoe. Über einen Y-förmigen perinealen Schnitt wird ein
V. cephalica und N. cutaneus antebrachii medialis an den N. pudendus Vaginalkanal in der pararektalen extraperitonealen Schicht zwischen
der geschienten Urethra und dem Rektum disseziert. Nach Errei-
chen einer ausreichenden Weite und Länge werden die durch die
inkl. der Rekonstruktion des Ductus deferens erschwert, ebenso Y-Inzision gebildeten kutanen äußeren Läppchen eingeschlagen und
setzt eine kritische Ischämiezeit von 4–6 h Grenzen für eine erfolg- zum inneren Lining des Intriotus verwendet. In der Tiefe werden
reiches Wiedereinsetzen der Spermienproduktion. Spalthautransplantate der Gesäßregion über einen mit den Grafts
versehenen kommerziell erhältlichen Vaginal-Stent eingebracht.
Unerlässlich ist eine konsequente Wundpflege und Reinigung des
25.3.3 Penisrekonstruktion Vaginalobturators, der postoperativ für wenigstens 6 Monate Tag
und Nacht getragen werden soll. Später muss der Vaginal-Stent zu
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurden bereits Methoden der Prävention von Stenosen und Schrumpfungen abhängig von der
Penisrekonstruktion aus Bauchhautlappen beschrieben. Meistens sexuellen Aktivität intermittierend eingelegt werden.
25.4 · Plastische Chirurgie bei Störungen der Geschlechtsidentität
205 25
Postonkologische und posttraumatische 25.4.1 Transfrauen (Mann-zu-Frau-Transsexuelle)
Rekonstruktion der Vagina
Der Plastische Chirurg ist häufig mit der Rekonstruktion erwor- Wesentlicher Eingriff ist die geschlechtsangleichende Operation mit
bener Vaginaldefekte betraut, meistens nach Trauma oder multi­ Entfernung von Penis, Skrotum, Hoden und Konstruktion einer
modaler Tumortherapie. In der Regel bestehen z. B. im Rahmen ab­ Vagina.
dominosakraler Radikaloperationen mit Exenterationen oder bei Es existieren zahlreiche Techniken der Vaginalplastik:
Vulvakarzinom entsprechende ausgedehnte Defekte mit zumindest 4 Hauttransplantat (7 Kap. 25.3.1),
erhaltenen subtotalen Anteilen der Vagina. Zu Rekonstruktions- 4 Penisinversion durch Invertieren von Penishaut, Skrotalhaut
möglichkeiten und Algorithmen der Lappenauswahl wird auf die und ggf. Urethralvorderwand für eine verbesserte erotische Sen-
ausführliche Darstellung in 7 Kap. 24 verwiesen. sibilität,
Kleinere Defekte lassen sich primär verschließen, bei größeren 4 regionale Lappen (z. B. Leistenlappen),
sind Transplantate erforderlich, wobei Hauttransplantate bei den 4 Rektosigmoidplastik.
oftmals vorliegenden Strahlenfolgen keine Option darstellen.
Als Lappenplastiken wurde für kleinere Defekten durch gynäko- Die Techniken sind in steigender technischer Komplexizität genannt,
logische Operateure der regionale Vulvobulbokavernosus-Myokut- wobei die aufwendigeren Methoden des intestinalen Ersatzver­
anlapen beschrieben, der aufgrund der geringen Größe und des limi­ fahrens durch Rektosigmoid trotz höherer Risiken doch die einer
tierten Rotationsbogens nur für kleine Resthöhlen in Frage kommt. normalen Vagina ähnlichsten Organ- und Schleimhautqualitäten
Größere Lappenplastiken lassen sich nur aus den in 7 Kap. 25.3.1 (Größe, Feuchte, Sensibilität) aufweist.
genannten Regionen gewinnen und umfassen im Wesentlichen den Besondere ästhetische Anforderungen stellen sich an die Gestal-
Grazilislappen, VRAM- oder TRAM-Lappen und myokutane sowie tung der externen Genitalien, insbesondere der Klitoris. Als Verfah-
fasziokutane Lappenplastiken der Oberschenkelregion. ren steht hier die Bildung eines dorsal-neurovaskulären Glanslap-
Intestinale Transplantate wie aus Sigma, Kolon, Dünndarm sind pens mit Schaffung einer neuen vorderen Kommissur im Sinne eines
wegen der erheblichen operativen Belastungen (Laparotomie) und Präputiums durch eine Schnittführung ähnlich dem Skate-Lappen
der hygienischen Probleme (muköse Absonderungen, Ausnahme der Mamillenrekonstruktion zur Verfügung.
Rektosigmoid) weniger beliebte Verfahren und seien nur der Voll- Weitere Maßnahmen sind:
ständigkeit halber erwähnt. 4 Epilation des Bartes,
4 ggf. Operationen am Kehlkopf zum Anpassen der Stimmlage,
4 Fortsetzung einer gegengeschlechtlichen Hormonsubstitution,
25.4 Plastische Chirurgie bei Störungen 4 Mammaaugmentation,
der Geschlechtsidentität 4 Gesichtskonturierungen (Jochbogen, Kinn), Rhinoplastik.

Eine Geschlechtsidentitätsstörung liegt vor, wenn ein Mensch kör-


perlich eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht an- 25.4.2 Transmänner
gehört, sich jedoch als Angehöriger des anderen Geschlechts emp- (Frau-zu-Mann-Transsexuelle)
findet und danach strebt, sich auch körperlich diesem Geschlecht so
gut wie möglich anzunähern. Es werden unterschiedliche Theorien Die wesentlichen Eingriffe sind hier die Brustentfernung, Entfernen
zur Genese und Ursachenbestimmung diskutiert, wobei eine Kom- von Gebärmutter und Eierstöcken und v. a. die Konstruktion eines
bination von physischen und psychischen Ursachen für möglich Phallus. Die Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken ist nicht
gehalten wird (. Tab. 25.1). zuletzt wegen des durch die Zufuhr männlicher Hormone steigenden
Bereits seit 1950 wird in den USA die gegengeschlechtliche Hor- Risikos von Krebs an diesen Organen angezeigt.
montherapie angewandt, und Psychiatern wie Harry Benjamin ist es Die Mastektomie wird in Anlehnung an die bekannten Verfah-
zu verdanken, dass Transsexuelle nicht als psychisch Kranke ange­ ren der plastischen Mammachirurgie durchgeführt, wobei eine nar-
sehen werden, sondern als Individuen, bei denen ihr körperliches bensparende Technik anzustreben ist. Die Methodenwahl ist indi­
Geschlecht von ihrer Geschlechtsidentität abweicht. viduell zu gestalten und an den Wünschen der Patienten zu orien­
tieren.
> Hormonelle und/oder chirurgische Therapien verzahnen
Die Herstellung eines männlichen Genitales, basierend auf di-
sich in einem multidisziplinären Behandlungsansatz, des-
versen Verfahren, strebt folgende Ziele an:
sen Ziel es ist, den Körper soweit als möglich dem empfun-
4 Rekonstruktion eines ästhetischen Phallus,
denen Geschlecht anzugleichen. Damit hat die Plastisch-
4 Bildung eines Neoskrotums mit Hoden,
rekonstruktive Chirurgie aufgrund der operativen und
4 Erhaltung einer erotischen Sensibilität,
psychologischen Erfahrungen mit körperverändernden
4 Penetrationsfähigkeit des Phallus,
Eingriffen eine höchst verantwortungsvolle Schlüsselrolle
4 Möglichkeit des Urinierens im Stehen.
in diesem finalen Behandlungsschritt.
Daten zeigen, dass in einem gut strukturierten Behandlungspro- Die grundlegende Methodik der plastischen Bildung eines Neopenis
gramm, in der Regel in einem interdisziplinären Zentrum, die Pati- und auch der Skrotumbildung ist in 7 Kap. 25.3.3 wiedergegeben,
enten hinsichtlich persönlicher Zufriedenheit, Lebensstil, sozialer wobei alternativ regionale gestielte Lappen wie der beidseitig Puden-
Stabilität und sexueller Anpassung sehr profitieren. da-externa-Lappen oder auch der Leistenlappen oder freie Lappen-
In Deutschland regelt das Transsexuellengesetz die sozialen plastiken in Frage kommen.
Rahmenbedingungen wie u. a. standesamtliche Änderungen von Das Skrotum wird aus der Haut der großen Labien geformt, wo-
Vornamen und Personenstandsänderungen. bei nach medianer Naht das Gewebe von lateral noch durch eine
Geschlechtsangleichende Operationen umfassen die im Folgen­ VY-Verschiebung rekrutiert werden kann. Gegebenenfalls ist eine
den genannten Maßnahmen. Expandervordehnung erforderlich.
206 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich

25

b c

. Abb. 25.6a–c Technik der Verkleinerung der kleinen Schamlippen. In eines insuffizienten Schamlippenschlusses unbedingt zu vermeiden ist. Je
Steinschnittlage wird nach präoperativer ausführlicher Klärung des Korrek- nach Hypertrophieausmaß wird eine keilförmige oder tangentiale Exzision
turwunsches eine Unterspritzung mit adrenalinhaltiger Lösung (1:200.000) durchgeführt. Die Naht erfolgt mit resorbierbaren geflochtenen (5-0-, 6-0-)
durchgeführt. Nach Anschlingen mit Haltefäden wird nochmals das Aus- Fäden
maß der Resektion festgelegt, wobei eine Überkorrektur wegen der Gefahr

25.5 Ästhetische Chirurgie des Genitales ambulant (abhängig von Resektionsausmaß) durchgeführt werden
(. Abb. 25.6).
Identität und Selbstwertgefühl einer Person hängen erheblich mit Eine mechanische Schonung der Region ist für 6 Wochen er­
der Perzeption der Genitalien zusammen und können bei empfun- forderlich. Gelegentlich treten kleinere Wunddehiszenzen auf, die
denen Abweichungen vom Ideal erheblich gestört sein. Selbstver­ meistens konservativ beherrscht werden können.
gleiche mit pornographischen Darstellungen, Medien, Kommentare
Dritter führen zunehmend dazu, dass häufiger Patienten beim Plas-
tischen Chirurgen Hilfe suchen. So wurden Operationstechniken 25.5.2 Ästhetische Chirurgie
entwickelt, die primär auf den Erfahrungen der rekonstruktiven uro- des männlichen Genitales
genitalen Chirurgie basieren und technische Detailkenntnisse erfor-
dern. Die am häufigsten nachgefragten Operationen sind die Scham- Bei Männern besteht der Wunsch einer ästhetischen Verbesserung
lippenverkleinerung bei Frauen und die Penisverlängerungen beim von Penis oder Skrotum. Dabei steht die Penisverlängerung bzw.
Mann. -vergrößerungen an erster Stelle der Indikationsliste. Diese wird
durch Lösung der Ligg. suspensoria in Verbindung mit dem Einsatz
von Gewichten oder Streckvorrichtungen erreicht. Gleichzeitig wer-
25.5.1 Ästhetische Chirurgie des weiblichen den Hautsegel, die zum Skrotum ziehen und eine optische Ver­
Genitales kürzung bedingen, durch Z-Plastiken bzw. VY-Plastiken beseitigt.
Außerdem können Fettüberschüsse des Mons pubis durch Liposuk-
Frauen mit Labienhypertrophie unterziehen sich Eingriffen aus tion oder offene Resektion entfernt werden.
zahlreichen Gründen, wobei insbesondere die aktuelle Mode, Fitness­ Eingriffe zur Vergößerung des Penisumfangs lassen sich durch
aktivitäten etc. einen entsprechenden Erfolgsdruck auf das ästhe- autologe Fettinjektionen oder dermale Matrizes (Alloderm) erzie­
tische Erscheinungsbild ausüben. Hypertrophien der Labia minora len. Zu weiteren Techniken 7 Kap. 25.2.2 (Korrektur des »hidden
und majora können erworben (Varikosis), oder angeboren sein. Ent- penis«).
zündungen, Hygieneprobleme, mechanische Irritation und Scham- Wichtig bei der präoperativen Evaluation ist die genaue Eruie-
gefühl stellen ebenso wie auffällige Konturbildung bei enger Klei- rung des tatsächlichen Leidensdrucks und v. a. die Abgrenzung von
dung eine Indikation zum chirurgischen Eingriff dar. Die Operation psychiatrischen Störungen von großer Bedeutung. Nicht wenige
kann sowohl in Allgemein- als auch Lokalanästhesie stationär wie Männer mit Störungen bei Mikropenis, »hidden penis«, skrotalen
25.5 · Ästhetische Chirurgie des Genitales
207 25

a b

f g

. Abb. 25.7a–g Operative Korrektur des Mikropenissyndroms (a). Verlän- prä- (e) und postoperativen Aspektes (f). Postoperativ für zusätzlichen Län-
gerungsoperation: Skrotale Z-Plastik an der Peniswurzel (b). Durchtrennung gengewinn Durchführung einer Gewebsdistraktion durch Penisgewicht (g)
des Lig. supsensorium (c), Fettabsaugung des Mons pubis (d). Vergleich des
208 Kapitel 25 · Rekonstruktion im Urogenitalbereich

Segelbildungen und angeborenen Fehlbildungen weisen erhebliche Lovie MJ, Duncan GM, Glasson DW (1984) The ulnar artery forearm flap. Plast
25 Störungen mit nicht abzusehender Stabilisierung des Selbstwertge- Surg 37: 486
fühls durch einen eventuellen Eingriff auf. Puckett CL, Reinisch JF, Montie JE (1982) Free flap phalloplasty. J Urol 128:
294
Wichtig ist eine genaue, v. a. interdisziplinär mit Urologen
Roberts CJ, Lloyd S (1973) Observations on the epidemiology of simple hypo-
durchgeführte Problemidentifikation, zu der Messungen von Penis-
spadias. Br Med J 1: 768–770
umfang und -länge im erigierten Zustand zählen. Mittlere Längen Sadove RC, Horton CE (1988) Utilizing full-thickness skin grafts for vaginal
im Erektionszustand von 12,5 cm wurden in der US-Population er- reconstruction. Clin Plast Surg 15: 443–448
mittelt, für die deutsche Population werden Werte von ca. 14,5 cm Wessells H, Lue T, McAninch JW (1995) The relationship between penile length
angegeben. in the flaccid and erect states: Guidelines for penile lengthening. Pre-
Der durch Lösung der Ligg. suspensoria über eine quere Inzision sented at American Urological Association 90th annual meeting, Las
dorsal der Peniswurzel erreichte Längengewinn im erigierten Zu- Vegas, April 1995
stand beträgt ca. 1–2 cm (. Abb. 25.7). Weitere Länge lässt sich nur
durch postoperative Streckung durch Penisgewichte erzielen. Der
entstehende Totraum unterhalb des Os pubis wird mit transpo-
niertem Fettgewebe ausgefüllt.
Zu Vermehrung des Penisumfangs werden autologe Fettinjek­
tionen in die Dartosfaszie in Tunneltechnik empfohlen. Dermisfett-
transplantate oder Alloderm in die Dartosfaszie oder unterhalb
transplantiert hat gegenüber den Fettinjektionen den Vorteil gerin-
gerer Knotenbildung.
Als wesentliche Risiken und Komplikationsmöglichkeiten wer-
den Infektionen, persistierende Ödembildung und Narbenstrang-
bzw. Narbenplattenbildung mit Deviationen des Penis bei der Erek-
tion beschrieben. Daher sind die Indikationen für derartige Eingriffe
sehr sorgfältig zu evaluieren.
Skrotalraffungen bei stark elongiertem Skrotum werden vor-
zugsweise durch eine anteriore quere M-förmige Hautexzision vor-
genommen, um den dorsalen Lymphabfluss nicht zu tangieren.

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Lesavoy MA, Carter EJ (2006) Reconstruction of female genital defects: con-
genital. In: Mathes SJ, Hentz VR (eds) Plastic surgery, 2nd edn. Saunders,
Philadelphia
26

Rekonstruktion
an der oberen Extremität
A.D. Niederbichler, P.M. Vogt

26.1 Patientenevaluation   – 210

26.2 Anamnese und Befund – 210

26.3 Schulterregion – 210

26.4 Oberarm – 214

26.5 Ellbogenregion – 214

26.6 Unterarm – 214

26.7 Handrücken – 218

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
210 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität

Die Deckung von Haut-Weichteil-Defekten im Bereich der oberen Folgende Informationen müssen zur Operationsplanung vorliegen:
Extremität ist häufig nach Trauma und der onkologiegerechten Re- 4 Zeitpunkt der Verletzung im Fall eines Traumas,
sektion von Tumoren erforderlich. Der rasche und sichere Wundab- 4 Mechanismus, z. B. Rasanztrauma (»high energy trauma«), Am-
26 schluss, v. a. aber ein Weichteillager zum Schutz von Gefäß-Nerven-
Bahnen sowie Gleitschichten für Sehnen stellen dabei die primären
putationsverletzung, Quetschtrauma (»crush injury«),
4 Vorliegen eventueller knöcherner Begleitverletzungen (Luxa­
Anforderungen der chirurgischen Therapie dar. Schon während im tionen, Frakturen, Knorpelschäden etc.),
heute zu fordernden interdisziplinären Konzept die Rekonstruktion 4 verwendetes oder geplantes Osteosyntheseverfahren (tempo­
funktioneller Strukturen (Nerven, Gefäße, funktionelle Rekonstruk- räres vs. definitives Verfahren) und dessen Stabilität (wichtig für
tion etc.) und evtl. die Frakturreposition und -fixation durchgeführt die krankengymnastische Beübung des Patienten und die Ent-
werden, sind weichteilplastische Maßnahmen zu integrieren, um ein scheidung über temporäre oder definitive Defektdeckung),
optimales funktionelles und ästhetisches Outcome sicherzustellen. 4 systemische Erkrankungen (Gefäßerkrankungen, Diabetes mel-
Das Konzept der »rekonstruktiven Leiter« bei der Defektde- litus, arterielle Hypertonie etc.),
ckung wurde durch (Levin 1993) beschrieben, es beinhaltet eine al- 4 Nikotinabusus (Dauer und Menge standardisiert als »pack
gorithmische Anwendung verschiedener chirurgischer Techniken years«),
zur Defektdeckung: vom biologischen Verband bis zu der freien, 4 psychische Erkankungen/Auffälligkeiten (→ Einschätzung der
mikrochirurgischen Lappenplastik (. Abb. 14.2; Levin 1993). Das postoperativen Compliance)
rekonstruktive Konzept hinter dieser »Leiter« beinhaltet den siche­
ren Defektverschluss mit dem einfachsten anwendbaren Verfahren. Soll eine Defektdeckung nach Resektion eines Extremitätentumors
Dieses Konzept hat heute im Hinblick auf die primär zu optimie- erfolgen, muss dessen Stadium gemäß TNM-Klassifikation vorlie-
rende funktionelle und ästhetische Wiederherstellung an Bedeutung gen. Insbesondere bei Weichteiltumoren (Sarkomen) sollte – neben
verloren. Insbesondere im Bereich der oberen Extremität sind nicht der apparativen Diagnostik (MRT, CT, Angiographie, Sonographie
selten initial mikrovaskuläre Lappenplastiken über exponierten etc.) – vor der onkologiegerechten Resektion des Tumors eine Inzi-
Sehnen und Gelenken erforderlich. Nur so sind die soziale und be- sionsbiopsie mit Hautspindel über dem Punctum maximum des
rufliche Rehabilitation des Patienten optimal und frühzeitig zu rea- Tumors entnommen worden sein, um den histologischen und im-
lisieren. munhistochemischen Befund in die Planung des therapeutischen
Bereits bei der Planung der Wiederherstellung müssen auch Konzeptes integrieren zu können (7 Kap. 36).
Überlegungen zur sekundären funktionellen Wiederherstellung ein- Präoperativ durchgeführte und geplante Strahlen- und Chemo-
bezogen werden, insbesondere, wenn aus lokalen oder patientenbe- therapie müssen in die rekonstruktiven Überlegungen im Rahmen
zogenen Gründen eine initiale aufwendigere Rekonstruktion nicht des multimodalen Therapiekonzeptes mit einbezogen werden, aller-
durchführbar ist. dings sind die Auswirkungen dieser (neo-) adjuvanten Maßnahmen
auf die verschiedenen Maßnahmen zur Defektdeckung noch nicht
ausreichend geklärt: Es gibt bis dato jedoch keinen Anhalt für eine
26.1 Patientenevaluation erhöhte Komplikationsrate bei freiem Gewebetransfer vor oder nach
Radiochemotherapie, allerdings ist die wissenschaftliche Datenlage
Defektausmaß und lokale Wundverhältnisse bestimmen das Aus- zu diesem Thema nicht extensiv (Evans et al. 1997; Sadrian et al.
maß der notwendigen operativen Schritte. In diesem Zusammen- 2002).
hang und spielen Allgemeinzustand und die Patienten-Compliance
eine wichtige Rolle, denn mehrschrittige und langwierige Rekons- Untersuchung
truktionen an der oberen Extremität führen nur bei gut motivierten Die Untersuchung des Defektes umfasst:
Patienten und optimaler physikalischer Rehabilitation zu guten Er- 4 die Lokalisation,
gebnissen. 4 die Abmessungen,
4 die Inspektion unter sterilen Kautelen zur Evaluation der ver-
letzten Strukturen,
26.2 Anamnese und Befund 4 eine Abstrichentnahme und mikrobiologische Untersuchung,
4 die photographische Befunddokumentation.
Anamnestisch müssen Händigkeit und Beruf des Patienten erfasst
und in die rekonstruktiven Überlegungen entsprechend einbezogen Im Folgenden werden die im eigenen Vorgehen gut etablierten Lap-
werden. Selbstverständlich ist eine genaue Erfassung der präopera- penplastiken zur Defektdeckung im Bereich der oberen Extremität
tiven Beweglichkeitsausmaße nach der Neutral-Null-Methode sowie – gegliedert nach den Regionen Schulter, Oberarm, Ellbogen und
der Sensibilität unabdingbare Voraussetzung für einen operativen Unterarm – dargestellt.
Eingriff. Gegebenenfalls ist es notwendig, eine neurophysiologische
Untersuchung (proximal und distal, Nervenleitgeschwindigkeit und
motorische Latenz) ergänzend durchzuführen. Die Perfusion der 26.3 Schulterregion
oberen Extremität muss sowohl klinisch (Inspektion, Palpation) als
auch ggf. apparativ (Doppler-Untersuchung, Angiographie etc.) un- Defekte der Schulterregion können mit den verlässlichen, gut etab-
tersucht werden. lierten Lappenplastiken des Subskapularsystems verschlossen wer-
den (. Abb. 26.1).
! Cave
Nikotinabusus stellt einen Risikofaktor für einen kompli- M.-latissimus-dorsi-Lappen. Die M.-latissimus-dorsi-Lappenplas­
zierten Heilungsverlauf dar (Knobloch et al. 2008). tik kann sowohl als gestielte als auch als freie Lappenplastik gehoben
werden (. Übersicht).
26.3 · Schulterregion
211 26

b c

. Abb. 26.1a–d Lappenplastiken des Subskapular­


systems zur Defektdeckung im Bereich der oberen
Extremität (a). Blutversorgung von Skapula und Paras­
kapularlappen (b). Gefäßsysteme der A. subscapularis
in Beziehung zu den Abzweigungen des Truncus bra­
chiocephalicus (c). Blutversorgung und Möglichkeiten
der Hautinselplatzierung beim M.-latissimus-dorsi-
d Lappen (d)
212 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität

M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik
4 Lappenart: muskulokutan (ggf. muskulär ohne Hautinsel),
26 gestielt und frei
4 Gefäße: A. und V. thoracodorsalis
4 Sensibilität: keine

Die Lappenhebung mit einer Hautinsel ist in beiden Fällen möglich.


Der (proximal) M.-latissimus-dorsi-Lappen weist einen sehr guten
Rotationsbogen des Lappenstiels auf und kann unproblematisch –
meist mit einer Hautinsel – zur Defektdeckung im Bereich des Schul-
tergürtels und Oberarms verwendet werden.
> Die M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik ist die operative
a Methode der 1. Wahl zur Defektdeckung im Bereich der
Schulter.
Die Hebedefektmorbidität ist gering, und die funktionelle Ein-
schränkung (evtl. endgradig unvollständige Elevation des Armes der
betreffenden Seite) wird in den meisten Fällen kaum wahrgenom-
men.

M.-pectoralis-major-Lappen. Verbietet sich eine M.-latissimus-


dorsi-Lappenplastik, kann der M.-pectoralis-major-Lappen zur De-
fektdeckung im Bereich der ventralen und axillären Schulterregion
verwendet werden (. Abb. 26.2).

M.-pectoralis major-Lappenplastik
4 Lappenart: myokutan, gestielt
4 Gefäße: A. thoracoacromialis, ggf. Äste der A. thoracica
interna
4 Sensibilität: keine
b

Dieses Transplantat spielt im Schulterbereich bei Versorgung über


den thorakoakromialen Stiel nur eine sehr limitierte Rolle bei der
Versorgung kleiner Defekte der anterioren Region. Als Kraftspender
besitzt er eher Bedeutung, indem als funktioneller Muskelersatz für
die Außenrotation des Oberarmes nach entsprechender Umsetzung
des humeralen Insertionspunktes dient. Bei der Indikationsstellung
für den Pectoralis-major-Lappen müssen sowohl mögliche postope-
rative funktionelle Einschränkung (Kraftverlust bei Adduktion und
Innenrotation) als auch ästhetische Aspekte (Narbenverlauf) be-
rücksichtigt werden. Allerdings sind bei Vorhandensein der übrigen
Agonisten keine relevanten funktionellen Ausfälle zu erwarten.

Skapular- und Paraskapularlappen. Die Skapular- und Paraskapu-


larlappenplastik als fasziokutane Transpositions- oder Insellappen-
plastiken finden insbesondere Verwendung, um Defekte der hin-
teren Schulterregion und insbesondere der Axilla (Narbenfelder,
Resektionsdefekte) zu decken (. Abb. 26.3, 26.4).

Skapular- und Paraskapularlappenplastik


4 Lappenart: fasziokutan, ggf. osteokutan
c 4 Gefäße: A. und V. circumflexa scapulae (horizontaler oder
. Abb. 26.2a–c M.-pectoralis-major-Lappen (a), Rotationsbogen zur Schul­ vertikaler Ast)
terregion (b). Möglichkeiten der Hautinselplatzierung und Gefäßsysteme 4 Sensibilität: keine
des M.-pectoralis-Lappens (c)
26.3 · Schulterregion
213 26
Defektdeckung im Bereich der Schulter und Axilla eingesetzt wer-
den, es ist jedoch bei der Indikationsstellung zu bedenken, dass die
Entnahmestelle – evtl. ästhetisch unbefriedigend – mit einem Haut-
transplantat gedeckt werden muss (. Abb. 24.5). Für die Defektde-
ckung am Ellbogen ist die distale Stielbildung notwendig (. Abb. 26.6)
(Song et al. 1982).
Der laterale Oberarmlappen kann auch unter Präparation
des Ramus brachialis posterior der Nn. radialis und cutaneus
­antebrachii als neurovaskuläre kutane Lappenplastik gehoben
werden.

Laterale Oberarmlappenplastik
4 Lappenart: fasziokutan, gestielt, ggf. mikrovaskulär
. Abb. 26.3 Rotationsbogen des Paraskapular- und Skapularlappens
4 Gefäße: A. collateralis radialis aus A. profunda brachii,
Vv. comitantes, V. cephalica
4 Sensibilität: asensibel oder Ramus brachialis posterior der
Es ist möglich, die Skapular- und Paraskapularlappenplastik mit der Nn. radialis und cutaneus antebrachii
M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik zu kombinieren (sog. Composi-
te-Lappen), um ausgedehnte Defekte zu verschließen. Der M. latis-
simus dorsi kann mit einem gefäßgestielten Anteil des Skapula­ Bei Männern mit entsprechender Körperbehaarung kann es zu stö-
vorderrandes und der IX. oder X. Rippe gehoben werden, um ggf. rendem Haarwuchs auf der Lappenplastik kommen. Bei der Indika-
knöcherne Defekte zu sanieren (sog. chimärer Lappen). Auch kann tionsstellung muss der Operateur auch bedenken, dass der laterale
die paraskapuläre Faszie mitintegriert werden. Oberarmlappen eine dünne Lappenplastik ist, d. h. der Weichteil-
mantel der Empfängerstelle sollte ausreichend vorhanden sein, um
Oberarmlappen nach Song. Der proximal gestielte laterale Ober- eine ausreichende Stabilität und eine suffiziente Weichteilbedeckung
armlappen nach Song kann als fasziokutane Lappenplastik auch zur nach der Lappentransposition zu erreichen.

a b

c d

. Abb. 26.4a–d Paraskapularlappen zur Defektdeckung nach ausgedehnter Exzision im Bereich der Axilla bei Acne inversa
214 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität

26.4 Oberarm
Defekte im Bereich des Oberarms lasen sich im proximalen Drittel
26 bis nach lateral, auf der Medialseite individuell unterschiedlich weit
auch mit dem gestielten Latissimuslappen decken (. Abb. 26.7).
Der laterale Oberarmlappen, der entweder proximal oder distal
(distale Anastomose der A. collateralis radialis mit der A. radialis
recurrens) gestielt gehoben werden kann, eignet sich zur Rekonstruk­
tion, sofern der beschränkte Rotationsbogen ausreicht (. Abb. 26.5).
Proximal gestielt bietet der Lappen die Möglichkeit, ventrale und
dor­sale Defekte des Oberarms zu verschließen, distal gestielt kann er
zur Defektdeckung im Bereich des distalen Oberarms und ins­be­son­
dere des streckseitigen Ellbogens (7 Kap. 26.5) eingesetzt werden.

26.5 Ellbogenregion
Komplexe Defekte im Bereich des Ellbogens umfassen zum einen
a Expositionen der Gefäß-Nerven-Bündel oder des Gelenks. Bei be-
grenzter Ausdehnung können diese mit dem proximal gestielten
A.-radialis-Lappen oder dem lateralen Oberarmlappen ausreichend
versorgt werden (. Abb. 26.8, 26.9).

Radialislappenplastik
4 Lappenart: (neuro-)fasziokutan oder Composite (Knochen,
Muskel, Sehnen), gestielt oder frei
4 Gefäße: A. radialis, Vv. comitantes und V. cephalica
4 Sensibilität: N. cutaneus antebrachii lateralis

Aufgrund des Gefäßkalibers und der konstanten Anatomie ist dieser


Lappen als robust und technisch gut zu präparieren einzustufen.
Allerdings muss bei der Indikationsstellung bedacht werden, dass
zur Deckung des Hebedefektes eine Spalthauttransplantation erfor-
derlich ist, was ästhetisch gerade im Bereich des Unterarms sehr
störend ist. Weiterhin kommt es bei entsprechender Behaarung bei
Männern auch zu störendem Haarwachstum.
Der Radialislappen kann auch mit mikrochirurgischer Anasto-
mose als freie Lappenplastik verwendet werden. Ein weiterer Vorteil
dieses Lappens ist die Möglichkeit, ihn über Präparation des N. cu-
taneus antebrachii lateralis als neurofasziokutane Lappenplastik zu
heben, die diskriminative Sensibilität bei freier Transplantation ist
aber postoperativ in der Mehrzahl der Fälle schlecht ausgeprägt, so-
dass der Radialislappen als freier neurofasziokutaner Lappen nicht
zu empfehlen ist. Die in der Literatur beschriebene Kälteempfind-
lichkeit sowie ein Kraftverlust der Hand nach Entnahme einer Ra­
b dialislappenplastik kann nach eigenen, neuen Ergebnissen nicht
. Abb. 26.5a, b Lateraler Oberarmlappen, proximal gestielt für proximale nachvollzogen werden (Knobloch et al. 2005; Knobloch et al. 2006).
Defekte oder freien mikrovaskulären Transfer (a). Gefäßversorgung (b)

26.6 Unterarm
Posteriorer Oberarmlappen. Eine alternative Möglichkeit besteht
in der Verwendung des posterioren Oberarmlappens, der über ei- Defekte im Bereich des Unterarms können mit der distal oder pro-
nen Gefäßstiel der A. brachialis oder A. brachialis profunda aus ximal gestielten Radialislappenplastik gedeckt werden, jedoch müs-
der Lücke zwischen Teres-major-Insertion und Triceps brachii sen die Vor- und Nachteile dieser Lappenplastik (ästhetische Be­
­versorgt wird. Der Pedikel besitzt bei einer Länge von 4,4 cm und einträchtigung, evtl. Schädigung der palmaren Mikrozirkulation)
mittlerem Durchmesser von 1,5 mm einen begleitenden Nerven­ bei der Indikationsstellung bedacht und kritisch abgewägt werden
ast des N. cutaneus brachii posterior für die sensorische Inner­ (»benefit-disability assessment«).
vation. Gestielt eignet er sich für eine Deckung der Axilla (Mas­- Je nach Größe des Defektes können auch freie Lappenplastiken
quelet u. Rinaldi 1985), wurde aber auch als freier Lappen vor­ wie z. B. der Latissimus-dorsi-Lappen oder der »anterolateral thigh
geschlagen (. Abb. 26.6). flap« (ALT-Lappen) erforderlich sein, wenn es sich um ausgedehnte,
26.6 · Unterarm
215 26

a b

c d

. Abb. 26.6a-d Posteriorer Oberarmlappen für die Rekonstruktion der Axilla bei Strahlenulkus

komplexe Defekte mit großem Weichteilschaden handelt. Hier kommt


der fasziokutane ALT-Perforatorlappen in Frage, der zwar bei abwei- »Anterolateral thigh flap« (ALT-Lappen)
chender Gefäßanatomie gelegentlich technisch anspruchsvoll zu prä- 4 Lappenart: fasziokutan, muskulokutan + Fascia lata
parieren ist, jedoch aufgrund seiner Eigenschaften wie Größe und (chimärer Lappen)
Dicke (sehr dünner Lappen) eine gute Methode zur Defektdeckung 4 Gefäße: Ramus descendens der A. circumflexa lateralis
am Unterarm nach großen Weichteildefekten darstellt (. Abb. 26.10). femoris, hauptsächlich muskulokutane Perforatoren, aber
Bei großem Weichteilbedarf kann der Latissimus-dorsi- oder der auch septokutane Perforatoren, Verhältnis: ca. 80:20
ALT-Lappen auch als dünner Fasziokutanlappen oder als Composi- 4 Sensibilität: keine
te-Lappen mit Teilen des Vastus-lateralis-Anteils des M. quadriceps,
evtl. zusätzlich mit Fascia lata, verwendet werden.
216 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität

26

a b

c d

. Abb. 26.7a–e 49-jährige Patientin mit Zustand nach komplexer Arm­


verletzung. Die Weichteildefekte wurden mittels gestieltem M.-latissimus-
dorsi-Lappen sowie mit einem freien vertikalen M.-rectus-abdominis-
Lappen (VRAM, Anschluss an Brachialgefäße) gedeckt. Das funktionelle
Ergebnis ist gut, die Patientin kommt mit den Aktivitäten des täglichen
e
Lebens (ADL, Benchmark Test) gut zurecht
26.6 · Unterarm
217 26
Die Präparation ist technisch jedoch anspruchsvoll und bedarf
mikro­chirurgischer operativer Erfahrung. Seine Hauptverwendung
findet der ALT-Lappen bei großen Defekten des Unterarms mit mit-
telgradigem Weichteilschaden. Ausgedehnte und komplexe Defekte
mit großem Weichteilschaden sollten eher mit einer freien Latissi-
mus-dorsi-Lappenplastik versorgt werden, die auch als Composite-
Lappen (mit Skapular- und Paraskapularanteilen) gehoben und ver-
wendet werden kann. Aufgrund des Lappenvolumens können mit
dieser Option ausgedehntere Defekte des Unterarms behandelt
werden (. Abb. 26.10).
Für den Fall, dass die Rekonstruktion der Hauptgefäßachse er-
forderlich ist, stellt das »Flow-through-Konzept« eine Option dar,
wobei die A. radialis als Hauptgefäßachse rekonstruiert und als ver-
sorgendes Gefäß einer Lappenplastik, die proximal und distal »zwi-
schengeschaltet« wird, fungiert.
Sehr ausgedehnte Defekte erfordern u. U. auch spezielle Lap­
penplastiken, wie z. B. den freien kombinierten TRAM/VRAM
(»extended« VRAM)-Lappen oder auch die Kombination mehrerer
Lappen (. Abb. 26.7).

. Abb. 26.8 Design der proximal gestielten freien Radialislappenplastik

. Abb. 26.9a–d Proximal gestielte Radialislappenplastik zur Defektdeckung


b
im Ellbogenbereich (laterale Epikondylusregion) nach Sarkomresektion [8]
218 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität

26

a b

c d

. Abb. 26.10a–e Defektrekonstruktion am ulnaren Unterarm nach Resek­


tion eines G2-Liposarkomrezidivs durch freien ALT-Lappen mit simultaner
Sehnenkopplung der ulnaren Extensoren auf die radialen Unterarmstrecker

26.7 Handrücken
3 verlässliche Lappenplastiken zur Defektdeckung im Bereich des
Handrückens sind der gestielte Leistenlappen, der A.-interossea-
posterior-Lappen und der distal gestielte Radialislappen.

Gestielter Leistenlappen nach Mc Gregor. Der Leistenlappen ist


ein fasziokutaner Lappen, da bei seiner Präparation Teile der Scarpa-
Faszie sowie der Sartoriusfaszie mitpräpariert werden (McGregor u.
Jackson 1972; Smith et al. 1972) (. Abb. 26.11, 26.12). Sein Haupt-
nachteil liegt im eingeschränkten Patientenkomfort, denn nach
Heben und Einnaht des Lappens im Bereich des Handrückens (der
Lappen wird auch zur Defektdeckung im Bereich des Daumens be-
nutzt) muss die Extremität 14–21 Tage weitgehend immobilisiert
werden, bis die komplette Autonomie durch schrittweises Abklem-
men des Stiels (»Lappentraining«) erreicht wird. Diese Abklemm- . Abb. 26.11 Gefäßanatomie des Leistenlappens
26.7 · Handrücken
219 26

a b

c d

. Tab. 26.1 Schema Leistenlappentraining

Postoperativer Maßnahme
Tag

1–10 Nur Verbandswechsel

11 3× täglich 5 min Stiel mit armierter Klemme


abklemmen

12 3× täglich 10 min Stiel mit armierter Klemme


abklemmen

13–21 Jeden Tag 5 min länger; wenn 60 min erreicht


sind, Lappen operativ abtrennen

prozedur kann der Patient selbst durchführen: Beginnend mit einem


e 5-min-Intervall wird die Abklemmzeit des Stiels sukzessive gestei-
gert, bis der Lappen dann in einem erneuten Eingriff (Lokalanästhe-
. Abb. 26.12a–e Weichteilrekonstruktion am Unterarm durch gestielten sie) getrennt wird (. Tab. 26.1).
Leistenlappen
> Der abgetrennte Stiel sollte nicht zu kurz (handrücken-
nah) abgetrennt werden und nicht primär verschlossen
werden, da eine venöse Stase mit sekundärem Gewebs­
untergang droht. Wir verbinden den Stumpf offen
und verschließen ihn in einem sekundären Eingriff nach
3–5 Tagen.
220 Kapitel 26 · Rekonstruktion an der oberen Extremität

26

a b

. Abb. 26.13a, b A.-interossea-posterior-Lappen: Planung (a) und Anatomie (b)

a b

c d

. Abb. 26.14a–d Patientin mit streckseitigem Weichteildefekt der Hand über dem 2. Strahl (a). »Flap design« und Hebung des A.-interossea-posterior
Lappens (b). Defektdeckung (c) und direktes postoperative Ergebnis (d)

Defektdeckung am Handrücken eignet (. Abb. 26.13). Dessen Prä-


Leistenlappen nach McGregor paration ist aufgrund vieler Perforatoren technisch jedoch an-
4 Fasziokutan, gestielt (oder frei) spruchsvoll. Die Perforatoren sollten daher präoperativ markiert
4 Gefäße: A. circumflexa ilium superficialis, Vv. commitantes werden.
4 Sensibilität: keine Bei einem erreichbaren Längen-Breiten-Verhältnis von Größen
bis zu 10×5 cm ist er ideal für die Defektdeckung im Bereich des
Handrückens geeignet, ein großer Vorteil ist die Schonung beider
A.-interossea-posterior-Lappen. Eine der sehr häufig durchge- Hauptgefäße des Unterarms. Allerdings kann die Präparation im
führten Lappenplastiken zur Defektdeckung am Handrücken ist proximalen Septum intermusculare schwierig sein. Hier ist der Ver-
der A.-interossea-posterior-Lappen, der sich hervorragend zur lauf des N. interosseus posterior des Ramus profundus des N. radia-
26.7 · Handrücken
221 26
lis zu beachten, der hier die Unterarmextensorgruppe motorisch
innerviert und potenziell verletzt werden kann.

A.-interossea-posterior-Lappenplastik
4 Lappenart: fasziokutan, gestielt
4 Gefäße: A. interossea posterior, V. antebrachii
4 Sensibilität: keine

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27–35
27

Rekonstruktion
an der unteren Extremität
A. Jokuszies, P.M. Vogt

27.1 Therapieziele – 224

27.2 Indikationsstellung – 224


27.2.1 Traumatische Defekte – 224
27.2.2 Onkologische Defekte – 224
27.2.3 Indikation zur Amputation – 225

27.3 Operationsvorbereitung – 225

27.4 Operationstechnik – 225


27.4.1 Onkologische Defekte – 225
27.4.2 Traumatische Defekte – 225

27.5 Weichteildefektdeckung der Oberschenkel- und Leistenregion – 226

27.6 Weichteildefektdeckung der Knie- und Unterschenkelregion – 227

27.7 Weichteildefektdeckung am Fuß – 229

27.8 Postoperative Behandlung und Nachsorge – 232

27.9 Postoperative Komplikationen – 232

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
224 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität

27.1 Therapieziele
. Tab. 27.2 Subklassifizierung der Typ-III-Frakturen
Ausgedehnte Knochen- und Weichteildefekte der unteren Extremi-
tät können die Folge von Trauma, Tumoren, Dekubiti oder Verbren- Typ Kennzeichen
nungen sein. Nicht selten gehen konzeptionelle Fehler bei der Ope-
IIIA Adäquate Weichteilbedeckung des Knochens
rationsplanung mit einer erhöhten Komplikationsrate einher. So
27 erfordern nicht nur komplexe Rekonstruktionsverfahren mit mikro- IIIB Freiliegender und teils deperiostierter Knochen mit Lappen-
vaskulären Lappentransplantaten, sondern auch elektive Eingriffe pflichtigkeit
wie z. B. die Endoprothesenimplantation eine sorgfältige und prä­ IIIC Zusätzlich und unabhängig vom Grad des Knochen- und
operative Diagnostik des Gefäßstatus der unteren Extremität. Zur Weichteilschadens begleitende Gefäßverletzung
Optimierung des Outcome sind zudem eingriffsspezifische Faktoren
wie die Festlegung des Operationszeitpunktes und die Auswahl des
geeigneten Operationsverfahrens unter Berücksichtigung der re- Eine Klassifikation von Weichteilverletzungen bei geschlossenen
konstruktiven Leiter essenziell. Dies erfordert ein interdisziplinäres und offenen Frakturen ist mit der sog. Hannover-Klassifikation
Konzept mit frühestmöglicher Einbindung des Plastischen Chir- möglich (Tscherne u. Gotzen 1984; . Tab. 27.3).
urgen im Rahmen des Schockraummanagements. Bei etwa 30% der Patienten mit offenen Frakturen liegt eine
Der günstigste Zeitpunkt zur Rekonstruktion komplexer Verlet- ­Multiorganbeteiligung vor, sodass hier zunächst die Kreislaufstabili-
zungen der unteren Extremität wird kontrovers diskutiert. Dabei sierung des Patienten im Vordergrund steht. Gefäßverletzungen be-
kann das von Godina aufgestellte Postulat zur Weichteilrekonstruk- dürfen der sofortigen Rekonstruktion mit ggf. gleichzeitiger oder
tion innerhalb der ersten 72 h nach Trauma insofern relativiert wer- prophylaktischer Fasziotomie zur Vermeidung eines posttrauma-
den, als dass vor dem Hintergrund moderner Behandlungsverfahren tischen Kompartmentsyndroms.
wie z. B. der VAC-Therapie verspätete Rekonstruktionen nunmehr Die Amputationsrate hängt dabei wesentlich von einer zeitnahen
mit verbesserter Erfolgsrate auch jenseits der 72-h-Grenze durch- Revaskularisation innerhalb der ersten 4–6 h und der Frage des Aus-
führbar sind (Godina 1986; Steiert et al. 2008). maßes der Knochenbeteiligung ab (Lange et al. 1985; Howard u. Ma-
kin 1990). Zudem korreliert die Inzidenz von Wundinfektionen di-
> Das Ziel jeder Rekonstruktion im Bereich der unteren Ex-
rekt mit dem Ausmaß des Weichteilschadens (Dellinger et al. 1988).
tremität ist aber der Extremitätenerhalt mit bestmöglicher
Funktionalität, Sensibilität, Belastbarkeit und Ästhetik. > Die Ziele der operativen Behandlung sind der infektfreie
Wundverschluss bei ungestörter Knochenbruchheilung
Die frühestmögliche medizinische Rehabilitation und soziale sowie
und die Wiederherstellung der Funktionalität.
berufliche Reintegration werden weiterhin trotz moderner Metho-
den der Wundbehandlung und Wundkonditionierung nur durch Voraussetzungen hierfür sind
eine möglichst frühe plastische Weichteilrekonstruktion zu erzielen 4 ein radikales Débridement,
sein. 4 eine stabile Osteosynthese,
4 die mikrochirurgische Revaskularisation und
4 eine antibiogrammgerechte Antibiotikatherapie.
27.2 Indikationsstellung
27.2.1 Traumatische Defekte 27.2.2 Onkologische Defekte

Traumatische Defekte an der unteren Extremität sind in der Regel Diese werden ausführlich in 7 Kap. 36 Weichgewebssarkome darge-
mit offenen Frakturen assoziiert, deren Einteilung sich an dem Ver- stellt.
letzungsmechanismus, dem Ausmaß des Weichteilschadens, dem Unter den malignen Tumoren der unteren Extremität stellen die
Frakturtyp und dem Kontaminationsgrad orientiert (Gustilo u. An- Weichgewebssarkome die größte Entität dar. Mit ca. 900 Neuerkran-
derson 1976; Gustilo et al. 1990; . Tab. 27.1). kungen pro Jahr machen sie einen Anteil von ca. 1% aller bösartigen
Während die offenen Frakturen vom Typ I und Typ II nach Gus- Neubildungen aus (7 Kap. 36).
tilo mit einem nur geringen Weichteilschaden einhergehen, erfor- In 14–58% der Fälle kommt es im multimodalen Behandlungs-
dern die Typ-III-Frakturen einen komplexen konzeptionellen und konzept zu schwerwiegenden Wundheilungsstörungen (Arbeit et al.
operativen Aufwand. Das Ausmaß des Weichteilschadens reicht hier 1987). Dieser Tatsache ist bei der Resektionsplanung und auch hin-
von einer ausgedehnten Zerstörung des Hautmantels bei noch suffi- sichtlich der plastischen Rekonstruktion Rechnung zu tragen.
zienter Knochenbedeckung (Typ IIIA) bis hin zu freiliegenden Kno- Die Rate postoperativer Wundheilungsstörungen kann sowohl
chen mit hohem Kontaminationsgrad (Typ IIIB) und Verletzung im Fall einer Tumorresektion im Bestrahlungsfeld als auch bei mög-
arterieller Gefäße (Typ IIIC; . Tab. 27.2). licher adjuvanter Radiatio durch eine Kombination mit simultaner

. Tab. 27.1 Einteilung offener Unterschenkelfrakturen nach Gustilo

Klassifikation Quetschung Weichteilverletzung Schweregrad der Fraktur Kontamination

Typ I – <1 cm + –

Typ II + bis ++ >1 cm + bis ++ + bis ++

Typ III +++ +++ +++ +++


27.4 · Operationstechnik
225 27

. Tab. 27.3 Einteilung von Weichteilverletzungen bei geschlossenen und offenen Frakturen mit der Hannover-Klassifikation. (Nach Tscherne und
Gotzen 1984)

Klassifikation Haut Weichteilverletzung Schweregrad der Fraktur Kontamination

C0 Geschlossen – + –

CI Geschlossen + + bis ++ –

CII Geschlossen ++ + bis +++ –

CIII Geschlossen +++ + bis +++ –

OI Offen + + bis ++ +

OII Offen ++ + bis +++ ++

OIII Offen +++ + bis +++ +++

OIV Offen +++ + bis +++ + bis +++

C=geschlossen, O=offen, +=gering; ++=mittel; +++=schwer

Weichteilplastik signifikant gesenkt werden. In vielen Fällen ermög- tung mit Anamnese, klinischer und ggf. apparativer bzw. interven­
licht sie eine Radiatio erst (Barwick et al. 1992). Dies betrifft v. a. die tioneller Diagnostik, zu der insbesondere die gründliche Erfassung
Lokalisationen an Hand und Fuß sowie in der Nähe der großen des Gefäßstatus durch Palpation, Doppler-Sonographie, Verschluss-
­Nervenbahnen (Evans et al. 1997). Dabei weisen mikrovaskulär an- druckmessung und Angiographie gehören. Wichtig sind die Erfas-
geschlossene Lappentransplantate im multimodalen Behandlungs- sung von Begleitverletzungen der Weichteile, des Knochens und
konzept mit intraarterieller Chemotherapie keine höheren Verlust­ funktioneller Strukturen wie Gefäßen, Nerven und Sehnen und die
raten bzw. Komplikationen auf (Sadrian et al. 2002). allgemeine Einschätzung des Narkoserisikos.
Fortgeschrittene, chirurgisch inkurable Tumoren können durch In der Folge sind häufig zunächst interventionell radiologische
geeignete Palliativeingriffe über die Beseitigung von Schmerz und Maßnahmen zur Verbesserung der Extremitätenperfusion oder
Geruchsbelästigung die Lebensqualität des Patienten entscheidend therapeutische Maßnahmen zur Optimierung des Allgemeinzustan-
verbessern. Darüber hinaus wird die Pflege der Patienten erleichtert des des Patienten erforderlich. Frakturen und Pseudarthrosen erfor-
(Merimsky et al. 2001). dern die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Unfallchirurgen.
Unabhängig von Frakturen stellt die temporäre Fixateur-externe-
Anlage eine gute Lagerungsmöglichkeit für die Weichteilpflege
27.2.3 Indikation zur Amputation dar. Bei eingeschränktem arteriellem Einstrom sind u. U. Gefäß­
rekonstruktionen oder auch eine arteriovenöse Loop-Anlage erfor-
Indikationen zur Amputation sind: derlich.
4 ausgedehnte, auch exulzerierende Rezidivtumoren mit Um­
mauerung der Nervenplexus oder Einbruch in große Gelenke,
4 Durchbruch der Membranae interosseae mit Gefäß-, Nerven- 27.4 Operationstechnik
und Knocheninfiltration,
4 Tumorwachstum durch den Metatarsus oder Metakarpus. 27.4.1 Onkologische Defekte
Die Indikation zur Amputation besteht erst dann, wenn bei guter Details sind in 7 Kap. 36 (Weichgewebssarkome) dargestellt.
Gesamtprognose eine lokale Sanierung anderweitig nicht möglich
erscheint oder sich durch ausgedehntes Wachstum mit Ulzeration
eine palliative Indikation ergibt. Letzteres gilt insbesondere bei funk- 27.4.2 Traumatische Defekte
tionsloser Extremität.
Mit den modernen plastisch-rekonstruktiven Operationsverfah- Traumatisch bedingte Knochen- und Weichteildefekte der unteren
ren und auch adjuvanten Therapiemaßnahmen reduziert sich heute Extremität erfordern ein multimodales Behandlungskonzept unter
die Indikation auf <10%, zumal die Prognose hinsichtlich des Über- Einbeziehung des Plastischen Chirurgen. Die konzeptionelle Pla-
lebens durch radikalere Vorgehensweisen (z. B. Ablatio) nicht ver- nung beginnt bereits im Schockraum und sollte die folgenden As-
bessert wird. pekte berücksichtigen:
Dabei sind auch atypische oder segmentale Amputationsformen 4 Unfallzeitpunkt,
mit funktionellem Gewinn für die Patienten durchführbar (Wind- 4 Verletzungsmechanismus,
hager et al. 1995) 4 absorbierte Energie,
4 Art der Fraktur,
4 Verletzung innerer Organe,
27.3 Operationsvorbereitung 4 Ausmaß des Weichteilschadens,
4 Gefäßstatus,
Zur Planung eines plastisch-rekonstruktiven Eingriffs an der un- 4 Neurologie,
teren Extremität gehört die übliche umfassende Operationsvorberei- 4 Begleiterkrankungen des Patienten.
226 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität

Primäres Ziel sollte der Extremitätenerhalt und die frühestmögliche > Infektfreie Wundverhältnisse sind die Voraussetzung plas-
funktionelle Rehabilitation sein. tisch-rekonstruktiver Operationsverfahren. Die Auswahl
Dabei orientieren sich das Weichteilmanagement und die Aus- einer geeigneten Lappenplastik sollte sich stets an dem
wahl des Deckungsverfahrens am Konzept der »rekonstruktiven Prinzip der rekonstruktiven Leiter orientieren, aber auch
Leiter« (. Abb. 14.2, Levin 1993). Hier gilt es, dem einfachsten Ope- langfristige Aspekte der Weichteilwiederherstellung be-
rationsverfahren den Vorzug zu geben, vorausgesetzt, dieses bietet rücksichtigen (Belastungsstabilität, evtl. Längenwachstum).
27 eine zufriedenstellende Lösung des Weichteilproblems. Die stufen-
weise Eskalation von der Primärnaht über Hauttransplantate, lokale . Tab. 27.4 gibt die Möglichkeiten der Defektdeckung mit gestielten
Lappenplastiken bis hin zu gestielten Fernlappen und freien mikro- Lappenplastiken bei traumatischen Defekten der unteren Extremität
vaskulären Lappentransplantaten orientiert sich dabei stets am wieder.
­Ausmaß des Weichteilschadens, an der Infektsituation, Exposition
von Knochen, Gefäß- und/oder Nervenstrukturen und Defektloka-
lisation. 27.5 Weichteildefektdeckung
> Ist eine Amputation unumgänglich, sollte immer an die
der Oberschenkel- und Leistenregion
heterotope Verwendung noch vitaler Strukturen der am-
M.-rectus-abdominis-Lappen. Ausgedehnte Defekte lassen sich im
putierten Gliedmaße im Sinne eines Salvage-Verfahrens
Bereich der inguinalen und proximalen Oberschenkelregion sehr
gedacht werden.
gut durch den gestielten oder ggf. freien vertikalen oder extendierten
Freie mikrovaskuläre Lappentransplantate erfordern die genaue M.-rectus-abdominis-Lappen decken. Nachteil ist hierbei der nicht
Kenntnis des Gefäßstatus der Empfängerregion. Hierzu empfiehlt unerhebliche abdominelle Hebedefekt (Hernienbildung; 7 Kap. 24),
sich die präoperative Durchführung einer Angiographie. Nicht sel- (. Abb. 27.1).
ten wird bei ausgedehnter Kontusionszone die Verlagerung der
Anastomose außerhalb des verletzten Bereichs mittels Venenschleife Tensor-fasciae-latae-Lappen und Vastus-lateralis-Lappen. Der
bzw. »loops« erforderlich (Vogt et al. 2007). Auch kann bei nicht muskulokutane Tensor-fasciae-latae-Lappen und der Vastus-latera-
ausreichender Länge der Lappen- oder Anschlussgefäße eine Verlän- lis-Lappen bieten als proximal gestielte Lappen die Möglichkeit zur
gerung derselben durch die Zwischenschaltung von Venenstücken Defektdeckung am proximalen Oberschenkel, insbesondere über
erreicht werden. den Femoralgefäßen, und zur Dekubitusbehandlung über dem Tro-
Nach Anschluss größerer Lappenplastiken kann es zum sog. chanter. Der funktionelle Verlust nach Transposition des Vastus-
»Steal-Phänomen« kommen mit einer sukzessiven Ischämie der ab- ­lateralis-Lappens ist vernachlässigbar gering. Im Falle eines Ver-
hängigen Extremität (Tschopp u. Banic 1992). Ursache hierfür ist schlusses der A. femoralis superficialis besitzt dieser Muskel zudem
wahrscheinlich ein herabgesetzter Gefäßwiderstand durch Denerva- eine kräftige Gefäßverbindung zwischen der A. profunda femoris
tion des freien Lappens (Erni et al. 1999). und der A. poplitea.
Fernerhin muss präoperativ eine traumatisch oder iatrogen
bedingte Fußheberparese ausgeschlossen werden. Hier sind pri­ M.-gracilis-Lappen. Als gestielter Lappen dient der Gracilislappen
märe oder sekundäre autologe Nerventransplantate und funktio- hauptsächlich zur Defektdeckung in der Leiste und Regio femoris
nelle Sehnenersatzplastiken in das Behandlungsregime mit einzu- posterior, findet hier jedoch aufgrund seiner limitierten Größe nur
beziehen. selten Anwendung. Seine Bedeutung gewinnt er als freies mikroneu-
rovaskuläres Transplantat. Sein hauptsächlicher Einsatzbereich ist
eher in der dynamischen Reanimation des Gesichtes zur Behand-

. Tab. 27.4 Möglichkeiten der Defektdeckung mit gestielten Lappenplastiken bei traumatischen Defekten der unteren Extremität

Gestielte Lappenplastiken Gefäßversorgung Region der Defektdeckung

M. rectus abdominis (VRAM) A. epigastrica inferior Leiste, ventraler Oberschenkel

M. tensor fasciae latae A. circumflexa femoris lateralis Trochanterregion

M. vastus lateralis A. circumflexa femoris lateralis, Trochanterregion


A. profunda femoris

M. gracilis A. circumflexa femoris medialis Leiste/Oberschenkel

M. biceps femoris A. profunda femoris Sitzbein/Oberschenkel

M. sartorius (distal gestielt) A. femoralis Anterolaterale Knieregion

M. gastrocnemius medialis/lateralis Aa. surales Knieregion und proximales Unter­schenkeldrittel

M. soleus, M. hemisoleus (proximal gestielt) A. poplitea Mittleres Unterschenkeldrittel

Suralislappen A. suralis Außenknöchelregion

A.-dorsalis-pedis-Lappen A. dorsalis pedis Fußrand und distales Unterschenkeldrittel

Plantaris-medialis-Lappen A. plantaris medialis Fersen- und Innenknöchelregion


27.6 · Weichteildefektdeckung der Knie- und Unterschenkelregion
227 27

. Abb. 27.1a–c 57-jährige Patientin mit einem funktionell und ästhetisch


beeinträchtigenden Konturdefekt der linken Oberschenkel- und Kniege­
lenkregion nach Überrolltrauma (a). Semizirkumferenzielle Spalthautnarben­
platte mit eingeschränkter Kniebeweglichkeit (b). Nach Exzision der Narben­
platte und Weichteilrekonstruktion mittels freiem mikrovaskulärem TRAM-
c
Lappen (c) mit exzellenter Beweglichkeit und ästhetisch günstiger Kontur

lung der Facialisparese sowie in der Behandlung der Plexusparese mittleren und distalen Unterschenkels (. Abb. 27.3). Ihr Vorteil liegt
mit funktioneller Wiederherstellung der Ellbogenflexion, Handge- im Erhalt der großen Unterschenkelgefäße und Muskelgruppen, au-
lenksstreckung und Fingerbeugung anzusiedeln (Terzis 1997; Barrie ßerdem besteht keine Erfordernis mikrovaskuärer Eingriffe. Dem
et al. 2004). stehen als Nachteile die Hebedefektmorbidität und die Abhängigkeit
von entsprechenden Gefäßarkaden gegenüber.

27.6 Weichteildefektdeckung M.-soleus-Lappen. Der M. soleus kommt bei Defekten im mittle-


der Knie- und Unterschenkelregion ren Unterschenkeldrittel zur Anwendung. Zu beachten ist jedoch
seine große Variabilität in Bezug auf Länge und Dicke des Muskel-
M.-gastrocnemius-Lappen. Das »Arbeitspferd« zur Defektdeckung bauches. Als distal gestielter Lappen wird er wegen der kritischen
im Bereich der Knieregion ist der gestielte Gastrocnemiuslappen Durchblutung im eigenen Vorgehen nicht eingesetzt. Zudem sind
(. Abb. 27.2). Er besitzt eine zuverlässige Blutversorgung, ist ein- insbesondere die resultierende Abschwächung der Kraftübertragung
fach zu heben und hinterlässt eine geringe ästhetische und funk­ auf das obere und untere Sprunggelenk und die mögliche Schwä-
tionelle Hebedefektmorbidität. Er hat sich in unserer Klinik ins­ chung der venösen Muskelpumpe zu bedenken.
besondere zur Behandlung der exponierten Knie-Endoprothese
bewährt. M.-suralis-Lappen. Als fasziokutanes gestieltes Transplantat verfügt
Proximal oder distal gestielte perforatorbasierte adipofasziale der Suralislappen meistens über einen ausreichenden Rotationsbo-
oder fasziokutane Lappen sowie sog. Propellerlappen bieten die gen für die Rekonstruktion der distalen ventralen Unterschenkelre-
Möglichkeit zur Defektdeckung kleiner bis mittlerer Defekte des gion, des Knöchels und der Achillesregion.
228 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität

27

a b c

. Abb. 27.2a–c Defektdeckung eines traumatischen Kniegelenkweichteil- dialen Gastrocnemiusmuskellappens, der mit Spalthaut gedeckt wurde (b).
defektes mit eröffnetem Kniebinnenraum (a). Ventraler Durchzug eines me- Funktionelle Wiederherstellung mit belastungsfähigen Weichteilen (c)

Wegen des Risikos der Reinfektion verzichten wir primär auf


eine Rekonstruktion durch freie Sehnen, Sehnentransfers oder Fas-
zientransplantate und bevorzugen in der Regel die alleinige Weich-
teildeckung ohne erneuten Versuch der Sehnenrekonstruktion bei
weitgehend retrahiertem und über Monate ineffektivem M. triceps
surae. Der aus einer vollständigen Resektion resultierende Kraftver-
lust für die Plantarflexion mit 43,7% im Vergleich zur gesunden Sei-
te stellt erstaunlicherweise selbst für Ausdauersportler keine wesent-
liche Einschränkung dar (Boorboor et al. 2006).
Selbst nach sekundären Achillessehnenrekonstruktion kommt
es im Vergleich zur gesunden Gegenseite zu einem Kraftverlust von
40–70% (Haas et al. 2003; Kuo et al. 2003). In . Tab. 27.5 sind die
Möglichkeiten zur sekundären Achillessehnenrekonstruktion aufge-
führt.

Freie Lappenplastiken
Scheiden gestielte Lappenplastiken als Option aus, erlauben freie
mikrovaskuläre Transplantate eine äußerst variantenreiche Weich-

. Tab. 27.5 Möglichkeiten zur sekundären Achillessehnenrekon-


struktion

. Abb. 27.3 Synoptische Darstellung der Rotationsbögen diverser gestiel- Lokale Lappen­ Freie Lappenplastiken
ter Muskellappen der Unterschenkelregion plastiken

Suralislappen Lateraler Oberarmlappen (»composite lateral


arm flap«)
Achillessehnendefekte
Infekte und Nekrosen im Fersenbereich betreffen nicht nur die plan- Radialis-palmaris-longus-composite-Lappen
tare Belastungszone, sondern auch die Achillessehne. Als Folge von (»radial forearm-palmaris longus composite
Rekonstruktionsversuchen erfordern die dann resultierenden hartnä- free flap«)
ckigen Infekte oftmals die vollständige Resektion der Achilles­sehne. Tensor fasciae latae-Lappen
Der M.-flexor-hallucis-longus-Sehnentransfer ist die am häufigsten
Anterior lateral thigh-flap in Kombination mit
angewandte Methode zur alleinigen Rekonstruktion einer chronischen Fascia lata
Ruptur oder Tendinose der Achillessehne (Martin et al. 2005).
27.7 · Weichteildefektdeckung am Fuß
229 27

. Abb. 27.4a–c Drittgradiger Weichteilschaden des Unterschenkels (a).


Myokutane freie Latissimus-dorsi-Plastik mit mikrovaskulärem Anschluss an
b
die Tibialis-anterior-Gefäße (b, c)

teilrekonstruktion. Der Erfolg hängt wesentlich von der ausrei- konsekutiver phlegmonöser Entzündung. Weiterhin können Weich-
chenden Gefäßversorgung des Unterschenkels ab, der durch die teildefekte nach Osteosynthesen mit flächiger Denudierung (v. a. in
entsprechenden gefäßchirurgischen Standarduntersuchungen abzu- der Rückfußregion) sowie nach atypischer Schnittführung oder bei
klären ist (Aust et al. 2007). Hautverschluss unter Spannung auftreten (Maisels 1961).
Durch die stete Weiterentwicklung der Perforatorlappen mit Chronisch-rezidivierende Ulzerationen mit persistierender fis­
passgenauer Präparation dünner fasziokutaner Lappen auf dem Bo- telbildender Osteitis entwickeln sich auf dem Boden instabiler Nar-
den des Angiosomenkonzeptes von Taylor u. Palmer mit retrograder benplatten als Folge einer ungenügenden Weichteildeckung der
Dissektionstechnik , d. h. Präparation des Perforators bis hin zu sei- druckbelasteten Fersen- oder Sohlenareale. Hieraus ergibt sich häu-
nem Stammgefäß, erweitert sich das Angebot der zur Verfügung fig eine sekundäre Amputationsindikation.
stehenden Lappen beträchtlich (Taylor u. Palmer 1987). Wesentliche Iatrogene Ursachen sind Redression, Extension, schnürende Ver­
Vorteile liegen in der geringen Hebedefektmorbidität und der ver- bände, unzureichende Gipsmodellierung und Dekubiti durch insuf-
besserten Ästhetik durch die im Vergleich zum Muskellappen ge­ fiziente Lagerung.
ringere Gewebemasse, welche sich exakter an den Defekt anpassen
lässt. Zudem lassen sich hierdurch Folgeeingriffe zur Ausdünnung
des Muskellappens vermeiden. Die in unserer Klinik am häufigsten . Tab. 27.6 Möglichkeiten der Defektdeckung an der unteren Extre-
angewandten Perforatorlappen sind der ALT- und der Paraskapular- mität mit freien Lappenplastiken
lappen.
. Tab. 27.6 gibt eine Übersicht über die Defektdeckung mit frei- Gefäßsystem Freie Lappenplastiken
en Lappentransplantaten bei traumatischen Defekten der unteren
Subskapularsystem (para­ 4 Skapular-/Paraskapularlappen
Extremität; ein Beispiel ist in . Abb. 27.4 dargestellt. . Tab. 27.7 zeigt
vertebrale Perforatoren) 4 Lappenkombinationen
die Möglichkeiten der Defektdeckung mit osteo(myo)kutanen Lap-
pen zur simultanen Knochenrekonstruktion. A. circumflexa femoris 4 ALT (anterolateraler Thigh-Flap)
lateralis 4 Tensor-fasciae-latae-Lappen
4 Lappenkombinationen
27.7 Weichteildefektdeckung am Fuß A. epigastrica superior 4 Rectus-abdominis-Lappen
et inferior
Weichteildefekte des Fußes entstehen primär nach direktem mecha-
A. thoracodorsalis 4 M.-latissimus-dorsi-Lappen
nischem, chemischem oder thermischem Trauma oder sekundär als 4 M. serratus anterior
Folge von Perfusionsstörungen nach schwerem Quetschtrauma und
230 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität

. Tab. 27.7 Möglichkeiten der Defektdeckung mit osteokutanen oder osteomyokutanen Lappen zur simultanen Knochenrekonstruktion

Osteokutaner oder -myokutaner Lappen Gefäßversorgung Region der Defektdeckung

Vaskularisiertes Fibulatransplantat, ggf. in Kom- A. fibularis Unterschenkel

27 bination mit M. soleus

Vaskularisierter Beckenkammspan A. circumflexa iliaca superficialis et profunda Unterschenkel/Fuß

Osteokutaner Skapula-Paraskapulalappen Subscapularsystem (A. scapularis/A. parascapularis) Unterschenkel/Fuß

Osteokutaner Radialislappen A. radialis Unterschenkel/Fuß

Als intrinsische Ursachen tragen die arterielle Verschluss­


krankheit, Stoffwechselstörungen, das postthrombotische Syndrom, 4 Schutzsensibilität
Lymph­ödeme, Adipositas und ein Postischämiesyndrom zur Ausbil- 4 Geringe Hebedefektmorbidität
dung von Weichteildefekten bei. 4 Erleichterung bis hin zu Vermeidung von orthopädischer
Die Komplikationsmöglichkeiten nach Verlust des speziellen Schuhzurichtung
Sohlenpolsters sind in der . Übersicht zusammengefasst (Steinau et 4 Harmonisches Gangbild
al. 1989). 4 Berufliche und soziale Rehabilitation

Komplikationen nach Verlust des speziellen Lokale Lappenplastiken


Sohlenpolsters Unter Beachtung der Angiosome (Taylor u. Tempest 1988) stellen
4 Hornschwielen, Fissuren, subkutane Pseudobursa lokale Lappenplastiken ein relativ sicheres Verfahren dar und eignen
4 Ulzera innerhalb der Belastungszonen (Fußsohle und sich sowohl für die Vollbelastungszone als auch für die Teilbelas­
Schuhrand) tungs­zone. Ihr Einsatz ist jedoch nur speziellen Indikationen vorbe-
4 Kalkaneusosteitis halten, da sie mit erheblichen Hebedefekten einhergehen und in
4 Gangbildveränderungen ihrer Größe begrenzt sind.
4 Belastungsschmerzen Der Fersenrotationslappen bietet eine sensible, ausreichend
4 Berufliche und private Einschränkungen ­dicke Weichteildeckung mit geringer Spendermorbidität und be­
4 Sekundäre Amputation lastbarer originärer Fußsohlenhaut (Heinz 1997).
Defekte im Bereich des Außenknöchels lassen sich zuverlässig
mit dem Suralislappen decken. Er ist als fasziokutaner Lappen wenig
Obwohl mittlerweile durch die zahlreichen rekonstruktiv-plasti- auftragend und besitzt ebenfalls eine geringe Hebedefektmorbidität.
schen Verfahren zur Weichgeweberekonstruktion des Fußes eine Seine Nachteile sind eine häufig auftretende venöse Stauung und
Amputation oftmals vermieden werden kann, existiert bisher keine eine prolongierte Ödemneigung.
Methode zur autologen Rekonstruktion der einzigartigen Architek- Aufgrund seiner guten Hautqualität eignet sich der sensible
tur der Fußsohle und deren spezifischer mechanischer Stabilität und Plantaris-medialis-Lappen (»instep flap«) ideal für Defektdeckungen
Sensibilität. im gewichtstragenden Bereich der Ferse. Er wird aus der unbelaste-
Deformierungen der knöchernen Strukturen durch Frakturen ten Sohlenhaut gebildet mit vertretbarer Hebedefektmorbidität.
und Fehlbildungen, muskuläre Insuffizienz mit fixierter Fehlstellung Der fasziokutane Dorsalis-pedis-Lappen eignet sich v. a. zur
oder Verlust der speziellen Hohlfußsohlenarchitektur führen zu ho- Deckung von Defekten im oberen Fersenbereich. Seine Indikatio­
hen Druckbelastungen in unphysiologischen Zonen. Subkutane Ne- nen sind aufgrund des beträchtlichen Hebedefektes begrenzt
krosen und Ulzera sind die Folge. (McCraw u. Furlow 1975).
Zur Deckung von Defekten im oberen Fersenbereich eignet sich
> Bei konsequenter Pflege und regelmäßiger Überwachung
v. a. der an der A. dorsalis pedis gestielte fasziokutane Lappen. Durch
der Schuheinlagenversorgung ist auch bei fehlender Sen-
Einbeziehung des M. extensor digitorum brevis wird er zu einem
sibilität der Erhalt des Fußes sinnvoll.
Fasziomyokutanlappen, wobei der Muskelanteil relativ gering ist.
Eine mechanisch suffiziente Weichteilrekonstruktion orientiert sich Aufgrund eines beträchtlichen Hebedefektes ist seine Indikation
an den in der . Übersicht aufgeführten Anforderungen (Steinau et ­begrenzt (McCraw u. Furlow 1975).
al. 1989). Defekte kleineren Ausmaßes bis 2 cm im Bereich des Vorfußes
lassen sich oftmals durch ein Filet der Zehenweichteile schließen.
Mitunter gelingt ein Primärverschluss auch durch den resultierenden
Anforderung an die Rekonstruktion bei Defekten an Ferse Haut-Weichteil-Überschuss nach Arthroplastik.
und Fußsohle
4 Adäquate Fersenkontur Freie Lappenplastiken
4 Druckbelastbarkeit in den Zonen vermehrter Belastung Ausgedehntere Defekte des Vorfuß- oder Mittelfußsohlenbereiches
(Fersensporn, Schuhrand, Achillessehneninsertion) erfordern eine gezielte Indikationsstellung unter Einbeziehung des
4 Verbesserung der Durchblutung mit Osteitisprophylaxe Sozialprofils des Patienten (. Abb. 27.5). Hier gestaltet sich die Wie-
6 derherstellung eines suffizienten und belastungsfähigen Weichteil-
mantels schwierig, sodass freie Lappenplastiken (. Tab. 27.8) insbe-
27.7 · Weichteildefektdeckung am Fuß
231 27

b c

. Abb. 27.5a–c Ausgedehnter Weichteildefekt über dem streckseitigen ALT-Lappen (»anterior lateral thigh flap«) mit Gefäßstiel zum freien mikro-
linken Mittel- und Vorfuß nach komplexem Fußtrauma mit drittgradig offe- vaskulären Anschluss (b). Funktionell und ästhetisch zufriedenstellendes
nen Frakturen des OSG sowie der Metatarsalia 2/3 (a). Dünner fasziokutaner Ergebnis postoperativ (c)

sondere bei Patienten mit beruflich bedingter intensiver Belastung


. Tab. 27.8 Möglichkeiten der Defektdeckung am Fuß durch gestiel-
des Fußes aufgrund der fehlenden Sensibilität und Stabilität nicht das
te axiale fasziokutane Lappen
Verfahren der Wahl darstellen. Die Bildung eines Vorfußfilet­lappens
Gefäßsystem Freie Lappenplastiken nach modifizierter Vorfuß- oder Rückfußamputation ist in manchen
Fällen die geeignetere Alternative. Zudem ist mit der modernen Pro-
A. suralis Suralislappen thesenversorgung ein weitesthegend harmonisches Gangbild zu er-
A. dorsalis pedis Dorsalis-pedis-Lappen zielen und der Verlust der Vorfußregion somit kompen­sierbar.
Freie mikrovaskuläre Transplantate sind bei großen Defekten,
A. plantaris medialis Plantaris-medialis-Lappen (»instep flap«)
vornehmlich in gewichtstragenden Arealen und bei freiliegenden
Aa. digitales propriae Zehenfiletlappen funktionellen Strukturen (Sehnen, Gefäße, Nerven und Knochen)
»Random pattern« Axialer fasziokutaner Lappen indiziert (. Tab. 27.9). Im Gegensatz zu den lokalen oder freien Fas-
ziokutanlappen verbessern Muskellappen aufgrund ihrer reichen
»Random pattern« Fersenrotationslappen
Vaskularität die lokale Durchblutungssituation.

. Tab. 27.9 Möglichkeiten der Defektdeckung der Fußsohle und Ferse durch freie mikrovaskuläre Transplantate

Transplantat Entnahmeort Gefäßversorgung

Fasziokutane Lappen Skapula-, Paraskapularbereich A. circumflexa scapulae

Lateraler Oberarm A. collateralis radialis

Unterarm (»chinesischer Lappen«) A. radialis

Kontralateraler Dorsalis-pedis-Bereich A. tibials anterior

Freie Faszienlappen Temporoparietaler Bereich A. temporalis superficialis

M. serratus anterior A. thoracodorsalis

Myokutane Lappen M. gracilis A. circumflexa femoris medialis

M. latissimus dorsi A. thoracodorsalis

M. rectus abdominis A. epigastrica inferior


232 Kapitel 27 · Rekonstruktion an der unteren Extremität

Druckbelastete Areale sind den myokutanen Lappen vorbehal-


ten (. Abb. 27.6).
> Die Patienten sind insbesondere im Hinblick auf die ge-
ringe mechanische Stabilität der mitverpflanzten Haut­
insel oder transplantierten Spalthaut angehalten, auf
strengste Fußhygiene und das kontinuierliche Tragen spe-
27 ziell angefertigter Schuheinbettungen zu achten.

27.8 Postoperative Behandlung


und Nachsorge
Die postoperative Behandlung beginnt bereits mit dem intraopera-
tiven Verbandsregime und der behutsamen Umlagerung des Pa­
tienten unter konsequenter Entlastung des Gefäßstiels.
a
Nicht schnürende Verbände (z. B. Wattewicklung) und eine aus-
reichende Wunddrainage vermeiden die Beeinträchtigung der Lap-
penzirkulation durch externe und interne Kompression (Hämatom,
Serom).
Ein »Verbandsfenster« ermöglicht das engmaschige und konti-
nuierliche Lappenmonitoring.
Je nach Defektlokalisation (z. B. Fersenregion) muss die Ver-
wendung eines Fixateur externe zur Entlastung und Hochlagerung
in Erwägung gezogen werden. Die Anlage eines Fixateur externe
erleichtert zudem den Verbandswechsel und die Wundpflege.

27.9 Postoperative Komplikationen


Zu den Hauptkomplikationsmöglichkeiten zählen Nachblutungen
und infizierte Hämatome. Daher ist die großzügige Drainage des
b
Wundbettes unerlässlich.
! Cave
Bei dem geringsten Verdacht auf eine Zirkulationsstörung
des transplantierten Gewebes sollte die Indikation zur
frühzeitigen Revision großzügig gestellt werden.
Ursachen für Zirkulationsstörungen sind meist venöse oder arteriel­
le Thrombosen im Anastomosenbereich. Diese können u. a. Folge
von Artheriosklerose, Vasospasmen, Heparin-induzierter Throm-
bozytopenie, Gefäß-Kinking oder unzureichender Anastomosen-
technik sein.

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28

Plastische Chirurgie nach Organ­


transplantation – Composite-Tissue-
Allotransplantation (CTA)
K. Knobloch, H.-O. Rennekampff, P.M. Vogt

28.1 Plastisch-chirurgische Eingriffe nach Organtransplantation – 236

28.2 Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen


Chirurgie – 236
28.2.1 Indikationen/Patientenauswahl – 236
28.2.2 Operationsprinzipien – 237
28.2.3 Komplikationen – 238
28.2.4 Psychosoziale Implikationen – 240
28.2.5 Perspektiven – 241

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
236 Kapitel 28 · Plastische Chirurgie nach Organ­transplantation – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)

28.1 Plastisch-chirurgische Eingriffe munsuppressive Potenz zu erhöhen. Diese US-amerikanische Unter­


nach Organtransplantation suchung konnte keine erhöhte Komplikationsrate beim freien Gewe­
betransfer bei organtransplantierten Patienten im Vergleich zu nicht
Die Anzahl erfolgreich durchgeführter Organtransplantationen, transplantierten Patienten feststellen.
thorakal als auch abdominal, und die deutlich verbesserten Langzeit­
überlebensraten u. a. durch Fortschritte in der Immunsuppression
führen dazu, dass sich diese Patientengruppe vermehrt auch plas­ 28.2 Composite-Tissue-Allotransplantation
tisch-rekonstruktiven Eingriffen unter laufender Immunsuppres­ (CTA) in der plastischen Chirurgie
sion nach Transplantation unterziehen.
28 Der Plastische Chirurg Joseph E. Murray erhielt 1990 den Medi­ Am 23. September 1998 führte Dubernard in Lyon die erste Hand­
zinnobelpreis für die erste erfolgreiche Nierentransplantation mit transplantation als Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
längerfristiger Organfunktion, durchgeführt in Boston im Jahr 1954 weltweit nach Amputationsverletzung am rechten distalen Unterarm
zwischen zwei Zwillingsbrüdern (Merrill et al. 1956). Heute sind bei einem 48-jährigen Patienten durch (Dubernard et al. 1999). Von
rund 85% der transplantierten Nieren bei postmortalen Spenden September 1998 bis Februar 2006 wurden in der International Re­
bzw. 93% der transplantierten Organe nach Lebendspende nach gistry of Hand and Composite Tissue Transplantation 18 männliche
1 Jahr funktionstüchtig, nach 5 Jahren 68% bzw. 82% aller Spender­ Patienten dokumentiert, die 24 Hand-Unterarm- oder Fingertrans­
nieren. 2007 wurden in Deutschland 376 Herztransplantationen, plantationen erhielten (Lanzetta et al. 2007). Das Patienten- und
19 kombinierte Herz-Lungen-Transplantationen sowie 143 Lungen­ Graft-Überleben lag nach 2 Jahren bei 100%. Akute Abstoßungs­
transplantationen mit und 121 Lungentransplantationen ohne ex­ reaktionen traten innerhalb des 1. Jahres bei 12 Patienten auf, die
trakorporale Zirkulation durchgeführt (Gummert et al. 2008). jedoch durch temporäre Erhöhung der Immunsuppression be­
Bedenken seitens des Plastisch-rekonstruktiven Chirurgen hin­ herrscht werden konnten. Bis zum November 2011 sind weltweit
sichtlich der Komorbidität und der Immunsuppression sind vorhan­ rund 40 Hand- und Armtransplantationen als Composite-Tissue-
den. Eine retrospektive Untersuchung von 40 organtransplantierten Allotransplantationen durchgeführt worden.
Patienten mit Symptomen an der oberen Extremität zeigte, dass 2006 berichtete der Lancet über die erste allogene Teilgesichts­
­folgende relevante plastisch-chirurgische oder handchirurgische transplantation in Lyon (Devauchelle et al. 2006). Dabei wurde einer
Operationsindikationen bei Transplantierten bestehen (Jones et al. 38-jährigen Frau, die eine Amputation der distalen Nase, von Ober-
2004): und Unterlippe, des Kinns sowie der angrenzenden Wangen durch
4 Nervenkompressionssyndrome (n=18) einen Hundebiss erlitten hatte, ein entsprechendes Composite-Tis­
5 Karpaltunnelsyndrom (n=12) sue-Transplantat von einer 46 Jahre alten hirntoten Spenderin über­
5 Pronatorsyndrom (n=1) tragen. Beide hatten Blutgruppe 0 Rhesus positiv und stimmten in
5 Ulnartunnelsyndrom (n=1) 5 HLA-Antigenen überein (HLA A 2–3, B 8–44, DR 3–7). Nach
5 Kubitaltunnelsyndrom (n=1) 18 Monaten war die Patientin mit dem erzielten Resultat zufrieden.
4 M. Dupuytren (n=2) An den Tagen 18 und 214 nach der Teilgesichtstransplantation kam
4 A1-Ringbandstenose bei Tenosynovitis stenosans (n=6) es jeweils zu Abstoßungsreaktionen, die medikamentös beherrscht
4 Handinfektionen (n=6) werden konnten (Dubernard et al. 2007). Seitdem sind bis November ­
5 bakteriell (n=3) 2010 weltweit rund 10 Teilgesichtstransplantionen bei hochselektio­
5 Candida (n=1) nierten Patienten operiert worden.
5 Herpes (n=1)
> Der letztendliche Erfolg einer Composite-Tissue-Allotrans-
4 Neoplasmen (n=6)
plantation kann nur im interdisziplinären und transprofes-
4 Trauma
sionellen Team erreicht werden.
4 Ischämie (n=4)
Nur die gesammelte Expertise von Fachdisziplinen wie der Trans­
Eine retrospektive Analyse unter 5 akademischen Krankenhäusern plantationschirurgie, der Psychologie, der Rehabilitationsmedizin,
in den USA erbrachte insgesamt 19 Patienten nach Transplantation, der Klinischen Immunologie, um nur einige zu nennen, wird bei
die sich einem freien Gewebetransfer unterzogen (Lee et al. 2008). derartig hochkomplexen operativen Prozeduren gewährleisten,
Darunter fanden sich 13 Einzelnierentransplantationen, eine kom­ dass das bestmögliche klinische Ergebnis erzielt werden kann
binierte Nieren-Leber-Transplantation, eine kombinierte Nieren- (. Abb. 28.1).
Pankreas-Transplantation und 4 Herztransplantationen. Die Im­
munsuppression bestand im Wesentlichen aus Calcineurininhibio­
toren und erfolgte zum Zeitpunkt des freien Gewebetransfers mit 28.2.1 Indikationen/Patientenauswahl
Ciclosporin A, Azathioprin, FK506 und Prednison. Am häufigsten
erfolgte der freie Transfer des M. serratus (n=6), gefolgt vom freien Die Komplexitiät der Composite-Tissue-Allotransplantation, die
Radialislappen (n=3), dem freien TRAM- (n=2) und dem DIEP- Spender- und Empfängerauswahl und -allokation, die Immunsup­
Lappen (n=2). pression, die Kostenübernahme wie auch die gesetzliche Einordnung
der Composite-Tissue-Allotransplantation als Gewebe- oder als
> Alle 19 frei transplantierten Lappenplastiken überlebten
­Organtransplantation werfen nicht unerhebliche Probleme auf. In­
ohne Zeichen einer akuten Abstoßungsreaktion der zuvor
sofern ist die Indikationsstellung wie auch die Patientenauswahl ein
übertragenen Organe. Kein Patient benötigte ein Ausset-
entscheidender Faktor insbesondere im Bereich der Composite-Tis­
zen oder eine Veränderung der Immunsuppression.
sue-Allotransplantation (. Übersicht).
Die Kombination der vorgenannten Immunsupressiva erlaubt es, die
jeweilige Einzeldosis der Substanz zu reduzieren, um die Organtoxi­
zität zu reduzieren, gleichzeitig aber durch die Kombination die im­
28.2 · Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen Chirurgie
237 28

Bereits durchgeführte und zukünftig denkbare


Indikationen zur Gewebeallotransplantation
4 Ein-/beidseitige Amputation der oberen Extremität
(Üetriuup et al. 2006)
– in Handgelenkshöhe
– in Unterarmhöhe
– in Oberarmhöhe
4 Nicht rekonstruierbare Defekte im Gesichtsbereich
4 Fehlende bzw. nicht rekonstruierbare Bauchdecken (Levi
et al. 2003; Selvaggi et al. 2004; Tryphonopoulos et al. 2005)
4 Penistransplantation (Hu et al. 2006; Dubernard 2006)
4 Vaskularisierte Knietransplantation (Hofmann et al. 1998)
4 Larynxtransplantation (Strome et al. 2001)
4 Beidseitiger Verlust der Füße/Unterschenkel, ggf. Fußsoh-
lentransplantation

Ein- und Ausschlusskriterien für eine Gesichtstransplantation wur­


den von Lantieri definiert (. Übersicht).

Ein- und Ausschlusskriterien für eine Gesichtstrans­


plantation bei Erwachsenen
4 Einschlusskriterien . Abb. 28.1 Interdisziplinäres und transprofessionelles Behandlungsteam
– Totale Zerstörung des M. orbicularis occuli beidseits oder bei der Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
des Orbicularis-oris-Muskels
– Evaluation durch ein Expertenkommittee
– Psychiatrische Evaluation sung (ILG-1-Lösung) bei 4°C. Die Empfängerin wurde tracheoto­
– Bestehende Krankenversicherung miert, und die Empfängerstrukturen wurden nach ausgiebigem
4 Ausschlusskriterien Débridement vorbereitet.
– Instabile psychische Gesamtsituation des Patienten Die weiteren Operationsschritte waren:
– Unmittelbare Rekonstruktion nach dem Trauma 4 Anastomose der rechtsseitigen A. facialis End-zu-End mit 10-0
– Abhängigkeiten (z. B. Drogen etc.) Prolene.
– Malignom 4 Anastomose der rechtseitigen V. facialis End-zu-End mit 9-0
Prolene.
4 Zirkumferenzieller Verschluss der Mundhöhle mit 4-0 Vicrylein­
Insbesondere ist beim geplanten Gewebetransfer der mögliche Nut­ zelknopfnähten.
zen für den Patienten, d. h. die Funktion des transplantierten Gewe­ 4 Nervenrekonstruktion der Nn. mentales und infrarobitales mit
bes, gegen die evidenten Nebenwirkungen der lebenslang notwen­ 9-0 Prolene.
digen Immunsuppression abzuwägen. Neben den akuten Nebenwir­ 4 Ergänzende Anastomosen der linksseitigen A. und V. facialis
kungen der Immunsuppression wie arterieller Hypertonus ist v. a. End-zu-End mit 10-0 Prolene.
auch die mögliche Entwicklung von Tumoren im Langzeitverlauf zu 4 Schichtweise Naht der Gesichtsmuskulatur.
diskutieren. Diese Komplikationen der Immunsuppression und die 4 Terminoterminale Koaptation an den linken R. mandibularis
nötige Compliance seitens des Patienten stehen dem funktionellen n. facialis.
Ergebnis der transplantierten Gewebe gegenüber. 4 Nasenrekonstruktion.

Der Sentinelradialislappen wurde als Monitorinsel in die linke Sub­


28.2.2 Operationsprinzipien mammärfalte transferiert und End-zu-End an die A. und V. thora­
codorsalis mit 9-0 Prolene anastomosiert, um Hautbiopsien im
(Teil)gesichtstransplantation transferierten Teilgesicht zu vermeiden.
Die Arbeitsgruppe aus Lyon beschreibt, dass das Spenderteilgesicht
an den beiden Aa. faciales gestielt entnommen wurde. Alle perio­ Hand-/Unterarmtransplantation
ralen Muskeln, ebenso wie die Ala- und der Triangularknorpel der Ideale Indikationen für die Hand- bzw. Unterarmtransplantation
Nase, wurden eingeschlossen zusammen mit dem anterioren Teil des sind beidseitige Guillotine-artige Verletzungsmuster in Hand­
Nasenseptums sowie den Nn. infraorbitales und mentales beidseits. gelenkshöhe bzw. am distalen Unterarm. Jedoch ist dieses Verlet­
Gleichzeitig erfolgte die Hebung eines konventionellen Radiallap­ zungsmuster selten, sodass häufiger proximalere Amputa­tions­ver­
pens des Spenders, der als vaskularisiertes Monitortransplantat zur letzun­gen nach Explosion, Starkstrom oder Avulsion anzutreffen
Vermeidung von Hautbiopsien am Gesichtstransplantat an die Emp­ sind.
fängergefäße in der Achselhöhle angeschlossen wurde. Die Trans­
plantatperfusion erfolgte mit 500 ml Institut-Georges-Lopez- Lö­
238 Kapitel 28 · Plastische Chirurgie nach Organ­transplantation – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)

> An dieser Stelle ist zu betonen, dass es sich nicht um eine Diese Komplikationen konnten durch eine reduzierte Immunsup­
Akutoperation handelt, sondern dass derzeit die Spender- pression verringert werden. Auf die notwendige Immunsuppression
und Empfängerauswahl über einen mehrwöchigen oder und die Abstoßungsreaktion wird im Folgenden eingegangen.
-monatigen Zeitraum in hochspezialisierten Einzelzentren
angeboten wird. Erst bei Erfüllen aller Kritieren eines Immunsuppression
im Transplantationszentrum festgelegten Protokolls sollte Von wesentlicher Bedeutung für die Transplantatfunktion hat sich
die Entscheidung für eine Composite-Tissue-Allotrans- bei der Gewebeallotransplantation die kontinuierliche Immunsup­
plantation getroffen werden. pression erwiesen. Insbesondere die gewissenhafte Einnahme der
Immunsuppression ist entscheidend für den Langzeiterfolg. Alle bis­
28 Operativ empfiehlt sich das Arbeiten mit mindestens 2 Operations­ her beschriebenen Transplantatverluste sind auf die Unterbrechung
teams pro Extremität mit einem Entnahmeteam und einem Empfän­ der Immunsuppression zurückzuführen. In China haben nur 27%
gerteam. Im Falle einer beidseitigen Hand-/Unterarmtransplanta­ der Transplantate überlebt, da dort der Zugang zu einer dauerhaften
tion sind entsprechend 2 Entnahme- und 2 Empfängerteams emp­ qualifizierten Immunsuppression nicht gegeben ist. Eine Übersicht
fehlenswert. Das Entnahmeteam achtet auf eine möglichst umfas­ gibt . Tab. 28.1.
sende Gewebeentnahme mit langen neurovaskulären Stielen. Die
> Das ultimative Ziel der Immunsuppression ist die effektive
Blutleere ist empfehlenswert für optimale Sichtbedingungen bei der
Verhinderung der Abstoßungsreaktion bei Minimierung
Entnahme und beim Empfänger.
der toxischen Nebenwirkungen der eingesetzten Immun-
Die Schnittführung beim Empfänger soll die neurovaskuläre
suppressiva.
Präparation erleichtern, jedoch nicht direkt über Nerven oder
Gefäßen platziert werden, da Schwellung den primären Wundver­ Sowohl die Unterdosierung der Immunsuppressiva mit konsekutiver
schluss verhindern kann und ggf. durch Z-Plastiken oder den freien Abstoßungsreaktion wie auch die Überdosierung mit konsekutiven
Gewebetransfer in der Folge geschlossen werden müssen. So hat sich Infektionen und Toxizität oder auch Tumorinduktion im Langzeit­
eine von Empfänger (dorsal) zu Spender (mittseitlich) um 90° ver­ verlauf ist problematisch und bedarf eines genauen Monitorings,
setzte Hautinzision wegen der guten präparatorischen Übersicht z. T. über Blut­serumspiegel der eingesetzten Substanzen.
und otimalen Abdeckung der genähten Strukturen bewährt.
! Cave
Die Dissektion beginnt subkutan mit Vorpräparation bis zum
Für nierentransplantierte Patienten wurde das Risiko für
Knochen. Dabei erfolgt das eindeutige Markieren der identifizierten
die Entwicklung einer lymphoproliferativen Erkrankung
anatomischen Strukturen beim Empfänger. Nach Präparation aller
mit 2–10% angegeben (First u. Peddi 1998).
Empfängerstrukturen erfolgt nach Beenden der Blutleere die subtile
Blutstillung beim Empfängerstumpf wie auch beim Spendergewebe. Eine Kalkulation basierend auf einem 200.000 Nierentransplanta­
Nach vollständiger Präparation und Blutstillung erfolgt die Perfu­ tionen umfassenden Register ergab folgende Risiken innerhalb
sion mit 500 ml University-of-Wisconsin-Lösung (UW-Lösung) von 5 Jahren nach Transplantation (Baumeister et al. 2004):
über die A. brachialis. 4 3% Risiko für die Entwicklung jedweden Tumors,
In der folgenden Sequenz erfolgt dann die Transplantation der 4 1,1% Risiko für die Entwicklung von Hautkrebs,
Hand bzw. des Unterarms: 4 0,58% Risiko für die Entwicklung eines Lymphoms.
4 Osteosynthese des Knochens.
4 Gefäßanastomosen der Hauptarterie (A. radialis oder A. ulna­ Generell unterscheidet man unterschiedliche Phasen der Immun-
ris) und zweier Hauptvenen (V. cephalica) unter dem Mikros­ therapie:
kop, um eine möglichst kurze Gesamtischämiezeit zu erzielen. 4 Induktionstherapie,
4 Muskel-Sehnen-Naht. 4 Erhaltungstherapie,
4 Komplettierung der Gefäßanastomosen mit mindestens 1–2 tie­ 4 Akute Abstoßungstherapie.
fen Venen nach Optimierung der Gefäßlänge und Vermeidung
von Kinking. Induktionstherapie. Während der Induktionstherapie ist es das
4 Nervenrekonstruktion unter dem Mikroskop: Ziel, eine sofortige und profunde Immunsuppression für ca. 2 Wo­
5 N. medianus, chen postoperativ zu erzielen, um das Risiko einer sofortigen Absto­
5 N. ulnaris, ßungsreaktion (7–14 Tage nach Transplantation) zu minimieren.
5 N. radialis bzw. R. superficialis N. radii. Die 4 am häufigsten für die Induktionstherapie verwendeten Subs­
4 Hautverschluss mit Z-Plastiken nach subtiler Blutstillung. tanzen sind:
4 Polyklonale Anti-Thymozytenglobuline (ATG),
4 Anti-Interleukin-2-Rezeptor-monoklonale Antikörper:
28.2.3 Komplikationen 5 Daclizumbab,
5 Basiliximab,
Während der ersten 8–20 Monate nach Handtransplantation sind 4 Campath-1H,
neben Abstoßungsreaktionen folgende Komplikationen berichtet 4 Anti-CD3-monoklonale Antikörper.
worden:
4 insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Der Transfer von Knochenmark zur Induktionstherapie konnte im
4 Cushing-Syndrom, Tierexperiment Toleranz über Mikrochimerismus induzieren, je­
4 CMV-Kolitis, doch stehen klinische Erfahrungen derzeit noch aus.
4 Herpesinfektion der Haut,
4 kutane Mykosen. Erhaltungstherapie. Die Erhaltungstherapie soll die Fähigkeit
des Immunsystems reduzieren, das transplantierte Gewebe zu at­
tackieren.
28.2 · Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen Chirurgie
239 28

. Tab. 28.1 Immunsuppressionsschema und Komplikationen bei ausgewählten Composite-Tissue-Allotransplantationen

Composite-Tissue- Patienten Immunsuppression Abstoßung Andere Kom­ Resultate


allotransplantation (n) (n) plikationen

Nerven 7 CicA/FK506+Aza+Steroid 1 0 Sensible Erholung 6 Mo­


nate, motorische Erholung
3 Monate

Beugesehnen 2 CicA 6 Monate 0 0 Exzellente aktive und


passive Beweglichkeit

Knie 6 ATG+CicA/FK506+Aza+Steroid 5 Infektion Transplantatverlust (n=5)

Skelettmuskulatur 1 ATG+CicA+Steroid 1 0 Einwandfrei nach 1 Jahr

Larynx 1 Anti CD3+CicA+MMF+Steroide 1 Pneumocystis-carinii- Gute Funktion nach


Bronchitis 7 Jahren

Hand 18 ATG/Basiliximab+FK506+ 12 CMV Infektion (n=2) 90% »return to work«, 63%


MMF+Steroide Herpes simplex (n=1) verbesserte Lebensqualität
Kutane Mykosen (n=1)

Zunge 1 – 0 0 Gute Funktion nach


8 Monaten

Penis 1 Daclizumab, CicA+MMF+ 0 Psychologische Pro- Amputation an Tag 14


Steroide bleme führen zur
Penisamputation an
Tag 14 nach Tx

Gesicht 1 Thymoglobulin, 2 0 Sensible Erholung 6 Mona-


FK506+MMF+Steroide te, motorische Erholung
10 Monate

Bauchwand 9 Altentuzumab+FK506+MMF+ 3 Primäre Nichtfunktion, 5 Todesfälle, 4 lebend


Steroide Sepsis

ATG=Antithymozytenglobulin, AZA=Azathioprin, CicA=Ciclosporin A, FK506=Tacrolimus, MMF=Mycophenolatmofetil.

Die typische Kombinationserhaltungstherapie bei Gesichts-


oder Handtransplantationen beinhaltet: Wirkungsweise der aktuell gebräuchlichen Immun­
4 Tacrolimus (FK 506), suppressiva
4 Mycophenolatmofetil (MMF), 4 Steroide
4 Kortikosteroide. – Hemmen NF-κB-Aktivierung sowie die Zytokinproduktion
– Intrazelluläre Wirkung an DNS
Interessanterweise gibt es neben der systemischen Applikation, 4 OKT3
z. B. bei Tacrolimus (FK 506), die Möglichkeit, topisch als Salbe das – Blockiert T-Zellantigenrezeptor und senkt die T-Zellzahl
Immunsuppressivum aufzutragen. Dies wurde auch klinisch bereits 4 ATG
sowohl bei Teilgesichts- als auch Handtransplantationen erfolgreich – Bindet an viele Zelloberflächenantigene und reduziert
angewendet. die T-Zellzahl
4 Tacrolimus
Akute Abstoßungstherapie. Die akute Abstoßung ist bei Compo­ – Blockiert die Produktion von Interleukin-2
site-Transplantaten aufgrund der exponierten Hautkomponente – Einführung 1992 als Makrolidantibiotikum von Strepto-
sehr gut zu erkennen. Histologisch ähnelt die akute Abstoßung dem myces tsukabaensis
Bild einer atopischen Dermatitis. Die akute Abstoßungstherapie be­ – In vitro 100-fach potenter als Ciclosporin
inhaltet in erster Linie Hochdosiskortikosteroide. Sollten diese ver­ – Möglicherweise günstig für die Nervenregeneration über
sagen, so können die zur Induktionstherapie verwendeten mono­ Neuroimmunophilinliganden (Gold 1997; Bain 2000)
klonalen und polyklonalen Antikörper verwendet werden. Auch die – Topische Anwendung möglich
Hochdosis-Tacrolimus- und -Sirolimus- (Rapamycin-) Anwendung – Potenziell neuro- und nephrotoxisch sowie diabetogen
ist in diesem Zusammenhang beschrieben. Bei Hand- und Gesichts­ 4 Basiliximab/Daclizumab
transplantationen konnten auch erfolgreich topisch Kortikosteroide – Blockiert die Bindung von Interleukin-2 an den Inter­
und topisches Tacrolimus eingesetzt werden (Jiang et al. 2005). leukin-2-Rezeptor
In der . Übersicht wird die Wirkungsweise der aktuell gebräuch­ 4 Sirolimus
lichen Immunsuppressiva aufgelistet (Whitaker et al. 2008). – Blockiert die Interleukin-2-Signaltransduktion in T-Zellen
6
240 Kapitel 28 · Plastische Chirurgie nach Organ­transplantation – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)

einher. Die eingangs zitierte Penistransplantation in China wurde


4 Mycophenolatmofetil (MMF) 14 Tage nach technisch erfolgreicher Transplantation wegen schwer­
– Verhindert die T-Zellproliferation und Differenzierung wiegender psychosozialer Probleme des Empfängers und seiner Frau
– Einführung 1995 im Sinne einer Penisamputation beendet.
– Gastrointestinale Nebenwirkungen bis zu 60% Die französische Patientin nach Teilgesichtstransplantation war
– Leukopenie bis zu 40% nach 18 Monaten sehr zufrieden. Die Eingangsuntersuchung für die
Evaluation der Patientin beinhaltete u. a. die Konsultation dreier
Psychiater inklusive einer Psychiaterin, die die Patientin schon vorab
Funktionelles Ergebnis längerfristig betreut hatte. Gegen Ende der 12. postoperativen Wo­
28 Das erzielbare funktionelle Ergebnis ist von entscheidender Bedeu­ che war die Patientin bereit, sich der Welt zu stellen und ohne Angst
tung insbesondere bei der Composite-Tissue-Allotransplantation. im Freien spazieren zu gehen.
Nach der im Juli 2008 in München durchgeführten bilateralen
> Bedenkt man die potenziellen Risiken der Akut- und Lang-
Oberarmtransplantation eines 54-jährigen beidseitig nach einem
zeiteinnahme der Immunsuppressiva sowie die psycho­
Landmaschinenunfall oberarmamputierten Patienten erklärte der
soziale Belastung beispielsweise einer Teilgesichtstrans-
Leiter des Transplantationsteams Christoph Höhnke: »Berührt hat
plantation, so muss dies mit dem funktionellen Ergebnis
mich der Moment, als seine Frau nach der Operation auf ihn zukam.
aufgewogen werden.
Sie nahm spontan die Hände des Patienten und sagte: ›Die sehen ja
Daten aus dem 2. Report der International Registry of Hand and aus wie deine früher‹.« Auch der Patient selbst sei zufrieden. »Er ist
Composite Tissue Transplantation für 24 Hand- und Unterarm­ glücklich, aber nicht euphorisch,« sagt die betreuende Psychologin
transplantationen zeigten bei allen Patienten eine Schutzsensibilität Sibylle Storkebaum. Schließlich wisse er, was noch alles auf ihn zu­
und bei 17 von 18 Patienten auch eine 2-Punkte-Diskrimination. kommen kann«
Das Nagel- und Haarwachstum wie auch die Hautfarbe und Textur Der beidseitig in Innsbruck handtransplantierte Theo Kelz be­
erscheinen normal. Die extrinsische und intrinsische Muskelaktivi­ richtet auf seiner Homepage: »Ich dachte im Oktober 1994 erstmals
tät erlaubte es den transplantierten Patienten, an fast allen Aktivitä­ daran, mir Hände eines Verstorbenen verpflanzen zu lassen. Ich
ten des täglichen Lebens teilzunehmen wie z. B. Essen, Autofahren, schrieb alle Universitätskliniken in Österreich an, bekam aber durch­
Rasieren, Rad- oder Motorradfahren. 90% der transplantierten Pati­ wegs ablehnende Antworten. Die Ärzte teilten mir mit, dass sie noch
enten konnten auch ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Die funktio­ nicht über die notwendigen medizinischen Erfahrungen verfügten;
nelle Kernspintomographie kann nachweisen, dass nach bilateraler einige rieten mir von dieser Operation ab. Ich blieb unbeirrt, ein
Handtransplantation die defizitäre kortikale Reorganisation einer Leben mit richtigen Händen wollte ich wieder führen. Lediglich der
Amputationsverletzung reversibel wird (Giraux et al. 2001). Innsbrucker Chirurg, Universitäts-Professor Dr. Raimund Marg­
reiter, machte mir Hoffnung. Und siehe da, am 7. März 2000, also
6 Jahre danach, wachte ich in der Innsbrucker Universitätsklinik,
28.2.4 Psychosoziale Implikationen 50 Stunden nach Operationsbeginn, mit 2 neuen Händen auf. Als
ich dies realisierte, waren diese Hände sofort meine neuen Hände,
Die Allotransplantation von Geweben wie der Hand oder des Teil­ und es wurden diese sowohl von meinen Geist, als auch von meinem
gesichts geht mit nicht unerheblichen psychosozialen Belastungen Körper angenommen.«

. Abb. 28.2 Das »rekonstruktive Uhrwerk« mit dem integralen Bestandteil der Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA). (Nach Knobloch u. Vogt 2010)
28.2 · Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) in der plastischen Chirurgie
241 28
28.2.5 Perspektiven Knobloch K, Vogt PM, Rennekampff HO (2009) Composite tissue allotrans-
plantation (CTA): organ or tissue transplantation? Handchir Mikrochir
Plastische Chirurgen werden sich weltweit aufgrund der hohen Plast Chir 41 (4): 205–209
Lanzetta M, Petruzzo P, Dubernard JM, Margreiter R, Schuind F, Breidenbach
Transplantatüberlebensraten, der Patientenakzeptanz und auch der
W, Nolli R, Schneeberger S, van Holder, Gorantla VS, Pei G, Zhao J, Zhang
immer positiveren Wahrnehmung in Fachkreisen zunehmend mit
X (2007) Second report (1998–2006) of the International Registry of Hand
der Option der Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) befas­ and Composite Tissue Transplantation. Transplant Immun 18: 1–6
sen. Die im jeweiligen Land gültigen gesetztlichen Bestimmungen Lee AB, Dupin CL, Colen L, Jones NF, May JW, Chiu ES (2008) Microvascular free
werden einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung die­ tissue transfer in organ transplantation patients: Is it safe? Plast Reconstr
ser Operationsform nehmen. So ist die Frage, ob es sich bei der CTA Surg 121: 1986–1992
um eine reine Gewebespende handelt oder um eine Organtransplan­ Levi DM, Tzakis AG, Kato T, Madariaga J, Mittal NK, Nery J, Nishida S, Ruiz P
tation, nicht trivial (Knobloch et al. 2009). Hier ist die intensive (2003) Transplantation of the abdominal wall. Lancet 361 (9376): 2173–
Kommunikation mit den involvierten Partnern zwingend, um auch 2176
Rechtssicherheit für alle Beteiligten sicherzustellen angesichts bei­ Merrill JP, Murray JE, Harrison JH, Guild WR (1956) Succesful homotransplan-
tations of the human kidney between identical twins. J Am Med Assoc
spielsweise der Vorgaben des Gewebegesetzes bzw. des Transplanta­
160 (4): 277–282
tionsgesetzes.
Petruzzo P, Badet L, Gazarian A, Lanzetta M, Parmentier H, Kanitakis J, Sirigu
Wir glauben, dass die CTA für sehr ausgewählte Patienten, ggf. A, Martin X, Dubernard JM (2006) Bilateral hand transplantation: six years
in Ergänzung zu weiteren rekonstruktiven Optionen, eine operative after the first case. Am J Transplant 6: 1718
Möglichkeit der wiederherstellenden Chirurgie, der ureigensten Selvaggi G, Levi DM, Kato T, Madariaga J, Moon J, Nishida S, Tzakis AG (2004)
Aufgabe unseres Fachgebietes, sein wird. Insofern sehen wir die Expanded use of transplantation techniques: abdominal wall transplan-
Composite-Tissue-Allotransplantation auch nicht im starren Sche­ tation and intestinal autotransplantation. Transplant Proc 36 (5): 1561–
ma einer »rekonstruktiven Leiter« auf einer bestimmten Stufe, son­ 1563
dern integriert in ein »rekonstruktives Uhrwerk« mit allen moder­ Strome M, Stein J, Esclamado R, Hicks D, Lorenz RR, Braun W, Yetman R, Eli-
nen Möglichkeiten der rekonstruktiven Chirurgie (. Abb. 28.2). achar I, Mayes J (2001) Laryngeal transplantation and 40-month follow-
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IV

Amputationen
A. Jokuszies, K. Knobloch

Kapitel 29 Amputationen an der oberen Extremität – 245


K. Knobloch

Kapitel 30 Amputationen an der unteren Extremität – 253


A. Jokuszies
Trotz aller Fortschritte der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie können Extremitäten nicht in allen Fällen
ganz oder teilweise erhalten werden. Ziel bei einer unumgänglichen (Teil-)Amputation muss es sein, eine möglichst
weit peripher gelegene Amputationsebene zu erzielen. Gleichzeitig sollte der Stumpf gut weichteilbedeckt, belastbar,
mit einer protektiven Sensibilität ausgestattet und auf jeden Fall schmerzfrei sein. Für myoelektrische Versorgungen
sollten antagonistische Muskelgruppen für die Ansteuerung vorhanden sein. An der unteren Extremität ist für eine
gute prothetische Versorgbarkeit neben der Gestaltung einer entsprechenden Stumpflänge und adäquaten Weich-
teilbedeckung, idealerweise auch eine Endbelastbarkeit zu fordern.
Eine qualitativ hochwertige Amputationschirurgie erfordert somit grundlegende Kenntnisse, v. a. auch in der
weichteilplastischen Stumpfbildung.
29

Amputationen
an der oberen Extremität
K. Knobloch

29.1 Operationsziele – 246

29.2 Standardisierte Operationstechnik – 246

29.3 Fingerendgliedamputation – 246

29.4 Langfingeramputationen proximal des distalen


Interphalangealgelenks (DIP) – 247

29.5 Mittelhandstrahlamputation – 247

29.6 Handgelenksexartikulation – 248

29.7 Krukenberg-Operation – 248

29.8 Typische Folgeeingriffe bzw. Komplikationen nach Amputationen – 248

29.9 Postoperatives Management – 249


29.9.1 Kortikale Reorganisation nach Amputationen – 249

29.10 Minderung der Erwerbstätigkeit – 249

29.11 Prothetische Versorgung – 249


29.11.1 Kurzer Abriss über die Geschichte   – 249
29.11.2 Prothesenklassifikation – 249
29.11.3 Handgelenkexartikulation – 250
29.11.4 Unterarmprothesen – 250
29.11.5 Oberarmamputation – 250

29.12 Psychologische Aspekte – 251

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
246 Kapitel 29 · Amputationen an der oberen Extremität

Amputationen an der oberen Extremität sind 10- bis 20-mal seltener


als an der unteren Extremität. Sie können in ca. 75% Folge eines
schweren Traumas sein, seltene Ursachen sind arterosklerotische
Minderperfusion, kongenitale Deformität oder maligne Tumorer-
krankung. Die funktionelle Rehabilitation ist das oberste Ziel. Für
den Chirurgen ist es von äußerster Wichtigkeit, die berufliche, so­
ziale und persönliche Situation des Patienten zu kennen, um eine
individuelle Lösung zu finden.
Historisch sei an Götz von Berlichingen erinnert, dessen rechte
Hand mit 23 Jahren von einer Kugel zerschmettert wurde. Seine
Trauer über den Verlust seiner Hand dauerte kaum bis zur Wund-
29 heilung. Er ersann sich eine eiserne Hand, und verschaffte sich damit
Respekt wie ehedem.
> Die Aufgabe, die Amputationshöhe möglichst peripher
zu wählen und trotzdem einen Stumpf zu schaffen, der
schmerz­frei funktionell brauchbar und im günstigsten Fall
prothetisch versorgbar ist, gehört zur hohen Schule der
Chirurgie (Baumgartner).

29.1 Operationsziele
Amputationsverletzungen der Finger und des Daumens müssen im­
mer auf ihre Replantierbarkeit und die Möglichkeit komplexer Re-
konstruktionen überprüft werden. Komplette Daumenverluste sollten
möglichst frühzeitig durch Ersatzverfahren rekonstruiert werden. Vor
allem bei Amputationen proximal des Handgelenks gilt es, eine maxi-
male Länge zu erhalten. Die Funktion und Nutzbarkeit einer protheti­
schen Versorgung stehen in unmittelbarer Beziehung zur Stumpf­
länge, insbesondere bei Erhalt des Ellbogengelenks (. Abb. 29.1). . Abb. 29.1 Amputationshöhen an der oberen Extremität. (Aus: Eichhorn-
Sens u. Vogt 2006)

Ziele der Amputationschirurgie an der oberen Extremität


4 Erhaltung einer funktionellen Länge von dorsal nach distal eröffnet und Kapsel sowie Bänder an-
4 Widerstandsfähiger Weichteilverschluss schließend unter Zug durchtrennt.
4 Erhaltung einer nutzbaren Sensibilität 4 Der distale Teil wird 90° abgewinkelt und in Längsrichtung ge-
4 Prävention von symptomatischen Neuromen zogen. Der palmare Lappen wird entsprechend der zuvor ange-
4 Prävention von Gelenkkontrakturen legten Hautinzision geschnitten.
4 Kurze Morbidität, kurze Ausfallzeit, schnelle Rehabilitation 4 Nach Kontrolle der Vitalität des Gewebes wird die Länge des
mit Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess Lappens kontrolliert.
4 Schnelle prothetische Versorgung, wo es angebracht 4 Die Darstellung, Präparation und Durchtrennung der größeren
erscheint Nerven erfolgt 3–5 cm proximal des knöchernen Stumpfendes
scharf ohne Ligatur.
4 Es werden keine Nervenenden oberflächlich belassen, denn sie
könnten in der Narbe unter Druck geraten und Neuromschmer­
29.2 Standardisierte Operationstechnik zen auslösen.
4 Ablassen einer evtl. Blutsperre, Hämostase und Drainage.
Der Hauptbestandteil der Amputationschirurgie an der oberen Ex- 4 Wundverschluss durch Einzelknopfnähte der oberflächlichen
tremität ist ein langer palmarer bzw. proximal des Ellbogens dorsaler Muskelfaszie und subkutane Einzelknopfnähte der Haut.
Weichteillappen, der das Stumpfende später abdecken kann. 4 Hochlagern der Extremität. Eine Schulterabduktionsschiene
Wichtig ist der Längenerhalt. kann von Nutzen sein.
4 Simultane Inzisionen von Haut und Subkutangewebe werden an
beiden Lappen entsprechend der Linien durchgeführt, die mit
einem Hautstift aufgezeichnet sind. Vorbestehende Narben sind 29.3 Fingerendgliedamputation
zu exzidieren.
4 Präparation des dorsalen Lappens: Eine quere Durchtrennung Obwohl die Amputation der Fingerspitze die häufigste Amputation
der dorsalen Muskeln erfolgt bis auf den Knochen und die an der oberen Extremität ist, wird ihre genaue Technik kontrovers
Membrana interossea. diskutiert. Am Daumen gilt die Übereinkunft, diesen möglichst im-
4 Das Periost wird über 5 mm nach distal abgeschoben. mer zu erhalten bzw. zu replantieren, für die Langfingerendglieder
4 Die oszillierende Säge durchtrennt den (die) Knochen in einer gilt dies nicht. Auch die mikrovaskuläre Replantation von Finger­
queren Ebene. Bei einer Exartikulation wird die Gelenkkapsel endgliedern ist beschrieben. Derzeit gibt es keine allgemeingültigen
29.5 · Mittelhandstrahlamputation
247 29
Aussagen, sodass der Chirurg unter Zusammenschau des Verlet-
zungsmusters, des Alters und des Berufs des Patienten, der notwen-
digen Rehabilitationszeit und der Wiedereingliederung in den Beruf
die Entscheidung für oder gegen den Erhalt eines Fingerendglieds
treffen wird. Unserer Meinung nach ist ein schnell funktionsfähiger
Stumpf günstiger als ein mehrfach revidiertes funktionsbehin-
derndes Fingerendglied.
Folgende lokale Lappenplastiken können bei Fingerendgliedam-
putationen mit freiliegendem Knochen zur Weichteildeckung her-
angezogen werden:
4 volarer Atasoy-Kleinert VY-Lappen (Atasoy et al. 1970),
4 lateraler Kutler-VY-Lappen (Kutler 1944),
4 volarer Verlagerungslappen von Keim u. Grantham (1969),
4 Cross-Finger-Lappenplastik (Gurdin u. Pangman 1950). a

Liegt bei ganz distalen Kuppenamputationen kein Knochen frei,


kann auch ein Folienokklusivverband, der für mindestens 7 Ta-
gen belassen und dann erneuert wird, exzellente Ergebnisse er­
zielen.

Kritische Punkte bei Fingerendgliedverletzungen


4 Folgeschäden wie Kälteintoleranz und sensible Aberratio­
nen scheinen nicht die Folge der Therapie, sondern der Ver-
letzung selbst zu sein und treten bei Replantation und
Stumpfversorgung auf.
4 Hautlappen erscheinen angezeigt bei reduzierter bzw. auf-
gehobener Sensibilität, Kälteintoleranz und anderen senso-
b
rischen Veränderungen.
4 Neben lokalen Hautlappenplastiken kann bei geeigneter In-
dikation (Kuppenamputation ohne freiliegenden Knochen)
auch eine sekundäre Heilung mittels Folienokklusivverband
exzellente Ergebnisse liefern.

Ein Beispiel einer Fingerendgliedamputation ist in . Abb. 29.2


gezeigt.

29.4 Langfingeramputationen proximal des


distalen Interphalangealgelenks (DIP)
c
4 Amputationen durch das Fingerendgelenk sollten mit knö­-
cher­ner Kürzung und spannungsfreiem Primärverschluss er­ . Abb. 29.2a–c Nekrose der Fingerendglieder eines 3-jährigen Kindes
folgen. nach intraarterieller Fehlinjektion. Nach erfolgter Grenzzonendemarkation
4 Bei Amputationen der Mittelphalanx sollte ebenfalls die knö- (a) Amputation der Endglieder (b). Stumpfbedeckung durch Adaptation der
cherne Kürzung mit Primärverschluss angestrebt werden ohne fischmaulförmigen Hautläppchen bei größtmöglichem Längenerhalt der
Spannung beim Weichteilverschluss. Wenn immer möglich, Stümpfe (c). (Aus: Eichhorn-Sens u. Vogt 2006)
sollte die Insertion der oberflächlichen Beugesehne erhalten
werden.
4 Amputationen im proximalen Interphalangealgelenk (PIP) soll-
ten wie Amputationen im DIP mit knöcherner Kürzung und 29.5 Mittelhandstrahlamputation
spannungsfreiem Primärverschluss versorgt werden.
4 Amputationen der Grundphalanx in der Nähe des PIP können 4 Am häufigsten als elektive Operation nach schwerer funktionell
eine gewisse Greiffunktion ermöglichen. einschränkender Verletzung bzw. Infektion durchgeführt.
4 Bei Amputationshöhe nahe dem Metatarsophalangealgelenk 4 Typischerweise indiziert bei Ringfingeravulsionsverletzung.
(MP-Gelenk) ist die Strahlresektion indiziert. 4 Bei Mittelhandstrahlamputationen sollte ein ausreichender
Hautmantel verbleiben zur Deckung der Kommissur.
Ein Beispiel ist in . Abb. 29.3 gezeigt. 4 Bei Amputationen des 5. Mittelhandstrahls muss die Basis des
5. Mittelhandstrahls wegen der Insertion der Mm. flexor und
extensor carpi ulnaris erhalten werden.
248 Kapitel 29 · Amputationen an der oberen Extremität

. Tab. 29.1 Stumpfqualitäten an Handgelenk und Unterarm. (Nach


Baumgartner u. Botta 1997)

Amputation Mitte Exartikulation


des Unterarms des Handgelenks

Hebelarm [%] 50 100

Pronation [%] 30 100

Supination [%] 30 100

29 Form Zylindrisch, konisch Birnenförmig

a Distale Wachstums- Nicht erhalten Bleiben erhalten


fugen

Prothesenschaft Auf Ellbogen über- Beschränkt auf den


greifend Unterarm

Krukenberg-Plastik Nicht möglich Möglich

29.7 Krukenberg-Operation
1917 stellte Krukenberg die Bildung eines sensiblen Unterarmstump-
fes mit einem radialen und einem ulnaren Strahl vor. Dieses ange-
sichts myoelektrischer Prothesen nicht mehr gebräuchliche Verfah-
b ren wird deshalb erwähnt, weil es immer noch ein ingeniöses und
sehr brauchbares Verfahren darstellt (. Tab. 29.1). Gerade in Ent-
wicklungsländern hat diese Maßnahme Bedeutung, da hier oft keine
kostspielige prothetische Versorgung erfolgen kann (Garst 1991).
Gesteuert werden die beiden Unterarmstrahlen im Wesentlichen
über den M. pronator teres. Die Krukenberg-Operation wurde klas-
sischerweise bei blinden und beidseitig unterarmamputierten Pa­
tienten vorgenommen, wenn die Ellbogenfunktion gut erhalten ist.
Wenn eine Ellbogenkontraktur in Beugestellung von >70° besteht,
sollte die Krukenberg-Operation nicht durchgeführt werden. Es
wird eine Unterarmstumpflänge von 12–15 cm empfohlen. Die Un-
terarmmuskulatur wird bis auf die Mm. pronator teres, flexor carpi
ulnaris, brachioradialis und supinator entfernt.

29.8 Typische Folgeeingriffe bzw.


Komplikationen nach Amputationen
c

. Abb. 29.3a–c Walzenquetschverletzung der linken Hand eines 10-jähri- 4 Wundinfekt:


gen Jungen. Amputation im proximalen Interphalangealgelenk (PIP-Gelenk) 5 Behandlung durch frühzeitiges Débridement der Wunde und
des Kleinfingers, langstreckige Décollement-Verletzung des Mittelfingers. serielle Operationen mit Wundlavage und ggf. Vakuumver-
Eine Replantation des zerstörten Amputates war nicht möglich. Erhalt des siegelung.
Mittelfingers und Stumpfbedeckung des Kleinfingers zum Längenerhalt 4 Nachblutung.
durch Leistenlappen (b). Trennung des Leistenlappens nach 3 Wochen mit 4 Verbesserungen des Weichteilmantels:
anschließender Modellierung. Ergebnis 5 Monate nach dem Unfallereignis Nach Abschwellung und infektfreier Wundheilung.
(c). (Aus: Eichhorn-Sens u. Vogt 2006) 4 Phantomgefühl:
Chirurgische Maßnahmen führen für gewöhnlich nicht zum Er-
folg. Vielmehr ist die enge Anbindung an ein Schmerzzentrum
mit Gabe von modulierenden Substanzen wie Gabapentin (Neu-
29.6 Handgelenkexartikulation rontin, Aufdosierung bis 2400 mg/Tag) oder Carbamazepin
(Tegretal) notwendig.
Bei der Handgelenksexartikulation sollte das distale radioulnare Ge- 4 Amputationsneurom:
lenk erhalten werden, damit die Unterarmpro- und -supination er- Bei anhaltenden Beschwerden operative Freilegung mit scharfer
halten wird. Nachteilig bei der Handgelenksexartikulation sind die Durchtrennung des Nervs proximal und ggf. Verlagerung des
prominenten Knochenenden mit der schwierigeren prothetischen Nervenendes in einen weichteilgeschützten tieferen Bereich
Versorgung bei dieser Amputationshöhe. oder nahe liegenden Knochen.
29.11 · Prothetische Versorgung
249 29
29.9 Postoperatives Management 29.11.2 Prothesenklassifikation

Die Nachbehandlung nach der Amputation beginnt mit der Banda- Eine heute übliche frühzeitige prothetische Versorgung mit Interim-
gierung des Stumpfes zur Stumpfformung. Die initiale Frühpro­ sprothesen frühzeitig nach stattgehabter Amputation weist folgende
thesenversorgung folgt ab der 2. postoperativen Woche bzw. nach positive Effekte auf:
Abschluss der Wundheilung und Abschwellung. Diese Frühprothe- 4 Verbesserung der Wundheilung,
sen sind mit volumenanpassbaren Luftkammern ausgestattet. Im 4 Ödemkontrolle,
weiteren Verlauf wird auf individuell anzupassende Prothesenschäfte 4 Frühe Formung des Amputationsstumpfes,
übergegangen. 4 Frühe Funktion und Reintegration in den Alltag.
> Patienten, die innerhalb der ersten 30 Tage nach der
Amputation mit einer Interimsprothese versorgt wurden,
29.9.1 Kortikale Reorganisation tragen 3-mal wahrscheinlicher über lange Zeit ihre
nach Amputationen Prothese.
Die jüngste Forschung konnte nachweisen, dass die funktionelle Die Einteilung von Prothesentypen erfolgt nach
kortikale plastische Reorganisation unabhängig vom Typ der Am- 4 Leistungskriterien,
putation schon frühzeitig stattfindet und schon innerhalb von 4 Konstruktionsmerkmalen,
10 Tagen postoperativ nachweisbar sein kann (Jebson u. Louis 4 Kraftquellen.
2005).
Die menschliche Hand kann folgende Griffformen ausführen:
4 Zylindergriff,
29.10 Minderung der Erwerbstätigkeit 4 Spitzgriff,
4 Koffergriff,
Amputationen an der oberen Extremität als Traumafolge kommen 4 Dreipunktegriff.
häufig nach Berufsunfällen vor und unterliegen daher dem Durch-
gangsarztverfahren mit entsprechenden Implikationen für die finan- Diese können auch durch eine Prothesenhand bzw. einen Greifha-
zielle Entschädigung, wie sie beispielhaft . Tab. 29.2 entnommen ken ausgeführt werden.
werden kann. 4 Kugel- und
4 Schlüsselgriff

29.11 Prothetische Versorgung dagegen können nur von der menschlichen Hand und derzeit nicht
mit einer Prothese imitiert werden.
29.11.1 Kurzer Abriss über die Geschichte
Kosmetische Prothesen
Den erstverbürgten Hinweis finden wir im II. Punischen Krieg, der Es handelt sich um passive Prothesen. Mit ihnen wird nur das äu-
von 218–201 v. Chr. dauerte, bei dem der Römer Marcus Sergius ßere Erscheinungsbild wiederhergestellt, denn manche Patienten
seine rechte Hand verlor. Er ließ sich eine eiserne Hand anfertigen, verzichten bewusst auf aktive Funktionen einer Armprothese und
kämpfte weiter und siegte nach der Überlieferung. Im Mittelalter geben dem kosmetischen Ausgleich des fehlenden Gliedmaßenab-
wurde die eiserne Hand des Götz v. Berlichingen bekannt. Er verlor schnittes den Vorrang. In diesem Fall werden jedoch an die Prothese
seine rechte Hand im Jahr 1504. In der Folgezeit nach der Verwun- hohe Ansprüche in Bezug auf Gestaltung, Aussehen, Tragekomfort
dung und Genesung wurde die Ersatzhand zwischen 1504 und 1510 und Gewicht gestellt. Außerdem wird eine unkomplizierte Handha-
gebaut und hatte ein Gewicht von 600 g. bung erwartet.

. Tab. 29.2 Bewertung der Grad der Behinderung/Minderung der Erwerbstätigkeit bei Gliedmaßenverlust. (Nach Mollowitz 1998)

GdB/MdE, gesetzliche GdB/MdE, soziales Entschädigungs- Invaliditätsgrade


Unfallversicherung (BG) recht (Versorgungsamt) (Privatversicherung) [%]

Verlust des Arms im Schultergelenk 70

Sehr kurzer Oberarmstumpf 80 80 65

Verlust Mitte Oberarm 70 70 65

Verlust im Ellbogengelenk 70 70

Verlust des mittleren Unterarms bei frei 60 50 60


beweglichem Ellbogengelenk

Verlust der Hand 60 50 55

Verlust aller Finger einer Hand 50 50

GdB=Grad der Behinderung, MdE=Minderung der Erwerbsfähigkeit.


250 Kapitel 29 · Amputationen an der oberen Extremität

Manche Patienten benutzen die Kunsthand ihrer Armprothese Ellbogengelenk durch eine Zugbandage zu betätigen. Da Eigenkraft
zeitweise als Beihand oder zum Tragen von Gegenständen. und Fremdkraft miteinander kombiniert werden, bezeichnet man
Grundsätzlich ist dieses Prothesensystem bei allen Amputations­ dieses System als Hybridprothese.
höhen anwendbar. Besondere Bedeutung kann diese Versorgungsart
> Entscheidend ist es, dass alle Rehabilitationsmaßnahmen in
bei hohen Absetzungen haben, wenn funktionelle Prothesen abge-
interdisziplinärer Zusammenarbeit möglichst bald nach der
lehnt werden oder nicht erfolgreich einzusetzen sind.
Amputation beginnen. Die prothetische Frühversorgung
Ein Teilhandverlust wird mit einem kosmetischen Handschuh,
hat günstigen Einfluss auf die Behandlung. Aufgabe der
der mit einer Innenhand ausgefüllt ist, versorgt. Dabei sollten Sensi-
Kran­kengymnastik ist es, rechtzeitig mit Bewegungs­übun­
bilität und verbleibende Funktion der verletzten Hand nicht zu sehr
gen und Muskeltraining zu beginnen, während sich die Be-
beeinträchtigt werden.
schäftigungstherapie mit dem Prothesentraining befasst.

29 Zugbetätigte Prothesen
Diese Eigenkraftprothesen nutzen eine indirekte Kraftquelle. Die
Prothesenfunktionen werden durch die Bewegungen des Stumpfes 29.11.3 Handgelenkexartikulation
bzw. des Schultergürtels über eine Kraftzugbandage ausgeführt.
Zur Koordination der verschiedenen Funktionen bedarf es eines Bei der Exartikulation im Handgelenk entsteht ein verhältnismäßig
intensiven Lernprozesses des Patienten. langer, distal verbreiterter Stumpf, der zur Prothesenhaftung gut ge-
Dieses Prothesensystem ist praktisch bei allen Stumpflängen, eignet ist. Auf kosmetische Korrekturen an den distalen Knochenen-
außer bei Amputationen im Handbereich, einzusetzen. Bei höheren den sollte daher verzichtet werden. Für die Versorgung der Handge-
Absetzungen, insbesondere im Schulterbereich, wird die Betätigung lenkexartikulation stehen kosmetische und funktionelle Prothesen-
der Prothese schwieriger. Bei Unterarmprothesen betätigt die Kraft- systeme zur Verfügung.
zugbandage nur das Greiforgan. Bei allen proximal des Ellbogenge-
lenks gelegenen Absetzungen werden Handfunktion, Ellbogenbeu- Zugbetätigte Prothese
gung und Ellbogensperrung über eine Dreizugbandage gesteuert. Ist Diese funktionelle Prothesenart, auch »aktiver Greifarm« genannt,
die zugbetätigte Ellbogensperrung entbehrlich, reicht eine Zweizug- ist für die Versorgung der Exartikulation im Handgelenk geeignet,
bandage aus. Bei beidseitig Amputierten ist neben den Versorgungen insbesondere, wenn die Voraussetzungen für eine myoelektrisch ge-
mit diesem Prothesensystem auch die Kombination mit einer pas- steuerte Prothese nicht gegeben sind. Geringes Gewicht und Unab-
siven oder mit einer myoelektrischen Prothese möglich. hängigkeit von einer Energiequelle, im Vergleich zu Fremdkraftpro-
Der konsequenten Armschulung kommt bei den zugbetätigten thesen, sind von Vorteil.
Prothesen besondere Bedeutung zu. Der Patient lernt, die verschie-
denen Bewegungen der Prothese gezielt zu kontrollieren und kann Myoelektrisch gesteuerte Prothesen
sogar ein gewisses Ausmaß an Rückmeldung erreichen. Diese Fremdkraftprothese ist für die Versorgung von Exartikula­
tionen im Handgelenk in vielen Fällen der Vorzug zu geben. Voraus-
Myoelektrische betriebene Armprothesen setzung dafür ist, dass ausreichende Muskelaktionspotenziale zur
Es handelt sich um Fremdkraftprothesen. Die spezifischen Eigen- Ansteuerung der Systemelektrohand vorhanden sind. Eine unter-
schaften dieses Systems haben entscheidenden Einfluss auf die Arm- halb des Ellbogengelenks endende Kontaktbettung reicht, bedingt
prothetik genommen. Nicht allein die technische Konstruktion ist durch die distale Verbreiterung des Stumpfes, zur sicheren Prothe-
maßgebend für das Versorgungsergebnis, von wesentlicher Bedeu- senbefestigung aus und lässt eine unbehinderte Pro- und Supinati-
tung ist es, eine zuverlässige »Mensch-Maschine-Verbindung« zu onsbewegung zu. Die Elektroden sind in der Stumpfbettung elastisch
erreichen. Damit ist gemeint, ob der Amputierte in der Lage ist, die aufgehängt. Der Außenschaft bildet die äußere Form, verkleidet Ka-
Prothese in sein Körperschema zu integrieren. bel und Elektroden und nimmt den Wechselakkumulator auf. Die
Zur myoelektrischen Steuerung werden elektrische Aktions- Verbindung zur Systemelektrohand bzw. zum Elektrogreifer wird
potenziale von der Stumpfmuskulatur für die Betätigung der Prothe- über einen im Schaft befestigten Eingussring hergestellt.
se genutzt. Diese Potenziale entstehen bei der Kontraktion eines
Muskels und sind auf der Hautoberfläche im Mikrovoltbereich
messbar. Sie werden von Elektroden abgenommen, verstärkt und als 29.11.4 Unterarmprothesen
Steuersignale zu den Funktionselementen geleitet.
Als Energiespender dient ein aufladbarer 6-Volt-Akkumulator Bei einer Amputation am Unterarm werden Knochen und Weichtei-
bzw. für Kinderprothesen ein 4,8-Volt-Akkumulator, der im Prothe- le möglichst wenig gekürzt, da jeder erhaltene Abschnitt von Vorteil
senschaft untergebracht ist und bei Bedarf vom Patienten gewechselt für die Prothesenversorgung ist. Die Stumpflänge beeinflusst als He-
werden kann. belarm die Prothesenführung und ist für das Ausmaß der Pro- und
Supinationsbewegungen entscheidend. Für die Versorgung von Un-
Hybridprothesen terarmstümpfen unterschiedlicher Amputationshöhe stehen kosme-
Myoelektrisch gesteuerte Armprothesen können bei allen Amputa- tische und funktionelle Prothesensysteme zur Verfügung. Moderne
tionshöhen proximal des Handgelenks eingesetzt werden. Voraus- Anwendungstechniken ermöglichen auch die Versorgung kurzer
setzung dafür ist, dass der Patient die in Frage kommenden Muskel- Stümpfe ohne Befestigung am Oberarm.
gruppen isoliert und ausreichend kräftig anspannen kann. Das ge-
lingt bei den Antagonisten des Unterarms meist ohne Probleme
recht schnell. Bei höheren Amputationen, insbesondere bei Ver­ 29.11.5 Oberarmamputation
wendung einer Mehrkanalsteuerung, ist ein intensiveres Training
notwendig. In diesen Fällen besteht auch die Möglichkeit, sich auf Bei einer Amputation am Oberarm werden Knochen und Weichtei-
die myoelektrische Ansteuerung der Hand zu beschränken und das le möglichst wenig gekürzt, da auch hier jeder erhaltende Abschnitt
29.12 · Psychologische Aspekte
251 29
für die Prothesenversorgung von Vorteil ist. Die Stumpflänge ist ent-
scheidend für die Prothesenhaftung und beeinflusst als Hebelarm
die Führung der Prothese.
Wie bei den Unterarmprothesen stehen auch für die Versorgung
von Oberarmstümpfen unterschiedlicher Amputationshöhen kos-
metische und funktionelle Prothesensysteme zur Verfügung. Die
dargestellten Prothesensysteme zeigen die unterschiedlichen Mög-
lichkeiten für die Versorgung aller Amputationshöhen am Oberarm
auf. Stumpflänge, Muskelfunktion usw. sowie die körperliche Leis-
tungsfähigkeit des Patienten und seine Ansprüche an die Einsatz-
möglichkeiten der Prothese sind für die Auswahl entscheidend.
Die kosmetische Prothese hat zwar das geringste Gewicht, je-
doch nur eine eingeschränkte passive Funktion. Sie wird meistens
aus Modularbauteilen hergestellt. Bei der zugbetätigten Prothese ist
für die Bewegung der Funktionselemente eine Dreizugbandage er-
forderlich. Bei der Hybridprothese werden Eigenkraft und Fremd-
kraft miteinander kombiniert. Das Ellbogengelenk wird über eine
Schulterbandage betätigt und die Prothesenhand myoelektrisch ge-
steuert. Bei der myoelektrisch gesteuerten Prothese erfolgt die An-
steuerung der Funktionen (Greiforgan und Ellbogengelenk) über
Muskelpotenziale, die von Elektroden abgenommen werden. Ener-
giequelle ist ein 6-Volt-Wechselakkumulator.
Oberarmprothesen bestehen i. Allg. aus einer schulterumfas-
senden Kontaktbettung mit Bandage und dem Außenschaft aus
Gießharz, der über das Ellbogengelenk die Verbindung zum distalen
Bauabschnitt herstellt.

29.12 Psychologische Aspekte


Alle Patienten mit notwendiger Amputation sollten begleitend psy-
chologisch oder psychiatrisch betreut werden. Flashbacks, post­
traumatisches Stresssyndrom und weitere psychologische Probleme
können bei jeder Amputation auftreten und sollten entsprechend
professionell behandelt werden. Männliches Geschlecht, Stumpf-
probleme, manuell fordernde Aktivitäten, distale Amputationshöhe
und Ringfingerprothesen sind Faktoren, die eine schlechte prothe-
tische Compliance bedingen (Hopper et al. 2000).

Literatur
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Wilde B, Baumgartner R (1999) Physiotherapie und Sport nach Beinamputa-
tion, 1. Aufl. Thieme, Stuttgart New York
30

Amputationen der unteren Extremität


A. Jokuszies

30.1 Klassifikation – 255

30.2 Diagnostik – 255


30.2.1 Anamnese und klinischer Befund – 255
30.2.2 Körperliche Untersuchung – 255
30.2.3 Apparative und interventionelle Diagnostik – 255

30.3 Therapieziele – 255

30.4 Stand der operativen und konservativen Therapie – 256

30.5 Unterschenkel und Fuß – 257


30.5.1 Klassische Operationstechnik (Unterschenkelamputation) – 257
30.5.2 Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes – 258
30.5.3 Umkehrplastik nach Sauerbruch – 259
30.5.4 Amputation des Fußes – 259
30.5.5 Amputation und Exartikulation der Zehen – 260
30.5.6 Transmetatarsale Amputation – 260
30.5.7 Teilamputation des Vorfußes – 260
30.5.8 Vollständige transmetatarsale Amputation – 260
30.5.9 Amputation zwischen Lisfranc- und Chopart-Gelenklinie – 260
30.5.10 Amputation und Exartikulation im Rückfuß – 262

30.6 Oberschenkel und Hüfte – 262


30.6.1 Amputation im Hüftbereich – 262

30.7 Komplikationen – 262


30.7.1 Wundheilungsstörungen – 262
30.7.2 Spätkomplikationen durch äußere Einflüsse – 263

30.8 Nachbehandlung – 263


30.8.1 Verbandstechnik – 263
30.8.2 Lagerung – 263
30.8.3 Drainage – 264
30.8.4 Hautnähte – 264
30.8.5 Antikoagulation, Antinbiotikaprophylaxe – 264
30.8.6 Krankengymnastik, Ergotherapie – 264

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
30.9 Prothetische Versorgung – 264
30.9.1 Fuß – 264
30.9.2 Unterschenkel – 264
30.9.3 Knie – 264
30.9.4 Oberschenkel – 264
30.9.5 Hüfte – 264

30.10 Management von Spätkomplikationen – 264


30.10.1 Plastische Rekonstruktion/Stumpfkorrektur – 265
30.10.2 Weichteildefekte bei Unterschenkel­amputationen – 265
30.10.3 Operative Verfahren bei chronischer Osteomyelitis des Tibiastumpfes – 265
30.10.4 Operative Verfahren bei chronischer Osteomyelitis des Femurstumpfes – 265
30.10.5 Komplikationen nach Amputationen im Wachstumsalter – 265
30.3 · Therapieziele
255 30
30.1 Klassifikation 30.2.3 Apparative und interventionelle
Diagnostik
Die schematische Einteilung der Amputationshöhen sollte sich an
der Vitalität des Gewebes orientieren. Hier gilt insbesondere ange­ Im Hinblick auf die apparative und interventionelle Diagnostik gilt
sichts der Fortschritte in der Prothesenversorgung der Grundsatz es bereits im Rahmen der Erstvorstellung, den vaskulären und
des größtmöglichen Längenerhaltes (. Abb. 30.1). Unter der Voraus­ neurologischen Status abzuklären und bei Bedarf weiterführende
setzung einer an den Bedürfnissen der Prothesenversorgung ausge­ diagnostische Maßnahmen in die Wege zu leiten.
richteten operativen Technik und nicht zuletzt der Sicherstellung Diagnostischen Verfahren im Bereich der unteren Extremität
einer suffizienten Nachbehandlung mit Einbindung des Patienten in sind:
ein interdisziplinäres Konzept ist letztlich jeder Stumpf prothesen­ 4 Sonographie, Duplexsonographie,
gerecht zu versorgen. Hiervon ausgenommen sind Amputationen 4 Phlebographie, Angiographie,
durch die Diaphysen der Metatarsalia und im Bereich des Tibia­ 4 Nativröntgen, Tomographie, MRT, CT, Skelettszintigraphie,
kopfes oberhalb des Ansatzes des Lig. patellae. 4 Spezialuntersuchungen (z. B. MR-Angio, PET, Leukozytenszin­
Aus anatomischen, pathophysiologischen und biomechanischen tigraphie).
Gründen sollten Mittelfußknochen nur im spongiösen Bereich ab­
gesetzt werden, da Amputationen durch die Diaphyse der Metatar­
salia in spitz zulaufenden Stümpfen enden, welche den Abrollvorgang 30.3 Therapieziele
behindern und Schmerzen verursachen.
Die Amputation des Unterschenkels unterhalb des Ansatzes des Das Ziel plastisch-chirurgischer Behandlungskonzepte der unteren
Lig. patellae in der Tuberositas tibiae ermöglicht einerseits die Stre­ Extremität nach Trauma, Tumorresektion oder als Folge angebore­
ckung des Stumpfes mit vergrößerter Kontaktfläche zum Prothesen­ ner Fehlbildungen ist in der Regel der Extremitätenerhalt. Die Am­
schaft und andererseits die vollständige Endbelastbarkeit des Stump­ putation stellt stets die Ultima ratio dar.
fes aufgrund des größeren Tibiaquerschnittes im Vergleich zum Im Fall der Unabwendbarkeit sollte die Amputationshöhe unter
distalen Unterschenkeldrittel (Baumgartner u. Botta 1995). Berücksichtigung der Gehleistung, des Energieaufwandes und der
Stumpfbelastbarkeit so peripher wie möglich gewählt werden. Der
Energiemehraufwand zur Fortbewegung beispielsweise erhöht sich
30.2 Diagnostik mit zunehmender Amputationshöhe: Er beträgt bei Amputation in
Höhe des Vorfuß 0–10%, in Höhe des Rückfußes 0–25%, in Höhe des
30.2.1 Anamnese und klinischer Befund Unterschenkels und Knies 25–50%, in Höhe des Oberschenkel und
der Hüfte 50–100%! Die Gehleistungen sind korrespondierend in
Eine ausführliche Anamnese liefert Hinweise auf Begleiterkran­ den genannten Amputationslevels um bis zu 20% (Vorfuß), 50%
kungen, die aktuelle Medikation, stattgehabte Operationen, Lebens­ (Rückfuß), 70% (Unterschenkel), 90% (Oberschenkel) und 100%
gewohnheiten im Hinblick auf Nikotin-, Alkohol- oder Drogenabu­ (Hüfte) eingeschränkt (Baumgartner u. Botta 1995).
sus, das berufliche und soziale Umfeld, die Mobilität, vorhandene Neben der Forderung nach einer möglichst peripheren Ampu­
Implantate oder Prothesen. tationshöhe ist ein weiteres Ziel der funktionsfähige Stumpf. Dieser
Vorbestehende Narben sind im Hinblick auf die Schnittführung sollte nicht nur belastungs- und bewegungsfähig, sondern auch
bei der Operationsplanung unbedingt zu beachten. Dabei sollten schmerzlos und v. a. prothetisch versorgbar sein.
Narben stets außerhalb der Belastungszone zu liegen kommen. Unter Berücksichtigung der Ätiologie ist das operative Manage­
Bei spalthauttransplantierten oder vorbestrahlten Arealen sind ment der jeweiligen Befundsituation individuell anzupassen.
die instabilen Weichteil- und Durchblutungsverhältnisse in die Pla­ Nekrotisierende Weichteilinfektionen durch Anaerobier sind
nung der Amputationshöhe mit einzubeziehen. durch einen fulminanten Krankheitsverlauf mit raschem Fortschrei­
Bei Patienten mit Gefäßerkrankungen sollte die maximale Tibia­ ten von faszienübergreifenden Weichteilnekrosen gekennzeichnet.
länge 12–13 cm betragen, da die Durchblutung im distalen Unter­ Diese machen ein radikales chirurgisches Vorgehen bis hin zur Am­
schenkeldrittel per se schlechter ist und somit Wundheilungsstörun­ putation notwendig.
gen vorprogrammiert wären. Von Bedeutung für die Wahl der Am­ In der Tumorchirurgie stellt die Strahlenfibrose eine zu berück­
putationshöhe ist ebenfalls die Kenntnis über vorhandene Gefäß­ sichtigende Amputationsindikation dar. Nicht selten führt eine chro­
prothesen, stattgehabte Bypass-Operationen oder noch einliegende nische Osteomyelitis als Bestrahlungsfolge noch nach Jahren zur
Implantate. Amputation. Tumoren haben insgesamt nur einen Anteil von ca. 5%
an den Amputationsursachen. Dabei nimmt die Rate der tumorbe­
dingten Amputationen mit dem Alter zu. Bezogen auf die Amputa­
30.2.2 Körperliche Untersuchung tionshöhe entfallen über 50% der tumorbedingten Amputationen
auf den Hüft- und Beckenbereich. Die unteren Extremitäten sind
Inspektorisch zu erfassen sind Narben, Effloreszenzen, Deformi­ 10-mal häufiger betroffen als die oberen.
täten, Hautkolorit und der pflegerische Zustand. Die Palpation er­ Eine Sonderform und insbesondere für den Plastischen Chirur­
laubt Rückschlüsse auf Hautturgor und -feuchte, den Pulsstatus, die gen relevante Entität stellen die angeborenen Fehlbildungen dar.
aktive und passive Gelenkbeweglichkeit, die grobe Kraft, Krepita­ Bedeutsam sind hier v. a. das Klippel-Trénaunay-Weber-Syndrom
tionen, Schmerzpunkte und Tumoren (Konsistenz, Verschieblich­ (angioosteohypertrophisches Syndrom), die Poly-/Syndaktylie und
keit, Fötor, Lokalisation, Ausmaß, Druckdolenz). Amnionumschnürungen. Hier gilt jedoch eine strenge Indikations­
stellung.
Bei jedem Kind sollten individuell alle Möglichkeiten des Glied­
maßenerhalts unter Anwendung plastisch-chirurgischer und wie­
derherstellungschirurgischer Maßnahmen bedacht werden. Funk­
256 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität

tion, Kosmetik und soziale Situation sind in diese Überlegungen


einzubeziehen (Marquardt 1983).
Inwieweit der Patient letztlich »mit Stumpf und Prothese« rein­
tegriert werden kann, hängt von der interdisziplinären Zusammen­
arbeit des Rehabilitations-Teams ab. Zu diesem zählen neben dem
Arzt und Pflegepersonal unabdingbar Ergo- und Physiotherapeuten
sowie Orthopädietechniker und -schuhmacher.
> Die beste Amputation ist keine Amputation!

30.4 Stand der operativen und konservativen


Therapie
30 Die operative Therapie dient nicht nur als unterstützende Maßnah­
me zur Verbesserung der Wundsituation, sondern verhilft dem Pa­
tienten letztlich auch trotz Amputation zu erhaltener Mobilität durch
eine suffiziente Prothesenversorgung. Daher sollte der Chirurg die
Amputation nicht als Kapitulation seiner wiederherstellungschirur­
gischen Künste verstehen, sondern vorausblickend die Frage nach
der bestmöglichen Amputationshöhe stellen.
Folgende Faktoren beeinflussen die Wahl der Amputationshöhe:
4 Je höher die Amputation, desto größer der peri- und postopera­
tiver Blutverlust.
4 Je größer die Wundfläche, desto höher die Infektionsgefahr.
4 Wundheilungsstörungen, Stumpfkorrekturen und Nachamputa­
tionen sind mit zunehmender Amputationshöhe schwieriger zu
bewältigen.
4 Die Prothesenversorgung hängt nicht zuletzt von einer ausrei­
chenden Stumpflänge ab.
a 4 Die postoperative Mortalität steigt bei Amputationen oberhalb
des Kniegelenks stark an.

. Abb. 30.1a, b Amputationshöhen an der


unteren Extremität. (Aus: Eichhorn-Sens u. Vogt
2006)
b
30.5 · Unterschenkel und Fuß
257 30
Die letztlich gewählte Amputationshöhe sollte das Ergebnis eines in­
terdisziplinären Konzeptes sein. An der Erstellung dieses Konzep­tes 4 Die Ligatur des N. ischiadicus und N. tibialis zur Unter­
sollten insbesondere der Plastische Chirurg, der Unfallchirurg, der bindung der großen Begleitarterie vermeidet unnötige
interventionell orientierte Radiologe und der Orthopädietech­niker Blutverluste.
beteiligt sein. Durch dieses koordinierte und ggf. auch mehrzeitige 4 Infizierte oder obliterierte Gefäßprothesen sind grundsätz-
Vorgehen lässt sich oftmals die Amputationsgrenze tiefer ansetzen als lich zu entfernen.
erwartet. Ein sparsames und an den Vitalitätsgrenzen orientiertes 4 Die Entfernung des Gelenkknorpels ist weiterhin umstritten.
Débridement mit Kürzung und Abrundung des Knochens auf das 4 Die Höhe der Durchtrennung des Knochens hat sich nach
notwendige Minimum führt im Gegensatz zur primären Nachampu­ den verfügbaren Weichteilen zu richten.
tation im Gesunden zu einem deutlichen Längengewinn. 4 Knochenkanten sollten stets abgerundet werden.
4 Bei der Durchtrennung mehrerer Knochen sind diese in der
Länge sorgfältig aufeinander abzustimmen.
Grundsätze zur Wahl der bestmöglichen
4 Das Aushöhlen der Markhöhle oder Austamponieren der­
Amputationshöhe
selben mit Spongiosa oder Knochenwachs ist wegen der
4 Zur Beurteilung des präoperativen Allgemeinzustands Infektgefahr und Sequesterbildung obsolet.
zählen auch die Beurteilung des psychischen Allgemein­ 4 Im Wachstumsalter ist die unterschiedliche Wachstums­
zustands und des sozialen Umfelds. potenz der Epiphysenfugen zu beachten.
4 Spalthautentnahmen am amputierten Bein vermindern die 4 Das Vermeiden von Periostfransen und von Hämatombil-
Belastbarkeit bei der Prothesenversorgung und verzögern dung beugt der Exostosenbildung vor.
aufgrund ihrer langen Heilungsdauer nicht selten die Pro-
thesenanpassung.
4 Die Palpation und Auskultation der peripheren Pulse ist un-
verzichtbar zur Beurteilung drohender oder bestehender 30.5 Unterschenkel und Fuß
Zirkulationsstörungen.
4 Vorbestehende Operationsschnitte sind in die Operations- 30.5.1 Klassische Operationstechnik
planung mit einzubeziehen. (Unterschenkelamputation)
4 Motorische und sensible Störungen stellen primär keinen
Grund für eine Amputation dar. Voraussetzungen
4 Für die Bestimmung der Amputationshöhe sind die Kolla­ 4 Tibia und Fibula sind nicht mehr mit den Weichteilen der Fuß­
teralkreisläufe von großer Bedeutung. Hier ist die Doppler- sohle zu bedecken.
Sonographie der Arteriographie diagnostisch überlegen. 4 Der Erhalt von Lig. patellae und Tuberositas tibiae ermöglicht
4 Die intraoperative Beurteilung der Gewebevitalität ent- die aktive Extension des Stumpfes.
scheidet letztlich über die Wahl der Amputationshöhe. 4 Erhalt des Kniegelenkes.
4 Ein langer Stumpf vergrößert die Kontaktfläche mit dem Prothe­
senschaft und verringert den Druck auf den Stumpf!
Grundsätze zur Schnittführung
4 Vorbestehende Operationsnarben sollten exzidiert werden.
4 Die Schnittführung sollte außerhalb der Belastungszone Grundsätze
erfolgen. 4 Die Länge des Hebelarmes ist wertvoller als die Endbelast-
4 Die Grundsätze der Lappenplanung sind zu beachten barkeit des Stumpfes! Ausnahme: pAVK → Tibialänge von
(Basis-Längen-Verhältnis 1 : 2). 12 cm oder weniger.
4 Eine zügige und tiefe Schnittführung ggf. bis auf den Kno- 4 Vollkontakt und Endbelastung verhindern Stumpfdeformi-
chen ist weniger traumatisch als die schrittweise Inzision täten und »wachstumsbedingte« Varusfehlstellung.
mit fortlaufender Blutstillung. 4 Technik nach Burgess.
4 Gewebeschichten sollten zur Verringerung der Wundfläche 4 Für jede Ätiologie geeignet!
nicht unnötig getrennt werden. 4 Bildung eines langen Hinterlappens.
4 Quere Naht außerhalb der Belastungszone.
4 Abschiebung des Periosts ausschließlich nach distal.
4 Grundsätzlich wird der gesamte M. soleus entfernt!
Allgemeine Operationsprinzipien 4 Schlechtere Durchblutung bei Gefäßpatienten.
4 Atraumatische Behandlung der Wundränder. Zur Gewebe- 4 Venöse Drainage mit Thrombosegefahr.
schonung sollten Wundhaken nur distal eingesetzt werden. 4 Ein nekrotischer Soleus erhöht die Infektgefahr.
4 Hautnähte niemals unter Spannung bringen. 4 Reduktion des Weichteilvolumens mit Beschleunigung der
4 Bei Patienten mit Gefäßerkrankungen sollte auf eine myo- Stumpfatrophie.
plastische Stumpfdeckung durch schlecht durchblutetes 4 Bessere Übersicht zur Versorgung der tibialen Gefäße und
Muskelgewebe verzichtet werden. Nerven.
4 Zur Vermeidung unnötiger Nekrosen ist auf die Naht brady- 4 Tibialänge von 12–13 cm.
tropher Gewebe zu verzichten (Sehnen, Faszien und Liga- 4 Länge des hinteren Weichteillappens von 15 cm.
mente). 4 Berücksichtigung der »Spare-Part«-Chirurgie zur Erhaltung
6 endbelastbarer Stümpfe (. Abb. 30.2).
258 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität

30.5.2 Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes


Operationsschritte
4 Vorderer Hautschnitt vom medialen Rand der Tibia zum Der Grundgedanke dieser Operation ist der Ersatz des Kniegelenkes
lateralen Rand der Fibula. durch den um 180° um die Längsachse gedrehten und somit nach
4 Ligatur der V. saphena magna. hinten gerichteten Fußes (. Abb. 30.3).
4 Quere Durchtrennung der Peronaeusmuskulatur. Die Einteilung der Umdrehplastiken erfolgt nach der Winkel­
4 Präparation der Peronaeusnerven und -gefäße. mann-Klassifikation.
4 Naht der A./ V. femoralis. Bei der Resektion ist darauf zu achten, dass die Fersenkuppe
4 Präparation der knöchernen Schnittfläche mit Abschieben etwa in gleicher Höhe mit der Patella-Kontur des gesunden Beins
des Periosts nach distal und Osteotomie der Fibula um steht; dies entspricht der gleichen Höhe der Bewegungsachsen bei­
0,5–1 cm proximal der Tibia. der Gelenke! Das Sprunggelenk sollte um etwa 4 cm höher stehen als
4 Bildung des hinteren Muskel-Haut-Lappens in einem Zug, der kontralaterale Kniegelenkspalt.
wobei das Amputationsmesser entlang der Rückseite der Eine Überlänge und Fehlrotation des Unterschenkels ist zu ver­
meiden. Zum Ausgleich der Supination des Rückfußes ist eine Au­
30 beiden Knochen und der Membrana interossea geführt
wird. ßenrotation des Fußes von ca. 5° anzustreben. Ein Innenrotations­
4 Entfernung des M. soleus aufgrund seiner schlechteren fehler lässt sich nicht ausgleichen.
Durchblutung und erhöhten Infektgefahr durch seine Der Erhalt des M.-glutaeus-maximus-Ansatzes verhindert eine
venöse Drainage. Die Entfernung des M. soleus erlaubt eine Beugekontraktur zugunsten der aktiven Hüftstreckung.
bessere Übersicht über die tibialen Gefäße und Nerven. Die wichtigsten Komplikationen stellen arterielle und venöse
4 Abrundung und Abstimmung der Knochen. Durchblutungsstörungen sowie Lähmungen des Ischias- oder Pero­
4 Präparation und Kürzung des N. suralis. näusnervs dar.
4 Blutstillung und Drainage (Redon-Drainage). Die Leistungsfähigkeit der Umdrehplastik entspricht derjenigen
4 Spannungsfreier Hautverschluss. Bei kompromittierter einer Amputation im Unterschenkel.
Durchblutung oder Infekt einschichtig.

. Abb. 30.2a–c Beispiel für »Spare-Part«-Chirurgie: Massive segmentförmi-


ge Destruktion des Unterschenkels mit schwerster Weichteilinfektion (a).
Kniegelenkserhaltende Ampu­tation durch neurovaskulär versorgte osteo­
kutane Fußsohlenfiletlappen (b). Der Patient verfügt über einen sensiblen
b
endbelastbaren Stumpf (c)
30.5 · Unterschenkel und Fuß
259 30

b c

. Abb. 30.3a–c 29-jährige Patientin mit kniegelenknahem Chondrosar- genden Beinanteils und Transplantation des Unterschenkel-Fuß-Segmentes
komrezidiv; Zustand nach Radiatio mit 58 Gy. Trotz multimodalem Therapie- unter 180°-Drehung (Borggreve-Umdrehplastik) und Neuropathie. (Aus:
konzept kein Beinerhalt möglich. Daher Segmentresektion des tumortra- Homann et al. 2007)

30.5.3 Umkehrplastik nach Sauerbruch 30.5.4 Amputation des Fußes

Das Femur wird ganz oder teilweise durch die um 180° in der Fron­ Allgemeines
talebene gedrehte Tibia ersetzt. Es erfolgt eine Exartikulation des 4 Der Erhalt der Sohlenhaut hat höchste Priorität und macht einen
Fußes im Sprunggelenk, der Hautmantel wird vom Unterschenkel Fußstumpf praktisch immer voll endbelastbar!
gelöst und die gefäßgestielte (Poplitealgefäße) Tibia mit den umge­ 4 Propriozeptive Eigenschaften der Fußsohle vermitteln unschätz­
benden tiefen Weichteilen gedreht. Die Tibia nimmt den Platz des bare Informationen für die Fortbewegung.
entfernten Femur ein. 4 Mit jeder Kürzung eines Fußstumpfes reduziert sich die Stand­
Bei der Modifikation nach Baumgartner u. Ochsner (Baumgart­ fläche.
ner u. Botta 1995) wird auf gleiche Weise nur die distale Femurhälfte 4 Je höher die Amputation, umso größer der für den Prothesen­
ersetzt. gang erforderliche Energieaufwand (150% beim Unterschenkel-
und 200% beim Oberschenkelamputierten; Baumgartner u.
Botta 1995).
260 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität

4 Der Schnitt erfolgt im 45°-Winkel in der Sagittalebene, rand­


Operationsprinzipien ständig um ebenso 45° in der Frontalebene.
4 Schonung des Sohlengewebes.
4 Operationsschnitte in Längsrichtung und, wenn möglich,
auf den Fußrücken legen, als Sohlenpolster sollte die kleine 30.5.7 Teilamputation des Vorfußes
Fußmuskulatur erhalten bleiben.
4 Drainage an der tiefsten Stelle ausleiten (nicht plantar), Diese kann mit oder ohne gleichzeitige Amputation der zugehörigen
sondern proximal am inneren und äußeren Fußrand. Zehen erfolgen. Der Erhalt von mindestens 2 Strahlen oder aber des
4 Knochenstümpfe in der Sagittal- und Frontalebene abrun- 1. Strahls allein ist anzustreben. Als Zugang dient ein Längsschnitt
den mit Brechung der dorsalen Kante. vom Köpfchen bis zum Lisfranc-Gelenk.
4 Die Schnittfläche sollte stets durch spongiösen Knochen Zur Entfernung der Zehen empfiehlt sich ein nach distal Ra­
verlaufen, nie durch Röhrenknochen bzw. diaphysär (spitze ckett-förmig auslaufender Schnitt. Zur Resektion des mittelständi­
Stümpfe durch sekundäre Resorption!). gen Strahls dient ein querer Schnitt zwischen Basis und Diaphyse des
Grundgliedes. Die Resektion des randständigen Strahls erfolgt bis
30 4 Gegebenenfalls ist kann ein Fixateur externe zur vorüberge-
henden Ruhigstellung bei schweren Weichteilverletzungen auf Höhe der Metatarsaleköpfchen.
und Rückfußstümpfen eingesetzt werden.

30.5.8 Vollständige transmetatarsale


Ein Beispiel ist in . Abb. 30.4 gezeigt. Amputation

Zugang hierfür ist ein bogenförmiger, querer Hautschnitt am Fuß­


30.5.5 Amputation und Exartikulation der Zehen rücken vom 1. bis zum 5. Strahl. Die A. dorsalis pedis und Begleit­
nerven sind entsprechend zu ligieren. Ein evtl. vorhandenes plan­
Folgende Punkte sollten beachtet werden: tares Ulkus wird vollständig exzidiert. Die Mokassinnaht eignet sich
4 Grenzzonenamputation im Endglied. zum Längenausgleich des plantaren und dorsalen Lappens.
4 Amputationen im Bereich der Mittel- und Grundglieder sind
unbedingt zu vermeiden! Ausnahme: Teilamputationen an der
Großzehe. 30.5.9 Amputation zwischen Lisfranc-
4 Die Störung des Muskelgleichgewichtes der Zehe führt zur Dor­ und Chopart-Gelenklinie
salflexion des Stumpfes mit hieraus resultierenden Druckstellen
und Schmerzen, daher ist immer eine Exartikulation im Grund­ Die Amputation erfolgt durch den Scheitel der inneren Längswöl­
gelenk anzustreben. bung mit Auflage am äußeren Rand des Stumpfendes.
4 Die Entfernung der Sesambeine und der Sehnenplatte sowie das
! Cave
Abrunden des Metatarsaleköpfchens führen zur Eröffnung der
Je kürzer der Stumpf, umso stärker verlieren Fußheber
Beugesehnenfächer.
und Pronatoren ihren Hebelarm. Hierdurch besteht die
4 Bei Patienten mit Gefäßerkrankungen sollte auf eine Hautnaht
Gefahr des Spitzfußes mit Supination!
verzichtet werden! Bei diesen Patienten sollte eine subtile Ver­
bandstechnik angewandt, d. h. keine schnürenden Verbände, Dies kann ggf. durch entsprechende Lagerung oder Fixateur-exter­
sondern ausschließlich Wattewicklung durchgeführt werden. ne-Anlage zwischen Kalkaneus und Tibia vermieden werden. Die
4 Dekubitusprophylaxe der Ferse, horizontale oder tiefe Lagerung. postoperativ angepasste Orthese mit Abstützung am Unterschenkel
hält den verbliebenen Vorfuß in Dorsalextension und Pronation un­
ter Vollbelastung des nicht operierten Rückfußes.
30.5.6 Transmetatarsale Amputation
Besonderheiten bei Amputationen
Um leistungsfähige Stümpfe zu erhaltende, sollten folgende Punkte im Lisfranc-Gelenk
berücksichtigt werden: Diese Amputationslinie verläuft nicht harmonisch, da der 2. Strahl
4 Ungestörtes Muskelgleichgewicht durch Erhalt der Ansätze »aus der Reihe tanzt«. Die sekundäre Verschiebung randständiger
wichtiger Fußmuskeln (M. tibialis anterior, M. peronaeus longus Knochenreste nach plantar medial bzw. lateral erfordert ggf. eine
et brevis). Arthrodese mit dem Nachbarknochen durch Zugschrauben oder
4 Geringfügige Verkleinerung der Standfläche. gekreuzte Spickdrähte.
4 Erhaltene Gehfähigkeit ohne Prothesen bei einseitiger Amputa­
tion. Besonderheiten bei Amputationen
4 Teilamputationen sind nur sinnvoll bei orthopädietechnischer in der Bona-Jäger-Gelenklinie
Entlastung der verbliebenen Strahlen. Die eigentliche Gelenklinie verläuft zwischen Navikulare und den
4 Wegen der Gefahr spitz zulaufender Stümpfe erfolgt eine Abset­ 3 Cuneiformia. Dabei wird die proximale Hälfte des Kuboids belas­
zung ausschließlich im spongiösen Bereich, d. h. köpfchen- oder sen. Durch Zug der M.-tibialis-anterior-Sehne besteht die Gefahr
basisnah! Bei fehlendem Sohlengewebe ist eine Stumpfkorrektur der Luxation des Os naviculare nach medial. Dies kann durch eine
mit Keilosteotomie zur Vergrößerung der Standfläche durchzu­ Arthrodese zwischen Talus und Navikulare vermieden werden. Das
führen (Ausnahme: Ablederung mit guter Hautverschieblichkeit Kuboid hat die Tendenz zur Luxation nach plantar.
nach Spalthauttransplantation).
4 Der spongiöse Anteil der Basis nimmt ungefähr das proximale
Drittel eines Metatarsale ein.
30.5 · Unterschenkel und Fuß
261 30

a b

c d

. Abb. 30.4a–e Vorfußstumpf eines Kindes nach Zehenexartikulation im


Grundgliedbereich mit Rückkürzung der Metatarsaleköpfchen und Haut-
Weichteildeckung mit zusätzlich Meshgraft. Vorausgegangen war eine
schwere Vorfußquetschung mit drittgradig offenen Luxationen der Zehen
e
1–5
262 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität

30.5.10 Amputation und Exartikulation Zur Stumpfbildung empfiehlt sich je nach Ätiologie und Be­
im Rückfuß fund eine gesonderte Vorgehensweise. So sollte eine Myodese und
Myopexie bei gestörter Durchblutung vermieden werden. Hier
Man unterscheidet folgende Methoden der Amputa­tion im Rück­ empfiehlt sich die Verwendung temporärer transkutaner Muskel­
fuß: nähte.
4 Amputation im Chopart-Gelenk, Bei akutem (posttraumatischem) Infekt und stark gestörter
4 kalkaneotibiale Arthrodese nach Pirogow/Spitzy, Durchblutung ist die offene Amputation mit verzögerter Primärnaht
4 Transmalleoläre Amputation nach Syme. in Erwägung zu ziehen. Jedoch hat sich in unserer Klinik auch das
chirurgische Débridement mit kombinierter Jet-Lavage, die vakuum­
Chopart-Amputation assistierte Saugdrainagetherapie zur Förderung des Sekretabflusses
Durch Ausschaltung der Fußheber und verstärkten Zug der Achil­ und Ödemreduktion mit dann Sekundärverschluss im infektfreien
lessehne kommt es zur verstärkten Plantarflexion und Supination. Intervall bewährt.
Nach Fixateur-externe-Anlage zwischen Tibia und Kalkaneus für
2–4 Wochen wird anschließend mit der Frühmobilisation begonnen.
30 Der Rückfuß kann dabei unter voller Belastung abrollen. Das OSG 30.6.1 Amputation im Hüftbereich
bleibt intakt, jedoch in Kraft und Beweglichkeit eingeschränkt.
Zur operativen Korrektur der Spitzfuß- und Supinationsfehl­ Man unterscheidet die Oberschenkelamputation proximal des
stellung eignen sich die Verlängerung der Achillessehne (Spitzfuß­ Trochanter minor von der Exartikulation im Hüftgelenk, der Hemi­
korrektur um 10–20%) und die Verlagerung der M.-tibialis-anterior- pelvektomie und Hemikorporektomie. Ursächlich sind in 25% ei­
Sehne nach lateral. Letztgenanntes Verfahren ist nur sinnvoll, wenn ne pAVK, in 25% Unfallfolgen (meist Kompressionstrauma mit
die Supinationsfehlstellung im USG passiv korrigierbar ist. schweren Begleitverletzungen der inneren Organe) und in 50% Tu­
Zur Korrektur von Spitzfuß und Varus dient die Arthrodese im moren (Baumgartner 1995). Der Erhalt des Sitzbeins und/oder des
unteren Sprunggelenk mit Keilresektion (Spitzfuß und Varuskorrek­ Beckenkamms wäre zur Abstützung einer Prothese erstrebenswert
tur um je 20–30%). (. Abb. 30.5).

Kalkaneotibiale Arthrodese nach Pirogow/Spitzy Oberschenkelamputation im Schenkelhalsbereich


Um einen stabilen und voll endbelastbaren Stumpf zu erzielen, gilt Der vordere Hautschnitt verläuft parallel zum Leistenband von der
es, folgende Prinzipien zu beachten: Spina iliaca anterior superior zum Tuberculum pubicum. Es gilt, den
4 Der Kalkaneus ist in den physiologischen Winkel der Längswöl­ N. ischiadicus ohne Zug so weit freizulegen, dass er sich proximal
bung und symmetrisch zur Außenrotation des Fußes der Gegen­ des Azetabulums ligieren und glatt durchtrennen lässt. Zur Stumpf­
seite (10–20°) einzustellen. Die Tibia sollte um 10–15 mm rück­ polsterung dient der nach vorn geschlagene M. glutaeus maximus.
verlagert werden. Der Oberschenkelstumpf muss auf der ganzen Fläche schmerzfrei
4 Die Malleolen werden reseziert und der Kalkaneus plantar-distal und voll belastbar sein. Der hinterer Lappen verläuft nach lateral
abgerundet. Ziel ist der Erhalt der Sohlenhaut im Bereich der über den Trochanter major entlang der Grenze des M. glutaeus ma­
Ferse und dem Fersenbein. ximus, nach medial über die Adduktoren zum medialen Rand des
4 Der Pirogow-Stumpf führt zu einer Beinlängenverkürzung von vorderen Hautschnittes.
3–4 cm. Bei Kindern sind die Wachstumsfugen von Tibia und
Fibula zu erhalten. Hüftexartikulation
4 Die Nachbehandlung besteht in einem Unterschenkelgehgips Zur Stumpfdeckung dient hier der M. glutaeus maximus. Unter Mit­
für weitere 6 Wochen nach Kirschner-Draht-Entfernung mit nahme des Sitzbeines oder Teile der Darmbeinschaufel verkleinert
anschließender Protheseversorgung mit Endbelastung. sich die Sitzfläche erheblich. Die doppelseitige Hemipelvektomie
bezeichnet man als Hemikorporektomie.
Transmalleoläre Amputation nach Syme
Diese Amputationstechnik besteht in der Entfernung des Talus, Hemipelvektomie
Kalkaneus und beider Malleolen. Die Weichteile der Fußsohle blei­ Hauptindikation für die Hemipelvektomie sind maligne Tumoren.
ben erhalten, und es resultiert ein kolbenförmiger, voll endbelast­ Neben der zusätzlichen Entfernung des Sitzbeinhöckers müssen
barer Stumpf. Nachteilig ist die massive Beinverkürzung. Auf die u. U. extra- oder intraperitoneale Organe mit entfernt werden. Der
Schonung der retromalleolären Gefäße ist besonders zu achten! zu erwartende Blutverlust ist erheblich (bis zu 3 l). Zwecks Erhalt des
gesunden Beins kann die innere Hemipelvektomie eine Alternative
darstellen. Insgesamt handelt es sich um schwerst verstümmelnde
30.6 Oberschenkel und Hüfte Eingriffe.

Die Amputation erfolgt durch den Femurschaft und reicht vom Über­
gang der Kondylen bis proximal am Trochanter minor endend. Der 30.7 Komplikationen
Erhalt des Trochantermassivs und von Anteilen des Femurs ist für die
Sitzfläche von großer Bedeutung. Je kürzer der Femurstumpf, umso 30.7.1 Wundheilungsstörungen
größer die Tendenz zur Abduktion durch die pelvitrochantere Mus­
kulatur, zur Flexion durch den M. iliopsoas und zur Außenrotation. Komplikationen wie lokale Nekrosen, Hämatome und Infekte kön­
Zur Verbesserung der Durchblutung und Verhinderung einer nen auftreten. Exzision und Sekundärnaht bzw. sorgfältiges Débri­
Retraktion ist die myoplastische Stumpfdeckung anzustreben. Aus­ dement, gute Drainage, Schonung der Gewebe während der Opera­
nahmen hierfür sind die periphere arterielle Verschlusskrankheit tion sowie eine exakte Verbandstechnik sind hier entscheidend. Im
(pAVK) und Infekte! Zweifelsfall sollte eine sofortige operative Revision erfolgen.
30.8 · Nachbehandlung
263 30

a b

c d

. Abb. 30.5a–d 60-jährige Patientin mit nekrotisierender Fasziitis der tikalen Rectus-abdominis-Muskellappen (VRAM-Lappen; c). Das postopera-
Glutäal- und Oberschenkelregion nach Abszessspaltung eines perianalen tive Ergebnis zeigt reizlose und belastbare Weichteile. Zur Vermeidung einer
Hufeisenabszesses (a). Autolyse der Gutäal- und Oberschenkelmuskulatur, Wundkontamination erfolgte zudem die temporäre Anlage eines Anus
lebensrettende offene Hüftexartikulation (b). Defektdeckung der Hüftre­ praeter (d)
gion nach Hüftgelenksexartikulation mittels ipsilateral distal gestielten ver-

! Cave 30.8 Nachbehandlung


Tiefe Wundheilungsstörungen sind verdächtig auf eine
Knochenbeteiligung. 30.8.1 Verbandstechnik

Bezüglich der Verbandstechnik dürfen wir auf einschlägige Lehr­


30.7.2 Spätkomplikationen bücher verweisen. Grundsätzlich sei angemerkt, dass Verbände den
durch äußere Einflüsse Stumpf keinesfalls strangulieren dürfen.

Durch die Prothesenversorgung können Druck- und Scheuerstellen


auftreten, die zu chronischen Hautschädigungen mit akuten und 30.8.2 Lagerung
chronischen Hautinfekten führen können. Diese Stellen sind ggf. zu
exzidieren und mit Z-Plastiken zu verschließen. Weiterhin kann es Zur Reduktion des Wundödems wird der Stumpf in der Regel etwas
zu allergischen Reaktionen auf das Prothesenmaterial kommen. Da hochgelagert. Wichtig ist die Lagerung zur Dekubitusprophylaxe
die Haftung der Oberschenkelprothesen durch ein leichtes Vakuum und zur Vermeidung von Kontrakturen. Kontrakturgefährdet sind
erfolgt, entstehen bei unvollständigem Stumpfkontakt Hohlräume, besonders Gelenke an kurzen Stümpfen, deren Muskelgleichgewicht
in denen es zu chronischen venösen und lymphatischen Stauungen gestört und deren Wundheilung noch nicht abgeschlossen ist. Eine
kommen kann. Weiterhin ist eine Hitzeentwicklung durch das un­ geeignete Maßnahme zur Ruhigstellung eines stumpfnahen Gelenks
vermeidbare leichte Pumpen beim Belasten der Beinprothesen mög­ in Funktionsstellung kann der Fixateur externe sein. Er verhindert
lich, bis zur Entstehung von Brandblasen. durch die sichere Ruhigstellung Kontrakturen, Schmerzen werden
reduziert, Wundpflege und Lagerung erleichtert.
264 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität

30.8.3 Drainage Transmetatarsale Amputationen und höher sind prothetisch zu


versorgen. Bis zum Lisfranc-Gelenk genügt ein sog. Innenschuh
Nachblutungen sind trotz sorgfältiger Blutstillung bei den großen ohne Übergreifen auf den Knöchel. Bei Amputationen des Rück­
Wundflächen nie ganz zu vermeiden. Wichtig ist daher eine suffi­ fußes ist eine Prothese bis unterhalb des Kniegelenks nötig.
ziente Drainage. Wir verwenden in der Regel geschlossene Drains,
welche knapp neben der Operationswunde ausgeleitet werden, bei
sauberen Wunden und ungestörter Durchblutung. 30.9.2 Unterschenkel

Kinder werden mit Kurzprothesen versorgt. Zwischen Stumpf und


30.8.4 Hautnähte Schaft besteht Vollkontakt, der Stumpf wird maximal endbelastet,
die Zirkulation ist frei, und chronische Ödeme am Stumpfende sind
Die Nähte werden zwischen dem 14. und 20. postoperativen Tag praktisch nicht möglich. An- und Ausziehen der Prothese sind »kin­
entfernt, ggf. etappenweise. Um Abfluss zu schaffen, bei Entzündung derleicht« und nehmen nur Sekunden in Anspruch.
oder Durchblutungsstörungen des Wundrandes kann ein Faden frü­ Der Schaft besteht aus einem weichen inneren und einem
30 her entfernt werden, um weitere Schäden zu verhindern. ­härteren äußeren Schaft. Durch 2 seitliche federnde Klammern
an den Kondylen wird die Prothese gehalten. So kommt es zu
keiner Muskelatrophie im Oberschenkel, das Knie bleibt frei be­
30.8.5 Antikoagulation, Antinbiotikaprophylaxe weglich, und auch schwere Belastungen wie z. B. Skifahren sind
möglich.
Thromboseprophylaxe erfolgt gemäß Leitlinienstandards.
Unterschenkelprothese für die Umdrehplastik nach Borggreve-
van Nes. Hier ist ein Oberschaft erforderlich, der mit 2 seitlichen
30.8.6 Krankengymnastik, Ergotherapie Scharniergelenken mit dem Unterschenkelteil verbunden ist.

Wenn möglich, erfolgt die Mobilisation vom 1. Tag an. Am Stumpf


selbst sollte mit isometrischen Kontraktionen begonnen werden, um 30.9.3 Knie
die Wundheilung nicht zu stören. Die Belastungssteigerung erfolgt
langsam zunehmend, erst am Gehwagen, dann an Gehstützen, spä­ Es erfolgt eine prothetische Versorgung mit innerem Weich­
ter, wenn möglich, ohne diese. Wichtig ist auch die Vermittlung von wandschaft, der den birnenförmigen Stumpf in einen konischen
Kenntnissen über das An- und Ausziehen der Prothese und die Be­ umwandelt. Ein äußerer harter Schaft wird wie ein Stiefel darüber
urteilung des Stumpfes. Auch an der unteren Extremität erfolgen die gezogen. Dadurch wird eine volle Endbelastung und Rotations­
Anleitung zur Technik der Prothese, das An- und Ausziehen und die stabilität bei exakter Abformung erreicht, jedoch kein Druck auf
Stumpfbeurteilung unter Berücksichtigung des psychomotorischen Patella und Femurkondylen ausgeübt. Die Hüfte bleibt frei be­
Entwicklungsstandes. weglich.
Die Ergotherapie ist verantwortlich für Erstabklärung und pro­
visorische Erstellung von Schreib- und Esswerkzeug direkt am
Stumpf, das Umlernen auf die Hand der Gegenseite, das Erlernen 30.9.4 Oberschenkel
von Trickbewegungen und die Abklärung weiterer Hilfsmittel, z. B.
für die Toilette sowie zum An- und Ausziehen. Hier erfolgt die Versorgung durch eine Haftprothese mit Vollkon­
taktschaft, die am Stumpf durch Vakuum gehalten wird, am besten
mit maximal möglicher Endbelastung. Da jedoch keine volle Belas­
30.9 Prothetische Versorgung tung des Stumpfes möglich ist, ist immer ein Tuberaufsitz notwen­
dig. Der vordere Gegenhalt reicht bis auf Höhe des Leistenbandes.
Frühversorgung. Die Anpassung der Prothese beginnt frühestens Bei undichtem Vakuum ist zusätzlich eine Schlesier-Bandage (Auf­
einige Tage nach der Operation, d. h. meist zwischen der 2. und hängung durch Leibgurt) vonnöten.
4. Woche. Die sog. Interimsprothese hat eine Volumenreduktion
des Stumpfes, eine Verbesserung der Hauttrophik und der Hautver­
schieblichkeit zum Ziel und bedeutet zugleich die Vorbereitung auf 30.9.5 Hüfte
die definitive Prothese.
Anwendung findet die sog. Kanada-Prothese mit Beckenkorb und
Definitive Versorgung. Mit der definitiven Prothese wartet man in nach vorn gesetztem Hüftgelenk. Die Gelenke blockieren beim
der Regel mindestens bis zur Wundheilung, meist 4–6 Wochen. Stehen automatisch, beim Kippen des Beckens werden sie wieder
gelöst.

30.9.1 Fuß
30.10 Management von Spätkomplikationen
Einzelne Zehenamputationen bedürfen keiner prothetischen Ver­
sorgung, die benachbarten Zehen verschließen die Lücke auf phy­ Stumpfprobleme können mannigfaltig auftreten, z. B.
siologische Weise. Der Mittelfußstumpf kann mit orthopädi­ 4 ein Stumpfödem durch Abflusshindernisse,
schem Schuhwerk (hoher Schuh; flacher, durchgezogener Absatz; 4 Hauterkrankungen wie die allergische Kontaktdermatitis,
Versteifung der Sohle bis an die Fußspitze; ggf. Pufferabsatz und 4 Prothesenrandknoten (kleine Hautzysten am Prothesenrand als
Abrollrampe) ausreichend versorgt werden. Folge chronischer Überbeanspruchung),
30.10 · Management von Spätkomplikationen
265 30
4 übermaßiges Schwitzen mit vulnerabler Haut und Geruchsbe­ Besonderheiten
lästigung, Das Spare-part-Konzept ermöglicht den größtmöglichen Längener­
4 Follikulitis und halt durch Verwendung nicht replantierbarer Gewebekomponenten
4 Pilzinfekte. oder der Traumazone nachgeschalteter und unverletzter Körperteile.
Neben dem Längenerhalt schafft es einen belastungsfähigen und
Auch können generalisierte Hauterkrankungen wie Acne vulgaris, meist auch sensiblen Stumpf. Zudem entfällt die zusätzliche Hebe­
seborrhoische Dermatitis, Ekzeme, Psoriasis, Lichen planus und defektmorbidität (. Abb. 30.3).
Hautwarzen zu Stumpfhautproblemen prädisponieren.
Während der Wundheilungsprozesse können sich am Stumpf­
skelett Exostosen bilden. Diese entstehen z. B. durch Periostfransen, 30.10.3 Operative Verfahren bei chronischer
die zur Kallusbildung führen, sowie durch verkalkte Hämatome Osteomyelitis des Tibiastumpfes
oder Sequester. Weiterhin kann es zur Resorption von Knochen
kommen bei Verbrennungen durch den Sägeschnitt und bei der Mit gestielten Muskellappenplastiken ist es möglich, eine Stumpfos­
­Anlage von Bohrlöchern, bei übermäßigem Zurückstülpen von teomyelitis zu beseitigen. Zur Verfügung stehen für mittellange
­Periost und durch Infekte. Osteoporose entsteht durch die ver­ Stümpfe die Peronäalmuskulatur sowie der Triceps surae, für kurze
minderte mechanische Beanspruchung und hat eine erhöhte Frak­ und ultrakurze Stümpfe nur der Triceps surae.
turgefahr zur Folge.
Bei Amputation vor Wachstumsabschluss führt diese Minderbe­ Peronäusplastik. Durch eine Fensterung an der lateralseitigen Ti­
lastung außerdem zu einem Wachstumsrückstand. Durch den Druck bia werden die Muskelstümpfe in die ausgehöhlte Markhöhle und
gegen die Prothesenwand und das Auftreffen der Scheuerkräfte kann den Tibiakopf eingeführt.
sich der Knochen abrunden und verkürzen, bzw. die nicht bean­
spruchte Seite spitzt sich zu (Wolff-Gesetz → Zusammenhang zwi­ Trizeps surae-Plastic. Bei kurzen und ultrakurzen Stümpfen erfolgt
schen äußerer mechanischer Beanspruchung und Knochenstruktur; das Ausfräsen des Tibiakopfes von dorsal, die Stümpfe der Gas­
. Abb. 30.6). Diese »negative Exostose« kann auch zu Perforationen trocnemii und ggf. Reste des Soleus werden eingebracht, ein Voll­
des Stumpfs durch die Weichteile führen. hautlappen bedeckt das Stumpfende.
Weitere Probleme bringt ein Missverhältnis der Weichteile zum Als Alternative kann die Tibiadiaphyse reseziert werden, und die
Knochen mit sich. Zum einen kann sich die Muskulatur zurück­ Fibula wird unter den Tibiakopf verlagert. Im Laufe der Zeit ent­
ziehen oder der Knochen die Muskulatur perforieren, wenn die wickelt sich schließlich ein tragfähiger Stumpfknochen.
­Muskelschlingen nicht über dem knöchernen Ende vereinigt wur­
den, schon primär nicht ausreichend Muskulatur zur Verfügung
stand, die Muskulatur durch einen zu schmalen Prothesenschaft­ 30.10.4 Operative Verfahren bei chronischer
eingang zurückgestülpt wurde oder der Endkontakt fehlt. Zum ande­ Osteomyelitis des Femurstumpfes
ren kann ein Überschuss an Weichteilen im Verhältnis zur Knochen­
länge vorliegen. Hier erfolgt die Verplombung der ausgehöhlten Markhöhle mit
Phantomgefühl und Phantomschmerz treten bei amputierten einem gestielten Muskellappen aus dem dorsalen Anteil des M. rec­
Kindern im Gegensatz zum Erwachsenen praktisch nie auf, auch tus femoris oder einem freien Lappen.
nicht nach Jahren.

30.10.5 Komplikationen nach Amputationen


30.10.1 Plastische Rekonstruktion/ im Wachstumsalter
Stumpfkorrektur
> Im Wachstumsalter ist alles an den Erhalt der Epiphysenfu-
Gerade die Spätfolgen von Verbrennungen und Verbrühungen mit gen zu setzen. Es kommt zu einem Wachstumsrückstand
schwerer Narbenbildung und dem Auftreten von Kontrakturen er­ der gesamten amputierten Extremität. Je früher und je hö-
fordern häufig funktionsverbessernde plastisch-chirurgische Maß­ her die Amputation, umso größer ist der Unterschied.
nahmen. Vor deren Durchführung sind auf jeden Fall die Konstruk­
tion, Ausführung und der Sitz einer Prothese zu prüfen und eine Im Bereich der oberen Extremität sind die entfernt vom Ellbogen­ge­
Optimierung vorzunehmen. lenk gelegenen Epiphysenfugen (distaler Radius und Ulna sowie
Humeruskopf) verantwortlich für das Längenwachstum (. Abb. 30.7).
Bei Verlust der Epiphysenfugen kommt das Wachstum zum Still­
30.10.2 Weichteildefekte bei Unterschenkel­ stand, Radius- und Ulnastümpfe verkümmern zu spitz zulau­
amputationen fenden Rudimenten; dagegen zeigt der Oberarmstumpf eine über­
mäßig proportionale Wachstumspotenz bis zur Perforation durch
Zur Verbesserung der Weichteildeckung unter Erhalt der Knochen­ die Haut.
länge sind folgende Maßnahmen möglich: An den unteren Extremitäten lokalisieren sich die Epiphysenfu­
4 freier mikrochirurgischer Latissimus-dorsi-Lappen; dieser gen rund um das Knie; diese sind zu 70–80% für das Längenwachs­
bringt jedoch meist ein größeres Volumen mit, tum verantwortlich (. Abb. 30.7). Allerdings wachsen nach einer
4 Gastrocnemius-Lappen, Amputation des Femurs oder des Unterarms diese Knochen nahezu
4 Fußfiletlappen, nicht mehr.
4 Cross-leg-Lappen von der Wadenmuskulatur der Gegenseite. Bei Oberschenkelamputationen kann aus einem mittellangen
Oberschenkelstumpf beim Kleinkind ein hypoplastischer, kurzer Fe­
Übrig gebliebene Defekte lassen sich durch Mesh Graft decken. murstumpf mit bleistiftähnlicher Spitze entstehen mit resultierender
266 Kapitel 30 · Amputationen der unteren Extremität

30

a b

c d

. Abb. 30.6a–e Stumpfkorrektur zur Herstellung eines endbelastbaren


Stumpfes nach Unterschenkelamputation im Alter von 7 Jahren. Nach
20 Jahren chronisch instabile Narbe und zunehmende Durchspießung der
Tibia durch die Weichteile (a). Chronische Hautinfekte im Prothesenversor-
gungsbereich. Man beachte die dysplastische Form des Tibiastumpfes (b).
Weichteilpolsterung durch myoplastische Deckung mittels M.-gastrocne­
mius-Advancement (c, d). Endbelastbarer Stumpf mit guter Abpolsterung
e
der Tibia (e)
30.10 · Management von Spätkomplikationen
267 30
Myoplastische Stumpfdeckung. Diese erfolgt durch vorhandene
Anteile des M. gastrocnemius (. Abb. 30.6).

Literatur
Baumgartner R, Botta P (1995) Amputation und Prothesenversorgung der
unteren Extremität. 2. Aufl. Enke, Stuttgart
Borggreve J (1930) Kniegelenkersatz durch das in der Beinlängsachse um
180° gedrehte Fußgelenk. Arch Orthop Unfallchir 28: 175–178
Burgess EM, Zettl JH (1969) Amputations below the knee. Artif Limbs 13: 1–12
Eichhorn-Sens J, Vogt PM (2006) Amputationen. In: Weinberg AM, Tscherne H
(Hrsg) (2006) Tscherne Unfallchirurgie, Bd 3. Unfallchirurgie im Kindes­
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Homann HH, Lehnhardt M, Langer S, Steinau H-U (2007) Stumpferhalt und
Stumpfverlängerung an der unteren Extremität. Chirurg 4: 308–315
Marquardt E (1983) Amputationen bei angeborenen Erkrankungen der unte-
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Weinberg AM, Tscherne H (Hrsg) (2006) Tscherne Unfallchirurgie, Bd 3. Unfall-
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Winkelmann W (1993) Die Umdrehplastiken. Orthopäde 22: 152–159

. Abb. 30.7 Schematische Darstellung der Wachstumspotenz der Epiphy-


senfugen

Weichteilschädigung. Nach Unterschenkelamputationen kommt es


zum stärkeren Wachstum der Fibula als der Tibia aufgrund unter­
schiedlicher Potenz der verbleibenden Wachstumsfugen, u. U. mit
Verkümmerung der Tibia. Dadurch ist ein verstärktes Abdrängen der
Tibia nach medial möglich bis zur Varusfehlstellung des Stumpfes.
Auch ein Hochstand des Fibulaköpfchens mit Subluxation im
proximalen fibulotibialen Gelenk und Weichteilperforationen durch
verstärktes Wachstum sind möglich. Dies kann man vermeiden,
indem der Fibulakopf mit Wachstumsfuge und einem Anteil der
Diaphyse subperiostal entfernt und als freies Transplantat in die
Markhöhle des Tibiastumpfes eingebracht wird, was zur besseren
Endbelastbarkeit und Stimulation des Wachstums der Tibia mit
2 Wachstumsfugen führt. Bei diesem Vorgehen ist der laterale Kol­
lateralbandapparat des Kniegelenks sorgfältigst zu schonen.

Therapie wachstumsbedingter Komplikationen


Zugang zur Knochenspitze über Exzision der vorbestehenden Narbe
und Knochenkürzung, Bursa muss nicht unbedingt entfernt werden,
sie verschwindet nach Beseitigung der Ursache in der Regel von
selbst. Nachteil: erneute Kürzung des Stumpfes.

Wachstumsknorpeltransplantat nach E. Marquardt. Decken der


Stumpfspitze durch ein freies Transplantat von Wachstumsknorpel
aus dem Beckenkamm, temporäre Fixierung mit Schraube in Längs­
richtung. Das Transplantat verhindert die erneute Durchspießung
und trägt zum Längenwachstum bei.

Freie Transplantation des Fibulaköpfchens in die Markhöhle der


Tibia nach E. Marquardt. Hierdurch verbessert sich die Belastbar­
keit der Stumpfspitze, und Rezidive werden verhindert. Im günsti­
gen Fall bleibt die fibulare Wachstumsfuge erhalten und trägt zum
Wachstum der Tibia bei.
V

Hauttumoren
L.-U. Lahoda

Kapitel 31 Gutartige Tumoren der Haut, inklusive Nävi – 271


L.-U. Lahoda

Kapitel 32 Maligne Tumoren – 279


L.-U. Lahoda

Kapitel 33 Strahlenfolgen – 289


L.-U. Lahoda
Die Chirurgie der Haut ist ein fundamentaler Bestandteil der Plastischen Chirurgie. Wenngleich ein Großteil
kleinerer Hauttumoren regelhaft in der dermatologischen Chirurgie behandelt wird, erfordern ausgedehnte patho­
logische Veränderungen, insbesondere vaskuläre Tumoren, oder maligne Tumoren und Strahlenfolgen besondere
Techniken; zum einen in der Radikalität der Entfernung und zum anderen in der Wiederherstellungschirurgie. Mit
den Fortschritten der Onkologie, insbesondere der monoklonalen Antikörper, hat sich auch die Therapie, z. B. des
Melanoms, hin zu einer multimodalen Therapie entwickelt.
Hingegen erfordern Strahlenfolgen nach wie vor aufwendige Lappenplastiken zur Sanierung. Erste Erfolge
mit Zellinjektionen aus Fettgewebe zur Therapie von Strahlenfolgen deuten für die Zukunft neue Therapieop­
tionen an.
31

Gutartige Tumoren der Haut,


inklusive Nävi
L.-U. Lahoda, P.M. Vogt

31.1 Diagnostisches Vorgehen – 272


31.1.1 Biopsietechnik – 272

31.2 Einteilung/Klassifikation – 272


31.2.1 Epidermale Hauterkrankungen – 274
31.2.2 Kongenitale Nävi – 274
31.2.3 Sonstige Hautveränderungen – 275

31.3 Tumoren der Hautanhangsgebilde – 276

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
272 Kapitel 31 · Gutartige Tumoren der Haut, inklusive Nävi

Hautläsionen erfordern in der Regel eine diagnostische Dignitätsab­


klärung. Eine solche ist nur begrenzt klinisch, dagegen histologisch 4 Kürettage
nahezu immer eindeutig möglich. Abtragen/Abkratzen von oberflächlichen Hautläsionen in Lo-
Klinische Malignitätskriterien wurden z. B. für das Mela­ kalanästhesie durch eine Kürette bzw. einen scharfen Löffel.
nom beschrieben und als sog. »ABCDE-Regel« festgehalten Dieses Verfahren eignet sich lediglich für eindeutig gutar-
(. Tab. 32.2). tige oberflächliche Veränderungen, wie seborrhoische Kera-
Zur »ABCDE-Regel« kommen anamnestisch weitere Kriterien tosen. Tiefere Hautschichten sind schlecht oder nicht ab-
hinzu wie Wachstumsgeschwindigkeit, leichte Vulnerabilität und tragbar, Aussage über die Tiefenausdehnung nicht möglich.
Juckreiz sowie objektivierbare Beschreibungen der makroskopischen
Erscheinung (7 unten). Jede klinisch verdächtige Läsion ist letztend­
lich histologisch abzuklären.
31.2 Einteilung/Klassifikation
Begriffe und Deskriptionen
Gutartige Erkrankungen der Haut lassen sich nach . Tab. 31.1 ein­
4 Macula: flache, zirkumskripte Hautläsion teilen (. Abb. 31.1 bis 31.7).
4 Papula: erhabene, bis zu 5 mm große Hautläsion

31 4 Plaque: erhabene Hautläsion, deren Oberfläche deutlich


größer ist als die Gesamthöhe . Tab. 31.1 Klassifikation gutartiger Erkrankungen der Haut
4 Nodulum: erhabene Hautläsion, typisch größer und dicker
als Papula Epidermale 4 Epidermaler Nävus (Linearnävus)
Hauterkran- 4 Seborrhoische Keratose
kungen 4 Aktinische Keratose
4 Lentigo
4 Entzündlich linearer verrukös-epidermaler
31.1 Diagnostisches Vorgehen Nävus

31.1.1 Biopsietechnik Nävuszellnävi 4 Ota-Nävus


(melanozytäre 4 Ito-Nävus
In der Regel sind Biopsien problemlos in Lokalanästhesie (mit oder Nävi) 4 Naevus spilus
4 Spitz-Nävus (benignes juveniles Melanom)
ohne Adrenalin) zu gewinnen. Die Inzision sollte vor dem Einsprit­
4 Junktionsnävus
zen des Lokalanästhetikums geplant und eingezeichnet werden, da­
4 Compound-Nävus
mit unter Berücksichtigung der Langer-Spaltlinien (. Abb. 5.1) ein 4 Intradermaler Nävus
kosmetisch ansprechendes Resultat zu erhalten ist. Ob die verdäch­ 4 Blauer Nävus (»common blue nevus«,
tige Hautläsion nun komplett exzidiert oder eine Inzisionsbiopsie zellulärer blauer Nävus)
durchgeführt wird, hängt von der Ausdehnung der Läsion und der 4 atypischer (dysplastischer) Nävus
Tumorentität ab. Die Techniken der Materialgewinnung zeigt die
Tumoren 4 Tumoren der epidermalen Anhänge
. Übersicht.
aus den (Schweißdrüsen, Haarfollikel, ekkrine
Hautanhangs- Drüsen)
gebilden 4 Pilomatrixome (kalzifizierende Epitheliome)
Techniken der Materialgewinnung
4 Trichoepitheliome
4 Exzisions- oder Inzisionsbiopsie 4 Zylindrome
Abhängig von Tumorgröße. Keilförmige Inzision mit ausrei- 4 ekkrine Porome
chender Tiefe zur Beurteilung der Invasivität erforderlich. 4 Syringome
Mit einem Sicherheitsabstand, der dem Radius des sicht- 4 Naevus sebaceus
baren Tumors entspricht, lassen sich die meisten Basaliome 4 Schweißdrüsenadenom
4 Schweißdrüsenhyperplasie
und Plattenepithelkarzinome sicher exzidieren.
Bei fehlender Möglichkeit zum Primärverschluss erfolgt eine Dermale Zysten 4 Epidermoidzysten (epidermale Einschluss-
temporäre Deckung (z. B. Epigard oder Fettgaze) bis zum Er- zyste)
halt der definitiven Histologie. 4 Dermoidzyste
4 Stanzbiopsie 4 Trichilemmalzyste
Hier wird mittels einer Stanze unterschiedlichen Durchmes- Erkrankungen 4 Dermatofibrom
sers Gewebe bis zur subkutanen Fettgewebsgrenze gewon- der Dermis 4 Lipom
nen. und Subkutis 4 Dermatofibroma protuberans
4 Shaving 4 Neurofibrome
Nachteil des Verfahrens ist die fehlende Aussage über die Erkrankungen 4 Granuloma anulare
Tiefenausdehnung und die z. T. deintegrierten Gewebsan- der Haut im 4 Kalziphylaxie
teile. Rahmen von 4 Hidradenitis suppurativa
Shaving hat nur in Form der Exzisionstechnik nach Moh als System­ 4 Psoriasis
mikrohistographische kontrollierte Methode einen aner- erkrankungen 4 Lupus erythematodes
kannten Stellenwert. 4 Sklerodermie
4 Sarkoidose
4 Kaposi-Sarkom
6
4 Vaskulitiden
31.2 · Einteilung/Klassifikation
273 31

. Abb. 31.1 Dermaler Nävus . Abb. 31.4 Cornu cutaneum

. Abb. 31.2 Seborrhoische Keratose der Sternumregion . Abb. 31.5 Compound-Nävus

. Abb. 31.3 Aktinische Keratose des Skalps nach jahrzehntelanger Sonnen­ . Abb. 31.6 Weiches Fibrom
exposition
274 Kapitel 31 · Gutartige Tumoren der Haut, inklusive Nävi

diese Keratosen gehäuft auftreten und Biopsien dadurch frustran


und zahlreich werden. In diesem Fall kann mit 5-Fluorourazil be­
handelt werden. Es empfiehlt sich, weitere Sonnenexposition zu ver­
meiden.

31.2.2 Kongenitale Nävi

Die Gruppe der Nävuszellnävi (Junktions-, Compound-, intrader­


maler Nävuszellnävus) muss vom Melanom abgegrenzt werden
(7 Kap. 32).
Klinisch imponiert z. B. der Junktionsnävus als weiche, flache,
irregulär pigmentierte Läsion des epidermal-dermalen Grenzbe­
reichs. Dieser Nävus kann an jeder Stelle des Körpers auftreten, al­
lerdings bevorzugt an Hand- oder Fußfläche, oder dem Übergangs­
. Abb. 31.7 Lipom epithel (an Glans penis, Vulva, Vermillion der Lippe). Diese Form
31 des Nävus kommt in jedem Lebensalter vor, zeigt aber eine Häufung
im Kindesalter, des jungen Erwachsenenalters und der Adoleszenz.
31.2.1 Epidermale Hauterkrankungen Die Junktionsnävi können erst im Laufe des Wachstums durch
eine Transformation in den Compound-Nävus sichtbar und auffällig
Naevus verrucosus werden. Die Atypien finden sich am dermoepidermalen Übergang
Der Naevus verrucosus (papillomatöses, gelblich keratotische Pla­ (der Junktionszone). Aufgrund der manchmal schwierigen Abgren­
que, in der Kindheit oder bei der Geburt vorhanden) erscheint als zung zum Melanom sollten sie exzidiert werden.
oberflächliche, der Epidermis anhaftende Struktur, die beim Versuch Der Compound-Nävus (. Abb. 32.5) zeigt im Gegensatz zum
der Dermabrasio jedoch häufig rezidiviert, da der Grund für die Junktionsnävus Atypien junktional und epidermal. Dem Namen
keratotische Störung in der Dermis zu suchen ist (. Abb. 31.1). entsprechend, stellt der intradermale Nävus seine atypischen Zell­
Dementsprechend sollte eine Exzision der Dermis erfolgen, formationen intradermal dar, typischerweise finden sich diese im
wenn beabsichtigt ist, diese Läsion komplett zu entfernen. Gesichts- und Nackenbereich.
Gelegentlich werden Retinoide (Vitamin-A-Analoga) für die Die zwei Formen des blauen Nävus sind deshalb interessant,
­systemische Behandlung dieser Nävi eingesetzt. Angewandt werden weil sie evtl. einer kutanen Metastase eines Melanoms ähnlich sehen
sollte diese Therapie von in der Behandlung Erfahrenen, in Frage können, daher auch die Forderung nach Exzision.
kommt sie für Patienten, die an multiplen, gehäuft auftretenden Nävi Die »atypischen« oder »dysplastischen« Nävi finden sich in der
leiden. Pubertät oder später und zeigen eine klassische, zentral braune Ma­
kula, die von einem rötlichen, irregulären Randsaum umgeben ist.
Seborrhoische Keratose Gewöhnlich >6 mm, stellen sie eine gewisse Herausforderung zur
Die seborrhoische Keratose (. Abb. 31.2) ähnelt der erstgenannten, Abgrenzung zu Melanomen dar, da sie irregulär pigmentiert auftre­
kommt jedoch speziell im höheren Lebensalter vor. Gehäuft fin­ ten und unregelmäßige Grenzen aufweisen können.
det man sie am Stamm, im Gesicht und den Armen. Im klinischen Sie sollten exzidiert werden, und parallel sollte auf weitere dieser
Bild erscheint der Eindruck von blumenkohlartig wachsenden, scharf Veränderungen der gesamten Körperoberfläche untersucht werden
begrenzten, papillomatösen Warzen mit hyperkeratotischer Oberflä­ (enoral, Skleren und anogenital).
che. Sie können manchmal wie »aufgeklebt« beschrieben werden. Die
Pigmentierung kann von sehr hell bis dunkel stark variieren. ! Cave
Die Behandlung ist einfach und durch ein scharfes Abkratzen in Die Gruppe dieser Patienten zeigt bei parallelem Auftre-
der Ebene der umgebenden Haut durchführbar. Diese Keratose ent­ ten eines Melanoms im erstgradigen Verwandtschafts­
artet nicht. verhältnis eine Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines
Melanoms in der Lebenszeit von 100%!
! Cave
Das Plattenepithelkarzinom ist differenzialdiagnostisch Epidemiologie
v. a. in entzündeten oder posttraumatisch veränderten Obgleich die meisten melanozytären Nävi nicht bei Geburt bestehen,
Hautarealen zu erwägen. zeigen 1–2% der Population kongenitale melanozytäre Nävi, die bei
Geburt vorhanden sind oder innerhalb des 1. Lebensjahres ent­
stehen.
Aktinische Keratose
Die aktinische Keratose (. Abb. 32.3) ist durch die jahre- oder jahr­ Klinik
zehntelange Sonnenexposition gekennzeichnet und findet sich dem­ Die Färbung reicht von blass braun bis sehr dunklem Braun bei hell­
nach an Stellen häufiger Sonneneinstrahlung. Im Gegensatz zur häutigen Patienten. Im Gegensatz dazu zeigt sich die Farbe bei Mit­
seborrhoischen Warze handelt es sich hier um eine Präkanzerose. gliedern dunklerer ethnischer Gruppen bläulich bis schwarz. Es ist
Klinisch imponiert eine harte, flache hyperkeratotische Oberfläche möglich, dass sich die bei Geburt vorhandene, sehr spärliche Pig­
mit begleitendem Erythem. mentierung im Lauf des Wachstums ändert und zunimmt.
Es empfiehlt sich, solitäre oder in jüngeren Jahren auftretende Die Grenzen dieser Veränderungen sind üblicherweise sehr gut
Läsionen zusammen mit denen, die einen deutlichen Entzündungs­ definiert, aber entgegen den »erworbenen« Nävi sind diese unregel­
hof aufweisen, zu biopsieren. In der älteren Bevölkerung können mäßig und asymmetrisch. Wenn auch einige als Makulae imponie­
31.2 · Einteilung/Klassifikation
275 31
Therapie
Die Behandlung der kongenitalen melanozytären Nävi wird indivi­
duell angepasst. Beim Riesenzellnävus auf dem Rücken liegt eine
Malignitätswahrscheinlichkeit von 5% vor, woraus sich die Forde­
rung nach kompletter Exzision im Kindesalter ergibt. Sollten sich zu
dieser Läsion noch Satellitenläsionen hinzugesellt haben, müssen
eine neurokutane Melanose als Variante der Erkrankung angenom­
men und MRT-Untersuchungen des ZNS initiiert werden.
Im Gegensatz dazu zeigen kleine und mittlere Nävi eine deutlich
bessere Prognose. Hier kann die Exzision empfohlen werden, wenn
diese Läsionen schwer zu kontrollieren sind und in kosmetisch pro­
blematischer Region liegen, wie der Stirn oder dem Gesicht. Sollte
sich aus der Lokalisation des vorliegenden Nävus die chirurgische
. Abb. 31.8 Konnataler Riesen-Nävus-Zell-Nävus (sog. Tierfellnävus) Konsequenz von entstellenden Narben oder großen rekonstruktiven
Eingriffen ergeben, kann die Kontrolle klinisch im regelmäßigem
Abstand erfolgen, auf Wunsch und nach Aufklärung kann dennoch
ren, sind die meisten dennoch über dem umliegenden Hautniveau jederzeit exzidiert werden.
erhaben. Die Hauttextur über diesen Läsionen ist meist betont, ver­ Verfahrenswahl und Zeitigkeit der Exzision müssen ebenfalls
stärkt und akzentuiert, sodass von einer »peau d’orange« gesprochen »individualisiert« werden. Kleine und mittlere Nävi stellen selten
werden kann. eine chirurgische Herausforderung dar, anders dagegen die Riesen­
Vermehrtes Haarwachstum innerhalb dieser Läsion ist nicht un­ zellnävi, die bekanntlich bis in tiefe Schichten melanozytäre Nester
gewöhnlich, selbst die Haarqualität kann unterschiedlich sein im aufweisen können, die Dermis, Fett und manchmal darunterlie­
Vergleich zur Umgebung. Interessanterweise findet sich oft an den gende Faszie betreffen. Viele dieser sehr großen Ausdehnungen
peripheren Haarfollikeln dieser Nävi eine Hypopigmentierung ­können nicht in einer operativen Sitzung exzidiert und primär ver­
(. Abb. 31.8). Die Riesenzellnävi bedürfen einer speziellen Beach­ schlossen werden. Hier wird entweder sequenziell – entsprechend
tung. Sie können eine sehr grobe Hautfältelung aufweisen und auf dem Prinzip der seriellen Exzision – reseziert, oder es wird zweizei­
der Oberfläche unzählige makulopapulöse Veränderungen zeigen, tig unter Zuhilfenahme von Gewebeexpandern eine Präexpansion
zu denen sich noch kleinere Nävi an Hand- oder Fußflächen als sog. gesunder Haut der Umgebung mit sequenzieller Hautausbreitung
Satellitennävi hinzugesellen können. nach Nävusausschneidung vorgenommen.
Dennoch kann sich die Notwendigkeit zur Hautverpflanzung
Komplikationen, insbesondere Entartungsrisiko ergeben, wodurch sich das Problem der adäquaten Spenderstelle
Melanome entstehen aus der Entartung von Melanozyten normaler stellt, falls mehrere Satellitennävi vorliegen sollten.
Haut oder innerhalb von »erworbenen«, atypischen, dysplastischen, Nicht selten kommt es trotz Exzision zum Rezidiv, zu hypertro­
melanozytären Nävi. Die Rate einer malignen Entartung aus konge­ phen Narben, Dehiszenzen durch die Wundspannung und dadurch
nitalen melanozytären Nävi ist schwierig vorherzubestimmen. zu Infektionen und sekundär heilenden Narben. Bedingt durch die
Große kongenitale melanozytäre Nävi weisen eine höhere Inzidenz Ausbreitungstiefe einiger der kongenitalen melanozytären Nävi
der Entartung auf. Die Angaben schwanken hier von wenigen Pro­ scheidet eine therapeutische Laserablation ebenso aus wie der Ein­
zent bis 20%. Die Mehrheit dieser entarteten Melanome entwickelt satz der Dermabrasio.
sich vor der Pubertät.
Bei gigantischen Nävi findet Entartung der Zellen häufig in der
Tiefe der Läsion statt. Im Gegensatz zu den mittleren und kleinen 31.2.3 Sonstige Hautveränderungen
Nävi kann die Entartung daher der Inspektion anfänglich entgehen.
Träger von gigantischen Nävi zeigen eine Inzidenz von ca. 4% Dysplastischer Nävus/atypische Mole
extrakutanen Melanomen (retroperitoneal, neural), aus denen sich Der Begriff »dysplastischer Nävus« wurde in letzter Zeit durch den
die neurokutane Melanose zusammensetzen kann. Hierunter ver­ Begriff »atypische Mole« ersetzt. Im Gegensatz zu den angeborenen
steht man die Bildung eines Riesenzellnävus mit mehreren kutanen Nävi bilden sich diese im Laufe der Zeit und haben spezielle Erken­
Satelliten und einer ZNS-Beteiligung. Dies bedeutet beispielsweise nungsmerkmale, die sie vom Melanom unterscheiden.
die Entwicklung eines Hydrozephalus, eines Anfallsleidens, fokal
> Asymmetrie, Grenzflächenunregelmäßigkeiten, Farbände-
neurologischer Defizite oder sensomotorischer Ausfälle. Die Pro­
rungen und relativ große Ausdehnung von >6–8 mm spre-
gnose ist in dieser Patientengruppe schlecht. Häufig treten die neu­
chen für das Melanom (. Tab. 32.2).
rologischen Probleme innerhalb der ersten beiden Lebensjahre auf.
Atypische Molen können sporadisch oder in Familien mit bekannten
Histopathologie Melanomen vorkommen, daher ist das Melanomrisiko in der Popu­
Trotz des breiten klinischen Erscheinungsbildes dieser Nävi lassen lation mit atypischen Molen größer im Vergleich zur Restbevöl­
sich histomorphologische Gemeinsamkeiten definieren. So finden kerung. Für diese Art der Erkrankung wurden unterschiedliche
sich Nester von Melanozyten am dermoepithelialen Übergang oder Synonyme geprägt. Bekannt sind sie auch als dysplastisches Nävus­
einzelne Zellen in der retinakulären Dermis und um Venolen oder syndrom, familiäre atypische Molen usw.
Hautanhangsgebilde. Selbst im subkutanen Fett bzw. in und auf der Da diese Läsionen relativ häufig vorkommen und es Patienten
Muskelfaszie und Skelettmuskulatur können sie nachgewiesen wer­ mit mehreren Hundert dieser Molen gibt, ist es unpraktisch und
den. Manchmal können die Riesenzellnävi auch histomorphologisch auch nicht notwendig, alle Nävi zu exzidieren und histologisch zu
einem blauen Nävus ähneln, der dendritisch pigmentierte Melano­ untersuchen. Diese Patienten können beispielsweise durch Foto­
zyten in der Dermis zeigt. dokumentationen und jährliche Untersuchungen durch einen erfah­
276 Kapitel 31 · Gutartige Tumoren der Haut, inklusive Nävi

renen Dermatologen kontrolliert werden. Daher ist es einfacher, sich


ändernde Läsionen zu erkennen, zu dokumentieren und diese gezielt
histologisch aufzuarbeiten. Das Verfahren der Dermatoskopie (als
Epiluminiszenzmikroskop) kann in der Unterscheidung zwischen
dem Melanom und diesen Läsionen helfen, zeigt eine Sensitivität
von 89% bei einer Spezifität von 79% und wird vermehrt einge­
setzt.
Gutartige juvenile Melanome stellen eine Variante des Nävus­
zellnävus dar und verhalten sich nicht wie maligne Melanome. In der
Vergangenheit ergaben sich hier Konfusionen und schwache Ab­
grenzungsmöglichkeiten. Häufig zeigen sich nichtpigmentierte, röt­
lich erscheinende papuläre Läsionen, die vor der Pubertät entstehen
und schon zur Geburt präsent sein können. In 15% der Fälle werden
sie während der Pubertät und in der Kindheit entdeckt. Diese gutar­
tigen, juvenilen Melanome zeigen sich häufig im Gesicht und sind
sehr selten melaningefärbt.
31 Da das maligne Melanom sehr selten im Kindesalter auftritt,
sollten gutartige juvenile Melanome als benigne Form des Melanoms
entsprechend dermatologisch fachärztlich diagnostiziert werden,
um verstümmelnde operative Eingriffe zu vermeiden.

Riesenzellnävus
Der Riesenzellnävus zeigt ein Entartungsrisiko zum Melanom hin
(5%), das höher liegt als das allgemeine Durchschnittsrisiko. Auf­
grund der vorliegenden Größe ergibt sich nicht selten die Notwen­
digkeit für den Einsatz von Gewebeexpandern und wiederholten,
sequenziellen Exzisionen (. Abb. 31.8).
. Abb. 31.9 Neurofibromatose
Solare Lentigo (»Altersflecken«)
Altersflecken stellen keine Nävuszellläsionen dar, sie imponieren als
weiche, dunkelbraune Flecken, die bis zu 1,5 cm im Durchmesser
messen können und im Alter als vermehrte Ansammlung von nor­ talregion. 60% zeigen sich während der Geburt und in der 1. Lebens­
malen Melanozyten vorkommen. Typisch ist die Ansammlung in dekade, 80% betreffen Frauen.
sonnenexponierten Stellen des Körpers, wie Handrücken, Gesicht, Differenzialdiagnostisch kommt das Melanom in Frage. Nach
Nacken und Armen. Diese Altersflecken sind klinisch schwer von Malignitätsausschluss ist diese gefärbte Läsion gut durch entspre­
»Sommersprossen«, junktionalen Nävi und dem Melanoma in situ chende Laserbehandlung therapierbar. Wie erwähnt, kann bei neu­
zu unterscheiden. Nachdem die Diagnose gestellt wurde, kann diese rokutaner Melanose das zweite Lebensalter abgewartet werden, um
Läsion exzidiert und histologisch verifiziert werden. zu sehen, ob sich hieraus neurologische Symptome entwickelt haben,
da durch beispielsweise ein Anlegen eines Shunts im Fall eines Hy­
Ephelis (»Sommersprossen«) drozephalus die ZNS-Beteiligung schnell in eine systemische Betei­
Sommersprossen zeigen eine pigmentierte Läsion mit normaler Me­ ligung der Melanose übergeht. Leider ist die entsprechende Progno­
lanozytenanzahl, die eine abnormal hohe Menge an Melaningranula se solcher Kinder sehr schlecht.
produzieren. Die beteiligten Melanozyten zeigen keine abnorme
Proliferationstendenz und entsprechen keinem Malignitätskriterium.
31.3 Tumoren der Hautanhangsgebilde
Blauer Nävus
Der blaue Nävus ist fest, entspricht einem scharf abgegrenzten intra­ Hierzu zählen u. a.Tumoren der ekkrinen und apokrinen Schweiß­
dermalen Knötchen aus dermalen Melanozyten. Trotz der sehr sel­ drüsen, der Haarfollikel und sogar der glatten Muskulatur der Haut.
tenen malignen Degeneration dieser Läsion ist eine Entartung den­ Papillome, Dermatofibrome, Milien, Pilonidalzysten, Epidermoid­
noch nicht auszuschließen. zysten, das Dermatofibrosarcoma protuberans, Angiofibrome und
Hier ist anzumerken, dass die Differenzierung zwischen einem Xanthome/Xanthelasmen, das Xanthoma planum und der Glo­
blauen Nävus, der metastatischen Absiedelung eines Melanoms und mustumor sowie einige mehr können dieser Gruppe zugeordnet
dem Kaposi-Sarkom Schwierigkeiten bereiten kann. Vaskuläre Mal­ werden.
formationen können ebenfalls dem blauen Nävus ähneln, die Diffe­ Generalisierte Erkrankungen unter hauptsächlicher Mitbeteili­
renzierung erfolgt hier durch lokalen Druck, der die vaskuläre Mal­ gung der Haut sind die Psoriasis, der Lupus erythematodes (diskoid
formation abblassen lässt, wohingegen der Nävus kein Abblassen und systemisch), die systemische und zirkumskripte Sklerodermie,
zeigt. die Neurofibromatose Recklinghausen (. Abb. 31.9), das Xeroderma
pigmentosum, die Epidermolysis bullosa, die Cutis laxa (vera), das
Ota-Nävus Pseudoxanthoma elasticum, die Cutis hyperelastica, Vaskulitiden,
Der Ota-Nävus entspricht einer blau-grauen Farbstörung im Über­ die Sarkoidose, kutane T-Zelllymphome, die Necorbiosis lipidoica,
gang des 1. und 2. Astes des N. trigeminus. Diese Farbstörung findet die Acne vulgaris, das Kaposi-Sarkom, das Rhinophym und die Acne
sich häufig im Bereich des lateralen Augenwinkels und der Perorbi­ rosacea.
31.3 · Tumoren der Hautanhangsgebilde
277 31
Literatur
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32

Maligne Tumoren
L.-U. Lahoda

32.1 Melanom – 280


32.1.1 Diagnosen und Klassifikationen – 280
32.1.2 Chirurgisches Vorgehen – 281
32.1.3 Postoperatives Management – 283

32.2 Andere bösartige Hauterkrankungen – 283


32.2.1 Ätiologie – 283
32.2.2 Basalzellkarzinom – 284
32.2.3 Plattenepithelkarzinom – 285

32.3 Präkanzerosen und Vorstufen – 286


32.3.1 Aktinische Keratose – 286
32.3.2 Morbus Bowen – 286
32.3.3 Queyrat-Erythroplasie – 286
32.3.4 Leukoplakie – 286
32.3.5 Keratoakanthom – 287

32.4 Maligne Tumoren als Folge von natürlichen und künstlichen Strahlen – 287
32.4.1 Strahlendermatitis – 287
32.4.2 Xeroderma pigmentosum – 287

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
280 Kapitel 32 · Maligne Tumoren

32.1 Melanom senzellnävus und die »erworbenen« melanozytären Nävi sowie die
dysplastischen Nävi/atypischen Molen tragen ein überdurchschnitt­
Das Melanom (auch: »malignes Melanom«; MM) steht an 8. Stelle liches Entartungsrisiko.
aller Malignome in den USA, seine Inzidenz nimmt jedoch schneller Der Spitznävus stellt ein bei Kindern zu findendes, differenzial­
als bei jeder anderen bösartigen Erkrankung zu. Das Lebenszeitrisi­ diagnostisch bedeutendes Krankheitsbild dar, das als fast immer
ko, an einem Melanom zu erkranken, beträgt 0,5%, jährlich werden gutartiger Tumor auftritt, aber klinisch nur schwer vom Melanom zu
dort 40.000 neu aufgetretene Fälle registriert. unterscheiden ist. Die Sonderform der AJHM (»atypical junctional
Nach Fitzpatrick (1988) werden unterschiedliche Hauttypen un­ melanocytic hyperplasia«) wird auch als »Lentigo maligna« bezeich­
terschieden, die ein unterschiedliches Risiko zur Entwicklung eines net. Es wird als Melanomvorstufe gesehen; hier wird eine Exzision
Melanoms tragen (. Tab. 32.1). mit Sicherheitsabstand von mindestens 5 mm empfohlen.
Zusätzliche Risikofaktoren sind
4 Ausmaß der Sonnenexpositionen,
4 die geographischen Risikofaktoren (UV-Bestrahlung und Inten­ 32.1.1 Diagnosen und Klassifikationen
sität) und
4 lokoregionäre Faktoren, wie z. B. Größe des Ozonlochs und da­ An erster Stelle steht die genaue Untersuchung der Körperoberfläche
mit die Stärke des UV-Schutzes. durch einen erfahrenen Dermatologen, laut Literatur werden hier
jedoch nur 60–80% Sensitivität angegeben, die evtl. durch Fotodo­
Generell haben Frauen ein geringeres Risiko, an einem Melanom zu kumentation gebessert werden kann. Klinisch wird die ABCDE-Re-
erkranken, die Prognose im Erkrankungsfall ist ebenfalls besser. Ein gel angegeben (. Tab. 32.2).
32 höherer sozioökonomischer Status impliziert interessanterweise ein
höheres Risiko. In der schwarzafrikanischen Bevölkerung stellt das Melanomtypen
akrolentiginöse Melanom eine oft spät erkannte Erkrankung mit Es werden die in der . Übersicht genannten Typen unterschieden
schlechter Prognose dar. (. Abb. 32.1–32.3).
Das Risiko eines weiteren malignen Melanoms (kein Lokalrezi­
div) liegt bei schon durchgemachter Erkrankung bei 3–5%. Der Rie­
Melanomtypen
4 »Superficial spreading melanoma«:
. Tab. 32.1 Hauttypen nach Fitzpatrick Es handelt sich hier um den häufigsten Typus mit mittlerem
Malignitätsgrad, er entsteht meist aus vorbestehendem Nä-
Haut- Hautfarbe Hautreaktion auf Sonnen­ vus. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen, wobei
typ exposition der Altersdurchschnitt um das 5. Lebensjahrzehnt liegt.
Männer zeigen ein vermehrtes Auftreten am proximalen
I Weiß Immer Sonnenbrand, niemals Stamm, Frauen vermehrt an den Unterschenkeln. Die Tumo-
Bräunung
ren sind unregelmäßig gefärbt, asymmetrisch und wachsen
II Weiß Gewöhnlich Sonnenbrand, anfangs radial, erst spät vertikal (. Abb. 32.1).
schwierige Bräunung 4 Noduläres Melanom:
III Weiß Gelegentlich geringer Sonnen- Das zweithäufigste Melanom, etwa 15–30%. Dieser aggres-
brand, mittlere Bräunung sivste Typ entsteht meist nicht aus bestehenden Nävi. Män-
ner sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen, meist im
IV Moderat pigmentiert Selten Sonnenbrand, einfache
Lebensalter um 50 Jahre. Die Grenzen des Tumors sind hier
Bräunung
weniger verwaschen, er wächst schnell in die Tiefe. Sein
V Dunkel pigmentiert Selten Sonnenbrand, sehr Auftreten kann nicht direkt mit der Sonnenexposition in Zu-
einfache Bräunung sammenhang gebracht werden. 5% dieser Tumoren sind
VI Schwarz Kein Sonnenbrand, sehr amelanotisch, die Prognose ist schlecht (. Abb. 32.2).
ein­fache Bräunung 4 Lentigo-maligna-Melanom:
Dieser Typus bildet 10–15% aller Melanome und ist der am
wenigsten aggressive Typ. Er ist sehr deutlich mit der Son-
nenexposition assoziiert und meist an Unterarm, Nacken,
. Tab. 32.2 »ABCDE-Regel«: Melanomkriterien
Gesicht und Kopf lokalisiert. Am häufigsten betroffen sind
ältere Frauen (mehr als Männer), das mittlere Alter liegt bei
ABCD Kennzeichen
70 Jahren. Der Tumor ist häufig größer als 3 cm im Durch-
A »asymmetry« Asymmeterie messer, manchmal finden sich Regressionsareale innerhalb
(Asymmeterie) der Läsion. Vorstufe: Lentigo maligna (wächst nur horizon-
tal, der Einbruch in vertikales Wachstum macht den Unter-
B »border« (Begrenzung) Unscharf begrenzter Rand
schied zum Lentigo-maligna-Melanom).
C color« (Farbe) Änderungen in der 4 Akral lentiginöses Melanom:
Färbung Dieser Typ stellt 2–8% aller Melanome bei Kaukasiern und
D »diameter« Durchmesser über 6–8 mm 35–60% bei Schwarzafrikanern, Hispanics und Asiaten. Es
(Durchmesser) Ausdehnung findet sich an Hand- und Fußflächen, auch subungual. Das
mittlere Erkrankungsalter liegt bei 60 Jahren. Eine irreguläre
E »elevation« >1 mm Erhabenheit über das
6
(Erhabenheit) Hautniveau
32.1 · Melanom
281 32

Pigmentation ist häufig, der Durchmesser meist über 3 cm


Durchmesser. Häufigste Lokalisation sind großer Zeh oder
Daumen. Die vertikale Wachstumsphase dauert relativ lang,
ein Einbruch in die Tiefe korreliert mit sehr hoher Wahr-
scheinlichkeit der Metastasenbildung (. Abb. 32.3).
4 Nichtkutane Melanome:
– Mukosales Melanom: Repräsentiert <2% der Melanome,
findet sich in der Mukosa des anogenitalen Bereichs und
des Kopfes. Sehr häufig erst späte Diagnose mit schlech-
ter Prognose.
– Okuläres Melanom: 2–5% aller Melanome. Entspricht
dem häufigsten nichtkutanen Melanom. Sehbehinderung
bringt den Patienten zum Arzt. Die Leber stellt hierfür
den ersten Metastasierungsweg dar. Therapie: Enuklea­
tion.
4 Amelanotisches Melanom (AMM)
Das AMM zählt zu den sehr seltenen Melanomtypen, die . Abb. 32.1 »Superficial spreading melanoma«
durch fehlende dunkle Verfärbung charakterisiert und
daher sehr schwer diagnostizierbar sind. In diesem Fall pro­
duzieren die Melanozyten kein Melanin. Amelanotische
Melanome machen <5% aller Melanomtypen aus. Ihre Er-
scheinung kann derjenigen eines Basalzell- oder Platten­
epithelzellkarzinoms im frühen Stadium ähneln.
4 Melanom ohne Primärherd:
Etwa 3% aller Melanome. Die Diagnose erfolgt durch Aus-
schluss. Auffällig sind die Lymphknotenmetastasen. Die Pro-
gnose gleicht derjenigen beim Melanom mit bekanntem
Primärherd.

Staging und Prognose


Die prognostischen Faktoren umfassen:
4 Tumordicke,
4 Lymphknotenstatus und
4 das Vorliegen von Metastasen (TNM-Klassifikation).

Infiltrationstiefe nach Breslow. Tumordicke in mm (besserer pro­


gnostischer Indikator als Clark-Level und auch akkurater; Breslow
1970).

Clark-Level. Basiert auf der Invasion durch die spezifischen Schich­


ten der Haut (Clark et al. 1969).
Die Prognose hängt ab von
4 Lokalisation des Melanoms (Extremitäten, Stamm etc.),
4 Geschlecht (Frauen scheinen eine bessere Prognose zu haben), . Abb. 32.2 Noduläres Melanom
4 Vorhandensein von Ulzerationen (deutlich schlechtere Prog­
nose),
4 Beteiligung von Lymphknotenmetastasen. Diese werden von der
AJCC (American Joint Committee on Cancer) berücksichtig
und zur Prognoseerstellung verwendet.

32.1.2 Chirurgisches Vorgehen

Die Behandlung des Melanoms hat 2 Schwerpunkte:


4 Behandlung des Melanoms und
4 Behandlung der Lymphknotenmetastasen.

Aufgrund der häufigen Metastasierung entlang der Lymphbahnen


wurde die Forderung nach der Dissektion der Lymphknoten formu­
liert, auch um Weiterverbreitung entlang des Gefäßsystems als Folge . Abb. 32.3 Akral lentiginöses Melanom
282 Kapitel 32 · Maligne Tumoren

konnten durch die Revision der Forderung nach »weiter Exzision«


. Tab. 32.3. Die 5 Infiltrationstiefen nach Clark (das entspricht 3 cm) deutliche Vorteile in der ästhetischen Erhal­
tung der Strukturen erzielt werden.
Level Kennzeichen Die speziell am Kopf auftretenden Sonderformen des desmo­
plastischen und des neurotropen Melanoms bedürfen besonderer
I Tumorzellen finden sich in der Epidermis (Melanoma in situ)
Beachtung, da hier die Forderung nach Resektionsgrenzen von
II Atypische Melanozyten finden sich in der papillären Dermis, >1 cm irrelevant für die Ausbildung von Metastasen zu sein schei­
jedoch nicht in der retikulären Dermis nen. In diesen speziellen Fällen ergibt sich zusätzlich die Forderung
III Diese Melanozyten finden sich in der Zwischenschicht nach einer lokalen Bestrahlung.
zwischen papillärer und retikulärer Dermis > Derzeit sind folgende Forderungen zu Exzisionen mit
IV Tumorzellen reichen in das Stratum reticulare Sicherheitsgrenzen anerkannt:
4 Melanoma in situ: Exzision mit Sicherheitsgrenze von
V Pathologisch veränderte Melanozyten finden sich im subku-
5 mm.
tanen Fett
4 Läsionen, die <1 mm Tiefenausdehnung liegen: Exzi­
sion mit einer Sicherheitszone von 1 cm, die in nahezu
allen Fällen eine direkte Naht erlaubt.
des Einbrechens in die Blutbahn der Lymphknoten zu vermindern.
4 Melanome mit einer Ausdehnung von 1–4 mm Dicke:
Bei der Exzision wurde die Forderung eines Sicherheitsabstandes
2 cm Resektionsränder.
gestellt, unter Mitnahme von Faszien und sogar von Muskulatur zu­
32 sammen mit den Lymphknoten. Heute ist die Forderung nach der
4 Dicke Läsionen von >4 mm: Grenzen und Resektions­
ränder von >2 cm Sicherheitsabstand.
radikalen Exzision des Primärtumors erhalten geblieben, die Resek­
tion aller Lymphwege zwischen dem Tumor und der ersten Lymph­ Das Auftreten von Lokalrezidiven ist ein Hinweis für die Generali-
station (»sentinel«) wird infolge neuerer Untersuchungen nicht wei­ sierung der Erkrankung.
ter verfolgt.
Die histopathologischen Untersuchungen von Clark haben
Für die Praxis
den entscheidenden Hinweis für die metastatische Verbreitung der
Erkrankung in Abhängigkeit von der Infiltrationstiefe des Pri­ 4 Exzisionsbiopsie: Bei verdächtigen Läsionen bis zu einer
märtumors gegeben. Clark definierte dabei 5 Infiltrationstiefen Ausdehnung von 1,5 cm möglichst mit einem Sicherheits-
(. Tab. 32.2). abstand von 1–2 mm.
Dieses Konzept wurde durch die Studien von Breslow verfeinert, 4 Inzisionsbiopsie: Bei geringer Wahrscheinlichkeit einer ma-
der die Prognose von der maximalen Dicke abhängig machte und lignen Erkrankung oder Tumoren >1,5 cm in rekonstruktiv
bis zum tiefsten Punkt der Infiltration maß. Tumordickenabhängig anspruchsvoller Region (Gesicht, Hände etc.) mit sekundärer
beträgt die 10-Jahres-Überlebensrate >95% bei Level-I- und -II-Lä­ Notwendigkeit der plastischen Rekonstruktion.
sionen mit einer Dicke von <0,76 mm, die auf <50% fällt, wenn der 4 Komplette Aufarbeitung: Die Histologie muss alle Anteile
Tumor eine Dicke von 4,0 mm im Stadium Level V aufweist. des Tumors auswerten, keine repräsentativen Schnitte zur
Die Grundvoraussetzung für die korrekte Angabe ist die voll­ Bestimmung der definitiven Tumordicke.
ständige Exzision und die pathologische Aufarbeitung des gesamten 4 Keine Abkratzbiospie, kein Schaben!
Präparates. Dazu zählt u. a. auch die eingehende Untersuchung der 4 Kein Einfrieren oder Koagulieren in der Nähe des Tumors.
betroffenen und angrenzenden Haut, der Lymphknoten und der ge­ 4 Inzisionen sollten Lymphbahnen schonen.
samten Hautoberfläche des Körpers. In ungefähr 5% der Fälle findet 4 Keine »wide excisions« zur Diagnostik (können den Verlauf
sich das Melanom als Zweitmanifestation des Primärtumors. des Lymphabflusses kompromittieren).
4 Inzisionen mit dem Plan zur definitiven Exzision nach Erhalt
Technik der Diagnose planen! Gesicht: ästhetische Einheiten.
Primär wurden eine »sichere und praktikable« Sicherheitsgrenze 4 Definitive, eindeutige Markierung des Präparates!
und damit eine sehr weite Exzision empfohlen.
> Aufgrund neuerer Untersuchungen kann festgehalten Chirurgie der regionalen Lymphknoten
werden, dass bei Tumorausdehnungen von <1 mm und so-
Man unterscheidet
gar bei einer Ausdehnung von 1–2 mm die traditionellen
4 die elektive Lymphknotendissektion (»elective lymphnode dis­
Resektionsgrenzen von 4–5 cm nicht mehr gerechtfertigt
section«, ELND) und
erscheinen.
4 die Sentinel-Lymphknotendissektion (SLND).
Die Revision der traditionellen Daten geht u. a. auf eine prospektiv
randomisierte Untersuchung der WHO zurück. Entsprechend dieser Die Forderung nach Exzision der regionalen Lymphknoten begrün­
Untersuchung wurden 612 Patienten randomisiert untersucht, die det sich durch den bevorzugten Metastasierungsweg. Auch hier
eine Läsion von ≤2 mm aufwiesen und entweder mit einem Sicher­ scheint die Vorgehensweise von der Dicke des Primärtumors abhän­
heitsabstand von 1 oder von 3 cm operiert wurden. Nur 4 der Pa­ gig zu sein: Patienten mit einer Dicke bis zu 1 mm haben ein geringes
tienten zeigten ein Lokalrezidiv, alle 612 Patienten hatten einen Tu­ Risiko für Mikrometastasen in der 1. Lymphknotenstation, wohin­
mor >1 mm und wurden der Exzisionsgrenze von 1 cm Sicherheits­ gegen Patienten mit großen, >4 mm Dicke messenden Tumoren ein
abstand zugeteilt. Interessanterweise zeigte sich, dass die bis dato hohes Risiko von Mikrometastasen und einer Generalisierung der
geforderte Sicherheitsgrenze von 3 cm bei einer Tumorausdehnung Erkrankung tragen. In der Gruppe der Tumoren von 1–4 mm Dicke
von <1 mm nicht gerechtfertigt war. In kosmetisch bedeutsamen zeigt sich allerdings, dass diese Patienten von einer Resektion mit
Regionen, wie dem Auge, den Ohren, dem Mund und den Fingern, Sicherheitsgrenze und der Lymphknotendissektion sehr profitieren,
32.2 · Andere bösartige Hauterkrankungen
283 32
im Vergleich zur Resektion der Primärläsion mit Sicherheitsgrenze Patienten, dann alle 6 Monate für 3 Jahre, dann jährliche Kontrollen.
allein. Zumeist reichen Thoraxröntgenaufnahmen und Leberfunk­
tionswerte (LDH). Die CT zeigt keine Verbesserung im Ergebnis.
Elektive Lymphknotendissektion. Die ELND beinhaltet die Exzi­ Sollte ein Lokalrezidiv auftreten, zeigt es sich zumeist im Umkreis
sion von unauffälligen Lymphknoten, die einen Benefit in der inter­ von 5 cm zur Primärläsion.
mediären Gruppe der Melanome bis 1–2 mm Tiefe darstellt, in der Adjuvante Therapien umfassen eine Kombination aus Dacarba­
eine höhere Überlebensrate retrospektiv dargestellt werden konnte. zin, Carmustin, Cisplatin und Tamoxifen, gelegentlich hypertherme
Eine wertvolle zusätzliche Untersuchung stellt der Versuch der Dar­ Extremitätenperfusion (einige Zentren), Immuntherapie mit Inter­
stellung der ableitenden Lymphwege und der Identifikation der feron-α (INF-α) und Interleukin-2 (IL-2), bei voranschreitender
1. Lymphknotenstation dar. Erkrankung kann die Lebenserwartung jedoch nur 6 Monate be­
tragen.
Sentinel-Lymphknotendissektion. In 90–95% der Fälle kann durch
die selektive Färbung und/oder radioaktive Markierung der Wäch­
terlymphknoten (»sentinel«) dargestellt werden, es entspricht dem 32.2 Andere bösartige Hauterkrankungen
heute gültigen Standard der Therapie. Meist wird nach Injektion
eines Farbstoffs der sich zuerst färbende Lymphknoten identifiziert Karzinome der Haut stellen die häufigsten karzinomatösen Erkran­
und auf Mikrometastasen hin untersucht. Weit verbreitet ist die Me­ kungen in den westlichen Industrienationen dar. Die Mehrzahl der
thode durch die Markierung mittels Technetium 99. Sollten sich der Betroffenen findet sich v. a. in der hellhäutigen, sonnenexponierten
oder die Lymphknoten als positiv für eine Metastasierung erweisen, Bevölkerung, bei Patienten nach wiederholter oder starker Bestrah­
empfiehlt sich eine komplette Lymphadenektomie und Resektion lung oder UV-Exposition längerer Dauer.
der Lymphknotenstation, weiterhin die Erwägung einer adjuvanten Die häufigsten Typen sind
Therapieformen. Üblicherweise wird die SLND im Rahmen der 4 Basalzellkarzinom,
»wide local excision« des Primärtumors vorgenommen. Intraopera­ 4 Plattenepithelkarzinom.
tiv wird das Mapping durch eine Sonde und durch evtl. verfärbte
Lymphknoten durchgeführt. Beide Erkrankungen haben eine gute Prognose, wenn sie rechtzeitig
erkannt und behandelt werden. Die Formen des Plattenepithel- und
> Nach dem primären Exzidieren des Tumors werden frische
des Basallzellkarzinoms lassen sich relativ leicht entdecken und dann
Instrumente und Instrumentarien verwendet und erst
durch Exzision behandeln. Es ergibt sich in der Statistik eine Hei­
dann die Lymphknotendissektion angeschlossen.
lungsrate von bis zu 90 und 95% durch die Exzision der Tumoren.
Feingeweblich wird durch die Immunhistochemie der (Mikro-) Me­ Empfohlen werden 3–5 mm Sicherheitsgrenzen für das Basalzellkar­
tastasennachweis erbracht. Sollten keine Metastasen vorliegen, wird zinom und 7 mm für das aggressivere, sklerosierende Basalzellkar­
der Patient engmaschig untersucht und kontrolliert. zinom. Das Plattenepithelkarzinom wird in der Regel mit einer
Mehrere Studien konnten zeigen, dass Lymphknotenmetastasen Grenze von 5–10 mm umschnitten.
nie die 1. Lymphknotenstation »überspringen« und diese Vorge­
hensweise damit als sehr verlässlich und valide ist, auch im Kopf- Technik nach Moh. Diese Technik beinhaltet intraoperativ sequen­
Hals-Bereich. Speziell im Kopf-Hals-Bereich ist die Lymphadenek­ zielle, horizontale Exzisionen mit Anfertigung von Schnellschnitten.
tomie technisch schwer umsetzbar. Daher wird auf adäquate Dia­ Die Indikationen hierfür sieht man in häufig wiederkehrenden, hö­
gnostik der evtl. befallenen Lymphknoten extrem großer Wert gelegt. her risikobehafteten Tumoren wie dem Basalzellkarzinom an pro­
Durch selektive Darstellung der Lymphabflusswege und Sentinel- blematischen Lokalisationen und lokal aggressiven Formen sowie
Lymphadanektomie kann eine deutlich höhere Sicherheit und adä­ manchen Plattenepithelkarzinomen, indem dadurch Gewebe »ge­
quate Selektivität für die weiteren therapeutischen Schritte gewähr­ spart« werden kann und man die sofortige Sicherheit einer kom­
leistet werden. pletten Exzision erhält. Indiziert werden kann diese Technik im Ge­
sicht, an den Augenlidern, den Lippen oder der Nase.
Metastasenchirurgie
Die chirurgische Therapie der Melanommetastasen beschränkt sich
vorwiegend auf das Vorliegen von singulären Fernmetastasen, nach­ 32.2.1 Ätiologie
dem der Primärtumor radikal operativ angegangen und die dement­
sprechenden Lymphknoten mitentfernt worden sind. Gerechtfertig Risikofaktoren spielen eine nicht unbedeutende Rolle in der Ent­
ist dennoch jegliche Form der palliativen Chirurgie, die die Lebens­ wicklung von Hautkrebs (. Übersicht).
qualität der Patienten verbessert und eventuelle pflegerische Maß­
nahmen erleichtert.
Risikofaktoren für das Basalzellkarzinom
Der weitere Metastasierungsweg von längerfristiger überleben­
den Patienten ergibt sich durch die Lokalisationen von weiter ent­ 4 Sonnenexposition
fernter Haut, des Subkutangewebes, entfernter Lymphknoten, der 4 Höheres Lebensalter
Lunge, der Leber, des Zentralnervensystems, des Knochens und des 4 Hellhäutigkeit
Gastrointestinaltraktes. 4 Langzeitexposition gegenüber Psoralenen und UV-A
(PUVA-Therapie)
4 Immunsuppression und Arsenexposition
32.1.3 Postoperatives Management

Wir empfehlen Kontrolluntersuchungen nach chirurgischer Sanie­ Die UV-Strahlung setzt in einem photochemischen Effekt Elektro­
rung im Abstand von 3–4 Monaten für 2 Jahre bei asymptomatischen nen der absorbierenden Atome frei, die wiederum die DNA schädi­
284 Kapitel 32 · Maligne Tumoren

mente modulieren die Menge an Strahlung, die auf die Dermis trifft.
Ein weiterer negativer Effekt von UV-Strahlung stellt die supprimie­
rende Wirkung auf das Immunsystem dar. Relativ geringe Dosen von
UV-B-Strahlung kompromittieren das Immunsystem und reduzie­
ren dadurch die Reaktionsfähigkeit der Haut im Rahmen von aller­
gischen Reaktionen. Höhere Dosen können das Immunsystem ins­
gesamt beeinträchtigen.
In Bezug auf die ionisierende Strahlung kann festgehalten wer­
den, dass eine einzelne Strahlendosis nach einer Latenzperiode zu
einem strahleninduzierten Tumor führen kann. Neben der ionisie­
renden Strahlung können maligne Tumoren durch chemische, virale
und hereditäre Faktoren ausgelöst werden, wenn sie die Immunab­
wehr der Haut beeinträchtigen. Zu diesen zählen u. a. das Xeroder­
ma pigmentosum und das Gorlin-Syndrom.
a

32.2.2 Basalzellkarzinom

Das Basalzellkarzinom ist das häufigste Karzinom der weißen/kau­


32 kasischen Bevölkerung, das aus den Zellen der Basalmembran des
Epitheliums oder den externen Haarfollikelzellen entsteht. Es korre­
liert direkt mit der Sonnenexposition und der damit in Verbindung
stehenden UV-Bestrahlung. Der große Unterschied zwischen dem
Basalzellkarzinom und dem Plattenepithelkarzinom besteht darin,
dass Ersteres nicht aus bösartigen Veränderungen ausgewachsener
epithelialer Strukturen entsteht. Das Basalzellkarzinom benötigt
stromale Anteile zur Entstehung und zum Wachstum. Es beinhaltet
nicht die zellulären Aplasien eines echten Karzinoms, und es kommt
nahezu nie zu einer Metastasierung.
b Anhand klinischer Merkmale unterscheidet man:
4 Nodular ulzerierendes Karzinom: Meist einzeln auftretend, fast
ausschließlich im Gesicht. Beginnt als kleine, unscheinbare Pa­
pula, die teleangiektatische Veränderungen durchmachen kann.
Sie wächst langsam und kann ulzerieren. Dieser Typ entspricht
mit Abstand dem häufigsten Basalzellkarzinom (. Abb. 32.4).
4 Superfizielles Basalzellkarzinom: Häufig in mehreren Lokalisa­
tionen vorkommend, zumeist am Stamm. Hell pigmentiert, ery­
thematös, kann an eine Psoriasis oder ein Ekzem erinnern.
4 Sklerodermiformes (sklerosierendes) Basalzellkarzinom: Die­
ser Typ ist eher gelblich-weiß, mit schlecht ausmachbaren Gren­
zen, kann kleinen sklerodermiformen Läsionen entsprechen.
Dieser Typ neigt am häufigsten zum Rezidiv. Charakteristisch ist
das periphere Wachstum mit zentraler Nekrose oder Vernar­
bung. Diese sehr rezidivträchtige Variante erfordert weiträu­
migste und kompromisslose Exzisionen (. Abb. 32.4a).
4 Pigmentiertes Basazellkarzinom: Dieser Typ kombiniert die
c
Merkmale des ulzerierenden Typs mit einer bräunlich, tiefrei­
. Abb. 32.4 Basalzellkarzinom: Noduläre (a) und ulzerierende Form (b),
chenden Pigmentation.
sklerodermiform (c) 4 Basalzellnävussyndrom, auch bekannt als das Gorlin-Syndrom:
Diese Erkrankung entspricht einer hereditären Erkrankung, die
im Kindesalter mit multiplen Basalzellkarzinomen beginnt und
gen und verändern. Der Pathomechanismus der UV-Bestrahlung mit anderen Fehlbildungen kombiniert sein kann. Die Erkran­
vermindert aber auch die normale Mitoserate und die DNA-Synthe­ kung wird autosomal dominant vererbt. Sie zeigt eine Tendenz
se der Haut, der UV-Effekt wird durch vermehrten Haarwuchs, zur malignen Entartung nach der Pubertät. Die Behandlung
­höhere Melaninkonzentration und ein dickes Stratum corneum re­ muss sich auf enge Beobachtung und Kontrollen beschränken,
duziert. Durch Effekte wie die CO2-Belastung und den dadurch ent­ die in Einzelfällen die jeweilige Exzision der maligne entarteten
stehenden Ozoneffekt ist die heutige Strahlungsdosis von UV-Licht Hautläsionen bedingt. Die Diagnose wird durch das klinische
bedeutend höher als vor 50 oder 100 Jahren. Additiv dazu finden Erscheinungsbild und die Biopsie gestellt.
sich Tätigkeiten in großer Höhe, unterschiedlicher geographischer
Lokalisation auf der Erde und ähnliche Faktoren. Histologisch variieren die Formen des Basalzellkarzinoms. Die Tu­
Die Hautpigmentation hat 2 positive Effekte auf den Schutz ge­ moren zeigen allerdings alle die Zusammensetzung aus basaloid
gen UV-B-Strahlung: Melanin absorbiert UV-Licht, und die Pig­ erscheinenden Zellen, mit irregulären, ovalen Nuclei, die gut gefärbt
32.2 · Andere bösartige Hauterkrankungen
285 32
sind. Die äußersten Zellen formen einen palisadenartigen Ring in die
Peripherie, in der Umgebung zeigt sich eine stromale Reaktion ähn­
lich einer Vernarbung. Schwere aktinische Keratosen und Plattene­
pithelkarzinome können dem Basalzellkarzinom ähnlich sein, sind
allerdings leicht durch entsprechende Biopsie abgrenzbar.

Therapie. Die Behandlung umfasst die Exzision und entweder Pri­


märverschluss oder Defektrekonstruktion durch Transplantat bzw.
Lappen.
Eine Metastasierung ist eine Rarität, jedoch kommt es – insbe­
sondere beim sklerodermiformen Basaliom mit lokal aggressivem
Wachstum – zum Rezidiv bei inkompletter Resektion. Hochrisiko­
regionen für Rezidive finden sich im Zentrum des Gesichts (Perior­
bita, Augenlider, Nasolabialfalte etc.) aufgrund der chirurgischen
a
Herausforderung an die ästhetische Rekonstruktion.

32.2.3 Plattenepithelkarzinom

Dieses Karzinom ist eine typische Erkrankung des alternden Men­


schen, zumeist älterer Männer. Auch hier ist der primäre ätiolo­
gische Faktor in der Sonnenexposition zu suchen. Zusätzlich zur
UV-Exposition können Bestrahlung, Chemikalien, chronische Ul­
zera inklusive der chronischen Osteomyelitis (Marjolin-Ulkus),
zytotoxische Medikamente, Immunsuppression, chronische Haut­
läsionen, einige Dermatosen, der diskoide Lupus erythematodes
sowie die Hidradenitis suppurativa prädisponierend für die Ent­
wicklung sein.
Auch aus Virusinfektionen mit dem humanen Papillomavirus
(HPV) oder dem Herpes-simplex-Virus kann ein Plattenepithelkar­
zinom entstehen. Auch im Rahmen des Xeroderma pigmentosum
b
und des Albinismus kommt es vermehrt zum Auftreten dieser Er­
krankung. Es mögen hereditäre Faktoren bei blauäugigen, dünnhäu­ . Abb. 32.5 Plattenepithelkarzinom: Ulzerierendes Plattenepithelkarzi-
tigen Nordeuropäern zu suchen sein, da es im mediterranen Raum nom bei Unterschenkelosteomyelitis (a) und verruköses Karzinom auf dem
selten zu dieser Form des Hautkrebses kommt. Berufsgruppen, die Handrücken (b)
ständig hoher UV-Strahlung ausgesetzt sind, tragen ein erhöhtes Ri­
siko zur Entwicklung dieses Tumors.
Prinzipiell stellt die sonnenexponierte Haut die Lokalisation der Die geringe Differenzierung kann einen »pseudoglandulären« Cha­
Erstmanifestation dar, die persistierende Entzündung und Verdi­ rakter besitzen, und der Grad der Differenzierung ist direkt propor­
ckung der Haut machen den Behandler sensibel für die Möglichkeit tional zur Anzahl und Bildung von Keratinperlen.
der Entwicklung eines Plattenenpithelkarzinoms. Differenzialdiagnosen beinhalten die aktinische Keratose, die
Es werden 2 generelle Typen des Plattenepithelkarzinoms unter­ pseudoepitheliomatöse Hyperplasie, das Basalzellkarzinom (Biopsie
schieden (. Abb. 32.5): und klinisches Erscheinungsbild) und das Keratoakanthom. Kleine,
4 langsam wachsendes, verruköses Karzinom und auffällige Hautulzerazionen werden 2–3 Wochen beobachtet, feucht
4 schnell wachsendes, ulzerierendes Plattenepithelkarzinom. gehalten und ständig vor UV-Licht geschützt.
> Jede Läsion, die länger als über diesen Zeitraum von
Der langsam wachsende Typ ist verrukös, exophytisch-exulzerie­
2–3 Wochen besteht, sollte exzidiert und histologisch auf-
rend, kann lokal sehr tief invasiv sein und metastasiert in geringer
gearbeitet werden.
Frequenz.
Der 2., mehr nodulär infiltrierend wachsende Typ ist in seiner
Metastasierungstendenz schneller als der andere und zeigt deut­ Therapie. Die Behandlung hängt von der Größe der Läsion und
lich mehr Aggressivität. Mikroskopisch untersucht, finden sich ein­ vom Alter des Patienten ab und entspricht den Behandlungsalgorith­
gewanderte Plattenepithelzellen in der Dermis mit gut differen­ men des Basalzellkarzinoms, mit dem Primat der Exzision und his­
zierter Keratinisation. Keratinperlen, die von epithelialen Zellen tologischen Aufarbeitung. Lokale Schwenk-Verschiebe-Plastiken
umgeben sind, und auch einzeln keratinbildende Zellen werden ge­ oder Spalthauttransplantationen sind Optionen, die individuell ent­
funden. schieden werden und von Tiefe, Ausdehnung und Lokalisation ab­
hängen. Eine Bestrahlung kann bei Patienten >55 Jahren angewandt
> In schlecht differenzierten Tumoren kann die Keratinisa­ werden, die Lymphknotenexzision wird nicht elektiv durchgeführt.
tion minimal sein oder komplett fehlen, die entzündliche 5–10% der Plattenepithelkarzinome rezidivieren. Diejenigen,
Komponente kann fehlen. Es kann daher festgestellt wer- die aus einem Marjolin-Ulkus oder einem Xeroderma pigmentosum
den: Je höher die entzündliche Komponente, desto höher entstehen, neigen gehäuft zur Metastasierung, ebenso wie solche, die
die Differenzierung des Tumors! sich an der behaarten Kopfhaut nach Bestrahlung entwickelt haben.
286 Kapitel 32 · Maligne Tumoren

32.3 Präkanzerosen und Vorstufen


32.3.1 Aktinische Keratose

Die Begriffe solare Keratose oder aktinische Keratose werden parallel


verwendet und bezeichnen die primäre Hautläsion bei älteren, licht­
exponierten Patienten. Die aktinische Keratose entspricht einer Prä­
kanzerose und drückt den akkumulativen Effekt von Sonnenlicht aus.
Die Hautläsionen sind meist diskret, scharf berandet, erythema­
tös und erscheinen makulopapulär. Außerdem stören sie die Patien­
ten evtl. wegen ihrer trockenen Erscheinung und können in der
Farbe von rötlich bis dunkelbraun und bezüglich ihrer Oberflä­
chentextur variieren. Es zeigen sich oft mehrere dieser Läsionen.
Neben dem erwähnten Erscheinungsbild ist eine anheftende Borke
häufig. Mikroskopisch finden sich Hyperkeratosen, Parakeratosen
und Dyskeratosen sowie Akanthosen. Die Kollagenstruktur der obe­ . Abb. 32.6 M. Bowen
ren Hautschichten ist gestört, es liegt nicht selten eine aktinische
Elastose vor. Ebenfalls häufig finden sich Entzündungszellen in den
angrenzenden Hautbezirken.
32 Als Differenzialdiagnose kommt der M. Bowen (das Plattenepi­ Auch aus dieser Läsion kann sich das manifeste Plattenepithel­
thelkarzinom in situ; 7 Kap. 32.3.2) und chronisch ekzematöse Haut­ karzinom entwickeln. Es kann alternativ mit lokaler Applikation von
erkrankungen, der Lichen simplex und die Psoriasis in Betracht. Die 5′-FU behandelt werden.
deutlichste Unterscheidung zwischen den Genannten und dem Kar­ Diese Läsion ist mit einer ausgezeichneten Prognose verbunden,
zinom ist der fließende Übergang der entzündlichen Hauterkran­ wenn rechtzeitig therapiert wird. Jedoch ist die Prognose schlecht,
kungen, wohingegen die karzinomatöse Erkrankung scharfe Gren­ wenn sich das Plattenenpithelkarzinom aus dieser Erkrankung ent­
zen der Läsion zur umgebenden Haut erkennen lässt. Eine weitere wickelt hat, da es dann aggressiver wächst als z. B. das aus einer ak­
Unterscheidung zu den manchmal klinisch verwirrenden Erschei­ tinischen Keratose entstandene Karzinom. Aus der Geschichte weiß
nungsformen der Nävi und seborrhoischen Keratosen ist die »aufge­ man von chronischen Arsenvergiftungen, die ein Drittel dieser Er­
setzt« wirkende benigne Hauterkrankung, wohingegen die akti­ krankungen ausmachte (»Fowlers Lösung«), die dann als Arsenke­
nische Keratose fast immer als flach und nicht erhaben erscheint. ratosen, Leukomelanoderma und mit einer hohen Inzidenz zu vis­
zeralen Karzinomen, speziell Plattenepithelkarzinomen der Lunge,
Therapie. Diese Läsionen sollten abgetragen werden. Es versteht auftraten.
sich von selbst, dass die noch gesunde restlich Haut vor der schäd­ Sollten bei einem Patienten multiple Stellen von M.-Bowen-Lä­
lichen Strahlung beschützt werden muss. Zur Abtragung kommen sionen auftreten, empfiehlt sich die Untersuchung auf Karzinome
Kürettage und Exzision in Frage, lokal kann mit 5′-Fluorourazil be­ des Gastrointestinal- oder Respirationstraktes. Aus dem negierten
handelt werden. Zur Vollständigkeit muss das chemische Peeling Befund entsteht in weiterer Folge das invasive Plattenepithelkarzi­
und die Dermabrasio genannt werden, die jedoch großteils durch die nom.
topische Verwendung von 5′-FU ersetzt wurde.
Nach genügend langer Latenzzeit wird aus der lokalen Präkan­
zerose das invasive Plattenepithelkarzinom, die Inzidenz dafür 32.3.3 Queyrat-Erythroplasie
schwankt zwischen 20 und 25%.
Dieser Begriff wird häufig dem M. Bowen der Schleimhaut gleich­
gesetzt. Die Erythroplasie findet sich häufig an der Glans penis im
32.3.2 Morbus Bowen 5.–6. Lebensjahrzehnt. Diese Läsion ist scharf umschrieben, feucht
und zeigt eine samtartige Oberfläche. Mikroskopisch entspricht sie
Diese Erkrankung findet sich in der älteren Population an sonnen- dem M. Bowen. Chirurgisch wird die Läsion exzidiert, es kann auch
und nicht sonnenexponierten Stellen. Es entspricht einem Carcino­ mit 5′-FU topisch behandelt werden. Aus dieser Erkrankung wird
ma in situ, einem intraepithelialen Plattenenpithelkarzinom. Der mit höherer Wahrscheinlichkeit ein invasives Karzinom als aus dem
M. Bowen findet sich an Epithelien oder Endothelien als solitäre klassischen M. Bowen.
Läsion und entwickelt sich im Laufe von Jahren. Klinisch imponie­
ren gerötete Hautläsionen, sie sind relativ scharf begrenzt, erythema­
tös und entsprechen blass-rosa Plaques (. Abb. 32.6). Mikroskopisch 32.3.4 Leukoplakie
kommen die Kriterien eines intraepithelialen Plattenepithelkarzi­
noms zum Tragen. Es zeigen sich Hyperkeratosen, Parakteratosen, Der »weiße Fleck« findet sich primär auf Schleimhäuten des Mundes,
Dyskeratosen und Akanthosen, ohne dermale Invasion. Als Diffe­ der Vulva oder der Vagina. Die orale Leukoplakie findet sich bei äl­
renzialdiagnose kommt das Basalzellkarzinom in Frage, die Psoria­ teren Männern mit Raucheranamnese, manchmal werden schlecht
sis, der M. Paget, die aktinische Keratose und die Leukoplakie sowie sitzende Zahnprothesen mit der Erkrankung assoziiert. Die Läsion
Lichen sclerosus et atrophicus. ist aus der umgebenden Haut erhaben, entspricht einer scharf be­
grenzten kleinen Keratinisationszone und ist generell heller als die
Therapie. Es wird empfohlen, diese Läsionen zu exzidieren. Von umgebende Haut und von unterschiedlicher Dicke. Nach längerem
dermatologischer Seite wird gelegentlich kürretiert oder elektrodis­ Bestehen kann sich der Eindruck eines verrukösen Erscheinungs­
seziert. bildes ergeben. Mikroskopisch zeigen sich wiederum die klassische
32.4 · Maligne Tumoren als Folge von natürlichen und künstlichen Strahlen
287 32
Hyperkeratose, Parakeratose, Keratose und die Akanthose, häufig 32.4.2 Xeroderma pigmentosum
begleitet von entzündlichen Komponenten in den tieferen Haut­
strukturen. Differenzaldiagnostisch kommen der Lichen planus, die Diese Erkrankung entspricht einer sehr seltenen Allgemeinerkran­
Kraurosis vulvae, die Erythroplasie und das Plattenepithelkarzinom kung, die sich mit ersten Symptomen im Kindesalter zeigt. Die Kin­
in Frage. der weisen extreme Empfindlichkeit gegenüber Sonnenstrahlen auf,
die sich als diffuse Lentigo abzeichnet und im weiteren Verlauf eine
Therapie. Kleinere Läsionen werden generell selten operativ behan­ austrocknende und ausdünnende Haut ergibt.
delt. Raucher sollten das Rauchen aufgeben, schlecht sitzender Hereditär verantwortlich ist ein Defekt des Enzyms Endonukle­
Zahnersatz sollte korrigiert werden. Sollte das Hautareal dennoch ase, ohne die die DNA-Reparaturfähigkeit des Organismus verloren
weiterhin auffällig bleiben, wird es exzidiert. geht. Es resultiert das Basalzellkarzinom oder das Plattenepithelkar­
Bei unbehandelter Läsion ergibt sich eine Malignitätsrate von zinom, sogar die Entwicklung eines Melanoms im frühen Erwachse­
15–20%. Auch hier ist die Aggressivität eines sich fakultativ ent­ nenalter ist möglich, das sehr früh zum Tod durch Metastasierung
wickelnden Karzinoms deutlich größer als die einer aktinischen Ke­ führt.
ratose.
Literatur
Balch CM, Milton GW (1985) Diagnosis of metastatic melanoma at distant
32.3.5 Keratoakanthom sites. In: Balch CM, Milton GW (eds) Cutaneous melanoma: clinical
­management and treatment results worldwide. Lippincott, Phila­
delphia, pp 221–250
Das Keratoakanthom kann auch als »Selbstheilungskarzinom« be­
Breslow A (1979) Thickness, cross-sectional areas and depth of invasion in the
zeichnet werden. Zumeist an sonnenexponierten Stellen vorkom­
prognosis of cutaneous melanoma. Ann Surg 172 (5): 902–908
mend, ist es großteils solitär. Es zeigt eine rasch wachsende Papel, die Clark WH Jr, From L, Bernardino EA, Mihm MC (1969) The histogenesis and
auf 1–2 cm Größe innerhalb von wenigen Wochen heranwachsen biologic behavior of primary human malignant melanomas of the skin.
kann. Manchmal stellt sich jedoch eine Regredienz innerhalb von Cancer Res 29 (3): 705–727
6 Monaten ein. Es wird diskutiert, ob es sich um ein Low-grade-Kar­ Brown CI, Perry AE (2000) Incidence of perineural invasion in histologically
zinom oder eine Präkanzerose handelt. aggressive types of basal cell carcinoma. Am J Dermatopathol 22 (2):
Die Läsion imponiert fleischig, erhaben, knötchenartig, mit ei­ 123–125
ner charakteristischen zentralen Keratinplombe. Signifikant ist das Dixon AY, Lee SH, McGregor DH (1989) Factors predictive of recurrence of
rasche Wachstum. Dies hilft in der Differenzialdiagnose, da rasches basal cell carcinoma. Am J Dermatopathol 11 (3): 222–232
Evans GR, Manson PN (1994) Review and current perspectives of cutaneous
Wachstum (Wochen bis wenige Monate) und Größenprogredienz
malignant melanoma. J Am Coll Surg 178 (5): 523–540
zusammen mit dem charakteristischen Erscheinungsbild die Diag­
Fitzpatrick TB (1988) The validity and practicality of sun-reactive skin types I
nose leicht stellen lassen. Hierzu sollte eine Keilexzision durchge­ through VI. Arch Dermatol 124 (6): 869–871
führt werden, wichtig ist es hierbei, einen Teil des Randwalls mit Wagner JD, Gordon MS, Chuang TY, Coleman JJ 3rd (2000) Current therapy
gesunder Haut und einen Teil des Keratinpfropfs mitzunehmen. Die of cutaneous melanoma. Plast Reconstr Surg 105 (5): 1774–99; quiz
Differenzialdiagnose wird aufgrund der Grenzfläche zur Tiefe hin 1800–1
gestellt. Mikroskopisch findet sich der Keratinpfropf, zusammen mit Wells KE, Reintgen DS, Cruse CW (1992) The current management and prog-
der Hyperplasie und der Dyskeratose des umgebenden Epithels. nosis of acral lentiginous melanoma. Ann Plast Surg 28 (1): 100–103
Häufig wird einerseits in der Literatur darauf hingewiesen, dass Wick MM, Sober AJ, Fitzpatrick TB et al. (1980) Clinical characteristics of early
diese Erscheinungen spontan verschwinden, ohne dass spezielle cutaneous melanoma. Cancer 45 (10): 2684–2686
Therapie nötig geworden sei. Andererseits sind die maligne Entar­
tung und die Entwicklung eines Plattenepithelkarzinoms möglich; es
wird zur frühen, sparsamen Exzision geraten.

32.4 Maligne Tumoren als Folge von


natürlichen und künstlichen Strahlen
32.4.1 Strahlendermatitis

Vor 50 Jahren wurden Hauterkrankungen wie Akne und Pilzinfek­


tionen des haartragenden Kopfes mit niedrigdosierter Bestrahlung
behandelt. Die daraufhin resultierende Strahlendermatitis alarmier­
te Betroffene und Behandler. Eine weitere Möglichkeit dieser Er­
krankung bestand im Auftreten an Händen, speziell den Fingern,
von Zahnärzten, die zur Anfertigung von intraoralen Röntgenauf­
nahmen die Filme selbst in der Hand zu halten pflegten. In beiden
Möglichkeiten kann sich im Laufe der Jahre aus der Strahlenderma­
titis ein Plattenenpithelkarzinom oder ein Basalzellkarzinom ent­
wickeln.
In schweren Fällen wird die Exzision empfohlen, was im Fall des
Kapillitiums die Exzision der gesamten betroffenen Kopfhaut bedeu­
tet, die dann plastisch-chirurgisch, z. B. durch Hauttransplantation
oder eine mikrochirurgische Lappenplastik gedeckt werden muss.
33

Strahlenfolgen
L.-U. Lahoda, P.M. Vogt

33.1 Ätiologie – 290

33.2 Klinik – 290


33.2.1 Akute Strahlenfolgen – 290
33.2.2 Subakute Strahlenfolgen – 290
33.2.3 Chronische Strahlenfolgen – 290

33.3 Therapeutisches Vorgehen – 291


33.3.1 Chirurgische Behandlung – 291

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
290 Kapitel 33 · Strahlenfolgen

Strahlenfolgen der Haut entstehen durch akute oder chronische Ein-


wirkung ionisierender Strahlen. Die dadurch hervorgerufenen Ver-
änderungen betreffen je nach Stärke und Dosis
4 die Haut,
4 das darunterliegende Subkutangewebe oder
4 tiefe Strukturen wie den Knochen.

Bereits kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 wusste


man um deren mögliche schädliche Folgen, da bereits 1902 ein mit
einem Röntgengerät beschäftigter Arbeiter Malignome an der Haut
der Hände aufwies. In den 1920-er Jahren fand sich stark vermehrt
Hautkrebs bei Uranminenarbeitern und Arbeitern von Uhrenfab-
riken, die Radium auf Ziffernblätter pinselten.
> Die häufigste Ursache von therapiebedürftigen Strahlen­­
folgen liegt heute in der therapeutischen Anwendung,
­seltener im Rahmen der Arbeitsexposition oder Umwelt­
strahlung.

33.1 Ätiologie
33 Ionisierende Strahlung führt direkt zu DNA-Schäden. Daraus resul-
tiert Apoptose (programmierter Zelltod) oder indirekt über Störun­
gen des Zellzyklus zeitnah zur applizierten Strahlung der Zelltod.
Langfristig entwickelt sich im bestrahlten Gewebe eine Fibrose.
Der dahinterstehende Pathomechanismus ist noch ungeklärt, wobei . Abb. 33.1 Akute Strahlenfolge nach Radiatio eines resezierten Weich-
proinflammatorische und profibrotische Zytokine eine Rolle spielen. teilsarkoms (t2 N0 M0 R0) mit akutem Strahlenerythem und Wundheilungs-
Eine Möglichkeit ist der Tumornekrosefaktor α (TNF-α). störung im Wundrand eines medialen gestielten Gastroknemiuslappens
Die resultierende Gewebefibrose ist im Laufe der Zeit progre-
dient. Die lebenslange Vulnerabilität der Haut stellt die Hauptur­
sache für Wundheilungsstörungen dar. Eine Charakteristik des fraktioniert bestrahlten Gewebes ist die
resultierende Hyperpigmentation und das »hölzerne« Erscheinungs-
bild der Haut. Die Folgen am Gefäßsystem sind histologisch wie folgt
33.2 Klinik charakterisiert:
4 Reduktion der glatten Muskulatur,
Man unterscheidet 4 vermehrte Kollagenfasern mit verdickten Gefäßwänden,
4 akute, 4 hyaline Degeneration und zerfallene Elastinfasern,
4 subakute und 4 Dehiszenzen im endothelialen Verband,
4 chronische Strahlenfolgen. 4 eine fibrinoide Nekrose und
4 Bildung von Mikrothromben in den Endgefäßen, die einen
­Sauerstoffaustausch behindern, ebenso wie die Wirkung von
33.2.1 Akute Strahlenfolgen Medikamenten, z. B. Antibiotika.

Akute Schäden entstehen heute fast nur noch im Rahmen von indus-
triellen Unfällen. Die erhaltene Strahlung bewegt sich im Rahmen 33.2.3 Chronische Strahlenfolgen
von 5000-10.000 rad. Der sofortige Effekt an der Haut entspricht dem
eines Sonnenbrandes mit Rötung und Jucken der Haut, Zerstörung Chronische Bestrahlungsfolgen können durch wiederholte, langfris-
der Basalzellen der Dermis, mit allerdings langsamerem Beginn und tige Exposition bedingt sein. Die Folgen entsprechen den subakuten
langsamerem Progress als bei einem thermischen Schaden allein. Es Verläufen mit allerdings vermehrter Ausbildung des Gefäßschadens
folgen ein persistierendes oder wiederkehrendes Erythem, Ödem und einer daraus ggf. resultierenden Gewebenekrose (. Abb. 33.2).
und damit verbunden Schmerz, Jucken und evtl. Desquamation.
Derartige offene Wunden können zur Infektion mit entspre- > Entsprechend dem erwähnten progressiven Charakter der
chenden lokalen oder systemischen Folgen führen (. Abb. 33.1). Strahlenfolgen und der dadurch entstehenden Wunden
muss festgehalten werden, dass diese Ulzerationen jeder­
zeit nach Bestrahlung auftreten können und in Größe und
33.2.2 Subakute Strahlenfolgen Ausdehnung von stecknadelkopfgroß bis hin zu imponie­
render Größe vorliegen können.
Die subakute Form unterscheidet sich von der akuten dadurch, dass
durch fraktionierte Applikation die absorbierte Energie geringer ist
und das damit verbundene Erythem und Ödem nur transient auf-
tritt. Die Bildung von Nekrosen ist eher ungewöhnlich.
33.3 · Therapeutisches Vorgehen
291 33
Lokal besteht eine hypoxische Situation. Die Schäden in Gewebe und
Gefäßen sowie gestörte Granulozytenfunktionen führen zu einer
eingeschränkten Infektresistenz in bestrahltem Gewebe. Die Gewe-
bepenetration von Medikamenten wie Antibiotika ist deutlich her-
abgesetzt.
Die Osteoradionekrose stellt ebenfalls eine besondere Heraus-
forderung dar, da sequestrierende Defekte mit chronischem, tieflie-
gendem Infekt die radikale Entfernung des avitalen Knochens erfor-
dern. Am Thorax entstehen mitunter Grenzensituationen durch
drohende erhebliche Instabilitäten.
Die äußerst schmerzhaften Strahlenlulzera lassen sich als Folge
chro­nischer Ischämieschmerzen interpretieren. Dementsprechend
sind viele dieser Patienten als chronische Schmerzpatienten zu betrach-
ten und zu behandeln. Hier ist ein Schmerzmanagement erforderlich,
das neben der physischen auch die psychische Komponente beinhaltet.

. Abb. 33.2 Chronische Strahlenfolge nach Radiatio eines Hämangioms 33.3.1 Chirurgische Behandlung
der Nasenregion im Säuglings- und Kleinkindesalter. Jetzt massive
Schrumpfung der Weichteile sowie des knorpeligen und knöchernen Die Problematik der gestörten Wundheilung, der Infektion und der
Nasenskelettes malignen Entartung spielt für den Chirurgen eine große Rolle in der
Behandlung dieser Patienten.
In der präoperativen Planung ist davon auszugehen, dass das
33.3 Therapeutisches Vorgehen definitive heilungsgestörte Problemfeld weiträumiger geschädigt ist
als das initiale Bestrahlungsfeld. Demnach sollte eine weite Aus-
Therapeutische Interventionen haben folgende Ziele: schneidung angestrebt werden, die als Ziel hat, Wundränder mit
4 Infektprophylaxe oder Infekttherapie, punktförmigen, durchbluteten Rändern zu erzeugen.
4 Schmerzkontrolle,
> Eine spannungsfreie Wundadaptation ist anzustreben.
4 Behandlung oder Prävention von Malignomen im Strahlenfeld,
4 Wundverschluss. Die Möglichkeit der Spalthauttransplantation ist üblicherweise zum
Scheitern verurteilt, demnach bleiben nur lokale oder regional
! Cave gestielte Lappenplastiken oder der freie Gewebetransfer. Diese
Der Behandlungsplan muss berücksichtigen, dass weit ­bringen ihre eigene Blutversorgung mit, wovon auch das Wundbett
größere Areale des Bestrahlungsfeldes geschädigt sein sekundär profitiert (. Abb. 33.3).
können, als von außen sichtbar ist. Es ist davon auszugehen, dass die Komplikationsrate von Lap-
penplastiken durch fehlenden Anschluss an das bestrahlte Wundbett
Das Gewebe mag unauffällig aussehen, die Heilung nach einer (besonders bei intraoperativer Hochdosisradiatio), aber auch nach
­Operation kann dennoch desaströs verlaufen. Vor allem hinterlässt freiem Gewebstransfer bei Durchführung der Mikroanastomosen in
tiefenwirksame Strahlung wie die früher angewandte Telcobalt- bestrahltem Gebiet erhöht ist.
­Therapie in tiefen Gewebeschichten ausgedehnte Defekte (Kno- Intraoperativ kann mit folgenden Komplikationen und Hinder-
chennekrosen, Lungenfibrose etc.). Damit ist immer eine plastische nissen gerechnet werden:
Defektdeckung mit gut vaskularisierten Transplantaten erforderlich, 4 vermehrte Blutungsneigung durch vaskuläre Fibrosierung,
um exponierte wichtige Strukturen (z. B. Gefäße, Nerven, Gelenke) 4 »zerbrechlichere« und empfindlichere Anschlussgefäßen bei
zu bedecken. Gewebetransplantationen,
4 erhöhte Infektrate,
> Präoperativ muss neben dem Routinelabor auf einen gu­
4 verzögerte Heilung.
ten Ernährungszustand des Patienten geachtet werden.
Bei Eingriffen am Thorax ist eine präoperative intensive Atemgym- Die Deckung ist meist nur durch gut durchblutete gestielte Lappen
nastik erforderlich, die v. a. postoperativ konsequent weitergeführt oder mikrochirurgische Lappen sinnvoll durchführbar.
werden muss. Um exakt präoperativ planen zu können, sind Nativ- Postoperative Komplikationen wie Serome, Hämatome und De­
röntgenaufnahmen, ergänzt durch CT und MRT, erforderlich. Gege- hiszenzen erfordern rasches Handeln. Sollte die Operation bei Vorlie-
benenfalls sind diese Untersuchungen zu ergänzen durch Angio­ gen eines Malignoms im Strahlenfeld durchgeführt worden sein, muss
graphien, wenn Unklarheiten über den lokalen Gefäßstatus besteht engmaschig onkologisch nachbehandelt und kontrolliert werden.
oder insbesondere dann, wenn eine freie Gewebetransplantation ge-
plant ist. Komplikationen
Durch eine vorherige Biopsie eines suspekten Ulkus lässt sich Spezielle postoperative Komplikationen entstehen dadurch, dass
ein Rezidivtumor oder Zweitmalignom (Fibrosarkom im Strahlen- 4 ein nicht erkanntes Malignom vorliegt,
feld) ausschließen. 4 aufgrund technischer Schwierigkeiten bestrahltes (infiziertes)
Restgewebe verblieben ist und Probleme verursacht,
> Instabile Hautverhältnisse, chronische Infektionen und 4 mechanische Beanspruchung anders als in gesundem Gewebe
Inflammation können die Entwicklung eines Malignoms oft sofort zu Komplikationen führt und
begünstigen. 4 bakterielle Infektionen häufig sind.
292 Kapitel 33 · Strahlenfolgen

. Abb. 33.3a–d Strahlenfibrose nach axillärer Lymphknotenbestrahlung


nach Ablatio mammae mit schmerzhafter Axillenkontraktur. Zustand nach
Latissimus-dorsi-Transfer zur Behandlung eines Thoraxwandulkus vor Jah-
ren (a). Nach Exzision der Strahlenfibrose und axilläre Neurolyse bei fibroti-
scher Affektion des subaxillären Plexus Defektdeckung mittels dorsalem
Oberarmlappen (b, c). Freie schmerzlose Beweglichkeit und ungehemmte
Abduktion nach Einheilung des Transplantates (d)

33

b c d

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VI

Weichteiltumoren
P. Vogt

Kapitel 34 Benigne Weichteiltumoren – 295


B. Weyand

Kapitel 35 Gefäßanomalien – 299


B. Weyand

Kapitel 36 Maligne Weichgewebstumoren des Stammes


und der Extremitäten – 303
P.M. Vogt
Weichgewebstumoren lassen sich histologisch sowohl der benignen als auch der malignen Gruppe zuordnen. Die
häufigeren benignen Läsionen lassen sich gelegentlich durch Magnetresonanztomographie anhand morpho-
logischer Kriterien von malignen Veränderungen unterscheiden. Letztendlich wird erst eine Biopsie die Art der
Diagnose verbindlich stellen können.
Bei den malignen Weichgewebstumoren bestehen aufgrund ihrer Seltenheit nur begrenzte Erfahrungen, es sei
denn, diese Tumoren werden in Schwerpunktzentren behandelt. Als erschwerend bei der Diagnostik kommt die
erstaunliche histologische Vielfalt hinzu, die heutzutage spezifische immunhistochemische und molekulare Dia-
gnostik erfordert. Bei einem bösartigen Weichgewebstumor ist die radikale gliedmaßen- und funktionserhaltende
Resektion heute Standard, wobei lokale Radikalität, Tumorgröße und Rezidiv wesentliche prognostische Faktoren
darstellen.
34

Benigne Weichteiltumoren
B. Weyand

34.1 Übersicht und Klassifikation – 296

34.2 Diagnostisches Vorgehen – 296

34.3 Operationstechnik – 296

34.4 Postoperatives Management – 297

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


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296 Kapitel 34 · Benigne Weichteiltumoren

34.1 Übersicht und Klassifikation


. Tab. 34.1 Charakteristische zytogenetische Aberrationen in
Zu den Weichteiltumoren werden alle Neubildungen gerechnet, Weichteiltumoren
die von nichtepithelialen, mesenchymalen Geweben ausgehen.
­Ausgenommen hiervon sind Neubildungen des Monozyten-Ma- Gutartiger Charakteristisches Häufigkeit
Weichteiltumor zyto­genetisches Event
krophagen-Systems, der Glia und des Stützgewebes viszeraler Or-
gane. Benignes Schwannom Monosomie 22 50%
Die jährliche Inzidenz von gutartigen Weichteiltumoren liegt
bei 300/100.000 Einwohner, während maligne Weichteiltumoren Desmoidtumor Trisomie 8 25%
mit einer jährlichen Inzidenz von ca. 2/100.000 Einwohner wesent- Deletion von 5q 10%
lich seltener auftreten. Hinsichtlich der Lokalisation stehen an erster
Lipoblastom Rearrangement von 8q >25%
Stelle die stammnahen unteren Extremitäten (ca. 45%), gefolgt von
Rumpf, oberen stammnahen Extremitäten, Retroperitoneum, Kopf Solitäres Lipom Rearrangement der Banden 75%
und Hals (alle ca. 10%) und Mediastinum (ca.1%). Bezüglich der 12q14-15
Ätiologie von Weichteiltumoren sind einige genetische Erkran- Rearrangement von 6p 10%
kungen und Mutationen nachgewiesen, welche prädisponierend für
die Entstehung bestimmter gutartiger oder bösartiger Weichteiltu- Deletion von 13q 10%
moren sein können (. Tab. 34.1). Uterines Leiomyom t(12;14) (q15;q24) 20%
Die Pathogenese zeigt in der Regel ein Tumorwachstum nach
Deletion von 7q 15%
zentripetal, in wenigen, beispielsweise fibrösen Weichteiltumoren
kann sich auch ein longitudinales Wachstum entlang von Faszien- Trisomie 12 10%
schichten zeigen. Histomorphologisch zeigen sich gut differenzierte
Zellen mit einer den Tumor von der Umgebung abgrenzenden Pseu-
dokapsel. Die WHO-Klassifikation der Weichteiltumoren erfolgt
34 anhand eines histologischen Vergleiches der Tumorzellen zu gesun- genheit, Leistungsminderung, Appetitverlust, Gewichtsverlust oder
dem Gewebe, wobei zur genauen Klassifikation oft spezielle Unter- nächtliche Schweißausbrüche sowie eine Malignom- und Trauma­
suchungsverfahren wie Immunochemie, Zytogenetik, Elektronen- anamnese erhoben werden. Bei der klinischen Untersuchung wird
mikroskopie und molekulare Untersuchungen erforderlich sind. die Lokalisation, Größe, Konsistenz und Verschieblichkeit des Tu-
Die Stadieneinteilung gutartiger Weichteiltumoren nach dem mors untersucht. Zudem sollte auf die periphere Durchblutung und
Grad ihrer Aktivität erfolgt nach der Musculoskeletal Tumor Society Sensibilität geachtet werden sowie auf regionäre Lymphknoten-
in 3 Stadien (. Übersicht). schwellungen.
In der Bildgebung sollte bei knochennaher Lokalisation eine
Röntgenaufnahme erfolgen sowie eine Sonographie zur Darstel-
Stadieneinteilung gutartiger Weichteiltumoren nach der
lung des Tumors und der umgebenden Strukturen. Bei Verdacht
Musculoskeletal Tumor Society
auf einen benignen Prozess und einer Tumorgröße <3–5 cm kann
4 Im Stadium I (inaktives oder latentes Stadium) zeigen sich eine extrakapsuläre Exzisionsbiopsie (evtl. auch mit intraopera-
klinisch keine Symptome und keine Größenzunahme des tivem Schnellschnitt) erfolgen. Bei Verdacht auf einen malignen
Tumors, ein Beispiel hierfür kann ein Lipom sein. Prozess (klinische Warnsignale sind u. a. ein rasches Wachstum des
4 Das Stadium II (aktives Stadium) beinhaltet klinische Symp- Tumors, Schmerz, eine derbe Konsistenz und Unverschieblichkeit
tome und eine Größenzunahme der Läsion, beispielsweise des Tumors sowie eine tiefe Lokalisation und allgemeine Tumorzei-
bei einem Hämangiom. chen) oder wenn die Tumorgröße >3–5 cm beträgt, sollte eine Kern-
4 Das Stadium III (aggressives Stadium) zeichnet sich durch spintomographie mit Kontrastmittel erfolgen und eine Vorstellung
eine rasche Größenzunahme des Tumors mit Infiltration des Patienten in einem spezialisierten Zentrum zur Durchführung
benachbarter Gewebe und entsprechender Symptomatik einer Inzisionsbiopsie oder Feinnadelstanzbiopsie mit nachfol-
aus, hier wäre als Beispiel die aggressive Fibromatose zu gender histologischer Untersuchung (7 Kap. 36).
nennen.

34.3 Operationstechnik
Gutartige Weichteiltumoren metastasieren nicht. Die Rezidivrate ist
abhängig von der Agressivität und Art des Weichteiltumors, der Lo- Kleinere inaktive, über längere Zeit unverändert bestehende Tumo-
kalisation und der Radikalität der chirurgischen Resektion, wobei es ren (Stadium I) können durch regelmäßige Beobachtung kontrol-
mitunter schwierig sein kann, z. B. bei Fibromatosen, zwischen Re- liert werden. Bei aktiven Tumoren (Stadium II), die eine Größen­
zidiv und Neuerkrankung zu unterscheiden. zunahme oder eine lokale Verdrängungssymtomatik zeigen, ist die
chirurgische Therapie angezeigt.
Weichteiltumoren sind in der Regel durch eine reaktive Randzo-
34.2 Diagnostisches Vorgehen ne umgeben, die als Pseudokapsel imponiert. Bei benignen Tumoren
mit einer Größe <3–5 cm sollte die Tumorentfernung in toto durch
Die Basisdiagnostik bei einem unklaren Weichteiltumor beinhaltet Mitnahme der Pseudokapsel als Exzisionsbiopsie erfolgen, was einer
zunächst eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung. marginalen Exzision entspricht. Oberflächlich gelegene kleine Tu-
Anamnestisch sollten die Art der Beschwerden, der Zeitraum seit moren können oft unter Lokalanästhesie adäquat entfernt werden.
Auftreten des Tumors sowie der Größenzunahme, allgemeine Tu- Bei tiefer, subfaszial oder intramuskulär gelegenen Tumoren (z. B.
morzeichen (sog. B-Symptomatik) wie Fieber, Schwäche, Abgeschla- intramuskuläres Lipom) oder problematischen anatomischen Loka-
34.4 · Postoperatives Management
297 34

. Tab. 34.2 WHO-Klassifikation der Weichteiltumoren

Herkunftsgewebe Benigne Intermediär Maligne

Fettgewebe 4 Lipom (und Varianten) 4 Hochdifferenziertes Liposar- 4 Liposarkom (und Subtypen)


4 Lipomatose kom
4 Lipoblastoma 4 Atypischer lipomatöser Tumor
4 Hibernoma

(Myo)fibroblastisches 4 Noduläre Fasziitis 4 Superfiziale Fibromatose (pal- 4 Fibrosarkom (und Subtypen)


Gewebe 4 Proliferative Fasziitis mar/plantar) 4 Myxofibrosarkom
4 Proliferative Myositis 4 Fibromatose vom Desmoidtyp
4 Myositis ossificans 4 Lipofibromatose
4 Elastofibroma 4 Fibroses/lipomatöses Häman-
4 Fibromatosis (und Subtypen) gioperizytom
4 Sehnenscheidenfibrom 4 etc.
4 etc.

Fibrohistiozytäres 4 Riesenzelltumoren der Sehnen- 4 Plexiformer fibrohistiozytärer 4 Pleomorphes Sarkom/malignes


Gewebe scheiden Tumor fibröses Histiozytom (MFH)
4 Riesenzelltumor vom diffusen 4 Riesenzelltumor des Weichteil- 4 Riesenzellsarkom/Riesenzell-MFH
Typ gewebes 4 Inflammatorisches Sarkom/-MFH
4 Benignes fibröses Histiozytom

Glatt gestreiftes 4 Leiomyom (und Varianten) 4 Leiomyosarkom (und Varianten)


Muskelgewebe

Skelettmuskulatur 4 Rhabdomyom (und Varianten) 4 Rhabdomyosarkom (und Varianten)

Vaskuläres Gewebe 4 Hämangiom (und Subtypen) 4 Hämangioendothelioma 4 Epitheloides Hämangioendothelioma


4 Angiomatose (und Varianten) 4 Angiosarkom
4 Lymphangiom 4 Kaposi-Sakom

Perivaskuläres Gewebe 4 Glomustumor (und Varianten) 4 Malignes Hämangioperizytom

Chondroossäres Gewebe 4 Chondrom 4 Mesenchymales Chondrosarkom


4 Extraskelettales Osteosarkom

Unklar 4 Intramuskuläres Myxom (und 4 Angiomatöses fibröses Histio- 4 Synovialsarkom


Varianten) zytom 4 Epitheloides Sarkom
4 Pleomorphologischer hyalinisie- 4 Myoepithelioma 4 Klarzellsarkom
render angioektatischer Tumor 4 Ossifizierender fibromyxoider 4 Primitiver neuroektodermaler Tumor
Tumor (PNET)/extraskelettaler Ewing-Tumor
4 etc.

Histomorphologische Klassifizierung der Weichteiltumoren nach der WHO-Klassifikation (2002).

lisationen (z. B. Axilla) sollte die Tumorentfernung in Allgemein- therapie empfohlen, um das Lokalrezidivrisiko zu vermindern. Gut-
oder Regionalanästhesie durchgeführt werden. Eine histologische artige Tumoren des Stadiums I oder II, die in toto chirurgisch rese-
Untersuchung des entnommenen Gewebes ist obligat. ziert wurden, rezidivieren in der Regel nicht.
Bei aggressiven Weichteiltumoren (Stadium III) wie beispiels- Beim Desmoid oder der aggressiven Fibromatose handelt es sich
weise Desmoidtumoren ist aufgrund ihres infiltrativen Wachstums um einen strahlenresistenten Tumor aus der Gruppe der Fibromato-
eine weite Resektion mit Mitnahme des umgebenden gesunden Ge- sen, der sich an Muskelfaszien bildet und aufgrund seines infiltrie­
webes erforderlich. Hier können aufwendige plastische Rekonstruk- renden Wachstums zu den niedrigmalignen Sarkomen gezählt wird.
tionen (z. B. nach Resektion eines Desmoidtumors der Bauchwand) Therapie der Wahl ist die Operation, soweit der Tumor entfernt wer-
notwendig werden. Bei Infiltration des Tumors von Nerven- oder den kann, ohne Organe oder Gliedmaßenfunktionen zu gefährden.
Gefäßsträngen ist oft nur eine marginale Resektion möglich. Bei Anderenfalls oder bei Rezidiven folgt eine Chemotherapie, in vielen
Tumoren der Nervenscheide kann eine interfaszikuläre Neurolyse Fällen ist auch eine antihormonelle Therapie (z. B. Tamoxifen) oder
mit mikrochirurgischer Entfernung des Tumors mitsamt dem Peri- Therapie mit Entzündungshemmern (Indometacin oder Sulindac,
neurium durchgeführt werden. beides sind COX-2-Hemmer).
Zeigt sich in der histologischen Diagnostik eines ursprünglich
als benigne eingeschätzten Tumors Anhalt für Malignität, sollte wei-
34.4 Postoperatives Management tere regionale Diagnostik (CT, MRT) sowie ein Staging erfolgen so-
wie nach Zuweisung in ein Tumorzentrum eine chirurgische Nachre-
Bei aggressiven gutartigen Weichteiltumoren wird in einigen Fällen sektion und die Vorstellung des Falles in einer interdisziplinären
eine adjuvante Nachbehandlung durch Strahlen- oder Hormon­ Tumorkonferenz (7 Kap. 36).
298 Kapitel 34 · Benigne Weichteiltumoren

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34
35

Gefäßanomalien
B. Weyand

35.1 Übersicht und Klassifikation – 300


35.1.1 Gefäßfehlbildungen – 300
35.1.2 Gefäßtumoren – 300

35.2 Diagnostik – 301

35.3 Behandlungsstrategien und Operationstechniken – 301

35.4 Postoperatives Management – 302

35.5 Postoperative Komplikationen – 302

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
300 Kapitel 35 · Gefäßanomalien

35.1 Übersicht und Klassifikation oder als in der Haut befindliche intrakutane Bläschen (mikrozysti-
sche Form) imponieren. Eine Sonderform ist das Klippel-Trenaun-
Gefäßanomalien beinhalten Gefäßfehlbildungen (oder vaskuläre ay-Weber-Syndrom mit kapillären oder lymphatisch-venösen Mal-
Malformationen) und Gefäßtumoren (vaskuläre Tumoren), zu de- formationen einer Extremität, einhergehend mit Hypertrophie des
nen auch die Gruppe der Hämangiome zählt. Die neuere Klassifika- Knochens und der Weichteilstrukturen und Varikosis.
tion nach der International Society for the Studies of Vascular Ano- Die rasch durchflossenen Gefäßmalformationen bestehen aus
malies (ISSVA) berücksichtigt die jeweiligen biologischen Eigen- Arterien und Venen, welche entweder als sog. AV-Fistel mit einem
schaften wie Zelltypen, Zellproliferation und Hämodynamik der direkten arteriovenösen Übergang verbunden sind oder als sog. AV-
vaskulären Anomalien (. Tab. 35.1). Malformation über einen Nidus von Gefäßkanälen miteinander
verbunden sind.

35.1.1 Gefäßfehlbildungen
35.1.2 Gefäßtumoren
Gefäßfehlbildungen oder vaskuläre Malformationen sind angebore-
ne Anomalien, die bei Geburt vorhanden sind, jedoch nicht unbe- Benigne Tumoren. Im Gegensatz zu den Malformationen sind
dingt in voller Ausprägung, und daher nicht immer unmittelbar er- Hämangiome gutartige Gefäßtumoren des Kindesalters mit einer
kennbar sind. Sie zeigen im weiteren Verlauf eine Größenzunahme hohen zellulären Proliferationsrate im 1. Lebensjahr, die in den fol-
proportional zum Körperwachstum. Vaskuläre Malformationen un- genden Jahren in der Mehrzahl der Fälle eine langsame, spontane
terscheiden sich hinsichtlich der beteiligten Gefäßsysteme wie Blut- Involution erfahren (. Abb. 35.1). Säuglingshämangiome können
oder Lymphgefäße und ihrer Strömungseigenschaften. Die Gefäß- bei Geburt vorhanden sein, treten aber in der Regel erst in den ersten
fehlbildungen zeichnen sich durch fehlende zelluläre Proliferation Lebenswochen auf. Das »klassische« Hämangiom ist kutan gelegen.
ohne spontane Regression der Gefäßkanäle aus. Zu Beginn ist häufig eine hellrote Makula mit kleinen Teleangiekta-
Die venösen Malformationen, die zu den langsam durchflosse­ sien und umgebender Vasokonstriktion (»weißer Rand«) zu sehen.
nen Malformationen zählen, sind in der Regel kompressibel, zeigen In der etwa 6–8 Monate dauernden Proliferationsphase entwickelt
keine Überwärmung oder Pulsation und weisen eine bläuliche Ver- sich dann eine Erdbeeren-artige, oft überwärmte, erhabene Schwel-
färbung der Haut auf. Kapilläre Malformationen sind gekennzeich- lung, der sich eine Regressionsphase bis etwa zum 10. Lebensjahr
net durch charakteristische kutane Teleangiektasien (z. B. Naevus anschließt. Tiefliegende, subkutane Hämangiome sind wesentlich
35 flammeus bei Sturge-Weber-Syndrom), während lymphatische Mal­ seltener und haben ein bläuliches oder farbloses Erscheinungsbild.
formationen als hygromartige Schwellung (makrozystische Form) Die Inzidenz von Hämangiomen beträgt etwa 10% in der weißen
Bevölkerung. Sie ist erhöht bei Frühgeborenen, und Mädchen sind
etwa 3-mal so häufig wie Jungen betroffen.
. Tab. 35.1 Klassifikation der Gefäßanomalien Bei der benignen neonatalen Hämangiomatose treten zahl-
reiche Hämangiome im Hautbereich auf, während bei der multiplen
Gefäßanomalie Bemerkungen neonatalen Hämangiomatose die Hämangiome nicht nur im
Hautniveau zu finden sind, sondern auch innere Organe wie Leber,
Benigne Hämangiome Kutan (ehemals: kapillär) Lunge und Gastrointestinaltrakt befallen und durch Blutungen oder
Gefäß- Subkutan (ehemals: kavernös) Organversagen zu einem plötzlichen, frühzeitigen Tod führen kön-
tumoren Mischform (kapillär-kavernös)
nen. Das Kasabach-Meritt-Syndrom ist ein seltenes lebensbedroh-
Hämangiomatose Benigne neonatale liches Phänomen, bei dem es in einem schnell wachsenden Gefäß­
Hämangiomatose tumor oder multiplen Angiomen durch Sequestration von Thombo-
Multiple neonatale zyten und Gerinnungsfaktoren zu einer massiven Verbrauchskoagu-
Hämangiomatose lopathie mit Blutungskomplikationen kommt.
Glomustumor Zu der Gruppe der benignen Gefäßtumoren gehören auch
4 die Glomustumoren, die als kleine, bläulich schimmernde, oft
Granuloma pyognicum
druckschmerzhafte kutane Knötchen an den Extremitäten, gern
»Tufted angioma« auch subungual, imponieren,
Seniles Angiom
4 das Granuloma pyogenicum, eine rasch wachsende, leicht blu-
tende, benigne Kapillarproliferation meist ohne Rückbildungs-
Hämangioperizytom tendenz,
Maligne Kaposi-Sarkom 4 sog. büschelförmige Hämangiome oder »tufted angiomas« und
Gefäß- 4 senile Angiome.
Angiosarkom
tumoren
Lymphangiosarkom Weitere benigne Gefäßtumoren können oft nur histologisch dia-
gnostiziert werden, z. B. das Hämangioperizytom.
Gefäß- Mit langsamem Fluss Venöse Malformation
malfor- Kapilläre Malformation
mationen Lymphatische Malformation Maligne Tumoren. Bezüglich der malignen Gefäßtumoren wird auf
4 makrozystische Form 7 Kap. 36 (»Maligne Weichteiltumoren«) sowie auf die weiterführen-
4 mikrozystische Form de Literatur verwiesen.
Mit schnellem Fluss AV-Malformation
AV-Fistel
Arterielle Malformation
35.3 · Behandlungsstrategien und Operationstechniken
301 35
wachsen proportional zum Körperwachstum. Dabei scheint der
Zeitpunkt des Auftretens abhängig von der Art der vaskulären Fehl-
bildung zu sein: Während kapilläre Malformationen gewöhnlich bei
der Geburt in Erscheinung treten und lymphatische Malforma­
tionen entweder bei Geburt oder in der Mehrzahl der Fälle während
des 1. Lebensjahres, treten venöse Malformationen jederzeit zwi-
schen Geburt und früher Adoleszenz auf, wohingegen arterielle und
AV-Malformationen sich gern während hormoneller Umstellungs-
phasen im Rahmen der Pubertät oder einer Schwangerschaft be-
merkbar machen.

Klinische Untersuchung. Bei der klinischen Untersuchung werden


Farbe der Läsion, Gefäßzeichnungen, eine mögliche »Ausdrückbar-
keit« der Läsion, Temperaturdifferenzen, ein Gefäßschwirren sowie
Umfangs- oder Längendifferenzen der betroffenen Extremität be­
a
urteilt.

Bildgebende Verfahren. Informationen über Flussrichtungen, ar-


terielle und venöse Druckverhältnisse und Analyse der Hämodyna-
mik sind über den farbkodierten Ultraschall-Doppler erhältlich.
Röntgenuntersuchungen der Extremitäten geben Hinweise auf Phle-
bolithen, Knochenveränderungen oder Längendifferenzen. Eine
Angio­graphie gibt Hinweise über die arterielle Gefäßsituation bei
AV-Malformationen, ist jedoch zur Diagnostik von venösen oder
lymphatischen Malformationen in der Regel nicht indiziert. Eine
Kernspintomographie oder als Sonderform die Angio-MRT-Unter-
suchung geben Hinweise auf die Tiefenausdehnung der Läsion und
die Beziehung zu umliegenden und Gefäßstrukturen.

b
35.3 Behandlungsstrategien
und Operationstechniken
Die Behandlungsstrategien bei Gefäßanomalien unterscheiden sich
zunächst grundsätzlich darin, ob ein Gefäßtumor wie eine Säug-
lingshämangiom mit spontaner Involutionstendenz oder eine Ge-
fäßmalformation ohne Rückbildungstendenz besteht.
Eine Therapie bei Hämangiomen ist immer indiziert, wenn es
sich um eine funktionelle Beeinträchtigung mit Einschränkung des
Visus, des Hörvermögens oder der Atemwege handelt oder es sich
gar um eine lebensbedrohliche Komplikation wie das Kasabach-Me-
ritt-Phänomen mit Verbrauchskoagulopathie und Herzinsuffizienz
mit drohendem Kreislaufversagen handelt. Hier kommen syste-
mische oder topisch applizierte Steroide zum Einsatz, in schweren
Fällen auch Interferon-α-2a, Embolisation, Chemotherapie mit
Cyclophosphamid oder Vincristin, Strahlentherapie sowie chirur-
c gische Maßnahmen.
. Abb. 35.1a–c Kindliches Hämangiom der rechten Orbita: Spontane
Die zuvor postulierte »Therapie des Zuwartens« bei Säuglings-
Regression, zurückhaltende chirurgische Korrekturen hämangiomen ist in den letzten Jahren zunehmend einer früh­
zeitigen Behandlung durch Lasertherapie gewichen, da es in der
Involutionsphase durchaus zur Ausbildung von Narben, Hypopig-
mentationen oder überschüssigen häutigen Anhängseln kommen
35.2 Diagnostik kann.
Die Lasertherapie erfordert in der Regel mehrere Sitzungen in
Anamnese. An erster Stelle bei der Diagnose vaskulärer Anomalien regelmäßigen Abständen von 4–8 Wochen sowie aufgrund der
steht die klinische Beurteilung. In der Anamnese sollte der Zeitpunkt Schmerzhaftigkeit in der Regel eine Kurznarkose. Als geeignet für
des erstmaligen Wahrnehmens der Veränderung, das Wachstums- die Behandlung oberflächlicher, plaqueartiger Hämangiome in
verhalten der Läsion, Schmerz und eventuelle Ausfallserscheinungen einem frühen Entwicklungsstadium hat sich der blitzlampenge-
einer Extremität oder Funktion erfragt werden. Hämangiome zeich- pumpte gepulste Farbstofflaser (FLDL) erwiesen, der auch beim
nen sich durch sehr rasches Wachstum sowie das Auftreten meist in Naevus flammeus die Methode der Wahl ist. Kleine, oberflächliche
den ersten Lebenswochen aus. Vaskuläre Malformationen können, Läsionen können auch mit lokaler Kryotherapie (flüssiger Stickstoff
obwohl bei Geburt vorhanden, sich auch spät manifestieren und oder Kohlendioxid) behandelt werden.
302 Kapitel 35 · Gefäßanomalien

Subkutane oder tiefe interstitielle Hämangiome können mit dem tionen bestimmt der Zeitpunkt des Eingriffes das Ergebnis mit: So
kontinuierlich betriebenen (cw) Nd:YAG Laser perkutan unter stän- beträgt die Erfolgsrate der chirurgischen Behandlung in der Ruhe-
diger Kühlung mit Eiswürfeln oder interstitiell über eine durch eine phase (nach Schobinger) 75% und nimmt im Verlauf der weiterge-
Punktionskanüle geführte dünne Glasfaser behandelt werden, wobei henden Stadien wie der Evolutionsphase, der Phase der Destruktion
bei letzterem Verfahren eine sonographische Kontrolle empfohlen bis hin zum Stadium der Dekompensation kontinuierlich ab. Der
wird. Unterschieden werden sollte dieses Verfahren von dem lang- Einsatz von topischen Steroiden, beispielsweise im Augenbereich,
gepulsten frequenzverdoppelten Nd:YAG-Laser (532 nm, bis 50 ms) kann zu lokalen Nekrosen, Infektionen, Weichteilatrophie, Augap-
mit einer oberflächlichen Reichweite, der zur Behandlung von Tele- felpenetration bis hin zur Erblindung führen. Die Anwendung von
angiektasien, Spider-Nävi und Naevi flammei sowie ebenfalls bei Interferon-α-2a kann zu unerwünschten neurologischen Kompli­
oberflächlichen Säuglingshämangiomen eingesetzt werden kann. kationen führen. Ebenso verursachen auch weitere der bei gravie­
Der früher verwendete Argon-Laser wird aufgrund seiner Neben- renden Konstellationen eingesetzten Therapiemöglichkeiten, wie
wirkungen wie Ulzerationen, Narbenbildung und Hypopigmenta­ Chemotherapie, Bestrahlung, Embolisation und Chirurgie, oft weit-
tionen nicht mehr eingesetzt. reichende Komplikationen, die im Einzelfall abgewogen werden
Die Therapie von Gefäßmalformationen unterscheidet sich müssen.
durch das Vorhandensein einer Niederfluss- oder Hochflussmalfor-
mation. Ziel der Behandlung ist ebenfalls die Therapie einer funk­ Literatur
tionellen Beeinträchtigung oder die Korrektur einer ästhetischen Caparo PA, Fisher J et al. (2002) Klippel-Trenaunay-Syndrome. Plast Reconstr
Deformierung mit Wiederherstellung der Symmetrie, was nicht Surg 109: 2052–2060
­immer möglich ist. Diese kann primär chirurgisch, interventionell Ernemann U, Hoffmann J et al. (2002) Interdisziplinäres Konzept zur Diagno-
stik und Therapie gefäßreicher Fehlbildungen im Gesichts- und Halsbe-
(Laser, Sklerosierung) oder kombiniert erfolgen.
reich. Mund Kiefer Gesichtschir 6: 402–409
Kapilläre Malformationen werden je nach ihrer Tiefenausprä-
Gamper TJ, Morgan RF (2002) Vascular Anomalies: Hemangiomas. Plast Re-
gung mit dem blitzlampengepumpten Farbstofflaser oder dem Nd: constr Surg 110: 572–585
YAG-Laser behandelt. Venöse Malformationen werden zunächst in Landthaler M, Hohenleutner U (1997) Zur Klassifikation vaskulärer Fehl- und
etwa 2-monatlichen Abständen sklerosiert, wobei intra- und subku- Neubildungen. Hautarzt 48: 622–628
tane Anteile wegen der Gefahr möglicher Hautulzerationen mit 3% Rössler J, Salfeld P, Niemeyer CM (2005) Diagnostik und Therapie von Gefäß-
Aethoxysklerol behandelt werden, während bei tieferen Anteilen fehlbildungen. Monatsschr Kinderheilkd 153: 364–372
eine perkutane Sklerosierung mit Ethibloc (Maisstärke) oder 96% Werner JA, Dünne AA et al. (2001) Current concepts in the classification, diag-
35 Ethanol angewendet werden kann, falls der transarterielle Weg nicht nosis and treatment of hemangiomas and vascular malformations of the
zugänglich ist. Im Anschluss an die Sklerosierungstherapie erfolgt head and neck. Eur Arch Otorhinolaryngol 258: 141–149
Werner S, Raulin C (1999) Aktueller Stand der Lasertherapie bei Säuglings-
die chirurgische Resektion.
hämangiomen. Hautarzt 50: 841–847
Bei lymphatischer Malformationen kann je nach Lage und Aus-
prägung ebenfalls eine Sklerosierung versucht werden; die chirur-
gische Entfernung ist jedoch zentraler Baustein der Therapie. Bei
arteriovenösen oder arteriellen Malformationen ist die transarteriel-
le Embolisation, ggf. auch mit Spiralen, oder eine Sklerosierungsthe-
rapie möglich, welche vor der kompletten chirurgischen Exzision
mit Entfernung des gesamten Nidus steht.
> Hier ist eine interdisziplinäre Behandlungsstrategie sinn-
voll, insbesondere zur Frage, ob primär chirurgisch oder
interventionell behandelt wird.

35.4 Postoperatives Management


Die perioperative Nachsorge umfasst die Kontrolle der lokalen
Durchblutungs- und Kreislaufsituation, der Wundsituation, der Re-
gression oder Progression der Läsion durch sonographische Kon-
trolle oder CT/MRT-Untersuchungen, eine regelmäßige Fotodoku-
mentation sowie eine gute Führung der oft jungen Patienten und
besonders auch der Eltern, v. a. wenn – wie bei manchen Hämangi-
omen der Fall – mit einer therapeutischen Intervention zugewartet
wird.

35.5 Postoperative Komplikationen


Komplikationen sind lokale Infektionen, Ulzerationen, Hypopig-
mentationen, Ausbildung von Hauttaschen, Narbenbildungen oder
funktionelle Einschränkungen. Bei unzureichender Entfernung des
Nidus bei AV-Malformationen kann es zu schwer kontrollierbaren
Rezidiven kommen. Besonders in der Gruppe der AV-Malforma­
36

Maligne Weichgewebstumoren
des Stammes und der Extremitäten
P.M. Vogt

36.1 Allgemeines   – 304

36.2 Diagnostik und Indikation – 305

36.3 Therapeutisches Vorgehen – 306


36.3.1 Kurative Resektion und Rekonstruktion – 306
36.3.2 Plastisch-rekonstruktive Chirurgie – 306
36.3.3 Palliative Chirurgie – 306
36.3.4 Besonderheiten im Kindesalter – 307
36.3.5 Indikation zur Amputation – 307
36.3.6 Onkologiegerechte Resektion – 307
36.3.7 Resektionstechniken – 307
36.3.8 Palliative Tumorentfernung, Amputation – 309
36.3.9 Chirurgie der Lymphknoten – 309
36.3.10 Rekonstruktion – 310
36.3.11 Lokoregionäre Lappenplastiken und Hauttransplantate – 310
36.3.12 Primäre funktionelle Wiederherstellungseingriffe an den Extremitäten – 312
36.3.13 Spezielle Verfahren zur Stumpf­verlängerung – 312
36.3.14 Aktuelle Amputationsstrategie – 313

36.4 Postoperatives Management – 313


36.4.1 Spezielle postoperative Probleme – 313
36.4.2 Nachsorge – 314
36.4.3 Physiotherapie, Prothesenversorgung – 314
36.4.4 Funktionelle und ästhetische Spätfolgen – 314

36.5 Lokalrezidiv nach Multimodaltherapie – 315

36.6 Adjuvante Therapien – 315

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
304 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

36.1 Allgemeines > Die Bindegewebshülle stellt lediglich eine Pseudokapsel


dar, außerhalb derer weiteres Tumorgewebe mikroskopisch
»Weichgewebssarkom« bzw. die Synonyme »Weichteilsarkom«, gefunden wird (Enzinger u. Weiss 1983). Diese biologische
»maligner Weichteiltumor« und »maligner Weichgewebstumor« de­ Eigenheit bestimmt somit das onkologiegerechte Vorgehen.
finieren eine inhomogene Gruppe von Tumoren, die weniger als 1%
aller bösartigen Neubildungen ausmachen. Sie zeichnen sich durch Die Ausbreitung erfolgt überwiegend entlang an Faszienflächen,
ein heterogenes biologisches Verhalten, histologische Erscheinungs­ Muskelsepten und perineuralem Bindegewebe. Multifokales Tumor­
vielfalt, Unterschiede in Aggressivitätsgrad, zytogenetischen Merk­ wachstum besteht v. a. bei Rhabdomyosarkomen und malignen
malen, Ansprechraten auf Chemotherapeutika, Strahlensensibilität, Schwannomen. Metastasierungsfrequenz und -wege unterscheiden
Metastasierungsmuster und Lokalrezidivraten aus. sich bei den einzelnen malignen Weichgewebstumoren deutlich
Die Amputation von Extremitäten ist bei vergleichbarer Über­ (. Tab. 36.4). Die histologische Klassifikation der Differenzierung
lebensrate und besserer Lebensqualität zugunsten der plastisch-re­ definiert sich nach der Histogenese (Ursprungsgewebe) der einzel­
konstruktiven Chirurgie, auch in Kombination mit neoadjuvanter nen Tumoren. In Bezug auf die Prognose ist es von entscheidender
Radio-/Chemotherapie, verlassen worden (Steinau u. Biemer 1985; Bedeutung, die einzelnen Subtypen der malignen Weichgewebstu­
Williard et al. 1992; Paz et al. 1992). Auch bei den Sarkomen des moren zu beachten, da Lokalrezidivraten, klinisches Verhalten und
Körperstamms lassen sich die durch radikale Resektionen entstehen­ Metastasierungswege innerhalb einer histogenetischen Gruppe stark
den Defekte mittels plastisch-chirurgischer Methoden sicher ver­ variieren können. Wegen ihrer Inhomogenität sind einzelne Sar­
schließen (Stotter et al. 1988; Vogt et al. 2006). kome nicht selten schwierig zu differenzieren.
Weichteilsarkome kommen bei beiden Geschlechtern gleich Durch die breite Anwendung immunhistochemischer Metho­
häufig vor mit Häufigkeitsgipfeln von 18% bei den <30-Jährigen, je den, die Nutzung zytogenetischer Analysen und die Einführung
1/3 bei Patienten in der 3./4. und 5./6. Lebensdekade und mit 12% molekularbiologischer Techniken ist die morphologische Diagnos­
bei >70-Jährigen (Pack u. Ariel 1958). Die topographische Vertei­ tik von Weichgewebstumoren verbessert und verfeinert worden.
lung der Weichteiltumoren zeigt eine dominante Lokalisation an den Unter Einbeziehung klinischer Befunde und unter Berücksichtigung
Extremitäten: Leiomyosarkome finden sich v. a. retroperitoneal, von Verlaufsbeobachtungen konnten neue Entitäten herausgearbei­
­Liposarkome vornehmlich an Oberschenkel und Rumpf, Synovi­ tet werden, es wurden aber auch manche seit langem bekannte Tu­
alsarkome bevorzugt an der unteren Extremität (. Tab. 36.1). Die moren neu interpretiert (Katenkamp 2000).
proximalen Extremitäten sind am häufigsten betroffen (Ausnahme: Die Tumorausdehnung der malignen Weichgewebstumoren
Leiomyosarkom). Weichteiltumoren am Stamm sind als prognos­ wird gemäß der von der UICC 1979 eingeführten Klassifikation
tisch ungünstiger einzuschätzen. nach dem TNM-System (. Tab. 36.2) oder auch gemäß dem TNM/
36 Weichteiltumoren bei Kindern unterscheiden sich in ihrem bio­ Surgical Staging System (. Tab. 36.3) bestimmt. Hierbei wird ein Tu­
logischen Verhalten (Chemotherapiesensibilität) und daher auch mordurchmesser <5 cm als T1, von >5 cm Tumorgröße als T2 be­
den Therapiemodalitäten. Eine Einbindung in pädiatrisch-onko­ zeichnet. Prognostisch hat die Tumorgröße die führende Bedeutung
logische Therapiekonzepte ist daher angezeigt. Funktionelle und (Yang et al. 1995).
ästhetische Ergebnisse, postoperative Komplikationen, Lokalrezi­ Gegenwärtig sind mehr als 140 verschiedene Typen gut- und
divraten und möglicherweise auch das Langzeitüberleben hängen bösartiger Weichgewebstumoren bekannt. Mit der histologischen
von der chirurgischen Technik und Taktik ab: Diagnose ist allerdings nicht immer eine brauchbare Aussage zum
weiteren klinischen Verhalten gegeben. Insbesondere bei malignen
> Die onkologiegerechte radikale chirurgische Entfernung
peripheren Nervenscheidentumoren, Leiomyosarkomen, Myxofibro­
ist der entscheidende Faktor für rezidivfreies Langzeit­
sarkomen, Fibrosarkomen und auch allen nicht weiter zu spezifizie­
überleben.
renden pleomorphen Sarkomen stellt die histologische Malignitäts­
Eine stadiengerechte plastisch-chirurgische Wiederherstellung un­ graduierung einen ganz entscheidenden prognostischen Faktor dar
terstützt die Therapie bei der Vermeidung von Amputationen und (G1, G2, G3; . Tab. 36.3).
verbessert somit die Lebensqualität. Die histologische Klassifizierung gelingt anhand der Probeexzi­
Aktuelle Erkenntnisse der Pathologie münden in neueren Klas­ sion leider dem Erstuntersucher nicht immer sicher. Die Einholung
sifikationen mit veränderten prognostischen Bewertungen, wobei einer Referenzpathologie ist daher in solchen Fällen dringend zu
insbesondere die Unterscheidungsmöglichkeiten der niedrigmalig­ empfehlen.
nen Sarkome zu gutartigen Weichteiltumoren am Beispiel des Lipo­ Der Malignitätsgrad ermöglicht eine Voraussage der Prognose
sarkoms neue Beachtung gefunden hat. (einschließlich der Wahrscheinlichkeit einer Metastasierung) und

. Tab. 36.1 Häufigkeitsverteilung [%] der Lokalisation und Typ der Weichteilsarkome. (Nach Enzinger u. Weiss 1983)

Lokalisation Fibrosarkome Maligne fibröse Liposarkome Rhabdomyosar­ Leiomyo­ Synovial­


Histiozytome (MFH) kome (RMS) sarkome (LMS) sarkome

Kopf, Hals 16 7 5 35 3 1

Mediastinum 1 1 1 1 1 –

Rumpf 17 14 19 19 24 11

Retroperitoneum 8 9 15 5 50 1

Extremitäten 58 69 62 41 22 87
36.2 · Diagnostik und Indikation
305 36

. Tab. 36.2 TNM-Klassifikation der Weichteilsarkome Erwachsener. . Tab. 36.3 GTNM-Einteilung und Surgical-Staging-System. (Nach
(Nach UICC 1987, TNM 2010) Enneking 1986)

Prätherapeutische GTNM-Einteilung
klinische Klassifikation
Ia G1 T1 N0 M0 Tumor <5 cm, G1, keine Lymphknoten-
metastasen
T Primärtumor
Ib G1 T2 N0 M0 Tumor >5 cm, G1, keine Lymphknoten-
T0 Kein Anhalt für Primärtumor
metastasen
T1 Tumor 5 cm oder kleiner
IIa G2 T1 N0 M0 Tumor <5 cm, G2, keine Lymphknoten-
T2 Tumor größer 5 cm metastasen

T3 Jede Tumorgröße, klinisch oder radio­ IIb G2 T2 N0 M0 Tumor >5 cm, G2 keine Lymphknoten-
logisch Befall von Knochen, größeren metastasen
Gefäßen oder Nerven
IIIa G3 T1 N0 M0 Tumor <5 cm, G3, keine Lymphknoten-
N Lymphknoten metastasen

N0 Keine regionären Lymphknoten befallen IIIb G3 T2 N0 M0 Tumor >5 cm, G3, keine Lymphknoten-
metastasen
N1 Befall regionärer Lymphknoten
IVa G1–3 T2 N0/1 M0 Tumor infiltriert Knochen, Nerven,
M Fernmetastasen
Blutgefäße, mit oder ohne Lymphkno-
M0 Keine Fernmetastasen tenmetastasen, keine Fernmetastasen

M1 Fernmetastasen IVb M1 Tumor mit Fernmetastasen

Surgical Staging System

IA Low grade (G1) Intrakompartimental (T1), keine


spielt eine Rolle bei der Therapieentscheidung. Leider werden welt­ Metastasen
weit verschiedene Systeme der Malignitätsgraduierung angewendet, IB Low grade (G1) Extrakompartimental (T2), keine
sodass die jeweiligen Ergebnisse nur bedingt miteinander vergleich­ Metastasen
bar sind. In Europa setzt sich zunehmend die Graduierung der
»French Federation of Cancer Centres« durch, die sich auf die zellu­ IIA High grade (G2/3) Intrakompartimental (T1), keine
Metastasen
läre Differenzierung, die Zahl der Mitosen und das Ausmaß der (his­
tologisch beobachteten) Nekrosen stützt. IIB High grade (G2/3) Extrakompartimental (T2), keine
Der Malignitätsgrad wird in der histologischen Untersuchung Metastasen
nicht selten durch das Ausmaß der Nekrose unterschätzt, im Hin­ III Any grade Jede Ausdehnung, Metastasen
blick auf die Diagnosefindung muss beim Zuschneiden des Tumors
möglichst vitales Gewebe für die histologische Aufarbeitung zur Intrakompartimental (T1): intrafasziale Ausdehnung, Finger- oder
Verfügung stehen (Katenkamp 2000). Somit haben die Qualität und Zehenstrahl, Wadenregion, anterolateraler Unterschenkel, beuge-
und streckseitiger Oberschenkel, Gesäß, beuge- und streckseitiger
repräsentative Quantität der gewonnen Biopsie (7 Kap. 36.2) ent­
Unterarm, beuge- und streckseitiger Oberarm.
scheidende Bedeutung für die exakte Diagnosestellung und weitere Extrakompartimental (T2): Tumor überschreitet Faszienloge, Mittel-
Therapieplanung (Steinau et al. 2001). und Rückfuß, Kniekehle, Leistenregion, intrapelvine Ausdehnung,
Mittelhand, Ellenbeuge, Axilla, intraossäre Infiltration.

36.2 Diagnostik und Indikation


tinuierliche Satellitengeschwülste eine Rarität darstellen. Darüber
Lokalrezidiv, Zweittumor, Residualtumor. Lokalrezidiv, Zweittu­ hinaus entsteht durch massive Ausweitungen der Resektion in be­
mor und Residualtumor stellen problematische Situationen dar und nachbarte Muskelgruppen eine unvertretbare Morbidität. Somit gilt
erfordern dieselben Sorgfaltskriterien bei der Resektion wie der Pri­ die sog. weite Exzision zur Seite mit 4–5 cm und zur Tiefe mit 2 cm
märbefund. Nach ungenügender Erstresektion ist eine entsprechend als ausreichend (Hidalgo u. Carrasquillo 1992). Geringere Abstände
durch Sicherheitsabstände gekennzeichnete Resektion anzuschlie­ oder aggressive Tumoren (G2–G3) erfordern jedoch eine adjuvante
ßen. Aber auch Lokalrezidiv und Zweittumoren sollten, wenn mög­ Strahlentherapie. Mit diesem Vorgehen kann in über 92% eine loka­
lich, primär nachreseziert werden. Für einige Sarkome, wie das Li­ le Kontrolle über das Tumorwachstum erreicht werden (Brennan
posarkom, besteht bei ungenügender Resektion und Rezidiv eine 1989).
Tendenz zur Entwicklung schlechter differenzierter Formen (Chang
et al. 1989; Johnstone et al. 1994). Anamnese, bildgebende Verfahren. Immer noch kommt es bei der
Diagnosestellung von Weichgewebssarkomen zu monatelangen Ver­
Kompartmentresektion und weite Exzision. Der Begriff Kompart­ zögerungen, da die bestehenden Symptome unter Verdachtsdiagno­
mentresektion definierte ursprünglich die notwendigen Sicherheits­ sen wie Hämatom oder Muskeldistorsion behandelt werden, oder
abstände für Knochentumoren, die wegen möglichen diskontinuier­ unter Verdacht auf Ganglien, Lipome oder Fibrome Exzisionen
lichen Wachstums nur unter Mitnahme eines ausreichenden Weich­ durchgeführt werden. Nach initialer Beschwerdefreiheit stellen sich
teilmantels onkologiegerecht reseziert werden konnten (Enneking sekundäre Symptome wie Nervenalteration oder Gefäßobliteration
1986). Für Weichgewebssarkome ist dies nicht sinnvoll, da diskon­ erst bei Größenzunahme ein. Für den Erstuntersucher sollte daher
306 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

ein Tumorwachstum in Muskellogen unter der tiefen Faszie, eine 36.3.1 Kurative Resektion und Rekonstruktion
intramuskuläre Ausbreitung, schmerzhafte Infiltration, rasche Grö­
ßenprogredienz, ein Durchmesser über 5 cm und/oder eine Lokali­ Nach wie vor gilt die R0-Resektion maligner Weichgewebstumoren
sation in Leiste, Ellenbeuge oder Poplitealregion den Verdacht auf als Therapiestandard mit der besten Prognose für die Vermeidung
ein Weichgewebssarkom lenken. von Lokalrezidiven. Sie ist daher in jedem Falle anzustreben, wenn­
Als sicherstes bildgebendes Verfahren gilt die Magnetresonanz­ gleich bis heute ein positiver Einfluss lokaler Radikalität auf das Lang­
tomographie (MRT) die zu Ausdehnung, Morphologie und Bezie­ zeitüberleben nicht nachgewiesen werden konnte (Tanabe et al. 1994;
hung des Tumors zu benachbarten Strukturen bereits präoperativ Youssef et al. 2002). Unter dem Aspekt, dass die lokal erhöhte Radi­
entscheidende Anhaltspunkte gibt (Arca et al. 1994). So lassen sich kalität die Überlebensrate nicht signifikant beeinflusst, sollte daher
notwendiges Resektionsausmaß und auch die erforderlichen Rekon­ auch die Indikation zur Amputation gründlich überdacht werden.
struktionsmethoden planen. Verglichen mit der Computertomogra­
phie (CT) ergibt die MRT die kontrastreicheren Aufnahmen (Chang
1987). Hochdifferenzierte Liposarkome lassen sich von niedrigdif­ 36.3.2 Plastisch-rekonstruktive Chirurgie
ferenzierten Formen bereits mit den bildgebenden Verfahren der CT
und MRT abgrenzen (Jelinek et al. 1993; Halldorsdottir et al. 1982). Die moderne plastisch-rekonstruktive Chirurgie bietet eine Vielzahl
von Rekonstruktionsmöglichkeiten zur Wiederherstellung nach Re­
Probeexzision. Eine aussagefähige histopathologische Untersu­ sektion von Weichgewebssarkomen. Dabei finden Weichteilplas-
chung erfordert eine Gewebemenge von mindestens 2 cm3 aus rand­ ti­ken ebenso wie die Funktion wiederherstellende Maßnahmen
ständigen Tumorarealen. Die Probengewinnung ausschließlich aus Anwendung. Mittels plastischer Verfahren lassen sich auch die Be­
dem Zentrum ergibt wegen der hier oft vorhandenen Nekrosen dingungen für die Strahlentherapie verbessern oder deren Folgen
nichtrepräsentative Gewebestücke und erschwert die Diagnosesiche­ lindern (Cordeiro et al. 1994; Serletti et al. 1998).
rung (Arca et al. 1994). In spezialisierten onkologischen Zentren mit Die Therapieziele plastisch-rekonstruktiver Techniken bei er­
großer Erfahrungen in der Diagnostik und Therapie von Weichge­ weiterter Resektion maligner Weichgewebstumoren sind somit:
webssarkomen werden auch Nadel- oder Stanzbiopsien mit ver­ 4 onkologisch adäquate Resektion, R0-Resektion,
gleichbaren diagnostischen Ergebnissen eingesetzt (Heslin et al. 4 Auffüllung von Hohlräumen,
1997). Bei Zweifeln an der Gewinnung repräsentativer Tumorgewebe 4 Prävention und/oder Therapie von Wundheilungsstörungen,
durch Nadelaspiration ist weiterhin eine offene Biopsie angezeigt. Die 4 sichere Bedeckung alloplastischer Implantate, tendoplastischer
Schnellschnitthistologie gilt wegen häufiger Unsicherheiten und ins­ Maßnahmen sowie Gefäßrekonstruktionen,
besondere einer schwierigen Differentialdiagnose als unzuver­lässig. 4 Behandlung von Bestrahlungsfolgen,
36 > Bereits bei der Durchführung der Probeexzision muss auf
4 suffiziente Weichteilbedeckung für Sekundärrekonstruktionen,
4 Reduktion der Amputationsindikationen und
mögliche Rekonstruktionsverfahren Rücksicht genommen
4 Transplantation und/oder Salvage-Verfahren zur Stumpferhal­
werden, um die für einen eventuellen Gewebetransfer
tung oder -verlängerung.
wichtigen oberflächliche Arterien und Venensysteme zu
schonen (z. B. für den Radialis-Unterarm-Lappen oder Per­ Plastisch-rekonstruktive Chirurgie
foratorlappen an der unteren Extremität; Cordeiro et al. im multimodalen Therapiekonzept
1994).
Im multimodalen Behandlungskonzept kommt es in 14–58% der
Da die Hautspindel direkt über dem Tumor bei der Resektion in je­ Fälle zu schwerwiegenden Wundheilungsstörungen (Arbeit et al.
dem Fall mitreseziert wird, empfiehlt es sich, die Probe direkt über 1987). Dem Risiko für diese Komplikation ist bei Planung der Resek­
dem Maximum des Tumors zu entnehmen. Weiterhin ist darauf zu tion und auch hinsichtlich der plastischen Rekonstruktion Rech­
achten, dass Redon-Drainagen unmittelbar an der Inzisionsstelle nung zu tragen.
ausgeleitet werden, nicht nur, um eine iatrogene Tumorverschlep­ So kann ein Eingriff im Bestrahlungsfeld, aber auch eine mög­
pung, sondern auch um eine unnötige Vergrößerung des Resektions­ liche adjuvante Radiatio eine klare Indikation zur simultanen Weich­
areals der Haut bei definitiver Resektion zu vermeiden (Steinau et al. teilplastik darstellen, da hiermit die Rate postoperativer Wundhei­
2001a). Liegt der Tumor epifaszial, wird die Diagnose in der Regel lungsstörungen signifikant gesenkt werden kann bzw. eine Radiatio
unter ambulanten Bedingungen nach Routinetumorexstirpation ge­ erst überhaupt ermöglicht wird (Barwick 1992). Dies betrifft v. a. die
stellt. Da die pathologische Erstbefundung eher in Routinelabors Lokalisationen an Hand und Fuß sowie in der Nähe der großen Ner­
erfolgt, ist die Einholung einer Referenzhistologie erforderlich. venbahnen (Armplexus; Evans et al. 1997).
Neuere Untersuchungen zeigen, dass im multimodalen Konzept
mit intraarterieller Chemotherapie mikrovaskulär angeschlossene
36.3 Therapeutisches Vorgehen Lappentransplantate keine höheren Verluste bzw. Komplikationsra­
ten aufweisen (Sadrian et al. 2002).
! Cave
Wegen der hohen Rate an Lokalrezidiven nach initialer
unzureichender Resektion ist die adäquate Nachresektion 36.3.3 Palliative Chirurgie
anzuschließen (Zornig et al. 1995).
Durch geeignete Palliativeingriffe kann auch bei fortgeschrittener,
Die grundsätzliche Anwendung einer adjuvanten Bestrahlung ist chirurgisch inkurabler Tumorerkrankung die Lebensqualität des
weiterhin Gegenstand von Studien (McGrath et al. 1995). Ein posi­ Krebskranken durch Beseitigung der Schmerzsymptomatik und Ge­
tiver Effekt wird für eine präoperative Radiatio bei sehr großen Sar­ ruchsbelästigung entscheidend verbessert werden. Die Pflege bett­
komen gesehen, insofern als die Resektabilität und lokale Kontrolle lägeriger Patienten wird erleichtert. Selten wird zu diesem Zweck ein
verbessert werden (Suit u. Spiro 1994). ablatives Verfahren indiziert sein (Merimsky 2001).
36.3 · Therapeutisches Vorgehen
307 36
36.3.4 Besonderheiten im Kindesalter dar. Wegen der relativen Seltenheit extraabdomineller Weichgewebs­
sarkome und ihrer spezifischen Chirurgie sollte ihre Behandlung in
Kindliche Weichgewebssarkome, besonders die, die zur Gruppe der spezialisierten Zentren erfolgen, in denen die interdisziplinären
Ewing-Sarkome gehören, sprechen auf neoadjuvante Chemothera­ Konzepte für die Diagnostik und adjuvante onkologische Therapie
pie an. Nach der resultierenden Tumorregression kann dann eine vorhanden sind.
lokale Exzision erfolgen. Voraussetzung ist aber in jedem Fall eine Ziel der chirurgischen Therapie maligner Weichgewebstumoren
exakte pathologische Diagnose anhand einer ausreichenden und re­ ist es, einerseits beim Ersteingriff eine erweiterte, onkologisch adä­
präsentativen Probeexzision und einer qualifizierten pathologischen quate Tumorresektion zu erzielen und andererseits synchron die
Beurteilung. Rekonstruktion wesentlicher funktioneller und ästhetischer Struk­
Aufgrund der speziellen Bedingungen sollten Weichgewebssar­ turen durchzuführen (Steinau et al. 2001b). Die Vorteile dieses Vor­
kome im Kindesalter innerhalb pädiatrisch-onkologischer Tumor- gehens liegen in der Möglichkeit zur sofortigen Wiederherstellung,
Boards behandelt werden. So verbessert sich die Prognose des kind­ beschleunigten Rehabilitation und verbesserten Voraussetzungen
lichen Rhabdomyosarkoms unter Chemotherapie und Radiatio von für adjuvante Therapiemaßnahmen, wie z. B. für die Radio-/Chemo­
20 auf 52%, bei großen Tumoren des Stadiums III kann die Resek­ therapie. Als Optionen stehen zur Verfügung:
tion erleichtert werden (Grosfeld 1999; Tabrizi u. Letts 1999). 4 die kurative gliedmaßenerhaltende R0-Resektion mit funktio­
Das biologische Verhalten des extraossären Ewing-Sarkoms und neller und ästhetischer Rekonstruktion,
des Rhabdomyosarkoms im Kindesalter und deren Ansprechen auf 4 die kurative gliedmaßenerhaltende R0-Resektion und neoadju­
Chemotherapie sind ähnlich. Ein Überleben für mindestens 10 Jah­ vante Radio-/Chemotherapie (ggf. mit funktioneller und ästhe­
re erscheint am wahrscheinlichsten für Patienten mit einer Tumor­ tischer Rekonstruktion),
lokalisation an Kopf und Hals, Extremitäten, Stamm und solche, bei 4 der gliedmaßenerhaltende Palliativeingriff und
denen vor einer Chemotherapie eine weitgehende Tumorresektion 4 die Amputation unter kurativen oder palliativen Gesichtspunk­
möglich war (Raney et al. 1997). ten.

Aufklärung
36.3.5 Indikation zur Amputation In einem ausführlichen Gespräch müssen dem Patienten das mög­
liche Ausmaß der Resektion und die resultierenden funktionellen
Im Folgenden werden die heute noch bestehenden Indikationen für und ästhetischen Defizite erläutert werden. Von besonderer Bedeu­
eine Amputation aufgezeigt: tung ist die Aufklärung über eine ggf. nicht mögliche Radikalität und
4 ausgedehnte, auch exulzerierende Rezidivtumoren mit Um­ die Notwendigkeit adjuvanter Therapieverfahren. Hinzuweisen ist
mauerung der Nervenplexus oder Einbruch in große Gelenke, auch auf die durch die Rekonstruktionen entstehenden Hebedefekte
4 Durchbruch der Membranae interosseae mit Gefäß-, Nerven- an anderer Lokalisation.
und Knocheninfiltration und
4 Tumorwachstum durch den Metatarsus oder Metakarpus. Planung der Resektion und Rekonstruktion
Für Extremitäteneingriffe unter Tourniquet-Kontrolle sind Trans­
Die Entscheidung sollte immer von einem versierten, interdiszipli­ fusionen in der Regel nicht erforderlich, es empfiehlt sich aber die
nären chirurgischen Team getroffen werden, welches alle weichteil- eventuelle Einplanung einer Bluttransfusion. Bei Operationen am
und osteoplastischen Maßnahmen unter Einschluss der Endopro­ Stamm können dagegen erhebliche Blutverluste eintreten, insbeson­
thetik beherrscht (Steinau et al. 1997). dere im Sternalbereich. Für eine adäquate Planung der Resektion
Mit den hier dargestellten operativen Prinzipien der plastisch- und der plastischen Wiederherstellung ist eine sorgfältige Festlegung
rekonstruktiven Chirurgie und adjuvanten Therapiemaßnahmen der möglichen Inzisionen ebenso wichtig wie die Abklärung der
reduziert sich heute die Indikation auf <10%, zumal die Prognose Ausdehnung vorhandener Strahlenfelder.
hinsichtlich des Überlebens durch radikalere Vorgehensweisen (z. B.
> Inzisionen sollten, wenn immer möglich, die lympha­
Ablatio) nicht verbessert wird.
tischen Kollektoren erhalten, um postoperativen Lymph­
Liegt eine Knochenbeteiligung vor, so lassen sich mittels moder­
ödemen vorzubeugen.
ner Knochensegmenttransportverfahren heute auch ausgedehnte
Knochenbeteiligungen rekonstruieren (Tsuchiya et al. 1997). Ein
segmentaler Nervenbefall, z. B. des N. ischiadicus, stellt keine prin­
zipielle Amputationsindikation mehr dar. Die Gangleistung derar­ 36.3.7 Resektionstechniken
tiger Patienten erreicht nach kollateraler sensibler Teil-Rein­ner­
vierung der Fußsohle durch Äste des N. saphenus, konsequenter Erweiterte Resektion
Schuhversorgung und funktioneller Rehabilitation funktionell über­ Bereits die Lokalisation des malignen Weichgewebstumors hat Ein­
legene Ergebnisse gegenüber derjenigen von Patienten nach Ampu­ fluss auf den Umfang der notwendigen Resektion und die Notwen­
tation. Mittels der mikrochirurgischen Rekonstruktion sind dabei digkeit einer Rekonstruktion (Russell et al. 1977).
auch atypische oder segmentale Amputationsformen mit funktio­ Bei Tumoren der Thorax- oder Bauchwand sind in der Regel
nellem Gewinn für die Patienten durchführbar (Windhager et al. allschichtige Resektionen notwendig, sodass auch hier rekonstruk­
1995). tive Verfahren erforderlich werden können. Im Kopf-Hals-Bereich
ist oft aus anatomischen Gründen ein weiter Sicherheitsabstand
nicht einzuhalten.
36.3.6 Onkologiegerechte Resektion Nach Anzeichnen der Hautresektion unter Einschluss von Drai­
nagestellen erfolgt unter Tourniquet-Kontrolle oder offener Gefäß­
Neben einer möglichst radikalen Resektion stellt die plastisch-re­ okklusion (Leiste) an der Extremität eine ellipsenförmige Umschnei­
konstruktive Chirurgie den derzeitigen Standard in der Behandlung dung der dem Tumor aufsitzenden Hautspindel.
308 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

36

e f

. Abb. 36.1a–e Muskelgruppenresektion mit komplexer primärer Wieder- langstreckige Dissektion der Vasa femoralia erforderlich wurde. e Rekon-
herstellung des Oberschenkels. a Bioptisch gesichertes Fibrosarkom (mali- struktion der Oberschenkel-(Quadrizeps-) Streckerfunktion durch Transpo-
gnes fibröses Histiozytom), Malignitätsgrad G2, das die Kompartmentgren- sition des M. biceps femoris (Caput longum), hier durch eine Hilfsinzision
ze der Quadrizepsgruppe (b Ansicht im CT) überschreitet. Nach radikaler zur besseren Demonstration vorverlagert. Primärverschluss der Wunde.
Resektion unter Entfernung des gesamten M. quadriceps bleibt der Tumor f Sechs Jahre nach dem Eingriff ist der Patient rezidivfrei mit voller Stabilsie-
allseitig von gesundem Gewebe umgeben (hier nach Inzision auf dem rung des Kniegelenkes und uneingeschränkter Gangfähigkeit
unsterilen Abwurftisch, c), wobei d eine Deperiostierung des Femurs und
36.3 · Therapeutisches Vorgehen
309 36
! Cave tionen von Nerven, Gefäßen und Gelenken sowie das Vorliegen von
Es ist zu beachten, dass der ehemalige Biopsiezugang und Lymphknotenmetastasen stellen prognostisch ungünstige Faktoren
die dazugehörigen Redon-Ausstichstellen und -Kanäle, dar (Fong et al. 1993; Torosian et al. 1988). Liegen hochmaligne Re­
bei denen immer eine Tumorverschleppung angenommen zidivtumoren vor oder ist es bereits zu einer Fernmetastasierung
werden muss (. Abb. 36.1b), in das Resektionsareal gekommen, wird auch mit großen ablativen Verfahren nicht mehr
miteinbezogen werden. kurativ zu behandeln sein. Im Gegenteil – bei palliativer Chirurgie
ausgedehnter exulzerierter Tumoren ist lediglich die Entfernung des
Es folgt die epifasziale Präparation des Tumors einschließlich der ihn Malignoms zu empfehlen, da die Amputation die Prognose nicht
umgebenden Kapsel in En-bloc-Technik (. Abb. 36.1). verbessert. Zudem weisen Patienten mit niedrigmalignen Tumoren
Hierbei ist die onkologisch gerechte R0-Resektion weit im Ge­ und oberflächlicher Lokalisation 5-Jahres-Überlebensraten von
sunden mit einem Sicherheitsabstand von 5 cm zur Seite und 2 cm >80% und 10-Jahres-Überlebensraten von >60% auf (Torosian et al.
zur Tiefe gefordert. Der Sicherheitsabstand zur Tiefe kann, je nach 1988; Brooks et al. 1998).
anatomischer Gegebenheit, nicht immer eingehalten werden. An­ Besteht nach kritischer Abwägung die Indikation zur Amputati­
zustreben ist die Mitnahme der umgebenden Muskelgruppen ein­ on, so sollten alle Möglichkeiten einer möglichst distalen Amputati­
schließlich Faszien. Bei Sitz des Tumors in Knochennähe muss eine onsebene, ggf. auch durch atypische Stumpfbildung ausgeschöpft
großzügige Deperiostierung erfolgen, ggf. kann eine tangentiale werden (7 Kap. 36.3.13). Entsprechende weichteilplastische oder or­
Teildekortikation notwendig werden. Insgesamt ist die Knochenin­ thopädische Rekonstruktionsverfahren dienen einer Verbesserung
filtration der Weichgewebstumoren eher selten. der prothetischen Versorgung an der unteren Extremität, also auch
Bei primärer Lokalisation an Finger- oder Zehenstrahl ist der Verbesserung des Gangbildes (Steinau et al. 1997). Daher muss
die Amputation und Resektion der anatomischen Einheit mit Te­ bei der Durchführung einer Segmentamputation geprüft werden,
nosynovektomie, Deperiostierung und Resektion der Gelenkkapsel inwieweit distale Amputatanteile als mikrochirurgische Transplan­
angezeigt. Liegen Nerven oder Gefäße in enger Nachbarschaft tate zur Stumpfverbesserung Verwendung finden können. Dabei
zum Tumor, erfolgen Epineurektomie oder Adventitiaresektion. dürfen die später druckbelasteten Anteile keinesfalls mit Spalthaut­
Sind ­diese Strukturen vom Tumor infiltriert, müssen sie reseziert transplantaten versorgt werden.
werden. Ob sie primär oder sekundär ersetzt werden müssen, hängt
von Art und Umfang des Nervenausfalls und der Möglichkeit ein­
facher und schneller motorischer Ersatzoperationen ab (Lee et al. 36.3.9 Chirurgie der Lymphknoten
1993).
Die lymphogene Metastasierungsfrequenz maligner Weichgeweb­
Exzision mit eingeschränktem Sicherheitsabstand, stumoren liegt bei 2,6% und erreicht die höchsten Inzidenz beim
Rezidivchirurgie Angiosarkom (13,5%), embryonalen Rhabdomyosarkom (ERMS;
Nicht immer können die bei der onkologisch sicheren Exzision ge­ 13,6%), und Epithelioidsarkom (16,7%; Fong et al. 1993). Die Anga­
forderten Sicherheitsabstände, v. a. in die Tiefe, eingehalten werden. ben hierzu in der Literatur sind sehr unterschiedlich (. Tab. 36.4),
Dabei ist jedoch zu fordern, dass die Resektatränder zumindest wobei der Zeitpunkt der Erstdiagnose und die erfolgte Therapie ent­
­histologisch tumorfrei sein müssen. So kann z. B. bei Sitz eines scheidende Rollen spielen.
hochmalignen Sarkoms auf dem Periost neben einer Deperiostie­ Die Entscheidung zur primären Lymphknotendissektion richtet
rung und Dekortikation auch eine adjuvante Therapie indiziert sich nach dem vorliegenden Tumortyp. Bei den oben genannten Sar­
sein. komen kann diese indiziert sein. Bei allen anderen Tumortypen
sollte nur bei klinisch palpablem Befund eine Lymphadenektomie
> Lokalrezidive nach chirurgischer Therapie maligner Weich­
erfolgen. Liegt die erste Lymphknotenstation bereits im Resektat,
gewebstumoren sind in den meisten Fällen Folge einer un­
kann hier eine En-bloc-Resektion durchgeführt werden. Anderen­
zureichenden Primäroperation mit ungenügender Radika­
falls schließt sich eine systematische Lymphadenektomie an die Tu­
lität und/oder fehlender adjuvanter Therapie. Auch beim
morresektion an.
Lokalrezidiv ist primär die Nachoperation in sano als The­
rapie der Wahl anzustreben. Die Radiatio oder regionale
Chemotherapie kann als sekundäre Option, selten als neo­
adjuvante oder präoperative Therapiemodalität einge­
setzt werden. . Tab. 36.4 Häufigkeit primär lymphogener Metastasierung.
(Nach Chang et al. 1989)
Bei Rezidiven oder inkompletter Erstoperation stößt der Operateur
bei der Nachresektion nicht selten auf veränderte anatomische Ge­ Tumor Häufigkeit lymphogener
gebenheiten und die Schwierigkeit einer lokalen Vernarbung oder Metastasierung [%]
Hämatombildung. Plastische Rekonstruktionsverfahren können
durch vorbestehende Inzisionen erschwert oder sogar unmöglich Malignes Schwannom <1
werden, es kann sogar der Erhalt einer Extremität in Frage gestellt Liposarkom 0–3
sein.
Fibrosarkom 0,5–8

Maligne fibröse Histiozytome 12


36.3.8 Palliative Tumorentfernung, Amputation
Synovialzellsarkom 10–23

Bei ausgedehnten Weichgewebstumoren, bei denen eine kurative Rhabdomyosarkom 33–74


Resektion nicht mehr möglich ist, kann eine palliative Tumorentfer­ Epitheloidzelliges Sarkom 50
nung notwendig werden. Ausgedehnte Tumoren, Nekrosen, Infiltra­
310 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

36.3.10 Rekonstruktion

Die Auswahl funktionell- und ästhetisch-rekonstruktiver Verfahren


richtet sich nach der primären Lokalisation des Weichgewebstu­
mors. In . Abb. 36.2 sind die Areale hell dargestellt, in denen meist
durch Überschuss und Dehnbarkeit benachbarter Gewebe auch
nach radikaler, erweiterter Resektion ein spannungsfreier primärer
Wundverschluss erreicht werden kann. Dagegen erfordern alle
­übrigen Bereiche (z. B. die Kopf-Hals-Region) sowie periphere und
ausgedehnte Rezidive aufwendige rekonstruktive Verfahren in inter­
disziplinärer Kooperation.
Am Stamm, aber auch an den Extremitäten stehen zahlreiche
gestielte regionale Lappenplastiken zur Verfügung (. Abb. 36.3).
Eine Problemzone bilden Tumordestruktionen des Beckenausgangs
(Analkarzinome, Rezidivrektumkarzinome). Nach Resektion und
mulitmodaler Therapie sowie Débridement bestehen hier oft ausge­
dehnte Defekte. Gestielte Lappen (transabdominell verlagerter Rec­
tus-abdominis-Lappen) stellen die 1. Wahl in der Versorgung dar.
Bei Versagen dieser Verfahren werden freie Transplantate erforder­
lich. Klinische Ergebnisse zeigen, dass an den Extremitäten auch a
ausgedehnte Resektionen funktioneller Einheiten (Strecker-/Beu­
gerkompartimente) oft nur geringe funktionelle Einschränkungen
hinterlassen (Steinau et al. 2001). Unter Einsatz des aktuellen Spek­ b
trums plastisch-rekonstruktiver Techniken lassen sich in allen üb­
rigen Fällen Funktionsdefekte minimieren und die Notwendigkeit . Abb. 36.2a, b Proximale und distale Zoneneinteilung bei Resektion aus-
von Amputationen signifikant mindern (Steinau u. Biemer 1985). gedehnter Weichgewebegeschwülste. Helle Areale: direkter Wundverschluss
Die Rekonstruktionsmöglichkeiten am Thorax bzw. am Stamm meist möglich. Dunkle Areale: im Regelfall komplizierte Rekonstruktionen
sind im Folgenden zusammengefasst (. Übersicht), die Möglich­ erforderlich. (Nach Steinau et al. 1993)
keiten zur Rekonstruktion an den Extremitäten in 7 Kap. 36.3.12
36 aufgeführt.
Resektionen an Thorax und Abdomen legen oftmals die Höh­
len frei. In solchen Fällen bedarf es einer Bedeckung durch gut
Rekonstruktionsmöglichkeiten am Thorax bzw. am Stamm
vasku­larisierte Gewebeblöcke, die in der Regel aus gestielten oder
4 Spalthauttransplantation frei mikrovaskulär angeschlossenen Myokutanlappen bestehen.
4 Lokale Lappenplastiken Darüber hinaus erfordern Zonen mechanischer Belastung (Am­
4 Epifasziale Transposition der Brust (Zyklopenbrust) putationsstümpfe, Orthesenlager) eine suffiziente und belastbare
4 Gestielte Lappenplastiken Weichteilbedeckung. Am Stamm hat sich die zusätzliche Implan­
4 Trapeziuslappen tation von Kunststoffnetzen zur Erhöhung der Wandstabilität be­
4 Paraskapularlappen währt.
4 Latissimus-dorsi-Lappen
4 Serratus-anterior-Lappen Gestielte und freie faszio- und myokutane
4 Pectoralis-major-Lappen Lappenplastiken
4 Obliquus-externus-Lappen Rotationsbögen und Überschneidungsfelder der häufigsten ge­
4 Rectus-abdominis-Lappen stielten Lappenplastiken im Stamm- und Extremitätenbereich sind
4 Omentum majus in . Abb. 36.3 dargestellt. Es können Gewebeblöcke von bis zu
4 Freie Lappenplastiken 48×22 cm Größe gewonnen werden, die mit ihren axialen großka­
4 Lappen der Oberschenkelregion (M. tensor fasciae latae, librigen Gefäßstielen eine hohe Rate primärer Wundheilung auch in
Kombinationslappen) bereits ulzerierten oder vorbestrahlten Bereichen ermöglichen (Bie­
mer u. Steinau 1988; Drake 1995).
Die dreidimensionale Darstellung der Tumorausbreitung durch
Computertomographie oder MRT ermöglicht eine verbesserte prä­
36.3.11 Lokoregionäre Lappenplastiken operative Planung der chirurgischen Resektion und der Wiederher­
und Hauttransplantate stellungsoperation. Um einen spannungsfreien Wundverschluss zu
erzielen, muss beachtet werden, dass bei korrekter Rotation des Lap­
Eine geeignete Schnittführung ermöglicht oftmals einen primären pens um den Gefäßstiel von 90–180° Längenverluste von 20–30%
Wundverschluss. Lokale Verschiebelappen, seltener Spalt- und Voll­ entstehen. Bei der Präparation ist darauf zu achten, dass die Gefäß­
hauttransplantate, stellen weitere Möglichkeiten der Defektdeckung stiele unter akribischer Ligatur der Seitenäste sorgfältig mobilisiert
nach erweiterter Resektion bei Weichgewebstumoren dar. Bei werden, damit Stieltorsionen und Spannung vermieden werden.
En-bloc-Resektion von Tumoren im Extremitätenbereich können Weiterhin muss dem Hauptgefäß ein druckfreies Bett geschaffen
jedoch auch tiefer gelegene Strukturen (Gefäß-Nerven-Bündel, werden. Segmentale Druckbelastungen entstehen an Knochenkan­
Knochen, Gelenke) oder bradytrophes Gewebe (Sehnen) exponiert ten, freipräparierten Sehnen und Nerven.
sein.
36.3 · Therapeutisches Vorgehen
311 36

. Abb. 36.3a–e Rotationsbögen und Überschneidungsfelder der häufig- pen; b 3 distal gestielter Rektuslappen, 4 M.-Rectus-femoris-Lappen.
sten Lappenplastiken im Stamm- und Extremitätenbereich. Die Eintrittstel- c 5 M.-tensor-fasciae-latae-Lappen; 6 proximal gestielter M.-rectus-abdo­
len, um die die Lappen gedreht werden können, sind markiert. Die gestri- minis-Lappen; d 7 M.-trapezius-Myokutanlappen, 8 M.-latissimus-dorsi-
chelten Areale definieren die Muskelausdehnung mit dem axialen Gefäß- ­Lappen, 9 M.-tensor-fasciae-latae-Lappen. e 10 Lappen aus medialem und
bündel. a 1 Pectoralis-major-Myokutanlappen, 2 Vastus-lateralis-Muskellap- lateralem M. gastrocnemius. (Nach Steinau et al. 1990)

> Ein spannungsfreies Einnähen beugt Wundheilungsstö­ werden, und zerstörte dominante Gefäßstiele regionaler Lappen
rungen vor, die gerade bei multimodalen Therapieverfah­ durch Voroperationen oder Radiatio. Die Verwendung freier Gewe­
ren eine unnötige Verzögerung der adjuvanten Radio- betransplantate auch von kontralateral ermöglicht in der Chirurgie
oder Chemotherapie verursachen oder diese gar unmög­ von Weichgewebstumoren mit Sitz in der Extremitätenperipherie
lich machen. die Gliedmaßenerhaltung. Dabei leisten sie eine suffiziente Bede­
ckung von Sehnen, Nerven, Gefäßen, Knochen und alloplastischen
Eine Domäne des freien mikrochirurgischen Gewebetransfers sind Materialien, füllen Hohlräume und Konturdefekte auf und verbes­
Resektionsdefekte, die von gestielten Lappenplastiken nicht erreicht sern den Lymphabfluss bestrahlter Areale (Cordeiro et al. 1994).
312 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

36.3.12 Primäre funktionelle Wiederherstel-


lungseingriffe an den Extremitäten . Tab. 36.5 Lokalisationen, bei denen eine erweiterte Resektion mit
atypischer Stumpfbildung erfolgen sollte
Prinzipiell toleriert eine Extremität beträchtliche Reduktionen des
funktionellen Muskelquerschnitts, sodass selbst nach ausgedehnten Lokalisation Chirurgische Maßnahmen
Eingriffen eine funktionell brauchbare Gliedmaße erhalten bleibt.
Tumor im Hohlfußbereich Rückfußstumpfbildung durch erweiter-
Die Indikation zur synchronen Rekonstruktion funktionell wich­ ohne Infiltration des te Resektion mit Chopart-Amputation,
tiger Einheiten stellt sich stets beim Ausfall kompletter Grundfunk­ Metatarsus Dekortikation des Tarsus, Sehnenver­
tionen, z. B. nach Entfernung kompletter Flexoren- oder Extenso­ lagerung, Dorsalis-pedis-Lappenplastik
rengruppen an einer Extremität. Bei weitergehender Resektion und
Befall der beugeseitigen Durchführung einer Kniegelenksexarti-
Teilamputationen gilt es, zumindest einfache Grundfunktionen zu
Kniekehle mit Ummaue- kulation mit Dekortikation des Femurs,
erhalten, z. B. durch die Konstruktion einer »sensiblen Zange« an
rung von Nerven und erweiterte beugeseitige Muskelgrup-
der oberen oder einer »biologischen Stelze« an der unteren Extre­ Gefäßen penresektion (alternativ: Segmentam-
mität. putation)
Die erforderlichen Rekonstruktionsmaßnahmen richten sich
zusätzlich nach dem entstandenen Weichteildefekt und den Mög­ Alle Ebenen von Ober- Erweiterte Muskelgruppenresektion,
und Unterarm ohne Deperiostierung und Defektdeckung
lichkeiten zu seinem Verschluss. Im Folgenden sind Operations­
knöcherne Beteiligung durch gestielte oder freie Lappen­
methoden zusammengefasst, die sich in der Behandlung neuro­
plastik
gener und/oder posttraumatischer Funktionsausfälle bewährt haben
(. Übersicht).

Operationsverfahren zur primären funktionellen Wieder­ . Tab. 36.6 Mögliche Replantate bei Segmentamputationen
herstellung der Extremität
Lokalisation Chirurgische Maßnahmen
4 Strecker- oder Beugergruppenersatz am Unterarm
– Sehnenersatzplastiken
Segmentamputation auf Replantation von Unterschenkelantei-
– Tenodesen Knie­gelenks- oder Unter- len oder osteomyokutaner Kalkaneus-
– Arthrodesen schenkelebene Fußsohlen-Lappen
4 Entfernung der Oberarmbeuger
Segmentamputation im Falls keine innere Resektion möglich,
36 – Ersatzplastik durch Latissimus-dorsi-Lappen, Pectoralis-
major-Lappenplastik, Steindler-Verfahren
Schultergürtelbereich Replantation des Unterarms zur
Defektdeckung der Thoraxwand und/
4 Verlust der Strecker und/oder Peronäalgruppe am Unter- oder Schulterkonturierung
schenkel
– Steigbügelplastik in Kombination mit Tenodese der Segmentamputation im Atypische Handreplantation
distalen Unterarmbereich
Zehenstrecker
4 Verlust der Kniegelenkstrecker
– M.-Biceps-Plastik
4 Verlust der Fußhebung, Zehenstreckung
– Steigbügelplastik, Tenodesen mehraufwendungen beim Gang, die bei der Hüftexartikulation über
100% betragen können (7 Kap. 30.3). Ein möglichst langer und gut
belastbarer Stumpf ist daher anzustreben.
Diese Methoden sollten synchron mit dem Resektionseingriff einge­ In . Tab. 36.5 sind Lokalisationen, bei denen eine erweiterte
setzt werden und erfordern eine ausreichende Weichteilbedeckung. ­Resektion mit atypischer Stumpfbildung erfolgen sollte, zusam­
Grundprinzip ist es dabei, Anteile antagonistischer Muskelgruppen mengestellt (Steinau et al. 1997). Techniken der Borggreve-Um­
als motorische agonistische Einheit zu verlagern. Bekannte Metho­ kehrplastiken (7 Kap. 30.5.2), Filetlappenplastiken, gestielte oder
den sind die Radialisersatzplastik nach Merle d’Aubignée und die mikrochirurgische Verpflanzung von distalen Amputatanteilen eig­
Steigbügelplastik zur Rekonstruktion der Fußheberfunktion nach nen sich zur Stumpfdistalisation. Mögliche Replantate bei Segmen­
Peronäusverlust oder Resektion der Fußheber-/Eversionsmuskula­ tamputationen sind in . Tab. 36.6 zusammengestellt (Steinau et al.
tur (M. tibialis anterior, M. peronaeus longus et brevis). Eine detail­ 1997).
lierte Beschreibung motorischer Ersatzplastiken findet sich in Bei Lokalisation des Tumors im dorsalen Oberschenkel ist da­
7 Kap. 43, 44 und 46. her ein Kniegelenksartikulationsstumpf, dessen dorsale Muskel­
gruppen entfernt wurden, dem Hüftgelenksexartikulationsstumpf
und der proximalen Oberschenkelamputation eindeutig überlegen.
36.3.13 Spezielle Verfahren zur Stumpf­ Funktio­nell ist auch die atypische Unterarm-, Handgelenks- und
verlängerung Fußstumpfbildung den klassischen hohen Amputationsformen
vorzuziehen. Insbesondere stehen mit dem mikrochirurgischen
Lässt die Tumorausdehnung unter onkologischen Kriterien eine R0- Gewebetransfer (Transplantation der zweiten Zehe zur Greifzan­
Resektion nicht zu, sollte vor dem Entschluss zur etagengerechten genbildung) sowie Umsetzung des Zeigefingers in die Daumenpo­
Amputation der Extremität unbedingt ein sog. Distalisationsverfah­ sition, oder Fußfiletierung zur Stumpfdeckung wertvolle Möglich­
ren in Betracht gezogen werden (Biemer u. Steinau 1988). keiten zur funktionellen Rehabilitation oder Prothesenanpassung
Nach Baumgartner (1991) resultieren aus den unterschiedlichen zur Verfügung. In der . Übersicht sind die gängigsten Verfahren
Amputationsebenen der unteren Extremität zunehmende Energie­ zusammengefasst.
36.4 · Postoperatives Management
313 36
Als Grenzbefunde, die einen Extremitätenerhalt kaum noch zu­
Differenzialtherapeutische Möglichkeiten zur Rekonstruk­ lassen, gelten:
tion nach gliedmaßenerhaltender Resektion (Russel 1977) 4 transmetakarpale und transmetatarsale Tumorinfiltration,
4 Haut und Unterhaut 4 Durchwachsen der Membrana interossea,
– Regionale Lappenplastiken (einschließlich fasziokutaner 4 lokoregionäre Dissemination und
und myokutaner Lappenplastiken, Spalt- und Vollhaut- 4 ein exulzerierter, zirkulär wachsender Riesentumor.
transplantate)
– Mikrochirurgische Gewebetransplantationen und ge- Vor der Ablatio ist die Möglichkeit einer neoadjuvanten Therapie
stielte Fernlappenplastiken oder Extremitätenperfusion zu klären, um eine lokale Operabilität
4 Neuromuskuläres System der Extremitäten herbeizuführen.
– Neurovaskuläre Insellappenplastiken
– Nervenresektionen und extraanatomische autologe Inter-
ponate 36.4 Postoperatives Management
– Gestielte oder freie neurovaskuläre Muskeltransplantate
– Sehnentransfer und Tenodesen Besonderer Überwachung bedürfen Patienten mit präoperativer
– Arthrodesen, Resektionsarthroplastiken Radio-/Chemotherapie und konsekutiv niedrigen Leukozyten- und
– Orthesen Thrombozytenzahlen. Ulzerationen von Haut und Schleimhäuten in
– Stumpfdistalisationen, Prothesenversorgung Mundhöhle und Blasen, unerwartete Nachblutungen sowie kardio­
4 Skelettsystem respiratorische Probleme erfordern ein intensives Monitoring.
– Knochenresektion und Ersatzverfahren Nach Extremitätenrekonstruktionen und Lappenplastiken zählt
– Spongiosaplastik, kortikospongiöser Span die konsequente Perfusionskontrolle zu den postoperativen Stan­
– Mikrovaskuläre Knochentransplantate dards. Bei eintretenden Perfusionsstörungen kann die sofortige Re­
– Allografts vision mit guten Erfolgsaussichten den drohenden Transplantatver­
– Gelenkresektion, Arthroplastik, Tumorprothesen lust abwenden.
– Alloarthroplastiken
– Verbundosteosynthesen
– Stumpfdistalisationen, atypische Stumpfbildungen 36.4.1 Spezielle postoperative Probleme
4 Blutgefäßsystem
– Ausschälung (Adventitia) Nachblutung, Hämatom- und Serombildung. Als besondere Risi­
– Resektion und Interpositionsplastik kofaktoren für die Entstehung von Hautperfusionsstörungen, lang­
– Extraanatomischer Bypass wierigen Sekundärheilungen, Abszessen, Sehnensequestern oder
4 Kombinierte Verfahren Osteitis gelten postoperative Hämatome und Serome. Eine Präven­
– Mikrochirurgische Transplantationen (z. B. Zehentransfer) tion besteht in der Frühintervention mit Hämatomausräumung,
– Transfer distaler Amputatanteile Wundrandexzision und Sekundärnaht. Dies gilt umso mehr bei
– Filetierungen (auch osteomyokutane Lappenplastiken) langstreckig dissezierten Gefäßen (Leiste, Oberschenkel), Deperios­
tierungen langer Röhrenknochen und v. a. bei Gefäßrekonstrukti­
onen, da Infektionskomplikationen bis hin zur septischen Ruptur
drohen.
Ein komplexes Distalisationsverfahren, das funktionell sogar einer
Tumorkniegelenksprothese überlegen ist (Hillmann et al. 1999), Durchblutungsstörungen und Nekrosen. Wundranddurchblu­
stellt die Verpflanzung des distalen Unterschenkels mit Fußanteil zur tungsstörungen bis hin zu Lappennekrosen bedürfen eines frühzei­
funktionellen Kniegelenksrekonstruktion nach Borggreve und van tigen radikalen Débridements, um den Übergang in eine Gangrän
Nes dar (Heeg u. Torode 1998; . Abb. 30.3). Hierbei wird nach Re­ zu vermeiden. Kommt es dabei zum Verlust der Weichteilbedeckung,
sektion des tumortragenden Knieanteils der nichtbefallene Unter­ so besteht die klare Indikation für eine erneute Weichteilplastik. Nur
schenkel nach Zehenamputation unter Drehung um 180° an den so kann für den Patienten nachteiligen Verzögerungen der adju­
Oberschenkelstumpf gestielt oder mikrochirurgisch replantiert. Das vanten Therapie vorgebeugt werden (Cordeiro et al. 1994).
ehemalige Sprunggelenk fungiert dann als Neokniegelenk. Dieses
Verfahren bringt neben dem funktionellen Vorteil allerdings be­ Unzureichende Radikalität. Zeigt die abschließende histopatholo­
trächtliche ästhetische Veränderungen mit sich. Eine enge Führung gische Untersuchung eine nur marginale Exzision, sollte mit einer
des Patienten ist daher erforderlich (Hillmann et al. 1999). Nachresektion nicht gezögert werden, da keine adjuvante Thera­
pieform die chirurgisch-radikale R0-Resektion ersetzen kann. Eine
vorbestehende Wundhöhle sollte dabei en bloc mit ausreichendem
36.3.14 Aktuelle Amputationsstrategie Weichteilmantel exzidiert werden (Zornig et al. 1995).

Verglichen mit der Amputation und Versorgung mit einer Prothese, Lymphabflussstörungen. Nach ausgedehnter Gefäßdisseketion
die das körperliche Leistungsvermögen überfordert, stellt eine »bio­ und ausgedehntem Verlust der Weichteile des Extremitätenquer­
logische Stelze« oder sensible Zangenversorgung an der oberen Ex­ schnitts kann es auch bei Schonung der Lymphkollektoren zu ausge­
tremität einen qualitativ hochwertigeren Restzustand dar, mit dem dehnten Lymphabflussstörungen kommen. Hier ist eine konsequente
ein betagter Patient sich besser selbst versorgen kann (Steinau et al. und frühzeitige Lymphdrainage und postoperative Kompressions­
2001). Hier stellt die Einschätzung des vermehrten Energieauf­ therapie indiziert. Ausgedehnte Lymphödeme bergen ein Risiko für
wandes zur Fortbewegung nach Baumgartner (1991) eine wertvolle die Entstehung von Phlegmonen und erschweren adjuvante Thera­
Bewertungsgrundlage dar. piemaßnahmen.
314 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

a b

36
d

. Abb. 36.4a–d Palliative Resektionsindikation bei ante perforationem


stehendem großem Lymphknotenrezidiv eines ursprünglich in der Adduk-
torenloge gelegenen Fibrosarkoms. Fötider Geruch und Sickerblutungen
belasten den jungen Patienten erheblich. a Tumor mit Ummauerung der
A. femoralis, Infiltration der V. femoralis und Infiltration der Inguinalregion.
b Resektion unter Gefäßeinschluss der V. femoralis. c Rekonstruktion der
unteren Bauch­wand mit Nylonnetz und der Haut/Weichteile mittels distal
gestieltem erweitertem vertikalem Rektus-abdominis-(VRAM-) Lappen.
d Damit lokale Sanierung und Herstellung eines guten Pflegezustandes bei
c
insgesamt verbessertem Allgemeinzustand

36.4.2 Nachsorge schule und Ergotherapie. Besonderes Augenmerk ist auf die frühzei­
tige Prothesenrehabilitation zu richten. Mit den modernen Silikon­
Die regelmäßige onkologische Nachsorge, deren Modalitäten noch linern kann die Mobilisation einer Vollkontaktprothese eher reali­
nicht einheitlich abgesichert sind, umfasst neben der klinischen Un­ siert werden als mit langwierigen Interimsprothesen. Es hat sich
tersuchung die bildgebenden Verfahren des MRT und der Sonogra­ gezeigt, dass dieses Vorgehen auch die gefürchtete Phantomschmerz­
phie (Poon-Chue et al. 1999). Nicht selten kommt es zu Problemen problematik positiv beeinflusst und eine deutlich frühere Rehabili­
bei der Interpretation der Befunde durch den Radiologen, sodass tation der Patienten ermöglicht.
eine enge Kooperation mit dem Operateur zu empfehlen ist.

36.4.4 Funktionelle und ästhetische Spätfolgen


36.4.3 Physiotherapie, Prothesenversorgung
Da nach Erkrankung an einem Weichgewebssarkom eine 5-Jahres-
Die zumeist notwendige Physiotherapie beginnt bereits während des Überlebensrate von >50% erreicht wird, stellen sich zunehmend
stationären Aufenthaltes und umfasst Muskelkrafttraining, Geh­ Patienten mit dem Wunsch vor, eine Verbesserung der Spätfolgen
36.6 · Adjuvante Therapien
315 36
vornehmen zu lassen. Eine eingehende Befunderhebung und Bera­ 36.6 Adjuvante Therapien
tung mit dem Patienten hilft, realisierbare funktionell-ästhetische
Korrektureingriffe unter Einsatz des oben genannten Spektrums zu Die Indikation zu adjuvanten Therapiemodalitäten ist bei weiter Re­
planen. Dabei ist es wichtig, nicht zu realisierende Vorstellungen als sektion im Gesunden kritisch zu hinterfragen und ist lediglich bei
solche zu erkennen und dem Patienten bei der persönlichen Verar­ Sarkomen hochmaligner Typisierung mit hoher primärer Metasta­
beitung der Defektzustände Hilfestellung zu geben. sierungswahrscheinlichkeit (Synovialsarkom) notwendig. Von einer
Nach Multimodaltherapie dominieren kutane und Weichge­ begleitenden Polychemotherapie profitieren im Erwachsenenalter
websnekrosen, chronisch rezidivierende Ulzerationen, Lymphangi­ nur knapp 10% der Patienten, wobei einige Untergruppen (z. B. Pa­
tis bei Lymphödem, progressive neurologische Ausfälle und Kontur­ tienten mit Ewing-Sarkom) höhere Erfolgsquoten aufweisen. Meta­
defizite. Besonders nach Therapie im Kindesalter bestehen Wachs­ analysen ergeben für eine postoperative Radiatio bei R0-Resek­tionen
tumsverzögerungen, Fehlstellungen und Asymmetrien (Steinau et einer T1 N0 M0-Erstmanifestation keine Rechtfertigung, bei schlech­
al. 2001). terer Differenzierung (G2–G3) hingegen wird die lokale Kontrolle
Wachstum und altersbedingte Veränderungen führen zu einer deutlich verbessert (Casper et al. 1991).
Komplizierung der bereits vorbestehenden Veränderungen. Insbe­ Außerhalb von Therapiestudien lässt sich eine Chemotherapie
sondere betrifft dies das arterielle und venöse Gefäßsystem, Muskel­ allenfalls für palliative Indikationen rechtfertigen.
gruppen und Nervenstränge. Instabile Hautareale und Muskel- oder Bei irresektablem Primärbefund oder Spätrezidiven mit verblei­
Sehnenfibrosen mit konstriktiver Nervenkompressionen sind Indi­ bender lokaler Schmerzproblematik lässt sich auch durch die Bra­
kationen für einen plastischen Weichgewebsersatz mittels gut vasku­ chytherapie in Einzelfällen eine sehr gute Palliation erzielen (Alek­
larisierter Lappenplastiken. Die plastisch-chirurgische Wiederher­ hteyar et al. 1996). So ist durchaus auch die Indikation zu einer pri­
stellung eines unbestrahlten Knochenlagers reduziert zudem die mären Weichteilplastik zu stellen, da hiermit die lokal entstehenden
Komplikationsraten eines evtl. notwendigen alloplastischen Gelen­ Wundheilungsstörungen nach Bestrahlung im Tumorbett besser be­
kersatz oder osteoplastischer orthopädischer Eingriffe zum Aus­ herrschbar sind und für den Patienten eine verbesserte Lebensqua­
gleich von Längendifferenzen (Distraktionskortikotomie; Cordeiro lität erzielt wird.
et al. 1994).
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durch Immobilität und Schmerzmittelabusus zu einer gravierenden
Biol Phys 36 (2): 321–324
Sekundärmorbidität führen. Besonders hier können plastische Kor­
Arbeit JM, Hilaris BS, Brennan MF (1987) Wound complications in the multi-
rekturen mittels Entfernung von Exostosen, muskulärer Weichpol­ modality treatment of extremity and superficial truncal sarcomas. J Clin
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eine deutliche Verbesserung für den Patienten erzielen und seine Arca MJ, Sondak VK, Chang AE (1994) Diagnostic procedures and pretreat-
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36.5 Lokalrezidiv nach Multimodaltherapie radiotherapy for soft tissue sarcoma of the extremities and trunk. J Clin
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Barwick WJ (1992) Vascularized tissue transfer for closure of irradiated wounds
Das Lokalrezidiv nach Multimodaltherapie stellt eine besondere He­
after soft tissue sarcoma resection. LLL 216: 591–595
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Baumgartner R, Botta P (1995) Amputation und Prothesenversorgung der
jeden Fall sollte versucht werden, eine Resektion in sano zu erzielen, unteren Extremität, 2. Aufl. Enke, Stuttgart, S 102
ggf. unter Einsatz der Extremitätenperfusion. Biemer E, Steinau HU (1988) Primary reconstruction in extremity saving resec-
Da es sich oft um Befunde in Strahlenfeldern mit Minderper­ tion of the lower extremity. Langenbecks Arch Chir (Suppl) 2: 465–468
fusion und Fibrosen handelt, kommen lokale Muskellappen oder Brennan MF (1989) Management of extremity soft-tissue sarcoma. Am J Surg
Transplantate zum Einsatz, die eine sichere Abdeckung bradytro­ 158: 71–78
pher Gewebe und Knochen gewährleisten. Brooks AD, Heslin MJ, Leung DH, Lewis JJ, Brennan MF (1998) Superficial ex-
Lokalerezidive jenseits der 10-Jahres-Grenze sind selten, ebenso tremity soft tissue sarcoma: an analysis of prognostic factors. Ann Surg
Sekundärmalignome wie das Basalzellkarzinom (Baldini et al. 1999), Oncol 5: 41–47
Casper ES, Gaynor JJ, Hajdu SI, Magill GB, Tan C, Friedrich C, Brennan MF (1991)
Plattenepithelkarzinom oder von der Primärhistologie abweichen­
A prospective randomized trial of adjuvant chemotherapy with bolus
de Sarkome. Eine histopathologische Untersuchung ist immer bei
versus continuous infusion of doxorubicin in patients with high-grade
Wundheilungsstörungen nach jahrelang zurückliegender Mulit­ extremity soft tissue sarcoma and an analysis of prognostic factors.
modaltherapie oder Radiatio zu fordern. Die chirurgische Therapie Cancer 68: 1221–1229
derartiger Läsionen folgt den gleichen Prinzipien mit onkologiege­ Chang AE (1987) Magnetic resonance imaging versus computed tomography
rechter chirurgischer Entfernung und Verschluss durch sichere in the evaluation of soft tissue tumors of the extremities. LLL 205: 340–
Weichteilplastik. Sollte beim Ersteingriff die Radiatio bereits die lo­ 348
kale Grenzdosis erreicht haben, kann eine Extremitätenperfusion Chang HR, Hajdu SI, Collin C, Brennan MF (1989) The prognostic value of his-
von Vorteil sein (Eggermont 1996). Auch unter palliativen Indika­ tologic subtypes in primary extremity liposarcoma. Cancer 64: 1514–
tionen sind derartige Maßnahmen zur Erreichung eines verbes­ 1520
Cordeiro PG, Neves RI, Hidalgo DA (1994) The role of free tissue transfer fol-
serten Pflegezustandes oder zur Reduktion der Tumorlast indiziert
lowing oncologic resection in the lower extremity. Ann Plast Surg 33:
(. Abb. 36.4).
9–16
Drake DB (1995) Reconstruction for limb-sparing procedures in soft-tissue
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316 Kapitel 36 · Maligne Weichgewebstumoren des Stammes und der Extremitäten

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VII

Funktionelle Wieder­
herstellung peripherer
Nervenfunktionen
P. Vogt

Kapitel 37 Physiologische Grundlagen der Nervenregeneration   – 321


C. Radtke

Kapitel 38 Techniken der Nervenrekonstruktion   – 327


A. Gohritz

Kapitel 39 Schädigung des N. facialis   – 333


A. Gohritz

Kapitel 40 Schädigung des Plexus brachialis   – 341


M. Spies

Kapitel 41 Schädigung peripherer Nerven der oberen Extremität   – 353


A. Gohritz

Kapitel 42 Schädigung peripherer Nerven der unteren Extremität   – 361


A. Gohritz

Kapitel 43 Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen


an Unterarm und Hand   – 367
A. Gohritz, P.M. Vogt

Kapitel 44 Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter-


und Ellbogenfunktion   – 379
A. Gohritz, P.M. Vogt

Kapitel 45 Funktionsverbesserung der oberen Extremität


von Tetraplegikern   – 393
A. Gohritz

Kapitel 46 Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität   – 403


P.M. Vogt
Kapitel 47 Denervation bei Schmerzsyndromen an der oberen
und unteren Extremität   – 411
A. Gohritz

Kapitel 48 Kompressionssyndrome der oberen Extremität   – 419


C. Herold

Kapitel 49 Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität   – 429


R. Krämer, A. Gohritz
Ein großes Arbeitsgebiet der Plastischen Chirurgie ist die Wiederherstellung verletzter peripherer Nerven. Dies
betrifft zum einen die immer noch in ihrer Folge verheerenden Plexusverletzungen, zum anderen die peripheren
Nervenkompressionen und Läsionen. Ebenso haben sich schmerzausschaltende Operationen im Behandlungsspek­
trum etabliert.
Es stehen heute zahlreiche effiziente Methoden der Wiederherstellung zum einen durch direkte Nervenre­
konstruktion oder Neurotisierung zur Verfügung. Im Plexusbereich lassen sich bei frühzeitiger Indikationsstellung
und Durchführung des Eingriffs Erfolgsraten mit guten Ergebnissen in etwa 45% der Fälle erreichen. Zwar mutet
dieses Ergebnis auf den ersten Blick enttäuschend an, in Anbetracht der jedoch unbehandelten oder insuffizient
behandelten funktionslosen Extremität bedeutet dies bereits einen erheblichen Fortschritt für den einzelnen Pa­
tienten.
Stehen primäre Nervenwiederherstellungsmaßnahmen nicht mehr zur Verfügung oder sind sie nicht mehr
aussichtsreich, kann heute mit effizienten Ersatzverfahren wie Sehnentransfers oder neurotisierten, freien Muskel­
transfers eine Wiederherstellung einfacher Grundfunktionen erzielt werden. Diese Sektion stellt die in unserer
Klinik erprobten und aussichtsreichen Verfahren ausführlich dar.
37

Physiologische Grundlagen
der Nervenregeneration
C. Radtke

37.1 Aufbau des Nervs – 322


37.1.1 Morphologie der Schwann-Zelle – 323
37.1.2 Axonaler Transport – 323

37.2 Nervenverletzung – 323


37.2.1 Klinische Einteilung von peripheren Nervenverletzungen – 323
37.2.2 Nervenregeneration – 324
37.2.3 Fortschritte – 324
37.2.4 Neurom   – 325

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
322 Kapitel 37 · Physiologische Grundlagen der Nervenregeneration

Nervenfasern im peripheren Nervensystem besitzen eine weitaus


größere Fähigkeit zur Regeneration als im zentralen Nervensystem.
Eine Nervenverletzung initiiert neben der Leitungsunterbrechung
auf mikroskopischer Ebene eine Kaskade verschiedener zellulärer
und humoraler Ereignisse. Doch selbst nach sofortiger sorgfältiger
mikrochirurgischer Intervention kann das funktionelle Resultat un­
zureichend sein. Die Verbesserung der Regeneration nach axonaler
Verletzung und Demyelinisierung ist sowohl klinisch als auch wis­
senschaftlich eine Herausforderung, Voraussetzung sind fundiertes
Grundwissen über anatomische Strukturen des normalen periphe­
ren Nervs sowie Kenntnisse der ablaufenden Prozesse nach einer
Nervenverletzung.

37.1 Aufbau des Nervs


Die Grundstruktur eines peripheren Nervs besteht aus Neuronen als
Grundstruktur und sie begleitenden Schwann-Zellen. Diese beste­
hen aus einem Zellkörper und verschiedenen Zellausläufern, den
Dendriten und dem Axon. Dendriten übertragen dabei elektrische
Impulse zum Zellkörper hin, das Axon leitet elektrische Signale von
diesem weiter.
Gliazellen sind unterstützende Zellen und beinhalten im peri­
pheren Nervensystem die Schwann-Zellen. Sie sind in weitaus hö­
herer Anzahl vorhanden als Neurone, das Verhältnis kann von 1:10
bis 1:50 reichen. Im Unterschied zu Neuronen können sich Gliazel­
len mitotisch teilen.
Im peripheren Nervensystem werden myelinisierte von nicht­
myelinisierten Nervenfasern unterschieden. Die Geschwindigkeit
der entlang der Nervenfaser erfolgenden Nervenleitung beträgt in
den myelinisierten Nervenfasern nur einen Bruchteil derjenigen in
den nichtmyelinisierten Fasern. Myelin ist eine Isolierschicht des
37 Nervs aus Lipiden und Proteinen, wobei sich der Proteinanteil im
peripheren Myelin maßgeblich von dem im zentralen Myelin unter­
scheidet. Als vorherrschendes Protein findet man im peripheren
Nervensystem MBP (»myelin basic protein«) und P0 (Protein 0).
Im peripheren Nervensystem sind Schwann-Zellen für die My­
elinisierung der Fasern verantwortlich. Die Schwann-Zelle wickelt
sich dabei mit mehreren Schichten um die entsprechende Nerven­
faser, und im Gegensatz zu den myelinbildenden Zellen des ZNS, a
den Oligodendrozyten, myelinisiert eine Schwann-Zelle nur ein
­einzelnes Axon. Entlang eines Axons finden sich dann mehrere

. Abb. 37.1 Aufbau eines periphereren Nervs (a).


Eine Vielzahl von Axonen schließt sich zu Faszikeln
zusammen (b). Das Endoneurium beschreibt da-
bei den Raum zwischen mehreren Axonen innerhalb
eines Faszikels. Diese ­Einheit ist von Bindegewebe,
dem Perineurium, umschlossen. Schließlich bilden
Faszikel zusammen einen peripheren Nerv, dessen
äußere Hülle Epineurium genannt wird b
37.2 · Nervenverletzung
323 37
Schwann-Zellen, die jeweils durch Ranvier-Schnürringe voneinan­ zwischen einer schnellen und langsamen Form differenziert wird.
der getrennt sind. Dieser Transport unterhält u. a. die Struktur des Nervs und befördert
Eine Vielzahl von Axonen schließt sich zu Faszikeln zusammen. die im Zellkörper produzierten Neurotransmitter an ihren Wirkort,
Das Endoneurium beschreibt dabei den Raum zwischen mehreren an die Synapsen. Materialien, die im Zellkörper produziert werden,
Axonen innerhalb eines Faszikels. Diese Einheit ist von Bindegewe­ wie z. B. Mikrofilamente und Neurotransmitter, die eine Funktion
be, dem Perineurium, umschlossen. Schließlich bilden Faszikel zu­ am terminalen Axon ausführen, gelangen mit dem schnellen antero­
sammen einen peripheren Nerv, dessen äußere Hülle Epineurium graden Transport zum Zielort. Diese Geschwindigkeit kann bis zu
genannt wird (. Abb. 37.1). >400 mm/Tag betragen. Der retrograde Transport ist u. a. verant­
Periphere Nerven stellen eine funktionelle Einheit dar, um Infor­ wortlich für den Transport verbrauchter Transmitter oder neurotro­
mationen fortzuleiten. Es werden 3 Gruppen von Nerven aufgrund pher Faktoren. Der axonale Transport ist energieabhängig und durch
ihrer Nervenleitgeschwindigkeit, ihrer Funktion und ihres Durch­ Verletzungen oder Erkrankungen leicht anfällig, z. B. wird der retro­
messers unterschieden. Gruppe-A-Fasern besitzen den größten grade Transport von einigen Viren (Herpes, Polio) »missbraucht«,
Durch­messer und sind vorwiegend myelinisiert. Sie haben die um in den Zellkern zu gelangen.
höchste Nervenleitgeschwindigkeit. Es werden hier weiterhin 3 Un­
tergruppen unterschieden. Sie können sowohl afferent als auch effe­
rent sein. Gruppe-B-Fasern enthalten autonome und präganglio­ 37.2 Nervenverletzung
näre Fasern, und die Gruppe-C-Fasern sind die langsamsten und
dünnsten Nervenfasern. Sie sind normalerweise nicht myelinisiert. Veränderungen peripherer Nerven nach Durchtrennung betreffen
Mit den Aδ-Fasern übertragen sie Schmerz. den Zellkörper sowie das distale und proximale Ende des verletzten
An myelinisierten Fasern erfolgt die Reizleitung durch saltato­ Axons. Der Anteil des Axons, welcher Kontakt zum Zellkörper hat,
rische Erregung, wobei das Aktionspotenzial jeweils nur im Bereich wird proximaler Anteil genannt, der Bereich des Axons, der vom
des Ranvier-Schnürring stattfindet, in welchem eine hohe Dichte an Rest der Zelle getrennt wurde, wird als distaler Anteil bezeichnet.
spannungsabhängigen Natriumkanälen exprimiert wird. Nach Durchtrennung kommt es zu einem Anschwellen des Zell­
körpers mit Chromatolyse und Verlängerung des Zellkerns in die
> Somit ist es von entscheidender Bedeutung, dass es nach
Peripherie des Zellkörpers sowie zu einer Degeneration des distalen
Nervenregeneration nicht nur zur anatomischen Integrität
Nervenanteils, der sog. Waller-Degeneration (nach Augustus Wal­
kommt, sondern auch zur Wiederherstellung einer effek-
ler, 1850). Zusätzlich tritt eine Retraktion der Nervenenden auf und
tiven Erregungsleitung.
bedingt durch den unterbrochenen axonalen Transport ein An­
schwellen der Nervenenden.
Einströmende Ca2+-Ionen führen zu einer Aktivierung von Pro­
37.1.1 Morphologie der Schwann-Zelle teasen, die den entstandenen Schaden verstärken. Läsionen, die den
Zellkörper eines Neurons direkt betreffen, führen zum Untergang
Theodor Schwann entdeckte Mitte des 19. Jahrhunderts, dass be­ der Zelle. Es kann weiterhin eine anterograde oder retrograde trans­
stimmte Zellen mit den Axonen im peripheren Nervensystem asso­ neurale Degeneration stattfinden, wobei sich die Schädigung auf
ziiert sind. Diese Zellen werden nach ihm bezeichnet. Gliazellen, wie ein vor- bzw. nachgeschaltetes Neuron ausdehnt. Bei einer Axonzer­
die Schwann-Zellen, sind essenziell für die Funktionen und das reißung kann es zusätzlich zu konsekutiver Einblutung, Radikal­
Überleben von Neuronen. Aufgaben der Schwann-Zellen beinhalten bildung und Ödembildung kommen. Es entsteht ein sog. Sekundär­
die Myelinisierung von Axonen sowie deren gerichtetes Wachstum schaden.
und Regeneration, zusätzlich entfernen sie zellulären Débris nach
Verletzung.
Im Gegensatz zu Neuronen besitzen Schwann-Zellen nicht 37.2.1 Klinische Einteilung von peripheren
die Fähigkeit, synaptische Informationen zu übermitteln, aber sie Nervenverletzungen
können durch Zellteilung proliferieren. Schwann-Zellen können da­
bei entweder ein Axon einfach nur umgeben (nichtmyelinisierende Seddon unterteilte 1952 die periphere Nervenverletzung in
Schwann-Zelle), oder aber die Schwann-Zelle umwickelt ein ein­ 4 Neurapraxie,
zelnes Axon mehrmals und myelinisiert das Axon (myelinisierende 4 Axonotmesis und
Schwann-Zelle), wodurch es zu einer erhöhten Nervenleitgeschwin­ 4 Neurotmesis.
digkeit im Axon kommt. Der Axondurchmesser bestimmt, ob Sch­
wann-Zellen einfach nur das Axon umgeben oder es myelinisieren Eine erweiterte Klassifikation wurde von Sunderland eingeführt, die
(Voyvodic 1989). 5 Stufen unterscheidet.
Die äußere Membran der Schwann-Zelle ist das Neurolemm, 4 Bei der Neurapraxie ist die Kontinuität des Nervs erhalten, aller­
eine Basalmembran. Nach einer axonalen Verletzung kommt es zu dings zeigt sich durch eine segmentale Demyelinisierung ein
morphologischen Veränderungen der Schwann-Zellen. Diese sog. Leitungsblock. Diese Verletzung ist durch Regeneration in­
reaktivierte Schwann-Zellen sind u. a. dazu fähig, durch die Sekre­ nerhalb von einigen Monaten reversibel. Ursächlich sind Trak­
tion von neurotrophen Faktoren richtungsweisend auf die axonale tionen oder leichte Kompressionen.
Regeneration einzuwirken und deren Elongation zu unterstützen. 4 Die Axonotmesis zeigt sich, wie die Neurapraxie, mit Myelinver­
lust, aber zusätzlicher axonaler Läsion mit erhaltenem Perineu­
rium. In diesem Fall ist eine Regeneration möglich, sie dauert
37.1.2 Axonaler Transport aber länger als bei einer Neurapraxie.
4 Die Neurotmesis beschreibt eine komplette Nervendurchtren­
Man unterscheidet einen anterograden von einem retrograden axo­ nung. Ohne mikrochirurgische Intervention findet keine Rege­
nalen Transport, wobei wiederum beim anterograden Transport neration statt (. Tab. 37.1).
324 Kapitel 37 · Physiologische Grundlagen der Nervenregeneration

. Tab. 37.1 Klassifikation der Nervenschädigung nach Grad der Schädigung, Ausmaß und Lokalisation der fibrösen Reaktion. (Mod. nach Millesi
1992; Sunderland 1951)

Nerven- Kennzeichen Prognose


verletzung

Grad I Neurapraxie mit erhaltenen Axonen, aber Blockierung, Ner- Verletzung ist reversibel und spontane Erholung möglich, Regene-
venleitgeschwindigkeit durch segmentale Demyelinisierung ration innerhalb von einigen Monaten

Grad II Axonotmesis mit axonaler Verletzung und Myelinverlust Intakte Basallamina mit guter Chance zur Regeneration, allerdings
längerandauernd als bei Neurapraxie

Grad III Axonale Verletzung und Zerreißung des Endoneuriums, Regeneration möglich, Perineurium als Leitschiene für regenerie-
intaktes Perineurium rende Axone, aber operative Therapie ist zu empfehlen

Grad IV Zerreißung des Perineuriums, komplette Narbenbildung und Aussicht auf spontane Regeneration schlecht, Operation (Neuroly-
dadurch Kontinuität erhalten, Neurombildung se) mit Resektion, Narbengewebe oder Neurom (ggf. Nerventrans-
plantation)

Grad V Neurotmesis mit kompletter Durchtrennung ohne Erhalt der Keine spontane Regeneration, Resektion und Operation mit Neu-
Kontinuität rorrhapie oder Nerventransplantaion notwendig

37.2.2 Nervenregeneration Nerv enthalten. Nach einer Axotomie kommt es zu einem Abfallen
dieser Konzentrationen und nach Reinnervation zu einer erneuten
Distal der Nervenverletzung gehen sowohl das Axon als auch die Erhöhung.
umgebende Myelinscheide im Rahmen der Waller-Degeneration . Abb. 37.2 zeigt die Nervenregeneration im Überblick.
zugrunde. Der Zelldébris wird von eingewanderten Makrophagen,
Mastzellen sowie Schwann-Zellen abgeräumt. Schließlich bleiben Proximaler Bereich und Wachstumskegel
nur noch Bindegewebsreste und die den Nerv ursprünglich umge­ Ausgehend vom proximalen Anteil des verletzten Nervs kann es zum
benden Bindegewebshüllen übrig. Parallel zu diesen Prozessen Aussprossen des Axons und unter optimalen Bedingungen zur Re­
kommt es nach Kontaktverlust der Schwann-Zellen mit dem Axon generation mit Erreichen des Zielorgans kommen. Innerhalb der
zur morphologischen Veränderung dieser (reaktivierten) Schwann- ersten 24 h nach Trauma beginnt das Aussprossen des proximalen
37 Zellen. Sie beginnen zu proliferieren (Salzer u. Bunge 1980), und Anteils. An diesen Ausläufern findet man sog. Wachstumskegel, die
infolge Migration bilden sie einen Zellstrang entlang der Basallami­ eine Vielzahl von Vesikeln und Mitochondrien enthalten. An diesen
na (sog. Büngner-Bänder). Dieser dient als Leitschiene für die rege­ Wachstumskegeln finden sich fingerförmige Ausstülpungen, sog.
nerierenden Axone. Filopodien, die die Umgebung explorieren. Intrazelluläres Ca2+ re­
Zu diesem Zeitpunkt wachsen von proximal des verletzten Ner­ guliert die Beweglichkeit dieser aussprossenden Enden, und es wer­
venstumpfs mehrere neu gebildete Axone aus. Zusätzlich werden den Proteasen produziert, um die extrazelluläre Matrix, die eine
neurotrophe Faktoren produziert und vermehrt Adhäsionsmoleküle entscheidende Rolle für die Nervenregeneration spielt, durchdrin­
auf der Oberfläche der Plasmamembran exprimiert. Beides ist für gen zu können.
das regenerierende Axon richtungsweisend. Zusätzlich weisen Wachstumskegel Liganden für bestimmte Ad­
Im normalen peripheren Nerv wird in den Endorganen sympa­ häsionsmoleküle auf, wie z. B. Laminin und Fibronektin, die im Be­
thischer und sensibler Nerven »nerve growth factor« (NGF) produ­ reich der Basalmembran und den Schwann-Zellen lokalisiert sind.
ziert und retrograd zum Zellkörper transportiert. Ist nun die Konti­ Durch diese sog. Kontaktführung und des Weiteren durch chemo­
nuität unterbrochen, fehlen diese wichtigen neurotrophen Faktoren. taktische Faktoren kommt es zum gerichteten Aussprossen (Ramon
Nach der Einwanderung von hämatogenen Makrophagen in die Lä­ y Cajal 1928) der regenerierenden Axone. Diejenigen, die die Basal­
sion produzieren diese Interleukin-1, das wiederum Schwann-Zel­ membran mit den darin enthaltenen Schwann-Zellen erreichen,
len anregt, NGF zu produzieren (Lindholm et al. 1987). Regenerie­ wachsen weiter und werden an die entsprechende Zielzelle oder
rende sensible Axone wachsen dann in Richtung dieser Faktoren aus. Zielstruktur geleitet, sodass das Neuron die Informationen in Form
Wird die Einwanderung von Makrophagen behindert, dann ist die von elektrischen Impulsen wieder weitergeben kann.
Beseitigung des Myelindébris der zerfallenden Myelinscheide pro­
trahiert, und es kommt zu keiner wesentlichen NGF-Sekretion durch
die Schwann-Zellen (Brown et al. 1991). 37.2.3 Fortschritte
In unverletzten peripheren Nerven sowie in Schwann-Zellen
werden normalerweise keine wesentlichen Konzentrationen an Während im peripheren Nervensystem unter bestimmten Bedin­
»brain-derived neurotrophic factor« (BDNF) gebildet. Erst nach gungen die Regeneration von verletzten peripheren Nerven statt­
Nervenverletzung zeigt sich eine signifikant Erhöhung. BDNF ist ein finden kann, ist die axonale Regeneration bei Verletzungen im zen­
essenzieller Faktor für das Überleben und die Regeneration sensib­ tralen Nervensystem (ZNS) unter normalen Gegebenheiten nur sehr
ler, sensorischer als auch motorischer Nervenfasern. BDNF und begrenzt möglich. Die therapeutischen Mittel sind in beiden Fällen
NGF scheinen ergänzend zusammenzuarbeiten. limitiert.
Ein weiter wichtiger Faktor ist der »ciliary neurotrophic factor« Neue Fortschritte in der Zellbiologie haben zur Präparation und
(CNTF). Es ist in hohen Titern in Schwann-Zellen im unverletzten Kultivierung verschiedener Zelltypen geführt, die nach Transplan­
37.2 · Nervenverletzung
325 37

. Abb. 37.2 Schema der Nervenregeneration nach Verletzung

tation demyelinisierte Axone wieder remyelinisieren können und kann durch Berührung im Bereich des Neuroms eine genau lokali­
axonales Wachstum unterstützen. In tierexperimentellen Versuchen sierbare Triggerzone identifiziert werden.
konnten bereits Verbesserungen durch Zelltransplantationen von
peripher-myelinbildenden Zellen in die Läsionsstelle, Transplanta­ Prävention und Therapie
tion von Neuronen sowie die Anwendung von neurotrophen Fak­ Es hat sich bewährt, die Neuromformation bei einem durchtrennten
toren zu einer Optimierung der Ergebnisse sowohl morphologisch Nerv, in dem die Koadaptation nicht möglich ist, durch Einkapse­
als auch funktionell führen. Auch Aspekte der Neuroprotektion lung des Nervenendes zu reduzieren. Es wurden muskuläre und os­
scheinen klinisch interessant zu sein. Ein Problem in der poten­ säre Verlagerung, Elektrokoagulation, Kryotherapie, Kortisoninjek­
ziellen klinischen Anwendung z. B. von Schwann-Zellen als Zell­ tion, Ligation, Verwendung von Silikonröhrchen etc. beschrieben,
therapie, besteht in der begrenzten Anzahl an Zellen, welche autolog wobei die Vielfalt widerspiegelt, dass sich eine Neurombildung trotz
ge­wonnen werden können. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der sorgfältigster Technik nicht zuverlässig vermeiden lässt.
Überbrückung langstreckiger Nervendefekte. Hier könnten neue Bei einem bereits bestehenden, schmerzhaften Neurom ist die
Biomaterialien verbesserte Möglichkeiten der Regeneration bieten chirurgische Exzision Therapie der Wahl mit anschließender ossärer
(Allmeling et al. 2006, 2007). oder muskulärer Verlagerung des Nervenstumpfs. Allerdings ist oft­
mals eine signifikante Verkürzung des betroffenen Nervs oder bei
einem Neuroma in continuitatem sogar eine Nerventransplantation
37.2.4 Neurom notwendig (. Abb. 37.3; 7 Kap. 38.2.2). Nicht selten kommt es zu ei­
ner erneuten Neurominduktion, die weitere Interventionen nach
Neurome entwickeln sich dann nach einer Nervenverletzung, wenn sich zieht.
es zu keiner vollständigen Regeneration kommt. Dabei wird durch Unter Umständen kann es bei Revisionseingriffen schwierig
das aussprossende Axon das Zielorgan oder die Zielzelle nicht wie­ sein, das Neurom im umgebenden Narbengewebe aufzufinden. In
der erreicht, sondern es resultiert ein ungerichtetes Wachstum der diesem Fall empfiehlt es sich, den entsprechenden Nerv proximal
Axone mit Hyperproliferation von Schwann-Zellen, Fibroblasten aufzusuchen und nach distal zu verfolgen. Für die intraossäre Verla­
und kollagenen Fasern. gerung sollte eine senkrechte Bohrung in den Knochen erfolgen. Der
Nerv befindet sich dann unter spannungsfreien Bedingungen im
> Eine vermehrte Narbenbildung im Bereich der Läsionsstel-
mittleren Bereich der Bohrung.
le erhöht das Risiko einer Neurombildung. In diesen Fall
sind die regenerierenden Axone nicht in der Lage, die Nar-
> Aufgrund der gesamten Problematik ist der Prävention
be zu durchbrechen, um ihr Endorgan zu erreichen. Es
eines Neuroms besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
kommt zum ziellosen Wachstum mit veränderter Expres­
Bei chirurgischen Eingriffen an einem peripheren Nerv ist
sion von Natriumkanälen mit nachfolgender gestörter
spezielle Vorsicht geboten, und atraumatische Techniken
Elektrophysiologie.
sollten strikt eingehalten werden, um Narbenbildung so
Neurome können sehr schmerzhaft sein und beeinträchtigen da­ gering wie möglich zu halten.
durch oft die Funktion der gesamten Extremität. Es zeigt sich eine
gestörte Erregbarkeit mit Hyperästhesie, Hyperalgesie und ausge­
prägtem Hoffmann-Tinel-Zeichen (7 Kap. 50.2.6). Typischerweise
326 Kapitel 37 · Physiologische Grundlagen der Nervenregeneration

a b

37
c d

. Abb. 37.3 Peripheres Neurom und Resektion mit Nerventransplantatinterposition

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eration, and direct injury. J Cell Biol 84 (3):739–752
38

Techniken der Nervenrekonstruktion


A. Gohritz

38.1 Diagnostisches Vorgehen – 328


38.1.1 Klinische Untersuchung – 328
38.1.2 Neurophysiologische Untersuchungen – 328

38.2 Therapeutisches Vorgehen – 328


38.2.1 Nervennaht – 328
38.2.2 Nerventransplantation – 329
38.2.3 Nerventransposition – 329
38.2.4 Nachbehandlung – 330
38.2.5 Neurome – 330
38.2.6 Nachsorge   – 330

38.3 Kontraindikationen – 330

38.4 Komplikationen – 330

38.5 Ergebnisse – 331


38.5.1 Wahl des Zeitpunkts   – 331
38.5.2 Alter der Patienten   – 331
38.5.3 Ausmaß und Niveau der Nerven­schädigung   – 331
38.5.4 Defektgröße und Spannung der Nervennaht   – 331
38.5.5 Mechanismus der Nervenverletzung   – 331
38.5.6 Dokumentation der Ergebnisse – 331
38.5.7 Prognose nach Rekonstruktion spezifi­scher Nerven der oberen Extremität – 331

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
328 Kapitel 38 · Techniken der Nervenrekonstruktion

Die Prognose einer peripheren Nervenverletzung hängt von ei- Hierdurch sind auch Vergleichsmessungen zu verschiedenen Zeit-
ner genauen Diagnose durch Prüfung von Muskelfunktion und punkten möglich.
Sensibilität, der chirurgischen Technik und der Nachbehand- Die NLG der distalen Enden durchtrennter Nerven fällt in den
lung ab. ersten 7–9 Tagen nach der Verletzung ab, somit kann zwischen kom-
pletten und partiellen Leitungsstörungen unterschieden werden
(Carter et al. 2000).
38.1 Diagnostisches Vorgehen Beim EMG-Test wird das Depolarisationspotenzial bei aktiver
und spontaner Muskelbewegung als Muskeleinheitaktionspotenzial
38.1.1 Klinische Untersuchung aufgezeichnet. Von Muskelfasern in Ruhe geht kein elektrisches Si-
gnal aus, Muskelfasern distal einer Nervenläsion zeigen zunächst
Das Ausmaß der Läsion wird durch eine exakte klinische Einschät- normale Signale, bis sie infolge der Waller-Degeneration denerviert
zung der sensiblen und motorischen Nervenfunktion bestimmt werden und anfangen, Fibrillationen zu zeigen. Da dies meist nach
(7 Kap. 37). etwa 14–21 Tagen der Fall ist, kann eine Muskelbeteiligung am be-
sten etwa 3–4 Wochen nach einer Nervenverletzung mittels EMG
! Cave
festgestellt werden. Denervierter Muskel zeigt positive »sharp waves«
Das Ausmaß einer Nervenschädigung ist jedoch nicht im­
und Fibrillationen (Carter et al. 2000).
mer allein klinisch sicher zu bestimmen, weil z. B. eine
Muskelfunktion auch bei teilweiser Nervendurchtrennung
oder durch anatomische Varianten (Austausch von Ner­
venfasern durch Verbindungen nach Martin/Gruber und
38.2 Therapeutisches Vorgehen
Rich/Cannieu) erhalten bleiben kann. Offene Verletzungen
mit Verdacht auf Nervenbeteiligung sollten daher immer
38.2.1 Nervennaht
exploriert werden.
Bei der Nervennaht (Neurorrhaphie) sind folgende Prinzipien zu
Bei geschlossenen Verletzungen ist das Läsionsniveau oft schwierig beachten:
einzuschätzen, hier sollten ca. 6 Wochen nach dem Trauma bei Ver-
dacht auf eine Nervenschädigung elektrophysiolgische Untersu- 1. Zeitpunkt. Die primäre ist der sekundären Nervennaht allgemein
chungen (NLG-Messungen und EMG) durchgeführt werden, bevor vorzuziehen, meist wird der frühestmögliche Zeitpunkt empfohlen.
die Indikation zur offenen Exploration gestellt wird. Ist eine sofortige Wiederherstellung nicht möglich, z. B. bei komple-
xen oder stark verschmutzten Verletzungen, schweren Begleitver­
letzungen oder Replantationen, sollte sie nach wenigen Tagen bis
38.1.2 Neurophysiologische Untersuchungen Wochen erfolgen. Dabei ist auch den lokalen Wundverhältnissen
Rechnung zu tragen: Eine Exploration und zweizeitige Rekonstruk-
Die am häufigsten eingesetzten Verfahren sind hier die Messung tion, z. B. mit Nerventransplantat, erfordert ein adäquates Wundbett
der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und die Elektromyographie und kann in ausgeprägten Narbenzonen scheitern.
38 (EMG; . Tab. 38.1).
Bei Messungen der NLG erfolgt perkutan eine Stimulation von
> Bei der Erstoperation sollten jedoch immer die Nerven­
stümpfe markiert werden.
Muskeln und sensiblen Nerven, die zu einem motorischen Summen-
aktionspotenzial oder einem sensiblen Aktionspotenzial führen
kann. 2. Defektausmaß. Defekte von >2–2,5 cm erfordern ein autologes
Der Strom kann nach einer definierten Strecke in afferenter oder Nerveninterponat oder eine Überbrückung (Conduit, z. B. Venentrans-
efferenter Richtung abgeleitet werden, wodurch gemessen werden plantat oder »nerve tube«), um eine spannungsfreie Naht zu ermög­
kann, wie schnell der Nerv den Stimulus weiterleitet (v=d/t). Die lichen. Bei kleineren Nerven, z. B. den Digitalnerven, kann auch bei
Strömstärke wird gesteigert, bis eine maximale Antwort erreicht ist. kürzeren Defektstrecken eine Nerveninterposition notwendig sein.

. Tab. 38.1. Elektrodiagnostische Merkmale bei Nervenverletzungen

Methode Elektromyographie Nervenleitgeschwindigkeit


Willkürliches Muskel­ Sensible und Willkürliches Muskel­ Sensible und
aktionspotenzial motorische Latenz aktionspotenzial motorische Latenz

Normal Nicht vorhanden Vorhanden Normal Normal

Leitungsblock/ Nicht vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden im Bereich Normal proximal und distal
Neuropraxie des Leitungsblocks, proximal des Leitungsblocks
und distal davon normal

Komplette Läsion/ Vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden


Axonotmesis,
Neurotmesis

Inkomplette Läsion Vorhanden Vermindert, je nach Normal oder gering verlängert Reduziert
Verletzungsausmaß
38.2 · Therapeutisches Vorgehen
329 38
3. Spannung. Die Eigenelastizität und Blutversorgung lassen eine
Mobilisierung von peripheren Nerven über eine Strecke von maxi- . Tab. 38.2 Mögliche Entnahmestellen für Nerventransplantate
mal 6–8 cm zu. Darüber hinaus kommt es zum
4 Sistieren der Blutversorgung, Entnahmestelle Mögliche Sensibler
4 Untergang von Axonen, maximale Entnahme­defekt
Länge
4 Zunahme von Fibrose an der Nahtstelle.
> Eine Nervennaht ist daher immer möglichst spannungsfrei N. interosseus posterior 15–20 cm Dorsales Handgelenk
durchzuführen (Millesi et al. 1972; Millesi 1992, 2000). N. cutaneus antebrachii 15 cm Lateraler Unterarm
lateralis
4. Epineuriale vs. perineuriale Naht. Die epineuriale Naht ist tech- N. cutaneus antebrachii 20 cm Medialer und anterio­
nisch einfach und reicht z. B. für Fingernerven aus. Nachteil ist, dass medialis rer Unterarm
es kaum möglich ist, die Faszikel exakt miteinander zu koaptieren.
R. superficialis n. radialis 25 cm Handrücken, distaler
Die perineuriale Naht koaptiert einzelne Faszikel oder Faszikel- dorsaler Unterarm
gruppen exakter und eignet sich für dickere (gemischte muskulär/
sensible) Nerven an Hand und Unterarm, ist jedoch technisch N. cutaneus femoris 30 cm Lateraler Ober­
schwieriger und zeitaufwendiger. Sie bringt auch mehr Fadenmate- lateralis schenkel
rial ins Innere der Faszikelstruktur ein. N. cutaneus femoris 40 cm Medialer und vorderer
anterior Oberschenkel

N. suralis 40 cm Außenseite des Fußes


38.2.2 Nerventransplantation und Teil der Ferse

Nerventransplantationen sind notwendig, wenn Defekte >2 cm N. saphenus 25–40 cm Medialseite des Unter­
schenkels und des
überbrückt werden müssen und andere Maßnahmen, z. B. Mobili-
Fußes
sierung oder Transposition, ausgeschöpft oder nicht möglich sind.
Damit das Nerveninterponat durchwachsen werden kann, müssen
folgende Grundsätze beachtet werden:
4 Beide Nervenenden werden rückgekürzt, bis unverletztes Ner-
vengewebe vorliegt. . Tab. 38.3 Motorische Nerventranspositionen an der oberen Extre­
4 Die Faszikelgruppen werden dargestellt und identifiziert. mität. (Nach Dvali u. Mackinnon 2003)
4 Die Nerventransplantate werden etwas länger als der Defekt ent-
nommen. Rekonstruk­ Spendernerven Empfängernerv
tionsziel
4 Zur Rekonstruktion der 3 Stammnerven der oberen Extremität
– Nn. medianus, radialis und ulnaris – sollten mindestens 5 Ner-
Ellenbogen­ Nn. intercostales N. musculocuta­
veninterponate (»Kabel«) verwendet werden. flexion Nn. pectorales mediales neus
4 Das entnommene Interponat wird in umgekehrter Ausrichtung N. thoracodorsalis
zu seinem anatomischen Verlauf eingesetzt.
4 Die korrespondierenden Faszikelgruppen distal und proximal Teil des N. ulnaris (FCU) Äste des N. mus­
Teil des N. medianus (FCR) culocutaneus
des Defekts werden durch die Interponate miteinander verbun-
Nn. pectorales (M. biceps brachii
den (evtl. nach einer Skizze). und/oder
4 Bei der perineuralen Naht der Stärke 10-0 reichen in der Regel M. brachialis)
2 Stiche zur Koaptation aus.
4 Die wichtigsten Entnahmestellen für Nerventransplantate sind Schulter­ N. accessorius (distaler Anteil) N. suprascapularis
abduktion N. thoracodorsalis
in . Tab. 28.2 zusammengefasst. Am häufigsten verwenden wir
Nn. pectorales mediales
den N. suralis als Spendernerv.
Nn. Intercostales N. axillaris
Triceps-Ast des N. radialis
38.2.3 Nerventransposition Nn. pectorales mediales
N. thoracodorsalis
Nerventranspositionen werden v. a. bei weit proximal gelegenen Lä- Unterarm­ Anteile der Nervenäste zum Pronatorast des
sionen der Stammnerven an der oberen Extremität angewendet. pronation FCU FDS FCR oder PL N. medianus

> Prinzip der Nerventransposition ist es, durch Transposition Intrinsische N. interosseus anterior Motorischer Ast
eines unverletzten motorischen oder sensiblen Spender­ Handfunktion (distaler Anteil) des N. ulnaris
nervs eine geschädigte Nervenstrecke zu umgehen oder FCR=M. flexor carpi radialis, FCU=M. flexor carpi ulnaris.
die proximale Nervenläsion in eine weiter distale zu ver­
wandeln, um die Regenerationsstrecke und -zeit zu ver­
kürzen und die Erfolgsaussichten der Rekonstruktion zu
Die Nerventransposition ist ein äußerst vielfältiges Verfahren,
erhöhen.
das auch an der unteren Extremität (z. B. motorische Fasern des
Die wichtigsten Verfahren der sensiblen und motorischen Nerven- N. tibialis auf den N. peronaeus), bei Lähmungen von Hirnnerven
transposition an der oberen Extremität sind in . Tab. 38.3 und 38.4 (Fasern des N. hypoglossus auf den N. facialis) und Rückenmarkver-
dargestellt. letzungen eingesetzt werden kann (. Übersicht).
330 Kapitel 38 · Techniken der Nervenrekonstruktion

Eine Neuromresektion wird meist nach 3–4 Monaten durchgeführt,


. Tab. 38.4 Techniken der sensiblen Nerventransposition an der die Diagnose erfolgt elektrodiagnostisch oder klinisch (nicht mehr
oberen Extremität voranschreitendes Hoffmann-Tinel-Zeichen; . Abb. 50.18), keine
Funktionsrückkehr). Bei schmerzhaften Neuromen ist eine Resek­
Spendernerv Empfängernerv tion und Nerventransplantation möglich oder eine intramuskuläre
oder -ossäre Versenkung. Bei lateralen Neuromen kann eine parti-
1 Ulnarer Zeige- oder Ring­ Ulnarer Daumen- oder radialer
fingernerv Zeigefingernerv
elle Resektion und perineurale Naht, bei spindelförmigen Neuromen
mit intakten Faszikeln eine interne Neurolyse durchgeführt werden,
2 Ramus superficialis Nn. N. medianus (radialer Anteil) bei kompletter Transsektion ist eine Resektion und Koaptation not-
radialis wendig (Mackinnon u. Dellon 1986, Birch et al. 1998).
3 Palmarer Hautast des N. ulnaris (ulnopalmarer Anteil)
N. medianus

4 Dorsaler Hautast des N. medianus


38.2.6 Nachsorge
N. ulnaris
> Der Forschritt der Nervenregeneration kann klinisch
mit dem Hoffmann-Tinel-Zeichen (elektrisierendes Miss­
empfinden bei Beklopfen der Haut über dem Nerv;
. Abb. 50.18) verfolgt werden.
Weitere Anwendungsgebiete der Nerventransposition
4 Rekonstruktion bei peripheren Nervenläsionen der unteren Der Fortschritt der axonalen Regeneration kann auch mittels NLG/
Extremität EMG überprüft werden. Eine regelmäßige Untersuchung ist wichtig,
4 Rekonstruktion nach N.-facialis-Lähmung (z. B. N.-hypoglos­ um einen Regenerationsstopp zu erkennen, v. a. nahe der Nahtstelle,
sus-Transposition) der eine erneute Operation zur Narbenresektion oder Sekundär­
4 Reinnervation der Blasenfunktion (N. intercostalis Th11/12 rekonstruktion notwendig machen kann. Allerdings ist das Nach-
auf Sakralwurzeln 2/3) wachsen der Axone nur ein Aspekt der Reinnervation. Von großer
4 Diaphragmareaktivierung bei Halsmarklähmung (N. inter­ Wichtigkeit ist ebenso die kortikale Reorganisation, die durch ergo-
costalis auf N. phrenicus) therapeutisches Training und Krankengymnastik entscheidend un-
4 Neurotisation der unteren Extremität bei Paraplegie terstützt wird.
(N. intercostalis/N. ulnaris)
> Sensibles Training ist erst sinnvoll, wenn die axonale Rege­
neration das Zielgebiet erreicht hat. Es sollte dann bis zu
1 Jahr lang durchgeführt werden.
38.2.4 Nachbehandlung

38 4 Die Nervennaht sollte für 7–14 Tage durch Immobilisierung ge- 38.3 Kontraindikationen
schützt werden.
4 Bewegungsübungen sollten erst nach 2–3 Wochen begonnen Nervenrekonstruktionen sollten nicht oder erst verzögert durchge-
und für etwa 6 Wochen fortgeführt werden. führt werden, wenn folgende Situationen gegeben sind:
4 Kraftübungen sollten bei komplexen Nervenrekonstruktionen, 4 instabiler Patient,
z. B. am Plexus brachialis, erst nach 3 Monaten durchgeführt 4 stark verschmutzte Wunde,
werden. 4 aktiver Infekt im Operationsgebiet,
4 fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit des Patienten zur Nachbe-
handlung,
38.2.5 Neurome 4 unrealistische Erwartungen des Patienten,
4 knöcherne Instabilität,
Die auswachsenden Axone finden nicht immer ihr eigentliches Ziel, 4 unsichere Abgrenzung der Verletzungszone (Wartezeit empfoh-
sondern können auch fibrotische Nervenfaserknäuel (Neurome) bil- len).
den (7 Kap. 37). Diese können schmerzlos, kaum störend oder aber
extrem schmerzhaft sein oder die Ausbildung einer Reflexdystro-
phie triggern. Eine optimale Therapie von Neuromen existiert nicht. 38.4 Komplikationen
Im eigenen Vorgehen führen wir entweder die Resektion und Über-
brückung mittels autologer Nerventransplantate oder die intra­ Mögliche Risken einer Nervenrekonstruktion sind:
muskuläre bzw. intraossäre Versenkung durch (Denervation bei 4 Nachblutung,
Schmerzsyndromen der oberen und unteren Extremität, (7 Kap. 47; 4 Reißen der Nervennähte,
Mackinnon u. Dellon 1988, Vernanakis et al. 2003). Bei Plexusaus- 4 Adhäsionen,
rissen ist auch eine retrograde Autokoaptation möglich. 4 Fibrose (v. a. bei Naht unter Spannung oder vernarbtem Wund-
bett),
Sekundäre Eingriffe 4 Neurombildung,
Als Zweiteingriffe sind möglich: 4 Nerveneinengung durch Narbengewebe,
4 interne Neurolyse, 4 Morbidität an der Entnahmestelle eines Spendernervs.
4 erneute Naht des Nervs,
4 Neuromresektion.
38.5 · Ergebnisse
331 38
38.5 Ergebnisse 4 Kürzung des Abstands zwischen den Stümpfen (Resektion eines
Knochensegments, Verlagerung des Nervs, z. B. Ventralisierung
Die Resultate einer Nervenregeneration sind von verschiedenen Ein- des N. ulnaris am Ellbogen),
flussfaktoren abhängig, nur teilweise vom Können des Chirurgen. 4 Dehnung des Nervengewebes (Mobilisierung der Stümpfe, Beu-
Die Kenntnis dieser Faktoren hilft dabei, das postoperative Ergebnis gung benachbarter Gelenke),
realistisch abzuschätzen. 4 Einsatz einer Überbrückung (Nerventransplantat, Conduit).

38.5.1 Wahl des Zeitpunkts 38.5.5 Mechanismus der Nervenverletzung

> Die Funktionswiederkehr nach Nervenverletzung kann, Die Art der Nervenläsion bestimmt das Ergebnis nach der Rekons­
abhängig von Ausmaß und Niveau der Läsion, über 1 Jahr truktion in mehrerlei Hinsicht:
andauern, man rechnet mit einem Auswachsen der Axone 4 Scharfe Durchtrennungen, z. B. Schnittverletzungen durch Mes-
von 1–2 mm pro Tag. Die Ergebnisse sind allgemein desto ser, sind prognostisch günstig, weil sie in der Regel primär adap-
besser, je eher die Rekonstruktion erfolgt. Gute Ergeb­ tiert werden können.
nisse sind wesentlich wahrscheinlicher bei Operationen 4 Traktionsverletzungen führen in der Regel zu einer Demyelini-
innerhalb von 6 Monaten. sierung, bei starkem Zug auch zum Zerreißen von Axon und
Endoneurium; es entsteht eine zweit- bis drittgradige Nerven-
Eine neuromuskuläre Übertragung ist nach einer Denervation von verletzung mit mittlerer funktioneller Prognose.
länger als 15–18 Monaten meist nicht mehr möglich, der Muskel 4 Quetschverletzungen können zu ausgedehnten Zerstörungen
wird reinnervationsrefraktär. des Nervs und umgebendem Gewebe führen, es empfiehlt sich
abzuwarten, bis die Verletzungszone exakt abgegrenzt und eine
Naht von vitalen Nervenenden durchgeführt werden kann.
38.5.2 Alter der Patienten 4 Schussverletzungen haben eine eher schlechte Prognose, da durch
die Wucht des Projektils ausgedehnte Gewebeschäden und Ver-
Bei jüngeren Patienten, v. a. Kindern, tritt die Funktionswiederkehr in schmutzungen in der Wunde entstehen. Es tritt meist eine Axonot-
der Regel schneller und besser ein als bei älteren. Die sensible Regene- mesis ein, obwohl selten auch eine spontane Erholung möglich ist.
ration ist meist besser als die motorische, wahrscheinlich aufgrund
einer besseren Nervenheilung und größeren Plastizität des Gehirns.
Bei Patienten ab dem 40. Lebensjahr kann nach bestimmten 38.5.6 Dokumentation der Ergebnisse
Nervenverletzungen, z. B. des N. peronaeus oder N. radialis, nur
durch Wiederherstellung der Nervenkontinuität allein kaum mehr Die Dokumentation der Rückkehr der sensiblen und motorischen
eine ausreichende motorische Reinnervation erwartet werden. Hier Funktion sollte nach standardisierten Maßstäben erfolgen. Hier ha-
hat sich die simultane Nervenwiederherstellung und motorische Er- ben sich die in . Tab. 38.5 und . Tab. 38.6 dargestellten Schemata
satzoperation bewährt, die zu einer zuverlässigen Funktionswieder- nach Highet etabliert (modifiziert nach Dellon u. Jabaley 1982).
kehr führt.

38.5.7 Prognose nach Rekonstruktion spezifi­


38.5.3 Ausmaß und Niveau der Nerven­ scher Nerven der oberen Extremität
schädigung
N. medianus. Gute bis sehr gute motorische Ergebnisse in ca. 1/3
Die Regeneration ist meist besser, je weiter distal die Verletzung liegt. der Fälle nach Läsion im Unterarmbereich.
Bei proximalen Läsionen, v. a. der Stammnerven, ist durch die große
Regerationsstrecke und -zeit meist nur eine inkomplette Funktions- N. ulnaris. Weniger günstige Ergebnisse, v. a. motorisch, da eine
wiederkehr zu erwarten. Bei weit proximalen Traktionsverletzung exakte Reinnervation der intrinsischen Muskulatur oft ausbleibt. Die
kann es zum Ausriss des Vorderhorns und Absterben des Motoneu- sensible Erholung verläuft meist besser als die motorische.
rons kommen, eine Regeneration bleibt dann ganz aus.

38.5.4 Defektgröße und Spannung . Tab. 38.5 Einteilung der motorischen Funktionswiederkehr
der Nervennaht
Kraftgrad Charakteristikum der Muskelfunktion
Die Größe des Nervendefekts (»nerve gap«) entspricht der zu über- M0 Völlige Lähmung
brückenden Strecke zwischen den beiden Nervenenden. Diese kann
sich bei verzögerter Versorgung durch eine Retraktion des elasti­ M1 Spur einer Kontraktion
schen Epineuriums noch vergrößern und die Prognose sich dadurch M2 Aktive Bewegung bei Ausschaltung der Schwerkraft
verschlechtern.
M3 Aktive Bewegung gegen die Schwerkraft
Spannung an der Nervennaht führt zur Ausbildung einer Fibro-
se und von Narbengewebe, was ein Auswachsen der Axone erheblich M4 Aktive Bewegung gegen die Schwerkraft und Wider­
behindert oder unmöglich macht. stand
Eine spannungsarme Koaptation der Nervenstümpfe kann durch M5 Normale Muskelkraft
folgende Maßnahmen erleichtert werden:
332 Kapitel 38 · Techniken der Nervenrekonstruktion

Literatur
. Tab. 38.6 Einteilung der sensiblen Funktionswiederkehr Birch R, Bonney G, Wynn Parry CB (1998) Surgical Disorders of the Peripheral
Nerves. Churchill Livingstone, Toronto
Sensibili­ Charakteristikum der sensiblen Nervenfunktion Carter GT, Robinson LR, Chang VH, Kraft GH (2000) Electrodiagnostic evalua­
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S1 Wiederkehr der Tiefensensibilität im Autonomgebiet
Plast Surg 30: 203–221
des Nervs
Mackinnon S, Dellon AL (1988) Surgery of the peripheral nerve. Thieme Med­
S2 Teilweise Wiederkehr der Oberflächensensibilität und ical, New York, NY
taktilen Sensibilität im Autonomgebiet des Nervs Mackinnon SE, Dellon AL (1986) Algorithm for management of painful neu­
roma. Contemp Orthop 13: 15
S3 Wiederkehr der Oberflächensensibilität und taktilen Millesi H (1992) Chirurgie der peripheren Nerven. Urban und Schwarzenberg,
Sensibilität im Autonomgebiet des Nervs München
S3+ Sensibilität wie bei S3, zusätzlich 2-Punkte-Diskrimina­ Millesi H (2000) Techniques for nerve grafting. Hand Clin 16 (1): 73–91
tion von 7–15 mm Millesi H, Meissl G, Berger A (1972) The interfascicular nerve-grafting of the
median and ulnar nerves. J Bone Joint Surg Am 54 (4): 727–750
S4 Komplette Wiederkehr der Sensibilität , 2-Punkte- Nath RK, Mackinnon SE (2000) Nerve transfers in the upper extremity. Hand
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Sunderland S (1991) Nerve injuries and their repair. Churchill Livingstone,
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Trumble TE, McCallister WV (2000) Repair of peripheral nerve defects in the
N. radialis. Allgemein eher schlechte Ergebnisse, v. a. motorisch. upper extremity. Hand Clin 16 (1): 37–52
Ein Kraftgrad von M4 ist nur in 20–40% der Fälle (Mackinnon u. Tubiana R (1988) Evolution of the concepts and techniques used in the repair
Dellon 1988) zu erreichen, daher wird bei proximalen Läsionen äl- of peripheral nerves. In: Tubiana R (ed) The hand, vol 3. Saunders, Phila­
delphia, pp 367–382
terer Patienten (>40 Jahre) meist eine simultane motorische Ersatz-
Vernanakis AJ, Koch H, Mackinnon SE (2003) Management of neuromas. Clin
operation empfohlen.
Plast Surg 30: 247–268
Hierzu ist zu bemerken, dass die Patientenzufriedenheit eine
wichtige Rolle bei der Beurteilung des erreichten Gesamtergebnisses
spielt: Diese kann v. a. durch eine realistische Aufklärung über die
Prognose und mögliche verbleibende Defizite positiv beeinflusst
werden.

Zusammenfassung

38 4 Anatomische Nervenverbindungen, z. B. nach Martin/


Gruber oder Rich/Cannieu, können die Diagnose einer
Nervenverletzung erschweren. Im Zweifel empfiehlt sich
bei offenen Verletzungen eine operative Exploration.
4 Mit einer epineuralen Naht können im Vergleich zu anderen
Techniken oft gleichwertige Ergebnisse erzielt werden,
außer bei proximalen Läsionen multifaszikulärer Nerven.
4 Wird eine Nervenrekonstruktion erst sekundär durchge­
führt, werden die Nervenenden trotzdem dargestellt und
mittels Fadennaht markiert, damit sie später leichter auf­
gefunden werden können.
4 Eine Nervenverletzung kann, z. B. bei partieller Durchtren­
nung, ohne motorischen Ausfall auftreten, hier empfiehlt
sich bei offener Verletzung ebenso eine Exploration.
4 Bei einer Nervennaht oder -transplantation sollte das an­
grenzende Gelenk gebeugt oder gestreckt werden, um eine
spannungsfrei Naht zu ermöglichen.
4 Nachwachsende Axone können eine Nahtstelle immer
besser überwinden als 2 Nahtstellen. Eine spannungsfreie
Direktnaht sollte daher immer versucht werden.
4 Zur Beobachtung der Funktionswiederkehr sind regelmä­
ßige Untersuchungen und eine standardisierte Dokumen­
tation notwendig.
4 Bei ausbleibender motorischer Funktionsrückkehr nach
1 Jahr sollte eine motorische Ersatzoperation erwogen
werden.
39

Schädigung des N. facialis


A. Gohritz

39.1 Therapieziele – 334

39.2 Klassifikation – 334

39.3 Ursachen – 334

39.4 Diagnostisches Vorgehen – 334


39.4.1 Klinik – 335
39.4.2 Lokalisierung der Läsion – 335

39.5 Therapeutisches Vorgehen – 335


39.5.1 Indikationsstellung – 335
39.5.2 Konservative Therapie – 335
39.5.3 Operative Therapieverfahren – 335

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
334 Kapitel 39 · Schädigung des N. facialis

Das Gesicht gilt als Spiegel von Persönlichkeit und Charakter, ein
unversehrtes Gesicht und eine intakte Mimik sind Voraussetzungen . Tab. 39.1 Klinische Gradeinteilung der Fazialisparese. (Mod. nach
für die stimmliche und nonverbale Kommunikation. Patienten mit House u. Brackmann 1985)
Fazialislähmung fühlen sich oft stigmatisiert und diskriminiert, an-
ders als andere Behinderungen lässt sich ihre Gesichtsnervenläh- Grad Nervenlähmung Charakteristika
mung kaum kaschieren.
1 Keine Normale Funktion

2 Leichte Funktions- Ruhe: Gute Symmetrie


39.1 Therapieziele störung Mimik: Stirn gut, Auge mit komplet-
tem Lidschluss
Mundwinkel: Leichte Asymmetrie
Wesentliche Ziele aller konservativen und operativen Behandlungs-
maßnahmen sind in der . Übersicht dargestellt. 3 Mittelgradige Ruhe: Gute Symmetrie und Tonus,
Funktionsstörung Synkinesien, evtl. hemifazaiale Spas-
men
Therapieziele bei Schädigung des N. facialis Mimik: Stirn leichte Schwäche, Auge
4 Wiederherstellung der Gesichtssymmetrie in Ruhe mit komplettem Lidschluss mit
4 Symmetrie bei willentlicher Bewegung mit Kontrolle der Anstrengung
Mundwinkel: Leichte Anhebung
mimischen Augen-, Mund- und Nasenmuskulatur
unter maximaler Anstrengung
4 Symmetrie bei unwillkürlicher Gesichtsbewegung
4 Balance der mimischen Muskulatur beim Ausdruck von 4 Mittelgradige Ruhe: Deutliche Asymmetrie
Emotionen, ohne weitere Einschränkungen durch die Funktionsstörung Mimik: Stirn funktionslos, Auge mit
­wiederherstellende Operation inkomplettem Lidschluss
4 Verbesserung der Sprache Mundwinkel: Asymmetrisch unter
maximaler Anstrengung
4 Protektion des Auges
5 Schwere Funktions­ Ruhe: Asymmetrie
störung Mimik: Stirn funktionslos, Auge mit
inkomplettem Lidschluss
Mundwinkel: Diskrete Anhebung
39.2 Klassifikation
6 Kompletter Funk­ Keine Funktion
In etwa 75% der Fälle liegt eine idiopathische Fazialisparese (ohne tionsausfall
erkennbare Ursache = Bell-Parese) vor. Sie tritt meist plötzlich
als einseitige, inkomplette oder komplette periphere Lähmung
des N. facialis auf. Es wird eine Schwellung des Nervs im Fazialis-
kanal vermutet, die seine Funktion schädigt, sich aber oft spon- 39.3 Ursachen
tan regeneriert. Nur in 25% der Fälle liegt eine eindeutige Ursache
vor. Häufigste Gründe für eine Gesichtsnervenlähmung sind:
4 Entzündungen/virale und bakterielle Infekte (z. B. Ramsay-Hunt-
39 > Zwischen einer zentralen (durch Erkrankungen des Ge-
hirns, wie Blutung, Schlaganfall oder Enzephalitis des
Syndrom = Herpes zoster des Ganglion geniculi, Borre­liose),
4 Tumoren, z. B. im Kleinhirnbrückenwinkel (Neurinom, Vesti-
Stammhirns) und einer peripheren (infranukleären) Fazia-
bularisschwannomoperation), Speicheldrüsentumoren,
lisparese kann durch Prüfung des Stirnrunzelns unter-
4 traumatische Verletzungen (z. B. Felsenbeinfrakturen, laterale
schieden werden, da dieses bei hoher kortikaler Läsion
Gesichtsschnittverletzungen),
durch bilaterale Innervation erhalten bleibt.
4 iatrogene Verletzungen (Operationen bei Akustikusneurinom),
Bei der Dauer der Lähmung ist zu unterscheiden zwischen 4 Stoffwechselstörungen (Diabetes mellitus),
4 akutem Stadium (0–3 Monate), 4 Sekundäre Kompression,
4 subakutem Stadium (3–6 Monate) und dem 4 angeborene Formen (z. B. Möbius-Syndrom mit Hirnnervena-
4 chronischem Stadium (>12 Monate). plasie VI und VII).

Bei Ausfall der motorischen Nervenimpulse kommt es zur atro-


phischen Umwandlung des muskulären Endorgans, die nur bis zu 39.4 Diagnostisches Vorgehen
einer bestimmten Zeitdauer und inkomplett reversibel ist. Bei Läh-
mungen, die länger als 12–18 Monate andauern, muss mit einer Als obligate Untersuchungsmaßnahmen bei jeder Fazialisparese
­irreversiblen schlaffen Muskelatrophie gerechnet werden. gelten:
4 klinische Untersuchung (Funktionsprüfung der N.-facialis-Äste
! Cave
durch mit Stirnrunzeln, Lidschluss, Lippenspitzen/Pfeifen sowie
Nach mehr als 2 Jahren ist in der Regel keine wesentliche
der übrigen Hirnnerven),
Reinnervation mimischer Muskeln mehr möglich.
4 HNO-Status (Schirmer-Test, Stapediusreflexmessung, Ge-
Das Ausmaß der Gesichtsnervenlähmung kann nach House u. schmacksprüfung, Hörtest),
Brackmann (1985) eingeteilt werden (. Tab. 39.1) 4 neurologischer Status (evt. mit EMG),
4 Röntgenaufnahme von Schädel und Felsenbein,
4 Laboruntersuchung (Borreliose, HSV, Varizella zoster, FSME,
HIV).
39.5 · Therapeutisches Vorgehen
335 39
4 Phonationsprobleme/Essprobleme,
. Tab. 39.2 Motorische Ausfallsmuster je nach Beteiligung der Fazia- 4 Schmerzen in und um das Ohr herum (z. B. zu Beginn einer
lisäste Bell-Parese)

Fazialisast Ausfallerscheinung Das Ausmaß der motorischen Lähmung wird durch die Beteiligung
der jeweiligen Fazialisäste bestimmt (. Tab. 39.2).
R. frontalis 4 Augenbraue kann nicht angehoben werden
4 Asymmetrie der Augenbrauen (Ausfall des
M. frontalis)
4 Abgleiten der Augenbraue und faltenlose 39.4.2 Lokalisierung der Läsion
Stirn der paretischen Seite
Die Höhe der Nervenläsion lässt sich aus der Klinik, abhängig von
R. zygomaticus 4 Auge starr und tränend (Ausfall der drainie-
den betroffenen Abgängen, relativ genau erschließen:
renden Funktion des M. orbiculris oculi)
4 Tonusverlust des Unterlids (Ektropion)
4 vor Chorda tympani: Geschmacksstörung in den vorderen bei-
4 Lidschluss inkomplett (Lagophthalmus) den Zungendritteln,
4 Trockenes Auge, Konjunktivitis, Keratitis 4 vor N. intermedius zwischen Ganglion geniculi und Chorda
4 Druckgefühl der Schläfenregion und Orbita tympani: Abnahme der Speichelsekretion,
4 Einengung des lateralen Gesichtfeldes 4 vor Abgang des N. stapedius: Hyperakusis auf der betroffenen
Seite,
Rr. buccales 4 Wange und Mundwinkel schlaff
4 Kollaps der betroffenen Nasenflügel 4 vor Abgang des N. petrosus major: verminderte Tränensekre­
4 Nasolabialfalte aufgehoben tion (Diagnostik: Schirmer-Test).
4 Mundhygiene erschwert, versehentliches
Beißen in gelähmte Wange
4 Speichelfluss aus gelähmtem Mundwinkel 39.5 Therapeutisches Vorgehen
4 Narungsaufnahme/Sprache gestört

R. marginalis 4 Absinken der Unterlippe (aufgehobene De- 39.5.1 Indikationsstellung


pressorfunktion)
> Bei frischer idiopathischer Fazialisparese ist zunächst eine
konservative Therapie indiziert. Operative Eingriffe sind
bei frischen Teil- und Komplettdurchtrennungen oder per-
Als ergänzende Methoden, je nach Verdachtsdiagnose, sind mög- sistierenden Paresen notwendig.
lich:
4 CCT/MRT von Felsenbein, Kleinhirnbrückenwinkel, Fazialiska- Operationszeitpunkt und -technik müssen auf den individuellen
nal, Pons, Patienten und seine klinische Symptomatik abgestimmt werden.
4 Doppler-Sonographie,
4 Hirnstammreflexe,
4 Liquoruntersuchung (Borrelien, HSV, Varizella zoster, FSME, 39.5.2 Konservative Therapie
HIV, Mumps, Masern,
4 elektrische Funktionsdiagnostik (EMG, Elektroneurographie, Nichtoperative Behandlungsmaßnahmen beinhalten:
Nerve-Excitability-Test). 4 Infusion von Rheologika, Vasodilatativa oder Glukokortikoiden
(meist Hochdosistherapie für 5 Tage, dann niedrigere Dosis für
3–4 Wochen, muss ausgeschlichen werden!),
39.4.1 Klinik 4 bei Verdacht auf Herpes simplex oder zoster: Acyclovir, Gluko-
kortikoide,
> Der N. facialis ist ein motorischer, sekretorischer und sen- 4 bei Borreliose: Antibiotikatherapie mit Cephalosporinen (3. Ge-
sibler Nerv. neration), Penizillinen, Tetrazyklinen, Makroliden,
4 spezielle krankengymnastische Übungen der mimischen Mus-
Der N. facialis versorgt kulatur,
4 die mimische Gesichtsmuskulatur, den M. buccinator, M. stape- 4 Korrektur von Stoffwechselstörungen (Blutzuckereinstellung),
dius, M. stylohyoideus und den hinteren Anteils des M. digastri- 4 Uhrglasverband, Augensalbe und Tränenflüssigkeitsersatz bei
cus (venter posterior), fehlendem Lidschluss und Augensymptomatik.
4 die Chorda tympani (Geschmacksfasern der vorderen 2/3 der
Zunge, sekretomotorische Fasern der Submandibularisdrüse),
4 die Tränendrüse (Ganglion geniculi und pterygopalatinum), 39.5.3 Operative Therapieverfahren
4 ein sensibles Hautareal hinter dem Ohr.
Die Operationen bei Fazialisparese lassen sich in Eingriffe am Nerv
Die Schädigung des N. facialis führt zu folgenden Ausfallerschei- selbst und sekundäre Eingriffe im gelähmten Gesicht und am Auge
nungen: unterteilen.
4 Lähmung der Mimik der betroffenen Seite, Platysmalähmung,
4 fehlender Lidschluss/Lagophthalmus/gestörter Tränenfluss/ Operationen am gelähmten Gesicht
Konjunktivitis/Sehstörung/Bell-Phänomen, 4 Die Auswahl der Operationen am gelähmten Gesicht richtet sich
4 Gehörstörung (Hyperakusis), nach Dauer und Ausmaß der Gesichtsnervenlähmung und dem
4 Geschmacksstörung (Chorda tympani), individuellen Patienten:
336 Kapitel 39 · Schädigung des N. facialis

4 mikrochirurgische Nervennaht/Nerventransplantation (bei fri- Ein wesentlicher Nachteil der Methode ist, dass es beim Essen
scher Nervendurchtrennung), und Sprechen zu unwillkürlichen Gesichtsbewegungen kommen
4 Cross-face-Operation mit Nerveninterponat, kann.
4 selektive Nerventransposition v. a. Hypoglossus-Fazialis-Koap- Direkte und indirekte Nervenrekonstruktionen können auch
tation, kombiniert werden, sodass nach Hypoglossus-Fazialis-Transposi­
4 Muskelersatzplastik mit M. temporalis/M. masseter/hinterem tion eine gute Reinnervation im Mundbereich und nach direkter
Anteil des M. digastricus, Nervenrekonstruktion eine günstige Reinnervation im Bereich der
4 freie funktionelle Muskeltransplantation (M. gracilis, M. pecto- Augenregion erzielt wird. Durch funktionelle Trennung der beiden
ralis minor, M. latissimus dorsi, M. rectus abdominis); Innerva- Sphinktersysteme des M. orbicularis oculi und des M. orbicularis
tion durch den kontralateralen N. facialis (»cross face«), oris werden so unerwünschte Massen- und Mitbewegungen redu-
4 Kombinationen aus den vorgenannten Techniken, ziert.
4 Dekompression des N. facialis bei rezidivierenden Fazialispare-
sen, Nervenanschluss auf der gesunden Gegenseite (Cross-face-
4 Straffungsoperationen (»hemi-face lift«, Augenbrauenanhe- Anschluss). Eine weitere Option ist der Anschluss über Nerven-
bung, Nachbildung der Nasolabialfalte), transplantate an gesunde kontralaterale Fazialisäste der Gegenseite
4 korrigierende Operationen bei Verziehung der Nase. (Cross-face-Anschluss). Sie sollte möglichst frühzeitig nach der Lä-
sion durchgeführt werden, v. a. als Sofortrekonstruktion nach Tu-
Operationen am Auge morresektion oder innerhalb weniger Monate nach traumatischen
Die Operationen am Auge nehmen eine Sonderstellung ein, hier Verletzungen.
sind folgende Operationen möglich:
> Der Erfolg einer nervalen Rehabilitation ist wegen des
4 Tarsorrhaphie/mediale Kantorrhaphie,
langsamen Auswachsens des Nervs von 1–2 mm/Tag frü-
4 Muskelplastikersatz zum Lidschluss, z. B. nach Lexer/Gilles,
hestens nach einem halben Jahr beurteilbar, eine Funk­
4 Stützung des Unterlides mit Knorpeltransplantat,
tionswiederkehr kann aber auch noch 2 Jahre nach Re­
4 Goldgewicht-/Federimplantation am Oberlid,
kons­truktion beobachtet werden.
4 Injektion von Botulinustoxin, um das Oberlid abzusenken,
4 mikrochirurgische funktionelle Muskeltransplantation. Zu den typischen Komplikationen nach Nervenrekonstruktion, aber
auch Regeneration nach Axonotmesis, gehören Synkinesien, also
Operation am Nerv eine ungewollte Mitbewegung anderer Muskeln durch Fehlausspros-
sung regenerierender Neurone.
Nervenrekonstruktion
Sekundäre Rekonstruktionen
> Die beste Aussicht auf eine Wiederkehr der willkürlichen
Sekundär plastisch-rekonstruktive Maßnahmen kommen dann in
und emotionalen Bewegung der Gesichtsmuskulatur be-
Betracht, wenn die Wiederherstellung der Nervenleitung nicht mehr
steht durch Rekonstruktionen am Nerv.
möglich ist, aber auch als Zwischenlösung, solange die Nervenrege-
Bei offensichtlicher Verletzung des N. facialis (z. B. nach Operation neration nicht sicher abschätzbar ist.
bei Akustikusneurinom/Speicheldrüsentumoren oder Unfall) ist
eine sofortige spannungsfreie mikrochirurgische End-zu-End-Naht- Statische Verfahren
39 Rekonstruktion anzustreben. Bei Nervendefekt kann eine autologe Die Gesichtssymmetrie in Ruhe lässt sich durch Aufhängung der
Nerveninterposition (meist aus dem nahe liegenden Plexus cervica- gelähmten Ober- und Unterlippe, des Mundwinkels und der Naso-
lis oder dem N. suralis) durchgeführt werden oder eine indirekte labialfalte mit körpereigenem Gewebe (Faszienstreifen) oder allo-
Wiederherstellung durch Nerventransposition. genem Material (Goretex) an der Temporalisfaszie oder am Jochbein
rekonstruieren.
Nerventransposition. Kann der zentrale N.-facialis-Anteil nicht Die Indikation zur rein statischen Operation besteht v. a. bei
mehr zum Anschluss genutzt werden, ist eine Transposition von mo- Gesichtstumoren mit ausgedehnten Resektionen der mimischen
torischen Fasern umliegender Nerven mit befriedigender Ersatz- Muskulatur und ohne Erhalt distaler Endäste des N. facialis. Diese
funktion möglich, meist wird der N. hypoglossus verwendet. Methoden können auch mit mikrochirurgischen Methoden kombi-
niert werden, z. B. um das Zeitintervall bis zur Reinnervation eines
! Cave
Muskeltransplantates zu überbrücken.
Bei Verwendung des gesamten Durchmessers des N. hypo-
glossus kann es v. a. bei älteren Patienten zu einem erheb- > Vorteil statischer Verfahren ist, dass in der Regel einzeitig
lichen Hebedefekt kommen, z. B. halbseitiger Zungena- und innerhalb kurzer Zeit eine gute Ruhesymmetrie er-
throphie, Problemen beim Sprechen, Schlucken und Kauen reicht wird (. Abb. 39.1). Es kann jedoch keinerlei willkür-
sowie persistierendem Speichelfluss. liche oder unwillkürliche Mimik der gelähmten Gesichts-
hälfte erwartet werden.
Die Originalmethode wurde daher als »jump graft« (nur Teilkoapta-
tion des N. hypoglossus über Nerventransplantat), Seit-zu-End-
Anastomose nach mastoidaler Fazialismobilisierung oder Koaptati- Dynamische Methoden/Muskeltransposition
on mit der Ansa cervicalis modifiziert. Diese Variante ist auch bei Prinzipiell werden mimische Schlüsselfunktionen durch Transpo-
einer beidseitigen Fazialisparese möglich. sition von nicht fazialisinnervierten Muskeln ersetzt. Verwendet
Die Hypoglossus-Facialis-Transposition sollte optimalerweise werden seit der Erstbeschreibung 1911 durch Eden und Lexer die
innerhalb von etwa 2 Jahren nach proximaler Fazialisläsion durch- vom N. trigeminus versorgten Kaumuskeln Mm. temporalis und
geführt werden, es sind aber auch später noch positive Ergebnisse zu masseter, außerdem seltener der Venter anterior des M. digastri-
beobachten. cus.
39.5 · Therapeutisches Vorgehen
337 39

b d

c e

. Abb. 39.1 Ergebnisse vor (a) und nach (d, e) statischer Aufhängung einer Das freie Ende wird permanent am Jochbeinbogen fixiert. Durch die Fixie-
inkompletten Fazialisparese. Ein Faszia-lata-Streifen wird Y-förmig in der rung wird eine Symmetrie erzielt, die der Patientin insbesondere zu einer
Mitte der Ober- und Unterlippe jeweils mit einem Schenkel verankert (b, c). verbesserten sprachlichen Artikulation verhilft (e)

Reanimation der Bewegung des Mundwinkels Initial ist eine Überkorrektur zu empfehlen, um ein Nachlassen des
Die Anhebung des Mundwinkels, v. a. zum Lächeln, kann durch M. temporalis auszugleichen. Trotzdem kann in manchen Fällen
Transposition des M. temporalis teilweise wiederhergestellt werden. eine sekundäre Raffung der Zügelung notwendig sein.
Der ventrale Anteil des M. masseter kann ebenso am Mundwin-
kel befestigt und so eine Verbesserung der Ruhesymmetrie als auch Technik der Reanimation des Mundwinkels nach McLaughlin
der willkürlichen Beweglichkeit erzielt werden. Die Bewegungsam- (1953). Bei dieser Operation wird der Ansatz des M. temporalis un-
plitude ist jedoch sehr gering und eher nach lateral als nach kranial ter Mitnahme einer kleinen Knochenschuppe vom Proc. coronoide-
gerichtet, sodass diese Methode heute nur mehr als Reserveverfah- us gelöst und der Mundwinkel mit der Ober- und Unterlippe durch
ren gilt. eine Faszienschlinge aufgehängt (. Abb. 39.2). Hierbei kann der Fas-
Der M. temporalis wird aus der Fossa temporalis gelöst, über zienzügel in der tiefen fasziokutanen Schicht der Gesichtshaut
den Jochbeinbogen subkutan zum Mundwinkel durchgezogen und (SMAS) fixiert und eine sichtbare Strangbildung vermieden werden.
hier mit Fascia-lata-Streifen fixiert. Nachteil ist eine manchmal Der Patient kann durch Aufeinanderbeißen eine zufriedenstellende
sichtbare Strangbildung unter der Wangenhaut, ein Wulst über dem Anhebung des Mundwinkels und damit ein Lächeln erzeugen, das
Jochbein und ein Konturdefekt im Bereich der Fossa temporalis. vor dem Spiegel trainiert werden kann.
338 Kapitel 39 · Schädigung des N. facialis

4 ein willentlicher Lidschluss zum Schutz des Auges und


4 eine willkürliche Bewegung des Mundwinkels, z. B.
zum Lächeln, möglich ist.

Den meisten Patienten gelingt es durch Übungen rasch, eine Syn-


chronisation der Kaubewegungen mit den Lidschluss und der
Mundwinkelanhebung zu erreichen (. Abb. 39.3).

Mikrochirurgische funktionelle Muskeltrans­


plantation
Die mikrochirurgische Transplantation funktioneller Muskeln bietet
sich als Option an, wenn distale Motoneurone oder motorische End-
platten fehlen, gleichzeitig Weichteildefekte bestehen oder andere
Methoden nicht möglich oder gescheitert sind.
a
Diese sehr aufwendigen und zeitintensiven Techniken werden
v. a. zur Rekonstruktion des oralen Schließmuskels angewandt, sel-
tener auch zum willentlichen Lidschluss.
Als Spendermuskel wird vorwiegend der mit einem langen und
zuverlässigen neurovaskulären Stiel ausgestattete M. gracilis ver-
wendet, der longitudinal geteilt und auf die benötigte Größe gebracht
werden kann. Alternativ kommen der M. pectoralis minor, Anteile
des M. latissimus dorsi und der in seine streifenförmigen Anteile
teilbare M. serratus in Frage.
> Vorteil einer mikrochirurgischen Muskeltransplantation
ist, dass der Muskel durch ein Cross-face-Interponat mit
dem kontralateralen N. facialis verbunden ist und so eine
willentliche und synchrone Kontrolle der Gesichtsmimik
erreicht werden kann.

Cross-face-Nerventransplantat. In einem ersten Schritt wird ein


Cross-face-Nerventransplantat als Anschlussmöglichkeit vorgelegt
und mit einem Clip markiert. An dieses wird, sobald das Tinel-Zei-
chen nach etwa 12 Monaten anzeigt, dass das Nerventransplantat
komplett durchwachsen ist, der Nerv des funktionellen Muskeltrans-
plantats koaptiert, wobei jegliche Neurombildung vorher reseziert
b werden muss.
39 . Abb. 39.2a, b Reanimation des Mundwinkels nach McLaughlin durch
Vorteil dieser Technik ist, dass sie im Idealfall unabhängig von
M.-temporalis-Umsetzung auf den Mundwinkel der Aktivierung trigeminusinnervierter Ersatzmuskeln eine willent-
liche und unwillkürlich emotionale symmetrische Bewegung der
mimischen Gesichtsmuskulatur wiederherstellen kann.
Nachteile dieses Vorgehens sind
Reanimation des Lidschlusses bei Lagophthalmus. Durch Trans- 4 die Notwendigkeit mehrer Eingriffe, z. T. auf der gesunden
position zweier Temporalisstreifen in das Ober- und Unterlid kann Spenderseite,
durch Aufbeißen die Funktion des M. orbicularis oculi zum willkür- 4 die relativ hohe Revisionsrate (ca. 30%) und
lichen Lidschluss erreicht werden. Die Temporaliszügel werden nach 4 der Hebedefekt der Nervenentnahme,
der Empfehlung von Gillies (1934) entlang der Ober- und Unterlid- 4 v. a. aber die große Zeitspanne von mindestens 2 Jahren, bis eine
kante zum medialen Augenwinkel geführt und dort unter einer ge- Funktionswiederkehr erwartet werden kann.
wissen Spannung mit dem Lidbändchen vernäht. Die Befestigung
am M. orbicularis oculi, wie von Lexer schon Jahrzehnte vorher be- Komplikationen
schrieben, kann aber schon ausreichen, um das Lid zu schließen. Allgemeine Komplikationen nach rekonstruktiven Operationen bei
Nachteile dieser Technik sind, dass das Auge nachts offen bleibt, Patienten mit Fazialisparese sind:
sich die Lidspalte durch die gespannten Zügel verengt und postope- 4 inkomplette Funktionswiederkehr,
rativ nicht selten ein Unterlidektropium auftritt. Das Auge schließt 4 Synkinesie (pathologischen Mitbewegungen von Muskeln),
sich auch ungewollt beim Kauen, der Eingriff selbst ist nur bedingt 4 »Krokodilstränen« (einseitiger Tränenfluss bei Reizung von Ge-
reversibel. schmacksfasern),
4 bleibende Kontraktur der fazialisinnervierten Muskulatur und
> Vorteile der dynamischen Methoden sind, dass kurze Zeit Asymmetrie.
postoperativ
4 eine wesentliche Besserung der Asymmetrie des Mit-
telgesichts,
6
39.5 · Therapeutisches Vorgehen
339 39

a b

c d

. Abb. 39.3a–d Reanimation des Lidschlusses durch Temporalistransposi- medialen Lig. canthale fixiert (c). Die Patientin schließt das Lid willkürlich
tion nach Gillies. Ein ventral gelegener Streifen wir unter Mitnahme der durch Kaubewegungen. Simultan wurde eine Mundwinkelaufhängung
Temporalisfazie nach kaudal mobilisiert (b), jeweils mit einem Faszienstrei- nach McLaughlin durch Temporalistransfer vorgenommen (d)
fen subkutan in den Lidrand des Ober- und Unterlides gezogen und am

Literatur
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Terzis JK, Noah ME (1997) Analysis of 100 cases of free-muscle transplantation
for facial paralysis. Plast Reconstr Surg 99: 1905
40

Schädigung des Plexus brachialis


M. Spies

40.1 Übersicht und Klassifikation – 342

40.2 Geburtstraumatische Plexus-brachialis-Paresen – 342


40.2.1 Geschichte – 342
40.2.2 Epidemiologie – 342
40.2.3 Risikofaktoren – 342
40.2.4 Diagnostisches Vorgehen – 343
40.2.5 Behandlungsziele – 344
40.2.6 Therapeutisches Vorgehen – 345
40.2.7 Behandlungsergebnisse und Prognose – 349

40.3 Läsionen des Plexus brachialis im Erwachsenenalter:


traumatische Plexus-brachialis-Läsionen – 349
40.3.1 Epidemiologie – 349
40.3.2 Diagnostisches Vorgehen – 349
40.3.3 Behandlungsziele – 350
40.3.4 Therapeutisches Vorgehen – 351

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
342 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis

40.1 Übersicht und Klassifikation


. Tab. 40.1 Plexusläsionen und ihre typischen motorischen Ausfall-
Die Kenntnis der topographischen Anatomie ist die Grundlage so- muster
wohl der Diagnostik als auch der späteren operativen Therapie von
Läsionen des Plexus brachialis (. Abb. 40.1). Man unterscheidet ver- Klassifikation Betroffene Wurzel
schiedene Arten der Plexusläsion mit typischen motorischen Aus- Obere Plexuslähmung (Erb-Lähmung) C5/C6
fallmustern (. Tab. 40.1). . Tab. 40.2 zeigt die Differenzialdiagnose
typischer Ausfälle und die rekonstruktiven Optionen supra- und Erweiterte obere Plexuslähmung C5/C6/C7
infraklavikulärer Plexusläsionen. Komplette Plexuslähmung C5/C6/C7/C8/Th1

Untere Plexuslähmung (Klumpke-Lähmung) C7/C8/Th1

40.2 Geburtstraumatische
Plexus-brachialis-Paresen
40.2.2 Epidemiologie
40.2.1 Geschichte
Die Inzidenz der geburtstraumatischen Plexus-brachialis-Parese
Obwohl bereits im Bildnis der Madonna mit Kind (um 1505) von liegt bei etwa 0,5–3 Fällen pro 1000 Lebendgeborene. Dies entspricht
Albrecht Dürer dargestellt, findet sich erst 1764 durch den Geburts- ca. 1000 Kindern pro Jahr im deutschen Sprachraum und etwa 4000
helfer W. Smellie die erste wissenschaftliche Beschreibung der ge- in den USA. Die Inzidenz in Entwicklungsländern liegt z. T. erheb-
burtstraumatischen Plexusparese (»A collection of preternatural lich höher. Allerdings zeigte sich im Verlauf des letzen Jahrhunderts
cases and observations in midwifery«). Duchenne de Boulogne, Erb trotz verbesserter geburtshilflicher Technik und besserem geburts-
und Dejerine-Klumpke beschrieben zwischen 1855 und 1885 später hilflichem Risikomanagement keine Abnahme der Inzidenz.
die mit ihren Namen bezeichneten Lähmungen. In etwa 58–90% der Fälle liegt eine Beteiligung der Wurzeln C5
Bereits um 1900 versuchten Thorburn und Kennedy, sich und C6, die sog. Erb-Duchenne-Lähmung vor. Eine zusätzliche Be-
dem Problem chirurgisch-operativ zu nähern, wobei die anfäng- teiligung der Wurzel C4, d. h. des N. phrenicus, findet sich bei etwa
lichen Ergebnisse so entmutigend waren, dass Taylor 1913 von 5% dieser Patienten. Bei etwa 10% der Kinder ist der gesamte Plexus
­dieser Art der Behandlung gänzlich abriet. Erst die Entwicklung brachialis (Wurzeln C5 bis Th1) betroffen. Eine zusätzliche Läsion
der Mikro­chirurgie und speziell der Mikrochirurgie peripherer des Ganglion stellatum führt in 30% der kompletten Paresen zum
Nerven durch Millesi in den 1960-er und 70-er Jahren erlaubte Auftreten eines Horner-Syndroms. Eine beidseitige Läsion ist in
eine subtilere und genauere Rekonstruktion des Plexus brachialis 8–23% der Fälle festzustellen.
und verbesserte die Ergebnisse entscheidend. Narakas und Ver-
dan erweiterten das Spektrum durch die Möglichkeit der Ner­
ventransplantation, Gilbert aus Paris und andere setzten diese 40.2.3 Risikofaktoren
­neuen Techniken konsequent und in großen Fallzahlen erfolg-
reich um. Die Risikofaktoren sind in der . Übersicht dargestellt.

40

. Abb. 40.1 Anatomie des Plexus brachialis


40.2 · Geburtstraumatische Plexus-brachialis-Paresen
343 40

. Tab. 40.2 Differenzialdiagnose und rekonstruktive Optionen supra- und infraklavikulärer Plexusläsionen

Supraklavikulär Infraklavikulär

Lokalisation Präganglionäre Wurzel Trunci und distale Äste


Postganglionärer Spinalnerv
Präklavikulär und retroklavikulär

Inspektion Fallschulter Armlähmung


Scapula alata
Armlähmung
Hals verlagert zur gesunden Seite

Häufig assoziierte Frakturen Halswirbel Skapula (Glenoid)


1. Rippe Humerus
Klavikula

Assoziierte Gefäßverletzung A. subclavia (selten) A. subclavia


A. axillaris (bis 30%)

Ausmaß Nervenläsion Wurzelausriss häufig Wurzelausriss selten

Tinel-Zeichen Variabel Deutlich unterhalb Proc. coronoideus

Chirurgisches Vorgehen Eher Nerventransfer Eher Nerventransplantate


Gefäßrekonstruktionen
Häufig schwierige Dissektion

Chirurgische Ergebnisse Unvorhersehbar Ergebnisse besser


Aberrante Innervationen Weniger aberrante Innervationen

Extremität und deren Stellung in der sog. »waiter’s tip position«


Risikofaktoren geburtstraumatischer Plexus-brachialis- (Trinkgeld-Stellung) der Hand auf.
Paresen
> Die Vorstellung bei einem in der Chirurgie des Plexus bra-
4 Kindliche Risikofaktoren chialis erfahrenen Spezialisten sollte möglichst innerhalb
– hohes Geburtsgewicht (>3500 g) des ersten Lebensmonates erfolgen.
– männliches Geschlecht des Kindes
4 Mütterliche Risikofaktoren Bei der Erstvorstellung werden die Risikofaktoren der Schwanger-
– diabetische Stoffwechsellage der Mutter schaft und der Geburt sowie das Verhalten und die motorische
– höheres Lebensalter ­Entwicklung der ersten Lebensmonate anamnestisch erfasst. Die kli-
– gedrungener Körperbau nische Untersuchung des Neugeborenen beruht v. a. auf der Beobach-
– Übergewichtigkeit der Mutter sowohl vor als auch tungen der Spontanmotorik des Kindes. Dabei richtet sich das Augen-
während der Schwangerschaft merk zunächst neben der Funktion des N. phrenicus (Zwerchfellat-
– Eine Häufung findet sich auch bei Mehrfachgebärenden mung) v. a. auf die Bewegungen des Schultergürtels und des Arms. So
oder Schulterdystokie in einer vorangegangenen spricht z. B. eine Scapula alata für eine proximale Läsion der Wurzeln
Schwangerschaft. C5 und C6, die Funktionsstörung im Schultergelenk für eine Läsion
4 Intrapartale Risikofaktoren des N. suprascapularis und/oder des Truncus superior. In ähnlicher
– Einstellung als Beckenendlage oder einer anderen Ein- Weise lässt sich bereits klinisch die Höhe der Verletzung relativ genau
stellungs- oder Lageanomalie eingrenzen. Das Auftreten eines Horner-Syndroms (Ptosis, Miosis,
– Auftreten einer Schulterdystokie Enophthalmus) weist auf die Läsion in Höhe der Wurzel Th1 hin.
– Auftreten von fetalem Distress Die vorsichtige Palpation erlaubt es, Frakturen der Klavikula, des
Humerus oder von Rippen zu identifizieren. In späterem Alter rich-
tet sich das Augenmerk auch auf etwaige Muskelatrophien oder
Muskelkontrakturen, z. B. der Schulterinnenrotatoren. Im Anschluss
Als Begleitverletzungen finden sich Klavikulafrakturen, Humerus- daran wird dann das passive Bewegungsausmaß von Schulter-, Ell-
frakturen, Subluxationen der Halswirbelsäule, Verletzungen des bogen-, Hand- und Fingergelenken bestimmt. Die Bestimmung des
Halsmarks, N.-facialis-Paresen und Kephalhämatome. aktiven Bewegungsausmaßes stützt sich bei Säuglingen und Klein-
kinder meist auf die Beobachtung. Für gezielte Muskel- und Ge-
lenktests fehlt oft die Kooperation. Auch die gezielte Testung der
40.2.4 Diagnostisches Vorgehen sensorischen Fähigkeiten kann bei fehlender Mitarbeit nur unzuver-
lässig durchgeführt werden.
Klinische Untersuchung Angelehnt an die Grading Scale für die motorische Kraftent-
Die Diagnose einer geburtstraumatischen Plexus-brachialis-Parese wicklung des British Medical Research Council haben Gilbert und
wird meist bereits durch den Geburtshelfer oder die Hebamme ge- Tassin eine für Kleinkinder verwendbare Modifikation dieser Skala
stellt. Als typisch fällt die schlaffe Lähmung der betroffenen oberen entwickelt (. Tab. 40.3).
344 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis

Die klinische Beurteilung schließt allerdings zusätzlich die Qua-


. Tab. 40.3 Motor Grading Scale [British Medical Research Council litäten des vegetativen Nervensystems ein. Dazu erfolgt die Beurtei-
(BMRC), 1943; mod. nach Gilbert u. Tassin 1984) lung von Hautturgor und -farbe. Des Weiteren gibt die Prüfung der
Rekapillarisierung der Akren Hinweise auf die Sympathikusfunkti-
BMRC- Klinik Mod. nach Gilbert on. Weitere Hinweise auf eine Störung des Vegetativums sind Zei-
Grading u. Tassin
chen einer Hautatrophie, Wundheilungstörungen oder auch eine
Grad 0 Komplette Lähmung Grad 0
gestörte akrale Schweißsekretion in asensiblen Arealen.

Grad 1 Sichtbare oder tastbare Grad 1 > Die klinische Untersuchung ist die wichtigste Grundlage
Kontraktion der Diagnostik.

Grad 2 Volle Beweglichkeit unter Grad 2


Ausschaltung der Schwer- Bildgebende Verfahren
kraft Obwohl die meisten Maßnahmen der erweiterten Diagnostik, wie
Grad 3 Volle Beweglichkeit gegen Grad 3
bildgebende Verfahren und Elektrophysiologie, ihren Wert haupt-
Schwerkraft sächlich in der Diagnostik und Operationsplanung von trauma-
tischen Plexusläsionen des Jungendlichen oder Erwachsenen zeigen,
Grad 4 Volles Bewegungsausmass können je nach Situation und Alter zusätzliche Untersuchungen an-
mit reduzierter Stärke
gezeigt sein.
Grad 5 Normale Muskelkraft
Röntgen. Nativröntgenaufnahmen der Schulter oder der Klavikula
dienen zum Nachweis einer Fraktur oder Luxation. Ein Zwerchfell-
hochstand in der Thoraxübersichtsaufnahme weist auf eine Parese
. Tab. 40.4 Kennmuskeln des Plexus brachialis, deren Innervation des N. phrenicus und damit eine Beteiligung, meist einen Ausriss,
und klinische Funktion der Wurzel C4 hin.

Muskel Innervation Klinische Funktion Magnetresonanztomographie (MRT). Die MRT kann zur genaue­
ren Lokalisation der Läsion, aber v. a. mit der Frage nach dem Vor-
M. deltoideus N. axillaris (C5, C6) Schulterabduktion
liegen eines Wurzelausrisses oder einer spinalen Halsmarkläsion
M. supraspinatus N. suprascapularis Full-can-Abduktion dienlich sein.
(C5, C6) (d. h. in Außenrotation)

M. infraspinatus N. suprascapularis Schulteraußenrotation Elektroneurographie (ENG), Elektromyographie (EMG). Elektro-


(C5, C6) physiologische Untersuchungen wie ENG oder EMG geben mittels
motorischer oder sensorischer Leitungsdiagnostik Hinweise auf eine
M. biceps brachii N. musculocutaneus Ellbogenflexion
Wurzelavulsion oder dienen zur Verlaufsbeobachtung der Regene-
(C5, C6)
ration und Reinnervation.
M. pronator teres N. medianus (C6, C7) Unterarmpronation

M. triceps brachii N. radialis (C7, C8) Ellbogenextension


40.2.5 Behandlungsziele
M. extensor carpi N. radialis (C5, C6) Handgelenksextension
radialis > Als wichtigstes Behandlungsziel sollte die Vermeidung
40 M. opponens N. medianus (C8, Daumenopposition eines »Neglect-Syndroms« im Vordergrund stehen.
pollicis Th1)

M. abductor digiti N. ulnaris (C8, Th1) Kleinfingerabduktion


Dazu ist die frühe basale Förderung des Säuglings, beginnend in den
minimi ersten Lebenstagen, erforderlich. Im weiteren Verlauf gilt es, bis zum
Eintreten der ersten Spontanregenerationszeichen sekundäre Ge-
lenkkontrakturen und -dislokationen zu vermeiden. Dies ist absolu-
te Voraussetzung der weiteren Funktionswiederherstellung, die sich
Die klinische Untersuchung auch bei älteren Kindern basiert auf in die folgenden Teilziele gliedert:
einer eindeutigen und kooperationsunabhängig zu erhebenden Be- 4 Wiederherstellung und Erreichen von
fundung des motorischen Systems. Dabei werden die Funktionen 5 Schutzsensibilität der Hand,
einzelner Kennmuskel und im Rückschluss die Funktion des inner- 5 Streckung und Beugung der Finger,
vierenden Nervs bzw. der entsprechenden Spinalwurzel geprüft 5 Streckung und Beugung des Handgelenks,
(. Tab. 40.4). 5 Schulterab- und -adduktion,
Die genaue und zuverlässige Testung der Sensorik ist beim 5 Ellbogenflexion und -extension,
Säugling praktisch unmöglich, beim Kleinkind nur eingeschränkt 5 Außenrotation der Schulter,
möglich. Beim Säugling können nur aus bestimmtem Verhalten 5 Pro- und Supination des Unterarms,
Rückschlüsse auf die sensiblen Qualitäten gezogen werden. Hier 5 Feinmotorik der Hand.
ist allenfalls eine grobe Einordnung aufgrund der Testung der Be-
rührungs- und/oder Schmerzempfindlichkeit möglich. Genauere Die angegebenen Ziele sind absteigend nach ihrer funktionellen
Tests wie z. B. die Testung der statischen oder dynamischen ­Bedeutung geordnet und können nicht immer zur Zufriedenheit
2-Punkte-Diskriminierungsfähigkeit sind erst Kindern in höherem der Patienten und des Behandlers erreicht werden. Das durch die
Alter möglich. Schädigung des vegetativen Nervensystems bedingte erhöhte Risiko
40.2 · Geburtstraumatische Plexus-brachialis-Paresen
345 40
des verzögerten Extremitätenwachstums kann nicht immer beein- sprossender Axone (Spenderaxone) erreicht eine ausreichende An-
flusst werden. zahl das distale Erfolgsorgan. Zu einer funktionell wertvollen Mus-
kelreinnervation ist daher nach experimentellen Daten etwa 30% der
ursprünglichen Axondichte notwendig.
40.2.6 Therapeutisches Vorgehen Theoretisch ergibt sich hieraus, dass eine möglichst frühzeitig
erfolgende Nervenrekonstruktion die besten Erfolgsaussichten auf
Physiotherapie/Ergotherapie eine vollständige Wiederherstellung bietet. Da allerdings gerade
Wie schon dargelegt ist die altersgerechte Physiotherapie und Ergo- beim Auftreten einer geburtstraumatischen oberen Plexus-brachia-
therapie die Grundlage für weitere therapeutische und speziell für lis-Parese der Wurzel C5 und C6 in bis zu 95% der Fälle mit einer
operative Maßnahmen. Für die physiotherapeutische Basistherapie weitgehenden Regeneration zu rechnen ist, gestaltet sich die Indi­
ist die Anleitung der Eltern durch den in der Behandlung von Kin- kationsstellung bzw. die Abwägung des richtigen Operationszeit-
dern erfahrenen, auf neurophysiologischer Basis arbeitenden Kran- punktes durchaus problematisch.
kengymnasten bedeutsam, da nur durch die mehrmals tägliche Wie- In unserer Klinik orientieren wir uns in Anlehnung an Gilbert
derholung des Behandlungs- und Übungsprogramms eine ausrei- und Clarke an der spontanen Reinnervation der folgenden Kenn-
chende und kontinuierliche Stimulation des Säuglings erfolgt. Nur muskeln: M. deltoideus, M. biceps brachii und Mm. extensor carpi
so ist die zur Vermeidung eines Neglect-Syndroms notwendige neu- radialis. Als Beurteilungskriterium dient hier ein Wiedereinsetzen
rophysiologische Bahnung zu erreichen. der klinischen Funktion mit einem Kraftgrad von mindestens 3/5
Je nach Altersstufe kommen hier v. a. die Therapie nach dem nach BMRC (. Tab. 40.3).
Vojta-Konzept, Techniken aus der propriozeptiven neurophysiolo-
> Wenn bis zu einem Zeitpunkt von 3–4 Monaten postpartal
gischen Fazilitation (PNF) oder nach dem Konzept nach Bobath in
für die Mm. deltoideus und biceps brachii bzw. von bis zu
Frage. Die begleitende ergotherapeutische Behandlung richtet sich
6 Monaten für die Mm. extensor carpi radialis eine ent-
ab dem Kleinkindalter v. a. mit spielerischen Methoden auf das Be-
sprechende Kraftentwicklung ausbleibt, ist die operative
üben der »activities of daily living«. Weitere fördernde Aktivitäten
Revision angezeigt. Diese sollte dann unmittelbar an-
– meist auf Basis freiwilliger Initiativen durch die Eltern – sind das
schließend, möglichst bis zum 6. Lebensmonat erfolgen.
Baby- bzw. Kleinkindschwimmen, die Spieltherapie (»play therapy«)
oder die tierassistierte Therapie (»animal assisted therapy«).
Operative Strategie
Primäre operative Eingriffe In unserer Klinik erfolgt die operative Exploration des Plexus bra-
In der operativen Therapie der geburtstraumatischen Plexus-brachi- chialis im Kindesalter in Intubationsnarkose und Rückenlagerung.
alis-Parese ergeben sich im Gegensatz zur adulten Patientengruppe Auf eine Umlagerung in Bauchlage zur Entnahme der Suralistrans-
einige bedeutsame Unterschiede. So zeigt sich im Kindesalter dank plantate wird verzichtet.
der guten Regenerationspotenz und der erstaunlichen Plastizität des Zunächst erfolgt über einen etwa 2 cm supraklavikulär gele-
wachsenden neuromuskulären Systems eine Spontanerholungsrate genen Zugang die Darstellung und Exploration des Plexus brachialis.
je nach Arbeitsgruppe von bis zu 90%. Andererseits ist oft auch bei Bei Bedarf kann dieser nach kranial bzw. zum Oberarm hin erweitert
schweren vollständigen Läsionen die komplette mikrochirurgische werden. Anschließend erfolgt nach Darstellung von Truncus supe-
Rekonstruktion des Plexus brachialis aufgrund der im Gegensatz rior, intermedius und inferior die subtile Neurolyse unter dem Ope-
zum Erwachsenen geringeren Reinnervationsstrecke möglich und rationsmikroskop. Nur bei entsprechendem klinischem Verdacht
erfolgreich. Die Reinnervation distal gelegener Muskulatur, z. B. an (z. B. Ausfall der Funktion von N. dorsalis scapulae/N. thoracicus
Unterarm und Hand, ist so auch bei proximalen Verletzungen vor longus) werden die Nervenwurzeln bis an die Spinalforamina darge-
der endgültigen kompletten Degeneration der motorischen Endplat- stellt.
te möglich. Meist findet sich die eigentliche Läsion in Höhe des Truncus
superior bzw. des Abgangs des N. suprascapularis nicht in Form ei-
Zeitpunkt und Indikationsstellung ner kompletten Ruptur, sondern in Form eines Neuroma in continu-
Das Ziel jeder primären Operation am peripheren Nervensystem ist itatem. Die Resektion des Neuroms und die Rekonstruktion durch
die Wiederherstellung der verlorenen motorischen und sensorischen N.-suralis-Transplantate unter dem Operationsmikroskop schließen
Funktion. Während die sensorische Funktion der Hand z. T. auch sich an. Die Entnahme weiterer Spendernerven wie z. B. von Inter-
noch nach Jahren erreicht werden kann, ist die Wiederherstellung kostalnerven ist meist nicht erforderlich.
der motorischen Funktion der oberen Extremität abhängig von Bei Vorliegen einer Avulsionsverletzung kann ein Wiederher-
Zeitpunkt und Qualität der operativen Rekonstruktion. Die im Rah- stellungsversuch unter Heranziehen anderer motorischer Nerven-
men einer Verletzung des peripheren Nervensystems auftretende faszikeln stattfinden. Anzustreben ist hierbei zunächst die intra­
Denervierung der Zielmuskulatur führt zur zunächst temporären plexuelle Neurotisation, d. h. die Wiederherstellung mit Hilfe von
Reduktion der Anzahl motorischer Endplatten. Nur bei einer Rege- motorischen Fasern von ipsilateralen Plexusanteilen. So kann z. B.
neration der motorischen Nervenfasern kommt es zu einer Umkehr eine gezielte Neurotisation mit Hilfe der ipsilateralen Wurzel C7 er-
dieses Prozesses, der sonst nach einem Zeitraum von etwa 15–18 folgen. Weitere Möglichkeiten bestehen z. B. im selektiven Einzel-
Monaten nicht mehr zu korrigieren ist. Bei einer geschätzten Reein- oder kombiniertem Transfer von motorischen Faszikeln des N. me-
nervations- bzw. Wachstumsgeschwindigkeit des peripheren Nervs dianus bzw. N. ulnaris auf die motorischen Äste des N. musculocu-
von 1 mm/Tag ergibt sich so eine maximale Regenerationsstrecke, taneus (nach Oberlin oder MacKinnon; . Abb. 40.2).
bei der eine Wiederherstellung der motorischen Funktion möglich Falls jedoch durch ein derartiges Vorgehen die bestehende mo-
ist, von etwa 50 cm. torische Restfunktion zu stark eingeschränkt würde, können zusätz-
Als zweiter Faktor für die Regeneration des motorischen Systems lich extraplexuelle Spender in Betracht gezogen werden (. Abb. 40.3).
spielt die Qualität des proximalen Nervenstumpfes (Spendernerv) So kann z. B. durch den Transfer von distalen Anteilen des N. acces-
eine Rolle. Nur bei einer genügend großen Anzahl potenziell ein- sorius (XI. Hinrnnerv) auf den N. suprascapularis eine Wiederher-
346 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis

. Abb. 40.2 Doppelfaszikeltransfer nach Oberlin . Abb. 40.3 Axonquellen zur Neurotisation des Plexus brachialis

stellung der Schultermuskulatur erreicht werden. Als zusätzliche monat abgewartet. Bei Ausbildung sekundärer muskulärer oder
extraplexuelle Spender kommen in abnehmender Bedeutung die ­kapsulärer Gelenkkontrakturen kann allerdings auch vor dem 2. Le-
ipsilateralen Interkostalnerven 3–7, die kontralaterale Wurzel C7 bensjahr u. U. die Durchführung sekundärer funktionsverbessernder
und im Ausnahmefall der N. phrenicus und der N. hypoglossus in Operationen erforderlich werden.
Frage:
4 intraplexual, Sekundäreingriffe
4 Interkostalnerven 3–7, Im Regelfall führen wir sekundäre operative Eingriffe ab dem 2. Le-
4 N. accessorius, bensjahr durch (. Tab. 40.5). Ziel dieser Eingriffe ist es, verbliebene
4 kontralateraler C7, Funktionseinschränkungen, sei es nach operativer Exploration oder
4 N. phrenicus, konservativer Therapie, zu korrigieren bzw. deren Auftreten zu ver-
40 4 N. hypoglossus. hindern.
In der Indikationsstellung und der Auswahl der möglichen Kor-
rektureingriffe gilt hier allerdings das Grundprinzip des »nil nocere«.
> Bei rekonstruktiven mikrochirugischen Eingriffen am Ple-
xus brachialis ist ebenso wie in anderen Abschnitten des ! Cave
peripheren Nervensystems auf spannungsfreie Koapta­tion Eine Schädigung von bis dato erlernten Kompensations-
der Nervenstümpfe zuachten. mechanismen und effizienter motorischer Ersatzfunkti-
onen ist zu vermeiden. Eine dadurch bedingte funktionel­
Die Koaptation selbst kann durch Naht und/oder zusätzliche Fibrin-
le Verschlechterung wird weder von den kleinen Patienten
klebung erfolgen. Die Spannungsfreiheit der Nervenkoaptation wird
noch deren Eltern akzeptiert.
intraoperativ durch passive Bewegung der Extremität getestet. Die
Ruhigstellung erfolgt dann durch einen Modifikation eines Gil- Für manche Eingriffe bzw. deren spezielle Nachbehandlung ist die
christ-Verbandes für 5 Tage. Kooperation der Kinder erforderlich, sodass diese Maßnahmen erst
Für die Hautnaht verwenden wir resorbierbares Nahtmaterial. zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen können. Für motorische Er-
Auf eine neuerliche Narkose zur Fädenentfernung und zum Ver- satzoperationen ist die freie passive Beweglichkeit der betroffenen
bandwechsel kann daher verzichtet werden. Gelenke neben der Kräftigung der umzusetzenden Muskulatur eine
Grundvoraussetzung.
Postoperatives Management
Nach 5-tägiger Ruhigstellung im Gilchrist-Verband wird die Extre- Indikation spezieller Sekundäreingriffe
mität freigegeben. Die krankengymnastische Behandlung wird zeit- Eines der häufigsten Residualprobleme nach geburtstraumatischer
nah fortgesetzt. Bis zum Einsetzen von Reinnervationszeichen er­ obere Plexus-brachialis-Parese ist die Bewegungseinschränkung des
folgen monatliche klinische Kontrolluntersuchungen. Die weitere Schultergelenks. Dies bedeutet für den Betroffenen, dass die Positi-
Reinnervation wird dann in der Regel bis zum 18. bzw. 24. Lebens- onierung der Hand im Raum, und damit deren Verwendungsfähig-
40.2 · Geburtstraumatische Plexus-brachialis-Paresen
347 40

. Tab. 40.5 Häufige sekundäre operative Eingriffe, ggf. als Kombinationseingriffe

Art des Eingriffes Lokalisation Effekt Zielstruktur Technik

Kontrakturlösung Schulter Verbesserung der M. subscapularis Release


Beweglichkeit M. pectoralis major

Sehnentransposition Schulter Außenrotation M. latissimus dorsi Umsetzung auf M. infraspinatus


M. teres major

Ellbogen Flexion, Extension M. triceps brachii Ellbogenflexion/-extension


M. biceps brachii

Handgelenk M. pronator teres Umsetzung auf Handgelenksextensoren


M. brachioradialis

Gestielte Muskeltransposition Schulter Abduktion M. trapezius Umsetzen auf lateralen Humerus


M. latissimus dorsi

Ellbogen Flexion M. latissimus dorsi Umsetzen bipolar als Ellbogenbeuger


M. pectoralis major

Freie Muskeltransplantation Handgelenk M. gracilis Freie Transplantation zur Fingerflexion


Hand

Arthrodesen Schulter Schultergelenk Stabilisierung der Gelenke

Handgelenk Handgelenk

Hand PIP-Gelenke

Korrekturosteotomien Schulter Humerus Derotations- bzw. Wedge-Osteotomie

keit, deutlich eingeschränkt wird. Am häufigsten findet sich hier die Die beiden häufigsten Folgen der geburtstraumatischen Plexus­
kombinierte Innenrotations-Adduktions-Kontraktur der Schulter. Je parese in Bezug auf die Ellbogenfunktion sind einerseits die Flexi-
nach Ausprägung der Klinik werden unterschiedliche Operations- onsschwäche und andererseits das verbleibende Streckdefizit. Die
verfahren angewendet. Streckunfähigkeit bzw. Streckerschwäche ist eher als Rarität zu be-
Hierbei liegt das Problem im Überwiegen der funktionellen In- trachten und wird meist durch die Patienten geschickt mit Hilfe der
nenrotatoren des Schultergelenks. Durch eine gezielte Schwächung Schwerkraft kompensiert. Die Ellbogenflexion ist die weitaus wich-
der Innenrotatoren und Augmentation der Außenrotatoren kann tigste Funktion, die gelegentlich trotz frühzeitiger rekonstruktiver
eine deutliche Funktionsverbesserung erzielt werden. Bemühungen nur unzureichend wiederherzustellen ist. Verschiede­
Bei einer isolierten Innenrotationskontraktur kann im Alter ne Techniken zur sekundären Wiederherstellung wurden hierzu
­zwischen 6 Monaten und 2 Jahren bereits die Durchführung der entwickelt.
­Lösung des M. subscapularis (»subscapular release«) einen deut- Bei der Operation nach Steindler erfolgt eine Proximalisierung
lichen Bewegungszuwachs bewirken. Durch die zusätzliche Um­ des Flexoren-Pronatoren-Ansatzes des Unterarms in Höhe des mitt-
setzung der kontrakten M. latissimus dorsi und M. teres major auf leren Oberarms. Allerdings kommt die Technik hauptsächlich zur
den Ansatz des M. teres minor bzw. des M. infraspinatus wird eine Augmentation einer bestehenden Muskelfunktion in Frage, da der
gleichzeitige Verbesserung von aktiver Abduktion und Außenro­ Unterarm zunächst in Pronation und Handgelenksflexion aus der
tation erzielt (nach L’Episcopo und Hoffer). Durch einen zusätz- Streckung passiv in eine Beugestellung des Ellbogens gebracht wer-
lichen »release« des M. pectoralis major und die Dekompression des den muss, um die volle Kraftentwicklung zu erreichen (sog Steind-
N. axillaris in der lateralen Achsellücke kann eine zusätzliche Ver- ler-Effekt).
besserung erreicht werden (»Mod-Quad-Operation« nach Shenaq; Eine weitere, allerdings im Kindesalter seltener angewendete
. Abb. 40.4). Alternative stellt der Transfer des M. triceps brachii auf den M. bi-
Bei persistierender Innenrotationsfehlstellung und knöcherner ceps brachii dar. Meist jedoch erfolgt eine sekundäre Wiederher­
Deformität des Humeruskopfes kann meist nach Abschluss des Kno- stellung der Ellbogenflexion wie im Erwachsenenalter durch einen
chenwachstums eine Humerusderotationsosteotomie notwendig gestielten bipolaren Transfer des M. latissimus dorsi.
werden. Dazu erfolgt die quere Osteotomie unterhalb des Ansatzes Hier scheint jedoch ein gewisser Zusammenhang mit einer In-
des M. deltoideus, die durch eine zusätzliche ventrale Wedge-Oste- nenrotationskontraktur der Schulter zu bestehen, da es häufig nach
otomie zur weiteren Verbesserung der maximalen Flexionsstellung Korrektur der Schulter zu einer deutlichen Verbesserung der Ell­
des Oberarms und damit einer verbesserten höheren Positionierung bogenextension kommt. In wenigen Fällen erreicht das Extensions­
des Unterarms und der Hand kombiniert werden kann. defizit ein funktionell störendes Ausmaß von >45°.
Die isolierte Schulterabduktionsschwäche bei sonst guter Funk- Die häufig anzutreffende leichte Pronationsfehlstellung mit ein-
tion von Ellbogen und Hand lässt sich im Alter ab 2 Jahren durch die geschränkter Supinationsfähigkeit des Unterarms bedarf meist kei-
Reinserierung des M. trapezius auf den Humeruskopf (Operation ner Korrektur, da hierdurch die Hand eher in eine funktionell güns­
nach Saha bzw. Mayer; . Abb. 40.5) verbessern. tigere Position gebracht wird. Ein häufiger bei Patienten mit kom-
348 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis

40

. Abb. 40.4a–f Mod-Quad-Operation. a Präoperative Situation. b, e, f Mod-Quad-Operation. c, f Postoperative Situation


40.3 · Läsionen des Plexus brachialis im Erwachsenenalter: traumatische Plexus-brachialis-Läsionen
349 40
diesen profitieren 80–90% von einer operativen Therapiestrategie
unter Einschluss der primären mikrochirurgischen Rekonstruktion
und sekundärer funktionswiederherstellender Eingriffe.

40.3 Läsionen des Plexus brachialis


im Erwachsenenalter: traumatische
Plexus-brachialis-Läsionen
40.3.1 Epidemiologie

Betroffen sind meist (in etwa 90% der Fälle) junge Männer zwischen
16 und 25 Jahren. In 80–90% der Fälle ereignet sich die Verletzung
im Rahmen eines Hochrasanztraumas, im überwiegenden Fall bei
Verkehrsunfällen. In etwa 2/3 der Fälle handelt es sich dabei um
Motorradunfälle. Dies entspricht in Großbritannien einer Anzahl
von etwa 500 Unfallverletzten pro Jahr.
Ein großes Problem für die Versorgung stellen dabei die häu-
fig vorliegenden Begleitverletzungen dar. So finden sich Schädel-
Hirn- und HWS-Verletzungen, Gefäßverletzungen, stumpfe Tho-
. Abb. 40.5 Ersatz des M. deltoideus durch M.-trapezius-Transfer rax- und Abdominalverletzungen und multiple Extremitätenfrak-
turen.
> Gerade eine Verletzung im Bereich der Subklavia- und
pletter Parese auftretendes Problem ist die Supinationsfehlstellung,
Axillargefäße ist ein Hinweis auf eine gleichzeitig vorlie-
die bei guter Funktion des M. biceps brachii und fehlender Fibrosie-
gende Plexus-brachialis-Läsion.
rung der Membrana interossea durch ein »rerouting« der Bizepsseh-
ne korrigiert werden kann. Weiterhin kann es durch eine Fraktur oder Luxation des Humerus
Alternativ erfolgt eine gezielte Lösung der Membrana interossea zu einer zusätzlichen 2-Etagen-Läsion der Nervenstämme mit ent-
kombiniert mit dem »rerouting« des M. biceps brachii oder einer sprechenden Folgen kommen. Durch die vordringliche Behandlung
Korrekturosteotomie des Radius. der lebensbedrohenden Begleitverletzungen erfolgt oft eine verzö-
Eine Wiederherstellung von gestörten Hand- und Handgelenks- gerte Diagnostik und damit auch Therapie der Läsion des Plexus
funktionen ist in entscheidendem Maß vom Läsions- und spontanen brachialis.
Reinnervationsmuster abhängig und folgt den Regeln der in den Seltener finden sich in Mitteleuropa Stich- oder Schussverlet-
folgenden Kapiteln besprochenen motorischen Ersatzoperationen. zungen als Ursache. Diese sind jedoch im Regelfall frühzeitig und
Speziell kommen hier bei der oberen Plexusparese am häufigsten die aufgrund der relativ isolierten Symptomatik klar zu diagnostizie-
Wiederherstellung der Handgelenksextension (C5/C6) durch Seh- ren.
nentransfer vom M. pronator teres (C6/C7), M. flexor carpi ulnaris
(C7/C8/T1) oder radialis (C6/C7) als »Radialisersatzplastik«, z. B.
nach Merle-d’Aubigné, in Frage. 40.3.2 Diagnostisches Vorgehen
Die fehlende Funktion und häufig fehlende distale Regeneration
bei kompletten Plexusparesen macht bei fehlenden funktionellen Der für die Diagnostik entscheidende Faktor ist häufig der initiale
Spendermuskeln eine Wiederherstellung unmöglich. Hier wird es Verdacht durch den erstversorgenden Arzt. Hier muss eine entspre-
notwendig, nach Abschluss des Knochenwachstums durch gezielte chende Vermutung unbedingt und konsequent diagnostisch verfolgt
Arthrodesen des Handgelenks, der Interphalangealgelenke der Fin- werden.
ger und durch eine Fusion zwischen den Mittelhandknochen des
1. und 2. Strahls eine stabile Beihand zu erreichen. Klinik
Klinisch ist gerade beim polytraumatisierten Patienten die differen-
zierte neurologische Untersuchung nur eingeschränkt möglich.
40.2.7 Behandlungsergebnisse und Prognose Trotzdem sollte sie nach Möglichkeit alle sensorischen und moto-
rischen Qualitäten untersuchen. Es erfolgt die Prüfung der Tiefen-
Glücklicherweise kommt es bei den meisten betroffenen Kindern sensibilität, der Gelenkspropriozeption, der Sensibilität auf Druck,
(70–95%) zu einer vollständigen spontanen Regeneration. Als Nadelstich, leichte Berührung und der statischen wie dynamischen
­prognostisch ungünstig sind komplette Plexusparesen, ein beglei- 2-Punkte-Diskrimation.
tendes Horner-Syndrom und Wurzelausrisse zu betrachten. Bei Kin-
dern, die im 3. Lebensmonat eine gute Schulter-, Ellbogen- und Beurteilung von Lokalisation, Motorik
Handfunktion hatten, fand sich im Alter von 5 Jahren in 70% der und Sensorik
Fälle eine vollständige funktionelle Wiederherstellung. Im Gegen- Beim Heranwachsenden oder Erwachsenen sollte neben der Lokali-
satz dazu zeigten Säuglinge mit fehlender Funktion nur in 5% der sationsdiagnostik auch eine Bewertung der sensorischen Qualitäten
Fälle eine vollständige Regeneration. versucht werden. Hier bietet sich das auch international gebräuch-
Je nach Untersucher verbleibt bei 25–65% der Kinder ein gerin­ liche Klassifikationsschema nach Highet an, mit dem eine verbes-
ges funktionelles oder ästhetisches Defizit. Bei 5–45% finden sich serte Verlaufskontrolle einer einsetzenden Regeneration und Rein-
aber schwere funktionelle oder ästhetische Einschränkungen. Von nervation möglich ist (. Tab. 40.6).
350 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis

auf die Verwendung der Interkostalnerven als Spendernerven zu


. Tab. 40.6 Klassifikation der sensiblen Regenerationsqualität nach verzichten.
Highet 1943 (modifiziert durch Seddon 1975) Im Rahmen der Traumadiagnostik können weitere Untersu-
chungen wie eine Computertomographie betroffener Gelenke oder
Grad Klinisches Merkmal die Angiographie bei Verdacht auf eine traumatische Gefäßläsion
erforderlich werden.
S0 Anästhesie
Die bildgebende Diagnostik des Plexus brachialis ist speziell auf
S1 Druck- und Schmerzsensation die Erkennung von präoperativen Wurzelausrissen gerichtet. Damit
S2 Berührungs- und Schmerzsensation mit Parästhesien kann eine wesentlich bessere Operationsplanung erfolgen und be-
reits zu einer frühen Phase der Behandlung eine gezielte Aufklärung
S3 Berührungs- und Schmerzsensation des Patienten über die zu erwartenden Behandlungsergebnisse und
S 3+ Berührungs- und Schmerzsensation, 2-Punkte-Diskrimina­ erreichbaren Funktionsverbesserungen geführt werden.
tionsfähigkeit Trotz weitergehender Entwicklung der MRT-Technologie gilt
weiterhin die CT-Myelographie mit einer Treffsicherheit von 90–
S4 2-Punkte-Diskriminationsfähigkeit <1,5 cm, normale
Sensation
95% als Goldstandard zur Darstellung von Wurzelausrissen. Die
MRT leistet hingegen wertvolle Hilfe in der Diagnostik akuter HWS-
Rückenmarkverletzungen, zeigt jedoch in der Diagnostik von Avul-
sionen nur eine Sicherheit von 50–80%. Die Beurteilung weiter distal
. Tab. 40.7 Wurzelschädigungen und damit verbundene klinisch-
gelegener Läsionen hat mit noch größerer Zurückhaltung zu er­
motorische Ausfälle folgen.
> Letztendlich ist für die Diagnose der Wurzelausrissverlet-
Wurzel Motorischer Funktionsverlust
zung nur die operative Freilegung der Wurzeln beweisend
und sollte daher bei Verdacht auf Avulsionsverletzungen
C5 Schulterabduktion, -extension, und -außenrotation,
teilweise Ellbogenflexion immer erfolgen.

C6 Ellbogenflexion, Unterarmpronation und -supination, Die neurophysiologische Untersuchung bietet trotz aller Schwierig-
teilweise Handgelenksextension keiten der Durchführung und der Interpretation wertvolle Hinweise.
So kann das ENG die Verdachtsdiagnose einer präganglionären Lä-
C7 Diffuser Verlust von Funktionen und Kraft ohne komplet-
sion bestätigen. Ab 3 Wochen nach der Verletzung zeigt sich in der
te Paralyse spezifischer Muskelgruppen
EMG die beginnende Denervierung der einzelnen Muskelgruppen.
C8 Handgelenksbeugung, Fingerstreckung, -beugung, Eine Verlaufsbeurteilung der postoperativen Regeneration wird da-
intrinsische Handmuskulatur mit möglich, in Kombination mit der klinischen Untersuchung kann
Th1 intrinsische Handmuskulatur hier die frühzeitige Identifikation von für sekundäre Transferopera-
tionen geeigneten Muskelgruppen erfolgen.

Die motorischen Funktionen können analog zu den oben ge- 40.3.3 Behandlungsziele
machten Ausführungen zur klinischen Untersuchung von geburts­
traumatischen Läsionen getestet werden (. Tab. 40.3, . Tab. 40.4). Nach H. Millesi ergeben sich für die Behandlung der traumatischen
In . Tab. 40.7 finden sich die mit der jeweiligen Wurzel einher- Läsion des Plexus brachialis folgende Prioritäten:
40 gehenden motorischen Funktionen. Aus deren Verlust lässt sich mit 4 Wiederherstellung der Ellbogenbeugung,
großer Sicherheit die entsprechende Läsion lokalisieren. Dabei ist 4 Stabilisierung der Schulter:
jedoch auch zu bedenken, dass es aufgrund der Kombination unter- 5 Verbesserung der Außenrotation,
schiedlicher Verletzungsmechanismen bzw. unterschiedlicher Ver- 5 Abduktion,
letzungshöhen zu einem klinischen Mischbild der Funktionsausfälle 4 Wiederherstellung der Ellbogenstreckung,
kommen kann. Beim kooperativen Erwachsenen ist eine differen- 4 Wiederherstellung der Schutzsensibilität,
ziertere motorische Untersuchung auch von Einzelmuskeln möglich. 4 Wiederherstellung der Handfunktion.
Dies ist gerade für die Planung von sekundären operativen Eingrif-
fen wie Muskeltranspositionen von Bedeutung. Diese Prioritäten orientieren sich an der Möglichkeit der Bewegung
der oberen Extremität im Raum und dem Ziel, die Hand möglichst
Bildgebende Verfahren gut im normalen körperlichen Aktionsfeld zu positionieren.
Im Rahmen der Polytraumadiagnostik und der anschließenden frü- Beim erwachsenen Patienten mit traumatischer Plexusparese ist
hen unfallchirurgischen Versorgung erfolgt meist die primäre radio­ wie im Kindesalter auf ein umfassendes interdisziplinäres Therapie-
logische Diagnostik der knöchernen Begleitverletzungen. In jedem konzept zu achten. Neben physiotherapeutischer, ergotherapeuti­
Fall sollten jedoch zur Beurteilung einer traumatischen Plexus-bra- scher und chirurgisch-operativer Behandlung muss hier zusätzlich
chialis-Läsion Röntgenbilder von Halswirbelsäule, Schulter und Kla- in Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsträgern auf die
vikula vorliegen, um Frakturen oder eine Dislokation auszuschlie- frühzeitige soziale und berufliche Reintegration hingearbeitet wer-
ßen. Diese sind ebenso wie Thoraxröntgenaufnahmen zur unmittel- den. Es empfiehlt sich hierzu ein frühzeitiges kritisches Gespräch
baren Operationsplanung notwendig. Ein Zwerchfellhochstand in mit dem Verletzten, möglichst in Anwesenheit von Zeugen (Partner,
der p.-a. Thoraxaufnahme weist auf die zusätzliche Läsion des Angehörige, Freunde), in dem in zurückhaltender Weise die Mög-
N. phrenicus bzw. der Wurzel C4 hin und sollte den Operateur zur lichkeiten und Chancen der funktionellen Wiederherstellung ange-
Vermeidung einer kumulativen pulmonalen Morbidität veranlassen, sprochen werden. Speziell bei Avulsionsverletzungen sollte das zu
40.3 · Läsionen des Plexus brachialis im Erwachsenenalter: traumatische Plexus-brachialis-Läsionen
351 40
erwartende Ergebnis kritisch diskutiert werden. Dabei sollte in je-
dem Fall die Notwendigkeit einer beruflichen Neuorientierung oder
von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen angespro-
chen werden. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, diese Maßnahmen
bereits im Rahmen der Planung der Erstoperation einzuleiten. Durch
die frühzeitige berufliche Neuorientierung bleibt dem Verletzten
eine längere Zeit der Ungewissheit erspart.
Ein wesentlicher weiterer Punkt der Behandlung der frischen
traumatischen Plexus-brachialis-Läsion ist die suffiziente Schmerz-
therapie. Diese gestaltet sich aufgrund der oft hartnäckigen Deaffe-
renzierungsschmerzen speziell bei Wurzelausrissen als problema-
tisch. Neben der differenzierten medikamentösen Therapie kann
hier auch durch die operative Exploration oftmals eine Reduktion
der Schmerzen erreicht werden.

. Abb. 40.6 Operative Freilegung bei adulter traumatischer Plexusparese


40.3.4 Therapeutisches Vorgehen
Primäre operative Eingriffe durch die Fossa deltoideopectoralis zum Oberarm hin erweitert. Bei
Im Gegensatz zur kindlichen Plexusläsion sind für das Behandlungs- Unklarheit über das Vorhandensein einer Wurzelausrissverletzung
konzept besonders 2 Umstände für die operative Behandlung von erfolgt die Darstellung bis zu dem Spinalforamina. Nach Darstellung
Bedeutung: Zum einen finden sich beim Erwachsenen im Gegensatz und Identifizierung der Trunci, Faszikel und Nervenstämme erfolgt
zum Kind deutlich häufiger Wurzelausrisse und komplette Läsionen zunächst die Neurolyse. Durch gezielte intraoperative Elektrostimu-
des Plexus brachialis, zum anderen ergibt sich hier eine deutlich lation lässt sich ein eventueller Erfolg dieses Schrittes abschätzen. Bei
längere Reinnervationsstrecke zwischen Läsionshöhe und musku- einer kurzstreckigen Läsion kann u. U. die Rekonstruktion des ent-
lärem Erfolgsorgan, sodass auch eine perfekte anatomische Rekons­ sprechenden Abschnittes mit Nerventransplantaten sinnvoll sein.
truktion in Läsionshöhe eine dauerhafte Degeneration der betrof-
fenen muskulären Endplatten aufgrund der nötigen Regenerations- Nerventransposition. Meist finden sich jedoch längerstreckige
dauer nicht verhindern kann. Veränderungen. Aufgrund der zu erwartenden beim Erwachsenen
längeren Reinnervationsstrecke ist dann die direkte mikrochirur-
Indikationsstellung und Zeitpunkt gische Rekonstruktion häufig nicht sinnvoll. Konzeptuell kommen
Daraus ergibt sich für die Indikation und die Wahl des Operations- daher bei Erwachsenen bei Avulsions- und Traktionsschäden neben
zeitpunktes folgendes Prinzip: Generell besteht bei der trauma- der Neurolyse ähnliche Verfahren zur Anwendung. Durch geeignete
tischen Läsion des Plexus brachialis so gut wie immer die Indikation motorische Nerventranspositionen lässt sich oft in einem Rahmen
zur operativen Freilegung. Ein abwartendes Verhalten erscheint nur von 6–9 Monaten eine sinnvolle funktionelle Wiederherstellung von
im Fall von partiellen Läsionen im Rahmen von Niedrigenergietrau- Muskelfunktionen erreichen. Hier kommen zur Neurotisation der
mata, wie z. B. lagerungsbedingten Druck- oder Dehnungsschäden, Schultermuskulatur die Transposition von Anteilen des N. accesso-
sinnvoll. Bei ausbleibender Spontanregeneration innerhalb von rius auf den N. suprascapularis oder eines Astes des N. thoracodor-
3 Monaten sollte aber auch in diesen Fällen die operative Explora­ salis auf den N. axillaris zur Anwendung.
tion erfolgen. Zur Wiederherstellung der Ellbogenbeugung eignet sich die
Das früher geübte abwartende Verhalten auf eine Spontanrege- Transposition der Nn. pectorales mediales, von motorischen An­
neration über 3–6 Monate ist aufgrund der durch die Bildgebung teilen des N. ulnaris (nach Oberlin) oder auch des N. medianus auf
gewonnenen Informationen über das Vorliegen von Wurzelausris- die motorischen Äste des N. musculocutaneus zum M. biceps bra-
sen obsolet. Vielmehr sollte die operative Exploration zum frühest chii und M. brachialis. Durch diese Verfahren kann im Falle einer
möglichen Zeitpunkt erfolgen. Dass auch heute die operative Versor- Läsion der Wurzeln C5 und C6 die Schulter- bzw. Ellbogenfunktion
gung meist erst mit Zeitverzögerung erfolgt, liegt einerseits daran, durch Nervenfasern aus den Wurzeln C7 bis Th1 übernommen
dass sich durch die Behandlung der polytraumatisierten Patienten werden.
zeitliche Verzögerungen ergeben und vor Durchführung der lang-
> Technisch ist auch hier die spannungsfreie Koaptation der
dauernden rekonstruktiven Eingriffe des Plexus brachialis erst eine
Nervenstümpfe Grundbedingung.
ausreichend stabile klinische Situation des Patienten erreicht werden
muss, zum anderen aber auch an der Ressourcenknappheit speziali- Wenn möglich, sollte bei den oben genannten Nerventranspositi-
sierter Zentren. onen auf die Verwendung von Nerveninterponaten verzichtet wer-
den, da dadurch einerseits die Reinnervationsstrecke verkürzt wird,
Operative Strategie andererseits auf eine zweite Nahtstelle verzichtet wird, die ihrerseits
Die operative Exploration des Plexus brachialis erfolgt in Intuba­ das Risiko einer Vernarbung mit Regenerationsstopp in sich birgt.
tionsnarkose und Rückenlagerung mit Unterpolsterung der ipsilate- Die Koaptation erfolgt in unserer Klinik durch Naht und zusätzliche
ralen Schulter. Die betroffene obere Extremität wird auf einer Arm- Fibrinklebung. Bereits intraoperativ wird die Spannungsfreiheit
stütze beweglich gelagert. durch die passive Bewegung der Extremität durch das komplette
Bewegungsausmaß des Gelenkes geprüft.
Neurolyse. Über einen etwa 2 cm supraklavikulär gelegenen Zu- Bei Vorliegen von ausgedehnteren Avulsionsverletzung muss die
gang erfolgt zunächst die Darstellung des Plexus brachialis Wiederherstellung durch Rekrutierung anderer motorischer Ner-
(. Abb. 40.6). Je nach Bedarf wird der Zugang nach kranial bzw. venfasern erfolgen. Leider findet sich dann fast in jedem Fall eine
352 Kapitel 40 · Schädigung des Plexus brachialis

ausgeprägte Knappheit an motorischen Spendern. Eine intraplexale major-Transfer, ggf. kombiniert mit Release-Operationen oder mit
Neurotisation würde dann eine evtl. vorhandene motorische Rest- einer Humerusderotationsosteotomie in Frage.
funktion deutlich beeinträchtigen und muss daher unterbleiben. Als Zur Verbesserung der Handfunktion werden die in den folgen­
Spender kommen in dieser Situation und bei komplettem Wurzel- den Kapiteln dieser Sektion genauer beschriebenen Ersatzopera­
ausriss C5 bis Th1 die ipsilateralen Interkostalnerven 3–7 für die tionen erforderlich. Hier muss jedoch oftmals aufgrund der unter-
Reinnervation des M. biceps in Frage. schiedlichen Verletzungsmuster die Vorgehensweise individuell
Zusätzlich kann im letzteren Fall das aufwendigere zweizeitige angepasst werden. So kann es aufgrund der Knappheit der zur Ver-
Verfahren des C7-Transfers zur Anwendung kommen. Dazu erfolgt fügung stehenden funktionellen Muskeln notwendig sein, zur Ver-
zunächst die Koaptation eines gestielten ipsilateralen N.-ulnaris- besserung der Handfunktion statt auf den M. pronator teres oder
Transplantates an die kontralaterale Wurzel C7. Nach bioptisch ge- den M. flexor carpi ulnaris zum Ersatz der Handgelenkstreckung
sicherter Axoneinsprossung in das Transplantat wird in einem auf die Handgelenkstenodese oder -arthrodese zur Handgelenksta-
2. Schritt der freie neurovaskuläre Transfer des M. gracilis durchge- bilisierung zurückgreifen zu müssen. Nur die Kombination einer
führt, um z. B. eine Massenbewegung der Fingerbeuger und damit Vielzahl von Techniken durch den erfahrenen Chirurgen erlaubt in
eine tertiäre Greifform zu erreichen. diesen Fällen eine optimale Ausnutzung der noch verbliebenen Res-
Der N. phrenicus und der N. hypoglossus sollten aufgrund der sourcen.
damit verbundenen Einschränkungen der Atem-, Schluck- und
Sprachfunktion nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Prognose
Aufgrund des unterschiedlichen Verletzungsmusters und der meist
Postoperatives Management vorliegenden Begleitverletzungen ist die Prognose des funktionellen
Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung für 5 Tage im Gilchrist-Ver- Resultats beim Erwachsenen äußerst schwierig abzuschätzen. Neben
band. Anschließend wird die krankengymnastische Behandlung der Verletzungsart sind das Alter des Patienten und die Art der
wieder aufgenommen, zunächst als passive Mobilisierung der Ge- durchgeführten operativen Eingriffe (auch der orthopädisch-unfall-
lenke und zur Kräftigung der vorhandenen muskulären Funktionen. chirurgischen) von Bedeutung.
Mit dem Einsetzen von Reinnervationszeichen beginnt das gezielte Im Hinblick auf das funktionelle Ergebnis spielen allerdings so-
Training der reinnervierten Muskelgruppen, zunächst als assistive wohl die Erwartungen des Patienten als auch des Chirurgen eine
Beübung unter Ausschaltung der Schwerkraft über Unterstützung Rolle. Hier ist die empathische, aber auch enge Führung des Patien­
durch vorhandene Bewegungsmuster (z. B. PNF) und zunehmend ten durch den erfahrenen Spezialisten von entscheidender Bedeu-
unter Belastung. Begleitend werden zunächst 2-monatliche, dann tung, um einerseits unrealistische Erwartungen zu vermeiden, ande-
mit klaren Reinnervationszeichen monatliche klinische Kontrollen rerseits aber die für die langwierige und schwierige Behandlung und
durchgeführt bis etwa 12–18 Monate nach Trauma. Zu diesem Zeit- Rehabilitation notwendige Compliance sicherzustellen.
punkt werden weitere sekundäre funktionsverbessernde Maßnah-
men geplant. Bei Ausbildung sekundärer muskulärer oder kapsu- Literatur
lärer Gelenkskontrakturen können allerdings auch vor diesem Zeit- Al-Quattan M (2003) Obstetric brachial plexus injury. J Am Soc Surg Hand 3:
punkt Sekundäroperationen erforderlich werden. 41–54
Birch R (2002) Obstetric brachial plexus palsy. J Hand Surg 27B: 2–8
Sekundäroperationen Birch R, Bonney G Wynn Parry CB (1998) Surgical disorders of the peripheral
nerves. Churchill Livingston
Aufgrund der schlechteren Regenerationstendenz wird man im Er-
Gilbert A (2001) Brachial plexus injuries. Martin Dunitz, London
wachsenenalter, insbesondere bei Wurzelausrissverletzungen, früh- Millesi H (2003) Treatment of post-traumatic brachial plexus lesions. Eur Surg
zeitig auf sekundäre Muskel- und Sehnentransferoperationen zur 35: 191–195
Funktionswiederherstellung zurückgreifen. Die Abwägung, ob durch
40 eine frühzeitige Ersatzoperation nicht eine eventuelle Regeneration
Oberlin Ch (2003) Les paralysies du plexus brachial de l’adulte par lésions
radiculaires: conception générale, orientations thérapeutiques et résul-
überdeckt wird und damit mögliche Spender für eine spätere Rekon- tats. Chir Main 22: 273–284
struktion anderer Funktionen verloren gehen, ist auch für den Er- Tomaino MM (2001) Nonobstretical brachial plexus injury. J Am Soc Surg
fahrenen oft schwierig. Hand 1: 135–153

> Das primäre Ziel der Wiederherstellung richtet sich beim


Erwachsenen auf das Ellbogengelenk.
Hier kann auf verschiedenste Weise eine Augmentation oder ein
Ersatz der Flexion (M. biceps, M. brachialis – jeweils C5/C6) erreicht
werden. Neben der oben bereits genannten Steindler-Operation mit
Proximalisation der Unterarmflexoren kann durch den gestielten
Transfer des M. latissimus dorsi oder des M. pectoralis major bzw.
die Umsetzung der Sehne des M. triceps (nach Bunnell) eine aktive
Flexion wiederhergestellt werden. Der damit zu erzielende Kraftgrad
wird im Regelfall auch mit präoperativem Training allerdings nicht
dem ursprünglichen Niveau entsprechen. Beim kompletten Ausriss
aller Wurzeln kann wie oben beschrieben der freie funktionelle neu-
romuskuläre M.-gracilis-Transfer im Zusammenhang mit einem
vorausgegangenen C7-Transfer erforderlich werden.
Zur Wiederherstellung der Schulterfunktion (speziell der Au-
ßenrotation und Abduktion) kommen vordringlich bereits die oben
genannten Verfahren wie der M.-trapezius-Transfer, M.-pectoralis-
41

Schädigung peripherer Nerven


der oberen Extremität
A. Gohritz

41.1 N. accessorius (XI. Hirnnerv) – 354

41.2 N. dorsalis scapulae (C3–6) – 354

41.3 N. suprascapularis (C4–C6) – 354

41.4 N. subscapularis (C5–C6) – 355

41.5 N. thoracicus longus (C5–C7) – 355

41.6 N. thoracodorsalis (C6–C8) – 355

41.7 Nn. pectorales (C5–Th1) – 355

41.8 N. musculocutaneus (C5–C6) – 355

41.9 N. axillaris (C5–C6) – 356

41.10 N. radialis (C5–Th1) – 356

41.11 N. medianus (C5–Th1) – 357

41.12 N. ulnaris – 358

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
354 Kapitel 41 · Schädigung peripherer Nerven der oberen Extremität

Nervenverletzungen an der oberen Extremität sind häufig. Grund- cessorius bewirkt ein Hängen der betroffenen Schulter (Trapezius-
lage einer suffizienten Therapie ist eine genaue Kenntnis ihrer Ana- lähmung), der Arm kann nicht über die Horizontale gehoben wer-
tomie, die richtige Deutung des klinischen Lähmungsbildes und der den, es bestehen Schmerzen im Schulterbereich.
gezielte Einsatz von Zusatzdiagnostik.
Die Beschreibung des genauen chirurgischen Zugangs in Ab- Diagnostisches Vorgehen
hängigkeit von der jeweiligen Läsionshöhe ginge über den Umfang Im Mittelpunkt der Funktionsdiagnostik steht das EMG des M. trape-
der folgenden Übersicht hinaus, hierzu wird auf die nervenchirur- zius. Der Nerv kann auch seitlich hinter dem M. sternocleido­mastoideus
gischen Standardwerke wie z. B. von Millesi (1992) oder Kline u. gereizt werden. An bildgebenden Verfahren stehen CT (Foramen ju­
Hudson (2008) und die spezifisch für den jeweiligen Nerv angege- gulare) und MRT (Tumoren der Halsregion) im Vordergrund.
benen Artikel verwiesen. Die Nervenkompressionssyndrome wer-
den in einem eigenen Kapitel (7 Kap. 48) behandelt.
41.2 N. dorsalis scapulae (C3–6)
41.1 N. accessorius (XI. Hirnnerv) Anatomie
Der N. dorsalis scapulae innerviert
Anatomie 4 M. levator scapulae und die
Der N. accessorius (lat.: »zusätzlicher Nerv«) ist der XI. Hirnnerv, 4 Mm. rhomboidei.
seine beiden Wurzeln enthalten ausschließlich motorische Axone.
Die Radix spinalis (»Rückenmarkwurzel«) stammt aus den Ursachen der Schädigung
­oberen Halssegmenten des Rückenmarks und tritt seitlich aus dem Häufigste Ursachen sind Unfälle oder Gewaltakte (Stich-, Schussver-
­Rückenmark aus und nicht über dessen Radix anterior. Die Nerven- letzungen).
fasern steigen entlang des Rückenmarks im Subarachnoidalraum auf
und ziehen durch das Foramen magnum in die hintere Schädelgrube Klinisches Bild
und versorgen als R. externus den Bei den Patienten bestehen Schmerzen im Bereich des medialen Ska-
4 M. sternocleidomastoideus und pularandes mit einem vergrößerten Abstand zwischen Margo medi-
4 M. trapezius. alis scapulae und der Wirbelsäule, der Angulus inferior scapulae ist
nach außen rotiert.
Die sensible Innervation (Muskelspindeln und Golgi-Sehnenorga-
ne) der beiden Muskeln wird vermutlich über Rr. musculares aus Diagnostisches Vorgehen
dem Plexus cervicalis bewirkt. Bei der klinischen Prüfung in Bauchlage wird der Patient gebeten,
Die Radix cranialis (»Schädelwurzel«) tritt unterhalb des N. vagus den Arm nach hinten zu führen, am stehenden Patient sollen die
aus der Medulla oblongata aus und erhält »branchiomotorische« Fa- Arme in die Hüften gestemmt und der Ellbogen gegen Widerstand
sern aus dem Nucleus ambiguus, der auch an der Bildung des N. glosso- nach hinten gedrückt werden, evtl. EMG.
pharyngeus und des N. vagus (IX. und X. Hirnnerv) beteiligt ist. Differenzialdiagnostisch muss eine Scapula alata (bei Schädi-
Beide Wurzeln vereinigen sich zum N. accessorius und verlassen gung des N. thoracicus longus) abgegrenzt werden.
den Schädel begleitet vom N. vagus durch das Foramen jugulare,
Pars nervosa. Mit Fasern des N. vagus bildet er den N. laryngeus
recurrens (Nerv des 6. Kiemenbogens) zur Versorgung der inneren 41.3 N. suprascapularis (C4–C6)
Larynx- und Pharynxmuskeln.
Anatomie
> Klinisch wichtig sind die motorischen Zuflüsse des Plexus
Der N. suprascapularis entspringt den Wurzeln C4–C6 und erreicht
cervicalis zum M. trapezius, die erklären, dass die Inner­
nach dorsal durch die Incisura scapulae ziehend die Mm. supra- und
vation des Muskels bei N.-accessorius-Resektion erhalten
41 bleiben, aber auch bei Schonung des Nervs verloren ge­
infraspinatus. Er innerviert
4 M. supraspinatus und
hen kann (infolge Plexus-cervicalis-Resektion).
4 M. infraspinatus (nach Durchtritt durch die Incisura scapulae).

Ursachen der Schädigung Ursachen der Schädigung


Proximale Schädigungen des N. accessorius treten bei Tumoren Häufigste Ursachen sind mechanische Traumata und Kompressi-
oder Frakturen der Schädelbasis, Prozessen im lateralen Halsdreieck onen im Bereich der Incisura scapulae (Frakturen oder Luxationen,
und gelegentlich nach Dissektion der A. carotis auf. Operationen oder Injektionen im Bereich der Schulter) oder Tumo-
ren in diesem Bereich, v. a. Ganglien. Betroffen sind v. a. Männer mit
> Teilparesen sind am häufigsten nach Lymphknotenentfer­
repetitiven Mikrotraumata oder Überkopftätigkeiten in Beruf oder
nungen (Probeentnahme aus einem Halslymphknoten) im
Sport (z. B. Volleyballer, Kanuten).
seitlichen Halsdreieck, z. B. bei Verdacht auf Tbc, bei ande­
ren Lymphomen oder oft im Rahmen einer Neck Dissection. Klinisches Bild
Selten können auch Verletzungen durch Punktionen der V. jugularis Eine Läsion des Nervs führt zur Lähmung und Atrophie der dorsalen
und sogar durch ein Schleudertrauma bedingt sein. Schulterblattmuskeln und schwächt die ersten 20–30° der Abduk­
tion des Armes (M. supraspinatus) sowie die Außenrotation im
Klinisches Bild Schultergelenk (M. infraspinatus).
Einseitige Lähmung des M. sternocleidomastoideus führt zu Ein- Bei den betroffenen Patienten bestehen meist
schränkung der Kopfdrehung, bei doppelseitiger Lähmung kann der 4 ein dumpfer, muskelkaterartiger Schmerz der Schulter, verstärkt
Kopf beim Liegen nicht gehoben werden. Die Lähmung des N. ac- bei Überkopfarbeiten,
41.8 · N. musculocutaneus (C5–C6)
355 41
4 eine Schwäche der Schulter, v. a. bei der Abduktion und Außen- Eine Lähmung des N. thoracicus longus führt v. a. beim
rotation (erste 20–30° bis zum Einsatz des M. deltoideus), ­ ochhalten oder Anstemmen des gestreckten Arms gegen eine
H
4 eine Atrophie der hinteren Schultermuskeln (M. supra- und in- Wand zu einem flügelartigen Vorstehen der Schulter (Scapula
fraspinatus). alata).

Bei distalen Läsionen ist der Schmerz oft weniger ausgeprägt, da die Klinisches Bild
meist sensiblen Fasern den Nerv bereits proximal verlassen. Zur Das typische Zeichen ist die aufgehobene Fixation und das Abstehen
Kompressionen des Nervs kommt es häufig im Bereich des spinogle- des Schulterblattes vom Thorax (Scapula alata), verstärkt bei der
noidalen und supraskapulären Abschnitts. Armelevation über die Horizontale hinaus oder beim Abstützen an
Als alternative Schmerzursache kommen zahlreiche andere Pa- der Wand. Der Abstand zwischen Margo medialis scapulae und Wir-
thologien für Schmerzen in diesem Bereich in Frage, z. B. degenera- belsäule ist verringert.
tive Erkrankungen der Halswirbelsäule, zervikale Radikulopathie
(v. a. C5), Thoracic-outlet-Syndrom, Pancoast-Tumor, Bursitis sub- Diagnostisches Vorgehen
acromialis, Entzündungen oder Verletzungen der Rotatorenman- Neben der klinischen Funktionsprüfung ist eine EMG-Untersu-
schette oder andere Erkrankungen des Glenohumeralgelenks. chung möglich.

Diagnostisches Vorgehen
Bei der klinischen Untersuchung besteht Schwäche oder Ausfall der 41.6 N. thoracodorsalis (C6–C8)
gelähmten Muskeln, z. B. bei Kratzen am Hinterkopf). Zunächst
kann durch Injektion eines Lokalanästhetikums im Bereich des Anatomie
»scapular notch« eine Lokalisation des Problems erfolgen. Dieser Dieser Nerv versorgt motorisch den
Test ist jedoch nicht sehr spezifisch, da er auch zur Besserung von 4 M. latissimus dorsi und evtl.
anderen Beschwerdebildern führen kann. Durch elektrophysiolo- 4 M. teres major.
gische Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und EMG-Untersu-
chung (M. supra-/infraspinatus) kann eine N.-suprascapularis-Läsi- Ursachen der Schädigung
on identifiziert und lokalisiert werden. Knöcherne Deformitäten Am häufigsten sind traumatische Plexusläsionen Ursache der Schä-
können mittels Röntgen festgestellt werden, komprimierende Pro- digung des N. thoracodorsalis.
zesse, v. a. Ganglien, mittels Ultraschall oder am besten MRT.
Differenzialdiagnostisch muss eine Sehnenruptur der Rotato- Klinisches Bild
renmanschette ausgeschlossen sein. Klinisch sind die Oberarmadduktion und die Innenrotation gestört.
Dies lässt sich erkennen, wenn der Patient in Bauchlage die ge-
streckten Arme gegen Widerstand nach hinten medial führen soll
41.4 N. subscapularis (C5–C6) (wie zum Schürzenbinden).

Anatomie Diagnostisches Vorgehen


Dieser Nerv innerviert Die Klinik kann durch EMG überprüft werden.
4 M. subscapularis und
4 M. teres major.
41.7 Nn. pectorales (C5–Th1)
Ursachen der Schädigung
Lähmungen entstehen meist traumatisch, z. B. durch Plexus-bra­ Anatomie
chialis-Verletzung. Isolierte Schädigungen sind selten. Die Pektoralnerven versorgen motorisch den
4 M. pectoralis major und
Klinisches Bild 4 M. pectoralis minor.
Bei der klinischen Funktionsprüfung ist die Innenrotation des Ober-
arms geschwächt oder ausgefallen (z. B. beim Kratzen in der Lum- Ursachen der Schädigung
balgegend). Die Lähmungen bestehen meist nach traumatischer Plexusläsion.

Diagnostisches Vorgehen Klinisches Bild


Ergänzend kann ein EMG durchgeführt werden. Klinisch ist die Armadduktion geschwächt.

Diagnostisches Vorgehen
41.5 N. thoracicus longus (C5–C7) Die Klinik lässt sich am leichtesten in leicht elevierter Armhaltung
testen, evtl. zusätzlich EMG.
Anatomie
Der rein motorische N. thoracicus longus entstammt den Wurzeln
C5–C7 und versorgt als längster Plexusast den M. serratus anterior. 41.8 N. musculocutaneus (C5–C6)
Ursachen der Schädigung Anatomie
Häufigste Ursache einer Läsion des N. thoracicus longus ist eine Dieser Nerv aus den Segmenten C5/6 durchbohrt den M. coracobra-
Überbelastung der Schulter, z. B. durch das Heben und Tragen chialis, seine Rr. musculares versorgen motorisch alle Ellbogen­
schwerer Lasten oder eine neuralgische Schulteramyotrophie. beuger:
356 Kapitel 41 · Schädigung peripherer Nerven der oberen Extremität

4 M. biceps brachii, tion der Schulter in Ruhe, sodass der Arm leicht nach innen rotiert
4 M. coracobrachialis, steht.
4 M. brachialis (teilweise). Die sensible Versorgung ist charakteristischerweise im Bereich
des lateralen proximalen Oberarms gestört (»Generalsabzeichen«).
Sensibel versorgt der Endast die radiale Haut des Unterarms (N. cu-
taneus antebrachii lateralis). Diagnostisches Vorgehen
Differenzialdiagnostisch ist eine obere Armplexusläsion, Rotato­
Ursachen der Schädigung renmanschettenruptur oder eine schmerzbedingte Bewegungsein-
Häufigste Ursache einer Läsion dieses Nervs ist ein Trauma im schränkung, z. B. bei Periarthropathia humeroscapularis (PHS),
Schulterbereich, z. B. durch Stichverletzung, oder eine traumatische abzugrenzen. Seltener sind eine progressive Muskeldystrophie, ar-
obere Plexusläsion, insbesondere durch Hochrasanztrauma mit Au- throgene Muskelatrophie oder Rupturen der Rotatorenmanschette.
ßenrotation der Schulter. Notwendig ist daher neben der Anamnese oft ein EMG, Über-
leitungszeit zum M. deltoideus, bei Verdacht auf Wurzel-/Plexuslä-
! Cave
sion auch CT/MRT der oberen Thoraxapertur bzw. HWS.
Differenzialdiagnostisch muss die Ruptur der langen Bi­
zepssehne abgegrenzt werden: Es findet sich der typische
Muskelbauch über dem distalen Oberarm, aber keine Ge­
fühlsstörung.
41.10 N. radialis (C5–Th1)
Anatomie
Klinik Der N. radialis (C5–Th1) verläuft am Humerus dorsal und windet
Eine Parese der vom N. musculocutaneus versorgten Muskeln führt sich an diesem im Sulcus n. radialis mit der A. profunda brachii zwi-
zu einer starken Schwächung bis hin zum Ausfall der Ellbogenfle­ schen dem medialen und lateralen Kopf des M. triceps brachii nach
xion. unten, wobei der Nerv gegen den Knochen nur durch eine 1–3 mm
dünne Bindegewebsschicht gepolstert ist. Er durchbricht distal
> Die klinische Prüfung erfolgt bei supiniertem Unterarm,
das Septum intermusculare brachii laterale und gelangt in die Tiefe
um die in Pronation oder Neutralstellung aktive Flexions­
zwischen M. brachioradialis und M. brachialis in die Ellenbeuge.
funktion des N.-radialis-versorgten M. brachioradialis aus­
Hier spaltet sich der Nerv in der Regel vor dem Radiusköpfchen in
zuschalten.
einen oberflächlichen sensiblen und einen tiefen motorischen Ast
(. Abb. 41.1).
Diagnostisches Vorgehen Er gibt folgende wichtige Äste ab:
Neben der klinischen Prüfung erfolgt eine EMG-Untersuchung 4 N. cutaneus brachii posterior: Zur Haut der Dorsalseite des
(Überleitungszeit zum M. biceps brachii) und NLG des N. cutaneus Oberarms.
antebrachii lateralis. 4 N. cutaneus brachii lateralis inferior: Versorgt einen unteren
seitlichen Hautbezirk am Oberarm.
4 N. cutaneus antebrachii posterior: Versorgt die Unterarmstreck-
41.9 N. axillaris (C5–C6) seite.
4 Rr. musculares zum
Anatomie 5 M. triceps brachii,
Der N. axillaris entstammt den Wurzeln C5 und C6. Er verläuft 5 M. anconeus,
durch die laterale Achsellücke, dann unter dem M. deltoideus um 5 M. articularis cubiti,
das Collum chirurgicum humeri herum, begleitet von A. circumfle- 5 M. brachioradialis und
xa humeri posterior und 2 gleichnamigen Venen. Er gibt Muskeläste 5 M. extensor carpi radialis longus.
41 ab zum 4 Der R. profundus durchbohrt den M. supinator, läuft zwischen
4 M. deltoideus und oberflächlicher und tiefer Schicht der Strecker und versorgt die
4 M. teres minor. Streckergruppe des Unterarms.
4 N. interosseus posterior: Endast des R. profundus, erreicht auf
Sein sensibler Endast erscheint am hinteren Rand des Deltamuskels der Membrana interossea antebrachii das Handgelenk und ver-
und versorgt sensibel die oberen seitlichen und dorsalen Hautgebiete sorgt es sensibel.
des proximalen Oberarms (N. cutaneus brachii lateralis superior). 4 R. superficialis: Begleitet die A. radialis (radiale Gefäß-Nerven-
Straße), verläuft am Übergang des mittleren zum distalen Ra­
Ursachen der Schädigung diusdrittel unter dem M. brachioradialis zum dorsalen Unter-
Häufigste Ursache einer Axillarisläsion ist eine Schulterluxation, v. a. arm und zum Handrücken und versorgt dort die Haut.
nach vorn und unten, sowie die folgende Reposition, oder eine 4 R. communicans cum n. ulnari: Verbindet R. superficialis mit
Oberarmhalsfraktur. Seltener sind Drücklähmungen oder Geburts­ R. dorsalis n. ulnaris.
trauma oder neuralgische Schulteramyotrophie die Ursache. 4 Nn. digitales dorsales: Sensible Endäste des R. superficialis für
Grund- und Endglieder der radialen 2½ Finger im dorsalen Be-
Klinisches Bild reich, Endglieder von palmar aus.
Eine Parese des N. axillaris führt zu einer Lähmung des M. deltoide-
us und damit zu einer erheblichen Schwächung der Schulterabduk- Ursachen der Schädigung
tion (nur bis ca. 45°) und der Elevation des Armes nach vorn. Die Der N. radialis wird häufig direkt geschädigt bei Schaftfrakturen des
Schulterkontur ist abgeflacht, Akromion und Humeruskopf treten Oberarms (Sulcus radialis), ebenso bei Oberarmschaftbrüchen,
hervor. Die Lähmung des M. teres minor schwächt die Außenrota­ Frakturen und Luxationen des proximalen Speichenendes (R. pro-
41.11 · N. medianus (C5–Th1)
357 41
Es sind sensible Ausfälle Haut über Streckerseite des Ober- und Un-
terarms zu verzeichnen sowie dorsale Haut der Grund- und Mittel-
glieder der radialen 2½ Finger.

Diagnostisches Vorgehen
Nach der Anamnese und klinischen Untersuchung erfolgen bei Be-
darf zudem Bildgebung, EMG und NLG abhängig von Läsionshöhe
und Lähmungsausmaß.

Darstellung des N. radialis


Die chirurgische Darstellung des N. radialis erfolgt je nach Läsions-
höhe:
4 Oberarm: Posteriore Inzision zwischen dem langen und dem
medialen Kopf des M. triceps. Der Nerv liegt unter dem Caput
longum, verläuft dann in der Radialrinne um den Humerus-
schaft herum.
4 Distaler Oberarm: Hier liegt der Nerv zwischen M. brachialis
und brachioradialis und begleitet den Enast der A. profunda
brachii.
4 Unterarm: Der Nerv verläuft unter dem M. brachioradialis. Dis­
tal der Insertion der Sehne des M. brachialis teilt sich der Nerv
in seinen oberflächlichen sensiblen (R. superficialis) und seinen
mototrischen Ast (N. interosseous posterior).

41.11 N. medianus (C5–Th1)


Anatomie
Der N. medianus geht mit seiner lateralen Wurzel aus Fasciculus
lateralis, mit seiner medialen Wurzel aus dem Fasciculus medialis
hervor. Beide Wurzeln liegen medial und lateral an der A. axillaris
und vereinigen sich vor ihr zum N. medianus zur sog. Medianusga-
bel, wobei zahlreiche anatomische Variationen möglich sind.
Anschließend verläuft der Nerv gemeinsam mit der A. brachialis
am Septum intermusculare brachii mediale (mediale Gefäß-Nerven-
Straße) entlang in die Ellenbeuge, dann unter Aponeurosis m. bici-
pitis brachii zum Unterarm. Hier durchbohrt er den M. pronator
teres, dann zieht er zwischen oberflächlichen und tiefen Flexoren des
. Abb. 41.1 Astfolge des N. radialis
M. flexor carpi radialis und unter Retinaculum flexorum durch den
Karpalkanal zur Hohlhand und teilt sich in die Fingernerven
fundus) und nach Bleivergiftungen toxisch-metabolisch alteriert. (Nn. digitales palmares proprii aus Nn. digitales palmares com-
Auch eine anteriore Luxation des Radiusköpfchens kann zu einem munes 1–3), die palmar die Haut der radialen 3½ Finger und dorsal
Traktionsschaden oder einer Quetschung zwischen Radius und Ulna die Haut der Endglieder dieser Finger versorgen (. Abb. 41.2).
führen. Er gibt hierbei folgende wichtige Äste ab:
4 Die Rr. musculares innervieren alle Muskeln der Beugergruppen am
Klinisches Bild Unterarm mit Ausnahme des M. flexor carpi ulnaris (. Abb. 41.1).
Motorisch kommt es bei Läsion in der Axilla u. a. zur M.-triceps- 4 N. interosseus (antebrachii) anterior: Läuft auf der Membrana
Lähmung (»Krückenlähmung«). Bei hoher Radialisparese fällt die interossea antebrachii und versorgt
Streckergruppe am Ober- und Unterarm aus, der Ellbogen kann 5 M. flexor pollicis longus,
nicht mehr gestreckt werden, Beugung und Supination (durch den 5 M. flexor digitorum profundus (radialer Teil),
M. brachioradialis) sind abgeschwächt, die Handgelenksextension 5 M. pronator quadratus,
ist nicht mehr möglich. Es kommt durch das Übergewicht der Anta- 5 Äste zur tiefen Schicht der Beuger, sensibler Ast zum Periost
gonisten zu einer Beugestellung des Handgelenks. Der Faustschluss und Handgelenk.
ist, außer bei gestreckter Hand, kaum möglich, was die Greiffunktion 4 R. palmaris n. mediani: Kleiner sensibler Ast aus dem unteren
erheblich einschränkt. Drittel zur Haut über Handwurzel und Daumenballen.
4 R. communicans cum n. ulnari: Verbindet N. medianus (oder
> Bei Läsion weit proximal des Ellbogens tritt eine komplet­ Zweige) mit R. superficialis des N. ulnaris auf den langen Beu-
te Fallhand ein, bei distalerer Schädigung und Erhalt des gersehnen in der Hohlhand.
Abgangs zum M. extensor carpi radialis kann das Hand­ 4 Nn. digitales palmares communes 1–3: Motorische Äste für
gelenk weiter mit Radialdeviation gestreckt werden (in­ Mm. lumbricales 1–2 und für Daumenballenmuskulatur (ausge-
komplette Fallhand), darunter ist die Handgelenks- und nommen M. adductor pollicis und Caput profundum des M. fle-
Fingerstreckung und radiale Daumenabduktion gelähmt. xor pollicis brevis).
358 Kapitel 41 · Schädigung peripherer Nerven der oberen Extremität

. Abb. 41.2 Astfolge des N. medianus

Das sensible Autonomiegebiet findet sich an der Hand im Bereich


der Endglieder des Zeige- und Mittelfingers.

Ursachen der Schädigung


Medianusverletzungen sind am häufigsten, wenn tiefe Schnittverlet-
zungen am palmaren Handgelenk oder dem distalen Humerus oder
penetrierende Verletzungen der medialen Seite des Armes mit Be-
teiligung der A. brachialis vorliegen. Andere Ursachen sind Druck-
läsionen (»Schlaflähmung« oder nach Blutsperre am Oberarm,
»Radfahrerlähmung« oder Ganglien am Handgelenk) oder Nerven-
. Abb. 41.3 Astfolge des N. ulnaris
kompressionen.

Klinisches Bild
Als häufigstes Zeichen liegen eine Gefühlsstörung der medianusinn- 4 Proximaler Unterarm: Zugang medial des M. pronator teres. Der
nervierten 3 radialen Finger und ein Ausfall der Daumenopposition Nerv liegt zwischen den beiden Muskelköpfen. Der N. interosse-
41 vor. us anterior tritt proximal des Muskels hervor.
4 Distaler Unterarm: Schräger Zugang zwischen den Sehnen des
> Nur bei hoher Medianusläsion mit Läsion der motorischen FCU und FCR. Der Nerv liegt zwischen den oberflächlichen und
Äste zum FPL und FDS und FDP 2 erfolgt der Faustschluss tiefen Beugesehnen, unter dem M. palmaris longus.
ohne Daumen und Zeigefinger (»Schwurhand«). Ist aber 4 Handgelenk und Palma manus: Zugang parallel zur Hautfalte an
die FPL-Funktion und die FDS- und FDP-Funktion von Zei­ der Eminencia thenaris. Der Nerv liegt unter dem Lig. carpi
ge- und Mittelfinger möglich, liegt die Läsion distal des transversum. Auf den sensiblen R. palmaris sowie den moto-
Abgangs des N. interosseus anterior. rischen R. thenaris ist zu achten.

Diagnostisches Vorgehen
Immer erfolgt die Anamnese und klinische Untersuchung; Zusatzun- 41.12 N. ulnaris
tersuchungen sind je nach Läsionsniveau zusätzlich EMG und NLG.
Anatomie
Chirurgische Darstellung des N. medianus Der N. ulnaris (C8–Th1) entstammt dem Fasciculus medialis. Er
Die Darstellung erfolgt je nach Höhe der Läsion an folgenden Stellen: läuft auf der Innenseite des Oberarms hinter dem Septum intermus-
4 Arm: Medialer Zugang anterior des Septum intermusculare. Der culare brachii mediale zum Sulcus n. ulnaris an der Unterseite des
Nerv verläuft neben der A. brachialis. Epicondylus medialis, hier liegt er oberflächlich unter der Haut und
4 Ellbogen: Inzision entlang der medialen Begrenzung des M. bi- kann palpiert und durch Beklopfen gereizt werden (»Musikanten-
ceps brachialis. Der Nerv findet sich unter der Fascia antebrachii knochen«). Am Oberarm gibt er keine Äste ab, schlüpft zwischen
und dem Lacertus fibrosus. Caput humerale und ulnare des M. flexor carpi ulnaris zur Beuger-
41.12 · N. ulnaris
359 41
Darstellung des N. ulnaris
4 Arm: Medialer Zugang anterior zum Septum intermusculare.
Der Nerv verläuft unter der Faszie des Septums.
4 Ellbogen: Zugang direkt über dem Sulcus ulnaris, zwischen Ole-
cranon und Epicondylus medialis.
4 Unterarm: Inzision ulnar entlang der medioaxialen Linie, Spal-
tung der beiden Köpfe des FCU, unter dem der Nerv auf dem
FDP verläuft.
4 Handgelenk und Palma manus: Inzision parallel zur Hautfalte an
der Basis der Eminencia thenaris, Inzision über dem Os pisi-
forme, Schonung der Aufteilung zwischen seniblen und moto-
rischen Ästen.
. Abb. 41.4 Froment-Zeichen
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München
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der Patient z. B. beim Versuch, ein Papier zwischen Dauem und Zei-
gefinger einzuklemmen, mittels Beugung des Daumenendgelenks
(FPL) zu kompensieren versucht (Froment-Zeichen; . Abb. 41.4).

Diagnostisches Vorgehen
Anamnese und klinischer Befund sind obligat, in Zweifelsfällen
­bildgebende Diagnostik, EMG und NLG abhängig von der Läsions-
höhe.
42

Schädigung peripherer Nerven


der unteren Extremität
A. Gohritz

42.1 N. ischiadicus (L4–S3) – 362

42.2 N. femoralis (L1–L4) – 362

42.3 N. obturatorius (L3–L4) – 363

42.4 Nn. glutaei (L4–S2) – 363

42.5 N. peronaeus (L4–S2) – 363

42.6 N. tibialis (L4–S3) – 365

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
362 Kapitel 42 · Schädigung peripherer Nerven der unteren Extremität

42.1 N. ischiadicus (L4–S3)


Anatomie
Aus dem N. ischiadicus, dem längsten und dicksten Nerv des
menschlichen Körpers, entstammen die Nn. fibularis und tibialis,
deren Anteile schon im Stammgebiet topographisch getrennt, aber
bis zum Knie von einem gemeinsamen Epineurium umgeben sind.
Der N. ischiadicus gibt im Stammbereich sensible Äste ab
(. Abb. 42.1):
4 Nn. clunii (zum Gesäß),
4 N. cutaneus femoris posterior (zur Oberschenkelrückseite).

Weiter distal gehen die motorischen Äste zur ischiokruralen Musku-


latur ab:
4 M. semimembranosus/M. semitendinosus,
4 M. biceps femoris.

Ursachen der Schädigung


Ursachen für N. -ischiadicus-Lähmungen im proximalen Stamm­
bereich sind vielfältig, am häufigsten
4 Frakturen des Beckenrings oder des proximalen Oberschen-
kels,
4 Folgen von Operationen (dorsaler Zugang zum Hüftgelenk)
oder
4 Spritzenlähmungen,
4 Affektionen der Nervenwurzeln durch Bandscheibenvorfall,
Spinalstenose, Erkrankungen der Wirbelsäule (z. B. Spondylolis-
these oder Spondylitis),
4 Tumoren im Becken oder des Rückenmarks.

Schädigungen des proximalen Nervenstamms sind


4 Spritzenabszesse,
4 komplexe Beckenverletzungen (Schussverletzung, Luxations-
frakturen). . Abb. 42.1 Verlauf und Astfolge des N. ischiadicus

Periphere Störungen seiner Äste betreffen den N. peronaeus und


den N. tibialis. ziale, Kernspintomographie und Computertomographie festgestellt
werden.
Klinisches Bild
Bei kompletter N. -ischiadicus-Parese verbleiben als Kniebeuger nur
die Muskeln des Pes anserinus. Füße und Zehen sind völlig gelähmt. 42.2 N. femoralis (L1–L4)
Vom Ischiasnerv werden ein Großteil des lateralen und dorsalen
Unterschenkels, des Fußes und die gesamte Fußsohle sensibel ver- Anatomie
sorgt. Neben den schwerwiegenden motorischen Defiziten können Der N. femoralis, aus den Wurzeln L1–L4 entstammend, zieht mit
ausgesprochen quälende Hyperpathien auftreten. Folge der Asen­ den großen Gefäßen unter dem Leistenband hindurch zum Ober-
42 sibilität sind trophische Störungen bis hin zu chronischen Ulzera­ schenkel und liefert die motorische Versorgung für
tionen am Fuß. 4 M. iliacus, M. psoas major (Muskeln der Hüftbeugung),
Bei den Ischiasschädigungen fällt häufig auf, dass der Peronäus- 4 M. quadriceps femoris (Kniestrecker; . Abb. 42.2).
anteil des Nervs oft allein oder überwiegend betroffen ist. Erklä-
rungsmöglichkeiten liegen u. a. in der frühen Trennung von Pero­ Sensibel versorgt er die Oberschenkelvorderseite (Rr. cutanei ante-
näus- und Tibialisanteilen schon kurz distal des Foramen infrapi­ riores) und mit seinem Endast, dem N. saphenus, den medialen An-
riforme, in einer besonderen Anfälligkeit des Peronäusanteils auf teil der Unterschenkelvorderseite.
Dehnung und in Durchblutungsdifferenzen.
Ursachen der Schädigung
! Cave
Häufigste Ursache einer Femoralisläsion sind Unfälle, Operationen,
Die Ursache einer scheinbar isolierten Peronäusparese
Tumoren oder Hämatome der Psoasscheide, v. a. bei antikoagu-
kann durchaus in einer Schädigung des proximalen Ischias­
lierten Patienten.
stamms liegen!
Klinisches Bild
Diagnostisches Vorgehen Die Femoralislähmung schwächt die Hüftbeugung (Prüfung im Sit-
Nach Feststellung des Ausmaßes der Lähmung können die Loka­ zen) und Kniestreckung (Prüfung in Rückenlage). Im Stehen steht
lisation und die Ursache durch Neurographie, evozierte Poten­ die Patella auf der betroffenen Seite tiefer, der Patellarsehnenreflex
42.5 · N. peronaeus (L4–S2)
363 42
Ursachen der Schädigung
Der N. obturatorius wird v. a. durch Beckenfrakturen oder Raumfor-
derungen im kleinen Becken oder im Foramen obturatorium (z. B.
Tumoren, Hernien) geschädigt.

Klinisches Bild
Sein Ausfall führt zu einer inkompletten Parese der Adduktoren des
Oberschenkels, schwächt den Adduktorenreflex (ausgelöst durch
Schlag auf den Condylus medialis femoris) und bewirkt eine Sensi-
bilitätsstörung medial oberhalb des Knies. Schmerzen sind typi-
scherweise inguinal, perinäal, an Hüfte, Knie (Howship-Rhomberg-
Syndrom) und medialen Oberschenkel lokalisiert.

Diagnostisches Vorgehen
Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese, EMG und Bildgebung
(z. B. CT/MRT des kleinen Beckens). Differenzialdiagnostisch
kommt eine Wurzelläsion (L2–L4), ossäre Prozesse (Hüftgelenk, Os
pubis, Symphyse) oder eine Ansatztendinose in Frage.

42.4 Nn. glutaei (L4–S2)


Anatomie
Die Nn. glutaei innervieren die Hüftabduktoren und -strecker. Der
N. glutaeus superior (L4–S1) innerviert
. Abb. 42.2 Verlauf und Astfolge des N. femoralis
4 Mm. glutaeus medius und minimus,
4 M. tensor fasciae latae.

fehlt. Geringe motorische Defizite werden leicht übersehen. Eine Der N. glutaeus inferior (L5–S2) versorgt den M. glutaeus maxi-
vollständige Lähmung führt zum Ausfall der Kniestreckung. Der mus.
Patellarsehnenreflex fehlt. Der Kranke vermeidet es dann, das Bein
mit angebeugtem Knie aufzusetzen, weil er dabei nach vorn ein- Ursachen der Schädigung
knickt und stürzt. Daraus resultiert eine empfindliche Störung des Die Nn. glutaei werden am häufigsten durch Entbindungen, Rektum­
Gangbildes mit vorsichtigen, kurzen Schritten und Unsicherheit tumoren, intramuskuläre Injektionen (Spritzenläsion), Aneurysmen
beim Treppensteigen. Ist der M. iliopsoas mit betroffen, ist zusätz- und Beckenfrakturen geschädigt.
lich die aktive Hüftbeugung beeinträchtigt.
Im Versorgungsgebiet der sensiblen Äste, des N. cutaneus ante- Klinisches Bild
rior (Oberschenkelinnen- und -außenseite) und des N. saphenus Die Läsion des N. glutaeus superior (L4–L5) lähmt die Mm. glutaeus
(infrapatellar, medialer Unterschenkel und Fuß) ist die Sensibilität medius und minimus sowie den M. tensor fasciae latae und bewirkt
gestört. eine Beckeninstabilität auf der Standbeinseite, das beim Gehen zur
Schwungbeinseite hin abkippt (Trendelenburg-Hinken). Bei unvoll-
Diagnostisches Vorgehen ständiger Lähmung kann dieses Absinken durch Rumpfneigung zur
Feststellung des Schweregrads und Lokalisation der Ursache: Neu- Standbeinseite und Verlagerung des Körperschwerpunktes kompen-
rographie, evozierte Potenziale, Kernspintomographie. siert werden (Duchenne-Hinken, »Watschelgang«).
Die Läsion des N. glutaeus inferior (L5–S1) lähmt den M. glutae-
Therapeutisches Vorgehen us maximus und damit die Hüftstreckung, wodurch z. B. das Trep-
Nach Möglichkeit sollte man versuchen, die Ursache auszuschalten: pensteigen erschwert ist. Die Muskelatrophie lässt sich bei Kontrak-
Ausräumung komprimierender Hämatome oder Tumoren (Lym- tion im Seitenvergleich tasten, die Gesäßfalte steht auf der gelähmten
phome in der Leiste), Neurolyse, Nervennaht bei direkter Verlet- Seite tiefer.
zung. Bevor eine Arthrodese des Kniegelenks in Erwägung gezogen
wird, steht die Bizepstransposition als motorischer Ersatz zur Verfü- Diagnostisches Vorgehen
gung (7 Kap. 46). Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese und EMG. Differenzial­
diagnostisch kann auch ein C5-Syndrom, eine Plexus-lumbosacra-
lis-Läsion, Myopathie oder Läsion des N. cutaneus femoris lateralis
42.3 N. obturatorius (L3–L4) (Meralgia paraesthetica) vorliegen.

Anatomie
Der N. obturatorius aus L3–L4 ist motorisch für die Oberschen- 42.5 N. peronaeus (L4–S2)
keladduktoren und sensibel für eine kleine Hautinsel oberhalb der
Kniegelenksinnenseite zuständig. Anatomie
Der N. peronaeus communis zieht am lateralen Rand der Kniekehle
hinter der Bizepssehne um das Collum fibulae herum, tritt in den
364 Kapitel 42 · Schädigung peripherer Nerven der unteren Extremität

> Kennzeichnend für eine Läsion des N. fibularis profundus


sind ein Fallfuß und ein Steppergang.

Die Sensibilität am Fußrücken ist gestört und im 1. Spatium inte-


rosseum aufgehoben.
Komplette Lähmungen betreffen die peronäale Muskelgruppe,
den M. tibialis anterior und die Zehenstrecker. Die Hebung des
Fußes ist eingeschränkt oder nicht mehr möglich. Hackenstand und
-gang sind beeinträchtigt. Es kommt mit der Zeit zur Spitzfuß­
kontraktur. Beim Gehen schleift die herabhängende Fußspitze am
Boden, das Bein wird deshalb bewusst angehoben (Steppergang).
Die Sensibilitätsstörung findet sich am Fußrücken und an der Au-
ßenseite des Unterschenkels. Der Profundusast innerviert die Fuß-
rückenhaut zwischen dem 1. und 2. Mittelfußköpfchen.
Bei Schädigung im Stammbereich treten beide Lähmungsmuster
zusammen auf.
> Differenzialdiagnostisch finden sich eine Fußheberschwä­
che und Sensibilitätsstörung am Fußrücken auch bei kom­
binierten Schädigungen der 4. und 5. Lumbalwurzeln, hier
sind jedoch auch die Fußabduktion und die Fußinversion
geschwächt.
Eine zunächst isolierte, dann fortschreitende Fußheberlähmung ohne
Gefühlsausfall kann erster Hinweis auf eine spinale Muskelathrophie
oder eine amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sein. Beim Tibialis-an-
terior-Syndrom infolge eines Kompartmentsyndroms der Muskeln in
der Tibialis-anterior-Loge durch Überlastung (Trauma oder Häma-
tom) kommt es zu einer lokalen schmerzhaften Muskelschwellung.
! Cave
Das resultierende Kompartmentsyndrom beim Tibialis-an­
terior-Syndrom nimmt bei Plantarflexion des Fußes zu und
kann innerhalb von 12–24 h zur Muskelnekrose führen.
Infolge einer fibrotischen Verkürzung der Muskeln in der
Tibialisloge kann das typische Bild des Fallfußes ausbleiben.
. Abb. 42.3 Verlauf und Astfolge des N. peronaeus
Eine zusätzliche Schädigung des durch die Tibialisloge ziehenden
N. fibularis profundus kann Ursache einer irreführenden Sensibili-
M. peronaeus longus ein und trennt sich in einen oberflächlichen tätsstörung am Fußrücken sein.
und einen tiefen Anteil auf (. Abb. 42.3).
Der N. peronaeus superficialis versorgt motorisch Diagnostisches Vorgehen
4 M. peronaeus longus, Die Lokalisation der Ursache erfolgt durch NLG-Messung: moto-
4 M. peronaeus brevis. rische NLG (Leitungsblock am Fibulaköpfchen?), ggf. sensible NLG
des N. peronaeus superficialis/profundus sowie durch EMG (Mm. ti-
Sensibel innerviert er die Unterschenkelaußenseite und des Fuß­ bialis anterior, extensor hallucis longus, peronaeus brevis/longus
rückens, ausgenommen den ersten Zwischenzehenraum (Spatium und immer auch des kurzen Kopfes des M. biceps femoris, um eine
42 interossium 1), der vom N. fibularis profundus innerviert wird. Ischiasparese auszuschließen.
Der N. peronaeus profundus versorgt motorisch die Fuß- und
Zehenheber sowie die kurzen Muskeln des Fußrückens. Therapeutisches Vorgehen
Konservative Behandlung ist möglich durch Krankengymnastik zur
Ursachen der Schädigung Spitzfußprophylaxe, Training der muskulären Restfunktionen und
Schädigungen des Fibularisstamms werden meist verursacht durch Elektrotherapie zur Vorbeugung einer Atrophie.
scharfe Verletzungen oder stumpfe Traumata, z. B. bei Kniegelenks- Ein dauerhaftes motorisches Defizit wird durch Orthesen kom-
frakturen oder durch eine Druckschädigung des N. peronaeus com- pensiert, die den Fuß passiv in der Dorsalextension halten. Je nach
munis oder seines superfizialen und profunden Astes am Fibula- Schwere der Lähmung reicht eine speziell geführte elastische Banda-
köpfchen (Lagerungsschaden, zu enger Gips). Schädigungen der ge aus, oder es werden mehr oder weniger starre Fußheberschienen
einzelnen Äste kommen durch Hämatome, Frakturen und Opera­ appliziert. Bei ausgeprägter Lähmung ist für schwere körperliche
tionen (Fibulaosteotomie) zustande. Arbeit eine Art Arthrodesenstiefel nötig.
Eine gute Alternative ist die motorische Ersatzplastik (7 Kap. 46).
Klinisches Bild
Bei Ausfall des N. fibularis superficialis kommt es zu einer Prona­
tionsschwäche des Fußes, der laterale Fußraum kann nicht mehr
angehoben werden.
42.6 · N. tibialis (L4–S3)
365 42
42.6 N. tibialis (L4–S3)
Anatomie
Der N. tibialis versorgt als medialer N. -ischiadicus-Anteil am Un-
terschenkel die Flexoren des Fußes und der Zehen und am Fuß die
kleinen Fußmuskeln außer denjenigen am Fußrücken. Das sensible
Versorgungsgebiet ist die Ferse und die Fußsohle (. Abb. 42.4).

Ursachen der Schädigung


Als Ursache für eine Schädigung des N. tibialis kommen suprakon-
dyläre Frakturen, Tibiafrakturen oder Schussverletzungen in Frage.
Druckschädigungen (z. B. durch fehlerhafte Lagerung bewusstseins-
gestörter Patienten), Irritationen und Störungen des Ischiasnervs
sind häufig, meist aufgrund von Krankheiten der Wirbelsäule (Wur-
zelreizsyndrom, Ischialgie). Sie betreffen nur einen Teil der Ischias-
funktionen und können meist einer Nervenwurzel zugeordnet
­werden.
Beim Tarsaltunnelsyndrom kommt es zur chronischen Druck-
schädigung des N. -tibilalis-Endastes hinter dem Knöchel, meist infol-
ge von Frakturen oder Distorsionen des oberen Sprunggelenks, aber
auch im Rahmen von Polyneuropathien (v. a. Diabetes mellitus).

Klinisches Bild
Typisch sind ein positives Tinel-Zeichen sowie Schmerzen hinter
dem Malleolus medialis oder an der Fußsohle, die beim Gehen zu-
nehmen können. Die Sensibilität an der Fußsohle ist gestört, die Haut
glatt, trocken und rissig. Das Spreizen der Zehen ist nicht möglich.
Der Nerv versorgt den M. triceps surae, die Zehenbeuger, die
intrinsische Fußmuskulatur und den M. tibialis posterior. Der voll-
ständige Ausfall macht die Stabilisierung des Sprunggelenks im Stand
und beim Gehen unmöglich. Auch partielle Lähmungen können die
Gehfähigkeit empfindlich beeinträchtigen. Vor allem die Plantarfle-
xion des Fußes (Abstoßen des Fußes am Ende der Standphase, Zehen- . Abb. 42.4 Verlauf und Astfolge des N. tibialis
spitzenstand) ist eingeschränkt oder nicht mehr möglich.
Die Sensibilitätsstörung bezieht sich auf die Fußsohle, den late-
ralen Fußrand und die Wade. Durch das Übergewicht der dorsal
extendierenden Muskeln entwickelt sich auf Dauer ein Hackenfuß. kulatur kann diese u. U. als Fußsenker im oberen Sprunggelenk wir-
Durch Ausfall der Plantarflexoren ist der Zehenspitzengang, durch ken, da kein Kraftvektor plantar der Sprunggelenksbewegungsachse
Ausfall der kleinen Fußmuskeln das Zehenspreizen unmöglich. Die besteht.
Asensibilität der Fußsohle erhöht das Risiko für unbemerkte Verlet-
zungen und Ulkusbildungen. Literatur
Die Morton-Metatarsalgie ist ein Schmerzsyndrom eines sen-
Grant GA, Goodkin R, Kliot M (1999) Evaluation and surgical management of
siblen Endastes des N. tibialis (N. digitalis), die beim Auftreten, spä- peripheral nerve problems. Neurosurgery 44: 825–839
ter auch in Ruhe, zu Beschwerden im Vorfußbereich führen kann. Kim DH, Cho Y, Ryu S, Tiel RL, Kline DG (2003) Surgical management and re-
Diese lassen sich auch durch seitliches Zusammendrücken des Vor- sults of 135 tibial nerve lesions at the Lousiana State University Health
fußgewölbes oder Verschieben der Metatarsalköpfchen gegeneinan- Sciences Center. Neurosurgery 53: 1114–1124
der auslösen. Ursache ist wahrscheinlich weniger ein echtes Neurom Kim DH, Murovic JA, Tiel R, Kline DG (2004) Management and outcomes of 353
als eher ein Nervenengpasssyndrom bedingt durch die Ligg. inter- surgically treated sciatic nerve lesions. J Neurosurg 101: 8–17
metatarsalia. Kim DH, Murovic JA, Tiel RL, Kline DG (2004) Management and outcomes in
318 operative common peroneal nerve lesions at the Lousiana State Uni-
Diagnostisches Vorgehen versity Health Sciences Center. Neurosurgery 54: 1421–1428
Kim HD, Midha R, Murovic JA, Spinner RJ (2008) Kline & Hudson’s nerve inju-
Bei Lokalisation der Nervenschädigung im hinteren Tarsaltunnel oder
ries, 2nd edn. Elsevier, Amsterdam
an der Fußsohle (Morton-Metatarsalgie) führt eine Instillation von Kline DG, Tiel R, Kim D, Harsh C (1998) Lower extremity nerve injuries. In: Omer
Lokalanästhetikum oft zur Beschwerdebesserung. Sonst ist eine Be- GE, Spinner N (eds) Management of peripheral nerve problems. Saun-
funddokumentation mittels NLG, EMG und Bildgebung möglich. ders, Philadelphia
Millesi H (1992) Chirurgie der Peripheren Nerven. Urban & Schwarzenberg,
Therapeutisches Vorgehen München
Die zugrunde liegende Pathologie sollte, wo immer möglich, besei-
tigt werden. Bei irreversibler Lähmung ist ein orthopädischer Maß-
schuh indiziert, der das Sprunggelenk stabilisiert und die fehlende
Plantarflexion durch eine Ausstellung des Absatzes nach hinten
kompensiert (Schleppenabsatz). Bei funktionierender Peronäalmus-
43

Motorische und nervale


Ersatz­operationen bei Lähmungen
an Unterarm und Hand
A. Gohritz, P.M. Vogt

43.1 Grundlagen – 368


43.1.1 Therapieprinzip – 368
43.1.2 Indikationen – 368
43.1.3 Voraussetzungen – 368
43.1.4 Wahl des Motors – 369
43.1.5 Zeitplanung – 369
43.1.6 Alternativen/Zusatzeingriffe – 370
43.1.7 Kontraindikationen – 370
43.1.8 Team-Konzept – 370
43.1.9 Prinzipien der Nachbehandlung – 370

43.2 Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm


und Hand – 370
43.2.1 Nerventranspositionen bei Lähmungen an Unterarm und Hand – 370
43.2.2 Kombinierte Nervenläsionen der oberen Extremität – 376

43.3 Ergebnisse und Komplikationen – 376

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
368 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand

43.1 Grundlagen
Abkürzungen
4 BR: M. brachioradialis 43.1.1 Therapieprinzip
4 ECRB: M. extensor carpi radialis brevis
4 ECRL: M. extensor carpi radialis longus > Motorische Ersatzoperationen können irreparabel verlo­
4 ECU: M. extensor carpi ulnaris rene Muskelfunktionen durch eine Transposition von ge­
4 EDC: M. extensor digitorum communis sunden Sehnen-Muskel-Einheiten ersetzen und so die
4 EDM: M. extensor digiti minimi Funktion gelähmter oder zerstörter Muskelgruppen wie­
4 EPL: M. extensor pollicis longus derherstellen.
4 FCR: M. flexor carpi radialis
4 FCU: M flexor carpi ulnaris Der Spendermuskel kann unipolar gestielt verlagert werden, wenn
4 FDP: M. flexor digitorum profundus er proximal in situ verbleibt und seine Sehne auf den peripheren
4 FDS: M. flexor digitorum superficialis Anteil des zu ersetzenden Muskels transponiert wird, er wird mit
4 FPB: M. flexor pollicis brevis Ursprung und Ansatz bipolar unter Erhalt des Gefäß-Nerven-Bün-
4 FPL: M. flexor pollicis longus dels verlagert. In Ausnahmefällen ist die freie, d. h. mikrochirur-
4 PCSA: »physiologic cross sectional area« (physiologische gische Transplantation eines funktionellen Muskels (z. B. M. gracilis,
Muskelquerschnittsfläche) M. latissimus dorsi oder M. rectus femoris) möglich.
4 PL: M. palmaris longus

43.1.2 Indikationen
Nervenverletzungen der oberen Extremität führen oft zu schweren
Funktionsbeeinträchtigungen. Mikrochirurgische Techniken haben Angewendet werden motorische Ersatzoperationen in erster Linie
die Ergebnisse nach Nervenrekonstruktion in den letzten Jahr- 4 nach irreparablen Nervenverletzungen,
zehnten deutlich verbessert, allerdings bleibt die Aussicht auf Funk- 4 nach Muskel- und Sehnenzerstörung durch Trauma, Tumor
tionswiederkehr, v. a. bei proximalen Stammnervenläsionen, bei oder Ischämie (Volkmann-Kontraktur),
verspätet oder im höheren Lebensalter versorgten Verletzungen häu- 4 nach Erkrankungen peripherer Nerven (z. B. Lepra, Polio),
fig ungünstig. So zeigt die hohe Radialisparese auch nach primärer 4 nach angeborenen Muskelausfällen (z. B. Arthrogryposis),
Nervenrekonstruktion bei langer Latenzzeit oft unbefriedigende Er- 4 bei Fehlbildungen (z. B. Daumenhypoplasie)
gebnisse, bei proximaler Ulnarislähmung kommt eine Reinnervati- sowie begrenzt
on der Handbinnenmuskeln selten vor. 4 bei spastischen Bewegungsmustern zentraler Erkrankungen
Motorische Ersatzoperationen durch Muskel- oder Sehnen- (z. B. bei Zerebralparese oder nach Apoplex; Richards 2003;
transposition können in jeder Phase nach der Verletzung zu einer Switlick u. Sheppard 2005).
Wiederherstellung verlorener Nervenfunktionen und zur Besserung
der Funktion an der oberen Extremität führen.
4 Eine motorische Ersatzoperation bietet dem Patienten eine Al- 43.1.3 Voraussetzungen
ternative zur dauerhaften Lähmung.
4 Sie vermeidet langfristige Schienenbehandlung. Die wichtigsten Bedingungen für eine motorische Ersatzoperation
4 Sie verkürzt die Rehabilitationsperiode. sind in der . Übersicht zusammengefasst.

An der oberen Extremität sind für alle Stammnerven viele Ersatzo-


Voraussetzungen für die Muskeltransposition
perationen bekannt, deren Prognose vom Lähmungsmuster, den
lokalen Unfallschäden (z. B. an Weichteilen und Gelenken) sowie 4 Keine spontane Funktionsrückkehr (durch Nervenregenera-
den Eigenschaften des Spendermuskels abhängt. tion) zu erwarten
4 Operative Alternativen ausgeschöpft (z. B. Nervennaht oder
> Auch bei komplexen Schädigungen mit geringerer Funk­ -dekompression, Sehnen- oder Muskelrekonstruktion)
tionswiederkehr als nach isolierten motorischen Ausfällen 4 Keine weitere Verbesserung durch Handtherapie
stellen Ersatzoperationen einen wertvollen Funktions­ 4 Einsichtsfähigkeit und Motivation (v. a. zur Nachbehand-
gewinn dar, der eine brauchbare Handfunktion oft erst
43 wieder ermöglicht.
lung) des Patienten
4 Behandlungsplan nach körperlicher Untersuchung und Be-
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über in der Praxis bewährte ratung des Patienten
Techniken der motorischen Ersatzoperationen am Unterarm und an 4 Verzichtbare und geeignete Spendermuskeln (Kraftgrad
der Hand nach peripheren Nervenverletzungen und soll damit Hil- ≥M4; . Tab. 38.5) vorhanden
festellung bei der Indikationsstellung zu diesen Operationen sein. 4 Günstige Weichteilsituation
Die motorischen Ersatzoperationen der Schulter und des Ellbo­ 4 Möglichst freie passive Gelenkbeweglichkeit
gens werden in 7 Kap. 40 behandelt.

Motorische Ersatzoperationen sind in der Regel erst durchzuführen,


wenn nach konservativen und operativen Maßnahmen ein Funkti-
onsplateau erreicht und keine weitere Besserung zu erwarten ist.
43.1 · Grundlagen
369 43
> Damit die chirurgische Rehabilitation mit größtmöglicher des einzelnen Muskels erhöhen kann, z. B. besteht eine Synergie zwi-
Sicherheit zu einer Verbesserung der Gebrauchsfähigkeit schen Handgelenkstreckern und Fingerbeugern beim Faustschluss
der Hand führt, ist eine genaue sorgfältige Untersuchung oder von Handgelenksbeugern und Fingerstreckern beim Öffnen
für die Planung der Operation unbedingt notwendig, um der Hand.
gemeinsam anhand des Lähmungsbildes (. Tab. 38.5) ei­ Prinzipiell können jedoch alle Muskelgruppen transponiert wer-
nen Behandlungsplan aufzustellen, der das zu erwartende den, die durch den Patienten willentlich steuerbar sind (Brand u.
Ergebnis und den individuellen Gewinn detailliert vorher­ Hollister 1999; Brüser 1999).
sagt.
> Bei Antagonisten ist meist ein erheblicher Richtungswech­
sel des Muskelverlaufs notwendig, z. B. von der Beuge- auf
Durch präoperative Physiotherapie kann der Spendermuskel gestär-
die Streckseite der Hand, wodurch Gleitfähigkeit und Kraft
kt werden, sie ist oft auch ein Maß für die unbedingt notwendige
verloren gehen können.
Motivation und Einsichtsfähigkeit des Patienten, ohne die derartige
Eingriffe fehlschlagen. Die Muskelexkursion kann nach der 3-5-7-Regel aus seiner Inser­
Die physiologischen Eigenschaften des Spendermuskels, v. a. tion abgeschätzt werden. Sie beträgt bei Ansatz am Handgelenk etwa
hinsichtlich Kraft, Amplitude und Funktion, müssen dem zu erset- 3 cm (ECRL 3,3 cm), an den Fingergrundgelenken 5 cm (EDC
zenden Muskel nahe kommen. Eingeteilt nach den Graden M0–M5 5,0 cm) und an den Fingerendgliedern 7 cm (FDS/FDP 7 cm), wobei
des British Medical Research Council sollte seine Muskelkraft min- der Tenodeseeffekt am Handgelenk die Exkursion noch um etwa
destens M4 (Kraft gegen Widerstand; . Tab. 38.5) entsprechen, da in 2,5 cm steigern kann. Durch proximale Freilegung des Muskels, z. B.
der Regel 1 Kraftgrad verloren geht. Muskeln mit einem Kraftgrad des BR, kann sich die Exkursion noch weiter erhöhen (Switlick u.
M3 kommen für augmentierende Ersatzoperationen bei erhaltener Sheppard 2005).
Restfunktion in Frage.
> Biomechanisch ist die Kraftentwicklung am günstigsten
Synergisten besitzen meist eine ähnliche Verlaufsrichtung und
bei geradliniger Führung der transferierten Sehne (»direct
Funktion sowie zusätzlich ein ähnliches Innervationsmuster, wo-
pull«).
durch das postoperative Umlernen erleichtert wird.
Wichtig ist ein funktionelles Gleichgewicht, wenn die Muskeltrans-
> Zunächst muss eine günstige Weichteilsituation, also ein
position zu einer Dysbalance führt, z. B. einer Dominanz der Finger-
geeignetes Sehnenlager und Subkutangewebe, geschaf­
strecker, obwohl physiologisch die Fingerbeuger überwiegen. Es
fen werden.
sollten keine denervierten Muskeln verwendet werden, deren Rein-
Bei Bedarf kann durch Einlegen von Silastikstäben innerhalb von nervationsqualität und Kontraktilität elektromyographisch unter
8 Wochen eine gute Gleitoberfläche geschaffen werden. Die Lokal- Bestimmung der Anzahl und Amplitude der motorischen Einheiten
verhältnisse müssen frei von Ödem, offenen Wunden, Infektion oder abgeklärt werden müssen (Brand u. Hollister 1999; Brüser 1999;
Entzündung sein. Besteht Narbengewebe, etwa nach Voroperatio­ Richards 2003; Switlick u. Sheppard 2005).
nen, sollte dieses exzidiert werden. In manchen Fällen kann durch
gestielte oder freie Lappenplastiken gesundes Gewebe eingebracht
werden, um die Ernährung der Sehnen und ihr Gleiten zu sichern. 43.1.5 Zeitplanung
> Gelenkkontrakturen müssen präoperativ korrigiert wer­
Motorische Ersatzoperation werden meist erst nach neurologischer
den, entweder konservativ durch intensive passive Be­
Stabilisierung und Rückkehr der verbliebenen motorischen Fähig-
übung oder chirurgisch durch Gelenklösungen, weil auch
keiten durchgeführt, sind also meist Sekundäroperationen. Selten
der stärkste Spendermuskel ein steifes Gelenk nicht mobi­
werden sie auch als Primäreingriffe eingesetzt, um Funktionsaus­fälle
lisieren kann.
bis zur Muskelreinnervation temporär zu kompensieren. Bei weit
Vor oder nach der motorischen Ersatzoperation sind Zusatzeingriffe proximaler Nervenschädigung und einer durchschnittlichen Rege-
nützlich – insbesondere Tenolyse, Sehnenverlängerung, Tenodesen, nerationsgeschwindigkeit von 1–2 mm pro Tag erreichen die aus-
Arthrodesen – um das Ergebnis noch weiter zu verbessern. wachsenden Axone erst nach Monaten die periphere Muskulatur.
Bei temporären Ersatzoperationen werden die Empfängersehnen
nicht durchtrennt, sondern eine Seit-zu-Seit-Naht vorgenommen,
43.1.4 Wahl des Motors damit die Operation bei ausreichender Reinnervation reversibel
bleibt (Öhlbauer et al. 2006; Richards 2003).
Idealer Ersatz eines gelähmten Muskels wäre ein Spendermuskel mit Tetraplegiker müssen sich in einem guten Allgemeinzustand be-
gleichen mechanischen Eigenschaften hinsichtlich Volumen, Faser- finden und im Rollstuhl sitzen können. Es dürfen keine Infekte oder
länge und relativer Kraft und mit einer möglichst ähnlichen Mus- Hautläsionen (Dekubitus) bestehen. Die Patienten sollten ihre Be-
kelarchitektur, die die Wirkungsweise des Spendermuskels in seiner hinderung akzeptiert haben. In der Praxis sind diese Bedingungen
neuen Ersatzfunktion entscheidend bestimmt. meist erst ein Jahr nach dem Unfall erfüllt, manchmal auch erst spä-
Eine große Rolle spielen hier v. a. die physiologische Muskel- ter (Hentz u. Leclerq 2002; Lamb u. Chan 1983; Moberg 1978).
querschnittsfläche (engl. »physiologic cross sectional area«; PCSA) Grundsätzlich bleiben motorische Ersatzoperationen nach der
und die Muskelfaserlänge, weil die Kraftentwicklung eines Muskels Nervenschädigung aber auch Jahrzehnte später möglich (anders als
direkt proportional zu seiner PCSA ist und die Muskelfaserlänge etwa Nervenrekonstruktionen), da sie auf voll funktionstüchtigen
direkt proportional zur Exkursion und Kontraktionsgeschwindig- Muskeln beruhen, deren Ansatz lediglich versetzt wird, um eine
keit. Es hat sich bewährt, den Spendermuskel mit einer »Stärke« und wichtigere Funktion als die ursprüngliche auszuführen.
Exkursion zu wählen, die derjenigen des zu ersetzenden Muskels
ähnlich ist (Fridén 2005a, b). Funktionell günstig ist die gleichzeitige
Kontraktion mehrerer Muskeln, durch die sich die Wirksamkeit je-
370 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand

43.1.6 Alternativen/Zusatzeingriffe peripheren oder zentralen Lähmungen vertraut sind (Brand u. Hol-
lister 1999; Brüser 1999; Fridén 2005a, b).
Die primäre Rekonstruktion von Nerven, Sehnen oder Muskeln hat
gegenüber der Ersatzoperation den Vorteil, dass meist kein neues
Erlernen notwendig ist und Kraft, Amplitude und Zugrichtung des 43.1.9 Prinzipien der Nachbehandlung
Muskels erhalten bleiben.
Nerventranspositionen sind technisch anspruchsvoll, ermögli- Nach Riordan hängt der Erfolg neben der technischen Kompetenz
chen aber oft die rasche Funktionswiederkehr des neurotisierten des Operateurs entscheidend von »seiner gewissenhaften und sorg-
Muskels und vermeiden Adhäsionen von Sehnen oder Muskeln fältigen Nachsorge ab, weil gewöhnlich nur eine einzige Chance be-
(7 Kap. 38). steht, an einer gelähmten Hand ein gutes funktionelles Ergebnis zu
Durch Tenotomien und Sehnenverlängerungen kann die Ge- erreichen« (Riordan 1974). Die an die jeweilige Operation ange-
lenkbeweglichkeit verbessert werden. Nach statischer oder dynami­ passte genau Nachbehandlung umfasst die in der . Übersicht aufge-
scher Tenodese kann durch Bewegungen eines proximalen Gelenks listeten Prinzipien (Öhlbauer et al. 2006; Richards 2003).
eine passive Stellungsänderung in einem distalen Gelenk erreicht
werden.
Prinzipien der Nachbehandlung
Die Arthrodese verringert die Anzahl der zu bewegenden Ge-
lenke, sorgt für Stabilität einer bestimmten Funktion (z. B. der Fin- 1. Immobilisation:
gerfunktion bei Handgelenkinstabilität) und setzt zusätzliche Spen- Nach Muskeltranspositionen wird in der Regel 4 Wochen
dermuskeln frei (z. B. die Handgelenkstrecker oder -beuger, die zur durch Schienen ruhiggestellt, um Zugbelastungen auf der
Reanimation der Fingerbewegung eingesetzt werden können). Sehnennaht zu minimieren. Angrenzende Gelenke, deren
Eine Amputation hat eine geringe Rehabilitationszeit, ist aber Bewegung die Sehnennaht nicht belasten, werden passiv
nur extrem selten zu rechtfertigen, weil sie in die Körperintegrität beübt.
eingreift und funktionell kaum Vorteile bietet. 2. Mobilisation:
Nach 4 Wochen wird mit geschützter Krankengymnastik
ohne Belastung begonnen, ab der 6. Woche tragen die
43.1.7 Kontraindikationen Pa­tienten die Schienen nur noch nachts.
3. Kräftigung:
Motorische Ersatzoperationen sind nicht sinnvoll, wenn sie keine Übungen zur Kräftigung sind erst nach 6–8 Wochen erlaubt,
praktisch nutzbare Funktion, sondern nur eine reine Bewegung wie- die Bewegungen gegen Widerstand werden langsam
derherstellen. gesteigert.
Bei fehlender Motivation des Patienten (v. a. zur Nachbehand-
lung) können sie zu einer Verschlechterung der Ausgangssituation
führen. Unvollständige Rehabilitation nach konservativer Behand- Neuere Konzepte haben gezeigt, dass eine Frühmobilisierung nach
lung oder neurochirurgischem Eingriff ist ebenso eine Kontraindi- motorischer Ersatzoperation sicher und sinnvoll ist und viele Vor-
kation, weil dann eine mögliche Funktionsbesserung abgewartet teile gegenüber der traditionellen verzögerten Mobilisierung bietet,
werden muss. Kontrakturen, z. B. eingesteifte Hand- oder Fingerge- sie setzt allerdings eine besonders stabile Sehnennaht (meist Seit-zu-
lenke in funktionell ungünstiger Stellung oder arthrotische Verän- Seit-Technik) und eine intensive und erfahrene Ergo- und Physio-
derungen des Karpus oder des radiokarpalen Gelenks müssen vor therapie voraus (Fridén 2005a, b).
einer Muskelersatzoperation behandelt werden.
Spendermuskeln mit unzureichendem Kraftgrad (Mindestan-
forderung Kraftgrad M4) oder eingeschränkter Kontraktionskraft 43.2 Operative Therapie bei Lähmung peri-
nach Reinnervation oder Fibrose führen in der Regel zu schlechten pherer Nerven an Unterarm und Hand
Ergebnissen.
Bei einer fortschreitenden/systemischen Erkrankungen besteht Die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens nach einer Nervenver­
die Gefahr des Verlusts der wiederhergestellten Funktion bei Über- letzung richtet sich v. a. nach der Zeitspanne seit der Läsion und
greifen der Krankheit. dem Schädigungsausmaß. In . Tab. 43.1 sind die motorischen Aus-
Eine völlige Asensibilität der Hand kann den Nutzen funktio- fallmuster bei Läsionen der peripheren Stammnerven zusammenge-
43 neller Rekonstruktionen in Frage stellen. Zumindest sollte eine
­diskriminative Sensibilität am Daumen und an der Radialseite des
fasst.

Zeigefingers gegeben sein.


Die häufig bei Tetraplegikern vorliegende Spastik ist nur eine 43.2.1 Nerventranspositionen bei Lähmungen
relative Kontraindikation, da sie manchmal stabilisierend eingesetzt an Unterarm und Hand
werden kann. Sie ist außer bei inkompletten Lähmungen an Armen
und Händen meist milder ausgeprägt als an der unteren Extremi- Die Prinzipien der Nerventranspositionen finden sich bereits in
tät. 7 Kap. 38 dargestellt. Die Anwendung ist v. a. bei proximalen Stamm-
nervenläsionen sinnvoll, um die Regenerationsstrecke und -zeit zu
verkürzen und die Erfolgsaussichten der Rekonstruktion zu erhö-
43.1.8 Team-Konzept hen. Voraussetzung ist allerdings, dass noch Aussicht darauf besteht,
dass die verlagerten motorischen Axone noch ihr Endorgan errei-
Von zentraler Bedeutung ist die Zusammenarbeit in einem Team aus chen können, bevor diese degeneriert und nach ca. 18 Monaten rein-
Ärzten, Krankengymnasten und Ergotherapeuten, die mit den be- nervationsrefraktär sind. Sensible Reinnervationen sind auch noch
sonderen Anforderungen nach motorischen Ersatzoperationen bei später möglich.
43.2 · Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm und Hand
371 43

. Tab. 43.1 Motorische Ausfallmuster bei Läsionen der peripheren . Tab. 43.3 Mögliche Quellen für sensible Axone zur Neurotisation
Stammnerven an der Hand

Läsion Funktionsverlust Stammnerv Sensible Spendernerven

N. radialis N. medianus 4 Sensibler Hauptstamm (nur zum End-zu-


Seit-Anschluss)
Proximal Keine Streckung von Handgelenk, Fingern und
4 Ast zum 3. Zwischenfingerraum
(komplett) Daumen
N. ulnaris 4 Ast zum 4. Zwischenfingerraum
Distal (N. interos- Keine Streckung von Fingern und Daumen,
seus posterior) Radialdeviation des Handgelenks bei Extension N. radialis 4 R. superficialis N. radialis

N. medianus N. musculocutaneus 4 N. cutaneus antebrachii lateralis

Proximal Keine Daumenopposition, Fingerbeugung 1–3

Distal Keine Daumenopposition

N. ulnaris . Tab. 43.4 Mögliche Empfängernerven für motorische Neurotisa-


tionen am Unterarm
Proximal Keine Fingerbeugung 4 und 5, schwacher Kneif-
und Feingriff, Kleinfinger in Abduktion Stammnerv Motorischer Empfängernerv
Distal Zusätzlich Krallenstellung der Finger 4 und 5
N. medianus 4 N. interosseus anterior
4 Ast zum M. pronator teres

N. ulnaris 4 Tiefer motorischer Ast


. Tab. 43.2 Mögliche Quellen für motorische Axone zur Neurotisati-
N. radialis 4 Ast zum ECRB
on an Hand und Unterarm
4 N. interosseus posterior
Stammnerv Motorische Spendernerven

N. medianus 4 Ast zum M. flexor digitorum superficialis


(wenn Flexor digitorum profundus intakt) . Tab. 43.5 Mögliche Empfängernerven für sensible Neurotisatio-
4 Ast zum M. flexor carpi radialis (wenn FCU nen an der Hand
intakt)
4 Ast zum M. palmaris longus Stammnerv Sensibler Empfängernerv
4 Distaler Anteil des N. interosseus anterior
N. medianus 4 Ast zum 1. Zwischenfingerraum/Radial-
N. ulnaris 4 Ast zum M. FCU (wenn FCR intakt)
seite des Daumens
N. radialis 4 Ast zum M. supinator (wenn Bizeps intakt)
N. ulnaris 4 R. dorsalis N. ulnaris
4 Ast zum M. ECRB (wenn andere Extensoren
intakt) N. radialis 4 R. superficialis N. radialis
4 Ast zum M. brachioradialis (wenn andere
Extensoren intakt)

kontraktur mit nach oben gewandter Handfläche ist für eine Greif-
N. musculo­ 4 Ast zum M. brachialis funktion funktionell sehr ungünstig.
cutaneus Zur dieser Deformität ist die Versetzung des Ansatzes der Bi-
zepssehne nach Zancolli oft ausreichend, je nach Bedarf mit oder
ohne Durchtrennung der Membrana interossea. Bei nicht korrigier-
Die wichtigsten Verfahren der motorischen und sensiblen Ner- barer Fehlstellung oder Dislokation des Radiusköpfchens ist eine
ventransposition am Unterarm und an der Hand sind in . Tab. 43.2– Derotationsosteotomie des Radius indiziert.
43.5 dargestellt.
Distale Transposition der Bizepssehne (»rerouting«). Vorausset-
Lähmungen am Unterarm zung ist die passive Korrigierbarkeit der noch nicht fixierten Supina-
Supinationsfehlstellung tionsstellung. In diesem Fall kann die Umlagerung der distalen Bi-
Klinisches Bild. Durch ein lähmungsbedingtes muskuläres Ungleich­ zepssehne über einen volaren Zugang durchgeführt werden. Nach
gewicht zwischen den häufig funktionierenden Supinatoren und der treppenförmigen Absetzung der Bizepssehne wird das ­proximale
schwachen oder gelähmten Pronatoren kann es infolge der prolon- Ende nach lateral um den Radius herumgeleitet und am proximalen
gierten Supination des Unterarms zu einer irreversiblen Retraktion Radius neu fixiert. Auf diese Weise wirkt der Zug an der Bizepssehne
der relaxierten Fasern der Membrana interossea kommen und im nicht mehr supinierend, sondern bringt den Unterarm in Pronation.
Laufe der Zeit aus einer dynamischen Deformität eine fixierte Supi- Wenn nötig, kann simultan die Desinsertion der Membrana interos-
nationskontraktur werden. Bei Kindern nach Plexusparese kön- sea vorgenommen werden.
nen während des Wachstums die zunehmenden Zugkräfte der Im Anschluss sollte eine Immobilisierung für 6 Wochen erfolgen.
Membrana interossea eine progressive Biegung des Radius bewirken,
der sich spiralförmig um die Ulna legt. Radiusköpfchenluxationen Derotationsosteotomie des Radius. Die Operation erfolgt in Rü-
sind mögliche Konsequenz dieser Fehlstellungen. Die Supinations- ckenlagerung, der Arm ist abduziert gelagert. Der Zugang erfolgt
372 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand

von lateral zur proximalen Radiusmetaphyse, die subperiostal dar- Bei fehlendem M. palmaris ist eine Verlagerung oberflächlicher
gestellt wird. Im Anschluss an die an dieser Stelle durchgeführte Beuger (M. flexor digitorum superficialis 3 oder 4) oder des FCR
schräge Osteotomie kann, falls notwendig, zusätzlich eine Desinser- möglich. Theoretischer Nachteil dieser sehr zuverlässigen Standard-
tion der Membrana interossea entlang der Ulna erfolgen. Der Unter- technik ist, dass der FCU als kräftigster ulnarer Stabilisator des
arm sollte sich nun leicht in Pronationsstellung bringen lassen, die Handgelenks geopfert wird, zudem besitzt er eine geringere Gleitam-
Osteosynthese wird in dieser Stellung mittels einer Kompressions- plitude als der zu ersetzende EDC, jedoch eine wesentlich größere
platte gesichert. Kraft. Die geringere Amplitude kann durch leichte Beugung des
Die Extremität sollte durch einen Oberarmgips für 4 Wochen Handgelenks und damit vermehrte Vorspannung der dorsal verlager­
immobilisiert werden. ten Sehne ausgeglichen werden, da sich durch diesen dynamischen
Tenodeseeffekt die Langfingerstreckung verbessert.
Lähmungen an der Hand Brand empfahl die Transposition einer oberflächlichen Finger-
Lähmungen des N. radialis beugesehne, deren Gleitamplitude zwar der EDC-Sehne entspricht,
Klinisches Bild. Durch eine komplette Radialislähmung geht die die jedoch erheblich weniger Kraft als die FCU-Sehne besitzt und
Streckung des Ellenbogens, Handgelenks und Daumens verloren, ursprünglich antagonistisch wirkt, wodurch das Umlernen erschwert
einschließlich dessen Radialabduktion. Zudem führt sie zum Exten- ist. Alternativ kann auch der M. flexor carpi radialis mit gutem
sionsverlust der Fingergrundglieder. Von der proximalen Lähmung Erfolg eingesetzt werden (Brand u. Hollister 1999; Brüser 1999;
mit komplettem Ausfall der Handgelenkstreckung (komplette Fall­ Öhlbauer et al. 2006).
hand) unterscheidet sich die periphere Lähmung des R. profundus
(N. interosseus posterior) mit Ausfall der Daumen- und Finger­ Nachbehandlung. Die Immobilisation wird für 3 Wochen mit ei-
streckung und geschwächter Handgelenkstreckung bei erhaltener ner palmaren Unterarm-Finger-Gipsschiene mit Daumeneinschluss
ECRL-Funktion (inkomplette Fallhand) (Brand u. Hollister 1999; durchgeführt, die das Handgelenk in 30°-Streckung, die MP-Ge-
Merle d’Aubigné 1999; Riordan 1974). lenke in (Hyper-)Extension, die Fingermittel- und -endgelenke in
Extension und den Daumen in Abduktion und Extension ruhigstellt.
Rekonstruktionsverfahren Nach 3 Wochen kann mit Krankengymnastik aus der Schiene heraus
Trotz der großen Anzahl möglicher Transpositionen – Boyes hat begonnen werden.
1960 bereits insgesamt 58 verschiedene Radialisersatzoperationen
aufgezählt – lässt sich bei den am häufigsten verwendeten Techniken Prognose. Nach Freigabe der Belastung kann die Hand nach wei-
ein relativ homogenes muskuläres Verteilungsmuster erkennen teren 6–8 Wochen meist wieder gut im Alltag eingesetzt werden. Bei
(. Tab. 43.6). einwandfreier chirurgischer Technik, aktiver Kooperation des Pa­
Die Handgelenkstreckung wird meist durch Verlagerung des tienten und konsequenter Nachbehandlung hat die Radialisersatz-
N.-medianus-innervierten M. pronator teres auf den M. extensor plastik eine der besten Erfolgsaussichten. Eine Wiederaufnahme der
carpi radialis brevis wiederhergestellt. Da die Regeneration des vollen Aktivität am Arbeitsplatz und in der Freizeit ist nicht selten
N. radialis je nach Rekonstruktionsniveau bis zu 1 Jahr dauern kann bereits nach einigen Monaten möglich (Öhlbauer et al. 2006; Rior-
und die Prognose allgemein bescheiden ist, kann diese Operation dan 1974; Switlick u. Sheppard 2005) (. Abb. 43.1).
auch als temporärer Ersatz sinnvoll sein, da sie als »innere Schie-
nung« wirkt und eine äußere Extensionsschiene ersetzt (Brand u. Lähmungen des N. medianus
Hollister 1999; Brüser 1999; Öhlbauer et al. 2006). Klinisches Bild. Man unterscheidet die proximale von der tiefen
Es gibt zahlreiche, häufig als gleichwertig angesehene Verfahren. Medianuslähmung auf Handgelenksniveau. Bei Ersterer findet sich
In Europa ist die Operation nach Merle d’Aubigné eine häufig an- neben der Asensibilität im Autonomiegebiet des N. medianus (beu-
gewandte, zuverlässige Basistechnik, die wir auch im eigenen Vorge- geseitig am Zeigefingermittel und -endglied) auch eine Hypästhesie
hen favorisieren. Hierbei wird nach der Originalbeschreibung die im medianusversorgten Bereich auf der Beugeseite des Daumens,
Sehne des M. flexor carpi ulnaris auf die Sehnen des M. extensor Zeigefingers, Mittelfingers und der Radialseite des Ringfingers. Die
digitorum communis und auf die Sehne des M. extensor pollicis Beugung im Daumenendgelenk und im Mittel- und Endgelenk des
longus, die Sehne des M. pronator teres auf die Sehnen der Mm. ex- Zeigefingers ist aufgehoben, die Beugung des Mittelfingers ge-
tensor carpi radialis longus und brevis sowie die Sehne des M. pal- schwächt.
maris longus auf die Sehne des M. extensor pollicis brevis und des
! Cave
M. abductor pollicis longus transponiert (Merle d’Aubigné u. Lange
Das oft gepredigte Merkbild von der »Schwurhand« ist bei
43 1946).
der am häufigsten vorkommenden Läsion distal an Unter­
arm und Handgelenk irreführend.
Die Daumenzirkumduktion, eine Kombination aus Retropulsion,
. Tab. 43.6 Standardtechniken der Radialisersatzplastik
Abduktion, palmarer Abduktion, Opposition und Adduktion und
Flexion, ist stark beeinträchtigt. Bei Doppelinnervationen median-
Technik Merle d’Aubigné Boyes Brand/Smith usversorgter Muskeln (Ausnahme: M. pronator quadratus) über den
N. ulnaris oder den N. musculocutaneus können Opposition oder
Handgelenk­ PT-ECRB (ECRL) PT-ECRB PT-ECRB Palmarabduktion des Daumens trotz kompletter Medianusdurch-
sextension trennung teilweise oder ganz erhalten sein.
Finger­ FCU-EDC/EPL FDS 3/4-EDC/EI FCR-EDC
extension Rekonstruktionsverfahren bei distalen Paresen
Bei der Wahl des Motors zur Opponensplastik bei der distalen Me-
Daumen­ PL-EPB/APL PL-EPL PL-EPL
extension
dianuslähmung muss insbesondere auf die Verlaufsrichtung des
M. abductor pollicis brevis geachtet werden. Die Sehnenzügel der
43.2 · Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm und Hand
373 43
len zu können. In der Praxis haben sich die vier folgenden Standard-
techniken bewährt, die kurz vorgestellt werden (Merle d’Aubigné
1999).

Transposition des M. palmaris longus (nach Camitz). Diese schnel-


le und einfache Methode beeinflusst v. a. die palmare Abduktion des
Daumens, sie kann auch mit anderen Sehnentranspositionen zur
Daumenopposition kombiniert werden und ist bei fortgeschrittener
Medianusparese indiziert.
Die Palmarissehne wird durch einen verlängerten Karpaltunnel-
zugang dargestellt und mit einem etwa gleich dicken Streifen aus der
Palmaraponeurose verlängert. Sie wird zur Verbesserung der Biome-
chanik des Transfers zunächst durch einen Schlitz in der radialen
Lefze des durchtrennten Retinaculum flexorum, anschließend durch
a
einen subkutanen Tunnel zum Ansatz des M. abductor pollicis bre-
vis geführt. Die Sehnenfixation erfolgt in maximaler palmarer Dau-
menabduktion, um ausreichend Sehnenlänge für die Pulvertaft-Naht
mit der Sehne des M. abductor pollicis brevis zu gewinnen.

Transposition des M. flexor digitorum superficialis 4 (nach Royle-


Thompson). Diese Oppositionsplastik hat den Vorteil eines isoliert
willentlich steuerbaren Spendermuskels mit guter Kraft und Ampli-
tude und mehr als ausreichend langer Sehne. Eine mögliche Kompli-
kation ist die Beugekontraktur des Ringfingermittelgelenkes nach
Sehnenentnahme.
In der Modifikation der Originaltechnik erfolgt die Durchtren-
nung der Superfizialiszügel des Ringfingers mindestens 1 cm proxi-
mal ihrer Insertion, um eine Schwanenhalsdeformität zu verhin-
dern. Auch die Superfizialisschlinge, durch die die tiefe Beugesehne
b hindurchtritt, wird durchtrennt. Die Sehne des M. flexor digitorum
superficialis wird unter der Sehne des M. flexor carpi ulnaris ulnar,
dann durch einen subkutanen Tunnel in Richtung des radialen Dau-
mengrundgelenks geführt und distal in die Sehne des M. abductor
pollicis brevis eingeflochten. Die FCU-Sehne und das Os pisiforme
wirken dabei als kraftförderndes Hypomochlion (. Abb. 43.2).
Eine bessere Pronation des Daumens ist durch das technisch
anspruchsvollere Vorgehen nach Brand möglich, bei dem die FDS-
Sehne gespalten wird. Ein Streifen wird durch die Sehne des M. ab-
ductor pollicis brevis über die Grundgelenkskapsel bis zur EPL-
­Sehne geführt, der andere Teil proximal subkutan über die Strecka-
poneurose zur ulnaren Seite des Grundgelenks. Mit dem Daumen in
maximaler palmarer Abduktion und Pronation werden beide Seh-
c
nenstreifen in gleicher straffer Spannung gehalten und vernäht.
. Abb. 43.1a–c 12-jähriger Patient mit Radialisparese nach Ellbogenluxa­
tionsfraktur vor 5 Jahren. a Inkomplette Fallhand nach Schädigung des Transposition des M. extensor indicis (nach Burkhalter). Dieses
N. interosseus posterior mit teilweise erhaltener Handgelenkstreckung und einfache und wirkungsvolle Verfahren ist primär bei Ausfall der beu-
leichter Radialdeviation des Handgelenks. b Intraoperatives Bild nach FCU- geseitigen Kraftspender indiziert, wie sie durch handgelenksnahe
pro EDC-, PT-pro-ECRB- und PL-pro-APL-Transposition. c Gutes funktionelles Verletzungen mit N.-medianus-Beteiligung (z. B. suizidale Schnitt-
Ergebnis im Alltag und beim Sport (der Patient ist Torwart in einer Fußball- verletzungen) eintreten. Mit der Neuinsertion des Extensor indicis
mannschaft) mit kräftigem Faustschluss und guter Fingerstreckung in Neu- in die Sehne des M. abductor pollicis brevis ist eine gleichzeitige
tralstellung des Handgelenks; die Handgelenksflexion und -extension liegt Rekonstruktion der Abduktion, Pronation und Beugung des Dau-
bei 60-0-30°, die Daumenabduktion ist bis 70° möglich. (Aus Gohritz et al.
mengrundgelenks möglich. Nach der Mobilisierung der Sehne des
2007)
M. extensor indicis wie bei der Umlagerung zur Rekonstruktion der
Daumenstreckung erfolgt die distale Abtrennung etwa 2 cm weiter
Spendermuskeln sollten so in dessen Ansatz und denjenigen des distal unter Mitnahme eines Streifens der Aponeurose, um eine aus-
M. adductor pollicis eingenäht werden, dass sich zusätzlich die Ro- reichende Sehnenlänge zu gewährleisten.
tationsbewegung des Daumens verstärkt (. Abb. 43.2c). Nach Herausziehen der M.-extensor-indicis-Sehne am Handge-
Es gibt wohl kaum einen Muskeln des Unterarms und der Hand, lenk wird diese um die ulnare Handkante geführt und nach streng
der nicht als Motor für eine Oppositionsplastik vorgeschlagen wur- subkutaner Tunnelung an der Opponenssehne oder radialseitig am
de. Von einem berühmten Handchirurgen stammt die Forderung, 1. Metakarpale neu inseriert. Die Gefahr einer Kompressionsschädi-
man müsse mindestens 25 verschiedene Varianten kennen, um je gung des N. ulnaris besteht bei zu großer Spannung der Sehne, v. a.
nach individuellen Gegebenheiten das optimale Verfahren auswäh- wenn der Sehnentunnel zu tief gewählt wurde.
374 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand

a b

c d

. Abb. 43.2a–d Schnittführung (a), Transposition (b) und Fixation der Sehne des M. flexor digitorum superficialis 4 am Ansatz der APB-Sehne (c), funktio-
nelles Ergebnis nach Oppositionsplastik (d). (Aus Gohritz et al. 2007)

Transposition des M. abductor digiti minimi (nach Huber). Diese bei muss bedacht werden, dass aufgrund seiner teilweisen Asensibi-
Technik weist die Schwierigkeit der Präparation des Gefäß-Nerven- lität eine erhöhte Verletzungsgefahr des Zeigefingers besteht.
Bündels in der Loge de Guyon auf, löst aber das Problem bei gleich- Zur Rekonstruktion der Opposition sollte im Gegensatz zur tie-
zeitig vorliegender Lähmung der Nn. medianus und radialis sowie fen Medianuslähmung nicht der FDS 4, sondern es muss ein Strecker
bei Pollizisationen oder angeborenen Daumenhypoplasien. (EI, EDM, EPB oder ECRL) verwendet werden.
Die Sehne wird an der Diaphyse der Grundphalanx abgesetzt, Der EI, EDM und ECRL werden um die ulnare Unterarmkante
präpariert und von distal nach proximal unter Trennung von der geführt, der ECRL erfordert zur Verlängerung ein Sehnentransplan-
Beugermuskulatur des Kleinfingers gelöst bis zum Erreichen des tat. Je weiter distal diese Umlenkung um die ulnare Unterarmkante
Gefäß-Nerven-Stiels, der unterhalb des Os pisiforme liegt. Nach Lö- erfolgt, desto mehr nimmt die opponierende Komponente zu, je
sung und Anschlingen des Pedikels wird der proximale Muskelanteil
gelöst und auf die Thenarseite transferiert, vergleichbar mit dem
Umschlagen einer Buchseite. Um jede Torsion des Gefäßstiels und
Kompression des Muskels zu vermeiden, wird ein großer subkutaner . Tab. 43.7 Motorische Ersatzoperationen bei hoher Medianusläh-
43 Tunnel zwischen der radialen Inzision am Grundgelenk des Dau-
mens und der Hypothenarloge gelegt, die ADM-Sehne durchgezo-
mung

gen und mit der APB-Sehne fixiert. Fehlende Ersatzoperation Alternativ-


Zum Schutz des neurovaskulären Stiels erfolgt eine Ruhigstel- Funktion möglichkeit
lung des Daumens in Adduktions-Oppositions-Stellung mit dem
Opposition des EIP auf APB/EPL EDM- oder
Mittelfinger für 4 Wochen.
Daumens PL-Tenodese

Vollständige und partielle hohe Medianusläsion Daumenend­ BR auf FPL ECRL


Das Konzept bei hoher Medianuslähmung ist in . Tab. 43.7 darge- gliedbeugung
stellt. Fingerbeugung End-zu-Seit-Naht FDP, ECRL auf FDP 2
Bei vollständiger hoher Medianuslähmung werden die ulnari- FDP-Tenodese des und 3
sinnervierten Profundussehnen von Ring- und Kleinfinger proximal Zeigefingerendgelenks
des Karpalkanals mit den tiefen radialen Beugern gekoppelt, eine
Unterarm­ Re-routing der Bizeps- Radiusderotations-
unabhängige Fingerbeugung ist nicht möglich. Alternativ können pronation sehne osteotomie
die Mm. ECRL oder ECRB als Motoren eingeflochten werden. Hier-
43.2 · Operative Therapie bei Lähmung peripherer Nerven an Unterarm und Hand
375 43
weiter proximal sie erfolgt, desto stärker wird der Daumen abdu- Therapieziele. Ein Ziel der Rekonstruktion besteht in der Korrek-
ziert. tur der Hyperextensionsstellung der Grundgelenke, um dann über
Zur Stabilisierung des häufig lähmungsbedingt hypermobilen einen leicht vorgespannten M. extensor digitorum communis auch
Daumengrundgelenks wird die transponierte Sehne gespalten und die Mittel- und Endgelenke zu strecken. Dies kann statisch durch
distal am Metakarpalekopf und an der Basis des Daumengrund- Kapsulodesen der Grundgelenke (U-förmiger Kapsellappen fixiert
glieds transossär befestigt oder in die EPL-Sehne oder den APB- auf der distalen Metaphyse des Os metacarpale) oder durch eine
Ansatz eingeflochten. dynamische Lassoplastik nach Zancolli erfolgen, bei der ein Sehnen-
Zur Rekonstruktion der Daumenbeugung wird meist der zügel in Beugestellung der Grundgelenke an das A-2-Ringband oder
M. brachioradialis als Kraftspender verwendet, der dem FPL direkt an die Grundphalanxbasis der ulnaren Finger fixiert wird. Die Kap-
anliegt und nach ausgiebiger proximaler Freilegung – die Exkursion sulodese eignet sich für moderate Krallenfingerstellungen, die spon-
ist sonst auf nur etwa 1,5 cm begrenzt – in Amplitude und Verlaufs- tan durch das Untersuchungsmanöver nach Bouvier ausgleichbar
richtung nahezu gleich ist. sind. Nachteil ist eine Tendenz zum sekundären Spannungsverlust.
Hohe Läsionen entstehen aber häufig durch Plexuslähmungen, Bei der Lasso-Plastik muss bei einem bereits bestehenden Kraft-
wodurch die Nn. ulnaris, radialis oder musculocutaneus mitbetrof- verlust von ca. 50% eine zusätzliche Beugesehne geopfert werden.
fen sein können. Die Erfolgsaussicht einer Ersatzoperation ist dann Alternative ist ein dynamischer Ersatz der Interosseusmuskulatur.
vermindert, weil die Auswahl möglicher Spender reduziert und zu- Hierbei wird ein neuer Motor mit den Seitenzügeln des ausgefal-
dem andere Muskelgruppen zwar noch funktionell ausreichend in- lenen intrinsischen Streckapparates verbunden, um neben der Beu-
nerviert sein können, ihre Verlagerung infolge der zusätzlichen gung im Grundgelenk gleichzeitig eine aktive Streckung der Mittel-
Schädigung (nach Reinnervation) aber nicht mehr kompensiert und Endgelenke zu erhalten.
werden kann und ein Ungleichgewicht zwischen gestörten Synergis- Der Stabilitätsverlust des Daumens mit einer Adduktionsschwä-
ten und Antagonisten entstehen kann. che bis zu 75% kann durch die Transposition der ECRB-, BR-, FDS-
Bei zusätzlich ausgefallenem N. ulnaris werden z. B. oft radialis- 2- oder EI-Sehne ausgeglichen werden (. Tab. 43.8).
versorgte Muskeln umgelagert, um zunächst die Abduktion und
Opposition des Daumens wiederherzustellen. Für die Fingerbeu- Lassoplastik nach Zancolli zur Korrektur der Krallenstellung. Die
gung kann der ECRL transmembranös nach palmar durchgezogen Beugesehnenscheiden distal des A2-Ringbandes werden über eine
und auf die tiefen Beugesehnen verlagert werden. quere Hautinzision in Höhe der distalen Hohlhandbeugefalte L-för-
mig eröffnet und die Sehnen der Mm. flexores digitorum superfi-
Lähmung des N. ulnaris ciales (i. Allg. FDS 4 und 5) ca. 1 cm proximal ihres Ansatzes durch-
Klinisches Bild. Ausfälle des N. ulnaris führen zu einem weitgehen- trennt. Das proximale Sehnenende wird nun lassoartig um das A1-
den Verlust der Handbinnenmuskulatur und damit Verlust der Ringband herumgezogen, bis das MP-Gelenk in einer Beugung von
Kraft, aber auch der Feinmotorik der Hand. Hauptprobleme sind die 60° steht, und im Mittelhandbereich proximal des A1-Ringbandes
Krallenstellung der ulnaren Finger mit einer dyskinetischen Fin­ mit sich selbst vernäht (. Abb. 43.3). Dadurch wird die zur Vermei-
gerbeugung, bei der zuerst die Mittel-, dann erst die Grundgelenke dung einer erneuten Hyperextension notwendige Beugung des
gebeugt werden (wie beim Einrollen eines Teppichs). Die klassische Grundgelenks erhalten. Alternativ kann auch die Sehne des M. fle-
Krallenstellung der Finger entsteht durch die gestörte Balance der als xor digitorum superficialis 4 in zwei Teile aufgespalten und für beide
Antagonisten ausgefallenen Handbinnenmuskeln. Die extrinsischen Finger benutzt werden. Die Sehnennaht gibt im Laufe der Zeit in der
Fingerstrecker bewirken eine Hyperextension der Grundgelenke Spannung nach. Die ideale Dauerposition des Grundgelenks liegt
und die antagonistischen Beuger die Flexion in den Mittel- und End- zwischen 30° und 40°.
gelenken. Zudem finden sich ein Stabilitätsverlust des Daumens und Eine Alternative zur Lassooperation ist die statische Fixation des
Zeigefingers mit fehlender Daumenadduktion (Verlust des Kneif- MP-Gelenks. Hierfür wird ebenfalls im Bereich des A1-Ringbandes
griffs, »pinch«) und Verlust der Ab- und Anspreizung der Finger. die palmare Platte des MP-Gelenkes dargestellt und mobilisiert. Die

. Tab. 43.8 Therapieoptionen zur Korrektur der Krallenfehlstellung bei Ulnarisparese

Technik Zancolli-Kapsulodese Zancolli-Lassoplastik Transfer nach Brand

Prinzip 4 Fixation eines U-förmigen Kapsellap- 4 Transposition der oberflächlichen 4 Transposition von ECRB/ECRL (oder FCU,
pens auf der distalen Metaphyse des Beugesehnen 3 und 4 auf die BR), verlängert mit Sehnentransplan­
Metakarpale A1-Ringbänder taten, fixiert an Interosseusausläufern
oder A1/A2-Ringbändern und der
Grundgliedbasis

Vorteile 4 Technisch einfach 4 Aktive Ersatzplastik 4 Aktive Ersatzplastik


4 Kein Sehnenopfer 4 Eine einzige Sehne korrigiert alle 4 Synchronisiert globale Fingerbeugung
4 Unabhängig vom Tenodeseeffekt des Finger 4 Stellt Mittelgelenksextension her
Handgelenks 4 Verbessert den Faustschluss

Nachteile 4 Keine erhöhte Kraft des Faustschlusses 4 Opfert eine oberflächliche Finger- 4 Opfert Handgelenkstrecker
4 Tendenz zum Spannungsverlust beugesehne 4 Schwanenhalsdeformität möglich (zu
4 Nicht anwendbar bei nicht kontrakten 4 Nicht anwendbar bei nicht kontrak­ hohe Spannung des Transplantates)
Krallenfehlstellungen, die durch Bou- ten Krallenfehlstellungen, die durch
vier-Manöver reduzierbar sind Bouvier-Manöver reduzierbar sind
376 Kapitel 43 · Motorische und nervale Ersatzoperationen bei Lähmungen an Unterarm und Hand

4 Von besonderer Wichtigkeit ist ebenso eine günstige Weichteil-


situation, da viele dieser Verletzungen durch ausgedehnte Gewe-
bezerstörungen mit nachfolgender Vernarbung entstanden sind,
die z. B. Muskelverlagerungen erheblich behindern können.
4 Bei der Planung der Muskeltranspositionen sollte ein Kreuzen
der Spendermuskeln mit der Gefahr der Adhäsion vermieden
werden.

Die verbliebenen Möglichkeiten einer funktionellen Verbesserung


richten sich in erster Linie nach dem jeweiligen Umfang der ausge-
fallenen Nervenfunktionen; eine komplette Darstellung ist daher
hier nicht möglich.
Es wurden folgende Hauptziele bei einer Wiederherstellung
der Handgelenks- und Greiffunktion vorgeschlagen (Switlick u.
a Sheppard 2005):
4 Daumen-Zeigefinger-Kneifgriff (»key pinch«).
4 Abduktion des Daumens.
4 Terminale Greifform zwischen Daumen- und Zeigefinger­
kuppe.
4 Verbesserte Grobkraft bei der Daumenflexion mit Koordination
von MCP- und IP-Beugung.
4 Wiederherstellung des Handgewölbes (»metacarpal arch«).
4 Sensible Wiederherstellung an Daumen und radialem Zeigefin-
ger.

. Abb. 43.4 zeigt die intraoperatives Situation bei der Rekonstruk­


tion eines aktiven Schlüsselgriffs mittels Transposition des M. bra-
chioradialis nach kombinierter Medianus-Ulnaris-Parese.
Zur sensiblen Neurotisation steht der oberflächliche Radialisast
b zur Verfügung.
. Abb. 43.3a, b Querer Zugang und Zancolli-Lassoplastik mit Vernähung
der oberflächlichen Beugesehnen mit sich selbst um das A1-Ringband her-
um zur Synchronisation der Fingerbeugung und Besserung des Faustschlus-
43.3 Ergebnisse und Komplikationen
ses. (Aus Gohritz et al. 2007)
Die angewandten Operationen sind sicher und haben sich auch in
Langzeitstudien bewährt. In der Regel sind die Patienten mit dem
gelöste palmare Platte wird proximalisiert und das MP-Gelenk da- erreichten Ergebnis zufrieden. In kaum einem anderen Gebiet
durch in Beugung gebracht. Die Fixation erfolgt entweder durch scheint es möglich, Patienten schon durch kleine Fortschritte einen
durchgreifende Periostnähte oder intraossäre Knochenanker (Zan- so großen Gewinn zu schenken:
colli 1979).
If you have nothing, a little is a lot. (Sterling Bunnell)

43.2.2 Kombinierte Nervenläsionen Komplikationen entstehen durch


der oberen Extremität 4 Fehler in der Planung (z. B. Wahl eines zu schwachen Spenders,
dessen Kraftgrad präoperativ überschätzt wurde),
Bei Läsionen mehrerer Nerven ergibt sich ein kombinierter moto- 4 Fehler in der operativen Umsetzung (v. a. ungenügende Span-
rischer und sensibler Ausfall, bei dem oft nur eine teilweise Funk­ nung eines verlagerten Muskels) oder
43 tionswiederherstellung möglich ist. Motorische und sensible Ersatz-
operationen sind aber trotzdem sinnvoll, um die betroffene Extremi-
4 falsche Nachbehandlung (Ausreißen oder Überdehnung der
Sehnennaht; diese sind extrem selten, können den Operations-
tät wenigstens zu Hilfstätigkeiten (»Beihand«) einzusetzen. erfolg aber schmälern oder verhindern).
Es gelten hier jedoch spezielle Prinzipien:
4 Bei kompletter Asensiblität und Verlust der Eigenwahrnehmung Komplikationen können den Operationserfolg schmälern oder ver-
an der Hand ist die Sinnhaftigkeit von Muskelersatzoperationen hindern, sind aber bei korrekter chirurgischer Technik selten. Sie
in Frage gestellt, weil die Patienten zum Einsatz der neuen Funk- entstehen meist durch fehlerhafte Planung, wie z. B. die Wahl eines
tion immer auf Augenkontrolle angewiesen wären. Es sollte da- zu schwachen Spenders, dessen Kraftgrad präoperativ überschätzt
her zunächst die Rekonstruktion einer taktilen Kontrollmög- wurde. Wenn z. B. ein Kraftgrad M4 angenommen wurde, aber nur
lichkeit erfolgen, z. B. durch Wiederherstellung der Sensibilität M3 vorhanden war, und bei der Transposition eine Stufe verloren
in der ersten Kommissur mittels neurovaskärer Lappenplastik ging, so resultiert eine Bewegungsmöglichkeit nur unter Ausschal-
(Littler- oder Foucher-Lappen). tung der Schwerkraft (M2), die funktionell wertlos ist.
4 Aufgrund der nur geringen Anzahl an Spendermuskeln ist eine In der operativen Umsetzung ist v. a. die ungenügende Span-
besonders sorgfältige Planung notwendig, insbesondere auch nung eines verlagerten Muskels ein erheblich unterschätztes Pro-
hinsichtlich der Spenderdefektmorbidität. blem: Die Kraftentwicklung eines Muskels hängt direkt von der Län-
43.3 · Ergebnisse und Komplikationen
377 43
ge des Sarkomers ab, der kleinsten kontraktilen Einheit des Muskels.
Ist der Muskel entweder stark gestreckt oder verkürzt, entfaltet sich
durch die ungünstigen Interaktionen zwischen den Myofilamenten
sehr viel weniger Zugkraft.
! Cave
Die bei der Transposition »gefühlte« passive Muskelspan­
nung ist kein Maß für die optimale Muskellänge, weil ein
Muskel oft erst dann eine taktil wahrnehmbar höhere
Spannung entwickelt, wenn er bereits so überdehnt ist,
dass er nur mehr einen Bruchteil der größtmöglichen Kraft
a entwickeln kann.
Im konkreten Beispiel einer simulierten M.-brachioradialis-Trans-
position zum Ersatz der Daumenbeugung erbrachte die »gefühlte«
Muskelspannung nur durchschnittlich 23% der theoretisch mög-
lichen Kraftentwicklung, unabhängig von der Erfahrung des Chi-
rurgen (Fridén 2005a, b; Lieber et al. 2005). Dies ist klinisch von
größter Relevanz, weil bei den meisten Patienten nach ausgedehnter
Lähmung der oberen Extremität nur 1 oder 2 Spendermuskeln zur
Verfügung stehen, deren höchst wertvolle aktive Ersatzfunktion
mehr oder weniger in einer passiven Tenodese verloren gehen
kann.
Da zudem die Architektur von Muskel zu Muskel vollkommen
unterschiedlich sein kann, ist eine Korrelation der jeweiligen Mus-
kellänge mit der optimalen passiven Muskelspannung und der ge-
wünschten Sarkomerlänge unmöglich (Fridén 2005a, b).
Auch durch Fehler in der Nachbehandlung, wie Ausreißen oder
b
Überdehnung der Sehnennaht infolge einer unkontrollierten Über-
lastung, kann der Therapieerfolg verloren gehen. Das Risiko von
Verklebungen von Sehnen oder Muskeln lässt sich vermindern
durch
4 ein narbenfreies Gleitlager,
4 die Vermeidung von Hautinzisionen genau über dem Verlauf der
transponierten Sehne und
4 eine frühzeitige krankengymnastische Mobilisation.
> Schlechte subjektive Bewertungen spiegeln oft weniger
die objektiv erreichten funktionellen Ergebnisse, sondern
wirklichkeitsferne Erwartungen mancher Patienten wider,
wodurch die Wichtigkeit einer klaren und realistischen
Information über die Möglichkeiten und Grenzen dieser
Konzepte erkennbar wird.

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43
44

Muskuläre und nervale


Ersatzoperationen bei Lähmung der
Schulter- und Ellbogenfunktion
A. Gohritz, P.M. Vogt

44.1 Grundlagen – 380


44.1.1 Evaluation des Patienten – 380
44.1.2 Wahl des Zeitpunktes – 380
44.1.3 Chirurgische Planung – 381

44.2 Operationstechnik – 381


44.2.1 Nervale Rekonstruktion – 381
44.2.2 Muskuläre Ersatzoperationen an der Schulter – 383
44.2.3 Wiederherstellung der Ellbogenbeugung – 385
44.2.4 Rekonstruktion der Ellbogenstreckung – 390

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
380 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion

Die Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion schränkt den Ge- Lähmungsausmaßes sowie der erhaltenen Restfunktion der gesam-
brauch der oberen Extremität, v. a. die Positionierung der Hand im ten oberen Extremität unter Berücksichtigung von Sensibilität,
Raum, so stark ein, dass eine chirurgische Wiederherstellung immer Schmerzen, aktiver und passiver Beweglichkeit und auch der Ge-
versucht werden sollte. brauchsfähigkeit und Geschicklichkeit (. Tab. 44.1, . Tab. 44.2).
Bei peripheren Nervenläsionen der oberen Extremität, v. a. des Wichtigste Voraussetzung für eine funktionell wertvolle Wieder-
Plexus brachialis, oder ausgedehnten Muskeldefekten hat die Rekon- herstellung der Ellbogenfunktion ist eine weitgehend freie passive
struktion der Schulterabduktion und -stabilität sowie der Ellbogen- Gelenkbeweglichkeit, die durch Krankengymnastik oder eine ope-
beugung oberste Priorität. Die Ellbogenstreckung ist v. a. bei Patien­ rative Gelenklösung (Arthrolyse) verbessert werden kann, sowie
ten mit hoher Querschnittslähmung (Tetraplegie) von großer Be- ausreichende Stabilität. Um den Mund zu erreichen, ist z. B. eine
deutung. Sie wird bei peripheren Lähmungen meist nur bei ausrei- Beugung von mindestens 120° nötig, das Streckdefizit sollte nicht
chender Ellbogenbeugung wiederhergestellt, kann aber auch hier über 30° betragen.
von großem Nutzen sein. Die verbliebene Kraft der primären Ellbogenmotoren muss
­exakt bestimmt werden, hierbei sind auch Inhibitoren, wie z. B. kon-
trakte Antagonisten, zu beachten.
44.1 Grundlagen Bei der Auswahl der Spendermuskeln gelten die bekannten Re-
geln jeder Muskeltransposition, insbesondere muss der Motor eine
44.1.1 Evaluation des Patienten Stärke von mindestens M4 (Bewegung gegen Widerstand; . Tab. 38.5)
aufweisen, da bei der Verlagerung meist 1 Kraftgrad verloren geht.
Die Indikationsstellung richtet sich auch nach individuellen Fakto­ Eine Ausnahme besteht bei Kokontraktion verschiedener Mus-
ren des Patienten und den Ergebnissen einer eingehenden körper- keln, z. B. von M. triceps und M. biceps, die die Ellbogenbeugung
lichen Untersuchung. stören oder unmöglich machen kann. Bei der Verlagerung des
Die Bedürfnisse des Patienten werden durch Faktoren wie Alter, M. triceps auf den M. biceps addieren sich die Muskelkraftgrade,
Beruf, Händigkeit, funktionelle Ansprüche, Zukunftsaussichten und sodass in diesem Ausnahmefall für den M. triceps als Spendermus-
Wünsche bestimmt. Beispielsweise brauchen Patienten, die sich an kel nicht unbedingt ein präoperativer Kraftgrad M4 zu fordern ist,
Krücken oder mit einem Rollstuhl fortbewegen, eher eine kraftvolle sondern auch M3 funktionell wertvoll sein kann.
Ellbogenextension als -beugung. Diagnostisch kann hier eine temporäre Muskelblockade mit
Ziel ist ein Kraftgrad M3 (. Tab. 38.5) zur Positionierung der ­Botolinumtoxin erfolgen, z. B. zur Inaktivierung der Trizepskon-
Hand im Raum, von M4 zur Bewegung von Gegenständen. traktionen.
> Die Behandlungsziele müssen mit dem Patienten vor dem
Eingriff genau besprochen werden, er muss über die
Erfolgsaussichten, Komplikationen und Alternativen bei
44.1.2 Wahl des Zeitpunkts
Misserfolg genau informiert werden und selbst realisti­
Liegt die Nervenläsion bei einer peripheren Lähmung mit Schädi-
sche Erwartungen an die geplante Operation entwickeln.
gung des unteren Motoneurons weniger als 6 Monate zurück, sollte
Die klinische Untersuchung basiert auf der Kenntnis der Muskel- immer eine nervale Rekonstruktion versucht werden – entweder
und Nervenanatomie der Ellbogenregion und der Feststellung des durch Nervennaht, Neurolyse, Nerventransplantation oder -trans-

. Tab. 44.1 Mögliche Muskeltranspositionen im Schulterbereich

Gelähmter Muskel Funktionsausfall Mögliche Ersatzmuskeln

M. deltoideus/M. pectoralis 4 Abduktion der Schulter 4 M. trapezius


major (Pars clavicularis) 4 Stabilisierung der Schulter, z. B. beim Heben größerer 4 M. pectoralis major (pars clavicularis)
Gewichte 4 M. latissimus dorsi
4 M. triceps (caput longum)
4 M. biceps (caput breve)

M. supraspinatus 4 Steuerung des Humeruskopfes bei Armhebung 4 M. levator scapulae


4 M. sternocleidomastoideus

M. infraspinatus 4 Abduktion/Adduktion des Arms 4 1. M. latissimus dorsi


44 4 Außenrotation des Arms 4 2. M. teres major

M. subscapularis 4 Adduktion (Heranführen an den Körper) des Arms 4 M. serratus anterior


4 Retroversion (Ausstrecken nach hinten) des Arms 4 M. pectoralis major/minor
4 Innenrotation des Arms 4 M. latissimus dorsi
4 M. teres major

M. trapezius 4 Heben des Schulterblattes 4 M. levator scapulae


4 Ziehen des Schultergürtels nach hinten 4 Mm. rhomboidei
4 Statische Aufhängungen

M. serratus anterior 4 Steuern des Schulterblattes 4 M. teres major


4 M. pectoralis major (Pars sternalis)/minor
4 Mm. rhomboidei
44.2 · Operationstechnik
381 44

. Tab. 44.2 Muskel- und Nervenanatomie der Ellbogenregion . Tab. 44.3 Lähmungsmuster und Auswahl an Spendermuskeln für
(Kennmuskeln und ihre Innervation . Tab. 40.4) die Ellbogenfunktion

Muskel Innervation Rückenmark­- Muskel- und Mögliche Ersatzmotoren


segment Funktionsausfall

Ellbogenbeuger M. biceps, M. brachialis, 4 M. latissimus dorsi


M. brachioradialis – 4 M. pectoralis major
M. biceps brachii N. musculocutaneus C5–C6
Ellbogenbeugung 4 M. triceps brachii
M. brachialis N. musculocutaneus C5–C6 4 Unterarmbeuger (mit Ansatz am
Condylus ulnaris)
M. brachioradialis N. radialis C5–C6 4 M. flexor carpi ulnaris
Hilfsbeugemuskeln 4 M. gracilis, M. latissimus dorsi,
M. rectus femoris (als funktionelle
Mm. extensor carpi N. radialis C6–C8 mikrochirurgische Transplantate)
radialis longus/brevis

M. pronator teres N. medianus C6–C7 Reservetechniken:


4 M. pectoralis minor, M. sternocleido-
M. flexor carpi radialis N. medianus C6–C8 mastoideus
M. flexor digitorum N. medianus C7–C8 M. triceps – Ellbogen- 4 M. deltoideus (pars posterior)
superficialis streckung 4 M. biceps brachii
4 M. latissimus dorsi
M. flexor carpi ulnaris N. ulnaris C8–Th1
4 M. brachioradialis
Ellbogenstrecker

M. triceps brachii N. radialis C7–Th1

M. anconaeus N. radialis C7–C8 44.2 Operationstechnik


44.2.1 Nervale Rekonstruktion

position –, da eine anatomische Muskelreinnervation in der Regel Hier gelten die in 7 Kap. 38 dargelegten Regeln.
die besten Ergebnissen bringt. Wird nur eine partielle Funktionswie- An der Schulter richtet sich die Rekonstruktion v. a. auf den
derkehr erreicht, kann diese durch weitere Operationen, z. B. aug- N. axillaris (Abduktion durch den M. deltoideus) und den N. supra-
mentierende Muskeltranspositionen, verbessert werden. scapularis (Mm. infra- und supraspinatus zur Stabilisierung und
Bei lange Zeit bestehenden peripheren Lähmungen stehen mo- Außenrotation der Schulter). Bei der Rekonstruktion des N. muscu-
torische Ersatzoperationen zur Verfügung, deren Auswahl sich nach locutaneus, der aus dem supraklavikulären Plexus brachialis ent-
den zur Transposition geeigneten Spendermuskeln richtet. Sind kei- springt, müssen bei operativer Revision und segmentaler nervaler
ne lokalen Spendermuskeln verfügbar, bleibt die Möglichkeit der Rekonstruktion mit autologen Nerventransplantaten einige Beson-
mikrochirurgischen funktionellen Muskeltransplantation. derheiten beachtet werden.
Nach Rückenmarkläsion im Halsbereich (Tetraplegie) wird
i. Allg. 1 Jahr abgewartet, bis keine Funktionswiederkehr gelähmter Nervennaht und Nerventransplantation
Muskeln mehr erwartet werden kann, der Patient neurologisch stabil Da der N. musculocutaenus zu fast 50% aus sensiblen Fasern be-
ist und sich mit seiner Lähmung auseinandergesetzt und abgefunden steht, führt jede Naht und segmentale Wiederherstellung zu einem
hat. Die Anzahl der ansteuerbaren und potenziell transferablen Gemisch motorischer und sensibler Axone. Ein wesentlicher Anteil
Muskeln bestimmt die Gruppierung des Patienten in der Interna­ der motorischen Faser des Nervs erreicht so nicht die motorischen
tionalen Klassifikation und damit die rekonstruktiven Möglich- Einheiten, sondern geht durch Regeneration seines sensiblen En-
keiten (. Tab. 44.3). dastes, des N. cutaneus antebrachii lateralis, verloren. Dieser Axon-
verlust kann auf verschiedene Weise teilweise kompensiert werden:
4 Der distale N. cutaneus antebrachii lateralis wird direkt in den
44.1.3 Chirurgische Planung M. biceps brachii implantiert oder
4 bei irreparablem N. radialis wird der sensible Endast direkt mit
Vor allem bei ausgedehnten Verletzungen mit Beteiligung multipler dem motorischen Muskelast des M. brachioradialis koaptiert
Nerven muss eine Strategie zur Rekonstruktion von Schlüsselfunk- (Nagy 2005).
tionen festgelegt werden: In der Regel ist die Ellbogenbeugung das
oberste Ziel, dann die Abduktion und Außenrotation der Schulter, Bei Primärrekonstruktionen ausgedehnter supra- und retroklaviku-
erst dann folgen Ersatzoperationen an Unterarm und Hand. lärer Läsionen des Plexus brachialis bleibt der untere Stamm oft aus-
Solange eine Funktionsrückkehr nach Nervenverletzung im gespart. Reicht die Anzahl der Nerventransplantate für eine kom-
Schulter- und Ellbogenbereich noch realistisch ist (etwa 12–18 Mo- plette anatomische Rekonstruktion nicht aus, müssen in der Regel
nate nach der Läsion), sollte zunächst eine Nervenrekonstruktion folgende Prioritäten gesetzt werden (Millesi 1997):
oder Nerventransposition unternommen werden. 1. N. musculocutaneus zur Ellbogenbeugung (M. biceps brachii,
M. brachialis),
2. N. suprascapularis zur Innen- und Außenrotation der Schulter
(M. infra- und supraspinatus),
382 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion

3. N. axillaris zur Abduktion der Schulter (M. deltoideus), Die wichtigsten Techniken der motorischen Nerventransposition
4. N. radialis (proximalster Ast zum M. triceps, später Trizeps-pro- zur Wiederherstellung der Ellbogenfunktion sind in der . Übersicht
Bizeps-Ersatz möglich), zusammengefasst (mod. nach Wood u. Murray 2007). Die am häu-
5. N. thoracicus longus (M. latissimus dorsi). figsten gebrauchten Axonspender mit ihren Hauptindikationen sind
in 7 Kap. 38 vorgestellt.
Intraplexale Neurotisation an Schulter
und Ellbogen
Auswahlkriterien für motorische Neurotisationen
Bei kompletten Läsionen des Plexus brachialis bleibt in etwa der
Hälfte der Fälle ein Stumpf der C5-Wurzel in der Skalenusregion 4 Kurze Strecke zwischen Spendernerv und motorischem Ziel-
erhalten, die als Axonquelle genutzt werden kann. Meist wird ein organ
Nerveninterponat auf den Truncus superior gelegt, um neben der 4 Geringer Hebedefekt nach der Nerventransposition
Ellbogenbeugung auch eine brachiothorakale Zangenfunktion oder 4 Hoher Anteil des Spendernervs an motorischen Axonen
sogar eine sensible Wiederherstellung im Bereich des N. medianus 4 Spendernerv mit ursprünglich synergistischer Wirkung zum
zu erreichen. Empfängermuskel
Bei inkompletter Lähmung, v. a. im oberen Anteil, die sowohl 4 Spendernerv mit ähnlichem Durchmesser wie Empfänger-
die Schulter als auch die Ellbogenbeugung betreffen, werden zervi- nerv
kale Nervenstümpfe oft zur Reinnervation im Schulterbereich ver-
wendet. Die Rekonstruktion der Ellbogenbeugung erfolgt mit effek-
tiveren lokalen Nerventranspositionen (Nagy 2005).
Nn. intercostales
Extraplexale Neurotisation an Schulter Interkostalnerven sind gute Axonspender für verschiedene Nerven-
und Ellbogen transpositionen, meist zur Ellbogenbeugung. Sie werden am vorde-
Die effektivsten und häufigsten Nerventranspositionen an der Schul- ren Thorax durch subperiostale Dissektion am Unterrand der Rip-
ter sind die Neurotisation des N. suprascapularis durch den N. ac- pen gewonnen. Abgesehen von der schwierigen Dissektion können
cessorius und die Neurotisation des N. axillaris durch einen Ast zu sie aufgrund ihrer Lage jedoch geschädigt und nicht einsetzbar sein,
einem der Trizepsköpfe zur Wiederherstellung der Schulterabdukti- v. a. nach Hochrasanztraumata mit Thoraxbeteiligung, Rippenfrak-
on (. Tab. 44.4). turen mit Kallusbildung oder Verletzung bei der Anlage von Tho-
Alternative Axonquellen zur motorischen Neurotisation an der raxdrainagen. Weiterhin enthalten sie sowohl motorische als auch
Schulter sind die Nn. intercostales, N. thoracodorsalis, N. thoracicus sensible Nervenfasern, sodass stets mehrere Interkostalnerven zur
longus, Nn. pectorales mediales, N. phrenicus, ipsi- oder kontralate- Koaptation auf einen Empfängernerv zusammengefasst werden
rale Wurzel C7 und ausnahmsweise der N. hypoglossus. müssen, im ungünstigen Fall unter Verlängerung durch ein Nerven-
Bei der Wiederherstellung der Ellbogenfunktion durch extraple- transplantat.
xale Nerventransposition wird ein nicht geschädigter Spendernerv Ihre Bedeutung als Spendernerven hat daher abgenommen. Sie
aus der Umgebung so verlagert, dass er über eine möglichst kurze werden verwendet, wenn intraplexale Nerventranspositionen mit
Distanz die Innervation denervierter Muskeln wiederherstellt. So Faszikeln des N. ulnaris und N. medianus oder der Nn. pectorales
wird oft eine proximale Nervenverletzung, mit langer Regenerati- nicht zur Verfügung stehen (Wood u. Murray 2007).
onsstrecke und ungünstiger Prognose bei anatomischer Rekonstruk-
tion, in eine distalere Läsion mit besserer Erfolgsaussicht umgewan- N. accessorius
delt (. Tab. 44.4). Der XI. Hirnnerv enthält nur motorische Fasern und innerviert den
Hierbei gelten folgende Indikationen (Mackinnon et al. 2005 M. sternocleidomastoideus und M. trapezius, dessen obere und
2003; Nath u. Mackinnon et al. 2007): mittlere Innervation erhalten bleiben sollte. Die Nähe des N. acces-
4 Verletzungen des Plexus brachialis ohne unverletzte proximale sorius zum N. suprascapularis erlaubt eine direkte mikrochirur-
Nerven als mögliche Axonquellen. gische Koaptation. Nachteil der Neurotisation des weiter distalen
4 Proximale periphere Nervenverletzung mit langer Nervenrege- N. musculocutaneus oder des N. axillaris ist das meist notwendige
nerationsstrecke. Nerveninterponat, was in der Regel, auch bei Neurotisationen im
4 Vermeidung der Präparation im Gebiet früherer Rekonstruktion Schulterbereich, zu schlechteren Ergebnissen führt (Merrell et al.
von wichtigen Strukturen (z. B. von Gefäßen) oder von Gewebe- 2001).
vernarbung.
4 Schweres Extremitätentrauma mit segmentalem Gewebever- Faszikel des N. ulnaris und N. medianus
lust. Von Oberlin wurde 1994 die elegante und effektive Methode der
44 4 Alternativ bei ungünstiger Prognose einer konventionellen Ner- Reinnervation des M. biceps brachii mittels eines motorischen An-
ventransplantation (z. B. bei veralteten Verletzungen oder Pa­ teils des N. ulnaris beschrieben (Oberlin C, Beal D, Leechaveng-
tienten in höherem Lebensalter). vongs S et al. 1994). Dieses Vorgehen eignet sich besonders für Pati-

. Tab. 44.4 Standardtechniken der Nerventranspositionen im Schulterbereich

Spendernerven Empfängernerv Neurotisierter Muskel Funktionsgewinn

N. accessorius N. suprascapularis M. infraspinatus, M. supraspinatus Abduktion/Adduktion, Außenrotation der Schulter

Trizepsast des N. radialis N. axillaris M. deltoideus Abduktion der Schulter


44.2 · Operationstechnik
383 44
enten mit irreparablen Verletzungen oder Ausrissen des oberen Klavikula abgesetzt und mit dem operativ mobilisierten M. trapezius
Plexusanteils und intaktem unterem Truncus. Es werden etwa 20% zum proximalen Humerus verlagert und dort bei 80–90° abdu-
des gesamten Nervs verlagert, meist Fasern zum M. flexor carpi ul- ziertem Arm mittels Spongiosaschrauben fixiert.
naris (Oberlin I).
Eine gewissenhafte Überprüfung der Faszikelauswahl durch in- Nachbehandlung. Postoperativ wird eine Thorax-Arm-Abduk­
traoperative Nervenstimulation ermöglicht, dass der motorische Ast tionsorthese für 6 Wochen in 80° Abduktion/10° Anteversion ange-
des N. musculocutaneus zum M. biceps (oder brachialis) neuroti- legt.
siert werden kann, ohne dass ein motorischer oder sensibler Hebe-
defekt verbleibt. Zusätzlich kann auch ein Faszikel des N. medianus Ergebnisse. Mögliche Komplikationen sind Infekte und Material-
transponiert werden, etwa auf den Nervenast zum M. brachialis. Die­ lockerungen.
se Strategie zur Reinnervation von 2 Ellenbeugemuskeln verspricht Durch diese Umlagerung kommt es durch Beseitigung der kau-
noch bessere Ergebnisse als eine Einzelfaszikeltransposition (Ober- dalen Humeruskopfsubluxation zur Stabilisierung der Schulter und
lin II; Liverneau et al. 2006; . Abb. 44.1) (7 auch Kap. 40). damit zu einer besseren Kontrollierbarkeit und Einsatzfähigkeit der
oberen Extremität. In der Regel kann eine Abduktion oder Antever-
Nn. pectorals mediales sion des Oberarms von ca. 30–40°erreicht werden.
Nach Transposition dieser Nerven zur Reinnervation des M. biceps
kann wegen der Nähe dieser Axonspender zum Empfänger, dem Schulterarthrodese
N. musculocutaneus, mit einer Reinnervation nach 6–8 Monaten Indikation. Die Gelenkfusion wird der Trapeziusverlagerung meist
gerechnet werden. vorgezogen, wenn die Hand- und Ellbogenfunktionen gut erhalten
sind oder günstige Aussichten bestehen, diese Funktionen mit geeig-
N. thoracodorsalis neten Spendermuskeln zu rekonstruieren. Ebenso bietet die Schul-
Dieser Nerv wurde bereits mit gutem Erfolg von Foerster im I. Welt- terarthrodese sich an, wenn posttraumatisch oder arthrotisch die
krieg zur Reinnervation von N. musculocutaneus und axillaris ein- passive Schultergelenksbeweglichkeit stark eingeschränkt ist. Sie
gesetzt. Er kann leicht aufgefunden und mobilisiert werden und kann auch als Rettungsoperation nach fehlgeschlagenen Muskel­
besitzt eine ausreichende Länge auch für distale Koaptationen. Er ersatzoperationen indiziert sein.
kann jedoch bei Plexusverletzungen, v. a. im mittleren und unteren Voraussetzung für eine Fusion des Glenohumeralgelenks ist
Anteil, mitverletzt sein. Seine Verwendung schließt eine spätere mo- immer die erhaltene Beweglichkeit des Schulterblattes, v. a. durch
torische Ersatzoperation zur Ellenbeugung oder Schulteraußenrota- M. serratus anterior und M. trapezius.
tion mittels Latissimustransposition aus (Mackinnon et al. 2005).
Operationstechnik. Bei der Schulterathrodese wird der Humerus-
Ausnahmen kopf mit dem Glenoid und der Akromionunterfläche nach Schaf-
Kaum mehr verwendete Axonspender sind der Plexus cervicalis fung von spongiösen Flächen in Kontakt gebracht und die Situation
(C2/3/4), der N. hypoglossus, der Plexus cervicalis und die lateralen unter Verwendung von Platten und Schrauben fixiert. Hierbei wird
Pektoralnerven. eine Armstellung von 20° Abduktion, 30° Anteversion und 40° In-
nenrotation zum Thorax angestrebt. Um operationstechnische Pro-
bleme zu vermeiden, sollte die Arthrodese in einer Sitzung mit not-
44.2.2 Muskuläre Ersatzoperationen wendigen peripheren Ersatzoperationen durchgeführt werden.
an der Schulter
Nachbehandlung. Die Nachbehandlung erfolgt frühfunktionell
Indikationsstellung aus der für 6 Wochen zu belassenden Thorax-Arm-Abduktions-
Bei Nervenverletzung im Schulterbereich, v. a. bei Plexus-brachialis- schiene heraus.
Läsionen, besteht v. a. ein Funktionsausfall bei Lähmung des M. del-
toideus, M. supraspinatus und M. infraspinatus. Es resultiert eine Ergebnisse. Postoperativ ergibt sich aus der Bewegung des thora-
lähmungsbedingte Bewegungseinschränkung der Schulter mit koskapularen Gleitlagers mit Kraftübertragung auf den Arm durch
4 reduzierter Abduktion, Beteiligung von insgesamt 4 Muskeln eine kraftvolle aktive Abduk-
4 geschwächter Anteversion des Arms, tion und Anteversion von bis zu ca. 60°.
4 Schulterinstabilität mit Humeruskopfsubluxation und An Komplikationen können insbesondere Pseudarthrosen, In-
4 eingeschränkter Außenrotation. fektionen und Humerusfrakturen auftreten. Die Kontrolle über den
Arm wird wiedergewonnen, und es sind die Voraussetzungen dafür
Zur Verbesserung von Abduktion, Anteversion und Schulterinstabi- geschaffen, dass die Hand wieder zur Gesichtsregion gebracht und
lität sind die im Folgenden beschriebenen Operationen gebräuch- eingesetzt werden kann. Die kaudale Luxationstendenz des Hume-
lich. ruskopfs wird durch die Fusion ebenso beseitigt.

Transposition des M. trapezius Transposition von M. latissimus dorsi/M. teres major


Indikation. Selbst bei kompletten Plexusläsionen ist der M. trapezi- zur Verbesserung der Schulteraußenrotation
us durch seine extraplexale Innervation (N. accessorius) bei 90% der Indikation. Der Ausfall von M. infraspinatus und M. teres minor ist
betroffenen Patienten noch intakt und kann daher zur motorischen v. a. bei oberer Plexusläsion häufig. Durch den Verlust der Außenro-
Ersatzoperation verwendet werden. Vorteil des Trapeziustransfers tation kommt es zum typischen Bild mit spontaner Innenrotations-
ist insbesondere der Erhalt der passiven Beweglichkeit. stellung des Arms. Diese entsteht auch dadurch, dass an der Innen-
rotation mehr Muskeln beteiligt und zumindest noch teilweise funk-
Operationstechnik. Bei dieser Muskeltransposition wird das Akro- tionsfähig sind (M. subscapularis, M. teres major, M. pectoralis
mion am Übergang zur Spina scapulae und dem distalen Ende der major, M. latissimus dorsi, M. coracobrachialis). Zur Verbesserung
384 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion

a d

44
. Abb. 44.1 a Obere Plexusläsion mit Ausfall der Ellbogenbeugung links
(M. biceps und brachialis jeweils M0). b Intraoperativer Situs der Verletzung
des oberen Plexus brachialis. c Doppeltransposition eines Faszikels des
N. ulnaris auf den M. biceps brachii und eines Faszikels des N. medianus auf
den M. brachialis. d, e Postoperatives Ergebnis 5 Monate postoperativ mit
kraftvoller Ellenbeugung bis 130°, Funktionsgrad M4. (Aus Gohritz et al.
c
2008)
44.2 · Operationstechnik
385 44
der Außendrehung kann in diesen Fällen der gemeinsame Ansatz »nutzloses Anhängsel« empfunden, in einer Schlinge getragen oder
der Mm. latissimus dorsi et teres major verlagert werden, sodass sie in den Hosenbund gesteckt, damit er nicht hinderlich ist. Auch nur
als Außenrotatoren wirksam werden. die Wiederherstellung der Schulterstabilität und damit der Kontrol-
le über den Arm, z. B. durch eine M.-trapezius-Verlagerung, ist für
Operationstechnik. Nach ventraler Ablösung des Ansatzes der bei- manche Patienten auch bei bescheidener Verbesserung der aktiven
den Muskeln wird dieser nach dorsal umgeleitet und in Außenrota- Beweglichkeit ein großer Gewinn.
tionsstellung des Arms in der Region des Infraspinatusansatzes rein-
seriert. Hierfür ist im Gegensatz zur Rotationsosteotomie eine passiv
wenig bis gar nicht eingeschränkte Außenrotation im Schultergelenk 44.2.3 Wiederherstellung der Ellbogenbeugung
erforderlich. Bei kontrakten Verhältnissen besteht zwar grundsätz-
lich auch die Möglichkeit zur Muskeltransposition, es muss dann Muskeltranspositionen
aber immer ein zusätzlicher ventraler »release« der Kapsel und der Zur Wiederherstellung der Ellbogenbeugung können folgende
Mm. pectoralis et subscapularis durchgeführt werden (7 auch Mod- Kraftspender verlagert werden: Flexor-Pronator-Muskeln, M. latis-
quad-Release, 7 Kap. 40, . Tab. 40.5). simus dorsi, M. pectoralis major und minor, M. triceps brachii.
Mikrochirurgisch können der M. gracilis, M. rectus femoris und
Nachbehandlung. Zur Sicherung des Operationsergebnisses ist M. latissimus dorsi verpflanzt werden.
eine postoperative Immobilisation in einer Thorax-Arm-Abduk­ Im Folgenden sollen die klassischen motorischen Ersatzoperati-
tionsorthese in 0–20° Abduktion und 0–20° Außenrotation für onen vorgestellt werden (. Tab. 44.5–44.7; Buck-Gramcko u. Nigst
6 Wochen erforderlich. 1991; Friden 2005; Nagy 2005; Nigst 1991; Zancolli 1979).

Ergebnisse. Die beschriebene Verlagerung von M. teres major und Proximalisierung der Flexor-Pronator-Muskeln
M. latissimus dorsi erreicht durch die verbesserte Außenrotation des Unterarms (Operation nach Steindler)
meist eine erhebliche Zunahme des Aktionsradius der Hand. Sie Diese erstmals 1918 von Steindler beschriebene Operation nutzt den
kann jedoch dadurch limitiert sein, dass bereits ein passives Außen- agonistischen Effekt der Unterarmbeuge- und Pronatormuskulatur
rotationsdefizit mit kontrakten Kapselverhältnissen besteht. Die (Mm. flexor carpi radialis, flexor carpi ulnaris, palmaris longus, fle-
Muskelverlagerung spielt deshalb insbesondere in der Behandlung xor digitorum superficialis und pronator teres), die als sekundäre
geburtstraumatischer Läsionen im Kindes- und Adoleszentenalter Ellenbeuger wirken. Ihr Hebelarm zur Ellbogenflexion wird ver­
eine Rolle, wenn eine Innenrotationskontraktur durch konsequente bessert, indem der ursprünglich fast am isometrischen Punkt der
Krankengymnastik vermieden werden konnte. Ellbogenachse gelegene Ursprung am Epicondylus medialis um etwa
5 cm auf dem Humerus nach proximal verlagert wird.
Rotationsosteotomie des Humerus
Indikation. Stehen M. teres major und M. latissimus dorsi nicht als Indikation. Die Hauptindikation besteht zur Wiederherstellung der
Spendermuskeln für eine Transposition zur Verfügung, kann die Ellbogenbeugung bei Patienten mit normaler Kraft der Flexor-Pro-
Verbesserung der Außenrotation der Schulter alternativ durch eine nator-Muskulatur, bei denen eine schwache Restbeugung des Ellbo-
Humerusdrehosteotomie erreicht werden, die von Spendermuskeln gens augmentiert werden soll.
unabhängig ist. Die Beteiligung dieser Muskeln an der Ellbogenbeugung kann
bereits präoperativ getestet werden und ist ein gutes prognostisches
Operationstechnik. Operativ wird bei der Außenrotationsosteoto- Zeichen für die Wirksamkeit der Operation. Es empfiehlt sich eine
mie der Humerus subkapital oder istaler mit der oszillierenden Säge elektrophysiologische Untersuchung, um die Funktion des M. flexor
durchtrennt, der distale Humerusanteil um 30–60° nach außen ro- digitorum superficialis und des M. flexor carpi radialis zu prüfen.
tiert und in dieser Position mittels Ostesyntheseplatte stabilisiert. Die Operation wird erleichtert, wenn zuvor, v. a. bei oberen Ple-
Der Rotationssektor wird zugunsten der Außendrehung verschoben. xusläsionen, eine Schulterarthrodese durchgeführt wurde.

Nachbehandlung. Die Nachbehandlung erfolgt im Gilchrist-Ver- Vorteile. Der Eingriff ist technisch einfach, der funktionelle und
band, der aber schon nach wenigen Tagen zur frühfunktionellen kosmetische Hebedefekt sehr gering.
krankengymnastischen Übungsbehandlung abgenommen werden
kann.
. Tab. 44.5 Motorische Nerventranspositionen an der oberen Extre-
Ergebnisse. Mögliche Komplikationen sind temporäre Radialis­ mität. (Nach Mackinnon et al. 2005)
läsionen, Infektionen und sowohl Über- als auch Unterkorrekturen.
Durch die Korrekturosteotomie wird die Fehlstellung des spontan Rekonstruk­ Spendernerven Empfängernerv
übermäßig nach innen gedrehten Arms in eine physiologischere tionsziel
Armhaltung überführt. Das Anschlagen des Unterarms am Thorax
Ellbogen- 4 Nn. intercostales 4 N. musculo-
bei Ellbogenbeugung wird beseitigt, sodass die Hand von den Pati-
flexion 4 Nn. pectorales mediales cutaneus
enten postoperativ in die Gesichtsregion geführt werden kann. 4 Anteile des Plexus cervi-
calis, N. thoracodorsalis
Fazit
Der Erfolg von Sekundäroperationen an der Schulter lässt sich nicht 4 Teil des N. ulnaris (FCU) 4 Äste des N. mus-
4 Teil des N. medianus culocutaneus
allein anhand objektivierbarer Kriterien (Bewegungsumfang, Kraft-
(FCR) (M. biceps bra-
grade) beurteilen. Für viele Betroffene ist die Wiedererlangung der
4 Nn. pectorales chii und/oder
Kontrolle über den gelähmten Arm wesentlich wichtiger. Gerade bei brachialis)
kompletten Plexusläsionen wird der betroffene Arm häufig als
386 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion

. Tab. 44.6 Techniken zur Rekonstruktion der Ellbogenbeugung

Technik Indikation Komplikationen Besonderheiten

Steindler-Operation 4 Obere Plexusläsion >6 Monate 4 Beugekontraktur des 4 Zuverlässige Methode


(Flexoren-Pronator) Ellbogens 4 Gut zur funktionellen Augmentation
geeignet
4 Allein oft nur schwacher Beugerersatz

M.-latissimus-dorsi- 4 Plexusläsionen C5–C6 >6 Monate 4 Fehleinschätzung der 4 Kräftiger Spender


Transposition 4 Ausfall des N. musculocutaneus prä­operativen Kraft des 4 Technisch anspruchsvoll
>6 Monate M. latissimus dorsi 4 Spendermuskel geht für
4 Falsche Muskelspannung Schulterrekons­truktion verloren
4 Beugekontraktur des Ellbogens selten

M.-pectoralis-major- 4 Plexusläsionen/Ausfall des N. mus-


Transposition culocutaneus >6 Monate

Funktionelle Muskel­ 4 Nervenschädigung >10 Monate 4 Transplantatnekrose 4 Geeignete Spender-/Empfängernerven


transplantation 4 Gescheiterte Nervenrekonstruktion 4 Funktionsverlust durch falsche und Stabilität der Schulter notwendig
4 Patientenalter >40 Jahre Muskelspannung 4 N. accessorius als Spendernerv besser
als Nn. intercostales

. Tab. 44.7 Technik zur Neurotisation des N. musculocutaneus zur Ellbogenbeugung

Spendernerven Indikation Komplikationen Besonderheiten

Faszikel des 4 Wurzelausrisse C5, C6, C7 4 Vorübergehende Paresen von 4 Technisch einfach
N. ulnaris/medianus 4 Lähmung <10 Monate N.-ulnaris/medianus-inner- 4 Zuverlässige Funktionsrückkehr nach
vierten Muskeln kurzer Regenerationszeit
4 Sensible Ausfälle 4 Kurzer Zugang, wenig invasiv

N. accessorius 4 Obere oder totale Plexusläsion 4 Adäquate Anzahl motorischer Axone

Nn. intercostales 4 Obere oder totale Plexusläsion 4 Dehiszenz der Nervenkoapta- 4 Technisch schwierig
4 Lähmung <6 Monate tion bei Naht unter Spannung 4 Relativ geringe Axonanzahl
4 2 Nahtstellen

Nachteile. Bei alleiniger Steindler-Operation ergibt sich meist nur augmentierender Ersatzoperation eine Kraftzunahme von M1–2 auf
eine schwache Ellbogenbeugung, meist weniger als zu einer guten M4. Es verbleibt oft ein mittleres Streckdefizit von 10–20°.
Funktion notwendig ist. Zudem entsteht häufig ein sog. »Steindler-
Effekt«, der aus einer distalen Aktion des verlagerten M. pronator Nachbehandlung. Postoperativ erhält der Patient eine Oberarm-
teres sowie der Handgelenks- und Fingerflexoren bei Ellbogenbeu- gipsschiene in 100° Beugestellung und leichter Pronationsstellung
gung besteht. Die Ellbogenbeugung führt damit zu einer simultanen des Unterarms über 6 Wochen. Anschließend ist meist ein intensives
Pronation, Handgelenksbeugung und Faustschluss. Diese Kompli- Kräftigungstraining notwendig.
kation kann abgeschwächt werden, wenn der Ansatz am Humerus
nach lateral oder ventral verlagert wird. M.-pectoralis-major-Transposition
Als Komplikationen wurden zudem Dislokationen der verlager- Der M. pectoralis ist aufgrund seiner Innervation aus verschiedenen
ten Knochenschuppe, Irritationen des N. ulnaris und die Tendenz Anteilen des Plexus brachialis bei inkompletten Läsionen meist
zur Beugekontraktur des Ellbogens beschrieben. Vielen Patienten funktionell erhalten und macht ihn auch aufgrund seiner Kraft zu
fällt es zudem schwer, die Stellung des Handgelenks unabhängig von einem guten Spendermuskel (. Abb. 44.2).
44 der Position des Ellbogens zu kontrollieren, d. h. sie müssen das
Handgelenk in einer bestimmten Position fixieren, um den Ellbogen Indikation. Er eignet sich v. a., wenn er einen kräftigen sternokosta­
zu beugen. len Anteil besitzt, bei Männern und wenn Alternativmethoden, v. a.
die Operation nach Steindler, nicht günstig erscheinen.
Operationstechnik. Bei der Verlagerung der Unterarmflexoren
und des M. pronator teres wird der mediale Epikondylus als Kno- Vorteile. Der Hebedefekt ist meist gering, v. a. wenn der proximale
chenschuppe abgetragen und das Knochenfragment mit der anhän- Ursprung auf der Klavikula nach medial versetzt wird und eine ge-
genden Muskulatur etwa 5 cm weiter proximal am distalen Humerus wisse Schulterabduktion erhalten bleibt.
festgeschraubt. Hierdurch ändert sich der Hebelarm für die Mus-
keln, sodass neben der regulären Funktion eine zusätzliche Ellbo- Nachteile. Der Eingriff ist technisch anspruchsvoll und erfordert
genbeugung resultiert. Durch diese Verlagerung lässt sich eine aktive eine sehr ausgedehnte Schnittführung über dem vorderen Thorax,
Ellbogenbeugung von etwa 90° und ein Kraftgrad M3 erreichen, bei die v. a. bei Frauen angesprochen werden sollte.
44.2 · Operationstechnik
387 44

a b

c d

. Abb. 44.2a–d M.-pectoralis-major-pro-Bizeps-Ersatz bei kompletter Ple- dermuskels. c Einpassung unter Spannung über der atrophierten Beuger-
xus-brachialis-Läsion infolge eines Motorradunfalls. a Intraoperatives Bild muskulatur. d Fixation am Ansatz der Bizepssehne. (Aus Gohritz A et al.
mit präoperativer Anzeichnung der Schnittführung. b Ablösung des Spen- 2007))

Operationstechnik. In Rückenlage werden der gesamte Hemitho- sive Flexions- und Pronationsübungen nach Abschluss der Wund-
rax und der Arm des Patienten abgedeckt. Der Zugang erfolgt durch heilung begonnen werden können. Danach wird auch die aktive
einen semizirkulären Schnitt entlang der Klavikula bis fast zum Ster- Beugung erlaubt, die Schiene verbleibt bis 10 Wochen postoperativ,
noklavikulargelenk und von dort nach distal über die Sternokostal- dann werden Übungen gegen Widerstand begonnen.
gelenke. Alternativ, v. a. bei Frauen, kann auch eine laterale submam-
märe Inzision durchgeführt werden. In der Ellenbeuge reicht meist M.-latissimus-dorsi-Transposition
eine beugeseitige S-förmige Inzision. Der aus den Wurzeln C6–8 innervierte M. latissimus dorsi besitzt
Nach Anlage von Markierungsnähten zur Festlegung der Muskel- ausreichend Kraft und Exkursion, um alle Ellbogenflexoren zu erset-
spannung erfolgt die Freilegung des M. pectoralis major mit Anteilen zen. Er wurde bereits 1920 von Lexer zum motorischen Bizepsersatz
von Periost und Teilen der äußeren Aponeurose an seiner unteren beschrieben (Lexer 1920). Die bipolare Transposition, von Schott-
Grenze. Durch Anhebung der unteren Muskelanteile werden die er- staedt vorgeschlagen, wird häufig der unipolaren Technik vorge­
nährenden Gefäße und die beiden Pektoralnerven erkennbar. Nach zogen.
Dissektion des neurovaskulären Stiels lässt sich die halbkreisförmige
Ablösung des Muskels vervollständigen. Der dreieckige Muskel kann Indikation. Die wichtigste Indikation für den Latissimustransfer
am leichtesten längs eingerollt in den Oberarm eingepasst werden. besteht bei kräftigem M. latissimus dorsi ohne günstige Vorausset-
Vor der bipolaren Transposition des M. pectoralis werden der zungen zur Proximalisierung der Flexoren- und Pronatormuskeln
sternoklavikuläre Ursprung und humerale Ansatz abgelöst. Der ge- des Unterarms. Vor der Wahl dieser Methode zur Rekonstruktion
hobene Muskel wird danach 90° gedreht, zur proximalen Fixation der Ellbogenbeugung sollte geprüft werden, ob sich der Muskel auch
werden das Akromion und das Lig. acromioclaviculare bevorzugt. zur Verbesserung der Schulterfunktion eignet (z. B. Wiederherstel-
Unter Beachtung der Nahtmarken wird der Muskel in 90° Ellbogen- lung der Außenrotation).
beugung auf die richtige Länge gezogen und über dem atrophierten
M. biceps mit dessen Sehne vernäht. Vorteile. Ein großer Vorteil ist, dass in der Regel bei tolerierbarem
Spenderdefekt eine kräftige Beugefunktion des Ellbogens wieder-
Nachbehandlung. Postoperativ erfolgt eine 6-wöchige Immobilisa- hergestellt werden kann.
tion im Gilchrist-Verband zur Sicherung der Fixationen, wobei pas-
388 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion

. Abb. 44.3a–c Operationssitus bei


Verlagerung des M. latissimus dorsi
zum Bizepsersatz nach Mobilisation (b)
und Fixation (c) des Spendermuskels.
(Aus Gohritz et al. 2007)

a c

bis der Muskel nur noch an seinem Gefäß-Nerven-Bündel hängt


(. Abb. 44.3b). Danach wird der Muskel durch die Axilla nach ven-
tral verlagert und hier durch eine zweite Hautinzision ausgeleitet.
Wir empfehlen die Hebung des gesamten Muskelanteils zur Er-
höhung des Muskelfaserquerschnitts.
Schließlich wird der distale Muskelanteil (ehemaliger Ursprung)
zum Bizepssehnenansatz gebracht und mit diesem vernäht. Die Be-
festigung des proximalen Muskelanteils (ehemaliger Ansatz) erfolgt
am Proc. coracoideus. Zur Einstellung der richtigen Muskelspan-
nung empfehlen sich intramuskuläre Markierungsnähte mit defi-
niertem Abstand. Zusätzlich sollte die Spannung des Muskels ausrei-
chend sein, um den Ellbogen in etwa 100° Beugung zu halten.

Nachbehandlung. Die postoperative Immobilisation erfolgt im


b Oberarmgips in 100° Beugung über 6 Wochen, danach beginnen
vorsichtige aktive Streckübungen des Ellbogens; die aktive Flexion
kann erst nach 8–10 Wochen begonnen werden (. Abb. 44.4). Leider
Nachteile. Der Latissimustransfer ist anspruchsvoller, zeitintensi- beträgt der Kraftzuwachs durch die Muskeltransposition maximal
ver und komplikationsträchtiger als die Verlagerung ortsständiger 1–2 kg.
Muskeln. Es sollte bedacht werden, dass der M. latissimus dorsi für
wertvolle Ersatzfunktionen im Schulterbereich (v. a. zur Verbesse- Anteriore Transposition des M. triceps brachii
rung der Außenrotation) verloren geht. Häufig ist die präoperative Der M. triceps brachii ist seinem Antagonisten, dem Bizeps, mus-
Muskelkraft schwierig einzuschätzen. kelarchitektonisch relativ ähnlich und daher zu seinem Ersatz gut
Der komplette Muskel ist oft zu lang als Ellbogenbeuger und geeignet.
muss daher gekürzt werden, um mit optimaler Spannung eingepasst
zu werden. Aufgrund von insgesamt 3 notwendigen Inzisionen und Indikation. Beim Trizeps-pro-Bizeps-Transfer wird für die Rekons­
der ausgedehnten Weichteilmobilisation sind postoperative Serome truktion der Ellbogenbeugung die aktive Ellbogenstreckung bewusst
44 und Infektionen nicht selten, bei übermäßiger Spannung kann es zur geopfert. Die Methode setzt einen Kraftgrad M4 des zu verlagernden
Nekrose des transferierten Muskels kommen. Das postoperative M. triceps brachii voraus und eignet sich v. a. für Patienten mit aus-
kortikale Training ist bei manchen Patienten schwierig. gedehnten Lähmungen der Schultermuskulatur, bei denen die Ab-
duktion zur Horizontalebene wiederhergestellt werden kann und
Operationstechnik. Der Patient liegt in Seitenlage, sodass er leicht zudem eine normale Muskelstärke an Rumpf und unterer Extremität
nach vorn und hinten gekippt werden kann. gegeben ist.
Der Muskel wird zunächst durch eine schräge, zum Becken- Da postoperativ die Ellbogenextension nur aus der Schwerkraft
kamm gerichtete Inzision an seiner Vordergrenze gehoben. Etwa resultiert, kann ein Trizeps-pro-Bizeps-Transfer nicht bei Patienten
10–15 cm distal des Apex der Axilla, lässt sich das Gefäß-Ner­ven- durchgeführt werden, die auf eine aktive Streckung im Ellbogenge-
Bündel leicht darstellen. Zur Mobilisierung des Stiels wird der lenk angewiesen sind, z. B. bei Rollstuhlfahrern, denen ein selbst-
Ge­fäßast zum M. serratus anterior durchtrennt, danach lassen ständiges Aufstehen durch das Fehlen der aktiven Abstützung un-
sich die humerale Insertion und der distale Muskelanteil freilegen, möglich würde.
44.2 · Operationstechnik
389 44
Muskelfunktion an Rumpf und unterer Extremität größte Bedeu-
tung zukommt. Bei einigen Patienten kommt es zu einer Beugekon-
traktur des Ellbogens, die durch Schienung wirksam behandelt wer-
den kann.
Ein weiterer Nachteil der Operation besteht darin, dass ohne
aktive Ellbogenextension keine Steuerung der oberen Extremität im
Raum möglich ist und der Ellbogenbeugung nur die Schwerkraft
entgegengewirkt. Zum Gebrauch der Hand und des Handgelenks in
statischer Position des Ellbogens ist daher zur Stabilisierung oft ein
Auflegen des Arms auf einer Unterlage notwendig.

Operationstechnik. Die Transposition des M. triceps beginnt mit


einer longitudinalen Inzision im Übergang vom proximalen zum
mittleren Drittel des Humerus zur proximalen Ulna, ein 2. Schnitt
a
in der Fossa antecubitalis erlaubt den Zugang zur Bizepssehne. Über
den posterioren Zugang wird die Faszie des M. triceps identifiziert
und seine Sehne mit einem Perioststreifen vom Olekranon abge-
trennt, um zusätzliche Länge zu gewinnen.
Der medial gelegene N. ulnaris wird isoliert und geschont. Nach
lateraler Inzision über dem Septum intermusculare wird der N. ra-
dialis aufgesucht und das Septum intermusculare laterale oberhalb
des M. brachioradialis dargestellt. Bis zu dieser Höhe wird das Caput
intermedium des M. triceps vollständig vom Knochen abgesetzt.
Durch Untertunnelung wird eine subkutane Passage geschaffen,
durch die der distale muskulotendinöse Anteil des M. triceps nach
vorn gezogen werden kann.
Nach Öffnen der Blutsperre wird die Trizepssehne bei gebeugtem
Ellbogen in die Bizepssehne eingeflochten und vernäht. Zur kor-
rekten Einstellung der Spannung wird der entstandene Beugewinkel
gegen die Schwerkraft betrachtet, der bei 30° liegen sollte.

Nachbehandlung. Nach Ruhigstellung in 90° Beugung über 3–4


Wochen wird mit passiven Beugeübungen begonnen, nach 5–6 Wo-
chen mit passiver Streckung. Die weitere Steigerung der Beübung
hängt von der Stabilität der Sehneneinflechtung ab, die Schiene
sollte jedoch nicht vor 6 Wochen nach der Operation abgenom-
men werden. Obwohl der Trizeps als Antagonist des Bizeps wirkt,
ver­laufen die kortikale Ansteuerbarkeit und Koordination meist
problemlos.

Mikrochirurgische funktionelle Muskeltransplantation


b
mit Neurotisation
Indikation. Zielgruppe dieser Operation sind Patienten, bei denen
. Abb. 44.4a, b Funktioneller Gewinn nach M.-latissimus-dorsi-Verla­ keine anderen konventionellen Techniken verfügbar sind, um eine
gerung mit einem Kraftgrad von M4 und einem Bewegungsausmaß von Ellbogenbeugung wiederherzustellen. Es eignen sich der M. gracilis,
0–15–110° Extension/Flexion. (Aus Gohritz et al. 2007) M. rectus femoris und der kontralaterale M. latissimus dorsi. Die
versorgenden Gefäße und Nerven der Muskeln werden am Empfän-
gerort mikrochirurgisch angeschlossen, meist an Interkostalnerven
Eine spezielle Indikation zur anterioren Transposition des oder den N. accessorius.
M. triceps besteht bei Kokontraktion des Muskels bei versuchter Ell- Da zunächst eine nervale Reinnervation mit Aussprossen der
bogenflexion, wie sie nicht selten bei Patienten zu beobachten ist, bei motorischen Axone erfolgen muss, ist die postoperative Rehabilita-
denen eine Nervenrekonstruktion an denervierten Muskelgruppen tion bei freien Muskeltransplantationen verlängert. Die Ergebnisse
durchgeführt wurde. können sich bei ausreichender Erfahrung durchaus mit gestielten
uni- oder bipolaren Muskeltranspositionen messen; in bis zu 70–
Vorteile. Günstige Voraussetzungen bestehen für die Verlagerung 80% der Fälle kann ein Kraftgrad M3–4 erreicht werden.
des M. triceps durch das relativ einfache Vorgehen, das vorhersagbar
eine kräftige Ellbogenbeugung (meist der Stärke M4) ermöglicht. Vorteile. Die Methode bietet auch in Fällen eine Option zur Rekons­
Darüber hinaus entstehen durch die Verlagerung keine entstellenden truktion der Bizepsfunktion, in denen sonst keine Alternativen be-
Narben, sodass die Operation v. a. für Frauen empfohlen wird. stehen.

Nachteile. Der offensichtliche Nachteil dieser Methode besteht im Nachteile. Die Methode erfordert eine äußerst komplexe operative
Verlust der aktiven Ellbogenstreckung, wodurch einer ungestörten Technik und setzt hohe mikrochirurgische Fähigkeiten des Opera-
390 Kapitel 44 · Muskuläre und nervale Ersatzoperationen bei Lähmung der Schulter- und Ellbogenfunktion

teurs voraus. Die Ergebnisse sind gegenüber konventionellen Mus- primär auf einer genauen körperlichen Untersuchung mit manueller
keltranspositionen bisher oft weniger zuverlässig. Prüfung der Muskelkraft, weiterhin – in Absprache mit dem Patien­ten
– auf den unterschiedlichen Nachbehandlungsschemata (Friden 2005;
Operationstechnik. Das operative Vorgehen richtet sich nach dem Hentz u. Leclerq 2002; Kozin 2003; Moberg 1978; Zanconelli 1979).
je­weiligen Spendermuskel. Die Einzelheiten überschreiten das Ausmaß
dieses Übersichtsartikels; es sei auf die entsprechenden Angaben in der M.-triceps-Ersatz mit dem hinteren M. deltoideus
Literatur hingewiesen (Chuang 2007; Doi et al. 2000; Nagy 2005). Die Verlagerung der Pars posterior des M. deltoideus wird von vielen
Proximal werden die Muskeltransplantate meist am Akromion Autoren bevorzugt, v. a. bei kräftigem M. deltoideus. Diese Technik
oder dem Lig. coracoacromiale und distal an der anatomischen macht jedoch die Interposition eines Sehnentransplantates (meist
­Insertion auf der Bizeps- oder Trizepssehne befestigt. Bei totaler M. tibialis anterior), autologen (Fascia lata) oder synthetischen
Plexuslähmung kann eine Fixation auf den Finger- oder Handge- ­Materials notwendig, um eine Sehnennaht mit dem M. triceps zu
lenks- und Fingerbeugern durchgeführt werden, um eine gleichzei- erreichen.
tige Aktion von Ellbogen und Handgelenk zu erzielen. Die operative Technik ist in 7 Kap. 45 ausführlich dargestellt.

Nachbehandlung. In der Regel erfolgt die Ruhigstellung im Ober- Nachbehandlung. Postoperativ wird für 4 Wochen eine Ruhig­
armgips in 100° Beugung und Supinationsstellung. Nach der Wie- stellung im Gipsverband durchgeführt, um eine stabile Heilung der
derherstellung des passiven Bewegungsausmaßes wird mit aktiver Sehnennaht zu schützen. Nach der Gipsabnahme wird für weitere
Kräftigung erst begonnen, wenn der transplantierte Muskel kli- 8 Wochen eine verstellbare Ellbogenorthese angelegt. Die Ellbogen-
nisch oder im EMG Aktivität zeigt, meist frühestens nach 6 Mona- beugung wird schrittweise alle 2 Wochen um 10° gesteigert, und erst
ten. Zeigt sich keine Reinnervation, sollte eine Revision erfolgen. ab einer Flexion von 90° kann die Schiene abgenommen und die
Im weiteren Verlauf ist bei diesen Patienten immer intensive Arbeit gegen Widerstand erlaubt werden.
Physiotherapie, v. a. zur Kräftigung des Muskels, unabdingbar. Ab dem 1. postoperativen Tag trägt der Patient für 4 Monate eine
spezielle Armstütze, die eine Adduktion der Schulter verhindert, die
zu einer Überdehnung der Sehnennaht führen kann. Zudem braucht
44.2.4 Rekonstruktion der Ellbogenstreckung der Patient in der Regel für die Dauer der Nachbehandlung einen
elektronisch betriebenen Rollstuhl. Beim Schlafen erhält er eine sta-
Muskeltranspositionen bile Schiene, die den Arm in einer leicht abduzierten Position hält.
Die Ellbogenstreckung wird mittels Verlagerung des hinteren An- Speziell beim Umdrehen muss auf eine leicht abduzierte Haltung des
teils des M. deltoideus zum Olekranon oder durch Bizeps-pro-Tri- Arms geachtet werden.
zeps-Ersatz wiederhergestellt (. Tab. 44.8). Der M. triceps brachii
wird aus dem Segment C7 versorgt und ist daher nach einer Schä­di­ Komplikationen. Vor allem muss hier eine Überdehnung oder
gung des Rückenmarks im Halsbereich (Tetraplegie) meist gelähmt. Ruptur der Sehnennaht (bei zu früher oder übermäßiger Belastung)
beachtet werden (7 oben), selten kommt es später zum mechani­
> Die Wiederherstellung der Funktion des M. triceps brachii
schen Versagen des Sehnentransplantates. Möglich ist eine Funk­
ist integraler Bestandteil der chirurgischen Rehabilitation
tionseinschränkung durch Spastizität des M. biceps brachii oder
der oberen Extremität von Tetraplegikern, weil die aktive
durch mangelnde Kooperation des Patienten bei der postoperativen
Ellbogenstreckung unbedingt notwendig ist, um die Hand
Nachbehandlung.
im Raum einzusetzen und Manöver zur Druckentlastung
(der Sitz- oder Liegefläche) durchzuführen. M.-triceps-Ersatz mit dem M. biceps brachii
Zusätzlich wirkt eine aktive Ellbogenstreckung antagonistisch auf Die Bizepsverlagerung hat in den letzten Jahren verstärkt bei hohen
den M. brachioradialis und erreicht so eine bessere Steuerbarkeit Querschnittslähmungen an Bedeutung gewonnen.
von dessen Funktion nach einer Verlagerung zur Wiederherstellung
der Handgelenksextension, Daumen- oder Fingerbeugung. Vorteile. Die Operationstechnik und die Nachbehandlung sind ein-
Die Standardverfahren sind die Verlagerung des hinteren M. del- facher als bei der Deltoideustransposition. Bei kräftigem M. biceps
toideus oder des M. biceps brachii. Die Verfahrensauswahl beruht brachii wird in der Regel eine Ellbogenstreckung von M4 erreicht.

. Tab. 44.8 Techniken zur Rekonstruktion der Ellbogenstreckung

44 Technik Indikation Voraussetzung Komplikation Besonderheiten

Deltoideus- 4 Fehlende Trizepsfunktion 4 M. deltoideus (Pars 4 Überdehnung der Sehnen- 4 Standardmethode


pro-Trizeps- posterior) mit Kraft- naht bei Tetraplegikern
Transposition grad M4 4 Fehleinschätzung der
präoperativen Kraft der
Pars posterior

Bizeps-pro- 4 Fehlende Trizepsfunktion 4 Adäquate Restfunktion 4 N.-radialis-Schädigung 4 Minimiertes Risiko für


Trizeps- 4 Ellbogenbeugekontraktur <30° von M. brachialis und (v. a. bei lateralem Zugang) N.-radialis-Läsion bei
Transposition 4 Vordere Schulteristabilität M. supinator 4 Druckulkus im Bereich der medialer Verlagerung
(M.-pectoralis-major-Schwäche) 4 M. biceps brachii mit posterioren Inzision
Kraftgrad M4
44.2 · Operationstechnik
391 44
Nachteile. Die Verlagerung des M. biceps brachii zum Trizepsersatz 4 Muskeltranspositionen bieten auch nach Jahren die Möglichkeit
geht mit einem Teilverlust der Supination des Unterarms und der einer funktionellen Verbesserung, sie müssen jedoch auf der Ba-
Beugekraft des Ellbogens einher, sie ist daher nur bei erhaltener sis der Gegebenheiten des Patienten, der vorhandenen Spender-
Funktion des M. brachialis und des M. supinator möglich. In Einzel- muskeln und der Behandlungsziele individuell indiziert und mit
fällen kann eine Kokontraktion des verlagerten M. biceps brachii größter Sorgfalt geplant und durchgeführt werden.
und des ebenso vom N. musculocutaneus versorgten M. brachialis
kommen, die sowohl die Beugung als auch die wiederhergestellte Literatur
Streckung des Ellbogens erheblich stören kann. Buck-Gramcko D, Nigst H (1991) Motorische Ersatzoperationen der oberen
Extremität. In: Bibliothek für Handchirurgie, Bd 1: Schultergürtel, Ober-
Operationstechnik. Die Bizepssehne kann medial oder lateral um arm und Ellbogen. Hippokrates, Stuttgart
Chuang DC (2007) Neurotization and free muscle transfer for brachial plexus
den Humerus verlagert werden, wobei die mediale Variante den
avulsion injury. Hand Clin 23: 91–104
N. radialis vor einer Druckschädigung und damit die Funktion der
Doi K, Muramatsu K, Hattori Y et al. (2000) Restoration of prehension with the
von ihm innervierten Mm. brachioradialis und extensor carpi ra­ double free muscle technique following complete avulsion of the bra-
dialis longus schützt. Bei der medialen Verlagerung kreuzt die chial plexus. Indications and long-term results. J Bone Joint Surg Am 82A:
Bizepssehne den N. ulnaris, der jedoch bei diesen tetraplegischen 652–666
Patienten in der Regel funktionslos ist. Mackinnon SE, Novak CB, Myckatyn TM, Tung TH (2005) Results of reinnerva-
Die Operation findet in Rückenlage des Patienten, in pneuma- tion of the biceps and brachialis muscles with a double fascicular transfer
tischer Blutleere und Lagerung des Arms auf dem Armtisch statt. for elbow flexion. J Hand Surg 30,5: 978–985
Der anteriore Zugang über der Fossa antecubitalis wird nach proxi- Fridén J, Ejeskär A, Dahlgren A et al. (2000) Protection of the deltoid to triceps
mal entlang des Septum intermusculare mediale verlängert. Der tendon transfer repair. J Hand Surg 25 A: 144–149
Fridén J (ed) (2005) Tendon transfers in reconstructive hand surgery. Taylor &
N. musculocutaneus wird lateral der Bizepssehne aufgesucht und
Francis, London
geschont. Die Aponeurosis musculi bicipitis (Lacertus fibrosus) wird
Gohritz A, Fridén J, Herold C, Aust M, Spies M, Vogt PM (2007) Ersatzoperatio-
unter Schonung des darunter liegenden N. medianus und der A. bra- nen bei Ausfall motorischer Funktionen an der Hand. Unfallchirurg 110:
chialis durchtrennt, die Bizepssehne dann bis zu ihrer Insertion an 759–776
der Tuberositas radii freigelegt und eine nicht resorbierbare Halte- Gohritz A, Fridén J, Spies M, Herold C, Guggenheim M, Knobloch K, Vogt PM
naht befestigt. Sehne und Muskelbauch werden von Adhäsionen (2008) Nervale und muskuläre Ersatzoperationen zur Wiederherstellung
befreit, um eine optimale Exkursion sicherzustellen. der gelähmten Ellenbogenfunktion. Unfallchirurg 111: 85–101
Eine 2. posteriore Inzision wird über dem distalen Drittel des Hentz VR, Leclercq C (2002) Surgical rehabilitiatation of the upper limb in
M. triceps und über das Olekranon angelegt und ein subkutaner tetraplegia. W.B. Saunders, Philadelphia London
­Tunnel zwischen beiden Inzisionen geschaffen, durch den die Bizeps­ Kozin SH (2003) Biceps-to-triceps transfer for restoration of elbow extension
in tetraplegia. Tech Hand Up Extrem Surg 7: 43–51
sehne oberhalb des N. ulnaris hindurchgezogen wird. Die Sehne wird
Lexer E (1920) Wiederherstellungschirurgie, Barth, Leipzig
in Extension des Ellbogens stabil mit der Trizepssehne vernäht.
Liverneau PA, Diaz LC, Beaulieu JY, Durand S, Oberlin C (2006) Preliminary
results of double nerve transfer to restore elbow flexion in upper type
Nachbehandlung. Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung in Exten- brachial plexus palsies. Plast Reconstr Surg 117: 915–919
sion mittels Oberarmgips für 3 Wochen, dann beginnt die kranken- Merrell GA, Barrie KA, Katz DL et al. (2001) Results of nerve transfer techniques
gymnastische Beübung aus einer Schiene heraus, die pro Woche for restoration of shoulder and elbow function in the context of a meta-
etwa 15° mehr an Flexion freigibt. Begleitend können spezielle The- analysis of the English literature. J Hand Surg 26A: 303–314
rapien wie Biofeedback eingesetzt werden. Mit Kräftigungsübungen Millesi H (1997) Plexusverletzungen bei Erwachsenen. Orthopäde 26: 590–
wird erst nach 3 Monaten begonnen. Die Schienung erfolgt, bis ein 598
ausreichendes Ausmaß an Bewegung und Kraft erreicht ist. Moberg E (1978) The upper limb in tetraplegia. A new approach to surgical
rehabilitation. Thieme, Stuttgart
Nagy L (2005) Der gelähmte Ellenbogen. In: Duparc J, Gschwend M, Rozing
Besonderheit. Bei der präoperativen Aufklärung muss der Patient
PM (Hrsg) Chirurgische Techniken in Orthopädie und Traumatologie –
verstehen, dass in der Zeit unmittelbar nach der Operation die Oberarm, Ellenbogen und Unterarm, Bd 4. Urban & Fischer, München
Selbstständigkeit und die Unabhängigkeit von fremder Hilfe zu- Nath RK, Mackinnon SE. Nerve transfers in the upper extremity. Hand Clin
nächst abnehmen. Wegen der Orthese kann z. B. meist kein ma­ 16: 131–139
nueller Rollstuhl betrieben werden. Es muss also kurzfristig ein Nigst H (1991) Motorische Ersatzoperationen an der oberen Extremität. In:
­weiterer Funktionsverlust akzeptiert werden, um langzeitig einen Bibliothek für Handchirurgie, Bd 3: Operationen an Tetraplegikern.
gesteigerten Bewegungsumfang des Ellbogens und damit eine ent- Hippokrates, Stuttgart
scheidend bessere Nutzbarkeit der Hand zu gewinnen. Oberlin C, Beal D, Leechavengvongs S et al. (1994) Nerve transfer to biceps
muscle using a part of ulnar nerve for C5-C6 avulsion of the brachial
Zusammenfassung plexus: Anatomical study and report of four cases. J Hand Surg 19A:
232–237
4 Die Wiederherstellung der Ellbogenfunktion ist das erste und
Wood M, Murray PM (2007) Heterotopic nerve transfers: recent trends with
hauptsächliche Ziel bei vielen Patienten mit ausgedehnten Pare- expanding indication. J Hand Surg 32A: 397–408
sen der oberen Extremität. Zancolli E (1979) Structural and dynamic bases of hand surgery, 2nd edn.
4 Bei Läsionen des Plexus brachialis steht die Flexion, bei Tetra- Lippincott, Philadelphia
plegikern die Extension im Vordergrund.
4 Nerventranspositionen bieten zusätzlich zur Nervenrekonstruk-
tion mittels mikrochirurgischer Naht und Nerventransplanta­
tion die Möglichkeit, nervale Regenerationszeiten durch extra­
anatomische Überbrückungen zu verkürzen und damit die
Reinnervation gelähmter Muskeln zu beschleunigen und die
Funktionswiederkehr zu verbessern.
45

Funktionsverbesserung der oberen


Extremität von Tetraplegikern
A. Gohritz

45.1 Grundlagen – 394


45.1.1 Operationsindikation – 394
45.1.2 Zeitpunkt der Operation   – 394
45.1.3 Teamkonzept – 394

45.2 Operationstechniken – 394


45.2.1 Wiederherstellung der Ellbogenstreckung (Trizepsfunktion) – 394
45.2.2 Wiederherstellung der Greiffunktion nach Gruppen der Internationalen
Klassifikation (IC) – 397
45.2.3 Kombination von Beuger- und Streckerphase – 400
45.2.4 Zusatzoperationen bei Spastik – 400

45.3 Ergebnisse und Komplikationen – 400


45.3.1 Zusammenfassung – 400

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
394 Kapitel 45 · Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern

Jedes Jahr erleiden allein in Deutschland über 1000 Patienten eine Eine völlige Asensibilität der Hand kann den Nutzen funktio-
Querschnittslähmung – meist junge Männer nach Verkehrs-, Sport neller Rekonstruktionen in Frage stellen, meist ist aber ab der Grup-
oder Badeunfall. In etwa 50% der Fälle bewirkt eine Halsmarkschä­ pe IC 1 eine diskriminative Sensibilität am Daumen und oft auch an
digung die komplette Lähmung der unteren und den Teilverlust der Radialseite des Zeigefingers gegeben.
der oberen Extremitätenfunktion (traumatische Tetraplegie; Bühren Die häufig bei Tetraplegikern vorliegende Spastik muss sich nicht
et al. 1999). Die chirurgische Verbesserung der Hand- und Armfunk- negativ auswirken, da sie von den Patienten stabilisierend eingesetzt
tion ist seit den 1970-er Jahren, v. a. durch die Pionierleistungen von werden kann, sie ist außer bei inkompletten Lähmungen an Armen
Erik Moberg aus Schweden (»Their hands are their life«), in einigen und Händen meist milder ausgeprägt als an der unteren Extremität.
Ländern fester Bestandteil der Versorgung dieser Patienten (Moberg
1975, 1979). Ziel es, ist das verbliebene motorische Potenzial an Schul-
ter, Arm und Hand durch Sehnentransposition optimal einzusetzen. 45.1.2 Zeitpunkt der Operation
Obwohl leider viel zu selten angewandt, bieten motorische Er-
satzoperationen bei mehr als 70% der Patienten mit Querschnitts- Die Operationen werden erst nach der neurologischen Stabilisierung
lähmung im Halsmarkbereich (Tetraplegie) die Möglichkeit zu einer und Rückkehr der verbliebenen motorischen Fähigkeiten durchge-
gebesserten Handfunktion. Die Wiederherstellung von Grundfunk- führt. Der Patient muss motiviert sein und sich in einem guten All-
tionen wie der Handgelenkstreckung, eines Kneifgriffs zwischen gemeinzustand befinden mit stabiler Atmung, Blasenfunktion und
Daumen und Zeigefinger (»key grip«) oder der Fingerbewegung er- neurovegetativer Funktion. Infekte, z. B. der Haut oder Harnwege,
möglicht eine wesentliche Steigerung der Gebrauchsfähigkeit der dürfen nicht vorliegen. In der Praxis sind diese Bedingungen selten
Hand und damit neue Mobilität und mehr Selbstständigkeit und früher als 1 Jahr nach dem Unfall erfüllt, manchmal erst später.
Unabhängigkeit von fremder Hilfe sowie eine Reduktion des Pflege- Der Patient muss seine Behinderung als endgültig akzeptiert ha-
und Kostenaufwandes. ben und über die Möglichkeiten und Grenzen einer Funktionsbes-
serung realistisch informiert sein. Der Kontakt und Austausch mit
bereits operierten Patienten kann hier ist sehr wertvoll sein.
45.1 Grundlagen
45.1.1 Operationsindikation 45.1.3 Teamkonzept
Indikationsstellung Von zentraler Bedeutung ist die Zusammenarbeit in einem Team aus
Die Möglichkeit zur Funktionsbesserung sind stark von der Höhe Ärzten, Krankengymnasten, Ergotherapeuten und Psychologen, die
der Querschnittslähmung abhängig. Oberhalb von C5 ist keine mit querschnittsgelähmten Patienten und motorischen Ersatzopera-
­chirurgische Verbesserung möglich. Bei einer Schädigung auf Höhe tionen vertraut sind. Es ist von Vorteil, solche Operationen an Quer-
C5 lässt sich nur eine rudimentäre Funktion erzielen, bei C6–C8 sind schnittsgelähmtenzentren in Kooperation mit einem Handchirurgen
deutlich günstigere funktionelle Ergebnisse möglich. durchzuführen.
> Insgesamt können mindestens 70% aller Tetraplegiker von
funktionellen Operationen profitieren (Moberg 1979).
45.2 Operationstechniken
Mittels motorischer Ersatzoperationen wird zuerst die die Ellbogen-
und Handgelenkstreckung wiederhergestellt oder gebessert, dann 45.2.1 Wiederherstellung der Ellbogenstreckung
ein passiver oder aktiver Kneifgriff zwischen Zeigefinger und Dau- (Trizepsfunktion)
men (Schlüsselgriff) geschaffen, bei genügend Spendermuskeln er-
gänzt durch eine aktive Daumen- und Fingerbeugung. Zentrale Be- Der M. triceps brachii wird aus dem Segment C7 versorgt und ist
deutung hat die Handgelenkstreckung, da durch den bei der Funk- daher nach einer Schädigung des Rückenmarks im Halsbereich
tionshand gebildeten Tenodeseeffekt das Öffnen oder Schließen der ­(Tetraplegie) meist gelähmt. Bei Tetraplegikern mit hohem und
Finger und des Daumens möglich wird. Zudem werden Umstel- mittlerem Läsionsniveau und fehlender Ellbogenextension ist der
lungsosteotomien, Arthrodesen und Tenodesen genutzt. Aktionsradius der Hand minimal, sie kann nur durch eine schleu-
Hierbei ist unabdingbar, dass die chirurgische Rehabilitation mit dernde Trickbewegung gegen die Schwerkraft vom Körper wegbe-
größter Sicherheit zu einer Verbesserung der Gebrauchsfähigkeit der wegt und im Raum platziert werden: Neu gewonnene Greiffunkti-
oberen Extremität für den Patienten führt. Dies setzt eine sorgfältige onen wären kaum einsetzbar.
Untersuchung und Beratung des Patienten voraus, um gemeinsam
> Die Wiederherstellung der Funktion des M. triceps brachii
einen Behandlungsplan aufzustellen, der das zu erwartende Ergebnis
ist integraler Bestandteil der chirurgischen Rehabilitation
und den individuellen Gewinn detailliert vorhersagt (Fridén 2005).
der oberen Extremität von Tetraplegikern, weil die aktive
Mit der international gültigen Klassifikation kann die Indikation
Ellbogenstreckung unbedingt notwendig ist, um die Hand
45 zur Operation unter Berücksichtigung der noch vorhandenen Funk-
tion exakt festgelegt werden. Entscheidend für die Eingruppierung
im Raum einzusetzen und Manöver zur Druckentlastung
(der Sitz- oder Liegefläche) durchzuführen.
ist die Anzahl der gegen Widerstand beweglichen und damit trans-
ponierbaren Muskeln (Kraftgrad >M4; . Tab. 38.5; McDowell et al. Zudem beruhen viele Techniken zur Wiederherstellung der Greif-
1986). funktion der Hand auf einer Transposition des M. brachioradialis,
dessen beugende Wirkung am Ellbogen nach einer Transposition
Kontraindikationen neutralisiert oder antagonisiert werden muss, um eine gute Steuer-
Es gelten die allgemeinen Regeln motorischer Ersatzoperationen, barkeit der Hand zu erreichen.
v. a. müssen die betroffenen Gelenke passiv frei beweglich und die Zur Wiederherstellung der Ellbogenstreckung gibt es 2 klas-
Patienten zur aktiven Nachbeübung motiviert und fähig sein. sische Möglichkeiten:
45.2 · Operationstechniken
395 45
4 die Transposition des hinteren M.-deltoideus-Anteils (Moberg Spina scapulae über dem hinteren Anteil des M. deltoideus und
1979) und reicht etwa 5 cm nach distal, sodass die Tuberositas des M. del-
4 die Umlagerung des M. biceps brachii (Nigst 1991; Mohammed toideus dargestellt wird. Der M. deltoideus wird mobilisiert und
et al. 1992). die Grenze zwischen dem mittleren und dem hinteren Anteil
bestimmt (. Abb. 45.1a).
Erstere Technik hat den Nachteil, dass ein Interponat zwischen dem Der hintere Muskelanteil wird identifiziert und mit dem Periost
distalen Deltoideusende und der Trizepssehne notwendig ist. Nach- abgelöst. Hierbei muss die dorsal gelegene Aponeurose des
teil der M. biceps-Transposition ist, dass sie die Ellbogenbeugung Spendermuskels unbedingt erhalten und bei der Ablösung des
schwächt. Muskels eingeschlossen werden, da sie als einzige Struktur genug
Die Verfahrensauswahl beruht primär auf einer genauen körper- Stabilität zur Befestigung des Sehnentransplantates bietet. Sie
lichen Untersuchung mit manueller Prüfung der Muskelkraft, wei- reicht mit ihrem distalen Anteil durchschnittlich bis 16 mm pro-
terhin in Absprache mit dem Patienten auf den unterschiedlichen ximal des Apex der Insertion. Bei der weiteren Präparation sind
Nachbehandlungsschemata. der N. axillaris, der N. radialis und die A. circumflexa humeri zu
schonen.
Operationstechnik. Als Standardtechnik soll hier die Transposition 4 Gewinnung des Sehnentransplantats des M. tibialis anterior:
des hinteren M.-deltoideus-Anteils kurz dargestellt werden: Die Die Sehne des M. tibialis anterior wird durch eine anteriore In-
Operation erfolgt in Rückenlage des Patienten mit frei beweglicher, zision an ihrer Insertion und am muskulotendinösen Übergang
steriler Auslagerung des Arms in leichter Abduktion auf dem Hand- durchtrennt und herausgezogen (. Abb. 45.1b).
tisch, in Blutleere (250 mm Hg) und Intubationsnarkose oder Ple- 4 Proximale und distale Verbindung von M. deltoideus und
xusanästhesie mit Blockade des N. axillaris. Es erfolgt die Desinfek- M. triceps: Der hintere Anteil des M. deltoideus wird nach pro-
tion und sterile Desinfektion der gesamten oberen Extremität und ximal mobilisiert, und es wird ein subkutaner Tunnel von der
des gegenseitigen Unterschenkels zur Sehnentransplantatentnahme. Insertion des M. deltoideus zur distalen Trizepssehne durch
4 Darstellung des M. deltoideus (pars posterior): Der Zugang eine dorsale Inzision auf Höhe des Olekranons geschaffen
beginnt über eine S-förmige Inzision etwa 2 cm unterhalb der (. Abb. 45.1c). Die Sehne des M. deltoideus und das Sehnen-

a c

b d

. Abb. 45.1 a Trennung des hinteren vom vorderen Anteil des M. delto- laufender Technik vernäht. e Distale Fixierung zwischen Sehnentransplantat
ideus, der mit dem Periost und der dorsal gelegenen Aponeurose abgelöst und Trizepssehne. f Stahlmarkierungen zur postoperativen Abstandskon-
wird. b Entnahme der Sehne des M. tibialis anterior durch anteriore Inzision. trolle zwischen Spendermuskel (M. deltoideus), Sehneninterponat und
c Proximale Mobilisierung des hinteren Anteils des M. deltoideus und sub- Empfängermuskel (M. triceps brachii), z. B. um eine Überdehnung frühzeitig
kutane Tunnelierung bis zum Olekranon für das Sehnentransplantat. d Die erkennen zu können (g Nachbehandlung mit spezieller Armstütze). h Erheb­
Sehne des M. deltoideus und das Sehnentransplantat des M. tibialis anterior liche Erweiterung des Aktionsradius der Hand durch Wiederherstellung der
werden proximal etwa 5 cm überlappend mit 5-0-Ethibon-Nähten in fort- Ellbogenstreckung. (Aus Fridén et al. 2008)
396 Kapitel 45 · Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern

e g

f h
. Abb. 45.1 (Fortsetzung)

transplantat des M. tibialis anterior werden proximal etwa 5 cm Die Nachbehandlung der Deltoideustransposition wurde von
überlappend mit 5-0-Ethibon-Nähten in fortlaufender Technik Moberg (1975, 1979) genau beschrieben. Die Ellbogenstreckung
vernäht (. Abb. 45.1d). darf nur schrittweise um 15° pro Woche gesteigert werden, um eine
Das Sehnentransplantat wird an der distalen Sehnenverbindung Überdehnung der Sehnennaht zu verhindern. Die Schulterabduk­
durch mehrere Schlitze in der flachen Trizepssehne gezogen und tion ist zu vermeiden (Fridén 2005). Ab einer Flexion von 90° kann
festgenäht (. Abb. 45.1e). Die Muskel-Sehnen-Einheit wird in die Schiene abgenommen und die Arbeit gegen Widerstand erlaubt
eine mittlere passive Spannung gebracht, indem der Arm mit werden.
extendiertem Ellbogen an den Körper gelegt wird.
45 Zur Markierung werden an 4 verschiedenen Positionen rostfreie
Stahlnähte der Stärke 3-0 eingebracht:
Nachuntersuchung. Bei der standardmäßigen Nachuntersuchung
der Patienten nach 4 und 6 Wochen sowie 3 und 6 Monate nach der
5 an der Deltoideussehne, Operation werden Röntgenbilder angefertigt, auf denen sich der
5 am proximalen Ende des Sehnentransplantates, ­Abstand zwischen den Markierungen 1 und 2 (definiert als das pro-
5 am distalen Ende des Sehnentransplantates, ximale Intervall) und zwischen 3 und 4 (distales Intervall) unter
5 an der Trizepssehne im Abstand von 3 cm (. Abb. 45.1f). Verwendung eines Kalibrierungslineals messen lässt. So kann eine
Überdehnung frühzeitig erkannt und z. B. das Beübungsprogramm
Nachbehandlung. Nach eingehendem Wundverschluss und Ver- angepasst werden.
bandanlage wird ein gespaltener Oberarmgips in etwa 10–15° Ellbo-
genstreckung angelegt.
45.2 · Operationstechniken
397 45

. Tab. 45.1 Internationale Einteilung der Voraussetzungen einer beabsichtigten chirurgischen Rekonstruktion der Arm- und Handfunktion
bei Tetraplegie. (Nach McDowell et al. 1986, mod. nach Nigst 1991)

Gruppe Sensibilität Charakteristika entsprechend der transponierbaren Beschreibung der Funktion


Muskeln

0 Oa oder Cub Kein transponierbarer Muskel unterhalb des Ellbogens Flexion und Supination des Ellbogens

1 M. brachioradialis (BR) Flexion des Ellbogens in Pronation

2 + M. extensor carpi radialis longus (ECRL) Handgelenksstreckung (schwach oder kräftig)

3 + M. extensor carpi radialis brevis (ECRB) Handgelenkstreckung

4 + M. pronator teres (PT) Streckung und Pronation des Handgelenks

5 + M. flexor carpi radialis (FCR) Handgelenksbeugung

6 + M. extensor digitorum Extrinsische Fingerstreckung (teilweise oder


alle Finger)

7 + M. extensor pollicis longus Extrinsische Daumenstreckung

8 + M. flexor digitorum Schwache Fingerbeugung

9 Nur Fehlen der intrinsichen Muskulatur Extrinsische Fingerbeugung

10 Ausnahmen
a
O=»ocular«: Adäquates Sehvermögen, Augenkontrolle (2-Punkte-Diskrimination am Daumen >10 mm).
b
Cu=»cutaneous«: Nützliche sensorische Afferenzen von den Händen vorhanden=kutane Sensibilität (2-Punkte-Diskriminierung an der Daumen­
kuppe ≥10 mm).

45.2.2 Wiederherstellung der Greiffunktion zusätzliche Tenodese des M. flexor pollicis longus am Radius ver-
nach Gruppen der Internationalen stärkt. Die erreichte Greifform ist schwach und passiv, da sie voll-
Klassifikation (IC) kommen von der Position des Handgelenks abhängt, bedeutet aber
einen erheblichen Funktionsgewinn. Sie ermöglicht einseitiges Hal-
Bei der Rekonstruktion der Greiffunktion hängt die Wahl des Ein- ten und Handhaben von leichten Gegenständen, z. B. von Papieren,
griffs eng mit der Anzahl zur Umlagerung geeigneter und zur Ver- einer Zahnbürste oder Gabel (. Abb. 45.2).
fügung stehender Muskeln zusammen, die eine Gruppeneinteilung
bestimmt (. Tab. 45.1). Aktiver Schlüsselgriff (M.-brachioradialis-
Transposition auf den M. flexor pollicis longus)
Gruppe IC 0 Besteht neben dem M. brachioradialis dank des zusätzlich funktio-
Diese Patienten verfügen über keinen für eine motorische Ersatzpla- nierenden M. extensor carpi radialis longus (ECRL) eine aktive,
stik nutzbaren Muskel unterhalb des Ellbogens, und so sind durch kräftige Handgelenkstreckung, besitzen die Patienten durch den
Muskeltranspositionen bei diesen Patienten keine Funktionsverbes-
serungen an der Hand zu erzielen. Durch die Implantation von Elek-
troden zur Aktivierung von Muskeln unterhalb des Läsionsniveaus
lässt sich jedoch z. B. eine nützliche Greiffunktion zwischen Dau-
men und Zeigefinger wiederherstellen. Der Nachteil des Verfahrens
liegt darin, dass der Patient darauf angewiesen ist, dass die äußeren
Impulsgeber täglich neu angebracht werden. Neben dem hohen
technischen Aufwand haben die hohen Primär- und Folgekosten
dazu geführt, dass das System seit einigen Jahren aus wirtschaft-
lichen Gründen nicht mehr für Neuimplantationen zur Verfügung
steht (Landi 2003).

Passiver Schlüsselgriff (Operation nach Moberg)


Ist nur der M. brachioradialis zur Transposition verfügbar und reicht
die Restfunktion des M. biceps und des M. brachialis zur Ellbogen-
beugung aus, kann mit seiner Hilfe die Handgelenkstreckung wie-
derhergestellt und damit der natürliche Tenodeseeffekt geschaffen
werden. . Abb. 45.2 Nach der Wiederherstellung der Handgelenkstreckung durch
Durch Transposition des M. brachioradialis auf die radialen den M. brachioradialis und FPL-Tenodese am Radius (Operation nach
Handgelenkstrecker werden eine globale Fingerbeugung (»grasp«) Moberg) wird bei einem Patienten der Gruppe 1 eine aktive Funktionshand
und ein lateraler Kneifgriff zwischen Daumen und Zeigefinger (»key geschaffen, die das Halten und Manipulieren leichter Objekte ermöglicht.
pinch« oder Schlüsselgriff) geschaffen, dessen Wirkung sich durch (Aus Gohritz et al. 2007)
398 Kapitel 45 · Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern

Tenodeseeffekt eine schwache Greifmöglichkeit, jedoch keine Kraft


gegen Widerstand.
Der M. brachioradialis motorisiert den M. flexor pollicis longus
(FPL) zur Rekonstruktion eines aktiven Schlüsselgriffes (. Abb. 43.4).
Aufgrund der fehlenden aktiven Daumenstreckung kann hier leicht
eine funktionell ungünstige Hyperflexion des Daumenendgliedes
entstehen, die durch eine Zügelung des Daumenendgelenks durch
Transposition eines distal gestielten Streifens der M.-flexor-pollicis-
longus-Sehne auf die lange Daumenstrecksehne verhindert werden
kann (Mohamed et al. 1992). Die aktivierte FPL-Funktion schafft
einen aktiven, kräftigen und steuerbaren Schlüsselgriff und erlaubt
es, größere Gegenstände zu halten und auch gegen Widerstand zu
bewegen. Dies erleichtert z. B. das An- und Auskleiden und macht
das Katheterisieren der Blase ohne fremde Hilfe erst möglich.

Globales Einrollen der Finger zum Faustschluss


a (»grasp«)
Funktionieren neben dem M. brachioradialis beide radialen Handge-
lenksstrecker, kann der motorische Ersatz der tiefen Fingerbeuger
durch den ECRL einen globalen Faustschluss (gleichzeitige Greif­be­we­
gung aller Finger) schaffen. Damit die Hand nicht geschlossen bleibt,
ist es sinnvoll, durch Sehnentransposition (z. B. PT-pro-EDC-Trans-
position) oder Tenodese auch die Fingerstreckung zu ermög­lichen.
Diese Operationen geben dem Patienten einen Lateralgriff und
eine Greifmöglichkeit der gesamten Hand mit Kraft (»grasp«), mit
der er größere Gegenstände, wie z. B. Flaschen, Mobiltelefone oder
Gegenstände mit Griff oder Henkel handhaben kann. Dies ermög­
licht ihm oft eine fast vollkommene Unabhängigkeit beim Anziehen,
bei der Pflege der oberen Körperhälfte, beim Essen und bei der Zu-
bereitung von Mahlzeiten sowie beim Bewegen des Rollstuhlrades
(. Abb. 45.3a, b).

Gruppe IC 3
b
In der Gruppe IC 3 funktionieren neben dem M. brachioradialis bei-
de radialen Handgelenkstrecker, also ECRL und M. extensor carpi
radialis brevis (ECRB). Neben dem aktiven Schlüsselgriff durch BR-
auf-FPL-Transposition ermöglicht der motorische Ersatz der tiefen
Fingerbeuger durch den ECRL einen globalen Faustschluss (gleich-
zeitige Greifbewegung aller Finger). Damit die Hand nicht geschlos-
sen bleibt, ist es sinnvoll, auch die Fingerstreckung zu reaktivieren.
Aufgrund der gegensätzlichen Nachbehandlung müssen die Hand-
öffnung und der Handschluss getrennt voneinander und zweizeitig
im Abstand von mindestens 3–6 Monaten durchgeführt werden. Die
Reihenfolge hängt von der Philosophie der Chirurgen ab. Oft wird,
wie beim natürlichen Greifvorgang, zunächst die Handöffnung re-
konstruiert (Leclercq 2002).
Die Streckung von Fingern und Daumen wird passiv durch Te-
nodese am Radius erreicht (Moberg 1979). Neben der Tenodese der
Daumen- und Fingerstrecker kann simultan der Daumenstrahl
durch Sattelgelenksarthrodese dem Zeigefinger beim Schlüsselgriff
c
gegenübergestellt werden. Eine aktive Motorisierung ist z. B. durch
. Abb. 45.3a–c Vergleich der Greifmöglichkeit eines 21-jährigen Tetraple- den M. pronator teres möglich. Die intrinsische Funktion der
45 gikers der Gruppe 7 zur Bewegung des Rollstuhlrades a vor und b nach
Rekonstruktion eines Schlüsselgriffs zwischen Daumen und Zeigefinger
Mm. interossei wird mit der »Lassotechnik« nach Zancolli wieder-
hergestellt (Zancolli 1975), um zu verhindern, dass die Aktivierung
mittels BR-pro-FPL-Transposition. c Globalgriff mit Beugung der Finger der Fingerbeugung zur Bildung einer »Kralle« führt, durch die alle
durch ECRL-pro-FDP-Transposition (Operation nach Lamb). (Aus Gohritz kleineren Gegenstände hindurch fallen können.
et al. 2007) Die Fingerbeuger werden durch den M. extensor carpi radialis
longus ersetzt, der lange Daumenbeuger durch den M. brachiora­
dialis, verbunden mit der oben beschriebenen Stabilisierung des
Daumensattelgelenks.
Diese Operationen geben dem Patienten einen Lateralgriff und
eine Greifmöglichkeit der gesamten Hand mit Kraft (»grasp«), mit
45.2 · Operationstechniken
399 45
der er große Gegenstände, wie z. B. Flaschen, Mobiltelefone oder
Gegenstände mit Griff oder Henkel handhaben kann. Dies ermögli-
cht ihm oft eine fast vollkommene Unabhängigkeit beim Anziehen,
Waschen der oberen Körperhälfte, Essen und der Zubereitung von
Mahlzeiten.

Gruppen IC 4 und 5
Bei diesen Untergruppen wird die gleiche therapeutische Strategie
angewendet, weil zusätzlich der M. pronator teres (PT) für eine mo-
torische Ersatzplastik verfügbar ist. Der in Gruppe 5 zusätzlich ak-
tive M. flexor carpi radialis (FCR) wird als wichtiger Handgelenk­
stabilisator nicht verlagert. In beiden Gruppen stehen also der BR,
der ECRL und der PT für die Wiederherstellung der aktiven Finger-
und Daumenstreckung, Fingerbeugung und Daumenbeugung zur
Verfügung.
Hierdurch ist der gleiche Funktionsgewinn wie in Gruppe 3
a
möglich, zudem fällt durch die aktive Handöffnung das Ergreifen
größerer Gegenstände (z. B. Flaschen) leichter. Der gleichmäßigere
Muskeltonus wirkt sich positiv auf die Ästhetik der Hand und den
zwischenmenschlichen Kontakt (Handgeben oder Liebkosen) aus.

Gruppe IC 6
Hier liegt eine schwache Streckung der Finger vor, nicht aber des
Daumens. Dieser nicht antagonisierte Streckertonus kann zu einer
flachen, permanent gestreckten Hand führen, auf die der Tenode-
seeffekt des Handgelenks kaum wirken kann, sodass sich ohne vor-
bereitende Maßnahmen keine funktionell wertvolle Ersatzfunktion
zwischen Daumen und Zeigefinger ergibt.
In einem ersten Schritt wird die Daumenstreckung wiederher-
gestellt, entweder durch seitliche Naht der EPL-Sehne an ausrei-
chend kräftige Fingerstrecker oder durch Tenodese am Radius.
Simultan wird die Funktion der Mm. interossei mittels Lassoplastik
wiederhergestellt. Der zweite Operationsschritt entspricht dem
zweiten Operationsschritt für die Gruppen 4 und 5. Der BR kann b
entweder zur Verstärkung der Flexions-Abduktions-Bewegung des
Daumens oder der Lassowirkung verwendet werden.

Gruppe IC 7
Bei intakter Daumen- und Fingerstreckung kann die Rekonstruk­
tion auf der Beugeseite ohne Operationen der Streckseite rekons­
truiert werden, meist durch Motorisierung der Fingerbeuger mit-
tels ECRL. Für die Daumenbeugung werden der BR oder der PT
verwendet.
Mittels weiterer für motorische Ersatzoperationen nutzbarer
Muskeln kann die Greifform verfeinert werden, z. B. durch Lasso­
plastik (mittels M. brachioradialis), Antepulsionsplastik oder Re-
konstruktion der Palmarabduktion des Daumens (durch M. exten-
sor digiti minimi oder M. extensor indicis) oder Opponensplastik
(mittels M. brachioradialis oder M. flexor carpi ulnaris).
Die Transposition des M. digiti minimi auf den gelähmten
c
M. abductor pollicis brevis ermöglicht eine exakte Positionierung
der Daumenkuppe auf der Radialseite des Zeigefingers und ei- . Abb. 45.4 a Mobilisierung, distale Absetzung und b Durchzug des
nen in Kraft und Richtung dosierbaren subterminalen Griff, mit M. digiti minimi durch die Membrana interossea zur Motorisierung des
dem selbst kleine und runde Gegenstände, wie z. B. Tabletten, be- gelähmten M. abductor pollicis brevis. c Nach Neuinsertion gewinnt
herrscht und feinmotorische Tätigkeiten bewältigt werden können der Patient die Palmarabduktion des Daumens wieder und kann so den
(. Abb. 45.4). 1. Zwischenfingerraum aktiv öffnen und die Daumenkuppe auf der Radial-
Die Lasso- und die Opponensplastik verstärken den Grobgriff seite des Zeigefingers positionieren und Kraft sowie Richtung des sub­
und schaffen damit eine annähernd normale Handfunktion. terminalen Griffs abstimmen. (Aus Gohritz et al. 2007)

Gruppe IC 8 und 9
Bei diesen Patienten entspricht das motorische Defizit weitgehend
einer kombinierten peripheren Lähmung von N. medianus und
400 Kapitel 45 · Funktionsverbesserung der oberen Extremität von Tetraplegikern

N. ulnaris und wird wie bei Patienten mit peripherer Nervenläsion


angegangen. Mögliche Ursachen von Komplikationen
4 Fehler in der Planung (z. B. Wahl eines zu schwachen Spen-
Gruppe 10 ders, dessen Kraftgrad präoperativ überschätzt wurde)
Die Gruppe 10 (X, »exceptional«) umfasst alle Patienten, deren Läh- 4 Fehler in der operativen Umsetzung (v. a. ungenügende
mungsmuster sich nicht in die Internationale Klassifikation einteilen Spannung eines verlagerten Muskels)
lässt, z. B. inkomplette Lähmungen oder Patienten mit kombinierten 4 Fehlerhafte Nachbehandlung (Ausreißen oder Überdeh-
zentralen und peripheren Ausfällen. Der Anteil dieser Patienten nung der Sehnennaht)
nimmt zu. Ihre Arm- und Handfunktion lässt sich, z. B. aufgrund
von Spastiken, oft nicht mit den gleichen algorithmischen Konzep-
ten rekonstruieren wie bei den klar klassifizierbaren Lähmungsmu- > Schlechte subjektive Bewertungen spiegeln oft weniger
stern der Gruppen 1–9. die funktionellen Ergebnisse, sondern eher wirklichkeits-
ferne Erwartungen mancher Patienten wider, woraus die
Wichtigkeit einer klaren und realistischen Information
45.2.3 Kombination von Beuger- über die Möglichkeiten und Grenzen dieser Konzepte er-
und Streckerphase kennbar wird.

> Aufgrund der gegensätzlichen Nachbehandlung müs


sen Handschluss und -öffnung normalerweise zweizeitig 45.3.1 Zusammenfassung
im Abstand von mindestens 3–6 Monaten durchgeführt
werden. Die chirurgische Funktionsverbesserung der oberen Extremität bei
Tetraplegie ist seit Jahren in einigen Ländern fester Bestandteil der
Die Reihenfolge hängt von der Philosophie der Chirurgen ab, man- Versorgung dieser Patienten. Die Indikationen können global nach
che rekonstruieren erst die funktionell wertvollere Beugephase, an- der Höhe der Rückenmarkläsion und nach der Anzahl der zur Trans-
dere, wie beim natürlichen Greifvorgang, zunächst die Handöff- position geeigneten Muskeln bestimmt werden.
nung. Handchirurgische Eingriffe bei neurologisch stabilen Halsmark-
Die Probleme hierbei sind das größere Operationsrisiko, insbe- verletzten mit der Motivation zur intensiven Nachbehandlung bieten
sondere für Adhäsionen, und die Scheu vieler Patienten vor einer gute Chancen, die Arm- und Handfunktion so zu bessern, dass sich
zweimaligen Operation und Nachbehandlung. Als Alternative kön- der Patient mit eigener Kraft fortbewegen und unabhängiger von
nen daher auch die Beugerphase mit zusätzlichen Eingriffen zur Hilfe aus der Umgebung sein kann.
Verbesserung der intrinsischen Handfunktion (Operation nach Es handelt sich um eine hochspezialisierte Form der Chirurgie,
House zur M.-interosseus-Tenodese) und Eingriffen zur Handöff- die eine exzellente Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen im
nung (z. B. EPL-Tenodese, CMC-Arthrodese) und Verhinderung Behandlungsteam erfordert und optimal in Zentren stattfindet, die
der Radialdeviation des Handgelenks bei Extension (ECU-Teno- auf die Versorgung dieser empfindlichen Patienten spezialisiert sind.
dese) kombiniert werden. Dann führt sie im Regelfall zu einer erheblichen Verbesserung der
funktionellen Möglichkeiten der Patienten, auch wenn es nicht mög-
lich ist, eine normale Hand zu schaffen.
45.2.4 Zusatzoperationen bei Spastik > Jeder Halsmarkgeschädigte sollte daher nach einer einge-
henden Untersuchung durch einen Handchirurgen über
In den letzten Jahren sind bei der stetig ansteigenden Anzahl
Möglichkeiten einer chirurgischen Funktionsbesserung in-
von inkompletten Rückenmarklähmungen Korrekturoperation bei
formiert werden.
spastisch verkürzten Muskeln an der Hand notwendig. Hier sind v. a.
nützlich (Fridén u. Reinholdt 2008):
4 Sehnenverlängerungen (FDS und FDP),
Literatur
Bühren V,Potulski J, Jaksche H (1999) Chirurgische Versorgung bei Tetraple-
4 »release« des M. interossei (Littler 1966)
gie. Unfallchirurg 102: 2–12
4 »release« des M. adductor pollicis,
Fridén J (2005) Neue Konzepte zur Rekonstruktion der Arm- und Handfunkti-
4 Tenomyotomien (z. B. Handgelenksbeuger). on bei Tetraplegie – Grundlagenforschung und klinische Anwendung.
Handchir Mikrochir Plast Chir 37: 223–229
Fridén J, Reinholdt C (2008) Current concepts in reconstruction of hand func-
45.3 Ergebnisse und Komplikationen tion in tetraplegia. Scand J Surg 97: 341–346
Fridén J, Gohritz A, Herold C, Knobloch K, Vogt PM (2008) Transposition des
Die dargestellten Operationen sind sicher und haben sich auch in hinteren M. deltoideus auf den M. triceps. Operation zur Wiederherstel-

45 Langzeitstudien bewährt. In der Regel sind die Patienten mit dem lung der Ellenbogenstreckung. Unfallchirurg 111: 102–106
erreichten Ergebnis zufrieden. In kaum einem anderen Gebiet Gohritz A, Fridén J, Herold C, Aust M, Spies M, Vogt PM (2007) Ersatzoperatio-
nen bei Ausfall motorischer Funktionen an der Hand. Unfallchirurg 110:
scheint es möglich, Patienten schon durch kleine Fortschritte einen
759–776
so großen Gewinn zu schenken:
Hentz VR, Leclercq C (2002) Surgical rehabilitation of the upper limb in tetra-
plegia. WB Saunders, London
If you have nothing, a little is a lot. (Sterling Bunnell) Landi A (2003) Update on tetraplegia. J Hand Surg (Br) 28 (3): 196–204
Leclercq C (2002) Surgical rehabilitation for the weaker patients (Groups 1
Fehler (. Übersicht) sind extrem selten, können den Operationser- and 2 of the International Classification) in the tetraplegic upper limb.
folg aber schmälern oder verhindern. Hand Clin 18: 461–480
45.3 · Ergebnisse und Komplikationen
401 45
Littler JW (1966) Restoration of the oblique retinacular ligament for correct-
ing hyperextension deformity of the proximal interphalangeal joint. In:
La main rhumatismale. Expansion Scientifique Française, Paris
McDowell CL, Moberg E, House JH (1986) The second international confer-
ence on surgical rehabilitation of the upper limb in tetraplegia. J. Hand
Surg (Am) 11: 604–608
Moberg E (1975) Surgical treatment for absent single hand grip and elbow
extension in quadriplegia. J Bone Joint Surg 57A: 196–206
Moberg E (1979) The upper limb in tetraplegia. A new approach in surgical
rehabilitation. Thieme, Stuttgart
Mohamed KD, Rothwell AG, Sinclair SW (1992) Upper limb surgery for tetra-
plegia. J. Bone Joint Surg (Br) 74 : 873–879
Nigst H (1991) Mototrische Ersatzoperationen der oberen Extremität. Band 3:
Operationen an Tetraplegikern. Hippokarates, Stuttgart
Rothwell AG, Sinnott KA., Mohammed KD, Dunn JA., Sinclair SW (2003) Upper
limb surgery for tetraplegia: A 10-year re-review of hand function. Hand
Surg (Am) 28: 489–497
Zancolli E (1975) Surgery for the quadriplegic hand with active, strong wrist
extension preserved. Clin Orthop 112: 101–113
Zancolli E (1979) Quadriplegia. In: Zancolli E (ed) Structural and dynamic
bases of hand surgery, 2nd edn. Lippincott, Philadelphia, pp 263–283
46

Motorische Ersatzoperationen
an der unteren Extremität
P.M. Vogt

46.1 Operationsindikationen – 404


46.1.1 Ischiadikusparese – 404
46.1.2 Femoralisparese – 404
46.1.3 Peronäusparese – 404
46.1.4 Quadrizepsersatz – 405
46.1.5 Funktionswiederherstellung der Fußhebung – 406

46.2 Postoperative Kontrollen – 409

46.3 Komplikationen – 409

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
404 Kapitel 46 · Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität

Funktionswiederherstellende Operationen irreparabler Nervenaus- > Wegen der Gefahr von Druckulzerationen – in der Hälfte
fälle der unteren Extremität wurden ursprünglich bei Poliomyelitis, der Fälle kontrakurbedingt – bestehen für die fixierte Kral-
später bei Traumafolgen angewandt. Bei letzterer Indikation ist im- lenzehenbildung Indikationen für Tenotomien und Arthro­
mer die Möglichkeit der Nervenrekonstruktion zu prüfen und ent- tomien und ggf. plastische Weichteilrekonstruktionen
sprechend den Grundsätzen der peripheren Nervenchirurgie durch- (Siliski u. Voss 1991).
zuführen (7 Kap. 43, 45).
> Bei irreparablem Nervenschaden ist mit dem Patienten die
Möglichkeit des Sehnentransfers als Alternative zu ortho-
46.1.2 Femoralisparese
pädischen Hilsmitteln (Gehhilfen, Schienen, Orthesen) zu
Die N.-femoralis-Parese resultiert in einem Verlust der aktiven
erörtern.
Streck­fähigkeit im Kniegelenk. Von einigen Autoren wird dieser
Dabei konkurrieren die vom Plastischen Chirurgen vorgeschlagenen Verlust als nicht sonderlich belastend beschrieben, da allenfalls bei
tendoplastischen Maßnahmen durchaus mit den gängigen orthopä- besonderen Geländeanforderungen eine Knieinstbilität auffalle. So
dischen Behandlungsoptionen wie knöcherne Fusionen mit und kann zwar auf ebenem Boden durch Schwerpunktverlagerung der
ohne zusätzliche Sehnentransfers. Verlust der Kniestabilisierung noch kompensiert werden, auf un­
Die hier vorgestellten Verfahren, die bis auf die frühen orthopä- ebenem Gelände oder beim Treppensteigen kommt es dagegen rasch
dischen Erfahrungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts datieren, zu Gangunsicherheit, Sturzneigung, Fehlbelastungen durch eine
repräsentieren aus plastisch-chirurgischer Sicht effiziente Methoden notwendige Schwerpunktvorverlagerung und bei langem Verlauf zu
mit guter Aussicht auf alltagstaugliche Gangrehabilitation mit hoher sekundärem Gelenkverschleiß. Derartige Langzeitfolgen ließen sich
Patientenzufriedenheit. in der Vergangenheit besonders bei der Poliomyelitis finden, da dort
eine muskuläre Kompensation durch den residualen Muskelmantel
des Oberschenkels nicht gegeben war (Witt 1953).
46.1 Operationsindikationen Heute äußern mehr Patienten den Wunsch nach einer Funk­
tionswiederherstellung der Quadrizepsfunktion.
46.1.1 Ischiadikusparese
> Die Quadrizepsfunktion kann mit hoher Erfolgsaussicht
durch Transfer von Beugemuskeln des Oberschenkels als
> Auch bei fehlendem aktivem Kraftspender (N.-tibialis-Pa-
Kraftspender auf den patellaren Quadrizepsansatz wie-
rese) oder hoher N.-ischiadicus-Parese kann mittels tran-
derhergestellt werden.
sossären Tenodesen bereits eine effiziente plantigrade
Stabilisierung im oberen und unteren Sprunggelenk ohne
die Notwendigkeit aufwendiger knöcherner Fusionen er-
zielt werden. 46.1.3 Peronäusparese

Während bei der Ischiadikusläsion die Knieextension noch möglich Für das Problem der Peronäusparese mit den Symptomen Pes equi-
ist, fallen alle anderen wichtigen Funktionen, wie die Sprunggelenks- novarus und Krallenzehenstellung existiert eine Reihe von funktions­
und Zehenbeweglichkeit aus. Das sensorische Defizit ist erheblich, wiederherstellenden Operationsmethoden, wenngleich auch eine
wobei nur noch der N. saphenus eine Restsensibilität unterhalb des Versorgung mit Rechtwinkelschiene eine einfache Option darstellt.
Kniegelenks bewirkt. Clawson u. Seddon (1960) haben in ihrer groß- Allerdings führen Hautirritationen mit Druckulzerationen zu Sekun-
en Serie an 329 Patienten das Ausmaß der Defizite beschrieben: därkomplikationen. Ein Teil der Patienten lässt die orthetische Ver-
4 Schmerz (58), sorgung weg und akquiriert damit mittelfristig orthopädische Gang-
4 Parästhesie (21%), probleme, wie den sog. Steppergang mit negativen Auswirkungen auf
4 Hyperästhesie (35%), Hüftgelenk und Wirbelsäulenstatik. Im orthopädischen Fachgebiet
4 gestörte vasomotorische Funktion (50%), wird die Fusion im oberen Sprunggelenk oder eine Kombination aus
4 Druckulkus (14%). Triplearthrodese mit posteriorem Knochenblock, Achillsesehnenver-
längerung und Tibialis-posterior-Sehnen-Transfer favorisiert.
Interessanterweise wies eine Vielzahl der Patienten einen relativ Im eigenen plastisch-chirurgischen Vorgehen hat sich die sog.
­hohen körperlichen Aktivitätslevel bis hin zu Sportarten wie Golf, Steigbügelplastik bewährt, bei der mit und ohne Achillessehnenver-
Bergsteigen etc. auf. Dieser Umstand ist immer zu verinnerlichen, längerung, Tenotomien und Tenodesen im Zehenbereich die allei-
wenn z. B. bei langstreckigen Nervendefekten oder auch analogen nige Sehnenverlagerung mit plantigrader Einstellung im oberen
Weichteilschäden der unteren Extremität über den Erhalt der Extre- Sprunggelenk eine sofortige, nach 6 Wochen belastbare funktionelle
mität nachgedacht wird. Insofern wird eine sog. »biologische Stelze« Wiederherstellung ermöglicht (. Abb. 46.1; Steinau et al. 2001).
von den Patienten immer als wertvoller als eine Prothese einge-
schätzt. Ein Teil der Patienten wird wegen Problemen wie Fallfuß
Grundvoraussetzungen für Funktionswiederherstellung
und Klauenzehen eine stabilisiernde Operation wünschen, die im
eigenen Vorgehen durch Tenodesen erreicht wird. Als stabilisierende 4 Vorrangig Beseitigung von fixierten Deformitäten
46 Verfahren kommt aus orthopädischer Sicht eine posteriore Kno- 4 Effiziente und direkte Kraftachse der verlagerten Sehnen
chenblockfusion nach Lambrinudi über eine plantare Arthrodese in 4 Ausreichende Kraft der Spendemuskeln
Frage. 4 Ausreichende Fußstabilität
4 Ossäre Verankerung der transferierten Sehnen
4 Physiotherapie ab gesicherter Einheilung der Sehnen­
transfers
46.1 · Operationsindikationen
405 46

. Abb. 46.1a, b Prinzip der funktionellen Ersatzplastik bei N.-peronaeus- wie des ventralen subkutanen Durchzuges der proximal am Unterschenkel
Parese (»Steigbügelplastik«). a Zur Erzielung optimaler Kraftvektoren bedarf abgetrennten M.-peronaeus-longus-Sehne. b Beide Sehnenenden werden
es des Durchzuges der distal an der medialen Fußwurzel abgetrennten in die M.-tibialis-anterior-Sehne unter plantigrader Einstellung des Fußes
M.-tibialis-posterior-Sehne durch die Membrana interossea nach ventral so­ eingeflochten

46.1.4 Quadrizepsersatz lenk und die bessere Stabilisierung des Knies beim Gehen. Eigene
Erfahrungen an durchgeführten Sehnentransfers zum Quadrizeps­
Nach onkologischen Resektionen des M. quadriceps femoris, trau- ersatz bei onkologisch bedingtem Quadrizepsverlust bestätigen
matischer Muskelzerstörung oder irreparablem Ausfall des N. femo- die erzielbaren guten funktionellen Ergebnisse bei Streckerersatz
ralis resultiert ein mehr oder weniger kompletter Ausfall der aktiven des Kniegelenkes, der durch Steinau et al. (2001) in der onkolo-
Streckfunktion des Kniegelenks mit nicht unerheblichen Defiziten: gischen Chirurgie der Extremitätensarkome Verbreitung erfahren
Während auf ebenem Boden durch Schwerpunktverlagerung der hat (. Abb. 46.2).
Verlust der Kniestabilisierung noch kompensiert werden kann,
> Wichtige Voraussetzung ist, dass eine freie Gelenksbeweg-
kommt es auf unebenem Gelände oder beim Treppensteigen zu
lichkeit ohne Kontrakturen vorliegt sowie eine kräftige
­Gangunsicherheit, Sturzneigung, Fehlbelastungen durch eine not-
Beugemuskulatur vorhanden ist. Gegebenenfalls erfor-
wendige Schwerpunktvorverlagerung und bei langem Verlauf zu
dert eine geringe Muskelkraft der Beuger eine präopera-
sekundärem Gelenkverschleiß. Derartige Langzeitfolgen ließen sich
tive physiotherapeutische Kräftigung.
in der Vergangenheit besonders bei der Poliomyelitis finden, da bei
diesen Patienten eine muskuläre Kompensation durch den resi­ Nach isolierter iatrogener N.-femoralis-Lähmung (z. B. nach gefäß-
dualen Muskelmantel des Oberschenkels nicht gegeben ist. chirurgischen Interventionen oder Hüftgelenkseingriffen) ist oft nur
Heute äußern insbesondere aktive, jüngere Patienten den ein Teilausfall mit Funktionserhalt von Anteilen des M. quadriceps
Wunsch nach einer Funktionswiederherstellung und werden, wie vorhanden, sodass sich der Versuch einer intensiven Physiotherapie
auch die schwierige Gruppe der Poliomyelitispatienten zeigt, mit zum Auftrainieren von Restfunktionen in jedem Fall lohnt und eine
Erfolg operativ zu rehabilitieren sein (Shahcheraghi et al. 1996). funktionsverbessernde Operation entfallen kann.
> Analog zur oberen Extremität eignen sich die Beugemus- Operationstechnik
keln des Oberschenkels als Kraftspender für den Ersatz
Die Operationstechnik ist in . Abb. 46.3 dargestellt.
des Oberschenkelstreckers.
Über einen lateralen Zugang wird die am Fibulakopf inserieren-
Lange hat bereits in den 1930-er Jahren den erfolgreichen Sehnen- de Bizepssehne identifiziert und unter sorgfältiger Schonung des
transfer des M. biceps mit oder ohne zusätzliche Ischiokruralmus- hier unmittelbar dahinter gelegenen N. peronaeus communis am
keln beschrieben (Lange 1932). knöchernen Ansatz scharf abgetrennt. Anschließend wird der M. bi-
Witt (1953) beschrieb die Effizienz des verlagerten M. biceps als ceps nach proximal so weit mobilisiert, dass später ein gerader, nach
Ersatz des M. quadriceps und zeigte die aktive Streckung im Kniege- ventral gerichteter Verlauf eine optimale Kraftentfaltung bewirkt.
406 Kapitel 46 · Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität

. Abb. 46.2 Prinzip des Bizepstransfers zum funktionellen Quadrizepser­ Quadrizepssehne. c Möglichkeit der zusätzlichen Verpflanzung eines Mus­
satz am Oberschenkel. a Mobilisierung der Bizepssehne am Fibulaköpfchen. kels der Pes-anserinus-Gruppe von medial
b Verlagerung nach ventral und Einflechtung in die patellaren Ansätze der

! Cave
Dabei sind auch die segmentalen eintretenden neuro­
46.1.5 Funktionswiederherstellung
vaskulären Bündel zu schonen (→ Innervation und Durch-
der Fußhebung
blutung!). Präoperative Evaluation
Über den am Oberschenkel vorhandenen oder zu schaffenden ven- Besteht das Problem der Peronäusparese mit den Symptomen Pes
tralen Zugang wird anschließend das Septum intermusculare late- equinovarus, Krallenzehenstellung länger, ist in der Regel bereits
rale ausreichend weit eröffnet und der mit einem 0-er Haltefaden eine typische Fehladaptation mit Steppergang eingetreten, die z. T.
armierte Sehnenstumpf nach ventral durchgezogen. Hier wird die durch eine fixierte, mehr oder minder ausgeprägte Spitzfußstellung
Sehne dann in den Periostfaszienanteil der Patella eingeflochten. Bei kompliziert sein kann. Hier sollte ggf. der Versuch einer präopera-
Streckung im Kniegelenk wird anschließend die nötige Vorspan- tiven Rehabilitation unternommen werden, um eine Verbesserung
nung gewählt und mit 0-er Nyloneinzelknopfnähten fest verankert. des Gangbildes zu erreichen.
Nach ausreichender Drainage und Wundverschluss erfolgt die An-
> Eine wesentliche Voraussetzung des Eingriffes ist, dass der
lage eines Oberschenkelgipses, der dann nach Abschluss der Wund-
zu verlagernde Kraftspender M. tibialis posterior über aus-
heilung auf eine Kniegelenksorthese in Streckung für 6 Wochen
reichend Kraft verfügt und v. a. die übrigen Flexoren den
umgesetzt wird.
transpositionsbedingten Verlust kompensieren können.
> Bei der Physiotherapie ist es wichtig, eine Kniegelenks- Kann der Patient den einbeinigen Zehenspitzen- oder Bal-
beugung nicht zu erzwingen und eine externe Kniegelenk­ lenstand ausführen, ist der Verlust des Tibialis posterior
stabilisierung über die Orthese noch zusätzlich für etwa kompensierbar.
3–4 Wochen zu belassen.
Eine fixierte Achillessehnenverkürzung bzw. Spitzfußstellung erfor-
Wesentliche physiotherapeutische Maßnahme ist ein moderates dert ggf. eine Z-förmige Verlängerung. Ausgeprägtere Fehlstellungen
Muskelaufbautraining. Ein wichtiger Aspekt ist, dass eine aktive mit deformierenden Arthrosen sind eher eine Domäne orthopä-
Streckung bis 0° nicht immer erreichbar ist und daher auch nicht disch-chirurgischer dreidimensionaler Korrektur – Osteotomien
erzwungen werden muss, ebenso wenig wie eine Flexion >90° im und Arthrodesen (Wiesseman 1981).
46 Kniegelenk. Somit liegt das Indikationsspektrum der Steigbügelplastik bei
Ist der M. biceps allein nicht ausreichend, kann eine mediale der akuten oder durch moderate fixierte Fehlstellung gekennzeich-
Augmentation durch einen zweiten Muskel aus der Pes-anserinus- neten Fallfußproblematik. Allerdings lassen sich fixierte Krallen­
Gruppe vorgenommen werden (. Abb. 46.2c). zehenfehlstellungen recht gut durch Tenoarthrotomien analog zur
Achillessehne korrigieren.
46.1 · Operationsindikationen
407 46

Operatives Vorgehen
Im eigenen plastisch-chirurgischen Vorgehen hat sich die sog. Steig-
b bügelplastik (7 Kap. 46.1.3 und . Abb. 46.1) bewährt, bei der mit und
ohne Achillessehnenverlängerung, Tenotomien und Tenodesen im
Zehenbereich die alleinige Sehnenverlagerung mit plantigrader Ein-
stellung im oberen Sprunggelenk eine sofortige, nach 6 Wochen be-
lastbare funktionelle Wiederherstellung ermöglicht (. Abb. 46.4;
Steinau et al. 2001). Im Gegensatz zu den gängigen Verfahren mittels
gabelförmig distal gesplitteter M.-tibialis-posterior-Sehne (»Bridle
procedure«; Mizel et al. 1999) wird hier ein sog. »rerouting« der
M.-peronaeus-longus-Sehne nach anterior mit biomechanisch ver-
besserter Fußeinstellung vorgenommen.
Im Rahmen onkologischer Resektionen der M.-tibialis-anterior-
Gruppe liegt meisten ein offener Situs vor, der gute Übersicht bietet.
Ansonsten wird die in . Abb. 46.4 angegebene Schnittführung
verwendet.
Der Eingriff wird regelhaft in Blutleere durchgeführt. Zuerst er-
folgen nach nochmaliger intraoperativer Prüfung der Gelenksbe-
weglichkeit die Inzision medial zur Abtrennung des M.-tibialis-pos-
c terior-Ansatzes und der Durchzug nach kranial über eine mediale
Inzision hinter der Tibiahinterkante. Danach wird das nunmehr
. Abb. 46.3a–d Quadrizepsersatz: Intraoperativer Aspekt nach Resektion
der gesamten rechtseitigen Oberschenkelstreckmuskulatur wegen eines
freie Sehnenende über eine von ventral angebrachte S-förmige In­
Fibrosarkoms. a Laterales Absetzen der Bizepssehne nahe am Fibulakopf zision über das Retinaculum extensorum transmembranös durch
nach Darstellung und Schonung des N. peronaeus. b Einflechten in die kra­ die Membrana interossea nach ventral ausgeleitet. Wichtig ist die
nial der Patella verbliebenen periostalen Quadrizepssehnenansätze (An­ Vermeidung jeglichen Hautkontaktes der Sehne (Reduktion der In-
sicht von ventral). c Fertiggestellte Muskeltransposition. d Exzellente fektionsgefahr), die im eigenen Vorgehen analog zur oberen Extre-
Kniestabi­lisierung nach Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme bei der mität in feuchte Kompressen eingeschlagen wird.
stark adipösen Patientin mit guter Gangstabilität im Alltag Anschließend wird von lateral wie in . Abb. 46.4 wiedergegeben
die M.-peronaeus-longus-Sehne proximal abgetrennt und neu ven-
tral subkutan verlagert. Mit dieser Maßnahme erst wird bei der kom-
pletten Peronäusparese die Supinationsfehlstellung beseitigt (und
auch u. E. eine subtalare Arthrodese obsolet).
408 Kapitel 46 · Motorische Ersatzoperationen an der unteren Extremität

a b

c d

e f

g h

i j

46 . Abb. 46.4a–j Operationsschritte der Steigbügelplastik bei veralteter


rechtseitiger Peronäusparese bei 14-jähriger Patientin. a S-förmige Schnitt­
rior-Sehne. e Distales Ausleiten der proximal abgetrennten M.-peronaeus-
longus-Sehne. f Pulvertaft-Durchflechtung der M.-tibialis-posterior-Sehne
führung dorsal des Retinaculum extensorum zur Prävention von Wundde­ in die M.-tibialis-anterior-Sehne ventral. g Ausleiten der neu nach anterior
hiszenzen. b Schnittführung lateral mit Markierung der zu verlagernden subkutan geführten M.-peronaeus-longus-Sehne. h Durchflechten des
M.-peronaeus-longus-Sehne in das neue Bett ventral (Pfeilrichtung) im freien M.-peronaeus-longus-Sehnenendes in die M.-tibialis-antior-Sehne.
­Sinne des »Steigbügels« (gestrichelte Linien). c Mediale Inzisionen mit Mar­ i Präoperativer Aspekt der fehlenden Fußhebung. j Aktive plantigrade Fuß­
kierung des Sehneverlaufs der M.-tibialis-posterior-Sehne (gestrichelt). hebung postoperativ bis 0° im OSG
d Ventraler Durchzug durch die Membrana interossea der M.-tibialis-poste­
46.3 · Komplikationen
409 46
Danach wird von proximal medial tibiaseitig ein 3-er Kirschner- Literatur
Draht zur Sicherung der Reposition im OSG und USG in den Kalka- Clawson DK, Seddon HJ (1960) The late consquences of sciatic nerve injury.
neus vorgebohrt und subkutan abgekniffen. Dieser Draht wird nach J Bone Joint Surg (Br) 42: 213–225
der 6-wöchigen Immobilisierungszeit entfernt. Lange M (1932) Sehnenverpflanzungen. Münch Med Wochenschr 1260
Mizel MS, Temple HT, Scranton PEJ, Gellman RE, Hecht PJ, Horton GA, McClus­
Es erfolgt nun die Festsetzung der transponierten Sehnen in die
key LC, McHale KA (1999) Role of the peroneal tendons in the production
M.-tibialis-anterior-Sehne mittels Pulvertaft-Durchflechtungsnaht
of the deformed foot with posterior tibial tendon deficiency. Foot Ankle
unter adäquater Vorspannung mit 0-er Nylon-U-Nähten. Int 20: 5: 285–289
Nach Öffnen der Blutleere muss eine akkurate Blutstillung zur Shahcheraghi GH, Javid M, Zeighami B (1996) Hamstring tendon transfer for
Prävention von Hämatomen durchgeführt werden. Nach Hautver- quadriceps femoris paralysis. J Pediatr Orthop 16, 6: 765–768
schluss wird ein gut gepolsterter Unterschenkelspaltgips angelegt. Siliski JM, Voss F (1991) Lower extremity nerve palsies. In: Gelberman R (ed)
Operative nerve repair and reconstruction. JB Lippincott, Philadelphia,
pp 763–773
46.2 Postoperative Kontrollen Steinau HU, Homann HH, Drucke D, Torres A, Soimaru D, Vogt P (2001) [Resec­
tion method and functional restoration in soft tissue sarcomas of the
extremities]. Chirurg 72: 501–513
Postoperative Sicherstellung einer adäquaten Lagerung zur Verhin-
Wiesseman GJ (1981) Tendon transfers for peripheral nerve injuries of the
derung von Druckschäden sowie der Extremitätenperfusion und
lower extremity. Orthop Clin North Am 12, 2: 459–467
Ausschluss möglicher Nervenläsionen sind obligatorisch. Besonders Witt AN (1953) Sehnenverpflanzungen und Sehnen-Muskeltransplantatio­
sensibel auf mechanische Irritationen reagiert der N. peronaeus, der nen. J.F. Bergmann, München, S 132–150
im Rahmen der Quadrizepsersatzplastik bei der Bizepstransposition
alteriert werden kann. Unter Umständen muss eine hämatombe-
dingte Kompression angenommen werden und frühzeitig eine Revi-
sion erfolgen.

46.3 Komplikationen
Zahlreiche Komplikationen sind möglich. Intraoperativ können v. a.
iatrogene Nervenläsionen (N. peronaeus, N. ischiadicus) den Ein-
griff komplizieren.
! Cave
Neben Thrombosen und Embolien als Folge der Immo­
bilisierung, die eine entsprechende überwachte Throm­
boseprophylaxe erfordern, sind Hämatome und Wund­
heilungsstörungen gefürchtet.

> Größere Hämatome sollten auf jeden Fall wegen des Risi-
kos der sekundären Infektion und Gefährdung der direkt
subkutan liegenden Tenodesen frühzeitig ausgeräumt
werden. Eine Prävention von Hämatomen ist nur durch
peinlich genaue intraoperative Blutstillung gegeben.
Für die Sehnendurchflechtungsregion fatal sind bei der Steigbügel-
plastik Wundheilungsstörungen der ventralen S-förmigen Inzision.
Regelhaft kommt es hier postoperativ zu erheblicher Weichteil-
schwellung mit Ödem, sodass die Wunde innerhalb der 1. Woche
massiv unter Spannung geraten kann. Tägliche Wundinspektion,
abschwellende Maßnahmen wie konsequente Hochlagerung und
Antiphlogistika sind hier unabdingbare Voraussetzung für einen
störungsfreien Heilungsverlauf.
Im mittelfristigen Verlauf gefährdet eine forcierte Mobilisie-
rungstherapie die Stabilität und Vorspannung der Tenodesen. Lang-
fristig sind Auslängungen möglich. Wir weisen die Patienten darauf
hin, dass evtl. Nachkorrekturen mit Nachspannen der Sehnentrans-
fers erforderlich sein können. Am Oberschenkel lassen sich akute
Verluste der Vorspannung in der frühen postoperativen Phase kon-
servativ mit erneuter Immobilisierung des Kniegelenks in Streck­
stellung und vorsichtiger Physiotherapie in der Regel erfolgreich
behandeln.
47

Denervation bei Schmerzsyndromen


an der oberen und unteren Extremität
A. Gohritz

47.1 Indikationsstellung – 412

47.2 Präoperative Vorbereitung – 412


47.2.1 Untersuchung und Testblockade   – 412

47.3 Operationstechnik – 412


47.3.1 Gemeinsame Prinzipien – 412
47.3.2 Denervation an der oberen Extremität – 413
47.3.3 Denervation an der unteren Extremität – 415

47.4 Postoperative Nachbehandlung – 416

47.5 Komplikationen – 416

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
412 Kapitel 47 · Denervation bei Schmerzsyndromen an der oberen und unteren Extremität

Die Denervierung ist eine palliative Methode zur Behandlung 4 fortgeschrittene Gelenkdestruktion mit völlig aufgebrauchtem
schmerzhafter Gelenkzustände unterschiedlicher Ursache. Prinzip Knorpel,
ist die gezielte Durchtrennung schmerzleitender afferenter Nerven­ 4 Einsteifung oder Instabilität (z. B. auch Implantatlockerung) des
fasern, ohne die Oberflächensensibilität oder motorische Innerva­ Gelenkes,
tion zu tangieren. 4 Infektion, Synovialitis oder rheumatische Entzündung.
> Ziel ist die Schmerzreduktion unter Erhaltung der Rest­
funktion des Gelenks, nicht die Sanierung der zugrunde Vorteile der Gelenkdenervation nach Cozzi (1993)
liegenden destruierenden Prozesse. 4 Ziel ist Beseitigung der primären Ursache der Funktionsein­
Rüdinger beschrieb schon 1857 die Innervation der menschlichen schränkung, bzw. des Schmerzes.
Gelenke. Die Idee, Gelenkschmerzen durch Neurotomiezu behan­ 4 Die Integrität des Gelenkes wird erhalten.
deln, entwickelte Camitz 1933, der bei arthrosebedingten Schmer­ 4 Die Muskelfunktion bleibt unangetastet.
zen des Hüftgelenks eine Durchtrennung sensibler Anteile des 4 Prothesen oder Fremdmaterialien sind nicht notwendig.
N. obturatorius empfahl. Die Wirksamkeit dieses zunächst nur mä­ 4 Eine postoperative Immobilisation ist nicht notwendig.
ßig erfolgreichen Ansatzes wurde 1942 durch Tavernier und Truchet 4 Die Gelenkdenervation kann in Lokalanästhesie durchge­
aufgrund anatomischer Untersuchungen der Hüftgelenkinnervation führt werden.
entscheidend verbessert und das Prinzip in der Folge auch auf ande­ 4 Sie kann gleichzeitig mit anderen Eingriffen durchgeführt
re Gelenke mit gutem Erfolg übertragen, darunter das Kniegelenk werden.
durch Marcacci 1954, das Schultergelenk durch Nyakas u. Kiss 1955
und die Sprunggelenke, ebenso durch Nyakas 1958. Wilhelm führte
1958 anatomische Studien zur Innervation der gesamten oberen Ex­ Zudem ist die Methode technisch einfach, kosten- und risikoarm
tremität durch und stellte 1966 darauf basierende Methoden zur und lässt alle Möglichkeiten für spätere Alternativen offen, wie z. B.
Denervierung der Hand- und Fingergelenke ein. Er beschrieb initial Arthrodese, Arthroplastik oder Endoprothese.
eine gute Schmerzreduktion in 80% der Fälle, die nach durchschnitt­
lich 10,5 Jahren immer noch 62,5% betrug (Wilhelm 1972, 2001;
Merk u. Rudigier 2002). 47.2 Präoperative Vorbereitung
Obwohl sich die partielle Gelenkdenervation, v. a. am Handge­
lenk, bewährt hat, nimmt sie jedoch innerhalb des chirurgischen 47.2.1 Untersuchung und Testblockade
Therapiespektrums eine Außenseiterrolle ein. Dies liegt möglicher­
weise an der diffizilen Technik zur Durchtrennung der afferenten Bei der präoperativen Untersuchung des Patienten werden die
Nervenäste, durch die jedoch weder die Grunderkrankung behan­ Hautareale in der Gelenkumgebung mit Missempfindungen oder
delt noch die Arthrose beseitigt wird. Andererseits beinhalten viele Taubheitsgefühl und die Schmerzpunkte mit positivem Hoffmann-
Gelenkeingriffe eine teilweise Denervierung, wie z. B. die Durch­ Tinel-Zeichen markiert.
trennung des N. interosseus posterior bei dorsalen Handgelenkein­ Die präoperative Blockade der schmerzleitenden Nerven­
griffen wie der STT-Arthrodese oder der mediokarpalen Teilarthro­ fasern mittels Lokalanästhetikum (Procain) erlaubt es, die Wirk­
dese. samkeit einer geplanten Neurotomie bereits präoperativ abzu­
In diesem Kapitel sollen die anatomischen und chirurgischen schätzen. Das Schmerzsyndrom kann durch einen oder mehrere
Grundlagen der Denervation bei neurogenen Schmerzsyndromen Nerven verur­sacht sein. Welche Nerven verantwortlich sind, kann
an der oberen (Schulter, Ellbogen, Handgelenk, Daumen- und Fin­ durch die Testblockade geklärt werden. Durch selektive Betäubung
gergelenken) und unteren Extremität (Knie, Sprunggelenk und der einzelnen schmerzleitenden Nervenäste kann so das Ausmaß
Ferse) mit zusammenfassenden Angaben zu ihrer Indikation vor­ der Denervation für die jeweilige Pathologie festgelegt und der
gestellt werden. Operationserfolg bereits vorher relativ zuverlässig abgeschätzt
werden.
An den schmerzhaften Nervendruckpunkten werden kleine
47.1 Indikationsstellung Mengen 1%-iges Xylocain injiziert, immer streng extraartikulär.
Nach etwa 20 min wird der Effekt dieser Probeblockade überprüft,
Ziel von Gelenkrekonstruktionen sind freie Gelenkfunktion, Stabi­ nachdem der Patient das betroffene Gelenk bewegt und belastet hat,
lität und Schmerzreduktion. Die Arthrodese bietet meist schmerz­ z. B. durch Greifbewegungen an einem Ball oder einen kleinen Spa­
freie Stabilität, führt jedoch durch Verlust an Beweglichkeit oft zu ziergang, möglichst mit Treppensteigen.
einer erheblichen Einschränkung der Funktion.
> Bei ausbleibendem Erfolg der temporären Testblockade
Die Gelenkprothese erlaubt im günstigsten Fall eine gute und
ist von einer Denervationsoperation abzuraten.
schmerzfreie Gelenkbeweglichkeit, Nachteil ist jedoch die begrenzte
Haltbarkeit mit Risiko von Abrieb, Fremdkörperreaktion und me­
chanischem Versagen von der Lockerung bis zum Bruch (Merk u.
Rudigier 2002). 47.3 Operationstechnik
> Im Gegensatz hierzu bewahrt und verbessert die Dener­
vation die Funktion ohne Veränderung des Gelenks, sie
47.3.1 Gemeinsame Prinzipien
47 kommt alternativ grundsätzlich bei jeder schmerzhafter
Eingriffe zur Gelenkdenervation werden an der oberen Extremität
Arthrose in Frage.
meist in Plexusanästhesie, an der unteren in Intubationsnarkose
Kontraindikationen bestehen nach Wilhelm (1972, 2001) nur in oder Spinalanästhesie ausgeführt, es ist aber Lokalanästhesie
­folgenden Fällen: möglich.
47.3 · Operationstechnik
413 47

a b

. Abb. 47.1a, b Testblockade am Handgelenk: Injektionspunkte

Unverzichtbar sind die Anlage einer Blutleere und Lupenbrillen­


vergrößerung. Präoperativ festgelegte oder intraoperativ als vernarbt 4 5. Blockade des R. palmaris n. mediani:
oder mit Neurombildung aufgefundene Nerven werden neuroly­ Subkutane Infiltration zwischen A. radialis und der M.-pal­
siert, reseziert oder koaguliert und unter oder in die nahe liegende maris-longus-Sehne, etwa 1 cm proximal des Tuberculum
Muskulatur versenkt. des Os scaphoideum.
4 6. Blockade des N. interosseus antebrachii anterior:
Einstich ventromedian, etwa 3 cm oberhalb der distalen
47.3.2 Denervation an der oberen Extremität Handgelenkbeugefalte, am ulnaren Rand der M.-palmaris-
longus-Sehne, Einführen der Nadel bis auf die Ventralseite
Handgelenk des distalen Radius.
Anatomie 4 7. und 8. Blockade der Rr. perforantes II und III:
Wilhelm (1958) beschreibt 10 verschiedene Nerven für die sensible Einstich dorsal über den entsprechenden Intermetakarpal­
Innervation des Handgelenks, die in einer oberflächlichen subkuta­ gelenken.
nen und in einer tieferen Schicht verlaufen. 4 9. Blockade des R. dorsalis n. ulnaris:
Die komplexe Anatomie der Handgelenkinnervation kann in Infiltration an der Ulnarseite des Proc. styloideus ulnae und
der von Wilhelm vorgeschlagenen Reihenfolge zur Testblockade bis zum Knochen und Gelenkbereich.
nachvollzogen werden (7 Übersicht, . Abb. 47.1). 4 10. Blockade des N. cutaneus antebrachii dorsalis:
Einstich dorsal über der Basis des Proc. styloideus ulnae und
subkutane Infiltration in querer Richtung.
Reihenfolge zur Testblockade
4 1. Blockade des N. interosseus antebrachii posterior:
Einstich dorsomedian, etwa 3 cm proximal der Handwurzel. Operationstechnik
Einführen der Nadel bis auf den Radius. Zur Denervierung des Handgelenks wird das kutane und subkutane
4 2. Blockade des R. articularis spatii interossei I: Gewebe im Bereich des dorsalen, radialen und ulnaren Handgelenks
Einstich dorsal über dem 1. Intermetakarpalgelenk. Anlegen von der Faszie gelöst (. Abb. 47.2). Die A. radialis wird aufgesucht
eines subkutanen Depots am ulnaren Rand der V.  inter­ und skelettiert. Meist reichen hierzu 3 Schnitte aus. Eine zusätzliche
metacarpalis I. Inzision kann auf der Ulnarseite des Handgelenks notwendig sein,
4 3. Blockade der Rr. articulares n. cutanei antebrachii posterior: wenn der Patient hier Schmerzen beklagt.
Einstich etwa 3 cm oberhalb der Handwurzel, direkt über Als erste wird eine dorsale Inzision etwa 2 cm proximal des dis­
der A. radialis, und Setzen eines paravasalen Depots. talen Radioulnargelenks angelegt und nach proximal etwa 4 cm zum
4 4. Blockade des R. superficialis n. radialis: Handgelenk zwischen distalem Radius und Ulna fortgeführt. Das
Quere Infiltration, ausgehend vom 3. Injektionsort. Subkutangewebe wird in ulnarer, radialer und distaler Richtung von
6 der Faszie getrennt. Hier verbinden vaskuläre, bindegewebige und
nervöse Strukturen netzartig die Haut mit der Faszie, diese Fasern
414 Kapitel 47 · Denervation bei Schmerzsyndromen an der oberen und unteren Extremität

a b

. Abb. 47.2a, b Systematik der Inzisionen bei der Handgelenkdenervation

werden koaguliert und durchtrennt. Da die im Subkutangewebe ver­ kuläre Bindegewebe einschließlich der begleitenden Venen auf der
laufenden Nervenäste hierbei nicht sichtbar werden, spricht man gesamten Länge reseziert wird.
von einer »blinden« Denervierung, bei der jedoch im Bereich des In Handgelenkbeugung werden die Beugesehnen mit einem Ha­
Caput ulnae unbedingt eine Verletzung des R. dorsalis n. ulnaris ver­ ken zur Seite gehalten und der M. pronator quadratus sichtbar. Ent­
mieden werden muss. Bei ungenügender Übersicht ist ein weiterer lang der distalen Seite des M. pronator quadratus werden durch eine
Zugang auf der Ulnarseite des Handgelenks ratsam. scharfe Inzision bis auf das Periost der palmaren Seite des distalen
Als nächstes wird die Muskelfaszie auf der ulnaren Seite des Radius mit anschließender Elektrokoagulation die Endäste des
M. extensor pollicis durchtrennt. Jetzt können die Extensorsehnen N. interosseus anterior unterbrochen. Zusätzlich wird eine ausge­
der langen Fingerstrecker zur Seite geschoben werden, sodass der dehnte Elektrokoagulation der Palmarseite des distalen Radioulnar­
N. interosseus posterior und die zugehörige Arterie auf der dorsalen gelenks durchgeführt.
Seite der Membrana interossea erscheinen, der Nerv freigelegt und
auf einer Länge von 3 cm nach Elektrokoagulation reseziert werden. Fingergelenke (Grund-, Mittel- und Endgelenke)
Alternativ kann eine Durchtrennung der Membrana interossea Anatomie
erfolgen, um einen Zugang zum N. interosseus anterior und seiner Nach der Beschreibung von Wilhelm (1958, 1966) erfolgt die Inner­
Begleitarterie zu schaffen. Wird der Nerv von hier auf einer Länge vation der Grundgelenke von proximal durch die subfaszial streck­
von 3 cm reseziert, ohne dass von palmar zugegangen werden muss, seitig verlaufenden Rr. intermetacarpales aus dem N. ulnaris, radial
besteht der Nachteil, dass hierbei der M. pronator quadratus ebenso am Zeigefingergrundgelenk und ulnar am Daumengrundgelenk
denerviert wird. Meist kommt es jedoch allenfalls zu einem geringen durch Abgänge des R. articularis spatii interossei I. Hinzu kommen
Beweglichkeitsverlust. Wir bevorzugen die Denervierung von pal­ von proximal Abzweigungen der streckseitig verlaufenden Nn. digi­
mar am distalen Rand des M. pronator quadratus (7 unten). tales dorsales communes und von distal Äste der Nn. digitales dor­
Die zweite Inzision erfolgt dorsal zwischen der Basis des 1. und sales proprii und digitales palmares proprii. Beugeseitig wird die
2. Metakarpalgelenks, wo die sensiblen Äste des N. radialis im Sub­ Gelenkkapsel durch Abzweigungen des Ramus profundus n. ulnaris
kutangewebe dargestellt und geschont werden. An dieser Stelle wird innerviert.
aber ein durch die Faszie in die Tiefe ziehender Ast, der die Region Die Mittelgelenke sind von proximal und distal durch Äste der
um das Os trapezium und die Metakarpalgelenke sensibel inner­ Nn. digitales dorsales proprii und digitales palmares proprii innerviert,
viert, aufgesucht, koaguliert und exzidiert. die Endgelenke nur durch Äste der Nn. digitales palmares proprii.
Ein dritter, 3–4 cm messender bogenförmiger Schnitt beginnt
am Radiokarpalgelenk ulnarseits der A. radialis. Die oberfläch­ Operationstechnik
liche Faszie wird epifaszial nach radial und dorsal präpariert. Dabei Die Inzision zur Denervation am Fingergrund-, mittel- und -endge­
koagulieren und durchtrennen wir alle von den Radialishauptästen lenk zeigt . Abb. 47.3.
subkutan auf die Fascia antebrachii ziehenden kleinen perforierende Gemäß der von Wilhelm (1966) eingeführten Originalmethode
47 Nervenäste. wird am Mittelgelenk jeweils radial und ulnar über einen Mittseiten­
Anschließend wird die Faszie auf Höhe der A. radialis eröffnet, schnitt eingegangen (. Abb. 47.3). Am Endgelenk werden die seit­
die Arterie und die zugehörigen Venen freipräpariert und die Arterie lichen Schnitte streckseitig durch Querinzision verbunden. Durch
auf einer Länge von mindestens 3 cm skelettiert, wobei das perivas­ Ablösung des Weichteilmantels vom Streck- und Seitenbandapparat
47.3 · Operationstechnik
415 47

. Abb. 47.3 Inzision zur Denervation am Fingergrund-, mittel- und -end­


gelenk

bis zur Beugesehnenscheide werden die meisten hier einstrahlenden


Nervenfasern durchtrennt. Die zum Periost ziehenden Nervenfasern
durchtrennt man proximal und distal der Gelenkkapsel unter Anhe­
ben des Streckapparates semizirkulär bis zur Beugesehnenscheide
(Wilhelm 1972).

Daumensattelgelenk
Anatomie . Abb. 47.4 Inzision zur Denervation am Daumensattelgelenk

An der Innervation des Daumensattelgelenks sind Abgänge fol­


gender Nerven beteiligt:
4 R. superficialis n. radialis, R. articularis spatii interossei I,
4 N. cutaneus antebrachii radialis, Die laterale Innervation erfolgt aus zwei zur Gelenkkapsel füh­
4 Gelenkäste des N. medianus, R. palmaris n. mediani, renden Ästen des N. peronaeus und dem lateralen Retinakulumnerv.
4 N. digitales proprius I Dieser verläuft unter dem Tractus iliotibialis hinter dem M. vastus
lateralis, nachdem er an eine variable Anzahl kleiner Muskeläste ab­
Operationstechnik gegeben hat.
Entsprechend der komplexen Anatomie ist die chirurgische Schmer­ Die Innervation der Dorsalseite des Knies setzt sich aus sen­
zausschaltung am Daumensattelgelenk schwieriger: Man beginnt siblen Ästen des N. obturatorius, N. tibialis posterior und N. ischia­
mit einer Inzision dorsal zwischen den Basen des 1. und 2. Mittel­ dicus zusammen.
handknochens (. Abb. 47.4), wo der sensible Radialisast aufgesucht
und der an der Aufzweigung abgehende R. articularis spatii inte­ Operationstechnik
rossei I durchtrennt wird. Von einem radiopalmaren Längsschnitt Die Denervation der Knieinnenseite erfolgt über eine ca. 6 cm lange
über dem Radiusstyloid aus wird der radiopalmare und dorsale mediale Inzision, über die im Subkutangewebe der N. cutaneus fe­
Weichteilmantel epifaszial abgelöst und die Gelenkäste des sensiblen moris medialis und der R. infrapatellaris präpariert werden kann
Radialisastes durchtrennt. Vom gleichen Zugang werden die Begleit­ und subfaszial am Hinterrand des M. vastus medialis der mediale
venen der A. radialis und die Fasern des N. cutaneus antebrachii des Retinakulumnerv.
N. radialis destruiert. Von einem radiopalmaren Zugang zum Sattel­ Auf der Gelenkaußenseite erfolgt die palliative Nervendurch­
gelenk kann das Periost proximal und distal der Gelenkkapsel unter trennung ebenso über einen etwa 6 cm langen Schnitt in Höhe des
Schonung der Thenarmuskulatur mit dem Elektrokauter durch­ Hinterrandes des M. vastus lateralis, über den subfaszial der laterale
trennt werden. Retinakulumnerv aufgesucht und reseziert wird.
Zusätzlich können über eine S-förmige Inzision über dem Tibio­
fibulargelenk der N. peronaeus dargestellt, von einengenden Binde­
47.3.3 Denervation an der unteren Extremität gewebestrukturen befreit und nach retrograd ziehende Gelenkäste
reseziert werden.
Kniegelenk
Anatomie Sprunggelenke
Die Nervenversorgung der Knies wurde erst in den letzten Jahr­ Anatomie
zehnten durch neue anatomische Studien eingehend geklärt. Alle in der Nähe des Sprunggelenks verlaufenden Nerven beteiligen
Die Innervation der medialen Knieregion erfolgt über mehrere sich an dessen Innervation, d. h. der N. saphenus, N. peronaeus su­
Nerven: Die Haut wird über einen Abgang des N. cutaneus femoris perficialis und peronaeus profundus, N. tibialis, N. suralis und
medialis, die Retinakulumstrukturen über einen unter dem M. va­ N. interosseus cruris. Zusammenfassend gesagt, besteht ein kom­
stus medialis verlaufenden Endast versorgt, der weiter proximal plexes Nervengeflecht von 6 Nerven, die vielfältige Anastomosen
Äste an die Muskulatur abgibt, sowie über infrapatellare Äste des untereinander ausbilden. Zahl und Aufzweigung der einzelnen Ge­
N. saphenus (. Abb. 47.5a). lenkäste sind sehr variabel.
416 Kapitel 47 · Denervation bei Schmerzsyndromen an der oberen und unteren Extremität

Faszie dargestellt, skelettiert und alle Abgänge zum oberen Sprung­


gelenk neurotomiert. Dann wird eine 3 cm lange Inzision der
Faszie am distalen Unterschenkel lateral der Sehne des M. tibialis
anterior angelegt und der Nerv hier dargestellt und neurotomiert.
Von hier wird stumpf präpariert auf die Membrana interossea;
mit einem Raspatorium erfolgt zur Neurotomie des N. interosseus
cruris eine stumpfe Dissektion über die gesamte Breite der Mem­
bran.
Über den durch die Operation entstehenden Sensibilitätsausfall
über dem Außen- und Innenknöchel, evtl. auch ventral über dem
Sprunggelenk, nicht aber an der Fußsohle, muss der Patient vorher
aufgeklärt werden (Rab et al. 2001; Mentzel et al. 2002; Dellon u.
Barrett 2005).

47.4 Postoperative Nachbehandlung


a Bei Denervationen an Fingergelenken wird der operierte Finger ge­
meinsam mit dem Nachbarfinger für die Dauer der Wundheilung
ruhiggestellt. Sonst erfolgt nach einer Gelenkdenervation in der Re­
gel keine längere Immobilisation, sondern es wird bald mit aktiven
Bewegungsübungen begonnen.

47.5 Komplikationen
Die Komplikationen bestehen in:
4 Infektion, Gefahr des Gelenkinfekts bei versehentlicher Eröff­
nung der Kapsel,
4 Wundheilungsstörungen, vermehrt an der unteren Extremität,
4 Narbenbildung mit der Gefahr erneuter Nervenaffektion,
b
4 begrenztem Verlust der Oberflächensensibilität der Haut (sel­
. Abb. 47.5a, b Nervale Versorgung des Kniegelenks (a Lateralansicht, ten).
b Medialansicht)
Unabhängig von der Denervation:
4 Fortschreiten der Arthrose,
Operationsvorbereitung 4 erneute Schmerzen durch endostale und subchondrale Schmerz­
Präoperativ erfolgt daher in 2 Schritten gelenkfern eine Testaus­ fasern.
schaltung aller an der Innervation beteiligten Nerven durch gelenk­
ferne perineurale Infiltration eines Lokalanästhetikums, um auch Literatur
die schon weit proximal aus dem Hauptstamm der einzelnen Nerven Aszmann OC, Dellon AL, Birely B,McFarland E (1996) Innervation of the human
abgehenden Gelenkäste zu erfassen. shoulder joint and its implications for surgery. Clin Orthop Rel Res 330:
In der ersten Sitzung werden der N. saphenus, der N. peronaeus 202–207
superficialis, der N. peronaeus profundus, der N. interosseus cruris Cozzi B (1993) Denervation of the wrist and hand joints. In: Tubiana R (ed)
und der N. suralis blockiert, später dann der N. tibialis. Surgery of the hand. Saunders, Philadelphia
Dellon AL, Barrett S (2005) Sinus Tarsi Denervation: Clinical Results. J Am Pod
Operationstechnik Med Assoc, 95: 108–113
Dellon AL,Mont M,Mullik T, Hungerford D (1996) Partial denervation for per­
Nach Anlage einer hockeyschlägerförmigen Inzision am distalen sistent neuroma pain around the knee. Clin Orthop Rel Res 329: 216–
medialen Unterschenkel mit bogenförmiger Umschneidung des me­ 222
dialen Malleolus wird der N. tibialis angeschlungen, von proximal Dellon AL, Mont MA, Hungerford DS (1995) Partial denervation for treatment
nach distal freipräpariert und die hierbei aufgefundenen Gelenkäste of persistent neuroma pain after total knee arthroplasty. Clin Orthop Rel
durchtrennt. Dann wird ein ca. 3 cm langer Schnitt am medialen Res 316: 145–150
Unterschenkel am Übergang vom medialen zum distalen Drittel an­ Dellon AL (2002) Denervation of the sinus tarsi for chronic post-traumatic
gelegt. Der hier neben der V. saphena magna verlaufende N. saphe­ lateral ankle pain.Orthopedics 25: 849–851
nus wird dargestellt und reseziert. Oft verläuft er in 2 Stämmen, von Foucher G, Long Pretz P, Erhard L (1998) La dénervation articulaire, une ré­
ponse simple à des problèmes complexes de chirurgie de la main. Chiru­
denen jeweils ungefähr 1 cm reseziert wird. Durch eine ca. 4 cm
rgie 123: 183–188
lange Inzision dorsolateral am Beginn des distalen Unterschenkel­
Horner G, Dellon AL (1994) Innervation of the human knee joint and implica­
drittels lässt sich der N. suralis in der Nachbarschaft der V.  saphena
47 parva auffinden und ebenso resezieren.
tions for surgery. Clin Orthop Rel Res 301: 221–226
Mentzel et al. (1999) Ankle joint denervation, pt 2: Operative technique and
Zur Präparation des N. peronaeus superficialis wird ein 15 cm results. Foot Ankle Surg 5: 21–27
langer Schnitt am ventralen Unterschenkel übergreifend auf den Mentzel W, Fleischmann B, Eifert et al. (2002) Ankle joint denervation, pt 2:
Fußrücken angelegt, der Nerv wird beim Durchtritt durch die Operative technique and results. Foot Ankle Surg 5: 21–27
47.5 · Komplikationen
417 47
Merk R, Rudigier J (2002) Die Denervierung von Fingergelenken als Alterna­
tive zur Arthrodese und Endoprothese Handchir Mikrochir Plast Chir 34:
182–186
Rab M, Ebmer J, Dellon AL (2001) Innervation of the Sinus Tarsi: Implications
for treating anterolateral ankle pain.Annals Plastic Surg 47: 500–504
Wilhelm A (1958) Zur Innervation der Gelenk der oberen Extremität. Z Anat
Entwicklungsgesch 120: 331–371
Wilhelm A (1966) Gelenkdenervation und ihre anatomischen Grundlagen.
Hefte Unfallheilkd 86: 1–109
Wilhelm A (1972) Die Schmerzausschaltung an der Handwurzel durch Dener­
vation. In: Wachsmuth W, Wilhelm A (Hrsg) Allgemeine und spezielle
Operationslehre, Bd X, Teil 3: Die Operationen an der Hand Springer, Ber­
lin Heidelberg New York, S 274–285
Wilhelm A (2001) Denervation of the wrist. Techn Hand Upper Extr Surg 3:
14–18
48

Kompressionssyndrome
der oberen Extremität
C. Herold

48.1 Grundlagen – 420


48.1.1 Pathophysiologie – 420
48.1.2 Diagnostik – 420

48.2 Kompression des N. radialis – 420


48.2.1 Proximales Radialiskompressionssyndrom – 420
48.2.2 Supinatorsyndrom – 420
48.2.3 Wartenberg-Syndrom – 421

48.3 Kompression des N. medianus – 422


48.3.1 Pronatorsyndrom – 422
48.3.2 N.-interosseus-anterior-Syndrom – 422
48.3.3 Karpaltunnelsyndrom (KTS) – 424

48.4 Kompression des N. ulnaris – 425


48.4.1 Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS) – 425
48.4.2 Loge-de-Guyon-Syndrom – 427

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
420 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität

48.1 Grundlagen
48.1.1 Pathophysiologie

Eine Druckbelastung von 20 mm Hg oder mehr beeinträchtigt die


Nervendurchblutung und hat daher Einfluss auf die Proteinsynthese
und Myelinintegrität des Nervs. Es kommt zu Störungen der saltato-
rischen Überleitung und im axonalen Transport.

48.1.2 Diagnostik

Eine exakte klinische und neurophysiologische Untersuchung ist


notwendig, um die Kompressionssyndrome zu diagnostizieren. Ra-
diologische Bildgebung kann nach Trauma oder bei Verdacht auf
eine Raumforderung zusätzliche Hinweise geben. Neben dem häu-
figsten, dem Karpaltunnelsyndrom, gibt es noch eine Vielzahl wei-
terer peripherer Nervenkompressionssyndrome an der oberen Ex-
tremität, von denen die klinisch wichtigsten hier vorgestellt werden
sollen.

48.2 Kompression des N. radialis


Verlauf und Innervationsgebiete sind in . Abb. 48.4 dargestellt.

48.2.1 Proximales Radialiskompressionssyndrom


Anatomie und Ätiologie
In seinem Verlauf am Oberarm unter dem radialen Kopf des M. tri-
ceps kann der N. radialis im Septum intermusculare durch Kallus-
bildung, Hämatom oder auch verstärkte Anspannung des M. triceps
eingeengt werden (Lotem et al. 1971). . Abb. 48.1 Innervationsgebiet des N. radialis

Klinisches Bild und Diagnostik


Neben Schmerzen am radialen Oberarm können Paresen der vom (. Abb. 48.2a). Weitere Kompressionsmöglichkeiten bestehen durch
N. radialis versorgten Muskulatur und Sensibilitätsstörungen auftre- den Rand des M. extensor carpi radialis brevis, durch den Radius-
ten. Über dem N. radialis ist das Hoffmann-Tinel-Zeichen positiv. kopf, durch den M. supinator oder durch eine Raumforderung. In
Neben der Abschwächung der Handgelenks- und Fingerstrecker vielen Fällen lässt sich jedoch keine klare Ursache erkennen (Lister
können auch Sensibilitätsstörungen im Ellbogengelenk radial und et al. 1979 u. Younge u. Moise 1994).
auf der Unterarmstreckseite bestehen. Neurophysiologische Unter-
suchungen können unterstützende Hinweise geben. Differenzial­ Klinisches Bild und Diagnostik
diagnostisch sind v. a. die sog. Parkbanklähmung durch Druck auf Besonders durch Drehbewegungen des Unterarms kommt es zu ra-
den proximalen N. radialis und das weiter distal gelegene und häu- dialseitigen Schmerzen im proximalen Unterarm, die in das Hand-
figere Supinatorsyndrom relevant. gelenk ausstrahlen können. Ausgeprägte Lähmungen des R. profun-
dus sind selten, es stehen Sensibilitätsstörungen am Handrücken im
Therapie Vordergrund. Bei der Untersuchung der Patienten findet sich ein
Konservativ kann versucht werden, die Symptome durch Ruhigstel- deutlich seitendifferenter Druckschmerz über dem N. radialis. Wei-
lung und antiphlogistische Behandlung zum Ausklang zu bringen. terhin ist bei gestrecktem Unterarm die Supination gegen Wider-
Bei ausbleibendem Erfolg sollte nach etwa 4 Wochen eine Dekom- stand schmerzhaft.
pression in Betracht gezogen werden. Hierzu wird über eine etwa Bei Untersuchung der Motorik kann eine reduzierte Kraft bei
10 cm lange Hautinzision distal-radial am Oberarm zwischen Handgelenks- und Fingerstreckung sowie Daumenabduktion auffal-
M. brachioradialis und M. triceps der N. radialis dargestellt und das len. Eine radiologische Diagnostik kann tumoröse Ursachen aus-
komprimierende Septum intermusculare radiale durchtrennt. schließen. Differenzialdiagnostisch ist eine gleichzeitig mögliche
Epicondylitis humeri abzugrenzen (Smola 2004), bei der im Gegen-
satz zum alleinigen Supinatorsyndrom immer ein starker Druck-
48.2.2 Supinatorsyndrom schmerz über dem radialen Epikondylus besteht.
Zusätzlich eignet sich der Mittelfingertest, bei dem sich Schmer-
Anatomie und Ätiologie zen in der Ellbogenregion durch Streckung des Mittelfingers gegen
48 Der R. profundus n. radialis kann im Bereich der Abspaltung aus Widerstand provozieren lassen, gut zur Identifizierung einer Kom-
dem N. radialis durch die Frohse-Arkade komprimiert werden pression des R. profundus nervi radialis.
48.2 · Kompression des N. radialis
421 48

a a

b b

. Abb. 48.2 Supinatorlogensyndrom: Anatomie (a) und intraoperativer . Abb. 48.3 Wartenberg-Syndrom: Anatomie (a) und operative Dekom-
Aspekt bei Dekompression (b) pression (b)

Bei dem den N. medianus betreffenden Pronatorsyndrom sind a­ ußen wie durch enge Armbänder auch durch den Rand des M. bra-
die Schmerzen weiter palmar und ulnar lokalisiert. chioradialis oder fibröse Septen bedrängt werden. Nicht selten liegt
eine zusätzliche Tendovaginitis stenosans de Quervain des 1. Streck-
Therapie sehnenfachs vor.
Bei der operativen Therapie wird der R. profundus über einen Zu-
gang zwischen dem M. brachioradialis und dem M. extensor carpi Klinisches Bild und Diagnostik
radialis longus aufgesucht (. Abb. 48.2b). Bei der Verfolgung des Im Vordergrund stehen in den Daumen ziehende Schmerzen am
Nervs nach distal wird die Frohse-Arkade und der Rand des M. ex- radiodorsalen Unterarm. Sensibilitätsstörungen im Versorgungs­
tensor carpi radialis brevis durchtrennt. Im nächsten Schritt wird gebiet des R. superficialis des N. radialis können hinzutreten. Es
nun der M. supinator entweder komplett durchtrennt oder alternativ bestehen ein Druckschmerz und ein positives Hoffmann-Tinel-
lediglich seine sehnigen Anteile gespalten. Da häufig zusätzlich eine ­Zeichen über dem Ort der Kompression (Wartenberg 1994).
Epicondylitis humeri radialis vorliegt, kann diese für ein zufrieden-
stellendes Operationsergebnis während der gleichen Operation mit- Therapie
versorgt werden. Nach einer Inzision palmar des Nervenverlaufs wird der R. superfi-
cialis zwischen dem M. brachioradialis und dem M. extensor carpi
radialis longus aufgesucht (. Abb. 48.3b). Es folgt eine Spaltung der
48.2.3 Wartenberg-Syndrom intermuskulären Faszie und der Unterarmfaszie sowie bei Bedarf
eine Umkrempelung des Randes des M. brachioradialis.
Anatomie und Ätiologie
Am distalen Unterarm zieht der R. superficialis durch die Unterarm-
faszie (. Abb. 48.3a) und kann hier neben der Kompression von
422 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität

48.3 Kompression des N. medianus versorgten Muskulatur (Werner et al. 1985). Eine Thenaratrophie ist
häufig sichtbar. Der Phalen-Test ist negativ. Das Hoffmann-Tinel-
Verlauf und Innervationsgebiete sind in . Abb. 48.4 dargestellt. Zeichen ist positiv über dem Verlauf des N. medianus. Akut kann es
zur genannten Symptomatik bei Hämatombildung nach Gefäßpunk-
tion in der Ellenbeuge kommen.
48.3.1 Pronatorsyndrom Differenzialdiagnostisch gilt es ein Karpaltunnelsyndron (Phalen-
Test positiv; Lee u. Lastayo 2004), eine zervikale Radikulopathie
Anatomie und Ätiologie (zusätzlich Bizepsschwäche bei C6-Kompression oder Trizepsschwä-
Die häufigste proximal vorkommende Kompression des N. median- che bei C7-Kompression) abzugrenzen. Bei einem Thoracic-outlet-
us wird wegen des M. pronator teres als Pronatorsyndrom beschrie- Syndrom liegt die Sensibilitätsstörung eher am ulnaren Unterarm.
ben (Kopell u. Thompson 1958). Hierbei kann es an 4 Orten zur
Kompression kommen: Therapie
4 am distalen Drittel des Humerus neben dem Proc. condylaris Ist eine antiphlogistische Therapie in Kombination mit Ruhigstel-
und dem Struthers-Ligament, lung in einem Oberarmgips nicht ausreichend effektiv, besteht die
4 im Bereich des Ellbogengelenks durch den Lacertus fibrosus, Indikation zur Neurolyse. Hierzu sollte die Hautinzision min­
4 im Verlauf des Nervs durch den M. pronator teres selbst entwe- destens 5 cm über dem Ellbogen beginnend und bis etwa 8 cm in
der durch Hyperplasie des Muskels oder durch eine vergrößerte den mittleren Unterarm fortgesetzt werden. Diese große Freilegung
Aponeurose, soll verhindern, dass eine der 4 möglichen Engstellen übersehen
4 weiter distal durch den sehnigen Rand des M. flexor digitorum wird und um eine effiziente Dekompression zu ermöglichen
superficialis. (. Abb. 48.5).
Nach Unterbindung der Äste der V. basilica wird die Faszie ge-
Klinisches Bild und Diagnostik spalten und der Lacertus fibrosus durchtrennt. Der N. medianus, der
Im Vordergrund stehen Schmerzen im distalen Oberarm und der seine Muskeläste allesamt nach ulnar abgibt, wird nun unter Spal-
Ellenbeuge, die häufig bei Belastung und bei Druck zunehmen. Sen- tung der Köpfe des M. pronator teres weiter nach distal verfolgt, wo
sible Ausfälle an den ersten 3 Fingern sowie an der radialen Seite des im Muskel der N. interosseus nach radial abzweigt. Nach Darstel-
4. Fingers können hinzutreten wie auch motorische Ausfälle der lung des Sehnenbogens der Ursprünge des M. flexor digitorum wird
dieser unter Schonung des Muskels ebenfalls durchtrennt. Postope-
rativ sollte eine Woche lang eine dorsale Oberarmschiene getragen
werden.

48.3.2 N.-interosseus-anterior-Syndrom
Anatomie und Ätiologie
Der Vielzahl von Möglichkeiten der vaskulär, tendinös oder tumorös
bedingten Kompression des N. interosseus anterior ist gemeinsam,
dass der Nerv in seinem Verlauf im proximalen Unterarm kompri-

48
. Abb. 48.4 Innervationsgebiet des N. medianus . Abb. 48.5 Pronatorsyndrom: Anatomie
48.3 · Kompression des N. medianus
423 48

c
a

. Abb. 48.6 N.-interosseus-anterior-Syndrom: Anatomie (a), Klinik (b) und operative Dekompression (c) (FPL=M. flexor pollicis longus, FDP=M. flexor digi-
torum, P.T.=M. pronator teres)

miert wird. Der N. interosseus anterior verlässt den N. medianus Klinisch fällt die Aufhebung des normalen Spitzgriffes auf, d. h. die
etwa 5–6 cm distal des Epicondylus ulnaris und kann von hier an Patienten können keinen Kreis mehr mit Daumen und Zeigefinger
durch die Ansätze des M. flexor digitorum III oder das Caput ulnare bilden (Spinner 1969, 1970; . Abb. 48.6b). Die Kraft der Endglied-
des M. pronator teres eingeengt werden (. Abb. 48.6). beugung des Daumens und der Finger 2 und 3 ist reduziert. Der
M. pronator quadratus kann geprüft werden, indem man den im
Klinisches Bild und Diagnostik Ellbogengelenk gebeugten und pronierten Arm des Patienten ver-
Neben Schmerzen im proximalen Unterarm stehen Paresen des sucht zu supinieren. Neurophysiologische Veränderungen in den
M. flexor pollicis longus, M. flexor digitorum profundus II und betroffenen Muskeln sind häufig. Eine Ruptur der tiefen Beugeseh-
­gelegentlich III sowie des M. pronator quadratus im Vordergrund. nen ist auszuschließen.
424 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität

! Cave flexorum (. Übersicht). Neben dem N. medianus ziehen die langen


Die Sensibilität bei einem N.-interosseus-anterior- Beugersehnen durch den Karpaltunnel (. Abb. 48.7).
Syndrom ist häufig unauffällig.

Therapie Grenzen des Karpaltunnels, durch den neben dem


N. medianus die 9 Beugesehnen ziehen
Die konservative und operative Therapie des N.-interosseus-anteri-
or-Syndroms ähnelt sehr derjenigen des Pronatorsyndroms. Haut- 4 Dach:
schnitt und Zugang werden ähnlich gewählt, wobei hier ergänzend Retinaculum flexorum von der Tuberositas scaphoidea und
der N. interosseus anterior weit bis ins tiefe volare Kompartment dem Os trapezium zum Os pisiforme und dem Hamulus
verfolgt werden sollte (. Abb. 48.6c). Normalerweise finden sich als ossis hamati
Kompressionsursachen Muskelfaszien der oben genannten Muskeln. 4 Boden:
Gelegentlich sind auch akzessorische Muskeln oder atypische Ge- Handwurzelknochen und aufliegende Bandstrukturen
fäßverläufe (A. mediana) die Ursache. 4 Radiale Begrenzung:
Os scaphoideum und Os trapezium sowie Fasziensepten
4 Ulnare Begrenzung:
48.3.3 Karpaltunnelsyndrom (KTS) Os pisiforme, Os triquetrum und Hamulus ossis hamati

Anatomie und Ätiologie


Der Boden des Karpaltunnels wird vom volaren radiokarpalen Liga- Verschiedene Ursachen wie eine Beugesehnensynovialitis, ein
ment und den bindegewebigen Verbindungen zwischen den Hand- Ödem, besonders hormonell bedingt in der Schwangerschaft oder
wurzelknochen gebildet. Das Dach entsteht durch das Retinaculum auch Menopause, chronische Schädigungen des Nervs und seiner

c
a

b d

48 . Abb. 48.7 Karpaltunnelsyndrom: Anatomie (a) und operative Dekompression (b). Darstellung des Lig. carpi transversum (c) und Neurolyse bei erhebli-
cher perineuraler Fibrose (d)
48.4 · Kompression des N. ulnaris
425 48
Blutzufuhr, Alkoholismus, Amyloidose, Trauma, atypische Musku- naht mit 4-0 monofilen Einzelnähten und Einlage einer Wundlasche
latur oder Gefäße (A. mediana) sowie Tumoren werden für die dis­ beenden den Eingriff. Der Patient erhält eine Handgelenksgipsschie-
tale Kompression des N. medianus genannt (Robbins 1963). Es ist ne für 3 Tage.
das häufigste periphere Nervenkompressionssyndrom und tritt be- Die häufigste Komplikation ist eine empfindliche Narbe. Daher
vorzugt bei Frauen zwischen 40 und 60 Jahren auf. sollte die Hautinzision nicht die Handgelenksbeugefalte (Raszetta)
nach proximal überschreiten.
Klinisches Bild und Diagnostik Mit einer Verbesserung der präoperativen Parästhesien ist in-
Patienten mit Karpaltunnelsyndrom klagen typischerweise über nerhalb von 2 Wochen zu rechnen, häufig ist jedoch bereits direkt
nächtliche Parästhesien der vom N. medianus innervierten Finger, postoperativ eine Besserung feststellbar.
also des Daumens, des 2.–3. und der radialen Seite des 4. Fingers.
Das Krankheitsbild entwickelt sich entweder langsam über Monate Endoskopisches Vorgehen. Die endoskopische Variante ist in der
oder akut traumatisch oder in der Schwangerschaft ab dem 6. Monat geübten Hand alternativ anwendbar, es gibt hier allerdings Kompli-
und kann im Endstadium zu einem permanenten Taubheitsgefühl kationsmöglichkeiten, die beim offenen Zugang nicht in selbem
führen. Häufig imponiert eine Thenaratrophie auf der betroffenen Maße bestehen, wie z. B. Nerven- oder Sehnenverletzungen. Zudem
Seite, wobei zu beachten ist, dass eine Hypertrophie der dominanten sind gelegentlich notwendige Synovialektomien oder Neurolysen
Hand einen Normalbefund darstellt. Die durch Paresen des M. op- nicht durchführbar.
ponens pollicis und des M. abductor pollicis brevis hervorgerufene
> Die endoskopische Karpaltunnelspaltung besitzt zwar den
Kraftminderung bei Daumenopposition und Palmarabduktion führt
Vorteil einer kleineren Narbe, daher ein geringeres Risiko
zu funktionellen Störungen bei Spitz-, Schreib- und Dreipunktgriff.
von Narbenbeschwerden, die Rate der Nervenschädigung
Häufig wird die Oppositionsschwäche durch eine kompensatorische
ist aber höher. Da die Übersicht schlechter ist, können
Daumenendgelenksbeugung kompensiert.
anatomische Varianten leichter übersehen werden. Wei-
Bei der Untersuchung ist das Hoffmann-Tinel-Zeichen distal
tergehende Maßnahmen, wie Synovektomien, sind nicht
der Handgelenksfalte positiv. Mit dem Phalen-Test (Aneinanderle-
durchführbar und erfordern ein offenes Vorgehen. Das
gen der maximal flektierten Handrücken) sind Parästhesien beim
Verfahren erfordert eine längere Lernphase, und bei An-
Karpaltunnelsyndrom in weniger als 15–20 s provozierbar. Zur Be-
fängern besteht ein höheres Risiko für Nerven- oder Seh-
stätigung der Diagnose sollten noch neurophysiologische Untersu-
nenverletzungen und Rezidive aufgrund inkompletter
chungen durchgeführt werden (Phalen 1966).
Spaltung des Retinaculum flexorum.
> Neurophysiogische Untersuchungen dienen der Sicherung
der Diagnose und rechtlichen Absicherung beim Karpal-
tunnelsyndrom. Die motorische Latenz ist auf über 4,5 ms
und die sensorische Latenz auf über 3,5 ms erhöht. Post­
48.4 Kompression des N. ulnaris
operativ ist in etwa nach 3 Monaten mit einer Verbesserung
Verlauf und Innervationsgebiete sind in . Abb. 48.8 dargestellt.
der Nervenleitgeschwindigkeit zu rechnen.

Therapie 48.4.1 Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS)


Bei kurzer Krankheitsdauer mit noch normaler Nervenleitgeschwin-
digkeit kann eine konservative Therapie mit Ruhigstellung in einer Anatomie und Ätiologie
Schiene mit leichter Streckung des Handgelenks versucht werden. Nachdem der N. ulnaris am distalen Oberarm das Septum muscu-
Ergänzend können lokale Kortikoidinjektionen durchgeführt wer- lare ulnare und den ulnaren Trizepskopf passiert hat, liegt er in
den. Besonders bei jungen Patienten ist eine abwartende Haltung ­seinem Verlauf zwischen Olekranon und Epicondylus ulnaris be­
angemessen. sonders oberflächlich. Das Dach des Sulcus ulnaris wird von der
Sollten diese Therapieversuche erfolglos bleiben, ist eine opera- verstärkten Faszie des M. flexor carpi ulnaris gebildet, zwischen
tive Dekompression und Neurolyse indiziert, welche unter Blutleere ­dessen Köpfen der N. ulnaris dann in den Unterarm zieht
in Lokal- oder Plexusanästhesie erfolgen kann. Hierbei gibt es offene (. Abb. 48.9). Sowohl chronische Subluxation des Nervs im Sulkus
Verfahren mit unterschiedlichen Hautinzisionen oder auch eine en- (Childree 1956) als auch fibromuskuläre Kompressionen oder knö-
doskopische Variante. cherne Veränderungen nach Trauma können zu einer Schädigung
des Nervs führen.
Offen-chirurgisches Vorgehen. Bei der offenen Technik wird ein
Hautschnitt in Verlängerung der 4. Intermetakarpalregion gesetzt, Klinisches Bild und Diagnostik
das Subkutangewebe und ggf. eine oberflächlich liegende A. ulnaris Neben anfänglichen Parästhesien bei Ellbogengelenksbeugung und
und der N. ulnaris dargestellt. Es erfolgt das scharfe Durchtren- bei Auflegen der Unterarme bestehen Schmerzen, die von den Ell-
nen der Palmaraponeurose und des Lig. carpi transversum unter bogen in den ulnaren Unterarm ausstrahlen. Aufgrund einer Schwä-
Sicht. che des vom N. ulnaris versorgten M. adductor pollicis und des
Wir stellen den Medianusstamm und, falls aufgrund motorischer M. interosseus dorsalis I können Schwierigkeiten beim Schreiben
Ausfälle indiziert, auch den motorischen Thenarast dar, der am und eine Schwäche des Spitzgriffs auftreten. Beide Muskeln kön-
­häufigsten am distalen Ende des Karpaltunnels gelegen ist. Mannig- nen mit dem Froment-Test geprüft werden. Dabei versucht der
faltige anatomische Variationen können vorliegen. Erst nach dessen ­Untersucher, ein zwischen Daumenendgelenk und Zeigefinger-
sicherer Identifizierung kann nun die Unterarmfaszie nach proxi- grundgelenk gehaltenes Stück Papier herauszuziehen, das der Pa­
mal gespalten werden. Durch die ulnarseitig gelegene Inzision des tient bei Interosseusschwäche durch Endgelenksbeugung mit dem
Lig. carpi transversum kommt der N. medianus wieder geschützt N.-medianus-innervierten M. flexor pollicis longus festzuhalten
unter dieser bindegewebigen Struktur zu liegen. Eine einfache Haut- versucht.
426 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität

. Abb. 48.9 Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS): Anatomie (a) und opera-


. Abb. 48.8 Innervationsgebiet des N. ulnaris tive Dekompression (b)

Als weitere Tests zur Überprüfung der Motorik dienen ! Cave


4 das Überkreuzen des Zeige- und Mittelfingers, Bei beginnenden Lähmungen ist jedoch eine dringende
4 das Zusammenführen der Endglieder von Zeigefinger und Indikation zur operativen Therapie gegeben, da die Pare-
Kleinfinger sowie sen häufig irreversibel sind.
4 der Versuch, den Kleinfinger aus der geschlossenen Hand he-
rauszubiegen. Ist bei der klinischen Untersuchung und intraoperativ keine Sublu-
xationstendenz feststellbar gewesen, so ist eine alleinige Neurolyse
Inspektorisch fallen in fortgeschrittenen Stadien eine Hypothena- des N. ulnaris ausreichend. Zeigt sich jedoch, dass der Nerv bei Ell-
ratrophie und eine Krallenstellung von Ring- und Kleinfinger auf. bogenbeugung deutlich aus dem Sulcus herausgleitet, ist zusätzlich
Über dem Sulcus ulnaris ist das Hoffmann-Tinel-Zeichen positiv. Es die Indikation zur Verlagerung gegeben. Hierbei gibt es 2 Möglich-
sollte auch eine Subluxationstendenz des N. ulnaris bei Ellbogen­ keiten:
flexion durch Palpation über dem Sulcus geprüft werden. Weiterhin 4 eine subkutane Verlagerung oder
sollte der Patient eine maximale Ellbogenflexion durchführen. Hier- 4 eine submuskuläre Verlagerung.
bei entstehende Parästhesien sprechen ebenso wie Hypästhesie über
dem dorsoulnaren Handrücken für ein Sulcus-ulnaris-Syndrom Bei der subkutanen Verlagerung wird nach Resektion des Septum
(Greenwald et al. 2006). intermusculare der N. ulnaris möglichst unter Schonung umge-
Ergänzt wird die Untersuchung durch Röntgenbilder des Ellbo- bender vaskulärer Strukturen spannungsfrei in einen Faszienlappen
gengelenkes in 2 Ebenen, um eine knöcherne Kompression auszu- vom Epicondylus gelegt, der fixiert wird, ohne den Nerv zu kompri-
schließen, und durch neurophysiologische Untersuchungen. Diffe- mieren. Bei der submuskulären Verlagerung werden die Ursprünge
renzialdiagnostisch ist neben einer distalen Ulnariskompression der gesamten Flexoren und Pronatoren temporär gelöst und der
immer auch an eine Radikulopathie der C8-Nervenwurzel zu Nerv neben dem N. medianus platziert. Des Weiteren kann eine me-
­denken. diale Epikondylektomie durchgeführt werden (Mowlavi et al. 2000;
Broudy et al. 1978).
Therapie Im eigenen Vorgehen bevorzugen wir die submuskuläre Verla-
48 Eine konservative Therapie kann durch Schonung und Polsterung gerung, wobei der Z-förmig abgehobene Ursprung der Beuger (FCU,
des Ellbogens versucht werden. FCR etc.) locker und ohne Spannung über den ventral verlagerten
48.4 · Kompression des N. ulnaris
427 48
N. ulnaris refixiert wird. In neuerer Zeit wird auch die endosko-
pische Neurolyse propagiert, von geübten Operateuren werden
vergleichbare Ergebnisse berichtet (Hoffmann u. Meek 2008; Hoff-
mann u. Siemionow 2006).

48.4.2 Loge-de-Guyon-Syndrom
Anatomie und Ätiologie
Der Nervenstamm oder der motorische Ast des N. ulnaris kann im
Bereich der Loge de Guyon komprimiert werden und somit zum
distalen Kompressionssyndrom des N. ulnaris führen. Der Nerv
zieht zusammen mit der A. ulnaris zwischen dem Os pisiforme und
dem Hamulus ossis hamati unter dem relativ lockeren palmaren kar-
palen Ligament hindurch und teilt sich in seinen oberflächlichen
und tiefen Ast (. Abb. 48.10a; . Übersicht). Meistens ist eine zu­
sätzliche Pathologie, wie ein Ganglion, ein Lipom, ein prominenter
Sehnenbogen des M. abductor digiti minimi oder M. flexor digiti
minimi, oder wiederholte traumatische oder mikrotraumatische a
Schädigungen notwendig, um zu einer klinisch manifesten Kom-
pression zu führen (Guyon 1861; Cobb et al. 1996).

Grenzen der Loge de Guyon


4 Dach:
Lig. carpi palmare, Unterarmfaszie und Sehne des FCU; di-
stal ebenfalls Fasern des M. palmaris brevis
4 Boden:
Retinaculum flexorum und Lig. pisohamatum
4 Radiale Begrenzung:
Os hamatum und Lig. carpi palmare
4 Ulnare Begrenzung:
Os pisiforme und FCU b

Klinisches Bild und Diagnostik


Im Vordergrund steht eine distale Ulnarisparese, die in den meisten
Fällen ohne sensible Ausfälle einhergeht. Das Hoffmann-Tinel-Zei-
chen ist meistens negativ, und Sensibilitätsstörungen am ulnaren
Handrücken kommen nicht vor. Lediglich an den beiden ulnaren
Fingern kommt es gelegentlich zu Hypästhesien. Es kann eine
Druckschmerzhaftigkeit direkt über der Loge de Guyon bestehen.
Bei fortgeschrittener Parese ist eine Krallenhand zu finden. Neuro-
physiologische Untersuchungen, besonders auch über dem Sulcus
ulnaris, dienen der Lokalisierung und Bestätigung der Nervenschä-
digung. Bildgebende Diagnostik kann eine tumoröse oder trauma-
tisch bedingte Kompression nachweisen (Dupont et al. 1965).
> Bei Handgelenksfrakturen mit klinischen Hinweisen auf c
eine Neuropathie des N. ulnaris sollte immer eine Ulnaris-
dekompression erfolgen, da der Nerv sehr anfällig für eine . Abb. 48.10 Loge-de-Guyon-Syndrom : Anatomie (a) und operative
Dekompression (b, c)
permanente Schädigung ist und die Symptome selten re-
versibel sind.
zung der Loge de Guyon unter Mitnahme des M. palmaris brevis
Therapie (. Abb. 48.10c).
Wenn die Nervenschädigung nicht durch Kompression, sondern Es ist zu beachten, dass der tiefe Ast des Nervs in der Loge ab­
durch Mikrotraumatisierung bedingt ist, kann eine konservative geht und von Ästen der A. ulnaris umgeben wird. Im distalen Ver-
Therapie mit Ruhigstellung und antiphlogistischer Medikation lauf wird der R. profundus des N. ulnaris häufig von der Sehnenar-
­versucht werden. Bei der operativen Dekompression wird über kade des M. flexor digiti minimi und des M. abductor digiti minimi
einen palmaren stufenförmigen Hautschnitt über dem ulnaren komprimiert. Diese sollte gespalten werden. Ist ein frakturierter
Handgelenk (. Abb. 48.10b) der N. ulnaris radial vom M. flexor car- ­Hamulus ossis hamati oder ein Ganglion als Kompressionsursache
pi ulnaris dargestellt. Es folgt eine Spaltung der palmaren Begren- auszumachen, so werden diese entfernt.
428 Kapitel 48 · Kompressionssyndrome der oberen Extremität

> Postoperativ sind nach Dekompression peripherer Nerven


chronische Schmerzen möglich. Durch Neurombildung,
Devaskularisation des Nervs, unzureichende Dekompres-
sion oder Narbenzug kommt es zu einer sog. Traktionsneu­
ritis. In diesen Fällen ist eine operative Revision indiziert
mit externer und interner Neurolyse und ggf. Polsterung
mit einem Fett-Faszien-Läppchen.

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Younge DH, Moise P (1994) The radial tunnel syndrome. Int Orthop 18 (5):
268–270
48
49

Nervenkompressionssyndrome
der unteren Extremität
R. Krämer, A. Gohritz

49.1 Grundlagen – 430


49.1.1 Ätiologie – 430
49.1.2 Pathologie der Nervenkompression – 430
49.1.3 Diabetes mellitus und Nerven­kompression – 430
49.1.4 Betroffene Nerven – 430

49.2 Einzelne Kompressionssyndrome – 430


49.2.1 N. cutaneus femoris lateralis – 430
49.2.2 N. iliohypogastricus, N. ilioinguinalis – 431
49.2.3 N. genitofemoralis – 431
49.2.4 N. pudendus – 431
49.2.5 N. femoralis, N. obturatorius – 432
49.2.6 N. ischiadicus (Piriformissyndrom) – 432
49.2.7 N. saphenus, R. infrapatellaris – 433
49.2.8 N. tibialis – 433
49.2.9 N. peronaeus communis – 434
49.2.10 N. peronaeus profundus – 434
49.2.11 Morton-Metatarsalgie – 435
49.2.12 N. suralis – 436

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
430 Kapitel 49 · Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität

49.1 Grundlagen Besonders bei Assoziation mit Diabetes mellitus zeigen peri­
49 phere Neuropathien eine bessere Prognose durch frühe Interven­
49.1.1 Ätiologie tion. Eine Dekompression neuropathischer Nerven an physiologi­
schen Engstellen führte in kontrollierten Vergleichsstudien bei
Nervenkompressionssyndrome entstehen durch chronische Dru­ Diabetikern in bis zu 100% zu einer signifikanten Verbesserung der
ckerhöhung an anatomischen Engstellen, wobei es oft durch hormo­ Symptome (Aszmann et al. 2000; Siemionow et al. 2006).
nelle, metabolische und traumatische Einflüsse zu einer ödematösen
Auftreibung der bindegewebigen Wandstrukturen einer physiolo­
gischen Prädilektionsstelle kommt, deren fehlende Nachgiebigkeit 49.1.4 Betroffene Nerven
schließlich die Druckerhöhung bewirkt.
Eine vermehrte Disposition zu Nervenkompressionssyndromen Die Beckenregion und ebenso die untere Extremität bieten eine Viel­
wird z. B. bei diabetischer Neuropathie beobachtet, wobei der intraneu­ zahl an physiologischen Engstellen, welche zu einer chronischen
rale Druck bereits im subklinischen Stadium generalisiert erhöht ist. Kompression von Nerven führen können. Zur besseren Übersicht
werden die hauptsächlich betroffenen Nerven und die Lokalisation
der Engstelle dargestellt.
49.1.2 Pathologie der Nervenkompression
Nevenkompression der unteren Extremität: hauptsächlich
Makroskopisch ist der Nerv am Ort der Kompression häufig ver­
betroffene Nerven und Lokalisation der Engstelle
dünnt, proximal findet sich eine deutliche Schwellung in Form eines
sog. Pseudoneuroms, welches ebenfalls distal ausgebildet sein kann. 4 Leisten- und Genitalregion:
Pathophysiologisch wird dies durch einen Stau des axonalen Trans­ – N. cutaneus femoris lateralis (Meralgia paraesthetica)
ports, eine durch entzündliche Reaktion hervorgerufene Steigerung – N. ilioinguinalis, N. iliohypogastricus
der Gefäßpermeabilität und ein Ödem erklärt. – N. genitofemoralis
In der Mikroskopie finden sich in Anfangsstadien charakteristi­ – N. pudendus
sche Deformierungen zahlreicher Markscheidensegmente. Das Mye­ 4 Oberschenkel:
lin auf der Seite der Kompression ist verdünnt, auf der abgewandten – N. ischiadicus (Piriformissyndrom)
Seite dagegen geschwollen. Bei Kompression über einen längeren – N. obturatorius
Zeitraum erfolgt eine paranodale Demyelinisierung, daraufhin – N. femoralis
kommt es zu einer Infiltration mit Fibroblasten, die zunächst eine – N. saphenus, R. infrapatellaris
epineurale Fibrosierung bewirken. Später geht diese Fibrosierung 4 Unterschenkel und Fuß:
auch auf die endoneuralen Strukturen über und bewirkt eine Verdi­ – N. tibialis
ckung des Perineuriums. Terminal führt die chronische Kompres­ – N. peronaeus communis
sion zu einem Untergang von Axonen und Waller-Degeneration. – N. peronaeus profundus
– Morton-Metatarsalgie
– N. suralis
49.1.3 Diabetes mellitus und Nerven­kompression

Seit einigen Jahren wird verstärkt die Korrelation von Nervenkom­


pressionssyndromen und Diabetes mellitus untersucht. Bei Patien­ 49.2 Einzelne Kompressionssyndrome
ten mit einer diabetischen Neuropathie ist die Inzidenz an Kompres­
sionssyndromen peripherer Nerven signifikant erhöht, v. a. beim 49.2.1 N. cutaneus femoris lateralis
Karpaltunnelsyndrom. Bei Nichtdiabetikern lag die Inzidenz bei 2%,
bei Diabetikern ohne Neuropathie bei 14% und bei Diabetikern mit Die auch als Meralgia paraesthetica bekannte Kompressionsneuro­
diabetischer Neuropathie bei 30%. Diese Prädisposition neuropa­ pathie des N. cutaneus femoris lateralis (NCFL) ist ein eher selten
thisch geschädigter Nerven für eine Affektion bis hin zur Läsion in beobachtetes Kompressionssyndrom der unteren Extremität. Da es
physiologischen Engstellen resultiert aus dem bei Diabetikern vor­ sich bei dem NCFL um einen rein sensiblen Ast aus der 2. und
handenen erhöhten endoneuralen Wassergehalt (Dellon 2002). Die 3. lumbalen Nervenwurzel handelt, treten keinerlei motorische Aus­
Symptome beider Entitäten sind mit Taubheit, Parästhesien und fälle bei Kompression des Nervs in der Leiste auf.
Schmerz allerdings sehr ähnlich, sodass eine Unterscheidung zwi­ Die im 19. Jahrhundert eingeführte Resektion des NCFL wurde
schen beiden wichtig ist. im Jahr 1933 durch Dekompression und Neurolyse als Therapie­
Interessanterweise wurde ebenfalls gezeigt, dass bei Diabetikern option ergänzt.
die Elektroneurographie keine verlässliche diagnostische Maßnah­ Bei der Meralgia paraesthetica (MP) kommt es zu einer Ein­
me zur Festlegung therapeutischer Indikationen darstellt (Perkins klemmung des NCFL im Bereich des lateralen Leistenbandes nahe
2004). Ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen an Lokalisationen po­ der Spina iliaca anterior superior, vorwiegend im Erwachsenenalter
tenzieller Druckschädigung wurde als ein klinisches Zeichen mit (Tackmann 1989), wobei bei 7–10% der Patienten beidseitige Be­
dem höchsten Vorhersagewert für ein erfolgreiches Ergebnis mit schwerden bestehen (Kitchen u. Simpson 1972). Pathogenetisch
wiederhergestellter Sensibilität und Schmerzreduktion nach opera­ kommen häufiger genuine (durch ungünstigen anatomischen Ner­
tiver Nervenentlastung. In einer Studie an 46 Patienten ergab sich venverlauf) und selten symptomatische Formen vor (iatrogene, post­
ein prädiktiver Wert von bis zu 95%. Auf der anderen Seite profitierte traumatische Ursachen, Schwangerschaft, Adipositas, enge Kleider,
nur 1 von 5 Patienten von einer operativen Dekompression, wenn diabetische Polyneuropathie; Benini 1992). Iatrogene Schädigungen
kein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen auszulösen war (Lee u. Del­ sind hauptsächlich nach Eingriffen am Beckenkamm (Knochen­
lon 2004). spanentnahme) zu verzeichnen.
49.2 · Einzelne Kompressionssyndrome
431 49
Klinik und Diagnose et al. 1988). Er hat den Vorteil, dass der NCFL trotz seines varianten­
Die Klinik der betroffenen Patienten ist hauptsächlich geprägt von reichen Verlaufs proximal identifiziert und bis in die Aufteilung sei­
Parästhesien im Versorgungsgebiet des N. cutaneus femoris lateralis ner Äste verfolgt werden kann (Ducic et al. 2006).
am distalen und lateralen Oberschenkel. Die Beschwerden können
provoziert werden durch langes Stehen, Gehen oder Liegen mit ge­
strecktem Bein. Bewegungen, die eine Traktion am Leistenband 49.2.2 N. iliohypogastricus, N. ilioinguinalis
­ausüben, lösen brennende Schmerzen und Parästhesien am Ober­
schenkel aus. Bei protrahiertem Krankheitsverlauf können sensible Echte Kompressionssyndrome der beiden Nerven sind selten. Ein
Störungen in einem umschriebenen Gebiet am ventrolateralen echtes Engpasssyndrom des N. ilioinguinalis kann beim Durchtritt
Oberschenkel beobachtet werden. durch die Schichten der ventrolateralen Bauchwand bestehen, meist
Bei der klinischen Untersuchung provoziert ein umgekehrtes handelt es sich jedoch um iatrogene Läsionen (Beckenkammbiop­
Lasègue-Zeichen mit Hyperextension im Hüftgelenk und gleich­ sien, Gefäßpunktionen, Herniotomien, Hämatome). Diese können
zeitiger Flexion im Kniegelenk Schmerzen im betroffenen Areal. zu starken elektrisierenden Schmerzen führen, die die Lebensquali­
Ebenso findet sich bei der Mehrzahl der Patienten ein positives Hoff­ tät der Betroffenen erheblich einschränken.
mann-Tinel-Zeichen medial der Spina iliaca anterior superior mit Die Nn. iliohypogastricus und ilioinguinalis als Äste der 12. Tho­
Missempfindungen am Oberschenkel (Tackmann 1989). rakalwurzel sowie der 1. und 2. Lumbalwurzel versorgen die untere
Zur Sicherung der Verdachtsdiagnose dienen die Blockade des Bauchmuskulatur motorisch sowie den lateralen Hüftbereich und
NCFL mit einem Lokalanästhetikum medial und unterhalb der Spi­ die Leiste sensibel. Darüber hinaus wird das Skrotum vom N. ilioin­
na iliaca anterior superior (SIAS) und die Ableitung des somatosen­ guinalis innerviert. Durch sehr variable sensible Innervation und
sorisch evozierten Potenzials (SEP; Flügel et al. 1984; Esteban 1998), Überlappung der einzelnen Innervationsgebiete sind Kompressi­
wobei meist eine Latenzverzögerung oder eine fehlende kortikale onen einzelner Nerven relativ schwer zu diagnostizieren, zumal bei
Reizantwort beobachtet wird. Auch eine Messung der sensiblen ­ Affektion dieser Nerven nur die sensiblen Anteile für Leiste und
Nervenleitgeschwindigkeit des NCFL ist möglich, wenn auch bei Genitale betroffen sind.
adipösen Menschen ungleich schwieriger. Hierbei werden Werte Differenzialdiagnostisch müssen v. a. funktionelle Schmerzsyn­
über 40 m/s als uneingeschränkte Leitungsgeschwindigkeiten ange­ drome der Leiste abgegrenzt werden.
sehen.
Therapie
Therapie Die chirurgische Therapie dieser Nervenkompressionssyndrome
Konservative Therapie, v. a. durch Vermeidung von engen Hosen gestaltet sich schwierig mit häufig nicht voraussehbarem Erfolg.
oder Korsetts und eine Gewichtsreduktion, erreicht in 50% gute Er­ Mikrochirurgische Neurolysen im Narbengewebe nach stattgehab­
gebnisse, wobei Spontanremissionen in bis zu 25% der Fälle be­ ten Eingriffen sind technisch sehr anspruchsvoll.
schrieben sind (Mumenthaler 1987; Williams u. Trzil 1991). Weiter­
hin sind Infiltrationen mit Lokalanästhetika und Kortikosteroide im
Bereich von Fascia lata medial und kaudal der SIAS möglich. 49.2.3 N. genitofemoralis
Bei persistierenden Schmerzen oder nur insuffizienter Besse­
rung ist die operative Therapie mittels Dekompression und Neuro­ Eine Abgrenzung einer Kompression des N. genitofemoralis von Be­
lyse des NCFL durch Beseitigung aller komprimierenden Strukturen schwerden durch die Nn. ilioinguinalis oder Iliohypogastricus ist
oder alternativ die Durchtrennung des Nervs mit Resektion des Ner­ schwierig; ein echtes Kompressionssyndrom unbekannt, es kommen
vensegments indiziert (Nahabedian und Dellon 1995). aber Läsionen im Rahmen von Herniotomien und urologischen Ein­
Die Nervenresektion birgt das Risiko von Deafferenzierungs­ griffen vor.
schmerzen und wird bei Fehlen einer eindeutigen Kompressions­ Der N. genitofemoralis entspringt aus den Wurzeln L1 und L2
stelle, bei iatrogener oder posttraumatischer Läsion des Nervs mit und zieht am lateralen Rand des M. psoas major entlang in Beglei­
Neurombildung oder bei einem Rezidiv nach vorausgegangener De­ tung der A. iliaca communis, benachbart dem Urether und dem Ko­
kompression durchgeführt (Tackmann 1989). lon. Das sensible Innervationsgebiet liegt etwas weiter distal vom
N. ilioinguinalis, motorisch versorgt er über einen Ast im Leistenka­
Operative Therapie. In Allgemein- oder Lokalanästhesie und Rü­ nal den M. cremaster (. Abb. 42.2).
ckenlage wird über eine Längsinzision medial der Spina ilica ante­rior Durch die Aufspaltung des Nervs in einen R. genitalis und einen
superior von 5–6 cm Länge der NCFL auf dem Vorderrand des R. femoralis können Symptome sowohl in Form diffuser als auch
M. sartorius unter der Fascia lata aufgesucht und nach kranial ver­ umschriebener Schmerzen im Leistenbereich, der Oberschenkel­
folgt. Nach Spaltung der Muskelfasern der Mm. obliquus externus, innenseite sowie dem Skrotum oder der Labia majora auftreten.
internus und transversus abdominis kann die hintere Bauchwand In fortgeschrittenen Fällen kann der Cremasterreflex erloschen
dargestellt werden, der N. ilioinguinalis wird geschont. Der Haupt­ sein.
stamm des NCFL kann unterhalb der Fascia iliaca identifiziert wer­
den. Der Nerv wird nach kaudal verfolgt und in seiner gesamten
Länge dekomprimiert, wobei nur eines der beiden Blätter des Lei­ 49.2.4 N. pudendus
stenbandes gespalten werden muss.
Nervenkompressionen des N. pudendus sind relativ selten, gehäuft
> Eine Resektion des Nervs muss weit proximal des Leisten-
aber bei Radsportlern. Etwa 50–91% der Freizeit- und Eliteradsport­
bandes erfolgen, um schmerzhafte Stumpfneurome zu
ler klagen über Taubheit im Genitalbereich, 13–24% über erektile
vermeiden.
Dysfunktion,, die durch Läsionen des N. pudendus entstehen, wenn
Ein alternativer Zugang ist der suprainguinale Zugang von oberhalb sie nicht traumatischer, vaskulärer, entzündlicher sowie tumorasso­
des Lig. inguinale mit einem 2 cm langen Horizontalschnitt (Aldrich ziierter Genese sind. Weitere Symptome stellen perineale oder geni­
432 Kapitel 49 · Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität

tale Schmerzen, Hypästhesie, vesikale Stressinkontinenz und fäkale


49 Inkontinenz dar.
Es gibt verschiedene Lokalisationen, an denen der Nerv eine chro­
nische Druckschädigung erleiden kann. Nach seinem Austritt aus dem
Foramen infrapiriforme verläuft der N. pudendus in seinem proxima­
len Teil zwischen den Ligg. sacrospinale und sacrotuberale, wo es eben­
so wie im Alcock-Kanal zu Druckerhöhungen kommen kann. Zu­dem
wurde kürzlich eine weitere Engstelle im distalen Teil beschrieben,
gebildet aus dem R. inferior des Os pubis sowie einem Teil des Lig. sus­
pensorium penis an der Basis des Penis (Hruby et al. 2005).
Neben der klinischen sollte eine elektroneurographische Unter­
suchung erfolgen, die meist eine vergrößerte motorische Latenz des
terminalen N. pudendus zeigt.
In vielen Fällen vergehen die Beschwerden nach Druckvermei­
dung und lokaler Instillation von Anästhetika und Kortikoiden. Bei
Beschwerdepersistenz und Sphinkterschwäche zeigt die Dekompres­
sion des Nervs, v. a. bei Diabetikern, gute Ergebnisse und verhindert
eine neuropathische Progression.
Die Neurolyse des Nervs ist nach Durchtrennung des Lig. sacro­
tuberale über einen transglutäalen Zugang, zum anderen über die
Dekompression des Nervs im Alcock-Kanal über einen paraanalen
Zugang in Steinschnittlage des Patienten möglich (Mauillon et al.
1999; Shafik 1994, Shafik u. Doss 1999). Beachtung sollte man dem
jüngst beschriebenen, ca. 3 cm langen Kanal schenken, welcher, wie
oben beschrieben, zwischen dem R. inferior ossis pubis und dem
Lig. suspensorium penis liegt und in einer Kadaverstudie bei 2 von
10 Präparaten Pseudoneurome als Zeichen einer chronischen Druck­
erhöhung zeigte.

49.2.5 N. femoralis, N. obturatorius

Eine Druckschädigung der Nn. femoralis und obturatorius kommt


meist bei Tumoren oder Hämatomen der Beckenregion vor, anato­
mische Engpässe sind unbekannt. Dysästhesien der distalen Ober­
schenkelinnenseite bis zum Knie sind typisch für die Kompression
des N. obturatorius und sollten immer an eine Obturatoriushernie
denken lassen. Läsionen des N. femoralis, meist in der Leistenregion,
zeigen dagegen Dysästhesien oder Hypästhesien an der Oberschen­
kelvorder- und -innenseite.
Eine chirurgische Intervention sollte bei großen Hämatomen in
der Leistenbeuge mit schwerer Läsion des N. femoralis durchgeführt
werden. Die Prognose bei Einblutung in den Nerv ist bescheiden.

49.2.6 N. ischiadicus (Piriformissyndrom)


. Abb. 49.1 Schema des Piriformissyndroms und der verschiedenen Va­
Das Piriformissyndrom gilt mit einer Inzidenz zwischen 0,5% und rianten: a Durchtritt des N. fibularis communis durch den M. piriformis
6% aller Fälle von unterem Rückenschmerz als seltenes, schwierig zu sowie des N. tibialis durch das Foramen infrapiriforme. b Durchtritt des
diagnostizierendes Kompressionssysndrom (Parziale et al. 1996; N. fibularis communis durch das Foramen suprapiriforme sowie des N. tibialis
Goldner 1997). Beim Durchtritt des N. ischiadicus durch das Fora­ durch das Foramen infrapiriforme. c Gemeinsamer Durchtritt des N. ischia-
men infrapiriforme des Foramen ischiadicum majus (. Abb. 42.2) dicus durch den M. piriformis. d Verlauf des N. fibularis superficialis durch
das Foramen suprapiriforme sowie des N. tibialis durch den M. piriformis.
kann es zu einer Stenose durch die begrenzenden Strukturen kom­
e Gemeinsamer Verlauf des N. ischiadicus durch das Foramen suprapirifor-
men und dadurch zu einer Kompression der Nn. tibialis und fibula­
me. (Mod. nach Tackmann 1989)
ris communis, die sich hier schon getrennt haben können (. Abb. 49.1;
Pecina 1979). Das Foramen infrapiriforme wird einerseits durch den
M. piriformis, andererseits durch die Incisura ischiadica des Os is­ chiadicus, v. a. durch radikuläre Syndrome und Tumoren im Bereich
chii gebildet. des kleinen Beckens, ausgeschlossen werden (Tackmann 1989).
Als Ursache werden Verlaufsanomalien oder vorausgegangene
Traumata angenommen. In 7–22% der Fälle tritt der N. piriformis Klinik und Diagnostik
direkt durch den M. piriformis als Anomalie hindurch (Pecina Die Klinik imponiert durch Lumbalgie, Lumboischialgie bis hin zu
1979). Differenzialdiagnostisch müssen auch Affektionen des N. is­ Parästhesien der Fußsohle, die durch Adduktion und Innenrotation
49.2 · Einzelne Kompressionssyndrome
433 49
des Oberschenkels im Hüftgelenk provoziert werden. Als Leitsym­ durch den M. sartorius oder seine Sehne vor, die belastungsabhängig
ptom gilt die Unfähigkeit zum schmerzfreien Sitzen in bis zu 100% intermittierende Schmerzen des Knies hervorrufen (Wartenberg
der chirurgisch bestätigten Piriformissyndrome. 1954). Therapeutisch wird nach Ausbleiben eines Therapieerfolges
Als diagnostischer Test mit der höchsten Sensitivität gilt der durch Kortikoidinjektionen die Resektion empfohlen (Worth et al.
FADIR-Test, der für Flexion, Adduktion und Innenrotation des be­ 1984).
troffenen Beins im Hüftgelenk steht. Mit diesem konnte eine Sensi­
tivität von bis zu 100% erreicht werden (Benson et al. 1999). Die
apparative Diagnostik zeigte gute Ergebnisse in der Elektrophysio­ 49.2.8 N. tibialis
logie kombiniert mit der FADIR-Position sowie in der Ableitung
somatosensorisch evozierter Potenziale (Fishman u. Zybert 1992; Der N. tibialis kann neben dem oben beschriebenen Foramen infra­
Synek 1987). piriforme v. a. im Bereich des hinteren Tarsaltunnels und seltener
auch der Plantarmuskulatur komprimiert werden. Beim Tarsaltun­
Therapie nel werden ein vorderer und ein distaler von einem hinteren, von
Konservative Therapie. Konservative Therapie ist meist völlig aus­ einigen Autoren auch als medial bezeichneten Tarsaltunnel unter­
reichend (Parziale et al. 1996). Nichtsteroidale Antiphlogistika bzw. schieden. Der Begriff des distalen Tarsaltunnels wurde eingeführt
Analgetika in Kombination mit Muskelrelaxanzien reduzieren loka­ für die Kompression der plantaren Endäste des N. tibialis in der
le Entzündung, Schmerz und Muskelverspannungen. Zusätzlich Plantarmuskulatur. Dagegen beinhaltet der vordere Tarsaltunnel den
wird physikalische Therapie in Form von Stretching des M. pirifor­ Endast des N. peronaeus profundus.
mis, Ultraschall und transrektalen Massagen empfohlen, bei aus­ Ein idiopathisches hinteres Tarsaltunnelsyndrom ist selten, ur­
bleibendem Erfolg lokale Injektionen von Anästhetika und Korti­ sächlich sind Fußdeformitäten oder posttraumatische Zustände wie
koiden. Innenbandläsionen oder Innenknöchelfrakturen. Kompressionen
können durch Ganglien der Mittelfußgelenke, Lipome, Nerventu­
Operative Therapie. Bei Beschwerdepersistenz nach 3-maliger In­ moren wie Neurofibrome oder Schwannome sowie traumatische
jektion ist die chirurgische Therapie indiziert. In Seitenlage des Pa­ Neurome im Bereich des Tarsaltunnels entstehen.
tienten werden vom oberen Teil des posterioren Hüftzugangs aus die Spondylarthrotische und entzündliche Gelenkveränderungen,
Faszie sowie der M. glutaeus superior entlang des Faserverlaufs ge­ anatomische Normvarianten wie z. B. ein akzessorischer M. abduc­
spalten. Nach Spaltung des Muskels wird der M. piriformis aufge­ tor hallucis oder akzessorische Sehnen und eine den Nerv überkreu­
sucht, sein Ansatz palpiert und dargestellt und der Muskel nach zende Arterie können als weitere seltene Ursachen eines Tarsaltun­
proximal bis zum Foramen ischiadicum majus präpariert, wo der nelsyndroms beobachtet werden (Tackmann 1989). Weiterhin stel­
N. ischiadicus identifiziert und neurolysiert wird. len exzessive sportliche Betätigungen wie Marathonläufe durch
Die Operation kann ambulant durchgeführt werden. Die Patien­ Schwellungszustände eine mögliche Kausalität für ein akutes Tarsal­
ten sollten postoperativ schmerzadaptiert bis zum 5.–10. postopera­ tunnelsyndrom dar (Rask 1978).
tiven Tag teilbelasten. Längeres Sitzen sowie längere Autofahrten
sollten für 4–6 Wochen vermieden werden. Klinik und Diagnose
Der klinische Befund ist gekennzeichnet durch eine Druckdolenz
und ein Hoffmann-Tinel-Zeichen im Verlauf des noch ungeteilten
49.2.7 N. saphenus, R. infrapatellaris N. tibialis meist in Höhe des Innenknöchels oder etwas weiter dis­
tal nach Aufteilung in die Nn. plantaris medialis und lateralis
Idiopathische Kompressionssyndrome des N. saphenus sind für den (. Abb. 42.4). Das positive Hoffmann-Tinel-Zeichen hat die höchste
Hauptstamm im distalen Oberschenkeldrittel und für einen Seiten­ Sensitivität bei der Erkennung von Patienten, die von einer opera­
ast, den R. infrapatellaris, beschrieben worden (Tackmann 1989; tiven Intervention profitieren würden (Lee u. Dellon 2004).
Mumenthaler et al. 1998). Am häufigsten wird der Nerv allerdings Eine Hypästhesie beschränkt sich meist auf das Gebiet des N. ti­
im Rahmen von venenchirurgischen Eingriffen lädiert, insbesonde­ bialis, kann jedoch sowohl den N. plantaris medialis als auch late­ralis
re nach Venen-Stripping am Unterschenkel. betreffen oder ausschließlich den R. calcaneus. In fortgeschrittenen
Klinisch äußern die Patienten Beschwerden in Form von Dysäs­ Fällen können sich muskuläre Atrophien im Bereich des Fußgewöl­
thesien an der Unterschenkelinnenseite oder unterhalb der Patella. bes zeigen, die mit einer Abspreizschwäche und einer Krallenstel­
Auf Höhe der Kompression findet sich eine Druckdolenz im Ner­ lung der Kleinzehen einhergehen.
venverlauf. Prädilektionsstellen sind die Austrittsstelle aus dem Die elektrophysiologische Untersuchung ist beweisend für ein
Hunter-Kanal des N. saphenus sowie die Durchtrittsstelle des R. in­ Tarsaltunnelsyndrom, ein negativer Befund schließt es nicht aus.
frapatellaris zwischen M. sartorius und dem Condylus medialis des Findet sich eine stark verzögerte Latenz der Nn. plantaris medialis
Femur. und lateralis sowie gleichzeitig eine Denervationsschädigung der
Hilfreich in der Diagnostik ist oft die sensible Neurographie, Kennmuskeln, ist die Diagnose gesichert. Ohne Nachweis einer Lei­
durch die der Nerv antidrom an der medialen Tibiahinterkante in tungsverzögerung oder Leitungsblock ist die Diagnose fraglich. Zur
Unterschenkelmitte stimuliert und das Nervenaktionspotenzial mit­ Diagnosesicherung kann eine probatorische Injektion eines Lokala­
tels Oberflächenelektroden über dem ventralen Aspekt des Innen­ nästhetikums in den Tarsaltunnel erfolgen.
knöchels abgeleitet wird. In die Differenzialdiagnostik einer Kompression des N. tibialis
Eine operative Exploration des Nervs ist selten indiziert, meist müssen in erster Linie Polyneuropathien einbezogen werden. Auch
reichen lokale Kortikoidinjektionen. Schmerzhafte Neurome durch kommen bei Diabetikern Zustände von kombinierter Polyneuropa­
Nervenläsionen im Rahmen von Venen-Stripping werden bis in ge­ thie und Nervenkompressionssyndrom vor. Darüber hinaus kann
sundes Gewebe reseziert. ein radikuläres L5- oder S1-Syndrom vorliegen. Die Morton-Meta­
Bei dem als Gonalgia paraesthetica bezeichneten Kompressions­ tarsalgie und gelegentlich arterielle Durchblutungsstörungen kön­
syndrom des R. infrapatellaris liegt meist eine Irritation des Nervs nen gelegentlich ähnliche Beschwerden hervorrufen.
434 Kapitel 49 · Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität

Operative Therapie Die anfänglich im Vordergrund stehenden Schmerzen, die am


49 Bei gesicherter Diagnose muss operiert werden. Der Eingriff ist in Knie beginnen und in den Unterschenkel und Fußrücken ausstrah­
Lokalanästhesie oder i.v.-Regionalanästhesie und Unterschenkel­ len können, können frühzeitig von einer Fußheber- und Großzehen­
blutsperre möglich, eine Spinal- oder Allgemeinanästhesie aber streckerschwäche begleitet werden. Bei einer Ganglienzyste, die
­wegen der in der Knöchelregion häufig vorkommenden Varikosis meist im Bereich des Fibulaköpfchens getastet werden kann, stehen
ratsam. intermittierende Symptome im Vordergrund. Ebenso sind beidsei­
In Rückenlage des Patienten mit leichter Außenrotation des tige druck- bzw. kompressionsbedingte Schädigungen beschrieben
Fußes erfolgt die Inzision bogenförmig um den medialen Epikondy­ (Mumenthaler et al. 1998).
lus in Richtung auf das Fußgewölbe bis zum medialen Fußrand. Zur Diagnostik bietet sich die Elektroneurographie an, die eine
Nach Durchtrennen des Subkutangewebes und Einsetzen eines Schädigung des Nervs zuverlässig lokalisieren kann. Zu den wich­
großen Wundspreizers wird das Nerv-Gefäß-Bündel zwischen In­ tigsten Differenzialdiagnosen zählen die weitaus häufigeren, bereits
nenknöchel und Achillessehne möglichst weit proximal aufgesucht, erwähnten Druckläsionen des Nervs und das L5-Syndrom. Für Letz­
das Retinaculum flexorum dargestellt und vollständig gespalten. Es teres spricht ein normales sensibles NAP des N. peronaus superficia­
finden sich mehr oder weniger ausgeprägte netzartige venöse Struk­ lis (Stöhr et al. 1998).
turen. Der zum Fersenbein abgehende R. calcaneus muss geschont
werden. Nach der Bifurkation in die Nn. plantaris medialis und late­ Operative Therapie
ralis werden auch diese bis in die Plantarmuskulatur präpariert und Der Eingriff erfolgt in Spinalanästhesie oder Vollnarkose und Ober­
einengende Strukturen durchtrennt. schenkelblutsperre. Eine einfache Dekompression ist für den ver­
Vermeiden sollte man Eingriffe am Nerv selbst (interfaszikuläre sierten Operateur auch in Lokalanästhesie und Blutsperre möglich.
Neurolyse), da diese überflüssig bzw. sogar schädlich sind. Findet Die operative Exploration des N. peronaeus ist bei anhaltender
sich ein Lipom oder Ganglion, wird dieses vollständig und ein­ Schmerzsymptomatik und progredienter Parese indiziert. Auch bei
schließlich des Gelenkstiels exstirpiert. Postoperativ ist eine Teilbe­ ausbleibender Besserung einer elektroneurographisch kontrollierten
lastung des Fußes möglich und frühzeitige Mobilisierung sinnvoll, posttraumatischen Parese wie nach stumpfem Trauma ist eine Frei­
um Adhäsionen zu vermeiden. legung des Nervs zu bedenken (Mackinnon u. Dellon 1988). Intra­
Postoperative Komplikationen in Form von Wundheilungsstö­ neurale Zysten erfordern eine sorgfältige Präparation unter Spinal­
rungen sind nicht ungewöhnlich, insbesondere bei diabetischen und anästhesie oder Vollnarkose.
varikösen Veränderungen (Mackinnon u. Dellon 1988). Dysästhe­ Der Patient wird in Rückenlage gebracht, das Knie angebeugt und
sien können noch für einige Wochen vorkommen. etwas innenrotiert. Die Inzision führt man hinter dem Fibulaköpfchen
Nach Exstirpation eines Lipoms oder Ganglions sowie nach leicht S-förmig nach proximal bis in Höhe der Ansatzstelle des M. bi­
posttraumatischen Fällen ist die Prognose meist günstig. Bei Gangli­ ceps femoris. Im Subkutangewebe stößt man auf variable Hautnerven,
en können allerdings Rezidive vorkommen. In der Literatur berich­ die den lateralen Unterschenkel versorgen oder Zu­flüsse des N. suralis
ten einzelne Autoren über Erfolgsquoten von nur 50% (Linscheid darstellen. Die bandartige Faszie des lateralen M. gastrocnemius wird
et al. 1970). Möglicherweise spielt hierbei aber eine zu großzügige gespalten, der N. peronaeus in der lateralen Kniekehle dargestellt und
Indikationsstellung eine wichtige Rolle. bis zur Aufteilungsstelle verfolgt. Von den Mm. peronaeus longus und
extensor digitorum longus wird der sehnige Rand und auch die beiden
> Der positive prädiktive Wert eines positiven Hoffmann-
Muskeln selbst soweit gespalten bzw. inzidiert, bis der tastende Finger
Tinel-Zeichens zur Identifikation von Patienten, die von
dem Verlauf des Nervs nach distal folgen kann. Ein aufgefundenes
einer operativen Dekompression profitieren würden, liegt
Ganglion oder Schwannom wird exstirpiert.
in der Literatur bei 88% (Lee u. Dellon 2004).
Vor dem Wundverschluss wird eine Drainage eingelegt und für
maximal 1 Tag ein leicht komprimierender Verband angelegt. Eine
besondere Ruhigstellung ist postoperativ nicht erforderlich.
49.2.9 N. peronaeus communis

Im Bereich der Kniekehle sind Kompressionssyndrome des Nervs 49.2.10 N. peronaeus profundus
selten. Insbesondere der R. profundus verläuft hinter dem Fibula­
köpfchen relativ exponiert (. Abb. 42.3), wodurch es hier eher zu Das vordere Tarsaltunnelssyndrom, das erstmals von Marinacci
externen Druckschäden kommt. Eine häufige Ursache ist das Über­ (1968) beschrieben wurde, stellt ein Kompressionssyndrom des En­
einanderschlagen der Beine besonders bei abgemagerten Patienten dastes des N. peronaeus profundus unter dem Lig. cruciforme bzw.
durch den Verlauf in der lateralen Kniekehle. Auch lagerungsbe­ weiter distal unter der Sehne des M. extensor hallucis brevis dar
dingte Druckschäden in Narkose oder bei Bettlägerigen oder durch (Antoniadis et al. 1992; Mumenthaler et al. 1998).
Gipsverbände bedingte Druckschäden kommen vor.
Der N. peronaeus communis tritt in die Muskelloge zwischen Klinik und Diagnostik
den beiden Köpfen des M. peronaeus longus ein, wo deshalb echte Die Patienten geben ein Taubheitsgefühl zwischen der 1. und 2. Zehe
Kompressionssyndrome möglich sind (Mumenthaler et al. 1998). Sie sowie Schmerzen am Fußrücken bei Belastung, aber auch in Ruhe­
wurden v. a. bei Arbeiten in hockender Stellung beschrieben. stellung an.
Eine Verdickung des Nervs kann ebenso zu einer Kompression Klinisch findet sich eine Hypästhesie im Innervationsgebiet des
führen, was in erster Linie durch seltene intraneurale Ganglien N. peronaus profundus und meist eine relativ umschriebene Druck­
des N. peronaeus bedingt ist. Diese können belastungsabhängig dolenz sowie ein Hoffmann-Tinel-Zeichen des Nervs in Höhe der
­intermittierende Schmerzen und Paresen verursachen und gehen Kompressionsstelle. Weiterhin kann es zu einer Atrophie des M. ex­
mit einem dünnen Stiel vom Tibiofibulargelenk aus. Differen­ tensor hallucis brevis kommen.
zialdiagnostisch muss an ein Tibialis-anterior-Syndrom gedacht Diagnostisch wegweisend können elektroneurographisch im
werden. M. extensor digitorum brevis Denervationszeichen nachgewiesen
49.2 · Einzelne Kompressionssyndrome
435 49
werden mit einer verzögerten distalen motorischen Latenz zum Konglomerat mit der entzündlich veränderten Bursa führt. Dies
M. extensor digitorum brevis. Ein Seitenvergleich kann hier nützlich scheint in den meisten Fällen die Ursache der Morton-Metatarsalgie
sein. Einfache Druckschäden, z. B. durch enge Schnürstiefel sind zu sein.
differenzialdiagnostisch auszuschließen.
Symptomatik und Diagnostik
Therapie Zu den typischen Symptomen zählen belastungsabhängige attacken­
Konservative Therapie. Vor einer operativen Therapie werden artig auftretende Schmerzen im Vorfuß mit Ausstrahlung in die
­lokale Anästhetika- und Kortikoidinjektionen durchgeführt. Bei mittleren Zehen, die häufig nach Ende der Belastung nicht sistieren,
länger bestehenden Beschwerden und erfolgloser lokaler Kortikoid­ sondern als dumpfer Dauerschmerz imponieren und durch Tragen
infiltration ist die operative Exploration indiziert. enger Schuhe provoziert werden. Ebenso können sie in der Nacht
auftreten. Die Beschwerden werden oft jahrelang verkannt und als
Operative Therapie. Diese wird in Lokalanästhesie, i.v.-Regionala­ Spreizfußbeschwerden missdeutet, zumal gleichzeitig eine Spreiz­
nästhesie oder Spinalanästhesie und Unterschenkelblutsperre durch­ fußdeformität vorkommen kann.
geführt. Über eine Längsinzision am Fußrücken wird vorsichtig das In der klinischen Untersuchung zeigt sich eine umschriebene
Subkutangewebe durchtrennt und ein evtl. atypisch verlaufender Druckdolenz zwischen der 3. und 4., selten auch der 2. und 3. Zehe,
sensibler Endast des N. peronaeus superficialis geschont. Das Reti­ unmittelbar distal oder zwischen den Metatarsalköpfchen. Bei Pal­
naculum extensorum wird gespalten. Proximal kann der N. pero­ pation des Interdigitalraums mit Daumen und Zeigefinger einer
naeus profundus dargestellt und nach distal präpariert werden. Alle Hand unter gleichzeitiger seitlicher Kompression des Vorfußes bzw.
einschnürenden Strukturen werden entfernt, einschließlich eines der Metatarsophalangealgelenke mit der anderen Hand findet sich
öfters hier vorkommenden Ganglions. Bei einer weiter distal gele­ nicht nur der typische Schmerz, sondern gleichzeitig auch eine Kre­
genen Kompression wird die Inzision S-förmig zwischen dem 1. und pitation des Pseudoneuroms (»Klick-Phänomen«). Häufig zeigen
2. Metatarsalraum gelegt und die Sehne des M. extensor digitorum sich sensible Störungen der lateralen Hälfte der 3. und/oder der me­
brevis dargestellt und mit einem Haken vorgezogen. Darunter kann dialen Hälfte der 4. Zehe.
der Endast des M. peronaeus profundus aufgefunden werden. Die In die Differenzialdiagnostik müssen in erster Linie Spreizfuß­
Sehne wird exstirpiert. beschwerden einbezogen werden, bei denen nicht der Interdigital­
Der sensible N. peronaeus superficialis wird im Verlauf des late­ raum, sondern die Metatarsalköpfchen druckdolent sind. Eine Ten­
ralen Unterschenkels bzw. beim Durchtritt durch die Fascia cruris dinitis mit ausgeprägter Druckschmerzhaftigkeit der Strecksehnen
außerordentlich selten isoliert komprimiert. Meist handelt es sich kann für belastungsabhängige Vorfußschmerzen ebenfalls in Frage
dabei um traumatische Läsionen, aufgetreten bei der operativen Ver­ kommen. Die häufig empfohlene diagnostische Abklärung mittels
sorgung von Außenknöchelfrakturen oder Bandrupturen. Infiltration eines Lokalanästhetikums ist häufig weniger hilfreich, da
neben dem Nerv auch die angrenzenden Strukturen wie Periost und
Sehnen anästhesiert werden.
49.2.11 Morton-Metatarsalgie Die elektrophysiologische Untersuchung der Interdigitalnerven
kann durchgeführt werden, ist aber technisch aufwendig. Dabei wird
Die Morton-Metartarsalgie wurde als erstes Engpasssyndrom eines mit speziellen Elektroden eine Stimulation der gegenüberliegenden
peripheren Nervs 1876 von Morton beschrieben und stellt mit etwa Zehenhälften durchgeführt, wobei das orthodrome SNAP hinter
1,6% der nicht unmittelbar traumatischen Nervenläsionen und 3% dem Innenknöchel des N. tibialis abgeleitet wird.
der Patienten mit Vorfußschmerzen ein relativ seltenes oder selten Eine magnetresonanztomographische Untersuchung ist trotz
erkanntes Krankheitsbild dar (Claustre u. Simon 1978; Mumenthaler neuer hochauflösender Oberflächenspulen bisher noch wenig ver­
1974). Das Syndrom tritt vorzugsweise im Interdigitalraum 3/4 und lässlich.
seltener bei 2/3 auf, während es in den übrigen Interdigitalräumen
praktisch nicht vorkommt. Es findet sich bei Frauen mehr als 4-mal Operative Therapie und Indikationsstellung
häufiger als bei Männern (Assmus 1994). Ein konservatives Therapieregime mit Infiltration von Lokalanäs­
thetika oder Kortikoidpräparaten führt trotz einzelner positiver Au­
Pathogenese torenberichte nur selten zum Erfolg (Tackmann 1989).
Zur Pathogenese wurden seit der Erstbeschreibung durch Morton,
> Die chirurgische Behandlung ist bei der Morton-Meta­
der eine Affektion des Metatarsalgelenks der 4. Zehe annahm, zahl­
tarsalgie die Therapie der Wahl.
reiche und unterschiedlichste pathogenetische Vorstellungen ent­
wickelt. Während die meisten Autoren die Resektion des Pseudoneuroms für
Logisch erscheint jedoch der von Assmus beschriebene patho­ erforderlich halten, gibt es auch Befürworter einer Neurolyse mit
genetische Mechanismus: Distal des Lig. metatarseum transversum oder ohne Spaltung des Lig. intermetatarseum (Gauthier 1979; Ma­
profundum verlaufen die Zehennerven zusammen mit den beglei­ ckinnon u. Dellon 1988). Alternativ wurde von Gauthier 1979 eine
tenden Gefäßen nach dorsal, jedoch normalerweise nicht im Meta­ Spaltung des Intermetatarsalbandes ohne Neuromresektion emp­
tarsalspalt. Dieser wird von der Bursa intermetatarsophalangea, fohlen.
welche häufig chronisch-entzündliche Veränderungen und Verdi­ Es wurden verschiedene operative Zugänge beschrieben (Miller
ckungen aufweist, ausgefüllt. Mulder wies erstmals 1951 darauf hin, 1981). Von den meisten Autoren wird der plantare Zugang gewählt,
dass diese voluminöse Bursa und ein relativ lockeres Intermetatar­ erstmals von Betts im Jahr 1940. Neben der üblichen plantaren
salband zwischen 3. und 4. Zehe die Verlagerung des plantaren Längsinzision ist auch eine plantare Querinzision gebräuchlich, die
Nerv-Gefäß-Bündels in den Metatarsalspalt begünstigen (Assmus eine gleichzeitige Inspektion der benachbarten Interdigitalräume
1994; Mulder 1951). Die dadurch in den Intermetatarsalspalt verla­ erlaubt.
gerten Digitalnerven erfahren zwischen den Metatarsalköpfchen Da die Narbe an der Fußsohle bei Belastung des Fußes stört und
eine chronische Irritation, die zur Pseudoneurombildung und einem postoperativ eine stationäre Behandlung erforderlich ist, findet der
436 Kapitel 49 · Nervenkompressionssyndrome der unteren Extremität

dorsale Zugang zunehmend Verbreitung, der technisch keine beson­ Aszmann OC, Kress KM, Dellon AL (2000) Results of decompression of periph-
49 deren Probleme bereitet. Man kann die Zehennerven vom distalen eral nerves in diabetics: a prospective, blinded study. Plast Reconstr Surg
Interdigitalraum, d. h. zwischen den Zehen, aufsuchen oder auch 106 (4): 816–822
Beaton LE, Anson B (1938) The sciatic nerve and the piriformis muscle: their
von einem etwas mehr proximalen Zugang unmittelbar über dem
interrelation a possible cause of coccygodynia. J Bone Joint Surg [Am] 20:
Gelenkspalt zwischen den Metatarsalköpfchen. Hier stößt man zu­
686–688
nächst auf die Bursa, die verdickt und mit dem Pseudoneurom fest Benini A (1992) [Ilio-inguinal and genito-femoral neuralgia. Causes, clinical
verbacken ist. Beide werden en bloc reseziert. Der Eingriff kann pro­ aspects, therapy]. Schweiz Rundsch Med Prax 15; 81(38): 1114–20 (in
blemlos ambulant durchgeführt werden. German)
Die Lokalanästhesie erfolgt durch Infiltration eines 1%igen Lo­ Benson ER, Schutzer SF (1999) Posttraumatic piriformis syndrome: diagnosis
kalanästhetikums ohne Adrenalin am distalen Fußrücken und inter­ and results of operative treatment. J Bone Joint Surg [Am] 81: 941–949
digital mit obligater Blutsperre. Der Fuß wird dazu ausgewickelt und Claustre J, Simon L (1978) [Sesamoid pathology of the 1st metatarsal bone].
eine Druckmanschette im distalen Drittel des Unterschenkels ange­ Rev Rhum Mal Osteoartic. 45(7–9): 479–86
legt. An der Basis der Zehen bzw. am Interdigitalraum wird mit der Dellon AL (2002) Prevention of foot ulceration and amputation by decom-
pression of peripheral nerves in patients with diabetic neuropathy. Os-
Inzision begonnen, die nach proximal auf eine Länge von 4–5 cm
tomy Wound Manage 48: 36–45
fortgeführt wird. Nach Einsetzen eines Wundspreizers und Identifi­
Dellon AL, Mackinnon SE, Seiler WA IV (1988) Susceptibility of the diabetic
kation der Metatarsalköpfchen erkennt man im Intermetatarsalspalt nerve to chronic compression. Ann Plast Surg 20(2): 117–119
problemlos die in den meisten Fällen vergrößerte interdigitale Bursa, Ducic I, Dellon AL, Taylor NS. (2006) Decompression of the lateral femoral
die mit dem Morton-Neurom fest verbacken ist. Das Konglomerat cutaneous nerve in the treatment of meralgia paresthetica. J Reconstr
wird mit einer kräftigen Pinzette ergriffen und nach dorsal gezogen. Microsurg 22(2): 113–8
Vor der Resektion wird nochmals eine lokale Infiltration des Neu­ Fishman LM, Zybert PA (1992) Electrophysiologic evidence of piriformis syn-
roms und der Bursa vorgenommen, beide werden dann möglichst drome. Arch Phys Med Rehabil 73: 359–364
weit proximal abgetrennt. Gauthier G (1979) Thomas Morton’s disease: a nerve entrapment syndrome.
Man muss auf Interdigitalgefäße achten, deren Verletzung zu A new surgical technique. Clin Orthop Relat Res 142: 90–2
Goldner JL (1997) Piriformis compression causing low back and lower extrem-
stärkeren Blutungen führen kann.
ity pain. AmJ Orthop 26: 316–318
Vor dem Wundverschluss mit 3–4 Einzelknopfnähten wird ein
Hruby S, Ebmer J, Dellon AL, Aszmann OC (2005) Anatomy of pudendal nerve
Mini-Redovac eingelegt und anschließend ein Kompressionsver­ at urogenital diaphragm – new critical site for nerve entrapment. Urol-
band bis oberhalb der Knöchelregion angelegt. ogy 66 (5): 949–952
Am Folgetag wird die Drainage zusammen mit dem Verband Kitchen C, Simpson J (1972) Meralgia paresthetica. A review of 67 patients.
entfernt, die Fäden werden nach 10 Tagen gezogen. Direkt postope­ Acta Neurol Scand 48 (5): 547–55
rativ erfolgt eine Hochlagerung des Fußes, der jedoch ab dem 1. Tag Lee CH, Dellon AL (2004) Prognostic ability of Tinel sign in determining out-
nach dem Eingriff in langsam zunehmendem Umfang wieder bela­ come for decompression surgery in diabetic and nondiabetic neuropa-
stet werden kann. thy. Ann Plast Surg 53 (6): 523–527
Ein protrahiertes Postneurektomiesyndrom kann auftreten, Linscheid RL, Burton RC, Fredericks EJ (1970) Tarsal-tunnel syndrome. South
Med J 63 (11): 1313–23
meist klingt der Wundschmerz oder Neurektomieschmerz aber 4–8
Mackinnon SE, Dellon AL (1988) Evaluation of microsurgical internal neuroly-
Wochen postoperativ ab (Milgram u. Dunn 1980).
sis in a primate median nerve model of chronic nerve compression.
Die operative Heilungsquote liegt zwischen 70 und 90% (Ass­ J Hand Surg Am 13(3): 345–351
mus 1994). Rezidive des operierten Interdigitalraums kommen Marinacci AA (1968) Medial and anterior tarsal tunnel syndrome. Electromy-
praktisch nicht vor. Falls bei einzelnen Patienten gleiche oder ähn­ ography 8 (2): 123–134
liche Beschwerden auftreten, findet sich meist eine Affektion des Mauillon J, Thomas D, Leroi AM et al. (1999) Results of pudendal nerve neu-
Interdigitalraums 2/3 bzw. umgekehrt. rolysis – transposition in twelve patients suffering from pudendal neural-
gia. Dis Colon Rectum 42: 186–192
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49.2.12 N. suralis mas: a report of three cases. Clin Orthop Relat Res (148): 147–151
Miller SJ (1981) Surgical technique for resection of Morton’s neuroma. J Am
Podiatry Assoc 71(4): 181
Schädigungen des N. suralis resultieren wie beim N. saphenus haupt­
Mulder JD (1951) The causative mechanism in morton’s metatarsalgia. J Bone
sächlich aus chirurgisch-traumatischen Läsionen, die v. a. bei Ein­ Joint Surg Br 33-B (1): 94–95
griffen im Bereich der Achillessehne, des Außenknöchels sowie Mumenthaler M (1974) [Characteristic clinical pictures of not primarilly trau-
der Außenbänder vorkommen. Eigentliche Kompressionssyndrome matic peripheral nerve lesions. Causes and diagnosis]. Nervenarzt 45(2):
sind höchst selten. Für diese wurden Ganglien, Lipome und Nar­ 61–66 (in German)
bengewebe verantwortlich gemacht. Ebenso liegen Berichte über Mumenthaler M (1987) [Differential diagnosis and sequelae of compartment
geschädigte Suralisnerven durch zu eng geschnürte Kampfstiefel vor syndromes]. Z Unfallchir Versicherungsmed Berufskr 80 (4): 275–281 (in
(Tackmann 1989). German)
Nach traumatischen Läsionen ist häufig die Resektion des Neu­ Mumenthaler M, H. Schliack, M. Stöhr (1998) Läsionen peripherer Nerven und
radikuläre Syndrome, 7. Aufl. Thieme, Stuttgart New York
roms im Gesunden indiziert.
Nahabedian MY, Dellon AL (1995) Meralgia paresthetica: etiology, diagnosis,
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49.2 · Einzelne Kompressionssyndrome
437 49
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VIII

Handchirurgie
P. Vogt

Kapitel 50 Anatomie, klinische Untersuchung   – 443


C. Hadamitzky, T. Peters

Kapitel 51 Bildgebende Untersuchung der Hand   – 457


H. Rosenthal, A. Gohritz

Kapitel 52 Arthroskopie des Handgelenks   – 467


J. Redeker

Kapitel 53 Knochen- und Gelenkverletzungen   – 477


S. Schinner, H. Rosenthal

Kapitel 54 Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger   – 495


M. Meyer-Marcotty

Kapitel 55 Sehnenverletzungen der Hand   – 507


C. Choi

Kapitel 56 Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation


der Hand   – 517
K.H. Busch, A. Gohritz

Kapitel 57 Infektionen der Hand   – 531


S. Schinner, P.M. Vogt

Kapitel 58 Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand   – 547


K.H. Busch, A. Gohritz

Kapitel 59 Degenerative Sehnenerkrankungen der Hand   – 553


C. Choi

Kapitel 60 Degenerative Knochenerkrankungen der Hand   – 559


M. Meyer-Marcotty

Kapitel 61 Rheumatoide Arthritis   – 573


M. Meyer-Marcotty

Kapitel 62 Tumoren der Hand   – 577


K.H. Busch, J. Redeker, A. Gohritz, P.M. Vogt
Kapitel 63 Dupuytren-Kontraktur   – 587
S. Schinner

Kapitel 64 Komplexes regionäres Schmerzsyndrom   – 593


C. Radtke

Kapitel 65 Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer


Ersatzoperationen   – 599
A. Jokuszies, P.M. Vogt
Die Hand als besondere anatomische Struktur besitzt nicht nur mechanische Funktionen als Greiforgan, sondern
darüber hinaus als sensorisches Organ. Im Vordergrund handchirurgischer Verfahren steht neben der ausführlichen
und zielführenden Diagnostik die stadiengerechte Wiederherstellung von Funktion und Sensorik.
Durch die Zusammenführung plastisch-chirurgischer, orthopädischer und gefäßchirurgischer bzw. mikrochir-
urgischer Prinzipien innerhalb der Handchirurgie ist es zur Entwicklung eines spezialisierten Schwerpunktes
­geworden, der eine der 4 Säulen der Plastischen Chirurgie darstellt. Die Möglichkeiten der mikrochirurgischen
Replantationstechniken haben das Spektrum der Handchirurgie bis hin zu den sehr differenzierten Verfahren
des freien Gewebetransfers erweitert. Von der elektiven Verpflanzung freier Gewebe inklusive der Zehentransplan-
tation hat sich die Entwicklung inzwischen bis zur Allotransplantation der Hand vollzogen.
50

Anatomie, klinische Untersuchung


C. Hadamitzky, T. Peters

50.1 Anatomie – 444


50.1.1 Terminologie – 444
50.1.2 Haut – 444
50.1.3 Bindegewebe – 444
50.1.4 Knöcherne Anatomie – 444
50.1.5 Muskuläre Anatomie – 445
50.1.6 Gefäßversorgung – 448
50.1.7 Nerven – 448

50.2 Klinische Untersuchung der Hand – 450


50.2.1 Anamnese – 450
50.2.2 Untersuchungsablauf – 450
50.2.3 Sensibilitätsprüfung – 452
50.2.4 Prüfung der Durchblutung – 452
50.2.5 Prüfung einzelner Handmuskeln – 452
50.2.6 Spezifische Tests – 453

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
444 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung

Planung und Durchführung jedes operativen Eingriffs an der Hand


erfolgen auf der Grundlage einer genauen Kenntnis der Anatomie
der Hand und einer umfassenden Anamnese und körperlichen Un-
50 tersuchung, die hier kurz zusammengefasst werden sollen.

50.1 Anatomie
Die hochdifferenzierten Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten
der Hand werden durch ein System von 22 Handbinnenmuskeln,
27 Knochen sowie 5 ineinandergreifende Gelenkketten ermöglicht.
Die Innervation erfolgt durch 3 Stammnerven, die Nn. medianus,
radialis und ulnaris.

50.1.1 Terminologie . Abb. 50.1 Palmarfaszie

Die Richtungszuordnung an der Hand erfolgt durch die Zusätze


radial, ulnar, palmar und dorsal.
Die Finger werden von radial nach ulnar von 1–5 durchnumme-
riert, beginnend am Daumen.
Die Knochen der Phalangen werden in Segmente von
P1=Grundglied, P2=Mittelglied und P3=Endglied, eingeteilt.

50.1.2 Haut

Die palmarseitige Haut ist gekennzeichnet durch die Hautfurchen.


Sie ist zudem dicker und durch spezielle Bindegewebsstränge von
der Haut zum Knochen weniger verschieblich. An den Fingerspitzen
befinden sich spezielle Nervenendigungen (Meissner-Tastkörper-
chen), die für eine erhöhte Sensibilität sorgen.

50.1.3 Bindegewebe . Abb. 50.2 Finger: Querschnitt in Höhe der Mittelphalanx

An der palmarseitigen Hand finden sich die oben genannten Binde-


gewebsstränge, die von der Haut zum Knochen ziehen und die Haut palknochen verbunden. Das Handgelenk ist als Gelenkkette zu be-
hier weniger verschieblich machen. Zusammen mit längsgerichteten trachten, die eine Vielzahl unterschiedlichster Bewegung ermöglicht
Bindegewebssträngen bilden sie die dreiecksförmige Palmarfaszie, (. Abb. 50.3).
die proximal Fasern der Sehne des M. palmaris longus enthält
(. Abb. 50.1). Im Gegensatz hierzu findet sich lockere Haut am Daumensattelgelenk
Handrücken ohne eine ähnliche Verbindung. Das Daumensattelgelenk ist durch die Möglichkeit der Rotation
eines der beweglichsten Gelenke im gesamten Körper und erlaubt
> Dies begünstigt die Ödembildung dorsalseitig, auch bei
die Bewegung aus der Handebene heraus (. Abb. 50.4). Die Karpo-
palmaren Ursachen.
metakarpalgelenke 2–5 haben ein Bewegungsausmaß von bis zu
An den Phalangen finden sich weitere Ligamente, die Grayson- und etwa 110° bei der Extension und Flexion.
Cleland-Bänder, sowie transversale und schräge retinakuläre Ver-
bindungen. Die Grayson-Bänder ziehen von der palmaren Seite der Fingergrund- und -mittelgelenke
Beugesehnenscheide der Finger gerade oder schräg über die Gefäß- Die Fingergrund- und -mittelgelenke erlauben neben den Haupt­
Nerven-Bündel zur Haut und durchflechten sich über der Sehnen- ebenen Extension und Flexion auch geringe Bewegungen in der
scheide. Die Cleland-Bänder spannen sich dorsal der Leitungs- ­Sagittalebene als Rotation. Lediglich die Endgelenke können als rei-
bahnen der Finger auf, sie ziehen in 4 straffen Faserzügen vom ne Scharniergelenke eingestuft werden (. Abb. 50.5).
­Knochen zur Haut und teilen das Subkutangewebe in dorsale und
palmare Kompartimente (. Abb. 50.2). Sensible Versorgung
N. medianus. Versorgt die Beugeseite der Hand und Finger sowie
die Endglieder streckseitig des Daumens, Zeige- und Mittelfingers
50.1.4 Knöcherne Anatomie und den radialseitigen Ringfinger (. Abb. 50.6; rot).

Handgelenk N. radialis. Zuständig für die komplette Streckseite bis auf die End-
Das Handgelenk besteht aus Radius und Ulna sowie 8 Handwurzel- glieder des Daumens, Zeige- und Mittelfingers sowie des radialsei-
knochen. Diese sind durch Bänder untereinander und den Metakar- tigen Ringfingers (. Abb. 50.6; gelb).
50.1 · Anatomie
445 50

. Abb. 50.3 Knochen: Übersicht (Ansicht von palmar)

a b

. Abb. 50.4 Daumensattelgelenk (a) und rotationsbedingte Inkongruenz bei der Opposition (b)

N. ulnaris. Versorgt sensibel den ulnarseitigen Ringfinger und den latur; . Abb. 50.7), sie ermöglichen die Feinmotorik der Hand. Hier-
kompletten Kleinfinger (. Abb. 50.6; blau). zu zählt die Thenarmuskulatur mit dem M. abductor pollicis brevis
(APB), dem oberflächlichen Anteil und der tiefen Schicht des M. fle-
xor pollicis brevis (FPB), dem M. adductor pollicis (AdP) und im ra-
50.1.5 Muskuläre Anatomie dialen Daumenbereich dem M. opponens pollicis (OP). Zudem zäh-
len dazu die Hypothenarmuskulatur mit dem M. opponens ­ digiti
Wir unterscheiden das intrinsische und das extrinsische Muskel­ minimi (ODM), dem M. flexor digiti minimi (FDM), dem M. abduc-
system der Hand. Zur Beschreibung eines Befundes erfolgt die Ein- tor digiti minimi (ADM) und dem M. palmaris brevis (PB) ­und die
teilung in Zonen (7 unten). palmaren und dorsalen Mm. interossei sowie die Mm. lumbricales.
Hierbei versorgt der N. medianus die Thenarmuskulatur mit
Intrinsisches System Ausnahme des M. adductor pollicis und des tiefen Kopfs des M. fle-
Die zum intrinsischen System zählenden Muskelgruppen haben alle- xor pollicis brevis, daneben versorgt er die Mm. lumbricales 1 und 2.
samt Ursprung und Ansatz innerhalb der Hand (Handbinnenmusku- Der N. ulnaris innerviert die Muskulatur des Kleinfingerballens, die
446 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung

Die Strecksehnen werden in folgenden Zonen gegliedert (. Abb. 50.9):


4 Mit Zone 1 beginnend am Endglied und nach proximal aufstei-
gend.
4 Zone 2: Mittelglied, im Daumen über die proximale Phalanx,
50 4 Zone 3: proximales Interphalangealgelenk, im Daumen Meta-
karpophalangealgelenk,
4 Zone 4: Grundglied,
4 Zone 5: Metakarpophalangealgelenk,
4 Zone 6: Metacarpale,
4 Zone 7: Handwurzelknochen,
4 Zone 8: distaler Unterarm,
4 Zone 9: proximaler Unterarm.

Im Bereich der Beugesehnen finden sich in der oberflächlichen


Schicht der M. pronator teres (PT), der M. flexor carpi radialis
(FCR), der M. palmaris longus (PL) und der M. flexor carpi ulna-
ris (FCU). In der intermediären Schicht finden sich die 4 Sehnen
des M. flexor digitorum superficialis, in der tiefen Schicht sind
. Abb. 50.5 Fingergelenke in gebeugter Stellung die Sehnen des M. flexor digitorum profundus und der M. flexor
pol­licis longus lokalisiert. Im Karpalkanal liegen der N. medianus
und 9 Sehnen (4 FDS, 4 FDP, 1 PL). Die FDP-Sehnen liegen un-
Mm. interossei, die Mm. lumbricales 3 und 4 sowie den M. adductor ter den FDS-Sehnen im Karpalkanal, wobei hier wiederum die
pollicis und den tiefen Kopf des M. flexor pollicis brevis. FDS des Zeige- und Kleinfingers am oberflächlichsten liegen
(. Abb. 50.10).
Extrinsisches System Die Flexoren werden zur Beschreibung einer Verletzung in fol-
Das extrinsische System besteht aus den Muskelgruppen, die ihren genden Zonen aufgeteilt (. Abb. 50.11):
muskulären Ursprung am Unterarm und ihren sehnigen Ansatz an 4 Zone 1: distal des Ansatzes des FDS,
Handgelenk und Hand haben. Hierzu zählen alle Streckmuskeln mit 4 Zone 2: A1-Ringband bis zum distalen Ansatz der FDS,
Ausnahme der Mm. interossei und lumbricales. In Höhe des Hand- 4 Zone 3: distal des Karpaltunnels bis auf Höhe der A1-Ringbän-
gelenks finden sich nach Strecksehnenfächern (SSF) geordnet der,
(. Abb. 50.8): 4 Zone 4: Karpaltunnel,
4 1. SSF: M. abductor pollicis longus (APL), M. extensor pollicis 4 Zone 5: Proximal des Karpaltunnels.
brevis (EPB),
4 2. SSF: Mm. extensor carpi radialis longus et brevis (ECRL, Die 5 Ring- und 3 Kreuzbänder (. Abb. 50.12) sorgen für einen rei-
ECRB), bungslosen Bewegungsablauf und halten die Sehnen bei Flexion in
4 3. SSF: M. extensor pollicis longus (EPL), ihrer Achse. Die Ringbänder werden von A1–A5 durchgezählt.
4 4. SSF: M. extensor digitorum communis (EDC), M. extensor
indices proprius (EIP), > Das A2- und das A4- Ringband sind die wichtigsten Ring-
4 5. SSF: M. extensor digiti minimi (EDM), bänder. Um das sog. »bowstringing« zu vermeiden, sollten
4 6. SSF: M. extensor carpi ulnaris (ECU). sie bei der Präparation auf jeden Fall geschont werden.

. Abb. 50.6 Sensible Versorgung der Hand


50.1 · Anatomie
447 50

. Abb. 50.7 Handbinnenmuskeln und Fingersehnenscheiden einer rechten Hand, Palmaransicht. (Aus Tillmann 2010)
448 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung

50

. Abb. 50.8 Strecksehnenfächer (SSF) der rechten Hand

Die venöse Drainage der Hand verläuft vorwiegend auf dem


Handrücken.

50.1.7 Nerven
N. medianus
Der N. medianus zieht zwischen den beiden Köpfen des PT in den
Unterarm und verläuft hier zwischen M. flexor digitorum superfi-
cialis (FDS) und M. flexor digitorum profundus (FDP; . Abb. 50.14).
Motorisch innerviert er:
4 M. flexor carpi radialis,
4 M. pronator teres,
4 M. flexor digitorum profundus (radiale Hälfte: Digitus 2),
4 M. flexor digitorum superficialis,
4 M. palmaris longus,
4 M. flexor pollicis longus,
4 M. pronator quadratus,
4 M. abductor pollicis brevis,
4 M. opponens pollicis,
4 M. flexor pollicis brevis (Caput superficiale),
4 radiale M. lumbricales.
. Abb. 50.9 Zonen der Strecksehnen N. ulnaris
Der N. ulnaris tritt zwischen den Köpfen des M. flexor carpi ulnaris
Die Kreuzbänder werden von C1–C3 durchnummeriert und liegen (FCU) in den Unterarm und liegt hier unter dem FCU, bis er in den
zwischen dem A2- und A3- (C1), zwischen A3- und A4- (C2) und Guyon-Kanal eintritt (. Abb. 50.15). Er innerviert motorisch:
zwischen A4- und A5-Ringband (C3). 4 M. flexor carpi ulnaris,
4 M. flexor digitorum profundus (ulnare Hälfte: Digiti 3–5,
4 M. adductor pollicis,
50.1.6 Gefäßversorgung 4 M. flexor pollicis brevis (Caput profundum),
4 M. flexor digiti minimi,
Die arterielle Blutversorgung der Hand speist sich aus den Aa. ra- 4 M. abductor digiti minimi,
dialis und ulnaris über einen oberflächlichen und einen tiefen Hohl- 4 M. opponens digiti minimi,
handbogen. Die A. radialis läuft zwischen FCR und M. brachioradi- 4 Mm. interossei,
alis zum Handgelenk und teilt sich dort in einen größeren dorsalen 4 ulnare Mm. lumbricales.
Ast, der durch die Tabatière zum Arcus palmaris profundus läuft,
und in einen kleineren Ast, der zum oberflächlichen Hohlhand­ N. radialis
bogen läuft. Die A. ulnaris läuft am Handgelenk lateral des N. ulna- Der N. radialis zieht zwischen den Köpfen den M. supinator in den
ris und medial des FCU und teilt sich in den größeren palmaren Unterarm und liegt hier zwischen M. brachioradialis und M. exten-
Ast, der den oberflächlichen Hohlhandbogen dominiert, und einen sor carpi radialis longus und brevis (. Abb. 50.16). Innervation:
kleineren dorsalen Ast, der in den Arcus palmaris profundus mün- 4 M. brachioradialis,
det (. Abb. 50.13). 4 Mm. extensores carpi radialis longus et brevis,
50.1 · Anatomie
449 50

. Abb. 50.10 Beugesehnen

. Abb. 50.11 Zonen der Beugesehnen . Abb. 50.12a, b Ring- und Kreuzbänder der Finger: A1–5: Ligg. anularia,
C1–3: Ligg. cruxiata
450 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung

50

. Abb. 50.13 Gefäßversorgung an der Hand

4 Mm. extensores carpi ulnaris, Vor allem bei nichttraumatischer Beschwerdesymptomatik sind fol-
4 M. supinator, gende Informationen zu eruieren:
4 M. extensor digitorum communis, 4 Seit wann und in welcher Intensität bestehen die Beschwerden?
4 M. extensor indicis, 4 Sind andere Gliedmaßen mitbetroffen?
4 M. extensor digiti minimi, 4 Kommt es zur Besserung oder Verschlechterung unter bestimm­
4 Mm. extensor pollicis brevis et longus, ten Umständen (typische Bewegungen, Schonhaltungen)?
4 M. abductor pollicis longus. 4 Ergebnisse von Voruntersuchungen?
4 Bestehen Vor-/Begleiterkrankungen (z. B. Gicht, Rheuma
o. A.)?
50.2 Klinische Untersuchung der Hand 4 Medikamentenanamnese.

50.2.1 Anamnese
50.2.2 Untersuchungsablauf
Die Untersuchung der Hand beginnt mit der Anamneseerhebung
und Befragung des Patienten oder Angehöriger zum Unfallgesche- Um keine wichtigen Aspekte zu vergessen, empfiehlt sich eine stan-
hen bzw. dem Verlauf der Beschwerden. Bei einem Unfallereignis ist dardisierte Untersuchung, z. B. nach dem in der . Übersicht darge-
zu klären: stellten Schema.
4 Wann, wo und wie (genauer Mechanismus, in welcher Position Die Bewegungsumfänge werden nach der Neutral-0-Methode
befand sich die Hand/der Finger, ist die Wunde sauber oder ver- gemessen und dokumentiert. Hiernach wird entschieden, ob ggf.
schmutzt)? Röntgensaufnahmen (7 Kap. 51) oder weitere Untersuchungen not-
4 Welche bisherige Therapie (insbesondere Gabe von Schmerz- wendig sind.
mitteln/Lokalanästhetika)?
4 Vorherige Unfälle/Vorschädigung der betroffenen Extremität?
4 Tetanusstatus?
4 Dominante Hand, spezielle berufliche und freizeitliche Ansprü-
che des Patienten?
50.2 · Klinische Untersuchung der Hand
451 50

. Abb. 50.14 Motorische Innervation des N. medianus . Abb. 50.15 Motorische Innervation des N. ulnaris

Ablauf der klinischen Untersuchung der Hand


4 Inspektion: 4 Sensorische Prüfung: 4 Prüfung der intrinsischen Hand-
– Farbe – N. medianus muskeln
– Turgor – N. ulnaris 4 Handgelenksstabilität und Beweg-
– Temperatur – N. radialis lichkeit, knöcherne Landmarken
– Befeuchtung und Beschwielung 4 Motorische Prüfung: 4 Provokationstests
– sonstige Auffälligkeiten – N. medianus
4 Prüfung der Durchblutung: – N. ulnaris
– Pulse der An. radialis und ulnaris – N. radialis
– Rekapillarisierung 4 Prüfung der Sehnenfunktion:
– Hautfarbe – Beuge- und Strecksehnen
452 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung

wird der Patient aufgefordert, die Hand zu bewegen. Nach kurzer


Zeit verblasst die Hand. Nun kann unter fortwährender Kompression
der A. ulnaris die A. radialis freigegeben werden. Anhand der Reka-
50 pillarisierung können Rückschlüsse auf die Versorgung gezogen
werden. Das gleiche Manöver kann nun für die A. ulnaris wiederholt
werden.

50.2.5 Prüfung einzelner Handmuskeln


M. flexor digitorum profundus (FDP)
Die Finger werden in den PIP-Gelenken durch den Untersucher fi-
xiert und der Patient nun aufgefordert, die Endglieder zu beugen.

M. flexor digitorum superficialis (FDS)


Der Patient wird aufgefordert, jeden Finger im Mittelgelenk zu beu-
gen während der Untersucher die restlichen Finger in Streckstellung
blockiert.

M. flexor pollicis longus (FPL)


Der Patient wird aufgefordert, den Daumen im Endgelenk zu beugen.

M. abductor pollicis brevis (APB), M. opponens


pollicis (OP), M. flexor pollicis brevis (FPB)
Der Patient wird aufgefordert, den Kleinfinger mit dem Daumen zu
berühren (Opposition), den Daumen palmar zu abduzieren (APB)
und im Grundgelenk zu beugen (FPB).

M. abductor pollicis longus (APL) und M. extensor


pollicis brevis (EPB)
Der Patient soll den Daumen aus der Handebene heraus bewegen.

M. adductor pollicis (AP)


Ein Blatt Papier soll zwischen Daumen und dem P1-Segment des
Zeigefingers eingeklemmt gehalten werden, bei Schwäche des N.-
ulnaris-innervierten M. adductor pollicis kommt es zur kompensa-
torischen Beugung des Daumenendgelenks (Froment-Zeichen).

. Abb. 50.16 Motorische Innervation des N. radialis


M. abductor digiti minimi (ADM), M. opponens
digiti minimi (ODM)
Der Patient soll den kleinen Finger nach ulnar abspreizen (ADM)
und zum Daumen führen (ODM).
50.2.3 Sensibilitätsprüfung
M. extensor carpi radialis longus (ECRL) und brevis
In 7 Kap. 50.1.7 sind die sensiblen Versorgungsgebiete der Handner- (ECRB)
ven dargestellt. Sie können durch Bestreichen mit einem Wattestäb- Bei geschlossener Hand wird diese stark dorsal flektiert, sodass sich
chen geprüft werden, die Qualitäten von kalt/warm und spitz/stumpf die Sehnen tasten lassen, der ECRL bewirkt eine Radialdeviation.
können durch Tests ermittelt und detailliert beschrieben. Zusätzlich
sollte eine Funktionsprüfung der palmaren Fingernerven mit der M. extensor pollicis longus (EPL)
statischen 2-Punkte-Diskrimination erfolgen, die normalerweise Von der flach auf den Tisch gelegten Hand soll der Patient den Dau-
<6 mm liegen sollte. men von der Unterlage abheben, dies ist nur mit dem EPL möglich.
Eine Streckung im Daumenendgelenk kann auch durch einstrah-
lende Fasern des EPB möglich sein, selbst wenn der EPL durch-
50.2.4 Prüfung der Durchblutung trennt ist.

Durch Drücken der Fingerbeere und des Fingernagels kann man M. extensor digitorum communis (EDC)
sich einen groben Überblick über die Durchblutungssituation ver- Der Patient soll die Finger in den Grundgelenken strecken.
schaffen und die Zeit der Rekapillarisierung bestimmen. Die Aa. ra-
dialis und ulnaris können palpiert werden. Bei Bedarf sollte eine M. extensor indicis proprius (EIP), M. extensor
Ultraschallkontrolle erfolgen. Zur Funktionsprüfung dient der Al- digiti minimi (EDM)
len-Test (. Abb. 50.17). Nach Palpation von Aa. radialis und ulnaris Mit geschlossener Faust soll der Patient den Zeigefinger/Kleinfinger
werden diese durch die Finger des Untersuchers okkludiert. Nun herausstrecken.
50.2 · Klinische Untersuchung der Hand
453 50

. Abb. 50.17 Allen-Test

M. extensor carpi ulnaris (ECU)


Der Patient wird angehalten, das Handgelenk nach ulnar zu strecken.

Mm. interossei
Während der Untersucher Widerstand am Zeige- und Kleinfinger
außen bietet, soll der Patient versuchen, die Finger zu spreizen.

50.2.6 Spezifische Tests


Hoffmann-Tinel-Test
Löst das Beklopfen der Haut über dem Verlauf eines Nervs, z. B. am
beugeseitigen Handgelenk über dem Karpalkanal, elektrisierende
Parästhesien aus, so besteht der Verdacht auf ein Nervenengpasssyn-
drom mit Verlust der myelinen Umhüllung des Nervs (. Abb. 50.18).
Das Auswachsen von unmyelinisierten Nervenenden von proximal
nach distal nach einer Nervenverletzung kann ebenso mittels Klopf- . Abb. 50.18 Hoffmann-Tinel-Test
zeichen verfolgt werden.

Phalen-Test die Hand des Patienten nach ulnar abduziert. Schmerzen bei die-
Der Patient wird aufgefordert, beide Hände mit aufgestützten Ellbo- sem Manöver sind ein Hinweis auf eine Tendovaginitis de Quervain
gen für 1 min gebeugt hängen zu lassen. Auch hier kommt es bei (Einengung des 1. Strecksehnenfachs mit APL- und EPB-Sehne;
einem durch ein Karpaltunnelsyndrom vorgeschädigten Nerv zu . Abb. 50.20).
typischen Parästhesien (. Abb. 50.19).
! Cave
Finkelstein-Test Der Einschluss des Daumens in die Faust und eine ruck­
Nachdem der Patient den Daumen in der Hohlhand gebeugt hat, artige Deviation der Hand nach ulnar, wie häufig falsch
wird dieser vom Untersucher unter leichter Spannung gehalten und angegeben, führt oft zu falsch-positiven Ergebnissen.
454 Kapitel 50 · Anatomie, klinische Untersuchung

50

. Abb. 50.19 Phalen-Test

. Abb. 50.22 Watson-Test

Grind-Test
Die axiale Kompression und Rotation oder Adduktion des Daumens
beim Grind-Test (engl. »to grind«=reiben, zermalen) lösen bei einer
degenerativen Arthritis, v. a. am Daumensattelgelenk (Rhizarthro-
se), Schmerzen aus (. Abb. 50.20).

Watson-Test
Der Scaphoid-shift-Test nach Watson dient dazu, eine Instabilität
des Skapholunärbands (SL-Instabilität) oder Skaphoidfraktur zu
erkennen, hat allerdings nur eine geringe Sensitivität und Spezifität:
Das Kahnbein wird in Ulnarabduktion vom Untersucher zwischen
. Abb. 50.20 Finkelstein-Test Daumen und Zeigefinger fixiert, wobei der Daumen fest auf den
distalen Pol drückt. Die andere Hand hält hierbei die Ossa meta­
carpalia und bewegt das Handgelenk nach ulnar, wobei das Kahn-
bein in Extension gebracht wird (. Abb. 50.21). Liegt eine SL-Band-
verletzung oder Kahnbeinfraktur vor, subluxiert der proximale Pol
nach dorsal und stößt dabei gegen den Zeigefinger des Untersu-
chers.

> Der Test sollte immer auch auf der unverletzten Gegensei-
te wiederholt werden und reicht allein nicht zur Diagnose
aus.

»Screw driver test« (Schraubenziehertest)


Der Schraubenziehertest dient zur Diagnose von Verletzungen des
ulnaren Knorpel-Band-Komplexes (engl. »triangular fibrocartila­
gineous complex«; TFCC). Der Untersucher führt forcierte Pro-
und Supinationsbewegungen des Unterarms des Patienten durch
(Schraubbewegungen), zudem eine Ulnarduktion des Handgelenks,
die bei typischen Verletzungen in diesem Bereich zu ulnarseitigen
. Abb. 50.21 Grind-Test Schmerzen führen (. Abb. 50.23).
50.2 · Klinische Untersuchung der Hand
455 50

. Abb. 50.23 »Screw driver test« (Schraubenziehertest)

Literatur
Corley Jr FG (1984) Examination and assessment of injuries and problems
affecting the elbow, wrist, and hand. Emerg Med Clin North Am 2 (2):
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test in carpal tunnel syndrome. Orthopedics 15:1297–1302
Hofmann R (1996) Checkliste Handchirurgie. Thieme, Stuttgart New York
Izzi JA, Trumble TE (2006) Anatomy and physical examination of the hand. In:
Trumble TE, Budoff JE, Cornwall R (eds) Hand, elbow and shoulder. Core
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Mackinnon SE, Dellon AL (1988) Surgery of the peripheral nerve. Thieme,
Stuttgart New York
Tillmann BN (Hrsg) (2010) Atlas der Anatomie, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidel-
berg New York
51

Bildgebende Untersuchung der Hand


H. Rosenthal, A. Gohritz

51.1 Verfahrenswahl – 458

51.2 Röntgen – 458


51.2.1 Röntgenologische Knochenmorphologie an Handgelenk, Handwurzel, Mittelhand
und Fingern   – 458
51.2.2 Sonographie – 460

51.3 Computertomographie (CT) – 461

51.4 Magnetresonanztomographie (MRT) – 462

51.5 Kinematographie – 462

51.6 Szintigraphie – 463

51.7 Arthrographie – 463

51.8 Angiographie – 463

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
458 Kapitel 51 · Bildgebende Untersuchung der Hand

Bei vielen Verletzungen und Erkrankungen der Hand ist eine genaue 51.2 Röntgen
Diagnosestellung und Klassifikation in Ergänzung der klinischen
Untersuchung nur durch zusätzliche bildgebende Verfahren mög- Die Röntgendarstellung der Hand wird standardmäßig in 2 Ebenen
lich. Bekanntlich zeigte das erste von Wilhelm Röntgen selbst 1895 – einer radiopalmaren und seitlichen Standardaufnahme . Abb. 51.1)
mit Hilfe seiner X-Stahlen angefertigte Bild die beringte rechte Hand – angefertigt (. Abb. 51.1). Die Notwendigkeit zu besonderen Un-
seiner Gattin. tersuchungen ergibt sich aus der klinischen Verdachtsdiagnose oder
51 Das konventionelle Röntgen stellt bis heute meist die Basisdia- wenn nach Standardaufnahmen noch keine sichere Aussage möglich
gnostik dar. Zusätzlich sind je nach Art und Ausmaß der pathologi­ ist. Beispiele hierfür sind Spezialdarstellungen bei Verdacht auf
schen Veränderungen Spezialuntersuchungen notwendig, beispiels- Kahnbeinfraktur, Stressaufnahmen des Handgelenks in Radial- und
weise eine Computertomographie, um eine komplexe knöcherne Ulnarduktion mit Faustschluss (Ballaufnahme; . Abb. 51.2a) bei
Situation zu klären, oder eine Magnetresonanztomographie zur Dar- Verdacht auf SL-Bandruptur oder die Spezialeinstellung des Os pisi-
stellung der Weichteile. forme zum Ausschluss einer pisotriquetralen Pathologie (. Tab. 51.1;
Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über die modernen Methoden . Abb. 51.2).
der Bildgebung, ihre speziellen Indikation an der Hand sowie Beson-
> Zur Abgrenzung pathologischer Veränderungen von
derheiten ihrer Durchführung und Auswertung.
Normvarianten empfiehlt sich das Mitröntgen der Gegen-
seite.
51.1 Verfahrenswahl
Die wichtigsten bildgebenden Diagnostikmethoden in der Handchi- 51.2.1 Röntgenologische Knochenmorphologie
rurgie mit ihrem primären Einsatzgebiet sind in der . Übersicht an Handgelenk, Handwurzel, Mittelhand
dargestellt. und Fingern
Gliederung
Die wichtigsten bildgebenden Diagnostikmethoden Das Handgelenk besteht aus 2 funktionellen Einheiten:
der Handchirurgie 4 Komplex aus Radiokarpal- und Mediokarpalgelenk und
4 Röntgen (Basisdiagnostik) 4 distalem Radioulnargelenk.
4 Sonographie (Weichteile, Entzündungen)
4 Computertomographie (knöcherne Morphologie) Die Gelenkfläche des Handgelenks wird zu 3/4 vom Radius und
4 Magnetresonanztomographie (Weichteildarstellung) zu 1/4 vom ulnaren Knorpel-Band-Komplex gebildet. Die bikon­
4 Kinematographie (bewegungsabhängige Pathologien) kave Radiusgelenkfläche besteht aus der Fossa scaphoidea und
4 Szintigraphie (knöcherne Umbauprozesse, Perfusionsver­ ­lunata, den Facetten für die entsprechenden Handwurzelkno­
änderungen) chen. Die dreieckförmige Fossa scaphoidea bildet an der Spitze den
4 Arthrographie (Gelenkinnenräume) Processus styloideus radii. Ulnarseitig bildet die Incisura ulnaris
4 Angiographie (Gefäßdarstellung) radii die Gelenkfläche zum Ulnakopf im distalen Radioulnar­
gelenk.

a b

. Abb. 51.1 Röntgendarstellung der Hand und des Handgelenkes in den 2 Standardebenen: radiopalmar (a.-p.) der gesamten Hand (a), des Handgelenks
(b) und seitlich (c)
51.2 · Röntgen
459 51

c d

. Abb. 51.2a–d Spezialdarstellungen werden bei spezifischen Fragestel­ Radial- (b) und Ulnarduktion (c) bei Verdacht auf SL-Bandruptur. Schrägauf­
lungen durchgeführt. Faustschlussaufnahme (a) und Stressaufnahmen mit nahmen bei Frakturverdacht, z. B. der Metakarpalia (d)

Anordnung der Handwurzelknochen Bei jeder Unterbrechung der Kontur dieser Bögen besteht Verdacht
Die 8 Ossa carpalia gliedern sich in auf eine karpale Instabilität.
4 proximale Reihe (Os scaphoideum, Os lunatum, Os triquetrum)
und Karpale Winkel
4 distale Reihe (Os trapezium, Os trapezoideum, Os capitatum, Os Gefügestörungen der Handwurzel können durch Messung der kar-
hamatum). palen Winkel am Röntgenbild erkannt werden, die sich aus den
Längsachsen durch Radius, Skaphoid, Lunatum und Kapitatum er-
Dazwischen liegt das Mediokarpalgelenk: Das Os pisiforme mit sei- geben.
nem Gelenk zum Os triquetrum ist ein Sesambein der M.-flexor-
> Die bestimmten Winkel und Gelenkabstände sind oft ein
carpi-ulnaris-Sehne, es gehört keiner der beiden Reihen an.
wichtiger Hinweis auf pathologische Veränderungen, z. B.
Karpale Bögen bei der Diagnostik einer skapholunären Bandzerreißung.
Für sich allein sind sie jedoch nicht beweisend.
Beide Handwurzelreihen sind in 3 parallel verlaufenden Karpal­
bögen (nach Gilula) angeordnet: Die physiologischen Messgrenzen sind in . Tab. 51.2 dargestellt.
4 Verbindung der proximalen Konturen der proximalen
Reihe, Relative Länge von Ulna und Radius
4 Verbindung der distalen Konturen der proximalen Reihe, Die Gelenkfläche zum Os lunatum liegt normalerweise auf gleicher
4 Verbindung der proximalen Konturen der distalen Reihe. Höhe zur radialen Seite des Ulnakopfes, dabei sind 2 mm Höhen­
460 Kapitel 51 · Bildgebende Untersuchung der Hand

. Tab. 51.1 Röntgenologische Standardeinstellungen bei der Darstellung der Hand

Art der Aufnahme Indikation Qualitätskriterien

Ganze Hand dorsopalmar Trauma, Fehlbildung, Bestimmung des Knochen­ Hand/distaler Unterarm komplett erfasst

51 alters

Ganze Hand schräg (»Zitherspieler«) Trauma, Fehlbildung, Bestimmung des Knochen­ Metakarpalia weitgehend, Phalangen vollständig proji­
alters ziert

Handgelenk/Karpus dorsopalmar Trauma, karpale Instabilitäten Processus styloideus ulnae im Profil an der Außenseite
des Caput ulnae

Handgelenk/Karpus seitlich Trauma, karpale Instabilitäten Radius und Ulna/Metakarpale 2 und 5 projizieren sich
aufeinander, Karpalia können unterschieden werden

Kahnbeinquartett Verdacht auf Kahnbeinfraktur Skaphoid in gesamter Länge dargestellt

Skapholunäre Lücke spezial Verdacht auf skapholunäre (SL) Bandverletzung Skapholunärer Spalt in maximaler Breite dargestellt
(Monheim-Aufnahme)

Triquetrum spezial Verdacht auf Triquetrumfraktur Dorsalseite Triquetrum tangential getroffen

Pisiforme spezial Verdacht auf Pisiformefraktur, Pisotriquetralar­ Pisotriquetralgelenk frei projiziert


throse

Trapezium spezial Verdacht auf Trapezium-, Bennett-, Rolando- Beide Sesambeine aufeinander projiziert
Fraktur, Rhizarthrose

Karpaltunnelaufnahme Verdacht auf knöchern bedingtes Karpaltunnel­ Tuberositas ossis trapezii, Hamulus ossis hamati und
syndrom (z. B. infolge Lunatumluxation) Pisiforme frei projiziert

Ulnarduktion der Hand Karpale Instabilitäten, Skaphoidfraktur, -pseudar­ Volle Länge des Skaphoids, Trapezform des Lunatums,
throse »tiefe« Position des Triquetrums

Radialduktion der Hand Karpale Instabilitäten (z. B. SL-Bandruptur) Ringzeichen des Skaphoids

Palmar-/Dorsalflexion des Hand­ Karpale Instabilitäten, Gelenkadhäsionen Radius/Ulna und Metakarpale 2 und 5 projizieren sich
gelenks aufeinander

4 Ulnarinklination (=Neigung der Radiusgelenkfläche in der


. Tab. 51.2 Röntgenologische Beurteilung karpaler Winkel Frontalebene) – normal ca. 25°–30°.
4 Palmarinklination (=Neigung im seitlichen Strahlengang) –
Karpaler Winkel Normalwert Normbereich normal bei 10°–15°
Radiolunär 0° –15° bis +15°
Eine Radiusverkürzung wird durch die sog. Radiuslänge bestimmt.
Radioskaphoidal 47° 30° bis 60° Zur Radiuslängsachse werden eine Senkrechte durch die Spitze des
Skapholunär 47° 30° bis 60°
Processus styloideus radii und eine durch den ulnaren Begrenzungs-
punkt der Radiusgelenkfläche gelegt. Die Durchschnittslänge be-
Kapitolunär 0° –15° bis +15° trägt 11–12 mm.

unterschied nach proximal oder distal noch innerhalb der Toleranz- 51.2.2 Sonographie
grenze. Man unterscheidet
4 Ulna-plus-Variante (relative Überlänge): Die Ultraschalluntersuchung kann in erfahrener Hand eine wertvol-
Kann Ursache einer Schädigung des ulnokarpalen Bandkom- le Screening-Methode zur Ergänzung der klinischen Untersuchung
plexes sein. sein, sie kann manchmal sogar wesentlich aufwendigere und teurere
4 Ulna-minus-Variante (relative Unterlänge): Verfahren verzichtbar machen. Zur Untersuchung der Handweich-
Kann durch Zunahme der karpalen Belastung eine avaskuläre teile wird ein Schallkopf mit hochfrequentem linearem Ultraschall
Lunatumnekrose begünstigen. (7,5–15 MHz) verwendet, zur Gefäßdarstellung die farbkodierte
Duplexsonographie (. Abb. 51.3).
Beide Längenabweichungen können posttraumatisch (z. B. einge- Die Hauptindikationen sind in der . Übersicht aufgelistet.
stauchte Fraktur oder Fehlstellung) entstehen.

Gelenkwinkel und Länge des Radius


Voraussetzung der anatomischen Rekonstruktion einer distalen Ra-
diusfraktur ist die Kenntnis der Gelenkwinkel:
51.3 · Computertomographie (CT)
461 51

Hauptindikationen der Sonographie in der Handchirurgie


4 Traumafolgen (z. B. ulnares Kollateralband beim »Skidau­
men«, Verletzungen der Ringbänder, Sehnenverletzungen –
Darstellung der Gleitbewegung möglich)
4 Entzündliche Erkrankungen (Tendovaginitiden, Synoviali­
tiden)
4 Fremdkörper (z. B. Suche in Sehnenscheide)
4 Verlauf von Arthritiden (Gelenkschwellung, Tendosynoviali­
tis, Rheumaknoten)
4 Nervenkompressionssyndrome (Karpaltunnel-, Sulcus-
ulnaris-Syndrom)
4 Ausdehnung und Charakterisierung von Weichteiltumoren . Abb. 51.3 Die farbkodierte Duplexsonographie (FKDS) ermöglicht die
farbige Darstellung von Gefäßpathologien wie hier eines Aneurysmas des
(Tumordiagnostik – Unterscheidung zystisch vs. solide,
arteriellen Hohlhandbogens
Lokalisation, Lagebeziehung, Vaskularisation)
4 Gelenkergüsse bei entzündlichen Erkrankungen
4 Gefäßpathologien (farbkodierte Duplexsonographie;
. Abb. 51.3) > Hauptaufgabe der CT-Untersuchung ist die hochauf­
lösende Wiedergabe des knöchernen Handskeletts bei
Verletzungsfolgen und Gelenkdegenerationen, die im
Die Limitationen der Ultraschalluntersuchung ergeben sich aus der Röntgen nicht in gleicher Klarheit beurteilt werden kann.
Schallabsorption vorgelagerter Knochen und Sehnen sowie am
TFCC. Vorteil ist ihre einfache und strahlenfreie Handhabung und Die Hauptindikationen dieses Verfahrens sind in der . Übersicht
Verfügbarkeit sowie die Option, auch Bewegungen (z. B. von Seh- dargestellt.
nen) untersuchen und dokumentieren zu können.
Die sonographische Normalbefunde wichtiger Strukturen an
der Hand sind in . Tab. 51.3 zusammengefasst. Hauptindikationen der Computertomographie in der
Handchirurgie
4 Knöcherne Morphologie bei komplexen Frakturen und
51.3 Computertomographie (CT) Luxationen (Radius, Handwurzel, z. B. Os scaphoideum,
komplexe Luxationsfrakturen)
Beim Scan-Vorgang der Computertomographie rotiert der Röntgen- 4 Kahnbeinpseudarthrose (Stadieneinteilung/Kippung/
strahler (Röhre) und das gegenüberliegende Bildaufnahmesystem Rotation des distalen Fragments)
(»Detektoren«) um 360° um den Patienten, wobei die untersuchte 4 Eingeschränkte Unterarmumwendung (Rotationsfehler
Schichtebene bis zu 1000-mal durchstrahlt wird. Die Messdaten je- nach Radiusfraktur, Instabilität/Arthrose im distalen
der dieser »Projektionen« werden im Computer bearbeitet (»Fal- Radioulnargelenk)
tung«) und unter dem Aufnahmewinkel α wieder auf den Bildträger 4 Karpale Instabilitäten (Lokalisation)
zurückprojiziert. Aus der Gesamtheit der überlagerten Rückprojek- 6
tionen ergibt sich das endgültige Schnittbild.

. Tab. 51.3 Sonographische Normalbefunde wichtiger Strukturen an der Hand

Struktur Echogenität

Sehnen und Echoreich (senkrechtes Anschallen) oder echoarm (schräges Anschallen), fibrilläre Binnenstruktur, Gleitbewegung darstellbar,
Sehnenscheiden Vagina synovialis im Querschnitt echoarmer Ring

Bänder Ähnliche Echotextur wie Sehnen, ulnares Kollateralband am Daumengrundgelenk gut sichtbar, Ring- und Kreuzbänder nur
indirekt beurteilbar (normale Anlagerung der Beugesehne an Phalangen)

Muskeln Echoarm, mit typischer Längsfiederung, parallel verlaufende Septen und Faszien wie schmale hyperreflexive Bänder,
Muskelquerschnitt getüpfelt

Fettgewebe Echoreich mit unregelmäßigen Reflexen

Hyaliner Knorpel Fast echofrei, Grenzflächen nur bei senkrechter Beschallung klar sichtbar

Faserknorpel Echoreich, kann aber am triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC) nur ungenau dargestellt werden

Knochen Knochenoberfläche als echoreiche Linie mit distaler Totalauslöschung

Gefäße Arterielle Lumina echoarm bis echofrei und bis in die Fingerkuppen erkennbar, mit farbkodierter Duplexsonographie (FKDS)
farbige Darstellung möglich

Nerven Tubuläre Strukturen, fibrilläre Binnenstruktur (Nervenfaszikel), Echogenität je nach Schalleinfallswinkel (geringer als bei
Sehnen), Epi-/Perineurium echoreich
462 Kapitel 51 · Bildgebende Untersuchung der Hand

4 Arthrosenachweis (frühe Stadien, Befunderhebung vor Hauptindikationen der Magnetresonanztomographie in


geplanten Korrekturosteotomien/Teilarthrodesen) der Handchirurgie
4 Tumoröse Knochenläsionen (Intraossäre Ganglien, Nidus­ 4 Ligamentäre Läsionen (ulnokarpaler dreieckiger Knorpel-
nachweis bei Osteoidosteom, ossäres Staging bei Knochen­ Band-Komplex=«triangular fibrocartilagineous complex«
tumoren) [TFCC], karpale Bandverletzungen)
51 4 Diagnostik von Weichteilprozessen (akutes Kalksalzdepot, 4 Avaskuläre Knochennekrosen (M. Kienböck=Lunatum­
Chondrokalzinose, okkulte Ganglien, Ausdehnung von nekrose, M. Preiser=Kahnbeinnekrose)
Abszessen oder Tumoren) 4 Entzündungen und Infektionen (Hohlhandabszesse, Osteo­
myelitis)
4 Weichteiltumoren (Ganglien, maligne Tumoren)
Bei bestimmten Fragestellungen ist eine Bildnachbearbeitung von 4 Verschiedene Arthritiden
CT-Volumendatensätzen möglich, die zwei wichtigsten Verfahren
sind im Folgenden genannt.

Multiplanare Reformation (MPR) Bei den meisten Indikationen erfolgt eine intravenöse Kontrastmit-
Mit dieser Berechnung beliebiger Schichten aus dem axialen Bildsta- telgabe.
pel können standardisierte koronale und sagittale Rekonstruktions- Bei Fragestellungen bezüglich der karpalen Ligamente und des
ebenen erzielt werden (z. B. bei Subluxationen des distalen Radioul- ulnokarpalen Knorpel-Band-Komplexes kann die Aussagekraft der
nargelenks, Darstellung der Handwurzelknochen). Untersuchung durch eine intraartikuläre Gabe (direkte MR-Arthro-
graphie) erheblich erhöht werden.
3-D-Oberflächenrekonstruktion (»shaded surface Problem der MRT-Untersuchung bei handchirurgischen Patien­
display«=SSD) ten ist ihre häufig unspezifische Anwendung mit nur geringer Sen-
Dieses Rekonstruktionsverfahren ermöglicht die Darstellung dreidi- sitivität für das zu untersuchende Problem.
mensionaler Ansichten. Hauptanwendungen der SSD-Technik sind
> Eine adäquate MRT-Bildqualität mit hoher diagnostischer
die übersichtliche Darstellung der Fragmente und deren Dislokation
Sicherheit setzt allerdings nicht nur den Einsatz von spe­
bei komplexen Frakturen. Zur Sichtbarmachung überdeckter Kno-
ziellen Spulen (»Handspule«) und intravenösen Kontrast-
chenflächen können einzelne Knochenteile bei der elektronischen
mitteln voraus, sondern v. a. aber eine exakte Beschrei-
Berechnung entfernt (»exartikuliert«) werden (. Abb. 51.4).
bung der Fragestellung.
Nur so kann der Radiologe die geeignete Schnittebene und Puls­
51.4 Magnetresonanztomographie (MRT) sequenzen, einschließlich fettgesättigter Techniken, für die spezielle
Problematik auswählen.
Die Magnetresonanztomographie ist ein hochinnovatives Verfahren,
das als Spin-Echo- oder Gradientenechosequenzen eingesetzt wird.
> Vorrangiges Ziel der MRT ist die Darstellung der Weich­
51.5 Kinematographie
teile, inklusive der Bänder, der Synovialis, des hyalinen
Eine dynamische Untersuchung des Handgelenks unter Röntgen-
Knorpels und des Knochenmarks (. Abb. 51.5). Die MRT
durchleuchtung eignet sich zur Visualisierung von Bandinstabili-
ist zudem bei knöchernen Veränderungen mit Ödemen
täten, die zu Klick- und Schnappphänomenen führen können. Auch
das sensitivste Schnittbildverfahren.
Bandrupturen, z. B. die resultierende Erweiterung des SL-Spaltes
Die wesentlichen Anwendungsgebiete sind in der . Übersicht dar- unter Belastung und Ulnarduktion, kann herausprojiziert und mit
gestellt. der Gegenseite verglichen werden.

a b

. Abb. 51.4 Computertomographie der Handwurzel mit 3-D-Oberflächenrekonstruktion bei perilunärer Luxation
51.8 · Angiographie
463 51

. Abb. 51.5 Magnetresonanztomographie (MRT) des Unterarms in Höhe lichkeit der anatomischen Strukturen wie Muskeln, Streck-, Beugesehnen
des distalen Radioulnargelenks (DRUG) mit detaillierter Darstellungsmög­ und Gefäß-Nerven-Bündeln

51.6 Szintigraphie 51.7 Arthrographie


Die nuklearmedizinische Diagnostik macht sich die Indikatorme- Die Darstellung der Gelenkräume der Hand mittels Arthrographie
thode zunutze, bei der eine radioaktive Substanz in pharmakolo- diente früher v. a. zur Darstellung von Bandläsionen der Handwur-
gisch ungefährlicher Konzentration in den Stoffwechsel eingebracht zel und TFCC-Läsionen, seltener auch der Gelenke der Mittelhand
und seine räumliche Verteilung anhand der ausgesandten γ-Strah- und Finger.
lung gemessen wird. Als Radiopharmakon wird derzeit meist Bei der 3-Kompartiment-Arthrographie wurde zunächst das
99mTechnetium (Halbwertszeit ca. 6 h) eingesetzt. Die Dreipha- mediokarpale und das distale Radioulnargelenk arthrographiert, in
senszintigraphie (DPS) der Hand erlaubt es, in einem Untersu- einem zweiten Untersuchungsgang etwa 2 h später das Radiokarpal-
chungsgang über die arteriovenöse Durchblutung die frühe Vertei- gelenk.
lungsphase im Gewebe und die spätere Verteilungsphase im Skelett- Die alleinige Arthrographie hat ihre Bedeutung in letzter Zeit
system darzustellen, und liefert damit Informationen über die ­lokale zugunsten der direkten Arthro-MRT/CT-Untersuchung verloren.
Perfusion und zum Knochenstoffwechsel der Hand (. Abb. 64.1S). In Kombination mit diesen Schnittbildmethoden werden eine Vi-
Szintigraphisch zur Darstellung können gebracht werden: sualisierung der Gelenkräume und eine kontrastoptimierte Dar­
4 ossäre Hyperämie (Mehrspeicherung) oder Ischämie, stellung der intraartikulären Weichteile, z. B. des TFCC, möglich
4 Kallusbildung nach Fraktur, (. Abb. 51.6).
4 Entzündungen von Knochen und Gelenken,
4 Inaktivitätsosteoporose und
4 trophische Störungen. 51.8 Angiographie
Daraus ergeben sich die wichtigsten Indikationen (. Übersicht). Die arterielle Gefäßdarstellung wird nach gemeinsamer Indikations-
stellung durch Handchirurg und Radiologen und der Aufklärung
des Patienten über den invasiven Charakter der Untersuchung
Hauptindikationen der Szintigraphie in der Handchirurgie
meist als digitale Subtraktionsangiographie durchgeführt. Der Zu-
4 Ausschluss knöcherner Umbauprozesse bei osteoplas­ gang erfolgt über die gleichseitige A. femoralis oder transbrachial
tischen Knochenveränderungen (Tumoren, Infektionen) (. Abb. 51.7).
oder Frakturen (wenn das Zeitintervall seit Trauma ausrei­ Die wichtigsten Indikationen zeigt die . Übersicht.
chend lang ist)
4 Knorpelverletzungen/Infraktionen (aufgrund ossärer Mit­
reaktion sicher nachweisbar) Hauptindikationen der Angiographie in der Hand-
4 Screening bei systemischen Knochenerkrankungen oder ­chirurgie
Knochenmetastasen 4 Notfalldiagnostik (Gefäßschaden/traumatische Gefäßläsion,
4 Verdacht auf gestörten postoperativen Heilungsverlauf Thrombose, Embolie)
(Ischämie, Osteonekrose, Algodystrophie) 4 Chronische Durchblutungsstörungen (Gangrän, Verdacht
4 Bestimmung des Frakturalters (ältere Prozesse meist ohne auf Ergotismus, Raynaud-Syndrom, Thrombangiitis Wini­
regionale Hyperämie in 1. und 2. Szintigraphiephase) warter-Buerger, Panarteriitis nodosa)
464 Kapitel 51 · Bildgebende Untersuchung der Hand

Bei manchen Patienten ist eine Narkose mit maximaler Weitstellung


der Gefäße notwendig, um Gefäßspasmen infolge der Kontrastmit-
telgabe auszuschließen und eine Darstellung der Gefäße bis in die
feinsten distalen Aufzweigungen zu erreichen. Dimere isoosmolare
Substanzen als Kontrastmittel reizen das Gefäßendothel hierbei am
51 wenigsten. Bei langen Angiographieserien wird nach intraarterieller
Injektion auch das venöse System sichtbar.
Die dreidimensionale Abbildung der Gefäße der Hand durch
die kontrastmittelunterstütze MR-Angiographie hat die in der
. Übersicht dargestellten speziellen Indikationen.

Hauptindikationen der MR-Angiographie in der Hand­


chirurgie
4 Operationsvorbereitung (geplante Gefäßrekonstruktionen,
Lappenplastik, komplexe Handmissbildungen)
4 Aneurysma der A. radialis/ulnaris, Hypothenar-Hammer-
Syndrom
4 Thoracic-outlet-Syndrom
4 Weichteiltumoren, v. a. gefäßreiche Typen (Hämangiome)
. Abb. 51.6 Das Verfahren des Arthro-MRT ermöglicht die Visualisierung
der Gelenkräume und kontrastoptimierte Darstellung der Weichteile. Auch
Läsionen des SL-Bandes wie bei der hier dargestellten SL-Dissoziation sind Zusammenfassung
hochauflösend darstellbar Die moderne Bildgebung ist zur exakten Klärung vieler handchirur-

. Abb. 51.7 Die digitale Substraktionsangiographie (hier die direkte An­ len Aufzweigungen und einen sensitiven Nachweis von Durchblutungsstö­
giographie) ermöglicht eine Darstellung der Gefäße bis in die feinsten dista­ rungen wie bei der hier dargestellen Thrombangiitis
51.8 · Angiographie
465 51
gischer Probleme unbedingt notwendig. Die Wahl des optimalen
bildgebenden Verfahrens richtet sich nach der vorherigen klinischen
Untersuchung.
Bei komplizierten Fragestellungen sollte die Indikation inter­
disziplinär zwischen Handchirurg und spezialisiertem Radiologen
gestellt werden. Gemeinsame Fallkonferenzen können für beide
Fachrichtungen wertvolle Anregungen und eine erhöhte gemein-
same diagnostische Treffsicherheit bringen.

Literatur
Bianchi S, Della Santa D, Glauser T, Beaulieu JY, van Aaken J (2008) Sonogra­
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Yu JS, Habib PA (2006) Normal MR imaging of the hand and wrist. Radiol Clin
North Am 44: 569–581
52

Arthroskopie des Handgelenks


J. Redeker

52.1 Bildgebende Diagnostik des Handgelenks – 468

52.2 Operative Techniken – 469


52.2.1 Technische Vorraussetzungen – 469
52.2.2 Operative Zugangswege (Portale) – 469

52.3 Diagnostische Arthroskopie – 470


52.3.1 Untersuchungsgang radiokarpal – 470
52.3.2 Untersuchungsgang ulnokarpal – 471
52.3.3 Untersuchungsgang mediokarpal – 471

52.4 Pathologische Befunde – 472


52.4.1 Läsionen des Discus ulnocarpalis – 472
52.4.2 SL-Bandverletzungen – 472
52.4.3 Knorpelläsionen – 474

52.5 Therapeutische Arthroskopie – 474


52.5.1 Partielle Resektion des Discus ulnocarpalis – 474
52.5.2 Diskusnaht – 474
52.5.3 Synovialektomie/Ganglionresektion   – 474
52.5.4 »Wafer Resection« – 475
52.5.5 Abrasionsarthroplastik – 475
52.5.6 Arthroskopisch unterstützte Versorgung intraartikulärer Radiusfrakturen – 475

52.6 Kontraindikationen und Komplikationen – 475

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
468 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks

52.1 Bildgebende Diagnostik des Watson-Tests (Kahnbeinverschiebetest) zu bedenken, der häufig


des Handgelenks falsch-positiv ist. Typische Druckschmerzpunkte wie z. B. am radia­
len Kahnbeinpol oder direkt über dem dorsalen SL-Band werden
Vorbemerkungen. Die Handgelenksarthroskopie gilt seit ihrer Ein- getestet. Gerade für den ulnokarpalen Handgelenkschmerz ist eine
führung Ende der 1980er-Jahre als diagnostischer Goldstandard und differenzierte klinische Untersuchung zwischen Schmerzpunkten
hat heute einen festen Stellenwert in der Diagnosestellung von kar- des Diskus selbst, der M.-extensor-carpi-ulnaris-Sehne, dem dista­
palen Verletzungen erlangt, da die klinische Untersuchung und bild- len Radioulnargelenk (DRUG), dem lunotriquetralen (LT-) Band
gebende Verfahren allein oft keine eindeutige Aussage über Vorlie- und dem pisotriquetralen Gelenk erforderlich.
gen und Ausmaß intraartikulärer Pathologien und resultierende Differenzialdiagnostisch müssen andere häufige Diagnosen für
52 Instabilitäten durch eine Bandverletzung erlauben (O‘Meeghan et al. Handgelenkschmerzen wie Karpaltunnelsyndrom, Tendovaginitis
2003; Ruch u. Bowling 1998; Crisco et al. 2003; Wolfe SW, Crisco stenosans de Quervain und Rhizarthrose ausgeschlossen werden.
(1994). Von der reinen Inspektion hat sich das Aufgabengebiet der
Arthroskopie auf das therapeutische Vorgehen verlagert. Partielle Nativröntgen
Resektionen des Discus ulnocarpalis oder arthroskopische Naht- Die Röntgenuntersuchung erfasst standardmäßig das betroffene
techniken sowie Synovialektomien stellen mittlerweile Standardein- Handgelenk in 2 Ebenen, zum besseren Vergleich der Konfiguration
griffe dar, während etwa arthroskopisch unterstützte Repositionen der Handwurzel am besten im Vergleich zur Gegenseite. Spezielle
intraartikulärer Radiusfrakturen eher in spezialisierten Zentren re- Röntgenuntersuchungen, die sich aus der differenzierten Untersu-
gelmäßig zur Anwendung kommen. chung ergeben, sind z. B.
Besondere Relevanz besitzt die Arthroskopie für folgende Be- 4 Stressaufnahmen in Radial- und Ulnarduktion mit Faustschluss
funde: zur besseren Darstellung einer SL-Bandruptur,
4 Verletzungen des skapholunären (SL-) Bandes zum möglichst 4 Os-pisiforme-Spezialaufnahme zum Ausschluss einer (piso-
frühen Erkennen und Einstufen einer Instabilität. triquetralen) PT-Arthrose.
4 Indikationsstellung und Differenzialindikation zwischen ein-
fachem Débridement, Naht oder Ersatzplastik des Bandes bzw. Die Wertigkeit der in den Röntgenbildern bestimmten Winkelmaße
Stabilisierung des Karpus (Meyer-Marcotty et al. 2005; Watsonet und Gelenkflächenabstände ist kritisch zu bewerten (. Tab. 51.2).
al. 1999; Weiss et al. 1997; Wintman et al. 1995). Insbesondere bei der SL-Banddiagnostik können die vergleichenden
4 Läsionen des dreieckigen Knorpel-Band-Komplexes am Hand- Messwerte hinweisend sein auf eine skapholunäre Dissoziation, sind
gelenk (TFCC=engl. »triangular fibrocartilagineous complex«) jedoch nicht beweisend.
oder Discus ulnocarpalis abhängig von Alter und Art der Verlet-
> Es empfiehlt sich stets der Vergleich zur Gegenseite.
zung.
4 Indikationsstellung und Differenzialindikation bei frischen ul- Zudem gibt es in der Literatur leider keine einheitliche Messmetho-
naren Abrissen des Diskus für eine arthroskopische Naht, die dik, z. B. für den SL-Spalt.
arthroskopische Teilresektion (Rissumwandlung) bei degenera- In den folgenden Abbildungen sind die von uns verwendeten
tiven Diskusläsionen oder älteren, nicht mehr nahtfähigen trau- Messmethoden wiederzufinden.
matischen Rissen (Blackwell et al. 2001; Ruch et al. 2001).
Videofluroskopie (Kinematographie)
Aufgrund der überragenden Übersicht durch die Arthroskopie kann Die dynamische Untersuchung des Handgelenks unter Durchleuch-
auf ein offenes Operationsverfahren bei Discus-ulnocarpalis-Läsionen tung ist von großer Hilfe bei der Visualisierung von Bandinstabili-
weitestgehend verzichtet werden (Tunnerhoff u. Haussmann 2001). täten, die zu Schnappphänomenen führen können. Auch kann die
Die gründliche Anamnese und die klinische Untersuchung, als Erweiterung des SL-Spaltes unter Last und Ulnarduktion zielsicher
wichtigste diagnostische Grundlage zur Behandlung chronischer herausprojiziert und mit der Gegenseite verglichen werden. Dies
oder akuter Handgelenksbeschwerden, sind für eine sinnvolle Indi- gelingt in der Kinematographie weit besser als in der statischen
kationsstellung für weiterführende bildgebende diagnostische Maß- Stressaufnahme.
nahmen, insbesondere aber für die invasive Handgelenksarthrosko-
pie unabdingbar. Die Anamnese grenzt den Schmerzbefund weiter Sonographie
ein und bewertet ihn anhand der visuellen Analogskala (VAS): Die Sonographie sollte mit einem linearen Hochfrequenzultraschall-
4 Belastungs- oder Bewegungsabhängigkeit (in Beruf und Frei- kopf (10–12 MHz) durchgeführt werden. Neben der Synovialitis der
zeit), Beugesehnenscheiden können hier insbesondere Ganglien darge-
4 Tageszeit und Dauer der Beschwerden, stellt werden.
4 Mögliche Unfallereignisse.
Magnetresonanztomographie (MRT)
Es sollten dabei auch weiter zurückliegende Aktivitäten abgefragt Nach eigenen Untersuchungen haben bereits 45% der Patienten mit
werden, da z. B. ehemalige Handballer oder Judoka aufgrund der Handgelenksbeschwerden eine MRT-Untersuchung hinter sich,
typischerweise häufig vorkommenden Handgelenksverletzungen oft wenn sie sich erstmals in einer handchirurgischen Sprechstunde vor-
kein eigentliches Trauma erinnern. stellen. Die Qualität dieser unaufgeforderten und meist unspezi-
Mögliche systemische Gelenkerkrankungen umfassen fischen Untersuchung hat jedoch nur eine geringe Sensitivität für
4 Hyperurikämie, intrakarpale Bandverletzung, da eine qualitativ hochwertige Unter-
4 chronische Polyarthritis und suchung eine dezidierte Anfrage voraussetzt.
4 Chondrokalzinose. Gut zur Darstellung kommen bei korrekt durchgeführter Unter-
suchungstechnik okkulte Ganglien. Für die Lunatummalazie im
Das aktive Bewegungsausmaß und die Bandstabilität werden im Sei- Stadium I nach Lichtman stellt das MRT das alleinige Diagnostikum
tenvergleich überprüft. Dabei ist die eingeschränkte Aussagekraft dar. Für die Aussagekraft der Discus-ulnocarpalis-Verletzung und
52.2 · Operative Techniken
469 52
intrakarpaler Bandverletzungen kann bei Durchsicht der Literatur
eine zunehmende Treffsicherheit festgestellt werden, wenn hochauf-
lösende Einstellungen (Totterman et al. 1996) bei gleichzeitiger An-
wendung von Kontrastmittel benutzt wurden (Haims et al. 2003;
Herold et al. 2001). Auf die Notwendigkeit einer spezielle Handge-
lenkspule weisen Morley et al. (2001) 15 hin.
Letztlich aber zeigt nur die direkte MR-Arthrographie eine ähn-
lich hohe Sensitivität und Spezifität wie die Arthroskopie (Braun
et al. 2003; Grainger et al. 2000; Scheck et al. 1997; Schmitt et al.
(2003).

Arthrographie
Die Arthrographie dient zur Darstellung von intrakarpalen Band­
läsionen und Rissen des Discus ulnocarpalis. Unseres Erachtens hat
sie mit Einführung der direkten Arthro-MRT/CT-Verfahren an Be-
deutung verloren, da selbst bei einer 3-Kompartiment-Arthrogra-
phie keine genügend hohe Sensitivität erzielt wird.
. Abb. 52.1 Lagerung und Aufhängung der Hand am Traction-Tower
Computertomographie (CT)
Die CT-Untersuchung hat ihre Stärken in der hochauflösenden
Darstellung von Knochenveränderungen. So können intraartikuläre
Frakturen sicherer beurteilt werden oder intraossäre Zysten darge-
stellt werden. Die Aussagekraft zu interkarpalen Winkelmaßen und
Gelenkspaltabständen ist nur eingeschränkt möglich, da im Ver-
gleich zur konventionellen Röntgenaufnahme der Arm und die
Hand nicht in Neutralstellung gehalten werden. Die Aussagekraft
des direkten Arthro-CT, also der CT-Aufnahme nach Gabe eines
intrakarpalen Kontrastmittels, bei intrakarpalen Bandverletzungen
ist im Vergleich zur direkten Artho-MRT-Untersuchung noch nicht
vollständig geklärt.

52.2 Operative Techniken


52.2.1 Technische Vorraussetzungen

In Rückenlage wird der betroffene Arm in der Schulter 90° abduziert


auf dem Armtisch ausgelagert, der Ellbogen 90° gebeugt. Die Unter-
suchung findet unter Plexus- oder Allgemeinanästhesie und Ober-
armblutleere statt. Die Distraktion des Handgelenks erfolgt durch
Aufhängung des Zeige- und Mittelfingers mittels Mädchenfängern
und Gegenzug durch Gewichte, die am Oberarm angelegt werden,
bzw. alternativ im sog. Traction-Tower (. Abb. 52.1) durch Distrak-
tion an einer verlängerbaren Gewindestange (üblich sind 2,5–5 kg,
im Bedarfsfall bis zu 10 kg).
. Abb. 52.2 Zugangsportale (Beschreibung 7 Text)
> Die Handgelenksarthroskopie erfordert aufgrund des
engen Raumes entsprechendes Instrumentarium: ein
Arthroskop mit einem Durchmesser von in der Regel
richtet sich nach der Lagebeziehung zu den Strecksehnenfächern
2,7 mm, 100 mm Länge und einer 30°-Optik.
(. Abb. 52.2). Nach orientierender Palpation erfolgt zunächst die
Mittlerweile bieten viele Hersteller von Arthroskopen auch ange- Punktion mit einer Kanüle. Das Gelenkkompartiment wird mit Flüs-
messen große Tasthaken, Gewebezangen und motorbetriebene Frä- sigkeit aufgefüllt und schließlich die Haut mit einem 11-Skalpell
sen (Shaver) an. Zur besseren Übersicht wird die weitere Distension inzidiert. Der vorpunktierte Kanal wird stumpf mit einem Klemm-
des Gelenkes über eine Spülflüssigkeit mit definiertem Druck durch- chen bougiert, dann folgen das Einbringen des stumpfen Throkars
geführt. Die heute geforderte Dokumentation der optischen Befunde und das Einsetzen des Arthroskops.
erfolgt mittels Farbprinter und digitalem Videorecorder.
1-2-Portal
Das 1-2-Portal kommt nur selten zum Einsatz. Es liegt zwischen dem
52.2.2 Operative Zugangswege (Portale) 1. und 2. Streckerfach in dichter Nachbarschaft zu den Ästen des
R. superficialis n. radialis und der A. radialis. Der Zugang bietet nur
Der Standardzugang erfolgt von der Streckseite des Handgelenkes. eingeschränkte Sicht auf das radiokarpale Gelenk und lässt ein Vor-
Die Bezeichnung der einzelnen Zugänge, die als Portale bezeichnet, spiegeln in das ulnokarpale Gelenk nicht zu.
470 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks

3-4-Portal dorsaler Venen vermeiden. Der Zugang wird in erster Linie als In-
Der am häufigsten genutzte Zugang für das Radiokarpalgelenk lässt strumentenzugang genutzt, bietet aber auch Möglichkeiten, die Ge-
sich durch Tasten der Radiuskante mit dem Daumen etwas distal des lenkfacetten des Os hamatum einzusehen
Tuberculum listeri sicher auffinden. Der Untersucherdaumen gibt
der M.-extensor-pollicis-longus-Sehne direkten Schutz. Der sehr
sichere Zugang bietet direkte Sicht auf das SL-Band. Ein Vorspiegeln 52.3 Diagnostische Arthroskopie
zum Proc. styloideus radii ist ebenso gut möglich wie das Spiegeln
des ulnokarpalen Gelenkes. Die diagnostische Arthroskopie beginnt mit dem sog. 2-Kanülen-
Test. Hierbei wird durch eine Kanüle das Radiokarpalgelenk aufge-
52 4-5-Portal füllt, eine zweite Kanüle, meist im MCR-Portal, kann dann einen
Das Portal zwischen dem 4. und 5. Streckerfach wird in der Regel möglichen Flüssigkeitsübertritt als Ausdruck einer SL-Bandläsion
durch einen Schnittpunkt einer verlängerten Linie der 4. Kommissur preisgeben. Die Wertigkeit dieser Prüfmethode zur Detektion von
und durch den Lichtpunkt des bereits in das Ulnokarpalgelenk vor- karpalen Bandverletzungen ist den gleichen Unsicherheiten wie die
geführten Arthroskops bestimmt. Durch diese Diaphanoskopie kön- Arthrographie unterworfen. Auch hier kann es bei unidirektionalem
nen Verletzungen dorsaler Venen gut vermieden werden. Flüssigkeitsübertritt zu falsch-negativen Ergebnissen kommen. Der
Untersuchungsgang kostet aber kaum Zeit und füllt die Gelenke mit
6-R-/6-U-Portal Flüssigkeit auf, was eine mögliche Knorpelverletzung beim Bougie-
Die radial (6-R) und ulnar (6-U) der M.-extensor-carpi-ulnaris-Seh- ren der Zugangswege minimiert.
ne gelegenen Zugänge bieten insbesondere bei der Diskusnaht die Nachfolgend ist ein möglicher Untersuchungsgang beschrieben.
Möglichkeit, zusätzliche Instrumente einzubringen.
> Entscheidend für die Befundqualität ist, dass man immer
6-U-Portal nach einem klaren und routinemäßigen Schema alle we-
sentlichen intrakarpalen Strukturen abfährt und überprüft.
Beim diesem Zugang ist besondere Vorsicht geboten, da hier der
distale Ast des N. ulnaris häufig quere Gelenkäste abgibt, die verletzt
werden könnten.
52.3.1 Untersuchungsgang radiokarpal
MCR-Portal
Das Mediokarpal-radiale (MCR-) Portal liegt im sog. Softspot etwa Ausgehend vom 3-4-Portal zeigt sich zunächst die Fossa scaphoidea.
1 cm distal des 3-4-Portals zwischen Kahnbeintaille, radialem Kapi- Durch einen Schwenk der Kameraoptik um 90° erhält man im obe-
tatumpol und verlängerter Linie des 3. Mittelhandknochens (MHK). ren Bildabschnitt die Gelenkfläche des Kahnbeins, im unteren die
Der Zugang lässt gute Übersicht auf die mediokarpalen Gelenk­ der Fossa scaphoidea. Die Kamera wird jetzt entlang der Radiusge-
flächen des Skaphoids, Kapitatums und des Triquetrums zu. Der lenkfläche bis zum Proc. styloideus radii geführt. Hier zeigen sich bei
SL- und der LT-Spalt können eingesehen werden, ebenso das RSC- SL-Bandinstabilitäten oft Anzeichen einer Arthrose.
Band und das STT-Gelenk. Durch Fortführen der Kamera können jetzt der palmare Anteil
der Radiusgelenkfläche und die radiopalmaren Bänder betrachtet
MCU-Portal werden. Bei intakten Verhältnissen sind die Bänder gut angespannt.
In Verlängerung des 4. MHK findet sich das mediokarpal-ulnare Das sog. Testut-Band zeigt palmar als neurovaskuläres Bündel die
(MCU-) Portal etwa 1 cm distal des 4-5-Portals. Auch hier kann man palmaren Anteile des SL-Bandes an. Durch Zurückführen des Ar-
sich den Zugang durch vorausgehendes Aufsuchen des MCR-Portals throskops kann das SL-Band auf ganzer Länge betrachtet werden
und anschließende Diaphanoskopie erleichtern und Verletzungen (. Abb. 52.3).

b
a
. Abb. 52.3 Untersuchungsgang radiokarpal über das 3-4-Portal (a) mit Austasten des SL-Bandes (b)
52.3 · Diagnostische Arthroskopie
471 52

b
a
. Abb. 52.4 Untersuchungsgang ulnokarpal. Zugang über das 6-R-Portal (a). Trampolintest über dem Discus ulnocarpalis (b)

b
a

. Abb. 52.5 Untersuchungsgang mediokarpal: Sicht auf das STT-Gelenk vom MCR-Portal (a) mit Darstellung von Trapezium, Trapezoid und skaphoidaler
Gelenkfläche (b)

52.3.2 Untersuchungsgang ulnokarpal ken werden die Bandstrukturen abgefahren und auf ihre Spannung
geprüft.
Um in das ulnokarpale Kompartiment zu gelangen, wird das Arthro-
skop bis zum Testut-Band vorgeführt. An der palmaren Radiuskante > Für die vollständige Prüfung des LT-Bandes ist mitunter
entlang kann nun das Mondbein teilweise auf das Arthroskop gela- der Wechsel von Instrumenten- und Kameraportal not­
den werden. Die Kamera schaut jetzt von palmar nach dorsal über wendig.
die Fossa lunata hinweg auf den Discus ulnocarpalis und die ulno-
dorsale Kapsel. Wie oben erwähnt, kann jetzt der Instrumentenzu-
gang im 4-5-Portal genutzt werden. 52.3.3 Untersuchungsgang mediokarpal
Nach Einbringen des Tasthakens wird die Kamera etwas zurück-
geführt. So können die ulnopalmaren Bänder beurteilt werden. Mit Der Zugang über das MCR-Portal lässt zunächst das Skaphoid und
dem Tasthaken wird der Discus ulnocarpalis abgefahren und auf den radialen Pol des Os capitatum erkennen. Folgt man dem Skapho-
verdeckte Risse überprüft. Dabei findet sich physiologisch ein fe- id, gelangt man zum STT-Gelenk (. Abb. 52.5). Palmar kann das
dernder Widerstand, der als positiver Trampolintest bezeichnet wird RSC-Band (Lig. radioscaphocapitatum) eingestellt werden. Bei ge-
(. Abb. 52.4b). eigneter Ausrichtung der Kamera kann nun proximal der SL-Spalt
Der ulnare Recessus kann ebenfalls dargestellt werden. Hier betrachtet werden. Je nach Formvarianz des Lunatums kann der LT-
­findet sich häufig eine ausgeprägte Synovialitis. Mit dem Tastha- Spalt in der gleichen Einstellung sichtbar sein, ansonsten muss man
472 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks

52

b
a
. Abb. 52.6 Sicht auf den SL-Spalt mediokarpal vom MCR-Portal aus (a). Darstellung der Gelenkflächen von Capitatum und Scaphoid (b)

das Arthroskop über das Lunatum hinwegbewegen, was meist am


besten an der dorsalen Kante gelingt (. Abb. 52.6). Von hier kann . Tab. 52.1 Einteilung der Diskusläsionen nach Palmer (1989)
man dann den ulnaren Anteil des Os-capitatum-Pols und das Os
hamatum beurteilen. Klassi- Traumatische Läsionen/degenerative Läsionen
Der Tasthaken zur Überprüfung der SL- oder LT-Dissoziationen fikation
wird über den MCU-Zugang eingeführt.
1A Horizontaler Riss 2–3 mm von der radialen Anheftung
! Cave des Diskus am Radius entfernt
Die von Geisler beschriebene Einteilung hilft zwar bei der 2A Horizontaler Riss ohne Perforation
Beschreibung des Befundes, die pathologische Wertigkeit
kann aber erst aus der Zusammenschau erfolgen. 1B Avulsion des Diskus an seiner Insertion an der Basis des
Proc. styloideus ulnae

2B Horizontaler Riss mit Chondromalazie des Ulnakopfs


oder des Os lunatum
52.4 Pathologische Befunde
1C Risse im Übergang zum Lig. ulnolunare oder ulnotri­
52.4.1 Läsionen des Discus ulnocarpalis quetrale

2C Rundliche zentrale Perforation des Diskus


Der Discus ulnocarpalis kann bereits ab dem 30. Lebensjahr dege-
1D Abriss des Diskus von der Incisura radii
nerative Veränderungen im zentralen avaskulären Anteil aufweisen
(Mikic 1978). Für die Einteilungen der Läsionen hat sich die Klassi- 2D Perforierter Diskus, fortgeschrittene Chondromalazie
fikation nach Palmer (1989) durchgesetzt, die grundsätzlich frische des Ulnakopfs und des Os lunatum, LT-Bandruptur
traumatische von degenerativen Läsionen unterscheidet. Hinzu 2E Komplett aufgebrauchter Diskus, ulnokarpale Arthrose
kommt eine Differenzierung entsprechend der Lokalisation der mit kompletter LT-Bandruptur
Läsion. Zur Übersicht ist die Klassifizierung in . Tab. 52.1 und
. Abb. 52.7a aufgeführt. Für den klinischen Gebrauch ist unseres
Erachtens diese Nomenklatur eher hinderlich, da die Befunde auch
deskriptorisch mit wenigen Worten klar allgemeinverständlich defi- 52.4.2 SL-Bandverletzungen
niert werden können.
Die zentralen und radialen Rissbildungen lassen sich durch Bei der Untersuchung des SL-Bandes ist der Einsatz des Tasthakens
direktes Einhaken sicher darstellen. Die ulnaren Abrisse sind unerlässlich. Während zentral das SL-Band mit dem Tasthaken ein-
oft nur indirekt nachzuweisen, indem man mit dem Tasthaken gedrückt werden kann, ist es dorsal straff angespannt. Partielle De-
den erschlafften Diskus wellenartig aufwerfen kann. Auch kann fekte können auf ihre Ausdehnung überprüft werden. Auch bei kom-
es gelegentlich hilfreich sein, von unterhalb des Diskus mit pletter transossärer Abscherung des Bandes ergibt sich häufig bei
dem Tasthaken den Abriss am Proc. styloideus ulnae auszu­ bloßer Betrachtung ein intakter Eindruck, der erst durch den Tastha-
machen. ken widerlegt wird (. Abb. 52.8). Bei laxen Bandverhältnissen kann
Die degenerativen Änderungen zeichnen sich durch kreis­ zumindest qualitativ der Versuch einer Einschätzung über die disso-
runde zentrale Defekte mit ausgefransten Wundrändern aus. Ver- ziativen Auswirkungen erfolgen. Bei älteren kompletten Verletzungen
mehrt finden sich solche degenerativen Veränderungen bei einer Ul- ist das Band ausgefranst, und mitunter ist ein Vorbringen des Arthro-
na-plus-Variante. Bei fortgeschrittenen Stadien zeigen sich dann skops in den SL-Spalt möglich. Das Arthroskop gelangt vom Radio-
auch Veränderungen am Ulnakopf (Knorpelglatzen, Usuren). karpalgelenk durch den SL-Spalt direkt in das Mediokarpal­gelenk.
52.4 · Pathologische Befunde
473 52

b
a

c d

. Abb. 52.7 Schematisch Darstellung häufiger Rupturformen


des Discus ulnocarpalis (a). Arthroskopischer Aspekt durch eingesetzten
Tasthaken eines radialen (b) und zentralen Riss (c). Weitere Rissformen
e
stellen der ulnare Riss (d) und eine degenerative Läsion dar (e)
474 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks

52.5.1 Partielle Resektion des Discus


ulnocarpalis

Die partielle Resektion (bis zu 2/3) des Discus ulnocarpalis führt bei
Belassen des Lig. radioulnare dorsale und palmare nicht zu einer
Instabilität oder zu einer vermehrten Druckübertragung im ulno-
karpalen Kompartiment (Adams u. Holley 1993; Palmer 1989). Nach
eigener Erfahrung erbringt das Débridement sowohl bei degenera-
tiven als auch bei veraltet traumatischen Läsionen eine Schmerzlin-
52 derung. Frische traumatische Läsionen, die nahtfähig sind, sollten
direkt genäht werden. Technisch erfolgt das Débridement mit unter-
schiedlich resezierenden Instrumenten. Im eigenen Vorgehen wird
die kombinierte Verwendung von Punch-Zange und Shaver bevor-
zugt, mit denen insbesondere bei degenerativen Veränderung auch
eine Synovialektomie des DRUG erfolgen kann.

52.5.2 Diskusnaht

Die meisten Patienten mit Diskusrupturen kommen unserer Erfah-


. Abb. 52.8 SL-Bandverletzung mit ossärer Abscherung des SL-Bandes
rung nach verspätet zur handchirurgischen Beratung. Meistens liegt
vom Os lunatum
das eigentliche Trauma bereits mehrere Monate zurück. Die vorge-
fundenen Risse im zentralen Anteil bedürfen keiner Naht. Radiale
Risse des Diskus stellen die häufigste Rissform dar. Gute Ergebnisse
52.4.3 Knorpelläsionen bei offener Nahttechnik werden von Cooney et al. (1994) beschrie-
ben. Die arthroskopische Versorgung solcher Risse ist jedoch tech-
> Die typischen Knorpelläsionen finden sich bei der fort­ nisch anspruchsvoll. Leichter nahtfähig sind die ulnodorsalen Risse,
geschrittenen SL-Dissoziation mit DISI-Fehlstellung und zu deren Darstellung überdeckendes Synovialgewebe entfernt wer-
Rotationsfehlstellung des Kahnbeins. den muss, insbesondere dann, wenn das Unfallereignis schon länger
zurückliegt. Ebenfalls nahtfähig sind die häufig nur indirekt darzu-
Beginnend am Proc. styloideus radii und am korrespondierenden stellenden ulnaren Avulsionsverletzungen.
Kahnbeinpol kann bei zunehmender SLAC-Fehlstellung auch im Bei veralteten Rissen empfiehlt sich das Anfrischen der Riss-
Mediokarpalgelenk zwischen Kapitatum und Lunatum eine Chon- kanten vor der eigentlichen Naht. Die gängigste Technik sieht einen
dromalazie vorliegen. Dies ist wichtig insbesondere für die operative kleinen Schnitt über dem 6. Strecksehnenfach vor. Das Fach wird
Entscheidung zwischen einer mediokarpalen Teilarthrodese und radial fensterförmig eröffnet und die Sehne nach ulnar beiseite ge-
einer Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (»proximal row halten. Über zwei Kanülen am Boden des Strecksehnenfaches einge-
carpectomy«). bracht und unter arthroskopischer Kontrolle von proximal nach
Andere Prädilektionsstellen finden sich bei der Ulna-plus-Vari- distal über den Riss des Diskus gestochen, werden eine Fadenschlau-
ante mit Ausprägung eines Impaktationssyndroms und möglichen fe, der sog. Fangfaden, und eine Naht, in der Regel 2-0-PDS, vorge-
Knorpelläsionen am ulnoplamaren Pol des Os lunatum sowie am schoben (. Abb. 52.9).
Ulnakopf. Traumatisch bedingte Knorpelschäden zeigen sich bei Der Nahtfaden wird nun unter arthroskopischer Kontrolle mit
Sturz auf die ulnare Handkante am Os hamatum oder nach fehlver- der Schlaufe gefasst und unter Rückzug der Kanüle nach außen ge-
heilten intraartikulären Radiusfrakturen mit Stufenbildung. führt. Hier kann jetzt ebenfalls unter Sicht das Anziehen und Knoten
der Naht erfolgen.
Wir führen die Nachbehandlung mit einer Oberarmschiene für
52.5 Therapeutische Arthroskopie 3 Wochen und einer Unterarmschiene für weitere 2–3 Wochen
durch. Alternativ zu dem Oberarmgips kann zur Vermeidung der
Die Indikation zur Handgelenksarthroskopie wird derzeit v. a. für Oberarmdrehung auch ein sog. Zuckerzangengips angelegt werden.
die in der . Übersicht genannten Maßnahmen gestellt.

Indikationen zur therapeutischen Handgelenks­ 52.5.3 Synovialektomie/Ganglionresektion


arthroskopie
Die partielle Synovialektomie, insbesondere der dorsalen Kapsel des
4 Partielle Resektion des Discus ulnocarpalis
4 Diskusnaht bei ulnaren Rissen
Radiokarpalgelenkes, ist ein gebräuchlicher Eingriff. Mit Hilfe des
4 Abrasionsarthroplastik bei dritt- bis viertgradigen Knorpel- motorbetriebenen Shavers können zunächst die häufig bei der Über-
schäden sicht störenden Synovialzotten entfernt werden. Dabei stehen unter-
4 Entfernung von freien Gelenkkörpern schiedliche Shaver-Ansätze zur Verfügung. Am besten geeignet bei
4 Entfernung von entzündlich verändertem Gewebe ausgeprägter Synovialitis ist der gezackte Synovial-Cutter.
(Synovialektomie)
> Das Shaven muss stets unter Sicht erfolgen.
4 Reposition von intraartikulären Radiusfrakturen
4 Arthroskopische Exzision von Ganglien Mit leichtem Druck und halbkreisförmigen Bewegungen kann so die
Kapsel von Synovialgewebe befreit werden.
52.6 · Kontraindikationen und Komplikationen
475 52
! Cave
Es ist äußerste Vorsicht geboten, da leicht der Knorpel
verletzt werden kann.

Der Zugang für den Shaver ist das 4-5- oder 6-R-Portal.
Nicht zu große Ganglien, die die dorsale Kapsel durchbrechen,
können auf dieselbe Weise entfernt werden. Durch die angeschlos-
sene Saugung wird der Inhalt des Ganglions entfernt. Meist entsteht
eine Fensterung der Gelenkkapsel, ohne dass Anteile des RLT-Ban-
des verletzt werden sollten. Palmare Ganglien oder Ganglien im Be-
reich des pisotriquetralen Gelenkes sind nicht immer sicher mit dem
Arthroskop zu entfernen. Sollte hier eine Beschwerdesymptomatik
bestehen, empfiehlt es sich, auf ein offenes Verfahren umzusteigen.

52.5.4 »Wafer Resection«

a
Die Indikation zur »Wafer resection« erfolgt bei fortgeschrittener
Chondromalazie des Ulnakopfes. Mit Hilfe einer Knochenfräse
wird dabei der vorstehende Ulnakopf bis subchondral abgetragen.
Die offenen operativen Alternativen zu diesem Verfahren sind die
Operation nach Bowers (Hemiresektion des Ulnakopfes mit Ein-
schlag eines Kapsellappens in das DRUG) bis hin zur Operation nach
Darach mit kompletter Resektion des Ulnakopfes. Eine weitere Al-
ternative ist die Ulnaverkürzungsosteotomie, die neben der reinen
Niveauoperation auch eine Straffung des ulnokarpalen Komplexes
bringt.

52.5.5 Abrasionsarthroplastik

Bei der Abrasionsarthroplastik wird durch Anfrischen der Kortikalis


ein 4.-gradiger Knorpelschaden zur Ausbildung eines Ersatzfaser-
knorpels angeregt. Kleinere Stufenbildung in der Radiusgelenkflä-
che und fortgeschrittene Chondromalazien des Ulnakopfes können
so behandelt werden.

b
52.5.6 Arthroskopisch unterstützte Versorgung
intraartikulärer Radiusfrakturen

Intrakarpale Begleitverletzungen bei Radiusfrakturen stellen keine


Seltenheit dar. Die visuelle Kontrolle bei Reposition von Frakturfrag-
menten ist daher Ziel der arthroskopisch assistierten Frakturversor-
gung intraartikulärer Radiusfrakturen.
In der Praxis ergibt sich die Frage nach dem geeigneten Zeit-
punkt für den Eingriff. Eine unmittelbare Versorgung führt durch
die notwendige Spülung des Gelenkes zum Flüssigkeitsübertritt in
Markraum und Weichteile mit der Folge eines temporären Ödems.
Günstiger ist es aus unserer Sicht, nach primärer Reposition und
Stabilisierung mittels Fixateur externe die endgültige Reposition
nach etwa 1 Woche anzustreben. Falls erforderlich, kann dann auch
ein Verfahrenswechsel mit Anlage einer winkelstabilen Platte erfol-
gen. Versorgungspflichtige Diskus- oder Bandverletzungen können
zu diesem Zeitpunkt einer arthroskopischen oder offenen Naht zu-
geführt werden.
c

. Abb. 52.9a–c Diskusnaht durch Fadenfängermethode. Nach Anfrischen 52.6 Kontraindikationen und Komplikationen
der Rupturzone wird der intraartikulär durch eine Kanüle eingebrachte
Faden (a) durch eine zusätzliche Schlaufe (Fangfaden) gefasst (b) und damit Kontraindikationen. Eine Kontraindikation zur Handgelenksar-
nach extraartikulär verlagert, wo der Faden dann geknotet wird (c) throskopie besteht bei floriden Infekten oder einem CRPS.
476 Kapitel 52 · Arthroskopie des Handgelenks

Komplikationen. Zu den speziellen Komplikationen aufgrund der Tunnerhoff HG, Haussmann P (2001) [What are the indications for arthro-
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53

Knochen- und Gelenkverletzungen


S. Schinner, H. Rosenthal

53.1 Frakturen der Finger – 478


53.1.1 Endgliedfrakturen – 478
53.1.2 Mittel- und Grundgliedfrakturen – 479

53.2 Luxationen der Finger und des Daumens – 482


53.2.1 Luxationen der Fingerend-, Mittel- und Grundgelenke, Luxationen des Daumen­
endgelenks – 482
53.2.2 Luxation des Daumengrundgelenks (Skidaumen) – 483
53.2.3 Luxation des Daumensattelgelenks – 484

53.3 Frakturen des Daumens – 486


53.3.1 Bennett-Fraktur – 486
53.3.2 Rolando-Fraktur – 486
53.3.3 Winterstein-Fraktur – 487

53.4 Metakarpale Frakturen – 487

53.5 Köpfchenfrakturen – 489

53.6 Subkapitale Frakturen – 489

53.7 Karpale Fraktur – 491


53.7.1 Skaphoidfrakturen – 491

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
478 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53.1 Frakturen der Finger Therapie


Therapieziele bei knöchernen Verletzungen sind:
Bei Frakturen der Finger wird wie auch bei anderen Frakturen zwi- 4 Nageltrepanation bei subungualem Hämatom,
schen geschlossenen und offenen, einfachen und komplexen Bruch- 4 Wiederherstellung der Gelenkfläche und der Knochenkontinuität,
formen sowie intraartikulären und extraartikulären Frakturen un- 4 exakte Wiederherstellung des Nagelbettes.
terschieden (. Abb. 53.1). Sonderfälle stellen einerseits die kind-
lichen Frakturen (. Tab. 53.1) und zum anderen die pathologischen Je nach Art der Fraktur (geschlossen/offen) und Verletzungsmuster
Frakturen dar, z. B. bei Knochentumoren. können Endgliedfrakturen konservativ oder operativ therapiert wer-
den (. Tab. 53.2, . Abb. 53.2–53.5).

53.1.1 Endgliedfrakturen Postoperatives Management


53 Ätiologie und Klassifikation
4 Allgemeine Nachsorge
5 Medikamentöse Behandlung: NSAID (z. B. Ibuprofen 400 mg
Frakturen der Fingerendglieder sind häufig und oft Folge von 1–1–1) oral für 1 Woche, Protonenpumpenhemmer als Ma-
Quetschverletzungen oder axialem Anpralltrauma. Hierbei unter- genschutz (z. B. Pantozol 20 mg 0–0–1).
scheidet man 5 Hochlagern des Armes.
4 distale Apophysenfrakturen (Frakturen des Nagelkranzes), 5 Offene Frakturen und infektgefährdete Wunden: Cephalos­
4 Schaftfrakturen sowie porin der 2. Generation i.v. unmittelbar präoperativ, 3–4 Tage
4 intra- und extraartikuläre Basisfrakturen. postoperativ i.v., oder Cefuroxim (500 mg oral 1–1–1).
5 Andere Eingriffe an Knochen und Gelenken: Cephalosporin
Zu den intraartikulären Frakturen zählen knöcherne Strecksehnen- der 2. Generation i.v. als präoperativer »single shot«.
ausrisse und Busch-Frakturen. Die Busch-Fraktur ist eine intraartiku­ 4 Spezifische Nachsorge
läre Luxationsfraktur des Endgliedes, bei der mindestens die Hälfte 5 Röntgenkontrolle: postoperativ und nach 4 Wochen, wenn
der Gelenkfläche beteiligt und mit der Strecksehne nach dorsal lu- konservativ behandelt wurde: nach Reposition in der Schiene
xiert ist. Endgliedfrakturen sind oft mit einer Verletzung des Nagel- und nach 4 Wochen.
bettes vergesellschaftet. 5 ME der Drähte: gelenktransfixierende Drähte nach 3–4 Wo-
chen, Osteosynthesedrähte nach 6 Wochen, keine ME von
Diagnostisches Vorgehen Schrauben notwendig, in Ausnahmefällen frühestens nach
Die Klinik umfasst: 6 Monaten
4 Schwellung des Endgliedes,
4 Bewegungseinschränkung und Schmerzhaftigkeit, Komplikationen
4 Subunguales Hämatom, 4 Allgemeine Komplikationen nach Frakturen
4 Nagelluxation und Nagelbettverletzung. 5 Chronisch reaktives Schmerzsyndrom (CRPS).
5 Frakturheilung in Fehlstellung (Achsenknick, Rotations­
Die Röntgenaufnahme erfolgt konventionell a.-p. und streng seitlich. fehler).

. Tab. 53.1 Einteilung der kindlichen Frakturen nach Salter-Harris und Aitken

Salter-Harris- Klassifikation Kennzeichen


Einteilung nach Aitken

I Reine Ablösung der Epiphyse von der Metaphyse ohne knöcherne Verletzung (Epiphysiolyse)

II I Ablösung der Epiphyse mit Absprengung eines metaphysären Knochenkeils ohne knöcherne Verletzung
der Epiphyse

III II Teilablösung der Epiphyse bei Fraktur der Epiphyse ohne metaphysäre Beteiligung

IV III Durchgehende Frakturlinie von der Epiphyse bis in die Metaphyse

V IV Einstauchung oder Kompression der Epiphysenfuge ohne knöcherne Verletzung

. Abb. 53.1 Einteilung der Frakturen nach Salter-Harris und Aitken


53.1 · Frakturen der Finger
479 53

. Tab. 53.2 Therapeutisches Vorgehen bei Endgliedfrakturen der Finger abhängig vom Frakturtyp

Indikation Therapie Procedere

Konservative Therapie

Knöcherner Strecksehnen­ Geschlossene Fraktur, Fragment in Ruhigstellung: Intrinsic-plus-Lage- 5 Tage Intrinsic-plus- und 6–8 Wochen
ausriss (. Abb. 53.2) Stack-Schiene retinierbar rungsschiene und Stack-Schiene Stack-Schiene (. Abb. 53.2)

Nagelkranzfrakturen Geschlossene Trümmerfrakturen Ruhigstellung: Intrinsic-plus-Lage- 5 Tage Intrinsic-plus- und 6 Wochen


(. Abb. 53.3) mit kleinen Fragmenten (Nagel­ rungsschiene und Stack-Schiene Stack-Schiene
trepanation!)

Schaftfrakturen geschlossene Fraktur, nicht disloziert Ruhigstellung: Intrinsic-plus-Lage- 5 Tage Intrinsic-plus- und 4–6 Wochen
rungsschiene und Stack-Schiene Stack-Schiene

Operative Therapie

Knöcherner Strecksehnen­ Offene Fraktur, luxiertes größeres Reposition geschlossen: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
ausriss Fragment, in Stack-Schiene nicht 4 Extensionsblock (. Abb. 53.4) und 4–6 Wochen Stack-Schiene
retenierbar 4 Hakendrahtosteosynthese

Reposition offen:
4 K-Draht-Osteosynthese
4 Schraubenosteosynthese
4 Zuggurtung

Busch-Fraktur Immer operative Reposition und Reposition perkutan: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
Osteosynthese 4 K-Draht-Osteosynthese mit und 4–6 Wochen Stack-Schiene
Extensionsblock (. Abb. 53.5)

Reposition offen:
4 K-Draht Osteosynthese
4 Schraubenosteosynthese

Nagelkranzfrakturen Offene Fraktur, große dislozierte Reposition geschlossen und offen: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
Fragmente, Nagelbettverletzung 4 K-Draht Osteosynthese und 4–6 Wochen Stack-Schiene

Schaftfrakturen Offene Fraktur, disloziert Reposition geschlossen oder offen: Ruhigstellung: 5 Tage Intrinsic-plus-
4 K-Draht-Osteosynthese und 4–6 Wochen Stack-Schiene
4 Schraubenosteosynthese

5 Verzögerte Knochenheilung oder Ausbildung einer Pseudar-


throse (>6 Monate).
5 Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose, besonders
nach intraartikulären Frakturen.
5 Bruch der Implantate.
5 Verklebung von Streck- und Beugesehnen durch Adhärenz
und Narbenbildung an der Fraktur oder dem Implantat.
5 Streck- oder Beugedefizite als Folge narbiger Kontrakturen
der Gelenkkapsel, insbesondere als Folge von intraartiku-
lären Frakturen und Luxationsfrakturen.
4 Spezifische Komplikationen der Endgliedfrakturen
5 Nagelwachstumsstörungen können als Folge einer iatrogenen
oder traumatisch bedingten Verletzung des Nagelbettes auf-
treten. Insbesondere nach knöchernen Strecksehnenaus­
rissen besteht die Möglichkeit eines verbleibenden Streckde-
fizites.

53.1.2 Mittel- und Grundgliedfrakturen


Ätiologie
Mittel- und Grundgliedfrakturen sind in der Regel Folgen von Stür-
zen, Anprall- oder Quetschtraumata und treten in jedem Lebensalter
auf. Häufig besteht neben einer axialen Krafteinwirkung eine zusätz- . Abb. 53.2 Knöcherner Strecksehnenausriss
480 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53

a b

. Abb. 53.5 Extensionsblock

liche transversale Komponente, deren Folge gelenknahe Luxations-


frakturen sein können. Es werden Köpfchenfrakturen, Schaft- und
Basisfrakturen unterschieden, die sowohl extra- als auch intraartiku-
lär auftreten. Bei Köpfchen- und Basisfrakturen überwiegen Y-Frak-
b turen, im Schaftbereich Spiralfrakturen. Eine besonders häufige Frak-
turform ist die Luxationsfraktur des proximalen Interphalangealge-
. Abb. 53.3 Konservative Therapie mittels Stack-Endgelenkschiene.
(Aus Windolf 2006)
lenks, mit knöchernem Ausriss der palmaren Platte. Sie ist die Folge
einer dorsalen Luxation, wobei die palmare Platte meist mit einem
kleinen knöchernen Fragment an ihrem distalen Ansatz abreißt.

Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Frakturzeichen.
5 Schwellung der Phalanx und/oder des Gelenks.
5 Einschränkung der Beweglichkeit.
5 Fehlstellung, Achsenknick, Rotationsfehler.
5 Bei Luxationsfrakturen: Fehlstellung des Fingers in Gelenk­
nähe, Gelenkinstabilität.
4 Radiologisch:
5 Röntgen a.-p./streng seitlich.
5 Präoperativ kann ein CT bei intraartikulären Frakturen mit
fraglicher Indentation des Knorpels und der Kortikalis
manchmal hilfreich sein.

Therapie
4 Therapieziele:
5 Wiederherstellung der knöchernen Kontinuität, der Gelenk-
fläche, der Fingerachse und Korrektur eines Rotationsfeh-
lers.
5 Stabilisierung des Bandapparates.

Operatives Vorgehen. Die Therapie der Frakturen richtet sich nach


der Art der Fraktur (offen vs. geschlossen), der Stabilität, einer Dis-
lokation der Fragmente mit Auftreten einer Achsenfehlstellung oder
. Abb. 53.4 Nagelkranzfraktur eines Rotationsfehlers sowie einer eventuellen Gelenkbeteiligung
53.1 · Frakturen der Finger
481 53

. Tab. 53.3 Therapeutisches Vorgehen bei Mittel- und Grundgliedfrakturen

Indikation Therapie Procedere

Konservative Therapie

Einfache Schaft­ Geschlossene Fraktur, nicht Lagerungsschiene »intrinisc plus« Ruhigstellung für 4–6 Wochen
frakturen disloziert, kein Achsknick und
Rotationsfehler

Knöcherner Ausriss Geschlossene Fraktur, keine Lagerungsschiene Ruhigstellung für 5 Tage, gefolgt
palmare Platte Instabilität, kleines Fragment Frühfunktionelle Beübung im von aktivem Üben im Extensionsblock für
Extensions­block (10°) 6 Wochen

Knöcherner Ausriss Geschlossene Fraktur, keine Lagerungsschiene Ruhigstellung für 5 Tage, gefolgt
Seitenband Instabilität, kleines Fragment Frühfunktionelle Beübung von aktivem Üben mit »buddy-tape« für
im »buddy-tape« 6 Wochen

Operative Therapie

Köpfchenfrakturen Geschlossene und offene Frakturen Reposition Ruhigstellung für 4–6 Wochen
(. Abb. 53.6) Drahtosteosynthese
Schraubenosteosynthese
Plattenosteosynthese

Köpfchen- und Basis­ Geschlossene und offene Frak- Reposition Dynamischer Fixateur für 6 Wochen mit
trümmerfrakturen turen, keine osteosynthetische Dynamischer Distraktionsfixateur aktiver und passiver Übungs­therapie
(. Abb. 53.7) Retention der Fragmente möglich Physiotherapie

Köpfchen- und Basis­- Geschlossene und offene Fraktu- Reposition des indentierten Anteils Dynamischer Fixateur für 6 Wochen mit
frakturen ren, Indention von Anteilen der der Gelenkfläche aktiver und passiver Übungs­therapie
Gelenkfläche Spongiosatransplantation
Dynamischer Fixateur

Schaftfraktur Geschlossene oder offene Fraktu- Reposition Ruhigstellung für 4–6 Wochen, aktive Be-
ren, mit oder ohne Achsenknick K-Drahtosteosynthese übung bei Stabilität
und Rotationsfehler Plattenosteosynthese
Schraubenosteosynthese

Knöcherner Ausriss Offene oder geschlossene Fraktu- Reposition: 4 Monodirektionale Instabilität:


palmare Platte ren, Instabilität, größeres Fragment 4 Monodirektionale Instabilität: Ruhigstellung 5 Tage
Schraubenosteosynthese Frühfunktionelle Therapie im Extensions-
K-Drahtosteosynthese block
4 Multidirektionale Instabilität: 4 Multidirektionale Instabilität:
Schraubenosteosyntehse Ruhigstellung 4–6 Wochen
K-Draht Osteosynthese Transfixation 3–4 Wochen
Bandnaht Geführte Physiotherapie aus der Schiene
Transfixation PIP

Knöcherner Ausriss Offene oder geschlossene Frak- Reposition: 4 Monodirektionale Instabilität:


Seitenband turen, Instabilität, größeres Frag- 4 Monodirektionale Instabilität: Ruhigstellung 5 Tage
ment Schraubenosteosynthese Frühfunktionelle Therapie im Extensions-
K-Drahtosteosynthese block
4 Multidirektionale Instabilität: 4 Multidirektionale Instabilität:
Schraubenosteosyntehse Ruhigstellung 4–6 Wochen
K-Draht Osteosynthese Transfixation 3–4 Wochen
Bandnaht Geführte Physiotherapie aus der Schiene
Transfixation PIP Frühfunktionelle Therapie im »buddy-
tape«
482 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53

. Abb. 53.6a, b Mittelgliedköpfchenfraktur . Abb. 53.7 Mittelgliedbasistrümmerfraktur

(. Abb. 53.6 und . Abb. 53. 7). Grundsätzlich gelten die in . Tab. 53.3 53.2 Luxationen der Finger und des Daumens
dargestellten Therapieprinzipien.
Ziel ist immer die frühfunktionelle Nachbehandlung. 53.2.1 Luxationen der Fingerend-,
Mittel- und Grundgelenke, Luxationen
Postoperatives Management des Daumenendgelenks
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Bei Frakturen mit bewegungsstabiler Schrauben-/Plattenosteo- Ätiologie
synthese: Wechsel auf kurze Hohlhandfinger-Lagerungsschiene Neben den beschriebenen Luxationsfrakturen stellen reine Luxa­
nach 7–10 Tagen für 4 Wochen, Beginn mit aktiven/passiven tionen der Finger und des Daumens den Hauptteil der Fingerver­
Übungsbehandlungen aus der Schiene heraus nach 10 Tagen. letzungen dar, häufig als Folgen von Sportverletzungen. Je nach Um-
4 Dynamischer Fixateur externe für 6 Wochen, sofortige Übungs- fang der Bandzerreißung können Luxationen zu einer mono- oder
behandlungen. multidirektionalen Instabilität führen. Liegt eine Dislokation des
4 Kompressionsfingerling nach Fadenentfernung. Knochens vor, so müssen mindestens 2 der anatomischen Struktu-
ren in . Abb. 53.8 verletzt sein. Die Behandlung von Luxationsfol-
Komplikationen von Fingerfrakturen gen der Finger ist in der Regel länger und problematischer als bei
> Neben einer anatomisch genauen Reposition der Fraktur einfachen Fingerfrakturen. Die sofortige intensive Übungsbehand-
ist die frühzeitige Übungsbehandlung, insbesondere lung ist für den weiteren Verlauf und die Folgen der Luxation ent-
nach Luxationsfrakturen, ausschlaggebend für die Ver- scheidend.
minderung von Gelenkkontrakturen und Sehnenverkle-
bungen. Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
Auf die Transfixation eines Gelenks mittels Draht sollte nach Mög- 5 Geschwollenes Gelenk, Beweglichkeit eingeschränkt.
lichkeit verzichtet werden. Schwellungsbedingte Bewegungsein- 5 Versatz der Phalanx.
schränkungen können gut mit der Anpassung eines Kompres­ 5 Gelenk aufklappbar mit festem Anschlag: Bandelongation
sionsfingerlings und durch Lymphdrainagen therapiert werden. oder Teilruptur.
Andere Komplikationen entsprechen den oben beschriebenen 5 Gelenk aufklappbar, instabil, ohne festen Anschlag: Bandzer-
(7 Kap. 53.1.1 Fingerfrakturen, Endgliedfrakturen, Allgemeine Kom- reißung.
plikationen). 4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen a.-p./streng seitlich, ggf. gehaltene Aufnahmen: Ver-
satz der Phalanx, ggf. unterschiedliche Gelenkspaltweite, ggf.
Rotation der Phalanx sichtbar.
5 MRT (selten notwendig).
53.2 · Luxationen der Finger und des Daumens
483 53
Postoperatives Management
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Konservative Therapie:
5 5 Tage palmare Intrinsic-plus-Lagerungsschiene.
5 Anschließende frühfunktionelle Therapie für 6 Wochen mit-
tels »buddy-taping« (laterale Luxation) oder Extensionsblock
(palmare Luxation).
4 Operative Therapie:
5 14 Tage palmare Intrinsic-plus-Lagerungsschiene.
5 Anschließend frühfunktionelle Therapie für 4 Wochen mit-
tels »buddy-taping« (laterale Luxation) oder Extensionsblock
(palmare Luxation).
5 Bei Transfixation: Transfixationsdraht für 3 Wochen, an-
schließend »buddy-taping« oder Extensionsblock für 3 Wo-
chen.
5 Bei Lengemann-Naht: Entfernung der Naht nach 6 Wochen.

53.2.2 Luxation des Daumengrundgelenks


. Abb. 53.8 Stabilisierende Bänder der Fingergelenke und des Daumen­ (Skidaumen)
endgelenks
Ätiologie
Typischerweise entsteht diese Verletzung beim Sturz auf den radi-
alabduzierten Daumen (Skisturz mit einem Skistock in der Hand).
Klassifikation Es kommt in der Regel zu einer Ruptur oder einem knöchernen
Neben offenen und geschlossenen Verrenkung unterscheidet man je Ausriss des ulnaren Kollateralbandes des Daumengrundgelenks.
nach Luxationsrichtung der distalen Phalanx dorsale, palmare und Klappt das distal ausgerissene ulnare Kollateralband um und ver-
laterale Luxationen. Bei massiven Bandzerreißungen können die klemmt sich unter der Adduktoraponeurose, spricht man von einer
Luxationen auch multidirektional auftreten. Diese Verrenkungen Stener-Läsion. Das Seitenband kann nicht mehr in anatomisch kor-
können an allen Fingergelenken (Grund-, Mittel- und Endgelenk) rekter Position anheilen, was zu einer dauerhaften Instabilität des
auftreten und werden in der Regel ähnlich behandelt. Daumengrundgelenks führt.
Als weitere Begleitläsionen können auch Rupturen der palmaren
Therapie Platte vorliegen.
4 Therapieziel:
5 Reposition des Fingers und Stabilisierung des Gelenks bei Diagnostisches Vorgehen
Erhalt der Beweglichkeit. 4 Klinik:
5 Schwellung des Daumengrundgelenks.
Grundsätzlich können Luxationen konservativ oder operativ behan- 5 Fehlstellung des Daumens im Daumengrundgelenk in ra­
delt werden. Die operative Behandlung ist stets indiziert bei offenen dialer Abduktion.
Luxationen und bei Luxationen, die sich geschlossen nicht reponie- 5 Instabilität des Daumengrundgelenks beim Versuch, etwas
ren lassen. Offene Verrenkungen weisen meist eine Platzwunde über zu greifen.
der Luxation auf, die einen direkten Zugang zum Gelenk darstellt. 5 Vermehrte Aufklappbarkeit des Daumengrundgelenks im
Wichtig hierbei sind: Seitenvergleich (>30° bei Flexion im Grundglied von 30°.
4 das ausgiebige Débridement der Wunde, 4 Apparative Diagnostik:
4 die Irrigation des Gelenks und 5 Konventionelles Röntgen des 1. Strahls a.-p./seitlich, ggf. ge-
4 die Versorgung aller durchtrennten Bänder mit einer Naht haltene Aufnahmen in Hyperpronation und radialer Abduk-
(U-Naht, monofiler, resorbierbarer Faden, z. B. PDS) oder einer tion im Seitenvergleich.
transossären Bandrefixation (transossäre Refixation mittels 5 Sonographie zur Darstellung des Bandapparates (Darstellung
monofilem, resorbierbarem Nahtmaterial, Anker oder Lenge- der Bandläsion bei Stener-Läsion).
mann-Naht).
Therapie
Bei einer multidirektionalen Instabilität des Gelenks kann eine Liegt keine Instabilität vor, kann konservativ behandelt werden mit-
K-Drahttransfixation notwendig werden, es sollte aber mög- tels Ruhigstellung in einer Daumenschiene unter Freigabe des IP-
lichst darauf verzichtet werden. Neben offenen Luxationen sollten Gelenks.
auch geschlossene aber instabile Luxationen operativ versorgt
> Bei Instabilität sollte stets eine operative Therapie erfol-
werden.
gen, da nicht auszuschließen ist, dass eine Stener-Läsion
Eine konservative Behandlung ist bei Luxationen dann indiziert,
vorliegt.
wenn zwar eine Aufklappbarkeit des Gelenks, jedoch keine Instabi-
lität besteht. Hier sollte eine frühfunktionelle Behandlung nach Ab- Die operative Therapie (. Abb. 53.9) beinhaltet die Refixation des
schwellung, d. h. nach 5–7 Tagen, beginnen. Seitenbandes. Hierzu wird über eine geschwungene dorsoulnare In-
zision die Adduktoraponeurose inzidiert und das ulnare Grund­
gelenk dargestellt. Ist noch ein Bandrest vorhanden, kann das Kolla-
484 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53

. Abb. 53.9a–d Operationsschritte bei Versorgung einer ulnaren Seitenbandläsion. a Inzision. b Eröffnung der Adduktoraponeurose. c Darstellung der
Bandläsion. d Bandrefixation

teralband direkt genäht werden. Bei einem knöchernen Ausriss oder Komplikationen
nicht vorhandenen Bandresten muss das Kollateralband transossär Neben einer verbleibenden Instabilität bei erneuter postoperativer
refixiert werden. Dies kann durch Verwendung einer Drahtnaht Ruptur des Bandes kann als hauptsächliche Komplikation eine Be-
nach Lengemann oder eine transossäre Naht mit einem nicht resor- wegungseinschränkung des Daumengrundgelenks insbesondere für
bierbaren Material (4-0-Polypropylen) erfolgen. Auf eine Transfi­ die Flexion resultieren. Eine posttraumatische Arthrose kann die
xation des Gelenks mit einem K-Draht sollte möglichst verzichtet Folge sein.
werden. Die inzidierte Adduktoraponeurose muss wieder anatomie-
gerecht hergestellt, begleitende palmare Kapsel-Band-Läsionen (pal-
mare Platte) ebenso rekonstruiert werden. 53.2.3 Luxation des Daumensattelgelenks
Postoperatives Management Ätiologie
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1. Luxationen des Daumensattelgelenks entstehen durch eine massive
4 Ruhigstellung in einer Lagerungsschiene des Daumens und Krafteinwirkung auf das Gelenk und sind eher selten. Oft findet
Handgelenks unter Freigabe des IP-Gelenks für 2 Wochen, ­weitere man sie nach Motorradunfällen, bei denen der Motorradlenker die
Ruhigstellung für 4 Wochen in einer kurzen Daumen­orthese. Kraft des Aufpralls auf das Daumensattelgelenk überträgt. Hierbei
4 Entfernung der Lengemann-Naht und Freigabe des Gelenks kommt es zu einer Ruptur des Lig. metacarpale dorsale 1 und das
nach 6 Wochen. Lig. trapezometacarpale, was aufgrund der Zugwirkung der Sehne
53.2 · Luxationen der Finger und des Daumens
485 53

. Abb. 53.10a, b Luxation des Daumensattelgelenks

des M. abductor pollicis longus zu einer Luxation des Gelenks führt


(. Abb. 53.10).

Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Deutliche Luxationsstellung des Daumens mit dorsaler oder
lateraler Dislokation des Os metacarpale 1.
5 Geschwollenes Daumensattelgelenk.
5 Bewegungseinschränkung des Daumens.
4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen 1. Strahl a.-p./seitlich/oblique, Sattelgelenkzielauf-
nahme.

Therapie
In der Regel muss bei persistenter Luxationstendenz durch den Zug
der M.-abductor-pollicis-longus Sehne die Therapie operativ durch
Naht der Bandstrukturen erfolgen. Hilfreich ist hier zusätzlich die
Transfixation des Metakarpale 1 an das Metakarpale 2 nach erfolgter
Reposition zur Retention und Entlastung der Bandnaht (7 Kap. 53.3.1
Bennett-Fraktur). Manchmal ist die zusätzliche Transfixation des
Daumensattelgelenks notwendig.

Postoperatives Management
4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Postoperative Röntgenkontrolle.
4 Ruhigstellung in einer Daumenlagerungsschiene in palmarer
Abduktion des Daumens unter Einschluss des Grundgelenks
und des radialen Handgelenks für 6 Wochen. . Abb. 53.11 Bennett-Fraktur
4 ME der Drähte nach 6 Wochen.
4 Übungsbehandlungen.
486 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

Komplikationen
Als Folge einer Reruptur oder Elongation der genähten Bandstruk-
turen kann eine persistente Subluxationsstellung im Daumensattel-
gelenk verbleiben. Zudem folgen nicht selten posttraumatische Rhi-
zarthrosen und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Eine
sekundäre Arthroplastik kann indiziert sein.

53.3 Frakturen des Daumens


Die intraartikulären Bennett- und Rolando- und die extraartikuläre
53 Winterstein-Frakturen nehmen einen besonderen Stellenwert unter
den Frakturen des 1. Strahls ein. Sie betreffen die Daumenbasis (ex-
traartikulär oder intraartikulär) und gehen in der Regel mit einer
Dislokation einher, sodass eine konservative Therapie selten mög-
lich ist. Ursache der Dislokation ist die muskuläre und ligamentäre
Anatomie am Daumen. Durch den Ansatz und Zug des M. adductor
pollicis am distalen Os metacarpale 1 wird dieses adduziert, woge-
gen der proximale Teil des Knochens durch den Ansatz des M. ab-
ductor pollicis longus abduziert wird. Nach einer basisnahen Fraktur
(Typ Bennett) kommt es dementsprechend zu einer Dislokation der
Knochenfragmente mit einer Verkürzung des Metakarpale 1 und
einer Varusfehlstellung (. Abb. 53.11).

53.3.1 Bennett-Fraktur
Ätiologie
Die Bennett-Fraktur ist eine intraartikuläre Luxationsfraktur der
Basis des 1. Metakarpale. Axiale Kräfte, die auf einen leicht ge- . Abb. 53.12 Rolando-Fraktur
beugten Daumen treffen, sind meist für die Entstehung der Fraktur
verantwortlich. Durch zwei stabile Bänder, das Lig. metacarpale dor-
sale 1 und das Lig. trapezometacarpale, bleibt der ulnare Anteil der
Basis des Metakarpale 1 am Trapezoideum fixiert, wohingegen der ße des ulnaren Fragmentes kann die Osteosynthese perkutan oder
radiale Anteil des Matakarpale 1 nach proximal abschert. Der Dau- offen mittels Minifragmentschrauben oder Kirschner-Drähten er-
men bleibt durch den kontinuierlichen Zug der M.-abductor-polli- folgen.
cis-longus-Sehne (APL-Sehne) in der Subluxationsstellung und lässt
sich nur schwer reponieren. Bennett Frakturen treten meist als ge- Postoperatives Management
schlossene Frakturen auf. 4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Röntgenkontrolle postoperativ und nach 4 Wochen.
Diagnostisches Vorgehen 4 Ruhigstellung in einer Daumenlagerungsschiene in palmarer
4 Klinik: Abduktion des Daumens unter Einschluss des Grundgelenks
5 Geschwollenes Daumensattelgelenk, Bewegungseinschrän- und des radialen Handgelenks für 4–6 Wochen.
kung. 4 ME der Drähte nach 6 Wochen.
5 Subluxationsstellung des Daumens im Sattelgelenk. 4 Übungsbehandlungen.
4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen 1. Strahl a.-p./seitlich/oblique, Sattelgelenkzielauf- Komplikationen
nahme. Die häufigste Komplikation nach einer Bennett-Fraktur ist die post-
traumatische Sattelgelenkarthrose. Eine anatomiegerechte Wieder-
Therapie herstellung der Gelenkkongruität ist daher von entscheidender Be-
4 Therapieziel: deutung (7 Kap. 53.1.1 Fingerfrakturen, Endgliedfrakturen, Allgemeine
5 Wiederherstellung der Gelenkkongruität und der Beweglich- Komplikationen).
keit.

Eine konservative Therapie ist meist nicht möglich, da durch den 53.3.2 Rolando-Fraktur
kontinuierlichen Zug der APL-Sehne regelhaft eine Dislokation be-
stehen bleibt. Eine Stufenbildung der Gelenkfläche von >1 mm gilt Ätiologie
als Operationsindikation. Nach der Reposition durch Traktion und Die Rolando-Fraktur ist eine Y-förmige Pilonfraktur der Metakar­
Abduktion führen wir die geschlossene Retention des reponierten, pale-1-Basis, die in der Regel durch eine axiale Krafteinwirkung
palmar abduzierten Metakarpale 1 durch eine Fixation an das Meta- auf den 1. Mittelhandknochen entsteht (. Abb. 53.12).
karpale 2 mit einem K-Draht durch, ausgehend vom Metakarpale 2
durch einen schräg axialen Draht in das Os trapezium. Je nach Grö-
53.4 · Metakarpale Frakturen
487 53
53.3.3 Winterstein-Fraktur
Ätiologie
Die Winterstein-Fraktur ist eine extraartikuläre Schräg- oder Quer-
fraktur des Metakarpale 1. Sie geht in der Regel mit einer Dislokati-
on und Varusfehlstellung des Daumens einher und bedarf der ope-
rativen Therapie (7 Kap. 53.3.1 und 53.3.2; . Abb. 53.13).

Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Schwellung des Metakarpale 1.
5 Verkürzung und Varusfehlstellung des Metakarpale 1.
4 Apparative Diagnostik:
5 Konventionelles Röntgen a.-p./seitlich.

Therapie
Auch bei dieser Frakturform ist regelhaft die offene Reposition und
Plattenosteosynthese über einen dorsoradialen Zugang notwendig
(Leiterplatte/T-Platte), um der Tendenz zur Dislokation entgegenzu-
wirken.

Postoperatives Management
Das postoperative Procedere entspricht dem der Rolando-Fraktur
(7 Kap. 53.3.2). Mit geführten Übungsbehandlungen aus der Schiene
heraus sollte 1 Woche postoperativ begonnen werden.

53.4 Metakarpale Frakturen


. Abb. 53.13 Winterstein-Fraktur Ätiologie
Frakturen der Metakarpalia sind sehr häufig und meist Folge von
Stürzen oder tätlichen Auseinandersetzungen (Metakarpale 5). Ihre
Klinik und Therapie ist mit denen der Grund- und Mittelgliedfrak-
Diagnostisches Vorgehen turen der Finger vergleichbar. Man unterscheidet
4 Klinik: 4 Köpfchenfrakturen,
5 Basisnah geschwollenes Daumengrundglied, geschwollenes 4 subkapitale Frakturen,
Sattelgelenk. 4 Schaftfrakturen,
5 Verkürztes Metakarpale 1, oft in Varusfehlstellung. 4 intra- und extraartikuläre Basisfrakturen,
5 Bewegungseinschränkung. 4 karpometakarpale Luxationsfrakturen.
4 Apparative Diagnostik:
5 Konventionelles Röntgen a.-p./seitlich/Robert-Aufnahme Hierbei treten subkapitale Frakturen, insbesondere des Metakar­
(Daumenaufnahme in Hyperpronation). pale 5, Schaftfrakturen und intraartikuläre Basisfrakturen am häu-
figsten auf. Offene metakarpale Schaftfrakturen sind selten, außer
Therapie bei komplexen Handtraumata. Allerdings ist bei subkapitaler Frak-
Aufgrund der an sich immer auftretenden Dislokation der Frag- tur durch Faustschlag immer eine Grundgelenkseröffnung (Zahn-
mente ist die konservative Therapie in der Regel nicht indiziert. Wir schlagverletzung; . Abb. 53.14) abzuklären.
führen daher die offene anatomiegerechte Reposition und Platten­
osteosynthese (T-Platte) über einen radiodorsalen Zugang zum Diagnostisches Vorgehen
Daumensattelgelenk durch. 4 Klinik:
5 Schwellung und Hämatom des Handrückens, besonders über
Postoperatives Management dem frakturierten Metakarpale, evtl. Riss-Quetsch-Wunde
Eine Metallentfernung ist in der Regel nicht notwendig. Das posto- über der proximalen Phalanx.
perative Procedere und die möglichen Komplikationen entsprechen 5 Verstreichen der dorsalen Vorwölbung des Metakarpaleköpf-
denen der Bennett-Fraktur (7 Kap. 53.3.1). Aufgrund der übungssta- chens.
bilen Osteosynthese kann nach 1 Woche bereits mit geführter Phy- 5 Verkürzung des Strahls.
siotherapie aus der Schiene heraus begonnen werden. 5 Rotationsfehler und Achsknick, besonders beim Faust-
schluss.
5 Bewegungseinschränkung für Faustschluss und Fingerstre-
ckung.
4 Apparative Diagnostik:
5 Konventionelle Röntgenuntersuchung: Strahl a.-p./seitlich/
oblique.
488 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53

a b

c d

. Abb. 53.14a–d Zahnschlagverletzung mit subcapitaler Metacarpale-Fraktur


53.6 · Subkapitale Frakturen
489 53
53.5 Köpfchenfrakturen
Köpfchenfrakturen haben in der Regel eine intraartikuläre Kompo-
nente. Sollte keine Dislokation vorliegen, erfolgt die Osteosynthese
durch zwei gekreuzte K-Drähte (. Abb. 53.15), die so eingebracht
werden, dass die Gelenkfunktion nicht behindert wird, mit anschlie-
ßender Ruhigstellung. Bei Dislokation und unmöglicher geschlos-
sener Reposition wird eine Drahtosteosynthese oder eine offene
Schraubenosteosynthese durchgeführt.

53.6 Subkapitale Frakturen


Subkapitale Frakturen gehen meist mit einem palmaren Achsknick
einher. Das Metakarpale kann regelhaft geschlossen reponiert wer-
den (maximale Flexion im MP und Druck des Grundgliedes nach
dorsal auf das Metakarpaleköpfchen) und durch eine anterograde
Spickung mit leicht gebogenen K-Drähten oder Förstner-Pins gehal-
ten werden (. Abb. 53.14). Diese werden über eine Kortikalisboh-
rung an der Metakarpalebasis eingebracht. Durch Drehen der leicht
gebogenen Drähte wird das Metakarpale zusätzlich aufgerichtet.

Schaftfrakturen. Schaftfrakturen sind meist Spiralfrakturen oder


Querfrakturen. Hier ist oft eine offene Reposition und Platten- oder
Schraubenosteosynthese erforderlich. Eine Platte sollte hierbei nicht
von dorsal, sondern von dorsoradial oder dorsoulnar angebracht
. Abb. 53.15 Versorgung einer Köpfchenfraktur mit 2 gekreuzten Kirsch- werden, damit sie nicht unmittelbar unter der Strecksehne zu liegen
ner-Drähten kommt und die Adhärenz derselben so besser vermieden werden
kann.

Basisfrakturen. Dislozierte Metakarpalebasisfrakturen können gut


Therapie geschlossen reponiert werden und durch quere Transfixation der
Die Therapie kann sowohl konservativ als auch operativ erfolgen Metakarpalia mit 2 parallelen K-Drähten nach Iselin reteniert wer-
und richtet sich nach folgenden Parametern: den. Zusätzlich sollte die Fraktur mit einem K-Draht, ggf. unter
4 Operatives Vorgehen: Transfixation des Karpometakarpalgelenks gehalten werden
5 Weichteilverletzungen über den MCP-Gelenken. (. Abb. 53.16). Die Metakarpale-5-Basisfraktur nimmt hier eine be-
5 Rotationsfehler mit Überkreuzen der Finger beim Faust- sondere Stellung ein und sollte immer operativ versorgt werden, da
schluss. durch den Ansatz der M.-extensor-carpi-ulnaris Sehne an seiner ul-
5 Achsenknick des Metakarpale nach palmar um 30° und naren Basis das Metakarpale nach ulnar und proximal gezogen wird
mehr. und somit immer eine Dislokationstendenz aufweist.
5 Intraartikuläre Metakarpale-5-Basisfrakturen.
5 Dislozierte karpometakarpale Luxationsfrakturen. Karpometakarpale Luxationsfrakturen. Diese Frakturform geht
5 Gelenkbeteiligung mit Stufenbildung >1 mm. mit einer massiven Bandzerreißung einher und ist oft nicht geschlos-
5 Maßgebliche Strahlverkürzung mit Bewegungseinschrän- sen reponierbar. Eine offene Reposition gefolgt von einer K-Draht­
kung. osteosynthese, und Transfixation der Metakarpalia nach Iselin ist in
5 Frakturen, bei denen eine Dislokation trotz Ruhigstellung zu der Regel notwendig.
erwarten ist (Spiralfrakturen des Schaftes).
4 Konservatives Vorgehen: Postoperatives Management
5 Nicht dislozierte Basisfrakturen (intra- oder extraartikulär). 4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
5 Trümmerfrakturen, bei denen eine Reposition und Retention 4 Ruhigstellung für 4–6 Wochen in einer palmaren Lagerungs-
unmöglich ist. schiene in Intrinsic-plus-Stellung (konservative Behandlung).
4 Geführte Physiotherapie aus der Schiene heraus bei übungsstabil
Das operative Vorgehen ist von der Lokalisation und der Beschaffen- versorgten Frakturen.
heit der Fraktur abhängig. 4 Entfernung der Drähte nach 6 Wochen, keine ME von Schrau-
ben und Platten notwendig.
> Grundsätzlich gilt, dass eine Reposition der Fraktur und
die Stabilisierung mittels Drähten, Schrauben oder einer Komplikationen
Platte unabdingbar sind.
Die typische Komplikation nach Metakarpalefrakturen ist die Per­
sistenz eines Rotationsfehlers oder Achsenknicks.
490 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53

a b

c d

. Abb. 53.16a–d Versorgung einer MHK-Basisfraktur


53.7 · Karpale Fraktur
491 53
> Typisch ist der Sturz auf die dorsalextendierte Hand.

Diagnostisches Vorgehen
4 Klinik:
5 Anamnestisch adäquates Trauma.
5 Radialseitig geschwollenes Handgelenk.
5 Verstreichen der Tabatière, Bewegungs- und Druckschmerz
über dem radialen Handgelenk, verstärkt bei Radialduktion
und Extension.
5 Gehäuft symptomarmer Verlauf, daher oft übersehen.
4 Apparative Diagnostik:
5 Röntgen: Obligat: a.-p./seitlich/Ulnarduktion/45° oblique
(Stecher-Aufnahme), ggf. Skaphoidquartett, immer im Seiten­
vergleich, bei negativem Befund Kontrolle nach 7–14 Tagen.
5 CT: In der Skaphoidachse, notwendig zur Unterscheidung
stabiler und instabiler Frakturen, genauere Aussage zu Trüm-
merzonen und Humpback-Deformität (. Abb. 53.17) sowie
. Abb. 53.17 Humpback-Deformität des Kahnbeins (links normale Situation) der exakten Lage der Fraktur.
5 MRT: Zur Klärung der Perfusion des proximalen Fragmentes
bei KM-Gabe und zur frühen Erkennung einer Fraktur.

Von den instabilen Frakturen ist der Typ B2 nach Herbert am häu-
figsten. Die Klassifikation nach Herbert ist eine radiologische Klas-
sifikation, die Aussagen bezüglich der Frakturstabilität zulässt
(. Übersicht und . Abb. 53.18). Diese Frakturform stellt aufgrund
der Tendenz zur Ausbildung einer Humpback-Deformität immer
eine Indikation zur operativen Therapie dar.

Klassifikation des Frakturverlaufs nach Herbert


4 1. Stabile Frakturen
– Typ A1: Stabile Fraktur
– Typ A2: Inkomplette Fraktur
4 2. Instabile Frakturen (Typ B1 bis B4)

Die klassische Klassifikation nach Russe ist eine radiologische Klas-


sifikation, die sich auf den Frakturverlauf bezieht. Man unterschei-
det 3 Frakturtypen (. Übersicht). Eine Typ-III-Fraktur nach Russe
gilt als instabil und sollte operiert werden.
. Abb. 53.18a–c Kahnbeinfrakturen nach der Einteilung nach Herbert
(2006)
a Typ A: Stabile Frakturen Klassifikation des Frakturverlaufs nach Russe
A1: Fraktur des Tuberculum
A2: Inkomplette Fraktur der Kahnbeintaille 4 Typ I: horizontaler/obliquer Frakturverlauf
b Typ B: Instabile Frakturen 4 Typ II: transversale Fraktur
B1: Distale Schrägfraktur 4 Typ III: vertikaler Frakturverlauf.
B2: Komplette Fraktur der Kahnbeintaille
B3: Proximale Polfraktur
B4: Transscaphoidale perilunäre Luxationsfraktur Therapie
c Typ C: Verzögerte Heilung (»delayed union«)
Eine Therapie ist immer notwendig, da 40% der unbehandelten
Frakturen pseudarthrotisch werden. Bei Frakturen, die mit einer
Humpback-Deformität verheilt sind, tritt in 100% der Fälle eine ra-
diokarpale Arthrose auf.
53.7 Karpale Fraktur
Konservative Therapie. Die konservative Therapie umfasst die
53.7.1 Skaphoidfrakturen Gipsruhigstellung für 6–8 Wochen im Kahnbeingips (zirkulärer
Handgelenksgips mit Einschluss des Daumengrundgelenks) und ist
Ätiologie für stabile Frakturen (Typ-A-Frakturen nach Herbert) reserviert.
Die Skaphoidfraktur ist die häufigste Fraktur des Karpus. Sie ist bei Die Ruhigstellung im Oberarmgips sehen wir als obsolet an.
jungen Patienten bei einem ähnlichen Unfallmechanismus häufiger
anzutreffen als die Radiusfraktur. Operative Therapie. Für eine operative Versorgung bestehen fol-
gende Indikationen:
492 Kapitel 53 · Knochen- und Gelenkverletzungen

53

a b c

. Abb. 53.19a–c »Scaphoid non union advanced collapse wrist« (»SNAC wrist«). a SNAC I, b SNAC II, c SNAC III«

4 Humpback-Deformität.
4 Verlust der karpalen Integrität. 4 Offene Schraubenosteosynthese:
4 Dislokation: Abwinkelung der Skaphoidachse von >15% und/ – Bei starkem Achsenknick (»humpback«) mit palmarsei-
oder Dislokation um 1 mm. tiger kortikaler Impression kann ein offenes Vorgehen,
4 Instabilität der Fraktur. ggf. mit einer Spongiosaplastik vom Radius oder Becken-
kamm, notwendig werden. Das Vorgehen erfolgt hier
Diese Indikationsstellung beinhaltet nahezu alle Herbert-Typ-B- eher von palmar. Das Kahnbein wird manuell unter Ulnar-
Frakturen. duktion/Extension und Zuhilfenahme eines Zahnarzt­
Frakturen, die das distale Drittel des Kahnbeins umfassen, wer- hakens aufgerichtet.
den in der Regel von einem palmaren Zugang aus operiert, Frak- Bei starker Humpback-Deformität wird der nach dem
turen des proximalen Drittels von einem dorsalen Zugang aus. Frak- ­Aufrichten verbleibende Knochendefekt mit Spongiosa
turen des mittleren Drittels können von beiden Zugängen aus ver- unterfüttert und das Kahnbein wie oben beschrieben
sorgt werden. Wir empfehlen das in der . Übersicht dargestellte mit einer kanülierten Schraube osteosynthetisiert.
operative Vorgehen zur Osteosynthese einer Skaphoidfraktur.

Operativer Zugang zur Osteosynthese einer Postoperatives Management


Skaphoidfraktur 4 Allgemeines Procedere 7 Kap. 53.1.1.
4 Einfache Schraubenosteosynthese mit einer kanülierten 4 Ruhigstellung: palmare, radialumgreifende Lagerungsschiene
Herbert-Schraube bei Frakturen ohne Humpback-Defor­ unter Einschluss des Daumengrundgelenks und Freigabe der
mität: Finger sowie des Daumenendgelenks für 2 Wochen, Freigabe
– Perkutan mit kanülierter Herbert-Schraube von dorsal zur Krankengymnastik, Skaphoidgips bei fehlender Stabilität.
(proximales Drittel): 4 Röntgen: postoperativ sowie nach 4 Wochen und 3 Monaten.
Kleine Längsinzision dorsal über Skaphoid zw. Extensor- 4 Wenn konservativ: Ruhigstellung im zirkulären Gips für 6 Wo-
pollicis-longus- und Extensor-digitorum-communis-II-Seh- chen.
ne, Eröffnung der Kapsel, Einbringen des Führungsdrahts 4 Keine ME.
und Röntgenkontrolle, Längenmessung der be­nötigten 4 Aktive/passive Physiotherapie für das Handgelenk nach Gipsab-
Schraube, Vorbohren über den Führungsdraht, Schraube nahme, für die Finger sofort.
über Führungsdraht einbringen, Draht entfernen, Rönt-
genkontrolle, Kapselnaht, Spülen, Wundnaht, Gipsanlage. Komplikationen
– Perkutan von palmar: Die häufigste Komplikation auch nach Osteosynthese ist die Bildung
Längsinzision über dem Tuberkulum des Os scaphoideum einer »non-union« oder Pseudarthrose des Skaphoids. Dies tritt be-
und dem Verlauf der FCR-Sehne zum skaphotrapezotra- vorzugt bei Frakturen des proximalen Drittels aufgrund der damit
pezoidalen (STT) Gelenk hin, Hyperextension und Ulnar- einhergehenden Perfusionsstörungen auf (Anatomie, Karpus). Die
duktion zur Reposition der Fraktur, danach identisches damit einhergehende Spätfolge ist die radiokarpale Arthrose, die oft
Vorgehen zum dorsalen Zugang. in einer Zerstörung des karpalen Gefüges und einen karpalen Kol-
– Kleine distale und proximale Fragmente können unter laps mündet [»scaphoid non union advanced collapse wrist« (»SNAC
Sicht mit einer Herbert-Minischraube refixiert werden. wrist«); . Abb. 53.19].
6
53.7 · Karpale Fraktur
493 53
Literatur
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Windolf J (2006) Strecksehnenverletzungen der Hand. Unfallchirurg 109:
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54

Weichteilrekonstruktion im Bereich
der Finger
M. Meyer-Marcotty

54.1 Neurovaskuläre Lappen zur Rekonstruktion von Fingerend-


glieddefekten – 496

54.2 Grundsätze der Finger- und Daumenkuppenrekonstruktion – 496

54.3 Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens – 496

54.4 Methoden – 496


54.4.1 Lokale Lappenplastiken – 497
54.4.2 Fernlappenplastiken – 500
54.4.3 Freier mikrochirurgischer Gewebetransfer – 503

54.5 Zusammenfassung – 503

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
496 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger

54.1 Neurovaskuläre Lappen 4 Des Weiteren ist die Lokalisation des Defektes (ulnar oder ra­
zur Rekonstruktion dial, Teilverlust oder kompletter Verlust einer Fingerkuppe)
von Fingerendglieddefekten wichtig für die Planung der Rekonstruktion. Ein Defekt an der
radialen Seite eines radial gelegenen Langfingers (2. oder 3. Fin­
Die Fingerkuppe ist ein hoch spezialisiertes Endorgan mit besonde­ ger) ist aufgrund der Einschränkungen bei der Durchführbar­
rer Ausbildung des Tastsinns. Sie hat eine große Dichte an speziellen keit des Spitz- oder Schlüsselgriffes gemeinsam mit dem Dau­
sensorischen Rezeptoren, wodurch die Form, die Oberflächen­ men eine stark behindernde Verletzung für den Patienten.
beschaffenheit und die Temperatur eines Objektes unterschieden 4 Die ulnare Handkante und Kuppe des 5. Fingers ist als Tast­
werden können [Stereognosis (gr. stereo=fest) Erkennung einer ge­ organ ein wichtiger Bestandteil einer intakten Hand.
ometrischen Form]. Auch zur Kontaktaufnahme, zur Erfahrung
unseres Umfeldes und Kommunikation und als Teil eines mecha­
nischen Greifwerkzeuges haben die intakten Fingerkuppen eine 54.3 Auswahl des Rekonstruktionsverfahrens
große Bedeutung.
Die Hebung des Lappens muss ebenfalls vor dem Hintergrund der
54 ! Cave
Die besonderen sensorischen Rezeptoren können nicht
in 7 Kap. 54.2 erwähnten Grundsätze sorgfältig geplant werden. Die
Hebemorbidität darf den funktionellen Gewinn nach einer erfolg­
durch Verwendung von beliebigen Hautarealen ersetzt
reichen Kuppenrekonstruktion nicht übersteigen.
werden.
Vor einer Fingerkuppenrekonstruktion sollte klar sein, ob die
Um eine bestmögliche Wiederherstellung des Tastsinns und der ste­ dominante Hand betroffen ist. Auch das Berufsbild und die Patien­
reognostischen Fertigkeiten zu erreichen, sollte zur Rekonstruktion ten-Compliance sind wichtige zu bedenkende Faktoren in der Pla­
der Fingerkuppen ein möglichst ähnliches Gewebe vom selben Fin­ nung für eine erfolgreiche neurovaskuläre Fingerkuppenrekons­
ger oder von einem anderen Finger, in Einzelfällen auch von einem truktion (→ Kälteintoleranz nach neurovaskulärer Rekonstruktion,
Zeh verwendet werden. schwere körperliche/handwerkliche Arbeit in kalter/feuchter Umge­
bung).
> Die erfolgreiche Rekonstruktion von Fingerkuppen­
In Einzelfällen ist der Patient mit der »schnellen« Stumpfversor­
verletzungen erfordert gute anatomische Kenntnisse,
gung besser versorgt als mit langwierigen und aufwendigen Lappen­
Kenntnisse über die zur Verfügung stehenden Re­kons­
plastiken. Der Patient muss über die Art der Rekonstruktion genaues­
truktionstechniken sowie fundierte chirurgische Fer­
tens aufgeklärt werden und insbesondere auch über die teilweise
tigkeiten.
wochenlange postoperative Rehabilitationszeit. Manche Patienten
Bei der Zerstörung der Fingerkuppe können weitreichende Beein­ können nicht nikotinabstinent leben und sind daher nicht geeignet
trächtigungen für den Patienten resultieren. So sagte z. B. Bunnell: für aufwendige rekonstruktive Verfahren.

Without sensation the hand is blind.


Ziele einer erfolgreichen Fingerkuppenrekonstruktion
mittels neurovaskulärem Lappen
Die Fingerkuppen repräsentieren die »Augen« der Finger. Dies ist
u. a. daran zu ersehen, dass beispielsweise Blinde mit Hilfe der 4 Erhaltung/Wiederherstellung der Sensibilität
­Fingerkuppen lesen können und somit den wichtigen Kontakt zur 4 Erhaltung/Wiederherstellung der Weichteilqualitäten
Außenwelt ausbauen können. Normalsichtige haben auf der Finger­ 4 Erhaltung einer möglichst großen funktionellen Länge
kuppe durchschnittlich eine minimale 2-Punkt-Diskriminierung 4 Vermeidung von Gelenkkontrakturen
von 5 mm. Bei blinden Personen kann dieses Unterscheidungsver­ 4 Kurze Morbidität
mögen auf einen Abstand von bis zu 2 mm verfeinert werden. Louis 4 Schnelle Rehabilitation, kurze Arbeitsunfähigkeit
Braille (1809–1852), entwickelte als 17-Jähriger eine Blindenschrift, 4 Kosmetisch befriedigendes Resultat
die noch heute weltweit verwendet wird.
Jede Modifikation der Sensibilität und Sensitivität der Finger­
kuppen verändert die funktionellen Fähigkeiten der gesamten Hand. In diesem Kapitel sollen die verschiedenen Fingerkuppenrekon­
Durch Trauma kann die Funktion verschlechtert – durch Training struktionsverfahren vorgestellt und eine Systematik der Differen­
kann sie verbessert werden. zialindikation der unterschiedlichen Techniken erstellt werden. Die
jeweiligen Vor- und Nachteile der beschriebenen Lappenplastiken
werden diskutiert, um die Auswahl des optimalen Operationsver­
54.2 Grundsätze der Finger- und Daumen- fahrens für die Rekonstruktion von Fingerkuppenverletzungen zu
kuppenrekonstruktion erleichtern. Insbesondere in Zeiten der neuerdings oft durchge­
führten semiokklusiven Folienverbände bei Fingerkuppenverlet­
Bei der Rekonstruktion von Fingerkuppenverletzungen muss der zungen sollten die operativen Rekonstruktionsverfahren nicht in
Operateur einige wichtige Grundsätze beachten: Vergessenheit geraten, da auch die »Folienbehandlung« nicht als al­
4 Der Daumen ist sicherlich u. a. durch seine besondere Stellung, leiniges Allheilmittel eingesetzt werden kann.
durch die Fähigkeit zum Oppositionsgriff mit den Langfingern
und durch die starke Kraftentwicklung der wichtigste Finger der
menschlichen Hand. 54.4 Methoden
Daher sollten zur Daumenrekonstruktion auch die größten An­
strengungen unternommen werden. Die Rekonstruktionstech­ Zur Rekonstruktion der zerstörten Fingerkuppe an Daumen und
niken sind demnach auch von der Art des betroffenen Fingers Langfingern stehen unterschiedliche Rekonstruktionsverfahren zur
abhängig. Verfügung. Diese sollen im Folgenden vorgestellt werden.
54.4 · Methoden
497 54

Verfahren zur Rekonstruktion von zerstörten


Fingerkuppen
4 Lokale Lappenplastiken
– Palmare VY-Dehnungslappenplastik nach Atasoy
– Kutler-Lappen
– Palmare Dehnungslappenplastik nach Moberg
– Laterale Dehnungslappenplastik nach Venkataswami
und Subramanian
– Palmare Translationslappenplastik nach Hueston
4 Fernlappenplastiken
– Littler-Lappen
– Foucher-Lappen
– Dorsaler Metakarpalarterienlappen
– Cross-finger-Lappen, Reversed-cross-finger-Lappen
4 Freier mikrochirurgischer Gewebetransfer
a
– mikrochirurgische Zehenpulpatransplantation
– Spare-part-Transplantation

54.4.1 Lokale Lappenplastiken


Palmare VY-Dehnungslappenplastik nach Atasoy
Die palmare VY-Dehnungslappenplastik nach Tranquilli-Leali oder
Atasoy et al. (1970) findet gute Verwendung für die Deckung von
transversalen Defekten auf Höhe der Fingernagelmitte (. Abb. 54.1).
b
Ein palmarer großer V-förmiger Lappen wird auf dem verbleibenden
Endglied bis zur Beugefurche des DIP-Gelenkes mobilisiert unter
Mitnahme und Schonung der beiden palmaren Gefäß-Nerven-Bün­
del. Die Präparationsschicht ist wie beim Moberg-Lappen streng auf c
dem Beugesehnengleitlager. Intraoperativ sollte auf eine ausrei­
chende Mobilisation nach distal geachtet werden, um die distale
Spitze des Nagelbettes zu unterstützen und somit eine Krallennagel­
bildung zu verhindern. Der Hebedefekt wird nach ausreichender
Mobilisation Y-förmig verschlossen.
Die Vorteile der Defektdeckung durch einen palmaren VY-Lap­
pen sind:
4 Relativ einfache und schnelle Operation bei guter Qualität des
Vorschublappens. . Abb. 54.1 Tangentialer Fingerkuppendefekt, ca. 1/3 der Kuppe betref-
4 Der Lappen hat eine sichere Blutgefäßversorgung. fend (a). Mobilisation des V-förmigen palmaren Lappens. Eingenähter Lap-
4 Die Defektdeckung mit einem palmaren VY-Dehnungslappen pen mit Y-förmigem Verschluss des Hebedefektes (b). (Aus Meyer-Marcotty
kann in Oberst-Leitungsanästhesie durchgeführt werden. et al. 2007a)

Die palmare VY-Dehnungslappenplastik nach Atasoy ist jedoch in


seiner Größe limitiert und nur für Defekte geeignet, die horizontal Kutler-Lappen
durch das P3-Segment verlaufen und maximal 1/3 bis die Hälfte der Kutler hat erstmalig 1947 zwei kleine neurovaskuläre Läppchen, die
Fingerkuppe betreffen. Die postoperativ bestehende Narbenbildung von der radialen und ulnaren Seite der Fingerkuppe gehoben werden,
kann störend für den Patienten sein, da die Narben palmar im Be­ zur Defektdeckung von Fingerkuppenverletzungen beschrieben. Die­
reich der Tastzone der Fingerkuppe verlaufen. Außerdem sollte in se Lappen können für transversale oder palmar gelegene Defekte auf
diesem Zusammenhang auf die Arbeit von Das u. Brown (1978) Höhe der Nagelmitte verwendet werden. Die Basis dieses dreieckigen
hingewiesen werden. Die beiden Autoren haben im Rahmen einer Lappens ist die distale Schnittfläche des Defektes, die Spitze des Lap­
prospektiven randomisierten Studie an 60 Kindern mit Fingerkup­ pens liegt auf Höhe der DIP-Beugefurche an der ulnaren bzw. radialen
penverletzungen die Ergebnisse eines nichtoperativen Verfahrens Fingerkante (. Abb. 54.2). Nach der Hautinzision wird unter Scho­
mit Spalthauttransplantation und lokalen VY-Verschiebelappenpla­ nung der terminalen Arterien- und Nervenäste das subkutane ­Gewebe
stiken verglichen. Hierbei zeigte sich, dass die nicht operierten Pa­ vorsichtig mit der feinen Präparierschere unter Spreizen mobilisiert.
tienten in Bezug auf die erreichte 2-Punkte-Diskriminierung Die Präparationsebene für diese Lappen ist direkt auf dem Periost
(3,5 mm) und die Schulfehltage (keine Schulfehltage in dieser unter Schonung der beiden palmaren Gefäß-Nerven-Bündel.
Gruppe) am besten abschnitten. Allerdings waren durchschnittlich Nach der Mobilisation muss ein spannungsloser Hautverschluss
über 5 Wochen post Trauma regelmäßige Verbandswechsel not­ über dem Defekt gewährleistet sein, die Hebeareale werden Y-förmig
wendig. verschlossen (. Abb. 54.2b).
498 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger

a b

. Abb. 54.2 Radialer tangentialer Defekt der Fingerkuppe mit eingezeich- näht, Y-förmiger Verschluss des Hebedefektes an der radialen Kante der Fin-
54 netem V-förmigem Lappen (a). Mobilisierter Lappen in den Defekt einge- gerkuppe (b). (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)

Bei der Indikationsstellung zu einem beidseitigen VY-Vorschub­ det, kann aber auch bei Kuppendefekten der Langfinger eingesetzt
lappen nach Kutler ist zu bedenken, dass die Lappen nur sehr klein werden. Es werden beidseits Mediolateralschnitte angelegt und
sind. Dieser Lappen ist von Seiten der Präparation als unsicher ein­ der palmare Lappen unter Schonung der beiden palmaren Gefäß-
zustufen, die Reichweite dieser Lappen ist sehr eingeschränkt, und ­Nerven-Bündel, des Subkutangewebes und der Beugesehnenscheide
schließlich kann die radiale Narbenbildung im Bereich der Finger­ mobilisiert (. Abb. 54.3a). Die Präparationsebene liegt auf der
kuppe des 2. oder 3. Fingers bei Durchführung des Pinzetten- oder Beugesehnenscheide. Die dorsalen Äste der Arterien und Nerven,
Schlüsselgriffes sehr beeinträchtigend für den Patienten sein. die an der Basis der proximalen Phalanx nach dorsal ziehen, müs­
sen erhalten bleiben. Nach ausreichender Mobilisation wird der
Palmare Dehnungslappenplastik nach Moberg ­Lappen in den Defekt eingenäht. Dies kann unter leichter Flexion
Der Moberg-Lappen, zuerst von Moberg 1964 beschrieben, wird des IP- und MP-Gelenkes erfolgen. Der Hebedefekt kann entwe­
bevorzugt zur Deckung von Daumenkuppenverletzungen verwen­ der über eine großzügige VY-Plastik über dem MCP-Gelenk pri­

a b

. Abb. 54.3 Daumenkuppenverletzung mit Vorschneiden eines neuro­


vaskulären Moberg-Lappens (a) Vorgeschobener Moberg-Lappen mit
an der Basis eingebrachtem Vollhauttransplantat (b). Eingeheilter Moberg-
c
­Vorschublappen mit freier Streckbarkeit des MP- und IP-Gelenkes (c)
54.4 · Methoden
499 54

a b c

. Abb. 54.4 Teilverlust der Fingerkuppe mit Zerstörung des ulnaren Gefäß- parationsebene ist direkt auf der Beugesehnenscheide. Der eingeheilte
Nerven-Bündels am 3. Finger (a). Bis zur Beugefurche des PIP-Gelenkes Lappen mit guter Rekonstruktion der Fingerkuppe (c). (Aus Meyer-Marcotty
­mobilisierter Lappen gestielt am radialen Gefäß-Nerven-Bündel (b). Die Prä- et al. 2007a)

mär verschlossen werden oder mittels Vollhauttransplantation truiert werden. Die Präparationsschicht streng auf der Beugeseh-
(. Abb. 54.3b). nenscheide ermöglicht ein sicheres und schonendes Vorgehen.
Postoperativ sollte eine Ruhigstellung in leichter Flexion des
! Cave
IP- und/oder MP-Gelenkes erfolgen, um eine zu große Spannung in
Problematisch kann die Mobilisation eines relativ großen
der Lappenspitze zu vermeiden.
Lappens mit der Gefahr eines Teilverlustes der distalen
! Cave Lappenanteile aufgrund einer eingeschränkten Durchblu-
Die Ruhigstellung darf nicht länger als 10 Tage betragen, tung sein.
um Beugekontrakturen in den Daumengelenken zu ver-
meiden. Palmare oder dorsale Translationslappenplastik
Die Vorteile einer Defektdeckung mittels Moberg-Lappen liegen nach Hueston
4 in der großen Sicherheit der Gefäßversorgung des Lappens und Die Translationslappenplastik nach Hueston wird an einem unilate-
4 der schnellen und relativ einfachen Mobilisation streng auf der ralen Gefäß-Nerven-Bündel gestielt. Hierbei handelt es sich um eine
Beugesehnenscheide der M.-flexor-policis-longus-Sehne. Dehnungs-Rotations-Lappenplastik. Mit dieser Technik können
4 Die Sensibilität der Daumenkuppe kann mit diesem Vorschub­ kleinere Defekte, z. B. über freiliegenden Sehnen, streck- oder beu­
lappen zuverlässig und mit einem guten Ergebnis für den Patien­ geseitig gedeckt werden (. Abb. 54.5). Eine Überschreitung der funk­
ten wiederhergestellt werden. tionellen Einheiten des Fingers sollte bei der Anwendung dieses Lap­
pens vermieden werden. Ein Nachteil dieser Lappenplastik ist die oft
Nachteilig kann sich die postoperative Schonhaltung in Flexions­ notwendige Vollhauttransplantation zur Deckung des Hebedefektes.
stellung des IP- und MP-Gelenkes auswirken, speziell bei Patienten
mit arthrotischen Veränderungen der entsprechenden Gelenke. Die
Ruhigstellung darf nicht mehr als 10 Tage betragen.

Laterale Dehnungslappenplastik
nach Venkataswami und Subramanian
Verletzungen, die mit einem (Teil-) Verlust der Fingerkuppe bei
­horizontalem Defektverlauf auf Höhe des mittleren P3-Segmentes
einhergehen mit zusätzlicher Schädigung eines mediolateralen Kup­
penanteils und Gefäß-Nerven-Bündels können durch die unilaterale
Dehnungslappenplastik nach Venkataswami und Subramanian ge­
deckt werden. Das noch erhaltene unilaterale Gefäß-Nerven-Bündel
versorgt die gesamte rekonstruierte Kuppe. Die Schnittführung und
Präparation sollte großzügig erfolgen, um einen gut schwenkbaren
Lappen zu erhalten.
Wie in . Abb. 54.4 dargestellt wird der Lappen bis an die distale
Grenze der Grundphalanx mobilisiert. Hierdurch kann eine span­
nungslose Deckung der gesamten Kuppe unter bestmöglichem Län­
generhalt und guter Kuppensensibilität erzielt werden. Der Hebede­
fekt wird in VY-Technik verschlossen. . Abb. 54.5a–c Schematische Darstellung eines palmaren Dehnungslap-
Mit diesem Lappenprinzip können Fingerkuppendefekte mit pens nach Hueston. Der Hebedefekt wird durch ein kleines Vollhauttrans-
nur noch einem intakten Gefäß-Nerven-Bündel suffizient rekons­ plantat verschlossen
500 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger

54.4.2 Fernlappenplastiken Fingerkuppenhaut in situ zu belassen. Der Lappen wird anschlie­


ßend quer durch die Hohlhand Richtung Daumen verlagert. Die
Littler-Lappen digitalen Nervenfaszikel müssen vom gemeinsamen Nervenstamm
Große palmare Defekte des Daumens sollten mit einem neurovasku­ abgelöst werden, außerdem wird die den Nachbarfinger versorgende
lären sensiblen Lappen gedeckt werden, da der Verlust der Sensibi­ Arterie bei der Präparation geopfert. Wichtig ist es, eine ausreichend
lität der Daumenkuppe eine große funktionelle Beeinträchtigung große Weichteilmanschette um den Stiel zu belassen, um den ve­
nach sich ziehen kann. Moberg (1964) hat eine solche Forderung nösen Abstrom des Lappens zu gewährleisten.
aufgestellt, und Littler (1956) oder Berger u. Meissl (1975) haben
> Vor der Durchführung einer solchen Lappenhebung muss
diese Deckungsmöglichkeit beschrieben.
unbedingt sichergestellt werden, dass nach der Hebung
Der Littler-Lappen kann von der ulnaren Kante des 4. oder des
des neurovaskulären Lappens die Durchblutung des Spen-
3. Fingers gehoben werden, wobei der Hebung am 3. Finger der Vor­
derfingers und des Nachbarfingers durch die verblei-
zug gegeben werden sollte, da meist sowohl der Mittelfinger als auch
benden Arterien gesichert bleibt.
der Daumen dem Innervationsgebiet des N. medianus zuzuordnen
ist. Durch diese Tatsache vereinfachen sich das postoperativ notwen­ Hierzu reicht es i. Allg. aus, einen Allen-Test der Finger durchzufüh­
54 dige Umlernen und die kortikale Neuorientierung vom Mittelfinger ren, in unklaren Fällen sollte auch eine Duplexsonographie oder eine
zum Daumen. Angiographie angefertigt werden.
In . Abb. 54.6 sind die Operationsschritte dargestellt.
> Zur Verbesserung der kortikalen Neuorientierung kann
Die Nachteile des Littler-Lappens sind offenkundig: Der Hebe­
der ulnare Spendernerv disseziert werden und mit dem
defekt ist deutlich mit der Gefahr eines Sensibilitätsverlustes der
ulnaren originären Nerv des Daumens koaptiert werden.
Spenderkuppe verbunden. Außerdem ist die kortikale Neuorientie­
Der Littler-Lappen dient vornehmlich zur Rekonstruktion von Dau­ rung des Lappens oft schwierig zu erlernen. Bei der Hebung dieses
menkuppendefekten. Die Originalarbeit beschreibt eine Lappenhe­ Lappens ist die Blutversorgung des Spenderfingers und des Nach­
bung von der ulnaren Kante des 4. Fingers. barfingers gefährdet. Die Präparation eines Littler-Lappens ist auf­
Die Haut und das subkutane Gewebe von der ulnaren Seite des wendig.
3. oder 4. Fingers werden als neurovaskulärer Insellappen gehoben,
wobei darauf geachtet werden sollte, den Lappen im Spenderareal > Korrekt präpariert ist dieser Lappen jedoch eine sichere
nicht zu weit nach distal zu verlagern, um möglichst die originäre Methode, eine sensible Daumenkuppe zu rekonstruieren.

a b

c d

. Abb. 54.6 Planung des Littler-Lappens von der ulnaren Kante des 4. Fin- fäß-Nerven-Bündel 8 als Stiel. Ligatur des Abgangs der radiopalmaren Arte-
gers gehoben (a). Der distale Bereich der Kuppe des 4. Fingers wird nicht rie und Nerv des 5. Fingers (Arterie/Nerv 9) zur Vergrößerung des Schwenk-
mit gehoben. Präparation des Lappens mit dem Stiel, hier (b) wird das Ge- radius des Lappens (c). (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007b)
54.4 · Methoden
501 54
Foucher-Lappen
Der Foucher-Lappen dient ebenfalls der neurovaskulären Rekon­
struktion von Daumendefekten vornehmlich an der ulnaren Dau­
menkante (. Abb. 54.7). Foucher u. Brown haben diesen Lappen
erstmalig 1979 beschrieben, wobei der Foucher-Lappen eine Modi­
fikation bzw. Weiterentwicklung des Hilgenfeldt-Lappens (Mobert
1972) ist. Als neurovaskulärer Stiel dient die 1. dorsale Intermetakar­
palarterie mit dem begleitenden dorsalen Nervenast des N. radialis.
Der Lappen wird von der dorsalen Seite der proximalen Phalanx des
2. Fingers gehoben. Nach der Präparation des Stiels folgt die Unter­
tunnelung in Richtung Daumendefekt.
Die Deckung des Hebedefektes kann mit Vollhaut erfolgen.
> Mit dem neurovaskulär gestielten Foucher-Lappen kann
eine exzellente Wiederherstellung einer sensiblen Dau-
menkuppe erzielt werden (Tränkle et al. 2004).
Der Gefäßstiel dieses Lappens ist sehr sicher und hat ein gutes Kali­ a
ber. Wie in . Abb. 54.7 dargestellt, ist die Reichweite des Foucher-
Lappens sehr groß und reicht bis an die Daumenkuppe.
Nachteilig wirkt sich bei diesem Lappen der Sensibilitätsverlust
auf dem Rücken des 2. Fingers aus, der von manchen Patienten als
sehr störend beschrieben wird. Eine Deckung des Hebedefektes mit
Vollhaut ist notwendig, wobei das Paratenon der Strecksehne unbe­
dingt als Empfängerbett für das Vollhauttransplantat belassen wer­
den muss, da sonst eine Einheilung des Hauttransplantates direkt auf
der Strecksehne gefährdet ist.

Dorsaler Metakarpalarterienlappen
(DMCA-Lappen)
Die dorsale Metakarpalarterie ist der Gefäßstiel für den DMCA-
Lappen. Da diese Arterien von radial nach ulnar in ihrer Kaliber­
stärke deutlich abnehmen und auf der ulnaren Handrückenseite
eher inkonstant ausgebildet sind, wird dieser Lappen nur an der 1.
oder 2. dorsalen Metakarpalarterie gehoben (. Abb. 54.8). Der
DMCA-Lappen kann sowohl für palmare als auch dorsale Defekte b
am 1.–3. Finger eingesetzt werden. Präoperativ ist zur sicheren
­Darstellung eines Stielgefäßes eine Doppler-Sonographie empfeh­
lenswert.
Der DMCA-2-Lappen wird aus dem Bereich des 2. Intermeta­
karpalraums entnommen. Die proximale Lappengrenze reicht bis an
die distalen Grenzen der Metakarpalknochenbasen 2 und 3. Das
Subkutangewebe einschließlich der die Interosseusmuskulatur be­
deckenden Faszie wird mit dem Stiel präpariert und gehoben. Die
Reichweite dieses Lappens kann bis auf Höhe des proximalen An­
teils des Endgliedes ausgedehnt werden (Karacalar u. Özcan 1997;
. Abb. 54.9a). Der größere Schwenkradius ist mit einer größeren Un­
sicherheit der Gefäßversorgung verbunden, da die Anastomosen
zwischen dem dorsalen und palmaren Gefäßsystem auf Höhe des
proximalen P1-Segmentes inkonstant sein können. Dieser Lappen
kann als neurovaskulärer Lappen gehoben werden.
Der Hebedefekt wird primär verschlossen, es handelt sich um
ein einzeitiges Verfahren, und der Patient kann früh mobilisiert wer­ c
den (Karacalar u. Özcan 1997).
. Abb. 54.7 Sensible Rekonstruktion eines Daumens nach Komplettverlust
Cross-finger-Lappen, Reversed-cross-finger- der Weichteile und Leistenlappenrekonstruktion. Lappenplanung (a). Der
Lappen Foucher-Lappen ist gehoben und an seinem Stiel in den zu deckenden De-
Dieser Lappen wurde erstmalig in den 1950-er Jahren von Gurdin u. fekt auf Höhe der Daumenkuppe geschwenkt (b). Resultat nach Einheilung,
Pangman (1950) sowie von Curtis (1957) beschrieben und ist seither sichtbarer Hebedefekt an der Basis des Zeigefingers (c)
vielfach angewandt worden. Sowohl palmare als auch dorsale De­
fekte können mit einem Cross-finger-Lappen bzw. einem Reversed-
cross-finger-Lappen gedeckt werden.
502 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger

54 a b

c d

. Abb. 54.8 Der Lappen wird präoperativ eingezeichnet zwischen dem 2. schwenkt. d Der Lappen erreicht palmar die proximalen Anteile des P2-Seg-
und 3. MHK (a), die proximale Lappengrenze reicht bis an die distale Grenze mentes (Mittelglied). Der Lappen basiert auf der Gefäßarkade proximal des
der Handwurzel. b Der Lappen ist distal gestielt gehoben und nach distal MCP-Gelenkes (. Abb. 54.9b). (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)
umgeklappt. c Der gehobene Lappen wird in den palmaren Defekt einge-

a b

. Abb. 54.9a, b Dorsaler Metakarpalarterienlappen (DMCA-Lappen) larterie, 5=rekurrenter kutaner Ast (versorgt den Lappen)]. a Präparation
[1=palmare Digitalarterie, 2=Anastomose zwischen dorsalem arteriellem nach distal über das MCP-Gelenk hinaus → größerer Schwenkradius.
Netzwerk und palmarer Digitalarterie, 3=Anastomose zwischen dorsaler b Präparation bis proximal des MCP-Gelenks → Schwenkradius nach distal
Metakarpalarterie und palmarer Metakarpalarterie, 4=dorsale Metakarpa- limitiert bei sicherer Durchblutung des Lappens

Reversed-cross-finger-Lappen. Die Präparation eines Reversed- subkutane Gewebe unter Belassen des Paratenons auf der Streck­
cross-finger-Lappens erfordert zunächst die Hebung eines Vollhaut­ sehne hin zum Defekt gehoben. Das subkutane Läppchen bleibt an
lappens streckseitig auf dem Nachbarfinger mit Erhalten des Lap­ der dem defekten Finger zugewandten Seite breit gestielt und wird
penstiels auf der defektabgewandten Seite. Im nächsten Operations­ auf den streckseitigen Defekt eingeschwenkt. Abschließend wird
schritt wird der eigentliche Lappen präpariert, hierbei wird das noch ein Spalthauttransplantat auf das Läppchen genäht.
54.5 · Zusammenfassung
503 54
54.4.3 Freier mikrochirurgischer Gewebetransfer
Mikrochirurgische Zehenpulpatransplantation
> Die mikrochirurgischen Rekonstruktionsverfahren stellen
höchste Ansprüche sowohl an die operativen Fähigkeiten
des Operateurs als auch an die Infrastruktur der Klinik.

Eine Modifikation der mikrochirurgischen Zehenpulpatransplanta­


tion ist der »wrap around flap« für Daumenamputationen nahe dem
Metakarpophalangealgelenk. Hierbei wird ein Gewebeverbund aus
Haut, Pulpa und Nagel von einem Zeh um einen Knochenspan vom
Beckenkamm gewickelt, um eine möglichst exakte Übereinstim­
mung des neugebildeten Daumens mit der Gegenseite zu erreichen
und gleichzeitig die Spenderzehe als funktionelle Einheit zu erhalten
(Morrison 1992).
a Neben der unbedingt notwendigen Verwendung eines Opera­
tionsmikroskops ist eine entsprechende postoperative intensivme­
dizinische Überwachung und ein stündliches Lappenmonitoring
durch geschultes ärztliches Personal eine Conditio sine qua non.
Bis auf die Spare-part-Transplantation, bei der durch das Trauma
abgetrennte Fingerteile zur Rekonstruktion von zerstörten Fingern
verwendet werden (7 unten und . Abb. 54.12), sind diese Eingriffe
nicht als notfallmäßig durchzuführende Eingriffe anzusehen. Es
empfiehlt sich vielmehr nach der initialen Stabilisierung der betrof­
fenen Extremität, nach Exploration des beruflichen und privaten
Umfeldes und der Motivation des Patienten und nach Aufklärung des
b Patienten über die Risiken und die Hebemorbidität die Rekonstruk­
tion z. B. durch einen freien Zehenpulpatransfer durchzuführen
. Abb. 54.10a, b Cross-Finger-Lappen. a Hebedefekt streckseitig über (. Abb. 54.11). Hierdurch kann eine asensible Daumenkuppe resen­
dem Mittelglied des 4. Fingers mit Vollhaut gedeckt. b Eingeheilter Cross- sibilisiert werden, um eine Verbesserung des Spitzgriffs zu erreichen.
Finger-Lappen im Bereich der Kuppe des 5. Fingers. (Aus Meyer-Marcotty
Ein großer Nachteil dieses Rekonstruktionsverfahrens ist sicher­
et al. 2007a)
lich der große operative und infrastrukturelle Aufwand. Die Com­
pliance des Patienten muss zuverlässig vorhanden sein, da er sich auf
eine mehrstündige Operation mit anschließend langem rehabilita­
Eine 12- bis 14-tägige gemeinsame Ruhigstellung der benach­ tivem Aufwand einlassen muss.
barten Finger ist notwendig, bis der Stiel in einer 2. Operation ge­ In speziellen Fällen, in denen aufgrund einer schweren Handver­
trennt werden kann. letzung mit Verlust von mehreren Langfingern und Erhalt eines
asensiblen Daumens die Gebrauchsfähigkeit der Hand sehr stark
Cross-finger-Lappen. Der Cross-finger-Lappen kann zur Rekons­ eingeschränkt ist, kann mit einem Pulpatransfer die Sensibilität und
truktion sowohl der Daumenkuppe auch als sensibel innervierter somit die Greiffähigkeit der Hand verbessert werden.
Lappen verwendet werden. Hierzu wird ein dorsaler Ast des N. ra­
dialis superficialis in den Lappen, der an der radialen Streckseite Spare-part-Transplantation
des Grundgliedes des 2. Fingers gehoben wird, eingeschlossen Bei einer schweren Amputationsverletzung von mehreren Fingern
(. Abb. 54.10). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Wieder­ wird der »beste« der amputierten Stümpfe zur Replantation ausge­
herstellung einer protektiven Sensibilität bei den unter 20-ährigen wählt. Dieser Stumpf wird dann unabhängig von seinem ursprüng­
Patienten meist sehr gut gelingt, bei den über 40-Jährigen jedoch lichen Sitz an die »beste« Empfängerstelle replantiert (. Abb. 54.12).
fast die Hälfte der Patienten keine Schutzsensibilität erhalten (Lee u.
Salyapongse 2005).
! Cave
54.5 Zusammenfassung
Bei der Präparation des Lappens muss darauf geachtet
Vor der Indikationsstellung zu einer rekonstruktiven Wiederherstel­
werden, dass bei der Inzision der proximalen radialen
lung einer Fingerkuppenverletzung sollte sich der Operateur über
Lappengrenze der Ast des N.  radialis superficialis nicht
einige Gegebenheiten klar sein:
verletzt wird.
4 Ist eine operative Rekonstruktion möglich/sinnvoll (Tiefe der
Problematisch bei der Anwendung eines (Reversed-) Cross-finger- Verletzung, freiliegende funktionelle Strukturen)?
Lappens ist die postoperativ notwendige Ruhigstellung von zwei Wenn keine Rekonstruktion möglich/sinnvoll ist, kann zwischen
benachbarten Fingern, wobei der längere der beiden Finger oft in der semiokklusiven Folienbehandlung oder einer Stumpfbil­
einer ungünstigen Flexionsstellung ruhiggestellt werden muss. dung gewählt werden:
4 Lage des Defektes (palmar/dorsal, wichtige taktile Zonen; z. B.
ulnare Kuppe D 1 oder radiale Kuppe D 2 und 3)?
4 Persönliches Umfeld des Patienten (Beruf, Hobbys, Nebener­
krankungen, Nikotin, Compliance, Alter)?
504 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger

54 b

c d

. Abb. 54.11 Schwere Décollementverletzung der linken Hand (a) mit


u. a. Verlust eines Großteils der Daumenweichteile. b Planung des freien Pul­
palappens zur Wiederherstellung der Sensibilität der Daumenkuppe zur
Verbesserung des Gegengriffes; Entnahme vom fibularen Anteil der Kuppe
der großen Zehe. c Der freie Pulpalappen mit markierten Stielgefäßen und
-nerv vor der mikrochirurgischen Anastomosiernung. d Postoperatives Er-
gebnis nach Defektdeckung mit Leistenlappen und eingeheiltem freiem
Zehenpulpalappen in die Greifseite der Daumenkuppe. e Detailaufnahme
des eingeheilten neurovaskulären Pulpalappens zur Rekonstruktion der
e
Greifseite der Daumenkuppe. (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)

a b

. Abb. 54.12a, b Bei dieser 3-Finger-Amputationsverletzung wurde der abgetrennte Stumpf des Mittelfingers an die Stelle des Ringfingers replantiert, um
eine verbesserte Greiffunktion zu erzielen. (Aus Meyer-Marcotty et al. 2007a)
54.5 · Zusammenfassung
505 54

. Abb. 54.13 Algorithmus defekte Fingerkuppe

4 Postoperative Rehabilitation, Krankenhausaufenthalt? Das SK, Brown HG (1978) Management of lost fingertips in children. Hand 10:
4 Steht der (rekonstruktive) Aufwand in Relation zum erwarteten 1–1
Ergebnis? Foucher G, Braun JB (1979) A new island flap transfer from the dorsum of the
index to the thumb. Plast Reconstr Surg 63: 34–49
Gurdin M, Pangman W J (1950) The repair of surface defects of fingers by
In . Abb. 54.13 ist ein Algorithmus als Hilfestellung zur Durchfüh­
transdigital flaps. Plast Reconst Surg 5: 36–76
rung der bestmöglichen Fingerkuppenrekonstruktion dargestellt.
Karacalar A, Özcan M (1997) A new approach to the reverse dorsal metacarpal
artery flap. J Hand Surg 22A: 30–10
Literatur Kutler W (1947) A new method for fingertip amputations. JAMA 133: 2–5
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of the amputated finger tip with a triangular volar flap: a new surgical kiss RN, Pederson WC, Wolfe SW (Hrsg) Green´s operative hand surgery.
procedure. J Bone Joint Surg 52 (5): 92–26 Elsevier Churchill Livingstone; Philadelphia, pp 186–912
Berger A, Meissl G (1975) Reestablishment of sensation in the distal phalanges Littler JW (1956) Neurovascular pedicle transfer of tissue in reconstructive
using innervated flaps or grafts. Handchirurgie 7 (4): 16–71 surgery of the hand. J Bone Joint Surg [Am] 38A: 91–21
Curtis RM (1957) Cross-finger pedicle flap in hand surgery. Ann Surg.145 Meyer-Marcotty M, Kall S, Vogt PM (2007a) Neurovaskuläre Lappen zur Rekon-
(5):65–55 struktion von Fingerendglieddefekten. Unfallchirurg 110: 433–446
506 Kapitel 54 · Weichteilrekonstruktion im Bereich der Finger

Meyer-Marcotty M, Kall S, Vogt PM (2007b) Defektdeckung von palmaren


Daumenkuppendefekten mittels Littler-Lappen. Unfallchirurg 110: 447–
449
Moberg E (1964) Aspects of sensation in reconstructive surgery of the upper
extremity. J Bone Joint Surg 46A: 81–22
Moberg E (1972) Ersatzoperationen bei Sensibilitätsverlust. In: Wachsmuth W,
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Tränkle M, Germann G, Heitmann C, Sauerbier M (2004) Neurokutaner Insel-
lappen nach Foucher. Weichteildeckung und Rekonstruktion der Sensi-
bilität am Daumen. Chirurg 75 (10): 999–1002

54
55

Sehnenverletzungen der Hand


C. Choi

55.1 Strecksehnen – 508


55.1.1 Anatomie – 508
55.1.2 Zonen – 508
55.1.3 Diagnostik – 508
55.1.4 Art der Verletzung – 508
55.1.5 Therapie – 509
55.1.6 Nachbehandlung – 511

55.2 Beugesehnen – 512


55.2.1 Anatomie – 512
55.2.2 Pathophysiologie – 512
55.2.3 Diagnostik – 513
55.2.4 Art der Verletzung – 513
55.2.5 Therapie – 513
55.2.6 Nachbehandlung – 515

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
508 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand

55.1 Strecksehnen
. Tab. 55.1 Systematik der Zoneneinteilung bei Strecksehnenverlet-
Strecksehnenverletzungen an der Hand stellen häufige Verletzungen zungen der Hand
dar, die in vielen Fällen unterschätzt werden. Schon eine unzurei-
chend detaillierte klinische Untersuchung kann zu falsch-negativen Zone Finger Daumen
Befunden führen. Teilweise wird erst nach einigen Wochen eine ver-
1 DIP IP
spätete Diagnose aufgrund von Deformierungen (z. B. Knopfloch-,
Schwanenhalsdeformität) gestellt, die aus der primär übersehenen 2 Mittelphalanx Proximale Phalanx
Verletzung resultieren. 3 PIP MP
> Die sekundäre Rekonstruktion nach Streckverletzungen 4 Proximale Phalanx MHK
ist deutlich schwieriger und erbringt schlechtere Ergebnis­
5 MP Retinaculum extensorum
se als die primäre Versorgung.
6 MHK
Die Ergebnisse einer akuten Strecksehnenversorgung variieren mit
Schwere und Lokalisation der Verletzung, der gewählten Technik 7 Retinaculum extensorum
und der Nachsorge. 8 Distaler Unterarm
55 Nach einer Durchtrennung von 40% der Strecksehne über dem
Grundglied wird der Patient weiterhin auch ohne Versorgung den Mittlerer und proximaler
Finger gegen Widerstand gut strecken können. Bei einer ähnlichen 9 Unterarm
Verletzung über dem proximalen Interphalangealgelenk (PIP) je-
doch können unabhängig von der Versorgung ein Verlust der ak-
tiven Streckung und eine schlechte Fingerfunktion resultieren.
Für eine adäquate Versorgung sind daher gute Kenntnisse der 55.1.2 Zonen
Anatomie, eine exakte klinische Untersuchung sowie eine suffiziente
operative und postoperative Behandlung unerlässlich. In Abhängigkeit der Höhe der Verletzung erfolgte eine Einteilung
durch Verdan in 8 topopgraphische Zonen für die Finger und 4 Zo-
nen für den Streckapparat des Daumens. Die 9. Zone beschreibt eine
55.1.1 Anatomie Zone des mittleren und proximalen Unterarms nach Doyle. Das kli-
nische Bild der Verletzung und die Rekonstruktion werden nach der
Die Streckaponeurose des Fingers besteht aus einer Vielzahl von Systematik in . Tab. 55.1 und . Abb. 55.2 kategorisiert.
Sehnenzügeln und Bändern (. Abb. 55.1). Erst die Vereinigung von
extrinsischem und intrinsischem System ermöglicht die Streckfunk-
tion in der gegebenen Art und ist das Ergebnis einer koordinierten, 55.1.3 Diagnostik
gemeinsamen Aktion der einzelnen Anteile. Das extrinsische Sys­
tem (Mm. extensor digitorum) bildet den Mittelzügel, bestehend Die Prüfung der Streckermuskeln der Finger und des Daumens wird
aus den langen, vom Unterarm kommenden Streckern und bewirkt in 7 Kap. 50 beschrieben.
eine Streckung in den Grundgelenken. Die extrinsischen Sehnen Zum Ausschluss knöcherner Ausrisse oder von Begleitverlet-
gleiten auf Höhe des Retinaculum extensorum durch die Sehnenfä- zungen sollte die Untersuchung immer durch radiologische Diag­
cher und verlaufen dann auf den Mittelhandknochen. Alle Sehnen nostik vervollständigt werden.
sind untereinander durch intertendinöse Juncturae intertendineae
verbunden.
Das intrinsische System (Mm. lumbricales und interossei) bil- 55.1.4 Art der Verletzung
det die Seitenzügel und besteht aus den kurzen Handmuskeln, die
eine Streckung der mittleren und distalen Phalangen bewirken. Geschlossene Verletzungen
Insgesamt bildet die Vernetzung von extrinsischem und intri- Subkutane Rupturen werden in den meisten Fällen am Ansatz der
sischem System eine Aponeurose auf der Dorsalseite der Finger. Sehne an der Basis der Endphalanx gesehen (. Abb. 53.3). Diese
Der Extensorenapparat des Daumens stellt ebenfalls eine Verei- Desinsertionen erfolgen ohne oder mit Abriss eines knöchernen
nigung des extrinsischen (FPL und FPB) und inrinsischen Systems Fragmentes. Diese Verletzung, die auch Hammerfinger (»mallet fin-
(Abductor, Flexor und Adductor brevis) dar. Die Verbindung erfolgt ger«) genannt wird, ist am Daumen nur äußerst selten zu beobach-
auf Höhe des MCP-Gelenkes und bildet einen Zügel, der die Sehne ten. Andere geschlossene Rupturen sind die der EPL-Sehnen im
des EPL auf der Konvexität des 1. MHK stabilisiert. Das intrinsische Bereich ihrer Verlaufsänderung am Tuberculum listeri oder seltener
System beteiligt sich an der Extension des Daumens, es ist aber der die Ruptur des medialen Zügels der Extensorensehne mit Knopf-
EPL, der die Hyperextension ermöglicht. lochdeformität. Beim Faustschlag werden u. a. Rupturen der Exten-
Die subkutane Ruptur oder Verletzung der EPL-Sehne bewirkt sorenzügel auf Höhe der MCP-Gelenke beobachtet.
eine Schwanenhalsdeformität durch alleinige Zugwirkung des EPB Geschlossene Rupturen werden auch als Komplikation nach os-
mit Hyperextension im MP-Gelenk. Umgekehrt führt die EPB-Lä­ teosynthetischen Versorgungen, insbesondere des distalen Radius
sion zu einer Luxation der EPL-Sehne mit resultierender Knopfloch- beobachtet (. Abb. 53.4).
deformität des Daumens, charakterisiert durch eine Flexion im
MCP- und Hyperextension im IP-Gelenk. Offene Verletzungen
Hierbei sind für die Wahl des therapeutischen Vorgehens Mechanis-
mus und Ausmaß der Verletzungen maßgeblich. Eine offene Streck-
sehnenverletzung am Mittelfinger mit typischem Funktionsausfall
55.1 · Strecksehnen
509 55

. Abb. 55.1 Systematik und Anatomie der Streckaponeurose der Finger. (Aus Tillmann 2010)

zeigt . Abb. 55.5. Quetschungen, Avulsionen und Abrasionen wer- 55.1.5 Therapie
den insbesondere von septischen Wunden wie beispielsweise Biss-
verletzungen unterschieden. Bei einfachen Verletzungen können Bei der Therapie werden die in . Tab. 55.1 und . Abb. 55.2 darge-
nach vollständig ausgeführtem Débridement eine einzeitige Rekon- stellten Zoneneinteilungen sowie Art, Ausmaß und Mechanismus
struktion und die frühzeitige Mobilisierung erfolgen. Bei septischen der Verletzung berücksichtigt.
Wunden ist es u. U. ratsam, die Wiederherstellung sekundär vorzu-
nehmen. Konservative Therapie
Verletzung in Zone 1 (DIP-Gelenk)
Konservative Therapie. Wir bevorzugen die konservative Therapie
des geschlossenen Strecksehnenabrisses an der Endgliedbasis. Bis
510 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand

55

. Abb. 55.2 Zoneneinteilung bei Strecksehnenverletzungen nach Verdan

. Abb. 55.4 Geschlossene Ruptur der Strecksehne (EPL) des Daumens


nach Osteosynthese bei Radiusfraktur (a). Rekonstruktion durch Extensor
indicis (EI-) Transfer. Die ulnare Sehne Zeigefingerstreckerhaube wird abge-
setzt und subkutan unter den Extensor-communis-Sehnen in die Tabatière
verlagert. Hier erfolgt die Durchflechtung mit dem distalen Ende der EPL-
Sehne in Pulvertaft-Technik (b). Die Verspannung der rekonstruierten Sehne
. Abb. 55.3 Geschlossener Abriss des Tractus intermedius des Kleinfingers wird im Tenodesetest überprüft (c)

zum Abschwellen erfolgt die Ruhigstellung in einer Schiene, danach Chirurgische Therapie. Die Operationsindikationen werden bei
durch konsequente Ruhigstellung in einer angepassten Stack-Schie- Sehnenverletzungen in Zone 1 kontrovers diskutiert. Wir sehen eine
ne, die jedoch zur Hautpflege unter konsequenter passiver Streckung Indikation zur operativen Therapie bei offenen Verletzungen sowie
des Fingers abgenommen werden sollte. Eine ausführliche Aufklä- bei geschlossenen gelenkbeteiligenden Frakturen, die mehr als 1/3
rung des Patienten ist hier für den Erfolg der Therapie von maß­ der Gelenkfläche betreffen.
geblicher Bedeutung. Die Dauer der Ruhigstellung im DIP-Gelenk Sollten Gründe, beispielsweise beruflicher Natur, gegen das
beträgt im eigenen Vorgehen 10–12 Wochen. Tragen einer Stack-Schiene sprechen, so ist u. U. die Indikation
Sodann können Bewegungen ohne Belastungen wieder aufge- zur Transfixation im DIP-Gelenk mittels Kirschner-Draht gege­
nommen werden. Insgesamt sollte jedoch eine Belastung für weitere ben. Die Ruhigstellung erfolgt im Normalfall hier für 6 Wochen.
6 Wochen vermieden werden. Hier kann u. U. die Schiene bei Bela- Bei zu erwartender Belastung sollte diese individuell verlängert
stung weiterhin getragen werden. werden.
55.1 · Strecksehnen
511 55
mentes mittels eines in die Mittelphalanx eingebrachten Kirschner-
Drahtes und anschließend die reponierende Transfixation im DIP-
Gelenk (7 Kap. 53). Bei größeren Fragmenten kann das knöcherne
Fragment am Endglied auch durch Einbringen einer Schraube oder
eines Kirschner-Drahtes refixiert werden.
Bei Nutzung von Kirschner-Drähten erfolgt die Implantatentfer-
nung nach 6 Wochen.
Offene Verletzungen mit ansatznahen Durchtrennungen oder
Abrissen ohne knöchernes Fragment in Zone 1 werden knöchern
reinseriert. Hierfür nutzen wir eine 4.0-PDS-Naht, die durch einen
V-förmig gebohrten Kanal dorsal im proximalen Endglied gezogen
wird (7 Kap. 55.2.5 Beugesehnenreinsertion). Alternativ ist die Rein-
sertion mittels Durchziehnaht möglich. Hierbei erfolgt das Auffä-
deln des proximalen Sehnenstumpfes auf eine Lengemann-Draht-
naht oder alternativ eine 4.0-PDS-Naht, die durch das knöcherne
Endglied an der Fingerkuppe ausgeleitet wird.
Zur Sicherung ist ggf. eine Transfixation des Endgliedes durch
. Abb. 55.5 Offene Strecksehnenverletzung am Mittelfinger mit typi- einen 1.0-Kirschner-Draht möglich.
schem Funktionsausfall
Verletzung in Zone 3 (PIP-Gelenk)
Durchtrennungen des Mittelzügels in Zone 3 werden bei Verbleiben
eines nahtfähigen distalen Stumpfes durch eine Naht wie oben be-
> Alle anderen Strecksehnenverletzungen sind immer ope­
schrieben readaptiert. Knöcherne Ausrisse des Mittelzügels werden
rativ zu behandeln.
operativ reinseriert. Das Vorgehen entspricht demjenigen nach Aus-
riss am Endglied. Bei Nutzung einer Lengemann-Ausziehnaht er-
Operative Therapie folgt die Ausleitung nach dorsal. Auch hier kann eine temporäre
Zugangswege Transfixation erfolgen.
Wie bei allen Handverletzungen ist den Zugangswegen auch hier
spezielle Beachtung zu schenken. Hierdurch werden primäre Kom- Besonderheiten
plikationen wie Hautnekrosen sowie auch sekundäre Probleme Offene Verletzungen über Zone 5 werden häufig nach Faustschlägen
durch Narbenkontrakturen vermieden. Wir empfehlen grundsätz- gegen Zähne eines Gegners gesehen. Diese sind somit als Bissverlet­
lich eine longitudinale Schnittführung, auch über den Gelenken. zungen und somit als septisch zu bewerten. Bei der Exploration der
Wunde ist hier das sog. Kulissenphänomen unbedingt zu beachten.
Nahttechniken Es erfordert hier eine genaue Inspektion der funktionellen Struk-
Sehnennähte an durchtrennten Strecksehnen werden an die Sehnen- turen auch unter maximaler Flexion im MP-Gelenk, da eine Stre-
dicke angepasst. Die Dicke der Sehne variiert zwischen 0,55 mm in ckung unter der Operation eine Verschiebung der Strukturen und
Zone 2 bis 1,7 mm in Zone 6 (Doyle). In den distalen Zonen bietet somit eine Bedeckung von tiefer liegenden Defekten und Gelenker-
sich bei den eher flachen Sehnen die Versorgung durch U-Nähte öffnungen bewirken kann.
oder Matratzennähte (4-0 Prolene) an.
> Bissverletzungen erfordern immer eine i.v.-Antibiotika­
In den proximalen Abschnitten empfehlen wir in Abhängigkeit
therapie mit einem Penicillin plus β-Laktamaseinhibitor
der Dicke die Nahttechnik nach Kirchmayr-Kessler, modifiziert
oder einem Cephalosporin der 2. Generation, die an die
nach Zechner (7 Kap. 55.2.5 Beugesehnen).
Resistenzbestimmung eines intraoperativen Abstriches
Verletzungen in den Zonen 2 und 4–7 werden durch primäre
angepasst wird.
Sehnennähte versorgt.
Bei Verletzungen der Strecksehnen in den Zonen 1 und 3 wer-
den die Stümpfe nach Débridement in Abhängigkeit der Sehnendi-
cke durch U-Nähte oder Sehnennähte nach Kirchmayr-Kessler ver- 55.1.6 Nachbehandlung
einigt. Für die Kernnaht wird 4.0-Prolene-Nahtmaterial verwandt,
die überwendliche Naht für die Feinadaptation erfolgt mit einer Die physikalische Nachbehandlung bei versorgten Strecksehnenver-
überwendlichen fortlaufenden 6.0-monofilen resorbierbaren Naht letzungen kann statisch wie dynamisch geführt werden.
(PDS). In Zone 2 kann je nach Dicke der Sehne ggf. die Kernnaht mit Wenn es aufgrund der Verletzung oder Lokalisation geboten ist,
einer 5.0-Prolene-Naht erfolgen. favorisieren wir eine dynamische Nachbehandlung in einer Inverse-
In den Zonen 8 und 9 werden Verletzungen im muskulotendi- Kleinert-Schiene. Mit 45° Extension im Handgelenk und 30° Beu-
nösen Übergang bzw. im Muskelbereich mit 3.0-Vicryl-U-Nähten gung der Grundgelenke erfolgt die aktive Beugung in der Fingern bei
versorgt. passiver Retraktion durch die angelegten Gummizügel (. Abb. 55.6).
Ansonsten ist grundsätzlich eine statische Nachbehandlung ange-
Verletzung in Zone 1 (DIP-Gelenk) zeigt.
Die operative Therapie der geschlossenen Endgliedbasisfraktur Bei Patienten mit eingeschränkter Compliance kann eine Ruhig-
(Busch-Fraktur) erfolgt bei gelenkbeteiligenden Frakturen, die mehr stellung bis zur Abheilung der Strecksehne erfolgen. Jedoch sollten
als 1/3 der Gelenkfläche betreffen. Nach Möglichkeit wird diese auch hier unter krankengymnastischer Anleitung passive Bewe-
­geschlossen vorgenommen, wir empfehlen die Anlage eines Exten- gungsübungen erfolgen, um Verklebungen und Einsteifung vorzu-
sionsblocks. Hierfür erfolgt die Blockierung des knöchernen Frag- beugen.
512 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand

. Abb. 55.6 Dynamische Nachbehandlung mit passiver Retraktion bei


Strecksehnenverletzungen

55 55.2 Beugesehnen
Verletzungen der Beugesehnen sind häufige und chirurgisch an-
spruchsvoll zu versorgende Verletzungen. Anfänglich erbrachten
diese auch bei Versorgung durch gute Handchirurgen nur schlechte
Ergebnisse. Erst ein erweitertes Verständnis der Biomechanik, der
Sehnenheilung und -versorgung sowie der Bedeutung der Sehnen­
gleitgewebe beförderte die Entwicklung von primären operativen . Abb. 55.7a, b Die Anordnung des Gefäßsystems der Sehnen der Mm. fle-
xor digitorum profundus (1) und superficialis (2) im Fingerkanal. Jede Sehne
Versorgungstechniken und einer speziellen dynamischen Nachbe-
wird von einem kurzen (3) und einem langen (4) Vinculum versorgt
handlung. Somit wurde eine Rehabilitation mit guten funktionellen
Ergebnissen für einen Großteil der Patienten innerhalb von 8 Wo-
chen ermöglicht. Es ist hierbei zu beachten, dass die Ergebnisse den-
noch multifaktoriell beeinflusst werden. Ausmaß der Verletzung, 55.2.2 Pathophysiologie
Mechanismus und Höhe sowie Begleitverletzungen haben ebenso
nachweisbare Effekte auf individuelle Operationsergebnisse wie die Nach durchgehend schlechten Ergebnissen wurde die Zone 2 von
Mitarbeit des einzelnen Patienten in der Nachbehandlung. Hierbei Bunnell als »Niemandsland« postuliert. In dieser Zone sollte keine
ist zu bedenken, dass diese wesentlich von einer adäquaten Aufklä- Primärversorgung von Beugesehnenverletzungen durchgeführt
rung durch den Operateur abhängt. werden. Erst durch die Pionierarbeiten von Verdan und Kleinert
Ein Versagen der primären Reparatur mit Verklebungen oder wurde diese Tabuzone zum »Nicht-Jedermannsland« relativiert. Das
Rupturen erfordert eine sekundäre Tenolyse oder Rekonstruktion ehemalige Niemandsland ist gekennzeichnet durch den Verlauf der
mit Rehabilitation, die u. U. 6, aber auch bis zu 12 Monate beanspru- Sehne in der Sehnenscheide, die als Gleitlager dient und zugleich
chen kann. nutritive Eigenschaften hat. Diese nutritiven Eigenschaften bewir-
ken im Sinne einer extrinsischen Narbenbildung eine vermehrte
Fibroblastenbesiedelung und induzieren somit Adhäsionen der Seh-
55.2.1 Anatomie nen mit dem Gleitgewebe, die die ursprünglich schlechten Ergeb-
nisse in der Beugesehnenchirurgie verantworteten.
Die oberflächlichen (Mm. flexor digitorum superficialis 2–5) und Einen bedeutenden Schritt im Verständnis der Beugesehnenhei-
tiefen Beugesehnen (Mm. flexor digitorum profundus 2–5) der Fin- lung stellte der Nachweis zusätzlicher intrinsischer Nutrition und
ger erwirken durch ihre unterschiedlichen Ansätze eine Beugung in Narbenbildung dar, die sie aus einer longitudinalen segmentierten
den Gelenken der Finger. Diese vereinfachen eine klinische Über- Mikrovaskularisation bezieht und über die in den dorsalen Vinculae
prüfung und ermöglichen eine differenzierte Diagnosestellung. Die laufende Gefäße gespeist werden.
Beugung des Daumens erfolgt durch den langen Daumenbeuger
(M. flexor pollicis longus).
Besonderheiten der Beugesehnenchirurgie
Die Beugesehnen verlaufen teilweise durch Sehnenscheiden, die
sie bei ihrem Verlauf über Gelenke und Hypomochlien sowie durch 4 In der Beugesehnenchirurgie ist eine möglichst atrauma-
osteofibröse Kanäle schützen und ein Gleitlager bilden. Zusätzlich tische Präparation unbedingt zu beachten.
haben die Sehnenscheiden und insbesondere die Synovialflüssigkeit 4 Vinculae sollten geschont werden, und Sehnenscheiden
eine wichtige nutritive Funktion für die Sehnen. Die nutritive Ver- sowie Ringbänder sollten nach Verletzung oder Eröffnung
sorgung erfolgt zum einen durch Diffusion über die Synovialflüssig- rekonstruiert werden.
keiten und zum anderen über eine direkte Gefäßversorgung. 4 Nahtmaterial ist bevorzugt auf die Palmarseite der Sehnen
Muskulärer Ursprung und knöcherner Ansatz werden über hier zu lokalisieren.
befindliche kleine Gefäße versorgt. An den Fingern verlaufen kleine
Abgänge aus transversen Arterien in den Vinculae zur Dorsalseite
der Gefäße. Alle oberflächlichen und tiefen Beugesehnen weisen
2 lange und 2 kurze Vinculae auf (. Abb. 55.7).
55.2 · Beugesehnen
513 55
55.2.3 Diagnostik

Für eine spätere Versorgung ist die genaue Anamneseerhebung von


essenzieller Bedeutung. Das Auffinden von Sehnenstümpfen ist in
direktem Zusammenhang mit der Stellung des Fingers zum Zeit-
punkt der Verletzung zu setzen.
! Cave
Die Sehnenstümpfe finden sich u. U. nicht im Bereich der
Verletzung.
Kraftaufwendungen während des Traumas können eine stärkere
Retraktion der Sehne, ggf. mit Abriss von Vinculae, erwirken.
> Wie immer ist ein Infektionspotenzial durch die erfolgte
Verletzung genauestens zu eruieren.
Bei der klinischen Untersuchung – die klinische Zoneneinteilung
von Beugesehnenverletzungen ist in . Abb. 55.8 dargestellt – kann
eine Beugesehnendurchtrennung bereits inspektorisch diagnosti-
ziert werden, wenn die oberflächliche und tiefe Sehne betroffen sind
und der Tonus der Fingerstrecker überwiegen sollte (. Abb. 55.9).
Zum Ausschluss von isolierten oder Teilverletzungen ist jedoch im-
mer auch eine aktive Funktionsprüfung durchzuführen, und im
Zweifelfall sollte stets operativ exploriert werden.
Die Prüfung der Streckermuskeln der Finger und des Daumens . Abb. 55.8 Klinische Zoneneinteilung von Beugesehnenverletzungen
wird in 7 Kap. 50 beschrieben.
Zum Ausschluss knöcherner Ausrisse oder Begleitverletzungen
sollte die Untersuchung immer durch radiologische Diagnostik
vervollständigt werden.

55.2.4 Art der Verletzung


Geschlossene Verletzungen
Subkutane Rupturen betreffen in erster Linie die tiefen Beugesehnen
am knöchernen Ansatz im Endglied. Starke Kraftaufwendung kann
hier die Ursache sein. Die traumatischen Beugesehnenrupturen wer-
den von denen rheumatoider Genese unterschieden.

Offene Verletzungen
Hier gilt es, ähnlich wie bei den Strecksehnenverletzungen asep-
tische von kontaminierten und septischen Wunden zu differenzie-
ren. Eine einzeitige Rekonstruktion und frühzeitige Mobilisierung . Abb. 55.9 Klinischer Aspekt bei Durchtrennung der oberflächlichen
sollten nach Möglichkeit immer primär durchgeführt werden. (komplett) und tiefen (partiell) Beugesehne. Weitere Differenzierung durch
klinische Untersuchung der getrennten Funktionen von FDS- und FDP-Seh-
ne. Klarheit bringt letztlich nur die chirurgische Exploration

55.2.5 Therapie

Unter Kenntnis der Anatomie, Biomechanik und Heilung der Beuge­ Operative Therapie
sehnen konnte ein Konzept der primären Rekonstruktion entwickelt Zugangswege
werden, das eine frühe dynamische Nachbehandlung einschließt. Bei der Wahl der Hautinzision ist wie immer darauf zu achten, eine
Die funktionellen Ergebnisse unter dieser Therapie sind nach ein- ausreichende Übersicht für die Versorgung der verletzten Strukturen
fachen Verletzungen in der Regel gut und ermöglichen eine Rekon- zu schaffen und sekundäre Komplikationen durch Minderperfusion
valeszenz nach 7–9 Wochen. Bei der Therapie werden die oben ge- oder Narbenstränge zu vermeiden. Am Finger erfüllt die Hautinzi-
nannten Zoneneinteilungen (. Abb. 55.8) sowie Art, Ausmaß und sion nach Brunner (. Abb. 55.10) alle Kriterien, die Schnittführung
Mechanismus der Verletzung berücksichtigt. sollte immer an ggf. vorgegebene Wunden adaptiert werden. Eine
dorsolaterale oder Z-förmige Inzision bzw. eine quere Schnittfüh-
Konservative Therapie rung über Gelenken kann zur Erweiterung der vorgegebenen Schnit-
Bei frischen Beugesehnenverletzungen besteht immer die Indikation te genutzt werden.
zur operativen Versorgung.
! Cave
Unter allen Umständen sind palmar gerade Schnitte,
insbesondere über Gelenken, zu vermeiden.
514 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand

Nahttechniken
Wir bevorzugen hier die Nahttechnik nach Kirchmayr-Kessler, mo-
difiziert nach Zechner (. Abb. 55.11b). Die Adaptation der Sehne
erfolgt durch 2 unabhängige Nähte. Für die Kernnaht wird ein 4.0-
Prolene-Faden genutzt, der Knoten wird hierbei durch eine kleine
Inzision in die Sehne hineinverlagert. Beim Knüpfen ist zu beachten,
dass die Enden gut adaptiert sind, ohne einen Wulst auszubilden. Die
Feinadaptation wird über eine epitendineale überwendliche Naht
mit 6.0-PDS-Nahtmaterial erreicht.

Verletzung in Zone 1
Isolierte Durchtrennung der Profundussehne: Ist das distale Ende
ausreichend lang und kräftig, so wird die Beugesehnennaht in der
oben dargestellten Technik durchgeführt. Bei knöchernen Ausrissen
bzw. ansatznahen Läsionen erfolgt die knöcherne Reinsertion durch

55

. Abb. 55.10 Palmare Schnittführungen bei der Versorgung von Beuge-


sehnenverletzungen. Die Zugangswege müssen kürzestmöglich die Wun-
den verlängern und die Reparatur von Sehnen und vaskulonervösem
Bündel erleichtern. Bajonett-, T- und Z-förmige Inzisionen zählen zu den
gebräuchlichsten Zugängen

Bei vorgegebenen Schnitten kann eine Z-Plastik einen sekundären


Narbenstrang verhindern.
Das Auffinden der Sehnenenden sollte möglichst atraumatisch
erfolgen. Blindes Instrumentieren verursacht Läsionen und begün-
stigt die Entwicklung späterer Adhäsionen. Eine großzügige Über-
sicht durch Erweiterung der Schnitte ist hier zu bevorzugen. Das
Aufsuchen der Sehnenenden sollte in Flexionstellung in Handgelenk
und Fingern erfolgen.
a

. Abb. 55.11 Techniken der Beugesehnennaht: Atraumatische Behandlung ist für eine adhäsionsfreie Heilung unabdingbar (a). Sehnennaht nach Kirch-
mayr-Kessler modifiziert nach Zechner (b)
55.2 · Beugesehnen
515 55
eine transossäre Naht (7 Kap. 55.1.5 Strecksehnen) oder durch eine
Ausziehnaht. Hierfür nutzen wir eine Drahtnaht oder eine 4.0-PDS-
Naht, die transossär ausgeleitet wird. Bei Ausleitungen am Nagel
sollte immer beachtet werden, die Naht distal der Lunula auszulei-
ten, um Verletzungen der fertilen Matrix zu vermeiden. Wir empfeh-
len hier die Transfixation im DIP-Gelenk, um eine sekundäre Kon-
traktur zu verhindern.

Verletzungen in Zone 2
Verletzungen in diesem Bereich sind die häufigsten und betreffen ca.
50% der Fälle. Häufig liegen Verletzungen der tiefen und der ober-
flächlichen Beugesehnen vor. Je ansatznäher die Verletzungen der
oberflächlichen Beuger sind, desto eher kommen hier U-Nähte zum
Einsatz. Abhängig vom Kaliber der Sehnen empfehlen wir hier 4.0-
oder 5.0-Prolene-Nähte. Eine der Schwierigkeiten in Zone 2 besteht
in der Enge des Sehnenkanals. Während der Präparation sollte die
synoviale Hülle erhalten oder später rekonstruiert werden, um den
frühzeitigen Synovialfluss zu sichern.
Nach Auffinden der Sehnenenden erfolgt zunächst eine trans-
dermale Fixierung der Enden durch Kanülen, um jegliche Spannung
bis zum Abschluss der Naht zu vermeiden.
> Grundsätzlich ist immer die Rekonstruktion beider Sehnen
anzustreben, im Zweifelsfall jedoch sollte die Priorität auf
der Rekonstruktion der tiefen Beugesehne liegen. . Abb. 55.12 Nachbehandlung nach Beugesehnenverletzung nach Kleinert

Verletzungen in Zone 3 4 30° Flexion im Handgelenk,


Verletzungen in dieser Zone haben eine gute Prognose. Liegt die 4 50° Beugung in den MP-Gelenken und
Läsion auf Höhe des A1-Ringbandes, sollte nach Abschluss der Re- 4 30° Beugung in der Interphalangealgelenken.
konstruktion eine funktionelle Überprüfung der Mechanik erfolgen.
Bei Hindernis der Gleitfähigkeit der rekonstruierten Sehne durch 48 h nach operativer Versorgung wird dann die Kleinert-Schiene
das Ringband sollte dieses partiell oder vollständig durchtrennt angelegt:
werden. 4 initial mit 30° Flexion im Handgelenk und
4 60° Beugung in den MP-Gelenken,
Verletzungen in Zone 4 4 0° in den IP-Gelenken.
Bei Verletzungen im Bereich des Karpalkanals sollte der N. media-
nus immer dargestellt werden. Die vollständige Spaltung des Retina- Durch Gummibänder werden die Finger in Beugung gehalten, um
culum flexorum ist zur Vermeidung von sekundärer Kompression die Flexoren zu entspannen. Die Gummibänder der Finger sollten
auf den N. medianus zwingend erforderlich. Die Naht der verletzten über ein Hypomochlion auf das Tuberkulum des Skaphoids gerichtet
Sehnen erfolgt in der oben dargestellten Technik. sein. Nur die aktive Streckung gegen den Widerstand des Gum­
mibandes wird erlaubt, die Rückführung in die Flexion erfolgt pas-
Verletzungen in Zone 5 siv durch die Gummibänder. Grundsätzlich empfehlen wir, alle
Aufgrund häufiger Begleitverletzungen der radialen und ulnaren Ge- ­Finger in die dynamische Schiene mit einzubeziehen, um Willkür-
fäß-Nerven-Bündel ist hier eine genaue Exploration erforderlich. Die bewegungen zu vermeiden und den Quadriga-Effekt auszuschalten
Sehnennähte erfolgen in der oben dargestellten Technik, in muskulo- (. Abb. 55.12).
tendinösen Übergangsbereichen werden die Rekonstruktionen durch Nach 3 Wochen wird die Schiene im Handgelenk in Neutralstel-
U-Nähte unter Nutzung von 3.0-Vicryl-Nahtmaterial hergestellt. lung gebracht oder das Handgelenk unter weiterer Zügelung der
Finger bereits freigegeben. Bei zuverlässig und aktiv mitarbeitenden
Patienten wird 4 Wochen nach der Operation die Zügelung entfernt.
55.2.6 Nachbehandlung Der Patient soll dann aktive Übungen ohne jegliche Belastung
durchführen. Der Patient ist darauf hinzuweisen, dass die Sehne bei
Der Nachbehandlung kommt bei Beugesehnenverletzungen eine einer unbedachten kräftigen Beugesehnenaktivierung rupturieren
wichtige Bedeutung zu. kann. Für handwerklich arbeitende Personen gilt, dass eine volle
Belastbarkeit der Langfingersehnen erst nach 8 Wochen, der langen
> Auch bei chirurgisch einwandfreier Versorgung ist ein
Daumenbeugesehne erst nach 12 Wochen gegeben ist.
funktionell zufriedenstellendes Ergebnis nur durch eine
Zur weiteren Optimierung der Behandlungsergebnisse haben
adäquate dynamische Nachbehandlung zu erreichen.
Chow et al. (1987) das »Washington-Regime« zur Weiterbehand-
Es existieren zahlreiche Variationen in der Behandlung, z. T. mit lung nach Beugesehnenverletzung entwickelt. Hierbei werden aktive
Einsatz kontrollierter aktiver Übungselemente ab der 3. Woche. und passive Übungen frühzeitig kombiniert. Das Verfahren erfor-
Um eine vollkommene Entspannung der Beugemuskulatur zu dert allerdings eine optimale Infrastruktur mit enger täglicher An-
erwirken, erfolgt die postoperative Ruhigstellung initial in einer dor- bindung der Patienten an eine physiotherapeutische Einrichtung
salen Gipsschiene mit und intensiver Zuwendung seitens des Therapeuten.
516 Kapitel 55 · Sehnenverletzungen der Hand

Literatur
Brunner JM (1967) The zig-zag volar-digital incision for flexor-tendon surgery.
Plast Reconstr Surg 40: 571
Chow JA,Thoms LJ, Dovelle S, Milnor WH, Seyfer AE, Smith AC (1987) A com-
bined regimen of controlled motion following flexor tendon repair in »no
man’s land«. Plast Reconstr Surg 79: 447–453
Kleinert HE Verdan C (1983) Report of the committee on tendon injuries.
J Hand Surg 8: 794
Landsmeer JMF (1949) The anatomy of the dorsal aponeurosis of the human
finger and its functional significance. Anat Rec 104: 31
Newport ML, Williams CD (1992) Biomechanical characteristics of extensor
tendon suture techniques. J Hand Surg 17A: 1117
Rockwell WB, Butler PN, Byrne BA (2000) Extensor tendon: Anatomy, injury,
and reconstruction. Plast Reconstr Surg 106: 1592
Strickland JW (1995) Flexor tendon injuries: II. Operative technique. J Am
Acad Orthop Surg 3: 55
Strickland JW (2000) Development of flexor tendon surgery: Twenty-five
years of progress. J Hand Surg 25A: 214
55 Tillmann BN (2010) Atlas der Anatomie des Menschen, Kap 6: Obere Extremi-
tät – Muskeln. Springer, Berlin Heidelberg New York
Towfigh H (2001) Sehnenchirurgie. In: Schmit-Neuerburg KP,Towfigh H, Letsch
R,Tscherne (Hrsg) Unfallchirurgie: Ellenbogen Unterarm Hand. Bd 2:
Hand. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 581
56

Komplexverletzungen,
Revaskularisation
und Replantation der Hand
K.H. Busch, A. Gohritz

56.1 Therapieprinzipien – 518

56.2 Evaluation der Verletzung – 518

56.3 Therapeutisches Vorgehen – 519


56.3.1 Therapieplanung – 519
56.3.2 Chirurgisches Prozedere – 519

56.4 Revaskularisation und Replantation – 523


56.4.1 Indikationsstellung – 524
56.4.2 Präoperatives Vorgehen – 524
56.4.3 Technische Voraussetzungen zur Replantation – 527
56.4.4 Chirurgisches Vorgehen – 527
56.4.5 Postoperatives Management – 529
56.4.6 Ergebnisbewertung – 530
56.4.7 Komplikationen – 530

56.5 Fazit – 530

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
518 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

Komplexe Handverletzungen sind nicht genau definiert, man ver- 1. Erhalt des Lebens des Patienten.
steht darunter jedoch allgemein schwere Verletzungen multipler 2. Maximaler Gewebeerhalt an der verletzten Extremität.
wichtiger Strukturen, die zur Gefährdung des Überlebens des Kör- 3. Erhalt oder Wiederherstellung der Funktion.
perteils und oft zu erheblichen Funktionseinschränkungen führen. 4. Ästhetische Wiederherstellung.
Die Qualität der Behandlung dieser speziellen Unfallfolgen bestimmt
daher die weitere Einsatzfähigkeit der gesamten oberen Extremität
im Alltag und Beruf und damit die Erwerbsfähigkeit und Lebens- 56.2 Evaluation der Verletzung
qualität des Patienten.
Das Management einer solchen komplexen Handverletzung Komplexe Verletzungen sind zudem oft Kombinationsverletzungen,
bedarf einer fundierten Kenntnis der Anatomie der Hand und des z. B. bei Kreissägenunfällen (. Abb. 56.1). Sie umfassen oft unter-
Karpus, einer gezielten Operationsplanung und chirurgischer Er- schiedliche Verletzungsarten wie
fahrung im Bereich der Knochenchirurgie, der Mikrochirurgie und 4 Schnittwunden (mit glatter Durchtrennung von Strukturen),
der Wiederherstellung von Weichteilen der oberen Extremität mit 4 Rissverletzungen/Quetschungen (mit Gewebekontusion),
Nahlappen, gestielten Fernlappen und freien Lappentransplan- 4 Avulsionen (mit Traktionsschädigung),
taten. 4 thermische Zerstörungen.

Von der Gewebezerstörung können betroffen sein:


56.1 Therapieprinzipien 4 Weichteilgewebe,
4 Gefäße,
56 Komplexe Handverletzungen sind häufig das Ergebnis von Hoche- 4 Nerven,
nergietraumata, wie z. B. Autounfällen, Quetsch- oder Explosions- 4 Muskel-Sehnen-Einheiten,
verletzungen. Es müssen daher stets weitere Verletzungen an ande- 4 Knochen und Gelenke.
ren Organsystemen, die u. U. lebensbedrohlich sein können, ausge-
schlossen sein. Hierbei gelten folgende Prioritäten:

a b

c d

. Abb. 56.1 Versorgung einer komplexen Handverletzung (Kreissäge; a). kung der Daumenkuppe aus neurovaskulärem radialseitigem Filet des knö-
Rekonstruktion der Beugesehnenverletzungen am 3. Finger. Defektdeckung chern zerstörten Zeigefingers (b). Exzellente opponierende Greiffunktion
des Weichteildefektes am Ringfinger durch ulnarseitiges Filet. Defektdec- mit sensibler Daumenkuppe (c, d)
56.3 · Therapeutisches Vorgehen
519 56
56.3 Therapeutisches Vorgehen > Polytraumatisierte Patienten, also Patienten mit lebens­
bedrohlicher Verletzung von einem oder mehreren Organ­
56.3.1 Therapieplanung systemen, müssen immer unter dem Aspekt der führen­
den Verletzung beurteilt werden (»life before limb«). Hier
Aufgrund der Beteiligung vieler unterschiedlicher Strukturen ist die beschränkt sich die Therapie der Handverletzung auf die
chirurgische Versorgung auf die in der . Übersicht genannten Ziele provisorische Stabilisierung der knöchernen Verletzungen
gerichtet. und Blutstillung. Amputationen können bei klinisch insta­
bilen Patienten sinnvoller sein als langwierige Rekonstruk­
tionen.
Ziele der chirurgischen Versorgung komplexer
Handverletzungen
Nach Feststellung der führenden Verletzungen durch das Poly-
4 Komplette Entfernung von avitalem und infiziertem traumamanagement erfolgt die Triage und gemeinsame Festlegung
Gewebe des weiteren Vorgehens. Bezüglich der Extremitätenverletzung
4 Wiederherstellung der Gewebsperfusion sind
4 Knöcherne Stabilisierung mit minimalem zusätzlichem 4 die Blutstillung und
Weichteiltrauma 4 das Verhindern primär lebensbedrohlicher Blutverluste
4 Stabile, gut durchblutete und ästhetisch anspruchsvolle
Weichteilbedeckung erste Ziele im Schockraum.
4 Frühe Mobilisierung der Extremität, um posttraumatische
Vernarbung zu minimieren und Funktion und Bewegung > Zur Erstversorgung gehört ebenso die vollständige In­
der Hand zu erhalten spektion nach Entfernen von evtl. am Unfallort ange­
brachten Druckverbänden, um die Durchblutung der Ex­
tremitäten sicher beurteilen zu können. Häufig zeigt sich
nach Entfernen eines Kompressionsverbandes eine deut­
> Die Therapieplanung basiert auf der sorgfältigen initialen lich verbesserte Durchblutungssituation mit wesentlich
Analyse der Verletzung. Dies schließt die Evaluation des günstigeren Voraussetzungen für das weitere Vorgehen
nach der chirurgischen Primärversorgung entstandenen und die Planung.
Defekts und der ausgefallenen Funktionen ein. Wichtig
Nach dem Entfernen der initialen Verbände und klinischer Evalua-
ist es, bereits vor Beginn der Versorgung die Rekonstruk­
tion der Verletzung erfolgt zunächst die Durchblutungskontrolle. Ist
tionsmöglichkeiten inklusive der Weichteildeckung zu
der Puls nicht sicher palpabel, so wird der Status dopplersono­
planen.
graphisch erhoben. Unbedingt ist auch die Sensibilitätsprüfung vor
Ziele einer vorausschauenden Planung der operativen Versorgung einer evtl. geplanten Intubation durchzuführen.
ist die Wiederherstellung der Handfunktion oder der Erhaltung ei- Die Anamnese schließt Alter, Beruf, Freizeitinteressen, Zusat-
ner Residualfunktion der Hand sowie bei Bedarf die Schaffung güns­ zerkrankungen, Medikamente, Allergien und andere Faktoren, wie
tiger Voraussetzungen für eventuelle Zweiteingriffe. z. B. Nikotinkonsum ein.
Der Patient ist in diese Überlegungen so weit wie möglich
> Immer ist auch der genaue Unfallhergang und -mechanis­
einzubeziehen und umfassend über den möglichen Gewinn, aber
mus (z. B. sollten bei Quetschtrauma durch Walzen der
auch die Risiken des weiteren Vorgehens aufzuklären.
Anpressdruck und Walzenabstand dokumentiert werden;
. Abb. 56.3) zu erheben, da das Ausmaß des Gewebs­
traumas die weitere Therapie und Prognose wesentlich
56.3.2 Chirurgisches Prozedere beeinflussen kann.
Das chirurgische Vorgehen kann in Abhängigkeit vom Befund als
! Cave
Flussdiagramm dargestellt werden (. Abb. 56.2). Es unterteilt sich in
Die operative Versorgung von Extremitätenverletzungen
mehrere Schritte:
darf das Leben des Patienten auf gar keinen Fall weiter
gefährden. Die Operationszeit ist möglichst gering zu
1. Akutbehandlung/Schockraummanagement
halten, eine schnelle Amputation kann in solchen Fällen
Die chirurgische Erstbehandlung beginnt mit:
besser sein als der langwierige Versuch des Extremitäten­
4 Bewertung der Verletzung und möglicher Zusatzverletzungen
erhalts.
(ABC-Regel, Ausschluss von Lebensgefahr und Beteiligung von
Sinnesorganen, v. a. Augen und Ohren).
4 Stillung akuter Blutungen (durch Druckverband, in der Regel 2. Chirurgische Wundreinigung/Débridement
kein Abklemmen von Gefäßen). Beim Débridement komplexer Handverletzungen gelten folgende
4 Reposition knöcherner Fehlstellungen. Prinzipien:
4 Kontrolle des Tetanusschutzes, ggf. Auffrischung oder Impfung, 4 Exzision der Wunde und aggressives Débridement von nekro-
Antibiotikagabe. tischem und ischämischem Gewebe, v. a. Muskulatur.
4 Kühlung von devaskularisiertem Gewebe (Belassung von intak- 4 Erhalt kritischer Strukturen (Nerven, Sehnen und Arterien).
ten Hautbrücken, bei Ischämie evtl. Anlage eines temporären 4 Präparation in Blutleere.
Gefäß-Shunts). 4 Markierung wichtiger Strukturen wie z. B. Nerven, Gefäße und
Sehnen für eventuelle sekundäre Rekonstruktionen.
520 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

56

. Abb. 56.2 Flussdiagramm Chirurgisches Prozedere bei komplexer Handverletzung

> Bei Amputationen sollten im Rahmen des initialen Débri­ teilschaden vorliegt, der präoperativ aber in den meisten Fällen un-
dements gut erhaltene und vaskularisierte Gewebeanteile terschätzt wird.
(»spare parts«, z. B. Knochen, Sehnen, Nerven- oder Gefäß­
> Ist das genaue Ausmaß der Gewebeschädigung voraus­
interponate) immer für den Gebrauch bei der Rekonstruk­
sichtlich größer als in der Initialsituation absehbar, erfolgt
tion oder zur Weichteilbedeckung (Filet-Lappen, Haut­
zunächst nur eine provisorische Deckung.
transplantate) erhalten werden.

Vom Gesunden her beginnend werden zunächst die funktionellen 3. Rekonstruktion von Knochen und Gelenken
Strukturen dargestellt, meist ist eine Schnitterweiterung nach distal Die Stabilisierung der knöchernen Verletzungen erfolgt in der Regel
und proximal notwendig. mit einer einfachen, schnellen und wenig traumatisierenden Metho-
Das Ausmaß des notwendigen Débridements ist bei Quetschun­ de, also Kirschner-Draht oder Fixateur externe, seltener mit Platte-
gen oder Kontusion (»crush injuries«) der Hand oft schwer zu beur- nosteosynthese (. Übersicht).
teilen. Die Wundbeurteilung kann insbesondere bei geschlossenen
Verletzungen kompliziert sein, weil hier oft ein erheblicher Weich-
56.3 · Therapeutisches Vorgehen
521 56

a b

c d

e f

. Abb. 56.3 Versorgung einer komplexen Quetschverletzung durch Wal- Langfinger durch gestielten Leistenlappen (c) . Nach Einheilung und Ab-
zenpresse mit dorsalseitiger und palmarseitiger Weichteilzerstörung der trennung des Lappenstiels zunächst Konsolidierung (d) und abschließende
Langfinger (a, b) . Knochen und Weichteilrekonstruktion des 4. und 5. Fin- Separation der Einzelfinger im Sinne einer Syndaktylietrennung (e) mit
gers sowie des Daumens und Defektdeckung der knöchern erhaltenen exzellentem funktionellem und ästhetischem Ergebnis (f)

Wichtige Strategien bei der Versorgung knöcherner Verletzungen


4 Darstellung der Fraktur mit minimaler Wundvergrößerung und 4 Akkurate anatomische Rekonstruktion von Frakturen unter
ohne Zerstörung des Periosts spezieller Berücksichtigung von Gelenkflächen
4 Maximaler Längenerhalt; Knochenkürzung nur, wenn zum 4 Überbrückung von Defektstrecken mit Fixateur externe oder
primären Weichteilverschluss oder zur Knochen- und Nerven- Platte, insbesondere bei monokortikalen Defekten
rekonstruktion unbedingt notwendig 4 Aufwendige knöcherne Rekonstruktionen, z. B. mit Becken-
kammspan werden meist sekundär durchgeführt
522 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

Bei der knöchernen Stabilisierung empfiehlt sich der Gebrauch


von möglichst minimalinvasiven Implantaten, die eine frühe Rekonstruktion von Gefäßverletzungen
übungsstabile Bewegungstherapie ermöglichen. Beispiele hierfür 4 Anlage von temporären Shunts bei kritischer Ischämie
sind: 4 Präparation von Gefäßen mit mikrochirurgischen Instru-
4 Radius-/Ulnaplattenosteosynthese, menten unter Sicht in Blutleere
4 Herbert-Schraube, Stabilisierung mit Kirschner-Drähten, Zug- 4 Einsatz des Fogarthy-Katheters proximal und distal der
gurtung, K-Drähte und Cerclage. Gefäßverletzungen
4 Ossa-metacarpalia-Miniplattenfixation zur frühen Mobilisie- 4 Rückkürzung von Gefäßen bis zum Erreichen von gesun-
rung. dem, nicht verletztem Gewebe (Cave: Intimaschäden bei
Avulsionsmechanismus)
> Unbedingt notwendig ist der Ausschluss von Zusatzverlet­ 4 Regelmäßige Spülung der Gefäße mit Heparinlösung
zungen, indem das Handgelenk oder die Finger unter dem (10 µ/ml)
Bildwandler durchbewegt werden, um z. B. übersehene 4 Gefäßnähte unter dem Mikroskop, möglichst außerhalb der
Bandverletzungen oder Luxationen aufzudecken. Verletzungszone
4 Zum Längengewinn:
Bei einer perilunären Luxationsfraktur sollten immer eine offene – Ligatur oder Abtrennung von Seitenästen
Reposition und Versorgung der Bandstrukturen, v. a. des SL-Bandes, – Interposition von Venentransplantaten (in umgekehrter
mit Bandnähten erfolgen. Flussrichtung)
Bei Gelenkdestruktionen ist oft eine primäre Arthrodese in ent- 4 Venentransplantate werden möglichst außerhalb der
56 sprechender Funktionsstellung des betroffenen Gelenkes ratsam. Ist Ver­letzungszone eingebracht und vorher aufgedehnt
nur eine Gelenkfläche betroffen, kann eine Interpositionsarthro­ 4 Rekonstruktion möglichst beider Gefäßstämme der
plastik mit gelenknahen Bandstrukturen bei Fingergelenken z. B. A. radialis und der A. ulnaris
mit der palmaren Platte durchgeführt werden.

4. Sehnennaht und -rekonstruktion Bei Makroreplantationen ist zunächst die Revaskularisierung vordring-
Bei der Wiederherstellung von Sehnenfunktionen gelten die in der lich, noch vor Sehnen- und Nervennähten. Gequetschte oder ausgeris-
. Übersicht dargestellten Richtlinien. sene Gefäße müssen bis hinter die Kontusionszonen gekürzt werden.
Zur Venenentnahme für langstreckige Defekte eignet sich die V. saphe-
na magna zur Interposition, sonst Venen vom Unterarm. Zu einer Re-
Wiederherstellung von Sehnenfunktionen
vaskularisi erung proximal der Hand gehört meist auch die Kom-
4 Exzision von gequetschten Handbinnenmuskeln (v. a. partmentspaltung zur Verhinderung eines Kompartment­syndroms
Mm. interossei und lumbricales) zur Vorbeugung einer infolge der Reperfusion. Es versteht sich von selbst, dass eine arterielle
späteren ischämiebedingten Kontraktur Revaskularisation nur bei gesichertem venösem Abfluss sinnvoll ist.
4 Möglichst Naht der oberflächlichen und tiefen Fingerbeu- Wenn möglich und sinnvoll, sollte bei Makroreplantationen im-
ger, sonst nur der tiefen Fingerbeuger mer der Versuch der Revaskularisation unternommen werden. Bei
4 Rekonstruktion und Naht der A2- und A4-Ringbänder, um der Indikationsstellung ist hierbei immer das zu erwartende funk­
Bogensehnenphänomen zu verhindern tionelle Ergebnis in Betracht zu ziehen, auch vor dem Hintergrund
4 Bei Bedarf primäre Tenodese oder Sehnentranspositions­ des Alters, des Berufes und der Hobbys des Patienten.
operation Bei komplexen Amputationsverletzungen, z. B. von mehreren
4 Spätrekonstruktion mittels Tenolyse, Sehnentransposi- Fingern und des Daumens, kann auch eine extraanatomische Re-
tion, -transplantation oder funktioneller Muskeltransplan­ konstruktion durch heterotope Replantationen erfolgreich sein, etwa
tation beim Daumenersatz durch einen Finger.
> Bei Replantationen ist immer mit dem funktionell wich­
tigsten Amputat zu beginnen.
Sehnennähte werden, wenn möglich, primär durchgeführt. Die
ober­flächlichen Beugesehnen können als Spender genutzt werden. Bei Replantationen ist die spätere Funktionalität entscheidend. Kno-
Bei langstreckigen Ausrissen wird meist eine sekundäre Rekon- chen und Sehnen sollten entsprechend gekürzt, Nerven versorgt und
struktion mit Silastik-Stabeinlage und späterer Sehnentransplanta- Osteosynthesen ohne Achs- oder Rotationsfehler ausgeführt wer-
tion (z. B. der PL-Sehne) durchgeführt. Die verletzten Strukturen den, da bei sekundären Korrekturen ein hohes Risiko für Durchblu-
müssen aber bei der Erstversorgung identifiziert und zugeordnet tungsstörungen bis zum sekundären Verlust besteht.
werden.
6. Nervenrekonstruktion
5. Versorgung von Gefäßverletzungen Die Nervenrekonstruktion findet meist als letzter Operationsschritt
Wichtige Gesichtspunkte bei der Rekonstruktion von Gefäßverlet- vor der Weichteildeckung statt (. Übersicht).
zungen, die meist erst nach der Versorgung von Knochen- und Seh-
nenverletzungen stattfindet, sind in der . Übersicht dargestellt.
Nervenrekonstruktion
4 Rückkürzung des Nervs, bis gesunde Faszikelstrukturen
sichtbar werden
4 Epineurale Nervennaht unter dem Mikroskop
4 Nervennaht stets ohne Spannung
56.4 · Revaskularisation und Replantation
523 56
Eine Spannungsverminderung kann durch Beugung angrenzender Defekte im Bereich des distalen Unterarms werden häufig mit
Gelenke, Verlagerung des Nervs (z. B. Ventralisierung des N. ulna- Leistenlappen, Grazilislappen, Latissimuslappen, lateralem Ober-
ris) oder Einbringung eines Nervenkonduits bei kleiner Defektstre- armlappen, ALT-Lappen (als Faszienlappen mit Spalthaut oder mit
cke erreicht werden, ansonsten ist ein Nerveninterponat (N. suralis, Hautinsel) gedeckt.
sensible Unterarmnerven) notwendig.
! Cave
Ist die Nervennaht primär spannungsfrei nicht möglich, werden
Bei der Planung von mikrochirurgischen Lappentransplan­
die Nervenstümpfe mit 4-0-Prolene markiert. Die Nervenrekons­truk­
tationen nach Ausrissverletzungen ist Vorsicht geboten,
tion erfolgt nach Konsolidierung der Wundverhältnisse sekundär.
weil okkulte Gefäßverletzungen und Intimaeinrisse früh­
zeitige mikrochirurgische Lappentransplantationen schei­
7. Weichteilbedeckung
tern lassen können.
Die abschließende Weichteildeckung sollte niemals erzwungen wer-
den (. Übersicht), bei Bedarf kann ein temporärer Wundverschluss
mit Epigard erfolgen oder eine Vakuumversiegelung durchgeführt 8. Postoperative Behandlung, Rehabilitation
werden. Der operativen Versorgung schließt sich meist eine Immobilisierung
mit Schienung an. Diese erfolgt meist in Neutralposition oder Exten-
sion des Handgelenks, Flexion der MCP-Gelenke, Extension der
Weichteildeckung IP-Gelenke (Intrinsic-plus-Stellung zur Minimierung von Kontrak-
4 Grundsätzlich sollte ein primärer Weichteilverschluss an­ turen). Eine möglichst frühe und intensive Nachbeübung soll das
gestrebt werden. Gleiten der Gewebeschichten optimieren.
4 In Ausnahmefällen erfolgt ein definitiver Weichteilver- Zur Prophylaxe und Kontrolle von Ödemen (mit Gefahr der
schluss erst bei stabiler Wundsituation, evtl. nach wieder- Gewebeverklebung durch Lymphstau) erfolgen konsequente Hoch-
holten Débridements, bis dahin Schutz der Wunde vor lagerung, Lymphdrainage, intensive Krankengymnastik mit ziel­
Austrocknung orientierter Therapie (Ergotherapie).
4 Wundkonditionierung zwischenzeitlich evt. mit VAC Auch an die Notwendigkeit einer psychologischen Mitbehand­
(kontraindiziert bei Infekt oder anhaltender Blutung) lung und sozialen Unterstützung des Patienten muss nach einer
4 Bewegliche Gelenke und Sehnen sollten möglichst mit komplexen Handverletzung immer gedacht werden.
gut vaskularisiertem, dünnem und dehnbarem Gewebe
(Lappenplastiken) bedeckt werden 9. Sekundäreingriffe
4 Weichteildeckung über palmaren, druckbelasteten Flächen Zunächst sollten Eingriffe durchgeführt werden, die eine postopera-
sensibel und mit geringen Scherkräften tive Immobilisation erfordern:
4 Freiliegende Nerven oder Gefäße müssen primär durch 4 Knochentransplantationen,
lokale Lappenplastiken oder gestielte Fernlappen, in Einzel­ 4 Korrekturosteotomien/Gelenkrekonstruktionen,
fällen auch durch mikrochirurgische Gewebetransplanta­ 4 Nerventransplantationen,
tionen, gedeckt werden 4 sensible Rekonstruktionen,
4 Bedeckung aller »weißen Strukturen« (Sehnen, Knochen, 4 Muskeltranspositionen/funktionelle Muskeltransplantationen,
Ligamente, Gelenke) ebenso mit einer Lappenplastik 4 Weichteilrekonstruktionen,
4 Verletzungen der Fingerkuppen ohne freiliegenden Kno- 4 Zehentransplantationen.
chen heilen durch sekundäre Wundheilung (Folienverband)
4 Für größere, nicht komplizierte Defekte eigenen sich oft Erst danach erfolgen Eingriffe, die eine frühe Mobilisierung erfordern:
Hauttransplantation (Vollhaut bei kleinen Defekten, Druck- 4 Tenolysen,
arealen oder wenn bewegliche Bedeckung notwendig ist), 4 Kapsulotomien,
bei Lappenplastiken besonders Faszienlappen mit zusätz- 4 Kontrakturauflösungen.
licher Spalthauttransplantation
56.4 Revaskularisation und Replantation
Bewährte gestielte Lappenplastiken (7 Kap. 54) bei Finger-, Hand- Definitionen. Die Begrifflichkeit ist in . Tab. 56.1 erläutert.
und Handgelenkswunden sind der Moberg-Lappen, Cross-finger- Erst die Entwicklung mikrochirurgischer Techniken hat die
Lappen, intrinsische Handlappen, Leistenlappen und radialer Un- Wiederherstellung von teilweise oder komplett abgetrennten Kör-
terarmlappen. perteilen, speziell der Hand, möglich gemacht. Mit diesen Techniken
Beim radialen Unterarmlappen kann ein reiner Faszienlappen kann oft auch bei schwersten Fällen eine gebrauchsfähige Handfunk-
gehoben werden, der dann mit Spalthaut bedeckt wird. Beim Leis­ tion erreicht werden. Die Handfunktion und daraus folgend die Au-
tenlappen kann die Faszie des M. sartorius eingeschlossen werden, tonomie des Patienten kann u. U. schon bei wesentlich geringerem
um ein Abknicken (»kinking«) des Gefäßstiels zu vermeiden. Die Verletzungsausmaß stark eingeschränkt sein.
sensiblen Nervenäste des N. cutaneus femoris lateralis können er­ Die routinemäßige Anwendung der Mikrochirurgie bei der Ver-
halten und mikrochirurgisch angeschlossen werden. In der Regel sorgung von Amputationen hat zu einer Steigerung der Überlebens-
erfolgt die Stielabtrennung nach etwa 2 Wochen, die endgültige Lap- raten replantierter Extremitätenteile auf >80% geführt, aber auch zu
peneinpassung nach 3 Wochen. einer kritischeren Beurteilung der hierbei erzielten funktionellen Er-
Aufgrund der eingeschränkten Mobilität ist eine Thrombose- gebnisse als in der Anfangszeit. Kriterium für einen Erfolg ist an erster
prophylaxe (Cave: Lungenembolie!) notwendig. Stelle der tatsächliche praktische Gebrauchswert der rekonstruierten
Häufig sind später mehrere Ausdünnungsoperationen zur Lap- Hand einschließlich ihrer Sensibilität. Jedoch kann auch bei geringer
penkonturierung notwendig, außerdem über lange Zeit eine inten- Funktionswiederkehr der Aspekt der wiederhergestellten Körperinte-
sive Übungstherapie, um eine Einsteifung zu vermeiden. grität für manche Patienten eine solche Operation rechtfertigen.
524 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

Bei einzelnen Langfingern spielt nicht so sehr der funktionelle, son-


. Tab. 56.1 Definitionen dern eher der kosmetische Aspekt eine Rolle für die Entscheidung
für oder gegen eine Replantation. Übt der Patient seine berufliche
Komplexe Mehrere funktionelle Strukturen der Extremität Tätigkeit ganz überwiegend im Freien aus, ist er mit einer guten
Verletzung (wie Nerven, Sehnen und Knochen) sind ver-
Stumpfversorgung nach Verletzung einzelner Langfingern häufig
letzt, die Durchblutung ist aber noch erhalten
besser versorgt als mit einem (kälteempfindlichen und bewegungs-
Subtotale Komplexe Verletzung mit Unterbrechung der eingeschränkten) replantierten Fingerteil.
Amputation Blutzufuhr, ohne deren Wiederherstellung es Vorerkrankungen oder Begleitverletzungen des Patienten dür-
zwangsläufig zu einem Absterben der betroffe- fen die Eignung für eine mehrstündige Operation nicht einschrän-
nen Gliedmaße kommen würde ken. Auch wenn das Alter keine generelle Kontraindikation zur
Amputation Verletzungen, bei denen die verletzte Extremi- Replantation ist, so müssen doch verminderte Wundheilung und
tät vollständig vom Körper abgetrennt ist Nervenregeneration in Betracht gezogen werden sowie die Tatsache,
dass sich eine lange und intensive Physio- und Ergotherapie an-
Revaskularisation Wiederherstellung der Durchblutung bei sub­
totaler Amputation
schließen.

Replantation Wiederherstellung eines vollständig abgetrenn-


ten Körperteils 56.4.2 Präoperatives Vorgehen
Transport des Amputates
56 Hohe Erfolgsaussichten für eine erfolgreiche Replantation von Amputate sollten am Unfallort gesucht und geborgen werden (bei
Händen und Fingern wurden erst durch die Einführung von immer Mehrfingeramputationen müssten sich genauso viele Amputate wie
leistungsfähigeren Operationsmikroskopen möglich. Zusätzlich war Stümpfe auffinden lassen).
auch die Entwicklung spezieller mikrochirurgischer Instrumente Das Amputate sollte vorsichtig gesäubert und anschließend ge-
notwendig. kühlt, auf gar keinen Fall jedoch auf Eis transportiert werden. Die
ideale Temperatur liegt bei etwa bei 4°C. Zum eigentlichen Trans-
port eignet sich eine Konstruktion aus einem Beutel, in dem das
56.4.1 Indikationsstellung Amputat trocken ruht und der in einem äußeren Beutel steckt, der
mit Eiswasser gefüllt ist. Notfalls kann eine feuchte Kompresse ver-
Häufig ist es auch mit großer Erfahrung nicht einfach, die Indikation wendet werden. Keinesfalls soll das Amputat nass werden oder gar
für oder gegen eine Replantation (. Übersicht) zu stellen. Die Ent- mazerieren (→ Aufquellen der Gefäße → erheblich erschwerte oder
scheidung für eine Replantation setzt die Vorhersage der zu erwar- sogar unmögliche Replantation).
tenden Funktion voraus, die mindestens gleich gut oder besser sein
> Grundsätzlich sollte sich der Chirurg bei Eintreffen der
sollte als mir einer prothetischen Versorgung. Die Replantation darf
Meldung von der Unfallstelle von der adäquaten Handha­
keinesfalls zu einer Beeinträchtigung der Einsatzfähigkeit – beson-
bung des Amputates telefonisch überzeugen. Transport
ders im Hinblick auf den Beruf des Patienten – führen.
und Aufbewahrung können den Erfolg der Replantation
entscheidend beeinflussen.
Indikationen zur Replantation Der Zustand des Amputates muss als nächstes auf seine Replantier-
4 Absolute Indikationen barkeit beurteilt werden hinsichtlich
– Amputationsverletzung bei Kindern 4 Ischämiezeit (. Tab. 56.2),
– Amputationen an Handgelenk oder Unterarm, Ellbogen 4 Amputationshöhe,
oder oberhalb des Ellbogens (bei scharfen Amputationen 4 Amputationsart.
und intaktem Amputat)
– Amputation der Mittelhand Ischämiezeiten
– Amputation des Daumens Tolerable Ischämiezeiten sind in . Tab. 56.2 dargestellt.
– Amputation bei gleichzeitiger schwerer Verletzung meh-
rerer Langfinger Amputationsart und -höhe
– Amputation mehrerer Langfinger Glatt begrenzte Abtrennungen (»wie mit der Guillotine«) ohne Ge-
4 Relative Indikationen lenkbeteiligung sind ideal geeignete Verletzungsmuster für eine Re-
– Einzelne Langfinger mit zerstörten Grund- oder Mittel­ plantation. Bei Extremitätenamputationen sind jedoch Quetsch-,
gelenken Avulsions- oder Ausrissverletzungen (z. B. bei Trauma durch Kreis-
– Isolierte Langfinger bei intakten Nachbarfingern säge) häufiger, die das chirurgische Management und die Erfolgsaus-
(Ausnahme: besondere Funktion/beruflicheTätigkeit) sichten deutlich schmälern.
– Einzelne Fingerendglieder
4 Kontraindikationen
– Vital bedrohliche Zusatzverletzung(en) . Tab. 56.2 Tolerable Ischämiezeiten von Amputaten
– Amputat ist nicht zu verwenden (unsachgemäße Behand-
lung bei Asservierung/Transport bzw. Zerstörung) Amputat Beispiel Ungekühlt Gekühlt (+4°C)
– Amputation distal des DIP-Gelenkes (Nagelwurzel)
– Patient lehnt Replantation ab Ohne Muskulatur Finger 8–12 h ≤24 h
– Mehretagenverletzung
Mit Muskulatur Arm 4–5 h ≤8 h
56.4 · Revaskularisation und Replantation
525 56

a b

c d

. Abb. 56.4 Ausrissamputation der Hand durch Fleischwolf (a, b). Replan- Revaskularisierung mittels Veneninteponaten sowie knöcherne Stabilsie-
tation unter knöcherner Verkürzung durch Resektion der durch Quetschung rung durch Fixateur externe (d)
zerstörten proximalen Handwurzelreihe (c). Durchblutetes Replantat nach

> Wegen der hohen funktionellen Wertigkeit des Daumens enten unterschätzen. Gegebenenfalls können nur die am geringsten
ist dessen Replantation in der Regel immer anzustreben, verletzten Finger replantiert werden, und zwar heterotop auf die am
selbst bei Avulsions- oder stark frakturierten knöchernen wenigsten verletzten Teile der Hand bzw. in die funktionell beste
Verletzungen, die eine deutliche Kürzung bedeuten, sowie Position. Die Mittelfinger- und die Ringfingerposition sind in dieser
bei Notwendigkeit von Venen- und Nerventransplantaten. Situation oft die funktionell am besten geeigneten Positionen.
Wenn sowohl der Daumen als auch der Zeigefinger amputiert
Gerade bei proximalen Amputationen des Daumens bedeutet jeder sind und der Daumen zu stark gekürzt werden müsste, erbringt u. U
Zentimeter zusätzliche Länge einen Gewinn für die Handfunktion. eine Versetzung des Zeigefingers auf den Daumenstumpf ein funk-
Bei stark verletzten palmaren Gefäß-Nerven-Bündeln bietet sich ge- tionell besseres Resultat als der Erhalt des Daumens.
rade am Daumen eine Revaskularisierung mit einem langen Venen- Erfolgreiche Replantationen bei transmetakarpalen Amputa­
interponat auf die A. radialis oder die A. princeps pollicis an. tionen oder auch Amputationen auf Höhe des Handgelenks
Multiple Fingeramputationen sind ebenfalls immer Indikatio­ (. Abb. 56.4) und des Unterarms (. Abb. 56.5) zeigen i. Allg. bessere
nen für eine Replantation. Häufig ist es aufgrund des Verletzungs- Ergebnisse im Vergleich zur Prothesenversorgung.
musters nicht möglich, alle Finger zu replantieren, auch darf man Die Sensibilität ist nach Replantation ist zwar deutlich ver­
weder die Dauer des Eingriffs noch die Begleitmorbidität des Pati- mindert, reicht aber aus für eine suffiziente Schutzfunktion. Eine
526 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

a b

56

c b

. Abb. 56.5 Amputation durch Seilwinde (a). Replantation des Unter- zung (b, c). Funktionsergebnis nach sekundärer Weichteilrekonstruktion
arms unter Resektion nekrotischer Unterarmmuskulatur und Knochenkür- durch freien Latissimuslappen (d)

zufriedenstellende Handfunktion wird durch die extrinsische Un­ Amputationsverletzungen bei Kindern
terarmmuskulatur gewährleistet. Die intrinsische Handfunktion ist Die Replantation nahezu aller amputierten Extremitäten sollten bei
leider oft unzureichend. Kindern versucht werden. Das Epiphysenwachstum setzt sich i. Allg.
Die Gebrauchsfähigkeit der Hand reduziert sich bei weiter pro- uneingeschränkt fort, und die Sensibilität ist wesentlich besser als bei
ximal gelegenen Amputationen zunehmend. Wegen der nur lang- Erwachsenen. Von einem guten Gebrauch der replantierten Körper-
samen Regeneration der Nerven (täglich ca. 1 mm) und der zu teile kann ausgegangen werden.
überwindenden Strecke von 40–80 cm ist nicht mit einer Funktion
der intrinsischen Handmuskulatur zu rechnen. Die Umwandlung Ringavulsionsverletzungen
einer Amputation oberhalb des Ellbogens in eine Amputation un- Eine besondere Entität stellen Ringavulsionsverletzungen dar. Es
terhalb des Ellbogens stellt jedoch bereits einen erheblichen Ge- existieren verschiedene Klassifikationen von Ringavulsionsverlet-
winn dar. zungen, von denen die Einteilung nach Urbaniak am gebräuch-
Gerade bei der Abwägung für oder gegen eine Makroreplanta­ lichsten ist (. Tab. 56.3).
tion sind die zu berücksichtigenden Faktoren: Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Replantation
4 Ischämiezeit (ca. 6–8 h, je nach Kühlung; . Tab. 56.2), bei Avulsionsverletzungen sind:
4 Replantationseignung des Amputats, 4 Amputationshöhe distal des Ansatzes der FDS-Sehne,
4 Gesundheitszustand des Patienten, 4 vollständige Intaktheit des PIP-Gelenks,
4 Alter. 4 keine weiteren Verletzungen des Grundgliedes.

Postoperativ können die Patienten durch Schmerzen und durch Die Gefäße sind immer ausreichend zurückzukürzen. Gegebenen-
Verletzungen an den distalen asensiblen Anteilen der replantierten falls muss auf Venen- und Nerveninterponate zurückgegriffen wer-
Extremität in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt sein. den.
56.4 · Revaskularisation und Replantation
527 56
teams mit den Amputaten in den Operationssaal. Hier werden die
. Tab. 56.3 Einteilung der Ringavulsionsverletzungen Amputate vorsichtig gereinigt und weiterhin kühl gelagert.
nach Urbaniak Bei Fingern werden durch mitseitliche Inzisionen und unter Lu-
penbrillenvergrößerung die Nerven und die begleitenden palmaren
Grad Kennzeichen Gefäße aufgesucht. Nach dem Identifizieren der Strecksehne Anhe-
ben der streckseitigen Haut und Darstellung der Venen. Spülen von
1 4 Durchblutung des Fingers distal der Verletzung ist
erhalten
Arterien und Venen mit Liquemin. Sind die Venen initial schwer
4 Einfache Weichteilversorgung auffindbar, kann das Anspülen der Arterien hilfreich sein. Sind die
4 Einfache Ostesynthese ist ausreichend Venen auch dann nicht zu identifizieren, kann man warten, bis die
erste arterielle Anastomose genäht ist, um dann den venösen Rück-
2 Durchblutung ist gestört (→ Notwendigkeit der Rekons­
strom zu identifizieren: Dieses Vorgehen kann aber am Ende der
truktion entweder der Arterien oder der Venen oder bei-
Operation sehr mühsam sein.
der), aber keine vollständige Amputation
Nun werden alle Strukturen (Nerven, Arterien und Venen) mit
3 4 Vollständige Avulsion mit Amputation und Fraktur im Mikroclips oder mit 9-0-Fäden markiert. Das Markieren der Gefäße
Mittelglied oder Endgelenk und Nerven in dem noch unblutigen Operationsfeld ist im weiteren
4 Ausriss der funktionellen Strukturen Verlauf häufig sehr hilfreich und zeitsparend, v. a bei Mehrfingerre-
4 3.-gradige Avulsionsverletzungen haben die
plantationen.
schlechteste Prognose (insbesondere proximal des
Nach Identifikation der Sehnen wird der Knochen mit der oszil-
PIP-Gelenks)
lierenden Säge begradigt. Sind PIP- oder DIP-Gelenk betroffen, wird
sofort durch entsprechendes Anschrägen die Arthrodese vorbereitet.
Zur Osteosynthese stehen verschiedene Verfahren zur Verfü-
56.4.3 Technische Voraussetzungen gung, allerdings sollten sie möglichst zeitsparend durchgeführt wer-
zur Replantation den können und ohne zusätzliche Verletzung der dorsalen Struk-
turen einhergehen. Nach unserer Erfahrung sind Osteosynthesen
Lupenbrille. Alle beteiligten Operateuren und Assistenten sollten mit einem Kirschner-Draht der Stärke1,0 oder 1,2 mm und eine
Lupenbrillen mit einer 3,5- bis 4,5-fachen Vergrößerung mit einem transossäre Drahtnaht geeignet. Dass in das Amputat ein doppelt
Arbeitsabstand von 35–45 cm tragen. angespitzter K-Draht vorgebohrt werden und bereits der distale An-
teil der Cerclage vorgelegt werden kann, sind weitere –zeitsparende
Operationsmikroskop. Unabdingbar ist ein Operationsmikroskop – Vorteile.
mit ≥20-fachen Vergrößerung. Vergrößerung, Fokus und Verstel-
lung können per Hand oder über einen Fußschalter betätigt werden. Team 2. Der andere Teil des Teams bereitet den Patienten vor. Nach
Im Idealfall besitzt das Mikroskop 2 gegenüberliegende Okulare, die kurzer Anamnese (Beruf, Alter, Begleiterkrankungen, Nikotinkon-
die Sicht auf das gleiche Operationsfeld durch Operateur und Assis­ sum, Ausschluss von Begleitverletzungen) Aufklärung des Patienten
tenten ermöglichen. über die Erfolgsaussichten der Operation.
Die Anlage eines Plexuskatheters ist bei Amputationsverletzun­
Instrumente. Besonders feine Mikroinstrumente mit Pinzettenspit- gen für eine perioperative Sympathikolyse und das postoperative
zen von 0,2–0,3 mm Stärke sind für Replantationen eine Grundvo- Management wichtig. Längere Operationen erfordern zusätzlich
raussetzung. Weitere wichtige Hilfsmittel sind Juwelierpinzetten und später evtl. eine Intubationsnarkose. Bei einem intubierten Patienten
Pinzetten mit beschichteten Spitzen zum besseren Fassen der Fäden, kann jedoch kein Plexuskatheter gelegt werden oder nur mit Hilfe
entsprechend feine Nadelhalter, Mikrospülung und ggf. ein Mikro- eines Neurostimulators, wobei das resultierende Zucken des Arms
dilatator. Die Länge der Instrumente ist auf die individuellen Vorlie- die Operation vorübergehend stark behindert.
ben des Operateurs abgestimmt. Nachdem der Patient im OP ist, beginnt Team 2 mit Lupenbril-
Bei Mikroreplantationen sollten nur Biemer-Klemmchen mit lenvergrößerung und unter Blutsperre mit der Präparation des
einem maximalen Federdruck von 30 g Verwendung finden. Spe­ Stumpfs. Genau wie am Amputat werden bei Fingeramputationen
zielle Mikroklips zur Präparation der Gefäße und eine Mikrobipo- am Stumpf mitseitliche Inzisionen gelegt und Nerven, Gefäße und
larpinzette mit idealerweise beschichteten Branchen der Größe Sehnen identifiziert und markiert. Die Identifikation der Finger­
0,2–0,4 mm sollten ebenfalls vorhanden sein. venen erfordert eine sehr subtile und geduldige Präparation. Der
Replantationserfolg hängt jedoch maßgeblich von der Zahl der ana-
Nahtmaterial. Das Nahtmaterial für Gefäße und Nerven sollte an stomosierten und durchgängigen Venen ab.
den Fingern 10-0, an der Mittelhand 10-0 oder 9-0 und proximal des
> Es kann hilfreich sein, eine bereits identifizierte Vene bis
Handgelenkes 8-0 sein. Auf jeden Fall findet monofiles, nicht resor-
zu ihren Aufzweigungen zu verfolgen und auf diese Weise
bierbares Nahtmaterial, entweder Ethilon oder Prolene o. Ä. Ver-
weitere Venen ausfindig zu machen.
wendung.
Da es sich bei Amputationsverletzungen meist um Finger- oder Mit-
telhandamputationen handelt, werden im Folgenden speziell diese
56.4.4 Chirurgisches Vorgehen Situationen beschrieben. Grundsätzlich gelten die gleichen Vorge-
hensweisen auch bei Makroreplantationen, allerdings ist hierbei
Sofort nach Eintreffen des Patienten mit seinem amputierten Köper- aufgrund der geringeren Ischämietoleranz die Wiederherstellung
teil in der Notaufnahme teilt sich das Replantationsteam auf. der Perfusion vorrangig.

Team 1. Nach einer initialen Röntgenuntersuchung der verletzten


Extremität und der Amputate gehen 2 Mitglieder des Replantations­
528 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

Reihenfolge des chirurgischen Vorgehens Methoden zur Osteosynthese bei Replantationen


bei der Replantation in der Regel 4 1 oder 2 längsverlaufende K-Drähte
1. Säubern und ausreichendes Débridement der Weichteile 4 1 längsverlaufender K-Draht und 1 kurzer querverkaufender
von Stumpf und Amputat K-Draht zur Sicherung der Rotationsstabilität
2. Aufsuchen und Markieren der Gefäße und Nerven 4 Gekreuzte K-Drähte
3. Débridement und ausreichendes Kürzen des Knochens, bei 4 Intramedulläre Schraube
Gelenkbeteiligung entsprechendes Anschrägen zur Vorbe- 4 Kleine H-Platte oder T-Platte
reitung der Arthrodese, Osteosynthese durch Vorlegen der 4 1 längsverlaufender K-Draht und zusätzlich 1 Cerclage zur
Cerclage und eines K-Drahtes vorbereiten Kompression
4. Osteosynthese (7 unten)
5. Extensor- und Flexorsehnennähte
6. Arteriennähte
7. Nervennähte All diese Methoden werden bei der Replantation angewandt. Die von
8. Venennähte uns bevorzugte Methode ist die Verwendung eines K-Drahts mit
9. Weichteilverschluss einer Cerclage. Cerclage und K-Draht können bereits vor der eigent-
lichen Replantation am Amputat vorbereitet werden. Dazu ist nur
eine minimale Freilegung des Knochens erforderlich, darüber hinaus
handelt es sich um ein schnelles Verfahren, und die für die Knochen-
56 Säubern und Débridieren von Stumpf und Amputat geht mit dem heilung notwendige Kompression kann leicht erzielt werden.
Aufsuchen der Gefäße Hand in Hand und erfordert eine ausrei- Abgesehen von der Plattenostosynthese, die jedoch mehr Zeit
chende Lupenvergrößerung. Auf die vollständige Entfernung allen beansprucht und eine Vergrößerung des Weichteilschadens mit sich
verschmutzten, gequetschten, nekrotischen oder bereits eingetrock- bringt, sind alle anderen Verfahren instabiler, meist nicht schneller
neten Gewebes muss sorgfältig geachtet werden. durchzuführen oder bringen nur eine ungenügende Kompression
Zu diesem Zeitpunkt müssen das Ausmaß der Läsion und des auf den Frakturspalt.
Intimaschadens der Arterien evaluiert und die Arterien weit genug
zurückgekürzt werden. Sollte ein Veneninterponat notwendig sein, Sehnennähte
kann rechtzeitig, also bereits während der Osteosynthese, durch das Strecksehnen. Nach der knöchernen Stabilisierung folgt zunächst
2. Team mit dem Heben der Venen begonnen werden. die Naht der Strecksehnen (7 Kap. 55.1). Um eine Adaptation mit
entsprechender leichter Vorspannung zu erreichen, muss die Länge
> Bei der Replantation mehrerer Finger ist es sinnvoller,
der Sehnen an die Länge des Knochens angepasst werden.
die einzelnen verletzten Strukturen nacheinander zu
Die Strecksehnen werden durch 2–3 U-Nähte mit 4-0 Prolene
versorgen, als einen Finger nach dem anderen zu replan­
versorgt. Bei Amputationen im PIP-Gelenk sollte die Naht der Sei-
tieren.
tenzügel der Strecksehne erfolgen, da sonst das Endgelenk bewe-
Kritische Punkte bei der Replantation sind knöchernes Débride- gungslos bleibt. Wenn durch starke Quetsch- oder Avulsionsverlet-
ment und Osteosyntheseverfahren. An Fingern und Mittelhand sind zungen eine Rekonstruktion des Streckapparates nicht möglich ist,
Kürzungen des Knochens von 0,5–1 cm, proximal des Handgelenks muss sekundär eine Endgelenkarthrodese durchgeführt werden.
von 2–4 cm üblich, abhängig natürlich von der Verletzungsart und
dem Ausmaß des Weichteilschadens. Beugesehnen. Der nächste Schritt sind die Beugesehnennähte
Ein spannungsfreier Weichteilverschluss mit Bedeckung der vi- (7 Kap. 55.2). Es sollte immer die primäre und endgültige Versor-
talen Strukturen ist für den Ausgang der Operation entscheidend. gung der Beugesehne angestrebt werden, denn im Bereich stärkster
Den Knochen um wenige Millimeter stärker zu kürzen und dafür Vernarbungen und in der Nähe von Arterien- und Nervennähten
eine spannungsfreie Gefäßanastomose und Nervenkoaptation mit bergen Sekundäroperationen immer ein hohes Risiko mit geringer
einem problemlosen Weichteilverschluss zu erkaufen, ist in jedem Aussicht auf Erfolg.
Fall die bessere Entscheidung. Natürlich dürfen dafür keine intakten Die oberflächliche Beugesehne braucht, je nach Amputationshö-
funktionellen Gelenke geopfert werden. he, nicht rekonstruiert zu werden. Da die tiefe und die oberflächliche
Sehne meist auf der gleichen Höhe durchtrennt wurden, sind Ver-
> Die Kürzung des Knochens sollte vorwiegend im Amputat
narbungen zwischen den Sehnen möglich mit in der Folge einer
erfolgen, um im Fall des Fehlschlagens möglichst viel Län­
schlechteren Beweglichkeit als bei einer alleinigen Rekonstruktion
ge am Stumpf zu bewahren.
der tiefen Beugesehne. Bei einer Arthrodese des PIP-Gelenkes kann
schon zur Zeitersparnis auf die Rekonstruktion der FDS-Sehne ver-
Osteosynthese zichtet werden. Abhängig vom Zustand der Sehnen ist es u. U. mög-
Es gibt eine Vielzahl von Methoden zur Osteosynthese bei Replan- lich, die proximale FDS- mit der distalen FDP-Sehne zu verbinden
tationen (. Übersicht). bei meist funktionell gutem Ergebnis.

Ringbandstrukturen. Die Ringbandstrukturen sollten identifiziert


und die Sehnen proximal und distal der Amputation unter mindes­
tens einem Ringband hindurch geführt werden (verhindert »bow­
stringing«). Mit 1er-Kanülen werden die Sehnen an den benachbar-
ten Ringbändern so fixiert, dass eine spannungsfreie Naht möglich
ist. Bei unserer favorisierten Technik (Kirchmeyer-Kessler) wird der
Knoten zentral in der proximalen Sehne versenkt.
56.4 · Revaskularisation und Replantation
529 56
Die Kernnaht erfolgt mit 4-0-Prolene, die überwendlich fortlau- 4 Einlage einer 18-er Vigo in eine dorsale Vene; alle 30–60 min
fende Naht mit 6-0-PDS. wird das venöse Blut abgelassen.
4 Regelmäßige Blutegeltherapie (7 Kap. 7).
Arteriennähte
Unter Mikroskopvergrößerung werden nun nochmals die Arterien Hautverschluss
überprüft, sodass eine Intimadissektion sicher ausgeschlossen ist Im Allgemeinen ist der Hautverschluss problemlos möglich. Druck
und unversehrte Arterienenden anastomosiert werden. Jetzt wird auf die Gefäße – auch durch Hautüberschuss – sollte vermieden wer-
die Blutsperre eröffnet. Bei sicher spritzendem Blutfluss aus dem den. Wenn Venen, Arterien und Nerven sicher bedeckt sind, kann
Stumpf darf mit der Arterienanastomose begonnen werden. Ist bei möglicherweise zuviel Druck auch auf den primären Verschluss
dies nicht der Fall, erfolgt eine vorsichtige Liqueminspülung der der mitseitlichen Inzisionen verzichtet werden. In dieser Situation
Arterie. Bei weiterhin ausbleibendem Erfolg wird der Patient lokal können Spalthaut oder Vollhautreste transplantiert werden. Sollte
gewärmt durch feuchte Bauchtücher. Der Blutdruck wird eingestellt ein spannungsfreier Verschluss nicht anders erreicht werden kön-
auf: nen, sind Hauttransplantate auch zur Deckung der Gefäße einsetz-
4 arterieller Mitteldruck 65–80 mm Hg, bar.
4 systolischer Blutdruck >100 mm Hg.
Verband
Führt auch dies nicht zum Erfolg, muss die Arterie meist weiter zu- Es werden Fettgazen und locker aufgelegte Kompressen verwendet.
rückgekürzt werden. Ein zirkulärer Verband darf nicht angelegt werden (→ Gefahr der
Stark zerstörte Gefäße können auch mit Veneninterponaten Einschnürung durch trocknendes Blut und Wundexsudat). Eine an-
überbrückt werden, am Daumen durch die A. princeps pollicis schließende großzügige Wattewickelung wärmt und polstert die
(End-zu-End-Naht) oder die distale A. radialis in (End-zu-Seit- Hand und reicht bei liegendem Plexuskatheter und entsprechend
Naht). Wenn an den Langfingern die Anastomose der gleichseitigen eingeschränkter aktiver Mobilisation der Hand aus. Es kann aber
Arterien nicht möglich oder erschwert sein sollte, kann auch die auch eine palmare Gipsschiene in Intrinsic-plus-Stellung angelegt
proximale radiale Arterie auf die distale ulnare Arterie und vice ver- werden.
sa anastomosiert werden.
> Versuche, das Amputat zu revaskularisieren, können mehr
Zeit benötigen als eine zweite Anastomose mit Venenin­
56.4.5 Postoperatives Management
terponaten.
Der präoperativ angelegte Plexuskatheter wird zur Kontrolle der
Bei Vorhandensein des notwendigen Blutflusses und glatten, gera- sympathischen Vasokompression und Optimierung der Durchblu-
den Absetzungsrändern der Gefäße (ohne dass die Adventitia in das tungssituation für 4–7 Tage belassen. Wegen der Gefühllosigkeit von
Lumen ragt) erfolgt die Anastomose mit 10-0- oder 9-0-Einzel- Hand und replantierten Fingern sollte Hand in Supinationsstellung
knopfnähten. gelagert werden. Die Hand sollte hoch gelagert werden, eine Kom-
pression muss dabei jedoch strikt vermieden werden. Bei problema-
Nervenkoaptation tischem arteriellem Einstrom muss die Hand etwas tiefer gelagert
Die Nervennaht erfolgt mit 10-0-Einzelknopfnähten, 2–3 Nähte ge- werden.
nügen. Eine spannungsfreie Koaptation ist in der Regel nach suffizi-
> Die Durchblutungssituation des Replantates kann beur­
enter knöcherner Amputatkürzung möglich. Die Nervenenden zu
teilt werden anhand von Hautkolorit, Fingertemperatur,
approximieren und nicht zu evertieren vermeidet Narbenbildungen
Turgor und Rekapillarisationszeit (am besten 1–2 s).
im Nahtbereich.
Bei problematischem Abfluss können über 3–4 Tage Blutegel
> Die Nervenrekonstruktion ist immer primär anzustreben.
(7 Kap. 7) eingesetzt werden.
Bei zu starker Spannung muss ein Nerveninterponat ver­
wendet werden. ! Cave
Der Zustand des replantierten Fingers oder der Hand kann
Venenanastomosen sich jederzeit abrupt ändern: Ein verminderter Abfluss,
aber auch ein verringerter arterieller Einstrom können jäh
Eine ausreichende venöse Drainage erfordert i. Allg. 2 Venen. Je
auftreten, eine initiale venöse Stauung kann zu verringer­
mehr venöser Abfluss, desto besser. Manche erfahrene Mikrochirur­
tem arteriellem Zustrom führen und umgekehrt.
gen führen die Venenanastomosen als dritten Schritt nach der Naht
der Strecksehnen durch mit den Vorteilen: Durchführung dieses
schwierigen Teils der Operation am Anfang/ausgeruht, außerdem Überwachung
bessere Übersicht vor Eröffnung der Blutsperre). Nach der Wieder- Regelmäßiges Monitoring ist in den ersten 3–4 Tagen unabdingbar.
herstellung der Perfusion können die maßgeblichen Venen leichter Einige technische Hilfsmittel können das Monitoring unterstützen:
erkannt werden. Temperatursonden und -kameras, Laserdoppler-Flussmessung,
Da die Venen subkutan stark miteinander vernetzt sind, kann konfokale Laser-Mikroskopie u.a. Die klinische Erfahrung ist aber
mittels Durchtrennen der Verbindungen Länge gewonnen werden. gerade bei Replantationen bisher nicht ersetzbar.
Ist ein suffizienter venöser Abfluss nicht sicherzustellen, gibt es
verschiedene Notlösungen: Revisionsoperation
4 Versuch der Anastomose von palmaren Venen (sind kleiner und Nach Fingerreplantationen sind Revisionen oft weder erfolgverspre-
dünnwandiger als die dorsalen Venen). chend noch –zumindest nach >4 Tagen – sinnvoll, da sich zu diesem
4 Bei gutem Rückfluss über eine Arterie Möglichkeit einer arte­ Zeitpunkt bereits erste neue Hautgefäße gebildet haben, die durch
riovenösen Anastomose. den Eingriff wieder zerstört werden.
530 Kapitel 56 · Komplexverletzungen, Revaskularisation und Replantation der Hand

56.5 Fazit
. Tab. 56.4 Chen-Klassifikation zur Beurteilung der funktionellen
Ergebnisse nach Replantation der oberen Extremität 4 Das direkt postoperative Ergebnis hängt ab von der Durchgän-
gigkeit der arteriellen und venösen Mikroanastomose.
Chen- Kennzeichen 4 Das funktionelle Gesamtergebnis – und dieses ist für den Patien­
Klassifikation
ten wesentlich – ist abhängig von der Funktion und Beschaffen-
I 4 Patient ist in der Lage, seine ursprüngliche
heit der Sehnen- und Nervennähte sowie der Osteosynthesen.
Arbeit wieder aufzunehmen Asensible oder funktionslose Extremitäten oder Finger, die vom
4 Bewegungsumfang übertrifft 60% des normal Patienten am Ende als störend empfunden werden, rechtfertigen
Möglichen nicht die i. Allg. langwierigen und aufwendigen Replantatio­nen.
4 Annähernd komplette Erholung der Sensibilität 4 Auch wenn ein Großteil der Plastischen Chirurgen ein mikro-
4 Muskelkraft Grad M4 chirurgisches Training erhalten hat, sollten Replantationen in
II 4 Patient ist in der Lage, einige nützliche Arbei-
entsprechenden Zentren, in denen mikrochirurgische Trai-
ten auszuführen ningsmöglichkeiten bestehen und regelmäßig solche Opera­
4 Bewegungsumfang übertrifft 40% des normal tionen stattfinden, durchgeführt werden.
Möglichen
4 Annähernd komplette Erholung der Sensibilität Literatur
4 Muskelkraft Grad M3 und M4 Biemer E, Duspiva (1980) Rekonstruktive Mikrogefäßchiurgie. Springer, Berlin
Heidelberg New York
56 III 4 Patient ist in der Lage, die Aufgaben des täg-
lichen Lebens zu bewältigen
Büchler U (1990) Traumatic soft-tissue defects of the extremities. Implications
and treatment guidelines. Arch Orthop Trauma Surg 109:321
4 Bewegungsumfang übertrifft 30% des normal
Buncke Jr HJ (2000) Microvascular hand surgery – Transplants and replants
Möglichen
– Over the past 25 years. J Hand Surg 25A: 415
4 Teilweise Erholung der Sensibilität
Campbell DA, Kay PJ (1996) The hand injury severity scoring system. J Hand
4 Muskelkraft Grad M3
Surg B 21:295
IV 4 Weitgehender Funktionsverlust der replan- Germann G, Levin S (1997) Intrinsic flaps in the hand: new concepts in skin
tierten Extremität coverage. Tech Hand Upper Extrem Surg 1:48
Germann G, Sherman R, Levin S (1999) Decision making in reconstructive
surgery. Springer, Berlin Heidelberg New York
Germann G, Karle B, Brüner S, Menke H (2000) Behandlungsstrategien bei
Antikoagulanzien komplexen Handverletzungen. Unfallchirurg 103:342–347
Kim JYS, Brown RJ, Jones NF (2005) Pediatric upper extremity replantation.
Es gibt weder ein einheitliches Schema für die Antikoagulation nach
Clin Plast Surg 32: 1
Replantation, noch existiert ein eindeutiger Vorteil bei einer der Me-
Kleinert HE, Jablon M, Tsai TM (1980) An overview of replantation and results
thoden: of 347 replants in 245 patients. J Trauma 29: 390
4 Vollheparinisierung, Lee BI, Chung HY, Kim WK et al. (2000) The effects of the number and ratio of
4 rheologisch wirksame Substanzen (Dextran, Aspirin, niedermo- repaired arteries and veins on the survival in digital replantation. Ann
lekulares Heparin). Plast Surg 44: 288
McCabe SJ, Breidenbach WC (1999) The role of emergency free flaps for hand
trauma. Hand Clin 15:275–288
56.4.6 Ergebnisbewertung Pederson WC (2001) Replantation. Plast Reconstr Surg 107: 823
Tamai S, Michon J, Tupper J et al. (1983) Report of the subcommittee on
replantation. J Hand Surg 8: 730
Die Beurteilung der funktionellen Ergebnisse zeigt . Tab. 56.4.
Weinzweig N, Sharzer LA, Startker I (1996) Replantation and revascularization
at the transmetacarpal level: Long-term functional results. J Hand Surg
21: 877
56.4.7 Komplikationen

Typische Komplikationen nach Revaskularisation und Replantation


sind in der . Übersicht dargestellt.

Komplikationen nach Revaskularisation und Replantation


4 Reamputation bei Ischämie oder funktioneller Behinderung
4 Bewegungsdefizite
4 Bewegungsstörungen, z. B. Quadriga-Effekt
4 Kälteempfindlichkeit, die jedoch primär von der Art der Ver-
letzung abhängig ist und auch nach Stumpfversorgung auf-
treten kann
4 Nagelwachstumsstörungen
4 Stumpfneurome
57

Infektionen der Hand


S. Schinner, P.M. Vogt

57.1 Grundlagen – 532

57.2 Diagnostisches Vorgehen – 532


57.2.1 Epidemiologie   – 532
57.2.2 Keimspektrum – 532

57.3 Therapieprinzipien – 532


57.3.1 Anatomische Besonderheiten bei Infektionen der Hand – 533
57.3.2 Wahl der chirurgischen Inzisionen – 533
57.3.3 Operative Therapie – 533
57.3.4 Postoperatives Management – 534
57.3.5 Indikation für konservatives Vorgehen – 534

57.4 Einzelne Krankheitsbilder – 535


57.4.1 Paronychie und Panaritium – 535
57.4.2 Infektionen durch Tier- und Menschenbisse – 536
57.4.3 Septische Tenosynovitis – 537
57.4.4 Hohlhandphlegmone   – 539
57.4.5 Erysipel – 540
57.4.6 Nekrotisierende Fasziitis – 541

57.5 Differenzialdiagnosen – 541


57.5.1 Pyoderma gangraenosum – 541
57.5.2 Herpes – 541
57.5.3 Rheumatoide Arthritis und Gicht – 542
57.5.4 Tumoren der Hand   – 542

57.6 Operatives Vorgehen – 542


57.6.1 Plastische Weichteildeckung – 542
57.6.2 Lokale Lappenplastiken – 542
57.6.3 Regionale Lappenplastiken – 543
57.6.4 Axial gestielte und freie Fernlappen – 544

57.7 Zusammenfassung – 544

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
532 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

Durch ihre vielfältige Funktion kommt es an der Hand oft zu kleinen > Unter Berücksichtigung des klinischen Bildes und der
Verletzungen, die meist problemlos abheilen. Die Hand ist dennoch diagnostischen Mittel kann die Diagnose meist eindeutig
aufgrund ihrer spezifischen Anatomie mit septierten Bindegewebs­ gestellt werden.
räumen, insbesondere den bradytrophen Sehnen und gekammerten
Sehnenscheiden, gegenüber eindringenden Pathogenen besonders
infektionsgefährdet. Dabei kommt es nicht selten zu rasch fortschrei­ 57.2.1 Epidemiologie
tenden massiven Infektionen mit erheblicher Gewebezerstörung.
Patienten mit Handinfektionen stellen einen großen Anteil des Ungefähr 60% der Handinfektionen treten posttraumatisch auf,
Klientels von Notaufnahmen dar. Oft werden sie von jüngeren, un­ 30–40% durch Bissverletzungen (25–30% nach Menschenbiss, 5–10%
erfahrenen Ärzten primär gesehen. Die Qualität der initialen Versor­ durch Tierbiss), ca. 10–15% nach Drogenmissbrauch. Die prozentu­
gung und die postoperative Behandlung sind jedoch entscheidend ale Verteilung der Ursachen von Handinfektionen ist u. a. abhängig
für die erreichbare Handfunktion und die damit verbundenen so­ von geographischen Bedingungen und variiert stark. So sind in eini­
zioökonomischen Kosten. gen Gegenden Hundebissverletzungen als Ursache von Handinfek­
tionen mit ca. 60% führend, wogegen Menschenbissverletzungen
nur 20% der Bissverletzungen ausmachen. Die am häufigsten auftre­
57.1 Grundlagen tende Form der Handinfektion ist die Paronychie mit einer Inzidenz
von ca. 35%, gefolgt von dem Panaritium (15%) und der Sehnen­
Das Auftreten und die Ausdehnung von Infektionen an der Hand scheidenphlegmone (10%) Zu den seltenen Formen der Handinfek­
sind von verschiedenen intrinsischen und extrinsischen Faktoren tion zählen die Osteomyelitis, die septische Arthritis und die nekro­
abhängig. tisierende Fasziitis.
4 Intrisische Faktoren, die Infektionen beeinflussen, sind syste­
mische Grunderkrankungen, wie Diabetes mellitus, rheuma­
57 toide Arthritis oder HIV-Infektionen, konsumierende Tumor­ 57.2.2 Keimspektrum
erkrankungen, Drogenabusus, chronische Ödeme der Extre­
mität, Folgen von vorausgegangenen Verletzungen und die Das Keimspektrum von Handinfektionen ist von der Form der zu­
Einnahme immunsuppressiver Medikamente. grundeliegenden Verletzung abhängig und beinhaltet oft Spezies der
4 Zu den extrinsischen Faktoren zählen die Lokalisation der Infek­ residenten Hautflora der betroffenen Person. Infektionen werden zu
tion, das Ausmaß und die Art der lokalen Gewebezerstörung, die ca. 65% durch aerobe, hauptsächlich grampositive Keime ausgelöst.
Virulenz des vorliegenden Pathogens sowie die Menge und die Im Vordergrund stehen neben Staphylococcus aureus (35–50%)
Art des in die Wunde inokulierten Fremdmaterials. β-hämolysierende Streptokokken (10%). Gramnegative Keime sind
seltener zu isolieren, treten aber hauptsächlich bei immunsuppri­
mierten Patienten, Diabetikern oder bei intravenösem Drogenmiss­
57.2 Diagnostisches Vorgehen brauch auf.
Infektionen mit gasbildenden Keimen sind sehr selten. Bei einer
Klinik, Symptomatik. Die Diagnose einer Handinfektion ergibt sich Infektion mit erschwertem Erregernachweis und Knistern des Ge­
meist klinisch aufgrund der Beschwerdesymptomatik und des Lo­ webes auf Druck sollte jedoch unbedingt daran gedacht werden.
kalbefundes. Die Patienten geben in der Regel pochende Schmerzen Hier stehen Infektionen mit Peptostreptokokken im Vordergrund.
im infizierten Areal an. Die Beweglichkeit der Finger kann massiv Der durch Clostridium perfringens ausgelöste Gasbrand ist selten,
eingeschränkt sein, je nach Lokalisation und Ausdehnung des In­ aber immer differenzialdiagnostisch einzubeziehen.
fektes. In einigen Fällen kommen allgemeine Infektzeichen wie Das vielfältige Keimspektrum aus Bissverletzungen umfasst Pa­
Schüttelfrost und Fieber hinzu. Inspektorisch finden sich regelhaft thogene aus der Pasteurella spp., Eikenella corrodens und einige
eine Rötung und Schwellung des betroffenen Areals, z. T. mit einer Anaerobier. Eine entsprechende Antibiotikablindtherapie sollte an
deutlichen Lymphangitis oder Lymphadenitis. Druckschmerzen das zu erwartende Erregerspektrum angepasst sein (. Tab. 57.1).
und Bewegungsschmerzen der Finger oder des Daumens sind meist
vorhanden.
Oftmals gehen infektiöse Prozesse der Hohlhand mit einer be­ 57.3 Therapieprinzipien
gleitenden Schwellung des Handrückens einher. Dies kann zur Fehl­
diagnose einer Handrückenphlegmone führen. Die Therapie ist nahezu immer primär chirurgisch. Sie beinhaltet
4 die frühzeitige chirurgische Infektsanierung,
> Die fehlende Fluktuation und oft nur geringe Rötung sind
4 eine adäquate, erregerspezifische antibiotische Behandlung,
entscheidende Kriterien bei der Beurteilung einer Hand­
4 die frühfunktionelle Behandlung und
rückenschwellung.
4 die plastische Defektdeckung nach Sanierung des Infektes.

Bildgebende Verfahren. Wichtig ist die Röntgenaufnahme des be­ Von entscheidender Bedeutung für den Behandlungserfolg ist die
troffenen infizierten Areals, um so eventuell vorhandene Schädi­ Erstellung eines schlüssigen Therapiekonzeptes unter Einbeziehung
gungen des Knochens und der Gelenke zu visualisieren. der Mikrobiologen und Handtherapeuten.
Häufig hinterlassen ausgedehnte Handinfektionen nur eine
Labordiagnostik. Laborchemisch sollte auf jeden Fall die Leuko­ Restfunktion der Hand, was durch dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
zytenzahl, C-reaktives Protein (CRP), die Blutsenkungsgeschwin­ des Patienten, Berentung oder Umschulungsmaßnahmen zu enor­
digkeit, die Gerinnung, Blutbild, die Blutglukose und bei Verdacht men sozioökonomischen Kosten führen kann. Um dies zu vermei­
auf differenzialdiagnostisch wichtige Erkrankungen der Harnsäure­ den, muss bereits die primäre Operation von einem geübten Hand­
spiegel und Rheumafaktoren untersucht werden. chirurgen unter Kenntnis der Anatomie gründlich durchgeführt
57.3 · Therapieprinzipien
533 57

. Tab. 57.1 Verletzungen und Infektionen der Hand. Typisches Keimspektrum und empfohlene Antibiotikatherapie

Art der Verletzung/Infektion Keimspektrum Antibiotikatherapie

Einfache Wunden, erstgradig offene – Nicht notwendig, ggf. Single-shot-Cephalosporin


Frakturen der 1. Generation intraoperativ (Gramaxin)

Tiefe kontaminierte Wunden, höhergradig Staphylococcus aureus, Cephalosporine der 1. und 2. Generation
offene Frakturen mit ausgedehnter Quet- α-hämolysierende Streptokokken, (Gramaxin, Cefuroxim, Zinacef ), bei Tierexposition:
schung anaerobe Keime, Penicillin G, bei Quetschung: Aminoglykoside
gramnegative Bacilli (Refobacin)

Menschenbisse Eikenella corrodens, β-Laktamantibiotika und β-Laktamaseinhibitoren


Staphylococcus aureus, (Augmentan, Unacid), Cephalosporine der 1. und
Streptococcus epidermidis, 2. Generation (Gramaxin, Cefuroxim, Zinacef )
Neisseria spp.,
anaerobe Keime

Hunde- und Katzenbisse Pasteurella multocida, Wie Menschenbisse


Past. septica,
Staphylococcus aureus,
Staphylococcus septicus,
Bacteroides spp.,
Strept. viridans,
α-hämolysierende Streptokokken

Bissverletzungen bei Diabetikern und Anaerobe Keime, Aminoglykoside (Refobacin, Biklin) oder Cephalo-
immunkompromittierten Menschen gramnegative Keime sporine der 2. und 3. Generation (Cefuroxim,
Zinacef, Claforan, Rocephin),

Pin-track-Infektionen Staphylococcus aureus, Cephalosporine 1. Generation (Gramaxin)


Streptococcus epidermides

Nekrotisierende Fasziitis β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Penicilin G und Lincosamide (z. B. Sobelin),
Staphylokokken, Aminoglykoside (z. B. Refobacin)
gramnegative aerobe Keime,
anaerobe Keime

Paronychie und Panaritium Staphylococcus aureus, Cephalosporine 1. Generation (Gramaxin), bei V.a.
Streptococcus spp., E. Coli: β-Laktam Antibiotika +β-Laktamase-Inhibi-
gramnegative Bacilli, z. B. Escherichia coli torn (Augmentan, Unacid) oder Lincosamide
(Clindamycin)

Sehnenscheidenphlegmone, Hohlhand- Staphylococcus aureus, Cephalosporine 1. Generation (Gramaxin) und


phlegmone Streptococcus spp., Flucloxacillin (Staphylex) oder alternativ β-Lakta-
anaerobe Keime mantibiotika +β-Laktamaseinhibitorn (Unacid)

Erysipel β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Penicillin G, Makrolide (Erythromycin),


seltener C Cephalosporine der 1. Generation (Gramaxin)

werden. Nur so können häufige Revisionsoperationen vermindert 57.3.2 Wahl der chirurgischen Inzisionen
und die funktionelle Prognose verbessert werden.
Bei Infektionen der Finger, insbesondere bei Beugesehnenscheiden­
phlegmonen, sollten mediolaterale Inzisionen gegenüber der pal­
57.3.1 Anatomische Besonderheiten maren Brunner-Inzision bevorzugt werden. So werden dorsale und
bei Infektionen der Hand palmare lymphatische Abflusswege geschont, und sowohl Gefäß-
Nerven-Bündel als auch die Sehnen bleiben durch das Weichgewebe
> Handinfektionen breiten sich an vorhandenen Leitstruk­ bedeckt. Die Schnittführung ist jedoch abhängig von der Lokalisati­
turen aus und bleiben primär oft auf die Räume der Hand on des Infektes und sollte dementsprechend angepasst werden.
begrenzt.
57.3.3 Operative Therapie
Zu diesen Leitstrukturen zählen die Sehnenscheiden, die periten­
dinös-kutanen Bänder der Finger (Grayson-, Cleland-Bänder und Die Grundregeln der Handchirurgie gelten auch bei der septischen
Ligg. phalangeale propria), die Hohlhandaponeurose mit ihren inter­ Handchirurgie.
mediären Septen und den Querverstrebungen (Fasciculi trans­versi,
Lig. natatoria), der Mittelhandraum, die Thenar- und Hypothenarfas­ > Die Adaptation der Wundränder sollte nur locker erfolgen,
zie, der Karpalkanal und die Loge de Gyon (. Abb. 57.1). Diese Aus­ bei Infektionen durch Bisswunden ist auf eine Wundnaht
breitungswege sind bei der chirurgischen Intervention zu beachten. vollständig zu verzichten.
534 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

57

b d

e
c
. Abb. 57.1 Chirurgisch relevante Ausbreitungsräume der Hohlhand (a). Hohlhandaponeurose mit ihren intermediären Septen und den Querver-
Handinfektionen breiten sich an vorhandenen Leitstrukturen aus und blei- strebungen (Fasciculi transversi, Lig. natatoria), der Mittelhandraum, die
ben primär oft auf die Räume der Hand begrenzt. Zu diesen Leitstrukturen Thenar- und Hypothenarfaszie, der Karpalkanal und die Loge de Gyon.
(b–e) zählen die Sehnenscheiden, die peritendinös-kutanen Bänder der (Aus Kall u. Vogt 2005a, b)
Finger (Grayson-, Cleland-Bänder und die Ligg. phalangeale propria), die

Gewebeproben und/oder Abstriche zur Bestimmung des Keimspek­ dend ist, dass möglichst früh postoperativ mit aktiver und ­passiver
trums sollten asserviert werden. Das Débridement muss gründlich Physiotherapie begonnen wird, die nicht über die Schmerzgrenze fort­
durchgeführt werden, wobei alle nekrotischen Strukturen entfernt gesetzt werden sollte. Eine adäquate Schmerztherapie ist notwendig
werden müssen. und muss ggf. durch die Anlage eines Plexuskatheters erfolgen.

57.3.4 Postoperatives Management 57.3.5 Indikation für konservatives Vorgehen

Postoperativ sollte zunächst eine Gipsruhigstellung erfolgen, wobei In seltenen Fällen kann die Therapie von Handinfektionen zunächst
auf eine gespannte Position der Kolateralbänder an den Fingern zu konservativ begonnen werden. Zu diesen Indikationen zählt die be­
achten ist, um eine Gelenkkontraktur zu vermeiden. Dabei gelten die ginnende Paronychie mit einer leichten Rötung des Nagelwalls ohne
Regeln, dass die Extension im Handgelenk 30°–50° und die Flexion Ansammlung putrider Flüssigkeit und das Erysipel. Die konservative
in den Metakarpophalangealgelenken 50°–90° bei kompletter Exten­ Therapie beinhaltet Handbäder, die Ruhigstellung und Hochlagerung
sion der Mittel- und Endgelenke betragen sollte. Der Daumen muss der Extremität, eine antibiotische Therapie und eine antiphlogistische
in einer maximal palmar abduzierten Stellung retiniert werden. Behandlung. Sollte die Infektion trotz dieser Maßnahmen fortschrei­
Bei ausgedehnten, fortschreitenden Infektionen kann eine Revisi­ ten, ist eine chirurgische Intervention mit Inzisionen und ggf. ausgie­
on des Situs mit erneutem Débridement notwendig werden. Entschei­ bigem Débridement, Abszessdrainage und Spülung unabdingbar.
57.4 · Einzelne Krankheitsbilder
535 57
57.4 Einzelne Krankheitsbilder sollte darauf geachtet werden, dass die Inzision von der germinativen
Matrix des Nagels fortgeführt wird, um postoperative Nagelwachs­
57.4.1 Paronychie und Panaritium tumsstörungen zu vermeiden (. Abb. 57.2). Um die Drainage zu
verbessern, können Laschen in die Wunde eingelegt werden. Eine
Akute Paronychie Nahtadaptation der Wundränder wird nicht unbedingt empfohlen.
Die akute Paronychie ist eine Infektion des Nagelwalls, ausgehend
vom eponychialen Raum. Jede Verletzung des Nagelwalls kann zu Postoperatives Management. Tägliche Verbandwechsel sollten
einem Eintritt von Keimen und zur Entstehung einer Paronychie Fingerbäder mit desinfizierenden Lösungen beinhalten. Der betrof­
führen. Sie ist die häufigste Infektion der Hand und tritt in einem fene Finger sollte mit einer Lagerungsschiene ruhiggestellt werden.
Verhältnis von 3:1 vermehrt bei Frauen auf. Bei einem hauptsächlich aus Staphylococcus aureus bestehenden
In der Regel liegt einer Paronychie ein Staphylokokkeninfekt zu­ Keimspektrum muss die antibiotische Therapie entsprechend ange­
grunde. passt werden. Cephalosporine der 1. und 2. Generation sind hier das
Mittel der Wahl.
Diagnostik. Die Diagnose ist rein klinisch zu stellen. Es zeigt sich
! Cave
ein geröteter, geschwollener und druckschmerzhafter Nagelwall. Die
Wird eine Paronychie nicht rechtzeitig und ausreichend
Patienten berichten über nächtliches Pochen des Fingers und ausge­
behandelt, kann sich die Infektion fortsetzen und zu einer
prägte Schmerzen. Bei einer fortgeschrittenen Paronychie ist oft ein
Destruktion des Nagelbettes sowie zur Ausbildung eines
mit Pus gefülltes Bläschen am Nagelwall erkennbar, das sich spontan
Panaritiums führen.
entleeren kann.

Therapie. Eine beginnende Paronychie kann zunächst konservativ Chronische Paronychie


mit Fingerbädern, oraler antibiotischer Therapie und Ruhigstellung Die chronische Paronychie ist eine meist langsam voranschreitende
behandelt werden. Sollte sich trotzdem ein Fortschreiten der In­fektion Entzündung des Nagelwalls, die mit Schwellung, Rötung und Emp­
zeigen, müssen eine chirurgische Inzision und Drainage erfolgen. findlichkeit des Nagelwalls einhergeht. Sie wird hauptsächlich durch
Die­se kann in einfachen Fällen durch ein Spreizen mit der Pinzette in einen Pilzbefall der Fingerkuppen, insbesondere mit verschiedenen
die paronychale Umschlagsfalte erfolgen. Sollte sich Pus unterhalb des Candidaspezies, verursacht. Diabetiker und handwerklich tätige
Nagels befinden, muss dieser im Sinne einer Emmert-Plastik teilent­ Personen mit einer Exposition der Hände gegenüber Wasser und
fernt werden, um eine korrekte Drainage zu gewähr­leisten. Chemikalien sind prädisponiert, eine chronische Paronychie zu ent­
Inzisionen zur Drainage sollten in die paronychale Falte gelegt wickeln. Die erforderliche Therapie ist in den meisten Fällen nicht
werden. Eine mediolaterale longitudinale Inzision über dem Punc­ chirurgisch, sondern durch die lokale Applikation antifungaler Me­
tum maximum des Infektes ist alternativ durchführbar. Hierbei dikamente zu erzielen.

a b c

e f
d

. Abb. 57.2a–f Typisches Panaritium mit Entlastung durch nagelfalzschonende Schnittführung und Laschendrainage. (Aus Kall u. Vogt 2005a)
536 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

a b c

. Abb. 57.3a–c Panaritium der Fingerbeere. Die Abszessdrainage über werden muss, um eine Verletzung der Gefäß-Nerven-Bündel zu vermeiden.
eine unilaterale, longitudinale, mediolateral verlaufende Inzision sollte be- Mit einem Klemmchen sollten die osseokutanen Septen der Fingerbeere
vorzugt werden, wobei das Skalpell scharf am Knochen entlanggeführt eröffnet werden, um den Abszess zu drainieren. (Aus Kall u. Vogt 2005a)

Durch bakterielle Superinfektionen kann aus einer chronischen Postoperatives Management. Ruhigstellung, antibiotische Thera­
Paronychie eine akute Form hervorgehen. Die Therapie folgt dann pie mit Cephalosporinen der 1. und 2. Generation und tägliche
den Regeln der akuten Behandlung mit chirurgischer Drainage, Handbäder sind obligat.
Ruhigstellung, Fingerbädern und Antibiotikatherapie.

Panaritium 57.4.2 Infektionen durch Tier-


Definition. Als Panaritium wird ein Abszess der Fingerbeere defi­ und Menschenbisse
niert, der sich in der Regel subkutan manifestiert (Panaritium cuta­
57 neum). Bei starker Ausprägung kann er eine Osteitis oder Osteo­ Epidemiologie. Die Inzidenz und Art von Tier- und Menschenbis­
myelitis der distalen Phalanx (Panaritium ossale), eine septische sen ist von verschiedenen Faktoren wie geographische Lage, Indus­
Arthritis des Endgelenkes (Panaritium articulare) oder eine Weich­ trialisierung und Kulturkreis abhängig. Die Häufigkeit wird in den
teilnekrose der Fingerbeere verursachen. Entleert sich ein Panariti­ Vereinigten Staaten auf 200 Tierbissverletzungen pro 100.000 Ein­
um nicht spontan und wird es nicht adäquat versorgt, kann die In­ wohner pro Jahr geschätzt, wobei sie in Großstädten wie New York
fektion anhand anatomischer Leitstrukturen fortgeleitet werden und und Los Angeles mit 300–700 pro 100.000 Einwohner deutlich höher
zu Osteomyelitis, Tenosynovitis und septischer Arthritis führen. liegt. In Schweden werden ca. 42% aller Bissverletzungen durch
Hunde verursacht, 9% durch Katzen, 31% durch Pferde, 8% durch
Pathophysiologie. Ein Panaritium kann sich aus einer nicht behan­ Rinder, 6% durch Elche und 4% durch andere Tiere.
delten Paronychie entwickeln. Meist liegen diesem Prozess jedoch Man schätzt, dass in den industrialisierten Ländern ungefähr die
kleine Verletzungen, z. B. durch Holzsplitter oder Dornen, zugrun­ Hälfte der Bewohner während ihres Lebens einmal von einem Tier
de. Das Panaritium gehört neben der Paronychie zu den häufigsten oder einem Menschen gebissen werden. Bestimmte Risikogruppen
Infektionen an der Hand mit einem vermehrten Auftreten an Dau­ wie Kinder oder Briefträger sind dabei besonders häufig betroffen.
men und Zeigefinger. In den Vereinigten Staaten werden 12 von 1000 Briefträgern jährlich
von einem Hund gebissen. Etwa 1% aller Notfallkonsultationen wird
Klinik, Symptomatik. Ein Panaritium geht mit einer Rötung, durch Bissverletzungen bedingt. Dabei führen jedoch die meisten
Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit der Fingerbeere einher. In Bissverletzungen nicht zu einer Infektion und werden in Notaufnah­
einem fortgeschrittenen Zustand kann es zu einer spontanen Entlee­ men in der Regel nicht vorstellig.
rung des Panaritiums über sich herausbildende Weichteilnekrosen
kommen. Das Keimspektrum eines Panaritiums beinhaltet haupt­ Erreger. Das Erregerspektrum ist vielseitig. Aus der Mundflora von
sächlich Staphylococcus aureus, wobei bereits Infektionen mit mul­ Katzen und Hunden können etwa 60 und aus der Mundflora des
tiresistentem St. aureus beschrieben wurden. Menschen bis zu 40 verschiedene Bakterien kultiviert werden. Dieses
Spektrum umfasst aerobe und anaerobe Keime. In 56% der Fälle
Therapie. Die Therapie ist in der Regel chirurgisch und beinhaltet können Keime aus Bisswunden durch Katzen und Hunde isoliert
die Drainage des Abszesses und das ausgiebige Débridement nekro­ werden. Führend ist hierbei eine Kontamination mit Pasteurella ca­
tischer Stukturen. Die Abszessdrainage über eine unilaterale, longi­ nis in 50% der Hundebissverletzungen und Pasteurella multocida
tudinale, mediolateral verlaufende Inzision sollte bevorzugt werden, oder septica in 75% der Katzenbissverletzungen.
wobei das Skalpell scharf am Knochen entlanggeführt werden muss, Weitere aerobe Keime beinhalten Streptokokken, Staphylokok­
um eine Verletzung der Gefäß-Nerven-Bündel zu vermeiden. Mit ken, Morxerella und Neisseria. Häufig isolierte Anaerober sind Fu­
einem Klemmchen sollten die osseokutanen Septen der Fingerbeere sobacterium, Bacteroides, Porphyromonas und Prevotells. Bei 10,9%
eröffnet werden, um den Abszess zu drainieren (. Abb. 57.3). Nekro­ aller Bissverletzungen durch Tiere kommt es zu einer Infektion,
tisches Gewebe muss entfernt, die Wunde gespült und eine Lasche wobei manifeste Infektionen durch Katzenbisse überwiegen, da hier
zur weiteren Drainage eingelegt werden. Auf die Adaptation der oft Punktionsverletzungen entstehen, durch die Keime tief in das
Wundränder wird verzichtet, um eine Sekundärheilung anzustreben. Gewebe befördert werden.
Bei Bissverletzungen durch Menschen liegt die Infektionsrate
! Cave mit 30–80% sehr hoch. Zum einen ist das Keimspektrum, zum an­
Inzisionen auf der Fingerbeere und fischmaulförmige deren der Verletzungsmechanismus ursächlich für die hohe Infek­
Schnitt­führungen um die Fingerkuppe herum sollten ver­ tionsrate. Aus menschlichen Bisswunden können in 50% der Fälle
mieden werden, da diese empfindliche Narben und eine in­ Streptokokken, in 40% Staphylococcus aureus sowie in 30% der Fäl­
stabile überempfindliche Fingerbeere hinterlassen können. le Eikenella corrodens isoliert werden, wobei Eikenella corrodens,
57.4 · Einzelne Krankheitsbilder
537 57
Bei Patienten mit Diabetes mellitus wird eine Therapie mit
­ arenteraler Gabe von Aminoglykosiden empfohlen, da in dieser
p
Patientengruppe eine erhöhte Infektionsrate mit gramnegativen Er­
regern vorliegt. Cephalosporine der 2. und 3. Generation gelten als
Reserveantibiotika und sollten nur in besonderen Fällen verwendet
werden.
> Behandlungsgrundsätze bei Bisswunden an der Hand
4 Von entscheidender Bedeutung für die Vermeidung
einer Infektion ist das ausgiebige chirurgische Débri­
a dement der Bisswunden.
4 Bisswunden an der Hand sind komplett auszuschnei­
den und nicht primär zu verschließen.
4 Die mechanische Säuberung durch Irrigation mit iso­
toner Kochsalzlösung oder antiseptischen Reagenzien
ist entscheidend.
4 Bei Zahnschlagverletzungen (»fight-bite clenched
fist«) ist ein ausgiebiges Débridement des betroffenen
Gelenkes mit Synovektomie und Spülung notwendig.

Postoperatives Management. Die Einlage von Drainagematerial


und tägliche Handbäder werden generell empfohlen. Die postope­
b
rative Ruhigstellung und frühfunktionelle Physiotherapie sind ob­
ligat.

. Abb. 57.4a, b Offene Gelenkverletzung durch Zahnschlagverletzung


(»fight-bite clenched fist«). Zu diesem Verletzungsmechanismus kommt es,
57.4.3 Septische Tenosynovitis
wenn bei einer Auseinandersetzung mit der Faust die Zähne des Gegners
getroffen werden. Hierbei werden oft die Strecksehne und die Gelenkkapsel
eines Metakarpophalangealgelenkes vom Zahn des Gegners perforiert. Bei Pathophysiologie. Eine putride Infektion der Beugesehnenschei­
Extension des Fingers gleitet die Strecksehne nach proximal und verdeckt den kann durch jeden fortgeleiteten Infekt des Fingers entstehen.
so mit intaktem Sehnengewebe die Perforation der Gelenkkapsel im Sinne Am häufigsten sind Verletzungen mit Dornen oder Splittern, die die
eines Kulissenphänomens. Die Keime werden so in das Gelenk eingeschlos- Beugesehnenscheide penetrieren und Keime in die Sehnenscheide
sen. (Aus Kall u. Vogt 2005a) inokulieren. Beugesehnenscheidenphlegmonen werden in der Regel
durch Staphylococcus aureus verursacht, bei Diabetikern sind auch
Anaerobier nachweisbar. Die Besonderheit einer Infektion der Beu­
ein gramnegativer Anaerober, der am häufigsten zur Infektion füh­ gesehnenscheiden liegt in der äußerst schnell entstehenden Sympto­
rende Keim ist. matik und der rapiden Infektausbreitung im Verlauf der Sehnen­
scheiden bis zum Handgelenk. In der Regel bleiben Infektionen der
Pathophysiologie. Als besonders gefährlicher Verletzungsmecha­ Sehnenscheiden des Zeige-, Mittel- und Ringfingers auf die Finger
nismus gilt die »fight-bite clenched fist« (Zahnschlagverletzung)). bis zu den Metakarpophlangealgelenken begrenzt. Im Gegensatz
Zu diesem Mechanismus kommt es, wenn bei einer Auseinanderset­ dazu führen die anatomischen Gegebenheiten der Daumen- und
zung mit der Faust die Zähne des Gegners getroffen werden. Hierbei Kleinfingerbeugesehnenscheiden nicht selten zu Infektionen mit
werden oft die Strecksehne und die Gelenkkapsel eines Metakarpo­ Ausbreitung bis zum Handgelenk. Eine V-Phlegmone kann sich zwi­
phalangealgelenkes vom Zahn des Gegners perforiert. Bei Extension schen Daumen und Kleinfinger ausbilden, da die Sehnenscheiden
des Fingers gleitet die Strecksehne nach proximal und verdeckt so oft in Höhe des Handgelenkes kommunizieren (. Abb. 57.5).
mit intaktem Sehnengewebe die Perforation der Gelenkkapsel im
Sinne eines Kulissenphänomens. Die Keime werden so in das Gelenk Klinik, Symptomatik, Diagnostik. Zur typischen Klinik gehören
eingeschlossen (. Abb. 57.4). Solche Verletzungen der Gelenkkapsel die von Kanavel geschriebenen Symptome:
werden oft übersehen und können zu massiven Infektionen führen. 4 eine ca. 30° flektierte Position des Fingers im Mittel- und End­
gelenk,
Therapie. Bissverletzungen an der Hand gehören zu Hochrisikover­ 4 die symmetrische Schwellung des gesamten Fingers,
letzungen und bedürfen neben der chirurgischen Revision innerhalb 4 die massive Druckschmerzhaftigkeit über der Beugesehnen­
der ersten 24 h einer antibiotischen erregergerechten Prophylaxe, scheide und
was in verschiedenen Studien gezeigt werden konnte. Dies gilt nicht 4 die ausgeprägte Schmerzhaftigkeit bei passiver Extension des
für Bissverletzungen an anderen Körperregionen. Bei der Wahl des Fingers (. Abb. 57.6).
entsprechenden Antibiotikums ist zu beachten, dass kein Medi­
> Hierbei ist die Extensionsschmerzhaftigkeit das verläss­
kament das gesamte Keimspektrum der oralen Flora abdeckt. Bei
lichste diagnostische Kriterium.
Hunde-, Katzen- und Menschenbissverletzungen wird allgemein ein
β-Laktamantibiotikum sowie ein β-Laktamaseinhibitor wie Amo­
xicillin/Clavulansäure (Augmentan) oder Penicillin/Dicloxacillin Therapie. Die Therapie einer Beugesehnenscheidenphlegmone ist
empfohlen, da diese Gruppen gut gegen E. corrodens, St. aureus und stets chirurgisch. Erfolgt keine chirurgische Intervention, kommt es
P. multocida wirksam ist. durch Adhäsionen der Beugesehnen und die Zerstörung der ohne­
538 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

57

. Abb. 57.5a–c V-Phlegmone, die sich zwischen Daumen und Kleinfinger


ausbildet, da die Sehnenscheiden oft in Höhe des Handgelenkes kommuni-
b
zieren. (Aus Kall u. Vogt 2005a)

a b c

. Abb. 57.6a–c Typische Beugesehnenphlegmone mit empfohlener chirurgischer Inzision. (Aus Kall u. Vogt 2005a)

hin geringen Durchblutung schnell zu einer Nekrose der Sehne, was Der entsprechenden Lösung kann ein Antibiotikum (z. B. Nebace­
aufwendige rekonstruktive Maßnahmen nach sich zieht. tin) zugesetzt werden. Die Anlage eines Spülkatheters zur Irrigation
Bei Infektionen der Beugesehnenscheide kann innerhalb von über 48 h ist empfehlenswert, wobei dieser möglichst proximal über
Stunden eine hochakute Situation mit einer Phlegmone bis in die ein Fenster der Sehnenscheide in Höhe des A1-Ringbandes einge­
Hohlhand oder zum Handgelenk die Folge sein. Die schnelle chirur­ führt und die entsprechende Drainage (Lasche oder Redon) an der
gische Intervention ist hier notwendig. Sie beinhaltet distalen Begrenzung der Sehnenscheide ausgeführt werden sollte.
4 die Entlastung und Drainage der Beugesehnenscheide durch Eine Spülung von proximal nach distal ist sinnvoll, um die Ausbrei­
Fensterung und tung des Infektes in das proximale Weichgewebe zu vermeiden. Die
4 die mechanische Säuberung derselben, in der Regel durch Irri­ operative Therapie der Beugesehnenscheidenphlegmone richtet sich
gation mit isotoner Kochsalz- oder Ringer-Lösung. nach der Ausprägung des Infektes, beinhaltet jedoch stets die Exzi­
sion der Eintrittspforte der Keime.
57.4 · Einzelne Krankheitsbilder
539 57
Die Beugesehnenscheidenphlegmonen können nach Michon in Interdigitalinfekte
3 klinische Stadien eingeteilt werden, die eine Orientierung für die Klinik, Symptomatik. Interdigitalphlegmonen und -abszesse gehen
chirurgische Therapie bieten können. in der Regel von einer Verletzung im Bereich der Zwischenfingerfal­
4 Das Stadium I ist durch eine empfindliche Schwellung des Fin­ te aus. Neben einer Rötung und Druckschmerzhaftigkeit sind sie
gers gekennzeichnet, wobei die Sehnenscheide entzündlich ver­ durch eine Erweiterung der Zwischenfingerfalte und die Unfähigkeit
ändert ist und klare bis leicht getrübte Flüssigkeit enthält. In zur aktiven Adduktion der betroffenen Finger gekennzeichnet. Die
diesem Stadium ist die Anlage einer Spüldrainage über eine pro­ auftretende Schwellung kann sowohl eine dorsale als auch palmare
ximale quere Inzision in Höhe des A1-Ringbandes und eine dis­ Betonung aufweisen. Abszesse in der Interdigitalfalte haben oft eine
tale Inzision der Sehnenscheide indiziert (. Abb. 57.6b). sanduhrförmige Konfiguration mit einer subepidermalen und einer
4 Das Stadium II ist durch eine hochakute Infektion mit gerötetem, tieferliegenden Eiteransammlung im Fettgewebe. Auf der Palmarsei­
massiv geschwollenem Finger charakterisiert. Die Sehnenschei­ te der Hand findet sich oft eine Ansammlung von Pus palmar der
de ist prall, granulomatös verändert und enthält putride Flüs­ Hohlhandaponeurose in einem Sinus mit einer zweiten Ansamm­
sigkeit. Die Sehne ist noch intakt. Die chirurgische Therapie lung am Lig. metacarpale superficiale transversum.
beinhaltet in diesem Stadium die komplette Exzision der Sehnen­
scheide unter Erhalt der Ringbänder und Vinculae. Die Adapta­ Therapie. Die Therapie der Interdigitalinfektionen ist stets chirur­
tion der Wundränder sollte nur sehr sparsam erfolgen, wobei die gisch und beinhaltet die Abszessdrainage, das Débridement und die
Eintrittspforte der Keime sekundär heilen sollte. Wir empfehlen ausgiebige Spülung. Aufgrund der häufig vorhandenen Kammerung
die mediolaterale Inzision und die Anlage eine Spül-Saug- mit einem dorsalen und palmaren Aspekt muss in der Regel beidsei­
Systems für 48 h (. Abb. 57.6c). tig eröffnet werden. Die Inzisionen sollten nie transvers erfolgen, da
4 Im Stadium III liegt zusätzlich zur putriden Füllung der Sehnen­ dies zu kontrakten Narben in der Interdigitalfalte führen kann.
scheide eine Nekrose der Sehne vor. Das Débridement der kom­
pletten Sehnenscheide und der nekrotischen Sehne muss radikal Mittelhandphlegmone
durchgeführt werden. Eine septische Arthritis oder Osteomyeli­ Anatomische Gegebenheiten. Mittelhandphlegmonen sind zu­
tis müssen ausgeschlossen werden. Die funktionelle Prognose nächst auf das Mittelhandkompartiment begrenzt, das sich dorsal
einer Beugesehnescheidenphlegmone im Stadium III ist sehr der tiefen Beugesehnen über dem 3. und 4. Metakarpale erstreckt
schlecht und bedarf aufwendiger rekonstruktiver Maßnahmen und dort von der Fascia interossea palmaris begrenzt wird. Die radi­
nach Infektsanierung. ale Begrenzung des Mittelhandraums wird gebildet durch das Sep­
Die intaoperative Gabe eines adäquaten, erregergerechten Anti­ tum obliquum, die ulnare Begrenzung durch die Hypothenarfaszie
biotikums, die postoperative Fortführung einer intravenösen und die distale Begrenzung durch vertikale Septen der Hohlhanda­
Antibiotikatherapie und die Ruhigstellung im Gips sind von poneurose (. Abb. 57.1b, c). Nach proximal besteht nur eine zu ver­
­entscheidender Bedeutung. Da in der Regel Staphylokokken nachlässigende Begrenzung, wodurch sich Infektionen des Spatium
(St. aureus) die ursächlichen Keime sind, sollte noch vor mikro­ palmare medianum schnell über den Karpalkanal im Parona-Raum
biologischer Keimspezifizierung mit der antibiotischen Thera­ in den Unterarm ausbreiten können.
pie unter Verwendung eines Cephalosporins der 1. oder 2. Ge­
neration begonnen werden. Pathophysiologie. Diese Infektionen entstehen durch direkte Ver­
letzungen, können aber auch durch fortgeleitete Beugesehnenschei­
Postoperatives Management. Die frühfunktionelle aktive und pas­ denphlegmonen hervorgerufen werden.
sive Physiotherapie sollte sofort nach Entfernung der Spüldrainage
erfolgen. Nur so können funktionelle Defizite durch Sehnenadhä­ Klinik. Klinisch sind eine Schwellung mit dem Verlust der Hohl­
sionen minimiert oder vermieden werden. handkonkavität, eine Rötung und Druckschmerzhaftigkeit sowie
eine dorsale Schwellung und die Bewegungseinschränkung von Mit­
tel- und Ringfinger führend (. Abb. 57.7).
57.4.4 Hohlhandphlegmone

Alle Infektionen an der Hand können bei einem Fortschreiten des


Prozesses zu einer Hohlhandphlegmone führen. Diese wird als eine
flächenhafte, sich infiltrativ ausbreitende, eitrige Zellgewebsentzün­
dung mit ödematöser Durchtränkung der Umgebung und lokalen
und allgemeinen Entzündungszeichen definiert. An der Hand kön­
nen nach der Lokalisation Interdigitalphlegmonen, Thenarphleg­
monen, Mittelhandphlegmonen und Hypothenarphlegmonen unter­
schieden werden. Obwohl der Infekt auf der Hohlhandseite besteht,
geht er meist mit einer reaktiven dorsalen Schwellung der Hand ein­
her. Das Ausschlusskriterium für eine dorsale Handinfektion ist die
fehlende Fluktuation des Gewebes.
Die meisten Hohlhandphlegmonen werden durch Staphylococ­
cus aureus oder β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A
verursacht. Neben der stets notwendigen chirurgischen Infektsanie­
rung ist auch hier die intravenöse Antibiotikaverabreichung essen­ . Abb. 57.7 Klinischer Aspekt der Hohlhandphlegmone: Schwellung mit
zieller Bestandteil der Therapie. dem Verlust der Hohlhandkonkavität, Rötung und Druckschmerzhaftigkeit
sowie eine dorsale Schwellung und die Bewegungseinschränkung von Mit-
tel- und Ringfinger. (Aus Kall u. Vogt 2005b)
540 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

Therapie. Die Therapie setzt sich aus dem chirurgischen Débride­


ment, der Spülung und der Drainage sowie einer adäquaten Anti­
biotikatherapie, Ruhigstellung und frühfunktioneller Physiotherapie
zusammen. Die Inzisionen sollten anatomisch gerecht longitudinal
oder transvers in die Hohlhandbeugefurche gelegt werden, wobei
der longitudinale Zugangsweg zu bevorzugen ist, da hier eine Erwei­
terung der Inzision bei Fortschreiten der Hohlhandphlegmone über
den Karpalkanal hinaus einfacher ist.

Thenarphlegmone
Klinik. Die Thenarphlegmone ist eine purulente subkutane, epifas­ a
ziale Infektion des Daumenballens. Die Ausbreitung ist meist auf
den Thenar und die 1. Zwischenfingerfalte begrenzt und dehnt
sich nur selten über das Septum obliquum in die Mittelhand aus
(. Abb. 55.7). Die Infektion ist durch eine massive Schwellung und
Rötung des Thenarballens und der 1. Zwischenfingerfalte gekenn­
zeichnet. Der Daumen steht in Abduktionsstellung und ist nur
schmerzhaft adduzierbar.

Therapie. Die chirurgische Therapie beinhaltet die Inzision, die ne­


ben der obligaten palmaren Inzision auch dorsal notwendig sein
kann, das ausgiebige Débridement unter Erhalt der Faszien, die Spü­
57 lung und die Drainage der Wunde. Die Ruhigstellung des Daumens
muss in Opposition und palmarer Abduktion erfolgen. Eine syste­
mische Antibiotikatherapie ist notwendig. b

Hypothenarphlegmone . Abb. 57.8a, b Aspekt einer Handinfektion durch β-hämolysierende


Klinik. Hypothenarphlegmonen sind sehr selten und auf das sub­ Streptokokken. (Aus Kall u. Vogt 2005b)
kutane Gewebe des Kleinfingerballens begrenzt. Klinisch äußert
sie sich als Schwellung und Empfindlichkeit des Hypothenars
(. Abb. 57.7).
Klinik. Klinisch findet sich eine scharf begrenzte flächenhafte Rö­
Therapie. Die chirurgische Therapie beinhaltet die ulnare Inzi­ tung und Schwellung der Haut ohne Fluktuation. Eine Lymphangitis
sion, das obligate Débridement, die Spülung und die Drainage. mit Lymphknotenschwellung ist oft vorhanden. In schweren Ver­
Postoperativ erfolgen eine Ruhigstellung der Hand und die früh­ laufsformen kommt es zu einer Epidermolyse und zu Weichteilne­
funktionelle Beübung. Wie bei den anderen Formen der Hohlhand­ krosen. Infektionen mit β-hämolysierenden Streptokokken führen
phlegmonen ist die intravenöse antibiotische Behandlung unab­ oft zu einer hämatomartig lividen Verfärbung der Haut, die sich un­
dingbar. ter entsprechender Antibiotikatherapie und Ruhigstellung meist
wieder zurückbildet (. Abb. 8a-b).
Fortschreiten der Infektion. Jede Hohlhandphlegmone kann über
ihre anatomische Begrenzung hinaus fortschreiten. Hierbei folgt die Therapie. Die Therapie der Wahl ist initial konservativ und bein­
Infektion anatomisch vorgegeben Strukturen wie dem Karpalkanal, haltet die Ruhigstellung der Extremität unter Hochlagerung des
der Loge de Gyon, den Beugesehnenscheiden, den Mm. lumbricalis Arms sowie die parenterale Antibiotikagabe. Das Medikament der
und den Faszien der Hand. So kann es zu einer Ausbreitung bis in Wahl ist hochdosiertes Penicillin G. Bei einer Allergie gegen Penicil­
den Unterarm und den Handrücken kommen. Die chirurgische line kann eine Therapie mit Makroliden oder Cephalosporinen er­
Therapie ist in solchen Fällen ausgedehnter und beinhaltet die Spal­ folgen. Die Abheilung erfolgt in der Regel nach wenigen Tagen. Bei
tung der Karpalkanals, der Loge de Gyon, der Unterarmfaszie und einer Besserung der Infektion ist mit aktiver und passiver Physio­
die Inzision des Handrückens. Bei ausgedehnten Befunden ist eine therapie zu beginnen.
Kompartmentspaltung an der Hand oder am Unterarm oft unab­
dingbar, um eine schwellungsbedingte Muskelischämie und -nekro­ Infektion durch gasbildende Keime
se zu verhindern. In diesem Zusammenhang sind Weichgewebsinfektionen mit gas­
bildenden Keimen erwähnenswert. Hierbei liegt neben einer offen­
sichtlichen Infektion mit Rötung und Schwellung eine Gasbildung
57.4.5 Erysipel im Gewebe vor, die sich bei Berührung und Druck als feines Knis­
tern äußert. Infektionen mit Gasbranderregern (Clostridium per­
Pathophysiologie. Das Erysipel ist eine akute, infektiöse Entzün­ fringens) sind glücklicherweise selten geworden, aber dennoch gibt
dung des Koriums der Haut, die in der Regel durch β-hämolysieren­ es andere Keime, die eine lokale Gasbildung verursachen und oft
de Streptokokken der Gruppe A, seltener C, verursacht wird. Kleine schwer nachweisbar sind. Zu den häufiger auftretenden Infektionen
Rhagaden oder Erosionen sowie Insektenstichverletzungen sind mit gasbildenden Bakterien zählen die Peptostreptokokken. Diese
Eintrittspforten für die Keime. Der Infekt beginnt plötzlich und kann anaeroben, grampositiven Keime sind durch eine Therapie mit
mit systemischen Symptomen wie Schüttelfrost, Fieber und Erbre­ hochdosiertem Penicillin G trotz zunehmender Resistenzen meist
chen einhergehen. noch gut zu behandeln.
57.5 · Differenzialdiagnosen
541 57
57.4.6 Nekrotisierende Fasziitis

Dies ist eine seltene, aber schwere streptokokkenbedingte Weichge­


websinfektion mit einer Mortalitätsrate von 25%.

Klinik. Die nekrotisierende Fasziitis ist durch eine Nekrose von Fas­
zien gekennzeichnet, die sich rapide ausdehnt. An den Händen und
Unterarmen tritt sie selten auf. Anfänglich präsentiert sich das
Krankheitsbild mit noch intakt erscheinender Haut, die erysipelartig
leicht gerötet sein kann. Im Gegensatz dazu sind die Allgemein­
symptome wie Schmerz, Fieber, Schüttelfrost und kardiovaskuläre
Symptome bis zum Schock oft extrem.

Therapie. Trotz der intakt erscheinenden Haut liegen oft schon aus­
gedehnte Fasziennekrosen vor, die einer sofortigen chirurgischen
Intervention bedürfen. Bei einem Fortschreiten der Erkrankung
kommt es zu einer Nekrose von Haut, Subkutangewebe und Muskel.
> Die nekrotisierende Fasziitis ist eine per se lebensbedroh­
a
liche Erkrankung und erfordert eine schnelle chirurgische
Intervention mit ausgedehntem Débridement der betrof­
fenen Areale sowie eine intensive erregergerechte antibio­
tische Therapie.
In der Regel sind mehrere Revisionsoperationen notwendig, insbe­
sondere bei fortschreitender Gewebenekrose. Patienten mit nekroti­
sierender Fasziitis müssen meist aufgrund der großen Wundflächen,
des Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes und der Schmerzen inten­
sivmedizinisch betreut werden.
Das ursächliche Erregerspektrum umfasst aerobe und anaerobe
Keime, wobei am häufigsten β-hämolysierende Streptokokken der
Gruppe A isoliert werden. Die antibiotische Therapie umfasst bei
β-hämolysierenden Streptokokken Penicillin G. Anaerobe Patho­
gene, gramnegative aerobe Keime und häufig mitisolierte Staphy­
lokok­ken können mit Clindamycin oder Gentamicin gut erreicht
werden.
Nach Infektsanierung erfolgt die Defektdeckung in der Regel
durch Spalthauttransplantationen oder freien Gewebetransfer, je
nach Ausdehnung und Tiefe des Weichgewebsdefektes.
b

. Abb. 57.9a, b Differenzialdiagnosen von Handinfekten: Schlangenbisse


57.5 Differenzialdiagnosen führen zu einer Schwellung, Schmerzhaftigkeit und teilweise zu einer Ne-
krose des betroffenen Fingers und können bei Lage an der Fingerkuppe wie
Einige systemische Erkrankungen, die sich an der Hand manifestie­ ein Panaritium imponieren. (Aus Kall u. Vogt 2005b)
ren können, wie das Pyoderma gangraenosum, die rheumatoide
Arthritis und die Gicht, imitieren nicht selten Infektionen und er­
schweren die Diagnosefindung. Zudem gibt es verschiedene Tumo­ das Pyoderma gangraenosum auf dem Boden einer systemischen
ren, die hauptsächlich an den Fingern auftreten und durch Schwel­ Grunderkrankung wie M. Crohn oder Colitis ulcerosa.
lung, Rötung und Schmerzhaftigkeit eine Infektion vortäuschen Die Therapie ist nicht primär chirurgisch, sondern erfolgt lokal
können. Auch die in unseren Breiten selten auftretenden Schlangen­ antiseptisch und durch die Behandlung der zugrundeliegenden Vas­
bisse führen zu einer Schwellung, Schmerzhaftigkeit und teilweise zu kulitis, z. B. mit Kortikosteroiden. Obwohl die histologische Unter­
einer Nekrose des betroffenen Fingers und können bei Lage an der suchung nicht spezifisch ist, kann eine infektionsbedingte Ulzera­
Fingerkuppe wie ein Panaritium imponieren (. Abb. 57.9). tion durch eine Biopsie aus dem Ulkus ausgeschlossen werden.

57.5.1 Pyoderma gangraenosum 57.5.2 Herpes

Das Pyoderma gangraenosum ist eine nichtinfektiöse, vaskulitisbe­ Herpesinfektionen können je nach Ausprägung zu unterschied­
dingte Hautulzeration mit entzündlich-pustulösem Rand, die sich lichsten Erscheinungsformen von Rötungen, Bläschenbildungen bis
schnell entwickelt und eine Ausdehnung bis zu 20 cm erreichen zu Hautablösungen führen.
kann. Aufgrund des akuten Verlaufs und der Rötung um das Ulkus
herum kann das Pyoderma gangraenosum mit einer infektionsbe­
dingten Ulzeration verwechselt werden. In ca. 50% der Fälle entsteht
542 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

57.5.3 Rheumatoide Arthritis und Gicht ­ egel einen Osteophyten, der für die Bildung der Mukoidzyste ur­
R
sächlich ist.
Akute Schübe von Gelenkrheuma und Gichtanfälle können ein ähn­ Riesenzelltumoren sind die zweithäufigsten Tumoren der Hand.
liches klinisches Bild wie eine septische Arthritis verursachen. Im Ihre Pathogenese ist unklar. Sie führen zu einer lokalen Auftreibung
Vordergrund stehen die Auftreibung des betroffenen Gelenkes, eine des Fingers und können mit einer Beugesehnenscheidenphlegmone
Rötung und Überwärmung sowie eine massive Schmerzhaftigkeit. verwechselt werden.
Differenzialdiagnostisch wichtig sind hierbei Ähnlich verhält es sich mit Knochentumoren wie Enchondro­
4 der akute Beginn der Symptome, men. Sie werden oft erst bei Schmerzhaftigkeit nach Infrakturierung
4 das fehlende Trauma, des Knochens diagnostiziert und gehen mit einer Auftreibung der
4 die fehlende Eintrittspforte für Keime, Phalanx, Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit des Fingers ein­
4 die Begrenzung der Rötung und Schwellung auf das betroffene her, sodass sie zur Fehldiagnose der Beugesehnenscheidenphlegmo­
Gelenk, ne führen können.
4 die fehlende Lymphangitis, die krankheitsentsprechenden ra­ Glomustumoren des Nagelbettes können durch ihre Lokalisa­
diologischen Veränderungen und tion und ausgeprägte Schmerzhaftigkeit eine Infektion des Nagel­
4 die Anamnese des Patienten mit oft bekannter Grunderkran­ bettes imitieren. Ein Röntgenbild des betroffenen Fingers gibt hier
kung. jedoch Aufschluss, da Glomustumoren ein knochenverdrängendes
Wachstum aufweisen.
Insbesondere bei akuten rheumatischen Schüben deuten bereits vor­
handene Deformitäten der Fingergelenke, wie eine Ulnardeviation
der Finger, auf die zugrunde liegende Erkrankung hin. Eine Blutent­ 57.6 Operatives Vorgehen
nahme mit Bestimmung der Infektparameter (Leukozyten, C-reak­
tives Protein, Blutsenkungsgeschwindigkeit) und des Harnsäurespie­ 57.6.1 Plastische Weichteildeckung
57 gels sowie die Anfertigung von Röntgenbildern sind differentialdia­
gnostisch entscheidend. Sowohl die Behandlung eines akuten Rheu­ Massive Infektionen an der Hand hinterlassen nicht selten ausge­
maschubes als auch einer Gicht ist primär nicht chirurgisch, sondern dehnte Weichteildefekte, die einer plastisch-chirurgischen Defekt­
wird in erster Linie medikamentös durchgeführt. Die Ruhigstellung deckung bedürfen. Hierbei muss man Die Lokalisation der Defekte
der betroffenen Gelenke kann dennoch eine Linderung der Be­ unterscheiden:
schwerden herbeiführen (. Abb. 57.10). 4 an den Fingern,
4 am Daumen, am Handrücken und
4 an der Hohlhand.
57.5.4 Tumoren der Hand
Das Ausmaß und die Lokalisation des Gewebeverlustes bestimmen
Verschiedene Tumoren der Hand können zur Fehldiagnose eines über den Modus der Defektdeckung, die von einer einfachen Spalt­
Fingerinfektes führen, insbesondere bei tumorbedingter Schwellung hauttransplantation bis zum freien Gewebetransfer reichen kann
und Druckschmerzhaftigkeit der betroffenen Extremität. (. Tab. 57.2).
Ganglien der Gelenke und Beugesehnenscheiden führen zu ei­
> Zu beachten ist, dass plastische Defektdeckungen keines­
ner lokalen Schwellung und können druckschmerzhaft sein. Treten
falls aus betroffenen oder unmittelbar der Infektionszone
sie als Mukoidzysten an den dorsalen Endgelenken in der Nähe des
benachbarten Geweben gewonnen werden dürfen. Somit
Nagelwalls auf, können sie eine Paronychie mit Schwellung, Rötung
erfolgt die plastische Rekonstruktion im infektfreien Inter­
und Druckschmerz imitieren. Palpatorisch lassen sie sich jedoch
vall mit gut durchblutetem Gewebe.
oft als Ganglien identifizieren. Im Röntgenbild sieht man in der
Prinzipiell werden auch an der Hand verschiedene Lappentypen je
nach Blutversorgung unterschieden. Man unterteilt
4 »random pattern flaps«, die ihre Blutversorgung aus dem sub­
dermalen Plexus erhalten, und
4 »axial pattern flaps«, bei denen ein axial liegendes Gefäß die
Blutversorgung des entsprechenden Gewebestücks übernimmt.
»axial pattern flaps« werden zusätzlich eingeteilt in
5 kutane Lappen,
5 fasziokutane Lappen und
5 muskulokutane Lappen.

Insbesondere bei Weichteildefekten an den Fingern kann eine De­


fektdeckung oft durch lokale »random pattern flaps« erfolgen.

57.6.2 Lokale Lappenplastiken

Z-Plastik. Die bekannteste lokale Lappenplastik ist die Z-Plastik, die


a b
als Transpositionslappen an der Hand häufig ihre Anwendung fin­
. Abb. 57.10a, b Differenzialdiagnosen von Handinfekten: Schwellung det, aber bei postinfektiösen Weichteildefekten oft nicht genügend
und Auftreibung durch Gichttophus. (Aus Kall u. Vogt 2005b) Gewebe zur Defektdeckung mobilisieren kann.
57.6 · Operatives Vorgehen
543 57

. Tab. 57.2 Lappenplastiken an der Hand, die zur Deckung postinfektiöser Defekte genutzt werden können

Lokalisation Palmarer Defekt Dorsaler Defekt

Lokale Lappen Regionale Lappen Fernlappen Lokale Lappen Regionale Lappen Fernlappen

Fingerkuppe, VY-Lappen Cross-finger-Lappen, Bauchhautlappen, – Reversed-cross- Bauchhautlappen,


Mittel- und Thenarlappen, Leistenlappen, finger-Lappen, Leistenlappen,
Endphalanx neurovaskulärer Spalthaut, Thenarlappen, Spalthaut,
Insellappen Vollhaut distal gestielter Vollhaut
vaskulärer Insel­
lappen

Proximales Mediolateraler Cross-finger-Lappen, Bauchhautlappen, Transpo­sitions­ Reversed-cross- Bauchhautlappen,


Interphalan- Transpositions- Advancement- Leistenlappen, lappen finger-Lappen, Leistenlappen
gealgelenk lappen (Bun- Lappen (z. B. Hues- Spalthaut, DMCA-Lappen
nell-Lappen) ton-Lappen), Vollhaut,
homodigitaler Insel- venöser Durch-
lappen stromlappen

Proximale Mediolateraler Cross-finger-Lappen, Bauchhautlappen, Transpositions- Reversed-cross- Bauchhautlappen,


Phalanx Transpositions- Flaggenlappen, Leistenlappen Spalt- lappen finger-Lappen, Leistenlappen,
lappen DMCA-Lappen, haut, DMCA-Lappen Spalthaut,
Advancement- Vollhaut, Vollhaut
Lappen venöser Durch-
stromlappen

Metakarpo- Mediolateraler Flaggenlappen, Bauchhautlappen, Mediolateraler Flaggenlappen, Bauchhautlappen,


phalangeal- Transpositions- DMCA-Lappen Leisenlappen, Transpositions- DMCA-Lappen Leistenlappen,
gelenk lappen Spalthaut, lappen Spalthaut,
Vollhaut Vollhaut

Metakarpus Transpositions- Filet-Lappen, Leistenlappen, Limberg- Filet-Lappen, Radialislappen,


lappen vaskuläre Insel­ Radialislappen, Lappen, DMCA-Lappen Interosseus-
lappen Interosseus-poste­ Rotations­ posterior-Lappen,
rior-Lappen, lappen, Leistenlappen,
ALT-Lappen, Advancement- ALT-Lappen,
Paraskapularlappen, Lappen Paraskapular­
Spalthaut, lappen,
Vollhaut lateraler Oberarm-
lappen,
Spalthaut,
Vollhaut

Daumen VY-Lappen, Neurovaskulärer Bauchhautlappen, Transpositions- Distal gestielter Spalthaut,


Moberg-Lappen Insellappen (Fou- Leistenlappen, lappen vaskulärer homodi- Vollhaut,
cher-Lappen), Spalthaut, gitaler Insellappen Bauchhautlappen,
homodigitaler neu- Vollhaut Leistenlappen
rovaskulärer Insel-
lappen,
Cross-finger-Lappen

Transpositionslappen. Kleine Transpositionslappen können gut 57.6.3 Regionale Lappenplastiken


bei Weichgewebsdefekten an den dorsalen Fingern mobilisiert wer­
den und reichen oft zur Deckung kleiner Defekte über dem proxi­ (Reversed-) Cross-finger-Lappen. Die wichtigsten und am häufig­
malen Interphalangealgelenk oder der proximalen Phalanx aus. Der sten verwendeten regionalen Lappen an der Hand sind der Cross-
Hebedefekt lässt sich meist primär verschließen. finger-Lappen und der Reversed-cross-finger-Lappen. Die meisten
dorsalen oder palmaren Defekte an den Grund-, Mittel- und End­
Moberg-Lappen. Zu den axial gestielten lokalen Lappen zählt der gliedern der Langfinger können mit diesem Lappen gedeckt werden.
Moberg-Lappen, ein Advancement-Lappen, der sich zur Deckung Er ist sehr verlässlich und verhältnismäßig einfach zu präparieren.
distaler Daumenkuppendefekte eignet und dort häufig Anwendung
findet. Thenarlappen. Defekte an der Fingerkuppe, die sich nicht mehr
durch lokale Lappenplastiken verschließen lassen, können u. a.
VY-Lappen. Bei distalen Weichgewebsdefekten der Fingerkuppe durch einen Thenarlappen gedeckt werden.
werden oft palmare VY-Lappen oder radiale und ulnare VY-Lappen
(Kutler-Lappen) genutzt.
544 Kapitel 57 · Infektionen der Hand

. Abb. 57.12a, b Plastische Defektdeckung am Handrücken nach ausgie-


bigem Infekt. Débridement durch freien Latissimuslappen. (Aus Kall u. Vogt

57
2005b)

dorsaler Defekte an der Hand verwendet werden kann (. Abb. 11).


Ein Nachteil des Radialislappens ist ohne Zweifel sein kosmetisch
störender Hebedefekt.

Interosseus-posterior-Lappen. Ein weiterer axial gestielter Fern­


lappen ist der Interosseus-posterior-Lappen, der seine Anwendung
hauptsächlich bei Weichteildefekten des Handrückens findet. Der
b Hebedefekt dieses Lappens kann in der Regel primär verschlossen
werden.
. Abb. 57.11a, b Plastische Defektdeckung am Handrücken nach ausgie-
bigem Infekt. Débridement durch gestielten Radialislappen. (Aus Kall u.
Vogt 2005b) Leistenlappen. Zu den häufig verwendeten axial gestielten Fernlap­
pen gehört auch der Leistenlappen.
> Der Leistenlappen kann bei nahezu allen Weichteilde­
Insellappen. Bei Weichteildefekten der Finger an Stellen, die für die
fekten der Hand angewendet werden.
Greiffunktion wichtig sind, wie die ulnare Daumen- oder radiale
Zeigefingerseite, können neurovaskuläre axial gestielte Insellappen
anderer Finger Verwendung finden. Eine besondere Bedeutung hat Sonstige. Selten werden freie fasziokutane oder myokutane Lappen
hierbei der Foucher-Lappen, der vom dorsoradialen Aspekt der pro­ zur Defektdeckung an der Hand benötigt, da sie oft sehr voluminös
ximalen Phalanx des Zeigefingers gestielt an der ersten dorsalen sind. Gelegentlich finden bei großflächigen Defekten der anterolate­
metakarpalen Arterie, zwei Begleitvenen und den Ausläufern des rale Oberschenkellappen (ALT), der Paraskapularlappen oder der
R. superficialis n. radialis gehoben und auf den ulnaren Aspekt der myokutane Latissimuslappen Anwendung (. Abb. 57.12).
Daumenkuppe transponiert wird. Bei distalen Defekten der Finger­
kuppe können alternativ homodigitale distal gestielte vaskuläre In­
sellappen zur Defektdeckung verwendet werden. Für Defekte an 57.7 Zusammenfassung
der dorsalen proximalen Phalanx und über dem proximalen Inter­
phalangealgelenk bietet sich zudem eine Defektdeckung mit einem Die Behandlung von Handinfektionen beruht auf 3 Säulen (. Über-
dorsalen Metakarpalarterienlappen (DMCA) an. sicht).

Handinfektionen: Die 3 Säulen der Therapie


57.6.4 Axial gestielte und freie Fernlappen
4 Sorgfältiges und radikales chirurgische Débridement
Bei ausgedehnten Weichteildefekten an Handrücken und in der 4 Fühzeitige adäquate, erregergerechte antibiotische
Hohlhand muss man nach der Infektsanierung die Deckung mittels Therapie
axial gestieltem oder frei transplantiertem Fernlappen in Erwägung 4 Frühfunktionelle Physiotherapie
ziehen.

Radialislappen. Zu den bekanntesten gestielten fasziokutanen Tierbissverletzungen haben einen besonderen Stellenwert, da sie oft
Fernlappen zählt der Radialislappen, der zur Deckung palmarer und zu Infektionen führen. Bissverletzungen an der Hand zählen zu den
57.7 · Zusammenfassung
545 57
Hochrisikoverletzungen. Eine antibiotische Prophylaxe wird daher Kanavel AB (1943) Infections of the Hand. A guide to the surgical treatment
empfohlen. of acute and chronic suppurative processes in the fingers, hand, and
Die häufigsten Handinfektionen wie das Panaritium und die forearm, vol 7. Lea & Febiger, Philadelphia
Kappel DA, Burech JG (1985) The cross-finger flap: An established reconstruc-
Paronychie sind in der Regel gut sanierbar. Selten kommt es aber
tive prcedure. Hand Clinics 1: 677
auch hier zu einer Fortleitung des Infektes bis zur Beugesehnen­
Kutler WA (1947) A new Method for Finger tip amputation. JAMA 133: 129
scheiden- und Hohlhandphlegmone, die einer massiven chirur­ Linscheid RL, Dobyns JH (1975) Common and uncommon infections of the
gischen Intervention bedürfen und oft nur mit dem Verbleib einer hand. Orthop Clin North Am 6: 1063
Restfunktion der Hand ausheilen. Bei der Behandlung von Hand­ Littler JW (1960) Neurovascular skin island transfer in reconstructive hand
phlegmonen ist die Erstellung eines chirurgischen Therapiekon­ surgery. Trans 2nd Int Congr Soc Plast surgeons 175
zeptes unter Einbindung der Mikrobiologen und Handtherapeuten Louis DS, Jebson PJ (1998) Mimickers of hand infections. Hand Clin 14: 519
von entscheidender Bedeutung. Manthey DE, Schissel DJ (1999) Ulcers on the fingers. Acad Emerg Med 6:
Die Therapie von manifesten Handinfektionen gehört in die 637
Hand eines erfahrenen Handchirurgen. Die primäre chirurgische Matter HC (1998) Sentinella Arbeitsgemeinschaft. The epidemiology of bite
and scratch injuries by vertebrate animals in Switzerland. Eur J Epide-
Versorgung ist für die weitere Prognose der Handfunktion rich­
miol 14: 483
tungsgebend. Für die operative Intervention ist eine ausgezeichnete
Medeiros I, Saconato H (2001) Antibiotic prophylaxis for mammalian bites.
Kenntnis der anatomischen Gegebenheiten und der Ausbreitungs­ Cochrane Database Syst Rev 21: CD001738
modalitäten von Infektionen an der Hand notwendig. Nur so kön­ Michon J (1974) Le phlegmon des gaines. Ann Chir 28: 277
nen eine möglichst kurze Krankheitsdauer und Rehabilitationszeit Moberg E (1964) Aspects of Sensation in reconstructive surgery of the upper
ermöglicht werden und die sozioökonomischen Kosten, die sich aus extremity. J Bone Joint Surg [Am] 46: 817.
den Folgen massiver Handinfekte ergeben können, gesenkt werden. Mühlbauer W, Herndl E, Stock W (1982) The forearm flap. Plast Reconstr Surg
Die chirurgische Therapie der Handinfektion ist kein Anfängerein­ 70: 336
griff. Nevasier RJ (1988) Infections. In: Green DP (Hrsg) Operative hand surgery,
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Kall S, Vogt PM (2005a) Chirurgische Therapie von Infektionen der Hand –
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Kall S, Vogt PM (2005b) Chirurgische Therapie von Infektionen der Hand –
Teil II. Chirurg 76: 721–732
58

Ischämische Kontrakturen
an Unterarm und Hand
K.H. Busch, A. Gohritz

58.1 Einleitung – 548

58.2 Kompartments an Unterarm und Hand – 548

58.3 Volkmann-Kontraktur – 551


58.3.1 Unterarm – 551
58.3.2 Hand – 552
58.3.3 Arthrodesen – 552

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
548 Kapitel 58 · Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand

58.1 Einleitung Am Unterarm bestehen 3 Kompartimente (. Abb. 58.1).


4 Das bedeutendste liegt beugeseitig. Es umfasst neben den kräf­
Die Kontrakturen der oberen und unteren Extremität infolge einer tigen Beugern des Handgelenks die oberflächlichen und tiefen
Muskelischämie durch Kompartmentsyndrom sind in den ver­ Beuger der Finger, des Daumens und den M. pronator quadra­
gangenen Jahren glücklicherweise zurückgegangen. tus. Als weitere empfindliche Strukturen liegen in diesem Kom­
Nichtsdestoweniger stellen die Kontrakturen der oberen Extre­ partment der N. medianus, der N. ulnaris mit der A. ulnaris und
mität, meist mit Verkürzung der Beugemuskulatur, den Chirurgen die A. radialis.
auch heute noch vor komplexe Aufgaben. Zu Zeiten von Richard von 4 Dorsal findet sich das Streckerkompartment, das neben der
Volkmann, der 1881 die Muskelischämie als ursächlich für die defor­ Muskulatur der Extensoren den R. profundus des N. radialis
mierenden Lähmungen an der oberen Extremität erkannte, waren und die A. und V. interosseus dorsalis enthält.
konstringierende Verbände die Hauptursache. Obwohl die Ursache 4 Das 3. Kompartment am Unterarm, das radiale Kompartment,
dieser Lähmung und Kontraktur nun seit mehr als 125 Jahren be­ enthält die radialen Handgelenksstrecker und den M. brachiora­
kannt ist, sind falsch angelegte Verbände immer noch anzutreffen. dialis.
Vor allem aber bei polytraumatisierten oder narkotisierten und be­
atmeten Patienten auf Intensivstationen, bei denen der Schmerz als Ähnlich wie am Unterschenkel wird das Beugekompartment zusätz­
Kardinalsymptom der frühen Ischämie fehlt, kommt es immer wie­ lich durch eine querverlaufende Faszie in ein oberflächliches und ein
der zum Circulus vitiosus von steigendem Kompartmentdruck, ve­ tiefes Kompartment geteilt. In der tiefen Schicht finden sich der
nöser Abflussbehinderung, weiter zunehmender Schwellung und M. flexor digitorum profundus und der M. pronator quadratus unter
steigendem intrakompartimentalem Druck bis hin zur Ischämie von Einschluss der palmaren A. und V. interossea.
Muskel und Nerven. Die Mittelhand weist ebenfalls ein komplexes Geflecht fibröser
Wird das Kompartmentsyndrom frühzeitig erkannt, so kann Septen und Faszienunterteilungen auf (. Abb. 58.2). Das Thenar­
eine vollständige Kompartmentspaltung Schlimmeres verhindern. kompartment und das Hypothenarkompartment sind durch eigene
Führt eine Ischämie über mehrere Stunden zum Absterben und nar­ Faszien vom Mittelhandkompartment abgegrenzt. Das Mittelhand­
bigem Umbau der Muskeln und prägt sich eine Kontraktur vollstän­ kompartment selbst wird durch die Beugesehnen und die begleiten­
58 dig aus, sind oft aufwendige rekonstruktive Verfahren notwendig, den Gefäß-Nerven-Bündel und die Mm. lumbricales gebildet und
die individuell an das Ausmaß der Muskel- und Nervenschädigung palmarseitig durch die Palmaraponeurose abgegrenzt. Zwischen
angepasst werden müssen. den einzelnen Mittelhandknochen sind die Muskelkompartimente
der Interosseusmuskulatur begrenzt durch palmare und dorsale Sep­
ten, wobei sich bedingt durch den M. adductor pollicis eine Kom­
58.2 Kompartments an Unterarm und Hand munikation zwischen dem 1. und dem 2. Interosseusfaszienraum
findet.
> Die Muskeln der Extremitäten liegen in unnachgiebigen
osteofibrös begrenzten Logen. Die Rigidität der Faszien- Pathophysiologie. Ursache eines Kompartmentsyndroms ist der
räume führt bei Volumenzunahme unweigerlich zu einer steigende Druck innerhalb des Kompartments.
Drucksteigerung und Kompression von Muskeln und
Nerven.

. Abb. 58.1 Muskelkompartimente am Unterarm


58.2 · Kompartments an Unterarm und Hand
549 58
! Cave
Durch das Kompartmentsyndrom kommt es nicht nur zu
einer Schädigung der Muskulatur, sondern auch zu irre-
versiblen Nervenschäden. Bereits nach 30 min können er-
ste Funktionsausfälle auftreten, nach 12 h ist mit einer
vollständigen Fibrose der betroffenen Nerven zu rechnen.

Klinik und Diagnostik des Kompartmentsyndroms. Das Kompart­


mentsyndrom wird klinisch diagnostiziert. Das Leitsymptom ist
dabei der vom Patienten geäußerte Schmerz, der bei Muskeldehnung
zunimmt, hinzu kommen die begleitenden neurologischen Ausfälle.
Im fortgeschrittenen Stadium ist das betroffene Kompartment brett­
hart, geschwollen und extrem berührungsempfindlich. Die periphe­
ren Pulse erlöschen erst so spät, dass zu diesem Zeitpunkt bereits
irreversible Schäden zu erwarten sind.
Aufgrund des schleichenden Beginns ist es zuweilen schwie­
rig, ein Kompartmentsyndrom zu erkennen. Postoperativ können
. Abb. 58.2 Muskelkompartimente an der Mittelhand Schmer­zen als typische Symptome leicht übersehen werden, Gleiches
gilt für posttraumatische Schwellungen, v. a. bei intubierten Pa­
tienten.
Eine Reihe von unterschiedlichen Messmethoden hat sich da­
> Schon eine geringe Volumenzunahme in einem umschlos- her etabliert, um die subfaszialen Drücke transkutan messen zu
senen Kompartment kann ausreichen, um eine Druckzu- ­können. Neben der fortlaufenden Infusionstechnik nach Matsen
nahme zu bewirken, die zum Sistieren der Durchblutung und dem Wick-Katheter-Test ist die von uns genutzte Methode die
und somit zur Ischämie von Muskeln und Nerven führt. Nadelinjektionstechnik mit digitalem Monitoring. Eine Hohlna­
del wird hierbei transkutan in das entsprechende Kompartment ge­
Infolge des gestörten venösen und lymphatischen Abflusses kommt legt und mit einer entlüfteten Heidelberger Verlängerung an den
es zu einer weiteren Schwellung. Am Ende des fatalen Kreislaufs Monitoreingang zur blutigen Blutdruckmessung oder ZVD-Mes­
stehen die Minderperfusion und die Nekrose von Muskulatur sung angeschlossen. Der Kompartmentdruck kann dann nach vor­
und Nerven mit anschließender Fibrose und Kontrakturen der herigem Nullpunkteichen des Monitors auf dem Monitor abgelesen
Muskulatur und Funktionsausfälle der sensiblen und motorischen werden.
Nerven. Es wird empfohlen, oberhalb eines Kompartmentdrucks von
Die Hauptursachen für die Ischämie lassen sich in 3 große 40 mm Hg operative Maßnahmen zu ergreifen. Die Messung des
Gruppen zusammenfassen: Kompartmentdrucks gibt allerdings nur indirekt die Durchblutungs­
4 Schwellung und Ödem oder externer Druck durch Verband oder situation der Muskulatur wieder. Bei niedrigem arteriellem Druck
Gips, der zu einer venösen Stauung führt. Durch die venöse oder anderweitig erhöhtem venösem Widerstand sind auch schon
Stauung kommt es zur weiteren Zunahme des Ödems und zur vorher Perfusionsminderungen der vitalen Strukturen zu befürch­
Abnahme der arteriovenösen Druckdifferenz und zur Kompres­ ten. Neue Methoden wie Laserdopplermessungen oder Weißlicht­
sion und Ischämie der vitalen Strukturen. photospektrometrie zur Bestimmung der Gewebesauerstoffsätti­
4 Ein Abriss oder »kinking« der Arterien durch Fraktur oder er­ gung könnten nach weiterer klinischer Erprobung hier in Zukunft
höhten externen Druck führt zu einer primären Muskelschädi­ weitere Entscheidungshilfen liefern.
gung und Unterbrechung der arteriellen Versorgung.
4 Durch eine Blutung infolge von Muskel- oder Gefäßeinrissen Therapieprinzipien. Bei manifestem Kompartmentsyndrom sollte
kommt es ohne eine zusätzliche externe Kompression zu einer keine Zeit mit konservativen Maßnahmen wie Kühlen oder Hochla­
Drucksteigerung innerhalb eines umschlossenen Kompart­ gern der Extremität verloren werden. Eine schnellstmögliche Faszien­
ments. spaltung stellt die Therapie der Wahl dar. Ist die Entscheidung zur
Operation gefallen, so ist es sinnvoll, durch ausreichend große Inzi­
> Um dem Druck entgegenzuwirken, ist die rechzeitige
sionen der Faszien und der Haut eine vollständige Dekompression
Kompartmentspaltung und somit Unterbrechung des
des Kompartments und auch den nötigen Überblick zur Neurolyse
Kreislaufs von Stauung, Ödembildung, Kompression und
zu schaffen.
weiterer venöse Stauung angezeigt. Die Muskulatur zeigt
schon nach 4–6 h Ischämie irreversible Ausfälle.
Therapie des Kompartmentsyndroms am Unterarm. Der von uns
Da das Kompartmentsyndrom im Normalfall aber zunächst nicht standardmäßig angewandte Schnitt (. Abb. 58.3) beginnt medialsei­
zu einer vollständigen Ischämie führt, sondern über die beschrie­ tig am Oberarm und zieht medial um den Epicondylus humeri ulna­
benen Mechanismen erst langsam die arterielle Versorgung sistiert, ris zum Unterarm. Am Unterarm wird der Schnitt dann S-förmig
sind definitive irreversible Muskelschäden teilweise erst nach 12 h nach radial bis etwa zur Mitte des Unterarmes fortgeführt, um dann
zu erwarten. Die Schädigungen der Muskulatur reichen von der an der ulnaren Seite der Rascetta zu enden. Von hier aus wird die
vollständigen Nekrose mit fettig gelblichem Umbau der Muskel­ Inzision dann quer im Verlauf der Rascetta bis über den N. median­
gruppen und folgender Fibrose bis zu diffusen interstitiellen Nekro­ us fortgeführt und endet schließlich in der Hohlhand im Verlauf der
sen, wobei die Muskulatur ihre tiefrote Farbe verliert und deutlich Linea vitalis.
heller imponiert, aber noch eine verbleibende Restfunktion zu er­ Alternativ kann man auch auf den S-förmigen Verlauf am Un­
warten ist. terarm verzichten und auf eine gerade Inzision an der Ulnarseite des
550 Kapitel 58 · Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand

a b

58

. Abb. 58.3a–d Schnittführung zur Entlastung bei Kompartmentsyndrom Unterarmstreckmuskulatur. c S-förmige Inzision zur Kompartmententlastung
am Unterarm. a Gerade Schnittführung mit günstigerer ästhetischer Ver- von Ober- und Unterarm und Umsetzung am Beispiel einer Verbrennung (d).
laufsrichtung aber schlechterer Übersicht. b Inzision dorsalseitig vom Epi- Der ulnare Velauf am Unterarm erhält einen evtl. erforder­lichen Radialislap-
condylus lateralis zum 4. Strecksehnenfach reichend für Exploration der pen. [Fotos: © Unpict/Fotolia.com (a) und © Sframe/Fotolia.com (b)]

Unterarms zurückgreifen. Diese Variante hat den Vorteil, ästheti­ Therapie des Kompartmentsyndroms an der Hand. In der Hohl­
scher und unauffälliger zu sein und ggf. gleichzeitig auch das streck­ hand selbst wird wie zur Fasziektomie im Sinne eines umgekehrten
seitge Kompartment spalten zu können, ist aber unübersichtlicher. Mercedes-Sterns in der Verlängerung der Linea vitalis und dann
Zur Dekompression des Streckerkompartments verwenden wir quer im Verlauf der proximalen Hohlhandbeugefalte geschnitten.
eine gerade Inzision vom Epicondylus humeri radialis oder kurz pro­ Streckseitig führen wir lediglich eine gerade verlaufende Inzision in
ximal davon in der Mitte des Unterarms über den Fingerextensoren Verlängerung des 3. Strahls durch. Von hier aus lassen sich die Fas­
bis zum 4. Streckerfach. zien der Interosseusmuskeln leicht spalten, und man geht nicht das
Risiko ein, dass es zu einer Hautnekrose in der Brücke zwischen den
sonst üblichen zwei parallelen Inzisionen kommt (. Abb. 58.4).
58.3 · Volkmann-Kontraktur
551 58

a b

. Abb. 58.4 Schnittführung zur Entlastung bei Kompartmentsyndrom an der Hand

58.3 Volkmann-Kontraktur den N. ulnaris sind hier der Sulcus nervi ulnaris, der Durchtritt des
Nervs durch den M. flexor carpi ulnaris und die Loge de Guyon zu
58.3.1 Unterarm beachten. Wichtig ist es auch, die Nerven nach erfolgter Neurolyse
nicht wieder in die Muskelnekrosen zurückzulegen, sondern in gut
Die Ausprägung der Folgeschäden nach einer Ischämie der Unter­ durchblutetes Gewebe zu verlagern. Sind die Nerven vollständig fi­
armmuskulatur ist sehr variabel und abhängig von Ausmaß und Art brotisch umgebaut oder fettig degeneriert und dies langstreckig, sind
der Schädigung. Das klinische Erscheinungsbild wird durch die teilweise Nerveninterponate angezeigt, dies aber nur, wenn ein ent­
Muskelschädigung mit Kontrakturen der entsprechenden Gelenke, sprechend gut perfundiertes Bett für die Transplantate zur Verfü­
zum anderen aber auch durch den Ausfall der motorischen Nerven­ gung steht.
anteile bestimmt. Vorhandene Muskelnekrosen sollten immer vollständig rese­
Ist die Unterarmbeugemuskulatur betroffen, kommt es typi­ ziert werden, um erneute Verklebungen nach der mühseligen Lö­
scherweise zu einer Beugekontraktur im Ellbogen- und im Hand­ sung zu vermeiden. Einzige Ausnahme stellen kleine Nekrosen am
gelenk. Die Stellung der Finger ist bedingt durch die Lähmung der muskulotendinösen Übergang dar, welche zum Erhalt der Funktion
Handbinnenmuskultur infolge des kombinierten Ausfalls von dienlich sein können.
N. medianus und N. ulnaris und durch die Kontraktur der ober­
flächlichen und tiefen Fingerbeuger. Sind M. pronator teres und Operation nach Page-Scaglietti. Das Verfahren der Wahl bei Kon­
M. pronator quadratus betroffen, imponiert eine Pronationsstellung trakturen und makroskopisch noch erhaltener Durchblutung der
der Hand. Muskulatur stellt die Desinsertion der Muskelansätze am proxima­
len Unterarm nach Page-Scaglietti dar (. Abb. 58.5). Vom Oberarm
Therapieprinzipien. Die Therapie bei geringer Ausprägung und kommend wird nach Darstellung der Nerven und der A. brachialis
akzeptabler Restbeweglichkeit besteht in konservativen Maßnah­ medial am Oberarm, am Epicondylus humeri ulnaris die Muskulatur
men wie Bewegungsübungen und Streck-Quengeln. desinseriert. Die Desinsertion muss nach distal entlang der Ulna und
Bei ausgeprägteren Formen kann ein einheitlicher Therapie­ der Membrana interossea fortgeführt werden, bis sich eine ausrei­
vorschlag nicht gegeben werden. Die Variabilität der Schädigungs­ chende Streckung des Handgelenks und der Finger erzielen lässt.
muster der betroffenen Muskelgruppen mit partiellem oder voll­ Ist der M. flexor pollicis longus mitbetroffen, können eine Re­
ständigem zusätzlichem Nervenausfall erfordert ein individuelles sektion des Muskels und Sehnenkopplung an die oberflächlichen
Management nach genauester vorheriger Evaluation des Befundes. Fingerbeuger indiziert sein. Bei einer Pronationskontraktur muss
Bei der operativen Revision ist bei diagnostiziertem Nerven­ der M. pronator teres ebenfalls desinseriert werden.
schaden auch eine langstreckige Neurolyse angezeigt. Diese wird
zuerst durchgeführt (vor dem Lösen von Verwachsungen, Resektion Postoperatives Management. Grundsätzlich sollte präoperativ ein
von Muskelnekrosen, Ablösen von Muskelansätzen, Tenolysen oder Plexuskatheter angelegt werden, um möglichst frühzeitig postopera­
anderen operativen Verfahren), um zusätzlichen Läsionen der häu­ tiv mit passiven Beübungen beginnen zu können. Postoperativ sollte
fig in narbig umgebautem Muskelgewebe verbackenen Nerven zu das Wundgebiet ausreichend drainiert werden und eine Unterarm­
vermeiden. gipsschiene zur Extension des Handgelenks angelegt werden.
Hier ist v. a. auch auf die physiologischen Engstellen der Nerven
zu achten. Von proximal, aus gesundem Gewebe kommend, erfolgt Verlängerungstenotomie. Sind nur einzelne Muskeln betroffen, ist
die Darstellung des N. medianus am Oberarm, hier ist v. a. auf den zur Auflösung der Kontraktur nicht immer eine vollständige Desin­
Lacertus fibrosus, den Durchtritt durch den M. pronator teres, die sertion erforderlich. Bei noch vorhandener Restfunktion und nur
Superfizialisarkade und das Retinaculum flexorum zu achten. Für teilweiser Nekrose bietet sich eine Verlängerungstenotomie an. Die
552 Kapitel 58 · Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand

Wie auch bei den Muskelumlagerungen ist es entscheidend für


das Ergebnis, dass die Muskelvorspannung richtig eingestellt wird.
Eine zu geringe oder vor allem auch zu starke Vorspannung ver­
mindert die Kontraktionsfähigkeit der Sarkomere als kleinste Ein­
heiten des Muskels, so dass die Kraftentwicklung vermindert oder
unmöglich wird und der Muskel nur noch im Sinne einer Tenodese
wirken kann.
Zur präoperativen Diagnostik zählen:
4 Ausführliche klinische Untersuchung einschließlich der Testung
der Sensibilität
4 Neurophysiologische Untersuchung aller Unterarmnerven
4 Ggf. MRT um das Ausmaß und die Lokalisation der Nekrosen
beurteilen zu können.

a
58.3.2 Hand

Kontrakturen an der Hand bedürfen meist Release-Operationen,


seltener sind auch Muskelersatzoperationen angezeigt.
Bei der typischen Adduktionskontraktur des Daumens ist ein
Release des M. adductor pollicis meist ausreichend, um den Daumen
aus der Hohlhand heraus in eine mögliche Greifposition zu bringen.
Bei länger andauernder Kontraktur ist ein Hautersatz durch Trans­
positionslappen mit oder ohne Vollhauttransplantation notwendig.
58 Bei der typischen Schwanenhalsdeformität der Finger nach
Kontraktur der Handbinnenmuskulatur mit einer Beugung der Me­
takarpophalangealgelenke und Überstreckung der proximalen In­
terphalangealgelenke sollte zunächst ein Release des Tractus lateralis
b an der Streckaponeurose erfolgen, wie von Littler u. Eaton (1967)
beschrieben. In manchen Fällen kann zusätzlich ein Versetzen oder
. Abb. 58.5 Typische Volkmann-Kontraktur nach kindlicher Unterarm­ Doppeln der palmaren Platte angezeigt sein oder sich eine Tenodese
fraktur (a). Klinisch-funktionelles Ergebnis nach Scaglietti-Operation und der oberflächlichen Beugesehnen günstig auswirken.
zusätzlicher Tenodese der FPL- und FDS-2-Sehne (b)

58.3.3 Arthrodesen
Inzision erfolgt hierbei über dem distalen Drittel des Unterarms im
Bereich des muskulotendinösen Übergangs. Nach Darstellen des Als Ultima ratio stehen zur Verbesserung der Gesamtfunktion der
N. medianus und N. ulnaris werden die betreffenden Sehnen nach oberen Extremität bei Volkmann-Kontraktur immer auch Arthro­
der Narbenlösung identifiziert. Die Sehnen werden dann treppen­ desen der Fingergelenke, Metakarpophalangealgelenke oder des
förmig inzidiert. Es ist darauf zu achten, die Inzision in der Sehnen­ Hangelenks zur Verfügung, da sich hierdurch die Anzahl der zu be­
mitte lang genug zu wählen, um genügend Spielraum für die Verlän­ wegenden Gelenke reduzieren und eine bessere Stabilität der Rest­
gerung zu haben. beweglichkeit erreichen lässt. Zudem können frei werdende Mus­
keln, z. B. die Handgelenksbeuger oder -strecker, zur Motorisierung
Muskeltransposition. Muss ein Kompartment aufgrund der Nek­ von Daumen und Fingern eingesetzt werden.
rosen vollständig ausgeräumt werden, sind Muskelumlagerungen
und Transpositionen der Beuger auf die Strecker und umgekehrt Literatur
angezeigt. Bei einer Nekrose des Streckerkompartments wird analog Botte MJ, Gelberman RH (1998) Acute compartment syndrome of the fore-
zur Radialisersatzplastik einer der intakten Handgelenksbeuger arm. Hand Clin 14: 391
ventralisiert und als Motor für die Fingerstrecker genutzt. Bei Verlust Gellman H, Buch K (1998) Acute compartment syndrome of the arm. Hand
des tiefen und oberflächlichen Fingerbeugers kann ebenso einer der Clin 14: 385
Handgelenksstrecker nach palmar umgelagert werden, um hier die Ortiz Jr JA, Berger RA (1998) Compartment syndrome of the hand and wrist.
tiefen Beugesehnen zu versorgen. Hand Clin 14: 405
Auch der M. brachioradialis ist, sofern erhalten, ein wertvoller Serokhan AJ, Eaton RG (1983) Volkmann’s ischemia. J Hand Surg [Am] 8: 806
Motor sowohl für den Streckerersatz als auch für den Ersatz der Whitesides TE, Haney TC et al. (1975) Tissue pressure measurements as a de-
terminant for the need of fasciotomy. Clin Orthop 113: 43
Beugemuskulatur. Er kann Verwendung finden als Ersatz eines
Lanz U, Felderhoff (2000) Ischämische Kontrakturen an Unterarm und Hand.
Handgelenksbeugers (FCR) oder Handgelenksstreckers (ECRL)
Handchir Mikrochir Plast Chir. 32: 6–25
oder auch zum funktionellen Ersatz des langen Daumenbeugers Littler JW, Eaton RG (1967) Redistribution of forces in the correction of the
(FPL) oder -streckers (EPL). boutonnière deformity. J Bone Joint Surg Am 49: 1267
In Fällen von stärkster Ausprägung des Muskeluntergangs kann Prommersberger KJ, van Schoonhoven J, Kalb K, Lanz U (2008) Rekonstruk­
eine freie, funktionelle Muskelverpflanzung durchgeführt werden. tion nach Kompartmentsyndrom an Unterarm und Hand Unfallchirurg
Als Spendermuskeln kommen der M. latissimus dorsi oder auch der 111: 804–808, 810–811
M. gracilis in betracht.
59

Degenerative Sehnenerkrankungen
der Hand
C. Choi

59.1 Tendovaginitis stenosans (»schnellender Finger«, »trigger finger«) – 554


59.1.1 Anatomie – 554
59.1.2 Klassifizierung – 554
59.1.3 Therapie – 554

59.2 Tendovaginitis de Quervain – 555


59.2.1 Diagnostik – 555
59.2.2 Therapie – 555
59.2.3 Besonderheiten – 556

59.3 Tendovaginitis am Handgelenk – 556


59.3.1 Therapie – 556

59.4 Tendinitis an M. extensor carpi ulnaris/M. flexor carpi radialis – 557


59.4.1 Extensor-carpi-ulnaris-Sehne – 557
59.4.2 Flexor-carpi-radialis-Sehne – 557

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
554 Kapitel 59 · Degenerative Sehnenerkrankungen der Hand

59.1 Tendovaginitis stenosans


(»schnellender Finger«, »trigger finger«) . Tab. 59.1 Einteilung der Ringbandstenosen nach Green

Die Tendovaginitis stenosans (TVS) beschreibt eine degenerative Grad Kennzeichen


Veränderung des Sehnengleitgewebes, die durch Reibung an präfor-
  1 Schmerzen, positive Anamnese einer hängenden Sehne,
mierten physiologischen Engstellen eine schmerzhafte Bewegungs-
bei der klinischen Untersuchung nicht demonstrierbar,
einschränkung verursacht. Die häufigsten Lokalisationen sind der verhärtet tastbares A1-Ringband
Eingang der osteofibrösen Kanäle der Fingerbeuger am A1-Ring-
band und das 1. Strecksehnenfach am Handgelenk (TVS de Quer-   2 Hängen des Fingers demonstrierbar, aktive Streckung
vain). Zumeist sind Frauen betroffen (m:w 2:6) mit höchster Inzi- möglich
denz zwischen dem 55. und dem 60. Lebensjahr. Die TVS ist aber   3 Hängen des Fingers demonstrierbar
auch als kongenitale Form als sog. Pollex flexus congenitus vor­
– 3a Erfordert passive Streckung
handen.
Die mechanische Enge resultiert aus einer Verdickung der Seh- – 3b Keine aktive Flexion
nenscheide, deren Ätiologie kontrovers diskutiert wird und wahr-   4 Demonstriertes Hängen des Fingers mit fixierter Kontraktur
scheinlich ein Mischbild anatomischer und intrinsischer Faktoren im PIP-Gelenk
ist. Epidemiologische Begleitumstände wie die Koexistenz von Kar-
paltunnelsyndrom (KTS), Ringbandstenosen, Tendovaginitis de
Quervain, Epikondylitis und subakromialen Bursitiden implizieren
das Vorliegen eines systemischen, undefinierten rheumatischen Pro- Die auffallendsten pathologischen Veränderungen sind eine
zesses oder einer Prädisposition. Ein vermehrtes Auftreten ist auch deutliche Hypertrophie des Ringbandes und mikroskopisch sicht-
bei repetitiven Bewegungen wie Computerarbeiten zu beobachten, bare Degeneration, Zystenformation, Auffaserung sowie Lympho-
und die dominante Hand ist gehäuft betroffen. Entsprechend der zyten- und Plasmazellinfiltration.
Geschlechtsverteilung ist jedoch kein vermehrtes Auftreten bei
Handwerkern zu beobachten.
Die Ringbandstenose an Fingern oder Daumen ist eine der häu- 59.1.2 Klassifizierung
figsten Ursachen für Schmerzen oder Behinderungen der Hand. Im
59 Volksmund wird sie auch »schnellender Finger« genannt. Eine Einteilung der Ringbandstenosen wird unter verschiedensten
Hierbei handelt es sich um eine mechanisch bedingte Streck- Kriterien unternommen. Therapeutisch oder prognostisch ergaben
hemmung, selten Beugehemmung des betroffenen Fingers. In man- diese keinen Vorteil, sodass eine simple Einteilung sinnvoll erscheint,
chen Fällen lässt sich dieser nur passiv und unter deutlichem, meist die eine genauere Dokumentation für retrospektive Auswertungen
schmerzhaftem Schnappen strecken. Bei längerer Persistenz kann es ermöglicht (. Tab. 59.1).
durch Schonung und Meiden der Streckung zu sekundärer Einstei-
fung im PIP-Gelenk kommen.
59.1.3 Therapie
59.1.1 Anatomie Konservativ. Die konservative Therapie der Ringbandstenose be-
steht aus einer Ruhigstellung mit begleitender systemischer und
22 extrinsische Sehnen kreuzen das Handgelenk und schaffen eine ­lokaler antiphlogistischer Therapie, ggf. ergänzt durch Kortisonin-
einzigartige Kombination von Kraft und Funktion der Hand. Um die jektionen. Eine erfolgreiche Therapie wird insbesondere bei nicht­
Balance zwischen Bewegung und Kraftproduktion auf die Gelenke diabetischen Patienten mit nur einem betroffenen Finger beobach-
zu optimieren, gleitet jede Sehne durch eine Serie von straffen fibro­ tet. Komplikationen sind äußerst selten. Wir bevorzugen das offen
ossären Kanälen, die aus den Sehnenscheiden und den Fingerkno- chirurgische Vorgehen.
chen gebildet werden. Verstärkt werden diese durch 5 Ringbänder
(A1–5) und 3 Kreuzbänder (C1–3). Am Daumen finden sich 2 Ring- Operativ
bänder (A1 und A2) sowie ein schräges Band, das hier die Fixie- > Das offene Vorgehen mit Ringbandspaltung unter Sicht ist
rung am Grundglied übernimmt. Die Kreuzbänder werden bei der die sicherste Methode, um Komplikationen wie Verlet-
Beugung gestaucht, sodass die Ringbandabschnitte fast aneinan­ zungen der Gefäße und Nerven zu vermeiden.
derstoßen. Die Ringbänder A2 und A4 fixieren die Sehnen am
Grundglied bzw. Mittelglied und sind die funktionell wichtigsten Grundsätzlich ist die Durchführung dieses Eingriffes in Lokalanäs-
(. Abb. 50.12). thesie möglich. Die nur kurze Blutsperre am Oberarm wird von den
Eine Störung dieses Systems durch Trennung oder Ruptur eines meisten Patienten gut toleriert.
Bandes bewirkt ein Abweichen der Sehne aus dem Rotationszen- Eine kurze quere Hautinzision in Höhe der queren distalen Hohl-
trum des Gelenkes und verändert somit die Kraftübertragung und handbeugefalte über dem entsprechenden Metakarpalekopf ermög-
limitiert die Exkursion des Gelenkes. Die Durchtrennung der Ring- licht die Darstellung des Ringbandes und der radialen und ulnaren
bänder A2 und A4 resultiert in einem »bow-stringing«, die Durch- Gefäß-Nerven-Bündel. Unter Schonung der Gefäß-Ner­ven-Bündel
trennung des A1-Ringbandes hinterlässt keine funktionelle Ein- erfolgt dann unter Sicht die longitudinale Spaltung der Ringbandes
schränkung. (. Abb. 59.1). Eine Verletzung des A2-Ringbandes sollte hierbei un-
Das Phänomen einer hängenden Sehnen beruht auf einem me- bedingt vermieden werden (Gefahr des »bow-stringing«).
chanischen Impingement der Fingerbeugesehnen, wenn diese ein Die Überprüfung eines unbehinderten Gleitens der Beugeseh-
eingeengtes Band auf Höhe des MCP-Gelenkes passieren, um in den nen sollte nach Durchtrennung des Ringbandes unbedingt durchge-
osteofibrösen Kanal zu gleiten. führt werden.
59.2 · Tendovaginitis de Quervain
555 59
1. Strecksehnenfach über dem Proc. styloideus radii (PSR) gleiten
die Sehnen des M. abductor pollicis longus (APL) und des M. ex-
tensor pollicis brevis (EPB). Ein Hängen der Sehnen im 1. Streck-
sehnenfach ist ein häufiger Grund für Schmerzen und Funktions-
behinderungen in Hand und Handgelenk und wurde nach Fritz
de Quervain, der diese Erkrankung 1895 erstmals beschrieb, be-
nannt.
Dieser Prozess wird mit regelmäßiger Daumenabduktion und
gleichzeitiger Ulnardeviation im Handgelenk in Zusammenhang
gebracht. Wiederholte Anspannung der Sehnen im 1. Streckerfach
erzeugt durch die Reibung am rigiden Retinakulum eine Schwellung
und Verengung des fibroossären Kanals.
a Die Erkrankung betrifft meist Frauen (m:w 6:1) der 5.–6. De­
kade sowie postpartale und stillende Frauen.

59.2.1 Diagnostik

Klinik, Symptomatik. Die Diagnose ist in der Regel leicht zu


stellen. Die Patienten beklagen seit mehreren Wochen oder Mo­
naten bestehende Schmerzen im radialen Handgelenkbereich mit
Verschlimmerung der Beschwerden bei Bewegung des Daumens.
Klinisch zeigen sich eine lokale druckdolente Verhärtung, Schwel-
lung und Krepitation 1–2 cm proximal des Proc. styloideus radii
(PSR). Typisch ist ein schneidender Schmerz bei Ulnardeviation
mit in die Faust eingeklemmtem Daumen (positiver Finkelstein-
Test).
b
Bildgebende Verfahren. Zur Vervollständigung der Untersuchung
sollte stets radiologische Diagnostik zum Ausschluss einer Rhiz­
arthrose oder STT-Arthrose erfolgen, wobei diese bei ähnlichem
Patientenkollektiv häufig zusätzlich vorliegen. Zusätzlich kann hier
eine Skaphoidfraktur oder -pseudarthrose sowie eine Radiokarpal-
oder karpale Arthrose ausgeschlossen werden.

59.2.2 Therapie

Konservativ. Ein konservativer Therapieversuch kann unternom-


men werden. Hierfür erfolgen die Ruhigstellung mit leichter Exten-
sionsstellung im Handgelenk und maximaler Abduktion des Dau-
mens und eine begleitende systemische antiphlogistische Therapie.
c
Alternativ oder zusätzlich kann lokal Kortison injiziert werden. Wir
. Abb. 59.1a–c Ringbandspaltung in Lokalanästhesie bei einem Patienten empfehlen aufgrund häufiger Rezidive und Therapieversagen nach
mit simultaner Karpaltunnelspaltung. a Sichtbares »Hängen« des Fingers konservativer Therapie die operative Therapie.
durch Stenose im Bereich des A1-Ringbandes. b Spaltung des A1-Ringban-
des unter Sicht mit Scherenschlag. c Hervorluxieren der oberflächlichen Operativ. Diese Operation (. Abb. 59.2) kann im Regelfall in Lokal-
und tiefen Beugesehne zur Identifikationen pathologischer Veränderungen anästhesie durchgeführt werden. Für die kurze Dauer der Operation
und Testen auf freie Gleitfähigkeit wird die Blutsperre am Oberarm von den meisten Patienten gut to-
leriert.
Etwa 1 cm proximal des PSR wird über dem 1. Streckerfach die
Postoperatives Management. Anlage eines elastischen Verbandes, Haut entweder längs 2–3 cm oder – im eigenen Vorgehen – quer
eine Ruhigstellung ist nicht erforderlich. Die meisten Patienten sind inzidiert. Zunächst sollten die 1–3 Abgänge des R. superficialis n. ra-
2–4 Wochen postoperativ wieder voll einsatzfähig. dialis, dann das 1. Strecksehnenfach dargestellt werden. Unter Scho-
nung der Nerven wird das 1. Streckerfach longitudinal durchtrennt.
Die Inzision ist hierbei möglichst weit ulnar zu setzen, um sekundäre
59.2 Tendovaginitis de Quervain Subluxationen der Sehnen nach palmar zu vermeiden.
Danach wird die vollständige Trennung durch Luxieren der
Auf Höhe des Radiokarpalgelenks werden die Sehnen der Exten- APL- und EPB-Sehnen überprüft und der Patient aufgefordert, den
soren von einer Verstärkung der Unterarmfaszie, dem Retinaculum Daumen zu bewegen. Dies dient auch dem Ausschluss eines akzes-
extensorum, überspannt. In 6 Fächer unterteilt werden die 10 Seh- sorischen Strecksehnenfachs. Nach Hautnaht erfolgt die Anlage
nen, von Sehnenscheiden ummantelt, über die Knochen geführt. Im eines elastischen Verbandes.
556 Kapitel 59 · Degenerative Sehnenerkrankungen der Hand

Postoperatives Management. Eine Ruhigstellung ist im Regelfall


nicht erforderlich. Die meisten Patienten sind 2–4 Wochen postope-
rativ wieder voll einsatzfähig. Schwere mechanische Arbeiten sollten
für 4–6 Wochen gemieden werden.

59.2.3 Besonderheiten

Das dorsale Kompartment des Handgelenks ist wahrscheinlich


die Lokalisation mit den häufigsten anatomischen Varianten. In
24–34% der Fälle ist das 1. Strecksehnenfach durch ein weiteres
longitudinales Septum in 2 osteofibröse Tunnel unterteilt. Im er-
krankten ­ Patientenklientel scheint die Rate durchaus höher. Zu-
dem kann gleichzeitig eine Kompression des R. superficialis
a n. radialis im ­Brachioradialis-Aponeurosen-Schlitz vorliegen (War-
tenberg-Syndrom) (. Abb. 59.2)
> Das freie Gleiten beider Sehnen sollte also unbedingt nach
Durchtrennen des Streckerfachs überprüft werden. Eine
simultane Alteration des R. superficialis n. radialis ist aus-
zuschließen.
Insbesondere in diesem Patientenkollektiv schienen konservative
Therapieansätze zu versagen.

59.3 Tendovaginitis am Handgelenk


59 Im 2. Strecksehnenfach laufen die kurze und die lange Sehne der
radialen Handgelenksextensoren ECRB und ECRL. Die Extensor-
pollicis-longus- (EPL-) Sehne, die das Lister-Tuberkel umrundet,
durchläuft das 3. Fach, während die Strecksehnen der Finger (EDC)
b
und der Extensor indicis (EI) durch das 4 Fach führen. 5. und
6. Kompartiment beinhalten je eine einzelne Sehne, die Extensor-
digiti-minimi- (EDM-) und die Extensor-carpi-ulnaris- (ECU-)
Sehne. Die häufigsten klinischen Einengungen betreffen das 1.
(7 Kap. 59.2) und 6. Strecksehnenfach.
Die Patienten mit einer Tendovaginitis des 2. Streckerfaches
weisen Schmerzen und Schwellung ca. 4 cm proximal des PSR, in
schlimmen Fällen mit Rötung und Krepitation auf. Dies resulitert
nicht, wie häufig vermutet, aus Reibung von APL/EPB auf den radi-
alen Handgelenksbeugern, vielmehr führt wiederholte Bewegung zu
einer Einengung des 2. Streckerfachs.

59.3.1 Therapie

Hier ist zunächst ein konservativer Therapieversuch indiziert. Die


Ruhigstellung in leichter Hansgelenksextension und systemische
c
antiphlogistische Therapie können ggf. mit Kortisoninjektionen
. Abb. 59.2a–c Spaltung des 1. Strecksehnenfaches bei Tendovaginitis de kombiniert werden. Die meisten Patienten erlangen unter dieser
Quervain mit gleichzeitig vorliegendem Wartenberg-Syndrom. a Standar- Therapie Beschwerdefreiheit.
dinzision quer zum 1. Strecksehnenfach (gepunktete Linie), die zur Neuro­ Bei Beschwerdepersistenz kann u. U. eine operative The­
lyse und Dekompression des R. superficialis n. radialis (gestrichelt) nach rapie angezeigt sein. Hierfür erfolgt die longitudinale Inzision
proximal verlängert werden kann. b Dekomprimiertes Sehnenfach mit frei- des 2. Strecksehnenfachs. Postoperativ wird eine Ruhigstellung
gelegter Abductor-pollicis-brevis- und Extensor-pollicis-brevis-Sehne und des Handgelenkes in leichter Extension (15°) für 14 Tage emp­
sichtbarer Begleitsynovitis. Angeschlungene Radialisäste. c Neurolysierter fohlen.
und dekomprimierter Nerv nach Inzision der distalen M.-brachioradialis-
Aponeurose zur Erweiterung des Nervendurchtritts
59.4 · Tendinitis an M. extensor carpi ulnaris/M. flexor carpi radialis
557 59
59.4 Tendinitis an M. extensor carpi ulnaris/ schont werden. Die Sehne und zusätzlich das Os trapezium sollten
M. flexor carpi radialis inspiziert werden. Bei Darstellung von Osteophyten sollten diese
sparsam knöchern débridiert werden. Nach Hautnaht erfolgt die
59.4.1 Extensor-carpi-ulnaris-Sehne Anlage eines elastischen Verbandes.

Die reaktive Tendinitis der Extensor-carpi-ulnaris- (ECU-) Sehne ist Eine postoperative Ruhigstellung ist nicht erforderlich.
nicht selten und stellt eine Differenzialdiagnose des ulnaren Hand-
gelenkschmerzes dar. Sie wird häufig nach Distorsionstrauma des Literatur
Handgelenks beobachtet, nach 24–48 h kommt es zu zunehmender Clarke MT et al. (1998) The histopathology of de Quervain disease. J Hand
Schwellung und Schmerzen. Häufig werden nächtlicher Schmerz, Surg 23B: 732–734
häufig mit Dysästhesien des darüberliegenden dorsalen N. ulnaris Green D, Hotchkiss R, Pederson W, Wolfe S (1997) Green’s operative hand
surgery, 5th edn. Elsevier, New York
beschrieben.
McAuliffe JA (1010) Tendon disortders of the hand and wrist. J Hand Surg Am
Der Schmerz ist vom Patienten in der Regel nur schwer zu loka-
35: 945–953
lisieren und wird subjektiv häufig als tief im Handgelenk angegeben. Saldana MJ (2001) Trigger digits: diagnosis and treatment. J Am Acad Orthop
Die Bewegungen im Handgelenk sind in alle Richtungen, insbeson- Surg 9, 4: 246–252
dere bei Extension und Ulnardeviation, gegen Widerstand schmerz-
haft und in einigen Fällen krepitierend.
Eine Testblockade mit Scandicain erleichtert eine Differenzie-
rung von intraartikulären Verletzungen.

Therapie. Die Ruhigstellung im Handgelenk erfolgt in Extensions-


stellung im Handgelenk (20°) und begleitender antiphlogistischer
Therapie, bei Therapieversagen ggf. ergänzt durch Kortisoninjek­
tionen.
> Wir empfehlen eine operative Therapie nur nach Aus-
schöpfen der konservativen Maßnahmen.
Nach leicht gebogener Hautinzision über dem distalen Radioulnar-
gelenk und nach Darstellen des R. dorsalis n. ulnaris erfolgt die kom-
plette Spaltung des 6. Streckerfaches.

59.4.2 Flexor-carpi-radialis-Sehne

Der scharfe Winkel des M. flexor carpi radialis (FCR) über dem Os
trapezium und der straffe fibröse Kanal, durch den die Sehne zieht,
können Ursache einer stenosierenden Tendovaginitis sein. Diese ist
häufig mit einer Trapezoiddegeneration vergesellschaftet.
Eine Vielzahl von Fehldiagnosen von Erkrankungen der unmit-
telbaren Nachbarschaft, wie Ganglien, degenerative Gelenkverände-
rungen, Skaphoidfraktur oder -pseudarthrose und TVS de Quervain
können zu einer Verlängerung der Behandlung führen.
Die Anamnese ist häufig schwierig, da der Verlauf meist schlei-
chend ist. Schmerzen werden zumeist auf das palmare Handgelenk
über das Tuberculum scaphoideum projiziert und nehmen bei Fle-
xion und Radialduktion im Handgelenk zu. Es kann eine lokale
Schwellung auftreten oder ein Ganglion über der Sehne liegen. Auch
hier kann differenzialdiagnostisch eine lokale Testblockade durch
Scandicaininfiltration helfen.

Konservative Therapie. Wir empfehlen hier die konservative The-


rapie durch Ruhigstellung in leichter Flexion des Handgelenks und
begleitende systemische und lokale antiphlogistische Therapie. Zu-
sätzlich kann eine Kortisoninjektion erfolgen. Sofern keine degene-
rativen Veränderungen vorliegen, kann die konservative Therapie in
vielen Fällen effektiv sein.

Operative Therapie. Nach konservativen Therapieversagen kann


die Indikation zur Operation gegeben sein. Über eine longitudinale
Hautinzision über der FCR-Sehne erfolgt die Eröffnung der syno­
vialen Hülle der FCR-Sehne. Der palmare Hautast des N. media­
nus sowie der sensible Thenarast des N. radialis sollten hierbei ge-
60

Degenerative Knochenerkrankungen
der Hand
M. Meyer-Marcotty

60.1 Finger und Mittelhand – 560


60.1.1 Daumensattelgelenk (Rhizarthrose) – 561
60.1.2 Handwurzel (Karpus) und distales Radioulnargelenk (DRUG) – 563

60.2 Knochennekrosen des Karpus – 568


60.2.1 Nekrose des Os lunatum (M. Kienböck) – 568
60.2.2 Nekrose des Kahnbeins (M. Preiser) – 569
60.2.3 Avaskuläre Nekrose des Os capitatum – 570

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


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560 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand

60.1 Finger und Mittelhand


Ätiologie
Wichtigste Ursachen der Arthrose der Finger sind Alter, Ver­erbung,
posttraumatische Zustände, Infektionen, Erkrankungen aus dem rheu­
matischen Formenkreis, rheumatoide Arthritis, Psoriasis, Gicht.

Klinisches Bild
Die Klinik ist geprägt von längeren Verläufen mit zunehmender
Schmerzhaftigkeit der betroffenen Gelenke, Kraftverlust und Bewe­
gungseinschränkungen, Schwellungen, ggf. Rötungen sowie im
Spätstadium äußerlich sichtbaren Dislokationen und Fehlstellungen.
Oft ist eine schmerzhafte Krepitation zu tasten, gemeinsam mit
einem deutlichen Druckschmerz. Die Operationsindikation ist pri­
mär abhängig von der Klinik und erst sekundär vom radiologischen
Befund, da durchaus Patienten mit schwersten radiologischen Zei­
chen einer fortgeschrittenen Arthrose erstaunlich beschwerdearm
. Abb. 60.1a, b Technik der Arthrodese des PIP-Gelenks: Resektionsarthro-
sein können (»ausgebrannte Arthrose«).
dese im Mittelgelenk eines Langfingers mit 2 K-Drähten und Cerclage

Diagnostik
In der Röntgendiagnostik sind alle Stadien möglich, von diskreten
Gelenkspaltveränderungen über eine fast vollständige Gelenks­des­truk­
tion bis hin zur Ausbildung einer spontanen Arthrodese (Ankylose).
Vor der operativen Therapie steht meist eine rheumatologisch
oder konservativ orthopädische Behandlung.

Operationsindikation
Für die Differenzialdiagnose ist es wesentlich, präoperativ herauszu­
finden, ob der Schmerz oder die Funktionseinschränkung aufgrund
60 einer Fehlstellung das Hauptproblem für den Patienten darstellt. Bei­
de Symptome können entsprechend operativ behandelt werden, wo­
bei meistens Mischformen aus beiden Symptomkomplexen existie­
ren und der Operateur gemeinsam mit dem Patienten das am besten
geeignete Verfahren auswählen muss.
Das operative Spektrum umfasst
4 die Synovialektomie,
4 die Arthrodese, die Arthroplastik und . Abb. 60.2 Resektionsarthroplastik mit Resektion des arthrotischen Köpf-
4 den Gelenkersatz durch verschiedene Materialien (Silikon, Pyo­ chens der Grundphalanx sowie dorsalem Einschlagen der palmaren Platte
carbon etc). als proximal gestielter Lappen (a, b). Schmerzhafte Arthrose im PIP-Gelenk
mit Bewegungseinschränkung (c, d präoperatives Röntgenbild; e, f post-
DIP-Gelenke. Bei Befall der distalen Interphalangealgelenke (DIP- operatives Röntgenbild nach Resektions-Interpositions-Arthroplastik)
Gelenke) mit meist vorliegender Gelenkdestruktion und Deviation
ist eine Arthrodese das Operationsverfahren der 1. Wahl.
Diese Arthrodese kann in der Regel mittels Schrauben (z. B. (. Abb. 60.1) und auch Plattenarthrodesen möglich. Außerdem
Herbert-Schrauben) oder Draht-Cerclagen in Kombination mit ei­ kann eine Resektions-Interpositions-Arthroplastik durchgeführt
ner Kirschner-Drahtarthrodese durchgeführt werden. Vorteile einer werden (. Abb. 60.2). Zum Einsatz kommen Silikon-Spacer (nach
Arthrodese mittels Draht-Cerclage und Kirschner-Draht sind die Swanson) oder Totalendoprothesen. Weltweit werden die Silikon-
technisch einfache Durchführbarkeit, die bessere mechanische Be­ Spacer am häufigsten als Gelenkersatz eingesetzt.
lastbarkeit und die geringeren Materialkosten im Vergleich zu ei­ Bei der Differenzialindikation sind der Wunsch des Patienten
ner Schraubenarthrodese. Allerdings muss nach ca. 6 Wochen der und die berufliche Situation für die Wahl des Verfahrens ausschlag­
Kirschner-Draht operativ entfernt werden, wohingegen die Schrau­ gebend. So sollte jüngeren handwerklich tätigen Patienten eher zu
be meist in situ verbleiben kann. einer Arthrodese des PIP-Gelenkes geraten werden, während die
Zu beachten sind außerdem das Sozialprofil und das Berufsbild Arthroplastik mittels Swanson-Silikon-Spacer ein gutes Verfahren
sowie die Wünsche des Patienten. Patientinnen wünschen oft aus für Patienten ist, die keine maximalen Kräfte ausüben oder keine
optischen Gründen eine Arthrodese der DIP-Gelenke in Streckstel­ maximale Stabilität des Gelenkes benötigen, z. B. Rheumatiker.
lung, da dies als weniger auffällig angesehen wird und der betrof­ Wichtig bei der Indikationsstellung zu einem Gelenkersatz mittels
fene Finger länger und schlanker erscheint. Schwer handwerklich Silikon-Spacer ist eine gute Gelenkführung über intakte Seitenbän­
tätige Patienten brauchen für einen festen Faustschluss aber eher der oder die Gelenkkapsel.
eine in 20° Flexionsstellung fixierte Arthrodese. Postoperativ kann es nach Implantation einer Gelenkprothese zu
Dislokationen und Instabilitäten kommen. Die Schäfte der Endopro­
PIP-Gelenke. Auf Höhe der proximalen Interphalangealgelenke thesen können aus den Phalangen herausbrechen, und die Silikon-
(PIP-Gelenke) sind ebenfalls Arthrodesen wie oben beschrieben Spacer können als solche frakturieren. Rotations- und Achsfehler
60.1 · Finger und Mittelhand
561 60
sind zu vermeiden, da diese ein gutes postoperatives Ergebnis ge­
fährden. Eine weitere Komplikation ist die Einsteifung des Gelenkes
nach Prothesenimplantation.

MP-Gelenke. Die Metakarpophalangealgelenke (MP-Gelenke) sind


am häufigsten bei der rheumatoiden Arthritis betroffen und hierbei
meist alle MP-Gelenke. Bei der Arthrose sind meist nur einzelne
Gelenke betroffen. Bei Patienten mit einer Arthrose eines einzelnen
MP-Gelenkes kann ein Silikon-Spacer oder eine Endoprothese im­
plantiert werden. Beim Rheumatiker wird man eher zur Implanta­
tion von Silikon-Spacern tendieren, da hier meist mehrere MP-Ge­
lenke betroffen sind und die Knochenqualität oft nicht ausreicht, um
einen soliden Prothesenschaft sicher aufzunehmen.
Auch eine Resektions-Interpositions-Arthroplastik ist eine Al­
ternative zur Implantation eines Silikon-Spacers (. Abb. 60.3) oder
einer Endoprothese, wenn die Knochenqualität nicht als ausreichend
a
beurteilt wird, einen Prothesenschaft zu tragen. Bei der Resektions-
Interpositions-Arthroplastik wird die Gelenkfläche reseziert und
sodann eine Weichteilinterposition, z. B. mit Gelenkkapselanteilen,
durchgeführt. Auf diese Weise kann im Einzelfall eine zufriedenstel­
lende Funktion unter Vermeidung einer Fremdkörperimplatation
und unter Umgehung der Arthrodese erreicht werden.

Postoperatives Management
Die Nachbehandlung für die Arthodesen ist für alle Fingergelenke
identisch und besteht in einer 6-wöchigen Ruhigstellung in einer
Schiene, mit anschließender (Teil-)metallentfernung, wobei Schrau­
ben oder Platten und auch die Draht-Cerclage belassen werden kön­
nen. Im Fall einer Prothesenimplantation sieht die Nachbehandlung
unmittelbar postoperativ eine 5-tägige Ruhigstellung in einer Schie­
ne vor mit anschließender geführter Mobilisation mit seitlicher
Schienenführung, z. B. in Form von Zwillingsklettverbänden oder
radial redressierenden streckseitigen Gummizügelverbänden. Diese
geführten Bewegungen sollten insgesamt für 6 Wochen durchge­
führte werden.
b

60.1.1 Daumensattelgelenk (Rhizarthrose)

Die Rhizarthrose ist die häufigste Arthrose des Daumens, sie betrifft
Frauen weitaus häufiger als Männer (ca. 10:1).
Symptome treten häufig auf bei Drehbewegungen wie beim Öff­
nen von Gläsern oder Auswringen eines Lappens. Die Beschwerden
werden im Bereich der Basis des 1. Metakarpalknochens angegeben.

Klinische Untersuchung
Die Patienten klagen über Schmerzen und Druckschmerzen im Be­
reich des Sattelgelenkes. Oft entwickelt sich eine dorsale Prominenz
an der Basis des 1. MHK, welche Zeichen der dorsalen Subluxation
des 1. Strahls im Sattelgelenk bei gleichzeitiger Daumenadduktion
ist. Ein typischer Stauchungsschmerz, oft mit einer tastbaren Krepi­
tation verbunden, lässt sich bei der axialen Kompression des
1. Strahls auslösen. Der Spitzgriff zwischen Daumen und Zeige­
finger ist im Seitenvergleich oft kraftgemindert und schmerzhaft, c
es kann bereits eine fixiert Adduktionskontraktur vorliegen.
Grundsätzlich sind bei jeder Rhizarthrose die klinische Unter­ . Abb. 60.3 Implantation von Silastikprothesen (Swanson-Prothese) in
suchung und die beklagten Symptome ausschlaggebend für die je­ Fingergrundgelenke bei rheumatoider Arthritis. Typische quere Inzision
weilige Therapie. Der radiologische Befund kann eine sehr ausge­ über den Gelenken (a). Ausraspeln der Markhöhle (b) mit Einbringen der
Prothesen unter Einsatz von Abstandshülsen (Grommets), die eine mecha-
prägte Rhizarthrose aufweisen, obwohl die klinischen Beschwerden
nische Abrasion am Knochen verhindern (c)
nur gering ausgeprägt sind. Umgekehrt können aber auch bei ei­
nem altersentsprechenden Normalbefund im Röntgenbild stärkste
Schmerzen bestehen, sodass die Indikation zur Operation besteht.
562 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand

. Tab. 60.1 Stadieneinteilung der Rhizarthrose des Daumens nach


Eaton-Littler

Stadium Kennzeichen

1 Normales Sattelgelenk mit möglicher Gelenkspaltver-


breiterung aufgrund einer Synovialitis

2 Sattelgelenkspaltverschmälerung mit Osteophyten


<2 mm

3 Sattelgelenkspaltverschmälerung mit Osteophyten


>2 mm

4 Sattelgelenkspaltverschmälerung mit arthritischer


Veränderung des ST-Gelenks

Differenzialdiagnostisch müssen insbesondere Tendovaginitis ste­


nosans de Quervain (Finkelstein-Test), Karpaltunnelsyndrom,
Kahnbeinfraktur, STT-Arthrose oder (posttraumatische) Arthrose
im Radiokarpalgelenk sowie eine Arthrose des Sesambeingelenkes
am Daumengrundgelenk ausgeschlossen werden.
Die radiologische Untersuchung beinhaltet eine 30° a.-p. Ein­
stellung des Handgelenks, eine laterale Ansicht des Sattelgelenks und
eine direkte a.-p. Ansicht des Sattelgelenks (Aufnahme nach Naka­
yama).
Wir verwenden im eigenen Vorgehen die Stadieneinteilung nach
Eaton-Littler (. Tab. 60.1).
b

60 Therapie . Abb. 60.4a, b Operationstechnik der Resektionsarthroplastik nach


Konservative Therapie ist möglich mit nichtsteroidalen Antiphlo­ Epping. a Präoperativer Befund einer ausgeprägten Rhizarthrose. b Intra-
gistika und Ruhigstellung in Orthese. Intraartikuläre Kortisonin­­- operativer Situs mit nach distal an der Basis des 2. Mittelhandknochens
jek­tionen sind präoperativ sinnvoll, um mittelfristig die Beschwer­ gestielter längshalbierte M.-flexor-carpi-radialis-Sehne. Diese wird im eige-
den zu lindern, aber nur selten kann die Operation umgangen nen Vorgehen von innen über einen schrägen Bohrkanal (Pfeil), der auf der
werden. Gelenkfläche des MHK 1 mündet, nach außen durchgezogen und mit sich
Die Indikation zur Operation ist gegeben bei Schmerz, Deformi­ selbst vernäht. Die überschüssige Länge wird in die Resektionshöhle des
entfernten Os trapezium eingelegt
tät und/oder Schwäche, die die Durchführung von Hausarbeit, Ar­
beitsbelastung, Hobby oder Sport verhindern und nicht auf konser­
vative Behandlungsansätze ansprechen.
Operationsverfahren umfassen bei alleiniger Gelenkinstabilität stückweises Herauslösen des vorher durch 2 kreuzförmige Meißel­
die ligamentäre Rekonstruktionen wie z. B. das Verfahren nach Ea­ schläge gevierteilten und mobilisierten Os trapezium. Hierbei ist auf
ton-Littler (ligamentäre Suspension des Sattelgelenkes mit einem eine vollständige Exzision, v. a. von Anteilen im Gelenkrezessus zum
Streifen aus der FCR-Sehne). In diesem Fall muss die Gelenkfläche MHK 2 und zum Os trapezoideum zu achten sowie auf eine Scho­
frei von arthrotischen Knorpelveränderungen sein. nung der in der Tiefe liegenden FCR-Sehne.
Arthrodesen des Sattelgelenks erfordern, dass das ST-Gelenk frei Im nächsten Schritt folgt die Präparation eines distal gestielten
von Arthrosezeichen sein muss. Im eigenen Vorgehen wird die Re­ halben Streifens aus der FCR-Sehne auf ca. 7 cm Länge. Ein Bohr­
sektions-Suspensions-Arthroplastik wegen der besseren Funktiona­ loch zum späteren Hindurchfädeln des FCR-Streifens wird durch die
lität bevorzugt. Basis des MHK 1 angelegt und mündet auf der MHK-Basis-Gelenk­
Bei der Resektionsathroplastik des Sattelgelenks stehen verschie­ fläche. Der FCR-Streifen wird von palmar nach dorsal durch das
dene Varianten zur Verfügung, wobei wir die Technik nach Epping Bohrloch geführt und in der Tiefe mit sich selbst vernäht. Zuvor
mit Resektion des Os trapezium und Suspensionsplastik an der ge­ kann mittels Transfixation des MHK 2 und MHK 1 mittels Kirsch­
teilten FCR-Sehne bevorzugen. ner-Draht eine Oppositionsstellung des Daumens zu den Fingern
Alternativ existiert auch das Verfahren, einen Silicon-Spacer an­ eingestellt werden. Abschließend erfolgt der schichtweise Wundver­
stelle des resezierten Os trapezium einzubringen; auch eine Totalen­ schluss mit Rekonstruktion der Sattelgelenkkapsel. Das Verfahren
doprothese für das Sattelgelenk wird propagiert. zeigt . Abb. 60.4.

Technik der Resektionsarthroplastik nach Epping. Zunächst wird Postoperatives Management. 4 Wochen postoperativ Belassen des
über einen stufenförmigen radiodorsalen Zugang zum Sattelgelenk Drahtes und 4–6 Wochen Belassen eines Gipses unter Einschluss
unter schichtweiser Präparation und Schonung der Äste des R. su­ des Daumens und Freilassen des IP-Gelenks, dann funktionelle Be­
perficialis n. radialis der dorsale Ast der A. radialis am proximalen übung.
Wundpol dargestellt, angeschlungen und während der weiteren Prä­
paration geschont. Nach Eröffnung des Sattelgelenkes folgt das
60.1 · Finger und Mittelhand
563 60
60.1.2 Handwurzel (Karpus) und distales
Radioulnargelenk (DRUG)

Arthrodesen des Karpus sind operative Maßnahmen, die bei schwe­


ren arthrotischen Veränderungen der Handwurzel indiziert sind.
Die Ursachen für eine Arthrose der Handwurzel können posttrau­
matisch, entzündlich, degenerativ, postinfektiös, altersbedingt oder
Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sein, seltener
auch im Rahmen einer Psoriasisarthritis oder einer Hyperurikämie.
Je nach Schwere und Lokalisation der Schädigung sind verschie­
dene Arthrodesen der einzelnen Handwurzelknochen notwendig.

Distales Radioulnargelenk (DRUG)


Symptome im Bereich der distalen Ulna können in 3 Kategorien
unterteilt werden:
4 Symptome aufgrund einer Synovitis des DRUG oder posttrau­
matisch aufgrund von Rotationsproblemen des Unterarms,
4 Symptome aufgrund einer Ulna-Plus-Situation, Schmerzpunkte . Abb. 60.5 Situation nach Ulnakopfresektion (Darrach-Operation)
sind hauptsächlich im Bereich Ulna-Lunatum-Triquetrum.
4 Symptome aufgrund von Instabilitäten mit (Sub-) Luxationen
der distalen Ulna aus dem DRUG.

Diagnostik

Untersuchungsschritte des DRUG


4 Passive Pronation/Supination des Unterarms auf Höhe der
Unterarmmitte. Mit dieser Untersuchung wird das DRUG mit
dem TFCC (»triangular fibrocartilagineous complex«) beur-
teilt, ohne dass eine Druckbelastung auf das Radiokarpal­
gelenk oder distal des TFCC verursacht wird.
4 Druckbelastung des DRUG in Pronation und Supination.
4 Test auf Instabilität des DRUG: Der Untersucher nimmt die
distale Ulna zwischen Daumen und Zeigefinger und testet
auf dorsopalmare Luxation im Vergleich zur Gegenseite.

Abklären von Differenzialdiagnosen: Pseudarthrose des Proc. sty­ . Abb. 60.6 Situation nach Ulnakopfhemiresektion und Kapselinter­
loideus ulnae (PSU), »ulna impaction syndrome«; lunotriquetrale position (Bowers-Operation)
Instabilität (LT-Instabilität), Synovitis der ECU-Sehne (ECU=M. ex­
tensor carpi ulnaris), pisotriquetrale Arthrose (PT-Arthrose).
Bowers-Operation. Die Beobachtungen von Dingman (1952) ha­
Diagnostik ben zur Entwicklung von Operationsverfahren geführt, bei denen
Die Diagnostik umfasst Anamnese, klinische Untersuchung, Rönt­ die umgebenden Weichteile als Stabilisatoren des DRU-Gelenkes
gen in maximaler Pronation und maximaler Supination und Neu­ geschont werden und letztendlich nur die Gelenkfläche unter Belas­
tralstellung, CT (Hinweise auf eine ulnare Dislokation), Arthro- sen des Proc. styloideus ulnae und des TFCC reseziert wird. Bowers
NMR mit Handgelenkspule zur Beurteilung der Knorpelverhältnisse hat zusätzlich eine Interpositionsarthroplastik durchgeführt, um ein
und des TFCC und Arthroskopie. radioulnares Impingement zu verhindern. Die dorsale Kapsel des
DRU-Gelenkes wird nach der Resektion der Gelenkfläche einge­
Therapie schlagen und ossär an der distalen Ulna vernäht (. Abb. 60.6).
Als sog. Rettungsoperation (»salvage procedures«) für die Wieder­
herstellung der Umwendbewegung stehen mehrere erprobte Verfah­ Operation nach Kapandji-Sauvé. Diese Operationstechnik bein­
ren zur Verfügung. haltet eine Fusionspseudarthrose des DRU-Gelenks. Das DRU-Ge­
lenk wird fusioniert und ein Knochenblock aus der Ulna proximal
Darrach-Operation. Darrach hat 1912 eine Technik zur Behand­ des DRU-Gelenks reseziert, um eine Umwendbewegung des Unter­
lung von Arthrosen des DRU-Gelenkes vorgestellt, bei der er die arms zu ermöglichen (. Abb. 60.7). Bei dieser Operation muss der
distale Ulna komplett reseziert und dadurch das schmerzhafte DRU- resezierte Knochenblock in der proximodistalen Richtung min­
Gelenk aufgelöst hat (. Abb. 60.5). Diese Maßnahme kann zu einer destens 1 cm breit sein, um eine Instabilität des proximalen Ulna­
Instabilität der gesamten Handwurzel mit einer ulnokarpalen Trans­ stumpfes durch eine ausreichende Weichteilführung und anderer­
lation oder einem radioulnaren Impingement führen und ist deshalb seits eine erneute knöcherne Überbrückung des gesetzten Defektes
heute nicht mehr die 1. Wahl, insbesondere nicht bei jüngeren sport­ zu verhindern. Ein intakter TFCC ist notwendig für die axiale Kraft­
lich aktiven Patienten. übertragung vom ulnaren Karpus auf den Unterarm. Mit dieser
564 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand

b c
a

60

d e

. Abb. 60.7 Operation nach Kapandji-Sauvé (a) bei fehlverheilter Unter- syndrom (b, c). Postoperatives Röntgenbild (d, e), postoperatives Funktions-
armfraktur und aufgehobener Unterarmwendung sowie ulnares Impaktions­ ergebnis

Operationsmethode kann ein stabiler ulnarer Pfeiler für den Karpus nicht fusionierten Karpalia. Dieser Prozess innerhalb des Karpus ist
hergestellt werden. erst 9–12 Monate nach einer Teilversteifung abgeschlossen. Arthro­
Bei Instabilitäten des DRUG mit Luxationen und guten Knorpel­ desen, die das radiokarpale Gelenk überbrücken (radiolunäre Arth­
verhältnissen im DRUG lohnt sich eine ligamentäre Rekonstruktion rodese), führen zu einer besonders ausgeprägten Bewegungsein­
mit Refixierung der palmaren und dorsalen radioulnaren Bänder. schränkung.
Eine temporäre Transfixierung von Ulna und Radius wird mit 2 K-
Drähten durchgeführt. Die Drähte und ein Oberarmgips werden für
8 Wochen postoperativ belassen. Als alternative Rekonstruktions­ 3 Therapieprinzipien im Rahmen einer Teilarthrodese
technik ist auch eine ligamentäre Rekonstruktion mittels freiem Seh­ des Karpus
nentransplantat (z. B. in der Technik nach Adams) möglich. 4 Unveränderte und gesunde Gelenke dürfen nicht fusioniert
werden (um eine größtmögliche Beweglichkeit zu erhalten,
Handgelenkteilarthrodese. Die Teilarthrodese des Handgelenks 7 oben). Eine Ausnahme bildet die Versteifung von Os hama­
ist ein nützliches Verfahren, um spezifische karpale Pathologien tum und triquetrum im Rahmen der CLHT- (Capitatum-Luna-
(SL-Dissoziation dynamisch oder statisch/Geissler III.° und IV.°, tum-Hamatum-Triquetrium-)Arthrodese (mediokarpale oder
ST-Arthrose, Lunatumnekrose, Kahnbeinpseudarthrose, trauma­ Vier-Quadranten-Arthrodese). Es konnte gezeigt werden,
tische Dislokationen, Mid-karpale Instabilität, kongenitale Synchon­ dass die zusätzliche Versteifung dieser beiden Knochen keine
drose des STT-Gelenkes) zu behandeln und eine Restbeweglich­ negative Auswirkung auf die Handgelenksbeweglichkeit hat.
keit des Handgelenks zu erhalten und Instabilität und Schmerz zu 4 Die physiologischen äußeren Ausmaße der zu fusionie-
bessern. renden Ossa carpalia müssen erhalten bleiben. Dies ist ins-
In einem unverletzten Handgelenk limitieren benachbarte besondere wichtig vor dem Hintergrund einer optimalen
Handwurzelknochen und die ligamentäre Aufhängung die Beweg­ postoperativen Beweglichkeit innerhalb der noch erhal-
lichkeit der umgebenden Knochen. Wenn nun zwei oder mehrere tenen karpalen Gelenke (7 oben).
karpale Knochen miteinander fusioniert werden, kommt es zu einer 6
kompensatorischen Erweiterung der Mobilität der angrenzenden
60.1 · Finger und Mittelhand
565 60

4 Die knöcherne Fixierung sollte sich auf die zu fusionie-


renden Knochen beschränken. Bei einer zusätzlichen tem-
porären Arthrodese eines benachbarten Gelenks kommt es
im Rahmen der Heilung der Arthrodese zu einer Erhöhung
der Kraftübertragung durch eine Verminderung der Beweg-
lichkeit in den angrenzenden Gelenken und somit zu einer
Insuffizienz der heilenden definitiven Arthrodese.

Handgelenkarthrose
Diagnostik
Die klinische Untersuchung bei Verdacht auf eine Handgelenk­
arthrose beinhaltet
4 Palpation des SL-Gelenkes insbesondere von dorsal.
4 Fingerextensionstest (in passiver Flexion des Handgelenks löst
die aktive Streckung der Finger gegen Widerstand einen Schmerz
aus).
4 Watson-Test (schmerzhaftes Schnappen des proximalen streck­
seitigen Kahnbeinpols über die streckseitige Radiuskante bei
Druck auf den distalen palmaren Kahnbeinpol unter gleich­ a
zeitiger passiver Mobilisation des Handgelenks von maximaler
Ulnarduktion in maximale Radialduktion). Gleichzeitig dient
der Test der Untersuchung einer möglichen skapholunären Ban­
dinstabilität.
4 Palpation des STT-Gelenkes.

Therapie
Bei einer akuten Ruptur des SL-Bandes mit einer Rotationsinstabili­
tät des Skaphoids ist die offene Reposition, Naht des SC-Bandes und
interne Fixierung des Gelenks unter direkter Sicht die beste Thera­
pieoption. Insbesondere ist die korrekte Wiederherstellung der Ge­
lenkverhältnisse zwischen Skaphoid, Lunatum und Capitatum von
großer Bedeutung.
Im Fall einer chronischen SL-Bandinstabilität bestehen je nach
individuellen Bedürfnissen des Patienten (berufliche Tätigkeit, Hob­
bys, Alter, Geschlecht) folgende Behandlungsoptionen:
4 eine Weichteilrekonstruktion im Sinne einer dorsalen Kapsulo­
dese nach Berger, mit oder ohne direkte SL-Bandnaht
oder
4 eine Teilarthrodese des Handgelenks (STT-Arthrodese nach
Watson).
b
Die dorsale Kapsulodese ist der kleinere operative Eingriff mit einer
geringeren Komplikationsrate im Vergleich zu einer STT-Arthro­ . Abb. 60.8a, b »SNAC wrist« III. Grades (»scaphoid non union advanced
dese. Die Ergebnisse bei nicht statischen SL-Banddissoziationen collapse wrist« mit Kahnbeinpseudarthrose, radioskaphoidaler und midkar-
waren in einer eigenen Untersuchung signifikant besser in Bezug auf paler Arthrose)
postoperative Kraftminderung, Operationszeit, Krankenhausauf­
enthalt und Beweglichkeit. die Reposition der Fragmente in Kombination mit einem korti­
Da der Druck, der nach einer STT-Arthrodese von radialer kospongiösen Knochenspan zu versuchen.
Hand und Handgelenk auf den Unterarm über die Fossa scaphoidea
übertragen wird, nach einer STT-Arthrodese deutlich ansteigt und
somit die Belastung in diesem Gelenk zunimmt, ist eine intakte Indikationen für eine STT-Arthrodese
Fossa scaphoidea eine Vorbedingung für eine STT-Arthrodese. Als 4 Sehr weit proximal gelegene Kahnbeinfraktur im Sinne
mögliche Langzeitauswirkung neben der sofort vorhandenen pal­ eines knöchernen SL-Bandausrisses
maren Bewegungseinschränkung kann eine skaphoradiale Arthrose 4 Sehr weit distal gelegene Kahnbeinfraktur mit Inkongruenz
nicht ausgeschlossen werden. des STT-Gelenks
4 Kahnbeinfraktur in Kombination mit einer SL-Bandläsion
Kahnbeinpseudarthrose (. Abb. 60.8)
Eine unbehandelte Kahnbeinpseudarthrose führt zu einer dege­ 4 STT-Arthrose
nerativen Handwurzelerkrankung, die in einem »SNAC wrist« 4 Kongenitale STT-Synchondrose
(»scaphoid nonunion advanced collapse«) endet. Wenn möglich, ist
566 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand

a b

60

c d

. Abb. 60.9 Therapieverfahren bei Lunatumnekrose. Revaskularisation des stiel (blauer Pfeil). b Gefäßgestielter Span in das Os lunatum rotiert. c Luna-
Os Lunatum bei Lunatummalazie: a Gefäßgestielter Radiusspan 4/5 ECA tumnekrose Stadium III a präoperativ. d Postoperatives Röntgenbild nach
(»extensor compartimental artery«) mit Span (rote Umrandung) und Gefäß- gefäßgestieltem 4/5-ECA-Radiusspan und Radiusverkürzung

M. Kienböck (Lunatumnekrose) Eine Entfernung des Lunatums ist nicht routinemäßig notwen­
Falls noch eine Revaskularisation des Mondbeins sinnvoll erscheint dig und wird im Einzelfall bei andauernden Schmerzen oder Bewe­
(Stadium II und IIIa; . Tab. 60.3), stellt die Radiusverkürzung (bei gungseinschränkungen im Intervall durchgeführt. Silastikprothesen
entsprechender Ulna-Minus-Variante) in Kombination mit einem als Ersatz des Lunatums oder Kahnbeins haben historische Bedeu­
gefäßgestielten Radiusspan ein sinnvolles Therapieverfahren dar. tung.
Die Resektion der proximalen Handwurzelreihe (»proximal row car­
pectomy«) ist als Rettungsoperation möglich. Bei einer Lunatumne­ Skapholunäre Dissoziation
krose im Stadium IIIb mit fortschreitendem Kollaps des Lunatums Eine Zerreißung des SL-Bandes führt zu einer Rotationsinstabilität
und der Handwurzel und palmarer Verkippung des Kahnbeins des Kahnbeins mit einer palmaren Verkippung des Kahnbeins und
und einer DISI- oder PISI- (»dorsal«/«palmar intercalated segment einer dorsalen Verkippung des Mondbeins (DISI, »dorsal intercala­
instability«) Stellung des Mondbeins rekonstruiert die STT-Arthro­ ted segment instability«). Der SL-Winkel vergrößert sich (>55°).
dese die karpale Höhe bei erhaltener Gelenkfunktion. Die palma­ Therapieoptionen sind eine direkte Bandnaht mit temporärer
re Verkippung des Kahnbeins wird aufgerichtet und somit die kar­ K-Draht-Arthrodese, eine dorsale Kapsulodese nach Berger oder die
pale Höhe wieder hergestellt, das Lunatum wird druckentlastet STT-Arthrodes nach Watson.
(. Abb. 60.9).
60.1 · Finger und Mittelhand
567 60
»SLAC wrist«/»SNAC wrist«
. Tab. 60.2 Stadieneinteilung »SNAC/SLAC wrist« Die häufigste Ursache für ein »SLAC wrist« (»scapholunate advan­
ced collapse«; . Abb. 60.10) ist eine palmare Verkippung des Kahn­
Stadium Ausmaß der Arthrose beins infolge einer Zerreißung des SL-Bandes. Ein »SNAC wrist«
(»scaphoid non-union advanced collapse«; . Abb. 60.8) tritt auf
I Schliffarthrose Processus styloideus radii
nach einer nicht behandelten Kahnbeinpseudarthrose und endet im
II Arthrose im Radioskaphoidalgelenk gleichen Schädigungsmuster. In beiden Fällen läuft die Arthrose in
mehreren Stadien ab (Stadieneinteilung . Tab. 60.2).
III Mediokarpale Arthrose
Andere Ursachen eines fortgeschrittenen karpalen Kollapses
sind M. Preiser (aseptische Nekrose des Skaphoids), Mid-karpale
Instabilität, intraartikuläre Frakturen, die das radioskaphoidale Ge­
STT-Arthrose lenk betreffen, und ein M. Kienböck. Bei jeder dieser Erkrankungen
Etwa 95% der degenerativen Erkrankungen der Handwurzel liegen ist das Kahnbein betroffen und folglich auch das radioskaphoidale
periskaphoidal. Eine STT-Arthrose ist entsprechend häufig und Gelenk. Der radiolunare Gelenkanteil (Fossa lunata) ist sehr wider­
kann durch eine STT-Arthrodese sehr gut behandelt werden. Nach standsfähig gegen degenerative Veränderungen und bleibt in allen
dem Befund sollte auch immer in Richtung einer Sattelgelenksar­ Phasen des »SLAC wrist« meist erhalten. Im Rahmen einer CLHT-
throse gefahndet werden. (Capitatum-Lunatum-Hamatum-Triquterum-) Arthrodese erfolgt

a c

b d

. Abb. 60.10 »SLAC wrist« III. Grades mit Erweiterung des SL-Spaltes, ra- corner fusion«) zur Behandlung einer SLAC-Wrist III. Grades mit Fusion von
dioskaphoidaler und midkarpaler Arthrose (a, b). CLHT-Arthrodese (»four Capitatum, Lunatum, Hamatum, Triquetrum (c, d)
568 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand

die gesamte verbleibende Beweglichkeit und die Druckübertragung 60.2 Knochennekrosen des Karpus
vom Karpus auf den Unterarm über das RL-Gelenk.
60.2.1 Nekrose des Os lunatum (M. Kienböck)
> Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung eines
»SLAC/SNAC wrist« liegt in der korrekten Reposition des
Das Os lunatum ist der am häufigsten von einer avaskulären Kno­
Lunatums in die Fossa lunata aus der DISI-Stellung heraus.
chennekrose betroffene Karpalknochen. Männer erkranken ca. dop­
Wenn die Fossa lunata oder die lunäre Gelenkfläche höhergradige pelt so häufig wie Frauen.
Schädigungen aufweisen, kann eine CLHT-Arthrodese nicht durch­ Kienböck hat 1910 erstmalig die später nach ihm benannte Er­
geführt werden. Dann sind die »proximal row carpectomy« (bei in­ krankung beschrieben und ging noch von einer traumatisch be­
takter Fossa lunata und intaktem proximalem Capitatumpol) oder dingten Schädigung des Mondbeins aus mit der Folge einer Durch­
die Panarthrodese als Rettungsoperationen durchzuführen. blutungsstörung. Die Durchblutung basiert auf einem extra- und
einem intraossären System. Das extraossäre Durchblutungssystem
LT-Arthrodese. Indikationen für diese seltener durchgeführte Teil­ besteht aus einem dorsalen und ventralen Anteil.
versteifung der Handwurzel sind eine symptomatische Dislokation
des LT-Gelenks, degenerative Erkrankungen und eine kongenitale Ursachen
Synchondrose des LT-Gelenks. Die besten Ausheilungsergebnisse Eine ungleichmäßige Lastverteilung über den Karpus wird als mögliche
werden mit einer bikonkaven Aushöhlung der korrespondierenden Ursache für die Entwicklung eines M. Kienböck diskutiert. Insbesonde­
lunären und triquetralen Gelenkflächen unter Erhaltung eines äuße­ re fällt auf, dass bei Patienten mit M. Kienböck oft auch eine deutliche
ren Randes der jeweiligen Gelenkflächen und Implantation eines Ulna-Minus-Situation besteht. Die normale Kraftverteilung läuft zu ca.
spongiösen Knochenspans erreicht. Das arthrodetisierte LT-Gelenk 80% über den radialen Karpus und zu 20% über den ulnaren Karpus.
wird mit 2 K-Drähten für 6–8 Wochen vereinigt. Bei einer Ulna-Minus-Variante von 2,5 mm beträgt die Kraftübertra­
gung im radialen Karpus 96% gegenüber 4% im ulnaren Karpus.
CL-Arthrodese. Die CL-Arthrodese wird sehr selten durchgeführt, Die exakte Ursache für den M. Kienböck ist unklar, wobei eine
meist in Fällen einer isolierten Schädigung der CL-Gelenkfläche Kombination aus einer ungleichmäßigen Gewichtsverteilung über
(Fraktur, Arthrose). Es hat sich gezeigt, dass ein Einschluss von dem Karpus, z. B. bei Ulna-Minus-Variante, oder akute und chro­
­Hamatum und Triquetrum in die Arthrodese (CLHT-Arthrodese) nische traumatische Einflüsse oder auch eine venöse Stauung als
keine negativen Auswirkungen in Bezug auf die postoperative Be­ Teilursachen gelten können.
weglichkeit, Kraft und Haltbarkeit hat.
Diagnostik
60 Skapholunäre (SL)-Arthrodese. Die skapholunäre Arthrodese Zunächst zeigen sich meist unspezifische Symptome wie Schmerzen,
scheint auf den ersten Blick ein ideales Verfahren zur Therapie einer Schwellungen, Bewegungseinschränkungen und Kraftminderung in
SL-Dissoziation, es sprechen jedoch zwei ganz wesentliche anato­ der betroffenen Hand. Die Diagnose M. Kienböck wird durch radio­
mische Tatsachen gegen den Einsatz einer solchen Teilversteifung: logische Bildgebung gestellt. Im konventionellen Röntgen sind sta­
4 Die sehr kleine Kontaktfläche zwischen S und L, die knöchern dienabhängig Sklerosierungen oder Frakturen des Mondbeins zu
durchbaut werden muss und in der Folge eine große Belastung erkennen. Eine verminderte Mondbeinhöhe weist auf einen M. Kien­
aushalten muss, erklärt eine sehr hohe Pseudarthrosenrate. böck hin. Der Höhenindex nach Youm als Relation der Höhe
4 Fossa lunata und Skaphoidea werden durch eine wallartige Er­ des 3. Mittelhandknochens zur Gesamthöhe des Karpus (normal
hebung voneinander separiert, die einer adäquaten Artikulation 0,54±0,03) ist vermindert (Youm et al. 1978).
nach SL-Fusion entgegensteht. In der Szintigraphie kann ein »heißes« Mondbein Hinweise auf
die vorliegende Erkrankung geben. Schnittbildverfahren wie die CT
Skaphoid-Kapitatum- (SC-) Arthrodese. Bei der SC-Arthrodese oder auch NMR sichern die Diagnose. Mit der Kernspintomo­graphie
wird die Lastübertagung vom Karpus auf den Unterarm direkt über können bereits Frühstadien der Erkrankung sicher diagnostiziert
die Arthrodese geleitet, nämlich vom Kapitatum zum Skaphoid werden. In der T1-gewichteten Phase erscheint das fettreiche Kno­
auf den Radius, wodurch die Arthrodese direkt einer sehr großen chenmark der karpalen Knochen als helles Signal. Beim M. Kien­
Belastung ausgesetzt ist. Das normalerweise nur sehr geringe Be­ böck wird das fettreiche Knochenmark durch abgestorbenen Kno­
wegungsausmaß zwischen Kahnbein und Capitatum ist bei der chen ersetzt, sodass dieses deutlich schwächer signalgebend ist und
SC-Arthrodese aufgehoben. Bei einer STT-Arthrodese beispiels­ auf den NMR-Filmen schwarz erscheint.
weise kann aber nach der Fusionierung von Skaphoid, Trapezium Differenzialdiagnostisch sollten entzündliche Arthropathien,
und Trapezoideum weiterhin eine Beweglichkeit zwischen Ska­ posttraumatische Arthritiden, Frakturen, karpale Instabilitäten,
phoideum und Kapitatum stattfinden und so eine gegenüber der ulnokarpales Impaktionssyndrom und eine posttraumatische
SC-Arthrodese verbesserte Handgelenksbeweglichkeit erhalten Ischämie ausgeschlossen werden. Die Stadieneinteilung des M. Kien­
werden. böck nach Delcoux u. Lichtman zeigt . Tab. 60.3.
Daneben ist eine radiologische Klassifikation nach Stäbler u.
Radiolunäre (RL-) Arthrodese. Die Zerstörung des RL-Gelenks und Vahlensieck nützlich (. Tab. 60.4).
eine ulnare Translation des Karpus stellen die einzigen Indikationen
für eine RL-Arthrodese dar. Die Gelenkfläche zwischen Kapitatum Therapie
und Lunatum muss für die Durchführbarkeit einer RL-Arthrodese Die Therapie des M. Kienböck ist stadienabhängig. Grundsätzlich
erhalten sein. Eine leichte Überkorrektur der karpalen Höhe durch sind 4 Faktoren bei der Therapieplanung zu berücksichtigen:
Implantation eines großen Knochenblocks zwischen Radius und Lu­ 4 Stadium der Erkrankung,
natum wird angestrebt, da ein zu kleiner Knochenblock mit einer 4 Ulnavarianz,
Abnahme der karpalen Höhe und verminderter Handgelenksbeweg­ 4 Alter und individuelle funktionelle Faktoren des Patienten,
lichkeit und -stabilität inhergeht. 4 Vorhandensein einer Arthrose im Handgelenk
60.2 · Knochennekrosen des Karpus
569 60

. Tab. 60.3 Stadieneinteilung des M. Kienböck. (Nach Delcoux u. schrieben, wobei wir diesen Eingriff aufgrund der hohen
Lichtman) Rate an Pseudarthrosenbildung (Quenzer u. Linscheid 1993)
im Osteotomiespalt eher nicht als Therapie der 1. Wahl an-
Stadium Kennzeichen sehen.
Zusätzlich zur Radiusverkürzung führen wir in diesen Stadien
I Kernspintomographische Diagnose, mit entsprechender
der Erkrankung eine direkte Revaskularisation (gefäßgestiel­
Klinik ohne radiologische Veränderungen im konventio-
nellen Röntgen ter Radiusspan) durch (. Abb. 60.11). Hierzu wird ein an der
4,5 ECA (»extensor compartment artery«) gestielter Span
II Beginnende Sklerosierung des Mondbeins in der kon- aus dem dorsalen distalen Radius gehoben und in das Luna-
ventionellen Röntgenaufnahme ohne Frakturen, die
tum eingepflanzt.
Höhe des Lunatums ist erhalten
4 Stadium IIIb:
IIIa Sklerosierung, Kollaps des Lunatums und der karpalen Bei der fixierten Flexionsfehlstellung des Kahnbeins führen
Höhe (Höhenindex n. Youm), die Relation zwischen wir eine STT-Arthrodese zur Druckentlastung des Lunatums
Kahnbein und Mondbein ist erhalten ohne karpale und Aufrichtung und Stabilisierung des Karpus durch. Auch
Instabilität eine »proximal row carpectomy« (PRC) kann im Stadium IIIb
IIIb Zunehmender Kollaps des Lunatums, Zeichen der kar- als sinnvolle Therapie durchgeführt werden.
palen Instabilität mit fixierter palmarer Verkippung des 4 Stadium IV:
Kahnbeins (Ringzeichen), DISI- (»dorsal intercalated Die »proximal row carpectomy« wird als Rettungsoperation
segment instability«) oder PISI-Stellung (»palmar inter- bei älteren Patienten empfohlen, die ein geringes Belas­
calated segment instability«) des Mondbeins tungs­profil im Bereich der Handwurzel aufweisen. Für jun-
IV Generalisierte degenerative Veränderungen im gesam- ge, körperlich aktive Patienten ist eine Panarthrodese indi-
ten Karpus mit fixierter Palmarverkippung des Kahn- ziert.
beins und vollständigem Kollaps des Lunatums, das
Mondbein ist fragmentiert

> Alle in der . Übersicht erwähnten Eingriffe können mit


einer Handgelenksdenervation nach Wilhelm kombiniert
werden.
Stadienabhängige Therapie des M. Kienböck
4 Stadium I:
Ruhigstellung im Unterarmgips. Wenn es nach 3 Monaten 60.2.2 Nekrose des Kahnbeins (M. Preiser)
nicht zu einer Verbesserung der Symptomatik und der kern-
spintomographischen Befunde gekommen ist, sollte ein Von Preiser wurde 1910 erstmals eine rarefizierende Osteitis des
operatives Verfahren gewählt werden wie für das Stadium II. Kahnbeins beschrieben. Der M. Preiser ist wesentlich seltener als
4 Stadium II/IIIa: M. Kienböck, im Prinzip wird aber der gleiche Pathomechanismus
Radiusverkürzung bei Neutral- oder Minusstellung der Ulna angenommen. Äthiologisch wird eine Kollagen- und Gefäßerkran­
um maximal 1–2 mm. Durch die Radiusverkürzung kommt kung, Steroidtherapie, wiederholtes Trauma oder idiopathische Ur­
es zu einer Druckentlastung der Fossa lunata und somit sachen diskutiert. Die klinischen Symptome bestehen aus lokalen
auch des Lunatums mit konsekutiver indirekter Revaskulari- Schmerzen und Druckschmerzhaftigkeit. Im Rahmen der radiolo­
sation durch die Dekompression. gischen Untersuchung zeigt sich meist eine Sklerosierung des Kno­
Eine Ulnaverlängerungsosteotomie, die zu einer Druckent­ chens und/oder eine Fragmentierung der proximalen Gelenkfläche.
lastung im radiokarpalen Gelenk führt, wird ebenfalls be- Mittels CT und NMR kann das Ausmaß der Erkrankung genauer
6 beurteilt werden. Im NMR fällt v. a. eine Signalminderung des
Skaphoids auf als Hinweis auf die Minderdurchblutung.

. Tab. 60.4 Radiologische Klassifikation des M. Kienböck. (Nach Stäbler u. Vahlensieck 2000)

MRT- MR-Morphologie T1 T2 Gd-Aufnahme Konventionelles Röntgen


Stadium

Ia Homogene diffuse Signalveränderung Hypointens Hyperintens Ja Unauffällig

Ib Homogene diffuse Signalveränderung Hypointens Hyperintens Ja Sklerose

II Inhomogene, geographische Signalveränderung Hypointens Hypo- oder Fokal fleckig Sklerose, Zysten
hyperintens

III Höhenabnahme, Fragmentation Hypointens Hypointens Nein Zysten, Höhenabnahme,


Fragmentation

IV Sekundärarthrose Hypointens Hypointens Nur synoviale Zusätzlich degenerative


Proliferationen Veränderungen
570 Kapitel 60 · Degenerative Knochenerkrankungen der Hand

diokarpaler Teilarthrodese [Capitatum-Lunatum-Hamatum-Tri­


quterum- (CLHT-) Arthrodese) oder »proximal row carpectomy«
(PRC) durchgeführt werden kann.
Leider ist aufgrund der bereits bestehenden arthrotischen Ver­
änderungen im Bereich des Proc. styloideus radii und der radios­
kaphoidalen Gelenkflächen eine schmerzfreie Bewegung trotz einer
erfolgreichen Revaskularisation oft nicht möglich. Des Weiteren
kann das Skaphoid bereits so stark fragmentiert sein, dass ein gefäß­
gestielter kortikospongiöser Span nicht mehr in das Kahnbein im­
plantiert werden kann. Als letzte therapeutische Option bietet sich
daher eine Handgelenkspanarthrodese an, um eine weitgehende
Schmerzfreiheit im Karpus zu erreichen.
Aufgrund der schlechten Vorhersagbarkeit der postoperativen
Ergebnisse kann im Falle von nur leichten Beschwerden durchaus
a auch ein zunächst konservatives Vorgehen mit dem Patienten be­
sprochen werden unter regelmäßigen klinischen und radiologischen
Kontrollen.

60.2.3 Avaskuläre Nekrose des Os capitatum

Die Perfusion des proximalen Kapitatumpols wird durch eine pal­


mare und dorsale Blutversorgung sichergestellt. Dennoch ist gerade
der proximale Pol auch durch eine avaskuläre Nekrose gefährdet.
Ursachen für die Entstehung einer avaskulären Kapitatumnekrose
sind Traumafolgen, ligamentäre Laxizität, Vibration, Steroiddauer­
medikation, wiederholte Handgelenksstreckungen und idiopa­
thische Gründe. Unbehandelt kommt es bei diesem Krankheitsbild
zu einem fortschreitenden Kollaps des Kapitatums. Als Diagnostik
60 b
steht das NMR zum Nachweis einer avaskulären Nekrose im Vorder­
grund.

Therapie
Operative Therapie. Die operative Therapie besteht in der Revas­
kularisation des Kapitatums, wobei ein Erfolg im Sinne eines Still­
standes der Nekrose bzw. eine Verbesserung der Durchblutung nicht
garantiert werden können.

Sonstige. Weitere therapeutische Optionen sind konservative Be­


handlungsansätze in Abhängigkeit von den Beschwerden und dem
radiologischen Befund. Außerdem können Knochentransplanta­
tionen, Mid-karpale Arthroplastiken oder Arthrodesen (z. B. Arth­
rodese von Os capitatum und hamatum) durchgeführt werden. Zu
keinem der erwähnten Operationsverfahren existieren Langzeiter­
fahrungen.
c
Wir empfehlen in Abhängigkeit von der Klinik und der son­
. Abb. 60.11 Revaskularisation des Os lunatum bei M. Kienböck (a) mittels stigen Befunde zunächst ein abwartendes Verhalten mit konservati­
vaskularisiertem Radiusspan (b), der an der Arterie 4,5 ECA (»extensor com- ver Therapie. Bei zunehmenden Beschwerden in Zusammenschau
partment artery«) gestielt wird. c Der Rotationsbogen ermöglicht die Ein- der beruflichen Tätigkeit des Patienten, des Alters, des Geschlechts
pflanzung in die Höhle des Os lunatum und des Wunsches des Patienten ist die weitere operative Therapie
zu planen.

Therapie Literatur
Bei diesem Krankheitsbild existieren verschiedene Therapieopti­ Literatur zu Kap. 60.1
onen: Von konservativer symptomatischer Therapie, Débridement Clayton ML, Ferlic DC (1984) Arthrodesis of the arthritic wrist. Clin Orthop
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tion. Abhängig vom Stadium der Kahnbeinnekrose, den Gelenkflä­
J Hand Surg [Br] 21 (4): 429–433
chen radioskaphoidal und den Wünschen und dem Belastungsprofil Hamalainen M, Kammonen M, Lehtimaki M et al. (1992) Epidemiology of wrist
des Patienten machen wir einen Erhaltungsversuch mittels gefäßge­ involvement in rheumatoid arthritis. J Rheumatol 17: 1–7
stieltem Radiusspan (1,2 ICRSA-Span), wobei mit dem Patienten Watson HK, Goodman ML, Johnson TR (1981) Limited wrist arthrodesis. ­
präoperativ abgeklärt werden muss, dass im Falle einer Unmöglich­ Part II: Intercarpal and radiocarpal combinations. J Hand Surg [Am] 6 (3):
keit dieser Revaskularisation auch eine Kahnbeinresektion mit me­ 223–233
60.2 · Knochennekrosen des Karpus
571 60
Krimmer H, Wiemer P, Kalb K (2000) [Comparative outcome assessment of the
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61

Rheumatoide Arthritis
M. Meyer-Marcotty

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
574 Kapitel 61 · Rheumatoide Arthritis

Definition. Die rheumatoide Arthritis (RA; frühere Bezeichnung


chronische Polyarthritis; cP) ist eine chronisch-entzündliche (abak-
terielle) Systemerkrankung, die vorwiegend das Synovialgewebe
betrifft und zu krankhaften Veränderungen an Gelenken und Seh-
nen führt.
Etwa 1–4 % der Bevölkerung in Deutschland sind betroffen, am
häufigsten Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren.

Ätiologie
Die genauen Gründe für die Entstehung einer RA sind bis heute
unbekannt, viele der krankhaften Befunde weisen auf einen autoim-
munologischen Hintergrund hin. Eine weitere Theorie geht davon
aus, dass enzymatische Vorgänge an der Zerstörung der Gelenk-
strukturen und Sehnen beteiligt sind. Die chronische Entzündung
führt gemeinsam mit enzymatischen Abläufen zu einer Zerstörung
der Gelenkstrukturen und über die gleichzeitig vorhandene Sehnen-
scheidensynovialitis letztendlich zur Ruptur von Sehnen.

Klinik

Erscheinungsbild der rheumatoiden Arthritis . Abb. 61.1 Rheumatische Arthritis der Hand mit typischen röntgenologi-
4 Schmerzen schen Veränderungen der Fingergelenke mit bereits erfolgter Alloarthro-
4 Schwellung plastik der PIP-Gelenke und einer Arthrodese des Kleinfinger-DIP-Gelenks
4 Bewegungseinschränkung
4 Funktionsstörung und Kraftminderung, die typischerweise
Veränderungen an den Fingergelenken
an mehreren Stellen gleichzeitig auftreten
Ulnardeviation. Die beginnende synovialitische Schwellung lässt
sich streckseitig in mittlerer Beugung des Gelenks zwischen 2 Fin-
Am Anfang der Erkrankung bestehen Morgensteifigkeit der Gelenke gergrundgelenken tasten. Durch die zunehmende Schwellung rutscht
mit Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit. die Strecksehne zur Ellenseite ab. Die Seitenbänder lockern sich, und
Da es sich bei der rheumathoiden Arthritis um eine dynamisch die Instabilität nimmt zu. Dies führt zu einem Streckdefizit und zu
fortschreitende Erkrankung handelt, können im weiteren Verlauf einer Ulnardeviation der Finger.
61 zunächst Schwellungen der Gelenke, Gelenkfehlstellungen und
schließlich funktionsbehindernde Gelenkzerstörungen auftreten. Schwanenhalsdeformität. Bei dieser Fehlhaltung werden die Finger­
Hierdurch kommt es zu stark schmerzhaften und funktionseinge- grund- und -endgelenke in Beugung und das Mittelgelenk in Über-
schränkten Gelenken und zu deutlich sichtbaren Achsabweichungen streckung gehalten, die den Faustschluss und den feinen Spitzgriff
mit grotesken Fehlstellungen z. B. der Hände. zwischen Daumen und betroffenem Finger behindern (. Abb. 61.2).
Nervenengpasssyndrome werden gehäuft beobachtet, beispiels- Ursächlich sind rheumatische Veränderungen an den Gelenken, den
weise das Karpaltunnelsyndrom oder die Kompression des N. ulna- Handbinnenmuskeln und den Beugesehnenscheiden.
ris durch Synovialitis des Ellbogengelenks. Die Hände sind bei fast Zusätzlich kann ein »Schnapp-Phänomen« vorliegen: Bei nor-
allen Rheumapatienten, oft schon in der Frühphase, betroffen (typi- malem Faustschluss verbleibt der Finger in Überstreckstellung. Bei
scherweise das Handgelenk, die Fingergrund- und -mittelgelenke Verstärkung der Beugung wird das Mittelglied über den Grund-
und das Daumengrundgelenk; . Abb. 61.1). gliedkopf gezogen, wobei es zu einem typischen Schnappen kommt.
Im Folgenden wird kurz auf die wichtigen rheumatischen Ver- Erst jetzt ist ein Faustschluss möglich.
änderungen an der Hand eingegangen:

Veränderungen am Handgelenk
Im Frühstadium weisen Schmerzen und Bewegungseinschränkun­
gen auf eine Handgelenksynovialitis, die sich als wulstige Schwel-
lung tasten lässt, hin.
Es kommt zu Rupturen der Strecksehnen infolge der Synoviali-
tis, die sich, beginnend am Kleinfinger, später bis zum Mittelfinger
ausdehnt. Die Folgen einer entzündungsbedingten Zerstörung des
Ellenkopfes werden als Caput-ulnae-Syndrom bezeichnet.
Die Lockerung des Kapsel-Band-Apparates sowie destruktive
Veränderungen an Knorpel, Knochen und Bändern begünstigen
und verstärken die geschilderten Fehlstellungen. Im Endstadium
kommt es zu einer radialen Abkippung der Handwurzel und zu
einer erheblichen Dislokation der Hand zur Beugeseite hin.
Je nach Verlaufsform treten im Spätstadium spontane Einstei-
fungen des Handgelenks oder eine funktionseinschränkende Insta-
bilität auf. . Abb. 61.2 Schwanenhalsdeformität
61 · Rheumatoide Arthritis
575 61
Knopflochdeformität. Die Synovialitis dehnt und lockert den Mit- ßerdem werden z. B. bei der Sattelgelenkarthrose Resektionsarthro-
telzügel des Streckapparates und schwächt die Streckung des Mittel- plastiken mit Sehnenplastiken durchgeführt. Bei fortgeschrittener
gelenks. Die Aponeurose zwischen Mittel- und Seitenzügel weitet Instabilität mit skelettalem Kollaps besteht die Indikation zur Arth-
sich, die Seitenzügel dislozieren nach palmar und wirken nun als rodese, um Restfunktionen der Hand zu erhalten.
Flexoren im Mittelgelenk und als Extensoren im Endgelenk
> Generell sollten möglichst einfache Eingriffe mit geringer
Belastung für den Patienten, kurzer Rehabilitationszeit
Veränderungen am Sattelgelenk des Daumens
und hoher Erfolgsaussicht bevorzugt werden.
Sehr häufig sind arthrotische Veränderungen am Sattelgelenk des
Daumens mit Schmerzen zu finden. Diese Schmerzen sind schon bei
festem Zugreifen, Fassen eines Schlüssels oder beim Halten der Kaf- Synovialektomie
feetasse vorhanden. Es resultiert eine deutliche Kraftminderung. Die Kombination aus Synovialitis und (Druck-)belastung führt
bei der rheumatoiden Arthritis zu einer Zerstörung der Gelenke.
Diagnostik Als einfache Grundregel bei der Behandlung der RA kann daher
Besteht der Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung, sollte die die Minimierung bzw. die Ausschaltung zumindest eines dieser
Abklärung durch einen speziell ausgebildeten Rheumatologen erfol- beiden Faktoren angesehen werden. Bei der Synovialektomie in
gen. Die Diagnose wird anhand von Beschwerden, der Untersuchung Gelenken ist jedoch zu beachten, dass die Funktion der Gelen-
des Patienten, Röntgenuntersuchung sowie der serologischen Para- kinnenhaut beeinträchtigt wird. Die Ernährung, der Schutz des
meter (Rheumafaktoren, Entzündungswerte, Autoimmunserologie) Knorpels und der Abtransport von Débris werden durch eine
gestellt. Regelmäßige radiologische Kontrollen informieren über den Synovialektomie behindert, und so eine Zerstörung des Knorpels
aktuellen Befund und das Fortschreiten der Erkrankung. Wichtige beschleunigt.
Kennzeichen im Röntgenbild sind hierbei Eine typische Fehlstellung der rheumatischen Hand ist die Ul-
4 eine Verschmälerung des Gelenkspaltes, nardeviation und palmare Subluxation in den MP-Gelenken der
4 der Nachweis von Zysten und Arrosionen der Knochen­ Langfinger. Bei dieser Fehlstellung empfehlen wir die Durchführung
struktur, eines »intrinsic release«. Hierzu wird ein transversaler dorsaler
4 Dislokationen, Hautschnitt über den betroffenen MP-Gelenken angelegt. Die ulnar-
4 Osteoporose, seitig ansetzende intrinsische Muskulatur wird inzidiert, zusätzlich
4 Ankylose. zu einer Teilresektion der ulnarseitigen schrägen Fasern der Stre-
ckerhaube. Bei einer Ulnardeviation auch der Strecksehnen kann
Therapie eine Zentrierung der Strecksehne nach radial erfolgen im Sinne ei-
Da die RA eine fortschreitende Allgemeinerkrankung ist, muss die ner Raffung der radialen Kapsel und Sehnenanteile.
chirurgische Therapie in enger Abstimmung mit den behandelnden Bei einer symptomatischen Arthrose der distalen Interphalan­
Rheumatologen erfolgen. So sollte z. B. vor einer geplanten Opera­ gealgelenke (DIP) bietet sich meistens eine Arthrodese des DIP-Ge-
tion die immunsupprimierende Medikation auf ein Mindestmaß lenks in Funktionsstellung an. Hierbei muss mit dem Patienten prä-
reduziert werden, da sonst Wundheilungsstörungen drohen. operativ die individuell beste Stellung besprochen werden. Optisch
vorteilhafter wird z. B. eine möglichst gerade Stellung der DIP-Ge-
lenke insbesondere bei Frauen angesehen, da der Finger in gerader
Zielsetzungen einer chirurgischen Behandlung
Stellung länger und eleganter wirkt. Ein handwerklich noch tätiger
in der Frühphase der RA
Patient ist eher an einer gebesserten Greiffunktion interessiert; somit
4 Verlangsamung des Krankheitsprozesses sollte ein Arthrodesewinkel von ca. 10–20° angestrebt werden. Die
4 Verminderung der Schmerzen zwei radialen Langfinger sollten in einer Supinationsstellung von ca.
4 Verbesserung oder Wiederherstellung von nützlichen Funk- 5–10° eingestellt werden, um den Feingriff zwischen D1 und D2/3
tionen zu ermöglichen.
4 Verhinderung fortschreitender Zerstörungen Das »Cup-Cone-Verfahren« schafft eine gute Kontaktfläche zwi-
4 Verbesserung des ästhetischen Erscheinungsbildes schen spongionösem Knochen. Hierzu wird das Köpfchen des Mit-
telgliedes von Knorpel befreit und abgerundet (»cone«). Die Basis
des Endgliedes wird ausgehöhlt (»cup«). Es kann dann eine optima-
Die 3 Grundprinzipien sind in der . Übersicht dargestellt. le Stellung erreicht werden unter Verwendung von 2 0,8-er K-Dräh-
ten und einer 0,5-er Draht-Cerclage.
Auch bei einer rheumatischen Zerstörung der proximalen Inter-
Grundprinzipien der chirurgischen Rheumatherapie
phalangealgelenke (PIP) kann eine Arthrodese wie oben beschrie-
4 Verhinderung fortschreitender Destruktion durch ben durchgeführt werden. Zum Bewegungserhalt wird aber auch bei
Synovialektomie guter Knochensubstanz und noch bestehender guter Beweglichkeit
4 Wiederherstellung verlorener Funktionen ein Silikongelenkersatz (z. B. Swanson-Spacer) eingesetzt. Hierbei
4 Eingriffe, mit denen Restfunktionen erhalten werden ist es wichtig, eine stabile seitliche Führung für den Gelenkersatz zu
können, z. B. Arthroplastik oder Sehneneingriffe erhalten und anhand von Schablonen die korrekte Größe des Im-
plantates auszumessen. Auch bei schwacher kortikaler Abstützung
verstärken sog. Grommets (. Abb. 60.3) im Schaft die Stabilität der
Vorbeugende Operationen sind z. B. Synovialektomien, die frühzei- Implantation. Ein Swanson-Spacer ist nicht sehr belastungsstabil,
tig durchgeführt werden sollten, um drohende Sehnenzerreißungen sodass dieses Verfahren für junge, noch sehr aktive Patienten nicht
zu verhindern. Rekonstruktive Maßnahmen haben die Wiederher- als 1. Wahl angesehen werden kann.
stellung von Weichteilmantel und Gelenken (auch durch Einbringen
von Kunstgelenken) und z. B. Sehnenverlagerungen zum Ziel. Au-
576 Kapitel 61 · Rheumatoide Arthritis

Literatur
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61
62

Tumoren der Hand


62.1 Benigne Tumoren – 578
K.H. Busch, J. Redeker, A. Gohritz
62.1.1 Haut- und Weichteiltumoren – 578
62.1.2 Gefäßtumoren – 581
62.1.3 Knochen- und Knorpeltumoren – 581

62.2 Maligne Tumoren – 583


A. Gohritz, P.M. Vogt
62.2.1 Diagnostisches Vorgehen – 583
62.2.2 Prinzipien der Therapie – 583
62.2.3 Primäre Hauttumoren – 583
62.2.4 Primäre maligne Tumoren des Knochen- und Weichteilgewebes – 586

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
578 Kapitel 62 · Tumoren der Hand

62.1 Benigne Tumoren und 4. Strecksehnenfach oder direkt distal des 4. Strecksehnenfaches
und geht von der Handgelenkskapsel in Höhe des SL-Bandes aus.
K.H. Busch, J. Redeker, A. Gohritz Etwa 10–25% aller Ganglien im Erwachsenenalter sind beuge-
seitig lokalisiert, bei Kindern unter 10 Jahren ist diese Lokalisation
am häufigsten. Die beugeseitigen Ganglien gehen von der FCR-Seh-
Mehr als 95% aller Tumoren der Hand sind gutartig. Die häufigste ne, dem Radiokarpalgelenk oder dem STT-Gelenk aus.
Form ist das Ganglion, danach folgen in der Häufigkeit die Ein- Beugeseitig an den Fingern finden sich über den A1-Ringbän-
schlusszysten, Warzen, Riesenzelltumoren, Granulome und Häman- dern oder den A2-Ringbändern sog. Ringbandganglien, die von den
giome. Benigne Handtumoren können zu Schmerzen und Bewe- Beugesehnen ausgehen. Diese sind oft nur stecknadelkopfgroß, für
gungseinschränkungen führen. Sie können vaskulärer, knöcherner, die Patienten aber beim Faustschluss sehr störend.
perichondraler oder kutaner Genese sein und lokalisierte Raumfor- Ganglien an den Streckseiten der Fingerendglieder resultieren
derungen an typischen Stellen der Hand bilden. Obwohl sehr selten, aus Arthrosen und Exophyten an den Endgelenken. Diese Mukoid-
sollte bei einer Exzision in der Regel eine histologische Untersu- zysten sind nicht schmerzhaft, drohen aber, die Haut zu perforieren
chung zum Ausschluss eines seltenen Malignoms erfolgen. und dann eine direkte Verbindung zum Endgelenk zu bilden.
Lokalisationen an allen anderen Gelenken der Hand sind mög-
Klassifikation lich, ebenso an allen Beuge- und Strecksehnen, aber selten.
Gutartige Tumoren lassen sich in die in der . Übersicht dargestellten Spontane Rückbildungen sind durchaus möglich (bis zu 40–50%
Stadien einteilen. aller Ganglien bei Erwachsenen bilden sich spontan teilweise oder
ganz zurück). Die Indikation zur Operation ist an die Beschwerden
des Patienten adaptiert.
Die Stadien gutartiger Tumoren
4 Latenzstadium: Therapie
Keine wesentliche Veränderung, evtl. spontane Rückbildung Bei den Operationen sind die Besonderheiten der einzelnen Loka­
→ Keine Exzision notwendig lisationen zu beachten. Streckseitige Ganglien werden durch eine S-
4 Aktives Stadium: förmige Inzision über dem Ganglion angegangen. Es wird stets bis auf
Begrenztes Wachstum innerhalb anatomischer Grenzen die Hülle des Ganglions präpariert und das Ganglion verfolgt bis zur
→ Entfernung meist mit Tumorrändern oder intraläsional Darstellung des Stiels bzw. der Schwachstelle in der Gelenkkapsel.
(z. B. Kürettage)
4 Lokal aggressives Stadium: Streckseitige Ganglien. Bei den streckseitigen Ganglien kann es
Wachstum über anatomische Grenzen hinaus → En-bloc- nötig werden, das 4. Strecksehnenfach zu eröffnen. Hierbei sollte die
Resektion Eröffnung unbedingt treppenförmig erfolgen, damit am Ende der
Operation auch ein Verschluss des Strecksehnenfachs erfolgen kann.
Die primäre Naht ist oft schwierig oder unmöglich und führt zu
Die häufigsten Tumoren lassen sich nach ihrem Ursprungsgewebe Stenosen und Einengungen im 4. Streckerfach mit funktionellen
62 einteilen:
4 Haut- und Weichteiltumoren,
Ausfällen.

4 Gefäßtumoren, Beugeseitige Ganglien. Diese sollten unter besonderer Beachtung


4 Knochen- und Knorpeltumoren, der A. radialis operiert werden. In vielen Fällen ist die Arterie adhä-
4 neuronale Tumoren. rent am Ganglion, und es kann leicht zu akzidentiellen Läsionen des
Gefäßes kommen. In keinem Fall darf die Arterie ligiert werden,
sondern muss mikrochirurgisch rekonstruiert werden, um Durch-
62.1.1 Haut- und Weichteiltumoren blutungsstörungen, Schwäche oder Sensibilitätsstörungen der Hand
zu vermeiden.
Ganglion
Ganglien gehören zu den häufigsten Tumoren der Hand (>50%). Bei Mukoidzysten. Der Weichteilmantel bei Mukoidzysten ist extrem
Frauen sind sie etwa doppelt so häufig wie bei Männern und sie dünn, daher sollte nach Möglichkeit die Haut erhalten bleiben, um
treten meist zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr auf. nach Resektion der Zyste eine Defektdeckung erzielen zu können.
Ursächlich ist eine Schwäche im fibrösen Kapselgewebe von Ge- Ferner muss die Exostose am Endglied abgetragen werden, um ein
lenken und bindegewebigen Hüllen der Sehnen. Der intraartikuläre sicheres Rezidiv zu verhindern. Ist die primäre Defektdeckung nicht
Überdruck führt zu einer Ausstülpung der innenliegenden weichen möglich, kann eine lokale Lappenplastik, ggf. mit Vollhauttransplan-
Gelenkhäute, die mit Synovialflüssigkeit gefüllt sind. tation, notwendig werden.
Typischerweise findet sich eine schmerzlose und verschiebliche
> Wie alle Eingriffe an der Hand werden Ganglionexstirpa­
Schwellung am Handrücken, am beugeseitigen Handgelenk oder
tionen in Blutleere und mit Lupenvergrößerung operiert
über Beuge- oder Strecksehnen. Sonographisch imponiert eine glatt-
(. Abb. 62.2).
begrenzte Raumforderung mit einer posterioren Schallverstärkung.
Eine Röntgenuntersuchung sollte erfolgen, um andere Ursachen
eines Tumors auszuschließen und evtl. Ursachen wie Arthrosen zu Epidermale Einschlusszysten
erkennen. Anamnestisch gehen einem Ganglion in etwa 10% der Epidermale Einschlusszysten sind nach Ganglien und Riesenzelltu-
Fälle ein Trauma oder eine Distorsion voraus, die zu einer Schwä- moren (7 Kap. 62.1.3) der dritthäufigste Tumor an der Hand. Durch
chung der Kapsel geführt haben. Versprengung von epidermalen Zellen kommt es zur Ausbildung
Das dorsale Handgelenksganglion ist mit 70% aller Ganglien mit von Tumoren typischerweise an den beugeseitigen Fingern und in
Abstand die häufigste Form. Es imponiert meist zwischen dem 3. der Hohlhand.
62.1 · Benigne Tumoren
579 62

a c

. Abb. 62.1 Die häufigsten Lokalisationen für Ganglien an der Hand sind
radiopalmar zwischen A. radialis und M. flexor carpi radialis (a), die Beuge-
sehnenscheiden auf Höhe des Grundgelenks (b), die radiodorsale Handwur-
zel zwischen Os scaphoideum und Os lunatum (Stiel oft bis zum SL-Band
reichend; c). Ganglionähnlich stellen sich degenerative Mukoidzysten dar,
die meist bei zusätzlich bestehender Heberden-Arthrose am Fingerend­
gelenk auftreten oder, seltener, wie hier vom Interphalangealgelenk des
b
Daumens ausgehen (d)

Bei epidermalen Einschlusszysten handelt es sich um feste, eine Zystenentfernung sind Schmerzen, Ausdünnung der Haut,
nicht schmerzhafte, dicht unter der Haut gelegene Tumoren. Flüssigkeitsaustritt oder Nagelwachstumsstörungen (. Abb. 62.3).
Anamnes­tisch ist eine Stichverletzung an der entsprechenden Stelle
voraus­gegangen, wobei das Trauma bereits Monate oder gar Jahre Noduläre Fasziitis
zurückliegen kann. Berufsgruppen, die häufig Stichverletzungen an Die noduläre Fasziitis tritt als schnell wachsender Tumor an der
den Fingern erleiden, sind prädisponiert. Radiologische Untersu- Hand hervor. Histologisch handelt es sich um eine Reaktion des
chungen sind bei der Diagnostik in der Regel nicht wegweisend, Subkutangewebes, pathogenetisch liegt eine Lokalreaktion oder eine
allerdings können auch diese gutartigen Tumoren zu Knochenar­ Inflammation vor. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
rosionen führen. Sonographisch erkennt man die typische Zysten- In der Hälfte der Fälle besteht ein unangenehmes Druckgefühl
morphologie. oder Schmerzen, meist am beugeseitigen Unterarm. Typischerweise
Die vollständige Exszision des Tumors ist auch hier die Therapie manifestiert sich die noduläre Fasziitis als runder oder ovaler Kno-
der Wahl. Die Rezidivraten sind gering, wenn bei der Exszision kei- ten, der mit oder ohne Kapsel auftreten kann. Feingeweblich beste-
ne Zellen in situ verblieben sind. hen diese Knoten aus unreifen Fibroblasten mit kurzen, unregelmä-
Sie treten meist bei Frauen im Alter zwischen 40 und 70 Jahren ßig angeordneten Bündeln. Differenzialdiagnostisch ist ein Fibro-
auf. Am häufigsten ist der Zeige- und Mittelfinger betroffen, meist sarkom abzugrenzen. Der Verlauf der nodulären Fasziitis ist gutartig.
liegen arthrotische Veränderungen des Endgelenks vor. Anlass für Die Therapie besteht in der lokalen Exzision.
580 Kapitel 62 · Tumoren der Hand

a b

c d

. Abb. 62.2 Typisches radialseitiges Ganglion im Bereich der A. radialis (a). Streckseitiges Ganglion mit Bezug zum dorsalen skapholunären Gelenk-
Mikrochirurgische Resektion unter Lupebrillensicht mit Entfernung und spalt (d)
Ligatur des Stiels, der aus der beugeseitigen Gelenkkapsel entspringt (b, c).

62

a b

. Abb. 62.3 Typische Mukoidzyste mit Ursprung im Fingerendgelenk bei Heberden-Arthrose (a). Elevation eines kleinen Hautlappens, der anschließend
das Gelenk bedeckt (b)

Noduläre Tenosynovialitis Lipome


Die lokalisierte Tenosynovialitis wird auch Riesenzelltumor der Seh- Lipome sind die häufigsten Tumoren des Körpers. An der Hand
nenscheide genannt und ist bekannt für ihre hohe Rezidivrate in den können sie trotz meist langsamem Wachstum bei Druck auf Nerven
synovialen Bereichen an der Hand, also an Gelenken, Kapseln, Bän- zu neurologischen Störungen führen. Bei Kompression des N. me-
dern und Sehnenscheiden. Sie tritt meist am Zeige- und Mittelfinger dianus treten z. B. Symptome ähnlich dem Karpaltunnelsyndrom
und häufiger palmar als dorsal auf. auf, also Gefühlsstörungen der medianusinnervierten Finger, Greif-
62.1 · Benigne Tumoren
581 62
schwäche oder Thenaratrophie. Bei Kompression der sensiblen Äste
des N. ulnaris oder N. radialis ergeben sich Sensibilitätsstörungen
und ausstrahlende Schmerzen in den jeweiligen Innervationsge­
bieten.
Die Therapie besteht in der kompletten Exzision des Lipoms mit
seiner Kapsel.

62.1.2 Gefäßtumoren
Hämangiome
Hämangiome an der Hand sind eher selten, auf ihre Behandlung
wird ausführlich in 7 Kap. 35 eingegangen.

Glomustumoren
Glomustumoren sind Gefäßerweiterungen und Aneurysmen des
Glomussystems, also des distalen arteriovenösen Systems an den
Fingerkuppen, das dort die Zirkulation regelt (. Abb. 62.4). . Abb. 62.4 Glomustumor

Diagnostik
Die Diagnose ist aufgrund der klassischen Symptomatik klinisch motorischen Astes. Bei kleinen Befunden kann eine spannungsfreie
problemlos möglich. Es finden sich kleine stecknadelkopfgroße, primäre Anastomose möglich sein, sonst sollte u. E. immer eine mi-
aber äußerst schmerzhafte Weichteilveränderungen, meist subungu- krochirurgische Rekonstruktion mittels Veneninterponat durchge-
al an den Fingerendgliedern. Neben der Druckschmerzhaftigkeit führt werden.
besteht auch eine ausgesprochene Kälteempfindlichkeit. In 25% der
Fälle sind Tumoren an mehreren Lokalisationen vorhanden. Mit den
Hochfrequenzultraschallköpfen, wie sie für die Hand genutzt wer- 62.1.3 Knochen- und Knorpeltumoren
den (8.000–13.000 MHz) kann man die Läsionen darstellen. In Pro-
blemfällen sind T2-gewichtete MRT-Untersuchungen sinnvoll. Riesenzelltumoren
Riesenzelltumoren, auch villonoduläre Synovitis genannt, sind nach
Therapie den Ganglien die zweithäufigsten Tumoren der Hand. Sie treten zwi-
Die Therapie besteht in der Exzision des Tumors unter Mitnahme schen dem 40. und dem 60. Lebensjahr auf und betreffen bevorzugt
einer Spindel des Nagelbetts. Der Fingernagel muss hierfür entfernt die radialen 3 Finger (. Abb. 62.5).
werden und wird postoperativ zur Schienung als Kunstnagel wieder Anamnestisch ist nicht selten eine Verletzung an der entspre-
aufgelegt. Die Rezidivrate ist bei vollständiger Entfernung gering. chenden Phalanx zu eruieren. Sonographisch läst sich eine eindeu-
tige Differenzierung von Ganglien treffen, da es sich nicht um flüs-
Hypothenar-Hammer-Syndrom sigkeitsgefüllte Zysten handelt, sondern vielmehr um Tumoren mit
Beim Hypothenar-Hammer-Syndrom handelt es sich um ein Aneu- multiplen Fibroxantomen, also kleinen gelblichen spindelförmigen
rysma der A. ulnaris. Durch ein repetitives Trauma auf den Hypo- Einschlüssen, die sich sonomorphologisch deutlich von einem
thenar, wie z. B. durch das Hämmern mit dem Kleinfingerballen, Ganglion unterscheiden. Zudem betreffen Riesenzelltumoren tie­
kommt es zu einer Schwächung der Gefäßwand und Ausbildung des fere Strukturen der Hand. Die radiologische Diagnostik offenbart
Aneurysmas. zuweilen eine Arrosion des Knochens.

Klinik, Symptomatik, Diagnostik Therapie


Die Patienten berichten über Kribbelparästhesien im N.-ulnaris- Die Therapie der Riesenzelltumoren besteht in der marginalen, aber
Versorgungsgebiet. Zusätzlich zu den klinischen Anzeichen eines unbedingt vollständigen Exzision. Rezidive bei unvollständiger Ex-
Loge-de-Guyon-Syndroms kommt es oft auch zu Perfusionsstörun­ zision sind häufig. Die Rezidivrate liegt bei bis zu 50%. Aufgrund
gen und digitalen Ischämien durch Emboli und periphere Gefäßver- der Arrosion des Knochens oder Einwachsens in die Haut sind bei
schlüsse. Das Aneurysma ist als pulsatiler Tumor über dem Hypo- Revisionseingriffen partielle Resektionen von Knochen oder Resek-
thenar tastbar. Sonographisch lässt sich der Verdacht leicht bestäti- tionsarthrodesen erforderlich.
gen. Es sollte aber neben einem obligaten Allen-Test auch immer
eine Angiographie durchgeführt werden, um einen Überblick über Enchondrome
die Durchblutungssituation der Hand zu gewinnen. Enchondrome leiten sich von Knorpelgewebe ab und sind die häu-
figsten primären Knochentumoren (>90% der Knochentumoren
Therapie an der Hand): Sie treten am häufigsten im Bereich des Grundglieds
Es erfolgt die Inzision in der Hohlhand entlang der Linea vitalis, in auf, weniger oft auch an den Mittelhandknochen. Radiographisch
der Rascetta 1–2 cm querverlaufend nach ulnar und dann leicht bo- stellt sich das Enchondrom meist als gut definierte radioluzente
genförmig über der FCU-Sehne nach proximal. Über diesen Zugang Läsion im Bereich der Diaphyse oder der Metaphyse dar. Enchon-
erfolgen sowohl die Dekompression des N. medianus als auch des drom weisen ebenso einen gut sichtbaren sklerotischen Rand auf.
N. ulnaris und von proximal aus dem Gesunden die Präparation der Der Kortex zeigt oft kleine Konkavitäten oder einen bogigen Rand.
A. ulnaris. Das Aneurysma wird vollständig dargestellt, unter insbe- Unter dem M. Ollier versteht man das Auftreten multipler Enchon-
sondere Schonung des N. ulnaris und hier distal v. a. seines tiefen drome.
582 Kapitel 62 · Tumoren der Hand

. Abb. 62.6 Schwannom eines Digitalnervs

Aneurysmale Knochenzyste
Aneurysmale Knochenzysten machen etwa 5% aller gutartigen
Knochtumoren aus und treten in 3–5% der Fälle an der Hand auf
(hier oft mit Schmerzen und rascher Größenzunahme), meist um
die 2. Lebensdekade, nicht selten in der Schwangerschaft. Am häu-
figsten sind die Mittelhandknochen betroffen, am zweithäufigsten
a die Phalangen, selten die Handwurzelknochen.
Radiologisch ähneln sie Riesenzelltumoren mit seifenblasenar-
tigem Aussehen ohne Kalzifikation. Die Läsionen erscheinen lytisch,
exzentrisch und expansiv, die Ränder sind typischerweise scharf be-
grenzt und ohne Sklerose.
Die Behandlung besteht meist in Kürretage und Spongiosa­
plastik, die Kürretage allein führt zu einer hohen Rezidivrate. Die
totale Exzision birgt das Risiko funktioneller Einschränkungen und
sie scheint nur bei Rezidiven gerechtfertigt.
62 Periphere Nerventumoren
Die peripheren Nerventumoren machen 1–5% aller Handtumoren
aus. Der Ursprung der peripheren Nervenscheidentumoren sind die
b Schwann-Zellen.
Periphere Nerventumoren fallen häufig erst durch die Schwel-
. Abb. 62.5 Riesenzelltumor der Beugesehnenscheide (a). Exstirpation
lung in der Hohlhand oder an den Fingern auf. Bei Unterbrechung
und histologische Untersuchung (b)
der Reizleitung sind Ausfälle für die entsprechenden Qualitäten zu
finden.
Die Diagnose wird durch CT- und MRT-Untersuchungen zur
Osteoidosteome Ausbreitungsdiagnostik gestellt.
Subperiosteal gelegene Osteoidosteome sind vorwiegend bei Kin-
dern und jungen Erwachsenen zu finden und können Schmerzen
und Schwellungen der Hand verursachen. Es handelt sich um gutar- Typen der peripheren Nerventumoren
tige Läsionen, die etwa 10–12% aller Knochentumoren ausmachen 4 Schwannom
und v. a. im Bereich des Kortex und der Metaphyse von Röhren­ – Häufigster peripherer Nerventumor
knochen auftreten. Etwa die Hälfte aller Osteoidosteome ist in der – Vorkommen im mittleren Lebensalter
intra- oder juxtaartikulären Region von Femur und Tibia lokalisiert. – Asymptomatische knotige Schwellungen exzentrisch
Klassischerweise treten nächtliche lokalisierte oder auf das anlie- dem Nerv aufgelagert (. Abb. 62.6)
gende Gelenk übertragene Schmerzen auf, die sich auf Gabe von 4 Neurofibrom
antiinflammatorischen Medikamenten (NSAID) oft fast vollständig – Kann innerhalb der Nervenfasern proliferieren
zurückbilden. – Funktionelle Ausfälle einschließlich Paresen
Die pathologischen Kennzeichen im Röntgenbild sind ein – Kann Gigantismus in den betroffenen Fingern auslösen
avaskulärer zentraler Anteil, der von sklerotischem Knochen umge- 4 Neurofibromatose
ben ist. – Autosomal-dominant erblich
Die Behandlung von Osteoidosteomen besteht in Exzision und – Café-au-lait-Flecken
Drainage. Die Exzision des Nidus ist kurativ. Bei inkompletter Ent- – Entartung zu Sarkomen in 10–15% der Fälle
fernung kommt es oft zum Rezidiv.
62.2 · Maligne Tumoren
583 62
Therapie
Therapeutisch stehen die nervenkontinuitätserhaltende Resektion
(interfaszikuläre Neurolyse) oder die En-bloc-Resektion und Ner-
ventransplantation zur Verfügung. An den Digitalnerven gelingt im
Gegensatz zu den größeren peripheren Stammnerven die interfaszi-
kuläre Entfernung nicht, sodass Kabelinterponate nötig werden.

62.2 Maligne Tumoren

A. Gohritz, P.M. Vogt


Tumoren an der Hand sind zumeist gutartig, allerdings muss in
1–2% mit einem bösartigen Befund gerechnet werden.

. Abb. 62.7 Klinischer Aspekt eines Plattenepithelkarzinoms (verhornend)


62.2.1 Diagnostisches Vorgehen

Die Diagnostik maligner Handtumoren umfasst die in der . Über- v. a. hinsichtlich onkologisch notwendiger Resektionen funktio-
sicht genannten Maßnahmen. neller Strukturen oder Amputationen, die mit dem Patienten vorher
im Detail besprochen werden müssen. Durch Kompartmentresekti-
onen (7 Kap. 36.2) kann in manchen Fällen eine Amputation vermie-
Diagnostik maligner Handtumoren
den werden. Bei notwendiger Amputation des Daumens (7 Kap. 65)
4 Klinische Untersuchung mit kann ein primärer Ersatz durch eine Zeigefingerumsetzung zum
– Inspektion Daumen (Pollizisation) erfolgen.
– Palpation (insbesondere auch der axillären Lymphknoten) Intraoperativ ist eine exakte Markierung des Resektates obligat.
4 Bildgebung mit Im eigenen Vorgehen wird es dem Pathologen auf einer Styropor-
– Röntgen (Identifizierung osteogener Tumoren, Usuren platte seitenmarkiert zugesandt.
bei Weichteiltumoren, intratumoröse Verkalkung)
– CT (Form und Ausdehnung von Knochentumoren)
– MRT (Ausdehnung und Invasion von Weichteiltumoren) 62.2.3 Primäre Hauttumoren
– Angiographie (Darstellung von Gefäßtumoren)
Hier handelt es sich in 90% um Plattenepithelkarzinome oder Basal-
zellkarzinome oder Melanome, seltener kommen Dermatofibrosar-
coma protuberans, Kaposi-Sarkom, Schweißdrüsentumor oder ein
Histologie Merkel-Zellkarzinom vor.
Auf eine feingewebliche Untersuchung sollte nur ausnahmsweise,
z. B. bei eindeutig gutartigem Befund (z. B. Ganglion) verzichtet Plattenepithelkarzinom
werden, der Befund muss in jedem Fall exakt festgehalten werden. ! Cave
Ein Verdacht auf ein Plattenepithelkarzinom besteht
Klassifikation grundsätzlich bei jeder verhornenden oder exulzerie­
Hier wird unterschieden zwischen renden Läsion (. Abb. 62.7)!
4 Primärtumoren (Hauttumoren, v. a. Plattenepithelkarzinom
und Melanom, muskuloskettale Tumoren oder Weichteiltu­ Das Plattenepithelkarzinom ist für 75–90% aller Handtumoren ver-
moren), antwortlich, tritt selten vor dem 60. Lebensjahr und meist dorsal und
4 Metastasen an der Hand (<0,5% aller neoplastischen Metas­ interdigital auf, selten sub- oder paraungual. Hauptrisikofakto­ren
tasen). sind Sonnenexposition, ionisierende Strahlung, chronische Entzün-
dung, Immunsuppression, Xeroderma pigmentosa, M. Bowen
Bei der Beurteilung maligner Tumoren an der Hand ist zunächst das (. Abb. 62.8), Leukoplakie, HPV und Rauchen.
Staging (TNM, Grading) von großer Wichtigkeit, bei dem die Tumo- Klinisch reicht das Spektrum von kleinen Hyperkeratosen mit
rausbreitung festgestellt wird. Von dieser hängt dann das Ausmaß umgebender Rötung bis zu exulzerierenden exophytisch wachsen-
der Resektion ab. Zunächst angegeben werden: den Tumoren. Die Tumoren manifestieren sich meist als kleine
4 die anatomische Lokalisation (T), ­Knoten mit schlecht abgrenzbarem Rand oder Plaques. An der
4 die Beteiligung von Lymphknoten (N), Oberfläche können Unregelmäßigkeiten vorliegen, die Hautfarbe ist
4 das Vorhandensein von Fernmetastasen (M) und oft braun und neigt zu Blutung, Schuppen- und Krustenbildung.
4 die histologische Gradeinteilung (G) bei Sarkomen. Typischerweise wächst das Plattenepithelkarzinom lokal invasiv, je-
doch ist eine Metastaserate von bis zu 20% bekannt, v. a. bei aggres-
siveren Formen wie in chronischen Wunden nach Radiatio oder
62.2.2 Prinzipien der Therapie Verbrennung (Marjolin-Ulkus).
Die Diagnostik schließt eine Palpation der regionalen Lymph-
Die Tumorchirurgie an der Hand erfordert aufgrund des eng be- knoten sowie Inspektion, insbesondere aller sonnenexponierten
grenzten anatomischen Raumes eine besonders genaue Planung, Areale (v. a. Gesicht, Schläfen, Ohren) ein.
584 Kapitel 62 · Tumoren der Hand

. Tab. 62.1 Klassifikation und Resektionsabstand abhängig von der


Eindringtiefe des Melanoms nach Breslow

Eindringtiefe Resektionsabstand

in situ 0,5 cm

<2 mm 1 cm

>2 mm 2 cm

An der Hand kommen alle Subtypen des Melanoms vor


(7 Kap. 87.6). Verdächtig sind v. a. Läsionen von wachsender Größe,
die sich in Farbe und Form schnell verändern, irregulär begrenzt
sind und größer als 0,5 cm sind.
4 Das oberflächlich spreitende Melanom zeigt eine sehr unregel-
mäßige Form mit gezacktem Rand und wächst flach in die Tie-
fe.
. Abb. 62.8 Resektion eines M. Bowen 4 Das noduläre Melanom ist knotig, wächst vertikal in die Tiefe
und neigt zur Ulzeration.
4 Das akral lentiginöse Melanom ist häufig subungual lokalisiert
Differenzialdiagnostisch kommen ein Keratokanthom, Basa­ (. Abb. 62.9; auch . Abb. 32.3).
liom, Melanom, benigne Warzen, benignes Ulkus oder chronisches
Panaritium in Frage. > Jede pigmentierte Läsion unterhalb des Nagels ohne vor­
heriges Trauma bedarf der Biopsie, um ein subunguales
Therapie Melanom auszuschließen, das am häufigsten an Daumen
Standardtherapie ist die chirurgische Exzision im Gesunden, seitlich und Großzehe auftritt.
und in der Tiefe. Der Sicherheitsabstand liegt bei Tumoren von einer
Größe von <2 cm bei 4 mm, bei größeren Tumoren bei 6 mm. Durch Die Überlebensrate hängt von der Eindringtiefe des Tumors in Mil-
dieses Vorgehen kann in 95% der Fälle eine komplette Entfernung limetern ab [Einteilung nach Breslow (. Tab. 62.1) und Clark,
erreicht werden. Eine elektive Lymphknotendissektion ist aufgrund 7 Kap. 32.1] sowie von dem Auftreten von Metastasen.
der geringen Inzidenz von Lymphknotenmetastasen (2–5%) nicht Die Breslow-Einteilung (. Tab. 62.1) gilt nicht für die subungu-
notwendig, außer die axillären Lymphknoten sind klinisch vergrö- alen Melanome aufgrund der Nähe der Nagelmatrix zum distalen
ßert. Endglied.
62 Basalzellkarzinom
Die optimale Tumortherapie des Melanoms erfordert ein multi-
disziplinäres Vorgehen, wobei v. a. bei akrolentiginösen, subungu-
Das Basallzellkarzinom (auch »Basaliom«) steht mit 3–12% aller alen Melanomen häufig die Amputation indiziert ist (. Abb. 62.9,
Handtumoren hinsichtlich der Häufigkeit an zweiter Stelle. Norma- . Abb. 62.10).
lerweise handelt es sich um langsam wachsende Tumoren. Die Haut Die Radikalität der Tumorentfernung (Sicherheitsabstand)
ist atroph, rosig oder rötlich entfärbt und zeigt teleangiektatische orientiert sich an der Histologie (Tumordicke nach Breslow). Daher
Veränderungen. Der erhabene Tumor ist durch eine zentrale krate- erfolgt erst die Exzisionsbiopsie mit Schnellschnitt. Ist dies nicht
rartige Ulzeration und perlschnurartiger Begrenzung gekennzeich- möglich, sollte die Wunde offengelassen werden, um eine narbige
net (. Abb. 32.4). Verziehung des Situs zu vermeiden. Die Nachresektion erfolgt bei
Die Risikofaktoren sind ähnlich wie beim Plattenepithelkarzi- In-situ-Läsionen mit 5 mm Abstand. Für invasive Läsionen <1 mm
nom chronische Sonneneinstrahlung, helle Haut, Immunsuppressi- Dicke wird ein Sicherheitsabstand von 1 cm, bei einer Dicke von
on, Exposition von Giftstoffen (z. B. Arsen) und Gorlin-Syndrom. bis zu 2 cm ein Sicherheitsabstand von 2 cm geraten. Bei nodulärem
Die häufigste Form des Basalzellkarzinoms ist die noduläre; an- Typ oder wenn der Tumor >3 mm misst, sind mindestens 3 cm an-
dere Formen sind rar (7 Kap. 32.2.2). Metastasen treten äußerst sel- zustreben. Die offiziellen Leitlinien empfehlen neuerdings geringere
ten auf. Leitlinien als in . Tab. 62.1).
Bei Verdacht auf ein akrales Melanom wird eine Inzisionsbiopsie
Therapie durchgeführt. Bei positivem Befund erfolgt z. B. eine Endgliedam-
Die Standardtherapie besteht in der chirurgischen Exzision, wobei putation, bei weiter proximaler Ausdehnung auch die Strahlampu-
ein Sicherheitsabstand von mindestens 4 mm empfohlen wird. Eine tation (. Abb. 62.11).
mikrodermographische Entfernung nach Moh ist an der Hand selten Es wird gemäß Leitlinien empfohlen, eine Sentinel-Lymphkno-
indiziert. tenbiopsie ab einer Tumordicke von 1,0 mm nach Breslow, bei
Vorliegen weiterer prognoseverschlechtender Parameter wie Clark-
Melanom Level IV–V, Ulzerationen des Primärtumors und regressiven Ver­
Das Melanom stellt ca. 3% aller primären malignen Handtumoren, änderungen auch bei geringeren Tumordicken durchzuführen. Bei
wobei seine Inzidenz stärker als alle anderen Tumoren steigt. Die Auffälligkeiten der axillären Lymphknoten wird eine elektive
Risikofaktoren entsprechen denen des Plattenepithel- und Basalzell­ Lymphknotenausräumung empfohlen.
karzinoms, zudem vorbestehende dysplastische Nävi und eine posi- Zum Wundverschluss wird wegen der besseren Kontrolle ein
tive Familienanamnese für Melanome. Hauttransplantat (. Abb. 62.12) einer Lappenplastik vorgezogen.
62.2 · Maligne Tumoren
585 62

. Abb. 62.10 Exulzerierendes akrolentiginöses Melanom des Mittelfingers

. Abb. 62.11 Strahlamputamputation und Handverschmälerung

. Abb. 62.9 Akrolentiginöses Melanom (<0,75 mm) des Daumens (a). Dau- . Abb. 62.12 Defektdeckung mittels Vollhauttransplantat
menendgliedamputation und Stumpfbildung mit Vertiefung der Interdigi-
talfalte (b, c)

Die Prognose ist nur unterhalb einer Eindringtiefe von 1 mm Die Therapie besteht in chirurgischer Exzision mit einem Si-
günstig. cherheitsabstand von 3–5 cm unter Mitnahme der tiefen Faszie,
um ein Rezidiv zu vermeiden. Mittels histographischer/mikrogra­
Dermatofibrosarcoma protuberans phi­scher Chirurgie können geringere Sicherheitsabstände (1 cm)
Das Dermatofibrosarcoma protuberans (DFSP) ist ein seltener, nied- eingehalten und gesunde Haut geschont werden, da nur die
rigmaligner, von der Dermis ausgehender Tumor. Er manifestiert Zonen histologisch tumorifiltrierter Haut reseziert werden. Das
sich meist als schmerzlose violett-rot gefärbte Plaque oder Knoten, Verfahren stellt aber hohe Anforderungen an die Aufarbeitungs-
häufig über mehrere Jahre und nach einem lokalen Trauma. technik.
586 Kapitel 62 · Tumoren der Hand

Kaposi-Sarkom Für Einzelheiten der Diagnostik, Therapie, Nachsorge und Prognose


Das Kaposi-Sarkom ist eine maligne Gefäßbildung, die von den lym- zu den einzelnen Sarkomtypen wird auf 7 Kap. 36 verwiesen.
phatischen Endothelzellen ausgeht. Die Läsion beginnt meist als
schmerzloser violetter Knoten, häufig mit umgebendem Ödem. Das Literatur
Kaposi-Sarkom tritt bevorzugt bei Männern jenseits des 50. Lebens- Literatur zu 7 Kap. 62.1
jahres auf. Es ist ein seltener Hauttumor, der vorrangig die Beine als Athanasian EA (1993) Principles of diagnosis and management of musculos-
blaurote oder dunkelbraune Pusteln befällt und sehr selten Tochter- keletal tumors. In: Green DP, Hotchkiss RN (eds) Green’s operative hand
absiedlungen in anderen Organen bildet. Die bei HIV-infizierten surgery, 3rd edn. Churchill Livingstone, New York, pp 2206–2295
Carroll RE, Berman AT (1972) Glomus tumors of the hand: review of the litera-
Patienten anzutreffende, aggressivere Form mit weiterer Verbreitung
ture and report on twenty-eight cases. J Bone Joint Surg Am 54 (4):
der Läsionen und Befall innerer Organe ist dagegen auch prognos-
691–703
tisch deutlich abzgrenzen. Auch immunsupprimierte Transplan- Enneking WF (1983) Musculoskeletal tumor surgery. Churchill Livingstone,
tatempfänger sind gehäuft betroffen. New York
Die Therapie besteht in Radiotherapie, Kryochirurgie, Laser­ Newmeyer WL (1993) Vascular disorders. In: Green DP, Hotchkiss RN (eds)
chirurgie oder primärer Exzision. Green’s operative hand surgery, 3rd edn. Churchill Livingstone, New York,
p 2285
Ekkrine Schweißdrüsentumoren Smith P (2002) Tumors, benign swellings and ulceration. In: Smith P (ed)
Maligne Tumoren der ekkrinen Schweißdrüsen sind selten und stel- Lister’s the hand. Churchill Livingstone, London
len sich als langsam wachsende, schmerzlose Läsionen dar, typi- Weinzweig J (1999) Plastic surgery secrets. Hanley & Belfus, Philadelphia,
p 458
scherweise bei älteren Patienten. Die Läsion wächst meist lokal inva-
siv, wobei das Risiko einer Metastasierung vom histologischen Ma-
lignitätsgrad abhängt. Literatur zu 7 Kap. 62.2
Die Behandlung besteht in weiter Lokalexzision mit Sicherheits- Breslow A (1979) Thickness, cross-sectional areas and depth of invasion in the
abstand, da diese Tumoren nicht auf Radio- oder Chemotherapie prognosis of cutaneous melanoma. Ann Surg 172 (5): 902–908
ansprechen. Brien EW, Terek RM, Geer RJ (1995) Treatment of soft tissue sarcomas of the
hand. J Bone Joint Surg Am 77: 564–571
Merkel-Zellkarzinom Clark WH Jr, From L, Bernardino EA, Mihm MC (1969) The histogenesis and
biologic behavior of primary human malignant melanomas of the skin.
Das Merkel-Zellkarzinom ist eine sehr seltene und aggressive kutane Cancer Res 29 (3): 705–727
Neoplasie, die v. a. in sonnenexponierten Hautarealen vorkommt, Fleelger E (1993) Skin tumors. In: Green DP (ed) Operative hand surgery, 3rd
meist bei älteren Patienten mit langer Sonnenexposition. Der Tu- edn. Churchill Livingstone, New York, pp 2173–2195
mor geht von den Basalzellen der Epidermis aus und imponiert als Garbe C, Hauschild A, Volkenandt M et al. (2005) Deutsche Leitlinie: Malignes
schnell wachsender, schmerzloser, bläulich-roter, intrakutan gele- Melanom. In: Garbe C (Hrsg) Interdisziplinäre Leitlinien zur Diagnostik
gener Knoten. und Behandlung von Hauttumoren. Thieme, Stuttgart New York, pp
Die Behandlung besteht in radikaler chirurgischer Exzision mit 23–55
regionaler Lymphadenektomie. Aufgrund der hohen Metastasie- Haws MJ, Neumeister MW, Kenneaster DG, Russell RC (1997) Management of
nonmelanoma skin tumors of the hand. Clin Plast Surg 24 (4): 779–795
62 rungs- und Rezidivrate sollte postoperativ eine Bestrahlung und
Chemotherapie erfolgen.
Hentz VR (2004) Benign and malignant tumors of the hand and upper limb:
generalities, classification and frequency. In: Egloff DV (ed) Tumors of the
hand. Taylor & Francis, London
Johnson J, Kilgore E, Newmeyer W (1985) Tumorous lesions of the hand.
62.2.4 Primäre maligne Tumoren des Knochen- J Hand Surg Am 10 (2): 284–286
und Weichteilgewebes

Diese Tumoren sind deutlich seltener als Hauttumoren. Maligne


Knochentumoren, die an der Hand auftreten, umfassen
4 Chondrosarkome (aus multifokaler Enchondromatose entste-
hend, Mafucci-Syndrom),
4 osteogene Sarkome und
4 Ewing-Sarkome.

Zudem können bösartige Tumoren des Weichteilgewebes vorliegen


wie
4 epitheloide Sarkome,
4 synoviale Sarkome,
4 Liposarkome,
4 Fibrosarkome,
4 maligne fibröse Histozytome,
4 maligne Schwannome
4 Rabdomyosarkome,
4 Leiomyosarkome,
4 vaskuläre Leiomyosarkome,
4 Angiosarkome
4 Lymphangiosarkome und
4 Klarzellsarkome.
63

Dupuytren-Kontraktur
S. Schinner

63.1 Grundlagen – 588


63.1.1 Pathophysiologie – 588
63.1.2 Anatomie – 588

63.2 Klinik   – 588

63.3 Therapie – 588


63.3.1 Konservative Therapie – 588
63.3.2 Operative Therapie – 588
63.3.3 Rezidive – 592
63.3.4 Alternativen – 592

63.4 Postoperatives Management – 592

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
588 Kapitel 63 · Dupuytren-Kontraktur

63.1 Grundlagen
Definition. Die Dupuytren-Kontraktur (Baron Guillaume Dupuy-
tren, 1777–1835) ist eine Fibromatose der Palmaraponeurose und
der aponeurotischen Strukturen der Hand mit knotiger und stran-
gartiger Verdickung der Kollagenfasern.
Die Ätiologie ist unklar, sie ist mit großer Sicherheit multifakto-
riell bedingt. Als wichtige Faktoren wurden neben der genetischen
Disposition ein handwerklicher Beruf, Alkoholismus, Epilepsie,
­Diabetes mellitus und Nikotinabusus diskutiert. Eine traumatische
Genese wird von den Patienten oft vermutet, ist aber fast nie nach-
weisbar. Männer erkranken häufiger als Frauen (m:w=9:1). Es sind
v. a. Menschen im 4. und 5. Lebensjahrzehnt betroffen, meist an bei-
den Händen, bevorzugt der Ring- und Kleinfinger.

63.1.1 Pathophysiologie

Die Besonderheit der zur Dupuytren-Kontraktur führenden Fibro-


blasten der Palmaraponeurose ist die Expression von Myofibrillen,
die sonst nur in frischem Narbengewebe oder in verändertem Gewe- . Abb. 63.1a, b Fasziensysteme und Strangbildung. a Anatomie der Pal-
be anderer fibrotischer Erkrankungen nachweisbar sind (»smooth marfaszie mit vorzugsweiser Beteiligung der oberflächlichen Längsbänder.
b Elemente der palmaren und digitalen Faszien, die bei der Dupuytren-Kon-
muscle actin«). Der Einfluss verschiedener Wachstumsfaktoren, z. B.
traktur pathologisch verändert sind. Das Cleland-Ligament ist meist nicht
TGF-β und -α, PDGF, b-FGF, HGF wird diskutiert. Die Besonderheit
betroffen, das oberflächliche transverse Band meist am Daumen involviert
der für die Erkrankung verantwortlichen Zellen erklärt auch die
hohe Rezidivneigung.

. Tab. 63.1 Stadieneinteilung nach Iselin


63.1.2 Anatomie
Stadium Kennzeichen
Die Dupuytren-Kontraktur breitet sich im Verlauf der aponeuro-
0 Knötchen- und Kryptenbildung in der Hohlhand
tischen Strukturen in der Hohlhand und an den Fingern aus. Hierbei
sind die ligamentären Verbindungen zwischen Haut, Knochen und I Strangbildung ohne Streckdefizit
Sehnenscheide betroffen, die zu einer Einziehung der Haut (Kryp- II Streckdefizit/Beugekontraktur der Grundgelenke
tenbildung) führen. Bei längsverlaufenden aponeurotischen Faszi-
III Streckdefizit/Beugekontraktur der Mittelgelenke
keln kommt es zur Krümmung der Finger, bei querverlaufenden
Fasern zu einer Adduktionskontraktur. IV Befall der Endgelenke
63 In der Hohlhand ist die Palmaraponeurose mit den Fasciculi
longitudinales, Fasciculi transversales und den intermetakarpalen
(intermediären) Septen betroffen, an den Fingern die Grayson-Bän-
der, Cleland-Bänder, Ligg. phalangeale propriae (Landsmeer-Bän- 63.3 Therapie
der) und die Sehne des M. abductor digiti minimi am Kleinfinger
(Abduktorstrang; . Abb. 63.1). 63.3.1 Konservative Therapie

Eine adäquate konservative Therapie wurde bisher noch nicht ent-


63.2 Klinik wickelt. Physiotherapie, Lymphdrainage und Schienentherapie ha-
ben keinen nachgewiesenen Effekt auf das Fortschreiten des M. Du-
Typisch für den Verlauf ist zunächst eine feste Knötchen- oder Kryp- puytren. Konservative Behandlungsversuche durch die Injektion
tenbildung in der Hohlhand, später folgt die Strangbildung in der von Hyaluronidase, Kollagenase, Trypsin, Kalziumkanalblocker,
Hohlhand und an den Fingern mit einer zunehmenden Krümmung γ-Interferon und auch die Bestrahlung zeigen nur wenig Erfolg.
der Finger in den Grund- und Mittelgelenken (Stadieneinteilung Findet sich ein weit fortgeschrittener M. Dupuytren im Stadi-
nach Iselin; . Tab. 63.1). Zudem besteht oft eine Adduktion an den um IV nach Iselin (. Tab. 63.1), kann eine präoperative Aufdehnung
benachbarten Fingern oder eine leichte Rotationsfehlstellung des der Finger erfolgen
betroffenen Fingers. Die Stränge sind selten schmerzhaft. Bei einer 4 durch die Anlage eines Fixateur externe oder
aggressiven Verlaufsform finden sich an den Streckseiten der Mittel- 4 durch eine pneumatische Aufdehnung.
gelenke oft Knöchelpolster (»knuckle pads«), die nicht operativ ent-
fernt werden sollten.
63.3.2 Operative Therapie

Die operative Therapie konzentriert sich auf


4 die Exzision der Stränge und der betroffenen ligamentären
Strukturen,
63.3 · Therapie
589 63

a b c

d e f

g h i

. Abb. 63.2a–i Inzisionen

4 auf eine Arthrolyse der Gelenke, falls eine Beugekontraktur be- sowie bei einem selektiven Befall der Finger ohne Stränge in der
steht und Hohlhand, was aber selten der Fall ist. Entscheidend ist die akribi­
4 auf die Unterbrechung des natürlichen Bandverlaufes durch die sche Exzision der betroffenen Palmaraponeurose sowie der aponeu-
Anwendung von Z-Plastiken und Transpositionsläppchen vom rotischen Bänder (intermetakarpale Septen, Grayson- und Cleland-
gleichen oder benachbarten Finger. Bänder). Je nach Ausprägung des M. Dupuytren gibt es verschiedene
Zugangswege (. Abb. 63.2–63.5).
Die operative Therapie des M. Dupuytren ist ab dem Stadium II
nach Iselin indizert (Streckdefizit von >30° in den Grundgelenken)
590 Kapitel 63 · Dupuytren-Kontraktur

a b

c d

. Abb. 63.3a–d Auflösung einer Dupuytren-Kontraktur an Daumen und Kleinfinger mittels fortlaufenden multiplen Z-Plastiken, am Ringfinger über eine
Brunner-Inzision

63

a b

. Abb. 63.4a, b Auflösung einer Dupuytren-Kontraktur in der Hohlhand und am Kleinfinger nach Brunner
63.3 · Therapie
591 63

a b

. Abb. 63.5a–c Auflösung einer Dupuytren-Kontraktur am Kleinfinger


und Rekonstruktion des Hautdefizits am MP-Gelenk durch mediolateralen
Verschiebeschwenklappen. Rekonstruktion des Weichteilhautdefizits an
c
der 1. Zwischenfingerfalte durch fortlaufende Z-Plastik

eine Querinzision zulässt, kann nach Abpräparation von Haut und


Empfohlenes Vorgehen Subkutis sowie Resektion des pathologischen Gewebes die elliptische
4 Bei einem Einzelstrang von der Hohlhand zu den Fingern/ Wunde offen gelassen und der kontrollierten Sekundärheilung über-
kein Rezidiv/Beugekontraktur des proximalen Interphalan- lassen werden (»Open-palm-Technik«).
gealgelenkes (PIP) empfiehlt sich > In der Hohlhand ist die Open-palm-Technik einer Haut-
– <40°: Brunner-Inzision über dem Strang, transplantation meist vorzuziehen, da sie eine bessere
– >40°: Längsinzision mit Z-Plastiken. Sensibilität hervorbringt!
4 Bei Strängen an mehreren Fingern (z. B. D3–5), in der Hohl-
hand beginnend, empfiehlt sich ein großes ulnares Läpp-
chen mit der distalen Inzision im Verlauf der distalen Hohl- Lappenplastiken zum Hautverschluss. Bei Beugekontrakturen
handbeugefurche, die radiale Lappenspitze liegt zwischen >90° im PIP-Gelenk oder Rezidiven empfehlen wir einen dorsolate-
Metakarpale 2 und 3, nach proximal zum Karpalkanal lau- ralen Transpositionslappen. Hier entfällt die Nutzung von Z-Pla-
fend. stiken zur Hautgewinnung. Der Lappen muss im Rahmen der Inzi-
Die Inzision an den Fingern erfolgt mittels direkter Längs­ sion berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich meist, den Lappen im
inzision des am stärksten betroffenen Fingers, ausgehend Bereich des Grundgliedes (quere Inzision in der Grundgliedbeu­
von der distalen Lappeninzision, später Auflösen durch gefurche) zu positionieren, da erfahrungsgemäß die Haut zum Ver-
Z-Plastiken. Über den weniger betroffenen Fingern Inzision schluss der Wunden hier am häufigsten fehlt.
nach Brunner bis zur Grundgliedbeugefurche. Es folgt die Im Rahmen von Primäreingriffen empfiehlt sich ein homodigi-
Exzision des Strangs durch Untertunnelung des Gewebes taler Transpostionslappen mit direktem Verschluss der Hebestelle.
zwischen Grundgliedbeugefurche und distaler Lappeninzi- Im Fall eines Rezidiveingriffs sollte ein heterodigitaler Transposi­
sion in der Hohlhand (. Abb. 63.2). tionslappen vom dorsolateralen Nachbarfinger bevorzugt werden,
um die dorsale Durchblutung des betroffenen Fingers mit einem
Dupuytren-Rezidiv nicht zu gefährden. Der Lappen kann recht groß
gehoben werden, der Hebedefekt sollte dann jedoch mit Vollhaut
> Wir empfehlen dieses Vorgehen (. Übersicht), da so die
vom ipsilateralen Unterarm verschlossen werden.
Durchblutung des Hohlhandgewebes am geringsten kom-
promittiert wird.
Arthrolyse. Bei Beugekontrakturen >30–40° nach Exzision des
Bei ausgeprägten Beugekontrakturen mehrerer Finger (kein Rezidiv) Stranggewebes sollte eine Arthrolyse durchgeführt werden. Wir
mit diffuser Knotenbildung und Kontraktur der Hohlhand, die nur empfehlen die gestaffelte Arthrolyse nach Lanz, die in 4 Stufen
592 Kapitel 63 · Dupuytren-Kontraktur

durchgeführt wird (. Übersicht). Nach jedem einzelnen Schritt ist eine thermoplastische Hohlhand-Finger-Lagerungsschiene in Stre-
die Streckbarkeit des Gelenkes zu überprüfen. ckung der Fingergelenke angelegt, die für die ersten 2 Wochen post-
operativ Tag und Nacht getragen werden sollte, anschließend für ein
halbes Jahr zur Nacht.
Gestaffelte Arthrolyse nach Lanz
4 Exzision der Grayson-Bänder in Höhe des PIP-Gelenks Literatur
4 Exzision der Cleland-Bänder und quere Inzision am distalen Saar JD (2000) Grothaus PC. Dupuytren’s disease: An overview. Plast Reconstr
Rand des A2-Ringbandes Surg 106: 125
4 Durchtrennung der akzessorischen Kollateralbänder und McFarlane RM, Jamieson WG (1966) Dupuytren’s contracture: The manage-
der Check-rein-Bänder der palmaren Platte ment of one hundred patients. J Bone Joint Surg [Am] 48: 1095
4 Umschneidung der palmaren Platte, ggf. Exzision der pal- Hueston JT (1986) Dupuytren’s contracture. Lancet 22 (2): 1226
Lubahn JD (2003) Dupuytren’s disease. In: Trumble TE (ed) Hand surgery up-
maren Platte
date 3. Hand, elbow and shoulder. Illinois: American Society for Surgery
of the Hand, pp 393–401
Tubiana R, Leclercq C, Hurst LC et al. (2000) Dupuytren’s disease. Martin
Die Transfixation des Mittelgelenkes mit einem Kirschner-Draht Dunitz
birgt das Risiko der thermischen Knorpelschädigung und verhindert
die sofortige postoperative Mobilisation. In Ausnahmesituation,
z. B. bei palmarer Subluxationstendenz des Gelenks nach Arthrolyse,
kann diese für höchstens 3 Wochen erfolgen.

63.3.3 Rezidive

Nicht selten treten Dupuytren-Rezidive auf, die aufgrund der Nar-


benbildung deutlich schwieriger zu behandeln sind als Primärein-
griffe.
> Im Rahmen einer Rezidivoperation ist es vorrangig, dass
der bestehende Narbenverlauf in die Schnittführung ein-
bezogen wird.
Bei einer Beugekontraktur des PIP-Gelenkes sollte großzügig die
Hautgewinnung durch ein heterodigitales Transpositionsläppchen
oder auch Vollhauttransplantat eingeplant werden (7 Kap. 63.3.2
»Operative Therapie«). Eine Hautgewinnung durch Z-Plastiken kann
in der Regel nicht angewandt werden. Betrifft das Dupuytren-Rezi-
div die Hohlhand, ist auch die Open-palm-Technik nicht mehr
durchführbar.
63
63.3.4 Alternativen

Nadelfasziotomien können in Ausnahmefällen bei Kontraindika­


tionen für offenes chirurgisches Vorgehen durchgeführt werden.
Allerdings muss mit einer Rezidivrate von bis zu 85% gerechnet
werden.
Die Injektion von Kollagenase wird nach ihrer Zulassung in
Europa als weitere Option zur Verfügung stehen. Isolierte Stränge
können gezielt injiziert und damit in Gelenknähe aufgebrochen wer-
den. Auch hier ist die Rezidivrate hoch, da die pathologischen Ver-
änderungen als solche belassen werden.

63.4 Postoperatives Management


Die postoperative Therapie mit NSAID (Ibuprofen 600 1–1–1) und
Protonenpumpenhemmern (Pantozol 20 0–0–1) ist für 10 Tage zu
empfehlen.
Unmittelbar postoperativ werden ein komprimierender Ver-
band (Stahlwolle) sowie eine dorsale Lagerungsschiene angelegt.
Der erste Verbandswechsel wird am 2. postoperativen Tag durchge-
führt. Ab dem 2. postoperativen Tag erfolgt die Freigabe zur unmit-
telbaren aktiven und passiven Physiotherapie. Jedem Patienten wird
64

Komplexes regionäres
Schmerzsyndrom
C. Radtke

64.1 Epidemiologie – 594

64.2 Klinik – 594


64.2.1 Autonome (sympathische) Störungen – 594
64.2.2 Motorische Symptome – 594
64.2.3 Gelenk- und Knochenveränderungen – 594
64.2.4 Trophische Störungen – 595
64.2.5 Stadieneinteilung des CRPS Typ 1 – 595
64.2.6 Klinische Manifestation des CRPS Typ 2 – 595

64.3 Pathophysiologie – 596


64.3.1 Sympathische Innervation – 596
64.3.2 Neurogene Entzündung – 596

64.4 Diagnostisches Vorgehen – 596

64.5 Therapeutisches Vorgehen – 596


64.5.1 Pharmakotherapie – 596
64.5.2 Interventionen am sympathischen Nervensystem – 597
64.5.3 Physikalische Therapie – 597
64.5.4 Psychotherapie – 597

64.6 Fazit – 597

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
594 Kapitel 64 · Komplexes regionäres Schmerzsyndrom

Komplexe regionale Schmerzsyndrome (»complex regional pain > Wichtig für eine gute Prognose des CRPS sind die früh­zei­ti­
syndrome«; CRPS) entstehen infolge eines schmerzhaften Traumas ge Diagnose sowie kompetente und konsequente Therapie.
meistens der distalen Extremität. Mit CRPS wird eine Schmerzer-
krankung bezeichnet, die sich durch das Auftreten von Spontan-
schmerzen, Berührungs- und Belastungsschmerzen der Haut und 64.2 Klinik
der Gelenke, autonomen Störungen und Beeinträchtigungen der
Motorik manifestiert. Man unterscheidet ein CRPS Typ 1 von einem Das CRPS wird in der Mehrheit (Baron et al. 2003) durch eine distal
Typ 2. Typische Beschwerden beinhalten sensorische, sensible, mo- gelegene Verletzung einer Extremität hervorgerufen. Das Spektrum
torische und autonome Symptome. der Verletzungen reicht von Bagatelltraumata über operative Ein-
Das CRPS kann vom typisch territorial begrenzten neuropa- griffe (Karpaltunnelsyndrom, Dupuytren-Kontraktur) bis zu kom-
thischen Schmerz unterschieden werden. Charakteristischerweise plexen Traumata. Gelegentlich entwickelt sich ein CRPS auch nach
sind die Symptome nicht auf das Ausbreitungsgebiet peripherer Ner- viszeralen Ereignissen oder Verletzungen des zentralen Nervensys­
ven begrenzt. tems (z. B. Apoplex). Heute wird das CRPS als eine neurologische
Entscheidend für den Erfolg einer Therapie ist eine frühzeitige Erkrankung gesehen, deren Ursache sowohl zentral als auch peri-
interdisziplinäre Behandlung, bei welcher neben der Schmerzthera- pher entzündlich bedingt ist.
pie die Physiotherapie entscheidend für die Rehabilitation ist. Das CRPS Typ 1 (M. Sudeck, sympathische Reflexdystrophie)
manifestiert sich nach auslösendem Ereignis, meist Fraktur oder
Definition. Komplexe regionale Schmerzsyndrome entstehen als Weichteilverletzung der distalen Extremität (90%). Die Patienten
inadäquate Konsequenz eines Traumas einer Extremität. Die kli- entwickeln typische brennende Schmerzen, die mit einer Schwellung
nischen Zeichen sind variabel und beinhalten sensible Störungen einhergehen.
mit Allodynie und Spontanschmerz, Veränderungen des Blutflusses
! Cave
und des vermehrten Schwitzens einschließlich ödematöser Schwel-
Der Ort der primären Schädigung muss nicht in dem
lung der betroffenen Extremität. Es treten motorische Störungen im
Bereich liegen, in dem sich die Schmerzen manifestieren.
Sinne von passiver und aktiver Funktionseinschränkung auf mit ge-
legentlichem Tremor und Dystonie. Charakteristisch sind des Wei- Charakteristisch ist der dauerhafte Brennschmerz, der diffus in der
teren trophische Störungen der Haut, von Hautanhangsgebilden und Tiefe der Extremität lokalisiert wird. Es kommt oft zu einer Schmerz-
im späteren Stadium sogar der Gelenke und Knochen. verstärkung bei herabhängender Extremität, typisch ist auch eine
Schmerzauslösung durch Druck und Mobilisation kleiner Gelenke.
> Der Schweregrad des CRPS korreliert nicht mit dem
Schweregrad der vorausgegangenen Verletzung.
Das CRPS Typ 1 bezeichnet ein Krankheitsbild, das ohne vorheriges 64.2.1 Autonome (sympathische) Störungen
Vorliegen einer Nervenläsion entsteht. Das CRPS Typ 2 ersetzt den
Begriff der Kausalgie. Aufgrund abnormer Hautdurchblutung kann ein Hauttemperatur­
unterschied der betroffenen Seite im Vergleich zur gesunden Seite
Geschichte. Schon 1872 beschrieb Mitchell bei verletzten Soldaten bestehen. 80% der betroffenen Patienten zeigen eine erhöhte Haut-
ein Krankheitsbild mit brennenden Schmerzen und autonomen temperatur besonders im Akutstadium der Erkrankung, wohingegen
Störungen der verletzten Extremität. Es wurde mit dem Begriff Kau- bei 20% auch eine verminderte Temperatur zu verzeichnen sein kann.
salgie bezeichnet. Paul Sudeck definierte 1900 das Krankheitsbild Es besteht zusätzlich häufig eine Dysregulation der Schweißproduk-
mit chronischen brennenden Schmerzen ohne Nervenläsion nach tion im Sinne einer Hyper- oder seltener auch Hypohidrosis. Im An-
Verletzung peripherer Extremitäten. Als charakteristisches Krank- fangsstadium ist zusätzlich ein deutliches Ödem zu finden, das bei
64 heitsmerkmal galt eine kleinfleckige Knochenentkalkung der be­ herabhängender Extremität oder unter Belastung verstärkt wird.
troffenen Extremität. Dieser Symptomenkomplex wurde Morbus
Sudeck genannt. Der Begriff der sympathischen Reflexdystrophie
wurde 1936 von Evans geprägt. Schließlich wurde 1996 das kom- 64.2.2 Motorische Symptome
plexe regionale Schmerzsyndrom (»complex regional pain syn-
drome«; CRPS), welches sich an der klinischen Symptomatik orien- Es besteht eine deutliche Einschränkung der aktiven Motorik, be-
tiert, benannt. sonders von feinmotorischen Bewegungen. Die Hälfte der Patienten
weist einen feinschlägigen Tremor auf. Einige Patienten entwickeln
das Gefühl, dass die betroffene Extremität nicht zum Körper gehöre
64.1 Epidemiologie (Agnosie). Bewegungen können dann nur unter visueller Kontrolle
ausgeführt werden (Neglect-Syndrom). Zusätzlich finden sich Hin-
Das CRPS Typ 1 tritt deutlich häufiger auf als das CRPS Typ 2. Jähr- weise auf Störungen im sensomotorischen Kortex, v. a. Störungen
lich sind etwa 15.000 Patienten in Deutschland betroffen (Dertwin- der Funktion parietaler Kortexareale. Diese Dysfunktion kann auch
kel et al.1998). das oben genannte Neglect-Syndrom erklären.
Das durchschnittliche Alter der Patienten beträgt 50 Jahre, wo-
bei Frauen 3-mal häufiger betroffen sind als Männer. Das Verhältnis
des Auftretens an der oberen zur unteren Extremität beträgt 2:1. Bei 64.2.3 Gelenk- und Knochenveränderungen
Kindern ist allerdings die untere Extremität häufiger betroffen (5:1).
Mädchen im Alter von 15 Jahren stellen das größte Patientenkollek- Das CRPS äußert sich an peripheren Gelenken durch Beugekontrak-
tiv dar (Verhältnis Mädchen zu Jungen 4:1). Leider kommt es in den turen, z. B. im Handgelenk, in proximalen Interphalangealgelenken
meisten Fällen trotz Therapie zu einer Chronifizierung der Erkran- sowie Überstreckungen in den übrigen Fingergelenken. Im Verlauf
kung. der schmerzhaften Bewegungseinschränkungen entwickeln sich
64.2 · Klinik
595 64

a
b

c
. Abb. 64.1 Zeichen der kleinfleckigen Demineralisierung der rechten gebiet zeigt (b) und als Hinweis auf ein CRPC ein pathologisches Pooling
Hand und des Unterarms nach Radiusfraktur (a). Typische 2-Phasen-Skelett­ nach 2 h mit periartikulärer Anreicherung (c), v. a. in den nicht betroffenen
szintigraphie, die nach 10 min eine Anreicherung im ehemaligen Fraktur­ Skelettanteilen (IP-Gelenke)

Muskelatrophien und Sehnenverkürzungen. Die von Sudeck be- Stadium 1 beschreibt dabei die Frühphase der Erkrankung im Sinne
schriebenen fleckigen Knochenentkalkungen treten Wochen bis einer akuten Entzündung mit sympathischer Dysfunktion. Typisch
Monate nach erfolgter Erkrankung auf, jedoch bereits im Frühstadi- ist der akut auftretende brennende Schmerz, v. a. in Ruhe mit Ödem
um zeigt sich in der Szintigraphie bereits ein erhöhter Knochenstoff- und Funktionsminderung. Es zeigt sich eine Überwärmung der
wechsel (. Abb. 64.1). Haut der betroffenen Extremität mit teigiger Konsistenz sowie eine
Hyperhidrose.
Bei weiterem Fortschreiten schließt sich das Stadium 2 mit cha-
64.2.4 Trophische Störungen rakteristischen dystrophen Veränderungen an. Eine Reduktion der
im Stadium 1 auftretenden Ruheschmerzen ist möglich, jedoch ist
Als Ausdruck trophischer Störungen kann man eine Atrophie der der Bewegungsschmerz verstärkt. Konsekutiv kann es bei nicht
Haut, eine vermehrte Behaarung und ein gestörtes Nagelwachstum adäquater Therapie zu einer zunehmenden Ankylose kommen. Die
beobachten. Im Fall eine Chronifizierung zeigen sich zusätzlich Hy- Haut ist zyanotisch-livide verfärbt mit Hypothermie, und es ent­
perkeratosen und vermehrte Fibrosierungen. wickelt sich eine Weichteilfibrose. In diesem Stadium zeigen sich
Demineralisierungen im konventionellen Röntgenbild.

64.2.5 Stadieneinteilung des CRPS Typ 1


64.2.6 Klinische Manifestation des CRPS Typ 2
Historisch wurde das CRPS Typ 1 von Sudeck in 3 Stadien eingeteilt,
was nach neuester Empfehlung obsolet ist, da die Symptome in Aus- CRPS Typ 2 ist identisch mit der früher verwendeten Definition der
prägung und zeitlichem Verlauf teilweise recht variabel sind. Das Kausalgie. Im Unterschied zum Typ 1 ist eine partielle Läsion eines
596 Kapitel 64 · Komplexes regionäres Schmerzsyndrom

peripheren Nervs nachweisbar. In ca. 5% der Fälle entwickelt sich 4 die nahezu spontane Entwicklung der Beschwerden, die im Ge-
nach traumatischer Nervenläsion ein CRPS Typ 2 mit den charakte- gensatz zur ursprünglichen Verletzung diffus und tief im Gewe-
ristischen sensiblen, autonomen und motorischen Störungen wie be empfunden werden.
beim CRPS Typ 1. Die Symptomatik dehnt sich deutlich über das
Innervationsgebiet des primär betroffenen Nervs aus. Die Diagnose sollte mit der Anamnese im Zusammenhang mit dem
klinischen Bild und klinischen Methoden gestellt werden wie
4 Temperaturmessung,
64.3 Pathophysiologie 4 Ischämietest und
4 3-Phasen-Skelettszintigraphie.
Pathophysiologisch sind 2 Mechanismen von entscheidender Be-
deutung: Zum einen eine Funktionsstörungen des sympathischen Das Auftreten von Temperaturdifferenzen von >2,2°C stellt ein Kri-
Nervensystems mit sympathisch-afferent unterhaltener Kopplung, terium hoher Spezifität und Sensitivität dar. Im Ischämietest zeigt
andererseits eine neurogene Entzündung. Kommt es zum Auftreten sich nach Anlage einer Blutleere eine 50%-ige Schmerzreduktion.
eines CRPS, so bestehen die Schmerzen trotz Ausheilung der initia- Eine diagnostische Sympathikusblockade kann durchgeführt wer-
len Verletzung weiter, der Schmerz hat somit seine physiologische den, allerdings ist diese nicht immer wegweisend, da beim CRPS
Funktion verloren. Typ 1 sowohl sympathisch unterhaltene Schmerzen (»sympatheti-
cally maintained pain«; SMP) als auch sympathisch unabhängige
Schmerzen (»sympathetically independent pain«; SMI) auftreten
64.3.1 Sympathische Innervation können.
Die von Sudeck beschriebene Inaktivitätsosteoporose mit
Als Ursache für die Entstehung eines CRPS wird sowohl eine inadä- kleinfleckiger Demineralisierung ist erst röntgenologisch nach Mo-
quate Aktivierung peripherer nozizeptiver Afferenzen als auch eine naten feststellbar, wohingegen bereits im Frühstadium mit Hilfe der
veränderte Impulsverarbeitung afferenter Nerven im ZNS vermutet. Szintigraphie ein vermehrter Knochenstoffwechsel nachgewiesen
Die periphere Sensibilisierung führt zu einer übersteigerten Reak­tion werden kann. Es zeigt sich darin eine periartikuläre Anreicherung
auf mechanische, thermische und chemische Reize an den afferenten im Sinne einer vermehrten Knochenresorption.
Neuronen. Periphere nozizeptive Neurone exprimieren infolgedessen
> Die Röntgendiagnostik, die immer im Seitenvergleich er­
vermehrt Adrenalin- und Noradrenalinrezeptoren, und die sich da-
folgt, kann trotz hoher Spezifität bei symptomatischen
raus ergebende gesteigerte chemische Affinität bezüglich noradrener-
Patienten nur als Entscheidungshilfe, nicht aber als Dia­
ger Transmitterstoffe resultiert in einer Interaktion aus sympathischen
gnosekriterium dienen.
und afferenten Nervenfasern (»cross talk«). Es kommt zu einer Aus-
sprossung sympathischer postganglionärer Fasern im Spinalganglion,
die eine funktionelle Kopplung zwischen sympathischer Aktivität und Differenzialdiagnose
den afferenten Nervenzellen des Spinalganglions herstellen. Durch Differenzialdiagnostisch ist die Neuralgie zu sehen, bei der aber die
diese Interaktion zwischen Sympathikus und dem somatosenso- Beschwerden den Innervationsbereich des verletzten Nervs nicht
rischen System wird die periphere und danach die zentrale Sensibi­ überschreiten. Chronische Erkrankungen peripherer Nerven zeigen
lisierung verstärkt und der Schmerz langfristig unterhalten. im Vergleich zum CRPS sehr selten eine generalisierte Ausbreitung
der Beschwerden. Zusätzlich sind die Symptome im Unterschied
> Diese Kopplung bildet die Grundlage für den therapeu­
zum CRPS klar begrenzt auf ein Versorgungsgebiet des peripheren
tischen Erfolg von Sympathikusblockaden.
Nervs.
64
64.3.2 Neurogene Entzündung 64.5 Therapeutisches Vorgehen
Schon Sudeck vermutete in der Entstehung des CRPS einen lokalen Wichtig ist eine frühzeitige und interdisziplinäre Therapie. Eine ef-
entzündlichen Entstehungsprozess (Sudeck 1942). In neuerer Zeit fiziente Schmerztherapie mit Sympathikolyse in Kombination mit
konnte eine deutliche Erhöhung entzündlicher Mediatoren wie In- Physiotherapie hat die Erhaltung oder Wiederherstellung der Extre-
terleukin 6, TNF-α (Huygen et al. 2002) gezeigt werden. Es kommt mitätenfunktion zum Ziel.
zu einer Erregung nozizeptiver Fasern und Ausschüttung von Neu-
ropeptiden wie Substanz P und CRGP (»calcitonin gene related pep-
tide«) mit einer Vasodilatation und gesteigerter Plasmaextravasation 64.5.1 Pharmakotherapie
(Birklein et al. 2001).
Analgetische Therapie
Zur Akutlinderung der Schmerzen werden nichtsteroidale Anti-
64.4 Diagnostisches Vorgehen phlogistika (NSAID) oder Metamizol empfohlen. Vor allem in der
Frühphase der Erkrankung kann so eine Linderung erzielt werden.
Das uneinheitliche Erscheinungsbild in Kombination mit dem mög- Die medikamentöse analgetische Behandlung erfolgt nach dem
lichen Fehlen einzelner Symptome besonders in der Frühphase er- WHO-Stufenschema. Im fortgeschrittenen Stadium können kurz­
schwert oftmals die frühe Diagnosestellung. Indizierend und charak­ fristig Opioide eingesetzt werden, allerdings ist zu empfehlen, diese
teristisch für ein CRPS sind gerade bei längerer Behandlungszeit aufgrund des Abhängigkeits­
4 die Lokalisation der Symptome, potenzials durch eine Sympathikusblockade zu ersetzen. Die Schmerz­
4 das gemeinsame Auftreten von Schmerzen mit der reduzierten therapie sollte, soweit möglich, durch eine Schmerzambulanz über-
Gelenkfunktion sowie wacht werden.
64.6 · Fazit
597 64
Antidepressiva und Antikonvulsiva Der Einsatz von Schienen soll der Entwicklung von Kontrakturen
Zusätzlich zur oben genannten medikamentösen Schmerztherapie entgegenwirken, zur Ödemreduktion kann eine Lymphdrainage er-
sind Antikonvulsiva sowie trizyklische Antidepressiva als Koanalge- folgen.
tika zu empfehlen. Die Linderung der Schmerzen tritt dabei erst
nach einigen Tagen ein. Zusätzlich kommt es zu einer Schmerzdis­
tanzierung sowie einer Reduktion schmerzbedingter Depressionen 64.5.4 Psychotherapie
und Angstzustände.
Bei Symptomen wie Affektlabilität, erhöhte Ängstlichkeit und de-
Kortikosteroide pressive Reaktionen kann eine Psychotherapie indiziert sein.
Die Gabe systemischer Glukokortikoide hat sich in der Akutphase
des CRPS Typ 1 als wirksam erwiesen (Christensen et al. 1982). Al-
lerdings wird die Anwendung in der Literatur kontrovers gesehen, 64.6 Fazit
und z. T. werden hohe Dosen angewandt. Eine Langzeittherapie ist
deshalb nicht zu empfehlen und die Indikation streng zu stellen. Das CRPS entwickelt sich als inadäquate Konsequenz eines Traumas.
Die klinische Symptomatik ist durch die Trias von sensiblen, auto-
Kalzitonin nomen und motorischen Symptomen gekennzeichnet. Pathophy­
Kalzitonin wirkt im Bereich des Knochenstoffwechsels aufgrund siologisch ergeben sich Anhaltspunkte für neurogen-entzündliche
seiner antiosteoklastären Wirkung. Es kommt zu einer Reduktion Mechanismen in der Peripherie und Störungen der zentralen auto-
der Aktivität der Osteoklasten sowie einer Steigerung der Osteoblas- nomen Regulation sowie sensibler und motorischer Kortexareale.
ten, wodurch die charakteristische Demineralisierung vermindert Bei einem Teil der Patienten bildet sich eine sympathisch-afferente
werden soll. Zusätzlich werden eine schmerzlindernde Wirkung und Kopplung aus, die sich durch das Symptom des sympathisch un­
die Abnahme der Schwellung beschrieben (Gobelet et al. 1992). terhaltenen Schmerzes äußert. Eine ausführliche Anamnese, kör­
Schürmann et al. (2001) beschreiben vielfältige Nebenwirkungen bei perliche Untersuchung sowie bildgebende Verfahren sichern die
limitierten Behandlungserfolgen. Diagnose.
Die frühe klinische Diagnosestellung ist entscheidend, um eine
Sonstige Chronifizierung zu vermeiden. Die multimodale interdisziplinäre
Ebenso kann die intravenöse Applikation von Bisphosphonaten im Therapie beinhaltet v. a. die Schmerztherapie in Kombination mit
Frühstadium zur einer Verminderung des Ödems, der Schmerzen adäquater Physiotherapie.
und zur Verbesserung der Motorik beitragen (Adami et al. 1997;
Varenna et al. 2000). Literatur
In der Akutphase des CRPS Typ 1 zeigt die topische Behand- Adami S, Fossaluza V, Gatti D, Fracassi E, Braga V (1997) Bisphosphonate ther-
lung mit Radikalfängern, z. B. Dimethylsulfoxid, die in Form einer apy of reflex sympathetic dystrophy syndrome. Ann Rheum Dis 56: 201–
50%-igen Salbe angewandt werden, eine Verbesserung der Symp- 204
Baron R, Binder A, Ulrich W, Meier C (2003) Complex regional pain syndrome.
tome.
Reflex sympathetic dystrophy and caulsagia. Schmerz 17: 213–226
Birklein F, Schmelz M, Schifter S, Weber M (2001) The important role of neuro-
peptides in complex regional pain syndrome. Neurology 57: 2179–2184
64.5.2 Interventionen am sympathischen Christensen K, Jensen EM, Noer I (1982) The reflex dystrophy syndrome. Re-
Nervensystem sponse to treatment with systemic corticosteroids. Acta Chir Scand 148:
653–655
Wenn durch die medikamentöse Therapie keine ausreichende Dertwinkel R, Strumpf M, Zenz M (1998) Sympathetic reflex dystrophy and
Schmerz­reduktion zu erreichen ist, dann sollten möglichst früh phantom pain. Diagnosis, therapy and prognosis. Z Arztl Fortbild Quali-
Sympathikusblockaden erfolgen. Diese sind beim CRPS mit sympa- tatssich 92 (1): 35–40
thisch unterhaltenen Schmerzen (SMP) erfolgreich. Eine weitere Evans JA (1936) Reflex sympathetic dystrophy. Surg Clin North Am 26: 435–
448
Form der Beeinflussung der sympathischen Aktivität stellt die gang-
Gobelet C, Waldburger M, Meier JL (1992) The effect of adding calcitonin to
lionäre Applikation von Opioiden (GLOA) im Bereich des Grenz-
physical treatment on reflex sympathetic dystrophie. Pain 48: 171–175
strangs dar, wobei eine Blockade der sympathischen Aktivität durch Huygen FJ, De Bruijn AG, De Bruin MT, Groeneweg JG, Klein J, Zijistra FJ (2002)
diese Maßnahme nicht erfolgt. In schwersten Fällen kann perma- Evidence for local inflammation in complex regional pain syndrome type
nente Sympathektomie oder Rückenmarkstimulation (TENS) emp- 1. Mediators Inflamm 11: 47–51
fohlen werden. Mitchell SW, Morehouse GR, Keene WW (1872) Gunshot wounds and other
injuries of nerves. Lippincott, Philadelphia
Schürmann M, Vogel T, Gärtner A, Andress HJ, Gradl G (2001) Erfahrungen mit
64.5.3 Physikalische Therapie der Kalzitonin-Behandlung bei Patienten mit Complex Regional Pain
Syndrome Type I (CRPS I – M. Sudeck) . Z Orthop Ihre Grenzgeb 139:
452–457
Die suffiziente Physio- und Ergotherapie ist unabdingbare Voraus-
Sudeck P (1902) Über die akute (trophoneurotoxische) Knochenatrophie
setzung zur Wiederherstellung der Funktion der betroffenen Extre-
nach Entzündungen und Traumen der Extremitäten. Dtsch Med Wochen-
mität. schr 28: 336–342
> Als Grundregel gilt, dass die Behandlung erst beginnt, Sudeck P (1942) Die sogenannte akute Knochenatrophie als Entzündungs-
wenn der Patient schmerzfrei ist, und dass sie selbst keine vorgang. Chirurg 14: 449–458
Varenna M, Zucchi F, Ghiringhelli D, Binelli L, Bevilacqua M, Bettica P, Siniga-
Schmerzen provozieren darf.
glia (2000) Intravenous clodronate in the treatment of reflex sympathet-
ic dystrophy syndrome: A randomized, double blind, placebo controlled
study. J Rheumatol 27: 1477–1483
65

Prinzipien des Daumenersatzes


und sensorischer Ersatzoperationen
A. Jokuszies, P.M. Vogt

65.1 Klassifikation – 600

65.2 Replantation – 600

65.3 Daumenrekonstruktionsverfahren – 600


65.3.1 Indikationen – 600
65.3.2 Pollizisation – 602
65.3.3 Zweitzehentransplantation – 605
65.3.4 »Wrap-around flap« – 608

65.4 Postoperatives Management – 610

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
600 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen

Eine differenzierte und koordinierte Greiffunktion der Hand ist Wenn möglich, sollten die beiden beugeseitigen Arterien und
ohne Daumen nur sehr eingeschränkt möglich. mindestens eine Vene mikrochirurgisch rekonstruiert werden.
Die anatomischen Besonderheiten des Karpometakarpalgelenks Langstreckige Gefäßdefekte erfordern oft ein Veneninterponat vom
als Sattelgelenk ermöglicht das Opponieren des Daumens in und Unterarm oder Fußrücken, was bereits bei der präoperativen Pla-
auch senkrecht zur Handebene. Hieraus resultieren die im Alltag so nung zu bedenken ist.
wertvollen Greifformen wie Spitz-, Schlüssel- oder Klemmgriff. Da-
> Ist jedoch eine Replantation nicht mehr möglich, sollte
bei ist nicht nur die Daumenlänge entscheidend, sondern der Erhalt
insbesondere am Daumen bei der Stumpfbildung jeder
einer sensiblen Daumenkuppe mit stabilem Nagelorgan.
weitere Längenverlust durch Rückkürzung zum Stumpf-
Die Exponiertheit und soziokulturellen Bedeutung der Hand als
verschluss vermieden werden.
Werkzeug, Symbolträger und Begreiforgan erfordert die Einbezie-
hung funktioneller und ästhetischer Überlegungen. Hier empfehlen sich primäre Weichteilplastiken (z. B. Moberg-Lap-
pen, Leistenlappen).
Bei Arthrodesen im Daumenend- und -grundgelenk von jeweils
65.1 Klassifikation 0–20° ist zusätzlich eine etwas stärkere Innenrotation des Daumens
in Richtung Hohlhand um ca. 10–15° zur Verbesserung der Oppo­
Daumenverluste können kongenital mit unterschiedlichen Längen sitionsfähigkeit zu empfehlen. Eine rotationsstabile Osteosynthese
bis zu totaler Aplasie oder erworben vom einfachen Kuppenverlust wird durch 2 gekreuzte Kirschner-Drähte mit Cerclage, Platten oder
bis hin zu komplexen Verletzungen mit Komplettverlust reichen. Zugschrauben erreicht, die im Endgliedbereich auch von zentral her
Eine gebräuchliche Klassifikation der Amputationshöhen eingebracht werden können.
stammt von O’Brien u. Morrison (. Abb. 65.1).

65.3 Daumenrekonstruktionsverfahren
65.2 Replantation
> Bietet eine Replantation oder Revaskularisation auch nur Verfahren zur Daumenrekonstruktion
die geringste Erfolgsaussicht, so ist der Erhaltungsversuch
4 Groß- oder Zweitzehentransplantation
jeder Rekonstruktion funktionell überlegen. Dabei folgt
4 Pollizisation
das operative Vorgehen dem gängigen Algorithmus für
4 Knochendistraktion
Amputationsverletzungen (. Abb. 65.2).
4 Knochenspaninterposition
4 Phalangealisierung
Großzügige Erweiterungsschnitte bieten eine bessere Übersicht über
4 Osteoplastische Verfahren mit neurovaskulärem Insellappen
die zu vereinigenden Strukturen. Gelenkzerstörungen erfordern die
funktionsgerechte Arthrodese. Zur besseren Stabilität empfehlen wir
die transossäre Draht-Cerclage in Kombination mit einem axialen Die Phalangealisierung und Daumenverlängerung über Distraktion
Kirschner-Draht. Alternative Osteosyntheseverfahren sind bei gelen- und Knochenspaninterposition stellen aufgrund der reduzierten
knahen Abschnitten und bei längsverlaufenden Splitterverletzungen Daumenkuppensensibilität Kompromisslösungen dar. Bei manchen
ggf. erforderlich. Zur Vorbereitung der Beugesehnennähte kann die Patienten mit schweren Verletzungen kann eine Beihandfunktion
Kernnaht mit 4-0 nicht resorbierbarem Faden vorgelegt werden. erreicht werden, bei anderen verbieten sich aufgrund des Risiko­
profils, der Begleiterkrankungen oder fehlender Compliance auf-
wendigere Rekonstruktionen. Bei letzterer Gruppe können auch
Daumenorthesen eine brauchbare Greiffunktion herstellen.
Für Amputationen bei Kindern ist die Verlängerung des Meta-
65 karpale aufgrund des Wachstums ebenfalls nur ein Kompromiss,
hier sind die Pollizisation und der Zweitzehentransfer die Verfahren
der Wahl.

65.3.1 Indikationen
Angeborene Daumenaplasie bei Kindern
Daumenanomalien machen ca. 11% aller kongenitalen Handdefor-
mitäten aus, hierbei entfallen 6,6% auf radiale Polydaktylien und
damit die verbleibenden 4,6% auf hypo- oder aplastische Daumen
(Lister 1991; Scheker u. Cendale 2000).
Da bei Kindern das Knochenwachstum im Vordergrund steht,
kommt zur Rekonstruktion des Daumens die Pollizisation oder der
Zweitzehentransfer in Frage. Wir schließen uns der Empfehlung von
Buck-Gramcko und Foucher an und führen die Pollizisation bis zum
1. Lebensjahr durch. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der
Entwicklung eines sog. »Daumengefühls« ab dem 6. Lebensmonat
und zum anderen in der Tatsache, dass mit zunehmender Dauer der
. Abb. 65.1 Klassifikation der Amputationshöhen am Daumen Daumenfunktion des transpositionierten Zeigefingers dessen Mus-
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
601 65

. Abb. 65.2 Reihenfolge der bei Replantation zu versorgenden Strukturen mosierung der radialen Zeigefingerarterie und Digitalnerven nach Separie-
mit Kürzung und Naht der M.-extensor-indicis-proprius-Sehne, Reanasto- rung bis zur Aufzweigung in Höhe des N. digitalis communis

kel- und Knochenwachstum zunimmt und sich somit strukturell der schen Daumens darstellen, stehen Eltern aufgrund des ästhetischen
Gestalt des Daumens annähert (Buck-Gramcko 1971; Foucher et al. Ergebnisses mit dysmorpher Hand diesen Eingriffen oft ablehnend
2005). gegenüber (Kay et al. 1996). Ebenso spielen soziokulturelle Aspekte
Beim kongenitalen Daumenverlust mit 3- oder 4-gliedriger Hand bei der Entscheidungsfindung für ein Rekonstruktionsverfahren
ist die Zeigefingerpollizisation nach Buck-Gramcko (1971) das Ver- eine Rolle, sodass oft nur ein Distraktionsverfahren oder die
fahren der Wahl, weil der M. interosseus dorsalis 1 als wichtiger mik­rochirurgische Zweitzehentransplantation zur Verfügung steht
Spendermuskel für die motorische Daumenfunktion unversehrt ist, (Scheker u. Cendale 2000).
v. a zur Abduktion und Opposition (O’Brien u. Morrison 1987). Die Technik der Pollizisation bei kongenitalen Daumenhypo-
War in der Vergangenheit der mikrovaskuläre Großzehentrans- oder -aplasien basiert auf den Erfahrungen aus der rekonstruktiven
fer aufgrund seiner im Vergleich schlechteren funktionellen Ergeb- Chirurgie nach traumatischen Amputationen des Daumens.
nisse der 1- bis 2-gliedrigen Hand mit Daumenhypo- oder -aplasie Wegweisende Beiträge zum operativen Daumenersatz von Litt-
vorbehalten, so ist er heute aufgrund der erheblichen Hebedefekt- ler und Hilgenfeldt aus den 1950-er Jahren seien zur Lektüre emp-
morbidität nicht mehr 1. Wahl (OBrien et al. 1978). fohlen (Littler 1953; Hilgenfeldt 1950).
Die Einteilung der Hypoplasieformen des Daumens erfolgt nach
Blauth (1967; . Tab. 65.1; auch . Tab. 83.4). Traumatischer Daumenverlust bei Kindern
Eine Subklassifikation des Typs III wird von Manske u. McCar- Da bei einer totalen Daumenamputation der für die Pollizisation
roll (1992) beschrieben. Typ IIIA beschreibt hiernach Fehlbildungen erforderliche M. interosseus dorsalis 1 meist mitverletzt oder gar
der intrinsischen und extrinsischen Muskulatur bei intaktem CMC- zerstört ist, wird hier die Indikation zugunsten des Zweitzehentrans-
Gelenk und Typ IIIB Fehlbildungen der intrinsischen und extrin- fers gestellt. Bei ausgedehntem Hautweichteilverlust des radialen
sischen Muskulatur bei Aplasie der Metakarpale-1-Basis. Handaspektes muss ggf. zunächst ein Leistenlappentransfer in Vor-
Die Daumenhypo- oder -aplasie ist häufig mit der radialen bereitung zum Zehentransfer erfolgen.
Klumphand assoziiert (Swanson 1976). In der Klassifikation der ra- Bei der subtotalen Amputation werden mit dem Zweitzehentrans­
dialen Klumphand von Bayne u. Klug (1987) beschreibt Typ IV die fer ebenfalls gute ästhetische und funktionelle Ergebnisse erzielt.
schwerste und häufigste Form mit fehlendem Radius und hypo- oder
aplastischem Daumen. Kongenitale Daumenaplasie und -hypoplasie
Obwohl die Pollizisation und der Zweitzehentransfer die aktu- im Erwachsenenalter
ellen Standardverfahren in der Behandlung des hypo- bzw. aplasti­ Beim vollständigen Fehlen ist wie beim Kind auch hier die Pollizisa-
tion das rekonstruktive Verfahren der Wahl. Allerdings sind Er-
wachsene in der Regel gut an die Handfunktion ohne Daumen ad-
aptiert.
. Tab. 65.1 Klassifikation der Daumenhypoplasie nach Blauth (1967)

Schwere- Kennzeichen
Traumatischer Daumenverlust
grad im Erwachsenenalter
Defekte der Daumenpulpa oder segmentale Daumenverluste im dis-
Typ I Milde Form der Daumenhypoplasie talen Anteil lassen sich zuverlässig mit Pulpa- oder Composite-Flaps
Typ II Ossäre Hypoplasie des Daumens mit Laxizität/Dyspla- der Zehen rekonstruieren.
sie des MCP-Gelenks und Kontraktur der Zwischen­ Der »wrap-around flap« ist das Verfahren der Wahl bei subtota-
fingerfalte len Amputationen im distalen Anteil, d. h. distal des Metakarpopha-
Typ III Ossäre Hypoplasie des Daumens mit rudimentärem langealgelenkes. Alternativ kämen hier noch osteoplastische Verfah-
CMC-Gelenk; Aplasie der Thenarmuskulatur mit schwe- ren in Kombination mit neurovaskulären Insellappen in Betracht
ren Fehlbildungen der extrinsischen Muskulatur (Foucher et al. 1984; Doi et al. 1981).
Typ IV Fehlendes Metakarpale 1 mit »flottierendem Daumen« Im Falle der subtotalen Amputation im proximalen Anteil, d. h.
(als Hautanhänsel ohne knöcherne Verbindung) proximal des Metakarpophalangealgelenkes mit intakter Thenar-
muskulatur und erhaltenem Trapeziometakapalgelenk ist der Ein-
Typ V Daumenaplasie
schluss eines Gelenks bei der Rekonstruktion zu beachten, sodass
602 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen

optimale Positionierung für die Opposition und Abduktion sowie


. Tab. 65.2 Rekonstruktionsverfahren im Kindes- und Erwachsenen- die Reduzierung der Länge des Zeigefingerstrahls.
alter abhängig vom Längendefizit Das Metakarpale 2 wird mit Ausnahme seines Köpfchens, das als
Trapeziumersatz dient, reseziert. Hierzu sollte zudem die Epiphy-
Typ Amputationsdefizit Rekonstruktions­ senfuge mitreseziert werden, um die Artikulation durch ein weiteres
– Level verfahren
Wachstum nicht zu beeinträchtigen.
Kinder
Um eine ausreichende Oppositionsstellung des Zeigefingers zu
erzielen, sollte dieser um 160° in der Längsachse rotiert werden, um
Kongenital Total Pollizisation die Pulpa des Ringfingers zu erreichen. Nach Muskel- und Hautnaht
Zweitzehentransfer resultiert letztendlich eine Rotationsstellung von 120°. Mit einer Ro-
tation von 90° erreicht man nur den Mittelfinger im Schlüsselgriff.
Subtotal Zweitzehentransfer
Zusätzlich zur Kürzung und Rotation sollte der Zeigefinger
Distraktion senkrecht zur Handebene in einem Winkel von 40° eingestellt wer-
den. Dies ermöglicht neben der Opposition auch eine gute Abduk-
Traumatisch Total Pollizisation
tion und Adduktion des Neodaumens (. Abb. 65.3).
Leistenlappen und zwei-
zeitig Zweitzehentransfer Operationstechnik
+ Metatarsale 2 Die Pollizisation basiert auf 4 grundsätzlichen Operationsschritten
Subtotal Zweitzehentransfer (. Abb. 65.4; s. auch 7 Kap. 83, . Abb. 83.3). Zur Isolierung des neu-
rovaskulären Stiels zwischen Zeige- und Mittelfinger wird die radiale
Erwachsene
Digitalarterie des Mittelfingers ligiert. Die Nerven werden bis zur
Traumatisch Segmental Pulpa- oder Composite- Aufzweigung in Höhe des N. digitalis communis separiert, um jede
Lappen Spannung auf das Gefäß-Nerven-Bündel nach Rotation zu vermei-
Subtotal distal »Wrap-around flap« den. Im Falle einer fehlenden radialen Zeigefingerarterie reicht in
der Regel die Perfusion über die verbleibende Digitalarterie aus.
Osteoplastische Rekons­ Für die ossäre Fixierung ist die Länge des zu transferierenden
truktion mit neurovasku­
Zeigefingers von Belang, da ein kurzer Neodaumen funktionell und
lärem Insellappen
ästhetisch günstiger ist.
Subtotal proximal Pollizisation Bei normaler Länge der Langfinger bleibt ausschließlich das
Zweitzehentransfer Metakarpaleköpfchen erhalten und wird an die Gelenkkapsel des Os
trapezium fixiert. Je nach Erfordernis kann jedoch auch die Basis des
»Wrap-around flap« Metakarpale erhalten bleiben, wobei dann das Metakarpaleköpfchen
Total Pollizisation mit 2 Kirschner-Drähten hierauf fixiert wird.
Die ausgeprägte und physiologische Mobilität des Metakarpo-
Leistenlappen und zwei-
phalangealgelenks führt bei Kindern im Laufe des Wachstums zu
zeitig Zweitzehentransfer
einer Fehlstellung in Hyperextension. Zur Vermeidung dieser se-
kundären Fehlstellung des Neodaumens empfahl Buck-Gramcko die
Rotation des Metakarpaleköpfchens um 70–80°, wie in . Abb. 65.3
hier der Zweitzehentransfer mit Einschluss des Metatarsophalange- dargestellt. Dies bringt die Grundphalanx in eine Hyperextensions-
algelenks oder alternativ die Pollizisation das Verfahren der Wahl stellung zum Metakarpaleköpfchen und führt zu einer erhöhten Sta-
darstellt. bilität (Buck-Gramcko 1971).
Die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens im Fall der vollstän- Erhöht wird diese Stabilität zudem durch die von Buck-Gramcko
65 digen Amputation entspricht der bei Kindern. beschriebene Muskeltransposition und -fixierung der intrinsischen
. Tab. 65.2 gibt einen Überblick über die an den Amputations- Muskulatur und Strecksehnen. Eine Kürzung der Beugesehnen ist
höhen ausgerichteten Empfehlungen zur Rekonstruktion. nicht erforderlich, da sich diese im Verlauf auf die für eine suffiziente
Daumenbeugung erforderliche Länge retrahieren.
Die Sehne des M. extensor digitorum communis wird auf Höhe
65.3.2 Pollizisation des Metakarpophalangealgelenks getrennt und nach Resektion des
Metakarpale an die Basis der Grundphalanx fixiert. Sie übernimmt
Die Technik der Pollizisation orientiert sich an den Rekonstruktions­ die Funktion des M. abductor pollicis longus. Die M.-extensor-indi-
verfahren des Daumens nach traumatischer Amputation. cis-proprius-Sehne wird gekürzt und nachfolgend reanastomosiert.
Die von Buck-Gramcko im Jahr 1971 beschriebene Operations- Die Mm. interossei des Zeigefingers werden nach Ablösung von der
technik basiert auf seiner bereits damals großen Fallzahl von 114 Pol- Grundphalanx zur weiteren Stabilisierung an die Seitenbänder der
lizisationen, auf deren Grundlage er diese Technik stetig verfeinerte Dorsalaponeurose genäht. Hierzu müssen diese auf der ganzen Län-
und die Empfehlungen anderer Autoren wie Hilgenfeldt und Littler ge der Grundphalanx vom Mittelzügel getrennt werden. Zusätzlich
mit einbezog. Diese hohe Fallzahl beruhte zudem auf der erhöhten werden ihre Ursprünge partiell und subperiostal vom Os metacar-
Inzidenz kindlicher Fehlbildungen durch das Medikament Conter- pale abgelöst.
gan (Thalidomid) in den Jahren 1959–1962, in deren Folge das Inte- Die Seitenzügel werden in den distalen Anteil des jeweiligen
resse an der chirurgischen Behandlung kindlicher Fehlbildungen M. interosseus eingeflochten und in Form eines Loops mit sich selbst
deutlich zunahm (Buck-Gramcko 1971). vernäht. Der 1. palmare M. interosseus fungiert als M. adductor
Konzeptionelle, funktionelle und ästhetische Ansprüche erfor- ­pollicis und der 1. dorsale M. interosseus als M. abductor pollicis
dern eine ausreichende Stabilität des Neodaumens, die möglichst brevis.
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
603 65

b c

. Abb. 65.3a–c Prinzip der Pollizisation: Rotation und Transposition des Neodaumen als Trapeziumersatz fungiert (a). Das Metakarpophalangealge-
Zeigefingers bzw. Neodaumens auf Höhe des Metakarpaleköpfchens bei lenk wird somit zum Karpometakarpalgelenk. Die proximale Phalanx des
traumatischem Verlust. Hierdurch wird eine optimale Greiffunktion mit Dau- Zeigefingers wird zum »1.« Metakarpale, das proximale Interphalangealge-
menopposition zu den Fingerkuppen erzielt. Zur Erreichung eines vollglied- lenk zum Metakarpophalangealgelenk des Neodaumens und das distale In-
rigen Daumens ist die ossäre Reduktion des Zeigefingers erforderlich (b, c). terphalangealgelenk zum IP-Gelenk des Neodaumens (a). Die Funktions­
Bei kongenitaler Daumenaplasie ohne Sattelgelenk ist die Resektion des änderung der transferierten Muskulatur ist bei kongenitalen Aplasien von
Metakarpale mit Ausnahme des Metakarpaleköpfchens nötig, welches am besonderer funktioneller Bedeutung (a)

Die Verlagerung der Interosseusmuskulatur macht neben der Funktionelle Ergebnisse nach Pollizisation
radialseitigen Schnittführung eine zusätzliche dorsale und längsge- Die Opposition des Neodaumens zu den Langfingern mit hieraus
richtete Inzision über der Grundphalanx erforderlich. Die aus der resultierender Greiffunktion ist letztlich das Ziel der Pollizisation
Muskelverlagerung resultierende Volumenzunahme in Höhe der und Indikator für den Erfolg des Eingriffs.
proximalen Phalanx erfordert zudem eine lokale Lappenplastik dor- Buck-Gramcko beschreibt in seiner Nachuntersuchung von
salseitig. 37 Kindern mit 100 Pollizisationen, dass die wesentlichen funktio-
604 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen

a b

c d

65

e f

. Abb. 65.4a–g Operationsschritte bei der Pollizisation bei onkologisch


notwendiger Daumenamputation. a Indikation zur Daumenamputation und
Pollizisation bei Melanom des Daumenendgliedes. b Dorsalseitige Schnitt-
führung und Präparation des Anschlussgebietes auf Amputationsniveau.
c Palmarseitige Schnittführung. d Pollizisierter und um ca. 45° rotierter Zei-
gefinger zur Ermöglichung einer Opposition bzw. Pinch-Griff. e Dorsaler
Weichteilverschluss nach Pollizisation. f Palmarer Aspekt nach Weichteilver-
g d
schluss und Pollizisation. g Funktionelles Endergebnis
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
605 65
nellen Veränderungen innerhalb der ersten 2 Jahre nach der Opera- ­Grün­den (. Übersicht). Dabei muss die Dreigliedrigkeit keinen
tion zu erwarten sind. Nach 3 Wochen der Immobilisation besteht Nachteil darstellen, ist sie doch bei langstreckigem Verlust des Dau-
zunächst ein geringfügiger aktiver Bewegungsausschlag des Neo- mens eher nützlich, um den Längenverlust des Metakarpale auszu-
daumens, der im Verlauf von weiteren 6 Wochen in einem Pinch- gleichen.
Griff zum Mittel- und Ringfinger mündet.
Nach 4–5 Monaten sind die meisten Kinder in der Lage, die Kup-
Kontraindikationen der Zehentransplantation
pe des Kleinfingers mit dem Neodaumen zu erreichen. Dabei gibt es
beim Erwachsenen
keine altersabhängigen Unterschiede mit Blick auf das zu erwarten-
de funktionelle Ergebnis. 4 Diabetische Mikroangiopathie
Mit dem Beginn einer aktiven Flexion des Neodaumens ist nicht 4 Arterielle Verschlusskrankheit
vor Ablauf des 3. postoperativen Monats zu rechnen, da die Anpas- 4 CRPS
sung bzw. Retraktion der nicht gekürzten Beugesehnen langsam, 4 Postthrombotisches Syndrom
jedoch stetig erfolgt. 4 Mangelnde Compliance
Die größten Unterschiede wurden für das Ausmaß und den 4 Trauma oder Voroperationen des Spendegebietes mit
Kraftgrad der Radialabduktion beobachtet und gründen in der indi- ­möglicher Kompromittierung des Transplantates
viduellen Kraft der Extensoren, der Einstellung des Metakarpale-
köpfchens zum Karpus und zusätzlichen Anomalien der oberen
Extremität wie z. B. bei der radialen Klumphand, bei der der aktive
Kontraindikationen der Zehentransplantation beim Kind
Bewegungsumfang der Interphalangealgelenke von vornherein
deutlich eingeschränkt ist und somit nach Pollizisation zu einer auf- 4 Ablehnung der Eltern aus religiösen, psychologischen oder
gehobenen aktiven Beweglichkeit dieser Gelenke am Neodaumen ethnischen Gründen
führt. Die Kinder mit einer radialen Klumphand sind es auch, die 4 Trauma oder Operationen des Spendegebietes (7 oben)
ihren Neodaumen nicht der Natur gemäß einsetzen. Beim Greifen 4 Kombinierte Fehlbildungen
kleinerer Gegenstände wird der Klemmgriff zwischen Mittel- und
Ringfinger eingesetzt.
Vaskuläre oder sensorische Defizite wurden in keinem der Fälle Im Hinblick auf den ästhetischen Aspekt hat der Zweitzehen- im
beobachtet. Vergleich zum Großzehentransfer deutliche Vorteile.
Die besten funktionellen Ergebnisse wurden beim hypoplasti- Als klassische Indikation für den Zweitzehentransfer gilt die ra-
schen Daumen beobachtet. Der Grund hierfür liegt in der erhal- diale Klumphand, die meist mit einer Daumenhypo- oder -aplasie
tenen intrinsischen Muskulatur, die für eine gute Balance und Stabi- assoziiert ist. Beim Typ IV nach Bayne u. Klug (1987) mit Aplasie des
lisierung des transponierten Zeigefingers sorgt. Sie stellen die Grund­ Radius ist zum Längenausgleich gleichzeitig der Transfer des Meta-
voraussetzung für eine gute Mobilität und Kraftentwicklung dar. tarsale 2 erforderlich. Dieser Typ IV stellt die schwerste und zugleich
Für die »Fünf-Finger-Hand« wird bei normaler Entwicklung des am häufigsten vorkommende Form dar.
radialen Strahls dessen Pollizisation empfohlen, wonach mit einem Die Zehentransplantation stellt ein ergänzendes Armentarium
zufriedenstellenden Ergebnis zu rechnen ist. zu der bereits beschriebenen Pollizisation dar und sollte das Ergebnis
Ist der radiale Strahl verkürzt oder hypoplastisch, so empfehlen einer sorgfältigen Indikationsstellung sein.
sich dessen Resektion und die Pollizisation des Nachbarfingers. Beim Zweitzehentransfer empfehlen wir die Durchführung
Aussagen zum Kraftgrad für den Grob- und Spitzgriff sowie zum des Eingriffes ab dem 1. Lebensjahr, um die Adaptation an ein
Erscheinungsbild des Neodaumens finden sich in retrospek­tiven Greifmuster zu ermöglichen und ein Neglect-Verhalten zu ver­
Untersuchungen u. a. von Foucher et al. (2005), Kozin et al. (1992), hindern.
Manske u. McCarroll (1995). Hier reichen die Ergebnisse von 21% Zu den präoperativen Vorbereitungen zählen neben der kör-
bis hin zu 67% für die grobe Kraft sowie von 26% bis hin zu 60% für perlichen Untersuchung mit Erhebung funktioneller und senso-
den Spitzgriff im Vergleich zur Gegenseite. Die große Variation er- rischer Defizite, evtl. vorbestehender Narben, Deformitäten und des
klärt sich aus den eingeschlossenen Fällen von radialer Dysplasie. Pulsstatus die Nativröntgenaufnahme und die dopplersonogra-
Die unabhängige Analyse des postoperativen Erscheinungsbildes phische Untersuchung der peripheren Fußpulse.
des Neodaumens unter Berücksichtigung der Narbe, der 1. Kommis- Zur Planung des mikrovaskulären Anschlusses ist die Kenntnis
sur und der Gestalt des Neodaumens ergibt im Durchschnitt einen der Gefäßanatomie des Fußes von Bedeutung. Obwohl die Durch-
Wert von 6,5 auf einer Skala von 10 (Foucher et al. 2005). blutung des Fußes wie die der Hand von 2 miteinander verbundenen

65.3.3 Zweitzehentransplantation
. Tab. 65.3 Klassifikation der radialen Klumphand Bayne u. Klug
Die Zweitzehentransplantation wurde erstmalig im Rahmen der
(1987)
American Replantation Mission to China in 1973 erwähnt. Es war
Yang, der diesen Eingriff in 1966 erfolgreich durchführte (American Typ Kennzeichen
Replantation Mission to China 1973; Yang u. Yudong 1979).
I Verkürzter Radius
> Aufgrund der erheblichen Hebedefektmorbidität beim
Großzehentransfer wird heute der Zweitzehentransfer als II Hypoplastischer Radius
Standardverfahren zum Daumenersatz angewandt.
III Partielle Radiusaplasie
Voraussetzung ist meist die Ablehnung der Eltern gegenüber einer IV Radiusaplasie
Pollizisation aus ästhetischen, religiösen oder soziokulturellen
606 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen

Hauptarteriensystemen sichergestellt wird, unterliegt insbesondere


die 1. Metatarsalarterie einigen Variationen (Berger u. Tizian 1985;
Leung u. Wong 1983). Sie versorgt neben der Großzehe auch die
Zweitzehe. Die wesentlichen funktionellen und anatomischen Un-
terschiede ergeben sich für die Zehengrundgelenke. Die für den Ab-
rollvorgang erforderliche größere und kugelige Gelenkfläche des
Metatarsaleköpfchens führt im Gegensatz zum Metakarpaleköpf-
chen zu einer eingeschränkten Beugefähigkeit von maximal 40° zu-
gunsten einer passiven Hyperextension von bis zu 90°.

Operationstechnik
Der Eingriff erfolgt in Intubationsnarkose und idealerweise mit
2 Teams, um Eingriffs- und Ischämiezeit möglichst gering zu halten.
Zur postoperativen Schmerzprophylaxe und Sympathikolyse erfolgt
intraoperativ bereits die Anlage eines Plexuskatheters.
Bei der Resektion der Zehe einschließlich des Metatarsale und
Metatarsophalangealgelenks sollte zur späteren Rekonstruktion der
Kommissur ein ausreichender Hautlappen mitgehoben werden. Die
retrograde Gefäßdissektion kann sowohl über die A. metatarsalis
plantaris des 1. Zwischenzehenraums entlang der A. metatarsalis
dorsalis 1 oder alternativ über die A. metatarsalis plantaris 1 entlang
der A. dorsalis pedis erfolgen.
Zur funktionellen Rekonstruktion werden die Sehnen des M. ex-
tensor und Mm. flexor digitorum longus und brevis mit eingeschlos-
sen. Zur sensiblen Innervation erfolgt die Mitnahme des dorsalen
und plantaren sensorischen Hautnervs. Die Osteotomie geschieht
. Abb. 65.5 Präparation bei Zweitzehentransplantation auf Höhe des proximalen Metatarsale. Der Hebedefekt lässt sich in
der Regel primär verschließen.

65

a b c

. Abb. 65.6a–j Technische Durchführung und Resultat bei Zweitzehen- gesetzte 2. Zehe mit der A. dorsalis pedis und A. metatarsalis dorsalis I, der
transplantation. Zustand nach frustraner Replantation des Daumens mit se- A. digitalis plantaris communis, den plantaren Digitalnerven, dem Os meta-
kundärer Nekrose. a Gangränöser replantierter Daumen eines 23-jährigen tarsale 2 sowie den Sehnen des M. extensor digitorum longus et brevis und
Patienten nach schwerem Quetschamputationstrauma. b, c Schnittführung den Sehnen des M. flexor digitorum longus et brevis. f Intraoperatives Er-
zur Explantation der 2. Zehe auf der Dorsal- und Plantarseite des linken Fu- gebnis nach Zweitzehentransplantation. g Postoperatives Resultat des He-
ßes. d Anschlussregion mit dem Os metacarpale 1, den Anschlussgefäßen bedefektes. h Opposition des Neodaumens zum Zeigefinger im Sinne eines
(A. radialis und V. cephalica), der M.-extensor-pollicis-longus-Sehne und Spitzgriffs. i Kraftvoller Pinch-Griff. j Grobgriff mit der Möglichkeit, auch
den markierten Digitalgefäßen und nnerven. e Die zur Transplantation ab- schwere Gegenstände sicher zu halten
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
607 65

d e

i
. Abb. 65.6a–j (Fortsetzung)
608 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen

Im Empfängergebiet müssen zunächst Gefäße, Nerven, Sehnen


und Knochen für den Zweitzehentransfer vorbereitet werden.
Nicht selten sind bei der radialen Klumphand einzelne anato-
mische Strukturen nicht angelegt. Hierzu zählen mitunter die Radi-
alarterie, die M.-extensor- und M.-flexor-pollicis-longus-Sehne,
die Thenarmuskulatur oder das Os trapezium und das Os scapho-
ideum.
Die Arthrodese mit intraossärer Cerclage und K-Draht erfolgt
zwischen dem Metatarsale und Os capitatum, Os lunatum oder Os
trapezium. Hierbei ist die Zehe in Opposition zu den Langfingern
einzustellen.
Der mikrovaskuläre Anschluss geschieht in der Regel End-zu-
End an den oberflächlichen Hohlhandbogen oder End-zu-Seit an
die A. radialis, sowie End-zu-End an eine radiale Hautvene.
Zur Nervenanastomose im Empfängergebiet eignen sich der
R. superficialis n. radialis oder der sensible Ast des N. medianus.
Im Falle der fehlenden Thenarmuskulatur und Daumensehnen
eignet sich die Opponensplastik unter Verwendung der M.-flexor-
digitorum-superficialis-Sehne oder alternativ der M.-abductor-digi-
ti-minimi-Sehne zur Rekonstruktion (Royle 1938; Huber 1921).
Hinsichtlich der Reihenfolge der operativen Schritte orientiert
man sich am bereits etablierten Algorithmus der Replantations­
chirurgie mit zunächst
4 osteosynthetischer Stabilisierung der Knochen
und in der Folge
4 Naht der Streck- und Beugesehnen,
4 Naht der Nerven
und zuletzt
4 Naht der Arterien und Venen.
. Abb. 65.5 zeigt das Prinzip der Präparation bei Zweitzehentrans-
plantation, . Abb. 65.6 ein klinisches Beispiel.
. Abb. 65.7 »Wrap-around flap«. Operationsschritt 2 mit gehobenem Lap-
65.3.4 »Wrap-around flap« pen unter Belassung eines medialseitigen und die Großzehenspitze um-
spannenden Hautstreifens zur Innervation und Durchblutung der Großzehe
Der »wrap-around flap« zur Daumenrekonstruktion wurde als freie
mikrovaskuläre Mehrkomponenten-Lappenplastik erstmalig 1980
von Morrison und Kollegen beschrieben und stellt eine bedarfs­ renden Infekten wie der Onychomykose nicht zur Anwendung
gerechte Rekonstruktionsmöglichkeit des Daumens dar (Morrison ­kommen.
et al. 1980). Zahlreiche Publikationen heben seine exzellenten funk- Bei Kindern stellen die fehlenden Wachstumsfugen im Trans-
tionellen und ästhetischen Ergebnisse mit geringer Hebedefektmor- plantat und somit das fehlende Wachstumspotenzial eine Kontrain-
65 bidität hervor. dikation dar. Daumenrekonstruktionsmethoden sind in diesem Fall
Bei signifikantem Längen- und Weichteilverlust kann er mit der Zweitzehentransfer oder die Pollizisation.
Weichteilplastiken (z. B. gestielte Leisten- oder Bauchhautlappen)
und einem kortikospongiösen Beckenkammspan kombiniert wer- Operative Planung
den. Nachteilig kann hier jedoch die Knochenresorption mit Insta- Zur Sicherstellung der Gefäßsituation empfehlen wir die präopera-
bilität des Transplantates sein. tive Durchführung einer Angiographie im Spendergebiet. Nach
frustranem Replantationsversuch oder tumorbedingter Amputation
Anatomie des Daumens in ein und derselben Klinik ist die Gefäßanatomie in
Die Gefäßversorgung des Wrap-around-Lappens wird durch die der Regel bekannt, sodass in diesem Fall eine Angiographie im Emp-
A. dorsalis pedis, die A. metatarsalis plantaris 1 oder die A. plantaris fängergebiet entbehrlich ist. Bestehen jedoch Zweifel, so sollte diese
medialis sichergestellt. Die sensible Versorgung erfolgt über Nn. fi- auch im Empfängergebiet durchgeführt werden.
bularis superficialis et profundus und N. plantaris medialis. Fernerhin ist eine Beurteilung der Weichteilsituation an der
Großzehe und dem Empfängergebiet erforderlich, um etwaige Weich­
Indikationen und Kontraindikationen teildefizite oder Hauterkrankungen von vorneherein zu adressieren.
Indikationen sind der Daumenverlust bei erhaltenem MP-Gelenk, Als Hebestelle wählen wir die ipsilaterale Großzehe, um mit
Fingerkuppenverluste bei intaktem Skelett und Nagelrekonstruk­ einem intakten, fibularen Anteil des Großzehenweichteilmantels die
tionen. spätere ulnare Greiffläche des Daumens bilden zu können.
Kontraindikationen sind der Verlust des CMC-1- und MP-1-
Gelenks sowie der Verlust oder die Funktionslosigkeit der Thenar-
muskulatur. Fernerhin sollte er bei chronischen und rezidivie-
65.3 · Daumenrekonstruktionsverfahren
609 65
Operationstechnik Resorption des kortikospongiösen Beckenkammspans mit er-
Die Operation erfolgt in 5 Schritten. höhter Frakturgefahr und der Erfordernis nachgeschalteter Korrek-
4 Schritt 1: turoperationen, außerdem Wundheilungsstörungen im Spender­
5 Der 1. Operationsschritt beinhaltet die Präparation des Emp- gebiet.
fängergebietes mit Vorbereitung der Gefäße (Arterien und > Diesen möglichen Komplikationen ist durch die Verwen-
Venen) und ggf. Sehnen für den späteren Anschluss. dung ausreichend großer Gefäße (>0,8 mm), durch Ein-
5 Der Markraum des vorhandenen Daumenskeletts wird für schluss von Nagelbett, Periost und Kortikalis in das Trans-
die Aufnahme des kortikospongiösen Beckenkammspans plantat und durch ein ausreichend vaskularisiertes Spen-
ausgefräst. dergebiet entgegenzuwirken (Doi et al. 1985, 2001)
5 Beide Digitalnerven lassen sich vom thenaren Aspekt der
Schnittführung aus darstellen, wohingegen die radiale Arte- Ergebnisse
rie und die V. cephalica über den dorsalen Aspekt der Schnitt- Der »wrap-around flap« bietet im Hinblick auf Sensibilität, Stabilität
führung zugänglich sind. und Funktionalität bei geringer Spendermorbidität eine wertvolle
4 Schritt 2: Option zur Daumenrekonstruktion (Urbaniak 1985; Doi et al. 1985;
5 Der 2. Operationsschritt besteht aus der Hebung des Lap- Ian et al. 1987).
pens. Hierzu wird die Großzehe einschließlich des Nagel- In Abhängigkeit von der Amputationshöhe und Rotation des
bettes und Zehennagels so weit präpariert, dass medialseitig kortikospongiösen Beckenkammspans beschreiben Lee et al. (2000)
ein die Großzehenspitze umspannender Hautstreifen zur In- eine vollständige Neodaumenopposition zu allen Fingern. Bei einer
nervation und Durchblutung der Großzehe verbleibt. Amputationshöhe proximal des Metakarpophalangealgelenkes wird
5 Um eine Schädigung der germinativen Nagelmatrix zu ver- jedoch nur der Mittelfinger mit dem Neodaumen erreicht (Lee et al.
meiden, erfolgt die Dissektion unterhalb des Nagelbettes sub- 1995). Die Pinch-Kraft des Neodaumens reicht von 40–90%, die
periostal unter Mitnahme einer kortikalen Knochenschuppe. Grobkraft von 40–96,5% verglichen mit der unverletzten Seite (Lee
5 Die A. dorsalis pedis und V. saphena magna werden in Höhe et al. 2000).
des Fußrückens identifiziert und proximal abgesetzt. Für den Die sensorische Regeneration nach Nervennaht gemessen mit
Fall, dass die 1. dorsale Metakarpalarterie zu klein sein sollte, der statischen 2-Punkte-Diskrimination wird in der Literatur mit
empfiehlt sich die Verwendung der plantaren Metatarsalar­ durchschnittlich 9–12 mm angegeben (Lee et al. 2000; Mochert u.
terie. Raff 2008). In den Fällen, in denen zusätzlich zur Koaptation des
5 Über die plantare und longitudinale Inzision erfolgen die N. peroneus profundus mit dem R. superficialis n. radialis 2 Digital-
Identifizierung und Freilegung des plantaren fibularen Digi- nerven koaptiert werden konnten, zeigte sich mit durchschnittlich
talnervs. Gefäße und Nerv werden nach Freilegung weit pro- 8,2 mm die beste Regeneration. Das schlechteste Ergebnis mit einer
ximal abgesetzt (. Abb. 65.7). statischen 2-Punkte-Diskrimination von 15 mm wurde mit Koapta-
4 Schritt 3: tion nur eines einzelnen Digitalnervs erzielt (Lee et al. 1995).
5 Der 3. Operationsschritt beinhaltet bei fehlender Knochen- Lee und Wei beschreiben eine Sensibilitätsrückkehr nach frühe-
länge das Heben und Einsetzen des monokortikalen korti- stens 4–6 Monaten und heben hervor, dass ein geplanter Zehentrans-
kospongiösen Beckenkammspans. Dabei orientieren sich die fer im Hinblick auf die sensorische Regeneration innerhalb eines
Form und Größe des Spans an der des kontralateralen und Monats nach dem Trauma die besten Ergebnisse zeigt (Chu u. Wei
unverletzten Daumens. 1995).
5 Die Fixierung des Beckenkammspans erfolgt mittels ge- In Abhängigkeit zum Amputations-Level (distal oder proximal
kreuzten Kirschner-Drähten. des MCP-Gelenkes) wird eine Resorption des kortikospongiösen
4 Schritt 4: Beckenkammspans von durchschnittlich 7,4% in der Länge und
5 Der 4. Operationsschritt ist durch den Lappentransfer ge- 13,3% in der Breite (distal des MCP-Gelenkes) respektive 16,3%
kennzeichnet. Hierzu wird der Lappen um den kortikospon- und 16,7% proximal des MCP-Gelenkes beschrieben (Lee et al.
giösen Span herum gelegt (»wrap around«) und die Haut, 2000).
beginnend an der Spitze des Neodaumens, eingenäht. Ein Die Thromboserate wird in einer Langzeitnachuntersuchung
3. Kirschner-Draht transfixiert das Nagelbett, das Periost von Lee et al. (1995) mit 3% angegeben, partielle Hautnekrosen tra-
und die Kortikalis des Großzehentransplantates mit dem ko- ten in 20% der Fälle auf. Diese wurden durch Kürzung des korti-
rikospongiösen Beckenkammspan. kospongiösen Spans und Sekundärverschluss oder durch einen
5 Die Gefäße werden durch einen subkutanen Tunnel über eine Leistenlappen korrigiert.
longitudinale Inzision auf Höhe des Handgelenks ausgeführt Die häufigste Komplikation stellte die Resorption des Becken-
und hier die A. dorsalis pedis End-zu-Seit mit der Radialar- kammspans dar. Diese trat in mehr oder weniger starker Ausprägung
terie und die V. saphena magna End-zu-End mit der V. ce- in 50% der Fälle auf, wobei in einem der Fälle ein Ermüdungsbruch
phalica anastomosiert. 12 Monate postoperativ die Re-Osteosynthese mit Spongiosaplastik
5 Der plantare Digitalnerv sollte so weit distal wie möglich mit erforderlich machte (Lee et al. 1995).
dem ulnaren Digitalnerv koaptiert werden. Nagelwachstumsstörungen traten in nahezu allen Fällen auf,
4 Schritt 5: und Hebedefektmorbiditäten wurden als vernachlässigbar be­
5 Der letzte Operationsschritt besteht aus der Deckung des schrieben.
Hebedefektes durch die medialseitig belassene Hautbrücke, Zusammenfassend kann daher der »wrap-around flap« zur Dau-
einen Cross-Zehenlappen oder ein Spalthauttransplantat. menrekonstruktion insbesondere bei einer Amputationshöhe distal
des MCP-Gelenkes aufgrund seiner exzellenten funktionellen und
Komplikationen ästhetischen Ergebnisse mit geringer Hebedefektmorbidität als eine
Diese bestehen vornehmlich in einer venösen Stauung mit Throm- sinnvolle Alternative zum Zweitzehentransfer und zur Pollizisation
bosegefahr bei zu geringem Gefäßdurchmesser (<0,5 mm), in der empfohlen werden.
610 Kapitel 65 · Prinzipien des Daumenersatzes und sensorischer Ersatzoperationen

65.4 Postoperatives Management Kay SP, Wiberg M, Bellew M, Webb F (1996) Toe-to-hand transfer in children.
Part II: Functional and psychological aspects. J Hand Surg 21B: 735–745
Neben dem obligatorischen Perfusionsmonitoring mit Beurteilung Kozin SH, Weiss AA, Webber JB et al. (1992) Index finger pollicization for con-
genital aplasia or hypoplasia of the thumb. J Hand Surg 17A: 880–884
der Rekapillarisierung zählen die Heparinisierung mit niedermole-
Lee KS, Chae IJ, Hahn SB (1995) Thumb reconstruction with a free neurovas-
kularen Heparinen und die Gabe von Thrombozytenaggragations-
cular wrap-around flap from the big toe: long-term follow-up of thirty
hemmern (ASS) und tägliche Verbandswechsel zum standardisier- cases. Microsurger 16 (10): 692–7
ten postoperativen Management unserer Klinik. Dabei verzichten Lee KS, Park JW, Chung WK (2000) Thumb reconstruction with a wrap-around
wir zum Schutz der transplantierten Zehe auf irkuläre, potenziell free flap according to the level of amputation. Microsurgery 20 (1): 25–
schnürende Verbände und Kompressen in der Interdigitalfalte. Der 31
postoperative Verband besteht ausschließlich aus locker aufgelegten Leung PC, Wong WL (1983) The vessels of the first metatarsal web space.
und aufgeschüttelten Kompressen sowie einem Watteverband. J Bone Joint Surg 65 (A): 235
Bei Kindern wird eine Oberarmgipsschiene mit individueller Lister G (1991) Pollex abductus in hypoplasia and duplication of the thumb.
Anpassung auf Hand- bzw. Neodaumenniveau angelegt. J Hand Surg 16A: 626–633
Littler JW (1953) The neurovascular pedicle method of digital transposition
Eine Ruhigstellung dauert in Abhängigkeit zur knöchernen
for reconstruction of the thumb. Plast Reconstr Surg 12: 303–319
Konsolidierung und Ausheilung der Sehnennähte 8–12 Wochen,
Lowdon IMR, Nunley JA, Goldner RD, Urbaniak JR (1987) The wraparound
wird aber ab der 4. Woche mit passiver vorsichtiger Krankengym­ procedure for thumb and finger reconstruction. J Microsurg 8: 154–157
nastik ergänzt. Nach Einleitung der krankengymnastischen und Manske PR, McCarroll HR (1992) Reconstruction of the congenitally deficient
ergotherapeutischen Übungsbehandlung wird der Verlauf regel­ thumb. Hand Clin 8: 177–196
mäßig ambulant kontrolliert im Hinblick auf das funktionelle und Manske PR, McCaroll HR (1995) Type IIIA hypoplastic thumb. J Hand Surg 20A:
sensorische Ergebnis. 246–253
Manske PR, Rotman MB, Dailey LA (1992) Long-term functional results after
pollicization for the congenitally deficient thumb. J Hand Surg 17A:
Literatur 1064–1072
Bayne LG, Klug MS (1987) Long-term review of the surgical treatment of ra- Mochert J, Raff T (2008) Secondary thumb reconstruction after avulsion or
dial deficiencies. L Hand Surg 12A: 169–179 amputation injury with free wrap-around toe flap. Handchir Mikrochir
Berger A, Tizian C (1985) Anatomical variations in blood vessels and their Plast Chir 40 (2): 115–121
effect on the technic in toe transfer. Handchir Mikrochir Plast Chir 17 (2): Morrison WA, O’Brien BM, Macleod AM (1980) Thumb reconstruction with a
89–91 free neurovascular wrap-around flap from the big toe. J Hand Surg 5:
Blauth W (1967) Der hypoplastische Daumen. Arch Orthop Unfallchir 62: 575–583
225–246 Nunley JA, Goldner RD, Urbaniak JR (1985) Thumb reconstruction by the
Buck-Gramcko D (1971) Pollicization of the index finger. J Bone Joint Surg wrap-around method. Clin Orrhop 195: 97–103
53A: 1605–1617 O’Brien B, Morrison W (1987) Reconstructive microsurgery. Churchill Living-
Chu NS, Wei FC (1995) Recovery of sensation and somatosensory evoked po- stone, Philadelphia
tentials following toe-to-digit transplantation in man. Muscle Nerve 18: O’Brien B McC, Black M, Morrison WA, MacLeod AM (1978) Microvascular great
859–866 toe transfer for congenital absence of the thumb. Hand 10: 113–124
Clark DI, Chell J, Davis TR (1988) Pollicisation of the index finger. A 27-year Royle ND (1938) An operation for paralysis of the intrinsic muscles of the
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Doi K, Hattari S, Kawai S, Nakamura S, Kotani H, Matsuoka A, Sunago K (1981) Scheker LR, Cendale LC (2000) In: Gupta A, Kay SPJ, Scheker LR (eds) Correct-
A new procedure on making a thumb one stage reconstruction with free ing congenital thumb anomalies in children: opponensplasty and polli-
neurovascular flaps and iliac bone graft. J Hand Surg 6: 346–350 cization. The growing hand. Mosby, St. Luis London, p 171–182
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wrap-around flap from the big toe and iliac-bone graft. J Bone Joint Surg Surg 1A: 8–22
Am 67: 439–44 Urbaniak JR (1985) Wrap around procedure for thumb reconstruction. Hand
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65 struction. Tech Hand Up Extrem Surg 6 (3): 124–132


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Yang D, Yudong G (1979) Thumb reconstruction utilizing second toe trans-
plantation by microvascular anastomosis. Report of 78 cases. Chin Med J
of the congenitally hypoplastic or absent thumb. J Hand Surg 8A: 839– 92: 295–301
848 Zhang L, Pan Y, Tian G, Tian W, Guo X, Wang M. Zhongguo Xiu Fu Chong Jian
Foucher G, Van Genechten F, Merle M, Michon J (1984) Single stage thumb Wai Ke Za Zhi (2010) Thumb reconstruction with modified free wrap-
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Hahn SB, Park HJ, Kang HJ, Kang ES (2001) Finger reconstruction with a free
neurovascular wrap-around flap from the big toe. J Reconstr Microsurg
17 (5): 319–323
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Huber E (1921) Hilfsoperation bei Medianuslähmung. Dtsch Z Chir 162: 271–
275
Ian MR, Cowdon FRCS, James R, Urbaniak MD (1987) The wrap-around proce-
dure for thumb and finger reconstruction. J Microurg 8: 154–157
Kay SP, Wiberg M (1996) Toe to hand transfer in children. Part I. Technical
aspects. J Hand Surg 21B: 723–734
IX

Plastische Chirurgie der Brust


P. Vogt

Kapitel 66 Anatomie und Untersuchung der Brust   – 613


A. Heckmann

Kapitel 67 Benigne Tumoren der Brust   – 619


A. Heckmann

Kapitel 68 Maligne Tumoren der Brust   – 623


A. Heckmann, K.H. Breuing, P.M. Vogt, A. Gohritz
In dieser Sektion werden die speziellen Aspekte der Tumorerkrankungen der Brust behandelt, die für den
Plastischen Chirurgen relevant sind. Die heute sehr differenzierte onkologische Therapie, insbesondere die
bruster­haltende Tumorektomie, wird in interdisziplinären Brustzentren durchgeführt. Neuere multimodale
Verfahren, vorrangig mit dem Ziel des Organerhalts, haben dabei primär radikale ablative Verfahren abgelöst.
66

Anatomie und Untersuchung


der Brust
A. Heckmann

66.1 Entwicklung – 614

66.2 Anatomie – 614


66.2.1 Brustdrüse – 614
66.2.2 Gefäßversorgung – 614
66.2.3 Lymphabfluss   – 614
66.2.4 Innervation – 615

66.3 Diagnostik – 615


66.3.1 Klinische Untersuchung – 615
66.3.2 Nichtinvasive Untersuchungstechniken – 616
66.3.3 Invasive Untersuchungstechniken – 617

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
614 Kapitel 66 · Anatomie und Untersuchung der Brust

66.1 Entwicklung
Die Brustdrüse geht aus dem nicht zurückgebildeten Rest der beiden
Milchleisten hervor. Sie entwickelt sich aus einer umschriebenen
Epithelverdickung, von der bis zu 25 sich verzweigende Epithelzapfen
in die Subkutis vorwachsen und später die Drüsenlappen bilden.
Die Brustdrüsen sind bei beiden Geschlechtern vorhanden und
grundsätzlich gleichartig aufgebaut. Ab der Pubertät unterliegt die
weibliche Brustdrüse sexualzyklischen Veränderungen und beginnt,
sich über die Thelarche ca. ab dem 10. Lebensjahr zu entwickeln. Die
volle Entfaltung erfährt sie nur bei der Frau, und zwar während der
Gravidität und der Laktation. Nach Beendigung der Keimdrüsenak-
tivität geht die Brust in eine Altersinvolution über.

66.2 Anatomie
66.2.1 Brustdrüse

Die Brustdrüse (. Abb. 66.1) besteht aus dem Drüsenkörper, der


sich zusammensetzt aus
4 Drüsengewebe,
4 umgebenem Fettgewebe, a
4 Bindegewebssepten und
4 Brustwarze.

Über einen Proc. lateralis projiziert sich die Brust nach kraniolateral
in Richtung Axilla. Das Verhältnis von Fett- zu Drüsengewebe vari-
iert individuell. Mit Erreichen der Menopause verändert sich dieses
Verhältnis zugunsten des Fettgewebes unter Rückgang des Drüsen-
anteils.
Die Milchdrüse besteht aus 15–25 radiär angeordneten tubulo- b
alveolären Einzeldrüsen, die jeweils einzeln in die Brustwarze mün-
den. Die Milchdrüse gliedert sich in
4 Ductus lactifer(i) (Milchgänge),
4 Ductus lactiferus colligens (Ausführungsgang) und
4 Sinus lactifer(i) (Milchsäckchen).
. Abb. 66.1 Anatomischer Aufbau der weiblichen Brust (Ansicht a von
ventral, b von lateral)
Diese sind für die Sekretion der laktierenden Mamma zuständig und
münden in der Spitze der Brustwarze, die das Zentrum des Mamil-
len-Areolen-Komplex bildet. Dessen Haut ist stark pigmentiert und A. thoracoacromialis und der A. thoracodorsalis versorgt. Faszien-
enthält Talg- und Schweißdrüsen, feine Härchen und apokrine nahe Anteile des Corpus mammae erhalten ihren arteriellen Zufluss
Areolendrüsen, die bei Kontraktion der glatten Muskulatur als Tu- über Rr. mammarii des R. cutaneus lateralis der 2–5. Interkostal­
bercula Montgomery knötchenförmig hervorspringen können. arterie. Die Durchblutung der Brusthaut erfolgt über einen subder-
Jede Drüse ist von einem zellreichen Bindegewebsmantel umge- malen Plexus, welcher mit den tieferen das Brustparenchym versor-
66 ben, wird durch straffe Bindegewebssepten (Retinacula) von den genden Gefäßen kommuniziert.
Nachbardrüsen getrennt und ist mit dem umgebenden Fettgewebs- Der venöse Abfluss erfolgt über Vv. thoracicae internae und
körper verbunden. Über Ligg. suspensoria (Cooper-Ligamente) ist laterales.
die Drüse fest mit der Haut und verschieblich auf der Muskelfaszie
fixiert.
Der Bindegewebsapparat bestimmt Form und Festigkeit der 66.2.3 Lymphabfluss
Brustdrüse. Mit Verlust der Elastizität des Bindegewebsapparats und
des Drüsenanteils im Alter und nach dem Stillen kommt es zu einer Beim Lymphabfluss sind 2 Lymphgefäßnetze zu unterscheiden:
zunehmenden Ptosis der Brust. 4 ein oberflächliches unter der Brustwarze, dem Warzenhof und
der Haut, und
4 ein tiefes innerhalb des Drüsenparenchyms.
66.2.2 Gefäßversorgung
Die Lymphflüssigkeit erfährt 2 hauptsächliche Drainagewege
Die arterielle Versorgung der Brustdrüse erfolgt im medialen Ab- (. Abb. 66.2):
schnitt durch Rr. mammarii mediales aus der 2–4. Interkostalarterie 4 die axilläre Abflussbahn, die hauptsächlich die Lymphflüssigkeit
aus der A. thoracica interna. Lateral und kranial wird die Brustdrüse aus den lateralen Brustbereichen zu den axillären Lymphknoten
über Rr. mammarii laterales aus der A. thoracica lateralis, der drainiert,
66.3 · Diagnostik
615 66

a b

. Abb. 66.2 Querschnitt der Brustdrüse (a). Lymphsystem der weiblichen Brust (b): axillar, infraklavikulär, parasternal

4 die interkostale Abflussbahn, die vornehmlich die mediale Drü- 66.3 Diagnostik
se zu den parasternalen Lymphknoten drainiert.
66.3.1 Klinische Untersuchung
Relevanz beim Mammakarzinom
Durch die häufig lymphogene Metastasierung eines Mammama­ In den vergangenen Jahren konnten mehrere Studien zeigen, dass die
lignoms finden sich erste Metastasen meistens in den axillären Vorsorgeuntersuchung und Früherkennung beim Mammakarzinom
Lymphknoten, über die ein Großteil der Lymphflüssigkeit der Brust- zu einer Absenkung der Mortalität bzw. zu höheren Überlebensraten
drüse drainiert wird. Bei Befall können die axillären Lymphknoten führt (Brenner et al. 2005). Die klinische Untersuchung der weib-
vergrößert und palpabel sein, weshalb bei der Tastuntersuchung der lichen Brust stützt sich auf die gezielte Befragung in der Anamnesee-
Brust auch immer beide Axillen mit abgetastet werden sollten. Ul- rhebung, die Inspektion, die Palpation und weiterführende tech-
traschalluntersuchung, Stanzbiopsien, die Sentinel-Lymphknoten- nische Verfahren.
biopsie oder die axilläre Lymphadenektomie gehören hierbei zu den
diagnostischen und therapeutischen Standardprozeduren. Inspektion, Palpation. Inspektion und Palpation sollten sowohl an
Seltener metastasiert das Mammakarzinom lymphogen über die der stehenden als auch an der auf dem Rücken liegenden Patientin
parasternalen und subklavikulären Bahnen. Dennoch sollten auch vorgenommen werden. An der stehenden Patientin sind Form, Nip-
diese Bereiche bei jeder Brustuntersuchung immer mit abgetastet pelposition und die Haut gut zu beurteilen. Asymmetrie, Inversion
werden. Die Metastasierung erfolgt zudem auch hämatogen, hierbei oder Bluten der Brustwarze, Hauteinziehungen oder -vorwölbungen
bevorzugt in Knochen und Leber. und Koloritveränderungen sind mögliche zu entdeckende Verände-
rungen, die einen malignen Prozess andeuten können. Zudem kön-
nen in der stehenden Position supra- und infraklavikuläre sowie
66.2.4 Innervation axilläre Lymphadenopathien gut getastet werden.

Die Innervation der Brust erfolgt über die anterolateralen und me- Körperliche Untersuchung. Die körperliche Untersuchung der
dialen Äste der Interkostalnerven 1–4 über Rr. mammarii laterales Brust umfasst den Bereich zwischen Klavikula, medialem Sternal-
und mediales aus dem R. cutaneus lateralis und medialis. Suprakla- rand, mittlerer Axillarlinie und Submammarfalte. Zusätzlich werden
vikuläre Nerven aus dem Plexus cervicalis innervieren zusätzlich die Lymphabflussgebiete der Axilla, der Infra- und Supraklavikular-
kraniale und laterale Bereiche der Brust. Die Innervation des Mamil- gruppe und parasternal abgetastet. Die Befunde werden den 4 Qua-
len-Areolen-Komplexes erfolgt primär über den lateralen Ast aus dranten, der Mamillenregion und den Lymphabflussgebieten zuge-
dem Segment T4. ordnet. Darüber hinaus sind Größe, Konsistenz eines evtl. vorhan-
denen Knotens, umgebendes Gewebe, Tiefenausdehnung, Fixierung
zur Haut und zur Unterlage zu dokumentieren.
616 Kapitel 66 · Anatomie und Untersuchung der Brust

> Die Brustuntersuchung sollte bei prämenopausalen Mammographie-Screening. In Deutschland wird derzeit ein nati-
Frauen in der 1. Zyklushälfte erfolgen. Bei auffälligen Be- onales Mammographie-Screening-Programm zur Brustkrebsvor-
funden in der 2. Zyklushälfte sollte eine Befundkontrolle sorge unter Beachtung der entsprechenden europäischen Leitlinie
in der 1. Zyklushälfte nach Abschluss der Regelblutung er- aufgebaut. Dieses Mammographie-Screening ist für Frauen ab dem
folgen. Alter von 50 Jahren bis zum Ende des 70. Lebensjahres konzipiert
und Bestandteil der Richtlinie über die Früherkennung von Krebser-
Selbstuntersuchung. Die Selbstuntersuchung der Brust durch die krankungen (Gemeinsamer Bundesausschuss gemäß § 91 SGB V,
Frau wird monatlich postmenstruell ab einem Alter von 18 Jahren 2004). Für das Mammographie-Screening wurde unter Betrachtung
empfohlen. Ab dem 20. Lebensjahr sollte eine jährliche inspekto- der vorliegenden Studiendaten in der 2006 erfolgten Cochrane-Ana-
rische und palpatorische Untersuchung durch einen Arzt erfolgen. lyse eine relative Risikoreduktion der Brustkrebssterblichkeit von ca.
Die Leitlinie der Amerikanischen Cancer Society (Smith et al. 2003) 15% erhoben (Gøtzsche u. Nielsen 2006).
empfiehlt die klinische Untersuchung der Brust im Alter von 20–40
Jahren, bevorzugt alle 3 Jahre im Rahmen von periodischen Gesund- Indikationen. Die Indikationen zur Mammographie zeigt die
heitsuntersuchungen sowie eine jährliche ärztliche Untersuchung in . Übersicht.
Kombination mit einer Mammographie für Frauen ab dem 40. Le-
bensjahr.
Indikation für Mammographie
BRCA-1, BRCA-2, BRCA-3. Frauen mit einer Mutation in den Genen 4 Knoten in der Brust
BRCA-1, -2 und/oder -3 oder mir einem anderen hohen Risiko sol- 4 Verhärtung der Brust oder von Teilen der Brust
len in spezialisierten Zentren für erblichen Brustkrebs beraten und 4 Tastbar vergrößerte Lymphknoten in der Achsel-
hinsichtlich einer Früherkennungstherapie betreut werden (Stufe-3- höhle
Leitlinie, 1. Aktualisierung 2008) 4 Bei erhöhtem Risiko für Brustkrebs (eigene Erkrankung,
Krebsvorstufen oder familiäre Belastung)
LCIS, ADH. Frauen mit einem lobulären Carcinoma in situ (LCIS)
oder atypischer duktaler Hyperplasie (ADH) haben ein höheres re-
latives Risiko, Brustkrebs zu entwickeln. Diese Frauen sollten jähr- Dabei gilt polymorpher, gruppiert liegender Mikrokalk als frühes
lich Kontrollmammographien erhalten. diagnostisches Kriterium des duktalen Carcinoma in situ (DCIS;
Die meisten Tumoren in der Brust werden von der Frau meist in Frühkarzinom). In diesem Frühstadium des Tumors sind die Mikro-
Form einer Hautvorwölbung, Hauteinziehung (sog. Plateauphäno- verkalkungen in 80–90% der Fälle oft alleiniger Hinweis für einen
men) oder durch Tastbefund selbst entdeckt. malignen Prozess.

Malignitätszeichen. Beim sog. Jackson-Test kommt es zu einer Galaktographie


Verstärkung der Einziehung, wenn die Haut über dem Tumor zu- Eine Sonderform der Mammographie ist die Galaktographie. Bei
sammengeschoben wird. Im fortgeschrittenen Stadium kann es zur Verdacht auf einen malignen Prozess der Brustwarze oder der Milch-
sog. »peau d’orange« oder zur Retraktion der Mamille kommen. gänge kann eine Röntgenaufnahme nach intraduktaler Kontrastmit-
Auch eine blutige Sekretion aus der Mamille ist in ca. 5% der Fälle telapplikation durchgeführt werden.
möglich. Eine chronisch ekzematös veränderte Mamille ist oft Aus-
druck des M. Paget, dem Mamillenkarzinom bzw. der extraduktalen Sonographie
Manifestation eines intraduktalen Malignoms. Ergänzend zur Tastuntersuchung und Mammographie bietet die ob-
ligate Ultraschalluntersuchung wertvolle Zusatzinformationen.
! Cave
Jedes Mamillenexzem ist bis zum Beweis des Gegenteils
Indikationen. Die Sonographie wird insbesondere bei röntgendich-
hochverdächtig auf einen malignen Prozess.
ter Brust, einem mammographischen Rundherd sowie bei einem
positiven Tastbefund ohne Mammographienachweis durchgeführt.
> Der Brustschmerz selbst ist kein Malignitätskriterium,
Insbesondere bei jungen Frauen, die durch ihre vergleichsweise drü-
66 jedoch in ca. 7% der Erstmanifestationen von Brustkrebs
sen- und bindegewebsreiche Brust eine mammographisch schwer zu
das Erstsymptom.
beurteilende Brust haben, oder bei Frauen mit kleinen Brüsten be-
sitzt die Sonographie eine hohe diagnostische Aussagekraft. Zudem
lassen sich Zysten von knotigen Veränderungen gut differenzieren.
66.3.2 Nichtinvasive Untersuchungstechniken Auch das seltene intrazystische Karzinom kann durch die Sonogra-
phie gut diagnostiziert werden. Die Sonographie wird ebenfalls oft
Mammographie bei schwangeren Frauen angewandt, um eine Strahlenbelastung zu
Die Röntgenuntersuchung der Brust erfolgt mit weicher Strahlung vermeiden.
(26–30 kV) von cc (kraniokaudal) und mlo (mediolateral) sowie Mikrokalk hingegen lässt sich im Gegensatz zur Mammographie
­oblique (Schrägaufnahme). Sie dient im Rahmen der Brustkrebs- bei der Sonographie nur schwer nachweisen. Bei palpablen ober-
früherkennung der Detektion von nicht tastbaren Knoten und der flächlichen Tumoren hat die Sonographie sogar eine Sensitivität von
Verlaufsbeurteilung bei fraglichen Befunden und der Tumor- 90–98% und ist damit der Mammographie überlegen. Bei nicht pal-
nachsorge. pablen Tumoren ist es umgekehrt.
Ihre Sensitivität beträgt in Abhängigkeit von der Dichte des
Brustgewebes 85–90%. Insbesondere beim Vorliegen von Mikrokalk Doppler-Sonographie. Als spezielle Methode kann die Doppler-
(→ DCIS) hat die Mammographie eine hohe Aussagekraft. Ihre Spe- Sonographie eine gesteigerte Durchblutung als Hinweis auf einen
zifität bezüglich der Tumorart ist jedoch gering. bösartigen Tumor anzeigen.
66.3 · Diagnostik
617 66
Wertigkeit. Als alleinige Untersuchungsmethode hat die Ultra- Vakuumbiopsie
schalluntersuchung allerdings nicht die Aussagekraft der Mammo- Mit dieser Methode können noch größere Gewebeproben als mit der
graphie, ergänzt diese aber. herkömmlichen Stanzbiopsie entnommen werden. Die hier verwen-
dete Kanüle hat im Vergleich zu derjenigen der Stanzbiopsie (12–
Kernspintomographie (Magnetresonanz­ 14 G) eine Größe von 11 G. In der Regel ist sie unter mammogra-
tomographie, MRT) phischer Sicht stereotaktisch geführt. Es werden 10–20 Biopsien
Dieses Verfahren gehört nicht zu den Routineuntersuchungen bei gewonnen. Dabei wird Gewebe seitlich in die Hohlnadel gesaugt und
der Brustkrebserkennung. Ausnahmen stellen Frauen mit einem mit einem kleinen rotierenden Messer abgetrennt. Je mehr Gewebe
stark erhöhten Krebsrisiko dar, sodass das Früherkennungspro- entnommen werden kann, desto sicherer ist auch die Diagnose.
gramm oft schon mit 25 oder 30 Jahren beginnen muss.
Exfoliativzytologie
Indikationen. Die Kernspintomographie wird u. a. empfohlen nach Sie dient der Aufklärung von Epithelveränderungen der Brustwarze
Operationen oder Bestrahlungen zur Unterscheidung von Narben- und des Warzenhofs, insbesondere bei Diagnostik des M. Paget der
und Tumorgewebe. Sie dient zur Kontrolle nach Tumorektomie und Mamille.
Radiatio 1 Jahr nach Ende der Bestrahlung und nach prothetischer
Brustrekonstruktion. Sie ist indiziert nach Brustaugmentation mit Stereotaktisch geführte Biopsie (ABBI-System)
Silikonimplantaten oder als weiterführende präoperative Diagnostik Diese derzeit noch umstrittene minimalinvasive Methode unter
bei mammographisch dichtem Gewebe, bei Verdacht auf eine mul- mammographischer Sicht dient zur En-bloc-Resektion eines Areals
tizentrische Tumorlokalisation oder bei einem kontralateralen mit suspektem Mikrokalk. Die Kanülen haben zur Gewinnung von
Zweittumor. Ebenso lässt sich ein Therapiemonitoring bei neoadju- großen Gewebeblöcken bzw. zur En-bloc-Resektion einen Durch-
vanter Chemotherapie zur Differenzierung zwischen Responder messer von bis zu 2 cm.
und Non-Responder nach dem 2. Zyklus durchführen.
Das MRT besitzt eine niedrige Spezifität, aber eine sehr hohe Exzisionsbiopsie
Sensitivität von 95–97%. Grundsätzlich werden alle Formen von Exzisionsbiopsien wie bei
einer brusterhaltenden operativen Therapie durchgeführt. Die For-
men der Exzisionsbiopsie sind:
66.3.3 Invasive Untersuchungstechniken 4 offene Biopsien,
4 diagnostische Exzidate nach präoperativer Lokalisation eines
Standards invasiver Diagnostik nicht tastbaren Befundes mittels radiologisch gesteuertem Mar-
Bei einem suspekten Befund mit fraglicher Dignität nach Mam­ kierungsdraht,
mographie, Ultraschall oder Kernspintomographie ergibt sich die 4 Tumorektomien,
Notwendigkeit zur Gewebeprobe. Diese Biopsie gibt nach histopa­ 4 Lumpektomien,
tho­logischer Beurteilung Klarheit, ob eine Veränderung gut- oder 4 Segmentresektionen eines tastbaren Befundes.
bösartig ist. Bei Karzinomverdacht muss immer eine histologische
Abklärung erfolgen. Literatur
Vor jedem operativen Eingriff zur Tumorentfernung ist heute Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen 2004, am
15.Dezember 2003, Bundesanzeiger Nr. 1 (S. 2) vom 3. Januar 2004
seine histologische Befundsicherung mittels minimalinvasiven Me-
Brenner H, Stegmaier C, Ziegler H (2005) Verbesserte Langzeitüberlebensra-
thoden wie der Stanzbiopsie zu fordern. Mindestens 5 Probenent-
ten von Krebspatienten. Die unterschätzten Fortschritte der Onkologie.
nahmen sind dabei obligat. Dtsch Ärztebl 102: 2628–2633
Kann präoperativ die Dignität histologisch nicht festgestellt wer- De Wolf C 1996 European Guiedelines for Quality Assurance in Mammogra-
den, ist entweder intraoperativ eine Schnellschnittuntersuchung phy Screening, 2nd edn. Office for Official Publications of the European
durchzuführen oder zweizeitig vorzugehen. Communities, Luxembourg
Gøtzsche PC, Nielsen M (2006) Screening for breast cancer with mammogra-
Feinnadelpunktion/Aspirationszytologie phy. Cochrane Database Syst Rev (4): CD001877
Eine sehr feine Nadel wird mehrfach in die Brust eingestochen und Hölzel D, Klamert DA, Schmidt M 1996 Krebs – Häufigkeiten, Befunde und
Zellen aspiriert. Die Menge des gewonnen Materials ist gering, und Behandlungsergebnisse – Perspektiven für die Krebsdiskussion und eine
quantitative klinisch-epidemiologische Onkologie. Tumorregister
es besteht die Gefahr von falsch-negativen Ergebnissen. Die Feinna-
München
delpunktion wird heutzutage von anderen Methoden wie der Stanz-
Smith R et al. (2003) American Cancer Society guidelines for breast cancer
biopsie verdrängt. Die Methodik hat aber einen Vorteil bei Zysten, screening, Update 2003. CA Cancer J Clin 53: 141–169
die zeitgleich aspiriert werden können. Stufe-3-Leitlinie, Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland, 1. Aktualis-
ierung 2008
Stanzbiopsie (Hochgeschwindigkeitsstanzbiopsie) WHO (World Health Organisation) 2002 Pressemitteilung der International
Die Stanzbiopsie ist heute die Standardmethode für eine Gewebsent- Agency for Research on Cancer (IARC) am 19.03.2002
nahme.
Mit einer etwa 1,5 mm dicken Hohlnadel, die mit einem Stanzge-
rät nach örtlicher Betäubung mit hoher Geschwindigkeit in die Brust
»geschossen« wird, kann im Vergleich zur Feinnadelpunktion relativ
viel Gewebe entnommen und histopathologisch aufgearbeitet wer-
den. Dabei sind mindestens 5 Stanzzylinder für ein aussagekräftiges
Ergebnis obligat.
67

Benigne Tumoren der Brust


A. Heckmann

67.1 Normalbefund und benigne Läsionen – 620

67.2 Benigne epitheliale Läsionen – 620

67.3 Benigne papilläre Läsion (Papillom) – 620


67.3.1 Intraduktales Papillom – 621

67.4 Myoepitheliale Läsionen – 621


67.4.1 Myoepitheliose – 621

67.5 Fibroepitheliale Läsionen – 621


67.5.1 Fibroadenom – 621
67.5.2 Phylloidestumor (Cystosarcoma phylloides) – 621

67.6 Intraduktale proliferative Läsionen – 621


67.6.1 Gewöhnliche duktale Hyperplasie – 621
67.6.2 Flache epitheliale Atypie (FEA) – 621
67.6.3 Kolumnarzellhyperplasien mit architekturellen Atypien – 621
67.6.4 Atypische duktale Hyperplasie, ADH (auch atypische intraduktale
Hyperplasie, AIDH)   – 621

67.7 Lobuläre Neoplasie (lobuläres Carcinoma in situ, atypische lobuläre


Hyperplasie) – 621

67.8 Sonstige Läsionen der Mamma – 622


67.8.1 Lipom   – 622
67.8.2 Mastopathie (Mammadysplasie, Mastopathia cystica fibrosa,
engl. »cystic disease«) – 622
67.8.3 Periduktale Mastitis (Duktektasie, Plasmazellmastitis) – 622
67.8.4 Solitärzysten – 622

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
620 Kapitel 67 · Benigne Tumoren der Brust

Die Nomenklatur und Gruppierung der gutartigen Mammaläsionen


orientieren sich an der WHO-Klassifikation der Tumoren der Mam- Benigne epitheliale Läsionen
ma (WHO 2003) und ergänzend an den »Europäischen Leitlinien 4 Duktale Hyperplasie
für die Qualitätssicherung der Pathologie beim Mammographie- 4 Sklerosierende Adenose
screening« (Amendoeira 2006). 4 Apokrine Adenose
Gutartige Tumoren zeichnen sich in der Regel durch ein lang- 4 Mikroglanduläre Adenose
sames und verdrängendes Wachstum aus. Der Tumor ist zum umge- 4 Duktales Adenom
benden Gewebe durch z. B. eine Kapsel oder Pseudokapsel gut ab­ 4 Radiäre Narbe
gegrenzt. Das Tumorgewebe ist homolog und gut differenziert mit 4 Komplexe sklerosierende Läsion
wenigen oder keinen Zellveränderungen. Es werden keine Metasta-
sen entwickelt, und es entstehen selten Rezidive.
Die Diagnose einer radiären Narbe oder komplexen sklerosierenden
Läsion in der Stanz- und Vakuumbiopsie bedeutet in der Regel eine
67.1 Normalbefund und benigne Läsionen Einstufung in die B3-Kategorie (Amendoeira 2006) und daher eine
Indikation für eine operative Exzision (. Tab. 67.1). Davon ausge-
Normalgewebe zeigt altersabhängig Veränderungen wie z. B. eine nommen sind kleine radiäre Narben, die in einer Vakuumbiopsie
Fibrose oder lobuläre Involution, eine mikroskopische Dilatation der vollständig erfasst sind und einen histologischen Zufallsbefund
Azini und Gänge sowie eine geringe mikrozystische Adenose. (ohne mammographisches Korrelat) darstellen.
Die fibrös-zystische Mastopathie ist gekennzeichnet durch Grund für die Zuordnung der B3-Kategorie ist, dass in der Peri-
Veränderungen, die mit einer ausgeprägten, makroskopisch sicht- pherie mammographisch entdeckter radiärer Narben und komple-
baren Zystenbildung, apokriner Metaplasie und Fibrose einherge- xer sklerosierender Läsionen relativ häufig atypische duktale Hyper-
hen. Hiervon kann die solitäre Zyste abgegrenzt werden, die in der plasien und Karzinome (in situ und invasiv) nachweisbar sind
Regel einen Durchmesser >1 cm besitzt und von einem flachen oder (WHO 2003). In 4–32% der Exzidate nach stanzbioptischer Diagno-
apokrinen Epithel ausgekleidet wird. se einer radiären Narbe liegt ein duktales Carcinoma in situ (DCIS)
Die häufig plasmazellreiche, chronische Entzündungsreaktion oder invasives Karzinom vor, insbesondere dann, wenn in der Stanz-
der periduktalen Mastitis (Duktektasie, Plasmazellmastitis) betrifft biopsie bereits eine atypische duktale Hyperplasie (ADH) registriert
in der Regel subareolär gelagerte mittelgroße und größere Gänge. Sie wurde.
kann mit einer ausgeprägten periduktalen Fibrose und Kalzifika­
tionen einhergehen.
67.3 Benigne papilläre Läsion (Papillom)
67.2 Benigne epitheliale Läsionen Es zeigt sich ein baumartiges fibrovaskuläres Stroma mit luminalem
Drüsenepithel, mit basalem Myothel, häufig mit duktaler Hyperpla-
Zu der Gruppe der benignen epithelialen Läsionen werden die in der sie kombiniert. Die solitäre Form kommt überwiegend zentral in
. Übersicht gelisteten Veränderungen des Brustgewebes gezählt. subareolären Gängen vor (zentrales Papillom). Multiple Läsionen

. Tab. 67.1 B-Klassifikation bei Mammastanzbiopsien (NHSBSP 50)

Klassifikation B1 B2 B3 B4 B5

Normal Gutartig Gutartig, aber mit erhöhtem Suspekt Maligne


Risiko für Malignom oder häufi-
ger Assoziation mit Malignom
Definition Normales oder Benigne Läsionen Läsionen unsicheren Verdacht auf Maligne Läsionen
nicht interpretier- 4 Fibrozystische Malignitätspotenzials Malignität a) Duktales Carcinoma
bares Gewebe Veränderungen 4 Größere/multiple papilläre in situ (DCIS)
4 Benignes 4 Fibroadenome Läsionen mit/ohne Atypien 4 LIN (CLIS) vom
67 Parenchym 4 Sklerosierende 4 Radiäre Narbe, komplexe pleomorphen
mit/ohne Adenose sklerosierende Läsion Subtyp G3
minimale 4 Gangektasie, 4 Lobuläre intraepitheliale 4 LIN mit Komedone-
Veränderungen Abszess, Fett­ Neoplasie (LIN) krosen
4 Artefakte, gewebsnekrose 4 ADH b) Invasives Karzinom
ausgedehnte 4 Zylinderzellmeta- 4 Phylloider Tumor; ggf. un- c) Invasionsstatus nicht
Blutungen und -hyperplasien klarer fibroepithelialer Tumor beurteilbar
ohne Atypie 4 Zylinderzellmeta- und - d) Anderer maligner
4 Kleine intraduk­ hyperplasien mit Atypie Tumor (z. B. Lymphom,
tale Papillome Metastase)
Thrapie­ Weitere Diagnostik Keine weitere Diagnos­ In der Regel weitere diagnosti- Weitere diagnos- Therapie erforderlich
empfehlung erforderlich, falls tik, wenn im Einklang sche Biopsie nötig – präoperati- tische Biopsie
Diskrepanz mit mit Klinik und Radio- ves, multidisziplinäres Konsilium! erforderlich
Radiologie logie Keine sofortige Therapie erlaubt Keine Therapie
erlaubt
67.7 · Lobuläre Neoplasie (lobuläres Carcinoma in situ, atypische lobuläre Hyperplasie)
621 67
finden sich eher in peripheren terminalen duktulolobulären Einhei- 67.6 Intraduktale proliferative Läsionen
ten (peripheres Papillom). Sie sind z. T. assoziiert mit der atypi-
schen Hyperplasie, dem duktalen Carcinoma in situ (DCIS) oder In der aktualisierten WHO-Klassifikation (WHO 2003) werden in
einem invasiven Karzinom. dieser Gruppe verschiedene intraduktale Proliferationen zusam-
Die Diagnose eines atypischen Papilloms nach WHO erfordert mengefasst, die einen gemeinsamen Ausgangsort haben: die termi-
eine fokale intraduktale Epithelproliferation, die einer atypischen nale duktulolobuläre Einheit (TDLU). Sie sind, allerdings in deutlich
duktalen Hyperplasie (ADH) oder einem kleinen Low-grade-DCIS unterschiedlichem Ausmaß, mit einem erhöhten Risiko für die Ent-
entspricht; d. h. die fokale atypische Proliferation uniformer Zellen wicklung eines invasiven Mammakarzinoms ver­bunden.
mit Low-grade-Kernen (WHO 2003). Atypische apokrine Prolifera-
tionen können vernachlässigt werden, es sei denn, sie sind sehr aus-
gedehnt, dominant oder hochgradig atypisch (Putti et al. 2005). 67.6.1 Gewöhnliche duktale Hyperplasie

Diese weist nur ein sehr gering erhöhtes Risiko (1,5-fach) für die
67.3.1 Intraduktales Papillom Entwicklung eines Mammakarzinoms auf.

Hierbei handelt es sich um Papillome des Milchgangepithels, die


einzeln oder multipel (Papillomatose) auftreten können. Klinische 67.6.2 Flache epitheliale Atypie (FEA)
Symptome sind häufig serös-blutig sezernierende Mamillen. Histo-
logisch besteht der Tumor aus Drüsenepithel und Myoepithel und Unklar ist derzeit die biologische Signifikanz und damit die klinische
wächst bäumchenartig im Milchgang. Die Papillomatose hat im Bedeutung der FEA. Einerseits finden sich in der Nachbarschaft ei-
Vergleich zum solitären Papillom ein erhöhtes Malignomrisiko. ner FEA gehäuft lobuläre Neoplasien, ADH, Low-grade-DCIS oder
gut differenzierte invasive Karzinome. Andererseits zeigt die der­
zeitige Studienlage nur ein sehr geringes Progressionsrisiko (Pinder
67.4 Myoepitheliale Läsionen et al. 2007; Schnitt 2003).

67.4.1 Myoepitheliose
67.6.3 Kolumnarzellhyperplasien
In der Regel sind Adenomyoepitheliome benigne. Sie besitzen aber mit architekturellen Atypien
ein geringes malignes Potenzial, weshalb sie in der Stanz-/Vakuum-
biopsie als B3 eingestuft werden und eine vollständige Exzision emp- Diese zeigen im Gegensatz zur FEA Mikropapillen und Brücken mit
fohlen wird. Deutlich seltener sind die malignen Formen (maligne gering zytologischen Atypien. Diese Veränderungen werden mittler-
Adenomyoepitheliome), bei denen die epitheliale und/oder myoepi- weile in Abhängigkeit von der Art und Ausdehnung der zytolo-
theliale Komponente entartet sein kann. gischen und strukturellen Atypien als ADH oder Low-grade-DCIS
klassifiziert (Pinder et al. 2007).

67.5 Fibroepitheliale Läsionen


67.6.4 Atypische duktale Hyperplasie, ADH (auch
67.5.1 Fibroadenom atypische intraduktale Hyperplasie, AIDH)

Das Fibroadenom ist als Mischtumor aus epithelialen und mesen- Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen einer ADH und einem
chymalen Lobulusanteilen. Es ist der häufigste benigne Mammatu- Low-grade-DCIS schwierig sein. Nichtsdestotrotz bleibt die Not-
mor und tritt bei fast jeder 3. Frau auf. Der Häufigkeitsgipfel liegt im wendigkeit der diagnostischen Abgrenzung zwischen ADH und
3. Lebensjahrzehnt. Prämenstruell kommt es im Bereich der Tumor- DCIS wegen der klinischen Konsequenzen bestehen. Die ADH geht
lokalisation häufig zu starken Schmerzen in der Brust. Eine maligne mit einem moderaten Risiko für die Entwicklung eines invasiven
Entartungsgefahr besteht nicht. Der Tumor ist gut begrenzt, rund bis Karzinoms einher (WHO 2003). Das relative Risiko nach Diagnose
oval und manchmal knollig. Bei nicht eindeutiger Diagnostik und einer ADH ist bilateral jeweils in der gesamten Brustdrüse um den
bei schnell wachsenden Adenomen erfolgt meist eine operative Ent- Faktor 4–5 für die nächsten 10–15 Jahre erhöht (O’Malley u. Pinder
fernung, um kein Karzinom zu übersehen. Es besteht die Möglich- 2006; WHO 2003). Bei der Diagnose ADH ist das Vorgehen der
keit einer Assoziation mit anderen proliferierenden Läsionen oder Wahl die regelmäßige mammographische Kontrolle. Eine Indikation
In-situ-Karzinomen. zu einer weiteren Operation besteht nicht.

67.5.2 Phylloidestumor (Cystosarcoma 67.7 Lobuläre Neoplasie (lobuläres Carcinoma


phylloides) in situ, atypische lobuläre Hyperplasie)
Eine Sonderform stellt das Cystosarcoma phylloides dar. Durch ein Nach WHO (2003) werden unter der Bezeichnung lobuläre Neopla-
überschießendes Wachstum des Mesenchyms kommt es zur Ausbil- sie (LN) alle Veränderungen im Sinne einer atypischen lobulären
dung von zungenartigen Ausläufern, die u. U. bis in die Haut der Hyperplasie (ALH) (4-fach erhöhtes Karzinomrisiko) und eines
Brust einwachsen können. lobulären Carcinoma in situ (LCIS) zusammengefasst.
Die LN wird als eine Indikatorläsion für ein erhöhtes Karzinom-
risiko angesehen. Das relative Risiko einer Patientin ist nach der
Diagnose einer LN bilateral um den Faktor 6,9–12 erhöht.
622 Kapitel 67 · Benigne Tumoren der Brust

Das LCIS wird nur selten von Kalzifikationen begleitet und ist oft Palpatorisch zeigen sich bei der klinischen Untersuchung diffuse
ein Zufallsbefund nach Brustdrüsengewebeentnahmen. Die Inzi- Verhärtungen oder gar Knoten in den Brüsten. Die Brüste schwellen
denz des LCIS ist nicht genau bekannt, wird aber in der Literatur mit prämenstruell häufig an, und begleitend treten Spannungsgefühle
0,6–3,9% angegeben. Isoliert auftretend repräsentiert es bis zu 6% und Mastodynien auf. In ca. 2/3 der Fälle wird die Mastopathie durch
aller Mammakarzinome und bis zu 50% der diagnostizierten nichtin- mammographisch sichtbare Mikrokalzifikationen begleitet. Mam-
vasiven Karzinome. Das Wachstum ist in 46–85% multizentrisch mographie, Mammasonographie und ggf. Probeexzisionen gehören
und in 30–67% bilateral. zur Diagnostik und Verlaufskontrolle bei bestehender Mastopathie.
Retrospektive Studien zeigen eine Entwicklung von invasiven Insbesondere bei der drittgradigen Mastopathie ist eine engmaschige
Karzinomen nach LCIS ipsilateral in 14–23% und bilateral in 9,19% Kontrolle indiziert. Gegebenenfalls ist hier bei zusätzlichen Risiko-
der Fälle. Dabei handelt es sich jeweils in 60% um invasiv duktale faktoren wie positiver familiärer Anamnese eine subkutane Mastek-
Karzinome. Der Anteil der prognostisch ungünstigen invasiv lobu- tomie mit ggf. anschließender Rekonstruktion notwendig.
lären Karzinome ist mit 25% gegenüber der Allgemeinbevölkerung
mit 8% erhöht.
Das LCIS wird in die Gruppe der Präkanzerosen eingegliedert, 67.8.3 Periduktale Mastitis (Duktektasie,
die aber im Vergleich zum DCIS günstiger und weist eine Latenzzeit Plasmazellmastitis)
zum Übergang in ein invasiv lobuläres Karzinom von bis zu 25 Jah-
ren (beim DCIS ca. 10 Jahre) auf. Beim LCIS wird derzeit eine Indi- Die Erkrankung zeigt häufig eine plasmazellreiche, chronische, teils
kation zur Mastektomie nicht mehr zwingend gesehen. histiozytenreiche Entzündungsreaktion in der Umgebung der Gän-
Ein Grading der LN wird laut WHO nicht generell empfohlen ge, histiologisch mit granulomatösem Aspekt. Kalzifikationen und
(WHO 2003). eine ausgeprägte Fibrose des Drüsenkörpers sind möglich.

67.8 Sonstige Läsionen der Mamma 67.8.4 Solitärzysten

67.8.1 Lipom Solitärzysten bestehen häufig aus einzeln auftretenden Flüssigkeits-


ansammlungen in den Ausführungsgängen mit schnellem Wachs-
Es kommt in jeder Altersklasse der Frau vor und ist ein gutartiger, tum. Bei möglicher Palpation spürt man prall-elastische, gut ab-
gut abgegrenzter umkapselter und verschieblicher Tumor des Fett- grenzbare Raumforderungen in der Brust. Sie lassen sich sonogra-
gewebes der Mamma. Eine Entartungsgefahr besteht nicht. phisch gesteuert gut punktieren. Das Aspirat kann anschließend
histopathologisch aufgearbeitet werden.

67.8.2 Mastopathie (Mammadysplasie, Mastopa- Literatur


thia cystica fibrosa, engl. »cystic disease«) Amendoeira I (2006) Quality assurance guidelines for pathology: Open bio-
psy and resection specimens. In: Perry NM, editor. European guidelines
Die Mastopathie bezeichnet eine Reihe proliferativer oder regres- for quality assurance in breast cancer screening and diagnosis. Office for
Official Publications of the European Communities 256–311
siver Veränderungen des Brustdrüsenparenchyms. Obwohl ursäch-
Carlson RW, Anderson BO, Burstein HJ (2006) a NCCN Breast Cancer Clinical
lich vieles für ein Hormonungleichgewicht zugunsten des Östrogens
Practice Guidelines in Oncology. Version ed. USA: National Comprehen-
spricht, ist die Ätiologie ungeklärt. Sie hat ihren Gipfel in der 5. Le- sive Cancer Network
bensdekade und betrifft mehr als 50% aller sektionierten Frauen. NHSBSP 50 (2001) Guidelines for non-operative diagnostic procedures and
Multipara und Frauen, die gestillt haben, haben eine verringerte Er- reporting in breast cancer screening. Juni 2001, ISBN 1871997445
krankungsrate. O’Malley BA, Pinder SE (2006) Breast pathology. Churchill Livingstone Else-
Prechtel (1991) hat die Mastopathie in 3 Grade mit unterschied- vier, Philadelphia
lichem Entartungsrisiko unterteilt (. Tab. 67.2). Pinder SE, Provenzano E, Reis-Filho JS (2007) Lobular in situ neoplasia and
columnar cell lesions: diagnosis in breast core biopsies and implications
for management. Pathology 39 (2): 208–216
Prechtel K (1991) Mastopathy. Histological forms and long-term observations.
Zentralbl Pathol 137 (3): 210–219
Putti TC., Pinder SE, Elston CW, Lee AH, Ellis IO (2005) Breast pathology prac-
67 . Tab. 67.2 Einteilung der Mastopathie. (Nach Prechtel 1991) tice: most common problems in a consultation service. Histopathology
47 (5): 445–457
Grad Parenchymveränderungen Malignomrisiko Sakorafas GH (2001) Breast cancer surgery – historical evolution, current
­status and future perspectives. Acta Oncologica 40, 5–18
Mastopathie ohne Epithel­ Ohne erhöhtes Malignom­ Schnitt SJ (2003) The diagnosis and management of pre-invasive breast
proliferationen (ca. 70% aller risiko ­disease: flat epithelial atypia—classification, pathologic features and
I Mastopathien) clinical significance. Breast Cancer Res 5 (5): 263–268
Mastopathie mit Epithelpro­ Gering (1- bis 3-fach) Silverstein MJ (2003) The University of Southern California/Van Nuys progno-
liferationen ohne Atypien erhöhtes Malignomrisiko stic index for ductal carcinoma in situ of the breast. Am J Surg 186 (4):
II (ca. 20% aller Mastopathien) 337–343
Silverstein MJ, Poller DN, Waisman JR, Colburn WJ, Barth A, Gierson ED,
Mastopathie mit Epithelpro­ 3- bis 4-fach erhöhtes Lewinsky B, Gamagami P, Slamon DJ (1995) Prognostic classification of
IIIa liferationen und Atypien Malignomrisiko breast ductal carcinoma-in-situ. Lancet 345 (8958): 1154–1157
a
Grad III wird von einigen Autoren auch als Präkanzerose be­ Tavassoli FA (2000) Pathology of the breast, 2nd edn. Appleton & Lange,
schrieben! Stanford CT
WHO (2003) WHO/IARC World cancer Report, Lyon
68

Maligne Tumoren der Brust


A. Heckmann, K.H. Breuing, P.M. Vogt, A. Gohritz

68.1 Mammakarzinom – 625


A. Heckmann, K.H. Breuing
68.1.1 Epidemiologie – 625
68.1.2 Ätiologie – 625

68.2 Duktales Carcinoma in situ (DCIS; intraduktales Karzinom) – 626


A. Heckmann, K.H. Breuing

68.3 Klassifikation – 627


A. Heckmann, K.H. Breuing
68.3.1 Invasive Karzinome – 627
68.3.2 Inflammatorisches Karzinom – 629

68.4 Staging und Therapiestand – 630


A. Heckmann, K.H. Breuing
68.4.1 Differenzialindikation – 632

68.5 Therapeutisches Vorgehen beim invasiven Karzinom – 632


A. Heckmann, K.H. Breuing
68.5.1 Therapieziele – 632
68.5.2 Operative Therapie – 632
68.5.3 Systemische Therapie des Mamma­karzinoms – 633

68.6 Operationstechnik der Brustrekonstruktion   – 634


T. Bund, A. Gohritz
68.6.1 Therapieziele   – 634
68.6.2 Wahl des Operationsverfahrens – 634
68.6.3 Operationszeitpunkt – 634
68.6.4 Implantatrekonstruktion – 635
68.6.5 Eigengewebe zur Rekonstruktion – 636
68.6.6 Alternative Lappenplastiken zur Eigengeweberekonstruktion – 643

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
68.7 Wiederherstellung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK) – 643
A. Gohritz, K.H. Breuing
68.7.1 Indikationsstellung   – 643
68.7.2 Planung – 643
68.7.3 Rekonstruktion der Mamille – 644
68.7.4 Rekonstruktion der Areola – 645
68.7.5 Komplikationen – 645
68.1 · Mammakarzinom
625 68
Die Versorgung von Patientinnen mit Mammakarzinom kann auf-
grund der Vielfältigkeit und Komplexität dieser Erkrankung nicht . Tab. 68.1 Mammakarzinom, Neuerkrankungen pro Jahr in Bezug
von einzelnen Disziplinen allein, sondern nur in interdisziplinärer zum Erkrankungsalter in Deutschland
Kooperation von Gynäkologen, Radiologen, Onkologen, Strahlen-
therapeuten und Plastischen Chirurgen erfolgreich durchgeführt Erkrankungsalter (Jahre) Anzahl
werden. Diese findet am besten in einem qualitätskontrollierten
<30 3 von 10 000
Brustzentrum statt, das als Kompetenzzentrum für alle Erkran-
kungen der Brust, insbesondere das Mammakarzinom, fungiert. Erst Zwischen 30 und 39 3 von 1000
die Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden interdisziplinären Zwischen 40 und 49 1–2 von 100
Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten verspricht den größtmög-
lichen Erfolg. Zwischen 50 und 59 3–4 von 100
Adjuvante Chemo- und Strahlentherapien dienen zur Remission Zwischen 60 und 69 6–7 von 100
des ggf. noch zu resezierenden Tumors. Neoadjuvante Chemo- und
>70 ca. 10 von 100
Strahlentherapien werden insbesondere bei Metastasierung und in
der palliativen Therapie verwandt. Antiöstrogene Therapien (z. B.
Tamoxifen) gehören zum Behandlungsschema bei hormonrezoptor-
sensiblen Tumorformen und Antikörperpräparate (z. B. Trastuzu- Deutschland. Das bedeutet jährlich ca. 110 Neuerkrankte und 41 To-
mab) und sind etabliert in der adjuvanten Therapie von HER-2/neu- desfälle pro 100.000 Frauen (Statistisches Bundesamt 2007). Insbe-
Onkogen-überexprimierenden Tumoren. sondere in der Altersgruppe der 35- bis 60-Jährigen ist das Mamma-
Die chirurgische Therapie gliedert sich in karzinom die häufigste tödliche Tumorerkrankung der westlichen
4 die brusterhaltende Tumorexzision, Welt (. Tab. 68.1).
4 die Ablation, Insgesamt ist die Mortalität in den letzten Jahren um 25% gesun-
4 die palliative Tumorresektion und ken, weil mit stetig verbesserter Diagnostik und gezielter Therapie
4 die Rekonstruktion der Brust und Thoraxwand. das Behandlungskonzept ausgereifter geworden ist und zu besseren
Überlebensprognosen führt. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt
Die Rekonstruktion ist vielgestaltig und besteht z. B. bei bruster­ im Schnitt 76%, die 10-Jahres-Überlebensrate 60%.
haltenden Tumorexzisionen aus lokalen Gewebeplastiken und Sili-
konimplantateinlagen zur Wiederherstellung der Brustform. Bei
Abla­tionen (Ablatio mammae, periareoläre »skin sparing« Mastek- 68.1.2 Ätiologie
tomie) können sowohl einfache Rekonstruktionen mit subpekto-
raler Implantateinlage (definitiv oder Expander) als auch aufwen- Die Ätiologie des Mammakarzinoms ist unbekannt, es werden en-
digere Verfahren gewählt werden. Es stehen Möglichkeiten mit ge- dogene und exogene Einflüsse für seine Entstehung diskutiert. Risi-
stielten myokutanen Lappenplastiken (M.-latissimus-dorsi-Lappen kofaktoren zeigt . Tab. 68.2.
mit und ohne Silikonimplantat, gestielter »muscle sparing transver-
sus rectus abdominis muscle flap«, TRAM-Lappen) und freie fas­ BRCA-Gen/Breast Cancer Gene
ziokutane sog. Perforatorlappen (DIEP-Lappen, »deep inferior epi- Mit dem BRCA1-Gen (»breast cancer gene«) auf Chromosom 17q
castria perforator flap«) ein- oder zweizeitig zur Verfügung. Gerade und dem BRCA2-Gen auf Chromosom 13q sind zwei Tumorsup-
die Rekonstruktion mit frei transplantiertem körpereigenem Haut- pressorgene bekannt. Eine Mutation führt zu einem um 55–80%
fettgewebe repräsentiert einen hohen Standard bei der Brustwieder- erhöhten Risiko, an Brustkrebs zu erkranken und zu einem um
herstellung mit geringen Langzeitkomplikationen. 15–65% erhöhten Risiko für ein Ovarialkarzinom. Bei positiver Fa-
milienanamnese kann in 80% der Fälle eine Mutation dieser Sup-
pressorgene festgestellt werden. Mutationsträgerinnen haben zudem
68.1 Mammakarzinom ein erhöhtes Risiko von 35–60%, innerhalb von 10 Jahren ein kon-
tralaterales Mammakarzinom zu entwickeln (Metcalfe et al. 2005;
A. Heckmann, K.H. Breuing Robson et al. 2005).
Die Therapie des BRCA-assoziierten Karzinoms richtet sich
Das Mammakarzinom ist ein maligner Tumor, der vom Epithel der nach der Leitlinie zur Behandlung des sporadischen Karzinoms. In
Drüsenläppchen oder der Milchgänge ausgeht. mehreren Studien wurde gezeigt, dass die prophylaktische bilaterale
Mastektomie bei gesunden Frauen die Inzidenz und Mortalitat
BRCA-assoziierter Mammakarzinome reduziert (Hartmann et al.
68.1.1 Epidemiologie 2001; Lostumbo et al. 2004; Meijers-Heijboer et al. 2001; Rebbeck
et al. 2004). Für bereits erkrankte Frauen liegen jedoch derzeit nur
Das Mammakarzinom ist weltweit der häufigste bösartige Tumor unzureichende Daten vor. Während die bilaterale Mastektomie die
der Frau mit etwa 1 Mio. Neuerkrankungen pro Jahr. In Deutschland Inzidenz für ein Zweitkarzinom der Brust reduziert, konnte bisher
treten jährlich ca. 60.000 Neuerkrankungen bei Frauen und 400 bei kein Effekt auf die Gesamtüberlebenszeit belegt werden (Lostumbo
Männern auf, und es erkrankt etwa jede 8.–10. Frau im Laufe ihres et al. 2004; van Sprundel et al. 2005). Eine bilaterale Ovarektomie
Lebens an einem Mammakarzinom (Schulz et al. 2002). Das mittle- kann zur Reduktion des Zweitkarzinomrisikos der Brust und der
re Erkrankungsalter liegt bei 62 Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, an Eierstöcke durchgeführt werden. Ein Überlebensvorteil ist bisher
einem Mammakarzinom zu erkranken, steigt mit zunehmendem ebenfalls nicht belegt (Metcalfe et al. 2004, 2005).
Alter auf 12%. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes starben Die genaue Pathogenese des Mammakarzinoms ist unklar, sie
in Deutschland 2005 knapp 17.500 Frauen an Brustkrebs. 1998 war erfolgt biphasisch über intraeptheliale nichtinvasiveTumorstadien
jede 4. weibliche Tumorneuerkrankung ein Mammakarzinom in (CLIS, DCIS), die nach einer gewissen Latenz in eine invasive Form
626 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

übergehen (. Tab. 68.3). Ob das Karzinom dabei direkt aus norma-


. Tab. 68.2 Mammakarzinom: Risikofaktoren und Risikoerhöhung len Epithelzellen oder aus primär bestehenden atypischen Hyperpla-
sien entsteht, ist unbekannt.
Risikofaktoren Risikoerhöhung Eine unphysiologisch hohe Hormonsubstitution über mehr
als 5 Jahre führt abhängig von der Dosishöhe und der Einnahme-
Adipositas, inbesondere postmenopausal 2–3
zeit zu einem gesteigerten Risiko, an einem Mammakarzinom zu
Mastopathie ohne Atypien 1–1,5 erkranken. Nach Absetzen der Hormontherapie sinkt das Risiko
wieder.
mit Atypien 2–10

Alkohol (>20 g Ethanol pro Tag) 1,5–2

Kontralaterales Karzinom >10 68.2 Duktales Carcinoma in situ


(DCIS; intraduktales Karzinom)
Familiäre Häufung, BRCA-Gen positiv 2– >10

Frühe Menarche und späte Menopause 1–2 A. Heckmann, K.H. Breuing


Hohe Östrogenbehandlung in der Meno-
pause
1–3 Die WHO definiert das DCIS als neoplastische intraduktale Läsion,
welche durch eine inhärente, aber nicht unbedingt obligate Tendenz
Erste Para ≥30 Jahre 3 zur Progression zu einem invasiven Karzinom charakterisiert ist
Nullipara 1,5–2,5 (WHO 2003). Aus diesem Grund wird das DCIS in diesem Kapitel
über bösartige Tumoren abgehandelt.
Noch unklar: Störung im Östrogen- ?
Das Wachstum ist nichtinvasiv. 85–90% aller Mammatumoren
Gestagen-Verhältnis
gehen von den Gangepithelien aus und werden bei nichtinvasivem
Fleisch- und fettreiche ? Wachstum als DCIS bezeichnet. Wenn das DCIS mamillennah loka-
Ernährung lisiert ist, kann es auf das Epithel der Mamille übergreifen und das
Rauchen ? Bild des M. Paget herbeiführen, es kann also die oberflächliche Ma-
nifestation eines tiefer im Gangsystem liegenden DCIS sein.
Erhöhtes Alter ? In 70–95% treten Mikrokalzifikationen begleitend auf. Ist ein
Ionisierende Strahlung ? DCIS mit Mikrokalzifikationen in der Mammographie assoziiert,
kann anhand der Mammographie das Ausmaß des DCIS meistens
Virusgenese ?
präoperativ abgeschätzt werden. Durch den vermehrten Einsatz der
Kontrazeptiva ? Mammographie in der Früherkennung/Screening ist es in den
letzten Jahren zu einer Inzidenzsteigerung auf 10–20% aller neu
diagnostizierten Karzinome gekommen.
Bei unbehandeltem DCIS besteht ein Risiko von 30–50% für die
. Tab. 68.3 Transformationsstufen nach Stegner (1985) Entwicklung eines invasiv duktalen Karzinoms innerhalb von
10 Jahren. Die Rezidivrate eines DCIS hängt insbesondere von sei-
Pathogenese des Mammakarzinoms nem Grading ab. Je höher das Grading, desto höher die Gefahr eines
Rezidivs. Eine international einheitliche Klassifikation besteht der-
Normales Normales Normales zeit nicht. Wegen der klinischen Bedeutung des DCIS sollte stets ein
Gangepithel Gangepithel Gangepithel nukleäres Grading und das Vorhandensein von Komedonekrosen
→ Reguläre → Präkanzeröse → CIS zur Beurteilung des Tumor-Gradings herangezogen werden. Dies
Hyperplasie atypische Hyperplasie berücksichtigt die Van Nuys-Klassifikation (Silverstein et al. 1995;
. Tab. 68.4, 68.5). Alternativ gab die WHO 2003 eine eigene Klassifi-
→ Präkanzeröse → CIS → Infiltrierendes
atypische Hyperplasie Karzinom kation bekannt (. Tab. 68.5). Bei kleinen Low-grade- bzw. Non-
high-grade-DCIS ist eine Abgrenzung gegenüber der ADH (aty-
→ Hyperplasie → Infiltrierendes pische duktale Hyperplasie) notwendig.
Karzinom
Der Van-Nuys-Prognostik-Index (USC/VNPI; Silverstein 2003)
→ CIS ist eine weitere Hilfe bei der Einschätzung der durchzuführenden
operativen Therapie bei In-situ-Karzinomen. Je höher der VNPI-
→ Infiltrierendes
Score ist, desto höher ist das Rezidivrisiko und umso radikaler sollte
68 Karzinom
operiert werden (. Tab. 68.6).
Der Van-Nuys-Prognostik-Index spiegelt das Ergebnis einer
Multivarianzanalyse von 706 Patienten mit DCIS, die brusterhaltend
behandelt worden waren, wider. Das rezidivfreie Überleben betrug
. Tab. 68.4 Van Nuys-Klassifikation des duktalen Carcinoma in situ nach 10 Jahren 97% (USC/VNPI 4–6), 73% (USC/VNPI 7–9) und
34% (USC/VNPI 10–12). Patientinnen mit USC/VNPI-Scores von
Van Nuys-Gruppe Nukleäres Grading/Komedonekrosen 7–9 zeigten im Gegensatz zu USC/VNPI-Scores von 4–6 eine signi-
fikante Verbesserung des rezidivfreien Überlebens nach Radiatio um
Van Nuys-Gruppe I Non-High-Grade ohne Komedonekrosen
12–15% (p<0,05). Bei einem Score von 10–12 profitierten die Pati-
Van Nuys-Gruppe II Non-High-Grade mit Komedonekrosen entinnen zwar statistisch gesehen am stärksten von einer Radiatio,
Van Nuys-Gruppe III High-Grade ohne/mit Komedonekrosen
zeigten allerdings inakzeptabel hohe 5-Jahres-Rezidivraten von
­nahezu 50%.
68.3 · Klassifikation
627 68

. Tab. 68.5 Grading des DCIS nach WHO (WHO 2003)

Grad Kerngrad (KG)/Zytologie Nekrosen Kalzifikationen Architektur

Low grade Kleine, monomorphe Zellen mit uniformen – Lamellär Bögen, kribriform, solide und/
Kernen (KG 1) oder mikropapillär

Intermediate grade Zytologie ähnlich low grade (KG 1) oder +/± Lamellär oder amorph Solide, kribriform, mikropapillär
intermediär (KG 2)

High grade Hochgradige Zellatypien mit pleomorphen ± Amorph Eine Zelllage, mikropapillär,
Kernen (KG 3) kribriform oder solide

. Tab. 68.6 Van-Nuys-Prognostik-Index des DCIS USC/VPNI Faktoren für ein erhöhtes DCIS-Rezidivrisiko bei brust­
erhaltender Therapie
Score 1 2 3
4 Hohes nukleäres Grading
Größe [mm] <15 16–40 >41 4 Komedonekrosen
4 Sicherheitsabstand zum Resektionsrand <5 mm
Minimale Distanz >10 1–9 <1 4 Resektionsrand befallen
zum Resektions-
4 Tumorgröße >2,5 cm
rand [mm]
4 Multizentrizität
Van Nuys- 1 2 3
Gruppe

Alter [Jahre] >60 40–60 <40


In Ergänzung zu den oben genannten pathomorphologischen
Auswertung: USC/VPNI = (Größe + Resektionsrand + Van Faktoren wird beim DCIS die Bestimmung des Hormonrezep­
Nuys-Gruppe + Alter) torstatus empfohlen (Amendoeira 2006a, b; Carlson et al. 2006).
VPNI – 4–6 Niedriges Exzision
Dabei orientieren sich die Auswertung und Interpretation der
Punkte- Rezidivrisiko ­Immunhistochemie an den Vorgaben für das invasive Mamma­
summe karzinom.
7–9 Mittleres Exzision + > Eine Mastektomie sollte immer dann durchgeführt wer-
Rezidivrisiko Bestrahlung den, wenn das DCIS multizentrisch wächst, größer als 4 cm
ist oder auch mit mehreren Nachresektionen nicht im Ge-
10–12 Hohes Mastek­
Rezidivrisiko tomie sunden entfernt werden kann (Sakorafas 2001).
Zudem liegen die Mortalitätsraten der In-situ-Erkrankung nach
Mastektomie zwischen 0 und 3,7%, wodurch die Erkrankung als po-
> Bei der Tumorexzision sollte der Resektionsrand mindes­ tenziell heilbar zu beurteilen ist.
tens 5 mm betragen, damit keine Nachresektion erfolgen
muss.
68.3 Klassifikation
Schlecht differenzierte DCIS haben eine Rezidivwahrscheinlichkeit
von bis zu 47,6%. Hier kann das Risiko durch eine postoperative A. Heckmann, K.H. Breuing
Radiatio auf 11–20% reduziert werden.
> Eine Axilladissektion bzw. ein Sentinel-LK ist in der Regel
beim DCIS nicht erforderlich, ausgenommen bei multizen-
68.3.1 Invasive Karzinome
trischem Wachstum oder Tumoren, die größer als 2,5 cm
Bei allen invasiven Mammakarzinomen ist eine histologische Typi-
sind. Hier sollte immer eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie
sierung entsprechend der aktuellen WHO-Klassifikation durchzu-
durchgeführt werden.
führen (WHO 2003; . Tab. 68.7). Dies sollte bereits im Rahmen der
Das Wachstum des DCIS ist in >90% unizentrisch. Das Wachstums- präoperativen Diagnostik am Stanz- bzw. Vakuumbiopsiematerial
muster zeigt sich bei 50% der Fälle als multifokal und diskontinuier- erfolgen. In Kombination mit der Bildgebung dient dies der weiteren
lich. Es besteht eine enge Korrelation zwischen Tumorgröße und Therapieplanung. Die histopathologische Aufarbeitung nach opera-
Rezidivrate sowie der Gefahr der Mikroinvasion des DCIS. Rezidive tiver Tumorentfernung und die Bestimmung des Hormonrezeptor-
werden vermehrt im gleichen Quadranten, aber auch zu 1/3 der Fäl- status stellen die endgültige Diagnose.
le in den primär nicht befallenen Quadranten beobachtet. Eine mög- 85–95% aller Mammakarzinome sind invasive Karzinome. Alle
liche Erklärung hierfür wäre vermutlich das diskontinuierliche invasiven Karzinome werden histologisch klassifiziert. Die histolo-
Wachstum. Die Häufigkeit eines kontralateralen Zweitkarzinoms gische Typisierung invasiver Karzinome hat nachweislich prognos-
beträgt 10–15% und ist geringer als beim Carcinoma lobulare in situ. tischen Wert. Bei Vorhandensein mehrerer phänotypischer Tumor-
Mit der Anzahl der in der . Übersicht genannten Faktoren steigt komponenten wird hier der prädominierende Anteil diagnostisch in
die Gefahr eines Rezidivs, das auch invasiv sein kann. den Vordergrund gestellt.
628 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

Unter den invasiven Karzinomen stellt das invasiv duktale Kar-


. Tab. 68.7 WHO-Klassifikation der invasiven Mammakarzinome. zinom (ca. 70–80%) den häufigsten Typ dar, gefolgt von dem inva-
(Nach WHO 2003) siven lobulären Karzinom (ca. 10%), dem medullären, tubulären und
invasiven kribriformen Karzinom (jeweils ca. 2%). Alle anderen
Invasives duktales 4 Gemischter Typ
Karzinomformen treten nur sehr selten auf und machen insgesamt
Karzinom, »not otherwise 4 Pleomorphes Karzinom
maximal 2% der invasiven Karzinome aus.
specified« (NOS) 4 Karzinom mit osteoklastenartigen
Riesenzellen
Rund 55–60% aller Mammakarzinome sind im oberen äußeren
4 Karzinom mit chorionkarzinomar- Quadranten der Brust lokalisiert, ca. 15% haben ihre Lokalisation im
tigen Merkmalen oberen inneren Quadranten und retroareolär. Die Häufigkeit im un-
4 Karzinom mit melanotischen teren äußeren und inneren Quadranten beträgt 10% bzw. 5%. Meist
Merkmalen kommen sie einseitig vor, eine Prävalenz für eine Brustseite ist mit
53% für die linke und 47% für die rechte Brust nicht signifikant. In
Invasives lobuläres
5–10% aller Fälle lassen sich kontralaterale simultane Zweitkarzino­
Karzinom
me diagnostizieren. Insbesondere beim invasiv lobulären Karzinom
Tubuläres Karzinom kann es zu einem parallelen Befall der Gegenseite kommen. 5–25%
Invasives kribriformes
aller Mammakarzinome weisen ein multizentrisches Wachstum
Karzinom auf.

Medulläres Karzinom > Bei Verdacht auf Tumorbefall einer Brust ist die Untersu-
chung der Gegenseite immer obligat.
Muzinöses Karzinom 4 Muzinöses Karzinom
und andere muzinreiche 4 Zystadenokarzinom und zylinder­
Tumoren zelliges muzinöses Karzinom
Häufigste histologische Typen des Mammakarzinoms
4 Siegelringzellkarzinom
4 Lobuläres Karzinom
Neuroendokrine 4 Solides neuroendokrines Karzinom
– Carcinoma lobulare in situ (LCIS)
Tumoren 4 Atypischer Karzinoidtumor
– Invasiv lobuläres Mammakarzinom (10%)
4 Kleinzelliges Karzinom
4 Duktales Karzinom
4 Großzelliges neuroendokrines
Karzinom – Duktales Carcinoma in situ (DCIS)
– Invasives duktales Karzinom:
Invasives papilläres – invasiv duktal (70–80%)
Karzinom – medullär (<1%)
Invasives mikropapilläres – Gallertkarzinom (2%)
Karzinom – tubulär (1–2%)
– papillär (<1%)
Apokrines Karzinom
– M. Paget der Mamille mit invasivem duktalem Mamma-
Metaplastische 4 Rein epitheliale metaplastische karzinom
Karzinome Karzinome
4 Plattenepithelkarzinom
4 Adenokarzinom mit Spindelzell­
Zu einer Metastasierung kommt es in Abhängigkeit vom histomor-
metaplasie
phologischen Typ und der biologischen Charakteristik frühzeitig.
4 Adenosquamöses Karzinom
4 Mukoepidermoides Karzinom
Dabei besteht eine direkte Beziehung zur Größe des Tumors.
4 Gemisches epithelial-/mesenchy- > Je größer der Tumor, desto eher die Wahrscheinlichkeit
males metaplastisches Karzinom der frühen hämatogenen oder lymphogenen Metastasie-
Lipidreiches Karzinom rung.

Sekretorisches Karzinom Ein 20 mm großer Tumor hat eine Matastasierungsrate von 50%
gegenüber einem 5 mm großen Tumor mit 10%. Die lymphogene
Onkozytäres Karzinom Metastasierung erfolgt zunächst in die regionären Lymphknoten.
Adenoidzystisches Der Großteil der Lymphflüssigkeit aus der Brust wird über die axil-
Karzinom läre Strombahn drainiert. Bei Metastasen in den axillären Lymph-
68 Azinuszellkarzinom
knoten wird davon ausgegangen, dass auch eine hämatogene Streu-
ung stattgefunden hat.
Glykogenreiches Klarzell- Prognose und Therapie des Mammakarzinoms hängen vom
karzinom Vorliegen hämatogener Metastasen ab. Diese manifestieren sich zu
35% ossär, 20% lokoregionär, pulmonal und zu 5% viszeral (meist
Sebazeöses Karzinom
hepatisch) und zu 20% in sonstige Lokalisationen (. Übersicht).
Inflammatorisches Mikrometastasen können viele Jahre klinisch stumm bleiben. Bei
Karzinom peripherer Metastasierung spricht man auch vom Stadium der Ge-
neralisation.
68.3 · Klassifikation
629 68
medullären Karzinome Hormon­rezeptor-triple-negativ (ER-, PR-,
Metastasierungswege Her-2-negativ).
4 Hämatogen: insbesondere Knochen, Lungen, Leber und Ge-
hirn
Tubuläres Karzinom
4 Lymphogen: Das tubuläre Karzinom hat eine Häufigkeit von 1–19% (WHO 2003)
– Lymphangiomatosa carcinomatosa und weist insgesamt eine gute Prognose auf. Es ist ein hochdifferen-
– retro-/parasternale LK, axilläre LK, sub- und supraklaviku- ziertes invasives Karzinom, das definitionsgemäß mindestens zu
läre LK 90% ein klassisches tubuläres Wachstumsmuster zeigen muss. Abge-
grenzt werden vom reinen Typ sog. gemischte tubuläre Karzinome
mit größeren Anteilen eines invasiv duktalen Karzinoms oder einer
lobulären Tumorkomponente (tubulolobuläres Karzinom), die
Invasiv duktales Karzinom prognostisch weniger günstig sind.
Diese häufigste Form des Mammakarzinoms tritt mit einer Inzidenz
von bis zu 80% auf. Die Subklassifikation enthält auch die seltenen M. Paget der Mamille
Formen des muzinösen, medullären, papillären, tubulären, adenoid- Diese Erkrankung stellt eine intraepidermale Manifestation eines
zystischen und des apokrin duktalen Karzinoms. Sie besitzen eine duktalen Karzinoms an der Mamille dar. Der M. Paget kommt in
besondere Wachstumsform und verfügen über einen besonderen Abhängigkeit des Primärtumors als nichtinvasive und invasive Form
klinischen Verlauf mit gesonderter Prognose und unterschiedlicher vor. In der Mehrzahl der Fälle liegt hier aber ein invasives Karzinom
Therapieempfindlichkeit. zugrunde. Die Prognose wird durch das ursächliche intraduktale
Als prognostisch günstige Typen mit einer hohen 5-Jahres- Karzinom (Tumortyp, Ausdehnung und Metastasierung) bestimmt.
Überlebensrate von bis zu 95% gelten stadienbezogen das tubuläre,
papilläre und das muzinöse Karzinom.
Beim invasiv duktalen Karzinom unterscheidet man hinsichtlich 68.3.2 Inflammatorisches Karzinom
der intraduktalen Tumorkomponenten zwischen dem invasiv duk-
talen Karzinom mit prädominierender intraduktaler Komponente Meist handelt es sich hierbei um gering differenzierte invasive duk-
(Verhältnis intraduktaler zu invasivem Tumoranteil 4:1) und dem tale Karzinome mit ausgeprägter begleitender Lymphangiosis carci-
invasiv duktalen Karzinom mit extensiver intraduktaler Komponen- nomatosa. Der Krankheitsverlauf ist fulminant, und die 5-Jahres-
te (EIC, intraduktaler Tumoranteil von mindestens 25%, der über die Überlebensrate beträgt trotz neo- und adjuvanter Chemotherapie
Grenzen des invasiven Tumoranteils hinausgeht). Das EIC hat ein und Radiatio weniger als 5%.
erhöhtes Rezidivrisiko nach brusterhaltender Therapie (BET) und Die TNM-Klassifikation und die Einteilung der UICC sind in
primärer Radiatio. . Tab. 68.8 bis 68.10 dargestellt.
Bei allen invasiven Mammakarzinomen ist ein Grading durch-
Invasiv lobuläres Karzinom zuführen (WHO 2003; . Tab. 68.9). Dies sollte im Falle einer prä­
Mit einer Inzidenz von 6–15% stellt es das zweithäufigste Karzinom operativen Diagnostik bereits am Stanz- bzw. Vakuumbiopsiemate-
der Mamma dar. Es werden Varianten mit unterschiedlichem pro- rial erfolgen. Allerdings kann es gelegentlich Abweichungen zwischen
gnostischem Wert abgegrenzt: Solide, alveoläre, siegelringzellige, der Stanz-/Vakuumbiopsie und dem Operationspräparat geben.
tubulolobuläre und pleomorphe Variante sowie Mischtypen. Pro- Dementsprechend erfolgt die abschließende Zuordnung des histolo-
gnostisch verhält sich das invasiv lobuläre Karzinom stadienbezogen gischen Gradings am Operationspräparat. Die Übereinstimmungs-
wie das invasiv duktale Karzinom. rate ist aber mit ca. 75% relativ hoch. Das histopathologische Gra-
ding zur Beurteilung des Malignitätsgrads erfolgt nach den Kriterien
Muzinöses Karzinom des Gradings für das Mammakarzinom nach Elston u. Ellis (1991)
Seine Inzidenz liegt bei 1–2%. Der Altersdurchschnitt der betrof- (. Tab. 68.11).
fenen Frauen ist im Vergleich zum invasiv duktalen Karzinom er- Der Nottingham-Prognose-Index (. Tab. 68.12) gibt die Pro-
höht, vornehmlich sind ältere Frauen betroffen. Die 10-Jahres-Über- gnose der 15-Jahres-Überlebensrate in Bezug auf Tumorgröße, Gra-
lebensrate liegt stadienbezogen bei 80–100% (O’Malley u. Pindler ding und Lymphknotenstatus an und gilt als sehr aussagekräftig.
2006; WHO 2003). Seine Angabe wird als optional angesehen.
Beim invasiven Mammakarzinom und beim DCIS sind bereits
Typisch medulläres Karzinom in der Primärdiagnostik (Stanzbiopsie) (Carlson et al. 2006, Wolff et
Das typisch medulläre Karzinom hat eine Inzidenz von ca. 3% aller al. 2007) als auch im Operationspräparat der Hormonrezeptorstatus
Mammakarzinome und weist insgesamt eine gute Prognose auf und der HER-2-Status zu bestimmen. Die Bestimmung des Östrogen
(10-Jahres-Überlebensrate 84% bei nodal negativ, nur 10–25% (ER)- und Progesteronrezeptorstatus (PR) erfolget immunhistoche-
Lymphknotenmetastasen; WHO 2003). misch. Gemäß dem St. Gallen-Konsens 2005 wird zwischen dem
hormonsensitiven und dem nicht hormonsensitiven Mammakar­
Atypisch medulläre Karzinome zinom unterschieden (Goldhirsch et al. 2005). Die Autoren empfeh-
Sie erfüllen nicht alle Kriterien des typischen medullären Karzi- len die in . Tab. 68.13 dargestellte Unterteilung für den ER und/
noms und werden deshalb als atypisch bezeichnet. Die sog. aty- oder PR.
pischen medullären Karzinome besitzen keinen prognostischen Ein positiver immunhistochemischer Nachweis des HER-2/neu-
Vorteil wie das typische medulläre Karzinom. Sie sollten als in­ Status dient als Entscheidungshilfe für die Therapie mit HER-2-In-
vasiv duktale Karzinome klassifiziert werden. In der neueren hibitoren, z. B. Trastuzumab (Herzeptin) und Lapatinib.
­Klassifikation der WHO werden diese Tumoren aufgrund ihres
­ausbleibenden Prognosevorteils als invasiv duktale Karzinome
(NOS) klassifiziert (WHO 2003). Sie sind meist wie die typischen
630 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

. Tab. 68.8 TNM-Klassifikation Mammakarzinom. (Nach TNM 7. Auflage, Wittekind et al. 2010)

Primärtumor Lymphknoten

Tx Primärtumor kann nicht unter- N1 Beweglich axillär pN1mi Mikrometastasen >0,2 mm ≤2 mm


sucht werden

T0 Kein Anhalt für Primärtumor pN1a 1–3 axilläre LK

Tis In-situ-Karzinom pN1b A. mammaria interna, klinisch nicht erkennbar

Tis (DCIS) Ductales Carcinoma in situ pN1 pN1 und pN1b

Tis (CLIS) Lobuläres Carcinoma in situ N2a Fixiert axillär pN2a 4–9 axilläre LK

T1 mic ≤0,1 cm N2b A. mammaria interna, pN2b A. mammaria interna,klinisch nicht erkennbar/
klinisch erkennbar keine axillären LK

T1a >0,1–0,5 cm N3a Infraklavikulär pN3a >10 axilläre LK oder infraklavikulär

T1b >0,5–1 cm N3b Axillär und A.mammaria, pN3b Axillär und A. mammaria, klinisch erkennbar
klinisch erkennbar

T1c >1–2 cm >3 axilläre LK und A. mammaria interna, klinisch


nicht erkennbar

T2 >2–5 cm N3c Supraklavikulär pN3c Supraklavikulär

T3 >5 cm

T4 Tumor jeder Größe mit Befall der


Thoraxwand und Haut

T4a Befall der Brustwand

T4b Hautödem/Ulzeration, Satelliten-


knötchen der Haut

T4c Vorliegen von T4a und T4b

T4d Entzündliches Karzinom

. Tab. 68.9 TNM-Klassifikation Mammakarzinom. (Nach TNM 7. Auflage, Wittekind et al. 2010)

Metastasierung Grading Resektionsrand

M0 Keine Metastasen G1 Gut differenziert RX Resektionsrand kann nicht beurteilt werden

M1 Fernmetastasen G2 Mäßig differenziert R0 Resektionsrand ist frei von Tumorgewebe (sicher entfernt)

G3 Schlecht differenziert R1 Tumor reicht bis an den Resektionsrand (nicht sicher entfernt)

G4 Undifferenziert

68.4 Staging und Therapiestand Bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen und bei klinischem Ver-
68 dacht auf Metastasierung sollte bereits prätherapeutisch ein Staging
A. Heckmann, K.H. Breuing erfolgen. Alle Brustkrebspatientinnen sollten hinsichtlich der Tumo-
rausbreitung vollständig klinisch untersucht und nach dem TNM-
Beim Staging wird die Ausbreitung des Primärtumors aus dem Ent- System der UICC klassifiziert werden. Eine Mammographie der
stehungsorgan in die Nachbarorgane und in andere Organe festge- Gegenseite ist hierbei obligat. Insbesondere bei Patientinnen mit
legt, wobei die Größe des ursprünglichen Tumors, die Zahl der be- einem lokal fortgeschrittenen Tumor müssen die Zeichen des loka-
fallenen Lymphknoten und die Metastasen nach dem TNM-System len Tumorwachstums exakt beschrieben werden (entzündliche
der UICC erfasst werden. Komponente, Ulzerationen, Satellitenmetastasen, Brustwandbefall;
. Übersicht).
68.4 · Staging und Therapiestand
631 68

. Tab. 68.10 TNM-Klassifikation Mammakarzinom. (Nach TNM . Tab. 68.12 Nottingham-Prognose-Index für invasive Karzinome
7. Auflage, Wittekind et al. 2010)
Merkmal Kriterium Scorewert
UICC-Stadiengruppierung Kennzeichen
Grading nach Elston G1 1
0 Tis N0 M0 und Ellis

I T1mic, T1 N0 M0 G2 2

IIA T0, T1 N1 M0 G3 3

T2 N0 M0 Lymphknotenstatus pN0 1

IIB T2 N1 M0 1–3 LK positiv 2

T3 N0 M0 >4 LK positiv 3

IIIA T0,T1 N2 M0 Auswertung:

T2 N2 M0 Indexwert = Größe [cm]×0,2+Scorewert Grading + Scorewert


LK-Status
T3 N1, N2 M0
Indexwert Prognose 15-Jahres-
IIIB T4 N0, N1,N2 M0 Überlebensrate
IIIC Jedes T N3 M0 <3,4 Gut 80%
IV Jedes T Jedes N M1 3,41–5,40 Intermediär 42%

>5,40 Schlecht 13%

. Tab. 68.11 Kriterien des Gradings für das Mammakarzinom. (Nach . Tab. 68.13 Unterscheidung des Östrogen (ER)- und Progesteron­
Elston u. Ellis 1991) rezeptorstatus (PR). (Nach Goldhirsch et al. 2005).

Merkmal Kriterien Scorewert Endokrine Ansprechbarkeit Tumorzellkerne

Summen- Tubulusausbildung >75% 1 Endokrin nicht ER-/PgR-negativ 0 positive


score ansprechbar Tumorzellkerne

10–75% 2 Endokrin unsicher 1–9% positive


ansprechbar Tumorzellkerne
<10% 3
Endokrin ansprechbar ER-/PgR-positiv ≥10% positive
Kernpolymorphie Gering 1
Tumorzellkerne
Mittelgradig 2

Stark 3

Mitoserate 0–5/10 HPF 1


Staging-Untersuchung beim Mammakarzinom
6–11/10 HPF 2
4 Klinische Untersuchung beider Brüste und Axillae
>12/10 HPF 3 4 Mammographie in 2 Ebenen (Gegenseite ist obligat)
Gesamt 3–9 4 Mammasonographie
4 Thoraxröntgenuntersuchung in 2 Ebenen
Auswertung:
4 Leber-/Abdomensonographie
Summen- Malignitätsgrad G-Gruppe Kenn­ 4 Skelettszintigraphie
score zeichen 4 Gynäkologische Untersuchung
3,4,5 Gering G1 Gut
4 Blutbilduntersuchung
differenziert 4 Tumorbiopsie
4 Sentinel-LK
6,7 Mäßig G2 Mäßig 4 Ggf.: MRT Schädel, Thorax und Abdomenεε
differenziert
4 Tumormarkeruntersuchungen sind nicht prinzipiell erfor-
8,9 Hoch G3 Schlecht derlich
differenziert

HPF: »high power field« (=400-fache Vergrößerung im Lichtmikro-


skop) bei Sehfeldzahl 18 und Gesichtsfelddurchmesser von 0,45 mm. Bei Patientinnen mit einem neu aufgetretenen primären Mamma-
karzinom wird ein Staging vor Beginn der systemischen Primärthe-
rapie zur Abklärung einer Metastasierung empfohlen (Harder et al.
1997). Zu den Staging-Untersuchungen gehören Blutbild- und Tho-
632 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

des Brustkrebsfrüherkennungs/-Screening-Programm kann voraus-


. Tab. 68.14 Mammakarzinom: Differenzialdiagnose sichtlich eine erhebliche Reduktion der Brustkrebsmortalität erreicht
werden.
Nicht epitheliale Tumoren Phylloidestumor, Sarkom, Lymphom

Entzündungen Tuberkulose, Mastitis nonpuerperalis


(Differenzialdiagnose inflammatori- 68.5.2 Operative Therapie
sches Karzinom)
> In einer onkologischen Operation sollte ein tumorfreier
Gutartige degenerative Zysten, Papillome, umschriebene
Veränderungen fibröse Mastopathie, atypisch prolife- Resektionsrand (R0) erzielt werden. Der mikroskopisch ge-
rierende Mastopathie messene Sicherheitsabstand zwischen Tumor und Resek­
tionsrand sollte dabei 1 mm oder mehr für das invasive
Gutartige Tumoren Fibroadenom, Hamartom, Lipom,
Karzinom und 5 mm oder mehr für das intraduktale Karzi-
Akanthom der Haut, Nävi der Haut
nom (DCIS) betragen.
Traumafolgen Narben, Granulom
Ziel der operativen Therapie ist die onkologisch sichere und kom-
promisslose Tumorentfernung. Dabei ist eine brusterhaltende The-
raxröntgenuntersuchung, Lebersonographie, Skelettszintigraphie, rapie (BET) mit nachfolgender Bestrahlung bezüglich des Über­lebens
CT des Schädels, Thorax und Abdomen (Crump et al. 1996). Tumor- der alleinigen modifiziert radikalen Mastektomie (MRM) gleich­
markeruntersuchungen sind nicht erforderlich (ASCO 1997). wertig. Deshalb sollen alle Patientinnen über die Möglichkeit der
brusterhaltenden Therapie und der modifiziert radikalen Mastekto-
> Ziel des Staging ist es, eine genaue Definition des Tumors,
mie mit der Möglichkeit einer primären oder sekundären Rekon-
seiner Ausbreitung und seines Therapieverlaufs zu erhal-
struktion aufgeklärt werden. Der Wunsch der Patientin ist entschei-
ten. Diesbezüglich sei hier auf die aktuelle S3-Leitlinie von
dend.
2008 hingewiesen.
Eine modifiziert radikale Mastektomie (Ablatio mammae inkl.
Pektoralisfaszie und axilläre Lymphadenektomie) erfolgt bei nach-
stehenden Indikationen:
68.4.1 Differenzialindikation 4 diffuse, ausgedehnte Kalzifikation vom malignen Typ,
4 Multizentrizität,
Differenzialdiagnostisch müssen zum Mammakarzinom die in 4 inkomplette Entfernung des Tumors (inkl. intraduktale Kompo-
. Tab. 68.14 dargestellten Veränderungen des Brustgewebes beachtet nente), auch bei Nachresektion,
werden. 4 inflammatorisches Mammakarzinom, ggf. nach Vorbehand-
lung,
4 voraussichtlich nicht zufriedenstellendes kosmetisches Ergebnis
68.5 Therapeutisches Vorgehen bei brusterhaltender Therapie,
beim invasiven Karzinom 4 klinische Kontraindikationen zur Nachbestrahlung nach
brusterhaltender Therapie,
A. Heckmann, K.H. Breuing 4 Wunsch der aufgeklärten Patientin.

Die lokale und systemische Therapie des Mammakarzinoms unter- Die Bestimmung des histologischen Lymphknotenstatus (pN-Sta-
liegen dem Einfluss des histopatholgischen Tumortyps, dem stan- tus) ist Bestandteil der operativen Therapie des invasiven Mamma-
dardisierten histopathologischen Grading, der pTNM-Klassifikat­ karzinoms. Diese erfolgt mit Hilfe der Sentinel-Lymphknotenent­
ion und dem Lymphknotenstatus, welcher eine prognostisch wich- fernung (SLNE). Die SLNE ist der Axilladissektion gleichwertig. Die
tige Relevanz besitzt und mitbestimmend für eine systemische Morbidität nach SLNE ist aber im Vergleich zur Axilladissektion
Therapie ist. Des Weiteren spielen im Hinblick auf die Wahl der signifikant reduziert. Bei Patientinnen, die keine SLNE erhalten kön-
operativen Therapie und Strahlentherapie das Vorliegen von peri- nen oder die einen positiven SLN aufweisen, muss eine axilläre
tumoralen Gefäßinvasionen, multipler Tumorherde, die Residual- Dissektion mit Entfernung von mindestens 10 Lymphknoten aus
klassifikation (R) und der Sicherheitsabstand zum Schnittrand eine den Levels I und II erfolgen.
entscheidende Rolle. Hinzu kommt heute noch die immunhistolo- Beim intramammären Tumorrezidiv (DCIS/invasives Karzi-
gische Verifizierung des Hormonrezeptorstatus (Östrogen und Pro- nom) wird durch eine sekundäre Mastektomie die beste lokale
gesteron) und des HER-2/neu-Status. Rezidivrate und Risiko eines Tumorkontrolle erzielt. Insbesondere beim fehlenden Nachweis
68 invasiven Karzinoms werden durch das nukleäre Grading, den von Fernmetastasen ist diese sog. Salvage-Mastektomie die The­
Resektionsrand und die Ausdehnung bzw. der Größe des Tumors rapie der Wahl. Bei günstiger Ausgangssituation, z. B. DCIS oder
bestimmt. invasives Karzinom mit langem rezidivfreiem Intervall, fehlen­
dem Hautbefall, großem räumlichem Abstand zur ersten Tumor­
lokalisation, kann in vertretbaren Fällen organerhaltend operiert
68.5.1 Therapieziele werden. Bei organerhaltender Operation muss die Patientin auf
ein erhöhtes Risiko für ein erneutes intramammäres Rezidiv hin­
Ziel beim Mammakarzinom ist eine tumortypadaptierte Therapie, gewiesen werden. Ein isoliertes Thoraxwandrezidiv ist nach Mög-
die kurativ ist oder Lebensqualität und Überlebenszeit erhöht. Ne- lichkeit operativ vollständig und onkologisch sicher (R0) zu ent­
benwirkungen sollten dabei auf ein Minimum reduziert sein. fernen. Im Fall eines isolierten regionalen Rezidivs soll eine lokale
Ältere Frauen sollten prinzipiell gleichartig wie jüngere Frauen Kontrolle der Erkrankung durch Operation/Radiotherapie an-
behandelt werden. Durch ein qualitätsgesichertes, fachübergreifen- gestrebt werden.
68.5 · Therapeutisches Vorgehen beim invasiven Karzinom
633 68
Der Wert einer postoperativen Systemtherapie nach Resektion werden. Bei positivem Hormonrezeptorstatus ist eine Remission bei
eines lokoregionalen Rezidivs ist hinsichtlich des Gesamtüberlebens 60% der Patientinnen zu erwarten, bei negativem Hormonrezeptor-
nicht ausreichend belegt. Es liegen aber Hinweise vor, dass das status bei <10%. Spricht eine Patientin auf eine endokrine Therapie
krankheitsfreie Intervall durch eine Systemtherapie verlängert wer- an, wird diese bis zur Progression durchgeführt.
den kann. Erster endokriner Behandlungsschritt bei Metastasierung ist bei
Eine Bestrahlung nach Rezidivoperation sollte interdisziplinär postmenopausalen Patientinnen nach adjuvanter Therapie mit Ta-
diskutiert und entschieden werden. Eine postoperative Radio­ moxifen oder keiner Hormontherapie der Einsatz eines Aromatase-
therapie ist indiziert, wenn keine vorangegangene Radiotherapie hemmers. Weitere Schritte in der endokrinen Behandlungskaskade
erfolgt ist oder das Lokalrezidiv nicht radikal operiert wurde. Bei bei postmenopausalen Patientinnen stellen je nach antihormoneller
inoperab­lem Lokalrezidiv kann eine palliative Radiotherapie sinn- Vorbehandlung der Einsatz von Antiöstrogenen, Östrogenrezeptor­
voll sein. antagonisten, hoch dosierten Gestagenen oder der Wechsel des
Aromataseinhibitors von einem steroidalen auf einen nichtsteroida-
len Aromataseinhibitor oder vice versa dar. Bei prämenopausalen
68.5.3 Systemische Therapie des Mamma­ Patientinnen ist die Ausschaltung der Ovarialfunktion (GnRH-Ana-
karzinoms loga, Ovarektomie, Radiomenolyse) in Kombination mit Tamoxifen
die Therapie der 1. Wahl. In der Folge kann in der Prämenopause
Da es sich bei einem Mammakarzinom am ehesten um eine genera- eine Ovarialsuppression in Kombination mit einem Aromatasehem-
lisierte Erkrankung handelt, muss auch eine generalisiertes Thera- mer zum Einsatz kommen.
pieschema zur Behandlung angelegt werden. Einen weiteren Schritt stellt die Behandlung mit hoch dosierten
Gestagenen dar. Eine neoadjuvante (primäre, präoperative) syste-
> Die systemische neoadjuvante und adjuvante Therapie
mische Therapie wird heute als Standardbehandlung bei Patientin­
ist ein integraler Bestandteil der Therapie von Brust­
nen mit lokal fortgeschrittenen, primär inoperablen oder inflamm-
krebspatientinnen und trägt neben der chirurgischen
atorischen Mammakarzinomen im Rahmen eines multimodalen
Tumorentfernung wesentlich zur Reduktion der Mortali-
Therapiekonzeptes angesehen.
tät bei.
Die neoadjuvante Chemotherapie stellt eine alternative Be-
Vor der Durchführung einer systemischen Therapie müssen der All- handlungsmöglichkeit für Frauen dar, bei denen eine Indikation für
gemeinzustand der Patientin erhoben und die Compliance abge- eine Mastektomie vorliegt, die aber eine brusterhaltende Operation
schätzt werden. Die Therapieentscheidungen sind heute aufgrund wünschen. Der Effekt ist bei hormonrezeptornegativen Karzinomen
erweiterter Diagnostik und Therapiemöglichkeiten sehr komplex am größten. Eine Resektion in den neuen Tumorgrenzen ist mög-
geworden. Die individuelle Risikobeurteilung der Patientin rich- lich, wenn dadurch eine R0-Resektion mit ausreichendem Sicher-
tet sich nach klinisch-pathologischen Kriterien wie Tumorgröße, heitsabstand erreicht werden kann.
Lymph­knotenstatus und molekularen Prädiktoren des biologischen Eine primäre Hormontherapie stellt eine Option für postmeno-
Verhaltens des Tumors. Durch zielgerichtete Therapien gegen HER- pausale Patientinnen mit rezeptorpositivem Tumor dar, bei denen
2 und durch Aromataseinhibitoren der 3. Generation stehen neue eine Operation kontraindiziert ist oder wenn eine Operation abge-
Behandlungsoptionen zur Verfügung, die in die modernen Thera- lehnt wird. Patientinnen mit befallenen axillären Lymphknoten
piealgorithmen integriert werden müssen. sollten eine adjuvante Kombinationstherapie mit Taxanen erhalten.
Aufgrund der Heterogenitat der Metastasen und der individuel-
len Krankheitsverläufe kann keine einheitliche Therapiestrategie
Adjuvante endokrine Therapie (anschließend an
vorgegeben werden. Dies gilt insbesondere für die zytostatische Be-
Chemotherapie) bei positivem Hormonrezeptorstatus
handlung des metastasierten Mammakarzinoms. Die Monotherapie
(ER-positiv und/oder PgR-positiv)
weist zwar niedrigere Remissionsraten als Polychemotherapien auf,
die Überlebenszeit wird hiervon jedoch nicht signifikant beeinflusst. 4 Prämenopausal:
Monotherapien sind besser verträglich, sodass nach Möglichkeit – Tamoxifen 5 Jahre
eine solche durchgeführt werden sollte. Lediglich bei starken Be- oder
schwerden, raschem Tumorwachstum und aggressivem Tumorver- Goserelin 2–3 Jahre und Tamoxifen 5 Jahre
halten ist eine Polychemotherapie indiziert. 4 Postmenopausal:
Vor Durchführung sowie während einer Chemotherapie muss – Tamoxifen 5 Jahre (ausschließlich Niedrig-Risiko-Patien-
der Allgemeinzustand der Patientin untersucht und beurteilt wer- tinnen)
den. Während der Therapie muss regelmäßig der Grad der Toxizität – Aromatasehemmer (z. B. Anastrozol, Letrozol) 5 Jahre
bestimmt werden. Eine Evaluation des Therapieeffektes sollte min- – Alternativ: nach 2–3 Jahren Tamoxifen Umsetzen auf
destens alle 3 Monate erfolgen. Bei Progress oder ausgeprägter Toxi- Aromatasehemmer (z. B. Exemestan, Anastrozol)
zität sollte die Therapie abgebrochen werden. Der therapeutische – Alternativ: Erweiterte endokrine adjuvante Therapie:
Index (individueller Patientenvorteil vs. therapiebedingte Neben- nach 5 Jahren Tamoxifen weitere 2–5 Jahre Aromatase-
wirkungen) sollte in der Gesamtbeurteilung der Therapie positiv hemmer (z. B. Letrozol)
ausfallen.
Die moderne neoadjuvante und adjuvante systemische Therapie
basiert nunmehr auf individualisierten Risikoprofilen und bein­haltet Die St. Gallen-Konsensuskonferenzen haben eine Risikostratifizie-
neben der klassischen Chemotherapie v. a. endokrine Therapieopti- rung auf der Basis prognostischer Parameter wie Primärtumorgröße,
onen und immunologische Therapieansätze. Die endokrine Thera- Nodalstatus, Hormonrezeptorstatus, HER-2/neu-Expression und
pie ist die Therapie der Wahl bei positivem Hormonrezeptorstatus. histologischer Merkmale entwickelt (Goldhirsch et al. 2005, 2007)
Eine endokrine Therapie ist weniger toxisch als eine Chemotherapie und Therapieempfehlungen formuliert, die nicht das Rezidi­v­ri­
und sollte daher grundsätzlich als Erstlinientherapie eingesetzt siko, sondern therapeutische Zielstrukturen wie Hormonrezeptor-
634 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

status und HER-2/neu-Expression propagieren (Löhrs u. Bauerfeind


2007). Ziele der modernen Brustrekonstruktion
Traditionelle klinisch-pathologische Kriterien wie Lymphkno- 4 Bildung einer natürlich aussehenden Brustform
tenstatus, Tumorgröße des Primärtumors und das histologische 4 Schaffung eines symmetrischen Areola-Mamillen-Kom-
Grading werden in der Risikoeinschätzung nun ergänzt durch die plexes
Anwendung biologischer und molekularer Marker wie den Hor- 4 Vermeidung eines größeren Hebedefektes, möglichst
monrezeptoren [Östrogen (ER+)- und Progesteronrezeptor (PR+)], unauffällige Narbe
dem Her2-neu-Rezeptor, sowie Genexpressionsmuster und histolo- 4 Rekonstruktionsverfahren möglichst einfach und sicher
gische Merkmale. 4 Möglichst geringe Belastung durch Operation und post­
Die moderne neoadjuvante und adjuvante Systemtherapie des operative Morbidität
Mammakarzinoms richtet sich nach dem individualisierten Risiko-
profil der Patientin. Dieses berücksichtigt histopathologische und
klinische Kriterien. Die Hormonempfindlichkeit stellt hierbei ein
wichtiges therapierelevantes Merkmal der Tumoren dar. 68.6.2 Wahl des Operationsverfahrens
Bei den meisten Patientinnen kann die systemische Therapie
prä- oder postoperativ mit gleicher Effektivität durchgeführt werden. Die Wahl der Technik muss für jede Patientin individuell getroffen
Dabei kommen multimodale Konzepte unter Einbindung zytosta- werden. Wichtige Entscheidungsfaktoren zeigt . Tab. 68.15.
tischer und antihormoneller Regimes sowie einer immunologischen Je nach Indikationsstellung ist der Wiederaufbau mit allogenen
Therapie mit Trastuzumab in unterschiedlichen Kombinationen zur Implantaten, autologem Gewebe oder durch Kombination beider
Anwendung. So ergibt sich eine Indikationsstellung für HER-2-In- Verfahren möglich. Wichtige Kriterien der Verfahrenswahl sind im
hibitoren bei HER-2-überexprimierenden Tumoren in Kombination Entscheidungsbaum in . Abb. 68.1 dargestellt.
mit einer Chemotherapie oder als Monotherapie nach Vorbehand-
! Cave
lung mit Taxanen und Anthrazyklinen. Bei Einsatz von Paclitaxel als
Nach bereits erfolgter Bestrahlung ist der Brustwieder­
zytostatische Erstlinientherapie bei metastasiertem Mammakarzi-
aufbau mit körpereigenem Gewebe der Anwendung von
nom kann zur Verbesserung des Therapieerfolges Bevacizumab
Expandern oder Prothesen vorzuziehen, weil bestrahltes
(VEGF-Inhibitor) zur Hemmung der Angiogenese eingesetzt und
Gewebe nur noch eingeschränkt dehn- und formbar ist.
dadurch die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung verlängert
Eine Expanderrekonstruktion ist relativ kontraindiziert.
werden.
Ein vielversprechender Therapieansatz besteht im Einsatz von
Bisphosphonaten in der Primärtherapie des Mammakarzinoms bei
prä- und postmenopausalen Patientinnen (Gnant et al. 2009). Bis- 68.6.3 Operationszeitpunkt
phosphonate werden standardisiert bei der Behandlung von Skelet­t­
metastasen eingesetzt und scheinen neuerdings auch in weiteren Die Entscheidung, ob eine Sofortrekonstruktion oder eine plastische
Bereichen protektiv zu wirken. Insbesondere die Zoledronsäure ver- Operation im Intervall erfolgt, ist abhängig von der individuellen
mag in Kombination mit der Chemotherapie im Brustkrebsfrühsta- Situation der Patientin und ihren Wünschen.
dium das Risiko von lokalen und Fernmetastasen signifikant zu
senken. Einzeitiges Vorgehen
Die Vorteile eines einzeitigen Vorgehens liegen in der geringeren
psychologischen Belastung, da sich bei der Patientin bei sofortigem
68.6 Operationstechnik Brustwiederaufbau ein Verlusterlebnis nach Entfernung der Brust-
der Brustrekonstruktion drüse in geringerem Maße einstellt. Weiterhin ermöglicht insbeson-
dere nach »skin sparing mastectomy« der Memory-Effekt der Haut
T. Bund, A. Gohritz die Rekonstruktion einer natürlicheren Brustform, als dies bei Se-
kundärrekonstruktionen möglich ist.
Plastisch-rekonstruktive Eingriffe sind im Rahmen des Primärein-
griffes (Sofortrekonstruktion) oder im Intervall (Sekundärrekons­
truktion) möglich. Sie dienen der Defektdeckung, dem Volumener-
satz und der Wiederherstellung der körperlichen Integrität der Pa­ . Tab. 68.15 Entscheidungsfaktoren zur Wahl des Operationsverfah-
tientin. Die Brustrekonstruktion scheint nicht mit einem Anstieg der rens zur Brustrekonstruktion
Lokalrezidivrate verbunden zu sein. Der Wiederaufbau der ampu-
68 tierten weiblichen Brust kann einer Patientin nur nach umfassender Kriterium Kennzeichen
Information aller bestehenden Möglichkeiten angeboten werden.
Ob diese Maßnahme einen günstigen oder ungünstigen Einfluss auf Onkologische Staging, Grading, geplante oder erfolgte
den Krankheitsverlauf hat, ist bislang nicht endgültig beantwortet. Kriterien Bestrahlung

Defekt Art, Lage, Größe, Narben

Patientin Gesundheitszustand, Compliance, Wunsch


68.6.1 Therapieziele
Operateur Chirurgisches Können, Vorlieben, Abneigungen
Ziele der modernen Brustrekonstruktion sind in der . Übersicht Verfahren Technische Voraussetzungen, Hebedefekt
genannt.
68.6 · Operationstechnik der Brustrekonstruktion
635 68

. Abb. 68.1 Schema zur plastisch-rekonstruktiven Brustrekonstruktion. (Nach Deutsche Krebsgesellschaft e. V.)

Zweizeitiges Vorgehen erscheint und deutlich tastbar ist. Auch besteht ein erhöhtes Risiko
Die Sekundärrekonstruktion erlaubt den Frauen nach Diagnosestel- einer Kapselfibrose. Erfolgt eine Bustrekonstruktion nur durch ein
lung und Primärtherapie einen zeitlichen Abstand, um sich mit den Implantat, so wird es zur besseren Bedeckung submuskulär (subpek-
Möglichkeiten plastischer Rekonstruktion in Ruhe auseinanderset- toral) platziert, wobei der kaudale Implantatpol durch eine biologische
zen zu können. Ersatzmatrix (Alloderm, Stratice-Sheet) bedeckt werden kann.
Falls vor einer geplanten Strahlentherapie ein Gewebeexpander
bereits implantiert worden war, soll dieser zunächst komplett gefüllt
und die Gewebereaktion nach der Bestrahlung abgewartet werden, um Vor- und Nachteile der Implantatrekonstruktion
dann zu entscheiden, ob eine definitive Prothesenimplantation oder 4 Vorteile:
aber eine Lappenrekonstruktion das bessere Ergebnis bringen könnte. – Kurze Operationszeit
– Geringe perioperative Komplikationsrate
4 Nachteile:
68.6.4 Implantatrekonstruktion – Tastbares Implantat bei dünner Weichteilbedeckung
– Kapselfibrose
Implantate zur Brustrekonstruktion werden in unserer Klinik v. a. bei – Fremdkörpergefühl
der Sofortrekonstruktion nach brusterhaltender Tumorresektion ver- – Perforationsgefahr
wendet, wenn ein ausreichend großer Haut- und Weichteilmantel – Eingeschränkte Formbarkeit
vorhanden ist. Bei Sekundärrekonstruktionen nach modifiziert radi- – Bei adjuvanter Radiation sekundäre Schrumpfung
kaler Mastektomie (MRM) findet man in der Regel nur einen dünnen, und Deformität
retrahierten Weichteilmantel, sodass ein Implantat optisch auffällig
636 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

68.6.5 Eigengewebe zur Rekonstruktion wird soweit vorbereitet, dass der Lappen intraoperativ in Seitenlage
in den Defekt eingeschwenkt werden kann.
Eine Rekonstruktion mit Eigengewebe erscheint v. a. bei straffem Die erforderliche Breite der Hautinsel ergibt sich aus der Diffe-
Hautmantel und dünnem Subkutangewebe indiziert, da sich durch renz der Strecken zwischen Jugulum und Unterbrustfalte der gesun-
Verpflanzung von Gewebe mitsamt darüberliegender Hautinsel ne- den Brust und der abladierten Seite. Die Länge der erforderlichen
ben der Volumenrekonstruktion auch ein Ausgleich des relativen Hautinsel ergibt sich aus der Differenz der maximalen Brustbreiten
Hautmangels erzielen lässt. Daher ist dieses Verfahren insbesondere von gesunder und abladierter Seite. Ist eine spätere Reduktion der
für die Sekundärrekonstruktion nach MRM oder nach Radiatio gesunden Seite geplant, ist dies bei der Planung der Hautinsel zu
geeignet. berücksichtigen. Es ist zu beachten dass die Größe der Hautspindel
durch die Spannung beim Verschluss des Hebedefektes limitiert ist.
Dies limitiert auch die Größe der zu rekonstruierenden Brust, was
Vor- und Nachteile von Eigengewebe zur Brust­
bei sehr großen Brüsten zur Vermeidung einer Asymmetrie eine
rekonstruktion
angleichende Reduktion der Gegenseite erfordern kann.
4 Vorteile: Idealerweise wird bei der Anzeichnung eine Schablone der
– Natürliche Konsistenz der Brust Haut­insel angefertigt, dann die erforderliche Stiellänge zwischen Haut­
– Natürliches Alterungsverhalten insel und dem axillären Gefäßanschluss ausgemessen und die Haut­
– Keine Sekundäreingiffe (kein Implantatwechsel) insel mit dieser Stiellänge auf die Entnahmestelle übertragen. Die
– Kein Fremdkörper/keine Kapselfibrose Hautspindel wird über dem Muskel platziert, wobei die Verlaufsrich-
– Hohe Akzeptanz, hohe Identifikation mit dem Trans­ tung der späteren Narbe in Absprache mit der Patientin entweder
plantat horizontal in Höhe des BHs oder entsprechend dem Verlauf der
4 Nachteile: Hautspannungslinien schräg von kranial/lateral nach kaudal/medial
– Technisch schwieriger Eingriff gewählt werden kann. Eine schräge Orientierung ermöglicht bei ma-
– Erhöhte Komplikationsrate ximaler Breite der Hautinsel den unproblematischen Hautver-
– Verlust des verpflanzten Gewebes möglich schluss.
– Hebedefektmorbidität Die Lappenhebung erfolgt in Halbseitenlagerung, wobei der
Arm der betroffenen Seite mit abgewaschen und frei beweglich über
eine Stütze gelagert wird.
Gestielter Latissimus-dorsi-Lappen mit oder Zur Implantation des Latissimuslappens kann eine Umlagerung
ohne Implantat der Patientin in eine halbsitzende Position erforderlich sein. Wäh-
Der gestielte myokutane Latissimus-dorsi-Lappen wurde erstmals rend des Umlagerns wird der präparierte Muskellappen je nach Grö-
1906 durch Tansini zur Deckung von ulzerierenden Wunden an der ße entweder in der Axilla gelagert oder steril verbunden und am
vorderen Thoraxwand beschrieben, geriet dann in Vergessenheit, Thorax fixiert und mit steriler Folie abgeklebt.
ehe er von Olivari 1976 wiederentdeckt wurde.
> Wir führen regelmäßig eine Durchtrennung des humera-
> Der gestielte M.-latissimus-dorsi-Lappen hat sich seither len Sehnenansatzes sowie eine Segmentresektion des
aufgrund seiner Sicherheit und geringen Hebedefektmor- N. thoracodorsalis durch, um eine bessere Mobilisierung
bidität sowohl bei der Brustrekonstruktion als auch bei zu ermöglichen und ein störendes Muskelzucken zu ver-
der Defektdeckung am Thorax nach ausgeprägten Rezidiv­ hindern.
eingriffen als Standardtherapie in der Brustchirurgie eta-
bliert. Operationstechnik
Wir verwenden den M.-latissimus-dorsi-Lappen in der Regel in Die Präparation der Empfängerregion beginnt mit der Exzision der
Kombination mit einem Silikongelimplantat, da die alleinige Ein- Mastektomienarbe, welche stets zur histologischen Aufarbeitung
bringung des myokutanen Lappens aufgrund denervierungsbeding­ eingesendet wird. Es folgt die Unterminierung des Haut-Weichteil-
ter Muskelathrophie keinen dauerhaften Volumenersatz erlaubt. Mantels auf der Brustwandmuskulatur entsprechend der Brustaus-
Da die Lappenpräparation und -hebung eingehend in 7 Kap. 12 dehnung der Gegenseite.
(»Lappenplastiken«) beschrieben wird, soll hier nur auf für die Anschließend wird durch stumpfe Präparation ein ausreichend
Brustrekonstruktion wichtige Details eingegangen werden. großer Tunnel zur Axilla geschaffen, der einen Durchzug des Mus-
Die Gefäßversorgung des M. latissimus dorsi aus der A. thora- kellappens ohne Kompression des Gefäßstiels erlaubt. Der distale
codoralis ist äußerst stabil. Eine Gefäßverletzung auch bei ausge- Lappenpol wird mit einer Backhaus-Klemme gefasst und der Lappen
dehnter Axilladissektion ist so selten, dass wir präoperativ keine vorsichtig durch den Tunnel in den Defekt gezogen, ohne dass
68 routinemäßige Gefäßdarstellung durchführen. Eine intakte Innerva- hierbei Zug auf den Gefäßstiel ausgeübt wird. Nach korrekter Posi-
tion korreliert meist mit einer intakten Gefäßversorgung. tionierung der Hautinsel wird zunächst der kraniale muskuläre
Lappen­anteil subkutan ausgebreitet und mit 2-0 PDS fixiert. Zur
Präoperative Planung Rekons­truktion der vorderen Axillarlinie sollte der Muskelstiel in
Die Operationsplanung erfolgt an der stehenden Patientin. Markiert diesem Bereich auf die Thoraxwand pexiert werden.
werden insbesondere die Höhe der geplanten Unterbrustfalte und Nun wird mit Hilfe von Probeimplantaten die erforderliche Im-
die Ausdehnung der Brustdrüse durch Übertragung von der Gegen- plantatgröße ermittelt. Hierbei ist zu bedenken, dass der denervierte
seite. Zu beachten ist, dass es nach Brustrekonstruktionen durch Muskel atrophieren wird und das Lappenvolumen dadurch je nach
Eigengewebe stets durch Narbenschrumpfung zu einer Kranialisie- Größe der Hautinsel und des mitverlagerten subkutanen Fettgewe-
rung der intraoperativen Brustumschlagsfaltenposition kommt, so- bes – das nicht atrophiert – an Volumen verlieren kann. Das Implan-
dass diese bei der Planung etwa 2–3 cm unterhalb der Höhe der tat sollte daher stets größer gewählt werden, als es für eine intaope-
Gegenseite eingezeichnet werden sollte. Die Implantationsregion rative Symmetrie erforderlich wäre. Vorzugsweise verwenden wir
68.6 · Operationstechnik der Brustrekonstruktion
637 68
anatomische Silikongelimplantate, die epipektoral unter den M. la- dität konnten sich diese Spendeareale aber nur als Ausweichmög-
tissimus dorsi eingebracht werden. lichkeit behaupten. Die am häufigsten genutzten modernen Tech-
Vor der Implantatpositionierung wird eine 12er-Redon-Draina- niken beruhen auf der Gewebeentnahme vom Unterbauch. Ein
ge eingebracht und unter Schonung des Lappenstiels axillawärts Operationsbeispiel ist in . Abb. 68.2 gezeigt.
ausgeleitet. Anschließend erfolgt die Fixierung der kaudalen Lap-
penanteile in der Unterbrustfalte, sodass die Implantatkammer ge- Anatomische Grundlagen
schlossen ist. Sollte sich beim Einpassen der Hautinsel diese als zu Die Wiederherstellung der weiblichen Brust mit Unterbauchgewebe
groß erweisen, werden die überschüssigen Anteile deepithelisiert basiert auf der Muskel-, Gefäß- und Nervenanatomie des M. rectus
und nach subkutan verlagert. abdominis.
Nach dem Hautverschluss durch subkutane Einzelknopfnähte Der M. rectus abdominis besitzt eine duale Blutversorgung
und fortlaufende Intrakutannaht erfolgt der Verband durch Ste- durch die oberen und unteren epigastrischen Gefäße, die intramus-
ristrip-Pflaster, Haut-Tapes und Rollwatte. kulär durch zahlreiche Anastomosen miteinander kommunizieren
und die Gefäßsysteme der A. subclavia und der A. iliaca externa mit-
Eigengeweberekonstruktion durch Unterbauch­ einander verbinden. Die Perfusion des freien TRAM-Lappens er-
gewebe folgt aus dem Angiosom der A. epigastrica inferior profunda, die aus
Die Einführung der freien Gewebetransplantation zu Beginn der der A. iliaca externa entspringt und bis zum Rippenbogen das domi-
1970-er Jahre revolutionierte auch die rekonstruktive Mammachi- nante Versorgungssystem der Bauchwand ist. Ihr durchschnittliches
rurgie. Als Spenderareale wurden neben dem Gesäß die Leiste, der Kaliber liegt bei 3,5 mm und entspricht dem Doppelten der A. epi-
Oberschenkel und die Hüftregion beschrieben. Wegen technischer gastrica superior. Die beiden Begleitvenen münden in die V. iliaca
Schwierigkeiten, geringen Volumens oder hoher Hebedefektmorbi- externa, ihr durchschnittlicher Durchmesser beträgt je etwa 2,5 mm.

a b

c d

. Abb. 68.2 Brustrekonstruktion mit gestielten Lappen: Latissimus-dorsi- Strahlenfeld nach Bestrahlung eines gestielten Latissimus-Lappens. f Pla-
Lappen und Implantat bei »skin-sparing« Mastektomie wegen multifokalen nungszeichnung für einen kontralateral gestielten TRAM-Lappen. g Exzision
duktalen Mammakarzinoms mit Entfernung der Mamille. Präoperativer des Strahlenareals. Umschneidung und Hebung des Lappens und Durchzug
Befund (a), Hebung des myokutanen Lappens (b) und Sofortrekonstruktion in den Defekt (h, i). Einpassung und Endergebnis nach finaler Mamillen­
(c). d Zustand nach Mamillenrekonstruktion und Radiatio. e Kontralateral rekonstruktion (j, k)
gestielter TRAM-Lappen nach fehlgeschlagener Implantatrekonstruktion im
638 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

e f

g h

i j

68

k
. Abb. 68.2 (Fortsetzung)
68.6 · Operationstechnik der Brustrekonstruktion
639 68

a b
. Abb. 68.3 Gefäßversorgung der Bauchwand durch das tiefe Arteriensystem (a; 7 Text). Gefäßversorgung des freien TRAM-Lappens durch A. und V. epi-
gastrica inferior (b)

Liegt nur ein Stamm vor, beträgt dessen Kaliber etwa 4,5 mm. Damit zweigen sich und bilden schließlich innerhalb des Muskels zahlreiche
liegen günstige Voraussetzungen zur mikrochirurgischen Trans- Anastomosen mit dem Versorgungssystem des unteren epigasti-
plantation vor. schen Gefäßsystems. In ihrem Verlauf senden beide longitudinale,
Oberhalb des Nabels bilden beide Gefäßsysteme ein dichtes intramuskuläre Gefäßsysteme Perforatoren durch das vordere Blatt
Anastomosennetz (. Abb. 68.3). der Rektusscheide paramedian zur darüber liegenden Haut.
Die versorgenden Perforansgefäße des freien TRAM-Lappens Die Häufung dieser perforierenden Gefäßäste um und unterhalb
entstammen der Hauptgefäßachse des tiefen epigastrischen Systems des Nabels ermöglicht es, eine recht große quere Hautinsel des Un-
und steigen direkt zur Haut auf. Über horizontale Kollateralen des terbauchs am kranial gestielten Rectus-abdominis-Muskel in den
subdermalen Plexus bestehen Verbindungen zur Gegenseite, ein zu- Mastektomiedefekt einzuschwenken.
sätzliches Verbindungsnetz gibt es im Bereich der Fascia scarpae. Nachteilig sind jedoch die aufwendige Technik und die Versor-
Die Anzahl der Perforatoren ist periumbilikal am dichtesten. gung durch die nicht dominanten Gefäße der Bauchwand und damit
Hier strahlen sie in alle Schichten der Bauchwand und gehen Verbin- das erhöhte Risiko von Fettgewebenekrosen. Der nach oben umge-
dungen zu Ästen der A. epigastrica superficialis, A. circumflexa ile- schlagene Muskelstiel kann eine unschöne Deformität verursachen.
um superficialis und den Interkostalgefäßen ein, die aber bei der Die Entnahme von mindestens einem M. rectus abdominis führt zur
Lappenumschneidung durchtrennt werden. Bauchwandschwächung, die eine asymptomatische Vorwölbung der
Die dem Gefäßstiel gegenüberliegende Seite wird vom subder- Bauchwand im Stehen (»bulging«) oder eine echte Bruchsackbil-
malen Plexus im Sinne eines Random-pattern-Flaps versorgt. dung zur Folge haben kann. Aus diesen Gründen wird diese Technik
von mikrochirurgisch versierten Chirurgen nur mehr ausnahmswei-
! Cave
se angewandt.
Der Perfusionsdruck der Kapillaren nimmt zur Peripherie
des Lappens mit jeder Anastomose stufenmäßig ab. Bei zu Freier TRAM-Lappen
großer Dimensionierung kann zwar die Haut überleben,
Die mikrochirurgische Gewebetransplantation von Unterbauchge-
das subkutane Fett aber ischämisch und später nekrotisch
webe zur Brustrekonstruktion geht auf Holmström (1979) zurück.
werden, besonders in den mit III und IV bezeichneten
Er entwickelte die Transplantation einer queren Unterbauchge­
Randzonen.
webeinsel zur Brustrekonstruktion aus der Beobachtung, dass die
Fettschürze bei einer Abdominoplastik auch nach kompletter
Gestielter TRAM-Lappen Umschneidung von den M. rectus abdominis perforierenden Ge-
Von Holmström (1979) und Hartrampf et al. (1982a, b) wurde ein fäßen durchblutet bleibt, solange sie auf der Muskelfaszie haftet.
querer Rectus-abdominis-Muskel-Haut-Lappen (»tranverse rectus Seine Veröffentlichung von 2 klinischen Fällen und anatomischen
abdominis myocutaneous« = »TRAM flap«) beschrieben. Dieser Studien dieses »abdominoplasty flap« (Bauchdeckenplastiklappen)
kranial gestielte Lappen wird aus den oberen epigastrischen Gefäßen wurde erst nach der Etablierung der Mikrochirurgie zum Standard-
perfundiert. Diese treten als Verlängerung der Vasa thoracica inter- verfahren in der Plastischen Chirurgie wiederentdeckt (. Über-
na aus dem Thorax in die Scheide des M. rectus abdominis ein, ver- sicht).
640 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

Um die Bauchdecke so wenig wie möglich zu schwächen, wurde


Hauptvorteile der mikrochirurgischen Transplantation die muskelsparende Entnahmetechnik entwickelt. Hierbei wird der
gegenüber der gestielten Transpositionsvariante Muskel nicht in ganzer Breite gehoben, sondern nur eine möglichst
4 Blutversorgung über die dominanten unteren epigas­ kleine, den Gefäßstiel schützende Komponente. Der laterale Muskel-
trischen Gefäße, damit geringeres Risiko von Gewebe­ anteil bleibt voll innerviert bestehen. Der M. rectus abdominis wird
nekrosen stumpf vom hinteren Blatt der Rektusscheide mobilisiert. Mit Ein-
4 Größere sicher perfundierte Lappenfläche zelnähten werden Faszie und Muskel am subkutanen Fettgewebe
4 Freiere Modellierung des Lappens ohne Muskelstiel befestigt, um Scherkräfte und Zug am Gefäßstiel zu vermeiden. Me-
4 Geringere Hebedefektmorbidität, v. a. bei muskelsparender dial durchtrennt man die Rektusscheide entlang der Linea alba unter
Entnahme Aussparung des Nabels. Die kraniale Durchtrennung des Muskels
erfolgt auf Höhe der oberen Lappengrenze unter Erhalt mehrerer
größerer Perforansgefäße. Nach Überprüfung der Perfusion wird
der Lappen abgesetzt und dem »Brust-Team« übergeben.
Präoperative Vorbereitung Im eigenen Vorgehen sind die A. und V. mammaria und die
Der freie TRAM-Lappen bietet Frauen nach radikaler, modifiziert A. und V. thoracodorsalis bei Sofortrekonstruktionen nach einer
radikaler oder subkutaner Mastektomie die Möglichkeit der sofor- axillären Ausräumung direkt zugänglich.
tigen (primären) oder verzögerten (sekundären) Rekonstruktion.
> Bei der Präparation wird der Gefäßabgang zum M. serra-
Nach Komplikationen bei der Brustrekonstruktion mit einem Im-
tus anterior erhalten, der den M. latissimus dorsi retrograd
plantat kann dieses durch Eigengewebe ersetzt werden. Ein Aufbau
versorgt, und so die Rückzugsmöglichkeit einer Latissi-
bei kongenitaler Brustfehlbildung, wie Poland-Syndrom, oder bei
musplastik bei Totalverlust des freien TRAM-Lappens of-
gestörter Brustentwicklung nach Verbrennung oder Bestrahlung der
fengelassen.
Thoraxwand im Kindesalter ist ebenso möglich.
Bei den relativen Kontraindikationen eines gestielten TRAM- Alternative Anschlüsse bieten die A. circumflexa scapulae, die
Lappens, wie Adipositas oder Rauchen, ist der freie TRAM-Lappen A. thoracica lateralis oder A. thoracoacromialis. Die mikrochirur-
wegen seiner überlegenen Perfusion besser geeignet. Bei Rau­ gische Anastomose wird mit Einzelknopfnähten der Stärke 9-0 oder
cherinnen besteht kein erhöhtes Risiko für die mikrochirurgische 10-0 unter dem Mikroskop durchgeführt, je eine Arterie und Vene
Anastomose durch Gefäßverschluss oder -spasmus, sie werden aber sind meist ausreichend. Der Lappen wird erst danach eingepasst und
zur Vermeidung von Wundheilungsstörungen, Thrombembolien, geformt. Vorher muss beurteilt werden, ob alle Anteile sicher durch-
Pneumonien und Hernien zur Nikotinkarenz aufgefordert. Die blutet sind.
Technik ist nach bereits durchgeführter Abdominoplastik nicht
! Cave
möglich.
Die intraoperative Entfernung aller fraglich durchbluteten
! Cave Anteile vermeidet postoperative Komplikationen wie
Nach Eingriffen, die das tiefe untere epigastrische Gefäß- Haut- oder Fettnekrosen.
system schädigen können oder größere Anteile des
Eine ästhetisch akzeptable Brustform zu rekonstruieren, ist der zeit-
Lappens betreffen (z. B. mediane Laparotomie), muss
aufwendigste Schritt der Operation. Zum Einpassen des Lappens
die Gefäßsituation vorher geklärt werden.
wird die Patientin 45°–90° aufgesetzt. Die Modellierung der neuen
Ist dies nur intraoperativ möglich, muss die Patientin präoperativ auf Brust erfolgt im Vergleich zur Gegenseite. Um eine adäquate Ptose
ein mögliches Ausweichen auf eine Alternativmethode (z. B. gestielte zu erzielen, wird ein Teil des auf der gleichen Seite des Gefäßstiels
TRAM- oder Latissimus-dorsi-Plastik) hingewiesen werden. liegenden Lappens (Zone II) entepithelisiert, entlang der Submam-
marfalte unter sich selbst eingeschlagen und in die kaudale Haut­
Operationstechnik tasche eingearbeitet. Bei alleiniger subcutaner Rekonstruktion dient
Der Einsatz von 2 Operationsmannschaften, eines »Bauch-« und eine kleine Hautinsel in der Submammarfalte, an dem eine Per­
eines »Brust-Teams«, ist sinnvoll, da dies die Operationszeit deutlich fusionsstörung früh sichtbar ist und der bei Bedarf nach einigen
senkt. Bei der Sofortrekonstruktion wird der Defekt von der Schnitt- Wochen in Lokalanästhesie entfernt wird, als Monitor.
führung der onkologisch radikalen Mastektomie (evtl. mit Axilla- Simultan mit der mikrochirurgischen Anastomose und Einpas-
dissektion) bestimmt. Die Sekundärrekonstruktion beginnt mit der sung des Lappens wird der Verschluss der Hebestelle vorgenommen.
Exzision der Mastektomienarbe und ggf. der Silikonexplantation. Zum spannungsfreien abdominellen Verschluss muss die Bauchhaut
Kranial und kaudal geschaffene Hauttaschen nehmen den Lappen wie bei der Abdominoplastik ausgiebig unterminiert werden, kra­
nach der Transplantation in den Mastektomiedefekt auf. nial bis zum Rippenbogen und Xyphoid.
68 Die Hebung des Lappens, der von Nabel, Schambeinoberrand Der kaudale verbliebene Anteil des durchtrennten Rektusmus-
und den vorderen Darmbeinstacheln begrenzt wird, erfolgt auf der kels wird auf Höhe der Linea arcuata an der hinteren Rektusfaszie
Faszie von lateral nach medial: Auf der Seite der versorgenden Ge- befestigt und so die vordere Bauchwand verstärkt, um ein Hervor-
fäße bis zum lateralen Rand der Rektusscheide, auf der Gegenseite quellen von intraabdominellen Strukturen im Sinne einer Pseudo-
bis zur Linea alba. Bei beidseitigem Aufbau wird der Lappen nur bis hernie zu verhindern. Idealerweise verschließt man den Defekt in
zur lateralen Reihe der Perforansgefäße präpariert. Der Nabel wird den einzelnen Schichten primär, nur wenn dies nicht möglich ist,
umschnitten, präpariert und aus dem Lappen herausgezogen. z. B. nach beidseitigem Wiederaufbau, mit Hilfe eines Kunststoff-
Die vordere Rektusscheide wird auf der Seite des Gefäßstiels netzes. Durch das fehlende Faszienstück kann eine gegenseitige
etwa 3 cm distal der Linea arcuata inzidiert und der M. rectus abdo- Vorwölbung der Bauchwand entstehen. Dem kann durch eine kon-
minis im lateralen Drittel gespalten. Durch diese Muskellücke geht tralaterale Faszienraffung vorgebeugt und der Nabel symmetrisch
man auf die A. epigastrica inferior mit ihren Begleitvenen ein und platziert werden.
stellt sie kaudal bis zur A. iliaca externa dar. Ein Operationsbeispiel zeigt . Abb. 68.4.
68.6 · Operationstechnik der Brustrekonstruktion
641 68
DIEP-Lappen
Inzwischen hat sich in vielen Kliniken der freie DIEP-Lappen («deep
inferior epigastric perforator«) als Standard bei der Brustrekons­
truktion durch Eigengewebe etabliert. Hierbei wird ein über Per­
foratorarterien an den tiefen inferioren epigastrischen Gefäßen ge-
stielter Hautfettlappen gehoben und der Gefäßstiel in seinem gesam-
ten Verlauf aus dem Rektusmuskel herauspräpariert.
Befürworter dieser Technik gehen von einem noch geringeren
Hebedefekt aus, wenn durch intramuskuläre Präparation der Perfo-
ransgefäße der Lappen als reine Haut-Fettgewebe-Insel ohne mus-
kuläre Komponente entnommen wird. Kritiker weisen auf die kom-
plizierte und risikoreiche Dissektion, die geringere Sicherheit der
Blutversorgung durch einzelne feine Perforansgefäße und die da-
durch eingeschränkte Patientenauswahl hin.
a
Präoperative Vorbereitung
Da es sich hier um einen elektiven freien mikrochirurgischen Gewe-
betransfer handelt, ist besonderes Augenmerk auf die präoperative
Patientenauswahl zu legen. Hierbei sind neben der Motivation der
Patientin insbesondere Risikofaktoren wie kardiovaskuläre Erkran-
kungen, Diabetes mellitus oder andere die Wundheilung beeinflus-
sende Erkrankungen zu berücksichtigen.
! Cave
Ein fortgesetzter Nikotinabusus stellt einen erheblichen
Risikofaktor und damit in unserer Klinik eine Kontrain­
dikation für eine Brustrekonstruktion mit Perforatorlap-
pen dar.
Auch wenn eine Bluttransfusion in der Regel nicht erforderlich ist,
b bieten wir der Patientin die Möglichkeit zur präoperativen pro­
phylaktischen Eigenblutspende im Rahmen des Aufklärungsge-
spräches an.

Operationstechnik
Präoperativ erfolgt das Anzeichnen des Lappens an der stehenden
Patientin. Es empfiehlt, sich die periumbilikalen Perforatoransge-
fäße mittels eines Handdopplergerätes bereits am Vortag in Ruhe zu
lokalisieren und deren Durchtrittpunkte zu markieren.
Die kaudale Inzision der abdominalen Hautspindel wird so lo-
kalisiert, dass die spätere Narbe durch die üblicherweise von der
Patientin getragene Unterwäsche verdeckt wird. Die obere Inzisions-
linie muss mindestens einen Querfinger kranial des Nabels verlau-
fen, um die meist periumbilikal gelegenen Hauptperforatoren sicher
einzuschließen (. Abb. 68.5b). Sollte der entnommene Lappen hier-
durch voluminöser sein als zur symmetrischen Rekonstruktion er-
forderlich, kann eine Ausdünnung oder Verkleinerung durch Ver-
werfen der Zone IV vor dem Einnähen erfolgen. Weiterhin werden
präoperativ die Mittellinie, die Medioklavikularlinie und die Sub-
mammärfalte sowohl der gesunden Seite als auch der zu rekonstru-
ierenden Seite markiert. Es ist zu beachten, dass die Position der
neuen Submammärfalte durch die Straffung im Rahmen des Hebe-
defektverschlusses nach kaudal wandert.

c Geeignete Anschlussgefäße zur mikrochirurgischen


Brustrekonstruktion in der Reihenfolge der Häufigkeit
. Abb. 68.4a–c. Brustrekonstruktion mit freiem muskelsparenden TRAM-
ihrer Anwendung
Lappen, der an die A. und V. thoracica (mammaria) interna angeschlossen
wurde 4 A. und V. thoracica/mammaria interna
4 A. und V. thoracodorsalis/thoracoacromialis
4 A. und V. circumflexa scapulae
4 A. und V. axillaris
642 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

a b

c d

. Abb. 68.5a–d Brustrekonstruktion mit freiem mikrochirurgisch angeschlossenen DIEP-Perforatorlappen

Der Verschluss des muskulofaszialen Defektes erfolgt entweder al- zwischen Os pubis und Spina iliaca anterior superior, ihr Durchmes-
lein durch fortlaufende 2-0 PDS-Nähte oder mittels Duplikatur der ser liegt bei 2–4 mm.
kontralateralen Faszie zur Symmetrierung der Bauchwand und des Die Lappenplanung entspricht derjenigen des freien TRAM-
Nabels. Diese Duplikatur erfolgt beidseits bis in das Epigastrium. oder DIEP-Lappens, wobei die kaudale Inzision möglichst tief ge-
Abschließend erfolgt der Verschluss der Bauchdecke wie bei der Ab- wählt werden sollte, um das Auffinden der oberflächlichen inferi-
dominoplastik unter Einbringen von 4 Redon-Drainagen. oren Gefäße zu erleichtern.
Im Unterschied zum DIEP-Lappen sind folgende Punkte zu be-
A.-epigastrica-inferior-superficialis-Lappenplastik achten:
(SIEAP-Lappen) 4 Perfusion nur des halben Unterbauches (»hemi flap«) gesichert,
Der SIEAP-Lappen stellt eine weitere Verfeinerung des DIEP-Lap- jenseits der Mittellinie ist sie fraglich.
pens dar, da die Gewebeentnahme nur oberhalb der Rektusfaszie 4 Verwendung der kontralateralen Unterbauchhälfte, um leichter
erfolgt und die vordere Bauchwand in ihrer Integrität nahezu voll- mit 2 Teams arbeiten zu können und bei kurzem Gefäßstiel eine
kommen erhalten bleibt. spannungsfreie Anastomose am Thorax zu erreichen.
4 Senkrechte Inzision in der Mitte des Unterbauchtransplantates
68 ! Cave
Die Perfusion dieser Lappenplastik entstammt dem ober-
bildet die Basis, die inferiore Inzision die mediale Grenze der
rekonstruierten Brust.
flächlichen inferioren epigastrischen Gefäßsystem, das
4 Durchtrennen der temporär ausgeklemmten Perforansgefäße
allerdings bei etwa 30% der Patientinnen nicht angelegt
erst, nachdem die Durchblutung des »hemi flap« am Unterbauch
ist. Das Vorhandensein dieser Gefäße muss präoperativ
über das oberflächliche inferiore epigastrische Gefäßsystem si-
durch Dopplersonographie oder sonstige Bildgebung
chergestellt ist, ansonsten Konversion zum DIEP- oder TRAM-
(Angio-CT oder MRT) festgestellt werden.
Lappen.
Die A. epigastrica superficialis entspringt in ca. 50% mit einem ge-
meinsamen Stamm der A. circumflexa ilium superficialis aus der Der SIEAP-Lappen teilt die Vorteile des DIEP-Lappens, hat diesem
A. femoralis und wird von 2 Venen begleitet, die in die V. femoralis aber einen noch geringere Hebedefekt voraus. Die Lappenplastik ist
münden. Die V. epigastrica superficialis liegt am häufigsten medial nur bei etwa 70% der Patientinnen (mit geeignetem oberflächlichem
am Übergang vom lateralen zum medialen Drittel auf der Strecke inferiorem epigastrischem Gefäßsystem) anwendbar, weitere Nach-
68.7 · Wiederherstellung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK)
643 68
teile sind die weniger sichere Perfusion, die deutlich kleinere Lap- neue Technik hat zuwenig Haut- und Unterhautfettgewebe oder
pengröße und die geringe Erfolgsaussicht bei Revision der mikrochi- Narben im Unterbauchbereich, um einen TRAM- oder DIEP-Lap-
rurgischen Anastomose. pen einsetzen zu können, gleichzeitig bestehen aber Fettgewebere-
serven im Oberschenkelbereich. Im Idealfall ist die Haut an der
Oberschenkelinnenseite schlaff, sodass die Patienten zusätzlich von
68.6.6 Alternative Lappenplastiken einer medialen Oberschenkelstraffung profitiert.
zur Eigengeweberekonstruktion Bei der Einzeichnung des bis ca. 30×8 cm großen Lappens be-
steht die vordere Begrenzung in der Sehne des M. adductor longus,
Wenn das Unterbauchgewebe nicht zur Verfügung steht, bieten sich die sich bei abgespreiztem Bein meist gut tasten lässt. Damit ist die
als alternative Spenderareale für mikrochirurgische Gewebetrans- Narbe später von vorn meist nicht sichtbar. Die posteriore Begren-
plantationen die Glutäalregion und die Oberschenkelinnenseite an. zung der Hautinsel ist meist die Medianlinie des Oberschenkels, sie
kann aber bis zum Ausläufer der Infraglutäalfalte verlängert werden.
A.-glutaealis-superior-Perforator-Lappen Die Breite der Hautspindel richtet sich nach der Elastizität der Ober-
(SGAP-Lappen) schenkelhaut. Bis 8–10 cm Breite lässt sich ein spannungsfreier pri-
Die Anwendung des myokutanen Glutäallappens durch Shaw in den märer Wundverschluss erzielen.
1980-er Jahren war durch die komplizierte Präparation und den Das dominante Gefäß für den M. gracilis entspringt aus der
kurzen Gefäßstiel technisch äußerst anspruchsvoll und mit erheb- A. und V. profunda femoris und besteht aus der A. circumflexa fe-
lichem Hebedefekt verbunden. Die Blutversorgung von Haut-/Fett- moris medialis.
gewebe über dem M. glutaeus maximus wird durch Perforansgefäße Den großen Vorteil dieser Lappenplastik bildet seine unauffäl-
gespeist, die der A. glutaealis superior und der A. glutaealis inferior lige Hebestelle. Die Präparation ist im Vergleich zu den Perforator-
entstammen und einen Durchmesser von 1–1,5 mm besitzen. Die lappen einfacher und schneller, die Durchblutung aufgrund der
A.-glutaealis-superior-Perforator-Lappenplastik (SGAP) beruht auf konstanten Anatomie und guten Kaliberstärke der Blutversorgung
Perforansgefäßen der A. glutaealis superior. Sie ist der myokutanen sehr zuverlässig. Nachteile sind das limitierte Volumen je nach Kör-
Version in folgenden Punkten überlegen: perbau zwischen 150 und 500 ml Gewebe pro Oberschenkelseite
4 Längerer Gefäßstiel mit vereinfachter Präparation und mikro- sowie der relativ kurze Gefäßstiel, der den Anschluss an die Vasa
chirurgischer Anastomose. mammaria interna notwendig macht.
4 Veneninterponate meist verzichtbar.
4 Muskelsparende Hebung des SGAP-Lappens, daher keine Funk-
tionausfälle bei Hüftextension und -rotation. 68.7 Wiederherstellung des Mamillen-
4 Bessere Modellierbarkeit als Glutäallappen mit Muskelkompo- Areola-Komplexes (MAK)
nente (aber schlechter als Unterbauchgewebe!).
4 Deutlich kürzere Erholungsphase A. Gohritz, K.H. Breuing
Die Menge des Fettgewebes über der superioren Glutäalregion ent- Die Rekonstruktion des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK) ver-
spricht meist gut der angestrebten Brustgröße. Die Hebestelle lässt vollständigt die Nachbildung der Brust nach der initialen Volumen-
sich in der Unterwäsche verbergen. Entstehende Konturdeformi- rekonstruktion und sekundären Formkorrektur und der Anglei-
täten sind meist moderat, bei Bedarf kann eine angleichende Lipo- chung der Brustform an die Gegenseite. Damit findet oft auch die
suktion durchgeführt werden. Nachteile sind die insgesamt an- gesamte Behandlung der Brustkrebserkrankung ihren Abschluss.
spruchsvollere Operationstechnik und die schlechtere Modellier­ Daher hat dieser Eingriff nicht nur eine wichtige optische Wirkung,
barkeit des septierten glutäalen Fettgewebes als Glutäallappen im sondern auch eine große psychologische Bedeutung.
Vergleich zur Eigengeweberekonstruktion aus dem Unterbauchge-
webe.
68.7.1 Indikationsstellung
Freier fasziokutaner Infraglutäallappen
(FCI-Lappen) Eine MAK-Rekonstruktion sollte jeder Patientin nach Brustrekon-
Der freie fasziokutane Infragutäallappen (FCI) beruht auf dem struktion angeboten werden. Der Zeitpunkt zur MAK-Rekonstruk-
R. descendens der A. glutaea inferior, die ein bis zu 600 cm3 mes- tion ist abhängig von der Art der Rekonstruktion, z. B. Sofort- oder
sendes Lappenvolumen sicher versorgen kann. Die Entnahmestelle Sekundärrekonstruktion. Meist wird jedoch empfohlen, einen Zeit-
liegt im Bereich der Infraglutäalfalte verborgen, durch die muskel- raum von 6–12 Monaten abzuwarten, bis ein stabiles Ergebnis der
sparende Entnahme wird eine Beeinträchtigung der Gesäßmuskula- Rekonstruktion hinsichtlich Form, Ptose und Projektion anzuneh-
tur vermieden. Präoperativ muss per Doppler-/Duplexsonographie men ist.
der Verlauf des R. descendens der A. glutaea inferior gesichert wer-
den, der in 15–20% der Fälle fehlen kann.
Vorteil gegenüber dem SGAP-Lappen ist der noch längere Lap- 68.7.2 Planung
penstiel. Zur Vermeidung von Seromen an der Spenderregion muss
nach Drainage-Entfernung für mindestens 6 Wochen eine maßan- Bei der präoperativen Planung ist die korrekte Lage des MAK, ins-
gefertigte Kompressionsmiederhose getragen werden. besondere die der Mamille, von größter Wichtigkeit. Eine asymme-
trisch positionierte Mamille kann den optischen Eindruck einer
Transversaler muskulokutaner Grazilislappen Brustrekonstruktion stark beeinträchtigen und dazu führen, dass die
(TMG-Lappen) Patientin mit dem Gesamtergebnis unzufrieden ist.
Der freie TMG-Lappen bietet ausreichend Gewebe, um kleine bis Die Bestimmung der neuen Mamillenposition sollte daher in
mittelgroße Brüste aufzubauen. Die ideale Patientin für diese relativ Ruhe und nicht erst im Operationssaal durchgeführt werden. Sie
644 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

erfolgt am besten unter Einbeziehung der Patientin am Vortag


vor einem Spiegel. Im Stehen wird die neue Position ausgewählt
und markiert und dann in Rückenlage nochmals überprüft. Bei ge-
genseitig vorhandenem MAK kann dieser als natürliches Vorbild
dienen, bei Bedarf kann eine kontralaterale Verkleinerung durch­
geführt werden (bei der z. B. auch Areolahaut gewonnen werden
kann).
Bei beidseitiger Rekonstruktion sollten die neuen MAK auf der
vertikalen Meridianlinie der Brust zwischen der Mitte der Clavicula
auf einem Punkt etwa 11 cm entfernt von der Mittellinie liegen. Die
horizontale Höhe liegt im Bereich der maximalen Projektion des
Brusthügels, ungefähr 21–23 cm vom Jugulum und 5–7 cm von der
Unterbrustfalte entfernt.
Aufgrund der Form- und Konturdifferenz zwischen der gesun-
den und der rekonstruierten Brust muss die geometrisch bestimmte
Mamillenposition nicht immer optisch der optimale Punkt sein. Die
gemessenen Punkte sind nur Anhaltspunkte, sie müssen stets indi-
viduell überprüft und evtl. an die Wünsche der Patientin oder beson-
dere Gegebenheiten angepasst werden.

68.7.3 Rekonstruktion der Mamille

Zur Wiederherstellung einer erhabenen Projektion in der Mitte des


Brustwarzenhofs sind in der Praxis 3 Grundtechniken etabliert:

Transplantation der geteilten Mamille . Abb. 68.6 Rekonstruktion der Mamille mit »star flap«: Ein sternförmiges
der Gegenseite (»nipple sharing«) Hautmuster wird radiär umschnitten (a) und nach Deepithelisierung der
Zwischenräume (b) die 4 Sternstrahlen freipräpariert (c). Nach Mobilisie-
Diese Technik eignet sich für alle unilateralen Brustrekonstruk­ rung des zentralen Pfeilers (d) und Elevation desselben (d) werden die radi-
tionen bei nicht zu flacher Brustwarze der gesunden Seite. ären Strahlen heruntergeklappt und mit sich vernäht (5-0 Nylon) (e)

Technik
Auf der gesunden Seite wird die Brustwarze zunächst mit Kochsalz-
Lokalanästhetikum-Lösung (ohne Adrenalinzusatz!) aufgespritzt,
dann die Hälfte der Mamilla tangential oberhalb einer dünnen in
Mamillenmitte eingestochenen Kanüle mit dem Skalpell zur Trans-
plantation abgetrennt. Die Spendermamille wird mit Fettgaze ver-
sorgt, sie bildet sich in Form und Höhe meist fast komplett wieder
nach. Nach Entepithelialisierung der Mamillenposition auf der re-
konstruierten Brust wird die abgetrennte Mamilla auf diese Stelle
aufgebracht und mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert. Der Nip-
pel wird in seiner Position beim Verband durch einen Schaumstoff
für 5–7 Tage fixiert.
Das »nipple sharing« erfüllt das Rekonstruktionsprinzip »Glei­
ches mit Gleichem«, die neu geschaffene Brustwarze ist der Gegen-
seite in Farbe und Textur sehr ähnlich. Die Technik ist außerdem
einfach und die initiale Anwachsrate hoch, meist wird eine langzeit-
beständige Projektion erreicht. Nachteil ist jedoch ein möglicher
Sensibilitätsverlust an der Spenderseite, über die jede Patientin vor
der Operation informiert werden muss.
68
Lokale Lappenplastiken
Bei allen Techniken zur Mamillenrekonstruktion mit lokalen Lap-
penplastiken soll eine Projektion durch eine zentrale Stützung von
subkutanem Fettgewebe erreicht werden. Die an unserer Klinik be-
. Abb. 68.7 Rekonstruktion der Mamille mit »skate flap«: Ein aus 2 ge­
vorzugten Techniken sind der »star flap« und der »skate flap« dachten kreuzenden Ellipsen bestehendes sternförmiges Hautmuster wird
(. Abb. 68.6 und 68.7; . Abb. 68.8 zeigt den »fish tail flap«). umschnitten (a), wobei der vertikale Pfeiler subkutan mobilisiert und auf­
gerichtet wird (b). Nach Herumklappen der freien seitlichen Hautzipfel (c)
Vollhaut- und andere Transplantate werden diese mit sich vernäht und zur Areolenrekonstruktion der deepithe-
Ein »nipple sharing« ist nicht immer möglich (z. B. beidseitigem Auf- lisierten Fläche ein freies Hauttransplantat aufgebracht (d)
bau): Lokale Lappenplastiken können zu einer starken Verziehung der
Brustform führen (z. B. nach periareolärer hautsparender Mastekto-
68.7 · Wiederherstellung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK)
645 68
transplantat vom Rand der Areole gehoben und um die rekonstru-
ierte Mamilla gelegt, sodass eine einzige zirkuläre Narbe entsteht.
Spalthauttransplantate von der Spenderareole und Techniken mit
spiralförmiger Narbenbildung wirken unnatürlich und sollten nicht
angewandt werden.
Als Alternative bleibt die Leistenregion zur Entnahme eines Voll-
hauttransplantats zur Areolenrekonstruktion. Häufig tritt jedoch eine
unberechenbare Depigmentation auf, die mittels Täto­wierung korri-
giert werden muss. Daher verwenden wir am zweithäufigsten nach
der kontralateralen Areolahaut bei entsprechender Verkleinerung die
proximale Oberschenkelinnenseite, die ausreichend pigmentierte
Hauttransplantate bei unauffälliger Entnahmestelle bietet.
Eine alternative Lösung stellt die beidseitige Entnahme von dün-
nen Vollhauttransplantaten bei der oberen Blepharoplastik dar, die der
Patientin bei entsprechender Ptosis angeboten werden kann. Die Ober-
lidtransplantate werden vorsichtig ausgedünnt und dann als 2 Halb-
monde um die Mamille auf die Areola aufgenäht. Die leicht dunkle
Pigmentation der Oberlidhaut ist derjenigen der Areola oft recht ähn-
lich und verändert sich im Laufe der Zeit nur selten. Nachteile sind die
. Abb. 68.8 Rekonstruktion der Mamille mit »fish tail flap«: Aus einem
Schwellneigung bei ungenügender Entfettung und die geringe Gewe-
Fischschwanzflossen-ähnlichem Hautareal werden zwei gestielte Hautläpp- beausbeute, die nur zur einseitigen Rekonstruktion ausreicht.
chen geschnitten (a) und gegeneinander vernäht (b), wobei der zweite
Zipfel unter den ersten partiell deepithelisiert durchgezogen wird (c). Auch Aufbewahrung (»banking«) der Areola zur späteren Transplan­ta­
hier wird analog die Areolafläche mit resorbierbarem (5-0) Faden rekonstru- tion. Das Areola-Banking ist einfach, aber onkologisch umstritten
iert (d). Diese kann entweder tätowiert oder mit Hauttransplantat aufge- und führt außerdem nicht selten zu Pigment- und Texturverlust. Es
baut werden wird daher kaum mehr angewandt.

mie). In diesen Fällen kann mit einem Vollhauttransplantat eine zen- 68.7.5 Komplikationen
trale Stütze von subkutanem Fettgewebe angehoben und gesichert und
so eine dauerhafte Mamillaprojektion erreicht werden. Es ist allerdings Mögliche Komplikationen sind Infektion, Epidermiolyse, teilweiser
von einem nicht unerheblichen Projektionsverlust auszugehen, sodass oder kompletter Gewebeverlust, narbige Verziehungen, Asymmetrie
eine initiale Überkorrektur von etwa 50% sinnvoll ist. und Depigmentation von Hauttransplantaten oder Verblassen nach
Andere Transplantate, wie z. B. Teilen der Schamlippe, Zehen- Tätowierung sowie Verlust der Nippelprojektion.
pulpa oder Ohrläppchen, werden aufgrund ihres starken Projektions­
> Zur Kompensation der Gewebeschrumpfung empfiehlt
verlustes kaum mehr verwendet.
sich eine initiale Überkorrektur von 30–50%.

68.7.4 Rekonstruktion der Areola Literatur


Literatur zu 7 Kap. 68.1–68.5
Zur Rekonstruktion der Areole sind 3 Grundtechniken üblich: Amendoeira I (2006a) Quality assurance guidelines for pathology: Cytological
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Amendoeira I (2006b) Quality assurance guidelines for pathology: Open
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646 Kapitel 68 · Maligne Tumoren der Brust

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X

Verbrennungsverletzungen
P. Kolokythas, M.C. Aust

Kapitel 69 Verbrennungsverletzungen   – 649


P. Kolokythas, M.C. Aust
Die Therapie Schwerbrandverletzter erfordert aufgrund ihrer Komplexität eine konzeptionelle Teamarbeit. Nach
korrekter Einschätzung des Ausmaßes der Brandverletzungen sind die Erstellung eines Behandlungsplans und ein
interdisziplinäres Vorgehen unter Leitung eines erfahrenen Plastischen Chirurgen, unabdingbar. Der Kern dieses
Teams besteht aus Plastischen Chirurgen, Anästhesisten, klinischen Infektiologen oder Mikrobiologen, Psycholo-
gen, Physio- und Ergotherapeuten und Sozialdienst; das Ärzteteam wird getragen von einem erfahrenen und enga-
giert tätigen Pflegeteam. Die Brandverletztenstationen, also die Intensivpflegestation und die Nachsorgestation, sind
eingebunden in ein Krankenhaus der Maximalversorgung mit allen benötigten Fachdisziplinen (z. B. Radiologie,
Innere Medizin, Unfallchirurgie, Ophthalmologie, HNO-Heilkunde, Neurologie/Neurotraumatologie und Gynä-
kologie) inklusive der damit verbundenen Logistik. Sie bilden gemeinsam mit einer spezialisierten Rehabilitations-
einrichtung das Brandverletztenzentrum.
69

Verbrennungsverletzungen
P. Kolokythas, M.C. Aust

69.1 Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik – 650


69.1.1 Ausdehnung – 651
69.1.2 Verbrennungstiefe – 651
69.1.3 Verletzungsschwere – 653
69.1.4 Weitere Verletzungen – 653
69.1.5 Inhalationstrauma – 655

69.2 Intensivmedizinische Therapie – 656


69.2.1 Intensivmedizinische Besonderheiten der Verbrennungskrankheit – 657
69.2.2 Beatmungstherapie – 658
69.2.3 Schmerztherapie und Sedierung – 658

69.3 Prinzipien der Therapie in der Akutsituation – 658


69.3.1 Therapieziele – 658
69.3.2 Differenzialdiagnose – 660
69.3.3 Operationsvorbereitung – 660
69.3.4 Operationstechnik – 660
69.3.5 Postoperative Behandlung und Nachsorge – 664
69.3.6 Komplikationen – 665

69.4 Prinzipien der Rekonstruktion – 665


69.4.1 Therapie von Narbensträngen – 665
69.4.2 Therapie instabiler Narben und flächiger Narbenplatten – 666
69.4.3 Therapie ästhetischer Störungen – 666

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
650 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

69.1 Grundlagen – Pathophysiologie,


Klassifikation und Diagnostik
Unter der Einwirkung von Hitze kommt es im Bereich der Haut lokal
zu kontinuierlichem Wasserverlust. Aufgrund ihrer hohen spezi-
fischen Wärmeleitfähigkeit kann die Haut durch Verdampfen von
intra- und extrazellulärem Wasser einer Temperaturerhöhung von
über 52°C kurzfristig entgegenwirken. Allerdings kommt es durch
eine verlangsamte Wiederabgabe der Wärme, auch nach Beendigung
der Exposition, zu einer anhaltenden Hitzeeinwirkung. Dieser Vor-
gang wird als Nachbrennen bezeichnet.
> Die sofortige Kühlung mit kalter Flüssigkeit ist daher für
die Reduktion des Schadensausmaßes entscheidend.
4 Eine intrakutane Temperatur von 45°C führt zu Erythemen.
4 Ab 55°C kommt es zu Blasenbildung.
4 Bei >60°C kommt es infolge von Eiweißdenaturierung zu Nekro-
senbildung. . Abb. 69.1 Abhängigkeit der intrakutanen Temperatur von Ausgangs-
tem­peratur und Einwirkdauer des auslösenden Agens. (Nach Moritz u.
Die Höhe der intrakutanen Temperatur ist von der Ausgangstempe- Henriquez 1947)
ratur und v. a. von der Einwirkdauer des auslösenden Agens abhän-
gig (. Abb. 69.1).
Am Ende der Exposition ist das Ausmaß der Schädigung noch
nicht festgelegt. Nach Jackson kann eine Brandwunde in 3 Zonen
eingeteilt werden:
4 Im Zentrum die »Nekrose«, histologisch ist das Gewebe koagu-
liert, es fließt kein Blut.
4 Umgeben ist dieses Areal von einer Zone der Vasokonstriktion
(»Stase«), die nach Minuten in eine Vasodilatation übergeht. Im
Anschluss daran kommt es zu einer mehrere Stunden andau-
ernden Okklusion der Gefäße. Der Erythrozytenfluss stagniert,
diese können sogar aus den Gefäßen treten. Freies Hämoglobin
färbt diese Zone rot an (die Rötung ist nicht wegdrückbar).
4 Der umgebende Bereich bleibt von einer vermehrten Durchblu-
tung gekennzeichnet (»Hyperämie«, die Rötung ist wegdrück-
bar).

Die Breite der Stasezone ist abhängig von der Durchblutung, der
Umgebungstemperatur und der Verbandanordnung. Hypothermie,
Hypotonie, Ödem und Austrocknung führen zu einer Vergrößerung
der Zone der Stase (7 unten).
> Chirurgische Zonen der Brandwunde:
4 Nekrose,
4 Stase,
4 Hyperämie.
Systemisch führt die thermische Einwirkung auf das Gewebe zu
­mediatorinduziertem kapillarem Leck und damit generalisiertem
Austritt von Flüssigkeit (Ödem). Durch den Durchtritt onkotisch
wirksamer Plasmaproteine – insbesondere Albumin – kommt es a b
zur Aufhebung der Flüssigkeitsregulation im Kapillargebiet. Wesent­
lich für die Rückresorption im venösen Teil des Kapillarstrom­ . Abb. 69.2 Schätzung der Flächenausdehnung von Brandverletzungen
(Neunerregel nach Wallace)
69 gebietes ist der kolloidosmotische Druck, bei dessen Wegfall ein
Übergewicht nach extravasal durch den hydrostatischen Druck des
Blutstroms resultiert. Das Kapillarleck schließt sich spontan nach
24–36 h. tigkeit). Nach Abtragen der evtl. vorhandenen Hautblasen, Reini-
Die richtige Einschätzung des Ausmaßes der Brandverletzung gung und Rasur der Körperhaare erfolgen die Bestimmung der
ist Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung Schwerbrand­ Ausdehnung (. Abb. 69.2) sowie die Einschätzung der Verbren-
verletzter. Diese Einschätzung kann nur am vollständig entkleide­ nungstiefe.
ten Pa­tienten korrekt erfolgen. Brandverletztenzentren verfügen
daher über einen klimatisierten Schockraum mit Duschmöglich- > Ausdehnung und Tiefe definieren das Ausmaß der Ver-
keit (Aufnahmebad: bis 37°C heizbar bei 70% relativer Luftfeuch- brennung
69.1 · Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik
651 69
69.1.1 Ausdehnung

Die Ausdehnung wird herkömmlicherweise mit Hilfe der Neuner­


regel nach Wallace abgeschätzt und in Prozent der verbrannten
Körperoberfläche angegeben (% VKOF; . Abb. 69.2). Genauer ist
der Ergänzungsbericht der gewerblichen Berufsgenossenschaften
(. Tab. 69.1).
Computerprogramme ermöglichen eine quadratzentimeter-
genaue Berechnung der VKOF anhand digitaler Bilder (»burncase-
3D«, »BurnVision«). Das erleichtert im späteren Verlauf z. B. die
Operationsplanung beim Einsatz von Hautersatzmaterial (7 unten).
Durch spezifische Software-Schnittstellen mit dem jeweiligen Kran-
kenhaus-Informationssystem (KIS) kann die Dokumentation we-
sentlich erleichtert werden.

69.1.2 Verbrennungstiefe

Die klinische Abschätzung der Verbrennungstiefe erfolgt in


4 Graden:

Grad 1
Die vermehrte Vasodilatation führt zu Erythem und Ödem
(. Abb. 69.3). Gelegentlich kommt es in der Folge zu intraepiderma-
ler Epitheliolyse, die nach einer kurzen Phase der Schuppung in
längstens 7 Tagen narbenfrei abheilt. Infolge lokaler Mediatorfrei­
setzung kommt es zu deutlich gesteigerter Nozizeptorenaktivität.
Neben einem mäßigen Dauerschmerz ist die starke Hyperästhesie,
z. B. auf Kleidung, charakteristisch. . Abb. 69.3 Brandverletzung Grad 1

. Tab. 69.1 Schätzung der Flächenausdehnung von Brandverletzungen (nach Ergänzungsblatt der gewerblichen Berufsgenossenschaften)

Lokalisation/Alter <1 Jahr 1–4 Jahre 5–9 Jahre 10–14 Jahre 15 Jahre Erwachsene

Kopf 19 17 13 11 9 7

Hals 2 2 2 2 2 2

Rumpf vorn 13 13 13 13 13 13

Rumpf hinten 13 13 13 13 13 13

Glutäal rechts 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5

Glutäal links 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5

Genitale 1 1 1 1 1 1

Oberarm rechts 4 4 4 4 4 4

Oberarm links 4 4 4 4 4 4

Unterarm rechts 3 3 3 3 3 3

Unterarm links 3 3 3 3 3 3

Hand rechts 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5

Hand links 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5 2,5

Oberschenkel rechts 5,5 6,5 8 8,5 9 9,5

Oberschenkel links 5,5 6,5 8 8,5 9 9,5

Unterschenkel rechts 5 5 5,5 6 6,5 7

Unterschenkel links 5 5 5,5 6 6,5 7

Fuß rechts 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5

Fuß links 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5


652 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

. Abb. 69.5 Brandverletzung Grad 2b

. Abb. 69.4 Brandverletzung Grad 2a

Grad 2a
Die Epidermis und oberflächliche Anteile der Dermis werden zer-
stört). Blasen entstehen durch seröse Exsudation aus hitzegeschä-
digten Gefäßen im Bereich der dermoepidermalen Verbindungen
(. Abb. 69.4). Osmotisch wirksame Plasmabestandteile und Zelldé-
bris im Blasenexsudat bewirken im zeitlichen Verlauf eine flächen-
hafte Größenzunahme der Blase durch Konfluieren.
Die Reepithelisierung erfolgt aus den erhaltenen Basalzellen der
Hautanhangsgebilde (Haarfollikel, Schweiß- und Talgdrüsenausfüh-
rungsgänge) und ist, je nach Alter des Patienten und Verbandanord-
nung, in 10–14 Tagen abgeschlossen. Die Areale heilen in diesem
Zeitraum narbenfrei ab.
Freiliegende, vitale Schmerzrezeptoren und freigesetzte Schmerz­
mediatoren verursachen heftigen Nozizeptorschmerz.

Grad 2b
Zusätzlich zur Zerstörung der Epidermis kommt es zum weitgehen-
den Verlust der Dermis (. Abb. 69.5). Nur wenige Basalzellen der
Hautanhangsgebilde bleiben erhalten. Nozizeptoren werden zum
großen Teil ebenfalls zerstört.
Die Reepithelisierung ist deutlich verzögert, starke Fibroblasten- . Abb. 69.6 Brandverletzung Grad 3. Bereits durchgeführte Entlastungs­
aktivität mit Ablagerung von Kollagen und übermäßiger Angioneo- inzisionen bei zirkulären Verbrennungen
genese führen zu hypertrophen Narben. Die Schmerzintensität ist
sehr variabel. Im Verlauf der Heilung kann es durch insuffiziente erfolgen immer unter hypertropher, oft kontrakter Narbenbildung.
Reparaturversuche des Nervensystems zu neuropathischen Schmer- Daher ist ein Débridement mit nachfolgender Defektdeckung nötig.
zen kommen. Langfristig besteht die Tendenz zu Juckreiz. In débridierten Arealen kann infolge insuffizienter Nervenregenera-
Durch Entfernung der geschädigten Hautanteile und Hauttrans- tion ebenfalls neuropathischer Schmerz ausgelöst werden. Langfris­
plantation kann der oben beschriebene Verlauf deutlich gemildert tiger Juckreiz als Spätfolge ist häufig.
69 werden, daher besteht Operationsindikation.
Einschätzung der Verbrennungstiefe
Grad 3 . Abb. 69.7 zeigt die Hautschädigung der Verbrennungsgrade im
Das Ausmaß der Schädigung beinhaltet eine vollständige Zerstö- Überblick.
rung aller Hautschichten und ggf. der darunterliegenden Gewebe Die klinisch-visuelle Einschätzung der Verbrennungstiefe erfor-
(. Abb. 69.6). Ebenso sind sämtliche Nervenstrukturen zerstört, die dert viel Erfahrung. Regelmäßig ist das korrekte Ausmaß der Ver­
Wunde ist zunächst schmerzfrei. letzung nur aus dem Verlauf zu stellen. Daher wurde immer wieder
Sehr kleine Areale heilen durch Kontraktion und Reepithelisie- der Versuch unternommen, diese Einschätzung zu objektivieren:
rung vom Wundrand aus unter Narbenbildung ab. Größere Areale Optische Systeme wie Laser-Doppler oder Multispektralanalyse sind
können unbehandelt zu Sepsis und Tod führen. Spontane Heilungen erprobt, finden jedoch keine breite Anwendung. Durch routinemä-
69.1 · Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik
653 69

. Abb. 69.7 Verbrennungsgrade

ßigen, breiten Einsatz solcher Systeme in naher Zukunft ist eine zu- (. Tab. 69.3). Die oben beschriebene Endstrecke der Hautschädi-
nehmend geringere Fehlerquote in der Tiefenbestimmung zu erwar- gung ist dabei im Wesentlichen dieselbe.
ten; zusätzlich sind die erhobenen Daten digitalisierbar, erleichtern Daraus ergeben sich für die Therapie einige relevante Besonder-
die Dokumentation und ermöglichen Telekonsulting. heiten:

Verbrühung
69.1.3 Verletzungsschwere Diese Verletzungen (. Abb. 69.8) werden initial überwiegend un­
terschätzt – aufmerksame Verlaufskontrolle und rechtzeitige Opera-
Um die Schwere der Verletzung einschätzen zu können, werden Aus- tionsindikation sind daher notwendig.
maß der Verbrennung, Begleitverletzungen und Inhalations- oder
Ingestionstraumata sowie Vorerkrankungen zum Alter und ggf. Ge- Verätzung
schlecht der Patienten in Relation gesetzt: Säureverätzungen sind meist Koagulationsnekrosen, Laugenverät-
Der Verbrennungsindex nach Baux erlaubt eine rasche, erste zungen Koliquationsnekrosen. Letztere können im frühen Verlauf
Einschätzung der Prognose: tiefer werden, wenn sie nicht sofort neutralisiert werden.
4 Alter des Patienten + VKOF = Sterbewahrscheinlichkeit 4 Flusssäure kann bereits in geringen Mengen zu systemischen
Muskel- und Knochennekrosen sowie vital bedrohender Hyper-
Eine genauere Einschätzung gelingt mit dem Abbreviated Burn kalzämie führen. Die Standardbehandlung besteht in lokalem
Severity Index (ABSI; . Tab. 69.2) nach Tobiasen. Umspritzen des betroffenen Areals mit Kalziumglukonat und
Die nackten Zahlen dieser Indizes entheben das Verbrennung- intraarterieller Injektion in die verletzte Extremität.
steam nicht von der Verpflichtung der individuellen Entscheidung 4 Weißer Phosphor entzündet sich auch bei Raumtemperatur (ca.
über die weitere Therapie. Da es sich um Wahrscheinlichkeiten 34°C). Stetige Spülung mit Wasser und Neutralisation mit 0,5%
­handelt, muss immer abgewogen werden, ob in Anbetracht der Ver- Kupfersulfat ist die Therapie der Wahl.
letzung, Vorerkrankung und Vorgeschichte sowie des sozialen Um- 4 Phenol und Kresol wird mit Polyethylenglykol-Lösung (PEG-
feldes eine ausreichende Überlebenschance besteht oder ob nur eine 300 zu Ethanol im Verhältnis 2:1) lokal neutralisiert. Spülung
unnötige Leidenszeit mit infauster Prognose zu erwarten ist. Es sollte mit Wasser oder wässrigen Lösungen ist unwirksam. Eine auf-
im Team stets ein Konsens gefunden werden, um Motivations­ tretende Azidose wird mit Natriumbikarbonat behandelt. Ein
problemen und Frustrationen entgegenzuwirken. Nierenversagen ist häufig.
4 Schwefelsäure (farb- und geruchlos) wird bei Neutralisations-
versuch mit Wasser heiß – daher sollte man reichlich kaltes Was-
69.1.4 Weitere Verletzungen ser (15–20°C) verwenden.

Neben den eigentlichen Brandverletzungen durch Flamme, Explo­ Elektrotrauma


sion und Kontakt mit heißen Gegenständen oder Substanzen kön- Sowohl Niederspannungs- (≥220 V) also auch Hochspannungsquel-
nen unterschiedliche, spezielle Verletzungsmuster definiert werden len (≤380 kV) können ursächlich für Elektrotraumata sein. Dabei ist
654 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

. Tab. 69.2 ABSI-Score

Variable Punkte

Mann 0

Frau 1

Alter

0–20 1

21–40 2

41–60 3

61–80 4

>80 5 . Abb. 69.8 Verbrühung durch Heißdampf


Inhalationstrauma 1

Verbrennung 3. Grades 1

Schwere Nebenerkrankung Je 1 Punkt . Tab. 69.3 Verletzungsmuster mit Hautschädigungen, die denen
bei Flammenverbrennung entsprechen
% VKOF

1–10 1 Verletzung Pathomechanismus

11–20 2 Verbrühungen Einwirkung von heißer, wässriger Flüssigkeit


oder Dampf
21–30 3
Verätzungen Einwirkung von Säuren, Laugen oder anderen
31–40 4
chemischen Substanzen
41–50 5
Elektrotraumata Niederspannungs- und Hochspannungsverlet-
51–60 6 zungen (>1000 V)

61–70 7 Erfrierungen Einwirkung von Kälte

71–80 8 Blasenbildende Reaktion auf Staphylokokkentoxin oder Medi-


Hautreaktionen kamente
81–90 9

91–100 10

Auswertung: Bei mäßiger Myoglobinämie sollte der Harn mittels oraler Gabe von
Gesamtpunktzahl Sterbewahrscheinlichkeit Kaliumnatriumhydrogencitrat oder intravenöser Gabe von Natrium­
bikarbonat alkalisiert werden, um Schädigungen der Nierentubuli
2–3 <1%
durch ausfallendes Myoglobin zu verhindern. Massive Myoglobin-
4–5 >2% werte führen zu Anurie und Nierenversagen, hier ist der frühzeitige
6–7 10–20% Einsatz einer Hämofiltration oder Dialyse notwendig (. Abb. 69.9).

8–9 30–50% > Auf Arrhythmien sollte auch bei Niederspannungsverlet-


zungen geachtet werden, eine mindestens 24-stündige
10–11 60–80%
EKG-Überwachung ist daher bei allen Elektrotraumata
>11 >80% Standard. Ein Defibrillator und ein passagerer Schrittma-
cher sollten stets griffbereit sein.

zwischen oberflächlichen Verletzungen wie beim Lichtbogen und Erfrierung


echten Stromdurchflüssen zu unterscheiden. Erfrierungen entstehen durch Einwirkung von Temperaturen unter-
Durchflussverletzungen von Extremitäten bergen immer die halb des Gefrierpunktes. Kribbeln und Brennen sind erste Symp­
69 Gefahr eines Kompartmentsyndroms durch Schädigung der gesam-
ten Muskulatur. Die Indikation zur Escharotomie (. Abb. 69.13) und
tome, bei rechtzeitigem Expositionsende jedoch reversibel. Taub-
heitsgefühl ist ein Symptom für eine irreversible Schädigung. Nach
Fasziotomie ist daher großzügig zu stellen. Durchflossene Extre­ Wiedererwärmung sind die Hautfarbe und die Qualität der Blasen
mitäten oder Körperabschnitte werden für die Bestimmung des Aus- (serös oder blutig) richtungsweisend für die Tiefe der Schädigung:
maßes als vollständig betroffen gewertet, auch wenn nur Eintritts- Rosige Haut und helle, klare Blasenflüssigkeit sind ein Hinweis für
oder Austrittsmarken zu sehen sind. oberflächliche Schädigung, blasse Hautfarbe und blutige oder trübe
Auch für die Volumenabschätzung ergeben sich Besonderheiten Flüssigkeit für tiefere Erfrierung. Beweisend für die Schädigung des
(7 Kap. 69.2.1). Primäre Amputationen vollständig geschädigter Ex- Gewebes ist letztendlich nur der klinische Verlauf anhand der De-
tremitäten sollten noch am Unfalltag durchgeführt werden, um ein markierungszone. Als hilfreich hat sich bei ausgedehnten Erfrie-
Crush-Syndrom oder septische Einschwemmungen zu vermeiden. rungen die Kernspintomographie erwiesen.
69.1 · Grundlagen – Pathophysiologie, Klassifikation und Diagnostik
655 69

. Abb. 69.9 Hochvoltelektrotrauma mit Hämoglobinurie durch Muskel­ . Abb. 69.10 Hautläsionen bei toxisch-epidermaler Nekrolyse (TEN)
nekrose

Blasenbildende Hautreaktionen gende Faktoren lassen die Wahrscheinlichkeit eines Inhalationst-


Diese Erkrankungen, früher als Lyell-Syndrom zusammengefasst, raumas deutlich steigen:
sind überwiegend toxische, in wenigen Fällen allergisch begründete 4 Anamnese (Verletzung in geschlossenen Räumen),
Reaktionen auf Arzneimittelgaben. Histologisch findet sich stets 4 Lokalisation der Brandverletzung (Gesicht, Hals, Thorax),
eine intraepidermale Nekrosezone im Bereich der basalen Keratino- 4 Symptomatik (Husten, Stridor, Heiserkeit, Dyspnoe, Zyanose,
zyten und eine daraus resultierende Lysezone (Blasenbildung) im rußiges Sputum)
dermoepidermalen Übergang.
Im Einzelnen werden, abhängig von der Ausdehnung, unter- Gleichzeitig muss an eine CO-Intoxikation gedacht werden. Cyani-
schieden: dvergiftungen kommen bei Brandverletzten meistens in Kombina­
4 Erythema exsudativum multiforme, tion mit Kohlenmonoxidvergiftungen vor.
4 Stevens-Johnson-Syndrom und
> Therapie der Wahl ist die Zufuhr reinen Sauerstoffs über
4 toxisch epidermale Nekrolyse (TEN; . Abb. 69.10).
Maske oder die endotracheale Intubation und Beatmung
mit 100% O2.
Ab einer geschädigten Fläche von 30% spricht man von einer TEN;
dieses Krankheitsbild wird aufgrund seiner Ausdehnung in Verbren- Die Behandlung der Cyanidvergiftung mit Methämoglobinbildnern
nungszentren behandelt. ist beim Brandverletzten aufgrund der häufigen Mischintoxikation
Davon abzugrenzen sind und der dadurch synergistischen Toxizität kontraindiziert.
4 das fixe, toxische Arzneimittelexanthem und Das Inhalationstrauma kann während der Intensivbehandlung
4 das »staphylococcal scalded skin syndrome« (SSSS), oft in den Vordergrund rücken oder den Verlauf sogar entscheidend
beeinflussen. Die Letalität steigt bei Vorliegen eines Inhalations­
welche lediglich einer intraepidermalen Schädigung entsprechen. traumas um mindestens 20%.
Der Verlauf ist daher wesentlich milder. Dabei ist ein thermisches Inhalationstrauma, bei dem eine
­direkte Hitzeeinwirkung ursächlich ist (Explosion, heiße Gase,
Dampf), von einem toxischen Inhalationstrauma (Schädigung
69.1.5 Inhalationstrauma durch giftige Substanzen) zu unterscheiden. Bronchoskopisch ist
das thermische IHT bereits am Aufnahmetag zu erkennen, die
Ein besonderes Augenmerk muss bei jeder Brandverletzung auf ein Gradeinteilung entspricht im Wesentlichen derjenigen der Haut
begleitendes Inhalationstrauma (IHT) gelegt werden. Vor allem fol- (. Tab. 69.4).
656 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

Therapieziel sind die Bereitstellung der nötigen Sauerstoffkon-


. Tab. 69.4 Schweregradeinteilung des Inhalationstraumas zentration, Beseitigung von Atelektasen, Vermeidung einer respira-
torischen Azidose und die Verhinderung eines ARDS.
Grad Kennzeichen Wenn ein Inhalationstrauma überlebt wird, kommt es oft zur
Ausbildung interstitieller Fibrosen und Verlust des Flimmerepithels
I Rötung, Schwellung
mit chonischer Bronchitis.
II Zusätzlich Blasenbildung, Erosion, Kontaktblutung der
Schleimhaut

III Blasse Schleimhaut aufgrund von Nekrose, nicht selten 69.2 Intensivmedizinische Therapie
gesunder Schleimhaut ähnelnd
Volumenmangelschock, Schmerzen, Organdysfunktion und wieder-
holte Operationen erfordern eine intensivmedizinische Betreuung
des Schwerbrandverletzten. Bewährt hat sich eine Kooperation zwi-
Ruß im Tracheobronchialsystem ist jedoch nicht beweisend für schen erfahrenen Plastischen Chirurgen und spezialisierten Inten-
ein Inhalationstrauma, er sollte jedoch so gründlich wie möglich sivmedizinern.
entfernt werden. Betroffen sind meist nur die oberen Atemwege;
lediglich bei längerer Dampfexposition kann es durch die verbes- Ausstattung
serte Wärmeleitfähigkeit zu einer direkten Hitzeschädigung der Die Intensivstation sollte die in der . Übersicht gelistete Ausstattung
Alveolen kommen. besitzen.
Ein toxisches IHT manifestiert sich im Verlauf der ersten Tage,
hier sind indirekte Zeichen wie Stridor, Atemnot, pathologische
Ausstattung der Intensivstation gemäß den Leitlinien
Blutgasanalyse oder beim beatmeten Patienten eine Verschlechte-
der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin
rung der Beatmungsparameter durch alveoläres Ödem richtungwei-
send. Die initiale Bronchoskopie ist oft unauffällig, tägliche bron- 4 Heizbarer Aufnahme- und Schockraum (sog. »Verbren-
choskopische Kontrollen sind hilfreich. Dabei kann gleichzeitig die nungs-« oder »Aufnahmebad«) mit Vorhalten aller Geräte für
bei beiden Formen stets gestörte mukoziliäre Clearance durch eine Reanimation oder sofortige Intensivtherapie (Beatmungs-
bronchoskopische Bronchialtoilette ersetzt werden. Auch Atelekta- gerät, Pulsoxymeter, hämodynamische Überwachung, Bron-
sen durch Fibrinausgüsse der Bronchien können so wirksam behan- choskopie, Ultraschall, Verbrennungsbad; . Abb. 69.11)
delt werden. Aufgrund der geschädigten Schleimhaut sollte dies je- und direkt angegliedert
doch erfahrenen Untersuchern vorbehalten bleiben. 4 Intensivüberwachungs- und Behandlungseinheit mit min-
destens 4 Betten mit Einzelzimmern (. Abb. 69.12) und der
Möglichkeit maximaler Intensivtherapie
4 Chirurgischer Behandlungs-/Verbandraum mit der Möglich-
keit der Hydrotherapie
4 Operationseinheit innerhalb der Brandverletztenstation mit
täglicher Operationsmöglichkeit
4 Personenschleuse, Material- und Bettenschleuse
4 Möglichkeit der kontinuierlichen bakteriologischen Über-
wachung
4 Einrichtung zur kontinuierlichen Hämofiltration bzw.
Dialyse
4 Fotodokumentation

Die baulich-apparativen und personellen Anforderungen, die für


die Behandlung Schwerbrandverletzter zu erfüllen sind, liegen
über denen anderer Intensivstationen. Dies gilt auch für die Be-
reiche der Physiotherapie und Ergotherapie. Aus diesem Grund
sollten Behandlungszentren für Brandverletzte nur an Kranken­
häuser angegliedert sein, die zum Verletzungsartenverfahren zu­
gelassen sind.

Verlegung in ein Brandverletztenzentrum


69 Deutschlandweit wird die Koordination des Transports zu Ver­
brennungszentren durch die Bettenverteilungszentrale der Berufs-
feuerwehr Hamburg (. Übersicht) geregelt, die mit der geeigneten
Klinik Kontakt aufnimmt. Die Indikationen zeigt eine weitere
. Übersicht.

. Abb. 69.11 Aufnahme/Schockraum mit Therapiebad


69.2 · Intensivmedizinische Therapie
657 69
tienten toleriert werden. Ein rasches Abfallen des Hkt-Wertes zeigt
auch sehr sensibel den Verschluss des Kapillarlecks nach 24 h an. Die
massive Volumengabe kann dann in Korrelation zum Hkt reduziert
werden.
Ein weiteres Hilfsmittel ist die Überwachung der Diurese durch
einen transurethralen oder suprapubischen Blasenkatheter. Dabei
sollte die Harnausscheidung beim Nierengesunden bei ca. 1 ml/
kg KG liegen. Liegt sie deutlich höher, ist von einer Überinfusion
auszugehen.
Die Therapie einer Oligurie oder Anurie in den ersten 24 h
durch Diuretikagabe ist kontraindiziert. Vielmehr gilt es, das im In-
terstitium »verlorene« Volumen durch Infusion kristalloider Lö-
sungen zu kompensieren.
Auch die invasive Messung des Blutdrucks kann bei der Steue-
rung der Volumengabe hilfreich sein, als alleiniger Parameter ist
sie jedoch nicht ausreichend. Eine Korrektur der Hypotonie durch
vasoaktive Substanzen ist in den meisten Fällen nicht nötig, ja so-
gar schädlich, da die Perfusion der Peripherie ohnehin durch das
massive Ödem verringert ist. Eine zusätzliche Verschlechterung des
. Abb. 69.12 Einzelpatientenzimmer (Box) auf der Intensivstation
Blutangebotes durch Vasokonstriktion führt daher unweigerlich
zum Verlust des Gewebes in der kritischen Stasezone. Bei herzinsuf-
fizienten Patienten kann die Gabe von Dobutamin hilfreich sein.
Standardisierte Formeln (Parkland, Baxter) ermöglichen eine
Zuweisung in ein Verbrennungszentrum
grobe Abschätzung des zu infundierenden Volumens, entbinden
Die Betten in einem Brandverletztenzentrum sind über die aber nicht von der Pflicht der engmaschigen Überwachung der oben
Rettungsleitstellen bzw. über die Zentrale Anlaufstelle für genannten Parameter.
Schwerbrandverletzte (ZA-Brandverletzte) bei der Berufsfeuer-
wehr Hamburg deutschlandweit zu erfragen:
4 Tel. 040/42 851-3998 Parkland-Formel
4 Fax: 040/42 851-4269. 4 [0,5 x (4 ml × kg × % VKOF)] / 8 h = ml/Ringer-Laktat*
(in den ersten 8 h)
4 [0,5 × (4 ml × kg × % VKOF)] / 16 h = ml/Ringer-Laktat*
(in den nächsten 16 h)
Indikationen zur Verlegung in ein Brandverletztenzentrum
nach den international vereinbarten Kriterien * Wegen ihres geringen O2-Verbrauchs sowie fehlender Erhö-
(entsprechend auch den Leitlinien der DGV) hung der Laktatkonzentrationen im Plasma sind Azetat und
4 Alle Patienten mit Verbrennungen an Gesicht/Hals, Händen, Malat dem Laktat überlegen.
Füßen, Anogenitalregion, Achselhöhlen, Bereichen über
großen Gelenken oder an sonstiger komplizierter Lokali­
sation Die Messung des Herzzeitvolumens kann bei herzkranken Pa­
4 Patienten mit >15% zweitgradig verbrannter Körperober­ tienten ergänzend eingesetzt werden, valide Zielparameter für
fläche Brandverletzte existieren jedoch noch nicht.
4 Patienten mit >10% drittgradig verbrannter Körperober­ Auch die Messung des zentralen Venendrucks (ZVD) hat sich
fläche als ungeeigneter Parameter für die Steuerung der Volumengabe er-
4 Patienten mit mechanischen Begleitverletzungen wiesen: Ein hoher ZVD zeigt zwar eine ausreichende Volumengabe
4 Alle Patienten mit Inhalationsschaden an, ein zu niedriger Wert bedeutet jedoch nicht automatisch eine
4 Patienten mit Vorerkrankungen oder Alter <8 Jahren oder Hypovolämie; eine Normalisierung des ZVD zeigt daher beim
>60 Jahren Schwerbrandverletzten häufig eine Überwässerung an!
4 Alle Patienten mit elektrischen Verletzungen Zu großzügige Volumentherapie birgt die Gefahr des Lungen­
ödems in der Resorptionsphase sowie ein Abtiefen der Brandverlet-
zung durch verminderte Perfusion der Peripherie. Eine zu knappe
Infusionstherapie führt zu Organminderperfusion, Schock und Nie-
69.2.1 Intensivmedizinische Besonderheiten ren-, Lungen- und Leberversagen.
der Verbrennungskrankheit Nach Verschluss des kapillaren Lecks gilt es, das infundierte Vo-
lumen möglichst schnell auszuschwemmen; pathophysiologisch am
Volumenersatz sinnvollsten ist dabei die Erhöhung des kolloidosmotischen Drucks
Aufgrund der massiven Volumenverschiebungen innerhalb der er- durch die Gabe von hochprozentigem (20%) Humanalbumin. Da-
sten 48 h kommt der Infusionstherapie bei der Behandlung Schwer- durch wird die Rückresorption aus dem Interstitium beschleunigt,
brandverletzter eine besondere Bedeutung zu. Eine stündliche Über- das dann intravasal liegende Volumen kann ausgeschieden werden.
prüfung des Hämatokrits (Hkt) in den ersten 24 h ist der genaueste Beim Nierengesunden ist die Gabe von Diuretika meist unnötig,
Parameter zur Steuerung der Volumengabe: Je nach Alter und Vor- einige Autoren sehen sie sogar als kontraindiziert an, da dadurch die
erkrankungen können dabei Hkt-Werte bis 60% beim jungen Pa­ Wahrscheinlichkeit eines akuten Nierenversagens durch Schädigung
658 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

der Nierentubuli deutlich ansteigt. In der Abwägung zwischen dro- (Blutdruck, Puls, Schmerzmimik, -gestik) analgetisch therapiert
hendem Nierenversagen und schädlicher Wirkung der persistieren­ werden.
den Ödeme durch Verzögerung der Operationsfähigkeit und da-
durch verspäteter Elimination der toxinbildenden Wundflächen ist Analgesie im Krankenhaus
jedoch die kurzfristige Gabe von Schleifendiuretika oft notwendig. Nach der Erstversorgung im Verbrennungsbad kann eine grobe Ein-
schätzung der Verbrennungstiefe und damit eine Abschätzung der
zu erwartenden Schmerzintensität erfolgen.
69.2.2 Beatmungstherapie
Leichte Brandverletzung
Ein weiterer spezifischer Aspekt der Intensivmedizin Schwerbrand- Hier ist eine orale Analgetikagabe mit Nichtopioiden oft ausreichend
verletzter ist die maschinelle Beatmung: und wird bei Bedarf ergänzt durch schwache Opioide nach WHO-
Die hohe Frequenz an Operationen (Débridement und Wund- Stufenschema. Zusätzlich bewirkt eine okklusive Verbandtechnik
verschluss durch Hauttransplantation) und die personalintensive eine direkte Schmerzreduktion durch Abdeckung freiliegender Ner-
operative und intensivmedizinische Therapie machen es notwendig, venendigungen und eine indirekte durch Verlängerung der Ver-
die Planung der Beatmungs- und Entwöhnungsphasen an die Ope- bandwechselintervalle.
rationszeitpunkte anzupassen.
Bei Vorliegen eines Inhalationstraumas ist die Indikation zur Mittelschwere Brandverletzung
Tracheostomaanlage großzügig zu stellen. Dies kann perkutan Bewährt haben sich eine Analgesie mit Opioiden i.v., vorzugsweise
durch Dilatationstracheostoma oder klassisch als mukokutanes, plas­ über PCA-Pumpe, kombiniert mit Nichtopioiden, sowie tiefenadap-
tisches Tracheostoma erfolgen. Bei zeitlich verzögerter Durchfüh- tierte Wundbehandlung.
rung ist dem letzteren Verfahren aufgrund der massiven Ödeme der
Vorzug zu geben. Schwere Brandverletzung
Die Tracheostomie erleichtert auch, neben der Entwöhnung der Fortführung der Analgosedierung (starkes Opioid kombiniert mit
maschinellen Beatmung, die in vielen Fällen notwendige, häufige Benzodiazepin) und der maschinellen Beatmung. Die Steuerung
bronchoskopische Bronchialtoilette. der Sedierung erfolgt nach dem Ramsay-Score. Bei länger dauern­
Ist die vordere Halsregion mit geschädigt, bietet sich die nasotra- der Analgosedierung wird aufgrund der Tachyphylaxie im Verlauf
cheale Intubation als Alternative an: Die Rate an typischen Neben- ein Wechsel der Substanzen notwendig. Hier kommen dann u. a.
wirkungen (Drucknekrosen im Nasenbereich, Nasennebenhöhlen- Ketamin, Propofol, Clonidin, in Ausnahmefällen Barbiturate und
infektionen) ist vergleichsweise gering. Das geschädigte Halsareal Neuroleptika zum Einsatz. In hartnäckigen Fällen ist nur die Gabe
kann frühzeitig operativ behandelt werden, und die Anlage des Tra- volatiler Anästhetika wirksam. Bei Manipulationen (Verbandwech-
cheostomas ist dadurch noch rechtzeitig möglich. sel, Physiotherapie) sind zusätzliche, rechtzeitige Bolusgaben eines
Ist ein Inhalationstrauma ausgeschlossen, kann die Entwöhnung stark wirksamen Opioids angezeigt, alternativ kommt hier eine
vom Respirator rasch erfolgen. Eine Spontanatmung mit nasotra- Kurznarkose in Frage, sofern die technischen Voraussetzungen be-
chealer Intubation oder mit Trachealkanüle wird oft besser toleriert stehen.
als wiederholte Intubationen bei notwendigen Narkosen für schmerz­
hafte Verbandwechsel oder Operationen. Nach Abschluss der Wundheilung
Hier stehen neuropathische Schmerzen und v. a. Juckreiz im Vorder-
grund. Gelegentlich treten muskuloskelettale Nozizeptorschmerzen
69.2.3 Schmerztherapie und Sedierung aufgrund von Fehlbelastungen oder Amputationen auf.
Notwendig ist ein multimodales Schmerzkonzept unter Einbe-
Erstmaßnahme am Unfallort ziehung eines erfahrenen Schmerztherapeuten. Ergänzt wird das
Als bewährte Erstmaßnahme gilt, nach Beseitigung der Hitzequelle, Behandlungsteam um Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psy-
die sofortige Kaltwassertherapie. Dadurch können noch marginal chotherapeuten und Orthopädiemechaniker. Eine suffiziente Kom-
vitale Gewebeareale unter die kritische Temperatur von 52 °C ge- pressionstherapie kann zu massiver Reduktion insbesondere der
bracht werden. Die analgetische Wirkung ist ein hoch geschätzter Juckreizproblematik beitragen.
Nebeneffekt. Die Dauer der Kaltwasserbehandlung richtet sich nach
dem Ausmaß der Brandverletzung und sollte 20 min nicht über-
schreiten, um eine Unterkühlung zu vermeiden. 69.3 Prinzipien der Therapie
Nach dem Eintreffen der professionellen Helfer muss die Kalt- in der Akutsituation
wassertherapie beendet werden. Nach Einschätzung der Verbren-
nungstiefe erfolgt ein stadienabhängiges Vorgehen: 69.3.1 Therapieziele
Patienten mit oberflächlichen Verletzungen verspüren Dauer-
69 schmerzen sehr großer Intensität, verstärkt durch Berührung und
Bewegung des verletzten Areals. Patienten mit tiefen Verletzungen
Nach Ankunft der Patienten im Brandverletztenzentrum erfolgt zu-
nächst die standardisierte Aufnahmeprozedur. Sie beinhaltet
nehmen in den ersten Stunden sehr wenig bis gar keine Schmerzen 4 die Körperreinigung und Rasur,
wahr. 4 die Einschätzung des Ausmaßes der Brandverletzungen und
Wache Patienten werden mit i.v.-Bolusgaben eines Opioids aus 4 die Fotodokumentation.
der Hand, je nach Schmerzangabe und Vigilanz, behandelt, anschlie-
ßend mit Bolusgaben, Perfusor oder PCA-Pumpe (»patient control- Bei zirkulären Brandverletzungen kommt es in wenigen Stunden
led analgesia«). durch Ödem und fehlende Dehnbarkeit der Haut zu Zirkulationsstö-
Intubierte Patienten können mit Bolusgaben, ggf. Perfusor rungen an den Extremitäten. Diagnostisch hilfreich ist dabei die
(Opioid oder Ketamin), in Abhängigkeit von vegetativen Zeichen Pulsoxymetrie, sofern das Hautkolorit aufgrund der Schädigung
69.3 · Prinzipien der Therapie in der Akutsituation
659 69

riger Körperkerntemperatur nach Durchführung der Aufnahme-


prozedur wird zunächst ein trockener Verband angelegt; nach Er-
reichen einer Normaltemperatur wird der Verband von außen an-
gefeuchtet.
Therapeutisch steht die Stabilisierung des Schockzustands
durch ausreichende Volumenzufuhr im Vordergrund.

. Abb. 69.13 Schnitte zur Entlastung bei konstringierenden Verbren-


nungsarealen (Escharotomie) Unmittelbar nach der Aufnahmeprozedur zu beant­
wortende Fragen
4 Prognose
nicht zur Beurteilung herangezogen werden kann. Bei Thorax- und Ist die Fortführung der Therapie medizinisch sinnvoll und
Abdomenverbrennungen kann die Atmung beeinträchtigt sein. ethisch zu vertreten?
4 Beatmung
> Die Anlage von Entlastungsschnitten ist bei zirkulären
Ist die Fortführung der maschinellen Beatmung nötig? Liegt
Bauchverletzungen Grad 2b und 3 ohne Zeitverzug in der
ein Inhalationstrauma vor? Muss die Beatmung bis zur näch-
erstversorgenden Klinik durchzuführen (. Abb. 69.13).
sten Operation fortgeführt werden, oder ist eine zwischen-
zeitliche Extubation sinnvoll?
> Die Escharotomie sollte dabei die verbrannte Haut durch-
4 Operationsindikation
trennen und auch wenige Zentimeter in unverletztes
Besteht eine operative Indikation, oder ist eine konservative
Gebiet hineinragen. Bei Elektroverletzungen ist zusätzlich
Therapie ausreichend? In welcher zeitlichen Abfolge sind
die Fasziotomie erforderlich, um ein Kompartmentsyn-
welche Operationen sinnvoll durchführbar?
drom zu vermeiden.
4 Anordnungen
Zusätzlich zur Wundinspektion erfolgt die gründliche Untersuchung Es müssen gezielt Anordnungen für die weitere Diagnostik
nach Begleitverletzungen. Ein umfangreiches laborchemisches, sero­ und Therapie getroffen und dokumentiert werden, im Ein-
logisches und mikrobiologisches Screening sind obligat. Das Legen zelnen: Festlegung der Beatmungsparameter, der Infusions-
eines zentralvenösen Zugangs ermöglicht Infusionstherapie und menge, der zu applizierenden Medikamente, des enteralen
Medikamentenapplikation, wenn nötig parenterale Ernährungser- Ernährungsregimes, weiterer diagnostischer Maßnahmen,
gänzung. Ein arterieller Zugang dient der kontinuierlichen Blut- Überwachungsparameter, Verbandanordnung, Ausdehnung
drucküberwachung, Herzzeitvolumenbestimmung und ermöglicht der Therapiemaßnahmen (z. B. Hämofiltration). Zahlreiche
engmaschige Blutgas- und Hämatokritbestimmungen. Essenziell ist Anordnungen können in den ersten 24 h nach Brandverlet-
das Legen einer Magensonde oder jejunalen Ernährungssonde zur zung im Rahmen von Standardprozeduren oder als Rahmen­
hochkalorischen, enteralen Ernährung innerhalb der ersten 6 h anordnungen getroffen werden.
nach dem Trauma. Zur Kontrolle der Volumenbilanz und Berech- 4 Konsile
nung des Kalorienbedarfs sind Größen- und Gewichtsbestimmung Je nach Unfallhergang oder Vorgeschichte ist der konsilia-
wesentlich. rische Rat von Fachkollegen (z. B. HNO, Augen, Innere Medi-
Die Anlage eines antiseptischen, feuchten Verbandes (z. B. mit zin) nötig.
Polyhexamid 1%) ist die Regel. Auf gerbende oder farbverän­dernde 4 Angehörigengespräch, Rücksprache mit vorbehandelnden
Substanzen wird dabei verzichtet, um die notwendige zweite Wund- Ärzten.
beurteilung am Folgetag nicht zu erschweren. Lediglich bei nied-
660 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

Am Folgetag liegt das Hauptaugenmerk diagnostisch auf der erneu-


ten Einschätzung des Verbrennungsausmaßes. Erst danach kann der
definitive Therapieplan erstellt werden. Ist eine Operationsindika­
tion gegeben, wird stets die Frühnekrektomie, bei kleineren Arealen
gleichzeitig die definitive Defektdeckung durch autologe Spalthaut-
transplantation angestrebt. Die erste Operation wird nach Aus-
schwemmen eines großen Teils der Ödeme durchgeführt, dies ist
meist am 3. Tag nach Trauma der Fall.
Therapeutischen Vorrang hat in dieser Phase die Ödemmobili-
sation, bei konservativem Vorgehen die Optimierung der Verband-
technik. Der okklusiven Verbandanordnung mit modernen Folien
(z. B. Biobrane; . Abb. 69.14) und hydroaktiven Materialien ist dabei
der Vorzug zu geben, da durch Reduktion der Verbandwechselinter-
valle die Schmerzintensität für den Patienten deutlich gesenkt und
der personelle Aufwand vermindert werden.
Im Falle blasenbildender Hauterkrankungen wird im Rahmen
der Aufnahmeprozedur eine Biopsie aus dem Randbereich einer Bla- . Abb. 69.14 Deckung mit Biobrane bei zweitgradiger Handverbrennung
se gewonnen. So kann die Höhe der Epidermolyse (intraepidermal
oder dermoepidermal) und damit die Diagnose zweifelsfrei festge-
stellt werden. Auch hier erfolgt eine zweite Einschätzung am Folge-
tag: Hierbei gilt es festzustellen, ob die Blasenbildung fortschreitet 69.3.3 Operationsvorbereitung
oder ihre maximale Ausprägung erreicht hat. Ist Letzteres der Fall,
werden sämtliche Wundflächen mit einem temporären, kombi-
nierten Hautersatzmaterial abgedeckt.
Prinzipien im Rahmen der Operationsvorbereitung
Biobrane (. Abb. 69.14) erfüllt in idealer Weise die Anforde-
und -planung
rungen, welche an einen Epithelersatz gestellt werden. Das Material
haftet auf der feuchten Wunde, deckt dadurch freiliegende Nerven- 4 Débridement hat Vorrang vor Transplantation
endigungen ab und reduziert Wundesekretion und Schmerz. Gleich- 4 Sofort- bzw. Frühnekrektomie immer anstreben
zeitig ist es dehnbar genug, um die Bewegungen des Patienten nicht 4 Große Flächen zuerst behandeln, um die Nekroseareale
einzuschränken. Verbandwechsel sind schmerzarm, da die Wundauf­ rasch zu verkleinern und das Sepsisrisiko zu minimieren
lage selbst bis zur Abheilung belassen wird. Der darüber angebrachte 4 Maximale Operationsdauer: 4 h
Schutzverband aus Mull wird bei Bedarf gewechselt. Die Reepitheli- 4 In mehreren OP-Teams arbeiten
sierung kann unter dem Hautersatzmaterial ungestört erfolgen; nach
8–10 Tagen lässt es sich leicht und schmerzfrei entfernen.
Im Rahmen der Operationsvorbereitung sind allgemeingültige
Richtlinien zu beachten. Wache Patienten müssen zur Operation
69.3.2 Differenzialdiagnose einwilligen, die Aufklärung hat rechtzeitig zu erfolgen und muss
schriftlich dokumentiert werden. Für analgosedierte Patienten muss
> Die wichtigste differenzialdiagnostische Maßnahme in nach spätestens 24 h eine Betreuung beim zuständigen Amtsgericht
der Akutphase ist die Unterscheidung zwischen oberfläch- eingerichtet werden, an Wochenenden oder Feiertagen kann dies
licher und tief zweitgradiger Schädigung. durch einen Eilantrag erfolgen.
Die Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten und gefrore-
Eine zweite Einschätzung nach 24 h hat sich daher sehr bewährt. Erst nem Frischplasma in ausreichender Menge muss am Operationstag
danach wird der definitive Behandlungsplan erstellt. Ausnahmen gewährleistet sein. Auch sollten Spezialverbände und Hautersatz­
gelten hier lediglich bei eindeutig drittgradigen Verletzungen und materialien, sofern benötigt, vorrätig sein.
bei ausgedehnten Hochspannungsverletzungen: Liegt keine infauste Am Operationstag wird der Patient in ausreichender Analgose-
Prognose vor, kann eine Operation noch am Unfalltag für das Über- dierung, vorzugsweise intubiert und beatmet, im Bad vorgereinigt,
leben entscheidend sein. nach Entfernung der alten Verbände können Krusten, Beläge und
Restblasen abgetragen werden. Anschließend wird der Patient steril
> Die gültige Diagnosestellung der Verbrennungstiefe
abgedeckt und auf den OP-Tisch umgelagert. So vorbereitet wird er
erfolgt erst intraoperativ.
in den beheizten OP-Saal verbracht. Das OP-Gebiet kann nach einer
Bei Verätzungen sind die Zusendung des Sicherheitsdatenblattes kurzen Wunddesinfektion nach Bedarf abgedeckt werden. Areale,
69 und die Rücksprache mit der zuständigen Giftzentrale oft Vorausset-
zungen für eine effektive Therapie.
die nicht operativ behandelt werden, können definitiv verbunden
werden.
Bei blasenbildenden Hautreaktionen erfolgt routinemäßig die
Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum schwerer
Hautreaktionen (dZh) in Freiburg (www.uniklinik-freiburg.de/ 69.3.4 Operationstechnik
hautklinik/live/dzh/projekt-1.html) sowie die Rücksprache mit den
vorbehandelnden Kollegen, um das auslösende Agens zu ermitteln Lagerung
und eine erneute Applikation zu verhindern. Je nach zu behandelndem Areal ist Bauch- oder Rückenlage erfor-
derlich, Armtische beidseits haben sich stets bewährt, da dadurch
auch der Zugang zur Axilla erleichtert wird. Bei Anogenitalverlet-
69.3 · Prinzipien der Therapie in der Akutsituation
661 69

. Abb. 69.15 Im BV-OP benötigte Instrumente: a Guillon-Dermatom


(Weck-Messer), evtl. Humby-Messer, b Dermatom zur Spalthautgewinnung,
c
c Platten-Meshgerät, d Endlos-Meshgerät, e Skin-Stapler

zung ist Steinschnittlage, seltener Heidelberger Lagerung nötig. Bei durchbluteter Wundgrund erreicht wird (. Abb. 69.16). Blutpunkte
der Lagerung müssen die Spalthautentnahmeareale stets mitberück- im Abstand von 1 mm kennzeichnen die korrekte Tiefe. Die Blutstil-
sichtigt werden. lung erfolgt durch das Auflegen heißer Kompressen oder Tücher,
Elektrokoagulation ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die ef-
Instrumentarium fektivste Blutstillung ist die umgehende autologe Spalthauttrans-
Das im OP eines Brandverletztenzentrums benötigte Instrumenta- plantation.
rium zeigt . Abb. 69.15.
Chirurgische Therapie drittgradiger Brand­
Chirurgische Therapie tief zweitgradiger verletzungen – epifasziale Nekrektomie
Brandverletzungen – tangentiale Exzision Die Schädigung des gesamten Koriums macht zusätzlich zu seiner
Bei 2b-Verletzungen sind noch Anteile des Koriums vital. Die Entfernung auch eine Resektion des darunter liegenden, subkutanen
schichtweise Abtragung der Nekrosen erfolgt so lange, bis ein gut Fettgewebes notwendig. Eine Spalthauttransplantation auf Fettgewe-
662 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

. Abb. 69.16 Tangentiale Exzision

. Abb. 69.19 MEEK-Technik: Frische Einzeltransplantate (a) und nach Ein-


heilung (b)
. Abb. 69.17 Epifasziale Nekrektomie

Spalthautgewinnung
Die Entnahme der Spalthaut erfolgt zweckmäßigerweise mit dem
Dermatom (druckluft- oder akkugetrieben; . Abb. 69.18). Je nach zur
Verfügung stehenden Entnahmearealen und Bedarf wird die gewon-
nene Spalthaut durch Umwandlung in ein Maschentransplantat
(»mesh-graft«) expandiert. Das zu transplantierende Areal ist dann
größer als das Entnahmeareal, Blut und Wundsekret können zwischen
den Maschen abfließen. Es kann ein Maschenverhältnis von 1:1,5 bis
1:6 gewählt werden. Aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit bevorzugen
wir bei großen Flächen sog. Endlos-Meshgeräte (1:2 oder 1:4), bei
kleineren Arealen sind sog. Platten-Meshgeräte (1:1,5, 1:3) verbreitet.
Bei großflächigen Brandverletzungen stehen oft nur wenige
Spenderflächen zur Verfügung. Hier hat sich die Sandwichtechnik
nach Alexander bewährt, bei der weit gemeshte Spalthaut (1:6) zu-
sätzlich mit Fremdhaut bedeckt wird, um die sonst regelhafte Bil-
. Abb. 69.18 Spalthautentnahme dung von Granulationsgewebe zwischen den Maschen zu verhin-
69 dern. Vor allem bei großflächigen Verletzungen des Rückens ist
dieses Verfahren unser Standard. Durch die zwangsläufig in Rücken-
be ist nur in Ausnahmefällen erfolgreich (z. B. im Bereich der Mam- lage nahezu permanent bestehende Kompression erzielt man ein
ma oder bei Kindern). Die nächste gut vaskularisierte Schicht ist sehr gutes Ergebnis ohne hypertrophe Narbenbildung.
die Muskelfaszie, sofern das lockere, von Gefäßen durchzogene epi- Eine weitere Alternative zur Expansion ist das MEEK-Verfahren,
fasziale Bindegewebe vital ist und geschont werden kann. Daher bei dem die gewonnene Spalthaut in zwei Dimensionen expandiert
wird bei drittgradigen Verletzungen die geschädigte Haut mitsamt wird (. Abb. 69.19).
der Subkutis im Sinne einer epifaszialen Nekrektomie débridiert Als Spenderareal der 1. Wahl gilt für Kinder die behaarte Kopf-
(. Abb. 69.17). Bei jungen Patienten kann gelegentlich auf die sub- haut. Die Vorteile sind die extrem schnelle Regeneration aufgrund
kutane Fettgewebsfaszie (Scarpa-Faszie) transplantiert werden. der maximalen Dichte an Hautanhangsgebilden, die einzigartige
69.3 · Prinzipien der Therapie in der Akutsituation
663 69
Möglichkeit der Mehrfachentnahme (bis zu 3-mal) und die Tatsache, Meinung nach jedoch inakzeptabel. Ein einzeitiges Vorgehen ist
dass das Spenderareal durch die nachwachsenden Haare unsichtbar hierbei zu favorisieren.
wird. Nachteilig sind dagegen die eher schmalen Transplantate und Matriderm ist eine dreidimensionale Matrix aus nativ struktu-
die Tatsache, dass die Haut des Schädels vor der Entnahme mit NaCl- riertem, bovinem Kollagen der Typen 1, 3 und 5, welches mit Elas­
Lösung unterspritzt werden muss. Am häufigsten wird daher beim tin-Hydrolysat versetzt ist. Die Matrix wird in wenigen Wochen zu
Erwachsenen, nicht zuletzt wegen des hier größeren Flächenbedarfs, körpereigenem (humanem) Kollagen ungebaut. Das Produkt wird in
der unverletzte Oberschenkel oder Rücken als Spenderareal genutzt. Schichtdicken von 0,5 mm, 1 mm und 2 mm, jeweils in den Größen
Die Fixierung der Spalthauttransplantate erfolgt aus Gründen DIN A6 und DIN A4 vertrieben. Die einzeitige Anwendung (Matrix
der Praktikabilität und Zeitersparnis mit Klammernahtgeräten. plus Spalthaut) ist bei den dünneren Varianten unproblematisch, die
Die­se können sparsam eingesetzt werden, da die Transplantate 2-mm-Matrix sollte, aufgrund der verlängerten Diffusionsstrecke,
auf einem ausreichend débridierten Wundgrund gut haften. Einige mit einem Vakuumverband kombiniert werden. Sie bietet Vorteile in
Zentren verzichten sogar zur Gänze auf den Einsatz von Hautklam- puncto Elastizität und Narbenqualität. Tierexperimentell konnte
mern. Bei Transplantation über Gelenken hat sich eine Schienen­ auch eine ästhetische Verbesserung des Aspektes des Maschenmu-
ruhigstellung für 5 bis maximal 7 Tage bewährt. sters belegt werden. Nachteile betreffen lediglich die Handhabung
der Spalthaut im OP. Die Einheilungsrate ist nicht signifikant ver-
Hautersatzmaterialien schlechtert.
Je nach Lokalisation, Verbrennungstiefe und Verlauf ist die alleinige, Bei großflächigen Brandverletzungen (>70%) kommen in sel-
autologe Spalthauttransplantation jedoch mit Nachteilen in punkto tenen Fällen Keratinozytenkulturen (Epicell) zum Einsatz. Dabei
Funktion und Ästhetik behaftet: So führt sie stets zu mehr oder we- werden körpereigene Keratinozyten des Patienten aus einer kleinen
niger auffälligen, oft zu hypertrophen oder kontrakten Narben. Im Vollhautbiopsie isoliert und in wenigen Wochen unter sterilen Kau-
Gesicht hat dies Entstellung und Stigmatisierung zur Folge, an den telen im Labor vermehrt. Die so gewonnenen, nur wenige Zelllagen
Extremitäten Bewegungseinschränkung. Die alleinige Spalthaut- dicken Transplantate können dann auf die Wunden aufgelegt wer-
transplantation auf epifaszial nekrektomierte Areale nach dritt­ den. Das Verfahren ist aufwendig und sehr teuer, die Entwicklung
gradigen Brandverletzungen hinterlässt in der Regel starre Narben- stark hypertropher Narben ist regelhaft. Die Einheilungsrate liegt bei
platten, ebenfalls mit deutlichen funktionellen und ästhetischen ca. 60%. Daher wird die Indikation nur sehr zurückhaltend gestellt.
Defiziten. Bei kleineren Flächen ist die Anwendung des ReCell-Kit mög-
Bei grenzwertigen, tief zweitgradigen, mehr noch bei drittgradi- lich; dabei erfolgt lediglich eine Isolation der Epidermiszellen
gen Brandverletzungen kann durch den Einsatz von Hautersatz­ ­(Keratinozyten und Melanozyten) ohne Kultivierung intraopera­
materialien, sog. Dermisäquivalenten, eine Verbesserung der Wi- tiv im Bedside-Verfahren und umgehende Replantation auf den
derstandsfähigkeit, Geschmeidigkeit, Temperaturregulation und der débridierten Wundgrund. Um einen passenden Farbton oder eine
Sensibilität der Haut erzielt werden. Der Einsatz von Dermisersatz- der ursprünglichen Haut ähnliche Textur zu erreichen, wählt man
material war mit den bisher kommerziell erhältlichen Produkten die Biopsie aus der unmittelbaren Umgebung oder kontralateralen
logistisch aufwendig, teuer und mit einer relativ hohen Komplika­ Region.
tionsrate behaftet. Das bisher am weitesten verbreitet Material Alternativ ist die Transplantation allogener Keratinozyten aus
war eine dreidimensionale, silikonbeschichtete Kollagenmatrix einer Hautbank möglich; sie dienen als biologischer Verband und
(Integra), die innerhalb von 3–4 Wochen vaskularisiert und all­ beschleunigen die Regeneration noch vorhandener Basalzellen oder
mählich von körpereigenem Kollagen ersetzt wurde. In einem zwei- weit expandierter Maschen- oder MEEK-Transplantate.
ten Schritt erfolgte dann die endgültige Defektdeckung durch Die Wundabdeckung mit Fremd- oder Kunsthaut (Leichen-,
Transplantation ultradünner, autologer Spalthaut. Schweinehaut, Biobrane, Suprathel, Epigard) kann helfen, die Wund-
Vertretbar ist die Anwendung von Integra bei großflächigen heilung zu unterstützen oder die Phasen zwischen Débridement und
Brandverletzungen und verhältnismäßig geringer Spalthautspen- definitiver Transplantation zu überbrücken.
derfläche, da ohnehin auf das »Nachwachsen« der Spenderareale Eine Übersicht über die Hautersatzmaterialien zeigt . Tab. 69.5,
gewartet werden muss. Eine Wartezeit von 3 Wochen auf die endgül- die Akuttherapie des Brandverletzten ist im Überblick dargestellt in
tige Spalthauttransplantation bei kleineren Wundflächen ist unserer . Abb. 69.20.

. Tab. 69.5 Einteilung der gebräuchlichsten Hautersatzmaterialien hinsichtlich der Herstellung, Anwendung und des Hautanteils, der ersetzt
werden soll

Temporär Permanent

Epidermal Dermal Kombiniert Epidermal Dermal Kombiniert

Synthetisch Suprathel, Topkin, Epigard u. a.


Biobrane

Biologisch Allogene HK Allogene FH, xeno­ Epicell, ReCell Integra, Matriderm, Apligraf
gene FH, Amnion AlloDerm

Kombiniert Transcyte Dermagraft

Abkürzungen: HK=humane Keratinozyten; FH=Fremdhaut.


Fettgedruck: im Text beschriebene Materialien.
664 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

. Abb. 69.20 Handlungsalgorithmus Akuttherapie des Brandverletzten (ITN=Intubationsnarkose, IMC=»intermediate care unit«)

69.3.5 Postoperative Behandlung und Nachsorge und intensive Hautpflege helfen, die Reepithelisierungszeit zu ver-
kürzen und Wundheilungsstörungen und Komplikationen zu mini-
Die postoperative Wundehandlung ist in den Verbrennungszentren mieren. Diese Behandlung ist jedoch zeit- und personalintensiv,
meist standardisiert. darüber hinaus erfordert sie viel Erfahrung.
Die Verbandanordnung der transplantierten Areale muss in der Die Hautklammern können an den Händen und Fingern nach
69 Lage sein, Scherkräfte zu vermeiden und Druckbelastung zu ver­
ringern, um die anfangs empfindlichen Transplantate nicht zu ge-
5 Tagen, an allen weiteren Lokalisationen nach 7–10 Tagen ent-
fernt werden. Das erleichtert die Durchführung der Frühmobili­
fährden. Auflagen aus Schaumstoff haben sich ebenso bewährt wie sation, die ab dieser Zeit beginnen muss, um Bewegungseinschrän-
der Einsatz entsprechender Therapiebetten mit pneumatischen kung durch Immobilisation zu verhüten. Eine intensive physio- und
Wechseldrucksystemen. ergotherapeutische Behandlung schließt sich an. Diese muss gleich-
Die Wundauflage auf den Hauttransplantaten verbleibt in der zeitig vorsichtig und unter Sichtkontrolle der Transplantate erfolgen,
Regel 5 Tage, dann erfolgt der erste Verbandwechsel. Abhängig vom um gefährliche Scherkräfte und Druckschädigungen zu vermeiden.
Zustand der Transplantate und Wunden werden die weiteren Ver- Nach vollständiger Epithelisierung können die transplantierten
bandwechselintervalle geplant. Regelmäßige, intensive Wundreini- Areale ohne Wundauflage verbleiben; sie bedürfen jedoch der kon-
gung, penible Abtragung von Krusten und Belägen, Balneotherapie sequenten Pflege mit fetthaltigen Externa, da die Hautanhangsgebil-
69.4 · Prinzipien der Rekonstruktion
665 69
de und damit der Eigenschutz der Haut fehlen. Scherkräfte sollten 69.3.6 Komplikationen
für den Zeitraum von 3–6 Monaten vermieden werden, bis die
Hornschicht widerstandfähig genug ausgebildet ist. Der Schwerbrandverletzte ist zusätzlich zu der Schwere seiner Ver-
Eine konsequente Kompressionstherapie muss nach vollständi­ letzung durch Komplikationen bedroht.
gem Wundverschluss erfolgen. Die Kompression führt zu einer be- In erster Linie besteht durch die zerstörte Hautbarriere die Ge-
absichtigten Minderdurchblutung im Narbenareal und damit zu fahr einer Wundinfektion und Sepsis. Dabei ist die Kolonisierung
einem geringeren Einsprossen von Myofibroblasten. Die Narbenbil- der Wunden ab einer Ausdehnung von 30% als regelhaft anzusehen.
dung kann dadurch wirksam verringert werden. Die Kompressions- Das Hauptaugenmerk sollte darauf gerichtet sein, eine Keiminvasion
behandlung sollte durchgeführt werden, solange die Narbe aktiv ist, zu verhindern und die Entwicklung multiresistenter Keine zu verhü-
das ist in der Regel ein Zeitraum von 12–18 Monaten, kann aber auch ten. Auch die systemischen Reaktionen auf die Verletzung (SIRS)
bis zu 36 Monate andauern. tragen einen wesentlichen Teil dazu bei.
Die regelmäßige Kontrolle des Heilungsverlaufes hilft, Narben- Kardiovaskuläre Störungen wie Herzinsuffizienz sind oft medi-
kontrakturen und daraus resultierende funktionelle Defizite recht- atorinduziert. Pulmonale Insuffizienz trifft man nicht nur bei Inha-
zeitig zu erkennen. Konservative Maßnahmen wie Silikonpflaster, lationstraumata an, sondern auch, selten, im Rahmen eines ARDS
Narbenmassage, Physiotherapie und Quengel-Behandlung können oder als Folge mechanischer Erschöpfung bei Thoraxverbrennung.
die Notwendigkeit operativer Korrekturen reduzieren oder, sind sol- Als Folge des Volumenmangels droht ein akutes Nierenversa-
che unumgänglich, deren Erfolgsaussichten erhöhen. Dazu gehören gen. Auch die verordneten Medikamente (Antibiotika, Diuretika)
Kontrakturauflösungen, Narbenresektionen, Vollhauttransplantatio­ können zu medikamentös-toxischem Nierenversagen führen. Elek-
nen oder plastisch-chirurgische Rekonstruktionen durch gestielte trolytimbalancen werden nahezu regelhaft beobachtet und sind
oder freie mikrovaskuläre Lappenplastiken. Folge der massiven Volumenverschiebungen in den ersten 48–72 h.
Idealerweise schließt sich an eine Akutbehandlung eines Schwer- Metabolische Störungen können ebenfalls als mediatorindu-
brandverletzten eine differenzierte Rehabilitation an: Die Schwer- ziert angesehen werden. Gastrointestinale Störungen sind häufig
punkte sollten dabei sowohl in der medizinisch-funktionellen Be- bei verspäteter enteraler Ernährung, Sepsis oder unter Gabe vasoak-
handlung liegen wie auch in der sozialen und beruflichen Reintegra- tiver Substanzen oder nach Opioidgabe anzutreffen.
tion. Eine psychologische Betreuung sollte selbstverständlich sein Gerinnungsstörungen treten bei langen Operationen oder
(. Übersicht). ebenfalls im Verlauf eines septischen Krankheitsbildes auf. Septi­
sche Schockzustände enden, im Vergleich zu internistischen oder
klassischen Traumapatienten, häufiger letal.
Inhalte des Rehabilitationsprogramms Brandverletzter
4 Allgemeine Kräftigung und Konditionierung (Ausdauer-
und Krafttraining, Walking, Bewegungsbad) 69.4 Prinzipien der Rekonstruktion
4 Kontrakturprophylaxe und Verbesserung der Beweglichkeit
(Lagerungs- und Quengel-Behandlung, Physio-/Ergothera- In der frühen Phase der Rehabilitation stehen konservative Maßnah-
pie, Balneotherapie) men im Vordergrund. Kommt es jedoch zu therapieresistenten funk-
4 Haut-/Narbenpflege (Verbände bei Restdefekten oder Span- tionellen Einschränkungen noch vor Abschluss der Narbenreifung,
nungsblasen, Narbenmassage, Anleitung zur Narbenpflege ist in Ausnahmefällen die vorzeitige operative Intervention unver-
und zum Umgang mit der Kompressionskleidung) meidbar.
4 Amputationen (Stumpfabhärtung, Prothesentraining, Nach Ausreifung der Narben können 3 unterschiedliche ästhe-
Komplikationsmanagement) tisch-funktionelle Probleme bestehen bleiben:
4 Aktivitäten des tägliche Lebens (Alltagstraining, Nutzung 4 Narbenstränge,
adaptiver Gebrauchselemente, Arbeitstherapie, Sport­ 4 instabile Narben,
therapie) 4 Narbenplatten.
4 Anleitung zur optimalen Ernährung (Energiebedarf,
Proteine, Vitamine, Spurenelemente)
4 Schmerzbekämpfung Besonders häufig betroffene Regionen
4 Begleiterkrankungen und Folgeschäden (Behandlung neuro- 4 Augenlider (Ektropion)
logischer Störungen, Logopädie, Umgang mit PEG-Sonden) 4 Mund (Mikrostomie)
4 Soziale Reintegration und berufliche Wiedereingliederung 4 Hals (mentosternale Kontraktur)
4 Psychologische Betreuung (Einzel- und Gruppengespräche, 4 Achselhöhlen
Angstbewältigung, Kontakt zu Selbsthilfegruppen) 4 Ellbogen
4 Zwischenfingerfalten der Hände
4 Kniekehlen
4 Füße und Zehen
Die wichtigsten Säulen der Therapie Brandverletzter
in der Zusammenfassung
4 Frühnekrektomie
4 Enterale Ernährung 69.4.1 Therapie von Narbensträngen
4 Feuchte Wundbehandlung
4 Autologe Hauttransplantation Kommt es durch dermatogene Narbenkontrakturen zu funktionell
4 Frühmobilisation und Kompressionstherapie wirksamen Narbensträngen, ist eine operative Indikation gegeben.
4 Psychologische Betreuung Das Prinzip der Therapie besteht in der Unterbrechung des Narben-
stranges. Dies kann durch Inzision erfolgen. Der Schnitt muss dabei
666 Kapitel 69 · Verbrennungsverletzungen

bis über den Drehpunkt des jeweiligen Gelenkes geführt werden, um Literatur
erneute, längs verlaufende Narben zu verhindern. Man ist immer Aust MC, Fernandes D, Kolokythas P, Kaplan HM, Vogt PM (2008) Percutaneous
wieder verwundert, wie breit der durch Inzision und Aufdehnung collagen induction therapy: an alternative treatment for scars, wrinkles,
entstandene Defekt wird. Die Defektdeckung erfolgt mit mitteldi- and skin laxity. Plast Reconstr Surg 121: 1421–1429
Baker RH, Akhavani MA, Jallali N (2007) Resuscitation of thermal injuries in the
cker Spalthaut oder Vollhaut. Eine Schienenruhigstellung für 8–10
United Kingdom and Ireland. J Plast Reconstr Aesthet Surg 60 (6): 682–
Tage hat sich bewährt.
685
Bei kleineren Kontrakturen sind Z-Plastiken oder serielle American Burn Association (1984) Guidelines for service standards and sever-
W-Plastiken erfolgreich einsetzbar, das Prinzip besteht hierbei in ity classifications in the treatment of burn injury. Am Coll Surg Bull 69:
der Umlenkung der Narbenrichtung. 24
Bei minder durchblutetem Wundgrund kommen gelegentlich Baxter CR (1974) Fluid volume and electrolyte changes of the early postburn
gestielte oder freie mikrochirurgische Lappenplastiken zum Ein- period. Clin Plast Surg 1 (4): 693–703
satz. Becker DG, Himel HN, Nicholson WD et al. (1993) Salvage of a patient with
burn inhalation injury and pancreatitis. Burns 19 (5): 444–446
Demling RH, Wong C, Jin LJ (1985) Early lung dysfunction after major burns:
role of edema and vasoactive mediators. J Trauma 25 (10): 959–966
69.4.2 Therapie instabiler Narben und flächiger
Jackson DM (1953) The diagnosis of the depth of burning. Br J Surg 40: 588–
Narbenplatten 596
Kao CC, Garner WL (2000) Acute burns. Plast Reconstr Surg 105 (7): 2482–
Das Prinzip der operativen Therapie besteht im Ersatz des minder- 2492; quiz 2493; discussion 2494
wertigen Gewebes oder mindestens in der Unterbrechung des bewe- Moritz AR, Henriques FC (1947) Studies of thermal injury. II. The relative im-
gungseinschränkenden Narbenareals. Idealerweise wird der durch portance of time and surface temperature in the causation of cutaneous
Exzision entstandene Defekt mit expandierter Haut aus der unmit- burns. Am J Pathol 23: 695–720
telbaren Umgebung ersetzt, diese besitzt die gleiche Farbe, Textur Pereira CT, Murphy KD, Herndon DN (2005) Altering metabolism. J Burn Care
und Konsistenz. Vor allem im Bereich des behaarten Kopfes wird Rehabil 26: 194–199
diese Technik der Dermaexpander mit guten Erfolg eingesetzt. Auch Pruitt BA Jr, Goodwin CW (1990) Burn injury. Early care of the injured patient,
3rd edn. Decker, New York
wenn sich die Anzahl der Kopfhaare nicht wesentlich vermehrt, ist
Smith DL, Cairns BA, Ramadan F et al. (1994) Effect of inhalation injury, burn
das Ergebnis doch in den meisten Fällen ein gut mit Haaren be-
size, and age on mortality: a study of 1447 consecutive burn patients. J
deckter Schädel. Allerdings beträgt die Komplikationsrate ca. 30%. Trauma 37 (4): 655–659
Ist das Areal zu groß oder ist die Umgebung mitgeschädigt, kom- Weaver AM, Himel HN, Edlich RF (1993) Immersion scald burns: strategies for
men dicke Spalthaut- oder Vollhauttransplantate zum Einsatz. Steht prevention. J Emerg Med 11 (4): 397–402
nicht genug Haut zur Verfügung, muss auf Dermisersatzmaterial Wharton SM, Khanna A (2001) Current attitudes to burns resuscitation in the
zurückgegriffen werden. UK. Burns 27 (2): 183–184
Dabei droht jedoch die Schrumpfung des flächig-narbigen Are- Williams JB II, Ahrenholz DH, Solem LD et al. (1990) Gasoline burns: the pre-
als, des Weiteren ist eine erneute Hauttransplantation erforderlich. ventable cause of thermal injury. J Burn Care Rehabil 11 (5): 446–450

69.4.3 Therapie ästhetischer Störungen

Nach Korrektur der funktionellen Beeinträchtigungen kann die Ver-


besserung des äußeren Erscheinungsbildes in Angriff genommen
werden. Lediglich für das Gesicht gilt, dass funktionelle Störungen
immer auch ästhetische Beeinträchtigungen sind, indem eine nar-
bige Einschränkung der mimischen Muskulatur ein funktionelles
und ästhetisches Defizit darstellt. Hier kommen dieselben Techniken
zum Einsatz wie bei den oben beschriebenen funktionellen Proble-
men. Der Vorteil liegt jedoch darin, dass die Narbenreifung abge-
wartet werden kann. Auch ein Abblassen der Narbenareale ist häufig
schon eine deutliche ästhetische Verbesserung.
Für Feinkorrekturen hypertropher Transplantatareale hat sich
der Laser bewährt. Flächige Unregelmäßigkeiten können seit kurzer
Zeit sehr erfolgreich mit der perkutanen Kollageninduktionsthera-
pie behandelt werden.

69
XI

Ästhetische Chirurgie
P. Vogt

Kapitel 70 Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut   – 669


A. Steiert

Kapitel 71 Perkutane Kollageninduktionstherapie (Medical Needling)   – 681


M. Aust

Kapitel 72 Formkorrektur an Gesicht und Hals   – 685


A. Steiert, P.M. Vogt

Kapitel 73 Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)   – 699


A.D. Niederbichler, P.M. Vogt

Kapitel 74 Formkorrektur der Ohren (Otoplastik)   – 711


R. Ipaktchi, A. Gohritz

Kapitel 75 Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens


und Körperstamms   – 717
P.M. Vogt, A.D. Niederbichler

Kapitel 76 Körperkonturierung nach extremer Gewichtsabnahme   – 727


P.M. Vogt, A.Gohritz

Kapitel 77 Mammareduktion und -augmentation   – 735


A. Handschin, T. Bund, K.H. Breuing

Kapitel 78 Gynäkomastie   – 747


F.-M. Leclère, A. Handschin, K.-H. Breuing

Kapitel 79 Formkorrektur an der oberen Extremität   – 753


F.-M. Leclère, A. Gohritz

Kapitel 80 Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität   – 759


A. Gohritz, H. Sorg
Im Gegensatz zur rekonstruktiven Chirurgie ist es das Bestreben der ästhetischen Chirurgie, die äußere Erscheinung
der ansonsten körperlich gesunden Patienten zu verbessern. Die Patientengruppe, die derartige Eingriffe wünscht,
unterzieht sich freiwillig einem Eingriff in der Erwartung einer Verbesserung des äußerlichen Ist-Zustandes.
Neben der Abklärung des chirurgisch-technisch Machbaren steht hier im Vordergrund die Erhebung eines
sorgfältigen psychosozialen Profils der Patienten zur Ergründung der Motivation. Insofern kommt hier der sorgfäl-
tigen Definition von Ausschlusskriterien große Bedeutung zu, und es müssen neben der technisch sicheren Beherr-
schung der Verfahren auch Komplikationsmanagement und Nachbehandlung optimal ausgeführt werden, um die
höchst verantwortungsvollen Eingriffe der ästhetischen Chirurgie sicher für den Patienten durchführen zu kön-
nen.
70

Rejuvenation – Hautverjüngung
der Gesichtshaut
A. Steiert

70.1 Historischer Hintergrund – 670

70.2 Patientenvorbereitung – 670


70.2.1 Patientenberatung – 670
70.2.2 Evaluation – 670
70.2.3 Vorbehandlung der Haut – 672

70.3 Oberflächliches Peeling – 672


70.3.1 Jessner-Lösung – 672
70.3.2 α-Hydroxysäuren (Glykolsäure)   – 673
70.3.3 10- bis 20%-ige Trichloressigsäure (TCA) – 673

70.4 Mittlere bis tiefe Peelings – 674


70.4.1 TCA-Peeling (Trichloressigsäure) – 674
70.4.2 Phenol-Peeling – 675

70.5 Dermabrasio – 676

70.6 Laser-Resurfacing mit ablativen Lasersystemen – 678

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
670 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut

70.1 Historischer Hintergrund


Der Wunsch, die Gesichtshaut zu verjüngen, ist nicht neu. Frühge-
schichtliche Zivilisationen beteten ästhetische Schönheit an und
suchten nach Möglichkeiten, das Altern zu bekämpfen. Das wohl
älteste überlieferte Schriftstück zur Behandlung der Hautalterung
ist der Ebers-Papyrus. Das Schriftstück wurde etwa um 1560 vor
Christus verfasst und enthält u. a. Methoden zur Beseitigung von
Falten, Färbung von Haaren und Augenbrauen und andere Proze-
duren zur körperlichen Verschönerung. . Abb. 70.1 Eine gewissenhafte Aufklärung schafft realistische Behand-
Der Einsatz von Chemikalien zur Hautbehandlung wird erst- lungsziele und Erwartungen
mals 1903 von MacKee erwähnt, der Flüssigphenol zur Behandlung
von Aknenarben einsetzte. 1905 beschrieb Ernst Kromayer erstmals
Verfahren, die Gesichtshaut mechanisch oberflächlich durch »Ho- Patienten zu machen, seine Gewohnheiten den Behandlungsemp-
beln« und »Raspeln« abzutragen. Kromayer wird daher als »Vater fehlungen unterzuordnen. Sollten hier Zweifel über die Patientendis-
der Dermabrasio« bezeichnet und nannte seine Technik »narbenlose ziplin bestehen, ist von einer Behandlung abzuraten.
Chirurgie«. In jedem Fall sollte sich der Patient nach dem Aufklärungsge-
spräch Gedanken über den Eingriff machen und erst in einem zwei-
ten Gesprächstermin der definitive Operationstermin vereinbart
70.2 Patientenvorbereitung werden. Dieses zweite Gespräch halten wir für besonders wichtig, da
beim Patienten häufig zusätzliche Fragen im Intervall aufkommen,
Die unterschiedlichen Verfahren Peeling, Dermabrasio und Laser- die ohne weiteres Gespräch sonst nicht in Ruhe besprochen und
Resurfacing sind nicht für jeden Patienten und jeden Hauttyp geeig- geklärt werden können.
net. Daher muss für den Patienten sorgfältig das für ihn am besten
geeignete Verfahren ausgewählt werden.
Allgemein besteht die Indikation zur Rejuvenation der Gesichts- 70.2.2 Evaluation
haut bei Gesichtsfalten und fleckigen, den Patienten störenden Haut-
pigmentierungen, die durch Schwangerschaft, Kontrazeptiva oder Die Patientenevaluation ist entscheidend, um für den Patienten den
chronische Sonnenbestrahlung hervorgerufen wurden. Bei sonnen- am besten geeigneten Behandlungsplan aufzustellen. Die Evaluation
geschädigter Haut kann das dysplastische Epithel durch die Behand- konzentriert sich dabei auf Hauttypus und Gesichts-Teint, Hautstruk-
lung regenerieren. tur und -dicke, Grad des Photoagings und Ausprägung der Gesichts-
Hautveränderungen anderer Genese wie z. B. Teleangiektasien, rhytiden. Die Morbidität, die mit der jeweiligen Prozedur assoziiert
Naevus flammeus oder tiefe Tattoos sind mit anderen, nicht ablati- ist, muss gegen die Bedürfnisse und Wünsche des Patienten abge­
ven Laserverfahren erfolgreicher zu behandeln (7 Kap. 4). Hinsicht- wogen werden. Nur durch gründliche Kenntnis der Behandlungs-
lich der Behandlung von Aknenarben ist zu beachten, dass Peelings möglichkeiten und der vom Patienten geschilderten Erwartungen
nur oberflächliche Narbenareale adressieren können, für ausgepräg- kann ein zufriedenstellendes Behandlungsergebnis erzielt werden
tere Befunde stehen die Verfahren Dermabrasio und ablative Laser- (. Abb. 70.1).
systeme zur Verfügung. Die Entscheidungsfindung, welches Verfahren für welchen Pa­
tienten geeignet ist, wird durch die Einteilung des Patienten zu
einem Hauttyp nach Fitzpatrick in Kombination mit der Haar- und
70.2.1 Patientenberatung Augenfarbe erleichtert.

Zahlreiche Faktoren beeinflussen das Ergebnis einer Behandlung. Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttypus
Die Fitzpatrick-Klassifizierung teilt den Hauttypus in unterschied-
> Priorität im Beratungsgespräch ist die Klärung der erreich-
liche Klassen ein. Die Klassifizierung erfolgt durch die Neigung der
baren Behandlungsziele bezogen auf die Patientenerwar-
Haut, nach UV-Exposition zu hyperpigmentieren oder durch UV-
tungen (. Abb. 70.1).
Exposition eine Verbrennung zu erleiden (. Tab. 70.1).
In einer umfassenden Beratung zur Rejuvenation des Gesichtes
sollte zwischen der Behandlung schwerkraftbedingter Verände- Hautdicke und Hautstruktur
rungen und der Auswirkung des Photoagings unterschieden wer- Die Hautdicke und die Hautstruktur sollte im Behandlungsplan ei-
den. Pigmentierungsveränderungen, multiple feine und einzelne ner Resurfacing-Behandlung berücksichtigt werden. Die Hautdicke
grobe Gesichtsrhytiden sowie Aknenarben sind mittels chemischer, (. Abb. 70.5) ist besonders relevant bei mitteltiefen und tiefen Pee-
mechanischer oder photoelektrischer Techniken besser zu be­ lings, da die retikuläre Dermis dünner Haut von den Peeling-Sub-
handeln, da sie den auf die Dermis und Epidermis begrenzten, lo­ stanzen schneller durchdrungen werden kann.
kalisierten Schaden besser behandeln als chirurgische Verfahren Patienten mit dicker, fettiger Haut reagieren meist gut auf ein
70 (Facelift). Programm zur Unterdrückung der Fettproduktion; Retin-A und
Im Beratungsgespräch sollten die einzelnen Verfahren und de- Glykolsäuren werden sehr gut vertragen. Ein verbleibender Fettfilm
ren Vor- und Nachteile dem Patienten erklärt werden. Wichtig für vor der Peeling-Prozedur erschwert das Eindringen der Peeling-Sub-
den Patienten ist die Aufklärung über berufliche und gesellschaft- stanz. Daher sollte bei Patienten mit erhöhter Talgproduktion der
liche Ausfallzeiten. Des Weiteren sollten Lebensgewohnheiten, ins- meist auch deutlich dickeren Haut ein längeres Vorbehandlungspro-
besondere hinsichtlich Sonnenexposition und Rauchen, anamne- gamm und entfettende Maßnahmen vor der Peeling-Prozedur
stisch erhoben werden, um sich ein Bild über die Bereitschaft des durchgeführt werden.
70.2 · Patientenvorbereitung
671 70

. Tab. 70.1 Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttyps

Fitzpatrick-Typ Kennzeichen

Hauttyp I 4 Diese Patienten sind gewöhnlich rothaarig oder hellblond. Ihre Augenfarbe liegt im Bereich grün oder blau und ist niemals
dunkel.
4 Diese Patienten erleiden bei UV-Exposition immer einen Sonnenbrand und vermeiden daher meist die Sonnenexposition.
Ein Bräunungseffekt durch UV-Exposition tritt nicht auf.
4 Daher sind in dieser Patientengruppe aktinische Pigmentveränderungen seltener, und die Inzidenz von Hyperpigmentie-
rung nach jeglichem Resurfacing-Verfahren ist niedriger.

Hauttyp II 4 Patienten mit einem Hauttyp II zeigen eine Intoleranz gegenüber längerer UV-Bestrahlung und erleiden ohne UV-Schutz
einen Sonnenbrand. Schonende UV-Exposition führt zu einem Bräunungseffekt der Haut.
4 Die Patienten haben helle Haare und überwiegend helle Augen.
4 Setzt sich diese Patientengruppe chronischer UV-Bestrahlung aus, werden die Folgen des Photoaging sichtbar werden.
4 Obgleich eine Hyperpigmentierung nach einer Rejuvenationsbehandlung nicht auszuschließen ist, sind diese Patienten
ideale Kandidaten für mitteltiefe und tiefe Peelings, ebenso wie für Laser-Resurfacing.

Hauttyp III 4 Patienten mit Hauttyp III bräunen leicht, erleiden nach längerer UV-Exposition ohne UV-Schutz aber einen Sonnenbrand.
4 Diese Patientengruppe hat einen hellen bis mittelhellen Teint und meist dunkle Haare und braune Augen. Bei blondem
Haar, aber dunklen Augen und dunklen Augenbrauen sollte der Patient eher als Hauttyp III eingestuft werden, um dem
Risiko der Hyperpigmentierung durch entsprechende Vorbehandlung vorzubeugen.
4 Bei diesen Patienten besteht eine Neigung zur Hyperpigmentierung nach tiefen Resurfacing-Verfahren.
4 Daher ist bei diesen Patienten eine Vorbehandlung mit Retin-A und Hydrochinon dringend zu empfehlen, um das Risiko
einer Hyperpigmentierung zu minimieren.

Hauttyp IV 4 Patienten mit diesem Hauttyp sind häufig südländischer oder hispanischer Herkunft und haben einen mitteldunklen Haut­
teint und dunkelbraunes bis schwarzes Haar. Die Augen sind ebenfalls braun oder dunkler.
4 Diese Patienten bräunen unter UV-Exposition schnell und ziehen sich nur selten einen Sonnenbrand zu.
4 Wegen der erhöhten Pigmentierung in der Epidermis sind diese Patienten im Hinblick auf Hyperpigmentierung nach Resur-
facing höher gefährdet. Ein mitteltiefes oder tiefes Resurfacing ist daher nur nach längerer Vorbehandlung mit Retin-A und
Hydrochinon zu empfehlen.
4 In der Nachbehandlung sind meist Bleichmittel erforderlich.

Hauttyp V 4 Patienten mit Hauttypus V besitzen einen dunklen Teint, schwarzes Haar und dunkle Augen. Die Herkunft ist orientalisch,
indisch, ostasiatisch oder afrikanisch.
4 Sie bräunen unter UV-Exposition stark und können durch Hautverletzungen, wie Trauma, Akne oder Infektionen (Herpes)
fleckige Pigmentierungen aufweisen.
4 Ein Resurfacing muss bei dieser Patientengruppe zurückhaltend durchgeführt werden. Eine Vorbehandlung mit Retin-A und
Hydrochinon ist dabei unabdingbar.
4 Da die Patienten meist den Arzt zur Behandlung der fleckigen Pigmentierungen aufsuchen, sind mehrere oberflächliche
Peelings und ein tägliches Hautpflegeprogramm sinnvoller, als die Patienten den Gefahren eines tieferen Resurfacing-
Verfahren mit Hypo- oder Hyperpigmentierungen auszusetzen.
4 Als zusätzliche Komplikation bei tieferen Peelings kann auch ein fleckiger Pigmentverlust auftreten, der zu einem vitiligo-
ähnlichen Aussehen führen kann.

Hauttyp VI 4 Diese Patienten sind typischerweise afrikanischer Herkunft mit dunklem Teint der Haut, schwarzen Haaren und dunklen
Augen.
4 Diese Patienten erleiden niemals einen Sonnenbrand. UV-Bestrahlung bewirkt eine verstärkte Pigmentierung, typische
Stigmata des Photoagings fehlen.
4 Sollten trotz des deutlich erhöhten Risikos von Fehlpigmentierungen Resurfacing-Verfahren in Erwägung gezogen werden,
ist ein längeres Vorbehandlungsschema einzuhalten und über die Risiken der Keloidbildung und hypertropher Narben­
bildung schonungslos aufzuklären.

Patienten mit chronischer Akne haben meist dicke, fibrotische ! Cave


Haut, die ein ausreichendes Eindringen der Peeling-Substanz er- Patienten mit dünner und atropher Haut haben daher eine
schwert. Diese Patienten benötigen daher ein aggressiveres Vorbe- deutlich schmalere Sicherheitsspanne bei ablativen Resur-
handlungsprogramm mit Retin-A und Hydrochinon. facing-Verfahren als die Patienten mit dicker, fettiger
Patienten mit dünnerer, trockener und atropher Haut sind häu- Haut, sodass Resurfacing-Verfahren in diesem Patienten-
figer anfälliger für UV-induzierte Hautschäden als Patienten mit kollektiv nur mit äußerster Vorsicht und Sorgfalt durchge-
dickerer und fettigerer Haut. Viele Patienten mit dünner, atropher führt werden sollten.
Haut zeigen eine signifikante Photoschädigung mit dermaler Atro-
phie und vertragen Vorbehandlungprogramme mit Retin-A und
Glykolsäuren weniger gut. Die Anwendung dermatologischer Sub-
stanzen muss daher abgestuft erfolgen. Zusätzlich sollten feuchtig-
keitsspendende Substanzen eingesetzt werden.
672 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut

70.2.3 Vorbehandlung der Haut Hydrochinon (4%) wird zusammen mit Retin-A zunächst alle
2 Tage zur Nacht aufgetragen. Entsprechend der Anwendung von
Retin-A Retin-A kann die Anwendungsfrequenz bei guter Verträglich-
Tretinoin (Retin-A), ein Vitamin-A-Derivat, kann die durch UV- keit gesteigert werden. Auf dem Markt sind Hydrochinon-Pro­
Einwirkung hervorgerufenen Schäden der Haut günstig beein­ dukte, die einen Sunblocker enthalten, was dem Patienten die
flussen. Die epidermale Wirkung zeigt sich histologisch in einer Applikation einer weiteren Substanz auf seiner Haut erspart. Bei
Verdünnung des Stratum corneum; zusätzlich ist eine melanozyten- Patienten mit Hyperpigmentierungsstörungen, z. B. fleckige Hy-
supprimierende Wirkung nachgewiesen. Retin-A steigert den Grad perpigmentierungen beim Hauttyp Fitzpatrick V/VI, kann Hyd­
der Eindringtiefe der Peeling-Substanzen und beschleunigt die Re­ rochinon auch 2× täglich aufgetragen werden, dabei wird die
epithelialisierung. Wird Retin-A in der täglichen Hautpflege ange- Subs­tanz nachts zusammen mit Retin-A und morgens singulär
wandt, kommt es nach 6–12 Wochen nach Behandlungsbeginn zu auf­getragen.
den ersten sichtbaren Effekten. Die Haut zeigt eine glattere Struktur,
erhält eine glänzende rosarote Farbe und eine gleichmäßigere Pig-
mentierung. Histologisch ist nach einer Anwendung von 6 Monaten 70.3 Oberflächliches Peeling
eine Kollagenneogenese und vermehrte Angiogenese gezeigt worden.
Die Retin-A-Vorbehandlung sollte mit 0,1% Retin-A beginnen. Mit oberflächlichen Peeling-Substanzen lassen sich aktinische Kera-
Die Mehrzahl der Patienten zeigt eine temporäre Dermatitis, die tosen, feine Gesichtsfalten und oberflächliche Dyschromasien gut
innerhalb von 2–3 Wochen abklingt. Die Patienten sollten angewie- behandeln. Oberflächliche Peelings werden regelmäßig über mehre-
sen werden, zunächst nur kleinste Mengen, etwa Erbsengröße, der re Wochen und Monate durchgeführt.
Creme vor dem Schlafengehen auf das gesamte Gesicht aufzutragen. Es gibt für oberflächliche Peelings gegenüber den aggressiveren
Um sanft zu beginnen, kann diese Anwendung z. B. zunächst alle Peelings eine Reihe von Vorteilen. Sie sind beispielsweise geeignet
2 Nächte erfolgen. Die Patienten sind darauf hinzuweisen, dass das für Patienten, deren Lebensstil eine längere Ausfallzeit nicht erlaubt.
Retin-A gleichmäßig im Gesicht zu verteilen ist und nicht auf Areale, Nach einem oberflächlichen Peeling ist der Patient noch am Tage der
die den Patienten besonders stören, fokussiert werden soll, da es Anwendung wieder gesellschaftsfähig. Da keine Hypopigmentie-
dann zu unregelmäßigen, unkontrollierten Eindringtiefen des Pee- rung nach einem oberflächlichen Peeling auftritt, besteht kein Un-
lings kommen kann und damit das Gesamtergebnis der Behandlung terschied zwischen behandelten und unbehandelten Arealen. Die
gefährdet ist. Anwendung ist schmerzfrei, und nur selten wurden Komplikationen
Stellen sich Hautreizungen ein, sollte der Patient ermutigt wer- oder ungünstige Resultate beschrieben.
den, die Behandlung nicht abzubrechen und eine kleinere Menge alle Der ideale Patient wünscht sich ein jüngeres Erscheinungsbild
3–4 Nächte aufzutragen. Alternativ kann auch die Konzentration des der Haut und zeigt fleckige Pigmentierungsstörungen und feine
Retin-A auf 0,05% reduziert werden. Bei Unverträglichkeiten auch Rhytiden. Das Behandlungsziel ist die Wiederherstellung eines ge-
geringerer Konzentrationen und Anwendungsmengen des Retin-A sünderen, dynamischen Aussehens durch die Beseitigung von Pig-
kann zusätzlich eine Hydrokortisonsalbe appliziert werden. Kommt mentunregelmäßigkeiten. Die Patienten müssen motiviert werden,
es im weiteren Verlauf nicht zur gewünschten Verbesserung der Ver- ein tägliches Hautpflegeprogramm durchzuführen, und über die
träglichkeit, sollte das Retin-A durch ein Glykolsäurepräparat der Notwendigkeit wiederholter Anwendungen zur Erreichung des Be-
Konzentration 10–14% ersetzt werden. handlungsziels aufgeklärt werden.
Nachdem der Patient das Retin-A regelmäßig alle 2 Nächte ver- Zur Behandlung stehen zahlreiche Substanzen zur Verfügung.
trägt, wird die Frequenz der Applikation auf jede Nacht gesteigert. Am häufigsten eingesetzt werden die Jessner-Lösung, α-Hydroxy-
Sobald auch die tägliche Anwendung gut vertragen wird, können die säuren und 10–20% Trichloressigsäure (TCA).
Retin-A-Mengen gesteigert werden.
> Retin-A erhöht die Photosensibilität der Haut, sodass die
Anwendung von sog. Sunblockern für den Patienten erfor-
70.3.1 Jessner-Lösung
derlich wird.
Die Jessner-Lösung (Dr. Max Jessner) wird seit über 100 Jahren
Für Patienten mit ausgesprochen trockener Haut sollte 0,05% Reti- ­erfolgreich eingesetzt und setzt sich wie in . Tab. 70.2 gezeigt
nolsäure anstatt Retin-A verwandt werden, damit die Haut nicht ­zusammen.
weiter austrocknet. Die Jessner-Lösung führt zur Keratinolyse und Eiweißkoagulie-
rung. Sie beseitigt das Stratum corneum und keratokoaguliert An-
Hydrochinon teile der Dermis.
Hydrochinon wird zur Vorbehandlung der Haut auf chemische Pee-
lings angewandt. Es dient zur gleichmäßigeren Pigmentierung nach
Peeling und zur Vorbeugung einer postoperativen Hyperpigmentie-
rung. Hydrochinon hemmt die enzymatische Oxygenierung von
. Tab. 70.2 Bestandteile der Jessner-Lösung
Tyrosin 3,4-Dihydroxyphenylalanin (Dopa) und die Melaninpro-
duktion in der basalen Epidermis. Da lediglich die Bildung von Bestandteil Menge
70 »neuem« Melanin gehemmt wird, ist die Wirkung erst nach Wochen
bemerkbar. Resorzin 14 g
Bei den Hauttypen >III nach Fitzpatrick sollten Hydrochinone in
Salizylsäure 14 g
der Vorbehandlung eingesetzt werden. Die Wirksamkeit der Hydro-
chinone wird durch die simultane Anwendung von Retin-A gestei- Milchsäure (85%) 14 g
gert, da die Eindringtiefe durch das Retin-A erhöht wird und Retin-A Ethanol (95%) 100 ml
in der Hemmung der Melaninproduktion synergistisch wirkt.
70.3 · Oberflächliches Peeling
673 70
Technik
Die Behandlung erfolgt nach Vorbehandlung mit Retin-A und Hy-
drochinon, um die Wirksamkeit der Jessner-Lösung zu erhöhen.
Nach Hautreinigung und -entfettung mittels Alkohol oder Aceton
werden zum Auftragen mit Jessner-Lösung befeuchtete Gaze-
Schwämme verwendet. Im Gegensatz zur Glykolsäure ist eine ab-
schließende Neutralisierung mit Wasser nicht erforderlich.
Die Eindringtiefe und der Endpunkt des Peelings werden an-
hand der klinischen Erscheinung der Haut festgelegt. Eine einzige
gleichmäßige Applikation auf vorbereitete Haut verursacht milde
Erythema, minimales Stechen oder Prickeln, was nach 5–10 Tagen a
abklingt. 2–3 Applikationen der Lösung führen zu einem tieferen
Peeling mit einem moderaten bis 30 min anhaltendem Stechen und
mildem Erythem.
Die Hautpflege nach dem Peeling erfolgt durch eine neutrale
feuchtigkeitsspendende Substanz, die 3–4× pro Tag aufgetragen wird.
Sunblocker sind erforderlich, da die äußere Schutzschicht der Haut
entfernt worden ist. Jessner-Peelings können alle 1–3 Wochen wieder­
holt werden, je nach Tiefe und Toleranz und Wunsch des Patienten.
Die Jessner-Lösung eignet sich auch zur Vorbehandlung eines
tiefen Peelings mit 35%TCA, insbesondere dann, wenn der Eindruck
entstehen sollte, dass die Vorbehandlung mit Retin-A und Hydro-
chinon bei dicker Haut nicht regelmäßig erfolgte. b
Komplikationen sind unwahrscheinlich, da die Eindringtiefe der
. Abb. 70.2a, b Jessner-Peeling. a Hyperpigmentierung vor der Behand-
Jessner-Lösung begrenzt ist. Hyperpigmentierung sind Zeichen lung, b klinisches Bild nach oberflächlichem Jessner-Peeling
einer zu frühen, ungeschützten UV-Strahlung.
Ein klinisches Beispiel zeigt . Abb. 70.2.

> Da die Haut an der Stirn am dicksten ist, sollte an der Stirn
70.3.2 α-Hydroxysäuren (Glykolsäure) mit dem Peeling begonnen werden.

α-Hydroxysäuren sind natürlich vorkommende Säuren mit Kohlen- Die Hautbeschaffenheit ist auch bei den Hydroxy-Peelings zu beach-
stoffketten und einer endständigen Carboxylgruppe. Diese Sub- ten, da eine Applikation einer 70%-igen Lösung auf dünner, atropher
stanzgruppe umfasst Glykol-, Milch-, Zitronen-, Apfel- und Wein- Haut über 7–8 min ein tiefes Peeling verursachen kann.
säure. Das Stratum corneum wird verdünnt, und die epidermale Die behandelte Haut wird mit der Zeit zunächst rosa und dann
Permeabilität steigt an. Glykolsäure ist die in den USA am häufigsten zunehmend röter, was dem gewünschten Grad der Eindringtiefe ent-
eingesetzte Hydroxysäure. spricht. Sind kleine grau-weiße Flecken erkennbar, wird die Grenze
Für die tägliche Hautpflege sind Präparate mit einer Konzentra- zur Dermis erreicht. Tieferes Eindringen in die Dermis zeigt sich
tion zwischen 8% und 14% auf dem Markt, als oberflächliches Pee- durch eine weiße, frostartige Hautveränderung und entspricht nicht
ling wird eine Konzentration von 30–70% eingesetzt. Glykolsäure- der Anwendung der Hydroxysäuren als oberflächliche Peeling-Sub-
Peelings entfalten ihre Wirksamkeit proportional zur Einwirkzeit stanz.
und bedürfen daher einer sorgfältigen Aufsicht. Ein Glykolsäure- Ist der gewünschte Endpunkt erreicht, wird das komplette Ge-
Peeling in einer 50%-iger Konzentration kann bei längerer Ein­ sicht mit reichlich Wasser abgespült, um keine Reste der Hydroxy-
wirkungszeit die Dermis durchdringen und zu Erosionen führen, säure zu belassen.
während ein Peeling mit einer 70%-iger Konzentration bei kurzer Oberflächliche Peelings verursachen lediglich ein mildes Ab-
Einwirkzeit nur einen milden Effekt aufweist. schuppen und werden mit einem Feuchtigkeitsspender und Schmin-
Die Anwendung von Hydroxysäuren ist in Gelform zu empfeh- ke abgedeckt. Solche Peelings können je nach Verträglichkeit wö-
len, da die Handhabung einfach ist. Gele sind leicht aufzutragen, chentlich oder alle 3 Wochen wiederholt werden.
tropfen nicht und verlaufen nicht auf Oberflächen, insbesondere auf Bei Patienten, die nach 2 Anwendungen kein verbessertes Er-
Areale, die nicht behandelt werden sollen. gebnis zeigen, sollte ein invasiveres Vorgehen vorgeschlagen werden.
Komplikationen nehmen mit der Behandlungstiefe zu. Am häu-
Technik figsten sind ein verlängertes Erythem und selten Hyperpigmentie-
Die Vorbehandlung der Haut erfolgt mit Retin-A und Hydrochinon rungen.
über 6–8 Wochen. Vor Anwendung des Peelings wird die Haut von
Schmutz und Kosmetika gereinigt. Die Hydroxysäure wird mit
einem Baumwolltupfer gleichmäßig und zügig auf das Gesicht auf- 70.3.3 10- bis 20%-ige Trichloressigsäure (TCA)
getragen, da der Endpunkt der Anwendung des gesamten Areals
durch die Applikation von Wasser bestimmt wird. Besteht also zwi- Leichte TCA-Peelings können bei Patienten durchgeführt werden,
schen der Benetzung des Startpunktes und des zuletzt behandelten die milde aktinische Veränderungen aufweisen, und bei Patienten,
Areals ein zu langes Zeitintervall, werden die Intensität des Peelings die eine längere Rekonvaleszenz akzeptieren.
und entsprechend die Eindringtiefe unterschiedlich sein, was ggf. Bereits nach 90 s Kontaktzeit kommt es zu einem generalisierten
durch Pigmentverschiebungen sichtbar werden könnte. Erythem des behandelten Areals. Nach 3 min können fleckiger Frost
674 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut

und eine Intensivierung des Erythems beobachtet werden, was dem


Endpunkt des Peelings entsprechen sollte. TCA in jeder Konzentra- . Tab. 70.3 Modifizierte TCA-Lösung
tion kann entsprechend der Hautbeschaffenheit und Kontaktzeit
tiefe dermale Verletzungen verursachen. Bestandteil Menge
Die Indikationen für oberflächliche TCA-Peelings entsprechen TCA-Lösung 50% 5 ml
denen der Glykolsäure-Peelings. Die Vorbehandlung mit Retin-A
steigert die Effektivität des oberflächlichen TCA-Peelings. Glycerin 1 ml

Tween 20 8 Trpf.

70.4 Mittlere bis tiefe Peelings


70.4.1 TCA-Peeling (Trichloressigsäure) neugebildeten Zellen entfalten kann, ergibt sich ein Vorbehand-
lungsintervall von mindestens 6 Wochen.
Ein TCA-Peeling ist in seiner Eindringtiefe und damit in seiner In- Bei der Planung tieferer Peelings und Patienten mit einem Haut-
tensität variabel einsetzbar und erlaubt daher eine breite Anwen- typ Fitzpatrick >III ist eine Vorbehandlung über die Dauer von
dungsvielfalt. Im Gegensatz zu Phenol hat TCA eine weniger starke 2 Zellzyklen, also 12 Wochen, zu empfehlen.
Wirkung auf den Melanozytenmetabolismus und damit keinen so
stark bleichenden Effekt wie Phenol. Daher kann TCA bei verschie- TCA-Aufbereitung
denen Teints eingesetzt werden und ist bei hellhäutigen Personen Die dramatisch unterschiedliche Wirkung des TCA-Peelings bei un-
genauso einsetzbar wie bei Patienten ostasiatischer oder afrika- terschiedlichen Konzentrationen unterstreicht die Wichtigkeit der
nischer Herkunft. Art der Aufbereitung. TCA kann von einer Apotheke des Vertrauens
TCA-Peelings haben ihre Grenzen. Bei Patienten mit groben bezogen werden. Fehler in der Aufbereitung können jedoch drama-
Gesichtsfalten, insbesondere perioral, ist der Effekt auch eines tiefen tische Folgen für den Patienten und den anwendenden Arzt bedeu-
Peelings häufig enttäuschend und darüber hinaus nur temporär. ten. Alternativ sind Pharmalieferanten mit entsprechender Pro-
duktgarantie zu nennen.
Indikationen Die Applikation der TCA-Lösung wird aus unserer Sicht
TCA-Peelings sind besonders zur Behandlung von oberflächlichen durch folgende Modifikation verbessert (. Tab. 70.3). Der Zusatz
und mitteltiefen Pigmentstörungen und aktinisch geschädigter Haut von Glycerin verbessert die Viskosität, sodass das gleichmäßigere
geeignet. TCA-Peelings können bei diffusen epidermalen Dyspla- Auftragen erleichtert wird, und verzögert etwas das Eindringen des
sien und Aknenarben dicker Haut als Zusatzbehandlung einer Der- TCA, was die Beurteilbarkeit der Eindringtiefe verbessern kann.
mabrasio eingesetzt werden. Der Zusatz von Tween 20 hilft, das TCA und Glycerin in Lösung zu
Die durch Photoaging verursachten epidermalen Hautverän­ halten.
derungen reagieren gut auf ein mitteltiefes TCA-Peeling, das im In-
tervall auch wiederholt werden kann. Für die Behandlung grober Technik
Rhytiden kann nur ein tiefes TCA-Peeling einen nachhaltigen Effekt Mitteltiefes Peeling
hervorrufen. Hierzu muss das Peeling jedoch tief bis zur papillären Der Patient wird aufgefordert, ungeschminkt zum Peeling-Termin
Dermis eindringen und ist damit mit einer erhöhten Komorbidität zu erscheinen. Vor dem Peeling erfolgt eine Hautreinigung mit Ace-
verbunden. ton, um Restfette zu entfernen. Hernach wird die Haut mit einem
Feine und mittelgrobe Falten an der Stirn, periorbital und an den Alkoholtupfer abgewischt. Bei Patienten mit dicker, fettiger Haut
Wangen sind die ideale Indikation für ein mitteltiefes Peeling mit oder bei Patienten, die voraussichtlich das Vorprogramm unzurei-
TCA. chend durchführten, ist es hilfreich, das Gesicht mit einem Ace-
Die problematische Behandlung von Aknenarben kann durch tonschwamm mechanisch abzureiben, um dadurch das Stratum
ein mittleres bis tiefes TCA-Peeling ergänzt werden. Verbleibt nach corneum zu entfernen und damit das gleichmäßigere Eindringen des
einer Dermabrasio z. B. eine Restvernarbung, kann nach konse- Peelings zu unterstützen.
quenter Vorbehandlung mit Retin-A und Hydrochinon das Ergebnis Für ein mitteltiefes Peeling ist eine Konzentration von 35% TCA-
deutlich verbessert werden. Hierzu sollten TCA-Konzentrationen Lösung geeignet. Mit einem Gazeschwamm der Größe von 5×5 cm
von 35–45% eingesetzt werden. wird die Peeling-Lösung an der Stirn beginnend gleichmäßig auf­
getragen. Im Folgenden werden die Wangen, perioral und Nase be-
Vorpeeling-Programm handelt. An den Augenlidern wird mit Wattestäbchen die Lösung
TCA ist im Vergleich zu Phenol eine mildere Peeling-Substanz und aufgetragen. Prätarsale Haut muss nicht zwangsläufig in das Peeling
durchdringt daher die epidermale-dermale Grenzzone weniger einbezogen werden und führt häufig zu einem Augenlidödem. Ist
gleichmäßig. Die Vorbehandlung der Gesichtshaut verbessert ent- entsprechend der Compliance des Patienten von einer konsequenten
scheidend über das Stratum corneum der Epidermis hinaus die Vorbehandlung auszugehen, reichen 60–120 s an Kontaktzeit aus,
gleichmäßige Aufnahme der Peeling-Substanz. Zusätzlich reduziert um die gewünschte Eindringtiefe zu erreichen.
ein konsequentes Vorprogramm durch Dämpfung des Melanozyten- Der Endpunkt eines mittleren Peelings zeigt sich durch eine
70 metabolismus das Risiko einer Hyperpigmentierung. gleichmäßige rosa/weißliche Hautveränderung. Der Grad des sog.
Bei Patienten des Hauttyps Fitzpatrick III–V sollte zusätzlich zu Frosts, die Intensität der Weißverfärbung, zeigt die Eindringtiefe der
Retin-A Hydrochinon appliziert werden. Peeling-Substanz an, die bei tiefem Eindringen in die papilläre Der-
mis die Haut hellgrau erscheinen lässt.
Dauer der Vorbehandlung Unter der Anwendung eines Peelings nimmt die Hautspannung
Ein epidermaler Zellzyklus dauert ca. 45 Tage. Da die Anwendung zu. Sind die mimischen Falten nicht mehr sichtbar, markiert dies den
der Retin-A- und Hydrochinon-Cremes ihre maximale Wirkung auf Übergang zwischen papillärer und retikulärer Eindringtiefe. Sobald
70.4 · Mittlere bis tiefe Peelings
675 70
Patienten mit dicker, fettiger Haut, wie z. B. Patienten mit tiefen
Aknenarben. Die Technik der Anwendung ist im Wesentlichen
identisch mit der Technik des mitteltiefen Peelings.

Pflege nach dem Peeling


Mitteltiefe Peelings führen zu einer Hautveränderung, die innerhalb
von 5–7 Tagen, ausgehend von einem Erythem, in eine Desquama-
tion, eine bräunliche, lederartige Hautveränderung, umschlägt. Da-
nach kann der Patient wieder zu seiner Hautpflege mit Retin-A oder
Glykolsäure und zwingend Sunblocker zurückkehren.

Komplikationen
Postoperative Hyperpigmentierungen sind durch die täglichen An-
wendungen von 0,1% Retin-A zur Nacht und 2-maliger Hydrochi-
non 4%-Applikation gut zu behandeln. Bei Patienten, die Retin-A
a schlecht vertragen, kann alternativ Koji-Säure in Kombination mit
Hydrochinon aufgetragen werden. Koji-Säure hemmt, wie Hydro-
chinon, den Melanozytenmetabolismus. Bis ein Effekt sichtbar wird,
sind meist 2 Zellzyklen (90 Tage) erforderlich.
Hypertrophe Narben können bei tiefem Peeling auftreten. Die
Behandlung erfolgt durch Silikonsalben und Kortikoidinjektio-
nen. Kommt es nicht innerhalb von 3 Monaten zu einer deut-
lichen Verbesserung, wäre ein Medical Needling (7 Kap. 71) zu
diskutieren.
Die Herpes-simplex-Infektion kann zu einer ernsthaften Kom-
plikation werden, sodass jeder Patient mit Herpes-simplex-Ana-
mnese entsprechend abgeschirmt werden sollte. Die Herpes-sim-
plex-Prophylaxe sollte am Vortag des Eingriffs in einer Dosierung
von 3×400 mg Aciclovir p.o./Tag beginnen und bis zum 4. postope-
rativen Tag fortgeführt werden.

b
70.4.2 Phenol-Peeling
. Abb. 70.3a, b Peeling mit Trichloressigsäure (TCA). a Aknenarben vor
dem Peeling. b Leichte zentrale Hyperpigmentierung nach einem mittel­ Das Phenol-Peeling entspricht einer kontrollierten Hautverletzung,
tiefen TCA-Peeling, die mit Hydrochinon und Retin-A gut behandelbar ist die durch die Regeneration die gewünschten Effekte der Hautverjün-
gung mit nachhaltigem Effekt erzielt. Die Nachteile gegenüber einem
TCA-Peeling sind längere Ausfallzeiten für den Patienten. Das Phe-
der gewünschte Grad an Eindringtiefe erreicht ist, wird das Peeling nol-Peeling hinterlässt eine ungewöhnlich starke Bleichwirkung.
mit Eiswasser zur Beschwerdelinderung des Patienten gründlich ab- Dadurch können deutliche und scharfe Abgrenzungen zwischen be-
gespült. handelter und unbehandelter Haut entstehen. Das Phenol-Peeling
Die Rückkehr der Hautfarbe nach dem Peeling ist ein weiterer kann für Patienten mit groben Rhytiden geeignet sein, hier stehen
Indikator für die stattgehabte Eindringtiefe des Peelings. aber alternativen Methoden wie Dermabrasio (7 Kap. 70.5) oder ab-
Sanfte, mitteltiefe Peelings nehmen bereits nach 10–15 min eine lative Lasersysteme (7 Kap. 70.6) zur Verfügung.
erythematöse Farbe an. Papilläre Peelings, die mit einem gleichmä-
ßigen weißen Frost assoziiert waren, erscheinen nach 20–30 min Toxikologie
erythematös. Tiefe retikuläre Peelings, bei denen die Haut grau- Phenol wird über die Haut absorbiert, in der Leber entgiftet und über
weißlich erschien, benötigen 40–60 min, bis die Haut eine wieder die Niere ausgeschieden. Nach Studienlage scheint sich die Toxizität,
eine erythematöse Farbe annimmt. die sich im Wesentlichen auf kardiale Arrhythmien beschränkt, zu
Ein klinisches Beispiel zeigt . Abb. 70.3. erhöhen, je schneller eine kritische Menge aufgetragen wird. Die
Applikation eines Phenol-Gesichtspeelings sollte daher nicht kürzer
Tiefes Peeling als 60 min dauern. Zusätzlich sollten alle Patienten elektrokardiogra-
Zunächst ist zu prüfen, ob Patienten, die für ein tiefes Peeling vorge- phisch überwacht werden.
sehen sind, nicht besser von einer Dermabrasio oder einem Laser-
Resurfacing profitieren würden. Indikationen
Das tiefe Peeling wird mit 50%-iger TCA-Lösung durchgeführt, Die stark bleichende Wirkung des Phenols macht die Patientenaus-
modifiziert unter Zusatz von Glycerin und Tween ergibt sich eine wahl zum kritischen Faktor des Erfolges. Patienten mit hellem Teint
Konzentration von 40–50% (. Tab. 70.3). Tiefe Peelings bedeuten für und wenig Sonnenbestrahlung sind bessere Kandidaten als Haut-
den Patienten längere Ausfallzeiten und setzen ihn einem höheren typen Fitzpatrick III–VI. Rothaarige Patienten mit Sommersprossen
Risiko für Komplikationen, wie Hyperpigmentierung und hypertro- sind ebenfalls bedingt schlechte Kandidaten, da auch die Sommer-
pher Narbenbildung, aus. Allgemein eignen sich Patienten mit dün- sprossen gebleicht werden und die Grenze zwischen behandelter
ner und atropher Haut nicht für tiefe Peelings, eher geeignet sind Haut und unbehandelter Haut oft sichtbar bleibt.
676 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut

Intensität des brennenden Gefühls variiert von Patient zu Patient.


. Tab. 70.4 Baker-Gordon-Formel entsprechend etwa einer 88% Nach 6–8 h klingt dieses brennende Gefühl ab. Die Hochlagerung
Phenol-Lösung des Kopfes verringert die Ausprägung des Augenlidödems.
Die Reepithelialisierung der Haut wird nach 7–10 Tagen er-
Bestandteil Menge reicht. Der Patient darf nach dieser Zeit das Gesicht waschen und
muss ausreichend rückfettend Feuchtigkeit spenden. Besteht noch
Flüssigphenol 3 ml
eine Schwellung, sind Hydrokortisoncremes sehr hilfreich. Das
Destilliertes Wasser 2 ml meist mit der Reepithelialisierung einhergehende Jucken kann durch
Flüssigseife 8 Trpf. orale Antihistaminika oft günstig beeinflusst werden. Die erythema-
töse Farbe der Haut wird 10–12 Wochen anhalten. Bei anhaltendem
Krotonöl 3 Trpf. Erythem verkürzen Hydrokortisoncremes die Dauer des Erythems.

Komplikationen
Die offensichtlichste Komplikation ist die sichtbare Grenze zwischen
Technik behandelter und unbehandelter Haut. Hier ist die kaudale Grenze
Das Phenol-Peeling erfordert eine Sedierung des Patienten. Eben- der Gesichtsbehandlung am kaudalen Unterrand der Mandibula
falls ist die perioperative Überwachung zu gewährleisten. Eine Vor- wichtig. Das Peeling darf keinesfalls in den Halsbereich hinein fort-
behandlung beim Phenol-Peeling mit Retin-A ist nicht erforder­ geführt werden.
lich. Die Patienten werden angewiesen, am Vorabend das Gesicht Es besteht für 4–6 Monate eine besondere Sonnenempfindlich-
gründlich zu reinigen und ohne Kosmetika zur Behandlung zu er- keit, über die der Patient aufgeklärt werden muss, und weswegen er
scheinen. Sunblocker anwenden sollte. Direkte Sonnenexposition sollte für
Die Hautbehandlung unmittelbar vor dem Peeling entspricht 1 Jahr vermieden werden.
der Behandlung wie beim TCA-Peeling (7 Kap. 70.4.1).
> Wichtig ist auch die Aufklärung, dass die Hautbräunung
Die Aufbereitung der Phenol-Lösung ist in . Tab. 70.4 darge-
dauerhaft nicht vergleichbar zur Situation vor der Behand-
stellt.
lung sein wird.
Die Mixtur wird mit einem Watteträger aufgetragen. Damit kein
unerwünschtes Abtropfen auf nicht zu behandelnde Haut erfolgt, Die häufigste Komplikation ist die Hyperpigmentierung, jedoch bei
kann der Watteträger vor dem Auftragen auf die Haut auf einer den Patienten, die sich nicht an die Vorgaben halten, und bei Pa­
Kompresse abgestrichen werden. Für den Fall eines Augenkontaktes tienten mit einem Hauttyp Fitzpatrick >III, die einem Phenol-Pee-
sollte eine Augenspülung bereitgehalten werden. Wird die Lösung ling nicht hätten zugeführt werden sollen.
auf die Haut aufgebracht, nimmt diese sofort eine grauweißliche Ver- Die Herpesprophylaxe ist ein wichtiger Baustein zur Vermei-
färbung an. Der Patient verspürt meist ein brennendes Gefühl, das dung der Herpes-Simplex-Infektion, einer unangenehmen und ge-
jedoch aufgrund der lokalanästhesierenden Eigenschaft der Sub- fährlichen Komplikation. Stellt sich eine Herpes-simplex-Infektion
stanz schnell abklingt. Die Applikation des Phenols auf ein kom- nach einem Peeling ein, sollte die Dosis auf 3×800 mg/Tag gesteigert
plettes Gesicht sollte mehr als 60 min dauern und sektorartig erfol- werden und zusätzlich eine topische Behandlung mit Aciclovir-Salbe
gen. Die Watteträger sollten regelmäßig ausgetauscht werden, für ein erfolgen. Führt diese Behandlung nicht innerhalb 48 h zu einer dra-
komplettes Gesicht werden gewöhnlich 8–10 Watteträger benötigt. stischen Befundbesserung, sind eine stationäre Therapie und die
Das Auftragen des Phenols sollte an der Stirn beginnen und bis Applikation von Aciclovir intravenös dringend anzuraten.
an die Haargrenze aufgetragen werden. Die Applikation erfolgt dann Die Komplikation und die Behandlung hypertropher Narben
zur Augenbraue und bis in den Bereich der Augenbraue hinein, um entsprechen dem Vorgehen beim tiefen TCA-Peeling (7 Kap. 70.4.1).
hier keine sichtbaren Übergänge zwischen behandelter und unbe-
handelter Haut zu erzeugen. Das Phenol beeinflusst nicht das Haar-
wachstum und verursacht keine Allopezie. 70.5 Dermabrasio
Ebenso wie beim TCA sollte die Wirksubstanz nicht zu dicht an
den Tarsus heran aufgetragen werden, um das Augenlidödem zu Die Dermabrasio wurde durch die Entwicklung der Lasersysteme
begrenzen. Die prätarsale Haut bedarf ohnehin meist keiner Be- zunehmend in den Schatten gestellt, bietet aber dennoch einige Vor-
handlung. Zum unteren Lidrand sollte ein Abstand von 3 mm ein- teile. Die Dermabrasio ist in den Händen des Erfahrenen zweckmä-
gehalten werden. Das Peeling endet am Unterrand der Mandibula, ßig mit breitem Anwendungsspektrum und nicht teuer. Das Ery-
da hier der Übergang zwischen behandelter und unbehandelter haut them blasst i. Allg. nach 4–6 Wochen vollständig ab.
am unauffälligsten ist. Perioral erfolgt die Behandlung etwas über die
Lippenrotgrenze hinaus, um auch hier keine sichtbaren Übergänge Wirkungsmechanismus
zu hinterlassen. Die Dermabrasio ist das gesteuerte Abhobeln der Epidermis und
eines variablen Anteils der Dermis unter Anwendung eines rotie-
Verband renden Schleifrädchens.
Als Verband ist eine Okklusion mittels transparenter Vaseline aus-
70 reichend. Diese Methode bietet zahlreiche Vorteile. Zum einen ist es Indikationen
für den Patienten weniger unangenehm als mehrschichtige Klebe- Rhinophym
verbände, zum anderen ist die Wunde jederzeit beurteilbar. Die ausgeprägte Hyperplasie der Talgdrüsen kann durch die Derma-
brasio sehr gut behandelt werden. Insbesondere die Konturierung
Pflege der Übergänge zur unbehandelten Haut gelingt durch die Derma-
Der perioperative venöse Zugang wird zunächst postoperativ belas- brasio sehr gut. Oft beschleunigt eine chirurgische Resektion des
sen, um ggf. schmerzlindernde Medikamente zu applizieren. Die Rhinophyms mit anschließender Feinkonturierung das Verfahren.
70.5 · Dermabrasio
677 70

. Tab. 70.5. Einteilung perioraler Rhytiden

Typ Kennzeichen

Typ-I-Rhytiden 4 Milde und oberflächliche Rhytiden.


4 Sie beginnen am Lippensaum und erstrecken
sich über ein Areal von maximal der Hälfte
der Oberlippe.
4 Die Unterlippe ist deutlich weniger beein-
trächtigt.

Typ-II-Rhytiden 4 Mitteltiefe Rhytiden.


4 Sie erstrecken sich über 2/3 der Oberlippe.
4 Die Unterlippe ist mitbeteiligt.

Typ-III-Rhytiden 4 Grobe und tiefe Rhytiden.


4 Sie erstrecken sich über die gesamte Ober­
lippe.
4 Unterlippe und Kinn sind mitbeteiligt.

Aknenarben
Die Behandlung von Aknenarben ist kritisch wegen der unregelmä-
ßigen Höhen und Tiefen der Narben, denn mit ablativen Verfahren
können auch sog. Täler vertieft werden. Gleiches gilt für die abla-
tiven Lasersysteme. Erfahrungsgemäß führt ein Resurfacing-Ver-
fahren zu einer Patientenzufriedenheit von 30–50%. Hier erbringen
Kombinationen von Behandlungsmethoden inkl. Peeling und Medi-
cal Needling (7 Kap. 71) die günstigsten Ergebnisse.

Periorale Rhytiden
Periorale Rhytiden können in milde, mittelschwere und schwere
Rhytiden eingeteilt werden (. Tab. 70.5).
4 Typ-I-Rhytiden sind mild und oberflächlich. Sie beginnen am
Lippensaum und erstrecken sich über ein Areal von maximal der
Hälfte der Oberlippe. Die Unterlippe ist deutlich weniger beein-
trächtigt.
4 Typ-II-Rhytiden sind mitteltief und erstrecken sich über 2/3 der
Oberlippe. Die Unterlippe ist mitbeteiligt. b
4 Typ-III-Rhytiden sind grob und tief und erstrecken sich über die
gesamte Oberlippe. Unterlippe und Kinn sind mitbeteiligt. . Abb. 70.4 Schmauchverletzung durch Explosion: a vor Bürsten-Derma-
brasio, b 6 Wochen nach Bürsten-Dermabrasio
> Die Dermabrasio ist eine wirksame Behandlung für perio-
rale Rhytiden.
In jedem Fall sollte eine Herpes-simplex-Prophylaxe erfolgen
Zur Behandlung der Typ-I-Rhytiden ist meist ein Peeling ausrei- (3×400 mg Acyclovir 1 Tag präoperativ beginnen und bis 4 Tage
chend, wohingegen Typ II und Typ III aggressivere Verfahren wie postoperativ fortführen).
Dermabrasio und Laser-Resurfacing benötigen. Unmittelbar präoperativ sollten kein Make-up oder andere Pfle-
Bei Patienten vom Hauttyp >III, die ungeeignet für ein Phenol- gemittel auf der Gesichtshaut aufgetragen sein.
Peeling sind, eignen sich daher eher für die Anwendung einer Der- Die Anästhesie kann als Analgosedierung oder als Intubations-
mabrasio, da hier die Hypopigmentierung milder sein wird. narkose erfolgen. Leitungsanästhesien sind ebenfalls möglich, je-
Spezifische Kontraindikationen einer Dermabrasio sind virale doch bei größeren Flächen durch die Notwendigkeit mehrerer Infil-
Infektionen wie HIV und HCV, da durch das ablative Verfahren trationen hinsichtlich Patientenkomfort nicht zu empfehlen.
Viruspartikel über Aerosole aufgenommen werden können. Seitens der technischen Anwendung ist zwischen Stahl- und
. Abb. 70.4 zeigt das klinische Beispiel einer Schmauchverlet- Diamantfräsen zu unterscheiden.
zung durch Explosion und Behandlung durch Bürsten-Abrasio. Stahlbürsten schneiden schneller und tiefer und erlauben daher
dem erfahrenen Operateur ein schnelleres Vorgehen. Da jedoch der
Technik Anpressdruck entscheidend die Abtragungstiefe bestimmt, kann bei
Auch zur Vorbereitung einer Dermabrasio kann 2–4 Wochen prä­ unsachgemäßer Handhabung ein Dermisdefekt resultieren.
operativ Retin-A-Creme zur Nacht aufgetragen werden. Die Re­tin- Die Dermabrasio mit Stahlbürsten wird gewöhnlich mit einer
A-Behandlung ist schonender, wenn man zunächst mit einer Geschwindigkeit zwischen 800 und 2000 Umdrehungen/min durch-
0,025%-igen Konzentration beginnt und nach 14 Tagen auf 0,05% geführt. Die Dermabrasio mit Diamantfräsen benötigen höhere Ge-
steigert. schwindigkeiten (12.000–15.000 U/min).
678 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut

Die Handhabung der Geräte erscheint mit feineren Aufsätzen Komplikationen


einfacher. Auf die Komplikationen hypertrophe Narben und Herpes-simplex-
Die zu behandelnden Areale werden mit dem Patienten ge- Infektion wurde bereits in den vergangenen Abschnitten einge­
meinsam festgelegt und präoperativ markiert. Es sollte symmetrisch gangen.
unter Beachtung der ästhetischen Einheiten vorgegangen werden.
Um das Risiko von Farb- und Texturunterschieden postoperativ zu
minimieren, ist eine Behandlung des kompletten Gesichts ratsam. 70.6 Laser-Resurfacing mit ablativen
Sollte der Patient bei einer Dermabrasio der Wangen die Mitbe- Lasersystemen
handlung der Stirn und Nase ablehnen, so wäre ein chemisches
Peeling (35% Trichloressigsäure) der nicht dermabladierten Ge-
sichtsareale zu empfehlen, um Farb- und Texturunterschiede zu Ablative Lasersysteme
ver­ringern.
4 CO2-Laser
> Bei der Gewebeablation sollte immer systematisch 4 Fraktionierte Ultrapuls-CO2-Laser
Hautareal für Hautareal kontrolliert abgetragen werden, 4 ER:YAG-Laser
um unkontrollierte Mehrfachabtragungen zu vermeiden; 4 Kombinationslaser: CO2-ER:YAG-Laser
dies gilt für die Dermabrasio ebenso wie für die ablativen 4 Er:YSGG
Lasersysteme.
Es zeigen sich während der Dermabrasio unterschiedliche Merk- Die in der . Übersicht genannten Lasersysteme sind ablative Laser-
male, die eine Aussage über die Abtragungstiefe machen. Zunächst systeme, die sich teils durch Wellenlänge, Intensität und Frequenz
wird das Kapillarmuster sichtbar, hiernach zeigen sich grau-gelbe unterscheiden (zur Laserphysik 7 Kap. 4.1). Daraus ergeben sich un-
Austritte von Talgdrüsen. In den mittleren Anteilen der retikulären terschiedliche Eigenschaften und damit Anwendungsgebiete.
Dermis sind die Talgdrüsen am größten, sodass dann die Austritte Herkömmliche CO2-Laser können entsprechend der Einstellung
der Talgdrüsen konfluieren. tief in die Dermis eindringen und erzielen daher bei entsprechender
Tiefer sollte mit der Dermabrasio nicht abgetragen werden, da Energieapplikation dauerhaft gute Ergebnisse. Sie führen durch ihre
sonst eine Regeneration der Epidermis fraglich ist. physikalischen Eigenschaften zu einer Koagulation der Oberfläche,
Die abgetragenen Flächen können mit Adrenalin-getränkten haben aber aufgrund der möglichen hohen Energieapplikation in
(1:100.000) Kompressen belegt werden. Hierdurch wird eine gute der Dermis auch das größte Risikopotenzial für Vernarbungen und
Hämostase erreicht. Wundheilungsstörungen.

Pflege > Je intensiver die Behandlung ist, desto länger wird das
postinterventionelle Erythem anhalten. Hier muss mit dem
Postoperativ werden die behandelten Flächen mit Hydrogelverbän-
Patienten ein Kompromiss zwischen Wirkung, Beständig-
den abgedeckt. Nach 24 h darf der Patient erstmals duschen. An den
keit der Wirkung und Ausfallzeit besprochen werden.
folgenden Tagen sollte der Patient einmal pro Tag das Gesicht mit
einer milden Seife waschen und mit desinfizierenden Externa ver- Erbium-Laser abladieren grundsätzlich oberflächlicher und können
bunden werden (z. B. Lavasept). Eine Reepithelialisierung ist nach nicht in die tiefe retikuläre Dermis eindringen. Sie haben daher ein
7–10 Tagen zu erwarten. Hiernach ist eine rückfettende Behandlung geringes Komplikationspotenzial. Außerdem kommt es an der be-
ausreichend. Das Erythem wird innerhalb 6–8 Wochen allmählich handelten Oberfläche nicht zu einer Koagulation, sodass sich hier-
abklingen. aus andere, zusätzliche Behandlungsoptionen ergeben, wie z. B. die
Postoperativ sollte zur Vermeidung einer Hyperpigmentierung Kombination der Laserablation und Reepithelialisierung mittels
ein Sonnenschutz (SSF: 50) für 6 Monate aufgetragen und die direkte Verfahren wie ReCell. Innovative Verfahren, wie ultrahochgepulste,
Sonnenexposition vermieden werden. Der Sonnenschutz muss auch sog. fraktionierte Laser, aber auch der neue Er:YSGG, ein 2790 nm
unter Kosmetika angewandt werden. Ebenfalls für 6 Monate sollte Erbium: Yttrium Scandium Gallium Garnet-fraktionierter Laser,
auf die Einnahme von Östrogenpräparaten und Kontrazeptiva zur haben das Ziel, das postinflammatorische Erythem zu reduzieren
Vermeidung von auffälligen Hyperpigmentierungen verzichtet und damit die Ausfallzeit des Patienten zu minimieren. Effekt und
werden. Nachhaltigkeit sind jedoch nicht mit einem gewöhnlichen CO2-
Laser-Resurfacing zu vergleichen.
> Bei Patienten mit Hauttyp Fitzpatrick >III sollte nach
Dermabrasio mit Retin-A und Hydrochinon nachbehandelt Indikationen
werden, um die postinflammatorische Hyperpigmentie-
Ein Laser-Resurfacing ist indiziert bei Patienten, deren zu behan-
rung zu hemmen.
delnde Hautveränderung in der retikulären Dermis lokalisiert ist
Nach Abheilung ist zu empfehlen, keine potenziell hautirritie- (. Tab. 70.6). Geeignet sind die Behandlungen lichtgeschädigter
renden Pflegeprodukte zu verwenden. Die zunächst erst etwas tro- Haut, da durch die Kollagenneogenese die Haut straffer und verjüngt
ckene und juckende Haut wird mit rückfettenden Externa gut be- erscheint. Insbesondere lässt sich durch die Lasersysteme sehr do-
handelt. Sollte dennoch ein starker Juckreiz auftreten, ist eine anti- siert auch dünne Haut, wie an den Oberlidern, kontrollierter behan-
70 histaminhaltige Salbe indiziert. Kosmetika sollten ölfrei und auf deln als mit einer Dermabrasio.
Wasserbasis hergestellt sein, da ölhaltige Kosmetika die Poren ver- Sehr gut lassen sich mit dem Laser-Resurfacing epidermale Dys-
stopfen. plasien und aktinische Keratosen behandeln.
Die Behandlungsergebnisse der Aknenarben ist mit ablativen
Gefahren und Risiken Lasersystemen in der Regel nicht besser als mit der Dermabrasio, da
Die Abtragungstiefe hängt u. a. vom Anpressdruck durch den Ope- die Probleme identisch sind. Die Regeneration ist bei narbigen Haut-
rateur ab. veränderungen eingeschränkt, die Narbe wird durch die Behandlung
70.6 · Laser-Resurfacing mit ablativen Lasersystemen
679 70

. Tab. 70.6 Anwendungsgebiete ablativer Lasersysteme

Günstig für ein ablatives Ungünstig für ein ablatives


Resurfacing Resurfacing

Statische Falten Dynamische Falten

Oberflächliche Vertiefungen Tiefe Vertiefungen

Dehnbare Vertiefungen Allgemeine Bindegewebsschwäche

Hautlaxizität Niemals Halshaut behandeln!

Akne Asiaten

Fitzpatrick-Hauttyp I–II Fitzpatrick-Hauttyp IV–VI

nicht entfernt, und ggf. können Täler tiefer und damit die Unregel-
mäßigkeiten verstärkt werden. Jedoch ist die Handhabung mit einem
1-mm-Handstück eines CO2-Lasers wesentlich exakter möglich als
bei der Dermabrasio.

Technik
Ein ablatives Laser-Resurfacing sollte nur in entsprechenden ästhe-
tischen Einheiten stattfinden:
4 komplettes Gesicht, sog. »full-face«,
4 perioral,
4 Unterlider . Abb. 70.5 Dimensionen der Epidermis im Bereich des Gesichtsschädels

oder entsprechende Kombinationen.


Die Qualität und die Dicke der Haut in den unterschiedlichen
Gesichtsregionen (. Abb. 70.5) ist entscheidend für die Intensität ist mehr«) zu behandeln, um die Anzahl der sog. »passes« für die
und die Anzahl der Laserbehandlungen (»passes«). gesamte behandelte Fläche im Überblick zu behalten. In der Regel
Präoperativ sollte die Gesichtshaut unverletzt sein. Floride kuta- sind 2 »passes« für eine Gesichtsbehandlung ausreichend. Der erfah-
ne bakterielle und virale Infektionen wie Akne oder Herpes sind rene Operateur kann dann mit dem kollimierten Handstück (3 mm)
Kontraindikationen für einen solchen Eingriff. Wegen der Gefahr die Schultern tiefer Furchen angleichen.
der Infektion über Aerosole sollten bei sorgfältiger Patientenselekti-
on keine Patienten mit Hepatitis- oder HIV-Infektion behandelt
Kontraindikationen des ablativen Laser-Resurfacing
werden. Auf die Notwendigkeit und Art der Herpes-simplex-Pro-
phylaxe wurde in 7 Kap. 70.4.1 und 70.4.2 eingegangen. 4 Vorhergehende Chemotherapie
Perioperativ und entsprechend der Größe der zu behandelnden 4 Vorhergehende Bestrahlung der Haut
Fläche erfolgt perioperativ eine Antibiotikaprophylaxe mit einem 4 Raucher
Cephalosporin der 2. Generation. Der Eingriff kann in Vollnarkose 4 Diabetes mellitus
oder Analgosedierung durchgeführt werden. 4 Hypertrophe Narbenheilung
4 Aktive Akne
! Cave 4 Hautüberempfindlichkeiten
Bei Narkose ist auf die Entflammbarkeit des Sauerstoffs 4 Instabile Persönlichkeit
im Tubus zu achten, es werden speziell entwickelte nicht 4 Unzufriedenheit über vorausgehende ästhetische Chirurgie
entflammbare Tuben (»laser resistant«) empfohlen. In 4 Absolute Kontraindikationen:
jedem Fall sind zur Protektion der Augen des Patienten – Systemischer Lupus erythematodes
»eye-shields« zu verwenden. – Sklerodermie
Das ablative Resurfacing kann mit einem CO2-Laser oder in Kom- – Keloide
bination mit einem Er:YAG-Laser durchgeführt werden. Zur Nar- – Keine Bereitschaft, Sonne zu meiden
benbehandlung sind kollimierte Handstücke geeignet. Werden je- 4 Exzessive Solariumbesucher
doch Flächen behandelt, bei denen eine gleichmäßige Oberfläche
wichtig ist, muss das Lasersystem über einen Scanner verfügen. Über
einzelne Geräteeinstellungen können hier keine Angaben gemacht Postoperatives Management
werden, da sie herstellerabhängig sind und mit der wachsenden Er- Das postoperative Management bei ablativer Laserchirurgie muss
fahrung des Operateurs mit dem Gerät gefunden werden müssen. durch eine gesicherte Nachbehandlung durch den Operateur ge-
Zur Erreichung einer gleichmäßigen Oberfläche ist das akurate währleistet sein, um auf Komplikationen rechtzeitig reagieren zu
Bearbeiten zuvor eingezeichneter Flächen Voraussetzung. Hier muss können. Die meisten Patienten brauchen diesen engen Kontakt, da
Scan-Fläche an Scan-Fläche nahtlos angrenzen. Es ist ratsam, zu- sie mit den oft sezernierenden Verbänden allein nicht zurecht kom-
nächst einmalig eine Fläche mit einer bestimmten Energie (»weniger men. Die Nachbehandlung und der Hinweis auf ein postoperatives
680 Kapitel 70 · Rejuvenation – Hautverjüngung der Gesichtshaut

Erythem, das bis zu 6 Monate andauern kann, müssen daher wich- Literatur zu 7 Kap. 70.6
tiger Bestandteil des Aufklärungsgespräches sein. Baker TJ, Stuzin JM, Baker (TM (1999) Facial skin resurfacing. Johann Ambro-
Wir benutzen als postoperativen Verband sterile Folie oder auch sius Barth, Heidelberg
moderne Hydrogele. Diese Verbandstechnik wird bis zur Reepithe- Keller G, Lacombe V, Lee P, Watson JP (eds) (2001) Lasers in aesthetic surgery.
Thieme, Stuttgart New York
lialisierung der behandelten Areale beibehalten. Anschließend kann
Khan R (2001) Lasers in plastic surgery. J Tissue Viability 11 (3): 103–107,110–
die Haut mit einem verträglichen Präparat gefettet werden. Die Pa-
112
tienten sollten dann bereits als unterste Schicht Sunblocker verwen- Roy D (2005) Ablative facial resurfacing. Dermatol Clin 23 (3): 549–559
den. Eine Abdeckung mit Make-up ist nach Reepithelialisierung
auch möglich. Wichtig ist es, auftretende Hyperpigmentierungen
mit einem Hydrochinonpräparat früh zu behandeln.

Komplikationen
Die Komplikationen entsprechen im Wesentlichen denen der Der-
mabrasio (7 Kap. 70.5).
Um die postinflammatorische Hyperpigmentierung zu unter-
drücken, sollten Retin-A und Hydrochinon nach Reepithelialisie-
rung angewandt werden. Direkte Sonnenexposition sollte für 6 Mo-
nate gemieden werden, Sunblocker sind unabdingbar einzusetzen.
Kommt es in der retikulären Dermis zu einer zu starken Hitze-
entwicklung, kann es zu schwer behandelbaren Hypopigmentie-
rungen kommen.
Nach 2–3 Monaten sollte das Erythem nach Laser-Resurfacing
abblassen. Sollte ein Erythem nur verzögert abblassen, können Hy-
drokortisonsalben topisch verkürzend wirken.
Weitere Laseranwendungen – nicht ablative Laser-Systeme,
ablative Laser-Rejuvenation (»intense pulse light«; IPL), Laserbe-
handlung vaskulärer und pigmentierter Läsionen sowie Haarentfer-
nung sind in 7 Kap. 4.2 beschrieben.

Literatur
Literatur zu 7 Kap. 70.1 bis 70.4
Baker TJ, Gordon HL, Stuzin JM (1996) Chemical peeling and dermabrasio. In:
Surgical rejuvenation of the face, 2nd edn. Mosby, St. Louis, p 45
Baker TJ, Stuzin JM, Baker (TM (1999) Facial skin resurfacing. Johann Ambro-
sius Barth, Heidelberg
Bark JP (1994) A systematic approach to Retin-A. Facial Plast Surg Clin North
Am 2(1):11
Fitzpatrick TB (1988) The validity and practicality of sun-reactive skin types I
through IV Arch Dermatol 124:869
Rubin MG (1995) Manual of chemical peels: Superficial and medium depth.
Lippincott, Philadelphia
Stuzin JM, Baker TJ, Gordon HL (1993) Treatment of photoaging: Facial chemi-
cal peeling and dermabrasio. Clin Plast Surg 20: 9

Literatur zu 7 Kap. 70.5


Alkhawam L, Alam M (2009) Dermabrasion and microdermabrasion. Facial
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Alt TH (1987) Therapeutic facial dermabrasion. In: Epstein E, Epstein E Jr (eds)
Skin surgery, 6th edn. Saunders, Philadelphia
Baker TJ, Stuzin JM, Baker (TM (1999) Facial skin resurfacing. Johann Ambro-
sius Barth, Heidelberg
Campbell RM, Harmon CB (2008) Dermabrasion in our practice. J Drugs Der-
matol 7 (4): 331
Gerstner G, Matarasso A (2008) Surgical versus nonsurgical cosmetic proce-
dures. Cutis 82 (4): 285–290

70
71

Perkutane Kollageninduktions­
therapie (Medical Needling)
M. Aust

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
682 Kapitel 71 · Perkutane Kollageninduktions­therapie (Medical Needling)

Zur Behandlung von Photoaging, Falten oder als störend empfun-


denen Narben (z. B. Schwangerschaftsstreifen oder Verbrennungs-
narben) gelten bisher Laser-Resurfacing, mechanische Abrasio oder
chemische Peelings als Mittel der Wahl (7 Kap. 70).
Diese ablativen Verfahren verletzen oder zerstören die Epider-
mis und die Basalmembran der Haut. Durch die entstandene ober-
flächliche Wunde wird die inflammatorische Wundheilungskaskade
(7 Kap. 1 und 2) induziert. Nacheinander, aber auch überlappend
werden eine Exsudations- (Entzündungsphase, Inflammation), Gra-
nulations- (Proliferation) und Epithelisierungsphase durchlaufen.
Die durch die Dermabrasio induzierte Inflammation stimuliert
Fibroblasten zur Produktion von Narbenkollagen anstelle einer
normalen Kollagen-Elastin-Matrix. Durch die daraus resultierende
Fibrose in der papillären Dermis kommt es zur Hautstraffung oder
Faltenglättung.
Histologisch betrachtet ist die regenerierte Epidermis jedoch
ausgedünnt und die dermalen Papillen abgeflacht. Die Haut wird
anfälliger gegenüber UV-Schäden und, gerade bei dunkleren Haut-
typen, besteht eine erhöhte Gefahr postoperativer Pigmentverschie-
bungen.
Die ideale Therapie jeglicher Art von Hautdegeneration sollte
daher die Expression epidermaler und dermaler Gene und Proteine
steigern, ohne dabei die Haut signifikant zu verletzen. Die von
. Abb. 71.2 Schematische Darstellung der Prozedur des Medical Needling
Fernandes (2002) entwickelte perkutane Kollageninduktionsthera-
pie oder Mikronadelmethode (Medical Needling) kommt diesem
Ideal näher.

Technik
Die natürliche, posttraumatische Inflammationskaskade wird durch
einen mit 3 mm langen Nadeln besetzten Roller induziert
(. Abb. 71.1). Intraoperativ fährt der Chirurg mit dem Instrument
unter Druck vertikal, horizontal und diagonal über die Haut des
zu behandelnden Areals. Die Nadelstiche erzeugen Tausende von
Mikrowunden in der Dermis und regen so die Fibroblasten zur
Kollagensynthese an (. Abb. 71.2, . Abb. 7.13).

Indikationen
4 Falten/Photoaging (. Abb. 71.4),
4 Cutis laxa nach z. B. Fettabsaugung,
4 Schwangerschaftsstreifen (. Abb. 71.5b).

71
. Abb. 71.1 Medical Roller (Vivida-SA cc, Renaissance Body Science Insti- . Abb. 71.3 Intraoperatives Bild geneedelter Verbrennungsnarben am
tute, Cape Town, South Africa) rechten Arm
71 · Perkutane Kollageninduktions­therapie (Medical Needling)
683 71

a a

b b

. Abb. 71.4 48 Jahre alte Patientin mit Gesichtsfalten präoperativ (a) und . Abb. 71.5 39 Jahre alte Patientin mit Striae abdominales nach 3 Schwan-
12 Monate postoperativ (b) gerschaften präoperativ (a) und 12 Monate postoperativ (b)

4 Narben:
5 Narben nach Selbstverletzung (Borderline-Störung;
. Abb. 71.6),
5 Striae (. Abb. 71.7),
5 Verbrennungsnarben (. Abb. 71.8).

Präoperatives Regime
Durch eine mindestens 3-wöchige Vorbehandlung der Haut mit lo-
kalen Vitamin-A-Externa und Antioxidanzien wird die Wirkung der
Behandlung optimiert.
a
> Das Medical Needling kann an allen Körperregionen
und bei allen Hauttypen angewendet werden.
Der Eingriff kann entweder unter Lokalanästhesie und Analgosedie-
rung oder in Kurznarkose durchgeführt werden.

Postoperatives Regime
Direkt nach der perkutanen Kollageninduktion ist das behandelte
Gebiet hämatös geschwollen. Nach wenigen Minuten ist die initiale
Blutung gestoppt. Über die Stichkanäle sondert die Haut binnen der
ersten Stunden seröse Flüssigkeit ab. In dieser Zeit sollten feuchte b
Kompressen auf die Haut gelegt werden, um eine Krustenbildung zu
vermeiden. Rund 1 h postoperativ wird die Haut mit einem Teebau- . Abb. 71.6 29 Jahre alte Patientin mit Borderline-Narben am linken
möl gereinigt und die lokale Vitamin-A- und Vitamin-C-Therapie Unterarm präoperativ (a) und 6 Monate postoperativ (b)
684 Kapitel 71 · Perkutane Kollageninduktions­therapie (Medical Needling)

a b

. Abb. 71.7 24 Jahre alte Patientin mit Striae der Mammae beidseits präoperativ (a) und 6 Monate postoperativ (b)

a b

. Abb. 71.8 59 Jahre alter Patient mit tief zweitgradigen Verbrennungsnarben präoperativ (a) und 2 Jahre postoperativ (b)

zur Maximierung der Kollagenproduktion und zur Freisetzung von Als nachteilig gilt, dass die Operation nur unter Anästhesie
Wachstumsfaktoren fortgeführt. Der Eingriff ist für den Patienten durchführbar ist und sich die Schwellung in den ersten 4–7 Tagen
schmerzarm, nach ca. 1 Woche ist die Schwellung kaum mehr zu nach dem Eingriff als erheblich darstellt.
sehen.
Nachhaltigkeit
Vor- und Nachteile Nachdem es sich um eine körpereigene Kollagenproduktion bzw.
Ein Vorteil des Medical Needlings liegt darin, dass die Patienten, einen körpereigenen regenerativen Prozess handelt, kommt es zu
nachdem lediglich die Epidermis und das Stratum corneum durch- keinem beschleunigten Abbau des Kollagens bzw. anderer Gewebe-
stochen werden, schon nach wenigen Stunden wieder geschlossene faktoren im Vergleich zu nicht geneedelter Haut.
Wundverhältnisse aufweisen. Dies minimiert das Risiko einer Infek-
tion und verkürzt die Heilungsphase erheblich. In Laborversuchen Literatur
konnte nachgewiesen werden, dass postoperativ TGF β3 freigesetzt Aust MC et al. (2008a) Percutaneous collagen induction therapy (PCI) – An
wird, was zur narbenfreien Abheilung der Haut führt. alternative treatment for scars, wrinkles and skin laxity. Plast Reconstr
Nachdem die auf der Basalmembran verankerten Melanozyten Surg 121: 1421–1429
Aust MC, Reimers K, Stahl F et al. (2008b) Percutaneous Collagen Induction
nicht verletzt werden, besteht kein Risiko einer postoperativen Pig-
(PCI) – Minimally invasive skin rejuvenation without risk of hyperpigmen-
mentverschiebung. Dieses Problem zeigte sich v. a. häufig bei der
tation – fact or fiction? Plast Reconstr Surg 122: 1553–1563
Laser- oder Peelingbehandlung von Hauttypen III und IV (Eintei- Camirand A, Coucet J (1997) Needle dermabrasion. Aesthetic Plast Surg 21:
lung nach Fitzpatrick; . Tab. 70.1).
71 Nach dem Medical Needling werden in den ersten Monaten
48–51
Fernandes D (2002) Percutaneous collagen induction: An alternative to laser
postoperativ Wachstumsfaktoren, z. B. »epidermal growth factor« resurfacing. Aesthetic Surg J 22: 315–317
(EGF), »fibroblast growth factor« (FGF), freigesetzt, die zu einer Orentreich DS (1995) Subcutaneous incisionless (subcision) surgery for the
Regeneration der Epidermis und der Dermis führen. correction of depressed scars and wrinkles. Dermatol Surg 6: 543
72

Formkorrektur an Gesicht und Hals


72.1 Diagnostik – 686
A. Steiert
72.1.1 Allgemeine Untersuchung – 686
72.1.2 Gesichtsprofilanalyse – 686
72.1.3 Spezielle Diagnostik – 687

72.2 Therapieziele – 687

72.3 Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht – 687


A. Steiert, P.M. Vogt
72.3.1 Gesichts- und Halsstraffung (Facelift) mit Spannung des SMAS – 687
72.3.2 Stirn- und Brow-Lift – offen chirurgisch – 692
72.3.3 Stirn- und Brow-Lift – endoskopisch – 692
72.3.4 Mid Facelift (minimalinvasiv, endoskopisch assistiert) – 692
72.3.5 Blepharoplastik des Oberlides – 695
72.3.6 Blepharoplastik des Unterlides – 695
72.3.7 Submentales Lifting – 697

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
686 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

72.1 Diagnostik

A. Steiert

72.1.1 Allgemeine Untersuchung

4 Prüfung der Hautbeschaffenheit:


5 Elastizität,
5 Laxizität,
5 Hautdicke.
4 Gesichtsasymmetrie?
4 Suspekte Hautveränderungen?
4 Narben.
4 Fotodokumentation.

Allgemein sollte die Gesichtsanalyse mit dem Patienten zusammen


am Spiegel erfolgen. Hier sollte der Patient seine Wünsche äußern
und über bestehende Narben, Asymmetrien und andere Pathologien
aufgeklärt werden.

72.1.2 Gesichtsprofilanalyse

Die idealen Gesichtsdimensionen zeigt . Abb. 72.1 sowie die . Über-


sicht.

. Abb. 72.1 Ideale Gesichtsdimensionen und Proportionen diverser ästhe-


Orientierende Richtwerte der Gesichtsdimensionen tischer Einheiten. (Foto: © Anton Zabielskyi/Fotolia.com)
4 Gesichtsweite vertikal: 5 Augenweiten.
4 Gesichtsweite horizontal: 8 Augenweiten.
4 Der Haaransatz beginnt 5–6 cm über der Mittellinie der Iris.
4 Der laterale Kanthus des Auges steht 1–2 mm höher als medial.
4 Das Oberlid bedeckt den oberen Irispol etwas, aber erreicht
nicht die Pupille.
4 Das Unterlid endet 1–2 mm über dem unteren Irispol.
4 Die weibliche Augenbraue befindet sich 1 cm kranial des
Orbitadachrandes.
4 Die Brauenposition sollte die Irismittellinie um nicht mehr
als 22–25 mm überschreiten.
4 Die männliche Augenbraue projiziert sich direkt auf den
Orbitadachrand.

Die moderne, dynamische Gesichtsprofilanalyse unterteilt das Ge-


sicht nicht mehr nach statistischen Werten in Drittel oder Fünftel,
sondern richtet sich nach dem individuellen Gesicht.
Dabei entspricht die ideale Nasenlänge (NL: Strecke von Nasen-
wurzel bis Nasenspitze) etwa 67% der Mittelgesichtshöhe (MGH:
Strecke Glabella bis Nasenflügelbasis) oder der Kinnhöhe (KH:
Strecke zwischen Stomamitte und kaudalem Pol des Mentums). Die
Untergesichtshöhe (UGH: Strecke zwischen Nasenflügelbasis und
kaudalem Pol des Mentums) sollte im Idealfall 3 mm größer sein als
die MGH (. Abb. 72.2).

Definitionen
4 Nasenlänge (NL): Strecke von Nasenwurzel bis Nasenspitze.
4 Mittelgesichtshöhe (MGH): Strecke Glabella bis Nasenflügelbasis. . Abb. 72.2 Mittelgesichtshöhe (MGH), Kieferhöhe (KH) und Untergesichts­
4 Kinnhöhe (KH): Strecke zwischen Stomamitte und kaudalem höhe (UGH) in ihren relativen Proportionen [N=Nasenspitze, NL=Nasen­
Pol des Mentums. länge, G=Glabiella, R=Radix (Nasenwurzel), STF=Supratarsalfalte,
72 4 Untergesichtshöhe (UGH): Strecke zwischen Nasenflügelbasis NFB=Nasen­flügelbasis, SM=Stomamitte, M=Mentum (Kinn)]. (Foto: © Anton
und kaudalem Pol des Mentums. Zabielskyi/Fotolia.com)
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
687 72

Checkliste bei periorbitalen Operationen


4 Schirmer-Test
4 Lidsymmetrie?
4 Lidptosis?
4 Bell’s Phänomen?
4 Snap-Test
4 »Scleral show«?
4 Fazialisparese?

72.2 Therapieziele
Therapieziel in der ästhetischen Gesichtschirurgie ist die Schaffung
eines jüngeren Erscheinungsbildes unter der Berücksichtigung des
Patientenwunsches und des chirurgisch Machbaren. Die Patienten-
zufriedenheit über das Operationsergebnis hängt von den Erwar-
tungen des Patienten ab, die in der präoperativen Patientenaufklä-
rung eingegrenzt und realistisch eingeschätzt werden sollten. Insbe-
sondere Patienten, die im öffentlichen Leben stehen, müssen auf
etwaige postoperative Veränderungen, wie beispielsweise Gesichts-
schwellung oder periorbitale Hämatome, hingewiesen werden.
Zum Therapieziel gehört auch die Minimierung von Komplika-
tionen, die bei der Patientenauswahl beginnt.
> Raucher erhalten in unserer Klinik nur nach Entwöhnung
einen elektiven ästhetischen chirurgischen Eingriff.
. Abb. 72.3 Proportionales Verhältnis Nasenlänge zu Untergesicht
[(N=Nasenspitze, NL=Nasenlänge, NFB=Nasenflügelbasis, NLK= Nasen-
In der ausführlichen Anamnese erhobene pathologische Befunde
Lippen-Kinn-Linie, R=Radix (Nasenwurzel)]. (Foto:© Anton Zabielskyi/ sind vor einem elektiven ästhetischen Eingriff abzuklären. Bereits
Fotolia.com) bekannte, operationspflichtige oder behandlungsbedürftige Befunde
sind dringlicher und der Wunsch nach einer elektiven ästhetischen
Operation daher zurückzustellen.
Der Operateur muss das Komplikationsmanagement chirur-
Ein weiteres wichtiges Maß zur Beurteilung der Nasenlänge in Zu- gisch-technisch und logistisch beherrschen und bei der Auswahl
sammenhang mit dem Untergesicht stellt eine Linie zwischen der seines Operationsspektrums berücksichtigen. Bei ambulanten Ein-
Nasenlängenmitte und der Oberlippe dar (. Abb. 72.3). Bei Frauen griffen ist eine Notfallbehandlung zu gewährleisten.
sollte das Kinn etwa 3 mm hinter dieser Linie beginnen, bei Män-
nern sollte diese Linie das Kinn berühren. Dies ist besonders bei
skelettalen Fehlanlagen wichtig. 72.3 Chirurgische Maßnahmen bei
Die ideale Nasenlänge sollte sich an der von der Fehlbildung Formstörungen an Hals und Gesicht
oder erworbenen Deformität nicht betroffenen Struktur orientieren.
Bei Fehlanlagen und Deformitäten im Mittelgesicht richtet sich die A. Steiert, P.M. Vogt
Nasenlänge nach der Kinnhöhe, bei Fehlanlagen des Kinns errechnet
sich die ideale Nasenlänge aus der Mittelgesichtshöhe (67%). In Stu- Abgesehen von seltenen kongenitalen Erkrankungen mit altersun-
dien zeigten sich durchschnittliche Nasenlängen von 41 mm und abhängiger Hauterschlaffung, z. B. Ehlers-Danloss- oder Werner-
Mittelgesichtshöhen von 61 mm. Syndrom, bzw. erworbenen Störungen (Fazialisparese) dienen Ope-
Der ideale Winkel der Nase zum Gesicht beträgt nach Byrd 30– rationen zur Nachspannung der Gesichts- und Halshaut zur ästhe-
36°, bei einem durchschnittlichen Nasolabialwinkel von 95–110° bei tischen Verjüngung bei typischen altersbedingten Veränderungen.
Frauen und etwa 90–95° bei Männern. In jedem Fall sollten 2–3 mm
der Columella der Nase in der Frontalansicht sichtbar sein.
72.3.1 Gesichts- und Halsstraffung (Facelift)
mit Spannung des SMAS
72.1.3 Spezielle Diagnostik
Indikation
4 Keine Gesichtsoperation bei floriden Infektionen; diese müssen Zielgruppe dieser Eingriffe sind Patienten meist im Alter um 50 Jah-
zuvor abgeklärt werden. re oder älter, bei denen es durch die Hautalterung zum Verlust der
4 Präoperativer Status der motorischen und sensiblen Gesichtsin- Gewebeelastizität und damit zu Hängewangen, Ptose der Stirn, der
nervation. Augenbrauen und des Platysmas gekommen ist.
4 Präoperativer ophthalmologischer Status.
688 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

Präoperative Vorbereitung
Vor der Operation sind folgende Maßnahmen notwendig:
4 Kopfwaschung am Vorabend mit desinfizierendem Shampoo,
ggf. am Operationstag wiederholen.
4 Reinigung von Haaren und Kopfhaut mit alkoholischem Desin-
fektionsmittel auf dem OP-Tisch.
4 Tamponade der äußeren Gehörgänge.
4 Hautdesinfektion bis über die Schultern und den Nacken, damit
die Abdeckung eine Übersicht über alle Halspartien zulässt.
4 Frei bewegliche Lagerung des Kopfes, lange Haare werden durch
sterile Haargummis gebündelt.
4 Eine halbsitzende Lagerung reduziert den perioperativen Blut-
verlust.

Anästhesie
Ein kombiniertes Gesichts-Hals-Lift ist in der Regel ein mehrstün-
diger Eingriff, der in Lokalanästhesie mit Sedierung oder in Vollnar-
kose durchgeführt wird. Eine Kreislaufüberwachung und Sauer­ a
stoffversorgung des Patienten ist erforderlich. Zur Lokalanästhesie
werden Lokalanästhetika mit Adrenalinzusatz an den Nervenaus-
trittspunkten des N. trigeminus, N. auricularis magnus und N. trans-
versus colli injiziert. Die Infiltration der Subkutis zur Hydrodissek-
tion erfolgt in der späteren Präparationsschicht über dem superfi­
ziellen muskuloaponeurotischen System (SMAS).

Schnittführung
Die Schnittführung soll unauffällige Narben hinterlassen und eine
Verankerung der gespannten Haut an stabilen Strukturen, wie Tem-
poralisfaszie und Mastoid, ermöglichen. Die Standardinzision
(. Abb. 72.4) erfolgt temporal ca. 3 cm dorsal der Schläfenhaargren-
ze nach präaurikulär zum Tragus, vom kaudalen Tragusrand über
die präaurikuläre Hautfalte und nach retroaurikulär über das Mas-
toid im 90°-Winkel in die behaarte Okzipitalregion auslaufend. Im
Bereich der Ohrläppchen ist auf besondere Sorgfalt zu achten, da
hier leicht deutliche Asymmetrien entstehen können, sodass der
Schnitt exakt um die Basis des Ohrläppchens herumlaufen sollte.
Die okzipitale Schnittführung bestimmt die Straffung des Halses, b
sodass hier bei starker Erschlaffung der Halshaut durch Schnitter-
weiterung entlang der Haargrenze nach nuchal gestrafft werden
. Abb. 72.4 Standardschnittführung beim Facelift prätragisch mit vertika-
kann. Entsprechend den Empfehlungen von Marchac wird die retro- lem Übergang in den Skalp oder anteriorer Schnitt vor der Haargrenze (a).
aurikuläre Inzision in neuerer Zeit nicht mehr nach mastoidal hori- Alternative Schnittführungen mit vertikalem Auslaufen in die retroaurikulä-
zontal, sondern auch hier vertikal orientiert. Damit verhindert man re Haarzone und mit retrotragischem Verlauf (b)
die sichtbare Wanderung der retroaurikulären Narbe.

Grenzen der Hautlappenpräparation


Beim Standard-Facelift werden Hautlappen präpariert, deren Durch- Im Allgemeinen beginnt die Präparation retroaurikulär auf die
blutung vom subdermalen Plexus abhängt. Die Ausdehnung der Faszie des M. sternocleidomastoideus unter besonderer Berücksich-
Lappenpräparation muss den gewünschten Effekt bei gleichzeitig tigung des Austrittspunktes des N. auricularis magnus am Hinter-
gesicherter Perfusion und sensibler Innervation berücksichtigen. rand des Muskels.
Dabei ist die Kenntnis der Anatomie der sensiblen und arteriellen Die anschließende Präparation des Halses erfolgt unter Dorsal-
Versorgung der zu präparierenden Hautlappen wichtig. Die Durch- flexion des Kopfs. Die Dissektionsebene liegt prinzipiell über dem
blutung der Gesichtshaut erfolgt über Äste der Aa. cervicales, auri- Platysma. Hier ist eine übersichtliche Präparation zur Schonung
culares, occipitales, temporales, supratrochlearis und faciales. Die des R. submandibularis erforderlich. Um ein ausreichendes Straf-
sensible Versorgung übernehmen die Hauptnervenstämme des fungsergebnis zu erzielen, ist die Präparation über die Mittellinie
N. trigeminus, Nn. cervicales II–IV und im Bereich des Ohres der hinaus zu empfehlen. Weitere Gefahrenpunkte mit Gefährdung von
N. facialis. Fazialisästen liegen vor der Parotis (Rr. buccales und Mundäste des
Die Operationsplanung eines panzervikofazialen Facelifts sollte N. fazialis).
bei der Straffung Prioritäten setzen. Beispielsweise ist zu empfehlen, . Abb. 72.5 gibt die Lokalisationen einer möglichen Nervenlä­
bei ausgedehnter Präparation und Unterminierung der Wangenhaut sion wieder.
bis unter die Nasolabialfalte die Durchblutung der Regio submenta- Anschließend wird über den präaurikulären Hautschnitt die
72 lis und lateralis colli zu schonen, um Risiken für Durchblutungsstö- Wangenhaut unterminiert.
rungen der gestrafften Wangenhaut zu reduzieren.
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
689 72

. Abb. 72.5 Lokalisationen wichtiger motorischer (N. fazialis) und sensori-


scher Nervenverläufe

> Hier ist besonders auf eine streng subkutane Präparations­


ebene im Bereich der kritischen Zonen am Jochbogen
und den Nasolabialfalten zur Schonung der Fazialisäste zu
achten.

Der Hautlappen sollte dabei mit einer 2–3 mm dicken Fettschicht


ohne Verletzung des subdermalen Plexus präpariert werden. Die
Weite der Dissektion hängt davon ab, ob und in welchem Ausmaß
eine Straffung des SMAS erforderlich ist. Bei ohnehin geplanter zu-
sätzlicher SMAS-Raffung kann die kutane Unterminierung evtl.
deutlich geringer ausfallen, wenn die Raffung des muskuloaponeu-
rotischen Systems bereits einen ausreichenden Lifting-Effekt hat.
Hiernach wird der temporale Hautlappen unter Schonung der
Haarwurzeln durch eine parallele Schnittebene des Skalpells zum
Haarbalg präpariert.
Zur Straffung starker periorbitaler Faltenbildung kann der er-
b
fahrene Operateur bis an den lateralen Lidrand und an die Augen-
braue präparieren. In dieser Region sollte auf eine eher dünne Prä-
paration des Hautlappens aufgrund des oberflächlich verlaufenden
R. frontalis n. facialis geachtet werden.
Grundsätzlich bestehen die Möglichkeiten einer ausgedehnten
Exposition des SMAS mit einer eher vertikalen Raffung zum Joch-
bogen (. Abb. 72.6a) oder kombinierter vertikaler wie dorsaler
Raffung (. Abb. 72.6b). Das MACS-Lift (»minimal access cranial
suspension lift«) kombiniert bei vertikal erwünschtem Lifting vor-
nehmlich die Vorteile einer kurzen präaurikulären Narbe mit
alleiniger Raffung des SMAS, wobei 3 unterschiedlich orientierte
Raffnähte entweder nur die wangenseitigen Anteile oder zusätzlich
auch den malaren Fettkörper anheben (. Abb. 72.6c).

. Abb. 72.6 Möglichkeiten der Straffung des SMAS eher in vertikaler Raf- 7
fung zum Jochbogen (a), oder kombinierter vertikaler wie dorsaler Raffung
(b). Das MACS-Lift kombiniert die Vorteile einer kurzen präaurikulären Nar-
be mit alleiniger Raffung des SMAS, wobei 3 unterschiedlich orientierte
Raffnähte entweder nur die wangenseitigen Anteile oder zusätzlich auch c
den malaren Fettkörper anheben (c)
690 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

Es erfolgt die subtile Blutstillung, die feine Blutungen an der Lap­ sieren. Oberhalb davon ist die Verletzungsgefahr des R. marginalis
penunterseite zur Schonung des subdermalen Plexus schonen sollte. n. facialis hoch. Nach Mobilisation des SMAS-Platysma-Komplexes
Erst nach der Fixierung der SMAS-Raffung erfolgt das anpas- erfolgt die dorsokraniale Transposition zur Egalisierung der Nasola-
sende Resezieren der Haut. bialfalte. Entscheidend für das Straffungsergebnis ist die Veranke-
Zur Vorspannung sind Haltefäden an den Hautlappen sinnvoll. rung des elevierten SMAS-Flaps an der Temporalisfaszie und peri-
Die gleichmäßige Spannung wird an den Lidkanten und Mundwin- ostal (4-0-PDS).
keln überprüft. Die Hautspannung und v. a. die exakte Ausrichtung Zur Straffung der zervikalen Anteile, ohne Überkorrektur der
(Vektor!) können durch Situationsnähte prä- und retroaurikulär Nasolabialfalte, kann der SMAS-Flap auch segmentiert werden und
fixiert werden. Dies wird erleichtert durch einen Schnitt, der in die der kaudale Anteil nach retroaurikulär Richtung Mastoid gestrafft
präaurikulär gespannte Haut nach kaudal in Verlängerung der werden.
Antehelixfalte gelegt wird und die Festlegung des neuen Fußpunk­ Eine aktuelle Variante besteht im sog. MACS-Lift (»minimal
tes des Ohrläppchens ermöglicht. access cranial suspension lift«; 7 oben).
Temporal wird das Spannungsergebnis zusätzlich mit resorbier- Über eine L-förmige präaurikuläre Inzision mit Verlängerung
barem Nahtmaterial an der Temporalisfaszie verankert. Präaurikulär unter die Haarkotelette wird die Haut nur knapp unterminiert.
sollte nur soviel Haut reseziert werden, dass ein spannungsfreier 2 starke nichtresorbierbare Nähte in U- oder schräger O-Form wer-
zweireihiger Hautverschluss (subkutane Einzelknopfnähte, resor- den in das superfizielle muskuloaponeurotische Gewebe eingefloch-
bierbar farblos, 4-0; intrakutan fortlaufend, resorbierbar farblos, 5-0) ten und an der tiefen Temporalfaszie auf der Höhe der Crus helicis
möglich ist. Danach erfolgt identisches Vorgehen temporal und ok- verankert. Durch Knoten soll eine effiziente vertikale Korrektur der
zipital; ggf. Einlage einer Redon-Drainage am tiefsten Punkt der abgesackten Gesichtsweichteile vornehmlich an den Jochbeinen und
präparierten Hautlappen für 24 h. am oberen Hals erzielt werden.
Durch eine 3. Tabaksbeutelnaht zum malaren Fettkörper kann
Superfizielles muskuloaponeurotisches System (SMAS) ein gleichzeitiges Anheben des Mittelgesichtes vorgenommen wer-
Die Inzision des SMAS-Komplexes erfolgt in einer umgekehrten den. Merkmale und Vorteile des Verfahrens sind in der . Übersicht
L-Form unterhalb des Jochbogens und parallel präaurikulär. dargestellt.
Dabei sollte ein Abstand zum Tragus von 1,5–2 cm nicht unter-
schritten werden. Im Wangenbereich kommen nach Inzision des
SMAS kranial das Sub-SMAS-Fett und kaudal die Parotisfaszie zum MACS-Lift (»minimal access cranial suspension lift«)
Vorschein. Vorsicht ist bei Inzisionen nahe am Jochbogen geboten. 4 Die Inzisionen werden auf die Falte an der Ohrvorderseite
Ab hier sollte nach kranial streng subkutan zur Vermeidung einer und die Haargrenze oberhalb der Ohren beschränkt.
Nervenläsion des Temporalastes präpariert werden. 4 Durch eine sehr limitierte Hautunterminierung reduziert
sich das Risiko für Nachblutung und Durchblutungsstörun-
Präaurikuläre SMAS-Präparation gen sowie von Schwellungen und Hämatomen mit deutlich
Individuell ist es bei manchen Patienten schwierig, die Parotisfaszie verkürzter Rekonvaleszenz.
vom SMAS zu trennen. Wird bei scharfer Präparation dabei auch die 4 Vertikal gerichtete SMAS-Raffung mit langem Straffungs­
Parotisfaszie mit gehoben, entstehen hierdurch keine Konsequenzen, effekt.
wenn das Parenchym unverletzt bleibt. Im kaudalen Bereich der Par- 4 Günstiger Effekt auf die periorbitale Region.
otis sind bei weiterer Präparation des SMAS-Flap nach kaudal Pla- 4 Effizienz wie bei ausgedehnteren und aggressiveren Opera-
tysmafasern erkennbar. In diesem Bereich sollte zur Schonung der tionsverfahren postuliert; Langzeitergebnisse jedoch be-
Fazialisäste überwiegend nicht mehr scharf disseziert werden. 2 cm grenzt.
unterhalb des Mandibularandes lässt sich das Platysma gut mobili-

a b

. Abb. 72.7 Facelift mit SMAS-Straffung als Rezidiveingriff bei Erstopera­ halb der Kotelette zur Resektion des massiven Hautüberschusses bei
tion 15 Jahre zuvor (a, b). Stark verbreiterte und die Patientin störende vertikaler Straffung (e, f). Postoperativer Befund mit nunmehr verlagerter
72 retroaurikuläre Narbe (c). Höherplatzierung der neuen retroaurikulären Inzi- retreoaurikulärer Narbe (g, h)
sion (d). Inzision präaurikulär antetragisch mit zusätzlicher Inzision unter-
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
691 72

c d

e f

g h

. Abb. 72.7 (Fortsetzung)


692 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

Komplikationen Die Dissektion der Galea vom Periost kann stumpf erfolgen und
In der frühen postoperativen Phase sollten Hämatome und Serome über den Orbitarand hinaus präpariert werden. Dabei sind beidseitig
umgehend angegangen werden. Größere Hämatome erfordern eine die Gefäß-Nerven-Bündel zu schonen. Glabella und Korrugatoren
Revision. Hautnekrosen sind Folge von übermäßiger Spannung, werden teils scharf vom Periost abgelöst. Der M. frontalis kann par-
Perfusionsstörungen durch unsachgemäße Präparationstechnik, In- tiell, parallel zu den Stirnfalten, ausgedünnt werden, sollte aber nie-
fektion oder Nikotinkonsum. Hautnekrosen müssen nicht umge- mals komplett reseziert werden.
hend reseziert werden, da eventuelles Reepithelialisierungspotenzial Ist der komplette frontotemporale Flap gehoben, wird das Straf-
abgewartet werden kann und der Prozess meist schrumpft, sodass fungsziel definiert. Dazu muss der Lidschluss komplett sein, und ein
Korrekturen im Intervall meist kleiner und unproblematischer aus- oberes »scleral show« darf nicht auftreten.
fallen. Läsionen an Endästen der Fazialisstämme sind meist reversi- Unter der erforderlichen moderaten Spannung wird dann ein
bel, sodass eine periphere Nervenregeneration von ca. drei Monaten Streifen Stirnhaut von 2–3 cm reseziert. Durch galeale Nähte (3-0
abgewartet werden sollte. resorbierbar) wird ein wenig Spannung von der Haut genommen.
. Abb. 72.7 zeigt das klinische Beispiel einer SMAS-Straffung als Eine subgaleale Redon-Drainage ist empfehlenswert. Das Ergebnis
Rezidiveingriff. kann durch eine Kanthopexie oder eine Unterlidplastik ergänzt wer-
den, eine Blepharoplastik des Oberlides sollte nicht in derselben Sit-
zung durchgeführt werden.
72.3.2 Stirn- und Brow-Lift – offen chirurgisch Ein klinisches Beispiel zeigt . Abb. 72.8.

Indikationen Komplikationen
Indikationen stellen der Deszensus der Augenbraue, eine Gesichts- Durch subgaleale Präparation ist eine Verklebung zwischen Galea
feldeinschränkung durch Stauchung des Oberlides, quere ausge- und Periost zu erwarten, und somit sind auch gute Langzeiter­
prägte Stirnfalten, Glabellafalten und ausgeprägte Falten der late- gebnisse produzierbar. Als Nachteil kommt es regelmäßig zu Paräs-
ralen Orbita dar. thesien kranial der Inzisionslinie, die 6–12 Monate fortbestehen
Bei Gesichtsfeldeinschränkung kommt es zu einer kompensato- können. Haarausfall im Bereich der bikoronaren Inzision kann
rischen Augenbrauenelevation als Versuch der Visusverbesserung, 3 Monate anhalten und bei älteren Patienten auch bleibend sein.
was zu ausgeprägten Stirnfalten führt. Eine Schwächung des motorischen Frontalisastes ist möglich, aber
reversibel.
Technik
Operationsplanung
Bei der Planung eines Stirn- und Augenbrauenliftings ist die typge- 72.3.3 Stirn- und Brow-Lift – endoskopisch
rechte Neoplatzierung der Augenbraue entscheidend. Die ideale Au-
genbraue sollte medial parallel zur Lidkante im 1. Drittel kranial- Technik
wärts ansteigen, sodass sich das mittlere Drittel der Augenbraue über Das Stirnlift eignet sich als endoskopisches Operationsverfahren.
dem Orbitarand projiziert. Das laterale Drittel fällt dann parallel zur Es werden 3 Zugänge ca. 1 cm kranial der Haargrenze medial,
Oberlippenrot-weiß-Gernze ab. Der höchste Punkt der Augenbraue rechts- und links-lateral gewählt. Die Optik wird in den medialen
steht im Lot (L) mit der lateralen Tangente der Iris. Die Tangente Zugang eingeführt und die Instrumente über die seitlichen Zugänge
mündet in der Kinnmitte. (. Abb. 72.9d).
Eine wichtige Entscheidung in der Operationsplanung ist die Mit Dissektoren wird dann ein subgalealer Raum geschaffen, der
Wahl zwischen bikoronarer und prätrichaler Inzision. bis ca. 2 cm kranial des Orbitadaches präpariert wird. Danach wird
Nach Untersuchungen wird eine Stirnhöhe um 50 mm als at- das Periost quer inzidiert und mittels Raspatorium subperiostal auf
traktiv empfunden. Die Indikation der prätrichalen Inzision wird bei den Orbitarand und die Nasenwurzel unter subtiler Darstellung und
einer Distanz zwischen Augenbraue und Haaransatz von mehr als Schonung der supratrochlearen und supraorbitalen Nervenäste wei-
5 cm bei einem Augenbrauen-Pupillen-Abstand von 2,5 cm gestellt. ter präpariert.
4 Prätrichale Inzision: Stirn- oder Zornesfalten werden durch selektive Myektomien
Die prätrichale Inzision sollte W-förmig mit schräg angeschnit- der Mm. frontalis, corrugatores, depressores supercilii und procerus
tenen Haarwurzeln verlaufen. In Höhe der lateralen Lidkante behandelt. Die Augenbrauen lassen sich beliebig anheben. Das Straf-
kann die Schnittführung nach temporal in die Haarregion ver- fungsergebnis wird durch Mikroschrauben an der Tabula externa
laufen. für 1 Woche fixiert. Zusätzlich können temporal Nähte an der Tem-
4 Bikoronare Inzision: poralisfaszie angebracht werden. Fibrinkleber kann zur besseren
Die bikoronare Inzision sollte etwa 6 cm hinter der anterioren postoperativen Adhäsion der verschobenen Gewebeschichten bei-
Haarlinie verlaufen und parallel zu den Haarfollikeln von einem tragen.
Ohransatz zum anderen reichen.
Komplikationen
Durchführung Asymmetrische Augenbrauen.
Die Präparation erfolgt subgaleal, da hier eine blutarme Präparation
mit dem Effekt der postoperativen Gewebeadhäsion zwischen Galea
und Periost möglich ist. Bei der subgalearen Technik besteht jedoch 72.3.4 Mid Facelift (minimalinvasiv,
die Gefahr der temporolateralen Verletzung des R. temporalis n. fa- endoskopisch assistiert)
cialis, der sichtbar unter der Fascia temporalis verläuft. Hingegen
bestehen bei der rein subkutanen Präparationstechnik die Gefahr Indikation
72 der Haarfollikelverletzung sowie das Risiko der nutritiven Minder- Ausgeprägte Nasolabialfalten bei Patienten zwischen 40 und 50 Jah-
versorgung. ren, die noch keines kompletten Facelifts bedürfen.
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
693 72

a b

c d

. Abb. 72.8a–e Brauenlift durch supraorbitale Hautstreifenresektion. Bei


dem kahlköpfigen Patienten stellten andere Verfahren (offenes oder auch
endoskopisches Stirnlift) wegen der dabei entstehenden sichtbaren Narben
keine Option dar. a, b Planung der Höhenverlagerung. c Exzisionsfigur der
Stirnhaut oberhalb der Brauen. d Fixierung der tiefen Faszienschichten an
e
das kraniale Stirnperiost. e Postoperatives Ergebnis

Technik
Zunächst Lokalanästhesie beider Wangen mit jeweils 10 ml Lokal- der Straffung wird am Periost des lateralen Augenwinkels ver­
anästhetikum (2%) und Adrenalinzusatz (1:100.000). ankert.
Die Hautinzision erfolgt subziliar vom medialen zum lateralen Bei älteren Patienten, bei denen der M. orbicularis occuli bereits
Augenwinkel und ca. 2–3 cm nach lateral-kaudal, parallel zur Lip- erschlafft ist, sollte nach der epifaszialen Präparation der M. orbicu-
penrot-weiß-Grenze der lateralen Oberlippe (. Abb. 72.10). laris occuli subperiostal vom ganzen Orbitarand abgehoben werden,
Die Präparation erfolgt zunächst auf den M. orbicularis oc- um eine Keilexzision des Muskels als Straffung des Unterlides durch-
culi. Anschließend wird epifaszial nach kaudal in der traditionellen führen zu können.
Präparationsschicht des Facelifts bis zur Nasolabialfalte präpariert.
Der Hautüberschuss wird nun unter moderater Straffung so rese- Komplikationen
ziert, dass medial mehr Gewebe erhalten bleibt, um ein unteres 4 Unterlidektropium.
»scleral show« zu vermeiden. Der Hautrand kann zur Kontur­ 4 Durch passagere Schwellung kann ein temporäres »scleral show«
verbesserung etwas entfettet werden (3–5 mm). Der laterale Anteil entstehen.
694 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

. Abb. 72.9a–d Brauen-Stirn-Lift subperiostal endoskopisch. Durch einen . Abb. 72.10 Technik des Mid Facelift. (Foto: © Anton Zabielskyi/Fotolia.com)
zentralen Zugang für die Optik werden von beidseitig temporal die supra-
orbitale Schlitzung des Stirnperiosts und ggf. auch eine Exhairese der
Mm. corrugatores supercilii durchgeführt (d). Klinischer Aspekt vor und
nach endoskopischem Lift (a–c)

72
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
695 72

a b c

d e f

. Abb. 72.11 Technik der Blepharoplastik des Oberlides und Unterlides. Nach Exzision der Haut­
spindel oder mit dieser vollschichtig erfolgt die Entfernung eines schmalen Orbicularis-Muskelstrei-
fens (b). Anschließend wird Fett aus den medialen Kompartimenten, falls erforderlich, teilweise rese-
ziert (c). Am Unterlid wird nach Straffung des Septum infraorbitale oder Verteilung des Fettes unter-
halb des unteren Orbitarandes ein Muskelstreifen aus dem kranialen M. orbicularis gebildet (d). Nach
Umschlagen nach kranial wird dieser am inneren lateralen Orbitarand fixiert (e). Der hierdurch erzielte
Straffungseffekt lässt einen Hautüberschuss entstehen, der lateralseitig verbleibt und anschließend
reseziert wird. Damit entsteht kein vertikaler Zug am Unterlid und wirkt einer Ektropiumentstehung
entgegen (f). Die zu erzielenden Straffungsvektoren verlaufen am Unterlid im Gegensatz zum Oberlid
g
schräg lateral (g) (. Abb. 72.12)

72.3.5 Blepharoplastik des Oberlids tiert werden. Durch die Raffung sollte die Lidspalte maximal 1–2 mm
klaffen.
Indikationen Das umschnittene Hautareal wird reseziert. Falls erforderlich,
4 Gesichtsfeldeinschränkung. wird nach stumpfem Spreizen der Muskelfasern des M. orbicularis
4 Fettgewebshernien. occuli das Septum orbitale eröffnet und das hervorquellende Fett
4 Dermatochalasis. unter leichtem manuellem Druck auf das Unterlid reseziert. Das er-
öffnete Septum orbitale sollte mit resorbierbarem Nahtmaterial wie-
Patientenvorbereitung der verschlossen werden. Nach subtiler Blutstillung erfolgt der
4 Präoperativer ophthalmologischer Befund. Wundverschluss fortlaufend.
4 Bestimmung der Tränensekretion.
4 Schirmer-Test.
Komplikationen
4 Augenbrauenptose? 4 Insuffizienter Lidschluss.
4 Stirn- und Brow-Lift? 4 Conjunctivitis sicca.

Technik 72.3.6 Blepharoplastik des Unterlids


Die Inzision sollte ca. 8–10 mm kranial der Wimpernreihe liegen
und im medialen Augenwinkel über dem Tränenpünktchen be­ Indikationen
ginnen und zur lateralen Margo orbitalis verlaufend erfolgen 4 Dermatochalasis.
(. Abb. 72.11). Die kraniale Inzision wird bestimmt durch das ge- 4 Tränensäcke.
wünschte Raffungsergebnis. Dies kann zuvor mit der Pinzette imi- 4 Präoperativ ophthalmologischer Befund.
696 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

a b c

d e f

g h

. Abb. 72.12 Blepharoplastik des Unterlides. Hautinzision etwa 2–3 mm Umverteilung des orbitalen Fettgewebes zur Augmentation des inferioren
subzilliar (a). Unterminierung der Haut mit der Schere, ohne das Septum or- Orbitarandes (f). Präparation und periostale Fixierung eines Muskelstreifens
bitale zu eröffnen (b). Präparation eines Haut-Muskel-Lappens (c). Eröffnung am lateralen Orbitarand (g). Sparsame Resektion des Hautüberschusses (h).
des Septum orbitale (d) und Präparation des orbitalen Fettgewebes (e). (Foto: © Anton Zabielskyi/Fotolia.com)

Technik Gewebeaugmentation des Orbitarandes über die Margo orbitalis in-


Die Hautinzision erfolgt ca. 2–3 mm subziliar parallel zum Unter- ferior gelegt und mittels Einzelknopfnähten fixiert.
lid etwa 3 mm medial des medialen Augenwinkels beginnend und Zur Suspension des Unterlides wird ein Muskelstreifen des
am lateralen Augenwinkel im Verlauf der Lachfältchen auslaufend M. orbicularis oculi präpariert und am lateralen Orbitarand perios-
(. Abb. 72.12). tal verankert. Die Straffung des Unterlides erfolgt von medial nach
lateral. In der Regel entsteht dadurch ein Hautüberschuss, der zum
> Dabei ist auf eine zu erhaltende Hautbrücke zwischen
medialen Drittel des Unterlides deutlich abnimmt. Der Wundver-
Hautinzision zur Oberlidblepharoplastik von mindestens
schluss erfolgt nach sparsamer Resektion des Hautüberschusses von
10 mm zu achten.
medial nach lateral mittels Intrakutannaht. Zusätzlich kann eine
Nach dem Hautschnitt wird ein Haut-Muskel-Lappen gebildet und ­laterale Kanthopexie nach Jelks erfolgen.
vom Septum abpräpariert
Zur Umverteilung des überschüssigen orbitalen Fettgewebes Komplikationen
72 wird das Septum orbitale eröffnet und unter leichtem Druck auf das 4 Unterlidektropium.
Unterlid der hervorquellende Fettkörper nach Loeb und Hamra zur
72.3 · Chirurgische Maßnahmen bei Formstörungen an Hals und Gesicht
697 72
72.3.7 Submentales Lifting Literatur
Literatur zu 7 Kap. 72.1 und 72.2
Technik Byrd HS, Hobar PC (1993) Rhinoplasty: a partical guide for surgical planning.
Das oberflächliche Halsfett ist in 2 Kompartimente unterteilt. Dabei Plast Reconstr Surg 91 (4): 642–54
unterscheiden sich der Raum zwischen Dermis und Platysma, sowie Ho T, Brissett AE (2006) Preoperative assessment of the aging patient. Facial
Plast Surg 22 (2): 85–90
der Raum zwischen Platysma und tiefer Halsfaszie.
Hönig JF (2000) Ästhetische Chirurgie, Steinkpopff, Darmstadt
Yellin SA (1997) Aesthetics for the next millennium. Facial Plast Surg 13 (4):
Liposuktion 231–239
Die störenden Areale werden mit aufrechtem Oberkörper ange-
zeichnet. Die Lokalanästhesie erfolgt als Mini-Tumeszenstechnik Literatur zu 7 Kap. 72.3.1
mit Lokalanästhetikum (2%) unter Zusatz von Adrenalin (1:200.000). Aston S (1979) Platysma muscle in rhytidoplasty. Ann Plast Surg 2: 529
Bei zu viel Tumeszenslösung werden die Halskonturen zu unüber- Barton FE (1992) The SMAS and the nasolabial fold. Plast Reconstr Surg
sichtlich. 89:601–607
Nach Einwirkung der Lokalanästhesie erfolgt die Stichinzision Cardoso de Castro C (1986) The role of the superficial musculoaponeurotic
submental. Zunächst sollte zur Sicherung des Raumes, in dem abge- system in face lift. Ann Plast Surg 16: 279
saugt wird, dieser mit der Schere definiert werden. Dazu wird unter Exner K 1998 Standard-Facelifting einschließlich SMAS-Starffung. In:
horizontalem Spreizen die Subkutis von den derben Strängen zum Lemperle G (Hrsg) Ästhetische Chirurgie. Ecomed, Landsberg/Lech, S
M. sternocleidomastoideus gelöst. Um gleichmäßigere Ergebnisse 1–17
Friedmann O (2006) Facelift surgery. Facial Plast Surg 22 (2): 120–128
zu erzielen, sollte zusätzlich auch ein retroaurikulärer Zugang ge-
Lassus C (1999) Cervicofacial Rhytidectomy. The superficial plane. Aesth Plast
wählt werden.
Surg 21: 25–31
Das Absaugen erfolgt dann streng subkutan. Hierbei ist darauf Mitz V, Peyronie M (1976) The superficial musculoaponeurotic system (SMAS)
zu achten nicht zu viel subkutanes Gewebe abzusaugen, da es sonst in the parotid and cheek area. Plast Reconstr Surg 71: 80–88
zu Verwachsungen mit dem Platysma kommt. Die Stichinzisionen Pitanguy I (1981) Indications for and treatment of frontal and glabellar
können postoperativ offen bleiben, da sie ohne auffällige Narben­ wrinkels in an analysis of 3404 consecutive cases of rhytidectomy. Plast
bildung ausheilen werden und ggf. eine Drainage nach außen er- Reconstr Surg 67 (2): 157–168
möglichen. Als moderater Druckverband kann ein schmaler Ramirez OM, Hönig JF (1992) The subperiostal rhytidectomy: the third gen-
Schaumstoffstreifen, der mit Pflaster fixiert werden kann, sehr nütz- eration of face lift. Ann Plast Surg 28: 218–234
lich sein. Tonnard P, Verpaele A (2007) The MACS-lift short scar rhytidectomy. Aesthet
Surg J 27 (2): 188–198

Zusätzliche Platysmadopplung
Literatur zu 7 Kap. 72.3.2
Die zusätzliche mediane Halsraffung eignet sich für Patienten mit
Conell BF, Lambros VS, Neurohr GH (1989) The forehead lift: Techniques to
starkem Doppelkinn und lockerem Platysma.
avoid complications and to produce optimal results. Aesth Plast Surg 19:
Dazu wird die Stichinzision submental auf eine Breite von ca.
217–237
3–4 cm erweitert. Hier wird dann unter Sicht auf das Platysma prä- Litton C (1989) Forehead and eyebrow lift: anatomical and clinical aspects. In:
pariert. Eine Leuchtquelle ist zur Präparation sehr hilfreich. Das The art of aesthetic plastic surgery. Little, Brown, Boston
mediale Halsfett kann dann direkt unter Sicht exzidiert werden. Es
kann bis auf eine Höhe, die dem kaudalen Rand des Schildknorpels Literatur zu 7 Kap. 72.3.3
entspricht, präpariert werden. Die Fettschicht zwischen Platysma Daniel RK (1994) Endoscopic forehead lifting. aesthetic surgery. Springer, Ber-
und tiefer Halsfaszie kann über diesen Zugang sehr gut abgesaugt lin Heidelberg New York, pp 16–18
werden. Der am Mandibularrand verlaufende R. marginalis mandi- Mühlbauer W, Fairley J, von Wingerden J (1995) Mimetic modulation for prob-
bulae ist dabei zu schonen, was durch Absaugen strikt kaudal der lem creases of the face. Aesth Plast Surg 19: 183
Mandibula einfach möglich ist. Ramirez O (1994) The anchor subperiostal forehead lift. Plast Reconstr Surg
Danach werden die beiden medialen Ränder des Platysmas in 93: 1004
der Mediallinie mit einer 3-0-resorbierbaren Naht gedoppelt. Um
eine natürliche Halskontur zu schaffen, kann es erforderlich werden, Literatur zu 7 Kap. 72.3.4
vor der Platysmadopplung die medialen Ränder des Platysmas auf Hagerty RC (1995) Central suspension technique of the midface. Plast Re­
vertikal mittlerer Höhe, quer etwa 1–2 cm zu inzidieren. Das Straf- constr Surg 96: 728
fungsergebnis durch die Platysmadopplung kann zu lateralen Ein- Lemperle G (1997) Das Midface-Lifting – eine erweiterte Unterlidplastik.
ziehungen der Haut führen, sodass diese stumpf oder, wenn erfor- Hand-Mikro-Plast Chir 29: K30
Millard DR, Youan RTW, Devine JW (1987) A challenge to the undefeated
derlich, scharf gelöst werden müssen.
nasolabial folds. Plast Reconstr Surg 80: 37
Eine kleine Drainage, die retroaurikulär ausgeleitet werden
kann, ist zu empfehlen. Für den Wundverschluss sind Einzelknopf-
Literatur zu 7 Kap. 72.3.5
nähte, die am 5. postoperativen Tag entfernt werden, ausreichend.
Berry EP (1974) Planning and evaluating blepharoplasty. Plast Reconstr. Surg.
Auch hier ist ein Druckverband mittels fixiertem Schaumstoffstrei-
54: 257
fen nützlich. Owsley jr JQ (1980) Resection of the prominent lateral fat pad during upper
lid blepharoplasty. Plast Reconstr Surg 65: 4
Komplikationen
4 Einziehungen der Haut durch nicht gelöste Adhäsionen zwi- Literatur zu 7 Kap. 72.3.6
schen Platysma und Kutis. Aston S (1982) Skin-muscle flap lower lid blepharoplasty: an easier dissection.
4 Verletzung des R. marginalis mandibulae. Aesth Plast Surg 6: 217
4 Nachblutungen sind zu revidieren. Kleinere Hämatome können Hamra ST (1995) Arcus marginal is release and orbital fat preservation in mid-
punktiert werden. face rejuvenation. Plast Reconstr Surg 96: 354
698 Kapitel 72 · Formkorrektur an Gesicht und Hals

Wolfort FG, Baker T, Kanter WR (1995) Aesthetic goals in blepharoplasty.


In: Wolfort, FG, Kanter WR (eds) Aesthetic blepharoplasty. Little, Brown,
Boston

Literatur zu 7 Kap. 72.3.7


Avelar J (1985) Fat suction of the submental and submandibular regions.
Aesth Plast Surg 9, 257–263
Lewis CM (1985) Lipoplasty of the neck. Plast Rconstr Surg 76, 248–257
Pitman GH (1998) Fettresektionen und Absaugung im Gesicht. In: Lemperle
G. Ästhetische Chirurgie, ecomed, Landsberg/Lech, 1–17
Topia A, Feirreira B, Eng R (1987) Liposuction in cervical rejuvenation. Aesth
Plast Surg 11, 95–100

72
73

Formstörungen der Nase


(Rhinoplastik)
A.D. Niederbichler, P.M. Vogt

73.1 Anatomie – 700

73.2 Diagnostik – 700


73.2.1 Anamnese – 700
73.2.2 Befunderhebung – 701
73.2.3 Analyse der anatomischen Gegebenheiten (Analyse nach Byrd) – 703

73.3 Therapie – 704


73.3.1 Operative Technik – 704
73.3.2 Postoperatives Management – 710

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
700 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)

Das Ziel eines ästhetischen operativen Eingriffes an der Nase ist die 5 Die Nasenspitze wird im lateralen Anteil (nasenflügelwärts)
73 Neuformung der äußeren Erscheinung der Nase unter der Maßgabe, von der A. angularis versorgt, die übrige Versorgung erfolgt
die Funktion der Nasenatmung möglichst zu verbessern oder zu- durch den äußeren R. nasalis der A. ethmoidalis anterior.
mindest zu erhalten. Die Rhinoplastik zählt zu den häufigsten ope- 4 Der venöse Abfluss erfolgt im Verlauf der arteriellen Versorgung,
rativen Eingriffen in der ästhetischen Chirurgie, aber auch zu den die Bezeichnung der Venen stimmt mit der der Arterien überein.
schwierigsten. Deshalb ist vor der Durchführung eines ästhetischen
Eingriffs der Nase die genaue Anamnese- und Befunderhebung von Sensible Versorgung durch Äste des N. trigeminus
größter Wichtigkeit. 4 Pars ophthalmica (V1):
Um Frustration und Enttäuschung über das operative Ergebnis Sensible Innervation der Nasenwurzel sowie des kranialen An-
zu vermeiden, ist es notwendig, in genügend großem zeitlichem Ab- teils der Nasenflügel. Rr. supratrochleares et infratrochleares
stand zum geplanten Operationstermin dem Patienten die chirur- n. ophthalmici.
gischen Möglichkeiten zu vermitteln und sie mit seinen Wünschen 4 Pars maxillaris (V2):
in Einklang zu bringen. Sollte dies nicht möglich sein, ist es oft bes- Die sensible Innervation des kaudalen Nasenrückens und der
ser, einen ästhetischen Eingriff zu verschieben oder nicht durchzu- Nasenspitze erfolgt durch den äußeren Ast des N. ethmoidalis
führen. Der erste Schritt bei der Diagnostik vor einem geplanten anterior, der zwischen dem knöchernen Anteil der Nase und
ästhetischen Eingriff der Nase ist daher die Anamnese oder das »di- dem oberen lateralen Nasenknorpel aufsteigt. Der untere Anteil
agnostische Gespräch«: Zunächst muss der Operateur einschätzen, der Nase (Columella, Nasenflügel und Vestibulum) wird durch
ob der Patient ästhetische Wünsche hat, die operativ in seinem Fall die infraorbitalen Äste des N. maxillaris sensibel versorgt.
zu erreichen sind und die sich harmonisch in das Gesamtbild des
Gesichtes des Patienten einfügen, oder, ob der Patient überzogene, Nasenlöcher
technisch nicht machbare ästhetische Wünsche hat, die eine harmo- Die Basis der Nase sollte einem gleichseitigen Dreieck ähneln. Als
nische Erscheinung seines Gesichtes stören würden. Vestibulum nasi wird der Bereich bezeichnet, der sich einwärts
direkt an die externen Anteile der Nasenlöcher anschließt.

73.1 Anatomie Nasenknorpel


4 Flügelknorpel (Nasenspitze, Ala nasi, untere laterale Knorpelan-
Haut teile; . Abb. 73.1)
Die Prüfung ihrer Dicke und Beschaffenheit ist wichtig zur Planung 5 Crus medialis: die »Bodenplatte« und nach kaudal Columel-
des operativen Vorgehens: Die Hautbeschaffenheit der kranialen lasegment.
Hälfte der Nase ist dünner und verschieblicher im Vergleich zur kau- 5 Crus medianus: lobuläre Segmente und Segmente, die den
dalen Hälfte. Dort findet sich am Nasenrücken talgdrüsenreichere Dom der Nase bilden.
und adhärentere Haut, im Bereich der Nasenflügel und der Columel- 5 Crus lateralis: Hauptteil der Nasenflügel (Lobulus).
la jedoch bleibt die Hautbeschaffenheit dünn. 4 Knorpeliges Nasengewölbe
Kranial besteht es aus den paarigen oberen lateralen Knorpeltei-
Muskulatur len und aus dem knorpeligen Anteil des Nasenseptums. Die kau-
Es lassen sich 4 Muskelgruppen unterscheiden: dalen Enden der oberen lateralen Knorpel (Dreiecksknorpel)
4 Elevatoren (verkürzen die Nase und öffnen die Nasenlöcher): liegen hinter dem kranialen Ende der unteren lateralen Knorpe-
5 M. procerus, lanteile (7 oben).
5 M. levator labii superioris alaeque nasi, 4 Knöchernes Nasengewölbe
5 M. anomalus nasi. Es besteht aus den paarigen Nasenknochen und den paarigen
4 Depressoren (verlängern die Nase und öffnen die Nasenlöcher): aszendierenden Ausläufern (Proc. ascendentes maxillae) der
5 M. dilatator naris posterior (alarer Anteil des M. nasalis), Maxilla, hat eine Pyramidenform, die nach kranial Richtung Su-
5 M. depressor septi. tura nasofrontalis ausläuft. Die sog. interkanthale Linie bezeich-
4 Öffnung der Nasenlöcher: net den engsten Teil der knöchernen Nasenpyramide und des
5 M. dilatator naris anterior. Nasenrückens.
4 Kompressoren (verlängern die Nase und verengen die Nasen­ 4 Nasenscheidewand (Septum)
löcher): Knöcherner (Pars perpendicularis ossis ethmoidale) und knor-
5 M. nasalis (transversaler Anteil), peliger (kaudaler) Anteil
5 M. compressor narium minor.

Perfusion 73.2 Diagnostik


4 A. opthtalmica (aus der A. carotis interna): Die A. dorsalis nasi
durchbricht das orbitale Septum medial des Lig. palpebrae. Sie 73.2.1 Anamnese
verläuft an den Nasenflügeln nach kaudal, wo sie mit dem late-
ralen nasalen Ast der A. angularis anastomosiert. Im Anamnesegespräch muss neben der Anamnese insbesondere die
4 A. maxillaris interna und lokale Arterien: Motivation des Patienten geklärt werden, sich einem ästhetischen
5 Die A. angularis versorgt den lateralen kaudalen Anteil der Eingriff zu unterziehen. Es ist wichtig, bei der Anamneseerhebung
Oberfläche der Nase. neben den ästhetischen Problemen, die ein Patient hat, auch auf ge-
5 Die A. labialis superior versorgt die Basis der Columella und nerelle Fragen wie behinderte Nasenatmung, Schnarchen, Vorope-
die unteren Anteile der Nasenlöcher. rationen im Bereich der Nase etc. einzugehen. Manchmal sind meh-
5 Die A. columellae verläuft aufsteigend in der Columella ober- rere Anamnesegespräche präoperativ erforderlich, um Fragen klären
flächlich im Bereich der Crura medialia. zu können und die Indikation zur Operation zu stellen.
73.2 · Diagnostik
701 73

. Abb. 73.2 Symmetrie in der Frontalansicht . Der Nasenrücken erscheint


als zwei parallele oder konkave Linien, die sich von den Augenbrauen bis
zur Nasenspitze erstrecken (A). Die interkanthale Distanz (B) sollte durch die
Breite der Basis der Nasenflügel nicht überschritten werden (C), da dies eine
dysharmonische Verbreiterung des Nasengerüstes darstellt. Die Flügelknor­
pel sollten minimal über den Nasenrücken herausragen (D), was die seitlichen
Punkte eines Dreiecks mit kaudaler Basis definiert, dessen Spitze kranial den
Kontaktpunkt zwischen medialem und mittlerem Crus ausmacht (E)

Zunächst werden beide Gesichtshälften orientierend auf Sym-


b metrie untersucht. Symmetrie der Kanthus, Nasenflügel und beider
Wangenregionen sind hierbei wichtig.
. Abb. 73.1a, b Elemente des knorpeligen und knöchernen Nasenskeletts. Der nächste diagnostische Schritt beinhaltet die Prüfung der
Ansicht von frontal (a) und kaudal (b)
Symmetrie in der Frontalansicht (engl. »full face view«; . Abb. 73.2):
4 Der Nasenrücken erscheint als zwei parallele oder konkave
Linien, die sich von den Augenbrauen bis zur Nasenspitze er­
Wichtig für den Chirurgen bei der Anamneseerhebung ist, Indi- strecken (. Abb. 73.2; A).
kationen und Kontraindikationen für einen ästhetischen Eingriff 4 Interkanthale Distanz = Breite der Basis der Nasenflügel
festzustellen und ggf. die operative Therapie des Patienten abzu­ (. Abb. 73.2; B).
lehnen. Idealerweise sollte die Entscheidung für oder gegen einen 4 Wenn die äußere Begrenzung der Nasenflügel über eine ima-
operativen Eingriff für den Patienten einsehbar sein, nicht zu Frus- ginäre Linie vom medialen Kanthus gerade nach kaudal hinaus-
tration führen und zusammen mit dem Patienten getroffen werden. reicht, ist dies ein Hinweis auf eine evtl. dysharmonische Ver-
Wichtig ist auch der Hinweis auf das Zeitintervall bis zum endgül- breiterung des Nasengerüstes (. Abb. 73.2; C).
tigen Operationsergebnis und die ggf. eintretende Notwendigkeit 4 Die Flügelknorpel sollten minimal über den Nasenrücken her-
eines Korrektureingriffes bei dann nicht zufriedenstellender Form- ausragen (. Abb. 73.2; D), was die seitlichen Punkte eines Drei-
gebung. ecks mit kaudaler Basis ausmacht, dessen Spitze kranial den
Kontaktpunkt zwischen medialem und mittlerem Crus aus-
> Das Anamnesegespräch im Rahmen der Planung eines
macht (. Abb. 73.2; E).
ästhetischen Eingriffs im Bereich der Nase hat also zwei
Aufgaben: Vorerkrankungen zu erheben (Eigen- und
Nun erfolgt die Beurteilung des Gesichtes und speziell der Nase in
Sozial­anamnese, Medikamentenanamnese) und festzu-
Seitansicht (engl. »profile view«; . Abb. 73.3).
stellen, ob der Patient psychisch und in Anbetracht seiner
4 Das Gesicht wird in 4 horizontal verlaufende Abschnitte unter-
Lebensumstände ein geeigneter Kandidat für einen ästhe-
teilt, um die proportionale Harmonie der verschiedenen Ge-
tisch-chirurgischen Eingriff ist.
sichtspartien beurteilen zu können. Außerdem kann in der
Seitansicht die Konvexität des Gesichtes beurteilt werden
(. Abb. 73.3a):
73.2.2 Befunderhebung 4 Abschnitte: Haaransatz – Augenbrauen – Columella (Basis) –
Kinn
Zur operativen Planung ist es wichtig, das gesamte Gesicht des Pati- 4 Nun wird die Länge der Nase vom Nasion (= der niedrigste
enten zu untersuchen. Um wichtige diagnostische Schritte nicht zu Punkt der Fossa frontonasalis) bis zur Nasenspitze gemessen.
vergessen, ist folgender Algorithmus der körperlichen Befunderhe- Der Nasenrücken sollte gerade sein, die Nasenspitze sollte eine
bung zu empfehlen: ca. 2 mm messende Prominenz aufweisen.
702 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)

73

a b

. Abb. 73.3a–c Die proportionale Harmonie der verschiedenen Ge­


sichtspartien wird in Seitansicht durch 4 horizontale Hilfslinien unter­
teilt: Haaransatz – Augenbrauen – Columella (Basis) – Kinn (a). Die Länge
der Nase bemisst sich vom Nasion (= der niedrigste Punkt der Fossa
frontonasalis; N) bis zur Nasenspitze (b). Der Nasenrücken sollte gerade
sein, die Projektion der Nasenspitze sollte eine ca. 2 mm messende Pro­
minenz gegenüber dem Nasenrücken aufweisen und wird folgender­
maßen beurteilt: Eine horizontale Linie von der Ala-Wangen-Grenze zur
Nasenspitze (b) sowie eine weitere vertikal verlaufende Linie wird tan­
gential zur oberen Lippe (äußere Grenze) gezogen (c). Liegen mehr als
2/3 der horizontalen Strecke vor der vertikalen Linie, deutet dies auf
Überprojektion hin, liegt mehr als 60% dieser Strecke hinter der vertika­
len Linie, bedeutet dies Unterprojektion. (Foto: © Anton Zabielskyi/
c Fotolia.com)
73.2 · Diagnostik
703 73
! Cave
Bei zu hohem oder zu niedrigem Messpunkt für das
Nasion kann eine Fehlinterpretation der Projektion des
Nasenrückens resultieren!

4 Die Projektion der Nasenspitze wird folgendermaßen beurteilt:


Eine horizontale Linie wird von der Ala-Wangen-Grenze zur
Nasenspitze (. Abb. 73.3b) gezogen. Eine weitere vertikal ver-
laufende Linie wird tangential zur oberen Lippe (äußere Grenze)
gezogen (. Abb. 73.3c). Liegen mehr als 60% der horizontalen
Strecke vor der vertikalen Linie, deutet dies auf Überprojektion
hin, ist mehr als 60% dieser Strecke hinter der vertikalen Linie,
bedeutet dies Unterprojektion.

> Ein fliehendes Kinn führt optisch zum Eindruck einer zu


stark proportionierten oder zu langen Nase.
a b
Es erfolgt nun die Palpation des knöchernen Anteils der Nase. Hier-
bei wird die vertikale Länge palpiert und die Elastizität und Ver- . Abb. 73.4a, b Anatomische Punkte zur Analyse der Nasenform. a Seit­
schieblichkeit der Nasenknorpel zur Haut beurteilt. licher Aspekt [1 Weichteilglabella (WTG), 2 Nasenwurzel (Radix nasi; W),
3 Dorsum nasi (Rhinion; knöchern-knorpelige Verbindung), 4 Punkt, der die
Es erfolgt die Inspektion des Vestibulum nasi mit Lichtquelle
Nasenspitze (S) definiert, 5 Infratipregion, 6 Kolumella, 7 Columellabasis,
und ggf. Spekulum zur Beurteilung des Septumverlaufs. Wir emp-
8 Nasenflügel (Ala nasi), 9 Basis des medialen Flügelknorpels, 10 Übergang
fehlen die Durchführung einer HNO-ärztlichen Untersuchung zur Wange (Sulcus alaris), 11 knöcherner Anteil des Dorsum nasi, 12 knorpe­
zur genauen Befunderhebung, trotzdem ist es unerlässlich, dass liger Anteil des Dorsum nasi]. b Frontalansicht von unten [1 Punkt, der die
sich der Operateur selbst per Spekulum einen Befundüberblick Nasenspitze (S) definiert, 2 Flügelknorpelzwischenraum (interdomal area),
verschafft. Relevante Septumdeviationen, Einengungen im Be- 3 Infratip-Region, 4 Columella, 5 Basis des medialen Flügelknorpels, 6 Colu­
reich des knorpeligen oder knöchernen Anteils der Nasengänge mellabasis-Lippen-Übergang, 7 Philtrum, 8 Nasenöffnung, 9 »Facet« (Über­
sollten zu einer Re-Evaluation des geplanten operativen Vorgehens gang vom lateralen um medialen Crus des Flügelknorpels), 10 Nasenflügel
führen: (Ala nasi), 11 Sulcus alaris (Übergang zur Wange), 12 Nasenlochschwelle].
4 Behebung der Pathologie in einer Sitzung mit ästhetischer Rhi- [Foto: © Anton Zabielskyi/Fotolia.com (a)]
noplastik möglich?
4 Operatives Vorgehen überhaupt möglich?
4 Zunächst konservative oder anderweitig operative Behandlung
Anatomische Punkte zur Analyse der Nasenform
vor ästhetischer Rhinoplastik erforderlich?
(7 Abb. 74.4)
Röntgenaufnahmen (konventionell, CT) müssen je nach klinischem 4 WTG: Weichteilglabella.
Befund präoperativ angefertigt werden (Nase in 2 Ebenen, Schädel 4 W: Nasenwurzel (oder Radix), Punkt auf der Mittellinie des
a.-p. und seitlich, ggf. CT). Nasenrückens, auf Höhe der Supratarsalfalten.
Der diagnostische Algorithmus »Rhinoplastik« wird durch foto- 4 S: Nasenspitze.
grafische Dokumentation der Befunde abgeschlossen, hier haben 4 SN: Stomion, Punkt, der auf der Mittellinie an der Kontaktzo­
sich Frontal-, Seit- und Dreiviertelaufnahmen in der Praxis zur Pla- ne zwischen Ober- und Unterlippe liegt (»Mundöffnungs­
nung des weiteren Vorgehens bewährt. punkt«, gr. »stoma«).
4 MN: Menton, tiefster Punkt des Kinnunterrandes (lat.
»mens«: Kinn).
73.2.3 Analyse der anatomischen Gegebenheiten 4 ABE: Alabasisebene, verläuft horizontal durch die Alabasis.
(Analyse nach Byrd) 4 KE: Kornealebene, verläuft tangential zur Oberfläche der
Corneae.
Grundsätzlich kann die ästhetische Erscheinung des Gesichtes dra- 4 WE: Nasenwurzelebene, verläuft tangential zum tiefsten
matisch durch dimensionale Eingriffe an der Nase verändert wer- Punkt der Nasenwurzel.
den. Patienten, die eine Rhinoplastik durchführen lassen möchten, 4 NSE: Nasenspitzenebene, tangential zum äußersten Punkt
leiden oft unter dimensionalen Abnormalitäten. Ein Grundbegriff der Nasenspitze.
ist die »Projektion«, der beschreibt, wie weit ein Element der Nase 4 AWG: Ala-Wangen-Grenze: Koronare Ebene, die durch die
aus der frontalen Ebene des Gesichtes herausragt. Daher sind dimen- Grenze zwischen Wange und Nasenflügeln verläuft.
sionale Abnormalitäten
4 die zu lange oder zu kurze Nasenlänge,
4 die überschießende oder inadäquate Projektion der Nasen­ Präoperativ erfolgt die Messung folgender Referenzebenen und
wurzel, -punkte:
4 die überschießende oder inadäquate Projektion der Nasen­ 4 MGH: Mittelgesichtshöhe, WTG zu ABE.
spitze. Die Mittelgesichtshöhe sollte gleich oder nur bis zu 3 mm gerin-
ger als die untere Gesichtshöhe sein. Wenn das nicht der Fall ist,
sollte auf korrekte Okklusion geachtet und ggf. eine Mikrogna-
thie oder ein »short face syndrome« ausgeschlossen werden.
704 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)

73

. Abb. 73.5 Zugangsmöglichkeiten für die geschlossene und die offene sion, da hier die geringste Narbenbildung mit Beeinträchtigung der äuße­
Rhinoplastik. Die offene Rhinoplastik wird im eigenen Vorgehen über eine ren Nasenklappe zu befürchten ist. Die inneren Inzisionen werden mit re­
stufenförmige Inzision an der Columella durchgeführt. Die geschlossene sorbierbaren 5-0-, die äußeren mit 6-0-Nylon-Einzelknopfnähten verschlos­
Rhinoplastik erfolgt im Standardvorgehen über eine transkartilaginäre Inzi­ sen. Hemitransfixationsschnitte mit 4-0-Nylon

4 UGH: Untere Gesichtshöhe, ABE zu MN. 4 den interkartilaginären Zugang,


4 WSD: Nasenlänge, Wurzel-Spitzen-Distanz. 4 den transkartilaginären Zugang (aufgrund von weniger Narben-
Die ideale Nasenlänge (INL) wird festgelegt, indem man das bildung zu bevorzugen),
Mittelgesicht oder die untere Gesichtseinheit als Standard fest- 4 den infrakartilaginären oder marginalen Zugang.
legt (. Abb. 73.4).
5 Bei normaler Mandibula und gleicher Distanz des Mittel- Die offene Rhinoplastik erfolgt über einen transcolumellaren Zu-
gesichts und der unteren Gesichtseinheit sollte die ideale gang, diese Technik ist wegen guter anatomischer Übersicht be­
Nasenlänge als vertikale Kinnlänge geplant werden, also sonders für die schwierige Revisionsrhinoplastik zu empfehlen.
INL= Distanz SN–MN (7 oben). Darüber hinaus ist die offene Rhinoplastik am besten geeignet,
5 Bei Mandibulafehlbildung oder bei Mikrogenie wird die schwierige Deformitäten der Nasenspitze und ihrer Projektion zu
INL aus der Mittelgesichtshöhe (MGH, 7 oben) abgeleitet, korrigieren. Auch bei stark deviierter Nase und im Falle einer großen
es gilt: Nase mit dickem Hautmantel ist die offene Technik in vielen Fällen
INL=0,67×MGH. die Methode der Wahl. Der operative Zugang ist in . Abb. 73.5 sche-
4 Gleichsam wird bei Mittelgesichtsfehlbildungen (Überentwick- matisch dargestellt (durchgezogene Linie). Wir bevorzugen die Stu-
lung) ohne orthognathe Korrekturoption oder -wunsch die INL feninzision.
an der Mittelgesichtshöhe und nicht am kleineren mandibulären Häufige Deformitäten werden nun gegliedert dargestellt, die
Segment orientiert, es gilt wieder: Techniken können sowohl bei der offenen als auch der geschlos-
INL=0,67×MGH. senen Rhinoplastik angewendet werden.
4 SNMN: Stomion-Menton-Distanz.
4 WP: Nasenwurzelprojektion, KE zu WE.
Typischerweise 9–14 mm, berechnet als
INL×0,28.
4 NSP: Nasenspitzenprojektion, AWG zu NSE. Diese wird berech-
net als
INL×0,67.

Die Kinnprojektion wird gemessen, indem man eine vertikale Linie


von der Hälfte der INL nach kaudal zieht, bei Frauen sollte die idea-
le Kinnprojektion 3 mm hinter dieser Linie liegen, bei Männern liegt
sie meist mehr anterior, zuweilen vor dieser Linie.

73.3 Therapie
73.3.1 Operative Technik

Die operativen Techniken der Rhinoplastik sind mannigfaltig. Man


unterscheidet die offene von der geschlossenen Rhinoplastik. Die
geschlossene Rhinoplastik hat den Vorteil, dass keine äußeren Nar-
ben sichtbar bleiben, ist jedoch technisch äußerst anspruchsvoll und
erfordert extensive Erfahrung, insbesondere wegen eingeschränkter . Abb. 73.6 Die laterale Osteotomie wird als Low-to-high-Osteotomie von
anatomischer Übersicht und der daraus resultierenden schwierigen der Innenseite der Nase von der Apertura piriformis ausgeführt. Die Zeich­
Knorpeldissektion. nung zeigt die alternative Möglichkeit, durch die Umsetzung des Meißels
Es gibt 3 Zugangsmöglichkeiten für die Durchführung einer von außen den Teil der oberen interkanthal gelegenen Osteotomie einfa­
geschlossenen Rhinoplastik (. Abb. 73.5): cher auszuführen
73.3 · Therapie
705 73

. Abb. 73.7 Abtragung des knorpeligen Nasenhöckers mittels Skalpell. . Abb. 73.8 Wenn die Projektion der Nasenspitze stark vergrößert werden
Der knöcherne Anteil wird abgemeißelt oder nur geraspelt muss, empfiehlt sich die Positionierung der Knorpel-Onlays (A) mit Hilfe ei­
nes eines Columellatransplantates (»columellar strut«; B). Dieses hat durch
die posteriore und kaudale Abstützung, v. a. auf der Spina nasi (C), einen
größeren Effekt als das Onlay-Transplantat, insbesondere bei schwachen
Flügelknorpeln oder insuffizientem kaudalem Septum

a b c d

e f

. Abb. 73.9 Zur Stabilisierung, Verschmälerung, Projektionsverbesserung auf der Spina nasi abgestützt werden, verbessern zusätzlich Höhenprojek­
und Symmetrisierung der Flügelknorpel eignen sich interkrurale (a) oder tion und Stabilisierung der Nasenspitze (d). Insuffiziente Flügelknorpel
transdomale Nähte (5-0 monofil; b). Bei unzureichender Formgebung der bei instabiler äußerer Nase können durch kraniale Streifentransplantate
Nähte erlauben Knorpeltransplantate (»tip grafts«) aus Septum oder Ohr­ (»batton grafts«) verstärkt werden (e). Eine instabile, verengte oder ab­
koncha eine weitere Verbesserung der Nasenspitzenprojektion durch unter­ gesackte mittlere Nase wird durch spreizende Knorpelstreifen (»spreader
schiedliche Platzierung der Knorpelstückchen (c). Stütztransplantate (»colu­ grafts) zwischen Septum und medialem Dreiecksknorpel erweitert und
mella strut«) im Bereich der medialen interkruralen Tasche, die zusätzlich stabilisiert (f)
706 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)

73

a b

c d

e f

. Abb. 73.10 Prä-, intra- und postoperativer Aspekt einer 30-jährigen


Pa­tientin mit verbreiterter Basis und Nasenspitzendeformität (engl. »box tip
deformity«) sowie Asymmetrie durch Nasenseptumdeviation nach links
(a–c). Offene Rhinoplastik mit Septumbegradigung, Abtragung des knorpe­
ligen und knöchernen Höckers sowie Reduktion am kranialen Flügelknorpel­
g
rand (d, e). f, g Postoperatives Ergebnis
73.3 · Therapie
707 73
Korrektur des Nasenrückens direkt oberhalb des medialen Kanthus und eine laterale entlang der
Bei Männern verläuft der Nasenrücken im Gegensatz zu Frauen ge- Apertura piriformis, welche nach kranial ausgeführt wird, um dann
rade. Bei Frauen verläuft der Nasenrücken tiefer und steigt zur Na- an der transversalen Osteotomie zu enden.
senspitze minimal an (engl. »supratip break«). Die bei der Höckerabtragung entstehende »open roof defor­
mity« wird durch laterale Osteotomie geschlossen.
Technik. Zunächst erfolgt die subkutane Mobilisation der Haut des
Nasenrückens (. Abb. 73.6). Anschließend das dorsale Abtragen des Korrektur der Nasenspitze
knöchernen Nasenhöckers mit dem geraden Meißel. Daran schließt Überschüssiges Volumen der Nasenspitze resultiert oft aus übermä-
sich die Osteotomie an, die zum Verschluss des »open roof« erfor- ßiger Konvexität des Crus laterale des unteren lateralen Knorpels.
derlich ist. Die vorsichtige Resektion der kranialen Kante des lateralen Crus
Danach erfolgt die knöcherne Korrektur mit der Knochenraspel. führt in diesen Fällen zu einer Volumenreduktion und zu einem
Mit einem Skalpell (Nr. 15; . Abb. 73.7) werden die dorsalen Kanten ästhetisch ansprechenden Ergebnis.
des knorpeligen Septums sowie der obere laterale Knorpel reseziert, Eine zu große interdomale Distanz kann korrigiert werden, in-
bis eine zufriedenstellende Projektion erreicht ist. dem man den Dom der Nasenspitze durch interdigitierende, nicht
vollschichtige Inzisionen schwächt. Alternativ kann auch eine inter-
! Cave
domale Naht und Knorpeltransplantation zum gewünschten Ergeb-
Am knöchernen Nasenbein das Periost nicht unterminie-
nis führen (. Abb. 73.9).
ren, da sonst eine Deintegration von Dreiecksknorpel und
Eine kaudal orientierte Nasenspitze kann korrigiert werden,
Nasenbein resultiert.
indem die kranialen Ecken des Crus laterale durch vorsichtige Re-
sektion verkleinert werden. Alternativ kann das kaudale Ende des
Flacher, breiter Nasenrücken (»Boxernase«). In diesem Fall müs- Septums verkürzt oder das untere Drittel des lateralen Crus vorsich-
sen Osteotomien durchgeführt werden, eine transversal verlaufende tig in entsprechendem Winkel verkürzt werden.

c d

. Abb. 73.11 Prä-, intra- und postoperativer Aspekt einer 22-jährigen Resektion des kranialen Randes der Flügelknorpel, des kaudalen Septum­
Pa­tientin mit verbreiterter Basis und Spitzendeformität (engl. »box tip de­ randes zur Anhebung der Nasenspitze sowie die Verfeinerung der Nasen­
formity«; a–c). Über offenen Zugang (engl. »step incision«; d) erfolgt eine spitze durch interdomale Nähte (e–h). i–k Postoperatives Ergebnis
708 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)

73

e f

g h

i j

k
. Abb. 73.11 (Fortsetzung)
73.3 · Therapie
709 73

a e

c f

. Abb. 73.12a–f Ethnische Nasendeformität bei einer 24-jährigen Patientin.


Prä- (a–c) und postoperativer Aspekt (d–f). Eine offene Rhinoplastik wurde
d
durchgeführt
710 Kapitel 73 · Formstörungen der Nase (Rhinoplastik)

Um die Nasenspitzenprojektion zu vergrößern, kann ein Knor­ Literatur


73 peltransplantat in Onlay-Technik auf die den Dom bildenden Flü- Becker DG (2002) Complications in rhinoplasty. In: Papel I (ed) Facial plastic
gelknorpel aufgebracht werden (. Abb. 73.8). Wenn die Projektion and reconstructive surgery. Thieme, Stuttgart New York, pp 87–96
der Nasenspitze stark vergrößert werden muss, empfiehlt sich die Daniel RK (1997) Rhinoplasty. In: Aston SJ, Beasley RW, Thorne CHM (eds)
Plastic surgery. Lippincott-Raven, Philadelphia, pp 651–669
Positionierung eines Columellatransplantates, was bedeutet, dass ein
Dingman RO, Natvig P (1977) Surgical anatomy in aesthetic and corrective
Knorpeltransplantat nach entsprechendem Zuschnitt columellar
rhinoplasty. Clin Plast Surg 4: 111
eingebracht wird, dieses hat durch die posteriore und kaudale »Ab- Guyuron B (2000) Dynamics in rhinoplasty. Plast Reconstr Surg 105: 2257
stützung« einen größeren Effekt (. Abb. 73.9d) als das Onlay-Trans- Rohrich RJ, Muzaffar AR (2000) Primary rhinoplasty. In: Achauer BM, Eriksson
plantat (. Abb. 73.8). E, Guyuron B et al. (eds) Plastic surgery: indications, operations and out­
Soll die Nasenspitzenprojektion verkleinert werden, ist es comes, vol 5. Mosby, St Louis, pp 2631–2671
empfehlenswert, zunächst die Verbindungen zwischen dem kauda- Rohrich RJ, Muzaffar AR (2006) Primary rhinoplasty. In: Matthes SJ, Hentz VR
len Septum und dem oberen lateralen Knorpel zu lösen, was in einer (eds) Plastic surgery, 2nd edn, chap 54. Saunders, Elsevier, Philadelphia,
Retropositionierung der Nasenspitze resultiert. Eine weitergehende pp 427–471
Projektionsminderung bewirkt die Resektion von Anteilen der Sheen JH (2000) Rhinoplasty: Personal evolution and milestones. Plast Recon­
str Surg 105: 1820
medialen Crura oder der Knorpelanteile, die den Dom bilden. Hier
Sheen JH, Sheen AP (1998) Aesthetic rhinoplasty, 2nd edn. Mosby, St. Louis,
ist schrittweises Vorgehen unbedingt erforderlich, um eine
pp 1–1440
Überkorrek­tur mit resultierendem unbefriedigendem Ergebnis zu Zide BM, Swift R (1998) How to block and tackle the face. Plast Reconstr Surg
vermeiden. 101: 840

Weitere Techniken
4 Knorpeltransplantate
5 »Spreader grafts« (zwischen dorsalem System und Dreiecks-
knorpeln):
Sie werden verwendet, um die Nasenhöhle in Bezug auf ihre
seitlichen Begrenzungen zwischen oberem lateralem Knor-
pel und dem Septum wiederherzustellen.
4 Columellatransplantate:
Sie werden verwendet, um die Crura media zu verstärken und
die Projektion der Nasenspitze (7 oben) zu vergrößern.
4 Knorpeltransplantate zur Nasenspitze (z. B. »shield graft«;
. Abb. 73.9):
Sie vergrößern die Projektion der Nasenspitze und können zur
Korrektur der Proportionen zwischen Nasenlöchern und Na-
senspitze benutzt werden.

Klinische Beispiele sind in den Bilderserien in . Abb. 73.10 bis


. Abb. 73.12 gezeigt.

73.3.2 Postoperatives Management

Es ist empfehlenswert, Schienen (»splints«) einzulegen und ggf. mit-


tels Hemitransfixationsnähten zu fixieren, um Repositionsergebnis
und Formkorrekturen zu halten und einen ungehinderten Sekretab-
fluss zu ermöglichen. Zusätzlich sollte unbedingt eine postoperative
Gipsschienung des Nasenrückens erfolgen, um Dislokationen durch
Anstoßen zu vermeiden und das Repositionsergebnis zu halten.
Insbesondere bei knöchernen Eingriffen ist sowohl intra- als
auch postoperativ die Anwendung von sterilen Tamponaden, die in
4%-iger Kokainlösung getränkt sind, zu empfehlen. Die vasokons-
triktorische Wirkung des Kokains vermindert die Blutungsnei-
gung, die lokalanästhetische Wirkung reduziert den postoperativen
Schmerz.
Gipswechsel ist nach 1 Woche zusammen mit der Tamponaden-
entfernung angezeigt. Die Gipsbehandlung ist in der Regel für 14
Tage indiziert, zusammen mit der Anwendung abschwellender Na-
sentropfen. Dem Patienten ist zu erläutern, dass ein Ergebnis nach
definitivem Abschwellen erst nach 12 Monaten abschließend zu be-
urteilen ist.
74

Formkorrektur der Ohren (Otoplastik)


R. Ipaktchi, A. Gohritz

74.1 Ziel der Operation   – 712

74.2 Präoperatives Vorgehen – 712

74.3 Diagnostik – 712


74.3.1 Indikationsstellung – 712

74.4 Therapie – 712


74.4.1 Konservatives Vorgehen – 712
74.4.2 Operative Techniken – 712
74.4.3 Postoperatives Management – 713
74.4.4 Komplikationen – 713

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
712 Kapitel 74 · Formkorrektur der Ohren (Otoplastik)

Bei Formkorrekturen des Ohres handelt es sich um eine Korrektur 74.3.1 Indikationsstellung
von stark abstehenden Ohren, die bei etwa 5% aller Europäer vorlie-
gen. Der Begriff der Otoplastik wurde bereits 1845 von Dieffenbach Die Indikation zur Otoplastik richtet sich nach dem Ausmaß der
74 erwähnt, es handelte sich jedoch um eine Ohrrekonstruktion. Die
erste rein kosmetische Korrektur der Ohrform wurde 1881 durch Ely
Deformität und dem subjektiven Leidensdruck des Patienten.
Kontraindikationen sind:
beschrieben, der bei starker Apostasis otis die Exzision eines Knor- 4 unrealistische Erwartungshaltungen,
pelstreifens empfahl. Heute werden abstehende Ohren weiterhin als 4 Neigungen zur Bildung von hypertrophen Narben oder Ke­
kosmetische Deformitäten angesehen. Dies gilt v. a. für kleine Kin- loiden,
der, die oft von anderen Kindern gehänselt werden. Abstehende Oh- 4 schlechte Compliance.
ren liegen in aller Regel beidseits vor, können aber auch einseitig
vorkommen.
74.4 Therapie
74.1 Ziel der Operation 74.4.1 Konservatives Vorgehen

Die Otoplastik wird durchgeführt, um eine symmetrische, unauffäl- Da bei Neugeborenen innerhalb der ersten Wochen die Ohrmuschel
lige und nicht überkorrigierte Ohrformen zu schaffen. noch sehr weich ist, kann hier durch Schienung der Ohrmuschel eine
Korrektur der Ohrform herbeigeführt werden. Dieses Verfahren ist
später nicht mehr erfolgreich.
74.2 Präoperatives Vorgehen
Der Operationszeitpunkt sollte erst festgelegt werden, wenn das Ohr 74.4.2 Operative Techniken
seine Form weitgehend entwickelt hat, was frühestens nach etwa
dem 3. Lebensjahr der Fall ist. Kinder sollten noch im Vorschulalter Die Techniken zur Korrektur einer Otapostasis lassen sich in 4 Grup-
operiert werden, um eine Diskriminierung und psychische Belas- pen einteilen:
tung in der Schule (»Jumbo«, »Segelfliegerohren«) zu vermeiden 4 Anmodellierung des Ohrknorpels durch Haltefäden (z. B. zur
und um ihnen eine »normale« soziale Entwicklung zu ermöglichen. Anthelixbildung),
Unter diesem Aspekt handelt es sich auch nicht um einen rein ästhe- 4 Exzision von Knorpelanteilen,
tischen Eingriff, der daher meist durch die Krankenkassen über- 4 Ausdünnen von Knorpelanteilen,
nommen wird. 4 Kombination aus diesen Techniken.
Bei Erwachsenen hingegen wird oft nicht mehr von einer we-
sentlichen psychischen Belastung ausgegangen und aufgrund feh- Rekonstruktion der Anthelixfalte
lender funktioneller Beeinträchtigung die Kostenübernahme meis- Zur Rekonstruktion einer nur mäßig ausgebildeten oder fehlenden
tens verweigert. Anthelixfalte sind mehrere Verfahren möglich.
Die Operation kann, außer bei Kleinkindern, in Lokalanästhesie
oder intravenöser Sedation mit zusätzlicher lokaler Nervenblockade Technik nach Stenström. Bei dem von uns favorisierten Verfahren
durchgeführt werden. Blutverdünnende Medikamente, auch pflanz- nach Stenström (. Abb. 74.1, Operationsbeispiel in . Abb. 74.2)
liche Präparate, sollten vor der Operation rechtzeitig abgesetzt wird über eine retroaurikuläre Stichinzision mit der Schere ein sub-
werden. kutaner Tunnel auf der zu bildenden Anthelixfalte geschaffen, der
nach frontokranial bis auf die Vorderfläche des Ohrknorpels reicht.
Auf der Skapha angekommen, wird nun das Perichondrium und
74.3 Diagnostik Teile des darunter liegenden Knorpels mit einer Raspel im Bereich
der vorher markierten neuen Anthelixfalte eingeritzt. Mittels U-
Die Diagnose einer Otapostasis wird rein klinisch gestellt. Nähten (4-0 Nylon, farblos) wird die neue Anthelixfalte dauerhaft
Ein reguläres Ohr ist ca. 5–6 cm lang. Der Abstand zwischen der fixiert. Die Stenström-Technik hat den Vorteil einer sehr guten Va-
Helix und dem Mastoid sollte am oberen Pol nicht mehr als 20 mm riierbarkeit bei den verschiedensten Deformitäten, ggf. in Kombina-
betragen. Der Winkel zwischen der Ohrmuschel und der Hinter- tion mit einer Kavumrotation.
kopfebene sollte höchstens 30–35° betragen. Im oberen Drittel des
Ohrs sollte sich die Anthelix leicht vorwölben und dann in einem Technik nach Mustardé. In dieser Technik wird das Ohr ange-
Winkel von 90° in die Koncha übergehen. legt und eine Anthelixfalte gebildet. Die Begrenzungen und die
Ursachen einer Apostasis otis sind Position geplanter Haltefäden werden mit einem Stift markiert.
4 am häufigsten eine unterentwickelte Anthelixfalte mit einem Nun wird von posterior mit Haltefäden die Anthelixfalte aufgerich-
Übergangswinkel in die Koncha von >90°, tet, indem man diese mit Rückstichen von der Skapha in Richtung
4 eine prominente Koncha oder eine auf die Koncha fixiert. Hierzu wird nicht oder nur langsam resor-
4 Protrusion des Ohrläppchens. bierbares und möglichst farbloses Nahtmaterial verwendet. Diese
Operation eignet sich v. a. bei geringgradiger Deformität und dün-
Diese Deformitäten können einzeln oder aber auch kombiniert vor- nem Ohrknorpel.
liegen.
Eine genaue prä- und postoperative Fotodokumentation ist un- Technik nach Luckett. Bei zahlreichen anderen Techniken, wie z. B.
bedingt notwendig. Hierbei sollten beide Ohren in frontaler, late- von Luckett beschrieben, wird nach posteriorem Zugang in der
raler und schräger Ansicht fotografiert werden, spezielle Bereiche Längsachse des Ohres eine spindelförmige Exzision von Vollhaut
evtl. sogar mit Vergrößerung dokumentiert werden. und Knorpel durchgeführt und anschließend die Anthelix neu ge-
74.4 · Therapie
713 74
aurikulär wird eine spindelförmige Knorpelexzision durchgeführt,
die ein Anlegen des Ohres ermöglicht. Hierbei muss besonders dar-
auf geachtet werden, die Anthelix nicht zu verletzen oder sichtbare
Knorpelkanten zu schaffen.
Gelegentlich ist bei der Rekonstruktion der Koncha ein kombi-
niertes Vorgehen notwendig.

Korrektur des abstehenden Ohrläppchens


Die oben genannten Techniken bewirken keine Befundbesserung
bei abstehenden Lobuli. Sie können im Gegenteil die Prominenz der
Ohrläppchen noch betonen. Die Korrektur dieser Deformität ist oft
schwierig, eine einfache Hautexzision oder Straffung mit Haltefäden
oft unzureichend.
Korrigierend kann eine spindelförmige Exzision der posterioren
a
Haut des Ohrläppchens erfolgen und das Ohrläppchen mit 2 Stichen
am Unterrand der Koncha fixiert und das Ohrläppchen so nach
kraniodorsal gezogen werden.
> In den meisten Fällen lassen sich mit der einfachen
Anthelixfaltung gute Ergebnisse erzielen, seltener ist
eine Kombination der oben genannten Verfahren er­
forderlich.

74.4.3 Postoperatives Management

Zum Schutz des operierten Ohrs sollte für 5–7 Tage ein permanenter
Verband getragen werden. Hierbei ist auf eine gute Polsterung zu
achten, da Kompression zu starken Schmerzen und in Einzelfällen
b sogar zu Nekrosen der Haut oder Ohrmuschel führen kann.
Anschließend sollten insbesondere Kinder für weitere 4–6 Wo-
. Abb. 74.1a, b Ergebnisse vor und nach Otoplastik in der Technik nach
Stenström (mit Neubildung der Anthelixfalte) chen möglichst ganztags ein Stirnband tragen. Hierdurch soll ver-
hindert werden, dass v. a. nachts unbeabsichtigt Scherkräfte am ope-
rierten Ohr wirken können.
Eine prophylaktische antibiotische Therapie ist postoperativ
formt. Nachteil hierbei ist jedoch, dass sich postoperativ eine Kan- nicht indiziert.
tenbildung der Anthelix und der gesamten Ohrmuschel ausbilden
und das Ohr eine unnatürliche Form annehmen kann.
74.4.4 Komplikationen
> Die retroaurikuläre Inzision darf wegen der besseren
Wundheilung und der unsichtbaren ästhetischen Narben­
Hämatome zählen zu den häufigsten Frühkomplikationen. Revisions­
bildung nicht im Bereich des Sulkus, sondern muss auf der
pflichtige Nachblutungen sind zwar selten, jedoch sollte bei Vorlie-
Hinterwand der Ohrmuschel liegen.
gen eines ausgeprägten Hämatoms umgehend eine Entlastung und
Evakuation erfolgen, um ein Otohämatom und eine nachfolgende
Korrektur der Ohrmuschel Deformität zu verhindern.
Zur Korrektur der Koncha erfolgt am häufigsten: Gelegentlich kommt es auf der Vorderseite der neu geformten
4 die Remodellierung durch Haltefäden (Kavumrotation) oder Anthelixfalte zu einer Hautnekrose, die jedoch meist konservativ zur
4 die Knorpelresektion. Abheilung gebracht werden kann. Infektionen sind sehr selten nach
einer Otoplastik. Bei lokalem Infekt sollte zur Vermeidung einer
Bei der Neuformung durch Fixationsnähte, beschrieben von Furnas, Knorpelbeteiligung eine sofortige antibiotische Therapie eingeleitet
wird die Koncha zunächst von posterior freigelegt, der M. auricularis werden, in manchen Fällen kann ein lokales Débridement notwen-
posterior reseziert und dann der Winkel zwischen Ohrmuschel und dig werden.
Mastoid mit Fäden zwischen der Koncha und der Faszie im Bereich Komplikationen können auch durch das Nahtmaterial hervorge-
des Mastoideus verkleinert. Häufig muss gleichzeitig die Anthelix- rufen werden. So kann insbesondere die Verwendung von gefloch-
falte neu geformt werden, weshalb hier mehrere Verfahren kombi- tenen Nahtmaterialien lokale Fadengranulome verursachen.
niert werden können. Eine Überkorrektur, d. h. ein zu flaches Anliegen des Ohres,
führt ebenso zu einem unnatürlichen Erscheinungsbild, bessert sich
! Cave
selten spontan und ist schwierig zu korrigieren.
Unbedingt ist hierbei eine Einengung des Meatus
Rezidive können bei mangelhafter Operationstechnik oder auch
acusticus zu vermeiden.
bei Patienten mit fehlender Compliance (Verzicht auf Verband/
Bei stark prominenter Koncha kann zur Korrektur eine Knorpelex- Stirnband) auftreten. Wenn intraoperativ die Ohrform nicht wie ge-
zision notwendig werden. Nach Darstellung der Koncha von retro- wünscht korrigiert werden kann, ist auch durch verlängerte post­
714 Kapitel 74 · Formkorrektur der Ohren (Otoplastik)

74

a b

c d

e f

g h

. Abb. 74.2a–h Otoplastik in der Technik nach Stenström. a, b Präoperativ. U-Nähten (4-0 Nylon farblos; e). Postoperative Situation im OP (f) und klini-
c Freipräparieren der Vorderseite der Ohrmuschel. d Ritzinzision der Skapha sches Resultat (g, h)
nach Stenström; zusätzlich Platzierung von subkutanen permanenten
74.4 · Therapie
715 74
operative Fixation und Schienung nur selten eine Besserung zu er-
warten. Auch Infekte und Hämatome können zu erneuter Ohrdefor-
mität führen.

Literatur
Dieffenbach JF (1845) Die operative Chirurgie. Brockhaus, Leibzig
Ely ET (1881) An operation for prominence of the auricles. Arch Otolaryngol
10: 97
Furnas DW (1968) Correction of prominent ears by conchamastoid sutures.
Plast Reconstr Surg 42: 189–193
Luckett WH (1910) A new operation for prominent ears based in the anatomy
of the deformity. Surg Gynecol Obstet 10: 635–637
Mustardé JC (1963) The correction of prominent ears using simple mattress
sutures. Br J Plast Surg 16: 170
Stenström SJ (1963) A »natural« technique for correction of congenitally
prominent ears. Plast Reconstr Surg 32: 509
75

Ästhetische Chirurgie
des oberen Rumpfes,
Abdomens und Körperstamms
P.M. Vogt, A.D. Niederbichler

75.1 Seitliche Geweberesektionen im oberen Rumpfbereich


(Upper Bodylift) – 718

75.2 Abdominoplastik – 718


75.2.1 Chirurgische Therapie – 719

75.3 Total Bodylift – 722


75.3.1 Chirurgische Therapie – 722

75.4 Postoperatives Management – 722


75.4.1 Komplikationen – 725

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
718 Kapitel 75 · Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms

Körperkonturierende Eingriffe im Bereich des Körperstammes, ins­ > Bei der Resektion von lateralem überschüssigem Gewebe
besondere des Adbomens, zählen zu den häufigsten Eingriffen der können gut perfundierte fasziokutane Lappen gebildet
ästhetischen Chirurgie. Sie umfassen insbesondere Straffungsope­ werden, die auch zur autologen Augmentation der
rationen der Bauchdecke, wie die Fettschürzenresektion und Abdo­ erschlafften Brüste eingeschwenkt werden können.
minoplastik und das untere Body Lift, und richten sich damit auf
Problemzonen, die den Patienten im wahrsten Sinne ständig »vor
75 Augen liegen« und die daher oft als besonders belastend empfunden
werden. 75.2 Abdominoplastik
Gemeinsame Ziele dieser Verfahren sind:
4 Abflachung des Abdomens mit Erhalt oder Neupositionierung Indikationen
des Nabels, Die Indikationen zur Abdominoplastik besteht bei:
4 Schaffung einer Taille bei Frauen, 4 überschüssiger Bauchhaut nach starker Gewichtsreduktion,
4 Definition des Gesäßes und 4 überschüssigem Fettgewebe, Lipodystrophie,
4 Anhebung und Straffung des unteren Rumpfes mit dem Mons 4 Striae distensae.
pubis und proximalen Oberschenkelbereich.
Ziele
Der Zweck der Abdominoplastik ist, ein flaches Abdomen mit einem
75.1 Seitliche Geweberesektionen im oberen normal erscheinenden Bauchnabel zu erreichen und hierbei mög­
Rumpfbereich (Upper Bodylift) lichst auffällige Narbenbildung zu vermeiden.

Resektion von Gewebeüberschüssen an der oberen Rumpf- und Tho­ Ätiologie


raxwand, häufig in Form von Rollen oder Wulstbildungen, sind v. a. Häufig sind Abdominoplastiken nach (multiplen) Schwangerschaf­
bei Patienten nach massiver Gewichtsabnahme indiziert (auch ten indiziert, wenn es aufgrund mangelnder Retraktionsfähigkeit
7 Kap. 76). Es erfolgt meist eine transversale Gewebeexzision der Über­ der Bauchhaut zu einem Haut-Weichteil-Überschuss oder ästhetisch
schüsse von Haut- und Fettgewebe am Rücken in Kombination mit störenden streifenförmigen Bindegeweberissen (Striae distensae)
einer Oberarmstraffung (Brachioplastik) und Mastopexie (. Abb. 75.1). kommt. Diese »biologische Haut-Weichteil-Expansion« führt oft
auch zu einem Auseinanderweichen der Mm. recti abdominis (Rek­
Ziele tusdiastase), die zur Bauchdeckenschwäche beiträgt und ein Risiko
Mit diesem Upper Bodylift werden im Idealfall bis zu 3 Ziele er­ für Bauchwandhernien birgt.
reicht: Starke Gewichtsabnahme bedingt darüber hinaus häufig ein
4 Straffung von horizontalen Gewebeüberschüssen durch eine schlaffes Herabhängen der Bauchhaut; das Gewicht des darunter
Verlängerung der Schnittführung zur Oberarmstraffung an der liegenden subkutanen Fettgewebes führt vielfach zu einer ästhetisch
lateralen Thoraxwand, störenden Fettschürzenbildung. Die Bildung von unschönen Striae
4 Straffung von vertikalen Gewebeüberschüssen durch Anhebung distensae kann durch Gewichtsabnahme nicht rückgängig gemacht
der lateralen Inframammarlinie auf ihre ursprüngliche Position werden und ist daher auch manchmal Grund zur Abdominoplastik.
und Exzision von Geweberollen seitlich an der Brust und am Die weibliche Fettgewebsverteilung im Bereich des unteren Ab­
Rücken, domens, der Hüften und der Oberschenkel, sowie die männliche
4 Wiederaufbau der Brust auf der neu angelegten Inframammar­ Fettgewebsverteilung im Bereich des Abdomens, der Flanken und
linie. der Thoraxwand sind weitere ätiologische Faktoren.

a b c

. Abb. 75.1a–c Möglichkeiten der Konturierung am Thorax. a Beim Mann zontale Resektionen von Hautüberschüssen am Stamm mit Platzierung der
können bei extremen Hautüberschüssen Resektionsverfahren wie bei der Narben im BH-Gurtbereich und Richtung Axilla am Rand der Mamma (b, c)
weiblichen Mammareduktion erforderlich werden (a). Entsprechende Kon- Es gilt, die Narben in der Axilla in die Hautfalten zu legen, um Narbensegel
turierungen können auch nach lateral und dorsal erfolgen. Analoge hori- zu vermeiden
75.2 · Abdominoplastik
719 75
Anatomie Die geplante Schnittführung und damit die voraussichtliche Lage
Perfusion. Die Perfusion der Bauchwand wird nach Hugier in 3 Zo­ der Narben sollte ebenso genau besprochen und möglichst in einer
nen eingeteilt: Zeichnung demonstriert werden.
4 Zone I befindet sich direkt über dem M. rectus abdominis und
> Die Anzeichnung der geplanten Resektionen erfolgt
wird durch die Aa. epigastricae profundae superior und inferior
zunächst immer am stehenden Patient, idealerweise be-
versorgt.
reits am Tag vor der Operation. Zusätzlich wird die ge-
4 Hugier-Zone II befindet sich im inferolateralen Anteil der
plante Schnittführung am liegenden Patienten im Bett
Bauchwand und wird durch die Aa. circumflexae sowie die Aa.
oder auf dem Operationstisch simuliert, indem die zu
epigastricae und pudendae superficiales versorgt.
resezierende Haut nach ventral gezogen wird, um das
4 Die Zone III nach Hugier befindet sich lateral über den M. obli­
zu erwartende Ergebnis der Dermatolipektomie zu über-
quus internus und externus. Sie wird über segmental angeord­
prüfen.
nete lumbale und interkostale Perforatoren perfundiert. Die
Zone III ist diejenige, über die der gebildete Lappen bei der
­Abdominoplastik versorgt wird, daher sollte eine exzessive Mo­ Operationstechniken
bilisation und Unterminierung in diesem Bereich unterlassen Bei der Operationstechnik existieren hinsichtlich ihres Resektions­
werden. ausmaßes unterschiedliche Methoden, die sich nach den individu­
ellen Gegebenheiten des Patienten richten.
Innervation. Die sensible Innervation der Bauchwand erfolgt über
die Interkostalnerven VI–XII sowie über den N. cutaneus femoris Vakuumasssistierte Liposuktion (VAL). Die vakuumasssistierte Li­
lateralis, welcher bei der Präparation verletzt werden kann, was zu posuktion (VAL) kann allein oder assistierend eingesetzt werden,
Parästhesien und Neurombildung führen kann. Er verläuft ca. 6 cm um Patienten mit minimalem Hautüberschuss, guter Hautelastizität
medial der Spina iliaca anterior superior. Äste des N. iliohypogastri­ und adäquatem Muskeltonus zu behandeln.
cus und ilioinguinalis können ebenfalls aufgrund ihrer topogra­
phischen Lage bei der Dissektion verletzt werden, insbesondere bei Miniabdominoplastik. Die Miniabdominoplastik ist bei Haut-
tiefer Doppelung der Faszie des M. rectus abdominis. Weichteil-Überschuss im unteren Bereich des Abdomens indiziert,
meist wird sie mit zusätzlicher Liposuktion kombiniert.
Muskulatur. Die Bauchwandmuskulatur besteht aus dem M. rectus Ein 6–15 cm langes, ellipsenförmiges Areal wird, ausgehend von
abdominis, den Mm. obliquus internus und externus sowie dem der Schamhaargrenze, reseziert. Die Höhe des resezierten Areals
M. transversus abdominis. Das superfizielle Fasziensystem wird aus wird durch Zug auf den Bauchnabel, welcher nicht unterminiert
der Scarpa-Faszie gebildet. wird, und die Breite des exzidierten Areals bestimmt. Zur zusätz­
lichen Taillierung kann eine Fasziendoppelung des M. rectus abdo­
Mögliche Kontraindikationen minis unterhalb des Bauchnabels erfolgen (. Abb. 75.2).
4 Ausgedehnte Narben nach abdominellen Voroperationen und
Durchblutungsgefährdung. Modifizierte Abdominoplastik. Die Indikation zur modifizierten
4 Supraumbilikale Narbenbildung. Abdominoplastik besteht bei Überschuss an supraumbilikaler Haut
4 Geplante Schwangerschaft in der Zukunft. und Diastase des M. rectus abdominis im oberen Bereich mit epigas­
4 Nikotinabusus (Gefahr von Minderdurchblutung und Wund­ trischer Laxizität. Eine ausgedehnte Unterminierung des Gewebes
heilungsstörungen). verbietet sich aufgrund vorhandener Narben im Bereich des Opera­
4 Schwere chronische Allgemeinerkrankungen (z. B. Diabetes tionsgebietes.
mellitus, COPD etc.). Die Operationstechnik besteht in einer ellipsenförmigen Resek­
tion des Areals unterhalb des Bauchnabels. Die Inzision erstreckt
sich jedoch nicht bis ganz zur Spina iliaca anterior superior. Danach
75.2.1 Chirurgische Therapie erfolgen die Unterminierung der Wundränder und Plikation des
M. rectus abdominis vom Xiphoid bis zum Schambein über der ge­
Operative Planung samten Länge sowie in einer Unterminierung des Gewebes ober-
Die operative Planung sollte neben der körperlichen Basisunter­ und unterhalb des Bauchnabels. Um eine Neupositionierung des
suchung und dem Lokalbefund (Narben im Operationsgebiet, Diag­ Nabels zu ermöglichen, kann es in manchen Fällen erforderlich sein,
nostik von Rektusdiastase und Herniationen) insbesondere die Be­ die Basis des Bauchnabels zu durchtrennen.
rechnung des aktuellen Body-Mass-Index (BMI; Körpergewicht in
kg geteilt durch Quadrat der Körpergröße in m) beinhalten. Standardabdominoplastik. Sie ist bei Patienten mit erheblichem
Da es sich meist um vorwiegend ästhetische Eingriffe handelt, Haut-Weichteil-Überschuss und Diastase des M. rectus abdominis
müssen auch die Evaluation der psychischen Situation und Motiva­ indiziert. Die Inzision erfolgt weit U-förmig von der einen Spina
tion des Patienten und die voraussichtliche Compliance (periopera­ iliaca anterior superior zur anderen Seite (. Abb. 75.3a). Die Breite
tive Nikotinkarenz, konsequente postoperative Kompressionsbe­ des zu resezierenden Areals richtet sich nach individuellen Gegeben­
handlung) in die Überlegungen einbezogen werden. heiten und wird durch die Breite der Spindel limitiert.

> Vor allem bei primär ästhetischer Indikation muss umfas- > Um eine Einziehung der Narbe im Unterbauch zu vermei-
send auf die erhebliche Komplikationsrate, die insbeson- den, wird der kaudale Exzisionsrand mit seiner dicken
dere bei Rauchern erhöht ist, hingewiesen werden: Auffäl- Fettschicht schräg nach kranial auslaufend eingeschnit-
lige Narbenbildung, Wundheilungsstörungen, Gewebe- ten, sodass der meist wesentlich dünnere kraniale Wund-
verlust und mögliche Nachkorrekturen können das ästhe- rand ohne Stufenbildung eingepasst werden kann.
tische Ergebnis negativ beeinflussen.
720 Kapitel 75 · Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms

75

a b

c d

e f

. Abb. 75.2 Bei der Miniabdominoplastik wird ein unterhalb des Nabels exzidierten Areals, bestimmt (c, d). Zur zusätzlichen Taillierung kann eine
vorhandener Gewebsüberschuss (a, b) ellipsenförmig ausgehend von der Fasziendoppelung des M. rectus abdominis unterhalb des Bauchnabels er-
Schamhaargrenze reseziert. Die Höhe des resezierten Areals wird durch Zug folgen. e, f Endergebnis nach Dermolipektomie und abdomineller Faszien-
auf den Bauchnabel, welcher nicht unterminiert wird, und die Breite des raffung

Die Unterminierung des oberen Wundrandes sollte mittig bis zum > Der Wundverschluss mit Rekonturierung der Bauchwand
Xiphoid und zur Rippengrenze erfolgen, lateral reicht oft eine weni­ sollte am besten zunächst durch entlastende Nähte der
ger ausgedehnte Mobilisierung aus. Scarpa-Faszie und Dermis von lateral nach medial durch-
Die Neupositionierung des Bauchnabels, der dreiecksförmig geführt werden, wobei durch Zug des kranialen Wund-
umschnitten und schornsteinartig aus der Bauchwand gelöst wird, randes nach medial die Ausbildung von seitlichen Gewe-
erfolgt durch eine umgekehrte U-förmige Inzision an neuer Stelle im beüberschüssen (»dog ear«) vermindert werden kann.
Bereich des Abdominoplastiklappens (. Abb. 75.3).
Erst die plissierende Intrakutannaht erfolgt dann von medial nach
> Der Bauchnabel wird dreiecksförmig eingenäht, da eine
lateral, zusätzlich wird die Wunde mit längs aufgeklebten Steristrips
kreisförmige Naht eher die Gefahr einer zirkulären Kon-
stabilisiert.
traktion birgt.
Nach erneuter Blutstillung erfolgt der schichtweise Wundverschluss.
75.2 · Abdominoplastik
721 75

a b

c d

e f

. Abb. 75.3 Abdominoplastik mit W-förmiger unterer Inzision (a, b; Resek-


tat c). Diese flacht sich meist nach Herunternähen der kranialen Haut ab (d).
Intraoperative Markierung der Nabelimplantation über eine umgekehrte
U-Inzision. Das Läppchen bildet den distalen Anteil der Nabelsenke (e).
Durch diese Technik verhindert man eine konzentrische Narbe der Nabel­
g
öffnung (f, g)
722 Kapitel 75 · Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms

High-lateral-tension-Abdominoplastik. Bei dieser Technik, 1995 Erwähnenswert ist, dass die Rekonstruktion des SFS bei Opera­
erstmals durch Ted Lockwood beschrieben, erfolgt die Unterminie­ tionen wie der Abdominoplastik und der Total-Bodylift-Operation
rung des Haut-Weichteil-Lappens limitiert auf den Bereich der pa­ zur Reduktion von Wunddehiszenzen und Narbenverbreiterung
ramedianen Zone. Danach wird diskontinuierlich mit der Liposuk­ führt, was die Wichtigkeit unterstreicht, diese stabile Faszienschicht
tion nach lateral Gewebe mobilisiert. Durch dieses Vorgehen werden nach Abdominoplastik und Total-Bodylift-Operation zu rekonstru­
die Perforatorgefäße der Huger-Zone III nicht beschädigt, sodass die ieren und somit die postoperative Wundstabilität nicht ausschließ­
75 Perfusion des Abdominoplastiklappens nicht kompromittiert wird. lich der Subkutan- bzw. Hautnaht zu überlassen.
! Cave
Bei jeder Liposuktion im Bauchbereich, gerade bei Patien­
ten nach starken Gewichtsschwankungen (Rektusdiasta-
75.3.1 Chirurgische Therapie
se!), muss v. a. periumbilikal auf oft schwer zu erkennende Hautmarkierungen
Hernien geachtet werden, da eine Verletzungen innerer
Diese sollten unbedingt am stehenden Patienten ausgeführt werden.
Organe durch die Absaugkanüle zu lebensgefährlichen
Der geplante Verlauf des Hautverschlusses sollte in der Falte zwi­
Komplikationen (Peritonitis) und Tod führen kann.
schen Perineum und Oberschenkel liegen, vertikal entlang dem
Es folgen eine hohe laterale Hautresektion und die Rekonstruktion Mons pubis und nach lateral 2–3 cm unterhalb der Spina iliaca ante­
des superfiziellen Fasziensystems (SFS). Der Effekt dieses Vorgehens rior superior verlaufen. Dorsal soll der Hautverschluss bogenför­
besteht in einem seitlichen Gewebezug, was sich bei ungleichför­ mig nach kaudal nah dem oberen Aspekt der Glutäalfalte erfolgen
miger Fettgewebsverteilung in den Flanken positiv auf die postope­ (. Abb. 75.4).
rative Gewebefestigkeit auswirkt: Der Haut-Weichteil-Mantel wird
sozusagen nach lateral oben »aufgespannt«. Operationstechnik
Die Lagerung des Patienten erfolgt zunächst meist in Bauchlage,
! Cave
dann intraoperativ in Rückenlage.
Von diesen Standardtechniken ist das Vorgehen bei
Die Hautlappen werden direkt über der korrespondierenden
Pa­tienten nach massiver Gewichtsabnahme abzugrenzen
Muskelfaszie gehoben, sodass sich das subkutane Fettgewebe samt
(7 Kap. 76), bei denen oft ein modifiziertes Vorgehen
SFS im gehobenen Lappen befindet (. Abb. 75.4). Es ist unbedingt
notwendig ist, um Komplikationen, v. a. Gewebeverluste,
zu beachten, nicht in das lymphatische Abflusssystem des femoralen
zu vermeiden.
Dreiecks zu gelangen, um langwierige Komplikationen wie z. B. eine
Oft kann jedoch in diesen Fällen z. B. durch eine reine Amputation Lymphozele zu vermeiden. Der N. cutaneus femoris lateralis muss
einer massiven Fettschürze, ohne Unterminierung der Wundränder, dargestellt und geschont werden.
ein guter Kompromiss aus ästhetisch-funktionellem Gewinn und Weiterhin werden Haut-Weichteil-Lappen glutäal und in der
akzeptabler Komplikationsrate erreicht werden. Trochanterregion gehoben, wobei darauf geachtet werden muss,
oberhalb der Glutäalgefäße zu präparieren, um diese nicht zu verlet­
zen. Im Bereich der Trochanterregion muss sorgfältig darauf geach­
75.3 Total Bodylift tet werden, alle bindegewebigen Bänder zu lösen, um ein optimales
ästhetisches Ergebnis zu erreichen.
Indikation Ein wichtiger Schritt der Operation ist das zirkumferenzielle Un­
Diese Operation kann bei Patienten sinnvoll sein, die an einer mit­ terminieren des Haut-Weichteil-Mantels der Oberschenkel bis auf
telgradigen bis schweren Laxizität des Haut-Weichteil-Gewebes des die Höhe der Kniegelenke mit dem Lookwood-Dissektor, um die
Gesäßes, der lateralen und medialen Oberschenkelregion sowie des SFS-Verbindungen zu lösen und eine Mobilisation und Neupositio­
unteren Körperstamms leiden. Der ideale Patient für eine Total-Bo­ nierung des Gewebes zu ermöglichen, ohne die Perforatoren zu zer­
dylift-Operation ist gewichtsstabil bei nahezu idealem Körperge­ stören. Dies ist mit der Liposuktionskanüle (ohne Sog) gut möglich.
wicht und weist eine normale Dicke des subkutanen Fettgewebes auf, Ein Vorteil ist die maximale Schonung der vaskulären Strukturen
aber eine starke Hautlaxizität im Bereich des unteren Körperstamms sowie der Lymphgefäße.
und der Hüftregion, meist nach starker Gewichtsabnahme. Die überschüssige Haut wird nun reseziert, danach ein schicht­
weiser Wundverschluss, beginnend von der SFS, durchgeführt. Die
Präoperative Diagnostik Einlage von Redon-Drainagen ist von essenzieller Wichtigkeit, um
Die körperliche Untersuchung richtet sich hier speziell auf die zu Hämatome und Seromformation zu vermeiden.
resezierenden Hautüberschüsse im unteren Rumpfbereich und die Zum Schluss wird der Patient aufgesetzt, die Hüften werden ge­
mechanischen Qualität der Haut in diesen Arealen, die mit dem beugt und die Knie angewinkelt. Die perineale Resektion wird unter
Kneiftest (»pinch«) untersucht wird. Der Body-mass-Index (BMI) Schonung der Lymphgefäße im Bereich des medialen Oberschenkels
wird bestimmt, um Veränderungen im Verlauf der Behandlung ob­ durchgeführt. Die Resektion sollte bei Frauen vorsichtig geschehen,
jektivieren zu können. um Verziehungen der Vulva zu vermeiden.

Anatomie
Das zentrale Element der 1992 von Lockwood beschriebenen Ope­ 75.4 Postoperatives Management
ration ist die Straffung der Scarpa-Faszie, die er als superfizielles
Fasziensystem (engl. »superficial fascia system«; SFS) bezeichnet. Der Patient wird mit elastischen Binden bandagiert. Die Kompres­
Das SFS ist ein bindegewebiges Netzwerk im subkutanen Fettge­webe, sion schließt die kompletten Beine und auch die Hüft- und untere
welches Haut- und Fettgewebe mit dem muskuloskelettalen System Stammregion ein. Nach 2–3 Tagen Bettruhe beginnt die vorsichtige
verbindet. Die Funktion des SFS ist es, das subkutane Fettgewebe zu Mobilisation. Die elastische Kompression wird jedoch beibehalten,
umschließen und so zu seiner Stabilität beizutragen. am besten durch eine speziell angepasste Kompressionshose für
75.4 · Postoperatives Management
723 75

c
a b

d e f

. Abb. 75.4 Inzisionslinien beim Bodylift. Man beachte die laterale Rota­ resektion (c–e). Es wurden die alten Abdominoplastiknarben als stabile
tion der hüftseitigen Haut nach kranial (a, b). Hier wird das Maximum kraniale Verankerung gewählt (f). Intraoperativer Situs mit gut erkennbarem
an Hautresektion erzielt. Unteres Bodylift bei Patientin nach massiver Ge- supefiziellem (Scarpa-)Fasziensystem (g). Intraoperatives Ergebnis (h, i).
wichtsabnahme und Zustand nach bereits erfolgter Bauchfettschürzen­ Postoperativer Befund (j–l)
724 Kapitel 75 · Ästhetische Chirurgie des oberen Rumpfes, Abdomens und Körperstamms

75

h i

j k l

. Abb. 75.4 (Fortsetzung)


75.4 · Postoperatives Management
725 75
4 Wochen. Die Gabe von NSAID zur Abschwellung und ggf. einer Literatur
Antibiotikaprophylaxe kann notwendig sein. Eine Low-dose-Hepa­ Kelly HA (1910) Excision of fat of the abdominal wall lipectomy. Surg Gynecol
rinisierung ist zur Vermeidung von Thrombosen und Lungenembo­ Obstet.10: 229
lie selbstverständlich. Bozola AR, Psillakis JM (1988) Abdominoplasty: A new concept and classifica-
tion for treatment. Plast Reconstr Surg 82 (6): 983–993
Grazer FM, Goldwyn RM. Abdominoplsty assessed by survey with emphasis
on complications. Plast Reconstr Surg 59 (4): 513–7
75.4.1 Komplikationen Greminger RF (1987) The mini-abdominoplasty. Plast Reconstr Surg 79 (3):
356–65
Die Komplikationsraten nach Straffungsoperationen am Stamm, Hester TR Jr, Baird W, Bostwick IIIrd J et al. (1989) Abdominoplasty combined
v. a. nach Abdominoplastik, sind erheblich und liegen je nach Defi­ with other major surgical procedures: Safe or sorry? Plast Reconstr Surg
nition bei bis zu 30–50%. 83 (6): 997–1004
Serome sind häufig, ihr Auftreten kann durch konsequentes Tra­ Lockwood T (1993) Lower body lift with superficial fascial system suspension.
gen eines Stützverbandes (am besten angepasste Kompressionsbe­ Plast Reconstr Surg 92: 1112–1122; discussion 1123–1115
kleidung) für 4–6 Wochen postoperativ vermindert werden. Lockwood TE (1995) High-lateral-tension abdominoplasty with superficial
fascial system suspension. Plast Reconstr Surg 96 (3): 603–615
Verzögerte Wundheilung, Infektionen und Gewebeverluste kön­
Lockwood TE (2004) Maximizing aesthetics in lateral-tension abdominoplasty
nen den postoperativen Verlauf komplizieren und die Behandlungs­
and body lifts. Clin Plast Surg 31 (4): 523–37
dauer erheblich verlängern. Sie treten gehäuft bei Rauchern und Pitanguy I (1975) Abdominal lipectomy. Clin Plast Surg 2 (3): 401–410
nach extremer Gewichtsabnahme auf. Selten kommt es zu einer Lap­ van Uchelen JH, Werker PM, Kon M (2001) Complications of abdominoplasty
pennekrose, die je nach Ausmaß behandelt werden muss. in 86 patients. Plast Reconstr Surg 107 (7): 1869–1873
! Cave
Hämatome, Serome und anhaltende Ansammlungen von
Lymphflüssigkeit sind v. a. nach starken Gewichtsschwan-
kungen gehäuft zu beobachten. Hier empfiehlt sich intra-
operativ eine besonders subtile Blutstillung mit Ligatur
der oft kaliberstarken Gefäße.
Postoperative Asymmetrien der Bauchwand kommen vor, v. a. stört
viele Patienten, wenn der Nabel ihrer Meinung zu niedrig oder nicht
in der Mitte liegt.
> Zum Vergleich mit dem präoperativen Befund der Bauch-
wand, v. a. der Nabelposition, ist hier eine genaue Foto­
dokumentation unerlässlich.
Verletzungen der oberflächlichen Hautnerven, des N. cutaneus fe­
moris lateralis, N. iliohypogastricus und N. ilioinguinalis, können
zu einer Neurombildung mit extrem unangenehmen Schmerzen
führen.
Hypertrophe Narbenbildung wird frühestens nach einem halben
Jahr, meist durch oberflächliche Narbenexzision und erneute span­
nungsfreie Intrakutannnaht, korrigiert.
Venöse Thrombosen und pulmonale (Fett-) Embolie sind wei­
tere seltene Risiken. Prophylaktisch wirken eine perioperative Anti­
koagulation und die frühzeitige Mobilisierung.
76

Körperkonturierung nach extremer


Gewichtsabnahme
A.Gohritz, P.M. Vogt

76.1 Adipositas – 728

76.2 Chirurgische Strategie – 728

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
728 Kapitel 76 · Körperkonturierung nach extremer Gewichtsabnahme

Das in allen Industrieländern voranschreitende Problem des patho- Unterschieden werden


logischen Übergewichts hat zur Entwicklung des chirurgischen 4 restriktive (Magenband),
Schwerpunkts der bariatrischen Chirurgie geführt. Dabei verzahnen 4 restriktive malabsorptive Eingriffe (Bypass).
sich die operativen intestinalen Verfahren zur Reduktion der Nah-
rungsabsorption und die an der Körperoberfläche stattfindenden Ein laparoskopisch einstellbares Magenband (»lap band«) erreicht
Konturierungsoperationen der Plastischen Chirurgie. Bariatrische etwa eine Gewichtsreduktion von ca. 50% des Übergewichts. Bei rein
Operationen bei morbider Adipositas sind lebensverändernde Ope- restriktiven Eingriffen können nur etwa 50% der Patienten später
rationen. Die anschließende Neuformung des Körpers hat einen ihren Gewichtsverlust halten. Kombinierte Eingriffe erzielen meist
wichtigen Einfluss auf das physische und psychosoziale Wohlbefin- größere Gewichtsabnahmen. Hier wird zum einen die Nahrungsmit-
76 den der Patienten. Idealerweise sollten diese Verfahren interdiszip- telabsorption dadurch verringert, dass der Speisebrei am Duodenum
linär an entsprechenden Zentren angeboten werden. Die postbaria- und Teilen des Dünndarms vorbeigeführt wird (Bypass). Hier be-
trische Körperkonturierung ist mit nicht unerheblicher Narbenbil- steht das Risiko von Mangelernährungserscheinungen. Der Roux-
dung verbunden. Wegen der hohen ästhetischen Ansprüche ist ein XY-Bypass erreicht eine Reduktion des Übergewichts von >50%.
eigenes Konzept erforderlich. Die Grundprinzipien dieser Thera-
> Diese extremen Gewichtsabnahmen hinterlassen Haut­
pieform werden in diesem Beitrag geschildert.
überschüsse von unterschiedlichen Ausprägungen an
nahezu allen Körperregionen, die chirurgisch korrigiert
werden können. Jeder Patient muss individuell untersucht
76.1 Adipositas und behandelt werden.
Definition. Die Adipositas wird nach dem Body-Mass-Index (BMI) Fettabsaugung allein ist meist nicht ausreichend effektiv. Diese kann
eingeteilt. Dieser errechnet sich als Quotient aus dem Körpergewicht jedoch bei weniger stark ausgeprägten Unregelmäßigkeiten beglei-
in kg und dem Quadrat der Größe in Metern [kg KG/m2] (. Tab. 76.1). tend zu chirurgischen offenen Exzisionen durchgeführt werden,
Die morbide Adipositas ist mit einer Vielzahl von Begleiter­ auch zur späteren Nachkorrektur oder Verfeinerung der Konturen.
krankungen vergesellschaftet:
4 koronare Herzerkrankung, Hypertonus,
Prinzipien
4 Asthma, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD),
4 obstruktive Schlafapnoe, 4 Operationen zur Verbesserung der Körperkontur sollten erst
4 Diabetes mellitus, angeboten werden, wenn das Gewicht über mindestens
4 gastroösophagealer Reflux, 6 Monate konstant gehalten wurde.
4 erhöhte Malignitätsrate, 4 Präoperativ ist eine Mangelernährung auszuschließen.
4 Arthrose. 4 Die besten ästhetischen Ergebnisse mit dem niedrigsten
perioperativen Risiko werden bei Patienten mit einem
Als spezielle Komplikationen des Hautüberschusses ergeben sich Body-Mass-Index zwischen 25 und 30 kg KG/m2 nach einer
4 intertriginöse Infektionen und Hautausschläge, bariatrischen Operation erreicht.
4 muskuloskelettale Schmerzsyndrome,
4 funktionelle Einschränkungen (Gehen, Körperpflege, Toilette,
Sexualität),
4 geringes Selbstvertrauen und Depressionen. 76.2 Chirurgische Strategie
Definition. Als bariatrische Operationen werden offene und lapa- Eine stufenweise Abstimmung der Verfahren mit den intestinalen
roskopische Operationen zur Gewichtsreduktion bezeichnet. Operationen (Heitmann u. Germann 2007) und dem Fortgang der
Bei laparoskopischem Zugang ist die Morbidität hinsichtlich Gewichtsreduktion ermöglicht die optimale Planung und einen
Wundinfektionen, Wunddehiszenzen und inzisionsbedingten Her- möglichst effizienten Einsatz der plastisch-chirurgischen Methoden
nien verringert. Indiziert sind derartige Verfahren erst bei Versagen (Sati u. Pandya 2008). Notwendig sind dabei ausführliche Gespräche
sämtlicher diätetischer Maßnahmen. mit dem Patienten, um Erwartungen, Ziele, aber auch die plastisch-
chirurgischen Möglichkeiten in Einklang zu bringen. Diskutiert
werden müssen mögliche Risiken und Komplikation, die entstehen-
. Tab. 76.1 Klassifikation der morbiden Adipositas den Narben und deren Auffälligkeiten ebenso wie die Anzahl der zu
erwartenden operativen Einzelschritte, geplante Folgeeingriffe sowie
Schweregrad BMI Beispiel Korrekturoperationen.
der Adipositas [kg KG/m2] Zielsetzung ist es, funktionelle ebenso wie ästhetische und psy-
chologische Einschränkungen durch die Hautüberschüsse zu ver-
Adipositas BMI >30 z. B. Gewicht 102 kg, Körper­ mindern.
größe 1,80 m Die gewebereduzierenden Eingriffe werden meist in folgender
Schwere BMI >35 z. B. Gewicht 121 kg, Körper­ Reihenfolge durchgeführt:
Adipositas größe 1,80 m 1. Rumpf, Abdomen, Gesäß und Oberschenkel,
Morbide BMI >40 Ideales Körpergewicht um 2. oberer Thorax, Brüste, Oberarme,
Adipositas >50 kg überschritten oder 3. Innenseiten der Oberschenkel,
>100% über Idealgewicht 4. Gesicht.
Superadipositas BMI >50 Körpergewicht, das das Ideal­
gewicht um >225% übersteigt
76.2 · Chirurgische Strategie
729 76
Wahl des Zeitpunkts der Körperkonturierung Ein nicht unbedeutender Aspekt ist die Frage der medizinischen
nach bariatrischer Operation Notwendigkeit und die damit unmittelbar zusammenhängende Fra-
Patienten nach extremer Gewichtsabnahme sollten erst operiert ge der Kostenübernahme seitens der Kostenträger. Medizinisch re-
werden, wenn sie ihr Gewicht für mindestens 6 Monate konstant levante Hauterkrankungen und funktionelle Behinderungen durch
gehalten haben. Dies entspricht meist einem Zeitraum von 12–18 die Gewebeüberschüsse rechtfertigen aber in der Regel die medizi-
Monaten nach der Gastric-Bypass-Operation. Dies erlaubt dem Pa- nische Indikation.
tienten, wieder ein metabolisches und Ernährungsgleichgewicht zu
erlangen. Chirurgische Techniken
Spezielle plastisch-chirurgische Aspekte
! Cave
Plastische Maßnahmen zum Bodycontouring stellen anspruchsvolle
Zudem führt extreme Gewichtsabnahme mit seinen meta­
Operationen dar und erfordern entsprechende Fachkenntnisse. Be-
bolischen Folgen zunächst zu einer deutlichen Verschlech­
sondere Bedeutung hat hier die präoperative Planung mit Markie-
terung der Wundheilung.
rung der Inzisionslinien.
Das Risiko für chirurgische Komplikationen sinkt signifikant von
! Cave
etwa 80 auf 33%, sobald der Patient sein ideales Körpergewicht er-
Versuche, einen bariatrischen intestinalen Eingriff mit ent­
reicht hat. Ebenso sind die ästhetischen Ergebnisse bei Patienten mit
sprechenden Reduktionen von oberflächlicher Körper­
nahezu idealem Körpergewicht deutlich besser.
masse durch Fettschürzenresektion zu kombinieren, sind
Die meisten Patienten stellen sich mit einem Body-Mass-Index
kritisch zu bewerten, da höchst risikobelastet.
von 30–35 kg KG/m2 nach einer bariatrischen Operation zur kör-
perstraffenden Operation vor. Zunächst sollte eine Panikulektomie Zum einen lassen sich adäquate Ergebnisse aufgrund der schwie-
oder Mammareduktion durchgeführt werden, da hierbei für moti- rigen Narbenplatzierung, insbesondere bei fehlender präoperativer
vierte Patienten die sportliche Betätigung wesentlich erleichtert wer- Planung, kaum erzielen. Zum anderen kann es aufgrund von Durch-
den kann. Die besten Ergebnisse werden bei Patienten erzielt, bei blutungsstörungen und einer nicht ausgeglichenen Malnutrition zu
denen der Body-Mass-Index nach massiver Gewichtsabnahme bei einer drastisch erhöhten Rate an Komplikationen kommen wie
25–30 kg KG/m2 liegt (Buchwald et al. 2004; Heitmann u. Germann 4 Wundinfektionen,
2007). 4 Hautnekrosen,
4 pulmonale Einschränkungen und
Präoperative Patientenevaluation 4 Letalität (Acarturk et al. 2004).
Zunächst wird der Body-Mass-Index bestimmt, dann medizi-
nische und psychiatrische Zusatzerkrankungen und Probleme er- Entsprechende Eingriffe sollten daher erst bei Erreichung eines sta­
fasst, insbesondere Mangelernährungszustände, sofern messbar bilen Körpergewichts durchgeführt werden.
(Eisenmangelanämie, Vitamin-B12-Mangel, Kalziummangel, Zink- Die Platzierung der Narben sollte den ästhetischen Ansprüchen
mangel, Mangel an fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K und Pro­ genügen und orientiert sich in der Regel an der Lokalisation natür-
teinmangel). licher Hautfalten (»relaxed skin tension lines«) sowie an anato-
Auf die präoperative Planung sollte größte Sorgfalt verwendet mischen Regionen (Unterbrustfalte, Beckenkammleiste etc.).
werden, um die bestmöglichen funktionellen und ästhetischen Er- Als wesentliche Verfahren haben sich heute die unten aufgeführ-
gebnisse zu erzielen. Einflussfaktoren sind dabei u. a. Fettdepots ten großen Gruppen der Eingriffskategorien etabliert (. Tab. 76.2).
sowie die Gewebsqualität (Elastizität, Striae, Intertrigo) der Haut­ Für die genannten Indikationsbereiche und Körperregionen
überschüsse sowie die Qualität der verbliebenen Haut. Die regio- kann die Plastische Chirurgie mit etablierten Methoden heute für die
nalen Fettdepots und die Hautfettüberschüsse werden lokalisiert,
markiert und das Ausmaß der Exzisionen mittels Kneiftest (»pinch
test«) abgeschätzt.
. Tab. 76.2 Operationsverfahren des Bodycontouring
> Die Platzierung der Narben ist präoperativ am stehenden
wie am liegenden Patienten zu planen, da diese doch z. T. Körperregion Verfahren
eine beträchtliche Ausdehnung annehmen können und
insbesondere auf dem Operationstisch erheblich abwei­ Thorax und 4 Mammastraffungen bei Frauen
Abdomen 4 Hautmantelstraffungen am lateralen
chen können. Wichtig ist es, den Patienten über Narben­
Thorax und Rücken
verlauf, zu erwartende Ergebnisse, aber auch die Kom­
4 Angleichende Brustkonturierung beim
plikationsmöglichkeiten gründlich und realistisch aufzu­ männlichen Gynäkomastiebefund
klären. 4 Abdominale Straffungsoperationen
4 Reduktion von Hautschürzen im Flanken-
Auch müssen die unterschiedlichen Fettverteilungsmuster bei Män-
bereich
nern und Frauen angesprochen werden, da diese die Ergebnisse
ebenfalls determinieren. Untere Abdominal-, 4 Bodylift mit Anhebung der abgesackten
Die wichtigen Evaluierungspunkte bei geplanter Körperkontu- Gesäß- und Ober- Oberschenkel- und Glutäalhaut sowie
rierung nach extremer Gewichtsabnahme sind: schenkelregion 4 Isolierte Oberschenkelstraffung innen­
4 Habitus/Fettverteilungsmuster, seitig
4 Gesäßstraffung
4 Morphologie der Hautüberschüsse,
4 Ausmaß der Hautlaxizität, Oberarm 4 Oberarmstraffungen
4 Body-Mass-Index zum Zeitpunkt der Untersuchung, Gesicht, Hals 4 Halshautstraffungen
4 Hautqualität, 4 Gesichtshautstraffungen
4 mögliche Platzierung der Narben.
730 Kapitel 76 · Körperkonturierung nach extremer Gewichtsabnahme

Patienten äußerst befriedigende Ergebnisse der Körperkonturierung entsprechenden Eingriff zu unterziehen. Realistische Aufklärung
erzielen. und fachärztliche Standards sind hier unabdingbare Vorausset-
Wichtige Grundsätze für die einzelnen Körperregionen sind in zungen, um die Eingriffe für die Patienten sicher und für die Kosten-
der . Übersicht zusammengefasst. träger ressourcenschonend durchzuführen.

Dermolipektomien zur Beseitigung pathologischer Fettschürzen


Grundsätze für die einzelnen Körperregionen
Im Bereich des Abdomens liegt typischerweise die den Patienten am
beim Bodycontouring
stärksten belastende Deformität vor, v. a. bei Frauen kann zudem
4 Die größte Deformität liegt meistens im Bereich des eine starke Ptose des Mons pubis vorliegen. Ziele sind daher die
76 Abdomens vor. Schaffung einer flacheren Bauchkontur, die Straffung der Bauch­
4 Der größte Gewebeüberschuss am Thorax findet sich oft wand mit Fasziendopplung und, wenn vorhanden, Verschluss von
entlang der lateralen Axillarlinien. ventralen Hernien, sowie die Anhebung und Straffung des Mons
4 Der Rumpf, der laterale Oberschenkel und die Gesäßhaut pubis.
sollten als eine ästhetische Einheit behandelt werden. Die traditionelle Abdomenplastik reicht hier oft nicht aus, um
4 Mittels einer gürtelförmigen zirkumferenziellen Lipektomie eine maximale Verbesserung der Körperkontur dieser Patienten zu
oder einem unteren Bodylift lässt sich ein Hautfettgewebe- erreichen, weil sie z. B. die lateralen Gewebeüberschüsse nur unzu-
überschuss in diesen Bereichen resezieren und gleichzeitig reichend korrigiert.
eine Straffung des Gesäßes und der lateralen Oberschenkel Zu dieser Indikationsgruppe zählen meistens Patienten mit noch
erreichen. vorhandenem pathologischem Übergewicht (Body-Mass-Index
4 Bei der Straffung der lateralen Oberschenkel wird eine Lipo- >30). Die Indikation zum plastisch-chirurgischen Eingriff besteht
suktion durchgeführt und die Adhärenzzonen abgelöst. auch deshalb, weil extreme Fettschürzen oder auch Lefzen an den
Dies erlaubt eine noch effektivere Anhebung der seitlichen Oberschenkelinnenseiten durch Intertrigo massive Hautentzündun­
Oberschenkel. gen mit fortgeleiteten Infektionen bis hin zur Sepsis herbeiführen
4 Patienten nach massiver Gewichtsabnahme benötigen können. Nicht selten werden auch durch venöse Stase und extremes
meist zusätzlich eine Brustreduktion oder Mastopexie, in Lipödem Hautulzerationen mit Sickerblutung beobachtet. Hierbei
Abhängigkeit vom Gewebeverlust an der Brust. handelt es sich dann um dringliche Indikationen zum chirurgischen
4 Bei Patienten mit vorzeitiger Hautlaxizität im Gesicht liegt Eingriff, wobei immer das Risiko von postoperativen Wundhei-
eher ein Hautüberschuss als eine Laxizität des SMAS vor. lungsstörungen einkalkuliert werden muss.
4 Liposuktionstechniken können als zusätzlicher Eingriff nach Allerdings kann bei dieser Indikationsgruppe die Entfernung
Exzisionsoperationen zur weiteren Verfeinerung der Kontur der pathologischen Fettschürze zu einer so drastischen Erleichte-
eingesetzt werden. rung für den Patienten führen, dass die Motivation für eine weitere
Gewichtsreduktion gesteigert ist.
Es wird eine Schweregradeinteilung abhängig von der vertikalen
Bei unsachgemäßer Technik und in unkundiger Hand kommt es Ausprägung vorgenommen, der maximale Grad V (. Abb. 76.2)
darüber hinaus zum Verlust der Straffungseffekte aufgrund der wird erreicht bei Länge der Fettschürze bis zu den Knien. Hier liegen
Missachtung der Grundprinzipien, wie der Gewebeaufhängung an meist massive Hautulzerationen mit Sickerblutungen und phleg-
den tiefen Fasziensystemen (z. B. Scarpa-Faszie bei Bodylifting; monösen Entzündungen vor (Acarturk et al. 2004).
Heitmann u. Germann 2007; Vogt u. Oldhafer 2008).
> Durch spezielle Aufhängetechniken während des Ein­
Bei sehr ausgedehnten Hautüberschüssen im gesamten Körper
griffes wird eine venöse Autotransfusion aus der Fett­
werden die Eingriffe stadiengerecht durchgeführt, wobei die Vorge-
schürze herbeigeführt, um den nicht unerheblichen Blut­
hensweise individuell geplant werden muss. Ein mehrschrittiges
verlust zu reduzieren.
Vorgehen zur Konturverbesserung an Rumpf und Extremitäten un-
ter Einsatz moderner plastisch-chirurgischer Haut-Weichteil-Straf- Durch die Beschränkung auf eine alleinige Fettschürzenresektion
fungstechniken zeigt . Abb. 76.1. ohne Versuch, die Bauchdecke selbst zu straffen, können auch die
Einen bedeutenden Forschritt stellt die Technik des Bodylifts Wundkomplikationen deutlich reduziert werden.
(nach Lockwood), auch kombiniert mit der Bauchstraffung, dar. Sie Postoperativ ist die Erholung der Patienten meistens aufgrund
wird durchgeführt in einem einzigen Eingriff; auf weitere Eingriffe ihrer Immobilität reduziert, und auch pflegerische Probleme bedin-
mit zusätzlicher Narbenbildung in der Oberschenkelregion kann gen regelhaft verlängerte Pflegebedürftigkeit. In einer eigenen Studie
meistens verzichtet werden. Die ästhetischen Ergebnisse dieses an- konnten wir durch die Beschränkung auf die alleinige marginale
spruchsvollen Eingriffs sind den konventionellen Techniken über­ Schürzenresektion die Inzidenz von Wundheilungsstörungen mit
legen (Nemerofsky et al. 2006). nur 16% deutlich unter das in der Literatur beschriebene Maß von
Fettabsaugungsmethoden finden in der Regel nicht primär Ein- 30–50% reduzieren.
satz, sondern dienen eher der Konturierung verbliebener diätresis-
tenter Fettdepots. Zur Verbesserung der Ergebnisse können auch Komplikationen
augmentierende Konturierungsoperationen beitragen. Dazu zählt Hämatome bilden sich typischerweise in der unmittelbaren posto-
die plastische Umverteilung von Fettdepots zur Aufpolsterung der perativen Phase aus und erfordern eine operative Drainage, in man-
Gesäßregion oder der Einsatz von Implantaten zur Augmentations- chen Fällen auch eine erneute Exploration.
mastopexie bei schlauchförmiger Ptose und Projektionsverlust der Wesentliche Komplikationsmöglichkeiten sind in der . Über-
Mamma nach extremer Gewichtsreduktion (Scheufler u. Erdmann sicht aufgelistet.
2007; Vogt u. Oldhafer 2008).
Aufgrund der zu erwartenden Verbesserung des Körperbildes ist
die Motivation entsprechender Patienten sehr ausgeprägt, sich einem
76.2 · Chirurgische Strategie
731 76

a c

. Abb. 76.1 Stufenweise Hautmantelreduktion (Brust, Abdomen) (a) nach


exzessiver Gewichtsabnahme (75 kg). Die Kombination von Abdominopla-
stik, periareolärer Mammastraffung (b) und unterem Bodylift (c, d) führt zu
einer erheblichen Verbesserung des ästhetischen Erscheinungsbildes mit
d
dauerhaftem Straffungseffekt
732 Kapitel 76 · Körperkonturierung nach extremer Gewichtsabnahme

76

a b

. Abb. 76.2 Ausgeprägte Fettschürze Grad V (a) und die relativ kompli­
kationsarme Guillotine-Resektion einer 20 kg schweren Fettschürze (b, c).

Die Rate an postoperativen Seromen ist insbesondere bei Patienten


mit einem Body-Mass-Index von >35 kg KG/m2 erhöht. Sie treten
meist am Rücken nach Belt-Lipektomie oder unterem Bodylift auf.

! Cave
Drainagen sollten erst gezogen werden, wenn über 24 h
<40 ml nachlaufen. Serome müssen frühzeitig drainiert
werden, bevor sich eine Kapsel ausbildet.

In manchen Fällen kann die Seromhöhle mit Doxicyclin injiziert


werden, um eine Verklebung der Wundhöhle zu erreichen.
Lymphozelen treten v. a. in der Inguinalregion nach aggressiver
Geweberesektion im Bereich des femoralen Dreiecks auf. Sie erfor-
dern eine serielle Aspiration oder eine perkutane Drainage mit ge-
schlossenem Drainagesystem. Bei ausbleibendem Erfolg sollte eine
operative Exploration mit Ligatur der regionalen lymphatischen Ge-
fäße durchgeführt werden.
> Wundkomplikationen, wie eine Dehiszenz, Hautnekrose,
Wundinfektion und Wundrandnekrose treten gehäuft bei
c
Patienten mit Nikotinkonsum auf. Patienten sollten daher
mindestens einen Monat vor der Operation mit dem Rau­
chen aufhören.
Komplikationsmöglichkeiten bei Bodylift Weitere Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, systemische Steroid-
4 Infektionen medikation und ein BMI von >40 kg KG/m2.
4 Wundheilungsstörungen
4 Auffällig und ungünstig positionierte Narben Literatur
4 Hautnekrosen Acarturk TD, Wachtman G, Heil D et al. (2004) Panniculectomy as an adjuvant
4 Lymphozelen, Lymphorrhö to bariatric surgery. Ann Plast Surg 53: 360–366
4 Extrusion von Fadenmaterial Buchwald H, Avidor Y, Braunwald E et al. (2004) Bariatric surgery: a systematic
review and meta-analysis. JAMA 292: 1724–1737
76.2 · Chirurgische Strategie
733 76
Heitmann C, Germann G (2007) Body contouring surgery after massive weight
loss, part I: abdomen and extremities Chirurg 78(3): 273–284
Lockwood TES (1991) Superficial fascial system (SFS) of the trunk and ex-
tremities: A new concept. Plast Reconstr Surg 87: 1009–1014
Khosla RK (2007) Body contouring in the massive-weight-loss patient. In:
Janis JE (ed) Essentials of plastic surgery. Quality Medical Publishing,
St. Louis
Nemerofsky RB, Oliak DA, Capella JF (2006) Body lift: An account of 200 con-
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Rohrich R (2002) Marking and operative techniques. Plastt Reconstr Surg: 117,
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Rohrich R (2006) The physiological impact of bariatric surgery on the massive
weight loss patient. Plast Reconstr Surg 117,1S 14–16 S
Sati S, Pandya S (2008) Should a panniculectomy/abdominoplasty after mas-
sive weight loss be covered by insurance. Ann Plast Surg 60 (5): 502–
504
Scheufler O, Erdmann D (2007) Current concepts and trends in post-bariatric
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Vogt PM, Oldhafer J (2008) Adipositaschirurgie: Indikation, Therapieverfahren
und Nachsorge. Gastrenterologe 3, 5: 399–407
77

Mammareduktion und -augmentation


A. Handschin, T. Bund, K.H. Breuing

77.1 Mammareduktion – 736


77.1.1 Klassifikation   – 736
77.1.2 Anatomie – 736
77.1.3 Präoperatives Management – 736
77.1.4 Operatives Vorgehen – 738

77.2 Mamaaugmentation – 741


77.2.1 Präoperatives Management – 741
77.2.2 Operative Technik – 743
77.2.3 Postoperatives Management – 745
77.2.4 Komplikationsmanagement – 745

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
736 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation

77.1 Mammareduktion
In der Plastischen Chirurgie stellt die Brustverkleinerung (Mamma-
reduktion) ein gutes Beispiel für einen Eingriff dar, der sowohl dem
rekonstruktiven wie auch dem ästhetischen Spektrum zuzurechnen
ist. Das Ziel der Mammareduktion ist die Schaffung einer Brustform,
die in Einklang mit den bestehenden Körperproportionen ist. Hier-
bei sind bestimmte anatomische Landmarken zu beachten, von de-
nen insbesondere die Inframammarlinie und die Position der neuen
Brustwarze entscheidende Bedeutung haben.

77 Definition. Die Vergrößerung der weiblichen Brust kann unter-


schiedliche Ausmaße erreichen. Die Makromastie bezeichnet eine
außerhalb der Norm liegende Vergrößerung der weiblichen Brust-
drüse. Von einer Gigantomastie spricht man bei einer massiven
Vergrößerung der Brust, mit einem Resektionsgewicht von mehr als . Abb. 77.1 Gigantomastie
1500 g pro Seite (. Abb. 77.1).

möglich sind (superiorer, inferiorer, medialer, lateraler, zentraler


77.1.1 Klassifikation Pedikel). Die Hauptversorgung (60%) erfolgt aus Perforatoren
der A. mammaria interna (superiore, mediale und inferiorer Äste).
Eine als normal ausgebildet angesehene Brust einer erwachsenen Der venöse Abfluss erfolgt über 2 anatomisch getrennte Systeme,
Mitteleuropäerin hat eine konische Form mit einer angedeuteten ein oberflächliches, subdermales Venennetz und ein tiefes Venen­
Konkavität kranial des Mamillen-Areolen-Komplexes (MAK). Die system.
Breite der Brustbasis beträgt 12–15 cm. Die Mamille sitzt in Höhe Die sensible Innervation des Mamillen-Areolen-Komplexes er-
der Brustumschlagsfalte in der Medioklavikularlinie. Dies entspricht folgt aus anterioren und lateralen Ästen der III.–V. Interkostalner-
an der stehenden Patientin der Höhe der Oberarmschaftmitte. An ven, wobei die Äste des IV. Interkostalnervs am dominantesten ist.
der nicht ptotischen Brust bildet die Mamille den Punkt der größten Dieser läuft in der Regel langstreckig unter der Faszie des M. pecto-
Projektion. Der Abstand zwischen Mamille und Jugulum sowie der ralis, um dann zentral im Bereich des Mamillen-Areolen-Komplexes
Abstand zwischen Mamille und Klavikulamitte beträgt 18–21 cm. zu perforieren. Eine vorsichtige Präparation unter Schonung der
Die Ausrichtung der Mamille zeigt leicht nach lateral, sodass sich Pektoralisfaszie ist daher bei allen Reduktionstechniken zu beachten.
beim Blick von vorn eine Divergenz der Mamillen-Areolen-Kom-
> Mammareduktion: Präparation unter Schonung der
plexe ergibt. Der intermamilläre Abstand misst durchschnittlich
Pektoralisfaszie!
20–22 cm. Der Durchmesser des MAK beträgt durchschnittlich
4–5 cm. Er weist ebenfalls eine konische Form auf.
Das Absinken des MAK führt zu einer Ptose der Brust, die nach
Regnault (1976) klassifiziert wird. Weitere Klassifikation der Ptose 77.1.3 Präoperatives Management
gehen auf Bostwick (1983) und Georgiade (1990) zurück (. Tab. 77.1).
Diagnostik
Da es sich bei Operationen zur Formveränderung der Brust um
77.1.2 Anatomie elektive Eingriffe an dem bei Frauen am häufigsten von Maligno-
men befallenen Gewebe handelt, ist der präoperativen Diagnostik
Die Gefäßversorung der Brust erfolgt arteriell über die A. mamma- höchste Bedeutung zuzumessen.
ria interna, A. thoracica lateralis, A. thoracoacromialis sowie laterale Neben der allgemeinen Krankheits- und Medikamentenanam-
Perforatoren aus den Interkostalarterien. Der Mamillen-Areolen- nese erfolgt eine komplette körperliche Untersuchung. Besonderer
Komplex wird aus allen genannten arteriellen Stromgebieten ver- Wert wird auf die Eigen- und Familienanamnese bezüglich des Vor-
sorgt, sodass verschiedene Pedikel bei der Brustrekonstruktion liegens von Malignomen gelegt.

. Tab. 77.1 Klassifikationen der Ptosis

Grad Regnault Bostwick/Georgiade

Grad I MAK an der Inframammärfalte und oberhalb der Brustkontur MAK bis zu 1 cm kaudal der Inframammärfalte
(Drüse hinter dem MAK)

Grad II MAK unterhalb der Inframammärfalte, aber oberhalb der Brust- MAK 1–3 cm unterhalb der Inframammärfalte
kontur (Drüse hinter dem MAK)

Grad III MAK unterhalb der Inframammärfalte und bildet den tiefsten MAK >3 cm unterhalb der Inframammärfalte und bildet
Punkt der Brustkontur (Drüse kranial des MAK) den tiefsten Punkt der Brust

Pseudoptosis MAK kranial der Brustumschlagsfalte bei nach kaudal durchhängendem Drüsengewebe (häufig nach Mammareduktionsplastik)
77.1 · Mammareduktion
737 77
Insbesondere zusätzliche Risikofaktoren wie Nikotinabusus, Ge-
rinnungsstörungen, Einnahme von Kontrazeptiva oder rheologisch
wirksame Medikamenten müssen präoperativ abgeklärt werden.
Wir bestehen auf eine mindestens 2-wöchige präoperative Niko-
tinkarenz vor formverändernden Eingriffen an der Brust.
Im Rahmen der ambulanten Vorstellung erfolgt auch eine Bera-
tung über den Operationszeitpunkt. Eine Brustverkleinerung sollte
bei adipösen Patientinnen, die eine Gewichtsreduktion planen, erst
nach Erreichen eines stabilen Normalgewichtes durchgeführt wer-
den, um das perioperative Risiko zu senken und das Operations­
ergebnis nicht zu gefährden.
> Mammareduktionsplastik nur bei stabilen Gewichts­
verhältnissen. Optimaler BMI <28 kg KG/m2!
Bei noch nicht abgeschlossener Familienplanung und Wunsch
nach Erhalt der Stillfähigkeit empfehlen wir, eine geplante Brust­
verkleinerung erst nach Verwirklichung des Kinderwunsches
durchführen zu lassen. Bei jugendlichen Patientinnen sollten . Abb. 77.2 Wundheilungsstörung im Bereich der umgekehrten T-Narbe.
­Formveränderungen an der Brust erst nach Abschluss des Drüsen- In der Regel kommt es unter konservativer Wundtherapie zu einem sponta-
wachstums durchgeführt werden. Ausnahmen sind hierbei eine nen Abheilen
massive Gigantomastie mit entsprechend nachvollziehbarem Lei-
densdruck.
Zur standardisierten Befunderhebung hat sich in unserer Kli- > Ausführliche und genaue präoperative Aufklärung über
nik ein Mammaanamnesebogen (7 Anhang) bewährt. In ihm wird Risiken, Komplikationen und Nachbehandlung ist gerade
neben der Anamnese und den objektiven Befunden (Größe, Ge- bei Mammareduktionen unerlässlich!
wicht, Cup-Größe, Jugulum-Mamillen-Abstand, Thoraxumfang
inframammär und in Höhe des MAK, intermamillärer Abstand, Indikation zur Brustverkleinerung
Brustbasisdurchmesser, Ptosisgrad und das Vorliegen von Asym- Eine medizinische Indikation für eine Brustverkleinerung kann
metrien) auch die Vorstellung der Patientin dokumentiert und hier- sowohl aufgrund somatischer wie psychischer Beschwerden – oder
auf aufbauend der Behandlungsplan fixiert. einer Kombination – gegeben sein. Schwere, ptotische Brüste
Um das Risiko einer intraoperativen Tumoraussaat eines bislang können zu chronischen Nacken-/Rückenschmerzen führen und
okkulten Mammakarzinoms zu vermindern sowie zur Schaffung schmerzhafte Einschnürungen des BH-Trägers im Schulterbe-
einer Grundlage für die spätere mammographische Beurteilung ver- reich verursachen. Oft haben die Patientinnen eine Anamnese
langen wir altersunabhängig von allen Patientinnen vor formverän- von physiotherapeutischen oder orthopädischen Behandlungen,
dernden Brusteingriffen eine Mammographie, die zum Operations- welche aufgrund der reinen Symptomorientiertheit meist erfolg-
zeitpunkt nicht älter als 3 Monate sein sollte. los bleiben. Weitere Probleme können durch schmerzhafte Brüste
Sowohl präoperativ als auch 3 und 6 Monate postoperativ führen (Mastodynie) und hygienischen Folgen der Intertrigobeschwerden
wir eine Fotobefunddokumentation durch. entstehen.
Darüber hinaus werden oft psychische Belastungen angeben, die
Therapieziele z. B. bei sportlichen Aktivitäten (Schwimmen) entstehen. Der posi-
Wie bei allen ästhetischen Eingriffen muss das Therapieziel im Rah- tive Effekt einer Brustreduktion auf die psychische Belastung ist in-
men des Patientengespräches gemeinsam von Chirurg und Patientin zwischen durch Studien belegt (Iwuagwu et al. 2006).
definiert werden. Hierbei muss neben dem Wunsch der Patientin
v. a. präoperativen Gegebenheiten wie vorbestehender Asymmetrie, Aufklärung
Art der Hautbeschaffenheit, Tendenz zu überschießender Narben- Grundlage der Aufklärung ist die Information der Patientin über
bildung und Ähnlichem Rechnung getragen werden. Eine detaillier- verschiedene Operationstechniken sowie eine realistische Einschät-
te Aufklärung über das postoperativ erzielbare Ergebnis ist hierbei zung der damit jeweils erzielbaren Ergebnisse. Neben den allgemei-
unerlässlich, um das »ästhetische Risiko« eines für den Chirurgen nen Operationsrisiken wie Blutung, Infekt und Narbenbildung sind
gelungenen, für die Patientin jedoch nicht zufriedenstellenden Ope- die Patientinnen auf die spezifischen Risiken des bei ihr geplanten
rationsergebnisses zu minimieren. So ist die Patientin auf bereits Eingriffes hinzuweisen (. Übersicht). Je nach gewählter Operations-
bestehende Asymmetrien hinzuweisen, da diese intraoperativ nicht technik ergeben sich unterschiedliche Risiken für die Entwicklung
immer vollständig ausgeglichen werden können und durch eine von Fettgewebenekrosen, Durchblutungsstörungen des Mamillen-
Brustvergrößerung postoperativ sogar noch deutlicher hervortreten Areolen-Komplexes bis zur Totalnekrose, Wundheilungsstörungen
können. (. Abb. 77.2), Asymmetrie, Unter- oder Überkorrektur, Sensibili-
Ebenso hat es sich bewährt, übergewichtige Patientinnen darauf tätsstörungen des MAK oder für einen Verlust der Stillfähigkeit.
hinzuweisen, dass nach erfolgter Brustverkleinerung ein bereits prä- Auch die Stabilität der intraoperativ erzielten Brustform ist abhängig
operativ bestehender adipöser Bauch deutlicher ins Auge fällt. Soll vom gewählten Operationsverfahren. Die Patientin muss daher dar-
eine narbensparende Bruststraffung nach Lejour durchgeführt wer- über informiert werden, dass es im Langzeitverlauf zu einer Über-
den, muss die Patientin die lange Persistenz der Hautplissierung so- dehnung des unteren Brustpols mit Kranialrotation der Mamillen
wie Nachkorrekturen akzeptieren. kommen kann (»bottoming out«).
738 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation

Operative Techniken
Komplikationen nach Mammareduktionsplastik Mammareduktion nach Höhler
4 Hämatom Der Eingriff erfolgt in Beach-chair-Lagerung mit angelagerten
4 Sensibilitätsstörung im Mamillen-Areolen-Komplex Oberarmen. Zur Vereinfachung der Orientierung müssen bei der
4 Nekrosen im Mamillen-Areolen-Komplex OP-Abdeckung »Landmarken« wie das Jugulum, der Nabelansatz
4 Fettgewebsnekrosen und die Schulterkappen sichtbar bleiben.
4 Asymmetrie > Tipp: Zur vereinfachten Beurteilung der Brustasymmetrie
4 »Dog ears«, Haut-/Weichteilüberschuss hat sich eine exakt symmetrische Abdeckung bewährt.
4 Hypertrophe Narbenbildungen
4 Wundheilungsstörungen Der Eingriff beginnt mit dem Festlegen der zukünftigen Mamillen-
4 Verlust der Stillfähigkeit durchmesser mit Hilfe des Mamillotoms. Anschließend wird die
77 Anzeichnungsfigur umschnitten und die periareoläre Straffungs­
figur deepithelialisiert.
Danach folgt die Resektion der unteren Quadranten unter Be­
77.1.4 Operatives Vorgehen lassung eines breitbasigen kranialen Stils.
Das gesamte resezierte Gewebe wird zur histologischen Unter-
Stand der operativen Therapie suchung eingesendet, da in 0,4–1% der Fälle okkulte Karzinome im
Praktisch alle Operationsverfahren, die in den letzten Jahrzehnten Resektionsgewebe gefunden werden (Kayar 1996). Die Mamille wird
beschrieben worden sind (McKissock 1972, Pitanguy 1962, Skoog an ihrem kranialen Stiel in die neue Position verbracht. Die Neufor-
1963, Strömbeck 1983), führen zu einer Narbenbildung um die kra- mung der Brust erfolgt durch Einstülpung der seitlichen Pfeiler. Der
nialisierte Brustwarze herum, davon 4–6 cm nach kaudal ziehend, mediale und der laterale Pfeiler werden durch resorbierbare, subku-
um dann in der Inframammarlinie quer zu verlaufen (umgekehrte tane Einzelknopfnähte vereinigt und die kaudalen Pfeilerenden
T-Technik). In bestimmten Fällen können auch sehr gute Ergebnisse durch eine Dreiecksnaht an die Brustumschlagsfalte pexiert.
mit einer rein vertikalen Narbe erzielt werden (Lejour 1994, Lassus Die Mamille wird durch radiäre subkutane resorbierbare Einzel-
1970, Hall-Findlay 1999). knopfnähte in ihrer neuen Position aufgespannt und durch eine re-
Ist eine deutliche Reduktion des Brustvolumens geplant, ver- sorbierbare Intrakutannaht eingenäht. Vor dem Hautverschluss
wenden wir die Reduktionstechnik nach Höhler (später modifiziert durch fortlaufende Intrakutannaht mit resorbierbarem Nahtmateri-
nach Pitanguy) mit kranialem Mamillenstiel und T-förmiger Nar- al der Stärke 4-0 wird eine 14-er Redon-Drainage in den Situs einge-
benbildung (. Abb. 77.3). bracht und nach axillär ausgeleitet. Intraoperativ wird ein formender
Steht dagegen eine Straffung einer ptotischen Brust bei nur ge- Pflasterverband angelegt, nachdem die Nähte mit Steristrip-Pflaster
ringem Resektionsvolumen im Vordergrund, wird die narbenspa- bedeckt wurden. Anschließend erfolgt eine formende Wicklung des
rendere, vertikale Technik nach Lejour verwendet. Bei nur geringer Thorax mit Watte und elastischen Binden. Hierbei bleiben die Ma-
Ptose kann eine Straffung mit rein periareolärer Schnittführung in- millen zur Beurteilung der Durchblutung ausgespart. Nach sekreti-
diziert sein. onsabhängiger Entfernung der Redon-Drainagen wird ein Stütz-BH
angepasst, der für 3 Monate getragen werden sollte.
Operationsplanung
Die Operationsplanung und Anzeichnung erfolgt an der stehenden Periareoläre Raffung
Patientin. Zunächst werden Mediane, Medioklavikularlinie, Jugu- Auch hier erfolgt zunächst die Festlegung des neuen Areolendurch-
lum-Mammillar-Linie und Brustumschlagsfalte markiert, wobei messers mit Hilfe eines Mamillotoms. Intraoperativ können das Aus-
bestehende Asymmetrien deutlich werden. maß der Straffung und die Symmetrie durch das Aufspannen der
Als Nächstes wird die neue Position des MAK auf der Medio­ Areola mit Hilfe radiärer Positionsnähte simuliert werden. Ist das
klavikularlinie festgelegt. Sie befindet sich in Höhe der Brustum- optimale Straffungsausmaß festgelegt, wird die Umschneidungsfi-
schlagsfalte und sollte außer bei sehr kleinen Frauen 20 cm ab Jugu- gur mit einem sterilen Hautstift markiert. Es ergibt sich hierbei meist
lum nicht unterschreiten. Postoperativ besteht aufgrund der norma- eine längsovale Figur, bei der die Mamille je nach geplanter Anhe-
len physiologischen Brustabsenkung (»setting in«) die große Gefahr bung im mittleren oder am Übergang zum kaudalen Drittel der
der zu hoch platzierten Mamille (»high riding nipple«), was sehr Längsachse sitzt. Nach Lösen der Positionsnähte wird die Haut
schwierig zu korrigieren ist. Sollte postoperativ der MAK dann ­zwischen der Umschneidungsfigur und dem Außenrand des neuen
doch zu tief sein, kann dies sehr einfach in Lokalanästhesie korrigiert Areolendurchmessers deepithelialisiert. Bei der Annäherung der
werden. Hautränder von Areola und verbliebener Brusthaut durch eine in-
Durch Verschwenken der Brust nach medial und lateral werden tradermale zirkuläre Tabaksbeutelnaht mit nicht resorbierbarem
nun in Abhängigkeit von der geplanten Volumenreduktion die Re- Nahtmaterial wird die deepithelialisierte Dermis nach innen einge-
sektionsgrenzen festgelegt. stülpt.
Die Längen des medialen und lateralen Pfeilers sollten 6,5 cm, Der Hautverschluss erfolgt durch fortlaufende Intrakutannaht
gemessen ab dem Rand des späteren MAK, nicht überschreiten, da mit resorbierbarem Nahtmaterial. Als Verband werden Steristrip-
diese Strecke postoperativ die Distanz zwischen Mamille und Infra- Pflaster aufgebracht.
mammärfalte bildet.
Die Planzeichnung wird durch Verbinden der Resektionspfeiler Narbensparende Bruststraffung nach Lejour
nach lateral bzw. medial mit der Unterbrustfalte komplettiert. Das zunächst von Lassus beschriebene und später von Lejour modi-
fizierte Verfahren erlaubt eine Brustverkleinerung, nach welcher
neben einer periareolären Narbe nur eine Längsnarbe am unteren
Brustpol verbleibt (Lassus 1970; Lejour 1994). In den letzten Jahren
findet diese Technik zunehmend Anwendung und wurde in ver-
77.1 · Mammareduktion
739 77

a b

c d

e f

. Abb. 77.3 Planung (a–d) und Durchführung (e–i) einer Mammaredukti- T-Schnitt). Klinischer Aspekt prä- (j) und postoperativ (k). (Zeichnungen
onsplastik mit kranialem zentralem Stiel (Höhler-Technik, umgekehrter von Dr. S. Schinner mit frdl. Genehmigung)
740 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation

77

g h

k
. Abb. 77.3 (Fortsetzung)

schiedenen Varianten modifiziert (Hall-Findlay 1999; Hoffmann tur der Erschlaffung und Ptose der Brüste und nur eine geringe
et al. 2007). Volumenreduktion wünschen.
Da der Erfolg dieser Operation sehr von der Retraktionskraft der
Haut abhängt, sollte die Technik hauptsächlich bei jungen Patien- > Vertikale Reduktionsplasik: Unmittelbar postoperativ
tinnen mit retraktionsfähiger Haut angewendet werden. Als Nachteil noch keine definitive Brustneuformung! Aufklärung
dieses Verfahrens ist die lange Persistenz der Hautplissierung im über mehrmonatigen Verlauf bis zur Formung des End­
Bereich der Narbe im Aufklärungsgespräch intensiv zu besprechen. ergebnisses und evtl. Notwendigkeit von Nachkorrek­
Dieses Verfahren ist geeignet für Patientinnen, die v. a. eine Korrek- turen.
77.2 · Mamaaugmentation
741 77
Operationsvorbereitung. Auch hier sind eine präoperative Opera- Implantate und die Möglichkeit einer optimalen Brustkrebsvorsorge
tionsplanung und die Markierung unerlässlich. Zunächst wird die auch nach der Augmentation.
Brustumschlagsfalte nachgezeichnet. Dann wird die Brustmitte be-
stimmt und von der Mamille nach kaudal bis über die Brustum-
schlagsfalte hinaus markiert. Das Festlegen der Resektionsschenkel 77.2.1 Präoperatives Management
erfolgt auch hier durch Verschwenken der Brust nach medial und
lateral. Mediale und laterale Resektionsgrenzen werden angezeich- Indikation
net und die Linien ca. 2 cm oberhalb der Brustumschlagsfalte bogig Die Indikation zur Augmentation ergibt sich bei Aplasie, nachvoll-
zusammengeführt. ziehbarer Hypoplasie oder Asymmetrie der Brüste. Auch eine beid-
Anschließend wird die neue Mamillenposition in der vorbe- seitige Involutionsathrophie mit nur mäßigem Hautüberschuss und
schriebenen Weise bestimmt. Hier wird eine domförmige Straf- geringer Ptosis kann bei entsprechendem Leidensdruck der Pa­tientin
fungsfigur angezeichnet und mit den beiden Resektionsschenkeln durch eine alleinige Implantateinlage ästhetisch korrigiert werden
verbunden. (. Abb. 77.6).
> In der Regel liegt eine rein ästhetische Indikation vor.
Operatives Vorgehen. Der Eingriff erfolgt ebenfalls an der ca. 60°
aufgesetzten Patientin. Sofern eine Volumenreduktion der Brust ge-
wünscht ist, erfolgt zunächst nach Infiltration einer Tumeszenzlö- Aufklärung
sung eine Liposuktion der medialen und lateralen Brustanteile unter Da es sich meist um eine rein ästhetische Indikation handelt, hat
Auslassung des retromamillären Bereichs. nach geltender Rechtsprechung eine »schonungslose Aufklärung«
Anschließend wird die angezeichnete Straffungsfigur deepithe- zu erfolgen. Neben der Information über Art und Beschaffenheit der
lialisiert und die medialen und lateralen Resektionsgrenzen inzidiert verwendeten Implantate und das operative Vorgehen sowie der da-
(. Abb. 77.4). Nun wird ein kranialer, die Mamille tragender Stiel mit einhergehenden allgemeinen Operationsrisiken wie Blutung,
präpariert, der die Mamille um 5–6 cm nach kaudal überragt. Auf Infekt und Narbenbildung sind die Patientinnen insbesondere auf
eine ausreichende Stielbreite ist hierbei zu achten. Die Stieldicke soll- die spezifischen Risiken des Eingriffs hinzuweisen. Hierzu gehört
te nicht zu breit gewählt werden, um eine spannungsfreie Verlage- zunächst das Risiko der Entwicklung einer Kapselfibrose (. Abb. 77.5;
rung der Mamille zu ermöglichen. auch 7 Kap. 82.5.1).
Nun wird der Hautmantel des medialen und lateralen Drüsen- Hierbei handelt es sich um die häufigste Komplikation nach ei-
pfeilers sowie des kaudalen Brustpols bis zur Unterbrustfalte unmit- ner Brustvergrößerung, die in der Literatur mit einer Inzidenz bis zu
telbar subkutan mobilisiert. Nur eine ausreichende weite subkutane 50% angegeben wird (Cunningham et al. 2000; Slavin et al. 2007).
Präparation erlaubt der Haut, sich der späteren Brustform anzupas- Der Grad der Kapselfibrose wird in der Baker-Klassifikation be-
sen und ausreichend zu schrumpfen. schrieben (. Tab. 77.3).
In der Unterbrustfalte erfolgt die Präparation bis auf die Thorax- Die Ursache der Kapselfibrose ist Gegenstand von aktuellen Stu-
wand. Die Geweberesektion erfolgt aus dem kaudalen Brustpol so- dien. Mehrere Faktoren werden in der Literatur diskutiert. Insbeson-
wie keilförmig von zentral. Zur Augmentation des oberen Brustpols dere postoperative Hämatome und subklinische Kontamination mit
wird nun unmittelbar kranial der Mamille gelegenes Drüsengewebe S. epidermidis werden als mögliche Ursachen einer Kapselfibrose
weit oben an der Brustwand auf der Pektoralisfaszie durch Naht pe- betrachtet (Slavin 2007). In einer prospektiven Studie konnte S. epi-
xiert. Die Adaptation der Brustdrüsenpfeiler erfolgt durch resor­ dermidis auf der Oberfläche von 90% der entfernten Implantate
bierbares Nahtmaterial der Stärke 0 unter leichter Überkorrektur der nachgewiesen werden (Pajkos et al. 2003). Zur Reduzierung des Auf-
Brustform. tretens einer klinisch relevanten Kapselkontraktur können mögli-
Vor dem definitiven Wundverschluss ist bei locker adaptiertem cherweise eine submuskuläre Implantation sowie die Verwendung
Hautmantel auf Einziehungen und Schnürfurchen zu achten und von Implantatgrößen ≤350 ml beitragen (Slavin 2007). Auch scheint
ggf. eine Erweiterung der subkutanen Präparation durchzuführen. die Einlage von Drainagen einen möglichen Risikofaktor darzustel-
Anschließend werden Redon-Drainagen eingebracht. Es erfolgt ein len und wird von einigen Autoren abgelehnt (Araco 2006).
2-reihiger Wundverschluss durch fortlaufende Nähte unter Plissie-
> Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Risiko einer
rung der Haut. Hierbei fasst die Subkutannaht aus resorbierbarem
Kapselkontraktur mit der Notwendigkeit einer Folgeope­
Material der Stärk 3-0 das darunter liegende Drüsengewebe mit, um
ration Kernpunkt des Aufklärungsgesprächs sein sollte.
so den Hautmantel an der Drüse zu fixieren. Die Intrakutannaht
sowie das Einnähen der Mamille erfolgt mit resorbierbarem Naht-
material der Stärke 4-0.
Der Wundverband besteht aus Steristrip-Pflastern sowie for- . Tab. 77.2 Stadien der Kapselfibrose nach Baker (1978)
menden Pflasterverbänden. Zur Stabilisierung der Brust wird an-
schließend ein Stützverband aus Watte und elastischen Binden ange- Stadium Palpationsbefund
legt. Nach zeitgerechter Entfernung der Wunddrainagen wird ein
Stütz-BH angelegt, der dann für 3 Monate konsequent getragen wer- Baker I 4 Die Brust ist normal weich
4 Das Implantat ist nicht tastbar
den muss.
Baker II 4 Die Brust ist etwas fester
4 Das Implantat ist tastbar, aber nicht sichtbar
77.2 Mamaaugmentation Baker III 4 Die Brust ist verhärtet
4 Das Implantat ist tastbar und sichtbar
Bei der Vergrößerung der weiblichen Brust als hoch elektivem Ein-
Baker IV 4 Brust verhärtet, verformt und schmerzhaft
griff steht die Patientensicherheit im Vordergrund. Dies gilt sowohl 4 Das Implantat ist tastbar und deutlich sichtbar
für die angewendete Operationstechnik als auch für die verwendeten
742 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation

77

a b

e f

. Abb. 77.4 Planung und Durchführung (a–d) einer vertikalen Mammareduktionsplastik. Klinischer Aspekt prä- (e) und postoperativ (f). (Zeichnungen von
Dr. S. Schinner mit frdl. Genehmigung)
77.2 · Mamaaugmentation
743 77

. Abb. 77.5 Kapselfibrose Baker IV

Der Einfluss einer Mammaaugmentation auf die Brustkrebsdiagno-


se und Behandlung wurde ebenfalls in zahlreichen Studien unter-
sucht. Brustimplantate haben keinen negativen Effekt bezüglich
Diagnose, Verlauf oder Prognose bei einer Brustkrebserkrankung,
obwohl die Sensitivität einer Mammographie leicht reduziert ist
(Birdsell et al. 1993; Miglioretti et al. 2004; Tuli et al. 2006).
Das Risiko einer früher gefürchteten Silikoneinschwemmung
nach Implantatruptur konnte durch Verwendung kohäsiver Gele zur
Implantaterstellung weitgehend ausgeschlossen werden. Jedoch ist
auf das Risiko einer verminderten Sensibilität der Mamille hin­
zuweisen, da es in ca. 15% der Fälle auftritt. Insbesondere bei einer b
geplanten subglandulären Implantatlage ist das Risiko einer Läsion
. Abb. 77.6a, b Mammaaugmentation bei einer Patientin mit Involutions-
der hier recht straff fixierten Interkostalnerven III–V gegeben.
athrophie nach Schwangerschaft mit Ptose Grad II
Operationsplanung
Der wichtigste Schritt der Operationsplanung liegt in der Ermittlung
der erforderlichen Implantatform und des geeigneten Implantat­ in den oberen Quadranten und erlauben daher bei hypoplastischen
volumens. Wir verwenden standardmäßig sowohl zur Brustrekons- Brüsten mit wenig Brustdrüsengewebe einen natürlichen Brustan-
truktion als auch zur ästhetischen Augmentation texturierte Silikon- satz (. Abb. 77.7).
gelimplantate. Die Implantatgröße orientiert sich außer bei einer Bei Patientinnen mit einer großen Brustbasis erlauben anato-
angleichenden Augmentation bei einer einseitig hypoplastischen mische Implantate ein Unterfüttern der gesamten Brustbasis durch
Brust meist an den Vorstellungen der Patientin. Da die Patien- ein geringeres Volumen, als dies mit runden Implantaten möglich
tinnen in der Regel den Wunsch nach einer bestimmten Cup- wäre (. Abb. 77.8).
Größe als Operationsziel äußern, lässt sich zum Ermitteln des be­
nötigten Implantatvolumens überschlagen, dass ein Implantat von
200 cm3 eine Augmentation um etwa eine Cup-Größe bewirkt 77.2.2 Operative Technik
(. Abb. 77.6).
Wir legen uns in der Regel jedoch präoperativ nicht auf eine Präoperatives Vorgehen
bestimmte Implantatgröße fest, sondern behalten uns vor, intraope- Präoperativ erfolgt die Planung an der aufrecht, mit leicht herab­
rativ das Implantatvolumen zum Erzielen einer harmonischen hängenden Armen stehenden Patientin. Es werden zunächst die
Brustform um das besprochene Volumen herum zu variieren. Die Mediane und die beiden Brustumschlagsfalten markiert. Hierbei
Implantatbasis sollte hierbei maximal der Brustbasisbreite entspre- treten Asymmetrien deutlich hervor.
chen, da das Implantat sonst nach dem Einbringen nicht mehr von Im nächsten Schritt werden Brustbasis und das geplante Ausmaß
Brustgewebe bedeckt ist und v. a. lateral tastbar subkutan zu liegen der Präparation zur Schaffung der Implantattaschen markiert.
kommt. Es werden auch die geplanten Inzisionslinien eingezeichnet. Wir
Die Implantatform wird indikationsabhängig gewählt. Hierbei bevorzugen einen inframammären Zugang, da dieser eine sehr gute
ergeben runde Implantate eine gute Projektion in den oberen Qua- Übersicht sowohl bei epi- wie auch bei submuskulärer Implantatpo-
dranten und sind daher v. a. bei ptotischen Brüsten mit ausreichender sitionierung erlaubt. Ziel ist es, die Narbe möglichst genau in die
Weichteilbedeckung indiziert. Sie erlauben das Ausspannen eines postoperative Brustumschlagsfalte zu positionieren.
vorhandenen relativen Hautüberschusses. Eine weitere Indikation Formeln zur Berechnung der Höhenlokalisation der geplanten
für runde Implantate ist der Patientinnenwunsch nach Fülle v. a. in Inzision haben sich aufgrund der individuellen Patientenvorausset-
den oberen Quadranten, um das Dekolleté zu betonen. Anatomische zungen im klinischen Alltag nicht bewährt. Es ist zu bedenken, dass
Implantate haben bei gleich großer Basis eine geringere Projektion es durch das Aufspannen der Brust zu einer Kaudalisierung der
744 Kapitel 77 · Mammareduktion und -augmentation

denen von der Patientin keine zusätzlichen Inzisionen zur Straffung


der Brust gewünscht werden, empfiehlt sich die subglanduläre Im-
plantatlage, um ein Überbetonung des oberen Brustpols bei fortbe-
stehender Ptose der Restbrust (Snoopy-Phänomen) zu vermeiden.

Operatives Vorgehen
> Die Operation beginnt in flacher Rückenlage mit 70°
abduzierten Armen, jedoch ist bereits bei der Lagerung
der Patientin darauf zu achten, dass ein intraoperatives
Aufsetzen bis auf 60° möglich ist.

77 Zur Vereinfachung der Orientierung müssen bei der OP-Abdeckung


»Landmarken« wie das Jugulum, der Nabelansatz und die Schulter-
kappen sichtbar bleiben. Besonderer Wert ist auf eine symmetrische
a
Abdeckung zu legen, da sonst eine symmetrische Implantatpositio-
nierung deutlich erschwert ist.
Die Inzision wird entsprechend der Planzeichnung auf einer
Länge von 4–5 cm durchgeführt. Nun erfolgt eine senkrechte scharfe
Präparation bis auf die Thoraxwand unter Darstellung des kaudalen
Pektoralisansatzes.
Zum Schaffen eines submuskulären Implantatlagers werden die
kaudalen Pektoralisfasern scharf von ihrem Ansatz an der V. und
VI. Rippe sowie dem unteren Sternum abgetrennt. Um einen spä-
teren Implantatprolaps zu vermeiden, ist darauf zu achten dass das
Ablösen des M. pectoralis vom Sternum nicht über Mamillenhöhe
hinaus ausgeweitet wird. Die Ausformung der Implantattasche ge-
schieht dann durch stumpfe digitale Präparation unter dem M. pec-
toralis major von medial nach lateral.
! Cave
Um die Sensibilität der Mamille nicht zu gefährden, muss
b beim Mobilisieren nach lateral auf die Unversehrtheit des
IV. Interkostalnervs geachtet werden.
. Abb. 77.7 Patientin mit Mammahypoplasie (a). Postoperativ nach Mam-
maaugmentation subpektoral mit anatomischen Implantaten (b) Zum Erzielen eines natürlichen Brustansatzes empfiehlt es sich, das
Implantatlager nach kranial deutlich über den Durchmesser der
Implantatbasis hinaus zu mobilisieren. Die medialseitige Gewebe-
mobilisation sollte nicht näher als 2 cm an das Sternum heranrei-
Brustumschlagsfalte kommt. Die erforderliche Inzisionshöhe ist da- chen, da es leicht zur Ausbildung einer nur schwer zu korrigierenden
her abhängig Synmastie kommen kann. Während der gesamten Präparation ist auf
4 von der Brustform, eine penible Blutstillung zu achten.
4 vom vorhandenen Brustvolumen sowie An der auf 60°aufgesetzten Patientin wird nun das endgültige
4 von der Implantatform und Implantatvolumen mit Hilfe von Probeimplantaten bestimmt. An-
4 dem eingebrachten Implantatvolumen. schließend wird eine 12-er Redon-Drainage eingebracht und nach
axillär ausgeleitet.
Die Inzisionslinien werden vom Operateur unter Berücksichtigung
> Um eine Keimkontamination des Implantates zu vermei­
beidseits symmetrisch eingezeichnet. Die Länge der Inzisionslinie
den, erfolgt vor dem Einbringen des definitiven Implan­
beträgt 4,5–5 cm ausgehend von einem Punkt 2 cm medial des tiefs-
tates ein kompletter Handschuhwechsel des Operations­
ten Punktes der Inframammärfalte nach lateral.
teams.
Auch die geplante Implantatposition wird präoperativ mit der
Eine Kontamination durch Hautkontakt beim Einbrin­
Patientin besprochen. Wir bevorzugen eine subpektorale Implantat-
gen wird vermieden, indem das Implantat durch einen
lage. Neben der atraumatischen, digitalen Präparation der Implantat-
sterilen Folienschlauch hindurch in die Implantathöhle
tasche unter dem M. pectoralis major sehen wir den Vorteil der sub-
lokalisiert wird.
muskulären Implantatlage v. a. in dem natürlich wirkenden Brustan-
satz. Weiterhin bietet diese Implantatlage gerade bei kleinen und Insbesondere bei großen Implantaten besteht die Gefahr, dass bei
hypoplastischen Brüsten den Vorteil einer guten Weichteilabde- dem Versuch, das Implantat durch einen zu klein gewählten Zugang
ckung. Auch wenn sich im Langzeitverlauf hierdurch keine geringe- zu platzieren, Scherkräfte auftreten, die zu Rissen im kohäsiven Gel
re Kapselfibroserate erzielen lässt, so machen sich die Beschwerden, des Implantatkerns führen. Dies kann zu sichtbaren Deformierungen
die mit einer Kapselbildung einhergehen, doch deutlich später be- des Implantates führen und dieses trotz intakter Hülle unbrauchbar
merkbar. machen. Es empfiehlt sich daher, rechtzeitig eine Erweiterung der
Eine subglanduläre Positionierung der Implantate ist dagegen Inzision in Erwägung zu ziehen.
indiziert, wenn durch ein großes Implantat ein weiter Hautweich­ Die korrekte und faltenfreie Lage des Implantates in der Im-
teilmantel aufgespannt werden soll. Auch bei ptotischen Brüsten, bei plantattasche wird manuell überprüft und ggf. korrigiert. Insbeson-
77.2 · Mamaaugmentation
745 77
dere bei anatomisch geformten oder tropfenförmigen Implantaten McKissock PK (1972) Reduction mammaplasty with a vertical dermal flap.
ist darauf zu achten, dass die Implantatachse der Brustachse ent- Plast Reconstr Surg 49: 245–252
spricht. Pitanguy I (1962) Une nouvelle technique de plastie mammaire. Etude de 245
cas consécutifs et présentation d´une technique personelle. Ann Chir
Der schichtweise Wundverschluss erfolgt erst nach Augmenta­
Plast 7: 199–207
tion auch der kontralateralen Seite, da zum Herstellen einer mög-
Regnault P (1976) Breast ptosis: definition and treatment, Clin Plast Surg 3:
lichst weitgehenden Symmetrie Korrekturen der Implantatlage auch 193–203
auf der zuerst operierten Seite erforderlich werden können. Strömbeck JO (1983) Reduction mammaplasty. In: Georgiade NG (ed) Aes-
thetic breast surgery. Wiliams & Wilkins, Baltimore

77.2.3 Postoperatives Management


Literatur zu 7 Kap. 77.2
Intraoperativ wird ein formender Pflasterverband angelegt. Zur Pro- Araco A, Gravante G, Araco F, Delogu D, Cervelli V (2006) Capsular contracture:
phylaxe einer Implantatdislokation erfolgt eine redressierende Wick- results of 3002 patients with aesthetic breast augmentation. Plast Recon-
lung des Thorax mit Watte und elastischen Binden, welche ab dem str Surg.118 (6): 1499–500
Baker JL Jr (1978) Augmentation mammaplasty. In Owsley JW Jr, Peterson RA
2. postoperativen Tag durch einen Stütz-BH mit Stuttgarter Gürtel
(eds) Symposium on aesthtic surgery of the breast. Mosby, St Louis
ausgetauscht werden. Wir empfehlen das Tragen des Stuttgarter
Birdsell DC, Jenkins H, Berkel H (1993) Breast cancer diagnosis and survival in
Gürtels für 6 Wochen und des Stütz-BHs für 3 Monate. women with and without breast implants. Plast Reconstr Surg 92: 795
Cunningham BL, Lokeh A, Gutowski KA (2000) Saline-filled breast implant
safety and efficacy: a multicenter retrospective review. Plast Reconstr
77.2.4 Komplikationsmanagement Surg 105: 2143
Maxwell GP, Clugston PA (1997) Management of complications following aug-
Neben einer Nachblutung stellt die Wundinfektion mit Empyem des mentation mammaplasty. In: Georgeade GS, Riefkohl R, Levin LS (eds)
Implantatlagers sicher die schwerwiegendste Frühkomplikation Georgeade plastic, maxillofacial and reconstructive surgery, 3rd edn.
nach Augmentation dar. Ein Infekt des Implantatlagers macht die Wiliams & Wilkins, Baltimore
Miglioretti DL, Rutter CM, Geller BM, Cutter G, Barlow WE, Rosenberg R, Weav-
sofortige Implantatentfernung erforderlich. Bei ausgedehntem In-
er DL, Taplin SH, Ballard-Barbash R, Carney PA, Yankaskas BC, Kerlikowske
fekt empfiehlt es sich, für 3–4 Tage eine Spül-Saug-Drainage in die
K (2004) Effect of breast augmentation on the accuracy of mammogra-
Wundhöhle einzulegen. Kommt es unter dieser Therapie und lau- phy and cancer characteristics. JAMA 28: 442–450
fender i.v.-Antibiotikaapplikation nicht innerhalb von 2 Tagen zu Pajkos A, Deva AK, Vickery K et al. (2003) Detection of subclinical infection in
einem Rückgang der Infektsymptomatik, ist eine Second-look-Ope- significant breast implant capsules. Plast Reconstr Surg. 111: 1605
ration indiziert. Poeppl N, Schreml S, Lichtenegger F, Lenich A, Eisenmann-Klein M, Prantl L
Eine Re-Augmentation sollte frühestens 6 Monate nach Abklin- (2007) Does the surface structure of implants have an impact on the
gen des Infektes durchgeführt werden. Zuvor muss die Patientin formation of a capsular contracture? Aesthetic Plast Surg 31 (2):133–
jedoch über die Möglichkeit einer Augmentation durch Eigengewe- 139
beverlagerung (z. B. M. latissimus dorsi, »DIEP flap«) informiert Slavin SA, Greene AK (2007) Augmentation mammoplasty and its complica-
tions. In: Grabb and Smith’s Plastic surgery, 6th edn, Williams & Wilkins,
werden.
Baltimore
Die häufigste Spätkomplikation stellt die bereits erwähnte Kap-
Tuli R, Flynn RA, Brill KL, Sabol JL, Usuki KY, Rosenberg AL (2006) Diagnosis,
selfibrose dar. In Abhängigkeit vom Ausprägungsgrad der Fibrose treatment, and management of breast cancer in previously augemented
führen wir einen Implantatwechsel mit gleichzeitiger Kapsulektomie women. Breast J 12: 343–348
oder alleiniger Kapsulotomie unter Belassen der Kapselanteile durch.
Besteht eine Kapselfibrose bei subglandulärer Implantatlage, emp-
fiehlt sich eine submuskuläre Implantatverlagerung. Bei rezidivie-
render Kapselfibrosebildung ist der Patientin ebenfalls eine Aug-
mentation durch Eigengewebeverlagerung anzubieten. Liegt eine
Implantatruptur vor, so ist eine Exzision der Implantatkapsel in toto
mit dem darin enthaltenen Implantat erforderlich.

Literatur
Literatur zu 7 Kap. 77.1
Bostwick J (1983) Correction of breast ptosis. In aesthetic and reconstructive
breast surgery. Mosby, St Louis
Georgiade N, Georgiade G, Riefkohl R (1990) Esthetic breast surgery. In:
Mc Carthy JG (ed) Plastic surgery. WB Saunders, Philadelphia
Hall-Findlay EJ (1999) A simplified vertical reduction mammaplasty: shorten-
ing the learning curve. Plast Reconstr Surg 104: 748–759
Hoffmann AK, Wuestner-Hoffmann MC; Bassetto F, Scarpa C, Mazzoleni F
(2007) Breast reduction: modified »Lejour technique« in 500 large breasts.
Plast Reconstr Surg 120: 1095–1104
Iwuagwu OC, Walker LG, Stanley PW, Hart NB, Platt AJ, Drew PJ (2006) Ran-
domized clinical trial examining psychosocial and quality of life benefits
of bilateral breast reduction surgery. Br J Surg 93: 291–294
Kayar R (1996) The 200-gm reduction of breast should be enough for insur-
ance coverage of reduction mammaplasty, Plast Reconstr Surg 97: 1312–
1320
78

Gynäkomastie
F.-M. Leclère, A. Handschin, K.-H. Breuing

78.1 Einleitung, Epidemiologie – 748

78.2 Präoperative Evaluation – 748

78.3 Operative Therapie – 748


78.3.1 Subkutane Mastektomie – 749
78.3.2 Fettabsaugung (Liposuktion) – 750

78.4 Komplikationen – 750

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
748 Kapitel 78 · Gynäkomastie

78.1 Einleitung, Epidemiologie


. Tab. 78.1 Stadieneinteilungen der Gynäkomastie nach Simon et
Die Gynäkomastie bezeichnet eine gutartige Vergrößerung der al. (1973)
männlichen Brustdrüse, die insbesondere bei jungen Patienten nach
Abschluss der Pubertät auftreten kann und in dieser Altersgruppe Grad Kennzeichen
mit einer Häufigkeit von bis zu 35% einhergeht (Braunstein 1993).
I Gering sichtbare Brustvergrößerung ohne Hautüberschuss
Physiologisch kann die Gynäkomastie nach der Geburt auftreten
und verschwindet dann in der Regel spontan. Ein weiterer Inzi- IIa Moderate Brustvergrößerung ohne Hautüberschuss
denzanstieg ist im höheren Alter zu beobachten (>65 Jahre), hier IIb Moderate Brustvergrößerung mit wenig Hautüberschuss
liegt hormonell ein Rückgang der Testosteronproduktion zugrunde
mit einer Veränderung des Östrogen-/Testosteronverhältnisses zu- III Weiblich geformte Brust mit Submammärfalte, Ptosis und
deutlichem Hautüberschuss
gunsten des Östrogens.
Histologisch ist die Vergrößerung der männlichen Brust bedingt
durch:
78 4 Fettgewebshypertrophie (Pseudogynäkomastie), kann gerade bei einseitigen Befunden zu einer starken Verunsiche-
4 Hypertrophie des Drüsengewebes (»echte« Gynäkomastie, Gy- rung der Patienten führen (Leclère et al. 2008).
naecomastia vera), In großen epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen
4 Kombination aus Fett- und Drüsenhypertrophie. werden, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Gynäkomastie
und dem Auftreten eines Mammakarzinoms beim Mann gibt (Fen-
Die Kombination aus Fett- und Drüsengewebsüberschuss stellt die timan et al. 2006). Die Patienten müssen hierüber aufgeklärt sein.
überwiegende Form der Gynäkomastie dar. Die Brustvergrößerung Die einzige Ausnahme stellt hierbei das Klinefelter-Syndrom dar,
kann einseitig oder beidseitig vorhanden sein. In den meisten Fällen diese Patienten besitzen ein bis zu 16-fach erhöhtes Risiko, an Brust-
tritt die Gynäkomastie während bzw. nach Abschluss der Pubertät krebs zu erkranken. Dennoch sollte jedes im Rahmen eines chirur-
auf, ohne dass ein auslösender Faktor bestimmt werden kann gischen Eingriffs entfernte Gewebe stets histopathologisch unter-
(idiopathischer Typ; . Übersicht). Häufig verschwindet diese idio­ sucht werden, da Zufallsbefunde von malignen und semimalignen
pathische Form der adoleszenten Gynäkomastie wieder spontan, Tumoren nach Gynäkomastieoperationen in der Literatur beschrie-
ohne dass eine medizinische oder chirurgische Therapie notwen- ben sind (Handschin et al. 2008; Staerkle et al. 2006).
dig wird.
> Jedes Präparat muss nach subkutaner Mastektomie histo-
Neben der idiopathischen Form der Gynäkomastie gibt es zahl-
pathologisch untersucht werden!
reiche ätiologische Faktoren und Begleiterkrankungen, die zu einer
Zunahme des männlichen Brustdrüsenvolumens führen können. Unter den Stadieneinteilungen der Gynäkomastie ist diejenige nach
Diese sind in der . Übersicht aufgeführt. Simon et al. (1973) am gebräuchlichsten (. Tab. 78.1).
Die präoperative klinische Untersuchung umfasst eine ausführ-
liche Anamnese, bei der insbesondere nach auslösenden Faktoren zu
Ursachen der Gynäkomastie
fragen ist. Daneben sind folgende Aspekte zu untersuchen und zu
4 Idiopathisch (häufigste Ursache) beschreiben:
4 Kongenital 4 Dauer der Beschwerden.
4 Alter (Rückgang der Testosteronproduktion) 4 Einseitig/beidseitiger Befund.
4 Medikamente (anabole Steroide, Östrogene, Antibiotika, 4 Größe, Konsistenz, Symmetrie.
Protonenpumpenhemmer, Digitoxin, Antidepressiva, 4 Vorhandensein von Brustknötchen und Lymphknoten.
Barbiturate, Finasterid) 4 Größe und Sensibilität der Brustwarzen.
4 Neoplasien 4 Mastodynie?
4 Hodentumor (Sertoli-Leydig-Zelltumor) 4 Galaktorrhö?
4 Nebennierentumor
4 Paraneoplastische Syndrome Insbesondere die Dauer der Beschwerden ist von Bedeutung, da
4 Endokrin (sekundärer Hypogonadismus, Klinefelter- nach längerer Zeit (Monate) der vergrößerte Brustdrüsenkörper fi-
­Syndrom, Cushing-Syndrom, kongenitale adrenale Hyper- brosiert und dann keine spontane Involution mehr zu erwarten ist.
plasie, Hypothyreoidismus, Hyperthyreoidismus) Die weiteren Abklärungen umfassen eine endokrinologisch-
4 Metabolisch (chronische Niereninsuffizienz, Dialyse, hormonelle Untersuchung sowie eine radiologische Abklärung mit-
Lebererkrankungen, Mangelernährung) tels Ultraschall. Bei einseitigem Befund wird zusätzlich eine Mam-
4 Drogen (Alkohol, Heroin, Marihuana, Amphetamine) mographie empfohlen (Leclère et al. 2008). Bei unklaren Befunden
kann auch eine Feinnadelpunktion zur weiteren Diagnostik durch-
geführt werden.

78.2 Präoperative Evaluation


78.3 Operative Therapie
Therapieziel. Die Wiederherstellung einer phänotypisch männ-
lichen Brustform ist Ziel der plastisch-chirurgischen Therapie, der Die Indikation für eine chirurgische Therapie ist zu stellen, falls die
eine gründliche präoperative Evaluation vorausgehen muss. Gynäkomastie schmerzhaft ist oder eine vorangegangene medika-
Durch die Feminisierung der männlichen Brust kann es bei den mentöse Therapie keinen Erfolg hatte. Grundsätzlich muss bedacht
Betroffenen zu einem starken Leidensdruck mit sozialem Rückzug werden, dass bei der Gynäkomastie nach ca. 18–24 Monaten das
und psychischen Problemen kommen. Auch eine Kanzerophobie hypertrophierte Drüsengewebe fibrosiert. Dann ist eine Rückbil-
78.3 · Operative Therapie
749 78

. Abb. 78.2 Gynäkomastie Stadium III präoperativ (a) und nach subkuta-
ner Mastektomie mit periareolärer Raffung (b)

Als Standardverfahren zur operativen Behandlung der Gynä­ko­


mastie gilt die subkutane Mastektomie, die mit oder ohne an­
gleichende Liposuktion durchgeführt werden kann. Bei Befunden
mit ausgeprägtem Hautüberschuss kommen Kom­binations­tech­
niken, z. T. mit periareolären Straffungen und Mammareduktions-
plastiken zur Anwendung (. Abb. 78.2). Auch die alleinige Lipo­
b
suktion hat seit kurzem an Bedeutung gewonnen, sie wird mit
. Abb. 78.1a, b Schlechtes kosmetisches Ergebnis nach Korrektur einer guten Ergebnissen v. a. bei der Pseudogynäkomastie eingesetzt
Gynäkomastie Stadium III über eine umgekehrte T-Schnitttechnik (. Abb. 78.4).

78.3.1 Subkutane Mastektomie


dung nicht mehr zu erwarten und nur durch eine operative Therapie
eine Wiederherstellung der männlichen Brust möglich. Die subkutane Mastektomie (. Abb. 78.2) kann über verschiedene
Erste Beschreibungen einer chirurgischen Therapie der Gynäko- operative Zugangswege durchgeführt werden, wobei wir eine peria-
mastie gehen auf Paulus Aegineta (625–690 n. Chr.) im heutigen reoläre, semilunäre Inzision nach Webster durchführen, die in der
Italien zurück, der eine Brustreduktion bei einem Mann über einen unteren Zirkumferenz der Mamille platziert wird (Webster 1946;
halbmondförmigen Schnitt durchführte. Leclère et al. 2008).
Eine Vielzahl von Operationstechniken zur Wiederherstellung Es werden schrittweise unter Palpation von außen die Cooper-
der männlichen Brustform ist in der Literatur beschrieben. Dabei Ligamente zur Dermis und die Verbindungen zur Pektoralisfaszie
unterscheiden sich die Techniken v. a. in der Schnittführung und der mit einem frischen 10-er Skalpell gelöst, nachdem zuvor über die
daraus resultierenden Narbenlänge. Vom kosmetischen Standpunkt periareoläre Inzision der Restdrüsenkörper mit einer Kocher-Klem-
aus sollten mit der unauffälligsten Narbe die oben genannten Ziele me gefasst und schrittweise dargestellt wurde. Die Exstirpation er-
erreicht werden (. Abb. 78.1, . Abb. 78.2). folgt je nach Größe in einem oder mehreren Schritten. Um eine nar-
bige Einziehung zur Pektoralisfaszie zu vermeiden, ist darauf zu
> Eine Fotodokumentation ist vor und nach der Operation achten, dass unter der Mamille ausreichend Gewebe zurückbleibt.
durchzuführen. Ein zu starkes Ausdünnen des retromamillären Gewebes führt zu
750 Kapitel 78 · Gynäkomastie

78 a

. Abb. 78.3 Zeichnung für die periareoläre Straffung nach Huang. Der in-
nere Kreis hat die Größe der neuen Mamille. Der zu resezierende Hautüber-
schuss kann sowohl konzentrisch als auch exzentrisch geplant werden. Bei
der exzentrischen Exzision wird die Mamille neu positioniert

ästhetisch schlechten Ergebnissen mit eingezogenen Mamillen oder


sogar Nekrose der Mamillen.
Nach der Drüsenkörperresektion kann das umliegende Gewebe
sorgfältig mit der Liposuktion angeglichen werden. Die Einlage einer
Drainage ist obligatorisch.
> Subkutane Mastektomie: Genügend Gewebe retromamil-
lär belassen!
Im Falle eines Hautüberschusses nutzen wir die periareoläre Straf-
fung nach der Technik von Huang und Benelli (Huang et al. 1982;
Benelli 1990). Durch eine Resektion wird der Hautüberschuss zwi- b
schen 2 Kreisen entfernt (. Abb. 78.3, . Abb. 78.4).
. Abb. 78.4a, b Periareoläre Straffung nach Huang u. Benelli. Der Haut-
Die Planung der periareolären Raffung kann sowohl kon­ überschuss wurde konzentrisch exzidiert (a). Durch den Wundverschluss
zentrisch als auch exzentrisch erfolgen. Bei der konzentrischen Ex- kommt es zu der gewünschten periareolären Raffung (b)
zision bleibt die Mamille an ihrer ursprünglichen Position, während
bei der exzentrischen Planung die Mamille neu positioniert wird
und so je nach Bedarf eine Kranialisierung oder Medialisierung
erfolgen kann. Zur Vorbereitung der Liposuktion wird lateral in der Submam-
Jeder Patient erhält ein Kompressionsmieder, das für 4–6 Wo- märfalte eine Stichinzision durchgeführt, über die 500 ml Tumes-
chen postoperativ zu tragen ist (Leclère et al. 2008). Hierdurch zenzlösung mit NaHCO, Scandicain und Epinephrin im Fettdrüsen-
­können die Hauptkomplikationen (Hämatom, Serom) vermieden körper verteilt werden. Nach einer 20-minütigen Einwirkzeit wird
werden. im eigenen Vorgehen in Ultraschalltechnik vorgegangen. Bevor die
oberflächliche Absaugung mit der 3-mm-Sonde erfolgt, um im
> Gynäkomastieoperation: Konsequente Kompression post-
Sinne des Liposculpturings eine Retraktion der Haut zu erreichen,
operativ für mindestens 6–8 Wochen!
muss zuerst die Aspiration von verflüssigtem Fett und verbliebenen
Insbesondere nach ausgedehnter Liposuktion kann mit zunehmen­ Fettzellen zunächst in den tiefen, epifaszialen Schichten mit der
der und zu früher Aktivitätsaufnahme das Weichteilgewebe sehr 5-mm-Absaugsonde durchgeführt werden. Vor allem im Subkutan-
schnell wieder ödematös werden und dann zur hartnäckigen Weich- bereich ist auf ständige Bewegung der Ultraschallsonde zu achten,
teilschwellung führen, die vom Patienten als »schlechtes« Opera­ da es sonst durch lokale Hitzeentwicklung zu einer Hautnekrose
tionsergebnis angesehen wird. Eine mehr oder weniger komplette kommen kann.
Vernarbung sollte daher unbedingt abgewartet werden.

78.4 Komplikationen
78.3.2 Fettabsaugung (Liposuktion)
Komplikationen der operativen Therapie werden in der Literatur mit
Die Fettabsaugung findet zunehmende Anwendung in der chirur- einer Häufigkeit von 3–28% angegeben (Steele et al. 2002; Wiesman
gischen Behandlung der Gynäkomastie. Insbesondere bei der Pseu- et al. 2004). Häufige Komplikationen (ca. 7%) sind Nachblutungen
dogynäkomastie sowie bei Formen mit überwiegend Fett-/Drüsen- und Hämatome sowie eine Serombildung (Handschin et al. 2008).
überschuss ohne Notwendigkeit der Hautentfernung sind gute Er- Die konsequente Kompressionstherapie über einen Zeitraum von
gebnisse beschrieben worden (. Abb. 78.5). 6–8 Wochen reduziert diese Rate erheblich. Weitere, seltene Kompli-
78.4 · Komplikationen
751 78

a b

. Abb. 78.5a, b Liposuktion. Die alleinige Liposuktion eignet sich insbesondere für die Behandlung der Pseudogynäkomastie ohne vergrößerten und
fibrosierten Drüsenkörper und ohne wesentlichen Hautüberschuss

kationen sind Wundheilungsstörungen, Epidermolysen, Hautnekro- Simon BE, Hoffman S, Kahn S (1973) Classification and surgical correction of
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79

Formkorrektur
an der oberen Extremität
F.-M. Leclère, A. Gohritz

79.1 Zielsetzung – 754

79.2 Diagnostisches Vorgehen – 754


79.2.1 Klassifikation – 754

79.3 Therapiewahl – 754


79.3.1 Operationstechniken am Oberarm – 754
79.3.2 Operationstechniken an der Hand – 757

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


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754 Kapitel 79 · Formkorrektur an der oberen Extremität

Eingriffe zur ästhetischen Konturierung an der oberen Extremität,


meist am Oberarm, sind v. a. nach extremer Gewichtsabnahme in- . Tab. 79.1 Klassifikation nach Appelt et al. (2006)
diziert. Sie wurden bereits 1931 von Joseph beschrieben, in der süd-
amerikanischen Literatur 1954 durch Correa-Iturraspe und Fernan- Typ Haut- Fett- Lage des Haut-
dez. Allerdings wurden häufig Komplikationen und suboptimale überschuss überschuss überschusses
Ergebnisse angegeben, und mehr als 20 Jahre verstrichen, ehe neue I Minimal Leicht Nicht feststellbar
Techniken erfunden wurden, um die Brachioplastik sicherer und
effektiver zu machen. Selten werden auch ästhetisch-plastische Ein- IIa Leicht Minimal Proximal
griffe zur Verschönerung der Hände durchgeführt. IIb Leicht Minimal Ganzer Arm

IIc Leicht Minimal Arm und Brust

79.1 Zielsetzung IIIa Leicht Leicht Proximal

IIIb Leicht Leicht Ganzer Arm


Ziele der Formverbesserung an der oberen Extremität sind v. a.
4 Reduktion des Haut- und Fettüberschusses an der oberen Extre- IIIc Leicht Leicht Arm und Brust
mität, v. a. im Bereich von Oberarm- und Axilla, unter
79 5 Vermeidung auffälliger Narben, möglichst mit Positionie-
rung im Sulcus brachialis, sodass sie bei hängendem Arm
kaum und nur bei Abduktion sichtbar sind,
5 Verringerung von Seromrate und Lymphödemen durch ge- 79.3.1 Operationstechniken am Oberarm
ringe Gewebeunterminierung.
Liposuktion
Die Wahl des richtigen Operationsverfahrens, um optimale Ergeb- Im Bereich der Oberarme ist die Fettabsaugung allein nur selten
nisse zu erzielen, basiert auf der anatomischen und ästhetischen hilfreich (Typ I der Klassifikation nach Appelt et al. 2006). In der
Analyse des Patienten, v. a. nach massiver Gewichtsabnahme. Regel benötigen die Patienten eine Oberarmstraffung, um akzeptab-
le Ergebnisse zu erzielen.
Fettabsaugungen an der oberen Extremität werden mit dünnen
79.2 Diagnostisches Vorgehen Spezialkanülen durchgeführt, die Durchführung der ultraschallun-
terstützten Liposuktion ist nur bei großer Erfahrung ratsam.
Die präoperative Untersuchung eines Patienten, der eine Formver- Ein klinisches Beispiel ist in . Abb. 79.2 gezeigt.
besserung an Oberarm oder Händen wünscht, dient der Bestim-
mung der besten Behandlungsmethode. Dermatolipektomie
Am Oberarm bestehen nach Hurwitz folgende Deformitäten: Gemeinsames Ziel aller Techniken ist die Reduktion des erschlafften
4 Die Oberarmhaut hängt vom hinteren Rand der Axilla bis zum und durchhängenden Gewebes. Dies geschieht einerseits durch
Ellbogen schlaff herab. Straffung der Faszie und der Haut, andererseits durch Exzision von
4 Die hintere Axillarfalte ist entlang der hinteren Axillarlinie her- überschüssigem Gewebe.
abgesunken. Ein klinisches Beispiel ist in . Abb. 79.3 gezeigt.
4 Die Axilla wirkt übergroß und verzerrt.
4 Die vordere axilläre Falte ist schlecht definiert und steht nicht in Anzeichnung
Relation zur Brust. Der präoperativen Markierung der Schnittführung kommt große
Bedeutung zu. Die resultierende benötigte Narbe sollte unauffällig
Die Bestimmung des Ausmaßes an überschüssigem Fett erfolgt am medialen Oberarm zu liegen kommen, am besten im Verlauf des
durch den Kneiftest (Pinch-Test). Patienten mit mehr als 1,5 cm Sulcus bicipitalis medialis (Linie zwischen Mittelpunkt der Axilla
Fettüberschuss beim Pinch-Test sind potenzielle Kandidaten für eine und dem Epicondylus humeri medialis. Bei »Verrutschen« der
zusätzliche Liposuktion. Schnittführung, v. a. nach dorsal, entstehen sehr auffällige, z. T.
schon von weitem sichtbare Narben.
> Die Anzeichnung erfolgt präoperativ am sitzenden wa-
79.2.1 Klassifikation chen Patienten mit 90° abduzierten Armen. Diese Stellung
wird auch für die präoperative Fotodokumentation emp-
Die Klassifikation nach Appelt et al. (2006) unterscheidet drei große
fohlen, um die maximale Erschlaffung des Gewebes am
Typen, die in . Tab. 79.1 dargestellt sind.
besten sichtbar zu machen.
Bei der Anzeichnung sollten auf beiden Seiten die jeweils korrespon-
79.3 Therapiewahl dierenden gegenüberliegenden Hautanteile durch quere Linien ge-
kennzeichnet werden, um eine exakt seitengleiche Geweberesektion
Der individuelle Therapieplan basiert auf den Methoden der Lipoa- und einen symmetrischen Hautverschluss zu erleichtern.
spiration, der brachioplastischen Resektion oder der Kombination
aus beiden Verfahren. Ihre Indikationen sind in . Abb. 79.1 zusam- ! Cave
mengefasst, die die Arbeiten von Appelt et al. (2006) aufnimmt und In der Achselhöhle sind gerade Schnittführungen mit der
komplettiert. Gefahr von Narbenkontraktur zu vermeiden. Die Narbe
wird besser durch eine Z-Plastik oder eine Inzision in Form
eines in die Axilla geöffneten V aufgelöst.
79.3 · Therapiewahl
755 79

. Abb. 79.1 Entscheidungsbaum zur Therapiewahl bei der Oberarmstraffung. (Mod. nach Appelt et al. 2006)

a b

. Abb. 79.2a, b Lipoplastik an den Oberarmen durch Liposuktion bei M. Madelung. Die Zugänge werden jeweils distal am Oberarm (Pfeil) gewählt, da hier
der beste Aktionsradius für die Kanüle besteht
756 Kapitel 79 · Formkorrektur an der oberen Extremität

79 a c

b d

. Abb. 79.3 Lipoplastik an den Oberarmen durch Dermolipektomie bei eine medialseitig bogenförmige Inzision (a), die konvex in Richtung Bizeps
massivem Hautüberschuss (a, b). Entscheidend für ein befriedigendes orientiert ist, wird ein postoperatives »Abwandern« der Narbe nach dorsal
Ergebnis ist neben der Formgebung die Positionierung der Narben. Durch in den sichtbaren Bereich verhindert (c, d)

Besonders nach massiver Gewichtsabnahme kann die Schnittfüh- dass die Gefahr der Narbenverlagerung nach dorsal in den sicht-
rung mit der Inzision einer simultanen Bruststraffung kombiniert baren Bereich verhindert wird.
werden, meist wird in dieser Situation zu einer geschwungenen
Schnittführung geraten. Anästhesie und Lagerung
Oberarmstraffungen erfordern meist eine Vollnarkose. Die Arme
> Die Inzision am Oberarm sollte im Verlauf des Sulcus
werde auf Armtischen steril in 90° Abduktion gelagert.
bicipitalis medialis geplant werden.
Hier ist eine weitgehend gerade Schnittführung – nach ventral kon- Gewebeexzision und -straffung
vexe oder nach Pitanguy eine S-förmig geschwungene – Inzision an Gemäß der vorher markierten Schnittführung erfolgt in der Axilla
der Oberarminnenseite möglich. Die Schnittführung endet meist die Resektion von überschüssiger Haut und subkutanem Fettgewebe
vor dem Ellbogen. Nur bei ausgeprägter Hauterschlaffung im dista- bis auf die axilläre Faszie. Die Inzision im Bereich des Arms erfolgt
len Oberarmbereich sollte eine T-förmige Gewebeexzision nach Juri durch das oberflächliche Fasziensystem hindurch. Das zu resezie-
angeschlossen werden. Die Inzision sollte stets so platziert werden, rende Gewebe wird unterhalb dieser Ebene durch teils stumpfe, teils
79.3 · Therapiewahl
757 79
scharfe Dissektion angehoben, wobei nur eine minimale Untermi- aktiv und verblassen nur zögerlich. Der Hautüberschuss ist über den
nierung der Wundränder erfolgen sollte. gesamten Oberarm verteilt und nicht auf die Regionen Axilla und
Ellbogen beschränkt. Häufig ist es notwendig, die Narbenverläufe
Wundverschluss auf die Regionen laterale Thoraxwand und proximaler Unterarm
Nach der Exzision der Gewebeüberschüsse erfolgt immer ein mehr- auszudehnen, um eine entsprechend ausreichende Hautstraffung zu
schichtiger Wundverschluss. In der Tiefe erfolgt eine Faszienaufhän- erzielen.
gung mit nicht resorbierbaren Nähten der Stärke 1-0, an der Dermis
wird mit 3-0 und an der Haut mit 4-0 mit resorbierbarem Fadenma- Nachbehandlung
terial genäht. Ein dicker Verband reicht von der Hand bis in die Axilla. Nachdem
Drainagen müssen nach sorgfältiger Blutstillung nicht unbe- die Wunde geheilt ist, sollte eine leichte Kompression für 2–4 Wo-
dingt eingelegt werden. Von einigen Autoren wird allerdings die chen mit schrittweiser Wiederkehr zum normalen Alltagseinsatz der
Einlage von Drainagen mit Ausleitung in der Axilla zur Erhöhung oberen Extremität begonnen, anfangs jedoch eine maximale Abduk-
der Sicherheit empfohlen. Nach der Operation sollte ein leicht kom- tion vermieden werden.
primierender Verband angelegt werden. Eine Lage gewickelter Wat-
te schützt vor einem Abdruck der oberflächlichen Kompressions­
wickelung. 79.3.2 Operationstechniken an der Hand
Postoperative Maßnahmen Hautstraffung (»Hand lifting«)
Lockere Kompressionsbandagen und leicht elevierte Arme für die Operationen zur Faltenstraffung am Handrücken sind bekannt,
ersten 3 Tage nach der Operation führen zu einer guten Abschwel- meist von einer in der Handgelenkfalte oder an der ulnaren Hand-
lung und sind angenehm für den Patienten. kante gelegenen Inzision aus, werden aufgrund häufig unbefriedi-
Es werden intrakutane resorbierbare Fäden verwendet und gender Resultate und erheblicher Komplikationsmöglichkeiten je-
den Pa­tienten sind anstrengende Armbelastungen für 4 Wochen doch nur selten angewandt.
untersagt. Kompressionsbandagen reduzieren die Ausbildung über-
schießender Narben. Autologe Fettinjektion
Die Auffüllung atrophierten subkutanen Fettgewebes an der Alters-
Aufklärung und Komplikationen hand kann bei Anwendung von freien Fettgewebstransplantaten in
Die Brachioplastik führt unvermeidbar zu langen Narben. Hierüber mehreren Sitzungen nach dem Coleman-Verfahren (Coleman 1995)
muss der Patient im Aufklärungsgespräch informiert werden. Der zu guten Resultaten führen.
Patient und der Plastische Chirurg sollten zwischen dem ästhe- Besondere Vorsicht ist angezeigt, um die Handrückenvenen
tischen Gewinn durch die Brachioplastik und den verbleibenden nicht zu beschädigen und die Fettgewebspartikel in vielen Kanälen
Narben abwägen. zu platzieren. Das transplantierte Fettgewebe schafft ein pralleres
Da es sich um einen rein ästhetischen – und darüber hinaus re- subkutanes Fettgewebspolster und kaschiert dadurch die durch den
lativ komplikationsträchtigen – Eingriff handelt, muss der Patient Alterungsprozess vermehrte Venenzeichnung.
über alle Komplikationen, auch die seltenen, aufgeklärt werden Nach der Operation kann es zu Pigmentverschiebungen kom-
(. Übersicht). men. In diesen Fällen ist die Behandlung mit 4%igem Hydrochinon
erfolgversprechend.
Komplikationen der Brachioplastik
4 Ungünstige sichtbare oder hypertrophe Narben (die Nar- Literatur
benreifung dauert am Oberarm 18–24 Monate, erst dann Abramson, DL (2004) Minibrachioplasty: Minimizing scars while maximizing
ist eine feine abgeblasste Narbe zu erwarten) results. Plast Reconstr Surg 114: 1631
4 Unschöne Gewebeübergänge, v. a. an Axilla und Ellbogen Appelt EA, Janis JE, Rohrich RJ (2006) An algorithmic approach to upper arm
4 Konturunregelmäßigkeiten contouring. Plast Reconstr Surg. 118 (1): 237–46
4 Ödeme (daher möglichst keine venösen Zugänge im Correa-Iturraspe, M, Fernandez JC (1954) Dermolipectomia braquial. Prensa
Bereich der Arme) Med Argent 34: 2432
Gilliland MD, Lyos AT (1997) CAST liposuction of the arm improves aesthetic
4 Lymphödem oder Lymphozele
results. Aesth Plast Surg 21: 225
4 Serome (wenn nötig Punktion)
Glanz S, Gonzalez-Ulloa M (1981) Aesthetic surgery of the arm: Part I. Aesth
4 Wundinfektionen, Dehiszenzen oder Nahtabszesse
Plast Surg 5: 1
4 Über- oder Unterresektion Hurwitz DJ, Holland SW (2006) The L brachioplasty: an innovative approach
4 Ausbildung von queren Hautfalten to correct excess tissue of the upper arm, axilla, and lateral chest. Plast
4 Verletzung von Strukturen im Operationsgebiet, am Reconstr Surg 117 (2): 403–11
häufigsten des N. cutaneus antebrachii medialis, selten Knoetgen J 3rd, Moran SL (2006) Long-term outcomes and complications
Schä­digung tiefer gelegener Strukturen in der Axilla associated with brachioplasty: a retrospective review and cadaveric
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Gerade bei dieser Operation sollte eindringlich auf die lang verlau- and inner side of the arm and elbow dermosenescence. Clin. Plast Surg
fenden, deutlich sichtbaren Narben hingewiesen werden, die bereits 2: 477
bei kurzärmeliger Kleidung sichtbar sind. Im Gegensatz zu anderen Pitanguy I (2000) Evaluation of body contouring surgery today: A 30-year
Körperregionen sind die Narben im Bereich der Oberarme lange perspective. Plast Reconstr Surg 105: 1499
758 Kapitel 79 · Formkorrektur an der oberen Extremität

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79
80

Formkorrektur an Gesäß
und unterer Extremität
A. Gohritz, H. Sorg

80.1 Diagnostik – 760

80.2 Indikationsstellung – 760


80.2.1 Mediale Oberschenkelstraffung – 760
80.2.2 Straffungsoperationen im Gesäß-Oberschenkel-Bereich – 760
80.2.3 Liposuktion an der unteren Extremität – 761
80.2.4 Formkorrekturen am Unterschenkel – 762

80.3 Komplikationen und Risiken – 762

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


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760 Kapitel 80 · Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität

Der Wunsch nach einer ästhetischen Operation an den unteren das femorale Dreieck markiert, um eine intraoperative Verletzung
Extre­mitäten und am Gesäß ist im Vergleich zu anderen Körper­ in diesem Bereich zu vermeiden. Die gedachten Inzisionslinien
regionen eher selten anzutreffen. Es hat sich jedoch im Laufe der werden an der Oberschenkelinnenseite am Sitzbein angezeichnet.
Jahre eine erhebliche Erweiterung möglicher Indikationen und Sie reicht weiter medial entlang der Innenseite der Gesäßfalte und
Techniken ergeben. setzt sich nach vorn bis etwa auf Höhe der Labia majora bei der
Chirurgische Eingriffe zur Konturverbesserung in diesen Re­ Frau fort.
gionen umfassen v. a. Mit einem Pinch-Test wird das Gewebe zwischen Daumen und
4 Straffungsoperationen am Oberschenkel, Zeigefinger genommen und eine elliptische Exzisionslinie einge­
4 Straffungsoperationen und Konturverbesserungen am Gesäß, zeichnet. Bei Patienten, bei denen unterhalb des oberen Oberschen­
4 Liposuktion im Bereich des gesamten Beins und keldrittels ein Hautüberschuss besteht, wird weiterhin eine vertikale
4 Operationen zur Verminderung, selten auch zur Augmentation Ellipse angezeichnet, sodass im Endresultat eine T-förmige Narbe
(Implantation) des Wadenumfangs. entsteht (. Abb. 80.2).
> Der Patient muss präoperativ eingehend über die nicht
selten auffälligen Narben informiert werden.
80.1 Diagnostik
Die meisten Patienten, die aufgrund eines ästhetischen Problems der
unteren Extremitäten auf die Hilfe des Plastischen Chirurgen hoffen, 80.2.2 Straffungsoperationen
beklagen einen störenden Fettgewebeüberschuss am Oberschenkel im Gesäß-Oberschenkel-Bereich
80 glutäal, medial oder in der Trochanterregion sowie im Kniebereich,
seltener auch am Unterschenkel oder im Waden- und Knöchelbe­ Bei der Dermolipektomie in der Glutäal-Oberschenkel-Region han­
reich. Dieser kann inspektorisch und durch Kneiftest festgestellt delt es sich um eine zirkumferenzielle oder teilzirkumferenzielle
werden. Haut-Fettgewebs-Resektion zur Definition der Infraglutäalfalte.
Bei der Planung operativer Maßnahmen sind wichtige anato­- Der Glutäalbereich wird diagonal nach oben gezogen oder in die
mi­sche Strukturen, v. a. Gefäße und Nerven, aber auch Haupt­ Infraglutäalfalte gelegt. Bei hoher Inzisionslinie kann die entstehen­
bahnen der Lymphabflusswege zu berücksichtigen und unbedingt de Narbe gut in der Unterwäsche verdeckt werden. Es besteht jedoch
zu schonen. der Nachteil des Flachziehens des Gesäßprofils. Dies wird bei einer
tieferen Narbenführung weitgehend vermieden, dafür sind hier die
Narben oft auffälliger.
80.2 Indikationsstellung Für die Straffung der Glutäalregion kann ein deepithelisierter
dermaler Lappen zur Anwendung kommen. Dieser muss im Vorfeld
Die Fettabsaugung bietet die Möglichkeiten, Deformitäten in be­ am stehenden Patienten angezeichnet werden (. Abb. 80.3). Hierfür
stimmten Bereichen zu korrigieren, in denen postoperativ eine Aus­ muss zunächst die bestehende sowie die neue infraglutäale Falte
sicht auf eine elastische Retraktion der Haut besteht (. Abb. 80.1). markiert werden. Zudem sollte die Zone der Deepithelialisierung
Bei weniger elastischen Hautüberschüssen bleibt die straffende Der­ angezeichnet werden.
matolipektomie die Methode der 1. Wahl. Für die Operation liegt der Patient in Bauchlage mit etwas er­
höhter Glutäalregion. Im ersten Schritt wird die präoperativ mar­
kierte Zone deepithelisiert und anschließend horizontal in einen
80.2.1 Mediale Oberschenkelstraffung kranialen 2/3- und einen kaudalen 1/3-Lappen unterteilt. Diese Tei­
lung repräsentiert die neue Infraglutäalfalte.
Das Fettverteilungsmuster bei Frauen unterscheidet sich von dem Im Weiteren wird nun eine tiefe Schicht bis auf die Glutäalfaszie
bei Männern. Aufgrund einer weniger elastischen Haut im Ober­ unterminiert. Gegebenenfalls kann hier nun überschüssiges Fett re­
schenkelbereich kommt es schon früher zur Gewebeerschlaffung seziert werden. Der kraniale Lappen wird nun mit Prolenefäden an
mit Ausbildung von Hängefalten. Auch über den Knien und unter­ die Glutäalfaszie genäht und führt am Ende zur Position der neuen
halb des charakteristischen »Reithosenspecks« sowie unterhalb glutäalen Kurvatur und der Infraglutäalfalte. Der kaudale Lappen
des Gesäßes bilden sich Hautfalten, die durch den von oben nach wird an die erste Naht des kranialen Lappens zurückgenäht. Die
unten drückenden Weichteilschub zu typischen Gewebsstauchungen Hautnaht erfolgt durch intradermale Naht (3-0- oder 4-0-Monocryl)
führen. des kaudalen Lappens an die kraniale Haut (. Abb. 80.3).
Bei der Resektion von überschüssigem Haut- und Fettgewebe im Wenn ein schlaffer Hautüberschuss auf der Oberschenkelinnen­
Oberschenkelbereich handelt es sich oft um einen aufwendigen Ein­ seite auch mit dorsaler Rotation des Lappens nicht verbessert werden
griff, der in manchen Fällen eine intraoperative Umlagerung des kann, muss er mit einer medialen Dreiecksresektion entfernt wer­
Patienten notwendig macht. den. Weiter distal gelegenes, störendes Fett kann abgesaugt werden,
was auch das Verlagern des Lappens erleichtert.
! Cave
Solche Eingriffe sollten nur bei Patienten ohne wesent- > Wesentlich für die Dauerhaftigkeit des Ergebnisses sind
liche Risikofaktoren durchgeführt werden, v. a. hinsicht- die tiefen Verankerungen des Lappens mit Einzelknopf-
lich Wundheilungsstörungen und Lymphstauungen. nähten an der Adduktorenfaszie im Bereich des Tubercu-
lum pubicum.
Operationstechnik Wir benützen dazu spät resorbierbares Nahtmaterial der Größe 0.
Zunächst erfolgt die präoperative Anzeichnung am stehenden Ebenfalls unerlässlich sind mehrschichtige Fasziennähte im ganzen
Patien­ten. Die Beine sind gespreizt. Als erstes werden die Regionen Wundrandbereich, wobei nicht nur der repositionierte Haut-/Fett­
mit Fettüberschüssen für die Liposuktion eingezeichnet, dann wird lappen tief an der Muskelfaszie verankert wird, sondern auch die in
80.2 · Indikationsstellung
761 80

a b

c d

. Abb. 80.1a–d Aspirationslipektomie bei einer Patientin mit typischer Reithosendeformität, vor und nach beidseitiger Absaugung an Hüfte und latera-
lem Oberschenkel in Tumeszenztechnik

Zwischenebenen durch das Fettgewebe ziehenden, oberflächlichen Ist eine Abdominoplastik ebenfalls indiziert, so kann sie mit ei­
(Scarpa-) Faszien als Haltestruktur verwendet werden. In diesem ner zirkumferenziellen oder teilzirkumferenziellen Oberschenkel­
Bereich verwenden wir meist 3-0 resorbierbares Nahtmaterial. dermolipektomie kombiniert werden.
Um einer sekundären Deformität vorzubeugen, empfiehlt es
sich, einen breiten deepithelisierten Fettlappen unter den Nahträn­
dern vorzuziehen und hoch zu verankern. Hoch eingenähte Dermis­ 80.2.3 Liposuktion an der unteren Extremität
zügel können ebenfalls ein distales Absacken der Haut-Fett-Massen
verhindern. Wird eine vermehrte Rundung des Gesäßes gewünscht, Die Ergebnisse und Anforderungen an eine Fettabsaugung an der
kann das überschüssige Fettgewebe gestielt zur formverbessernden unteren Extremität unterscheiden sich abhängig von den jeweiligen
Augmentation der Glutäalregion genutzt werden. Regionen.
762 Kapitel 80 · Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität

Absaugen auf der Grazilismuskulatur, welches nahezu unkorrigier­


bare, ästhetisch entstellende Einziehungen herbeiführt. Falls erfor­
derlich, kann jedoch eine innere Oberschenkelstraffung kombiniert
eingesetzt werden mit einer gleichzeitigen Absaugung bis hinunter
in die Oberschenkelmitte.
! Cave
Kombinationen von Liposuktion mit chirurgischen Resek-
tionen können die Komplikationshäufigkeit steigern.

Knieregion
In der Knieregion liegt bei vielen Patientinnen ein Fettpolster vor,
das die schlanke Kontur der Beine beeinträchtigen kann. Dieses
Polster kann jedoch leicht abgesaugt werden. Hierbei werden gute
a
Resultate erzielt, wenn der Ausläufer zum Tibiakopf hin mit abge­
saugt wird. Im Gegensatz dazu lässt sich die Außenseite des Kniege­
lenks und insbesondere der oberhalb der Patella gelegene Wulst
kaum absaugen, da das Fett hier stark septiert ist.

80 Knöchelregion
Die Region der Fesseln ist ebenso eine relativ schwierige Zone, da es
hier keine eigentlichen Fettpolster gibt, sondern nur das oberfläch­
liche subkutane Fett verdickt ist. Hier besteht das Risiko einer ve­
nösen oder lymphatischen Rückflussstauung nach der Absaugung.
Es kann Monate dauern, bis die Ödeme verschwinden, und zudem
können Hyperpigmentierungen auftreten. Auch dauerhafte Lymph­
abflussstörungen sind möglich.

b 80.2.4 Formkorrekturen am Unterschenkel


. Abb. 80.2a, b Inzisionslinien bei der medialen Oberschenkelstraffung
Hier sind operativ grundsätzlich Verminderungen oder Vergröße­
rungen des Wadenumfangs möglich.
Proximale Oberschenkelaußenseite
Bei der sog. Reithosendeformität (. Abb. 80.1) besteht zwischen Wadenvergrößerung
der Fascia superficialis und der Aponeurose ein dickes Fettpolster, Eine Augmentation im Bereich des Unterschenkels kann durch Ein­
das mit größeren Kanülen relativ leicht abgesaugt werden kann. Für lage von speziellen Implantaten, meist subfaszial, erreicht werden.
die oberflächliche Fettschicht sind längere dünne Kanülen geeig­
neter. Die Übergänge zu den oberen, hinteren und unteren Fettde­ Wadenverschmälerung
pots am Gesäß sind fließend und müssen dementsprechend beachtet Eine Umfangsverminderung bei Wadenhypertrophie wird allgemein
werden. selten, jedoch anscheinend vermehrt von Patienten aus dem asia­
Ungefähr 4 cm unterhalb der Gesäßfalte befindet sich ein straf­ tischen Raum gewünscht, die unter einer ihrer Meinung nach zu
fes Band, das Lig. ischeocutaneum. Dieses kann locker sein und da­ stämmigen Form ihrer Waden leiden. Grundsätzlich sind zwei Tech­
mit eine ausgebildete Gesäßfalte verhindern, oder es kann eine dop­ niken möglich:
pelte oder dreifache Falte verursachen. Manchmal entsteht beim 4 Verschmächtigung durch Resektion von Haut oder sogar Mus­
Absaugen von »Reithosen« eine Gesäßfalte von selbst, oder sie kann kulatur, z. B. des M. soleus,
durch Absaugen unterhalb der Gesäßfalte geschaffen werden, wobei 4 gezielte Denervation zur Atrophie der Unterschenkelmuskulatur
das subkutane Fett unter der Lederhaut in der gedachten Falte abge­ (z. B. der Mm. gastrocnemici).
saugt wird. Im besten Falle ergibt sich eine Einziehung der Haut, dies
kann jedoch nicht garantiert werden. Im eigenen Vorgehen werden rein ästhetische Formkorrekturen des
Unterschenkels mittels Expander oder Muskelreduktionen wegen
Hüftbereich des Risikos schwerwiegender Komplikationen nicht durchgeführt.
Bei manchen Frauen kann sich das Hüftfett bis zur Wirbelsäule aus­
dehnen und in dieser Region oft leicht abgesaugt werden. Mit einer
gebogenen Kanüle kann hier meist ohne Risiko sehr oberflächlich 80.3 Komplikationen und Risiken
(ca. 1 cm unter der Lederhaut) abgesaugt werden.
Bei ästhetischen Korrekturen an der unteren Extremität sind v. a. bei
Oberschenkelinnenseite geringer Erfahrung des Operateurs oder ungenügender Berücksich­
Dies ist eine relativ schwierige Zone für die Absaugung, da sie nur tigung der anatomischen Gegebenheiten folgende Risiken zu be­
wenige Fehler verzeiht. Meist liegt hier ein dickeres Fettpolster mit achten:
sehr schwerer Haut vor, die nach der Absaugung nur wenig schrumpft 4 Überkorrekturen (Übersaugung) mit nachfolgenden Konturun­
und zur Falten-Dellen-Bildung neigt. Riskant ist ein zu aggressives regelmäßigkeiten, wie z. B. Dellen- oder Wellenbildung, doppel­
80.3 · Komplikationen und Risiken
763 80

c e

. Abb. 80.3 a Präoperative Markierung für eine Straffung der Infraglutäal- dem kranialen und dem kaudalen Lappen und somit die neue Infraglutäal-
region. Hier bei einer 38-jährigen Patientin mit glutäaler Ptosis und Zustand falte. c Die dermalen Lappen werden nun in den kranialen (2/3) und kauda-
nach mehrfacher Liposuktion. Eingezeichnet in blau ist die undefinierte len (1/3) Lappen unterteilt. Der kraniale Anteil ist bereits an die Glutäalfas-
abgesenkte Infraglutäalregion sowie in rot die Planung der neuen Infraglu- zie mit Prolenefaden genäht. Hierdurch wird die neue glutäale Kurvatur
täalfalte. Der blaue Bereich markiert zudem die Zone für die Deepitheliali- sowie die Infraglutäalfalte sichtbar. d Fixierung des kranialen und kaudalen
sierung. b Die präoperativ markierte, nach lateral ansteigende Zone ist nun Lappens an die Glutäalfaszie. e Postoperatives Ergebnis nach Einlage von
deepithelisiert. Die blaue horizontale Linie markiert die Grenze zwischen Drainagen und kompletter Hautnaht
764 Kapitel 80 · Formkorrektur an Gesäß und unterer Extremität

te oder verstrichene Gesäßfalte, unerwünschte Hauterschlaffung


oder optisches Hervortreten von Knochenstrukturen (skelettie­
render Eindruck).
4 Verletzung von Strukturen im Operationsgebiet: Gefäße
(V. saphena magna/parva!), Nerven (z. B. N. suralis oder saphe­
nus → Gefahr schmerzhafter Neurome!), Lymphbahnen (Lym­
phabflussstörung) oder Muskeln (bei zu tiefer Saugung mit Ge­
fahr eines Kompartmentsyndroms).

Literatur
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(ed) Mastery of plastic and reconstructive surgery, vol 3. Lippincott
Williams & Wilkins, pp 2237–2258
Handschin AE, Mackowski M, Vogt PM, Peters T (2010) A new technique for
gluteal lifting using deepithelialized dermal flaps. Aesthet Plast Surg 34
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Lockwood TE (1993) Lower body lift with superficial fascia system suspension.
Plast Reconstr Surg 92: 1112–1122
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80 trophy. Aesth Plast Surg 3: 311
Szalay L (1995) Twelve years’ experience of calf augmentation. Aesth Plast
Surg 19: 473–476
XII

Fehlbildungen
P. Vogt

Kapitel 81 Fehlbildungen des Gesichtes   – 767


N.-C. Gellrich, H. Essig

Kapitel 82 Fehlbildungen der Mammae   – 791


A. Heckmann, K.H. Breuing

Kapitel 83 Fehlbildungen der Hände   – 801


A. Gohritz, P.M. Vogt

Kapitel 84 Fehlbildungen der Füße   – 811


P.M.Vogt, L.-U. Lahoda
Behandlungen von Fehlbildungen stellen ein besonders herausforderndes Gebiet in der ­Plastischen Chirurgie dar.
Den in der Regel kleinen Patienten, seltener Erwachsenen, kann mit einem individuell indizierten und präzise
ausgeführten Eingriff ein hohes Maß an Lebensqualität zurückgegeben werden. Dies betrifft im Kopf-Hals-Bereich
neben den kraniofazialen Fehlbildungen die Korrektur von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. In der Peripherie wer-
den neben der Fehlbildung der Mamma die kongenitalen Deformitäten der Hände und Füße behandelt.
Die Fehlbildungschirurgie ist eine konstruktive Chirurgie, insofern als sie nicht angelegte oder bei der Geburt
fehlende Körperstrukturen und Körperfunktionen ergänzt.
81

Fehlbildungen des Gesichts


N.-C. Gellrich, H. Essig

81.1 Kraniofaziale Fehlbildungen – 768


81.1.1 Kraniosynostosen – 768
81.1.2 Symptomatik – 770
81.1.3 Diagnostik – 770
81.1.4 Kraniofaziale Syndrome – 772
81.1.5 Therapeutisches Vorgehen – 775

81.2 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten – 779


81.2.1 Pathogenese, Entwicklung – 779
81.2.2 Klassifikation von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten – 780
81.2.3 Syndrome mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten – 785
81.2.4 Therapeutisches Vorgehen – 785

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
768 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

81.1 Kraniofaziale Fehlbildungen


Definition. Unter dem Begriff der kraniofazialen Fehlbildungen
werden kongenitale, d. h. angeborene Missbildungen des Schädels
zusammengefasst, die den Hirn- und Gesichtsschädel betreffen. Da-
bei versteht man unter Dysplasien die Fehlbildung eines Gewebes
mit unzureichender Differenzierung, während Störungen des Kno-
chenwachstums als Dysostosen bezeichnet werden.
> Zu den kraniofazialen Fehlbildungen gehören primäre
Schädelveränderungen wie Kraniosynostosen und
Enzephalozelen, sekundäre Schädelveränderungen wie
Mikrozephalie und Hydrozephalus sowie kraniofaziale
Syndrome.

81.1.1 Kraniosynostosen
. Abb. 81.1 Veränderungen von Hirnvolumen und Hirnschädelkapazität [ml]
Kraniosynostosen und daraus entstehende Stenozephalien resul­
tieren aus der verfrühten Synostose (Verknöcherung) einer oder
mehrere Schädelnähte. Bereits Hippokrates beschrieb die daraus schiedlicher Penetranz, abhängig vom jeweiligen Syndrom (Inzidenz
resultierenden Veränderungen der Schädelform und brachte diese von 2/1 Mio. Lebendgeburten). In Deutschland muss bezogen auf
81 mit der Entwicklung der Schädelnähte in Verbindung. Die moderne die Gesamtpopulation mit etwa 600–800 Fällen pro Jahr gerechnet
wissenschaftliche Aufarbeitung von Schädelmissbildungen begann werden (Neuhauser et al. 1976; Berg et al. 1997). Im westlichen Eu-
jedoch erst 1800 durch Sömmerring (Cohen 1975). Virchow (1851) ropa ist die Synostose der Pfeilnaht (Skaphozephalus) am häufigsten
verfeinerte diese Beobachtungen und postulierte das, was als Vir­ anzutreffen.
chow’sches Gesetz bekannt wurde: Das Wachstum wird im rechten
Winkel zur betroffenen Schädelnaht behindert und findet kompen- Klassifikation der Kraniosynostosen
satorisch entlang dieser Naht und an nicht betroffenen Schädelnäh- Die Kraniosynostose kann in eine primäre und sekundäre Form ein-
ten statt. geteilt werden. Bei der primären Kraniosynostose liegt eine Störung
Charakteristisch ist eine Verkleinerung des Schädelumfangs bei des Verknöcherungsprozesses der Schädelnaht vor, die sekundäre
normalem Gehirnvolumen. entwickelt sich aufgrund einer Vorerkrankung (Stoffwechselstörung,
Voroperation). Die Einteilung erfolgt nach der Lokalisation der be-
! Cave
troffenen Schädelnaht (. Abb. 81.2, . Tab. 81.1).
Durch das Wachstum des Gehirns kommt es jedoch bald
zu Schädeldysmorphien mit möglichem Anstieg des intra-
Sutura sagittalis. Die isolierte vorzeitige Verknöcherung der Pfeil-
kraniellen Drucks (>15 mm Hg bei 42% aller Patienten
naht findet sich in 50–60% der prämaturen Kraniosynostosen. Jun-
mit multiplen betroffenen Schädelnähten) und hieraus
gen sind etwa 3,5-mal häufiger als Mädchen betroffen (Lajeunie et
folgender neurologischer Symptomatik.
al. 1995). Durch den frühzeitigen Verschluss der Sagittalnaht wächst
Im Alter von 6 Monaten erreicht das Hirnvolumen etwa 50% des der Schädel vermehrt in die Länge. Das Wachstum in die Breite
adulten Volumens und verdreifacht sich innerhalb der ersten 2 Jahre bleibt zurück. Es resultiert ein Dolichozephalus (Langschädel). Ste-
im Vergleich zum Geburtsvolumen (Gault et al. 1990). Nach dem hen die beiden Os parietalia in einem sehr steilen Winkel, spricht
4. Lebensjahr nimmt es bis zum Erwachsenenalter nur noch um 1% man von einem Skaphozephalus (Kiel- oder Kahnschädel; Grunert
zu (. Abb. 81.1). et al. 1998).
Kraniosynostosen können sekundäre Symptome wie mentale
Retardierung, Papillenödeme, Sehstörungen, Exophthalmus und Sutura frontalis. Bei etwa 10% der Kinder mit prämaturer Kranio-
Lagophthalmus zur Folge haben. Das klinische Erscheinungsbild ist synostose verknöchert die Frontalnaht (Sutura frontalis, Sutura
von der betroffenen Sutur abhängig.
Operative Verfahren wurden bereits 1890 durch Lannelongue
(David u. Simpson 1982) veröffentlicht. Er schnitt Kanäle entlang
. Tab. 81.1 Kraniostosen
der betroffenen Synostosen in die Schädelknochen. Tessier revoluti-
onierte durch die frontoorbitale Mobilisation nach erfolgter Le-Fort-
Schädelform Betroffene Schädelnaht/Sutur
III-Osteotomie die operative Therapie bei Schädelmissbildungen
(Tessier 1967; Tessier et al. 1967). Die Methode des »schwimmenden Frontaler Plagiozephalus Koronarnaht (einseitig)
Stirnbeins« (»floating forehead«) wurde von Marchac und Renier
entwickelt und 1979 erstmals publiziert (Marchac u. Renier 1979). Okzipitaler Plagiozephalus Lambdanaht (einseitig)

Frontaler Brachyzephalus Koronarnaht (beidseitig)


Epidemiologie
Okzipitaler Brachyzephalus Lambdanaht (beidseitig)
Meist handelt es sich um spontane, nicht syndromale, nur eine Schä-
delnaht betreffende Synostosen (Inzidenz von 1:1.000 bis 1:3.000; Scaphozephalus Sagittalnaht
Patriquin et al. 1977). Syndromale Fälle hingegen unterliegen meist Trigonozephalus Frontalnaht/Sutura metopica
einer autosomal-dominanten oder rezessiven Vererbung mit unter-
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
769 81

. Abb. 81.2 Einteilung der Kraniosynostosen. Vorzeitige Synostose der rot markierten Sutur(en). (Mod. nach Marchac et al. 1981)

metopica). Die Frontalregion bleibt im Breitenwachstum zurück, Befall multipler Suturen. Synostosen, die multiple Schädelnähte
während kompensatorisch die Os parietalia in die Breite wachsen. betreffen, finden sich in etwa 10% aller Kraniosynostosen. Ein
Durch die schmale mittige Stirnprominenz und Abflachung an bei- Oxyzephalus (Spitzschädel) entsteht durch vorzeitige Verknöche-
den Stirnseiten imponiert eine dreieckige Schädelform (Trigonoze- rung der Koronarnähte, der Sagittalnaht und der Lambdanaht. Bei
phalus, Dreiecksschädel). Die Orbitae sind nach medial verlagert kleinem Schädel zeigt sich eine hohe Stirn mit abfallendem Hinter-
mit einem daraus resultierenden Hypotelorismus. Neurologische haupt. Häufig sind Hypertelorismus und Exophthalmus assoziierte
Störungen oder geistige Retardierung werden beim Dreiecksschädel Symptome. Eine Sonderform der multiplen Kraniosynostosen und
nur selten beobachtet (Muhling u. Zoller 1996). eine sehr seltene Fehlbildung ist der Kleeblattschädel. Die Bezeich-
nung der Schädelform mit bitemporalen Vorwölbungen resultiert
Sutura coronalis. Bei 20% aller prämaturen Kraniosynostosen aus der Ähnlichkeit mit einem dreiblättrigen Kleeblatt (. Abb. 81.3).
liegt eine vorzeitige Verknöcherung der Kranznaht vor, die zu International wurden bisher weniger als 150 Fälle publiziert.
einem verstärkten Breitenwachstum führt. So entsteht ein Brachy-
zephalus, der sich durch einen kurzen, hohen Schädel auszeichnet. Ätiologie
Durch die kurze anterior-posteriore Dimension resultiert eine Zum Zeitpunkt der Geburt sind die flachen Deckknochen der Schä-
verkürzte vordere Schädelgrube mit flachen Orbitae, die mit Hy­ delkapsel, die sich direkt aus dem mesenchymalen Bindegewebe
pertelorismus, Exophthalmus und Strabismus vergesellschaftet sein (desmale Ossifikation) entwickeln, im Bereich der Schädelnähte
können. durch Bindegewebe voneinander getrennt. An der Verbindungsstel-
Eine einseitige Koronarsynostose bedingt einen Plagiozepha- le von mehr als 2 Knochen weiten sich die Schädelnähte zu Fonta-
lus (Schiefschädel). Es zeigt sich eine abgeflachte Stirn mit Rücklage nellen aus. Durch endo- und exokranielles Wachstum werden die
und Hochstand der gleichseitigen Augenbraue. Die nicht betroffene Schädelknochen dicker und größer. Das Wachstum findet im Be-
Stirnseite kann durch das fortschreitende Wachstum betonter und reich der Schädelnähte statt. Bis zum endgültigen Verschluss stellen
beulenartig vorgewölbt erscheinen. Die bilaterale Koronarsynostose die Schädelnähte häutige Verbindungen (Syndesmosen) dar.
tritt im Vergleich zur unilateralen familiär gehäuft auf (Lajeunie Eine Kraniosynostose entwickelt sich in utero oder post partum.
et al. 1995, 1999). Je früher der Nahtverschluss stattfindet, desto größer ist der Einfluss
auf die Schädelform. Die Ätiologie und der Pathomechanismus sind
Sutura lambdoidea. Die Lambdanaht verknöchert in 5% aller prä- noch nicht abschließend geklärt. Diskutiert werden (Cohen 1991,
maturen Fälle. Der Schädel ist am hinteren Teil abgeflacht, erhöht 2005):
und zusätzlich verbreitert. Bei beidseitiger Synostose der Lamb­ 4 genetische Veränderungen,
danähte wird die Schädeldeformität als Platyzephalus (okzipitaler 4 Stoffwechselerkrankungen,
Brachyzephalus) bezeichnet. 4 Erkrankungen des Kindes (Hyperthyreoidismus etc.),
770 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

a b

. Abb. 81.3 Kleeblattschädel. Seltene kraniofaziale Fehlbildung in 3-D-CT-Rekonstruktion (a) und klinischer Aspekt von kranial betrachtet (b)

4 hämatologische Erkrankungen, schlecht, sind unruhig oder auch apathisch. Vereinzelt zeigen sich
81 4 Einfluss von teratogenen Stoffen (Valproinsäure, Vitamin-A- symptomatische epileptische Anfälle. Ein erhöhter Hirndruck kann
Säure) und jedoch auch ohne klinische Hirndruckzeichen einhergehen (Rifkin-
4 Missbildungen (Mikrozephalie, Hydrocephalus occlusus etc.). son-Mann et al. 1995).

Auch Wachstumsfaktoren scheinen an der Pathologie beteiligt zu Ophthalmologische Symptome. Durch die Steigerung des in­
sein. Vor allem genetische Defekte der Rezeptoren für Fibroblasten- trakraniellen Hirndrucks ist oftmals der N. opticus betroffen. Oph-
wachstumsfaktoren (FGFR = »fibroblast growth factor receptor«) thalmologische Komplikationen wie Optikusatrophie, Strabismus,
werden verantwortlich gemacht (Rutland et al. 1995; Hollway et al. Stauungspapillen und Exophthalmus sind beschrieben worden. Von
1997). Im Zusammenhang mit Kraniosynostosen lassen sich Verän- besonderem Interesse sollte daher die augenärztliche Untersuchung
derungen der Chromosomen 2, 4, 5, 7, 11 und 22 nachweisen. sein. Bis zu 25% der Kinder mit Kraniosynostosen, die klinisch weit-
gehend unauffällig sind, können pathologische VEP (visuell evo-
zierte Potenziale) aufweisen (Mursch et al. 1998).
81.1.2 Symptomatik Zu den mit Kraniosynostosen assoziierten ophthalmologischen
Erscheinungen gehören neben der Protrusio bulbi (Orbitastenose,
Kraniosynostosen werden häufig erst spät erkannt. Abhängig von flach ausgebildete Orbita) auch die Orbitadystopien wie Hyper- und
der betroffenen Naht entwickelt sich eine charakteristische Schädel- Hypotelorismus. Dies kann zu einer Inkompetenz des Lidschlusses
deformierung. Bei Befall nur einer Naht kann die veränderte Schä- mit folgenden Hornhauterosionen, zu Motilitätsstörungen mit
delform das einzige Symptom sein und v. a. ästhetische Probleme Störungen des binokularen Sehens und Visusbeeinträchtigungen
aufwerfen. Sofern die Synostose nur diskret ausgeprägt ist, kann sie führen.
leicht übersehen werden.
Auswirkung auf das stomatognathe System. Die prämature Syn-
! Cave
ostosierung der Schädelnähte mit folgender Wachstumsbeeinträch-
Bei Befall von mehreren Nähten treten jedoch häufig orga-
tigung des Viszerokraniums behindert die anterokaudale Rotation
nische Komplikationen wie Hirndruckerhöhung oder Seh-
der Maxilla. Aus diesem Grund kann es zu einer Hypoplasie des
nervbeteiligung auf. Bei geringstem Verdacht auf eine
Mittelgesichtes kommen.
Kraniosynostose sollte eine regelmäßige, engmaschige
und gründliche Untersuchung stattfinden.
81.1.3 Diagnostik
Intrakranielle Hirndrucksteigerung. Die synostosenbedingte Limi-
tation des Schädelwachstums führt zu einer intrakraniellen Druck- Die Untersuchung eines Patienten mit einer kraniofazialen Fehlbil-
steigerung, die sich auf die inneren Strukturen des zentralen Ner- dung beinhaltet
vensystems auswirkt (. Abb. 81.4). Bei längerem Bestehen des erhöh­ 4 Inspektion,
ten Hirndrucks (ICP; »intracranial pressure«) werden Liquorräume 4 Palpation,
verdrängt und das Hirngewebe komprimiert mit gleichzeitiger Ver- 4 Fotodokumentation (Standardfotografie, 3-D-Fotografie, Vide-
minderung des lokalen zerebralen Blutflusses. In fortgeschrittenen odokumentation),
Stadien bestehen oft Stauungspapillen und Papillenödeme. Im Ex- 4 Röntgenuntersuchung (Nativröntgenaufnahmen einschließlich
tremfall kann die Sehbahn irreversibel geschädigt werden. Beim FRS=Fernröntgenseitenbild, ggf. Computertomographie, Kern-
Säugling äußert sich der erhöhte Hirndruck meist unspezifisch. spintomographie) und
Übelkeit mit schwallartigem Erbrechen ist typisches Zeichen des 4 die Anfertigung von Gipsmodellen von Ober- und Unterkiefer
erhöhten Hirndrucks. Die betroffenen Kinder gedeihen häufig mit Modellanalyse.
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
771 81

. Abb. 81.4 Symptomatik der Kraniosynostosen. ICP-Sonde in situ (CT-Diagnostik)

Die Inspektion des Patienten mit einer kraniofazialen Fehlbildung Eine Computertomographie ist bei einer kraniofazialen Fehl­
ist wichtig, um Asymmetrien des Hirnschädels und des Ober-, Mit- bildung insbesondere bei der Fragestellung nach einer operativen
tel- und Untergesichtes zu erfassen sowie Weich- und Hartgewebe- Korrektur wünschenswerter Standard. Zusätzlich zur Bildgebung
defizite zu erkennen. Typische Weichgewebedefizite sind Hypopla- erlauben CT-Datensätze die exakte Analyse von Deformitäten auf
sien von Haut, Fettgewebe und Muskulatur oder auch rudimentäre einer Workstation mit metrischer Quantifizierung von Wachstums-
Anlagen wie z. B. Mikrotie oder Mikrophthalmus. Typische Hart­ hemmung bzw. Deformität. Ein CT-Datensatz kann mit Hilfe einer
gewebedefizite sind hypoplastische oder fehlende Kieferanteile (wie Bildanalyseplattform (»image analysis platform«; IAP) ausgewertet
z. B. Retrognathien, aplastische Kiefergelenksregionen) oder unter- werden und ist für die dreidimensionale Operationsplanung und
entwickelte Hirnschädelanteile infolge von z. B. frühzeitigen Ver- Modelloperationen von Bedeutung.
knöcherungen der Schädelnähte. Ergänzend kann nach Röntgennativbildgebung und Computer-
Zu den Untersuchungen gehört selbstverständlich auch der tomographie die Knochenszintigraphie durchgeführt werden (de
Symmetrievergleich Gesichtsschädel vs. Hirnschädel und Unter- Rossi u. Focacci 1979; Tait et al. 1997).
und Oberkiefer vs. Gesichtsmittellinie. Zu einer vollständigen Sym- Initial ist die Erhebung des ophthalmologischen Status erforder-
metriebewertung gehört ferner die Gesamtansicht des Patienten. Bei lich, die nicht nur das Sehvermögen und das Gesichtsfeld beurteilen,
einem symmetrischen Hirn- und Gesichtsschädel kann dennoch sondern auch eine Exophthalmometrie und eine funduskopische
ein asymmetrischer Gesamttypus durch eine Schiefhaltung des und orthoptische Untersuchung beinhalten sollte. Die Neurooph-
Kopfes oder der gesamten Körperhaltung vorliegen oder vorge- thalmologie ist bei Patienten mit kraniofazialen Fehlbildungen in
täuscht werden. der postoperativen Phase und auch während des weiteren Wachs-
Zur Untersuchung gehören ferner die Funktionsbewertung der tums eng in den Behandlungsablauf eingebunden.
Sehbahn, der Okulomotorik, der Mundöffnung, der Beweglichkeit Neurologische Untersuchungen beinhalten den neurologischen
des Unterkiefers und die Bewertung der Innervation der mimischen Status des Patienten mit Überprüfung der altersgerechten Funktion
Muskulatur. des zentralen und peripheren Nervensystems sowie die Erhebung
Die vorgenannten Aspekte überschneiden sich bereits mit der von Form und Wachstum des Hirnschädels.
Palpation z. B. der knöchernen Symmetrie im Bereich des Hirn­ Wichtig ist ferner die Bewertung der oberen Luftwege, die Dia-
schädels unter der behaarten Kopfhaut. Bei der Bestimmung der gnose möglicher Choanalatresien, pathologischer Zungen- und
Fontanellenweite bei Säuglingen ist eine vorsichtige, behutsame Vor- Schluckfunktionen, äußerer oder innerer Ohrdeformitäten mit
gehensweise notwendig. möglichen Hörschäden sowie die phoniatrische Bewertung.
Da in der Therapie kraniofazialer Fehlbildungen operative Zudem ist die frühe Bewertung von dentalen und skelettalen
Eingriffe neben der postnatalen Frühbehandlung auch erst später Fehlstellungen erforderlich, um deren möglichen negativen Effekt
er­forderlich werden können, sind je nach Alter des Patienten Un­­ im ohnehin wachstumsbeeinträchtigten Fehlbildungsbereich gering
tersuchungen des Zahnstatus, Modellauswertung der Unter- und zu halten: Dazu gehört z. B. die mangelnde Entwicklung des Stereo-
Oberkieferabformung und die kephalometrische Analyse eines sehens beim Kleinkind, die aus der Fehlstellung von knöchernen
Fernröntgenseitbildes durch den Kieferorthopäden von Bedeutung. Augenhöhlen resultieren kann.
Als Minimalforderung sind Röntgennativaufnahmen des Schädels
in 2 Ebenen sowie – beim kooperativen Patienten – ein Orthopanto-
mogramm erforderlich. Besteht der Verdacht auf eine Beteiligung
der Lambdanaht, wird zusätzlich eine 3. Ebene aufgenommen.
772 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

81.1.4 Kraniofaziale Syndrome ab dem 3. Monat festzustellen. Die Inzidenz beträgt etwa 1:65.000
Geburten. Innerhalb der Kraniosynostosen macht das Apert-Syn-
Unter dem Begriff Syndrom werden Krankheitsbilder mit einem drom nahezu 4% aller Fälle aus (Cohen u. Kreiborg 1992). Ursäch-
Symptomenkomplex zusammengefasst. Aktuell sind etwa 100 Syn- lich ist eine Mutation im Fibroblastenwachstumsfaktorrezeptor-2-
drome bekannt, bei denen kraniofaziale Fehlbildungen mit anderen Gen (FGFR 2), lokalisiert auf Chromosom 10 (direkte Genotyp-Phä-
Fehlbildungen kombiniert sind. Wichtig ist bei deren Behandlung notyp-Korrelation). Die Fehlbildung tritt meist sporadisch auf und
das Gesamtkonzept einer plastisch-rekonstruktiven Wiederherstel- wird autosomal-dominant vererbt.
lung. Im Folgenden wird eine Auswahl von Syndromen vorgestellt, Das Apert-Syndrom kann mit einer Vielzahl von weiteren Mal-
die mit kraniofazialen Fehlbildungen assoziiert sind. formationen vorkommen. Häufig werden eine Fusion der Hals­wirbel
von C5 und C6 sowie kardiovaskuläre und urogenitale Anomalien
Akrozephalosyndaktyliesyndrome. Hierbei handelt es sich um au- beobachtet.
tosomal-dominant vererbte Krankheitsbilder mit einer genetisch
bedingten Kombination aus prämaturen Kraniosynostosen und Carpenter-Syndrom (Akrozephalopolysyndaktyliesyndrom II).
­häutigen oder knöchernen Syndaktylien der Finger oder Zehen. Das Carpenter-Syndrom, das als einziges Akrozephalosyndaktylie-
Aufgrund der vielfältigen klinischen Expressivität und Überschnei- syndrom autosomal-rezessiv vererbt wird, besteht aus einer pri-
dungen innerhalb klinischer Manifestationen gab es viele Einteilun­ mären Kraniosynostose aller Schädelnähte mit Brachyzephalie und
gen von verschiedenen Syndromen, die diesem Komplex zugeordnet Gesichtsdysplasien.
wurden. Seit 1994 wurde die Gruppe der Akrozephalosyndaktylie-
syndrome auf 3 klinische Hauptgruppen reduziert: Nicht-Apert-Syndrome (Akrozephalosyndaktyliesyndrom III).
4 Apert-Syndrom, Hier sind das Pfeiffer- und das Saethre-Chotzen-Syndrom zu nennen:
4 Nicht-Apert-Syndrom (Pfeiffer-Syndrom, Saethre-Chotzen- 4 Das Pfeiffer-Syndrom zeigt eine Kranznahtsynostose mit Tur-
Syndrom) und ribrachyzephalie und geringgradig ausgebildeten Gesichtsasym-
81 4 Carpenter-Syndrom (Pfeiffer et al. 1977). metrien. Das klinische Erscheinungsbild ist dem Apert-Syndrom
ähnlich. Die Syndaktylien sind eher unregelmäßig ausgeprägt
Ätiologisch zeigt sich eine molekulargenetische Gemeinsamkeit be- mit breiten, nach außen gerichteten Endgliedern der Daumen
züglich einer Mutation des Fibroblastenwachstumsfaktorenrezep- und Großzehen (Soekarman et al. 1995). Ätiologisch ist eine
tors (FGFR; »fibroblast growth factor receptor« 1–3). Neumutation im FGFR-2-Gen verantwortlich.
4 Im Gegensatz zu den bisher genannten Syndromen wird das
Apert-Syndrom (Akrozephalosyndaktyliesyndrom I). Eugene Apert Saethre-Chotzen-Syndrom nicht von einer Mutation eines
beschrieb 1896 erstmals die klinische Trias des nach ihm benannten Fibroblastenwachstumsfaktorrezeptors, sondern durch eine au-
Syndroms: tosomal-dominant vererbte Fehlbildung mit chromosomaler
4 Malformation des Schädels (Breit- oder Turmschädel mit Exoph- Veränderung auf Chromosom 7 (Wieland et al. 2005; de Heer et
thalmus), al. 2005; el Ghoutti et al. 1997) verursacht. Der Phänotyp erin-
4 Hypoplasie des Mittelgesichts und nert an das Apert-Syndrom in milder Ausprägung. Typisch sind
4 symmetrische Syndaktylien von Händen und Füßen (Abrate et zusätzlich ein niedriger Stirnhaaransatz und eine Ptosis der
al. 1990; . Tab. 81.2). Oberlider.

Die faziale Morphologie wird durch das typische Erscheinungsbild Dysostosis craniofacialis (M. Crouzon). Beim M. Crouzon liegt
der flachen, elongierten Stirn mit breiter bitemporaler Region und eine prämature Kraniosynostose aufgrund einer Genmutation mit
okzipitaler Abflachung charakterisiert (Turribrachyzephalus). Wei- Defekt des Rezeptors für Fibroblastenwachstumsfaktoren (FGFR 2)
terhin imponieren ein Hypertelorismus mit Exophthalmus und nach vor. Dabei kommt es jedoch zu keinen Fehlbildungen an den
kaudal abfallende Lidspalten. Meist setzen die Ohren etwas tiefer an Extremitäten. Nach dem Erstbeschreiber Louis Edouard Octave
und sind vergrößert (Marsh et al. 1991; Cohen u. Kreiborg 1996; Crouzon (1912) zeigen sich 4 klinische Zeichen (. Abb. 81.5 und
Ferraro 1991). Im Kiefer-Gesichts-Bereich liegen Zahnengstellun- . Tab. 81.2):
gen, ein frontoffener Biss und ein hoher Gaumenbogen mit ggf. 4 Exorbitismus und Proptose (Hervortreten der Bulbi),
Spaltbildung vor. 4 Retromaxillie (maxilläre Retrognathie),
Durch eine Fruchtwasseruntersuchung ist diese Fehlbildung ab 4 Inframaxillie (vertikal unterentwickeltes Mittelgesicht) und
der 8. Schwangerschaftswoche und durch die pränatale Sonographie 4 paradoxe Retrogenie.

. Tab. 81.2 M. Crouzon und Apert-Syndrom

Charakteristika Morbus Crouzon Apert Syndrom

Betroffene Naht Koronar- (meistens), Sagittal- oder Lambdanaht Koronarnaht (meistens)

Schädeldeformität Brachyzephalus, Skaphozephalus, Trigonozephalus Brachyzephalus, Turrizephalus (Turmschädel)

Malformationen der Extremitäten Keine Symmetrische Syndaktylie von Händen und Füßen

Ophthalmologische Besonderheiten Nystagmus, Strabismus, Atrophie des N. opticus Ptosis, antimongoloide Lidachse

Geistige Entwicklung Normal Häufig retardiert


81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
773 81

a b c

. Abb. 81.5 M. Crouzon. Präoperativer klinischer Aspekt (a, b) und nach frontoorbitalem Advancement (c)

Charakteristisch ist ein froschähnliches Erscheinungsbild. Es liegt


keine gesetzmäßige Schädelnahtbeteiligung vor. Exophthalmus,
Mittelgesichtshypoplasie und Hypoplasie des Oberkiefers mit Zahn-
fehlstellungen sind häufig. Eine Kompressionsatrophie des N. opti-
cus mit Erblindung kann vorliegen. In der Regel geht der M. Crou-
zon mit einer intrakraniellen Druckerhöhung und einem Hydroze-
phalus einher, sodass eine frühe chirurgische Therapie erforderlich
ist. Die Inzidenz beträgt etwa 1:25.000.

Dysostosis mandibulofacialis (Franceschetti-Zwahlen-Syndrom,


Treacher-Collins-Syndrom). Bei der Dysostosis mandibulofacialis
bedingt eine Genmutation bei autosomal-dominantem Erbgang (da-
von in 60% der Fälle eine Neumutation) mit variabler Penetranz eine
beidseitige Fehlbildung, die vom 1. und 2. Schlundbogen abgeleitete
Strukturen betrifft.
Typisch ist ein fischähnliches Erscheinungsbild (. Abb. 81.6).
Der Phänotyp kann von einer antimongoloiden Schiefstellung der
. Abb. 81.6 Treacher-Collins-Syndrom
Lidspalten bis hin zur vollen Expression aller mit einer mandibulofa-
zialien Dysostose einhergehenden Deformitäten variieren: Unterlid-
kolobome (häufiges klinisches Zeichen), fehlende Wimpern in den
medialen zwei Dritteln der Unterlider, Hypoplasie des Jochbeins und Dysostosis otomandibularis (hemifaziale Mikrosomie). Die Dys-
des Unterkiefers (mandibulärer Defekt, Mikrognathie, offener Biss) ostosis otomandibularis (auch 1. und 2. Schlundbogensyndrom ge-
sowie Ohrdeformitäten. nannt) kann ein- oder beidseits in verschieden starker Ausprägung
Eine Schallleitungsschwerhörigkeit ist oft mit dem Franceschet- auftreten (. Abb. 81.7, . Tab. 81.3). In der schweren Ausprägung
ti-Zwahlen-Syndrom vergesellschaftet. Äußeres, mittleres und inne- sind alle Strukturen hypoplastisch, die sich vom 1. und 2. Schlund-
res Ohr können ebenfalls Deformitäten aufweisen. Eine obstruktive bogen ableiten. In anderen Fällen können Fehlbildungen der Ohr-
Schlafapnoe ist gehäuft mit diesem Syndrom vergesellschaftet. Die oder Kieferregion im Vordergrund stehen. Im Gegensatz zur
Inzidenz beträgt 1:50.000. Dysostosis mandibulofacialis ist die genetische Komponente bei der
kraniofazialen Mikrosomie nicht sicher nachgewiesen. Intrauterine
Dysostosis acrofacialis (Nager-de-Reynier-Syndrom). Die Dys- Faktoren werden diskutiert.
ostosis acrofacialis ist der Dysostosis mandibulofacialis ähnlich und Die Hypoplasie betrifft v. a. den temporo- und pterygomandibu-
ein autosomal-rezessiv vererbtes Fehlbildungssyndrom. Die betrof- lären Komplex. Die Orbitadeformierung und der Defekt im Bereich
fenen Patienten weisen neben den genannten kraniofazialen Fehlbil- des Schläfen- und Jochbeins haben Ähnlichkeit mit demjenigen bei
dungen der Dysostosis mandibulofacialis zusätzlich Fehlbildungen der Dysostosis mandibulofacialis. Typische Zeichen der kraniofazi-
der oberen (obligat) und z. T. der unteren Extremitäten auf. Betrof- alen Mikrosomie sind jedoch Fehlbildungen des R. ascendens man-
fen sind v. a. Daumen (Aplasie und Hypoplasie), Radius und die dibulae und die Parese des N. facialis (. Abb. 81.8). Bei der kranio-
Metakarpalknochen. fazialen Mikrosomie betrifft die Fehlbildung das Schläfenbein, das
Mittelohr, den Proc. mastoideus, das äußere Ohr und die Schädel­
774 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

. Abb. 81.7 Einteilung der hemifazialen Mikrosomie. (Mod. nach Pruzansky 1969)

81

a b c

. Abb. 81.8 Typische Deformität bei manifestierter und bislang unkorrigierter hemifazialer Mikrosomie in 3-D-CT-Rekonstruktion (a), koronarem Schnitt-
bild (b) und im klinischen Aspekt (c) bei einem 10-jährigen Kind

basis. Eine Weichgewebshypoplasie liegt häufig auf der betroffenen säulenanomalien (z. B. Kyphoskoliose), Hemihypoplasie des Ge-
Seite vor. Die Inzidenz beträgt ca. 1:5.000. Die hemi- oder bilaterale sichtes, verkleinerte Jochbeine, Mikro-/Retrognathie und ange­borene
kraniofaziale Mikrosomie kann mit einer Makrostomie oder auch Herzfehler (Fallot-Tetralogie). Die Inzidenz beträgt etwa 1:45.000.
einer queren Gesichtsspalte einhergehen.
Hemiatrophia faciei progressiva (Parry-Romberg-Syndrom). Es
Goldenhar-Syndrom (okuloaurikulovertebrale Dysplasie). Dieses handelt sich um eine halbseitige Gesichtsatrophie, die ohne bekann-
Syndrom betrifft v. a. Derivate des 1. Schlundbogens. Eine Beteiligung te genetische Komponente sporadisch auftritt. Die von-Romberg-
genetischer Faktoren ist noch nicht geklärt. Klinische Zeichen sind Erkrankung beginnt typischerweise um das 20. Lebensjahr und
v. a. Augenfehlbildungen (Oberlidkolobom, Mikrophthalmus), epi- betrifft sowohl das Weich- als auch das Hartgewebe. Es tritt eine
bulbäre Dermoide, Ohrfehlbildungen (Mikrotie bis Anotie), Wirbel- progrediente Atrophie des subkutanen Fettgewebes, der Haut (skle-
rodermiform, »coup de sabre«) und der Muskeln auf. Es können
verspätete Zahndurchbrüche und atrophische Zahnwurzeln resul-
tieren. Eine Beteiligung der primär nicht betroffenen Seite kann im
. Tab. 81.3 Einteilung der hemifazialen Mikrosomie fortgeschrittenen Krankheitsstadium auftreten. Im Allgemeinen
kommt es nach 2–10 Jahren zum Stillstand der Erkrankung, in sel-
Typ Kennzeichen
tenen Fällen ist jedoch auch das Persistieren über längere Zeiträume
I Hypoplastisch zu verzeichnen. Als ursächlich werden virale Infektionen oder Schä-
Reduzierte Translationsbewegung bei Mundöffnung digungen des sympathischen Nervensystems diskutiert.
IIa Abgeflachter Proc. condylaris
Hyper- und Hypotelorismus. Der Hypertelorismus ist eine Form
IIb Rudimentärer Proc. condylaris einer kongenitalen kraniofazialen Fehlbildung, bei der sowohl die
Kiefergelenkatresie knöchernen Orbitae als auch der Augenhöhleninhalt nach lateral
III Fehlen des R. mandibularis
verlagert sind. Das Hypertelorismus-Hypospadie-Syndrom ist eine
Kombination kraniofazialer und genitaler Fehlbildungen mit einem
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
775 81
heterogenen Fehlbildungskomplex. Es liegt eine Mutation eines Nur die Zusammenarbeit in einem solchen Team erlaubt die um­
Gens auf dem X-Chromosom vor, dessen Proteine an der Entwick- fassende Einstufung der kraniofazialen Fehlbildung mit der erfor-
lung des Mittellinienfeldes beteiligt sind. Daraus können ein Brachy- derlichen frühzeitigen Weichenstellung für eine Therapie und Ein-
zephalus, Vergrößerungen von Cisterna magna und 4. Ventrikel, leitung rehabilitativer Maßnahmen.
eine Corpus-callosum-Hypoplasie, ein Telekanthus, Lippen-Kiefer- Die Korrektur kraniofazialer Fehlbildungen bedarf chirurgischer
Gaumen-Spalten und Ohrmuscheldysplasien mit ggf. zusätzlicher Techniken, die den Strukturen des Gehirn- und des Gesichtsschädels
geistiger Retardigung resultieren. Bei Frauen liegt in der Regel eine gerecht werden. Ziel einer solchen chirurgischen Korrektur können
erheblich mildere Symptomatik vor. das Schädeldach selbst, die knöcherne Schädelbasis mit den Orbitae,
Das Gegenteil vom Hypertelorismus ist der Hypotelorismus, der die Gesichtsschädelknochen ebenso wie der Unter- und Oberkiefer
eine noch seltenere kraniofaziale Fehlbildung darstellt und am häu- sein. Die chirurgische Behandlung kraniofazialer Fehlbildungen
figsten mit einem Trigonozephalus, seltener mit einer Trisomie 13 geht in der modernen Form auf Tessier und Mitarbeiter zurück und
oder einem Mikrozephalus verbunden sein kann. Der orbitale Hy- stellt einen der bedeutenden Fortschritte der modernen rekonstruk-
potelorismus ist kein Syndrom, sondern ein fakultatives, mit kra­ tiven Chirurgie des Kopfes dar.
niofazialen Fehlbildungen einhergehendes, klinisches Zeichen. Ur- Die Behandlung der kraniofazialen Fehlbildungen wird unter-
sächlich für einen orbitalen Hypotelorismus sind möglicherweise schieden in
verschiedene Spaltformen und vorzeitige Synostosen von kraniofa- 4 eine Frühbehandlung (vor Ende des 1. Lebensjahres) und
zialen Suturen. 4 eine Spätbehandlung (nach Ende des 1. Lebensjahres).
Gegenüber dem Hyper- und Hypotelorismus als kraniofaziale
Fehlbildungen unterscheidet sich ein Telekanthus durch eine nor- Folgeoperationen während und nach Abschluss des Wachstums sind
male Bulbusposition bei einer Verschiebung der Lidbandinsertionen möglich.
bzw. der medialen Orbitawände nach lateral. Die Wahl des Therapiezeitpunktes ergibt sich aus der Schwere
der einzelnen Symptome, d. h. aus neurochirurgischer Indikation,
wenn z. B. eine lebensbedrohliche Hirndrucksymptomatik vorliegt.
81.1.5 Therapeutisches Vorgehen Ebenso können ophthalmologische, gesichtschirurgische oder
HNO-ärztliche Indikationen (z. B. Kompression des N. opticus mit
Operative Technik Erblindungsgefahr des Auges) eine chirurgische Intervention erfor-
> Voraussetzung für die erfolgreiche Planung und Behand- dern. Bei allen kraniofazialen Fehlbildungen muss jede Therapie die
lung von kraniofazialen Fehlbildungen ist ein interdiszip- Gesamtsituation des Patienten berücksichtigen, insbesondere bei
linäres Team, das sich aus folgenden Fachbereichen zu- Syndromen mit weiteren Fehlbildungen z. B. des kardiovaskulären
sammensetzen muss: Neurochirurgie, Mund-, Kiefer- und Systems, der Extremitäten, des Respirationstrakts (z. B. Choanala-
Gesichtschirurgie, HNO-Heilkunde und Phoniatrie, Plasti- tresie, Laryngomalazie) oder des oberen Verdauungstrakts (z. B.
sche Chirurgie, Neuroophthalmologie, Neuroradiologie, Ösophagusatresie). Daraus ergibt sich bereits die Notwendigkeit der
Kinderchirurgie, Pädiatrie/Neuropädiatrie, Humangenetik, Behandlung durch mehrere Fachdisziplinen. Dies gilt auch für die
Neurologie, Kieferorthopädie, klinische Psychologie, Phy- weitere Rehabilitation, in die die oben genannten Fachrichtungen
siotherapie, Sozialarbeiter und Sprachtherapeut. einzubeziehen sind.

a b c

d e

. Abb. 81.9 Patient mit M. Crouzon. Operative Schritte der virtuellen Planung unter Benutzung einer »image analysis platform« (a–c). Vergleich von prä-
operativer und postoperativer Computertomographie (d, e)
776 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

a b c

81

d e

f g

. Abb. 81.10a–g Distraktionsosteogenese bei hemifazialer Mikrosomie exzentrischer p.a.-Aufnahme nach Clementschitsch (d, e) sowie prä-opera­
rechts. Darstellung in Fernröntgen-seitlich-(FRS)-Aufnahme (a–c), in kaudal­ tiver (f) und postoperativer (g) klinischer Aspekt (vor Distraktorentfernung)

Chirurgische Frühbehandlung. Zur chirurgischen Frühbehand- notwendig sein, um eine drohende Einengung des kranioorbitalen
lung der Kraniosynostosen gehören die Liquordrainage (Anlage von Übergangs, z. B. im Rahmen eines M. Crouzon, zu vermeiden und
Schlauchverbindungen zwischen Liquorraum (z. B. Seitenventrikel) damit eine Erblindung zu verhindern.
und Blutgefäßsystem (z. B. rechter Herzvorhof oder Bauchhöhle)
zur Vermeidung oder (auch) Behandlung eines Hydrozephalus, und Chirurgische Spätbehandlung. Diese Therapie der Kraniosynosto-
die streifenförmige Kraniektomie, die je nach Schädeldeformität un- sen beinhaltet folgende Operationsverfahren:
terschiedlich ausgedehnt sein kann. Zur Vorbewegung des frontalen 4 ein frontoorbitales Advancement, Le-Fort-III-Osteotomie mit
und orbitalen Bereiches wurde das sog. frontoorbitale Advancement Vorverlagerung (um das 3.–4. Lebensjahr oder erst im späteren
eingeführt, das mit einer Kraniektomie oder Kranioplastik verbun- Jugend- oder auch Erwachsenenalter),
den werden kann. 4 die kombinierte Vorverlagerung des Mittelgesichtes mittels Le-
Falls Funktionseinbußen z. B. des Sehsystems durch ein ausge- Fort-III-Osteotomie und der Stirnregion,
prägtes sagittales Wachstumsdefizit vorliegen, kann zur Kompensa- 4 die Vorverlagerung des Mittelgesichtes auf Le-Fort-II-Ebene
tion vor dem 1. Lebensjahr eine komplexe kraniofaziale Vorbewe- sowie
gung erforderlich werden. Im Rahmen der Frühbehandlung können 4 operative Korrekturen im Bereich von Oberkiefer, Unterkiefer
zusätzlich modellierende Osteotomien im sehkanalnahen Abschnitt und Jochbein (. Abb. 81.9).
81.1 · Kraniofaziale Fehlbildungen
777 81

. Abb. 81.11 Verwendung einer nicht resorbierbaren Osteosyntheseplatte und deren Darstellung in der postoperativen Verlaufskontrolle (MRT-Diagnos­
tik; a) sowie intraoperativer Aspekt (b)

Die skelettale Korrektur von Ober- und Unterkiefer wird in der Regel sind. Um hier eine Tracheotomie zu vermeiden, kann die frühe Vor-
im späteren Jugend- und frühen Erwachsenenalter durchgeführt. verlagerung des Unterkiefers und des Zungenapparates durch Dis-
Für die chirurgische Therapie der kraniofazialen Fehlbildungen traktion nach anterior gerechtfertigt sein. Bei Kindern mit Rücklage
sind die Neuentwicklungen der Osteosynthese und der dynamischen der Zunge (Glossoptose) und Verlegung der Atemwege ist auch eine
Fixierungsverfahren (Distraktoren) bedeutsam (. Abb. 81.10). anteriore Zungenzügelung mittels einer durchgreifenden Matratzen-
Als eine der größten Errungenschaften für die Fixierung im Be- naht durch den Zungengrund zu erwägen, die wiederum am ante­
reich des Hirnschädels darf die Einführung resorbierbarer Osteo- rioren Unterkiefer lingual oder vestibulär fixiert werden kann.
synthesematerialien gelten, die bei Kleinkindern nach Umstellungs- Bei orbitalen Korrekturen ist die neuroophthalmologische Wer-
osteotomien im Bereich des Schädeldaches und frontoorbitalem tung wichtig, um Verlagerungen des Orbitainhalts mit Beeinträchti-
Advancement keine Osteosynthesematerialentfernung mehr erfor- gung des Stereosehens, Schielstellungen, mögliche Kompressionen
dert. Belässt man hingegen z. B. Osteosynthesematerialien aus Titan, des Sehnervs oder auch Lidschlussinsuffizienzen mit der Gefahr
kommt es zum relativen Durchwandern der verbliebenen Platten der Hornhautaustrocknung frühzeitig zu erkennen (Gellrich et al.
und Schrauben zentralwärts, da das nach außen gerichtete Wachs- 2008). Hierdurch können ursprünglich später geplante Operationen
tum des Hirnschädels weiter voranschreitet (. Abb. 81.11). Dadurch in eine frühere Behandlungsphase gerückt werden, wie dies bei ex-
werden spätere Osteosynthesematerialentfernungen unmöglich, tremen Fehlbildungen (z. B. einem Kleeblattschädel) erforderlich
und es können sogar durch die Wachstumskräfte Plattenbrüche auf- sein kann.
treten.
> Die in der Regel komplexe Gesamttherapie der kraniofazi-
Insbesondere für die kieferverlagernden Operationen sind die
alen Fehlbildungen ist an chirurgische Zentren gebunden,
modernen Methoden der Distraktion als Innovation anzusehen, bei
die den erforderlichen personellen und materiellen Anfor-
denen entweder durch interne oder externe Distraktoren schon im
derungen gerecht werden können, welche die anspruchs-
frühen Kindesalter Vorverlagerungen schonend möglich sind. Die
volle Therapie und Rehabilitation der Patienten mit kranio­
Osteotomien an sich unterscheiden sich jedoch nicht von denen der
fazialen Fehlbildungen stellen.
einzeitigen Vorverlagerungen. Durch interne und externe Distrak-
toren kann die Aktivierung des osteotomierten Knochenareals in der
Regel um 1 mm pro Tag anteriorwärts über einen Zeitraum von 2–4 Frontoorbitales Advancement und Modifikationen
Wochen erfolgen. Zudem können Überkorrekturen geplant und Der operative Zugang erfolgt über einen Bügelschnitt auf Höhe der
durchgeführt werden. Nachkorrekturen in der späteren Retentions- Kranznähte. Der Haut-Galea-Lappen wird vom Periost bis auf Höhe
phase sind möglich. der supraorbitalen Wülste präpariert und die Nasenpyramide frei­
gelegt. Anschließend werden die Bulbuskapsel vom Orbitatrichter
> Alle chirurgischen Lageveränderungen der Kiefer sollten
gelöst und die Osteotomielinien markiert. Das frontoorbitale Kno-
von einer kieferorthopädischen Behandlung begleitet
chensegment wird durch eine horizontal verlaufende Osteotomie­
werden.
linie geteilt. Das frontoorbitale Advancement ist die operative
Die frühe Distraktion des Unterkiefers kann schon im Kleinkindal- Grundlage für Osteotomien aller pathologischen Schädelformen
ter notwendig sein, wenn respiratorische Störungen vital bedrohend (. Abb. 81.12).
778 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

a d

81

b e

c f

. Abb. 81.12a–f Frontoorbitales Advancement. Schematische Darstellung und klinischer Aspekt prä- und postoperativ

Nach Entnahme des frontalen Knochensegmentes wird der Kraniektomie kombiniert. Parallel zur Sagittalnaht wird jeweils ein
Stirn- und Schläfenlappen epidural vom Periost gelöst. Es folgen die etwa 1 cm breiter Knochenstreifen reseziert.
extrakranielle Osteotomie im Bereich der Nasenwurzel und der Bei extremen Kraniosynostosen mit mehreren betroffenen Su-
Temporalregion unter Schutz der Dura sowie die intrakranielle turen kann das frontoorbitale Advancement mit der totalen Krani-
Osteotomie des Keilbeinflügels und des Orbitadachs unter Schutz ektomie kombiniert werden. Dazu wird das Os parietale beidseits bis
des Bulbus. Entsprechend der betreffenden Fehlbildung werden zur Sutura temporosquamosa, der Sutura lambdoidea und der hin-
nach der Osteotomie die Knochensegmente ausgeformt und an- teren Fontalle vollständig reseziert. Der ausgedehnte Kalottendefekt
schließend mit meist resorbierbarem Osteosynthesematerial fixiert. kann im 1. Lebensjahr reossifizieren. Anschließend ist die totale
Abschließend erfolgt die Einlage von Redon-Drainagen und das Zu- Kraniektomie aufgrund deutlich nachlassender Reossifizierungs-
rückschlagen des Haut-Galea-Lappens mittels mehrschichtigem potenz nicht indiziert und das Risiko einer inkompletten Schädel-
Wundverschluss. verknöcherung zu hoch.
Modifikationen sind bei der Therapie des Skaphozephalus not- Bei Vorliegen einer ausgeprägten Mittelgesichtshypoplasie im
wendig. Hier wird das frontoorbitale Advancement mit der linearen Rahmen einer Kraniosynostose kann zusätzlich zum frontoorbitalen
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
779 81
Advancement eine Le-Fort-III-Osteotomie notwendig werden, um satz begrenzt werden. Später fusionieren die Oberkieferwülste mit
die starke Protrusio bulbi bei Orbitastenose operativ zu korrigieren den medialen Nasenwülsten und bilden gemeinsam die Oberlippe
und ophthalmologische Komplikationen zu vermeiden. Hierfür und in der Tiefe das Zwischenkiefersegment (mit Philtrum, Alveo-
werden nach abgeschlossenem frontoorbitalem Advancement die larfortsatz der Inzisivi und primärem Gaumen). Nach kranial be-
Weichteile im Bereich der Maxilla und Nase vollständig vom Kno- steht über das Nasenseptum eine Verbindung zum Stirnfortsatz. Der
chen gelöst, die Bulbuskapsel zirkulär aus dem Orbitatrichter gelöst weitaus größere Teil des definitiven knöchernen Gaumens geht je-
und Osteotomien im Bereich der Sutura zygomaticofrontalis und des doch aus Fortsätzen der Oberkieferwülste hervor, die gemeinsam die
Jochbogenansatzes am Os zygomaticum posterior der Margo infra- Gaumenplatte bilden (6. SSW). Anfangs verhindert die Zunge das
orbitalis bis in die mediale Orbitawand auslaufend durchgeführt. Fusionieren der Gaumenplatte, verlagert sich ab der 7. SSW jedoch
Durch die Downfracture-Technik wird das Oberkiefersegment mo- nach kaudal, sodass sich der sekundäre Gaumen bilden kann. Im
bilisiert, in die entsprechende Position verlagert und osteosynthe- anterioren Bereich verschmelzen sekundärer Gaumen und primärer
tisch fixiert. Gaumen aus dem Zwischenkiefersegment (10. SSW; Barteczko u.
Orbitadystopien wie der Hyper- und Hypotelorismus stellen Jacob 2004) auf Höhe des Foramen incisivum.
eine Sonderform der kraniofazialen Fehlbildungen dar. Beim Hyper- Der Tränennasengang entsteht durch sekundäre Kanalisation
telorismus erfolgt über eine zirkuläre Osteotomie des Orbitatrichters aus der Tränennasenfurche, die zwischen Oberkieferwulst und late-
die Verlagerung nach medial. Zwingend erforderlich ist die mediale raler Nasenwulst liegt, und senkt sich soweit ab, dass beide genann-
Kanthopexie nach einer Hypertelorismusoperation, um die me­ ten Wülste verschmelzen können. Maxilla und Jochbein entstehen
dialen Lidbänder in der neuen Position zu fixieren. aus den Oberkieferwülsten. Unterlippe und Unterkiefer gehen nach
medianer Verschmelzung aus beiden Unterkieferwülsten hervor.
Komplikationen Teratogene Einflüsse oder genetische Veranlagungen führen
Die Operationstechnik des frontoorbitalen Advancements kann v. a. im kritischen Zeitfenster (4.–12. SSW) durch fehlende Verschmel-
durch hohen intrakraniellen Druck erschwert werden, da der zu os- zung oder Verwachsung der Gesichtsfortsätze zur Manifestation
teotomierende Kalottenknochen druckbedingt stark ausgedünnt einer entsprechenden Spaltbildung (Dursy 1869; His 1892). Man
sein kann. Hier besteht die Gefahr der Duraverletzung mit Aus­ unterscheidet dabei vordere von hinteren Spaltbildungen. Eine
bildung einer Liquorfistel. Des Weiteren können Verletzungen der Grenzlinie kann im Bereich des Foramen incisivum gezogen werden.
Sinus zu großen Blutverlusten führen. So bilden sich laterale Lippenspalte, Kieferspalte und die Spalte
Ein nicht unerhebliches Infektionsrisiko besteht bei bereits zwischen primärem und sekundärem Gaumen vor dem Foramen
­ausgebildeten Stirnhöhlen (ältere Kinder). Um aszendierende In­ incisivum aufgrund einer ungenügenden Fusion von Oberkiefer-
fektionen zu vermeiden, sollte die Stirnhöhle deepithelisiert und wulst und medialer Nasenwulst. Hintere Spaltbildungen wie die
obliteriert werden. Weichgaumenspalte und die Uvula bifida entstehen durch fehlende
Weitere Risiken sind epidurale Nachblutungen, die Verletzung Vereinigung der Gaumenplatte. Als Ursache gelten die zu kleine
des Tränen-Nasen-Gangs, Schleimhauteinrisse im Bereich der La- Gaumenplatte und die fehlende Verlagerungsmöglichkeit der Zunge
mina cribrosa mit anhaltender Liquorrhö, postoperative Kiefer- nach kaudal bei Mikrognathie. Spaltbildungen, die sowohl vor als
klemmen nach Ablösung des M. temporalis im Rahmen des koro- auch hinter dem Foramen incisivum liegen, bilden die vollständigen
naren Zugangs und Bulbusverletzungen. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten.
Die Wahrscheinlichkeit der oben genannten Komplikationen bei Eine Ausbildung von schrägen Gesichtsspalten ergibt sich bei
kraniofazialen Eingriffen wird mit etwa 5–10% angegeben. Eine fehlender Verschmelzung von Oberkiefer- und lateralen Nasenwüls-
postoperative intensivmedizinische Überwachung, eine periopera- ten. Mediane Spaltbildungen sind sehr selten und bilden sich durch
tive Antibiotikaprophylaxe und abschwellende Maßnahmen sind eine unvollständige Vereinigung der beiden medialen Nasenwülste.
indiziert. Meist liegen gleichzeitig Hirnfehlbildungen mit unterschiedlich aus-
geprägtem Verlust von medialen Strukturen vor.

81.2 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten Epidemiologie


Die Häufigkeit von Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten liegt in
Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten gehören zu den häufigsten angebo- Europa bei etwa 1 pro 500 Geburten (Hewson u. McNamara 2000;
renen Fehlbildungen des Menschen. In der klinischen Erscheinungs- Sipek et al. 2007). In Asien beträgt die Inzidenz etwa 1:500 (Yi et al.
form zeigt sich eine hohe Variationsbreite. Die Inzidenz scheint im 1999; Kim et al. 2002) bis 1:700 (Dai et al. 2003). In Lateinamerika
europäischen Raum anzusteigen. wird von einer Inzidenz von 1:600 (Nazer et al. 2001) berichtet. Eine
etwas geringere Inzidenz zeigen Afroamerikaner und Afrikaner
(Pham u. Tollefson 2007; Das et al. 1995; Altemus 1966). Mit anstei-
81.2.1 Pathogenese, Entwicklung gendem Alter der Mutter nimmt die Inzidenz geringgradig zu. Lip-
penspalten kommen häufiger bei Jungen vor. Gaumenspalten sind
Die Embryogenese des Gesichtes findet in der 4. bis 8. Schwanger- etwas seltener, betreffen jedoch Mädchen häufiger als Jungen. Er-
schaftswoche (SSW) statt. Die stärkste Entwicklung des Gesichtes klärt wird dieser Unterschied durch die um etwa eine Woche spätere
ereignet sich in einem sehr kurzen Zeitfenster zwischen der 7. und Fusionierung der Gaumenplatte bei Mädchen.
8. Schwangerschaftswoche (Scheitel-Steiß-Länge von 17 bis 27 mm). Die Verteilung der Subformen einer Spaltbildung zeigt eine
Die Morphogenese des kraniofazialen Skeletts beginnt mit der Aus- Häufung der durchgehenden Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte
formung des Keilbeins, der vorderen und mittleren Schädelgrube (40–65%) mit deutlicher Dominanz der linken Seite.
sowie der Reduktion der interorbitalen Distanz.
Gegen Ende der 4. SSW treten kaudal des Stomodeums – Ekto- Ätiologie
dermausbuchtung, die später die Mundhöhle bildet – Unterkiefer- Bei 17% der Kinder mit einer LKG-Spaltbildung zeigt sich eine po-
und seitlich davon Oberkieferwülste auf, die kranial vom Stirnfort- sitive Familienanamnese. Die Art der Spalte ist nicht nur abhängig
780 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

81

. Abb. 81.13 Varianten der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. (Aus Liehn u. Nehse 2011)

vom Typ der Spaltbildung der Elterngeneration, sondern auch vom 81.2.2 Klassifikation von Lippen-Kiefer-Gaumen-
Geschlecht. So zeigt sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Spalten
Sohn einer Mutter mit Lippen- oder vollständiger LKG-Spalte (Kot
u. Kruk-Jeromini 2007). Generell beträgt die Wahrscheinlichkeit bei Entsprechend der zeitlich versetzten Entwicklung von Lippe, Kie-
nicht selbst betroffenen Eltern und einem Kind mit Lippenspalte für fer und Gaumen ergeben sich abhängig von Art, Stärke und Zeit-
das Auftreten desselben Defektes beim nächsten Kind etwa 4%. punkt einer während der Schwangerschaft einwirkenden Störung
Wenn bereits zwei Kinder betroffen sind, steigt das Risiko auf etwa unterschiedliche Formen und Ausprägungsgrade der Spaltbil-
9% an. Das individuelle Risiko lässt sich durch eine genetische Bera- dungen.
tung näher bestimmen und wird Eltern mit weiterem Kinderwunsch Man unterscheidet 4 verschiedene Spaltabschnitte:
empfohlen. 4 von der Oberlippe zum Naseneingang,
Als Ursache werden exogene und endogene Einflussfaktoren 4 im Bereich des Alveolarkamms,
genannt. Eine Vielzahl von Studien untersuchen genetische Kompo- 4 am Hart- und am
nenten, die für die Entstehung von LKG-Spaltbildungen verantwort- 4 Weichgaumen.
lich gemacht werden (Wong u. Hagg 2004; Stanier u. Moore 2004).
Gegenwärtig wird eine multifaktorielle Genese angenommen. Dabei Spaltbildungen können jeweils einseitig (rechts oder links) oder auf
scheinen jedoch v. a. exogene Einflussfaktoren wie Strahlenexposi­ beiden Seiten des Gesichtes auftreten und dabei unvollständig
tion, Einnahme teratogener Medikamente (z. B. Antiepileptika), (z. B. Lippenspalte, die in der Oberlippe endet) oder vollständig
Alkohol- und Nikotinabusus (Romitti et al. 2007), virale Infektionen (z. B. Lippenspalte bis in den Naseneingang reichend) ausgeprägt
von Mutter und Kind, fortgeschrittenes Alter der Eltern (Bille et al. sein (. Abb. 81.13 bis . Abb. 81.17).
2005), Fehl- und Mangelernährung [Folsäuremangel (Natsume et al. Daneben gibt es verdeckte Spalten: Die Spaltbildung erstreckt
1999), Vitamin-A-Überdosierung] sowie körperlicher und psy- sich nur auf die Muskulatur (submukös), während die darüberlie-
chischer Stress zu dominieren. gende Haut und Schleimhaut intakt sind. Die frühzeitige Diagnostik
sog. submuköser Spaltbildungen ist von besonderer Bedeutung, da
trotz intakter Gaumenschleimhaut die für die Aussprache und Be-
lüftung des Ohres wichtige Muskulatur nicht vereint ist. Unbe­handelt
kann es zu Sprechstörungen und Belüftungsstörungen des Mittel-
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
781 81

a a

c c

. Abb. 81.14 Einseitige vollständige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte . Abb. 81.15 Beidseitige vollständige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
präoperativ (a, b) und nach operativer Versorgung (c) präoperativ (a, b) und – nach Primäroperationen – im Alter von 6 Jahren (c)

ohres mit evtl. resultierender Schwerhörigkeit kommen. Das Be- Seltene Gesichtsspalten (. Abb. 81.18, . Abb. 81.19) werden in
handlungskonzept submuköser Spalten entspricht dem der offenen der LAHS-Nomenklatur jedoch nicht abgebildet. Hierfür findet die
Spaltformen. Internationale Klassifikation der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
Die LAHS-Nomenklatur (Koch et al. 1995) stellt eine interna­ (1967) Verwendung:
tional anerkannte topographisch-anatomische Klassifikation von 4 Zu Gruppe 1 gehören vordere Spaltbildungen (primärer Gaumen),
Spaltbildungen dar (. Tab. 81.4). Die Buchstaben bezeichnen den 4 zu Gruppe 2 vordere und hintere Spaltbildungen und
betroffenen anatomischen Bereich: So steht »L« für eine Lippenspal- 4 zu Gruppe 3 isolierte hintere Spaltbildungen (sekundärer Gau-
te, »A« für eine Kieferspalte (Alveolus), »H« für eine Hart- (»hard men).
palate«) und »S« für eine Weichgaumenspalte (»soft palate«). Nicht 4 Die seltenen Gesichtsspalten werden in Gruppe 4 subsumiert
betroffene anatomische Abschnitte werden mit einem Minuszeichen 5 mediane Spalten,
gekennzeichnet. Der linke Teil des Codes betrifft die rechte Patien- 5 oroorbitale schräge Gesichtsspalten,
tenseite und umgekehrt. Kleine Buchstaben symbolisieren unvoll- 5 oroaurikuläre quere Gesichtsspalten,
ständige Spaltbildungen. 5 andere seltene Spalten.
782 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

. Tab. 81.4 LAHS-Nomenklatur. (Nach Koch et al. 1995)

LAHS-Nomenklatur Kennzeichen

L– – – – – – Rechtsseitige Lippenspalte

––––––l Unvollständige linksseitige Lippenspalte

LA– – – AL Beidseitige Lippen-Kiefer-Spalte

LAHSHAL Beidseitige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte

– – – SHAL Linksseitige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte

– – HSH– – Hart- und Weichgaumenspalte

– – – S– – – Isolierte Weichgaumenspalte

Abkürzungen: L=Lippenspalte, A=Kieferspalte (Alveolus),


a
H=Hartgaumenspalte (»hard palate«), S=Weichgaumenspalte
(»soft palate«).

Alternativ findet die ebenfalls international anerkannte Tessier-Klas-


sifikation kraniofazialer Spaltbildungen (Tessier 1976) Verwendung,
81 die Spalten in 15 verschiedene Kategorien unterteilt:
4 Nr. 0–7 repräsentieren Gesichtsspalten,
4 Nr. 8–14 repräsentierenGesichtsspalten mit kranieller Mitbetei-
ligung.

Lippenspalten. Lippenspalten liegen an der Philtrumkante und er-


strecken sich je nach Ausprägung vom Lippenrot bis zum Nasenein-
gang. Dabei bestehen sowohl bei einseitigen als auch doppelseitigen
Lippenspalten eine Dehiszenz des M. orbicularis oris und eine ty-
b pische Deformierung des Naseneingangs (abgeflachte Nasenspitze,
verkürzte Columellakante).
Die kleinstmögliche Spaltbildung ist das Lippenkolobom mit
isolierter Spaltung der Lippenmuskulatur. Stärker ausgeprägt ist die
unvollständige Lippenspalte, die meist vom Lippenrot bis in das Lip-
penweiß reicht, jedoch keine Beteiligung des Nasenbodens aufweist.
Selbst bei unvollständigen Lippenspalten zeigen sich bereits spalt­
typische Nasendeformitäten (querovales Nasenloch, Septum zur
gesunden Seite verschoben; . Abb. 81.209). Bei der vollständigen
Lippenspalte sind alle Gewebeschichten bis in den Naseneingang
unterbrochen.
Bei doppelseitigen Lippenspalten zeigen sich klinisch ein hypo-
plastischer medianer Lippenanteil (Prolabium), eine verkürzte Co-
lumella und beidseitig ausgeprägte spalttypische Nasendeformitäten.
Asymmetrische Ausprägungen sind möglich.

Lippen-Kiefer-Spalten. Zusätzlich zu den oben beschriebenen Ver-


änderungen bei Lippenspalten können bei Lippen-Kiefer-Spalten
unvollständige bis vollständige Unterbrechungen des Alveolarfort-
satzes im Bereich der seitlichen Schneidezähne – mit Ausdehnung
bis zum Foramen incisivum – auftreten. Kieferspalten treten nicht
solitär auf. Die Grenze verläuft zwischen dem primären Gaumen
und den seitlichen Oberkieferwülsten. Der Knochendefekt ist häufig
von regelhaften Mundschleimhautanteilen maskiert. Der seitliche
Schneidezahn kann aplastisch sein, in dysplastischer Form oder als
echte Doppelanlage vorliegen.
Doppelseitige Lippen-Kiefer-Spalten gehen klinisch meist mit
c einer erheblichen Deformität einher. Das Zwischenkiefersegment ist
nur an Vomer und Nasenseptum fixiert und kann weit nach anterior
. Abb. 81.16 Beidseitige vollständige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte hervorragen. Der vordere Nasenbodenanteil fehlt, der Nasensteg ist
präoperativ (a, b) und – nach Primäroperationen – im Alter von 3 Jahren (c) deutlich verkürzt, und beide Nasenflügel sind lateralisiert.
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
783 81

a c e

b d f

. Abb. 81.17 Unvollständige Spaltformen: Lippenkolobom (a, b), einseitige Lippenkerbe (c, d), unvollständige beidseitige Lippenspalte (e, f)

. Abb. 81.18 Minorform einer queren Gesichtsspalte (Pfeil) mit Ohran-


hängsel

. Abb. 81.19 Mediane Lippenspalte prä- (a) und postoperatv (b)


784 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

a b c

81
d e

f g

. Abb. 81.20a–g Typische spaltbedingte Nasendeformitäten bei einseitiger Lippenkerbe

Gaumenspalten. Isolierte Gaumenspalten gehören zu den hinteren, schleimhaut maskiert. Klinisch fallen die betroffenen Kinder häufig
posterior des Foramen incisivum liegenden Spaltbildungen und zei- erst durch spaltbedingte Funktionsstörungen im Sinne von Belüf-
gen in der Regel keine Beteiligung des Alveolarknochens. Abhängig tungsstörungen des Mittelohrs auf, die rezidivierende chronische
von der anterior-posterioren Ausdehnung wird die Uvula bifida (ge- Paukenergüsse zur Folge haben. Häufig findet sich eine submuköse
spaltenes Zäpfchen) von der submukösen Gaumenspalte sowie der Gaumenspalte im Rahmen syndromaler Erkrankungen.
unvollständigen und der vollständigen Gaumenspalte unterschieden Bei unvollständigen Gaumenspalten erstreckt sich die Spaltbil-
(. Abb. 81.21). dung von der Uvula bis in den Weichgaumen. Sollte die Spaltbildung
Funktionell bedeutsam ist die veränderte Anatomie der Gau- bis zum Foramen incisivum reichen, spricht man von einer vollstän-
mensegelmuskulatur (Mm. levator und tensor veli palatini). Der digen Gaumenspalte. Der Vomer ist nicht mit dem Gaumendach
M. levator palatini zieht physiologischerweise das mittlere Drittel verwachsen. Eine Ausnahme bildet die vollständige Gaumenspalte
des Weichgaumens nach posterior und kranial, um einen dichten in Kombination mit einer einseitigen Lippen-Kiefer-Spalte: Hier
Abschluss mit der Pharynxhinterwand zu erreichen. Unterstützend kann der Vomer einseitig mit dem Gaumen auf der nicht betroffenen
ziehen die paarigen Mm. palatopharyngei das Gaumensegel nach Seite verwachsen sein.
posterior und der M. constrictor pharyngealis superior die laterale
Pharynxwand nach medial. Bei Gaumenspalten liegt eine Desorien- Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
tierung v. a. des M. levator palatini vor. Statt in der Medianebene entstehen durch eine Kombination aus vorderer und hinterer Spalt-
in der Palatinalaponeurose zu münden, sind die Muskelfasern lon- bildung. Sie können einseitig oder doppelseitig vorkommen und
gitudinal orientiert und setzen im posterioren Bereich des Os pala- zeigen dann alle oben genannten klinischen Merkmale in milder bis
tinum an. starker Ausprägung.
Die submuköse Gaumenspalte zeigt eine fehlende mediane Ver-
einigung der Gaumenmuskulatur und wird durch intakte Gaumen-
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
785 81
werden jedoch auch kardiale und urogenitale Veränderungen be-
schrieben.

> Bei allen Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten soll-


te eine sorgfältige pädiatrische Untersuchung durchge-
führt werden.

Spaltbedingte Entwicklungs- und Funktionsstörungen. Kinder


mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten zeigen regelhaft ein normales
a Wachstum. Im Bereich der Viszeralschädelentwicklung kommt es
jedoch durch fehlerhafte Wachstumsimpulse zu Fehlentwicklungen.
Bei Vorliegen einer Lippenspalte führen der unterbrochene periora-
le Muskelring und der unzureichende Lippendruck zu einer progre-
dienten Fehlstellung der Kiefersegmente. Entwicklungshemmungen
können auch durch operativ erzeugte Narbenstränge auftreten. So
lässt sich klinisch häufig ein schmaler retrudierter Oberkiefer (ma-
xilläre Retrognathie) nachweisen.
Funktionelle Störungen ergeben sich v. a. bei Gaumenspalten
durch die Probleme mit der Nahrungsaufnahme, durch Belüftungs-
störungen des Mittelohres aufgrund der Fehlinsertion der Gaumen-
muskulatur (Ventilationsstörung der Tuba Eustachii) und durch die
velopharyngeale Insuffizienz mit konsekutiver Störung der Lautbil-
dung (Palatophonie, Palatolalie), die bereits ab einem Alter von etwa
2 Jahren auffällt. Im Rahmen des interdisziplinären Behandlungs-
konzeptes ist die enge Anbindung der Phoniatrie empfehlenswert.
Das häufig deviierte Nasenseptum kann zusätzlich zur Behinde-
b rung der Nasenatmung führen. Dentoalveoläre Fehlstellungen sind
häufig.

81.2.4 Therapeutisches Vorgehen


Behandlungskonzept
Ein interdisziplinäres Behandlungskonzept, das den Patienten mit
Spaltbildung von Geburt bis zum Abschluss des Wachstumsalters
begleitet, ist für die vollständige funktionelle und ästhetische Reha-
bilitation unabdingbar. Idealerweise ist die erste Aufklärung über
das Behandlungskonzept (. Tab. 81.5) bereits pränatal wünschens-
wert, wenn im Rahmen des Organ-Screenings (20.–24. SSW) in der
Ultraschalluntersuchung eine Spaltbildung diagnostiziert wurde. So
kann bereits vor der Geburt ein Gespräch mit einer Stillberaterin
geführt werden. Auf diese Weise ist es möglich, Müttern von Kin-
dern mit LKG-Spalten professionelle Unterstützung zu geben, um
ein Stillen des Kindes zu ermöglichen.
Die Therapie gliedert sich in
4 Primärbehandlung (Frühbehandlung, chirurgische Primärbe-
c handlung),
. Abb. 81.21 Isolierte Weichgaumenspalte (a), kombinierte Hart- und
4 Sekundärbehandlung (Kieferspaltosteoplastik, sprachverbes-
Weichgaumenspalte (b) sowie postoperativer Situs 10 Tage nach Gaumen- sernde Operationen, Korrekturoperationen) und
spaltverschluss (c) 4 Spätbehandlung (z. B. Nasenkorrekturen, Dysgnathieopera­
tionen).

81.2.3 Syndrome mit Lippen-Kiefer-Gaumen- Begleitend erfolgt die Überwachung von Sprach- und Hörentwick-
Spalten lung durch die Phoniatrie sowie die Unterstützung bei Fehl- oder
Nichtanlage von Zähnen durch die Fachbereiche Kieferorthopädie,
In der aktuellen Literatur finden sich über 250 Syndrome und einige Prothetik und Zahnerhaltung, unter besonderer Berücksichtigung
Chromosomenaberrationen (Trisomie 13, Trisomie 18), die mit Lip- der Prophylaxe. Da Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten auch mit ande-
pen-Kiefer-Gaumen-Spalten assoziiert sein können (Cohen 1978; ren Fehlbildungen, z. B. der Extremitäten, vergesellschaftet sein kön-
Gorlin et al. 1971; Fara et al. 1972). In bis zu 25% der Fälle liegen bei nen, sollten Plastische Chirurgen in das erweiterte Behandlungskon-
Kindern mit Spaltbildungen weitere Fehlbildungen, Erkrankungen zept integriert werden.
oder Auffälligkeiten vor. Dabei finden sich diese Veränderung am Die wichtigen frühen Schritte der interdisziplinären Behandlung
häufigsten im Bereich der Extremitäten und der Wirbelsäule. Es beginnen bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten mit dem
786 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

. Tab. 81.5 Behandlungskonzept der Medizinischen Hochschule Hannover im Überblick

Behandlungszeitraum Diagnostische und therapeutische Maßnahmen

Direkt nach der Geburt Vorstellung in Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie


(abhängig vom Allgemeinzustand von Mutter und Kind) 1. Untersuchung des Kindes und Beratung der Eltern

Kurz nach der Geburt Kieferorthopädische Frühbehandlung (Eingliederung einer Gaumenplatten)

In regelmäßigen Abständen bis zum Erwachsenenalter Beratung der Eltern in interdisziplinärer Sprechstunde

4.–6. Lebensmonat Lippenspaltplastik


(ab 5000 g Körpergewicht)

9.–12. Lebensmonat Gaumenspaltplastik


(vor Sprachentwicklung)

Abhängig von der Sprachentwicklung Logopädische Betreuung

5.–6. Lebensjahr Kleine Korrekturen an Lippe und Naseneingang


Sprachverbessernde Operationen (Velopharyngoplastik)

Abhängig vom Schweregrad der Spaltbildung Beginn der kieferorthopädischen Therapie

8.–11. Lebensjahr Sekundäre Kieferspaltosteoplastik


(vor Durchbruch des bleibenden seitlichen Schneide- oder Eckzahns)
81 15.–18. Lebensjahr Endgültige Korrekturen an Nase und am Gesichtsschädel, prothetische
Versorgung

Eingliedern einer Gaumenplatte (Trinkplatte) durch den Kieferor- Bei allen Lippenspalten sollten keine größeren Anteile der äuße-
thopäden. ren Haut, der Schleimhaut oder insbesondere der Lippenmuskulatur
Prinzipiell dient die Gaumenplatte der Trennung von Mund- reseziert werden. Grundlage der Lippenspaltplastik ist die funktio-
und Nasenhöhle: Die Zunge wird in der Mundhöhle gehalten und nelle Vereinigung der fehlinserierten Stümpfe des M. orbicularis
daran gehindert, sich in die Nasenhaupthöhle einzulagern. Das oris. Bei doppelseitigen Lippen-Kiefer-Spalten enthält das Zwischen-
Schlucken, die Nasenatmung und die Nahrungsaufnahme werden kiefersegment meist keine funktionell verwertbare Muskulatur,
erleichtert. Seitliche Muskelzüge werden abgehalten. Mit der Gau- weshalb beim Lippenspaltverschluss aus den beiden lateralen Lip-
menplatte kann das Wachstum und die Harmonisierung des Ober- penstümpfen die Fasern des M. orbicularis oris mobilisiert werden
kiefers gesteuert werden. Auf der anderen Seite gibt es aber durchaus müssen.
auch Kinder mit breiten LKG-Spalten, die bei entsprechender An­ Abhängig von der Spaltbildung und der Ausprägung haben sich
leitung auch ohne Trinkplatte normal gestillt und ernährt werden unterschiedliche Lippenspaltplastiken etabliert, die sich in der Praxis
können. maßgeblich in der Hautschnittführung unterscheiden. Demgegen­
Die unmittelbar nach der Geburt eingesetzte Gaumenplatte wird über ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass v. a. der funktionellen
vom Kind zumeist schnell akzeptiert. Sie sollte feucht eingesetzt wer- Rekonstruktion der Lippen- und mimischen Mittelgesichtsmusku-
den und hält im Mund des Säuglings über Adhäsion. latur besondere Rechnung getragen werden muss.
Die Gaumenplatte wird im Verlauf in den Bereichen ausgeschlif- Bei einseitigen, unvollständigen Lippenspalten kann mittels ge-
fen, in denen Wachstum erfolgen soll. Da im 1. Lebensjahr das größ- rader Schnittführung (nach Veau), Bildung eines Dreiecksläppchens
te Wachstum stattfindet und damit der größte Effekt erzielt werden (nach Tennison 1952, 1966; Randall 1957), Schnittführung nach
kann, muss die Platte regelmäßig angepasst und etwa alle 3–3 Mo- Millard (1969, 1964; . Abb. 81.22) oder Wellenschnittführung nach
nate erneuert werden. Die Gaumenplatte wird zunächst von der Ge- Pfeifer (1967) ein harmonischer Amorbogen mit gut ausgeprägtem
burt bis zum Lippenspaltverschluss getragen. Mit Hilfe der Gaumen- Pounting erreicht werden. Bei allen Techniken wird der M. orbicu-
platte wird bereits eine deutliche Harmonisierung der Form des laris oris aus der unphysiologischen Anheftung an Oberkiefer und
Oberkiefers erreicht. Nach dem Verschluss der Lippe wird bis zum Nasenflügel gelöst.
Verschluss des Gaumens eine neue Gaumenplatte angefertigt und Doppelseitige, unvollständige Lippenspalten werden z. B. nach
getragen. Der durch den Verschluss ermöglichte Druck der Lippen- Veau (1922) und Cronin u. Penoff (1971) operiert. Diese Technik hat
muskulatur wirkt kieferregulierend und führt bereits zu einer deut- sich bei hypoplastischem und muskelfreiem Prolabium zur Auffül-
lichen Harmonisierung der Kieferform. lung des Lippenrots und Verlängerung der Spaltkante des Prolabi-
ums bewährt. Unter Schonung der Lippenrot-weiß-Grenze im Pro-
Chirurgische Primärbehandlung labium werden die Lippenstümpfe aufgetrennt und das Lippenrot
Lippenspaltplastik. Die ästhetisch und funktionell adäquate Re- durch gegeneinander verschränkte Lippenrotläppchen aufgefüllt.
konstruktion der Oberlippe unter Berücksichtigung einer harmo- Bei einseitigen vollständigen Lippenspalten werden die oben
nischen und symmetrischen Lippenrot-weiß-Grenze mit ausgepräg­ genannten Techniken durch die Rekonstruktion des Nasenbodens
tem Philtrum und anatomisch korrekt ausgeformtem Naseneingang und den Verschluss der Kieferspalte nach Axhausen (May 1946) bis
ist das Ziel der Lippenspaltplastik. Immanentes Ergebnis des Lippen- in Höhe des Foramen incisivum ergänzt. Dabei wird das Mukoperi-
verschlusses sind ferner der Verschluss des Vestibulums und der ost von Zwischenkiefer und Nasenseptum abgelöst und mit dem
schleimhäutige Verschluss des Kieferspaltbereichs. Mukoperiostlappen der kontralateralen Seite und der darüberlie-
81.2 · Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
787 81
und Sprechen und das verbesserte Belüften des Mittelohrs durch Zug
an der Tuba auditiva zum Ziel.
Bei allen Gaumenspaltverschlussplastiken werden das nasale
und das orale Schleimhautblatt vom knöchernen Gaumen gelöst.
Dann erfolgt der Verschluss der Nasenschleimhaut, sodass Mund-
und Nasenraum endgültig voneinander getrennt sind. Nach Lösen
der Gaumenmuskulatur von ihrer unphysiologischen Anheftung am
harten Gaumen erfolgt die anatomisch korrekte Vereinigung der
Muskulatur des weichen Gaumens. Abschließend wird die Schleim-
haut auf der Mundhöhlenseite verschlossen.
Der Verschluss des weichen Gaumens kann mit der Stiellappen-
oder Brückenlappentechnik erfolgen. Widmaier (1961) beschreibt
die Mobilisierung zweier kurzer, dorsal gestielter Mukoperiostlap-
a pen, die in der Medianen vereint werden und eine Verlängerung des
weichen Gaumens gestatten. Bei simultanem Verschluss von hartem
und weichem Gaumen können mit der Stiellappenplastik sowohl
Velum- als auch ausgedehnte Hart- und Weichgaumenspalten sicher
verschlossen werden.
Eine Variante stellt die Brückenlappenplastik dar. Hierbei wird
der Mukoperiostlappen im Bereich des anterioren Gaumens nicht
abgesetzt. Plastiken mit ventral oder dorsal gestielten Lappen eignen
sich besonders für den Gaumenspaltverschluss bei Erwachsenen.
Nachteilig wirkt sich die fehlende Verlängerungsmöglichkeit nach
dorsal aus.
Beim Gaumenspaltverschluss wird simultan immer eine primä-
re (Epi-/Meso-)velopharyngoplastik durchgeführt, bei der laterales
Pharynxgewebe medial flächig – nach dreiecksförmiger beidseitiger
Schleimhautexzision des nasalen spaltnahen Geweberandes – distal
der Weichgaumenhinterkante zusammengeführt wird. Diese erhöht
erstens die velopharyngeale Suffizienz und ist zweitens die einzige
b verlässliche chirurgische Möglichkeit, einen hinteren Gaumenbogen
. Abb. 81.22 Unvollständige Lippen-Kiefer-Spalte links (a) und Schema- bereits primär zu formen und somit auch einen zu kurzen Weichgau-
zeichnung der Lippenverschlussplastik nach Tennison-Randall (b) men zu verhindern (Joos et al. 2006).

Sekundärbehandlung
Man unterscheidet Eingriffe, die routinemäßig zur chirurgischen
genden Apertura piriformis vereinigt. Eine Modifikation der Tech- Rehabilitation von Spaltbildungen zählen (Kieferspaltosteoplastik,
nik zur Wiederherstellung des Nasenbodens und zum Kieferspalt- Nasenstegverlängerung bei doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-
verschluss beschreibt Stellmach (1964). Spalten), von Korrektureingriffen zur ästhetischen und funktio-
Bei doppelseitigen vollständigen Lippenspalten können eben- nellen Verbesserung bei nicht befriedigenden Primäroperationen.
falls verschiedene Operationsmethoden kombiniert werden. Eine
extreme Protrusion des Zwischenkiefersegments kann in Ausnah- Kieferspaltosteoplastik. Die Spaltbildung im Bereich des Alveolar-
mefällen einen zweizeitigen operativen Ansatz erforderlich machen. fortsatzes wird üblicherweise kurz vor Durchbruch des bleibenden
Vorteile eines einzeitigen Vorgehens liegen jedoch in der besseren Eckzahns (8.–11. Lebensjahr) verschlossen, der dann in diese Lücke
Ausformbarkeit der Lippe und der insgesamt besseren symmet- bewegt werden kann und ein festes knöchernes Lager vorfindet.
rischen Gestaltung der Lippe und des Naseneingangs (Stein et al. Nach vestibulärer und palatinaler marginaler Schnittführung wird
2007). transplantierter Knochen (Spongiosaentnahme aus dem Becken-
kamm) eingebracht, um einen regelrechten Alveolarkamm zu bil-
Verschluss des harten und weichen Gaumens. Bei der Wahl des den. Ein spannungsfreier Verschluss der Schleimhautblätter führt zu
Zeitpunktes für den Verschluss des harten und des weichen Gau- einer erfolgreichen Einheilung der Osteoplastik. Die Knochenaufla-
mens gilt es 2 Punkte zu beachten: Einerseits sollte der Gaumen so gerung sollte sich an den benachbarten Kieferstümpfen orientieren
früh wie möglich verschlossen werden, um eine möglichst ungehin- und deren Höhe erreichen.
derte Sprachentwicklung zu ermöglichen, andererseits wird durch
eine Narbe am Gaumen evtl. das Wachstum des Oberkiefers gestört. Sprachverbessernde Operationen
Dies ist der Grund dafür, dass der Gaumen nicht schon zusammen Sprachverbessernde Operationen werden dann notwendig, wenn
mit der Lippe verschlossen wird, sondern erst im Alter von 9–11 Mo- durch den primären Velumspaltverschluss kein adäquater velopha-
naten, also zum Zeitpunkt, wenn das Kind die ersten Laute bildet. ryngealer Abschluss erreicht werden konnte. Ein sog. offenes Näseln
Beim Gaumenverschluss kommt es ebenfalls auf die Rekons- (Rhinophonia aperta) kann Folge einer mangelnden Abschlussfunk-
truktion einer physiologischen Muskelschlinge und auf eine exakte tion eines zu kurzen Gaumens gegen den Rachen sein. In diesen
Vereinigung der einzelnen Schichten an, damit die vielschichtigen Fällen empfiehlt sich eine sprachverbessernde Operation (Velopha-
Funktionen des Gaumens wiederhergestellt werden können. Diese ryngoplastik). Die Indikation zu einer sprachverbessernden Opera-
Vereinigung hat das Abdichten des Nasenraums beim Schlucken tion wird gemeinsam mit dem Phoniater oder Logopäden gestellt.
788 Kapitel 81 · Fehlbildungen des Gesichts

det. Zunächst erfolgt die Schnittführung entlang der Columella bzw.


Nasenflügelkanten. Anschließend wird die häutige Columella von
den Spitzenknorpeln abgelöst. Die Vereinigung der Knorpel führt zu
einem Anheben der Nasenspitze, die Vereinigung der Gabelläpp-
chen zur Wiederherstellung eines verlängerten Nasenstegs.
Im Rahmen der Spätbehandlung sind weitere Korrekturen (ope-
rative Korrekturen von Dysgnathien, Narben, Nasenkorrekturen)
möglich (. Abb. 81.23).
> Ein besonderer Aspekt der Spaltchirurgie besteht darin,
einen der sichtbarsten Körperbereiche zu einem Zeitpunkt
operativ zu beeinflussen, zu dem das Wachstum noch
nicht abgeschlossen ist.
a Operative Veränderungen sollten, unter Berücksichti-
gung der Wachstumsvorgänge, hinsichtlich Funktion und
Ästhetik vorhersagbare Ergebnisse liefern.

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82

Fehlbildungen der Mammae


A. Heckmann, K.H. Breuing

82.1 Diagnostik – 792

82.2 Klassifikation – 792

82.3 Formen – 792


82.3.1 Aplasie – 792
82.3.2 Amastie/Athelie – 793
82.3.3 Polymastie/Polythelie – 793
82.3.4 Aberrantes Brustdrüsengewebe – 793
82.3.5 Mammahypoplasie – 793
82.3.6 Makromastie – 793
82.3.7 Juvenile Striae – 794
82.3.8 Tubuläre/tuberöse Brust – 794
82.3.9 Mammaasymmetrie (Anisomastie) – 796
82.3.10 Trichterbrust (Pectus excavatum) – 797
82.3.11 Poland-Syndrom – 797
82.3.12 Hohlwarze/Schlupfwarze (Koilomastie) – 798
82.3.13 Mamillenhyperplasie/Hyperplasie der Montgomery-Drüsen – 798

82.4 Zusammenfassung – 798


82.4.1 Therapieziele – 798
82.4.2 Stand der operativen und konservativen Therapie – 799
82.4.3 Brustimplantate – 799

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
792 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae

82.1 Diagnostik
. Tab. 82.1 Fehlbildungen der Mamma nach anatomischem
Die Diagnose Brustfehlbildung stützt sich auf die Anamnese und Erscheinungsbild
klinische Untersuchung der betroffenen Patientin. Inspektion und
Brustdrüse Mamillen- Angrenzende
Palpation sowie bildgebende Verfahren, wie Ultraschalluntersu- Areolen- anatomische
chungen und ggf. Mammographie, gehören zum medizinischen Komplex (MAK) Strukturen
­Diagnosestandard. Weiterführende bildgebende Verfahren wie CT
und MRT sind in der Regel nicht notwendig und nur bei besonderer Anzahl 4 Aplasie 4 Aplasie 4 Poland-
Fragestellung indiziert. 4 Amastie 4 Athelie Syndrom
4 Polymastie 4 Polythelie 4 Skoliose
> Das Gros der diagnostischen Arbeit kann der versierte 4 Trichterbrust
Größe 4 Hyperplasie 4 Mamillen­
Arzt in der Regel allein durch Anamnese und die körper- 4 Thorax­
4 Hypoplasie hyperplasie
liche Untersuchung leisten. asymmetrie
4 Inversion

Form 4 Tuberöse 4 Prolaps


Brust
82.2 Klassifikation
Im 2. Embryonalmonat entstehen am Rumpf die beiden ektoderma- Die Art des zu wählenden Eingriffs hängt dabei stark von der
len Milchleisten, die von der Axilla bis zur Inguinalfalte und weiter jeweils individuell auftretenden Fehlbildung ab. Manchmal reicht
bis zur Oberschenkelinnenseite verlaufen. Im weiteren Verlauf ent- eine einfache Korrektur der Brustwarze und des Hautmantels, in
stehen die Mammae durch Einstülpung der Brustknospe in das Mes- anderen Fällen kann eine Reduktion oder Lappenplastik des Drü-
enchym aus 4 eindringenden Epithelzapfen auf Höhe der IV. Rippe. senkörpers oder eine Rekonstruktion mit Eigengewebe und/oder
Ist dieser Entwicklungsprozess gestört, kann es zu Fehl- oder Über- Implantaten Abhilfe schaffen.
schussbildungen entlang der Milchleisten kommen. Das Ausmaß Brustfehlbildungen haben unterschiedliche Ausprägungen. Zum
82 der Brustfehlbildung hängt vom Zeitpunkt des Einwirkens des schä- einen können die Brustdrüse, die Brustwarze oder der Warzenhof
digenden Prozesses während der Embryonalzeit ab. ganz fehlen. Zum anderen kann das Brustdrüsengewebe überschüs-
sig oder die Anlage der Brustwarze überzählig sein (. Tab. 82.1).
Brustfehlbildungen entstehen auch als Folge von Unfällen, chirur-
Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen der Brust
gischen Eingriffen, Erkrankungen im Säuglings- und Kindesalter
4 Aplastie sowie Tumormanifestationen.
4 Amastie/Athelie
4 Polymastie/Polythelie
4 Mammahypoplasie Grundsätze der Fehlbildungskorrektur der Mammae
4 Makromastie 4 Brustfehlbildungen finden sich uni- oder bilateral.
4 Juvenile Striae 4 Das teilweise oder völlige Fehlen einer Brust ist für die
4 Tubuläre Brust Patientinnen eine große psychosoziale Belastung.
4 Mammaasymmetrie 4 Eine Korrekturoperation sollte im Regelfall erst nach Ab-
4 Trichterbrust schluss der Brustentwicklung bzw. bei Volljährigkeit erfolgen.
4 Poland-Syndrom Der Leidensdruck beginnt aber bereits in der Pubertät und
4 Hohlwarze (Koilomastie) kann zu Minderwertigkeitsgefühlen und Partnerschaftsprob­
4 Mamillenhyperplasie lemen führen. Es kommt zu einer Einschränkung der Lebens-
4 Hyperplasie der Montgomery-Drüsen qualität und des Sozialverhaltens. Dies unterstreicht die Not-
wendigkeit einer chirurgischen Korrektur bei diesen Patien-
tinnen. In Einzelfällen kann diese Korrektur­operation je nach
Die menschliche Brustdrüse ist eine hochdifferenzierte Hautdrüse Befund und Belastungssituation bereits während der Puber-
(7 Kap. 66, . Abb. 66.1 und 66.2). Die weibliche Brustdrüse nimmt ab tät durchgeführt werden, um der Patientin eine normale kör-
der Pubertät infolge der Hormonumstellungen mit Vermehrung der perliche und gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen.
Milchgänge von Binde- und Unterhautfettgewebe an Größe zu. Ge- 4 Bis zur endgültigen Korrektur der Fehlanlage bedarf es dann
ringe Unterschiede der weiblichen Brust in Größe und Form treten aber ggf. mehrerer chirurgischen Interventionen. Der Thera-
nahezu bei jeder Frau auf und werden zumeist nicht bemerkt. Aus- pieplan ist in Zusammenarbeit mit der Patientin und den
geprägte Unterschiede allerdings können neben funktionalen As- Eltern detailliert zu erörtern.
pekten (z. B. Stillfähigkeit) durchaus auch als ästhetisch störend
empfunden werden.
Fehlbildungen der Brust können zum einen angeboren sein,
oder es kann erst im Verlauf der Pubertät zu Fehlbildungen in 82.3 Formen
Wachstum und Symmetrie der Brust kommen, die sich nur zum Teil
ausgleichen können. Neben den ästhetischen Aspekten kann es im 82.3.1 Aplasie
Folgenden aber auch zu Fehlhaltungen im muskuloskelettalen Sys-
tem kommen. Bei einseitiger Fehlbildung kann sich während der Unter einer Aplasie versteht man die Nichtausbildung der Brust. Sie
Wachstumsphase die Brustasymmetrie ggf. ausgleichen. Wenn dies gehört zu den Mangelfehlbildungen der embryonalen Milchleiste.
nicht geschieht, ist gegen Ende der Wachstumsphase eine korrigie- Die wirkliche Aplasie ist selten und tritt meist als Syndrom mit ge-
rende Maßnahme durch einen operativen Eingriff möglich. nerellen Störungen der Hautanhangsgebilde auf.
82.3 · Formen
793 82
82.3.2 Amastie/Athelie 4 Involutionsmammahypoplasie,
4 postpartale Mammahypoplasie.
Unter Amastie versteht man das vollständige Fehlen der Brust­
drüse und der Brustwarze. Oft treten parallel eine Unterentwick- Als Symptome werden insbesondere
lung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane und ipsilaterale 4 eine ausgeprägte psychische Belastung bei regelwidrigem Kör-
Thoraxwanddefekte (7 auch Poland-Syndrom) auf. Die Athelie, das perzustand und
Fehlen der Brustwarze, tritt meist in Kombination mit der Amastie 4 eine zu gering ausgeprägte Brustprojektion beobachtet.
auf.
In der Anamnese finden sich eine fehlende Entwicklung oder starke
Rückentwicklung der Brust nach Schwangerschaft und Stillen. Eine
82.3.3 Polymastie/Polythelie nicht ausreichend ausgeprägte weibliche Brustprojektion und psy-
chische Belastung stellen hier als Therapieoption die Operations­
Die Polymastie (Mehrfachanlage der Brust) und die Polythelie indikation (Augmentation des unterentwickelten Brusthügels durch
(Mehrfachanlage der Brustwarze; . Abb. 82.1) gehören zusam- Implantation einer z. B. kohesivgelgefüllten Silikonprothese oder
men mit der aberrierenden Mamma und der akzessorischen Mam- ggf. durch vaskularisiertes Eigengewebe).
ma zu den Überschussfehlanlagen der Brust. Bei 2–3% der Frauen Die juvenile Hypoplasie stellt wohl nur eine fragliche Fehlbil-
besteht eine akzessorische Ausbildung der Brust in die Axilla dung dar. Eine hormonelle Stimulation des Brustwachstums ist we-
hinein. Das überzählige Vorkommen der Brustwarze entlang der gen der fehlenden Rezeptoren nicht möglich und sollte auch wegen
Milchleiste ist mit einer Inzidenz von 5% in der Bevölkerung ver- einer möglichen Kanzerogenese nicht angewendet werden.
breitet.
Das ektopische Brustdrüsengewebe (Polymastie) bildet zusätz-
liches Brustdrüsengewebe entlang der Milchleiste aus. Dabei bildet 82.3.6 Makromastie
sich in den Extrabrüsten ein eigenes separates Drüsensystem aus.
Eine Sonderform ist hier die Ausbildung einer Doppelbrust, bei der Im Verhältnis zu Größe und Gewicht der Betroffenen liegt eine zu
die beiden Brustwarzen kleiner als die der gesunden Gegenseite und große und zu schwere Brust (BH-Körbchengröße C oder größer) vor.
weiter kranial oder kaudal lokalisiert sind. Man kann folgende Einteilung vornehmen:
4 juvenile Mammahyperplasie,
4 Mammahypertrophie,
82.3.4 Aberrantes Brustdrüsengewebe 4 Altershypertrophie,
4 Gigantomastie.
Entsprechende Ausbildung einer weiteren Brust wie bei der Poly-
mastie, nur dass die Lokalisation nicht entlang der Milchleiste zu Folgende Symptome zeigen sich:
finden ist (. Abb. 82.2). 4 Rücken-/Nackenschmerzen,
4 Fehlhaltung,
4 Einschränkungen in Sport und Beruf,
82.3.5 Mammahypoplasie 4 BH-Trägerfurchen,
4 Intertrigo,
Im Verhältnis zu Größe und Gewicht der Betroffenen liegt eine zu 4 erhöhte psychische Belastung.
kleine Brust (BH-Körbchen kleiner als A) vor. Man kann folgende
Einteilung vornehmen: In der Anamnese findet sich eine Fehlentwicklung der Brust ab der
4 Mammaaplasie, Pubertät, nach Schwangerschaft, nach Menopause oder durch Über-
4 Mammahypoplasie, ernährung. Bei adipöser Brust besteht eine konservative Therapie-

. Abb. 82.1 Polythelie rechts . Abb. 82.2 Aberrantes Brustdrüsengewebe in der rechten Axilla
794 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae

a b

. Abb. 82.3 a Tuberöse Brust Typ IV. b Zustand nach Drüsenformung in der Technik nach Ribeiro (7 auch . Abb. 82.6a,b)

option in Form der Gewichtsreduktion und Rückengymnastik, soweit Klassifikation


sinnvoll. Bei (jugendlicher, normalgewichtiger) Drüsenbrust ist dies Es werden in aufsteigender Schwere und Ausprägung 4 Stadien un-
nicht möglich. Die Operationsindikation entsteht bei psychi­scher terschieden, in denen die fakultativen Symptome (Hypoplasie, groß-
Belastung, fehlhaltungsbedingten Beschwerden, Verkleinerungs­ er MAK) mit steigendem Schweregrad vermehrt anzutreffen sind
notwendigkeit um wenigstens 2 BH-Cup-Größen bzw. 250–500 g (. Tab. 82.2, . Abb. 82.4).
pro Seite. Hierbei wird eine Reduktion des Drüsenfettkörpers und
82 Hautmantels mit Transposition des Brustwarzenkomplexes mit dem Operationstechnik
Ziel des Erhalts von Sensibilität und Stillfähigkeit durchgeführt (De- Die operativen Therapiemöglichkeiten beinhalten die Umformung
tails 7 Kap. 77). des bestehenden Drüsengewebes und die Angleichung des Volu-
mens. Ist eine Brustseite voll entwickelt, sollte eine Angleichung
der unterentwickelten Brust in Form und Größe zur kontralate-
82.3.7 Juvenile Striae ralen Seite angestrebt werden. Bei sehr großen Volumina der nor-
malen Brust ist hier ggf. eine Reduktionsplastik (7 Kap. 77) durch-
Sie bilden sich unter dem Einfluss der Sexualsteroide durch Dehnen zuführen.
und Reißen der elastischen Fasern in der Dermis aus. Insbesondere Von einer einfachen Augmentation zum Ausgleich des Größen-
bei rasch wachsenden und sehr großen Brüsten oder bei rascher unterschieds ist abzuraten. Hierbei kommt es durch die ursprüng-
Gewichtszu- und Abnahme sind sie zu beobachten. Die zunächst liche Unterbrustfalte allzu oft zur Ausbildung einer quer verlau-
durch durchscheinende Blutgefäße rötlich erscheinenden Streifen fenden doppelten Falte unterhalb des Mamillen-Areolen-Komplexes
verblassen mit der Zeit, der Defekt in der Dermis bleibt jedoch be- und oberhalb der neuen Unterbrustfalte mit Ausbildung des sog.
stehen. Korrekturmöglichkeit besteht hier durch das Medical Need- »Double Bubble« (. Abb. 82.5). Insbesondere bei der tuberösen
ling (7 Kap. 71). Der Operateur fährt dabei mehrmals mit einem mit Brustform Typ III und IV mit fehlenden unteren Quadranten in
3 mm langen Nadeln besetzten Roller über die Striae und induziert Kombination mit gemindertem Hautmantel verbietet sich eine allei-
durch die feinen Dermispenetrationen eine zeitversetzte körpereige- nige Augmentation als Korrekturoption. Hier wäre das Entstehen
ne Kollagensynthese, die ein Abflachen der Dermisdefekte bewirkt. des Double Bubble vorprogrammiert.

82.3.8 Tubuläre/tuberöse Brust


. Tab. 82.2 Klassifikation der tuberösen Brust nach von Heimburg
Die tubuläre/tuberöse Brust ist eine Formvariante der weiblichen (1998)
Brust und neben der Hyper- und Hypoplasie die häufigste Brust­
fehlbildung. Eine Beschreibung erfolgte durch Rees u. Aston (1976). Tuberöse Anatomische Varianz
Sie beschrieben die Brustdeformität als einer Dahlienknolle (»tu- Brust
ber«) ähnlich und nannten sie entsprechend »tuberous breast«
(. Abb. 82.3). Typ I 4 Unterentwicklung des medialen unteren
Quadranten
Ursächlich bleiben in der Fetalperiode das Einwachsen und die
Verlängerung der Drüsengänge aus, wodurch sich alle Milchgänge Typ II 4 Beide untere Quadranten sind unterentwickelt
zentral hinter der Areola anordnen. Beim Brustwachstum in der 4 Es liegt kein Hautdefizit vor
Pubertät entsteht folglich ein Prolaps, da das Volumen der Brustdrü- Typ III 4 Beide untere Quadranten sind unterentwickelt
se nicht gehalten werden kann. 4 Ein Hautdefizit liegt vor
4 Der MAK ist nach unten gerichtet
Symptome
Typ IV 4 Alle 4 Quadranten sind unterentwickelt mit ver-
4 Obligat: kleine Brustbasis, hochstehende Unterbrustfalte.
kleinerter Brustbasis
4 Fakultativ: Hypoplasie, großer Mamillen-Areolen-Komplex 4 Es liegt eine schlauchförmige Brust vor
(MAK).
82.3 · Formen
795 82

. Abb. 82.4 Schematische Darstellung der Klassifikation der tuberösen Brust. (Nach Rees u. Aston 1976)

a b

. Abb. 82.5a, b »Double Bubble« nach Rekonstruktionsversuch einer tuberösen Brust mit Implantat

Alternativ stehen dem Plastischen Chirurgen verschiedene Tech­


niken zur Korrektur einer tuberösen Brustdeformität zur Verfügung . Tab. 82.3 Möglichkeiten der operativen Korrekturoperatione einer
(. Übersicht und . Tab. 82.3). tuberösen Brustdeformität

Tuberöse Mögliche Korrekturoperation (fließende


Techniken zur Korrektur einer tuberösen Brustdeformität Brust Übergänge)
4 Drüsenumformung nach Ribeiro (Ribeiro 1998)
Typ I Reduktionsplastik/ Bruststraffung (I-, L- oder T-Technik)
4 Straffungsoperation
4 Reduktionsplastik, Typ II Einfaches Unfurling (+ Implantat)
4 Drüsenlappenplastiken
Typ III Erweitertes Unfurling (+ Implantat)
4 einfaches und erweitertes Umformen (Unfurling)
4 Hautmantelstraffung Typ IV Erweitertes Unfurling (+ Implantat) + Hautmantel­
4 lokale und Fernlappenplastiken korrektur
4 Korrektur des Areolenprolaps
4 Kombination mit Implantaten
4 Expander kaudal zur Volumenauffüllung verlagert (. Abb. 82.6). Die Durch-
blutung dieses unteren Drüsenlappens erfolgt dabei über Perfora-
toren aus dem M. pectoralis, weswegen von einer zusätzlichen
Zur Korrektur der tuberösen Brust muss das vorhandene Gewebe epipektoralen Augmentation durch Implantate aufgrund der mög-
umgeformt werden. Eine der ersten Beschreibungen zur Umfor- lichen Minderdurchblutung abgeraten wird.
mung – bzw. wie er es nannte, die Entfaltung einer Knospe zur Blüte Es stehen heute verschiedenste Gewebelappenplastiken mit und
– erfolgte 1976 durch McGibbon. Ribeiro entwickelte eine Methode ohne Verwendung von Implantaten zur Verfügung. Gute Ergebnisse
zur Drüsenumformung bei kleineren Brüsten. Er trennt die Drüse bei Unterentwicklung des medialen unteren Quadranten (Typ-I-De-
von der Haut, teilt sie horizontal, und der untere Anteil wird nach formität) können durch einfache Straffungs- und Reduktionsplasti-
796 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae

. Tab. 82.4 Klassifikation der Mammaasymmetrie nach Juri

Mamma- Anatomische Varianz


asymmetrie

Grad I Bilaterale Asymmetrie mit Ptosis/Hyperplasie

Grad II Wie Grad  I, nur unilateral mit normaler Gegenseite

Grad III Unilaterale Asymmetrie mit Ptosis/Hyperplasie und


mit Hypoplasie der Gegenseite (Amazonensyndrom)

Grad IV Formfehler der Brust führen zu Asymmetrie mit


bilateraler Hypoplasie
. Abb. 82.6a, b Drüsenumformung nach Ribeiro zur Formkorrektur
kleinerer Brüste

ken in I-, L- und T-Technik erzielt werden. Wenn beide unteren nen lokale Schwenk- und Fernlappenplastiken zur Korrektur des
Quadranten bei ausreichendem Hautmantel unterentwickelt sind Hautdefizits Anwendung finden. Die alleinige Verwendung von
(Typ-II-Deformität), kann durch das »einfache Unfurling« durch Hautexpandern ohne chirurgisches Auflösen der Unterbrustfalte
horizontales Aufteilen der Drüse und Anterokaudalisierung des sollte nicht erfolgen, da sie das Problem nicht löst.
neu geschaffenen unteren Drüsenlappens ein gutes »Auffüllen«
der unteren Quadranten erfolgen (Puckett u. Concannon 1990;
. Abb. 82.7). 82.3.9 Mammaasymmetrie (Anisomastie)
Bei einem zusätzlich bestehenden Hautdefizit (Typ-III- und -IV-
82 Deformität) sollte zur Verhinderung des Double Bubble eine Aus- Die Mammaasymmetrie manifestiert sich als ein in Form, Größe
dehnung der Präparation des unteren Lappens bis in das Oberbauch- und Position unterschiedliches Brustpaar. Die Mammaasymmetrie
fettgewebe erfolgen (»erweitertes Unfurling«; . Abb. 82.8). Dieser wird nach Juri eingeteilt (. Tab. 82.4, . Abb. 82.9).
größere Weichteillappen wird dann evertiert zurückgeschlagen und Die Asymmetrie entsteht angeboren durch Fehlbildung, Unfall-
vernäht. folge (z. B. Verbrennung), Kapselflbrose nach Augmentation/Re-
Zusätzliche Hautmantelkorrekturen können durch eine Keilex- konstruktion oder als Krankheitsfolge (z. B. nach Mammatumor,
zison über der ehemaligen Unterbrustfalte erfolgen. Alternativ kön- Abszess, Mastitis). Zudem durchläuft die Brust im Verlauf des Al-

. Abb. 82.7a–c Einfaches Unfurling mit Implantat

. Abb. 82.8 Erweitertes Unfurling mit Implantat


82.3 · Formen
797 82
Bei einseitiger ausgeprägter Ptosis ist in Abhängigkeit vom Haut-
und Drüsengewebe und von der Gegenseite eine angleichende Straf-
fung (Mastopexie) oder Reduktion der Brust durchzuführen. Diese
kann nach Höhler-Pitanguy (1967) in invertierter T-Schnitttechnik
mit einem breitbasigen kranialen Stiel und kranialer Verlagerung des
Mamillen-Areolen-Komplexes erfolgen. Alternativ stehen narben-
sparende Verfahren wie die L- und I-Schnitttechnik (Chiari 1992;
Lejour u. Abbound 1990) zur Verfügung.
Bei Ptosis und hypotrophem Drüsenkörper kann eine Augmen-
tationsmastopexie mit Implantateinlage erfolgen. Sie kombiniert
Volumengewinn (durch ein Implantat) und Straffung des Hautman-
tels zur Formgebung der Brust.

82.3.10 Trichterbrust (Pectus excavatum)


. Abb. 82.9 Mammaasymmetrie Grad II nach Juri
Die Trichterbrust ist eine angeborene, meist auf einer fehlerhaften
Entwicklung des Brustkorbes beruhende trichterförmige Einsen-
terns und durch Schwangerschaft und Stillzeit Veränderungen in kung des Brustbeins und der benachbarten Rippenanteile, die sich
ihrem Erscheinungsbild und kann asymmetrisch werden. teils bis zur Pubertät verstärkt. Die Inzidenz beträgt etwa 1:300 bis
1:400 Geburten. Jungen sind 3-mal häufiger betroffen als Mädchen.
Operationsindikation Eine familiäre Häufung wird in 35% der Fälle beobachtet (Puri u.
Eine Indikation zur operativen Korrektur der Asymmetrie besteht Höllwarth 2006). Die Trichterbrust tritt ebenfalls gehäuft beim Mar-
bei ausgeprägter Seitenungleichheit mit begleitender psychischer fan-Syndrom oder Poland-Syndrom auf.
oder körperlicher Belastung oder bei Schmerzhaftigkeit durch eine Funktionelle Einschränkungen bestehen in der Regel nicht. Eine
Kapselfibrose nach Augmentation. Präoperativ muss nach Situation Verdrängung des Herzens, insbesondere in den linken Lungenflügel
entschieden werden, ob und in welcher Form eine ein- oder beidsei- hinein, kann –in der Regel harmlose – Herzrhythmusstörungen zur
tige Formkorrektur durchgeführt wird. Folge haben. Durch die Thoraxfehlbildung kommt es eher zu kör-
perlichen Fehlhaltungen insbesondere im Bereich des Schultergür-
Operationstechnik tels. Die Patienten suchen den Arzt aber meist aus rein ästhetischen
Weniger aufwendig ist ein Formausgleich durch Silikonimplantate. Gründen auf.
Eine ansprechende Symmetrie ist hierbei jedoch meist nur bei feh-
lender Ptosis der Gegenseite erreichbar. Dadurch kommt dieses Ver- Operationstechnik
fahren bei vielen Anisomastien nicht in Frage. Insbesondere wenn Korrekturmöglichkeiten bestehen in Form der offenen chirurgischen
eine größere Menge an Gewebe rekonstruiert werden muss, müssen Thorakoplastik nach Ravitch (1949) oder Rehbein u. Wernicke
komplexere plastisch-chirurgische Verfahren angewandt werden, (1957). Nuss beschrieb zudem 1998 erstmals die minimalinvasive
um ein ästhetisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen. Zudem kom- chirurgische Korrekturoperation. Des Weiteren besteht die Möglich-
men angleichende Verfahren bei ausgeprägter Anisomastie in Form keit der ästhetischen Korrektur mit Silikonimplantaten nach Abguss
einer Augmentation der kleineren Brust und einer straffenden/redu- (Custom-made-Implantate).
zierenden Formveränderung an der größeren Brust kombiniert zur Als nichtchirurgische Maßnahme kann durch Platzierung einer
Anwendung. Dadurch erhöht sich der Anspruch an den Operateur. Saugglocke über dem Areal der Deformität durch externe Vakuum-
Eine genaue präoperative Planung ist hier Grundlage für ein zufrie- therapie eine langsame, kontinuierliche Korrektur angestrebt wer-
denstellendes Ergebnis. den, jedoch ist diese Art der Therapie nur im frühen Kindesalter vor
Zur Formkorrektur mit Eigengewebe stehen hier lokal gestielte Abschluss des Thoraxwachstums anzuwenden.
Gewebeplastiken zur Verfügung. Limitierend für die Größen- und Weitere Details 7 Kap. 22.1.
Formgebung wirkt hierbei die Verfügbarkeit des örtlichen Haut- und
Fettgewebes, insbesondere inferior zur unteren Brustbegrenzung.
Maliniac (1953) und Longacre (1956) beschrieben die Mobilisation 82.3.11 Poland-Syndrom
des Hautfettgewebes unterhalb der Submammarfalte nach kranial in
die Brust hinein als Random-pattern-Lappenplastiken zur Formkor- Das Poland-Syndrom wurde 1841 erstmalig von Alfred Poland be-
rektur mit Betonung der Unterbrustfaltenregion. Eine Alternative ist schrieben. Hier liegt eine Fehlanlage des M. pectoralis major in
der axial gestielte thorakoepigastrische Lappen, der Fett- und Haut- Kombination mit der ipsilateralen Brust vor (. Abb. 82.10). Diese
gewebe aus der lateralen inframammären Thoraxwand bis in den kann hypoplastisch angelegt sein. Im Extremfall besteht eine einsei-
mittleren und oberen Bereich der Brust verlagert. tige Amastie mit Athelie. Zusätzlich kommen muskuläre und skelet-
Auch der an den Interkostalgefäßen gestielte Perforatorumkipp- tale Deformitäten der ipsilateralen Thoraxwand und auch der obe-
lappen aus dem Oberbauch kann zur Formkorrektur mit lokalem ren Extremität vor.
Eigengewebe verwendet werden. Er bietet bei entsprechend geeig- Die Inzidenz beträgt 1:20.000 bis 1:30.000 Geburten und betrifft
neter Patientin einen großen Volumengewinn auch für beidseitige das männliche mehr als das weibliche Geschlecht. Ursächlich wird
vergrößernde Formkorrekturen. Aber auch der gestielte myokutane eine embryonale Perfusionsstörung im Bereich der A. subclavia und
Latissimus-dorsi-Lappen (mit oder ohne Implantat) oder der gestiel­ A. vertebralis angenommen. Die Anlage der oberen Extremität und
te TRAM-Flap sowie mikrochirurgische Perforatorlappen stehen der Milchleiste liegen beim Embryo direkt nebeneinander. In der
zur Verfügung. 3.–5. Woche schiebt sich die Extremitätenanlage direkt benachbart
798 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae

Flap), erfolgen. Dieser hat im Vergleich zum myokutanen Unter-


bauch-TRAM-Flap aufgrund der intakten Bauchdeckenmuskulatur
eine geringere Hebedefektmorbidität.

82.3.12 Hohlwarze/Schlupfwarze (Koilomastie)

Eingezogene und nicht erigierbare Brustwarzen finden sich bei


Frauen in ca. 10% (davon 87% beidseitig) der Fälle und treten
meistens kongenital auf. Ursachen für eine erworbene Inversion
können Tumoren, Traumata, postmastitische Fibrosen und Ope­
rationen sein. Sie können zu ernsten Behinderungen beim Stillen
führen. Die Ursache liegt in den einmündenden Milchgängen, die
anatomisch zu kurz angelegt sind. Des Weiteren sind die musku­
lofibrokollaginösen Elemente, die die Mamille ausbilden, hypoplas-
tisch, und es liegen in die Tiefe hinein verankernde zu kurze fibröse
Bänder vor.
. Abb. 82.10 Linksseitiges Poland-Syndrom bei einer 8-Jährigen mit Eine ausreichende dauerhafte Korrektur kann operativ durch
fehlendem M. pectoralis major bei regelrechter angelegter Areola vor der Durchtrennung der Milchgänge (Cave: möglicher Verlust der Still-
Telarche fähigkeit) oder konservativ durch eine kleine Saugglocke (Niplette)
hergestellt werden.

zur Milchleiste knospenartig aus dem oberen Thorax hervor. Hier


kann eine Schädigung in der Frühschwangerschaft zu Fehlanlagen 82.3.13 Mamillenhyperplasie/Hyperplasie
82 der Brust, Brustwand und der Hand führen. Eine genetische Dispo- der Montgomery-Drüsen
sition wird zusätzlich diskutiert.
Beim Poland-Syndrom stellt das teilweise oder völlige Fehlen Der Mamillen-Areolen-Komplex (MAK) variiert in Größe, Textur,
einer Brust für die Patientinnen eine große psychosoziale Belastung Form und Farbe individuell. Auch die Anzahl der Montgomery-
dar. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer chirurgischen Kor- Drüsen in der Areola hat einen hohen Variationsgrad. Bei einer Län-
rektur bei diesen Patienten. ge der Mamille über 12 mm hinaus spricht man von einer Hyperpla-
Ziel der Korrektur ist die Rekonstruktion der anatomischen Ver- sie der Mamillenspitze. Sie kann sich durch die Stillzeit entwickeln
hältnisse und dadurch die Schaffung einer Symmetrie beider oberen oder auch kongenital angelegt sein. Eine Korrektur ist operativ durch
Körperhälften. So gilt es, neben der Brustrekonstruktion auch Tho- Kürzung der Mamille zu erzielen und sollte im Regelfall nach Ab-
raxwanddeformitäten durch den Ersatz fehlender muskulärer und schluss der Familienplanung erfolgen.
skelletaler Strukturen zu rekonstruieren.

Operationstechnik 82.4 Zusammenfassung


Zur Brustrekonstruktion stehen allogene und autologe Materialien
zur Verfügung. Sie können einzeln oder kombiniert angewandt 82.4.1 Therapieziele
und müssen individuell den Bedürfnissen des Patienten und dem
Diagnosebild angepasst werden. Eine angeborene oder erworbene Brustfehlbildung stellt für die Frau
Einer der häufigsten rekonstruktiven Eingriffe ist der gestielte eine große psychosoziale Belastung dar. An die operative Korrektur
myokutane M.-latissimus-dorsi-Lappen. Dabei wird der Muskel an werden hohe Ansprüche und Erwartungen gestellt (. Übersicht).
der dorsalen Thoraxwand abgelöst und an seinem axillären Gefäß- Somit obliegt es der Erfahrung und dem Geschick des Operateurs,
stiel (A. und V. thoracodorsalis) nach ventral geschwenkt. Dabei ist ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Bei ausgeprägten Be-
darauf zu achten, dass eine Denervierung durch Segmentresektion funden ist dies manchmal erst nach mehreren Operationsschritten
des N. thoracodorsalis erfolgt. Zusätzlich kann dabei eine Hautinsel zu erwarten.
vom Rücken mitverlagert werden. Zur Gewinnung einer ausrei-
chenden Projektion nach vorn wird dieser Lappen meist mit einem
Operationsziele
Implantat kombiniert.
Teilweise werden auch zusätzlich bei fehlendem M. pectoralis 4 Ansprechende ästhetische Form
sog. Custom-made-Implantate nach Abdruck hergestellt und an- 4 Symmetrie zur Gegenseite
schließend zur Konturdefektauffüllung implantiert. 4 Zur Größe der Patientin passendes Volumen
Wir präferieren nach Möglichkeit und Indikation die Rekons- 4 Kurze, unauffällige Narben
truktion der weiblichen Brust mit Eigengewebe, da hier ästhetisch 4 Aufhebung bestehender Haltungsschäden und Bewegungs-
ansprechende und langzeitig komplikationslose Ergebnisse erzielt einschränkungen
werden können, die den bestmöglichen Benefit für die Patientin dar-
stellen. So kann z. B. bei fehlendem Brustmuskel der bestehende
pektorale Konturdefekt durch Einschwenken eines gestielten M.-la- > Das wichtigste Ergebnis einer korrigierenden Brust­
tissmus-dorsi-Lappens rekonstruiert werden. Die Rekonstruktion operation ist die zufriedene Patientin.
der weiblichen Brustdrüse kann dann dabei ein- oder zweizeitig,
z. B. durch einen autologen Unterbauchperforatorlappen (DIEP-
82.4 · Zusammenfassung
799 82

. Abb. 82.11 Silikonimplantat mit Kapselfibrose . Abb. 82.12 Möglichkeit der Schnittführung bei Implantataugmentation

82.4.2 Stand der operativen Zur Augmentation bei Mammahypolpasie können die Implan-
und konservativen Therapie tate submuskulär unter den M. pectoralis major und subglandulär
auf dem Muskel implantiert werden. Dabei hängt die Platzierung der
Die Vielzahl der Formvarianten erfordert ein auf jede Patientin in- Implantate vom bestehenden Weichteilmantel der Brust, der Ptosis
dividuell abgestimmtes Behandlungskonzept. Überschüssige Anla- und von der sportlichen Aktivität der Frau ab. Bei ausreichend
gen können operativ entfernt werden. Bei fehlenden Anlagen oder ­dickem Weichteilmantel (ab 2 cm Dicke) und bei ausgeprägtem
einer Minderausprägung kann die Brust auf 2 Wegen vergrößert M. pectoralis major durch sportliche Aktivität werden die Implan-
bzw. rekonstruiert werden: tate in der Regel subglandulär auf den Muskel implantiert. Der
4 durch den Einsatz von Fremdmaterialien (Silikongelimplantate, Weichteilmantel verspricht eine ausreichende Bedeckung des oberen
Expander) sowie Implantatrandes im Dekolleté, und die epipektorale Lage verhindert
4 durch den Einsatz von körpereigenem Gewebe, z. B. Rücken- ein Verziehen der Brust bei Aktivierung des Pektoralismuskels. Bei
muskel (M.-latissimus-dorsi-Flap) oder Haut-Fettgewebs-Lap- dünnem Weichteilmantel besteht die Gefahr des Abzeichnens des
pen aus dem Unterbauch (DIEP-Flap) oder Gesäß (SGAP-Flap). oberen Implantatpols und des sog. »Ripplings« (wellenförmiges Auf-
werfen der Haut durch das Implantat) im Dekolleté oder gar eine
Im Falle der Anisomastie kann entsprechend jeweils eine Brust Perforation durch die Haut.
verkleinert oder vergrößert werden. Um den Mamillen-Areolen-
Komplex zu rekonstruieren, werden örtliche Lappenplastiken sowie Komplikationen
Hautverpflanzungen vorgenommen (7 Kap. 68.7.3). In Einzelfällen Majorkomplikationen bei Implantaten sind die Bildung von
kommt auch eine Tätowierung in Frage. Um der sog. Trichterbrust schmerzhaften Silikonomen bei Austritt von Silikon (»Bleeding«)
entgegenzuwirken, kann das Brustbein ggf. operativ aufgerichtet und die Kapselfibrose (Kapselkontraktur; . Abb. 82.11; 7 Kap. 77.2.1,
werden. . Tab. 77.2).
Verschiedene schonende Verfahren stehen zur Verfügung, um Die Beurteilung des Fibrosegrades ist letztendlich subjektiv vom
Fehlbildungen der Brust zu korrigieren. Sie kommen individuell zur Chirurgen zu bestimmen. Es lässt sich aber doch eine recht gute
Anwendung. Der Leidensdruck der Patientinnen ist oft groß, den- Einschätzung der Ausprägung der Fibrose abgeben. Therapeutisch
noch sollten Korrekturoperationen nur nach Abschluss der Brustent- kann hier ein Implantatwechsel mit Exzision der umgebenden Kap-
wicklung oder mit ausdrücklicher Einwilligung der Eltern frühestens selfibrose erfolgen.
im Alter von 16 Jahren durchgeführt werden. Ansonsten gilt, wie für
alle ästhetischen Eingriffe, die Volljährigkeit als Voraussetzung. Operationstechnik
Als chirurgische Zugangswege stehen die Schnittführung in der
Unterbrustfalte, semiperiareolär, transpapillär und -areolär sowie
82.4.3 Brustimplantate (endoskopisch assistiert) transaxillär zur Verfügung (. Abb. 82.12).
Das chirurgische Vorgehen (Schnittführung, Platzierung der Im-
Implantate werden heute hauptsächlich zur Augmentation bei Mam- plantate) ist präoperativ mit der Patientin mit allen Vor- und Nach-
mahypoplasie, bei Anisomastie und zur Rekonstruktion nach Mam- teilen in Abhängigkeit von der Brustform und den realisierbaren
maablation verwandt. Sie haben alle aufgrund ihrer Gewebeverträg- Wünschen der Frau sowie der Implantatwahl (Größe, Form und Fül-
lichkeit und guten mechanischen Eigenschaften eine Hülle (glatt lung) ausführlich zu erörtern. Gegebenenfalls ist zusätzlich bei aus-
oder texturiert) aus einem Silikonpolymer. In Europa werden meist geprägter Ptosis mammae eine Straffung des Haut-Weichteil-Man-
runde oder anatomisch geformte Silikonimplantate mit einer Kohe- tels notwendig.
sivgelfüllung verwendet. Alternativ stehen auch runde Implantate
mit flüssigem Silikongel oder Kochsalzlösung zur Verfügung. Letz-
tere haben ihre Verbreitung hauptsächlich in den USA.
800 Kapitel 82 · Fehlbildungen der Mammae

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83

Fehlbildungen der Hände


A. Gohritz, P.M. Vogt

83.1 Klassifikation – 802

83.2 Diagnostisches Vorgehen – 802

83.3 Therapieprinzipien – 802


83.3.1 Beratung der Eltern – 802
83.3.2 Operationszeitpunkt – 802

83.4 Einzelne Handfehlbildungen – 802


83.4.1 Syndaktylien (Klasse II) – 802
83.4.2 Kamptodaktylie (Klasse II) – 804
83.4.3 Klinodaktylie (Klasse II) – 804
83.4.4 Polydaktylie (Klasse III) – 804
83.4.5 Schnürringsyndrom (Klasse VI) – 805
83.4.6 Hypo- und Aplasie des Daumens (Klasse V) – 806
83.4.7 Radiale Klumphand – 808
83.4.8 Makrodaktylie (Klasse IV) – 808
83.4.9 Fehlbildungssyndrome (Klasse VII) – 808
83.4.10 Sonstige angeborene Kontrakturen und Fehlstellungen – 808

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
802 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände

Fehlbildungen an Arm und Hand sind bei ca. 1 von 600 Neugebore-
nen zu verzeichnen. Die häufigsten Formen sind die miteinander . Tab. 83.1 Fehlbildungen der Hand nach dem ASSH-Schema nach
verwachsene (Syndaktylie) und überzählige Finger (Polydaktylie). Schmitt u. Lanz (1992)
Nur 5% der Handfehlbildungen sind erblich bedingt, wie z. B. bei
Apert-Syndrom oder Trisomie 21, oder die Folge von exogenen Fak- Klasse Fehlbildung Häufigkeit
toren wie Umweltgiften oder Medikamenten. Thalidomid führte
I Fehlende Bildung von Teilen 12%
z. B. zu Reduktionsfehlbildungen an der oberen Extremität von der 4 Transversal (von Schulter bis Finger)
Daumenaplasie bis zur Amelie (komplettes Fehlen der Gliedmaße). 4 Longitudinal
Die restlichen 95% treten sporadisch auf, d. h. spontan und ohne a. Präaxial – Hypoplasie von Daumen und
erkennbare Ursache. Radius
b. Zentral – Typische und atypische Spalt-
hand
83.1 Klassifikation c. Postaxial – Ulnare Hypoplasie bis Hypo-
thenarhypoplasie
Angeborene Handfehlbildungen werden meist nach dem Schema d. Zwischengeschaltet – Phokomelie
der American Society of Surgery of the Hand (ASSH) eingeteilt II Fehlende Differenzierung von Teilen 31%
(Swanson 1976; . Tab. 83.1). 4 Weichteile: Syndaktylie, Poland-
Syndrom, Kamptodaktylie
4 Skelettal – Synostosen
83.2 Diagnostisches Vorgehen 4 Tumoren – Alle vaskulären und
nervalen Malformationen

Die Behandlung einer angeborenen Handfehlbildung beginnt mit III Duplikation 36%
der Erstellung einer genauen Anamnese, einschließlich Besonder- 4 Gesamtheit oder Teile der Extremität
heiten während der Schwangerschaft, Details aus der Neugebore- 4 Spiegelhand
nenzeit und Familienanamnese. Mit einer kompletten körperlichen 4 Polydaktylie
Untersuchung der gesamten oberen (Vorhandensein des M. pecto- IV Überentwicklung (Hyperplasie) 0,5%
ralis major) und unteren Extremität dient sie auch zum Ausschluss
83 von angeborenen Syndromen (. Tab. 83.2). Erstbefund und Verlauf
4 Hemihypertrophie oder Makrodaktylie

V Unterentwicklung (Hypoplasie) 4,3%


werden fotografisch dokumentiert, die aktiven und passiven Bewe-
4 Radiale Hypoplasie
gungsausmaße aufgenommen. 4 Brachysyndaktylie oder Brachydaktylie

VI Schnürbandsyndrome 6,5%
83.3 Therapieprinzipien 4 Mit oder ohne Lymphödem
4 Variable Höhe der Einschnürung/
Amputation
83.3.1 Beratung der Eltern
VII Fehlbildungssyndrome – Unklassifiziert Variabel
Das geplante Vorgehen muss mit den Eltern genau besprochen wer-
den, Art und Zeitpunkt der Eingriffe mit ihren Erfolgsaussichten
und Risiken müssen ausführlich dargestellt werden. Auch später
notwenige Korrekturoperationen müssen erwähnt werden. Ruhigstellung muss sichergestellt werden, dass das Kind die Schiene
> Unrealistische Wunschvorstellungen sind frühzeitig ein­ nicht selbst entfernen kann, daher ist oft ein Oberarmgips not­
fühlsam zu korrigieren. Ein komplett normales Aussehen wendig.
der Hand ist nur selten möglich. Hierzu können Bilder von
Operationsergebnissen oder der Kontakt zu einer ähnlich
betroffenen Familie hilfreich sein. Letztendlich kommt es 83.4 Einzelne Handfehlbildungen
auf die Funktionalität an.
83.4.1 Syndaktylien (Klasse II)

83.3.2 Operationszeitpunkt Im Rahmen einer Syndaktylie sind eine oder mehrere Finger mitein-
ander verschmolzen. Betroffen sind entweder nur die Weichteile
Bei der Operationsplanung ist der Zeitpunkt von entscheidender (»Schwimmhaut«) oder auch die Knochen.
Bedeutung. Das Anästhesierisiko vermindert sich bei Kindern durch Die Inzidenz liegt bei etwa 1:20.00 Lebendgeburten und ist bei
die Lungenreifung jenseits des 6. Lebensmonats. Eventuell müssen Kaukasiern wesentlich häufiger als bei Dunkelhäutigen. Männer
zuerst wichtigere Probleme gelöst werden, z. B. bei zusätzlich beste- sind etwa doppelt so häufig wie Frauen betroffen. Meist betrifft die
henden Organfehlbildungen. Syndaktylie den Mittel- und Ringfinger (etwa 50–60%; . Abb. 83.1)
Es ist zu bedenken, dass sich die Handgröße innerhalb der ersten fast nie den Daumen und den Zeigefinger (3%). In 15–40% liegt eine
2–2,5 Lebensjahre fast verdoppelt. Dies ist insbesondere im Hinblick positive Familienanamnese vor; ein autosomal-dominanter Erbgang
auf mikrochirurgische Rekonstruktionen zu beachten. mit variabler Penetranz ist möglich.
Weiterhin muss die Reife des Kindes hinsichtlich der postope- Anatomisch findet sich häufig eine Verdickung der Clealand-
rativen Rehabilitation und Schienung nach der Operation einge- und Grayson-Ligamente. Die Palmarfaszie ist im Bereich der Kom-
schätzt werden. Allgemein sollte jedoch die Operation vor der Ein- missur stark verdickt und angrenzende Gelenke häufig in ihrer
schulung des Kindes abgeschlossen sein. Bei einer postoperativen Beweglichkeit eingeschränkt.
83.4 · Einzelne Handfehlbildungen
803 83

a c

. Abb. 83.1a–c Syndaktylietrennung. Die interdigitalen Lappen dienen


der funktionellen und ästhetischen Rekonstruktion der neuen Zwischenfin-
gerfalte. Die Zickzack-förmige longitudinale Schnittführung soll einen gera-
den Narbenverlauf mittseitlich verhindern. Die kleinen Dreickszipfel (a, b)
reichen in der Regel nicht für eine kutane Rekonstruktion aus, sondern
erfordern kleine Hauttransplantate aus der Leistenregion. c Postoperatives
b
Ergebnis nach 2 Jahren

Nach der Länge der Verwachsung unterscheidet man zwischen einer Deltaphalanx möglich. Selten kann auch eine Arteriographie
kompletter (ganzer Finger verwachsen, einschließlich Fingernägel, nützlich sein, um die Gefäßversorgung zu klären (z. B. bei Apert-
häufigste Form) und inkompletter Syndaktylie (Aussparung des Syndrom).
Endglieds). Nach dem Grad der Verschmelzung kann eine einfache,
d. h. nur häutige Syndaktylie vorliegen, meist mit normalen Band- Therapeutisches Vorgehen
strukturen, aber oft mit Doppelanlagen von Sehnen, Nerven und > Eine frühe Intervention ist meist nur notwendig, wenn
Gefäßen. Hiervon unterscheidet sich die komplexe Form mit knö- komplexe Fehlbildungen vorliegen (z. B. bei querliegen­
cherner Fusion, oft mit zusätzlichen Fehlbildungen der Finger kom- den knöchernen Komponenten), um ein Fehlwachstum
biniert: der Hand zu vermindern. Meist empfiehlt es sich, im Alter
4 Akrosyndaktylie (distale Fusion, proximale Phalangen getrennt, von 18–24 Monaten zu operieren.
häufig mit Brachydaktylie = Kurzfingrigkeit),
4 Oligo- und Polysyndaktylie (oft bei Syndromen, verminderte Bei einfacher Syndaktylie lässt sich durch Zickzack-Inzisionen (in-
oder vermehrte Fingerzahl), terdigitale Z-Plastiken) mit spitzen Winkeln zur Hautlappenbildung
4 Symbrachydaktylie (phalangeale Fusion und Kurzfingrigkeit, die Notwendigkeit von Hauttransplantaten (meist Vollhaut aus der
meist ulnar und nicht vererbt, oft auch unilateral am Fuß), Leiste) vermindern (. Abb. 83.1).
4 Poland-Syndom (unilateral hypoplastische Hand mit Symbra- Hauttransplantate sollten v. a. bei der Rekonstruktion der
chydaktylie und Aplasie des M. pectoralis major und Reduk­ Kommissuren vermieden werden. Hier werden palmare und
tionsfehlbildungen des Schultergürtels), dorsale Dreieckslappen gebildet, deren Spitzen bis an das Mittel­
4 Akrozephalodaktyliesyndrome (7 unten). gelenk reichen, um Narben und Inzisionen in der Zwischen-
fin­gerfalte zu vermeiden. Vollhauttransplantate sollten nach ei-
Diagnostisch ist die radiologische Darstellung (a.-p.-Aufnahme) der ner exakt abgemessenen Schablone entnommen und eingesetzt
Hand zur Beurteilung der knöchernen Beteiligung unbedingt not- werden.
wendig. Eine falsch-positive und falsch-negative Interpretation ist Bei der Trennung des interdigitalen Fettgewebes sollten die Ge-
z. B. durch inkomplette Ossifikationen oder das Vorhandensein fäß-Nerven-Bündel zuerst proximal und palmar dargestellt werden.
804 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände

Es muss insbesondere auf distale Aufteilungen von Arterie und Nerv


geachtet werden. Bei der Präparation von Sehnen ist das Paratenon
zu schonen. Sind mehrere syndaktylisch verwachsene Finger zu
trennen, erfolgt dies im eigenen Vorgehen mehrschrittig, um Durch-
blutungsstörungen bei evtl. vorhandenen insuffizienten vaskulären
Versorgungen vorzubeugen.
Bei komplexen Syndaktylien müssen zusätzlich die knöchernen
Elemente korrigiert werden, wobei bei Exzisionen die Gelenke erhal-
ten werden sollten.

83.4.2 Kamptodaktylie (Klasse II) . Abb. 83.2 Klassifikation der radialen Polydaktylie nach Wassel

Sie beschreibt eine meist beidseitige Beugefehlstellung des Mittelge-


lenks, meist am Kleinfinger. Die Ursache ist ungeklärt, wobei meh- Zur Diagnostik sind Röntgenaufnahmen in mindestens 2 Ebenen
rere Erklärungsmodelle existieren, z. B. eine abnormale Insertion notwendig, insbesondere, um die Wachstumsfugen und knöchernen
und Morphologie der Mm. lumbricalis oder der oberflächlichen Anomalien genau beurteilen zu können.
Beugesehne.
Die Inzidenz beträgt ca. 1% der Bevölkerung, bei jungen Frauen Therapeutisches Vorgehen
bis zu 20%. Klinisch wird die Beugefehlstellung des Mittelgelenks Die Operation sollte etwa im 3.–4. Lebensjahr des Kindes stattfin-
erst langsam beim Kleinkind oder Jugendlichen sichtbar. Sie kann den. Die Wachstumsfuge sollte unbedingt erhalten bleiben. Bei einer
entweder passiv ausgleichbar oder nicht redressierbar sein. Ist die achskorrigierenden Keilosteotomie (»closing wedge«) sollte die
Flexion bei Stabilisierung des Grundgelenks redressierbar, muss an Knochenreife abgewartet und knöcherne Korrekturen mit Kirsch-
eine Instabilität des Grundgelenks gedacht werden. Bei zusätzlicher ner-Drähten in Position gehalten werden.
Brachydaktylie und sehr steifen Mittelgelenken ohne Beugefurchen
kann ein Symphalangismus vorliegen.
Bei der lateralen Röntgenaufnahme des Mittelgelenks ist die 83.4.4 Polydaktylie (Klasse III)
83 Grundphalanx häufig abgeflacht.
Überzählige Fingeranlagen sind häufig, v. a. bei dunkelhäutigen
Therapeutisches Vorgehen Rassen. Hier erreicht die Inzidenz 1:300 (ulnare Polydaktylie), bei
Die Behandlung ist schwierig, eine komplette Korrektur ist fast nie Kaukasiern etwa 1:3000.
zu erreichen. Die Doppelanlage betrifft entweder nur die Weichteile (Typ I;
Bei Kontrakturen von <30° ist eine konservative Behandlung . Tab. 83.2), inkomplett das Fingerskelett (Typ II) oder den ganzen
mittels dynamischer und statischer Schienung und Dehnübungen zu Finger mit Mittelhandknochen (Typ III). Polydaktylien an Händen
empfehlen. und Füßen gleichzeitig kann auf schwerwiegende Fehlbildungssyn-
drome hinweisen.
> Operationen, z. B. Sehnenverlagerungen, sollten erst nach
Erfolglosigkeit einer konsequenten konservativen Thera­ Radiale Polydaktylie (präaxialer Typ)
pie durchgeführt werden und sind nur bei Kontrakturen
Diese häufigste Duplikation betrifft den Daumenstrahl, der meist
von >30° gerechtfertigt.
unilateral doppelt angelegt ist (Doppeldaumen). Die gebräuchlichs-
te Klassifikation nach Wassel (1969) richtet sich nach der Höhe der
knöchernen Teilung (. Tab. 83.2 und . Abb. 83.2).
83.4.3 Klinodaktylie (Klasse II) Bei der radiologischen Diagnostik ist darauf zu achten, dass
durch inkomplette Ossifikation ein irreführendes Bild entstehen
Bei der Klinodaktylie ist ein Finger so nach radial oder ulnar kann.
deviiert, dass die Fingerspitze zur Handmitte zeigt. Meist ist der
Kleinfinger im Bereich des Mittelgliedes betroffen. Schmerzen lie-
gen selten vor. . Tab. 83.2 Klassifikation der radialen Polydaktylie nach Wassel
Pathoanatomische Grundlage ist ein deformiertes Mittelglied (1969)
mit nicht parallel verlaufenden Gelenkflächen.
Ein autosomal-dominanter Erbgang ist möglich, ebenso der Zu- Typ Fehlbildung Häufigkeit
sammenhang mit einem Syndrom (z. B. Apert-Syndrom mit tripha-
langealem Daumen und Symbrachydaktylie). I Gabelung des Endglieds 2%
2 Sonderformen sind bemerkenswert: II Doppelung des Endglieds 15%
4 Bewegungseinschränkungen bestehen v. a. bei einer sog. Delta­
phalanx, bei der ein normales Längenwachstum durch die ab- III Gabelung des Grundglieds 6%
norme Delta- oder Dreiecksform eines Fingerglieds behindert IV Doppelung des Grundglieds 43%
wird.
V Gabelung des Metakarpale 10%
4 Bei einer Kirner-Deformität ist das Endglied nach radial und
palmar gebogen. Meist sind Frauen beidseitig betroffen. Radio- VI Doppelung des Metakarpale 4%
logisch fallen ein verzögerter Epiphysenschluss und eine Sklero- VII Triphalangealer Daumen 20%
se der Endglieddiaphyse auf.
83.4 · Einzelne Handfehlbildungen
805 83
Therapeutisches Vorgehen tremität betreffen können. Begleitfehlbildungen wie Spaltbildungen
> Als generelle Richtlinie gilt, dass nicht mehr wie früher die im Gesicht sind selten.
schwächere Komponente einfach amputiert werden sollte. Als Ursache werden intrinsische Faktoren (genetisch bedingtes
Dies ist nur bei reinen Hautanhängseln vertretbar. Sonst oder sporadisches Auftreten durch embryonalen Defekt) oder ex-
sollte immer versucht werden, aus den Komponenten von trinsische Faktoren (intrauterine Einschnürung durch Amnion-
beiden inkompletten Anlagen (»best of parts«) einen kom­ band) angenommen.
pletten Daumen zu rekonstruieren (. Abb. 83.4), bzw. den Die Klassifikation des Schnürringkomplexes erfolgt anhand von
distal besseren Strahl auf die proximal bessere Basis zu 3 Graden (. Tab. 83.3).
transportieren. Distal der Schnurfurche findet sich oft eine lymphödematöse
Verdickung der Weichteile, die z. B. bei eingeschnürtem Unterarm
Bei weitgehend symmetrischer Duplikation im Endglied (Wassel- zur starken Schwellung der gesamten Hand führen kann.
Typ I und II) kann die sog. Bilhaut-Cloquet-Operation angewendet Die Veränderungen des Schnürringkomplexes sind vorwiegend
werden, bei der die mediale Hälfte der beiden Nagelanlagen reseziert an den Fingerstrahlen 2–5 lokalisiert und betreffen meist nur einen
und die lateralen Anteile vereinigt werden. Hierbei sollte die kom- oder zwei Finger.
plette Nagelanlage nur von einer Seite verwendet werden, um eine Bei der Diagnostik wird neben der klinischen Prüfung der Ge-
unschöne Spaltnagelbildung zu vermeiden. brauchsfähigkeit radiologisch eine knöcherne Beteiligung darge-
Bei gedoppeltem Grund- und Endglied (Typ IV), der häufigsten stellt.
Form, sollte das ulnare Kollateralband des Daumens erhalten, die
radiale Kondyle des Os metacarpale 1 verkleinert und die exzentri­ Therapeutisches Vorgehen
schen Streck- und Beugesehnen repositioniert werden. Es besteht fast immer die Indikation zur Operation, da sich Funktion
Bei Wassel Typ V und VI muss insbesondere das Grundgelenk und Erscheinungsbild verbessern lassen. Bei Akrosyndaktylien
rekonstruiert werden, dies unter Auswahl des besseren Strahles. mehrerer Finger sollte bereits im frühen Kindesalter operiert
werden, am besten im 1. Lebensjahr. Nachoperationen sollten im
Ulnare (postaxiale) Polydaktylie 2.–4. Lebensjahr stattfinden (. Abb. 83.3a–d).
Hier werden komplette Doppelbildungen des Kleinfingers (Typ A) Die Korrektur von Schnürfurchen und Schnürringen erfolgt
von rudimentären Formen (Weichteilanhängseln) unterschieden, meist durch multiple Z-Plastiken nach Exzision der zirkulären Ein-
die meist ohne Probleme amputiert werden können. schnürung in der Tiefe. Hier muss insbesondere auf die Gefäß-Ner-
Beim Typ A kann der Kleinfinger im Grundgelenk, vom Meta- ven-Bündel geachtet werden, die häufig unmittelbar subkutan ver-
karpale oder als eigenständiger akzessorischer Strahl von der Hand- laufen. Nach vorsichtiger Exzision erfolgt die Mobilisierung des
wurzel ausgehen. Weichteilgewebes proximal und distal der Einschnürung. Lokale
Fettläppchen können zur Konturverbesserung mobilisiert werden.
Zentrale Polydaktylie Die Z-Plastiken werden meist im Winkel von etwa 60° angelegt
Seltener sind der Zeige-, Mittel- oder Ringfinger betroffen. Fast immer und die Hautlappen zusammen mit der Fettgewebsschicht vernäht.
liegt eine Syndaktylie, Symphalangie oder andere Knochenfehlbildung Postoperativ erfolgt eine Ruhigstellung mittels Gipsschiene oder in
vor. Die Ausprägung reicht von Hautbürzeln bis zur kompletten einem Kompressionsverband bis zum Abschluss der Wundheilung.
Strahldoppelung, manchmal sogar mit Gabelung des Os metacarpale.

Spiegelhand
Äußerst rar ist eine doppelte Anlage der Ulna und der ulnarseitigen . Tab. 83.4 Klinische Schwerengrade der Hypo- und Aplasie des
Strahlen (ulnare Dimelie). Der Radius und die radialseitigen Finger Daumens nach Blauth (1967)
fehlen, sodass sich 6–8 gleichartige Finger ergeben und eine schein-
Grad Kennzeichen
bare Spiegelbildlichkeit von Unterarm und Hand vorliegt.
I Leichte Hypoplasie
Alle Glieder angelegt
83.4.5 Schnürringsyndrom (Klasse VI) Keine Funktionsstörung

II Reguläres Skelett
Als Schnürringsyndrom oder Streeter-Syndrom werden Fehlbil-
Adduktionskontraktur
dungen der Finger und des Daumens mit amputationsähnlichen
MP 1 instabil
Defekten durch strangulierende zirkuläre Einziehungen beschrie- Hypoplastische Thenarmuskulatur
ben, die einzelne Finger, Unter- oder Oberarm oder die untere Ex-
III Deutliche knöcherne Hypoplasie, unterschieden wird
4 CMC-1-Gelenk vorhanden
4 Proximales Metakarpale 1 fehlend, intrinsische Sehnen
. Tab. 83.3 Klassifikation des Schnürringkomplexes
aplastisch, extrinsische Sehnen hypoplastisch, Insta­
bilität aller Gelenke
Grad Kennzeichen
IV »Flottierender Daumen«
I Einfache Schnürringe und Furchen Meist kurzes, instabiles und funktionsloses Daumenan­
hängsel am MP-2-Gelenk fixiert
II Schnürringe mit peripheren Fehlbildungen, mit oder
ohne Lymphödem V Komplette Aplasie des Daumenstrahls, der 1. MHK und die
Thenarmuskulatur können jedoch vorhanden sein
III Schnürringe mit Akrosyndaktylien, kombiniert mit
Ampu­tationen Bei Grad II und III sind Syndaktylien mit dem Zeigefinger möglich.
806 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände

a b

83
c

. Abb. 83.3a–d Akrosyndaktylie an der Hand und Schnürringdeformität


an der unteren Extre­mität. a, b Durchtrennung der Adhäsionen der dis­
talen Langfinger unter Erhalt der Hautanhängsel, die zur Kuppenformung
verwendet wurden. Es besteht die Option der späteren Kommussuro­
plastik zur Fingerverlängerung. c, d Auflösung der Schnürfurche am Unter-
schenkel durch fortlaufende Z-Plastik d

Funktionslose Fingerstümpfe können entfernt werden, evtl. mit menstrahls (Aplasie) reichen. Isolierte Fehlbildungen sind Teil
Fingerstrahlresektion. Bei Daumenaplasie ist eine Transposition von verschiedenen Syndromen, häufig kombiniert mit radialer
des benachbarten Zeigefingers oder eine Zehentransplantation Klumphand, seltener mit Herzfehlbildungen (z. B. Holt-Oran-Syn-
möglich. drom).
Sekundär ist eine Verlängerung einzelner Finger mittels Kallus- Die klinischen Schwerengrade werden nach Blauth klassifiziert
distraktion möglich. (. Tab. 83.4; auch . Tab. 65.1).
Die größte Gefahr besteht bei der Syndaktylietrennung und
> Bei der klinischen Untersuchung wird v. a. geprüft, ob der
Kommissurenvertiefung durch Durchblutungsstörungen wegen der
hypoplastische Daumen eingesetzt wird.
distal häufig sehr dünnen Gefäße.
Prognostisch ist ein normales Aussehen nur selten zu erreichen,
oft jedoch eine deutliche Besserung der Funktion. Therapeutisches Vorgehen
Operationsindikation besteht bei den Schweregraden II–V (auch
7 Kap. 65.3). Eine Pollizisation sollte möglichst frühzeitig, d. h. im
83.4.6 Hypo- und Aplasie des Daumens (Klasse V) 1. Lebensjahr, durchgeführt werden, da spätere Operationen durch
das notwendige Umlernen bisheriger Greiffunktionen erschwert
Hierunter versteht man eine Deformität des Daumenstrahls, meist sein können (. Abb. 83.4). Kinder mit einer Daumenhypoplasie
Reduktion, kombiniert mit Fehlbildungen der Radialseite von Grad II sollten erst später, d. h. im 4.–6. Lebensjahr, korrigiert wer-
Arm und Unterarm. Die Ausprägung kann von einer leichten den, da die erforderliche Opponensplastik eine aktive Mitarbeit des
Daumenverschmächtigung bis zum kompletten Fehlen des Dau- Kindes bei der Nachbehandlung erfordert.
83.4 · Einzelne Handfehlbildungen
807 83

. Abb. 83.4a–e Pollizisation bei Daumenpolydaktylie am Beispiel einer


Wassel-VII-Fehlbildung. a Schnittführung zur Transposition des Neodau-
mens und Amputation des radialen Doppeldaumens. b Identifikation der
Sehnen und neurovaskulären Strukturen, hier der intakten und funktio­
nellen EPL-Sehne, die vom radialen Anteil stammt. c Zustand nach Trans­
position des größeren ulnaren Strahls in die funktionell günstigere radiale
c
Position. Ästhetisches (d) und funktionelles Ergebnis (e) nach 3 Jahren

Operationstechnik
4 Grad I: 4 Grad III:
Keine Behandlung notwendig. Entfernung des funktionslosen Daumens und Pollizisation
4 Grad II: des Zeigefingers. Alternativ kann eine Knochen- oder Gelenk­
Verbreiterung der 1. Zwischenfingerfalte durch Z-Plastik, Sei- transplantation durchgeführt werden, kombiniert mit Seh­
tenbandrekonstruktion, v. a. ulnar, Opponensplastik mit Flexor nentransposition und Hautplastiken. In der Regel sind mehrere
digitorum superficialis 4 oder M. abductor digiti Operationen notwendig.
minimi (Technik nach Huber). Dadurch entsteht auch eine ge- 4 Grad IV und V:
wisse Thenareminenz. Das distale Ende des M. flexor digitorum Pollizisation des Zeigefingers, alternativ mikrochirurgische
superficialis kann als Bandplastik benutzt werden. Zehentransplantation (7 Kap. 65.3).
808 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände

83.4.7 Radiale Klumphand 83.4.8 Makrodaktylie (Klasse IV)


Unter einer radialen Klumphand versteht man eine radiale Abwink- Hierunter versteht man eine seltene Fehlbildung mit Hypertrophie
lung der Hand durch Hypo- oder Aplasie des Radius bei verkürztem von Knochen und Fettgewebe mit sehr hoher Rezidivrate. Sonder-
Unterarm. Je stärker die Radiusfehlbildung, desto ausgeprägter die formen sind das Proteus-Syndrom (Makrodaktylie an Händen oder
Weichteilveränderung. Die Häufigkeit liegt zwischen 1:30.000 und Füßen in Verbindung mit Riesenwuchs, subkutanen Lipomen an
1:100.000. Das Auftreten wurde durch das Medikament Thalidomid Stamm und Hämangiome sowie Pigmentnävi). Differenzialdiagnos-
(Contergan) in Deutschland in den Jahren 1959–1962 stark erhöht. tisch sind ein Riesenwuchs einer Extremität oder Hemihypertrophie
Ein uni- oder bilaterales, isoliertes oder Auftreten als Teil eines Syn- abzugrenzen, ebenso Gewebefehlbildungen, z. B. durch Hämangi-
droms ist möglich. Häufige Begleitfehlbildungen sind ome, arteriovenöse Fehlbildungen, Lymphangiome oder Chondro-
4 dreigliedriger Daumen, matose (Klippel-Trénaunay-Weber-Syndrom oder Mafucchi-Syn-
4 Hypoplasie/Aplasie oder Synostosen oder Fehlbildungen des drom) und eine Neurofibromatose Recklinghausen mit zusätzlicher
Oberarms, der Schulter oder des Gesichts, Hypertrophie der Nerven.
4 VACTERL-Syndrom. Eine echte Makrodaktylie ist meist auf das Versorgungsgebiet
einzelner Nerven beschränkt, v. a. des N. medianus. Sehnen und Ge-
Eine genetische Disposition besteht bei Kombination mit Vorhof- fäße sind meist normal ausgebildet. Am häufigsten sind 2 Finger
septumdefekt (Holt-Oran-Syndrom, Fanconi-Anämie oder TAR- betroffen, v. a. der Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen. Durch das
Syndrom). ungleiche Wachstum kommt es zu einer Seitverkrümmung und Beu-
Im klinischen Bild können der Radius, die radialen Handwur- gebehinderung der Interphalangealgelenke. Das Endgelenk steht
zelknochen sowie der Daumenstrahl ganz oder teilweise fehlen oder häufig in Überstreckung.
verkürzt sein. Zudem besteht häufig eine gekrümmte und verkürzte
Ulna mit behinderter Ellbogenbeugung. Vor allem der M. extensor Therapeutisches Vorgehen
digitorum ist hypoplastisch, oft mit abnormem Ansatz, weiterhin die Trotz hoher Rezidivneigung ist eine operative Behandlung indiziert.
Extensormuskulatur im Bereich des Daumens und des radialen Ist nur ein Finger betroffen, so ist eine Strahlamputation oder Strahl-
Handgelenks, die Flexoren sind weniger beteiligt. transposition zur Handverschmälerung möglich. Bei Makrodaktylie
Der N. radialis endet oft bereits am Ellbogen. Sein sensibles Ver- des Daumens kann eine Amputation und Zeigefingerpollizisation
sorgungsgebiet wird vom nach radial verlagerten N. medianus über- erfolgen. Eine Knochenreduktion ist bei Resektion des Endgelenks
83 nommen. Die A. radialis und der oberflächliche Hohlhandbogen und seitlicher Resektion mit Refixation der Seitenbänder möglich.
sind häufig nur inkomplett angelegt. Gleichzeitig kann eine Nagelverschmälerung durchgeführt werden.
Bei der Feststellung der aktiven Beweglichkeit aller Gelenke Ausgedehnte Weichteilreduktionen müssen das Gefäß-Nerven-
der oberen Extremität wird insbesondere auf die passive Ausgleich- Bündel schonen. Hypertrophe Nerven können in Längsrichtung
barkeit der radialen Abwinkelung geachtet. Radiologisch wird das teilreseziert werden.
Ausmaß der knöchernen Fehlbildung im Seitenvergleich festge- Die Prognose ist jedoch aufgrund der Progredienz und hohen
stellt. Rezidivneigung eher schlecht, ein normales Aussehen ist meist nicht
möglich.
Therapeutisches Vorgehen
Es besteht nahezu immer eine Indikation zur Operation, insbeson-
dere auch bei eingeschränkter Ellbogenbeugung, die sich jedoch 83.4.9 Fehlbildungssyndrome (Klasse VII)
nach Achskorrektur der Hand häufig bessert. Der Operationszeit-
punkt liegt optimalerweise im 1. Lebensjahr. Es wird unterschieden zwischen lokalisierten Strukturdefekten der
Es werden verschiedene Operationstechniken angewandt: Hand und gleichzeitigen Fehlbildungen anderer Skelettabschnitte
4 Beginn der Behandlung in den 1. Lebenstagen: Redressions- und oder Organsysteme (Fehlbildungssyndrom). Die wichtigsten dieser
Dehnungsübungen durch die Mutter. Syndrome werden in . Tab. 83.5 zusammengefasst.
4 Bei stark ausgeprägter radialer Abwinkelung und/oder fixierter
Kontraktur präoperativ Weichteildehnung über Fixateur externe.
4 Radialisation einschließlich Muskeltransposition, gleichzeitig 83.4.10 Sonstige angeborene Kontrakturen
Korrektur der Ulnaverkrümmung durch Osteotomie. und Fehlstellungen
4 Primäre ulnokarpale Arthrodese und Erhalt der Epiphyse bei
Fehlen oder starker Hyperplasie der Muskeln. Pollex flexus congenitus
4 Pollizisation des Zeigefingers nach 4–6 Monaten. Die Ursache – meist eine A1-Ringbandstenose – dieser fixierten
4 Unterarmverlängerung durch Kallusdistraktion im Alter von Beugefehlstellung des Daumenendgelenks in 20–40° ist mechanisch.
8–10 Jahren. An den Fingern besteht eine Beugung des PIP-Gelenks. Meist liegt
eine deutlich tastbare Knotenbildung in der Grundgliedbeugefalte
An Komplikationen ist eine Verschlimmerung der Fehlstellung oder vor, die den häufig verunsicherten Eltern zur Beruhigung demons-
Kontraktur durch falsch oder verspätet ausgeführte Redressionsbe- triert werden kann.
handlung möglich. Bleibt eine Pollizisation aus, ist eine Besserung Operativ wird eine Ringbandspaltung durchgeführt. Bei Säug-
von Funktion und Aussehen nicht möglich. Bei steifem Ellbogenge- lingen ist manchmal auch eine spontane Rückbildung möglich.
lenk sollte nicht beidseits operiert werden, da dann keine Hand zum
Mund geführt werden kann. Beugefehlstellung des Daumens
(»clasped thumb«)
Diese Beugefehlstellung des Daumens im Grund- oder Endgelenk ist
bedingt durch eine Schwächung und Aplasie der Streckmuskulatur.
83.4 · Einzelne Handfehlbildungen
809 83

. Tab. 83.5 Fehlbildungssyndrome, die mit Strukturdefekten der Hand vergesellschaftet sind

Syndrom Fehlbildung der Hand Sonstige Anomalien

Akrozephalosyndaktylie: 4 Komplette Syndaktylie 4 Fußveränderungen wie an der Hand


4 Typ I (Apert-Syndrom) 4 Brachymesophalangie 1–5 4 Akrobrachyzephalie
4 Typ II (Crouzon-Syndrom) 4 Synphalangie der DIP-Gelenke 4 Koronarnahtsynostose
4 Typ III (Saethre-Chotzen-Syndrom) 4 Breiter Daumen mit Brachybaso-/-telephalangie 4 Mittelgesichtshypoplasie
4 Typ IV (Pfeiffer-Syndrom) 4 Klinodaktylie 4 Exophthalmus
4 Karpale Synostosen 4 Hypertelorismus

Down-Syndrom (Trisomie 21) 4 Brachymesophalangie 5 mit Klinodaktylie 4 Hypoplastische Klavikula


4 Syndaktylie 4 Stumpfer Azetabulumwinkel
4 Vierfingerfalte 4 Herzfehlbildungen (ASD, VSD)
4 Muskulärer Hypotonus
4 Mentale Retardierung

Edwards-Syndrom (Trisomie 21) 4 Brachymesophalangie 5 mit Klinodaktylie 5 4 Fußdeformitäten


4 Ulnare Klinodaktylien 1–4 4 Hypoplastische Rippen
4 Hypoplastischer Daumen 4 Mikrognatie
4 Radiale Klumphand 4 Vicium cordis
4 Vierfingerfalte 4 Nierenfehlbildungen

Fanconi-Anämie (Thrombozytopenie- 4 Radiale Klumphand (Hypo- oder Aplasie) 4 Pes planus


Radiusaplasie-Syndrom) 4 Präaxiale Gliedmaßendefekte 4 Zehensyndaktylie
4 Daumen hyperplastisch oder triphalangeal 4 Fehlbildung an Rippen und BWS
4 Brachymesophalangie 5 mit Klinodaktylie 4 Hypoplastisches Genitale und Harnwege
4 Syndaktylie 4 Panzytopenie
4 Minderwuchs
4 Mentale Retardierung

Freeman-Sheldon-Syndrom 4 Beugekontraktur des Daumens 4 Flaches, starres Gesicht mit vorgewölbten


(kraniotarsale Dystrophie) 4 Ulnardeviation der Finger Lippen
4 Pes equinovarus

Holt-Oran-Syndrom (kardionemes 4 Radiale Klumphand 4 Fehlbildungen der Schultergürtelmuskulatur


Syndrom) 4 Daumen hypo-, aplastisch oder triphalangeal 4 Vicium cordis (ASD, VSD)
4 Brachymesophalangie 5 mit Klinodaktylie
4 Karpale Synostosen

Klippel-Trénaunay-Syndrom 4 Makrodaktylie 4 Unilateraler Großwuchs


4 Syndaktylie 4 Hämangiome
4 Varizen
4 Nävi

Marfan-Syndrom 4 Arachnodaktylie 4 Hohe Wirbelkörper


4 Tenodaktylie 4 Aortenaneurysma
4 Schlanke Röhrenknochen mit dünner Kompakta 4 Herzklappenfehler
4 Myopie, Linsenektopie, Netzhautablösung

Möbius-Syndrom (kongenitale 4 Aplasie an der Hand oder den Fingern 4 Hirnnervenparesen VI und VII
Gesichtsdiplegie) 4 Polydaktylie 4 Mentale Retardierung
4 Syndaktylie 4 Klumpfuß
4 Brachydaktylie 4 Hüftluxation

Poland-Syndrom 4 Unilaterale Hypoplasie von Unterarm und Hand 4 Ipsilateral Aplasie des M. pectoralis, Fehl­
4 Brachymesophalangie bildungen des knöchernen Hemithorax
4 Synbrachydaktylie

Turner-Syndrom 4 Brachymetakarpie 3–5 4 Brachymetatarsie 5


4 Karpale Winkel verkleinert 4 Cubitus valgus
4 Synostosen der Handwurzel 4 Hufeisenniere
4 Madelung-Deformität 4 Konnatale Dysgenesie
4 Osteoporose 4 Aortenisthmostenose

Abkürzungen: ASD=Vorhofseptumdefekt, VSD=Ventrikelseptumdefekt.


810 Kapitel 83 · Fehlbildungen der Hände

Diese ist in der Regel passiv ausgleichbar. Meist führt eine konserva-
tive Streckschienenbehandlung zur Erholung der aktiven Streckfä-
higkeit. Anderenfalls besteht die Indikation zur Sehnentransposition
(z. B. Indizisplastik, M. flexor digitum superficialis 4).

Arthrogryposis multiplex congenita


Hierbei handelt es sich um eine angeborene Bewegungseinschrän-
kung der Gelenke, vorwiegend an der oberen Extremität. Weiterhin
kann das Hüft- oder Kniegelenk betroffen sein. Zudem sind Aplasien
oder Hyperplasien vieler Muskeln und Schädigungen zentraler und
peripherer motorischer Nervenanteile möglich. Begleitend liegen
fast immer eine Klumpfußbildung, in 50% auch eine Hüftgelenklu-
xation sowie Fusionen der Handwurzelknochen vor.
Konservativ sind eine gezielte krankengymnastische Übungsbe-
handlung und Schienung möglich. Operativ können Artrolysen zur
Funktionsverbesserung beitragen, v. a. am Ellbogen. Muskeltranspo-
sitionen, z. B. des M. latissimus dorsi, zur Wiederherstellung der
aktiven Ellbogenbeugung, sind aufgrund der häufig fehlenden Kraft
der Spendermuskeln problematisch.

Madelung-Deformität
Hierbei handelt es sich um eine Epiphysenwachstumsstörung im
distalen Radius mit sekundärer trichterförmiger Verformung der
proximalen Handwurzelknochen, die durch vorzeitigen Schluss des
ulnopalmaren Anteils der Epiphysenfuge verursacht wird. Sie wird
meist mit 10–12 Jahren bemerkt und tritt vorwiegend beidseitig und
bei Mädchen auf.
83 Therapeutisch kann frühzeitig eine Achskorrektur der distalen
Radiusgelenkfläche durch Osteotomie mit Knochenspaninterposi­
tion, Ellenkopfresektion oder Ulnaverkürzung die Exzision eines
abnormalen Ligamentes zwischen Lunatum und Radius erfolgen.

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Orthop 64: 175–193
84

Fehlbildungen der Füße


P.M.Vogt, L.-U. Lahoda

84.1 Diagnostisches Vorgehen – 812


84.1.1 Röntgen, MRT, Spezialaufnahmen – 812

84.2 Therapieziele – 812

84.3 Klassifikation – 812


84.3.1 Polydaktylien – 812
84.3.2 Oligodaktylien – 813
84.3.3 Spaltfüße   – 813
84.3.4 Fehlbildungen des Großzehenstrahls – 815
84.3.5 Syndaktyliebildung und Apert-Syndrom   – 815
84.3.6 Makrodaktylie – 815

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
812 Kapitel 84 · Fehlbildungen der Füße

Im Rahmen der Behandlung der Handfehlbildungen wird der Plas-


tische Chirurg auch mit angeborenen Fehlbildungen der Füße kon- Grundsätze der operativen Behandlung
frontiert, wobei wir uns im eigenen Vorgehen auf die Korrektur der 4 Hautinzisionen liegen nicht an exponierten oder Belas-
anlagebedingten Fehlbildungen distal der Tarsometatarsalgelenke tungsarealen.
beschränken. Eine enge Zusammenarbeit mit Pädiatern, Orthopä- 4 Gelenkinzisionen sollten nicht von geraden Narben
den und Orthopädietechnikern ist dabei unabdingbare Vorausset- gekreuzt werden.
zung für ein optimales Rehabilitationsergebnis. 4 Belastungsareale erfordern eine suffiziente Hautdeckung
Angeborene Fehlbildungen an den Extremitäten sind sehr mit lokalen Lappen (nicht Hauttransplantaten).
selten und ätiologische sowie pathogenetische Erkenntnisse zu den
angeborenen Fehlbildungen eher lückenhaft. Häufige Anomalien
an den Füßen stellen Polydaktylien und Syndaktylien dar, seltener Fehlstellungen der Metatarsalia erfordern ggf. Korrekturosteotomien.
der lokalisierte Riesenwuchs, Spaltbildungen und das Apert-Syn- Deltaphalangen sind zu entfernen. Bei zentralen Strahlamputati-
drom. onen sollte die neu entstehende Kommissur verschmälert werden.
Die angeborenen Anomalien werden bereits bei der Geburt fest-
gestellt und daher vom Kinderarzt oder den Eltern früh in der
Sprechstunde vorgestellt. 84.3 Klassifikation
Bei der klinischen Beurteilung müssen höhergradige, z. B. fibu-
lare oder tibiale Fehlbildungen am Unterschenkel berücksichtigt 84.3.1 Polydaktylien
werden, ebenso wie Syndrome mit Organbeteiligung.
Eine korrekte Diagnosestellung ermöglicht die Differenzie- Polydaktylien sind als häufigste angeborene Vorfußfehlbildung
rung zwischen operativer oder konservativer Behandlungsindi­ (1,5:1000 Geburten; 2-fach höher bei Afrikanern und Polynesiern)
kation. durch eine Verdopplung eines oder mehrer Zehenstrahlen gekenn-
zeichnet. Dabei findet sich eine große Variationsbreite von einfachen
kutanen rudimentären Doppelanlagen, Mehrfachanlagen einzelner
84.1 Diagnostisches Vorgehen Zehen bis hin zu spiegelbildlichen Doppelungen eines gesamten
Fußes, evtl. in Kombination mit anderen Fehlbildungen, z. B. des
Die Diagnostik der Fehlbildungen der Füße umfasst eine gründliche Unterschenkels (15%) und bei verschiedenen komplexen Fehlbil-
Befunderhebung unter Einschluss der bildgebenden Verfahren. Da- dungssyndromen (Ellis-van-Creveld, Bardet-Biedl-Moon, Pallister-
bei ist das Augenmerk auch auf die Möglichkeit komplexerer Fehl- Hall, Trisomie 8, 9, 12, Carpenter-Syndrom).
84 bildungen der gesamten unteren Extremität zu richten. Eine Vorstel- Man unterscheidet zwischen präaxialen, zentralen oder postaxi-
lung bei einem Humangenetiker und eine enge interdisziplinäre alen Mehrfachbildungen (tibial, zentral, fibular). Als Unterschei-
Zusammenarbeit mit Pädiatern und Kinderchirurgen sind bei Vor- dungskriterium der diversen Variationen wird die Höhe der Aufga-
liegen komplexerer Syndrome mit Fehlbildungen von Organsyste- belung der Doppelbildung zugrunde gelegt. So wird zwischen einem
men indiziert. phalangealen, metatarsalen und tarsalen Typ bei Doppel- und Mehr-
fachbildungen unterschieden (Blauth u. Olason 1988; . Abb. 84.1).

84.1.1 Röntgen, MRT, Spezialaufnahmen

Die standardisierten Röntgenaufnahmen des Fußes umfassen die


2 Ebenen der dorsoplantaren und der exakt seitlichen Richtung. Sel-
tener werden, insbesondere im Säuglings- und Kleinkindesalter,
zusätzliche Schrägaufnahmen des Vorfußes zur Darstellung der Ge-
lenkpartner, die Tarsaltunnelaufnahme und Spezialaufnahmen, wie
die Aufnahme des Kalkaneus in einer 3. Ebene, Einstellungen mit
Zentrierung auf Lisfranc- oder Chopard-Gelenke, ergänzende Auf-
nahmen des oberen und unteren Sprunggelenks in standardisierter
Technik erforderlich.

84.2 Therapieziele
Funktionelle Gesichtspunkte mit dem Ziel einer optimalen Gangen-
twicklung und Versorgung mit Konfektionsschuhen stehen im Vor-
dergrund, jedoch sollten ästhetische Aspekte ebenso berücksichtigt
werden.
> Während die konservativen Verfahren bereits direkt
postpartal seitens der technischen Orthopädie erfolgen,
finden operative Verfahren eher zu einem späteren Zeit­
punkt, meistens im Vorschulalter Anwendung.
Nach Blauth (1989) gelten die in der . Übersicht dargestellten . Abb. 84.1 Klassifikation der Syndaktylien nach Blauth. (Mod. nach Wirth
Grundsätze der operativen Behandlung. 2002)
84.3 · Klassifikation
813 84
In 80–90% sind randständige Strahlen betroffen und mit entspre-
chender Fußverbreiterung verbunden.
Zusätzlich zu den radiologisch fassbaren knöchernen Verände-
rungen sind Weichteilanomalien mit Gabelbildungen an Nerven,
Gefäßen, Sehnen oder Doppelung von Muskeln zu verzeichnen.
Klinisch findet sich eine größenabhängige Variationsform, die von
der mildesten Ausprägung in Form einer einfachen Verbreiterung
eines Knochens über doppelte Endglieder, Mittel- oder Grundglieder
bis hin zu doppelten Metatarsalia oder auch Fußwurzelknochen
reichen.

Stand der operativen und konservativen Therapie


Operative Maßnahmen sind indiziert, wenn aufgrund der Fehlstel-
lungen oder Verbreiterungen keine Konfektionsschuhe mehr getra-
a
gen werden können. Im eigenen Vorgehen wird erst im Vorschulalter
operiert, da hier entsprechende Größenverhältnisse und Abschät-
zung von Wachstumstendenzen und Ganganalysen die Planung und
operative Therapie erleichtern.
Behandlungsziele sind Verschmälerung des Vorfußes und Kor-
rektur der Fehlstellung auch unter ästhetischen Gesichtspunkten mit
der Sicherstellung einer Versorgung durch Konfektionsschuhe.
Überzählige zentrale Zehenstrahlen werden mit Schnittfüh-
rungen, wie sie an der Hand üblich sind (7 Kap. 83), abgetragen.
Die Entscheidung, welcher Strahl bei Doppelanlagen geopfert
werden muss, hängt von den individuellen Gegebenheiten ab: In der
Regel wird der hypoplastische Zeh entfernt (. Abb. 84.2). Bei rand-
ständigen Doppelanlagen kann auch der kräftigere entfernt werden,
wenn der unterentwickeltere die vollständigere Anatomie (axiale
Ausrichtung, Anzahl der Glieder und Sehnen) und damit die besse-
ren Voraussetzungen für eine fußorthopädische Versorgung aufweist. b
Damit ist der Aufwand der Operation geringer, eine Rehabilitation
. Abb. 84.2a, b Polydaktylie. Entfernung der postaxialen kleinen Zehe zur
früher möglich und auch die Rate an sekundären Korrekturopera­ Erzielung einer Fußverschmälerung
tionen geringer.
Überzählige zentrale Zehenstrahlen werden unter Einbeziehung
der beteiligten Metatarsalknochen entfernt und zur Erzielung einer
möglichst anatomisch korrekten engen Kommissur intermatarsale Behandlungsindikation. Hier reichen angepasste Schuhversorgun­
Zügelungen (nichtresorbierbare Nähte, Sehnenzügel) sowie Weich- gen völlig aus.
teilreduktionen durchgeführt (. Abb. 84.2). Lediglich ausgeprägtere Fehlstellungen erfordern Korrekturope-
rationen des knöchernen Fußskeletts (. Abb. 84.4). Auch hier sind
zusätzliche Maßnahmen einer optimierten Fußbettung und Schuh-
84.3.2 Oligodaktylien versorgung zu integrieren.

Das numerische Fehlen von Zehen stellt eine Minusvariante dar, bei
der insbesondere der äußere Fußrand im Sinne einer postaxialen 84.3.3 Spaltfüße
Aplasie [zusammen mit weiteren Fehlbildungen des Unterschenkels,
Femur-Fibula-Ulna-(FFU)-Fehlbildung], oder seltener der mediale Es handelt sich um hereditäre doppelseitige Fehlbildungen auto­
Rand in Form einer präaxialen Aplasie (mögliche Fehlanlage der somal-dominanter Genese (1,3:100.000).
Tibia) betroffen ist. Zentrale Strahlaplasien kommen bei den Spalt-
> Spaltfüße sind häufig mit Spalthänden kombiniert.
fußbildungen vor.
Am Vorfuß fehlen meistens die 4. und 5. Zehe inkl. der Metatar- Sie kommen in unterschiedlichen Ausprägungen vor und sind ge-
salia, selten der 3. oder der isolierte Strahl. kennzeichnet durch das keilförmige Fehlen von Fußanteilen. Ent-
Als Variante kommen neben Y- oder gabelförmigen Mittelfuß- wicklungsgeschichtliche Ursache ist ein Fehlen des primitiven
knochen auch zentrale Verschmelzungen benachbarter Metatarsalia Weichteilblastems der Fußanlage.
bei distal davon vollständig ausgebildeten Zehen vor. Syndaktylien Beim typischen Spaltfuß fehlen die mittleren Stahlen in unter-
finden sich zwischen der 2. und 3. Zehe (seltener zwischen der schiedlichem Ausmaß. Bei Fehlen aller 3 zentralen Strahlen sind
3. und 4. Zehe) oder auch zwischen 3 Zehen. Röntgenologisch sind anlagebedingt nur Großzehen- und Kleinzehenstrahlen vorhanden.
Synostosen der Fußwurzel (Talus, Kalkaneus, Os naviculare) auszu- Diese Deformität ist auch als Hummerscherendeformität (»lobster
schließen. claw«) bekannt. Blauth u. Borisch (1990) unterscheiden 6 Typen
(. Tab. 84.1).
Stand der operativen und konservativen Therapie Die knöchernen Strukturen können viele Abweichungen aufwei-
Es besteht bei lediglich reduzierter Zehenanzahl und verschmäler- sen. Insbesondere sind Achsenknicke möglich, die sich in Druckstel-
tem Fuß ohne wesentliche Gangbeeinträchtigung keine operative len der Randstrahlen durch das Schuhwerk manifestieren und das
814 Kapitel 84 · Fehlbildungen der Füße

a b

c d

84 . Abb. 84.3 Polysyndaktylie der Großzehe (a). Korrektur durch Resektion und Weichteilplastik der präaxialen doppelten Zehenanlage (b–d)

a b

c d

. Abb. 84.4 Oligosyndaktylie (a). Entfernung der präaxialen akzessorischen Irritation der Nachbarzehe (b, c). Bei insgesamt normalem Gangbild sind
Großzehenanlage mit störendem Nagelwachstum zur Beseitigung einer aus funktionellen Gründen keine weiteren Korrekturen sinnvoll (d)
84.3 · Klassifikation
815 84
Stand der operativen und konservativen Therapie
. Tab. 84.1 Klassifikation der Spaltfußbildung nach Blauth u. Borisch Da konservative Maßnahmen in der Regel scheitern, sind operative
(1990) Verfahren allein erfolgversprechend.
Bei Entfernung zentraler Zehenstrahlen, die für eine Varusfehl-
Typ Kennzeichen stellung mitursächlich sind, ist immer nach fibrösen Strängen an der
Medialseite des 1. Metatarsale zu fahnden, diese sind zu durchtren-
I 5 normale Mittelfußknochen
nen. Meistens sind weitere Kapsel- und tendoplastische Maßnahmen,
II 5 z. T. hypoplastische Mittelfußknochen aber auch Osteotomien und Sehnentransfers indiziert (. Abb. 84.5).
III 4 unterscheidbare Mittelfußknochen > Bei weiterem Wachstum kann es trotz gutem Primärergeb­
IV 3 unterscheidbare Mittelfußknochen nis im späteren Lebensalter wachstumsbedingt zu erneu­
ten Fehlstellungen kommen, die zusätzliche Sekundärein­
V 2 unterscheidbare Mittelfußknochen (Hummerscheren­
griffe erfordern. Über diesen Umstand sind die Eltern und
deformität)
die kleinen Patienten vorsorglich aufzuklären.
VI Schwerste Form mit nur noch einem Strahl (meist fibularer
»monodaktyler Spaltfuß«)

84.3.5 Syndaktyliebildung und Apert-Syndrom

Die Syndaktyliebildung, die isolierte kutane Verschmelzung der 2./3.


Tragen normaler Konfektionsschuhe erschweren bis unmöglich ma- oder 3./4. Zehe, stellt zumeist eine ästhetische »Belastung« dar und
chen. Komplizierend sind Abduktionsfehlstellungen des fibularen kein funktionelles Problem, wenn sie nicht mit anderen Fehlbil-
Strahls und Valgusdeformitäten im Rückfuß mit Synostosen der dungen kombiniert ist. Heranwachsende Kinder werden sich häufig
Fußwurzelknochen. erst durch die Kommunikation und den Kontakt mit anderen Gleich-
altrigen dieser Fehlbildung bewusst, da das familiäre Umfeld selten
Stand der operativen und konservativen Therapie ein Problem darstellt.
Im Gegensatz zu den häufig grotesken Veränderungen sind die funk- Beim Apert-Syndrom liegen als Teil des Akrozephalosyndakty-
tionellen Einschränkungen oft erstaunlich gering. Analog zu den liesyndroms neben typischen Schädeldeformierungen schwere De-
übrigen Anomalien bestehen Indikationen zur Operation lediglich formierungen der Hände (Löffelhände und -füße) vor.
bei schmerzhaften, das Gangbild einschränkenden Fehlbelastungen,
Schwielenbildung oder Ulzerationen sowie Problemen mit der Stand der operativen und konservativen Therapie
Schuhversorgung. Eine Korrektur aus rein ästhetischen Gründen Bei häutigen Syndaktylien besteht in der Regel keine Operationsin-
sollte angesichts der vorrangig funktionellen Belange sehr sorgfältig dikation aus funktionellen Gründen, eher aus ästhetischer Indikati-
abgewogen werden und wird daher selten indiziert sein. on (. Abb. 84.6).
Die chirurgische Therapie strebt eine Fußverschmälerung an Die Therapie entspricht dem Vorgehen an der Hand (7 Kap. 83)
sowie Beseitigung der Zehendeformitäten. Neben knöchernen Ach- und berücksichtigt die zu erhaltende Stabilität der Gelenke und der
senkorrekturen können weichteilplastische Maßnahmen an Haut Bänder. Durch Zickzack-förmige Inzisionen und das Einschlagen
(künstliche Syndaktyliebildung) und Kapsel sowie tendoplastische der Hautläppchen kann der interdigital durch die Trennung entste-
Maßnahmen indiziert sein. hende Defekt gedeckt werden, evtl. resultierende Hautdefekte lassen
Sehr komplexe orthopädische Spezialeingriffe umfassen auch sich durch Vollhauttransplantate schließen.
Knochentranspositionen oder Keilosteomien, z. B. bei gabelför- Bei Fehlstellungen im Rahmen höherer Fehlbildungsanomalien
migen Deformitäten der Mittelfußknochen. Hier muss darauf ge­ (Apert-Syndrom) entscheidet der Grad der funktionellen Behinde-
achtet werden, dass es zu keiner funktionellen Verschlechterung rung über die Operationsindikation. Ziele sind
kommt. 4 ein plantigrader Abrollvorgang über die Fußsohle,
4 Beseitigung von Druckstellen und
> Besonderes Augenmerk muss auf die Wachstumskom­
4 Versorgung in Konfektionsschuhen.
ponente gelegt und die rekonstruktiven Schritte darauf
abgestimmt werden.
Hier sind ggf. auch Korrekturosteotomien erforderlich.

84.3.4 Fehlbildungen des Großzehenstrahls 84.3.6 Makrodaktylie


Abweichungen der Großzehe im Grundgelenk nach medial oder la- Bei der Makrodaktylie handelt es sich um ein isoliertes oder in
teral können anlagebedingt entweder als Hallux varus oder Hallux Verbindung mit anderen Fehlbildungen (z. B. Hämangiome des
valgus vorliegen. Bei Abweichung im Interphalangealgelenk spricht Klip­pel-Trénaunay-Syndroms) auftretendes Phänomen. Die unpro-
man vom Hallus (valgus, varus) interphalangealis. portionierte Vergrößerung von Weichteilen oder auch Knochen
Je nach weiteren kongenitalen Anomalien des Fußskeletts be- stellt neben der Überlänge das zumeist größere zu korrigierende
steht eine Assoziation zum Spaltfuß (Hallux valgus), zum Apert- Problem dar.
Syndrom (Hallux varus) oder zu den polydaktylen (varus, valgus) Es liegen Vermehrungen von Fett- und Bindegewebe neben
oder oligodaktylen fibularen Pathologien. verdickten und knäuelartig aufgetriebenen Nervensträngen sowie
Eine isolierte Fehlstellung liegt nicht vor, und bei Fehlen weiterer Neurofibrome vor. Diese Weichteilveränderungen lassen sich im
Fehlbildungen findet sich zumindest eine Fehlanlage, z. B. am Os MRT gut differenzieren und müssen gegenüber anderen Gewebsver-
metatarsale in Form einer Deltaphalanx. mehrungen einer gesamten Extremität wie bei Klippel-Trénaunay-
816 Kapitel 84 · Fehlbildungen der Füße

a b

84

c d

e f

. Abb. 84.5 Hallux varus congenitus (a). Operative Korrektur durch me­ medialen fibrösen Bandes sowie mediale kutane Z-Plastik (b–e). Postoper­
diales Kapsel-Release, Lateralisierung der Extensorsehne und Lösen eines tives Ergebnis (f)
84.3 · Klassifikation
817 84
Literatur
Blauth W (1989) Die Behandlung angeborener Fußfehlbildungen. Z Orthop
127: 3–14
Blauth W, Borisch N (1990) Cleft feet. Proposals for a new classification based
on roentographic morphology. Clin Orthop 258: 41–48
Blauth W, Olason T (1988) Classification of polydactylyof the ahnd and feet.
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Chapchal G (1986) Kongenitale Dysplasien und Defekte defr unteren Extremi-
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Wirth CJ (Hrsg) (2002) Orthopädie und Orthopädische Chirurgie: Fuß. Thieme,
Stuttgart, S 217–230

. Abb. 84.6 Typische Syndaktylie zwischen 2. und 3. Zehe: unter funktio-


nellen Aspekten keine Operationsindikation

Snydrom oder arteriovenösen Gefäßmissbildungen (Sturge-Weber-


Syndrom) abgegrenzt werden.

Stand der operativen und konservativen Therapie


Ein chirurgisches Vorgehen ist dann indiziert, wenn fußorthopä-
dische statische Probleme oder Schwierigkeiten bei der Schuhversor-
gung auftreten. Die Therapieentscheidung ist individuell zu fällen.
Im Rahmen der operativen Korrektur muss auf die Gefäß-Ner-
ven-Bündel geachtet werden, da mögliche Nervenauftreibungen
vorliegen können und damit die Präparation kompliziert sein kann.
Insbesondere müssen die dominanten Gefäße geschont werden.
Die größte Schwierigkeit in der Versorgung dieser Patienten ist
die geplante Verkürzung und die Reduktion der Haut/Weichteile
unter Erhalt der Funktion. Häufig verbleibt nur die Amputation, um
eine annähernd normale Größe des Fußes zu erzielen.
Eine Alternative stellt die zeitgerechte Verödung der Wachs­
tumsfugen dar. Die technische Durchführung der Verödung der
Wachstumsfuge ist einfach mittels Ausfräsen der Epiphysenfuge
durch einen bilateralen Schnitt und Auscurettieren mit einem
scharfen Löffel gegeben. Meistens muss die Epiphysiodese aber mit
stadiengerechten Reduktionen des überschüssigen Weichteilmantels
kombiniert werden.
XIII

Dokumentation
und Klassifikation
P. Vogt

Kapitel 85 Heilverfahren   – 821


A.D. Niederbichler

Kapitel 86 Untersuchungs- und Dokumentationsbögen   – 825


G. Valiyeva, A. Gohritz

Kapitel 87 Klassifikationen   – 833


U. Mirastschijski, A.G. Gohritz, P.M. Vogt
Die zunehmenden Anforderungen an Qualitätssicherung und die Patientensicherheit bedingen heute in der Plasti­
schen Chirurgie eine in jeder Hinsicht umfassende Dokumentation. In dieser Sektion werden die im eigenen Klinik­
ablauf bewährten Begutachtungs- und Dokumentationsverfahren nebst einer Liste von gängigen Klassifikationen
dargestellt.
85

Heilverfahren
A.D. Niederbichler

85.1 Die ärztliche Begutachtung – 822


85.1.1 Sozialmedizinische Begriffe – 822
85.1.2 Aufbau eines ärztlichen Gutachtens – 823

85.2 Berufskrankheiten – 823

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
822 Kapitel 85 · Heilverfahren

85.1 Die ärztliche Begutachtung 85.1.1 Sozialmedizinische Begriffe

Das deutsche Unfallversicherungswesen besteht aus 3 Elementen: Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und Grad der Behinde-
4 der gesetzlichen Unfallversicherung, rung (GdB). Diese Begriffe werden in der gesetzlichen Unfallversi­
4 dem sozialen Versorgungswesen und cherung sowie in der Kriegsopferversorgung verwendet. Die Angabe
4 den Privatversicherungen. von MdE erfolgt in Prozent (% MdE; . Tab. 85.1). MdE und GdB
sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen
Im Grundgesetz wird bereits festgestellt, dass die jeweiligen Leistun­ Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Ge­
gen der einzelnen Unfallversicherungsträger dem Versicherten ge­ sundheitsschadens.
genüber unterschiedlich sind und daher eine Vergleichbarkeit der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit zur Bewer­
Leistungen nicht möglich ist. In diesem Kapitel werden die Grund­ tung von MdE und GdB sind unter http://anhaltspunkte.vsbinfo.de
züge der Begutachtung und Dokumentation sowie spezifische Be­ übersichtlich nach Organen und Organsystemen dargestellt.
grifflichkeiten erklärt. Beurteilungsrichtlinien und Bemessungs­
grundlagen für die ärztliche Begutachtung der gesetzlichen und Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit. Diese Begriffe werden in
privaten Unfallversicherung sowie des sozialen Versicherungswe­ der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie der
sens werden im Überblick dargestellt. knappschaftlichen Rentenversicherung verwendet.

Definition. Ein ärztliches Gutachten stellt eine schriftliche Äuße­


rung zu einer konkreten medizinischen Frage dar, die aufgrund der
herrschenden medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnis
vom Gutachter erstellt wird. . Tab. 85.1 Gliedertaxe zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei
Man unterscheidet Verlust oder (vollständiger) Funktionsunfähigkeit
4 Gutachten nach Aktenlage (ohne direkte Patientenuntersuchung)
von Organ(system) Invaliditätsgrades
4 Gutachten, die nach klinischer und ggf. zusätzlicher apparativer bei Verlust oder
Untersuchung (z. B. Röntgenuntersuchung) erstellt werden. (vollständiger)
4 Eine Sonderform stellt das Gerichtsgutachten dar, bei dem der Funktionsunfähigkeit
ärztliche Gutachter oft – entweder nach eigener Untersuchung
eines Armes im Schultergelenk 70%
des Patienten oder nach Aktenstudium – ein schriftliches Gut­
achten erstellt, aber dennoch zur mündlichen Äußerung zu eines Armes bis oberhalb des Ellbogen­
65%
einem Verhandlungstermin bei Gericht vorgeladen wird. gelenks

85 > Es ist unbedingt hervorzuheben, dass ein ärztliches Gut-


achten immer nur eine Sachverständigenaussage darstellt.
eines Armes bis unterhalb des Ellbogen­
gelenks
60%

Der Gutachter entscheidet nicht über die Anerkennung einer Hand im Handgelenk 55%
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, 7 unten), stellt
eines Daumens 20%
keine Berufsunfähigkeit fest und erkennt auch bei Zusam-
menhangsfragen keinen kausalen Zusammenhang an. eines Zeigefingers 10%

Diese Entscheidungen werden gültig entweder von Verwaltungsbe­ eines anderen Fingers    5%
amten oder vom Richter getroffen, das ärztliche Gutachten stellt im eines Beines über der Mitte des Ober­
Rahmen der Entscheidungsfindung daher eine medizinisch begrün­ 70%
schenkels
dete Aussage dar, die angefordert und in den Entscheidungsprozess
eines Beines bis zur Mitte des Ober­
(meist maßgeblich) einbezogen wird. 60%
schenkels
Die Anforderungen an den Gutachter sind daher
4 fundiertes medizinisches Wissen und eines Beines bis unterhalb des Knies 50%
4 eingehende Kenntnis pathophysiologischer und ätiologischer eines Beines bis zur Mitte des Unter­
Zusammenhänge. 45%
schenkels
4 Arbeitsmedizinische Kenntnisse sind bei der Gutachtenerstel­
eines Fußes im Fußgelenk 40%
lung unabdingbar, da in vielen Fällen die Auswirkungen der Er­
krankung oder des Unfalls auf die erwerbliche Leistungsfähig­ einer großen Zehe    5%
keit beurteilt werden muss.
einer anderen Zehe    2%

Darüber hinaus muss der Gutachter in allen Stadien der Gutach­ eines Auges 50%
tenerstellung eine objektive, sachliche Arzt-Patienten-Beziehung beider Augen 100%
schaffen und erhalten, die sich von der im klinischen Alltag vorherr­
schenden subjektiven, helfenden und heilenden Einstellung dem des Gehörs auf einem Ohr 30%
Patienten gegenüber unterscheidet. des Gehörs auf beiden Ohren 60%

des Geruchs 10%


> Sollte sich der Gutachter überfordert oder inkompetent
fühlen, die geforderten Fragen zu beantworten, so ist es des Geschmacks    5%
seine Pflicht, den Gutachtenauftrag abzulehnen und die § 7 I Abs. 2a AUB 88/§ 7 I Abs. 2a AUB 94/ 2.1.2.2.1 AUB 99.
anfordernde Stelle zeitnah darüber zu informieren.
85.2 · Berufskrankheiten
823 85
Bundesknappschaft. Träger der gesetzlichen Rentenversicherung,
Krankenversicherung und Pflegeversicherung der im Bergbau be­ ten/Antragsteller seine Angaben über Beschwerden und
schäftigten Arbeitnehmer. Seit 01.10.2005 zur neuen Organisations­ Klagen gesondert unterschreiben zu lassen, um Vollständig­
form Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See fusio­ keit zu belegen und dem später evtl. erhobenen Einwand
niert. zu entgehen, der Gutachter habe die Aufstellung der Klagen
des Patienten unvollständig oder nicht korrekt in das Gut­
Arbeitsunfähigkeit. Begriff der Krankenversicherung; das Unver­ achten aufgenommen.
mögen, durch Krankheit oder Krankheitsfolgen den Beruf auszu­ 3. Objektiver Befund:
üben. Arbeitsunfähigkeit wird ärztlich festgestellt. Bei der Untersuchung des Antragstellers erhobener Unter­
suchungsbefund. Meist vollständige körperliche Unter­
Leistungsvermögen. Begriff des Arbeitsförderungsgesetzes zur Be­ suchung, nur bei Zusatzgutachten Beschränkung auf das je­
messung der Arbeitsfähigkeit eines Versicherten. weilige Fachgebiet. Die konkret in der Gutachtenanfrage
gestellten Fragen müssen jedoch gesondert beantwortet
Invaliditätsgrad. Analog zur MdE bzw. zum GdB (7 oben); Begriff werden.
der privaten Unfallversicherungen. Die Bemessung erfolgt nach der 4. Unfall- oder Erkrankungsfolgen:
Gliedertaxe, die Einteilung in Prozent Invaliditätsgrad (. Tab. 85.1). Sie sollen nummeriert und nach Schwere geordnet auf­
Wird die Funktionsfähigkeit nur partiell eingeschränkt, wird der gelistet werden.
entsprechende Teil des Prozentsatzes der Gliedertaxe angenommen 5. Beurteilung:
(§ 7 I Abs. 2b AUB 88/§ 7 I Abs. 2b AUB 94/2.1.2.2.1 AUB 99). Inva­ Abschließend erfolgt nach Beantwortung der gestellten
liditätsgrade müssen zusammengerechnet werden, wenn durch den Fragen die Beurteilung gemäß angefordertem Schema
Unfall mehrere Körperteile oder Sinnesorgane in ihrer Funktions­ (MdE, GdB, Gliedertaxe etc.).
fähigkeit dauernd beeinträchtigt werden, es gilt jedoch, dass ein In­ 6. Das Gutachten muss vom Gutachter eigenhändig unter­
validitätsgrad von mehr als 100% nicht angenommen werden kann schrieben und datiert werden und sollte mit der Uhrzeit der
(§ 7 I Abs. 2d AUB 88/§ 7 I Abs. 2d AUB 94/2.1.2.2.4 AUB 99). gutachterlichen Untersuchung versehen werden.

85.1.2 Aufbau eines ärztlichen Gutachtens > Der ärztliche Gutachter kann Zusatzgutachten durch an-
dere Fachdisziplinen anfordern. Die Gesamt-MdE bzw. der
Grundsätzlich wird zwischen einem »freien Gutachten«, welches Gesamt-GdB wird dann ggf. durch Addition der bei den
meist von privaten Versicherungsgesellschaften angefordert wird, verschiedenen Gutachten erhobenen Befunde errechnet.
und einem im Rahmen der Abläufe der gesetzlichen Unfallversiche­ Üblich sind z. B. radiologische oder neurologische Zusatz-
rung (»Rentengutachten«, »BG-Gutachten«) zu erstellenden Gut­ gutachten.
achten unterschieden. Der objektive Befund sollte zur besseren Anschaulich-
keit mittels Farbfotografien festgehalten werden, dies ver-
> Bei beiden ist besonders auf die durch den Auftraggeber
anschaulicht oft umständliche Beschreibungen.
gestellten Fragen einzugehen. Die folgende Gliederung
hat sich bei der Erstellung jeglicher Gutachtenformen
In sog. Zusammenhangsgutachten wird ausführlich erörtert und
bewährt, im Anschluss an diesen allgemeinen Teil kann
festgestellt, ob ein Körperschaden oder eine Erkrankung mit einem
dann, vor der abschließenden Einschätzung durch den
bekannten Ereignis in der Vorgeschichte des Patienten in kausalem
Gutachter, auf die speziell durch den Auftraggeber gestell-
Zusammenhang steht. Es muss auch festgestellt werden, in welchem
ten Fragen eingegangen werden.
Ausmaß das Trauma oder die Erkrankung die körperliche oder geis­
Einleitend muss dargelegt werden, wer (wann) den Gutachtenauf­ tige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
trag erteilt hat und anhand welcher Feststellungen das Gutachten
von wem (wann) erstellt wurde (z. B. aufgrund eigener Untersu­
chung, nach Aktenlage, aufgrund apparativer oder laborchemischer 85.2 Berufskrankheiten
Untersuchungen etc.; . Übersicht).
Eine Krankheit, die im Rahmen der Berufsausübung entsteht, ist
nicht automatisch eine Berufskrankheit: Solche Erkrankungen wer­
Empfehlung zum Aufbau eines ärztlichen Gutachtens den erst dann in die Berufskrankheitenliste (BK-Liste) aufgenom­
1. Vorgeschichte: men, wenn Erkenntnisse darüber vorliegen, dass sie durch besonde­
Gliedert sich in re berufliche Einwirkungen verursacht wird, denen die Berufstätigen
– subjektive Anamnese (vom Antragsteller/Patienten durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße ausgesetzt sind als die
dargestellt) und übrige Bevölkerung. Aus dieser Formulierung – sie stammt sinnge­
– objektive Anamnese (durch den Gutachter erstellte mäß aus dem 7. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) – ist zu ersehen,
Anamnese, aufgrund der in den Akten erhobenen dass eine Kausalität gegeben sein muss und nicht alle Erkrankungen
Befunde und durchgeführten Untersuchungen und als Berufskrankheiten zu bezeichnen und evtl. zu entschädigen sind.
Therapiemaßnahmen sowie Angaben zum Heilverlauf ). So fällt z. B. nur ein kleiner Teil der Rückenerkrankungen unter be­
2. Klagen des Antragstellers: stimmten Voraussetzungen unter das Berufskrankheitenrecht
Möglichst wörtliche Wiedergabe der subjektiven Klagen des (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule oder
Patienten. Hinweis: Es kann sinnvoll sein, sich vom Patien­ der Halswirbelsäule).
6 In § 9 SGB VII »Berufskrankheiten« ist genau definiert, was un­
ter einer Berufskrankheit zu verstehen ist. Allerdings stehen im Ge­
824 Kapitel 85 · Heilverfahren

setzestext selbst keine Berufskrankheiten. Wenn wissenschaftliche


Erkenntnisse ergeben, dass eine Krankheit als Berufskrankheit zu
werten ist, wird diese in die sog. Berufskrankheitenliste (BK-Liste)
aufgenommen. Grundlage für dieses Verfahren ist die Berufskrank­
heitenverordnung (BKV). Eine Krankheit, die nicht als Berufs­
krankheit anerkannt ist, kann unter bestimmten Voraussetzungen
als Berufskrankheit entschädigt werden.
> Die vorhandene Krankheit muss nicht mit dem erlernten
Beruf zusammenhängen. Versichert ist immer die ausge-
übte Tätigkeit.
Auch wenn die Berufskrankheit in der BK-Liste aufgeführt ist, wird
bei jedem Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit im Ein­
zelfall geprüft, ob es sich um eine Berufskrankheit im Sinne der ge­
setzlichen Vorschriften handelt.
Im Rahmen des Anerkennungsverfahrens werden 2 Zusammen­
hänge geprüft:
4 Besteht ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwir­
kung und der versicherten Tätigkeit (haftungsbegründende
Kausalität)?
4 Besteht ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwir­
kung und der Krankheit (haftungsausfüllende Kausalität)?

Die haftungsbegründende Kausalität wird durch die Analyse der


Arbeitsgeschichte, die haftungsbegründende Kausalität durch ein
medizinisches Zusammenhangsgutachten geklärt. Beide Elemente,
die schädigende Einwirkung und die Krankheit, müssen diagnosti­
ziert und nachgewiesen werden. Die Beweislast liegt grundsätzlich
bei dem Betroffenen. Liegt keine haftungsbegründende Kausalität
vor, wird meist kein medizinisches Gutachten in Auftrag gegeben.
Das Verfahren ist durch Ablehnung beendet.

85 Literatur
Dörfler H, Eisenmenger W, Lippert HD, Wandl U (2008) Medizinische Gutach­
ten. Springer, Berlin Heidelberg New York
VSBinfo.de. Informationen zum Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht
[http://anhaltspunkte.vsbinfo.de]
86

Untersuchungs-
und Dokumentationsbögen
G. Valiyeva, A. Gohritz

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
826 Kapitel 86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen

Im Folgenden sind der Anamnesebogen Mamma (. Abb. 86.1), der Untersuchungsbogen »Plexus« (. Abb. 86.2) sowie der DASH-Fragebo-
gen (»disabilities of arm, shoulder and hand«) wiedergegeben (. Abb. 86.3).

86

. Abb. 86.1 Anamnesebogen Mamma


86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen
827 86

Anamnesebogen Mamma (Fortsetzung)

. Abb. 86.1 (Fortsetzung)


828 Kapitel 86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen

86

. Abb. 86.2 Untersuchungsbogen Armplexus


86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen
829 86

Plexus (Fortsetzung)

. Abb. 86.2 (Fortsetzung). In den Sparten der Muskelgruppen 1.–31. werden die klinisch erhobenen Kraftgrade (M0–5)
eingetragen
830 Kapitel 86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen

86

. Abb. 86.3 DASH-Fragebogen (DASH = »disabilities of arm, shoulder and als auch durch mehrfache Bestimmung ein Verlauf (z. B. prä- und postope-
hand«). Es handelt sich um einen Evaluationsmaßstab, mit dem sowohl eine rativ) dargestellt werden kann (Mod. nach Germann et al. 1999)
Einschränkung der oberen Extremität in ihrer Schwere eingeschätzt werden
86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen
831 86

Disabilities of Arm, Shoulder and Hand – DASH-Fragebogen (Fortsetzung)

. Abb. 86.3 (Fortsetzung)


832 Kapitel 86 · Untersuchungs- und Dokumentationsbögen

Disabilities of Arm, Shoulder and Hand – DASH-Fragebogen (Fortsetzung)

. Abb. 86.3 (Fortsetzung)

Literatur
Germann G, Wind G, Harth A (1999) Der DASH-Fragebogen – Ein neues
Instrument zur Beurteilung von Behandlungsergebnissen an der oberen
Extremität. Handchir Mikrochir Plast Chir 31: 149–152

86
87

Klassifikationen
U. Mirastschijski, A.G. Gohritz, P.M. Vogt

87.1 ASA-Klassifikation – 835

87.2 Glasgow Coma Scale – 835

87.3 Frakturen – 836


87.3.1 Klassifikation offener Frakturen – 836
87.3.2 Distale Radiusfraktur – 837
87.3.3 Skaphoidfrakturen – 838
87.3.4 Fingerfrakturen – 838
87.3.5 Frakturen im Kindesalter – 838

87.4 Nerven – 838


87.4.1 Nervenanatomie – 838
87.4.2 Nervenrezeptoren – Mechanorezeptoren – 839
87.4.3 Trauma – 839
87.4.4 Plexus brachialis – 839

87.5 Lappenplastiken – 840


87.5.1 Klassifikation des fasziokutanen Lappens   – 840
87.5.2 Örtliche Defektdeckung – 840
87.5.3 Gefäßgestielte Lappenplastiken – 840
87.5.4 Klassifikation der Faszien- und fasziokutanen Lappen – 840

87.6 Gesicht – 841


87.6.1 Ästetische Zonen des Gesichts – 841
87.6.2 Einteilung des Gesichts in Proportionen – 841
87.6.3 Einteilung der Nase in Proportionen – 841
87.6.4 Augenanomalie (Telekanthus, Hypertelorismus, Hypotelorismus) – 841
87.6.5 Spaltbildung – 841

87.7 Mamma – 841


87.7.1 Kapselfibrose – 841
87.7.2 Ptose – 842

87.8 Hand und Handgelenk – 842


87.8.1 Strecksehnenfächer – 842
87.8.2 Strecksehnen – Zonen – 842
87.8.3 Beugesehnen – Zonen – 843
87.8.4 Traumatische und degenerative Veränderungen – 843
87.8.5 Fortgeschrittener karpaler Kollaps – 844

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9_,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
87.8.6 Handfehlbildungen – 845
87.8.7 Fehlbildungen der Finger – 845
87.8.8 Schnürringsyndrom – 846

87.9 Komplexes regionales Schmerzsyndrom – 846

87.10 Arthrosis deformans – 847

87.11 Malignome – 847


87.11.1 Melanom – 847
87.11.2 Basalzellkarzinom – 847
87.2 · Glasgow Coma Scale
835 87
87.1 ASA-Klassifikation
. Tab. 87.1, 7 Kap. 3.1.

. Tab. 87.1 ASA-Klassifikation zur perioperativen Risikobeurteilung

ASA-Klassifikation Kennzeichen

ASA I Gesunder normaler Patient

ASA II Patient mit geringgradiger systemischer Erkrankung

ASA III Patient mit schwerwiegender systemischer Erkrankung

ASA IV Patient mit lebensbedrohlicher Allgemeinerkrankung

ASA V Moribunder Patient, Tod innerhalb von 24 h mit oder ohne Operation zu erwarten

ASA VI Patient mit festgestelltem Hirntod, dessen Organe zur Organspende entnommen werden

87.2 Glasgow Coma Scale


Die Glasgow Coma Scale (GCS) beurteilt die Grundfunktionen des Bewusstseins (. Tab. 87.2). Die Auswertung ist in . Tab. 87.3 dar­
gestellt.

. Tab. 87.2 Glasgow Coma Scale (GCS). Beobachten → Ansprechen → Schmerzreiz setzen nach Teasdale u. Jennett (1974)

Kriterium Erwachsene Kinder

Augen öffnen Spontan 4 Spontan 4

Auf Ansprache 3 Auf Ansprache 3

Auf Schmerzreiz 2 Auf Schmerzreiz 2

Keine Reaktion 1 Keine Reaktion 1

Sprache Orientiert 5 Plappert; folgt Gegenständen 5

Desorientiert 4 Schreit; inadäquate Reaktion 4

Inadäquat 3 Kann nicht getröstet werden 3

Unartikuliert 2 Stöhnt 2

Keine Antwort 1 Keine Antwort 1

Mororik Befolgt Aufforderungen 6 Spontanbewegung normal 6

Gezielte Schmerzabwehr 5 Gezielte Schmerzbwehr 5

Ungezielte Schmerzbwehr 4 Ungezielte Schmerzbwehr 4

Beugereaktion 3 Beugereaktion 3

Streckreaktion 2 Streckreaktion 2

Keine Reaktion 1 Keine Reaktion 1

. Tab. 87.3 Schweregrade der Bewusstseinsstörung, ermittelt mit


der Glasgow Coma Scale (GCS)

CGS Bewusstseinsstörung

>12 Leicht

11–8 Mittelschwer

<7 Schwer
836 Kapitel 87 · Klassifikationen

87.3 Frakturen
87.3.1 Klassifikation offener Frakturen
. Tab. 87.4 zeigt die verschiedenen Klassifikationen für offene Frakturen. . Tab. 87.5 klassifiziert zusätzlich den vergesellschafteten Weich­
teilschaden.

. Tab. 87.4 Klassifikation einer offenen Fraktur nach Gustilo

Typ Kennzeichen

I Wunde <1 cm lang


Saubere Wunde

II Offene Fraktur
Wunde <1 cm
Ohne massive Weichteilschädigung, Lappenbildung oder Avulsionsverletzungen
III Jede offene Mehretagenfraktur
Jede offene Fraktur mit massiven Weichteilschäden
Jede traumatische Amputation
Schussverletzungen
Verletzungen in der Landwirtschaft mit Erdverschmutzung
Frakturen mit Gefäßverletzungen
Offene Frakturen >8 h
Frakturen bei Opfern von Massenunfällen (z. B. Krieg, Tornado)
– IIIA Adäquate Weichteildeckung der Wunde trotz Lappen­bildung oder Hochenergietrauma, unabhängig von der Wundgröße
– IIIB Knochen liegt frei, das Periost ist abgestreift
Meistens massive Kontamination
– IIIC Mit Arterienverletzung, die chirurgisch versorgt werden muss

. Tab. 87.5 Klassifikation einer offenen Fraktur Tscherne u. Oestern (1982)

Grad Kennzeichen

Geschlossene 0 Fehlende oder unbedeutende Weichteilverletzung


Frakturen Indirekter Verletzungsmechanismus
Einfache Frakturformen
87 I oberflächliche Schürfung oder Kontusion durch Fragmentdruck von innen, einfache bis
mittelschwere Frakturform
II Tiefe kontaminierte Schürfung sowie
Haut- oder Muskelkontusion durch direkte Krafteinwirkung
Drohendes Kompartmentsyndrom
Mittelschwere bis schwere Frakturformen
III Ausgedehnte Hautkontusion, -quetschung oder Zerstörung des Muskulatur
Subkutanes Décollement
Manifestes Kompartmentsyndrom
Verletzung eines Hauptgefäßes
Schwere Frakturformen
Offene I Durchspießung der Haut
Frakturen Unbedeutende Kontamination
Einfache Frakturformen
II Durchtrennung der Haut
Umschriebene Haut- und Weichteilkontusion
Mittelschwere Kontamination, alle Frakturformen
III Ausgedehnte Weichteildestruktion
Häufig Gefäß- und Nervenverletzungen
Starke Wundkontamination
Ausgedehnte Knochenzertrümmerung

IV Totale und subtotale Amputation


Durchtrennung der wichtigsten anatomischen Strukturen
Vollständige Ischämie
87.3 · Frakturen
837 87
87.3.2 Distale Radiusfraktur

Die unterschiedlichen Klassifikationen sind in . Tab. 87.6 bis . Tab. 87.9 dargestellt.

. Tab. 87.6 AO-Klassifikation der distalen Radiusfraktur (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen; Müller et al. 1990)

Typ Kennzeichen

Typ A: A1 Extraartikuläre Fraktur der Ulna, Radius intakt


Extraartikulär
A2 Extraartikuläre Fraktur des Radius, einfach und impaktiert

A3 Extraartikuläre Fraktur des Radius mehrfragmentär

Typ B: B1 Partiell artikuläre Fraktur des Radius, sagittal


Teilweise intraartikulär
B2 Partiell artikuläre Fraktur des Radius, dorsale Kante (Barton)

B3 Partiell artikuläre Fraktur des Radius, volare Kante (»reversed« Barton, Goyrand-Smith II)

Typ C: C1 Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, artikulär einfach, metaphysär einfach
Vollständig intraartikulär
C2 Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, artikulär einfach, metaphysär mehrfragmentär

C3 Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, mehrfragmentär

. Tab. 87.7 Klassifikation der Radiusfraktur nach Frykman (1967) . Tab. 87.9 Mayo-Klassifikation der intraartikuläre Radiusfrakturen
nach Cooney et al. (1980)
Typ Kennzeichen
Typ Kennzeichen
I 4 Extraartikulär

II 4 Extraartikulär 1 Extraartikulär radiokarpale Fraktur, intraartikulär radioulnar

III 4 Beteiligung der radiokarpalen Gelenkfläche 2 Intraartikulär Fossa scaphoidea

IV 4 Beteiligung der radiokarpalen Gelenkfläche 3 Intraartikulär Fossa lunata und sigmoidea


4 Mit Abriss des Proc. styloideus ulnae 4 Intraartikulär Fossa scaphoidea, lunata und sigmoidea
V 4 Beteiligung der radioulnaren Gelenkfläche

VI 4 Beteiligung der radioulnaren Gelenkfläche


4 Mit Abriss des Proc. styloideus ulnae

. Tab. 87.8 Klassifikation für intraartikuläre 4-Fragment-Frakturen


nach Melone (1993). Betonung der ulnaren Schlüsselfragmente
(1. Radiusschaft, 2. radiales Fragment, 3. dorsoulnares Fragment,
4. palmarulnares Fragment)

Typ Kennzeichen

1 4 Stabil
4 Wenig eingestaucht

2 4 instabil
4 Ulnare Schlüsselfragmente im Verbund

3 4 Instabil
4 Ulnare Schlüsselfragmente im Verbund disloziert
4 Zusätzliches palmares Schaftfragment

4 4 Instabil
4 Weite Dislokation des dorsalen und palmaren ulnaren
Schlüsselfragmentes
838 Kapitel 87 · Klassifikationen

87.3.3 Skaphoidfrakturen 87.3.4 Fingerfrakturen

Die Klassifikationen der Skaphoidfrakturen sind in . Tab. 87.10 bis . Tab. 87.13.
. Tab. 87.12 dargestellt.

. Tab. 87.10 Klassifikationen der Skaphoidfrakturen nach Herbert u. . Tab. 87.13 Einteilung der Fingerfrakturen
Fisher (1984); Krimmer et al. (2000)
Lokalisation Frakturtyp
Typ Kennzeichen
Frakturtypen Schaft 4 Querfraktur
A Stabile Fraktur: Querfraktur und Fraktur des Tuberkulums 4 Schrägfraktur
ohne Dislokation 4 Torsionsfraktur
4 Mehrfragmentfraktur
B Instabile Fraktur
Frakturtypen Gelenk 4 Unikondylär
– B1 Schrägfraktur distales Drittel
4 Bikondylär
– B2 Verschobene Fraktur mittleres Drittel 4 Mehrfragmentkopffraktur
4 Knöcherner Basisausriss mit zuneh-
– B3 Proximale Polfraktur mender Luxation
– B4 Luxationsfraktur

– B5 Trümmerfraktur

C Verzögerte Frakturheilung: 6 Wochen nach Behandlungs- 87.3.5 Frakturen im Kindesalter


beginn keine Zeichen knöcherner Ausheilung (»delayed
union«) Die Klassifikation nach Salter u. Harris (1963) zeigt . Tab. 87.14.
D Pseudarthrose: auch 6 Monate nach Behandlungsbeginn
keine Zeichen knöcherner Ausheilung (»nonunion«)
. Tab. 87.14 Salter-Harris-Klassifikation der Frakturen im Kindesalter
– D1 Straffe Pseudarthrose (»fibrous nonunion«)
Typ Kennzeichen
– D2 Mobile, atrophe Pseudarthrose (»sclerotic nonunion«)
I Epiphysenabscherung

II Epiphysenabscherung und metaphysärer Kantenabbruch


. Tab. 87.11 Klassifikationen der Skaphoidfrakturen nach Russe
III Intraartikuläre Epiphysenfraktur
(1962)
IV Dislozierte Schrägfraktur durch Epiphyse, Wachstumsfuge,
Kennzeichen Metaphyse

V Stauchungsfraktur der Wachstumsfuge


87 – Horizontal-schräg

– Quer

– Vertikal-schräg
87.4 Nerven
87.4.1 Nervenanatomie
. Tab. 87.12 AO-Klassifikation der Skaphoidfrakturen (Arbeits­
gemeinschaft für Osteosynthesefragen, Petracic u. Siebert 1995) Im Querschnitt zeigen sich die folgenden Strukturen:

Typ Kennzeichen Axon


Nervenfaser, die Ausläufer der Nervenzelle ist. Das Axon ist von
A A1–A3 Abrissfraktur
Schwann-Zellen umgeben.
B B1–B3 Quer-, Schräg, Längsfraktur

C C1–C3 Mehrfragmenttrümmerfraktur
Epineurium
Lockeres Bindegewebe, das den gesamten peripheren Nerv sowie die
Faszikelgruppen umgibt.

Perineurium
Umhüllung eines Nervenfaszikels.

Endoneurium
Füllt den Raum zwischen den Axonen innerhalb eines Faszikels.
87.4 · Nerven
839 87
Faszikel
Die kleinste mikrochirurgisch manipulierbare anatomische Nerven­ . Tab. 87.15 Einteilung der Nervenverletzung nach Seddon (1943),
struktur. Faszikel enthalten Axone und sind in Gruppen angeordnet. Sunderland (1951), Mackinnon u. Dellon 1988)
Je nach Anzahl der Faszikel unterscheidet man monofaszikuläre,
oligofaszikuläre und polyfaszikuläre Nerven. Grad Kennzeichen

I Neurapraxie 4 Leitungsblock (segmentaler Verlust der


Leitfähigkeit), der meist durch Zug,
87.4.2 Nervenrezeptoren – Mechanorezeptoren Kompression oder Ischämie verursacht
wird
Merkel-Zellen 4 Das Axon ist intakt, es erfolgt in der
Druckrezeptoren; befinden sich im Stratum germinativum der Epi­ Regel eine Restitutio ad integrum
dermis und stehen mit der Endaufzweigung einer Nervenfaser in
II Axonotmesis 4 Kontinuitätsunterbrechung des Axons
Kontakt. mit Waller-Degeneration des periphe­
ren Abschnitts, jedoch keine Verletzung
Meissner-Tastkörperchen der bindegewebigen Nervenanteile
Berührungsrezeptoren (v. a. in Finger- und Zehenspitzen). Sie befin­ 4 Durch Erhaltung der endoneuralen
den sich in den Bindegewebspapillen des Papillarkörpers unmittel­ Strukturen ist ein korrektes Ausspros-
bar unter der Epidermis und bestehen aus mehreren, epithelähnlich sen der proximalen Axonstümpfe
aufeinander geschichteten Schwann-Zellen, zwischen denen 2 Ner­ möglich
venfasern spiralförmig verlaufen. 4 Korrekte Reinnervation ohne Operation

III Neurotmesis 4 Entspricht Grad II mit Schädigung der


Vater-Pacini-Lamellenkörperchen endoneuralen Strukturen, jedoch mit
Dienen der Vibrationsempfindung. Es handelt sich um knorpelhar­ intaktem Peri- und Epineurium
te, makroskopisch sichtbare, bis zu 4 mm lange, birnenförmige Ge­ IV Neurotmesis 4 Läsion mit Kontinuitätsunterbrechung
bilde aus zwiebelschalenartig übereinandergelegten Schichten aus des Perineuriums und Schädigung der
Bindegewebszellen mit zentralem Innenkolben. Die Innenkolben Faszikelstruktur
bestehen aus der Nervenendigung, die dicht mit Schwann-Zellen 4 Meist erfolgt keine Regeneration, es
umwickelt sind. In der Subkutis gelegen, v. a. in Handteller und Fuß­ entsteht ein Neuroma in continuitatem
sohle, aber auch an Faszien, Periost, Sehnen, Blutgefäßen, in Mesen­
V Neurotmesis 4 Verlust der Kontinuität des Nervs
terien. 4 Bei Kontinuitätsunterbrechung durch
einen scharfen Schnitt entsteht nur
Ruffini-Körperchen eine minimale Läsion der bilateralen
Langsam adaptierende Dehnungsrezeptoren, die in der Haut (im Nervenstümpfe, sodass eine End-zu-
Stratum reticulare der Dermis), Dura mater, Iris, im Ziliarkörper End-Koaptation möglich ist
und Gelenkkapseln vorkommen. Die Ruffini-Körperchen der Ge­ 4 Bei stumpfem Trauma mit Schädigung
lenkkapsel registrieren die Stellung der Gelenke und ihre Auslen­ von Nervengewebe muss eine ausrei-
kungsgeschwindigkeit. chende Resektion der Nervenstümpfe
erfolgen
Das Ruffini-Körperchen hat die Form eines zu den Enden hin
abgeflachten, offenen Zylinders. Durch die Öffnungen treten kolla­ VI 4 Mischform der Grade I-V
gene Faserbündel auf der einen Seite ein und auf der anderen wieder
hinaus. Zwischen den Kollagenfaserbündeln sind die Enden von
Nervenfasern verankert.
87.4.4 Plexus brachialis
87.4.3 Trauma Anatomie
. Tab. 87.16.
Eine Klassifikation der peripheren Nervenverletzung wurde von Se­
ddon (1943) eingeführt, der nur zwischen 3 Graden unterschied,
nämlich Neuropraxie, Axonotmesis und Neurotmesis. Sunderland . Tab. 87.16 Anatomie des Plexus brachialis
(1951) unterteilte die Neurotmesis gemäß der Kontinuitätsunter­
brechung einzelner Gewebe in Grad III (Endoneurium), IV (Perineu­ Faszikel Nerven
rium) und V (Epineurium). Mackinnon u. Dellon (1988) beschrie­
Fasciculus posterior N. axillaris C5, C6
ben einen Grad IV als Mischform der zuvor benannten Schädi­
N. radialis C5, Th1
gungsgrade.
Die Einteilung der Nervenverletzung zeigt . Tab. 87.15. Fasciculus lateralis N. musculocutaneus C5–C7
Radix lateralis n. mediani C6–C8, Th1

Fasciculus medialis Radix medialis n. mediani C6–C8, Th1


N. ulnaris C8, Th1
N. cutaneous brachii medialis C8, Th1
N. cutaneous antebrachii medialis C8, Th1
840 Kapitel 87 · Klassifikationen

Läsionen
. Tab. 87.17.

. Tab. 87.17 Plexus-brachialis-Läsionen

Nerv Läsion Parese Sensibilitätsstörungen Besonderheiten

Obere Plexus- C5–C6 M. deltoideus Über dem M. deltoideus Fehlen des Brachioradialis- und Bizepsreflexes,
läh-mung M. supra- und infraspinatus (N. axillaris), radiale Seite nach innen rotierter Arm hängt schlaff herun-
(Erb-Duchenne- M. biceps brachii von Unterarm und Hand ter, kann im Ellbogen nicht gebeugt und im
Lähmung) M. brachialis Schultergelenk nicht angehoben werden
M. brachioradialis

Erweiterte obere C5–C7


Plexuslähmung

Untere Plexus- C8–TH1 Kleine Handmuskeln Ulnare Seite von Unter- TSR abgeschwächt, häufig zusätzlich ein
lähmung (Klumpke- und Fingerbeuger arm und Hand Horner-Syndrom (Folge einer Schädigung des
Lähmung) unteren Halsgrenzstrangs)

TSR=Trizepssehnenreflex.

87.5 Lappenplastiken . Tab. 87.18 Klassifikation der Muskel- und muskulokutanen Lap-
pen nach Mathes u. Nahai 1981)
87.5.1 Klassifikation des fasziokutanen Lappens
Typ Kennzeichen Beispiele für Muskellappen
Random pattern flap (Zufallsversorgung)
4 Gefäßversorgung: subdermale Plexus. I Ein Gefäßstiel Gastrocnemius, Tensor fascia
4 Rechteckförmiger Lappen mit einer Ratio Basis :Länge von lata, Abductor digiti minimi
5 2:1 (Extremitäten) II Ein dominanter Gefäßstiel Trapezius, Gracialis
bis und kleinere Äste
5 1:5 (Gesicht).
III Zwei dominante Gefäß­ Rectus abdominis, Glutaeus
stiele maximus, Serratus anterior,
Axial pattern flap Temporalis
4 Gefäßversorgung: oberflächlich verlaufender Gefäßstiel.
4 Beispiele: seitliche Stirn (A. temporalis superficialis); deltopek­ IV Segmentale Gefäßstiele Sartorius, Tibialis anterior,
87 toral (Äste der A. mammaria interna); Füßrückenlappen Flexor hallucis longus

(A. dorsalis pedis). V Ein dominanter Gefäßstiel Latissimus dorsi, Pectoralis


und sekundäre segmentale major
Muskel- und muskulokutane Lappen Äste
4 Gefäßversorgung: dominanter Muskelast des den Muskel ver­
sorgenden Gefäßes.

Faszien- und fasziokutane Lappen


4 Gefäßversorgung: dominante Gefäßäste, die Muskeln oder tiefe 87.5.4 Klassifikation der Faszien-
und oberflächliche Fasziensegmente versorgen. und fasziokutanen Lappen

. Tab. 87.19.
87.5.2 Örtliche Defektdeckung

4 Rotationslappen. . Tab. 87.19 Klassifikation der Faszien- und fasziokutanen Lappen


4 Verschiebelappen. nach Mathes u. Nahai (1997)
4 Gewebeexpansion mit Expandern und Defektverschluß zwei­
zeitig. Typ Kennzeichen

A Direkter kutaner Gefäßstiel

87.5.3 Gefäßgestielte Lappenplastiken B Septokutaner Gefäßstiel

C Muskulokutaner Gefäßstiel
. Tab. 87.18.
87.7 · Mamma
841 87
87.6 Gesicht Hypertelorismus
Übernormal großer Abstand zwischen zwei Organen, meist syno­
87.6.1 Ästetische Zonen des Gesichts nym für den okulären Hypertelorismus.

. Tab. 87.20. Hypotelorismus


Vergleichsweise kleiner Abstand zwischen den Augenhöhlen (= Au­
genabstand).
. Tab. 87.20 Die ästetischen Zonen des Gesichts

Zone Lokalisation 87.6.5 Spaltbildung


1 Frontal
Die Tessier-Klassifikation der Gesichtsspalten zeigt . Tab. 87.21.
2 Nasal

3 Orbital
. Tab. 87.21 Klassifikation der Gesichtsspalten nach Tessier (1976)
4 Temporal
Spalten Nr. Kennzeichen
5 Labial
0 Mediane kraniofaziale Gesichtsspalte
6 Bukkal
1 Paramediane kraniofaziale Gesichtsspalte
7 Mental
2 Paramediane, laterale kraniofaziale Gesichtsspalte
3 Okulonasale kraniofaziale Gesichtsspalte

87.6.2 Einteilung des Gesichts in Proportionen 4 Okulonasale Gesichtsspalte I


5 Okulonasale Gesichtsspalte II
Die Gesichtseinteilung in Proportionen erfolgt
6 Zygomatikomaxilläre Gesichtsspalte
4 horizontal:
3 ästhetische Regionen: Abgrenzung durch Stirnhaarlinie, Gla­ 7 Zygomatikotemporale Gesichtsspalte
bella, die Prämaxillar- und Kinnregion. 8 Zygomatikofrontale Gesichtsspalte
4 Seitenansicht:
9 Laterale orbitokraniale Gesichtsspalte
5 ideale Nasenlänge etwas geringer (43%) als der Abstand von
der Prämaxillar- zur Kinnregion (57%), 10 Zentrale orbitokraniale Gesichtsspalte
5 vertikale Ausdehnung der Oberlippe = 1/3 der Distanz zwi­ 11 Mediale orbitokraniale Gesichtsspalte
schen Prämaxilla und Kinn,
12 Kraniale Fortsetzung der paramedianen,
4 vertikal: 5 gleich große Abschnitte mit der Nase als zentralem
lateralen kraniofazialen Gesichtsspalte
Fünftel.
13 Kraniale Fortsetzung der paramedianen,
kraniofazialen Gesichtsspalte
87.6.3 Einteilung der Nase in Proportionen 14 Kraniale Fortsetzung der medianen, lateralen
kraniofazialen Gesichtsspalte
4 Ein ideales Nasenprofil hat einen definierten Beginn am Na­
sofrontalwinkel, verläuft dann entlang eines geraden oder leicht
konvexen Nasenrückens, schwingt nach oben 1–2 mm zur Su­
pratip-Region, um den spitzenbetonenden Punkt zu erreichen. 87.7 Mamma
Dann biegt das Nasenprofil in die Columella um.
4 Nasenspitzen mit einer eleganten Projektion lassen sich näher 87.7.1 Kapselfibrose
durch das Verhältnis der Nasenrückenlänge zum Abstand
Nasenspitze – Nasenflügelrand beschreiben. Dabei sollte die Die Klassifikation der Kapselfibrose nach Baker zeigt . Tab. 87.22.
Strecke Nasenspitze – Nasenflügelrand das 0,55- bis 0,6-Fache
der Nasenrückenlänge betragen.
4 Nase von kaudal: Idealverhältnis von 1/3 zu 2/3 zwischen Lobu­ . Tab. 87.22 Stadien der Kapselfibrose nach Baker (1978)
lus und Columella. Die Basis der Nase hat eine Dreiecksform.
Stadium Palpationsbefund

Baker I 4 Die Brust ist normal weich


87.6.4 Augenanomalie (Telekanthus, 4 Das Implantat ist nicht tastbar
Hypertelorismus, Hypotelorismus) Baker II 4 Die Brust ist etwas fester
4 Das Implantat ist tastbar, aber nicht sichtbar
Telekanthus
Abnormal vergrößerte Distanz zwischen den medialen Kanthi der Baker III 4 Die Brust ist verhärtet
4 Das Implantat ist tastbar und sichtbar
Augenlider.
Baker IV 4 Brust verhärtet, verformt und schmerzhaft
4 Das Implantat ist tastbar und deutlich sichtbar
842 Kapitel 87 · Klassifikationen

87.7.2 Ptose 87.8.2 Strecksehnen – Zonen

. Tab. 87.23; weitere Details sind in 7 Kap. 77.1 zu finden. Die Zoneneinteilung der Strecksehnenverletzungen zeigt . Tab. 87.25.

. Tab. 87.23 Klassifikationen der Ptose nach Regnault (1976) . Tab. 87.25 Zoneneinteilung der Strecksehnenverletzungen an der
Hand nach Kleinert u. Verdan (1983)
Grad Ptose
Zone Gelenk Kennzeichen
Normale Brust Nippel-Areola-Komplex oberhalb der
Inframammärfalte 1 Endgelenk Das Endglied hängt herab
Knöcherner Ausriss (geschlossen)
1) Leichte Ptosis Nippel-Areola-Komplex auf Höhe der
Subkutaner Ausriss (geschlossen)
mammae Inframammärfalte
Durchtrennung (offen)
2) Moderate Ptosis Nippel-Areola-Komplex unterhalb der
2 Mittelglied Kein oder wenig Streckdefizit
mammae Inframammärfalte und oberhalb der
Die Pars triangularis hat keine Streck-
unteren Brustkontur
funktion
3) Schwere Ptosis Nippel-Areola-Komplex unterhalb der
3 Mittelgelenk Durchtrennung von Mittelzügel und
mammae Inframammärfalte und unterhalb der
beiden Pars medialis der Seitenzügel:
unteren Brustkontur
Streckdefizit im PIP-Gelenk
Pseudoptosis Nippel-Areola-Komplex oberhalb der Alleinige Durchtrennung des Mittelzü-
Inframammärfalte, jedoch befindet sich gels: Klinik möglicherweise nicht eindeu-
das Brusparenchym unterhalb der Infra- tig durch Kompensation der Seitenzügel;
mammärfalte Cave: Entwicklung einer Knopflochdefor-
mität
Parenchymale Fehl­ Nippel-Areola-Komplex und Brustgewebe Knopflochdeformität
verteilung des Drüsen- unterhalb der Inframammärfalte
gewebes 4 Grundglied Kaum Streckdefizit, nur bei Durchtren-
nung der gesamten Aponeurose

5 Grundgelenk Durchtrennung der Sehne des M. exten-


87.8 Hand und Handgelenk sor digitorum
Deutliches Streckdefizit
Häufig mit Gelenkeröffnung
87.8.1 Strecksehnenfächer Typische Lokalisation nach Faustschlä-
gen mit Zahnschlagverletzung
. Tab. 87.24.
6 Handrücken Kein oder geringes Streckdefizit, das
über die Connexus intertendinei kom-
. Tab. 87.24 Strecksehnenfächer der Hand pensiert wird

87 7 Handwurzel Kaum Streckdefizit durch die Connexus


Strecksehnenfach Muskelsehne und Hand­ intertendinei
gelenk
1. Strecksehnenfach M. abductor pollicis longus
M. extensor pollicis brevis 8 Unterarm Verletzung meist am Übergang zum
Bildet den palmaren Rand der Tabatière Muskelbauch mit Muskeldurchtrennung
In ca. 30%: akzessorisches Fach D1 Daumenend- Streckdefizit bis zu 40°
2. Strecksehnenfach M. extensor carpi radialis longus (radial) gelenk Evtl. degenerative Ruptur
und brevis D2 Daumen- Bei unvollständiger Durchtrennung
3. Strecksehnenfach M. extensor pollicis longus grundglied kaum Funktionsausfall
Verläuft im Handgelenkbereich als D3 Grundgelenk Sehnenverletzung des M. extensor
einzige Sehne schräg bis Sattel­ pollicis longus: deutliches Hängen des
Wird bogenförmig um das Tuberculum gelenk Daumenendgliedes
radii (Lister) geleitet Bei atraumatischer Ruptur meist Folge
Bildet den dorsalen Rand der Tabatière einer distalen Radiusfraktur oder bei
4. Strecksehnenfach M. extensor indicis rheumatischer Grund­erkrankung
M. extensor digitorum 2–5

5. Strecksehnenfach M. extensor digiti minimi

6. Strecksehnenfach M. extensor carpi ulnaris


87.8 · Hand und Handgelenk
843 87
87.8.3 Beugesehnen – Zonen
. Tab. 87.27 Einteilung der Ringavulsionen nach Urbaniak et al.
. Tab. 87.26. (1981)

Grad Kennzeichen
. Tab. 87.26 Zoneneinteilung der Beugesehnen an der Hand nach
Verdan (1972) I 4 Adäquate Durchblutung
4 Standardosteosynthese und Weichteilrekonstruktion
Zone Lokalisation an den Lokalisation am Daumen empfohlen
Fingern II 4 Komplette Ischämie
4 Venentransplantate zur Gefäßanastomosierung not-
1 Distal der Insertion des Distal des IP-Gelenks wendig mit simultaner Nervenrekonstruktion
FDS (nur FDP betroffen) 4 Erfolgsrate: ca. 75%.
2 A1-Ringband bis FDS- Grundphalanx (IP-Gelenk bis III 4 Komplette Avulsionsverletzungen
Insertion (»no man’s land« A1-Ringband) 4 Vor allem Verletzungen proximal der FDS sollten ampu-
– Bunnell) tiert werden
3 Distaler Rand des Karpal- Thenarbereich 4 Wenn das PIP-Gelenk verletzt oder die Grundphalanx
kanals bis proximal des frakturiert sind, wird ebenfalls eine Amputation emp-
A1-Ringbands fohlen

4 Innerhalb des Karpal- Innerhalb des Karpalkanals


kanals (»Feindesland«) (»Feindesland«)
Replantation
5 Distaler Unterarm Distaler Unterarm
Die Indikationen und Kontraindikationen zur Replantation an der
Hand zeigt . Tab. 87.28.

87.8.4 Traumatische und degenerative


Veränderungen . Tab. 87.28 Indikationen und Kontraindikationen zur Replantation
an der Hand nach Goldner u. Urbaniak (2010)
Amputationsverletzungen
Definition. Die Definitionen nach Biemer (1980) sind in der Indikation
. Übersicht dargestellt.
Absolute Verletzungsmuster mit hoher Aussicht auf funk­
Indikation zur tionell gutes Ergebnis:
Definitionen der Amputationsverletzungen Replantation 4 Daumen
4 Mehrere Finger
4 Totale Amputation: Vollständige Abtrennung, keine 4 Mittelhandamputation
Gewebeverbindung mehr erhalten → Es erfolgt eine 4 Nahezu jede kindliche Amputation
Replantation. 4 Handgelenk oder Unterarm
4 Subtotale Amputation: Hauptgefäßversorgung unterbro- 4 Ellbogen und Oberarm
chen, keine Zirkulation feststellbar, Gewebebrücke erhalten 4 Einzelfinger mit Amputationshöhe distal der
(jedoch weniger als 25% der Zirkumferenz) → Es erfolgt FDS-Sehne
eine Revaskularisation.
(scharfe Durchtrennungen oder moderate
4 Mikroreplantation: Amputationsniveau distal des Hand-
Avulsionen)
oder Sprunggelenks, auch periphere Anteile von Skalp,
Penis, Ohr etc. Kontraindika- 4 Schwere Quetschungen oder Zerreißungen
4 Makroreplantation: Amputationsniveau proximal des tionen zur 4 Amputationen auf mehreren Höhen
Hand- oder Sprunggelenks. Replantation 4 Amputationen bei Patienten mit anderen
ernsthaften Verletzungen/Erkrankungen
4 Amputationen bei Patienten mit schweren
arteriosklerotischen Veränderungen
Ringavulsion 4 Amputationen mit prolongierter Ischämie
Die Einteilung der Ringavulsionen, einer Spezialform der Amputa­ 4 Amputationen bei mental instabilen Patienten
tionsverletzungen, nach Urbaniak et al. (1981) zeigt . Tab. 87.27. 4 Einzelfinger bei Erwachsenen mit Amputa­
tionshöhe proximal der Insertion der FDS-
Sehne

Frakturen
7 Kap. 87.3.

Triangulärer fibrokartilaginärer Komplex


Die Einteilung des triangulären fibrokartilaginären Komplexes
(TFCC) nach Palmer (1989) zeigt . Tab. 87.29.
844 Kapitel 87 · Klassifikationen

Lunatummalazie – M. Kienböck
. Tab. 87.29 Einteilung des triangulären fibrokartilaginären Kom- Die zwei Einteilungen des M. Kienböck nach Decoulx und Lichtman
plexes (TFCC) nach Palmer (1989) sind in . Tab. 87.31 und . Tab. 87.32 dargestellt.

Einteilung Kennzeichnung
. Tab. 87.31 Radiologische Einteilung des M. Kienböck
Traumatisch Ia Radiusnaher Riss nach Decoulx et al. (1957)
Ib Abriss ulnarseits mit/ohne Fraktur
Stadium Kennzeichen
Ic Ruptur der ulnokarpalen Bänder

Id Abriss vom Radius mit/ohne Fraktur I 4 Diffuse Sklerosierung im spongösen Trabekelbereich


des Mondbeins
Degenerativ IIa Höhenminderung bei zentraler mukoider 4 Kein Anhalt für Formveränderung
Diskusdegeneration
II 4 Spongiosa-sklerotische Veränderungen
IIb Diskusdegeneration mit ulnolunärem 4 Zystische Einschlüsse
Knorpelschaden 4 Erhaltene Kontur des Os lunatum
IIc Zusätzlich zentrale Diskusperforation III 4 Frakturierung des Mondbeins mit zunehmender
Zusammensinterung, sichtbar als Abflachung der
IId Zusätzliche LT-Bandruptur
proximalen Zirkumferenz
IIe Zusätzliche ulnokarpale Arthrose
IV 4 Perilunäre Arthrose mit Gelenkspaltvermälerung,
vermehrter Sklerose und Ausbildung von osteo-
phytären Randzacken
Mallet-Finger
Beim Mallet-Finger ist die aktive Streckung des Fingerendgliedes
nicht mehr möglich. Dies ist durch eine Ruptur der Strecksehne un­
mittelbar am Endgelenk bedingt. Dies passiert gewöhnlich, wenn . Tab. 87.32 Einteilung des M. Kienböck nach Lichtman et al. (1977)
das Endglied heruntergedrückt ist und der Patient gleichzeitig den
Finger aktiv streckt. Dies kann durch ein Bagatelltrauma (Bett Stadium Kennzeichen
machen, Hosenknopf öffnen) oder durch ein adäquates Trauma
I Unauffällige Röntgenmorphologie
(Basketball, Volleyball) geschehen. Die Ruptur kann rein sehnig sein
Diagnose nur mittels MRT möglich, hier Enhancement
oder mit einem knöchernen Ausriss. sichtbar
Die Therapie ist praktisch immer konservativ im Sinne einer
Schienenbehandlung für 8–12 Wochen. Ein leichtes Streckdefizit IIa Im konventionellen Röntgen deutlich sichtbare,
von ca. 10° kann auch bei optimaler Therapie bestehen bleiben. Die vermehrte Sklerosierung der spongiösen Trabekel
Klinisch mit Schmerzen verbunden
einzigen Operationsindikationen sind
4 offene Durchtrennungen der Sehne und IIb Zusätzlich zu IIa subchondrale proximale Fraktuierungen
4 große knöcherne Fragmente (>1/3 der Gelenkfläche). (→ CT).
87 IIIa Fraktur, progredientes Zusammensintern des Mond-
beins ohne Rotationsfehlstellung des Kahnbeins
87.8.5 Fortgeschrittener karpaler Kollaps Frakturen, Mondbeinkollaps

Fortgeschrittener karpaler Kollaps IIIb Progredientes Zusammensintern des Mondbeins


Frakturen mit Rotationsfehlstellung des Kahnbeins und
des Hand­gelenks (SLAC/SNAC)
karpaler Gefügestörung (→ CT)
Die Einteilung zeigt . Tab. 87.30.
IV Fortgeschrittene Zusammensinterung mit karpalem
Kollaps und ausgeprägter Arthrose
. Tab. 87.30 Klassifikation der Röntgenzeichen und Stadien
des karpalen Kollaps nach Watson u. Ballet (1984)

Stadium Skaphoidpseud­ Skapholunäre


arthrose Dissoziation

I Arthrose zwischen dista- Arthrose zwischen proxi-


lem Skaphoidfragment malem Skaphoidpol und
und Proc. styloideus dorsaler Radiuslippe
II _ Arthrose im gesamten
Radioskaphoidalgelenk
III Arthrose zwischen Luna- Arthrose zwischen Luna-
tum und Kapitatumkopf, tum und Kapitatumkopf,
später proximoradiale später proximoradiale
Migration des Kapitatums Migration des Kapitatums
dorsal des in DISI-Position durch die skapholunäre
stehenden Lunatums Lücke
87.8 · Hand und Handgelenk
845 87
Rhizarthrose 87.8.7 Fehlbildungen der Finger
. Tab. 87.33.
Syndaktylie
Definition. Häutige und/oder knöcherne Verbindung zweier oder
. Tab. 87.33 Stadien der Rhizarthrose nach Eaton u. Littler (1973) mehrerer Finger, partiell oder vollständig.
Sonderformen:
Stadium Radiologische Charakteristiken 4 Akrosyndaktylie: Nur die distalen Anteile der meist aplastischen
Finger sind im Verbund.
I Geringe Subluxation des Metakarpale 1
4 Intermediäre Syndaktylie: Distal und proximal einer Hautver­
II Deutliche Subluxation des Metakarpale 1 bindung bestehen getrennte Fingeranteile.
Osteophyten <2 mm
Initiale Gelenkspaltverschmälerung Doppeldaumen
III Deutliche Subluxation des Metakarpale 1 Die Einteilung richtet sich nach der Höhe der Doppeldaumenanlage.
Osteophyten >2 mm . Tab. 87.35 zeigt die Klassifikation nach Wassel (1969).
Deutliche Gelenkspaltverschmälerung

IV Ausgeprägte Subluxation des Metakarpale 1


. Tab. 87.35 Klassifikation der Doppeldaumenanlage nach Wassel
Zystische/sklerotische Umbauvorgänge
(1969)
Gelenkdestruktion
Typ Kennzeichen

I Inkomplette Verdopplung des Endgliedes mit Fusion in


Knopflochdeformität Höhe des Schaftes oder der Basis
Definition. Posttraumatische Deformität nach unversorgter Läsion II Komplette knöcherne Doppelanlage des Endgliedes
des Streckapparates im Mittelgelenkbereich mit Durchtrennung des
III Inkomplette Verdopplung des Grundgliedes mit Fusion in
Mittelzügels. Durch die Beugung des Grundgliedköpfchens, das wie
Höhe des Schaftes oder der Basis
durch ein Knopfloch hindurchtritt, wird die aktive Streckung des
Mittelgelenks blockiert, während das Endgelenk gleichzeitig ge­ IV Knöcherne Doppelanlage des Grundgliedes und End­
streckt oder überstreckt wird. gliedes
V Doppeldaumen in Höhe des MP-Gelenks mit inkompletter
Schwanenhalsdeformität Doppelanlage des MHK 1
Definition. Fingerfehlstellung mit Überstreckung des Mittelgelenks
VI Knöcherne Doppelanlage des MHK 1, der proximalen und
bei gleichzeitiger Beugung des Endgelenks. Ursächlich sind Trau­ distalen Phalanx
mata (Läsion der Strecksehnen, Tractus intermedius im Bereich des
Endgelenks, Beugesehnenverletzungen, Entzündungen wie rheuma­ VII Doppelanlage mit einer doppel- und einer dreistrahligen
(triphalangealen) Phalanx
toide Arthritis).

87.8.6 Handfehlbildungen Makrodaktylie


Die verschiedenen Klassifikationen sind in . Tab. 87.36 bis
. Tab. 87.34. . Tab. 87.38 dargestellt.

. Tab. 87.34 Handfehlbildungen (Einteilung nach Swanson 1976) . Tab. 87.36 Klassifikation der Makrodaktylie nach Temtamy
u. McKusick (1978)
Gruppe Kennzeichen
Typ Kennzeichen
1 Mediane Spalthand ohne Beteiligung des Daumens
oder Kleinfingers I Makrodaktylie 4 Typ IA: Echte Makrodaktylie mit Hyper­
als isolierte plasie des Knochens
2 Medioradiale Spalthand mit Daumenbeteiligung, aber
Anomalie
erkennbarem Restfinger 4 Typ IB: Pseudomakrodakylie ohne Kno-
chenhypertrophie, Weichteilgigantismus
3 Radiale Spalthand mit Daumenaplasie
durch Hämangiome, arteriovenöse Fisteln,
4 Medioulnare Spalthand mit Kleinfingerbeteiligung, aber Lymphödem (Schnürringkomplex)
erkennbarem Restfinger
II Partieller 4 M. von Recklinghausen (Neurofibromatose)
5 Ulnare Spalthand mit Kleinfingeraplasie Riesenwuchs
4 M. Ollier (Enchondromatose)
als Teil eines
Syndroms 4 Mafucci-Syndrom

4 Klippel-Trenaunay-Weber Syndrom

4 Proteus-Syndrom, CLOVE Syndrome, IHH


(isolierte Hemihypertrophie)

4 M. Milroy
846 Kapitel 87 · Klassifikationen

4 Schnürring mit distalen Weichteilfusionen,


. Tab. 87.37 Klassifikation der echten Makrodaktylie nach De Lau- 4 intrauterine Amputationen.
renzi (1962)

Typ Kennzeichen 87.9 Komplexes regionales Schmerzsyndrom


Statische Form Die Makrodaktylie besteht seit Geburt und
nimmt proportional zum Wachstum zu
Das CRPS (»complex regional pain syndrome«) wird u. a. gemäß
. Tab. 87.41 eingeteilt.
Progressive Form Die Makrodaktylie zeigt ein übermäßiges und
fortschreitendes Wachstum mit Ausdehnung
nach proximal . Tab. 87.41 Stadieneinteilung des CRPS

Typ Synonyme Kennzeichen


. Tab. 87.38 Klassifikation der Makrodaktylie nach Dell (1985
CRPS Typ I »reflex sympa- CRPS, das nach Trauma oder
thetic dystrophy« Immobilisation einer Extremität
Typ Kennzeichen (RSD), M. Sudeck auftritt, jedoch ohne spezifische
Nervenschädigung
I Mit lipofibromatösen Hamartomen der peripheren Nerven
CRPS Typ II Kausalgie CRPS, das nach einer Nervenver-
II Mit Neurofibromatosen
letzung auftritt, aber nicht not-
III Mit ausgeprägten Hyperostosen; keine nervalen Verände- wendigerweise auf den Ort der
rungen, sondern blumenkohlartige, gelenknahe Exostosen Verletzung beschränkt ist
mit zunehmender Einsteifung

Die Einteilung in Schweregrade (. Tab. 87.42; Stanton-Hicks et al.


1995; Oaklander 2006) ist nicht immer trennscharf, da sich einzelne
Kamptodaktylie Symptome überschneiden können und das Fortschreiten der Er­
Definition. Angeborene Beugekontraktur des Fingermittelgelenks; krankung interindividuell sehr unterschiedlich ist. Von einigen Au­
autosomal-dominanter Erbgang. toren wird zusätzlich noch ein Grad 4 definiert, der durch Störungen
Die verwendeten Klassifikationen sind in . Tab. 87.39 und des Immunsystems, generalisierte Ödeme und den Wechsel von Hy­
. Tab. 87.40 gezeigt. potonie und Hypertonie gekennzeichnet ist.

. Tab. 87.39 Klassifikation der Kamptodaktylie nach Benson et al. . Tab. 87.42 Schweregradeinteilung des CRPS
(1984)
Grad Stadium Kennzeichen
Typ Kennzeichen
1 Akutes Stadium Umschriebener Schmerz am Ort

87 I Kindliche Kamptodaktylie (ca. 0–3 Monate)


mit lokalen Ent-
der Verletzung
Hyperästhesie
II Adulte Kamptodaktylie
zündungszeichen Weiche Ödeme
III Kamptodaktylie im Rahmen eines Syndroms Muskelkrämpfe
Bewegungseinschränkung
Hyperhidrosis

2 Dystrophisches Zunehmender, diffuser wer-


. Tab. 87.40 Klassifikation der Kamptodaktylie nach Frank et al.
Stadium (ca. 3–6 dender Schmerz
(1996): Einteilung nach dem Grad der Beugefehlstellung
Monate) mit Induriertes Ödem (Livedo)
Gelenksteife Wachstumsstörungen von Haa-
Stadium Kennzeichen
ren und Nägeln (Dystrophie)
Osteoporose
I Streckdefizit mit geringer oder ohne Hautverkürzung
Beginnender Muskelschwund
II Beugekontraktur <50° Mitunter zusätzlich subkutane
Gewebeeinblutungen
III Beugekontraktur >50° mit mäßiger oder ausgeprägter
Hautverkürzung 3 Atrophisches Nicht mehr lokalisierbarer
Stadium = End- Schmerz
stadium Irreversible Gewebeatrophie
Generalisierung der Beschwerden
87.8.8 Schnürringsyndrom (4) Zusätzlicher von manchen Auto-
ren postulierter Grad
Die Schweregrade des Schnürringsyndroms (ADAM: »amniotic Gekennzeichnet durch Stö-
deformity adhesions mutilations«; amniotische Schnürfurchen) sind rungen des Immunsystems,
(nach Patterson 1961): generalisierte Ödeme und den
4 einfacher Schnürring, Wechsel von Hypotonie und
4 Schnürring mit distaler Deformität (Lymphödem), Hypertonie
87.11 · Malignome
847 87
87.10 Arthrosis deformans 87.11 Malignome
Die Arthrosezeichen sind: 87.11.1 Melanom
4 Verschmälerung des radiologischen Gelenkspalts,
4 subchondrale Sklerosierung im Bereich größter mechanischer 7 Kap. 32.1.1 und . Tab. 87.43 bis . Tab. 87.45.
Belastungen,
4 Subluxation,
4 Ostophyten- und Spangenbildung in weniger belasteten Rand­
bereichen, . Tab. 87.44 Stadieneinteilung (UICC 1992) des Melanoms
4 zystische Erosionen (Geröllzysten, transkortikale Synovialis- nach Hermanek u. Sobin (1997)
und Knorpelimpressionen),
4 Destruktion des Gelenks im Endstadium: Einbruch und Zerstö­ Stadium pT N M
rung des gelenkbildenden Knochens.
Stadium I pT1, pT2 N0 M0

Stadium II pT3 N0 M0

Stadium III pT4 N0 M0


jedes p N1, N2 M0
. Tab. 87.43 TNM-Klassifikation des Melanoms (UICC; nach Witte-
kind u. Meyer 2010) Stadium IV jedes pT jedes N M1

Kennzeichen

pT Primärtumora
. Tab. 87.45 Stadieneinteilung nach den Empfehlungen der Deut-
pTX Primärtumor kann nicht beurteilt werden schen Dermatologischen Gesellschaft nach Orfanos et al. (1994)
pT0 Kein Primärtumor
Stadium pT N M 10-Jahres-
pTis Melanoma in situ (Clark-Level I) Überle-
pT1 Tumordicke ≤0,75 mm und Clark-Level II bensrate

pT2 Tumordicke 0,76–1,5 mm und/oder Clark-Level III Stadium IA pT1 (≤0,75 mm)* N0 M0 97%
pT3a Tumordicke 1,51–3,0 mm und/oder Clark-Level IV Stadium IB pT2 (0,76–1,5 mm)* N0 M0 90%
pT3b Tumordicke 3,01–4,0 mm und/oder Clark-Level IV Stadium IIA pT3 (1,51–4,0 mm) a
N0 M0 67%
pT4a Tumordicke >4,0 mm mm und/oder Clark-Level V Stadium IIB pT4 (>4,0 mm)* N0 M0 43%
pT4b Satelliten innerhalb von 2 cm vom Primärtumor Stadium IIIA pTa, pTbb N0 M0 28%
N Regionäre Lymphknoten Stadium IIIB jedes pT N1, N2 M0 19%
NX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden Stadium IV jedes pT jedes N M1 3%
N0 Keine regionären Lymphknotenmetastasen a Die pT-Klassen werden nach der vertikalen Tumordicke nach
Breslow festgelegt, nur bei fehlender Tumordickenangabe wird der
N1 Metastase(n) 3 cm oder weniger in größter Ausdehnung in
Invasionslevel nach Clark in Anlehnung an die TNM-Klassifikation
irgendeinem regionären Lymphknoten
herangezogen.
N2 Metastase(n) mehr als 3 cm in größter Ausdehnung b
Satelliten-Metastasen werden als pTa und In-transit-Metastasen als
in irgendeinem regionären Lymphknoten und/oder pTb bezeichnet.
In-transit-Metastasenb

N2a Metastase(n) mehr als 3 cm in größter Ausdehnung

N2b In-transit-Metastase(n)
87.11.2 Basalzellkarzinom
N2c Metastase(n) mehr als 3 cm in größter Ausdehnung und
In-transit-Metastase(n) Die histologische Subtypisierung der Basalzellkarzinome basiert auf
M Fernmetastasen unterschiedlichen Differenzierungsmustern, die auch in der aktu­
ellen histologischen Klassifizierung der WHO zum Ausdruck kom­
M0 Keine Fernmetastasen
men (Lever u.Schaumburg-Lever 1990; Heenan et al. 1996). Die in
M1a Befall von Haut, Subkutis oder Lymphknoten jenseits der . Tab. 87.46 dargestellte Einteilung hat sich in der Praxis bewährt
regionären LK (7 Kap. 32.2.2).
M1b Viszerale Metastasen
a Bei Diskrepanzen zwischen Tumordicke und Clark-Level richtet sich
die pT-Kategorie nach dem jeweils ungünstigsten Befund.
b In-transit-Metastasen sind Metastasen der Haut oder Subkutis, die
mehr als 2 cm vom Primärtumor entfernt, aber nicht jenseits der
regionären Lymphknoten liegen.
848 Kapitel 87 · Klassifikationen

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Stichwortverzeichnis

P. M. Vogt, Praxis der Plastischen Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-540-37573-9,


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
852 Stichwortverzeichnis

A –

Fuß 225
– Komplikationen 262
Areola
– banking 645
A-zu-M-Verschluss 100 – – Operationsprinzipien 260 – Rekonstruktion 645
Abbé-Lappen 150, 153 – Grad der Behinderung/Minderung Arm
Abbreviated Burn Severity Index (ABSI) 653 der Erwerbstätigkeit 249 – Amputation 246, 248
ABCDE-Regel 280 – Hand 246, 520 – Anatomie
Abdomen – Höhe – – Handmuskulatur 446
– Adipositas 728 – – obere Extremität 246 – – Muskelkompartimente 548
– apertum 180 – – untere Extremität 256 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
– Bodylift 718 – Komplikationen 248, 262, 265 237
– Dermolipektomie 719 – Ohr 134, 137 – CRPS 594
– Fettschürze 718, 722, 730 – postoperatives Management 249, 263 – DASH-Fragebogen 830
– Gastroschisis 178 – Replantation 246 – Ellbogenfunktion 381, 385, 394
– Hernie 178 – Salvage 226 – Ersatzoperation, muskuläre 390
– Liposuktion 719 – Schnittführung 257 – Fehlbildung 802
– Nahttechnik, /-material 47 – Spare-part-Konzept 265 – Froment-Test 425
– Omphalozele 178 – Stumpfkorrektur 265 – Gewichtsreduktion, massive, Formkorrektur
– Rekonstruktion Bauchwanddefekt 178 – Stumpfprobleme 315 754
– Wundverschluss 178 – Stumpfverlängerung 312 – Kennmuskeln Plexus brachialis 344
Abdominoplastik 718 – subtotale, Definition 843 – Kompartmentsyndrom 548
ABSI-Score (Abbreviated Burn Severity Index) – totale, Definition 843 – Kontraktur 548
653 Amputationsneurom 248 – Krukenberg, Operation nach 248
Achillessehnenrekonstruktion 228 Amputationsverletzung – Mittelfingertest 420
Acrylat 54 – Hand 520, 524 – Motor Grading Scale des British Medical
Adenomyoepitheliom, Mamma 621 – Ischämiezeit 524 Research Council 343
Adipositas – Kind 526 – Nevenschädigung 355, 366
– bariatrische Operation 728 – Transport Amputat 524 – Neurotisation 382
– Bodycontouring 729 amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 364 – Parese 371
– Klassifikation 728 Analgesie 26, 28 – Plexus, Untersuchungsbogen 828, 829
Advancement, frontoorbitales 777 Anästhesie – Plexus-brachialis-Parese 342, 839, 840
Advancement-Lappen, einfacher 141 – Facelift 688 – – Therapie 381, 386
Aitken, Klassifikation Fingerfrakturen nach 478 – Lappenplastik 100 – Pronatorsyndrom 422
Aknenarben – Leitungsanästhesie 69 – Prothese 250
– Dermabrasio 677 – Lokalanästhesie 68 – Rekonstruktion 210
– Laser-Resurfacing 678 – Nervenblockade 68 – Spendernerv 382
– Peeling 675 – Tumeszenzanästhesie 70 – Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS) 425
– Needling 682 Angiographie in der Handchirurgie 463 – Supinatorsyndrom 420
Akrosyndaktylie 803, 845 Angiom 300 – Tetraplegie 390, 394
Akrozephalosyndaktyliesyndrom 772 Angiomatose 297 – Volkmann-Kontraktur 551
Aktivkohleverband 14 Angiosarkom 300 – Wartenberg-Syndrom 421
Alexander, Sandwichtechnik zur Spalthaut­ Angiosom 91, 171 – Weichgewebstumor, maligner 312
gewinnung nach 662 Anisomastie 796 Arsen 286
Alginat 14 Antia u. Buch, Resektion nach 135 Arterie, VTE-Prophylaxe 23
Allen-Test 452 Ankylose 560 Arthrographie in der Handchirurgie 463, 469
Allgöwer-Naht 49 Anogenitalregion Arthrogryposis multiplex congenita 810
Allograft 78 – Dekubitus 190 Arthrose
Allotransplantation 236 – Hypertelorismus-Hypospadie-Syndrom 774 – Arthrosis deformans 847
α-Hydroxysäure 673 – Rekonstruktion 203 – ausgebrannte 560
Altersflecken 276 – Tumor, maligner 186, 310 – Denervation 412
Altershand 757 Antibiotika – Hand 560
Amastie 793 – Infektion Hand 532 – Handgelenk 565
Amputation – Wundheilung 17 – Zeichen 847
– Arm 246 Antikoagulation 20 ASA-Klassifikation 20, 835
– Bein 225 AO-Klassifikation ASSH-Klassifikation der Handfehlbildung 802
– – Komplikationen 262, 265 – Radiusfraktur 837 Ästhetische Chirurgie
– – Operationsprinzipien 257 – Skaphoidfraktur 838 – Aufklärung 25
– Definition 523 Apert-Syndrom 815 – Nikotinabusus 687
– Elektrotrauma 654 – Gesicht 772 – VTE-Prophylaxe 24
– Extremität – Hand 802, 809 Atasoy, palmare VY-Dehnungslappenplastik nach
– – obere 246 Aplasie 792 497
– – untere 225, 255–265 Apostasis otis 712 Atemhilfsmuskulatur, Thoraxwandrekonstruktion
– Finger 246 Arbeitsunfähigkeit, Definition 823 164, 175
Stichwortverzeichnis
853 A–C
Athelie 793 Becken Body-Mass-Index (BMI) 728
Aufklärung 25 – Dekubitus 184, 190 – Abdominalplastik 719
– Ästhetische Chirurgie 25 – Kompressionssyndrom 430 – Total Bodylift 722
– – Nase 700 – Lappenplastik 187 Bodycontouring 729
– – Rejuvenation 670 – Nervenschädigung 432 Bodylift 730
– Bluttransfusion 26 – Tumor, maligner 184, 187 – Total Bodylift 722
– Eigenblutspende 26 Begutachtung 822 – Upper Bodylift 718
– Haarentfernung 37 Bein Bogensehnenphänom 522
– Schmerzen, postoperative 26 – Amputation 255, 262 Borderline-Störung, Narbe 683
– Thoraxwandrekonstruktion 164 – – Unterschenkel 257 Borggreve-van Nes, Umdrehplastik 258
– Weichgewebstumor, maligner 307 – Ästhetische Chirurgie 760 bow-stringing 554
Auge – CRPS 594 Bowen, Morbus 286
– Hypertelorismus 841 – Denervation 415 Bowers, Ulnakopfhemiresektion und
– Hypotelorismus 841 – Fußheberlähmung 364 Kapselinterposition nach 563
– N.-facialis-Parese 335 – Knie, nervale Versorgung 415 Brachioplastik, Gewichtsreduktion 757
– Ota-Nävus 276 – Kompressionssyndrom 430 Brachydaktylie 802, 804
– Schädelfehlbildung 770 – Liposuktion 760 Brachysyndaktylie 802
– Telekanthus 841 – Meralgia paraesthetica 430 Brachyzephalus 769
Augenbraue, Facelift 692 – Nevenschädigung 362, 404, 430–436 brain-derived neurotrophic factor (BDNF) 324
Augenlid – Reithosendeformität 760 Brand, Sehnentransfer nach 375
– Anatomie 140 – Rekonstruktion 224 Brandverletztenzentrum 657
– Ektropium 145 – Stelze, biologische 404 Brandverletzung 7 Verbrennungsverletzung 650
– Entropium 147 – Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes BRCA1-Gen/breast cancer gene 625
– Ptosis/Blepharoptosis 147 258 Brent, Ohrknorpeltransplantation nach 136
– Rekonstruktion 140 – Weichgewebstumor, maligner 312 Breslow, Klassifikation nach 584
Austauschplastik 90 Bell-Parese 334 Bridle procedure 407
Autograft 78 Benelli, periareoläre Straffung nach 750 Brückenlappen 90
AV-Fistel, AV-Malformation 300 Bennett-Fraktur 485 – Gesicht 119
Avulsion, Ohr 134 Bernard-(Burow-)Operation 151, 153 – Schnittführung 119
axial pattern flap 840 Berufskrankheit 823 Brunner, Hautinzision nach 513, 590
Axon 322, 324, 330 Berufsunfähigkeit 822 Brust 7 Mamma
– Plexus-brachialis-Parese 345 best of parts 805 Brustwand
Axonotmesis 323, 331, 839 Beugesehnen Hand, Zoneneinteilung 843 – Brustrekonstruktion nach Tumorchirurgie 636
Azetylsalizylsäure (ASS) 20 Bewusstseinsstörung, GCS 835 – Interponat, synthetisches 165
bilobed flap 88 – Lappenplastik 165
– Gesicht 116 – Rekonstruktion 164

B – Schnittführung 116
Biobrane 660, 663
– – Weichgewebstumor, maligner 310
Buck-Gramcko, Zeigefingerpollizisation nach 601
Baker, Kapselfibrose 741, 841 Biopsie, Technik 272 buddy-taping 483
banana peel flap 100 bipedicled flap 119 Bundesknappschaft 823
bariatrische Operation 728 Bissverletzung Büngner-Band 324
Basalzellkarzinom 283 – Hand 511, 536 Bupivacain 68
– Hand 584 – Mensch 533, 536 buried penis 199, 206
– Typen 284 – Ohr 134 Burkhalter, Transposition des M. extensor indicis
Basedow, Morbus, Augenlidchirurgie 148 – Tier 533, 536, 541 nach 373
Bauchnabel, Abdominoplastik 719 – Wundversorgung 533 Burow-Dreieck 88, 105
Bauchwand – Zahnschlagverletzung 537 Busch-Fraktur 511
– Abdominoplastik 718 Blasenexstrophie 198
– Anatomie 719 Blauth, Klassifikation der Daumenhypoplasie
– Perfusion, Hugier-Zoneneinteilung 719
Bauchwanddefekt 178
nach 601
Blauth, OP-Grundsätze nach 812
C
– Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) Blauth u. Borisch, Klassifikation der Spaltfuß­ Café-au-lait-Flecken 37
239 bildung 815 Camitz, Transposition des M. palmaris longus nach
– Gastrochisis 178 Blepharoplastik Ober-/Unterlid 695 373
– Hernie 178 Blepharoptosis 147 Campbell, Stadieneinteilung Dekubitalulzera
– – Abdominalplastik 722 Blindenschrift 496 10
– Omphalozele 178 Blutegeltherapie 56 Caput-ulnae-Syndrom 574
– Operationsplanung 178 Blutstillung 54 Carcinoma in situ der Mamma
– Wundverschluss 178 Bluttransfusion 26 – duktales 626
Baux, Verbrennungsindex nach 653 – Tumorresektion 307 – lobuläres 621
Bayne u. Klug, Klassifikation der radialen Blutung, perioperative Carpenter-Syndrom 772
Klumphand 605 – Antikoagulanzien 23 Charcot-Fuß 9
854 Stichwortverzeichnis

Chen-Klassifikation der funktionellen Ergebnisse – – Zweitzehentransplantation 605 Duchenne-Hinken 363


nach Replantation der oberen Extremität 530 – Replantation 522, 600 Duchenne-Lähmung 342
Chimärenlappen 112 – Rhizarthrose 561 Dufoumentel-Lappen 90, 119
Chondrosarkom 297 – Skidaumen 483 Duktektasie 622
ciliary neurotrophic factor (CNTF) 324 Débridement Dupuytren-Kontraktur 588
Clark, Infiltrationstiefe nach 282 – Dekubituschirurgie 184 Dysfunktion, erektile (Schädigung N. pudendus)
clasped thumb 808 – Prinzip 40 431
Cleland-Band 444 – Tumorchirurgie 184 Dysostosis
Coleman-Verfahren zur Fettinjektion der Hand Decoulx, Klassifikation der Lunatummalazie nach – acrofacialis 773
757 844 – craniofacialis 768, 772
complex regional pain syndrome (CRPS) 594 deep plane advancement 124 – mandibulofacialis 773
– Klassifikation 846 deep plane dissection 125 – otomandibularis 773
Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) Dejerine-Klumpke-Lähmung 342 Dysplasie
236 Dekubitus – kraniofaziale 768
Composite Graft 85 – Becken/Leistenregion 190 – okuloaurikulovertebrale 774
Contergan 808 – Definition 184
Converse-tunnel-Defektdeckung 136 – Fuß 226
Cornu cutaneum 273
Crikelair-Lappen 135
– Operationsindikation 184
– Prädilektionsstellen 184
E
Cross-face-Anschluss 336 – Stadieneinteilung nach Campbell 10 ear banking 138
Cross-face-Nerventransplantat 338 Deltaphalanx 804 Eaton-Littler, Rhizarthrose des Daumens nach
Cross-finger-Lappen 247, 497, 501, 503, 504, Deltopektorallappen, Kopf-Hals-Region 161 562
523, 543 Dendrit 322 Eigenblutspende 25
cross-hatching 49 Dermabond 65 Eingriffsgröße 20
Cross-leg-Lappen 90 Dermabrasio 670 Einschlusszyste, epidermale 578
Crouzon-Syndrom – Durchführung 676 Einzelknopfnaht 48
– Gesicht/Schädel 772, 775 – Vorbehandlung der Haut 672 Ektropion 335
– Hand 809 Dermatofibrosarcoma protuberans (DFSP) 585 Ektropium 145, 297
CRPS 7 complex regional pain syndrome Dermatolipektomie Elektiveingriff
Cup-Cone-Verfahren 575 – Abdomen 719 – Aufklärung 25
Cutis laxa, Medical Needling 682 – Arm 754 – Nikotinabusus 687
Cyanoacrylat 65 Dermatom 78, 662 – Patientenvorbereitung 20
Cystosarcoma phylloides, Mamma 621 Dermistransplantation 83 – – Rejuvenation 670
Dermolipektomie – VTE-Prophylaxe 24
– Abdomen 719 Elektromyographie (EMG) 328

D – Gesäß, Oberschenkel 760


Desmoidtumor 296, 297
Elektrotrauma 653
Ellbogenbeugung 381, 385
Darrach, Ulnakopfresektion nach 563 Diabetes mellitus Ellbogenstreckung 381, 394
DASH-Fragebogen 830 – Infektion 532 Enchondrom 581
Daumen – Kompressionssyndrom 430 Endonuklease 287
– Anatomie 444, 508 – Wundheilung, gestörte 9 Energiemehraufwand nach Amputation
– Aplasie 806 Diagnostik der unteren Extremität 255, 259
– Bänder, stabilisierende 482 – Bildgebung 458 Enthaarung, präoperative 25
– Denervation 415 – Elektiveingriff 20 Entropium 147
– Faktur 485 – Routineuntersuchung 20 Ephelis 276
– – Bennett-Fraktur 485 Dieffenbach, postaurikulärer Lappen nach 136 Epicell 663
– – Rolando-Fraktur 486 disabilities of arm, shoulder and hand 830 Epigard 663
– – Winterstein-Fraktur 486 Discus ulnocarpalis 472, 474 Epinephrin 68
– Fehlbildung 802, 804, 845 Dissoziation, skapholunäre 844 Epispadie 198
– Finkelstein-Test 453 dog ear 124, 720, 738 Epithelisierungsphase 6
– Greifformen 600 Donati-Naht 49 Epping, Resektionsarthroplastik bei Rhizarthrose
– Grind-Test 454 Doppelkinn 697 nach 562
– Großzehentransfer 601 Dorsalis-pedis-Lappen 226, 230, 231, 312 Erb-Duchenne-Lähmung 840
– Hypoplasie 806 Down-Syndrom, Handfehlbildung 809 Erb-Lähmung 342
– – Klassifikation nach Blauth 601 Drainage Erfrierung 654
– Infektion 532 – Amputation 264 – Ohr 134
– Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – Becken/Leistenregion 194 Erwerbsunfähigkeit, Definition 822
– Luxation 482 – Blutegeltherapie 56 Erythroplasie 286
– Rekonstruktion 496 – Lappenplastik Skalp 100 Escharotomie
– – Fingerpollizisation als Daumenersatz 601, – offene/geschlossene 55 – Elektrotrauma 654
602 – Sogstärke 55 – Verbrennungsverletzung 659
– – wrap-around flap 606 Dreiecksschädel 769 Esser-Lappen 142
Stichwortverzeichnis
855 C–F
Estlander-Lappen 150, 153 – Wundheilung, primäre 4 – schnellender 554
Expander 64 Fibroadenom, Mamma 621 – Schwanenhalsdeformität 508, 552, 574, 845
– Bauchwanddefekt 180 Fibrom 272, 273, 297 – Sehnenerkrankung, degenerative 554
– Skalp 101 Fibromatose 297 – Sehnenverletzung 508, 522
– Wange 124 – Dupuytren-Kontraktur 588 – Sensorik 496
Exstrophie 198 Fibrosarkom 297, 304 – Streckaponeurose 508
Exsudationsphase 4 Finger – Strecksehnenausriss, knöcherner 478, 508
Extremitäten – Amputation 246 – Tendovaginitis stenosans (TVS) 554
– Erhalt 224 – Anatomie 444 – Tenosynovitis, septische 537
– Lokalanästhesie 69 – Arthrodese 560 – Terminologie 444
– Nahtmaterial 47 – Arthrose 560 – trigger finger 554
– Nahttechnik 47 – Beugesehnen – Tumor
Exzisionsbiopsie 272 – – Anatomie 512 – – benigner 578
– – Infektion 537 – – maligner 584
– – Trauma 512 – Weichteiltrauma 496

F – Denervation 414
– Bänder, stabilisierende 482
– Versorgung, motorische 448
– Versorgung, sensible 444
Facelift 687 – Diagnostik Fingernagel
– minimal access cranial suspension lift (MACS) – – Bildgebung 458 – Infektion 535
689 – – Froment-Zeichen 359 – Schnittführung, nagelfalzschonende 535
– Nasolabialfalten 692 – – Mittelfingertest 420 – Trauma 478
– superfizielles muskuloaponeurotisches System – Dupuytren-Kontraktur 588 Finkelstein-Test 453, 555
(SMAS) 689 – Einschlusszyste, epidermale 579 Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttyps 280,
Faden – Ersatzoperation, motorische, nach Quer- 670
– geflochtener 46 schnittslähmung 397 floating forehead 768
– Mikrochirurgie 52 – Fehlbildung 802 4-Flügel-Lappen 100
– monofiler 46 – – Einteilung 845 Fluorocarbon-Polymer 65
– nichtresorbierbarer 46 – Fraktur Folienverband 15
– resorbierbarer 46, 47 – – Klassifikation 478, 838 Fontanellenweite 771
Fallfuß 364 – – Therapie 478, 479, 511 Formkorrektur
Fallhand 357, 372 – Hammerfinger 508 – Bein 762
Falten – Infektion 532, 535 – Gesicht 686
– Medical Needling 682 – Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – Hals 697
– Nasolabialfalten 692 – Knopflochdeformität 508, 845 – Mamma 643, 795, 797
– Rejuvenation 670 – Kombinationsverletzung 518 – Nase 700, 704
– – Dermabrasio 676 – Komplexverletzung 518 – obere Extremität 754
– – Laser-Resurfacing 678 – Krallenstellung 375 – Ohr, Otoplastik 712
– – Peeling 672 – Kuppe, defekte 496 Foucher-Lappen 376, 497, 501, 543, 544
Fanconi-Anämie 809 – Lappenplastik 542 Fournier-Gangrän 202
fascial partition 179 – Lassoplastik 375, 399 Fraktur
Faszie – Loge-de-Guyon-Syndrom 427 – Finger 838
– Fasziektomie 549 – Lokalanästhesie 70 – Kind 838
– Fasziensystem , superfizielles 722 – Luxation 482 – Klassifikation 836
– Nahtmaterial, -technik 51 – Mallet-Finger 508, 844 – Radius 837
– Transplantation 84 – Mukoidzyste 579 – Skaphoid 838
Fasziitis – N.-interosseus-anterior-Syndrom 422 Franceschetti-Zwahlen-Syndrom 773
– noduläre 297, 579 – Nerv Frau-zu-Mann-Transsexueller 205
– nekrotisierende (Hand) 541 – – Anatomie 448 Froment-Test, -Zeichen 359, 425
– proliferative 297 – – Schädigung 357, 357, 422 Frühmobilisation 21
Faustschluss, Tetraplegie 398 – – Tastsinn 496 Frykman, Klassifikation der Radiusfraktur nach
Fazialisparese 334 – Phlegmone 537 837
– Ektropium 145 – Pollizisation als Daumenersatz 601, 602 Funktionswiederkehr, motorische/sensible
Fehlbildung, Fuß 812 – Rekonstruktion 496 – Highet, Schema nach 331
Femoralisparese 404 – – Gewebetransfer, freier 503 – Seddon-Modifikation 349
Femur-Fibula-Ulna-Fehlbildung 813 – – Lappenplastik 496 Fuß
Fernlappenplastik 90 – – Spare-part-Transplantation 503 – Amputation 255, 259, 260
Fettinjektion, autologe – Replantation 523, 843 – Anatomie 415
– Altershand 757 – – Blutegeltherapie 57 – Apert-Syndrom 815
Fettschürzenresektion 719, 722, 729, 730 – rheumatoide Arthritis 574 – CRPS 594
Fetttransplantation 83 – Ringavulsionsverletzung 526 – Denervation 415
Fibrin – Ringbandstenose 554 – diabetischer 9
– Fibrinkleber 55 – Schnapp-Phänomen 574 – Fallfuß 364
856 Stichwortverzeichnis

Fuß – Venenschleife 226 – – Einteilung nach Tessier 841


– Fehlbildung 812 Gelenkdenervation 412 – Stirn
– Hackenfuß 365 Genitale – – Anatomie 104
– Hebung 406 – Ästhetische Chirurgie 206 – – Facelift 692
– Kompressionssyndrom 430 – Rekonstruktion 202 – – Rekonstruktion 104
– Lokalanästhesie 69 – Replantation 203 – superfizielles muskuloaponeurotisches System
– Morton-Metatarsalgie 435 Gesäß (SMAS) 689
– Nervenschädigung 362–365, 404–406, – Ästhetische Chirurgie 760 – Verbrennungsverletzung 666
433–436 – Liposuktion 760 Gewebeallotransplantation 237
– Parese 406 – Total Bodylift 722 Gewebebehandlung, atraumatische 40
– Rekonstruktion 229 Geschlechtsdifferenzierung Gewebeexpansion 64
– Röntgen 812 – gestörte 198, 199 – Rücken 173
– Sohlenhaut 259 – physiologische 198 Gewebeklebstoff 48
– Spitzfuß 364 Geschlechtsidentifikation, gestörte 198, 199, Gewebetransfer
– Weichgewebstumor, maligner 312 205 – alloplastisches Material 65
– Weichteildefekt 229 Geschlechtsumwandlung 205 – Composite Graft 85
Fußwurzelsynostose 813 Gesicht – Dermistransplantation 83
– Allotransplantation 236, 240 – Expander 64
– Anatomie – Faszientransplantation 84

G – – Augenlid 140
– – Lippe 150
– Fetttransplantation 83
– Hauttransplantation 78
Galaktographie 616 – – Nase 128 – Knochentransplantation 81
Ganglion 578 – – Wange 124 – Knorpeltransplantation 79
Gastrochisis 178 – Äthetische Chirurgie 686 – Lappenplastik (7 auch jeweils dort) 88
Gastroknemiuslappen 94, 227, 228, 265, 267, – Augenbraue 692 – Muskeltransplantation 84
311, 434, 840 – Blepharoplastik Ober-/Unterlid 695 – Nerventransplantation 84
Gaumenplatte 786 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) – Sehnentransplantation 84
Gaumenspalte 779, 784 237, 239, 240 Gewichtsreduktion, massive
GdB, Definition 822 – Einheit, ästhetische 679 – Abdominoplastik 718, 722
Geburtstrauma, Plexus-brachialis-Parese 342 – Entwicklung, embryonale 779 – Bodycontouring 729
Gefäß – Facelift 687 – obere Extremität 754
– Anastomosenring 65 – Falten – Wundheilungsstörung 725
– Becken/Leistenregion (Tumorchirurgie) 189 – – Medical Needling 682 Gicht, Hand 542, 560
– Clip 54, 65 – – Rejuvenation 670 Gigantomastie 736
– Coupler device 65 – Fehlbildung, kraniofaziale 768, 775 Gillies, Temporalistransposition nach 338
– Elektrokoagulation 54 – Formkorrektur 686 Glabella-Lappen 108, 129
– Finger – Hautalterung 670 Glasgow Coma Scale (GCS) 835
– – Komplexverletzung 522 – Lappenplastik Gliazelle 322
– – Replantation 529 – – Komplikationen 120 Gliedertaxe, Definition 823
– Flushen 23 – – Techniken 114 Glomustumor 300
– Hand – MACS-Lift (minimal access cranial suspension – Finger 581
– – Anatomie 448 lift) 689 Gluteallapen 203, 643
– – Angiographie 463 – Medical Needling 682 Glykolsäure 673
– – Diagnostik 452 – Mikrosomie 776 Goldenhar-Syndrom 774
– – Komplexverletzung 522 – N.-facialis-Parese 334 Gore-Tex 65
– – Replantation 529 – Nahtmaterial, -technik 47 – Bauchwanddefekt 179
– Kompartmentsyndrom 548 – Nase, Formkorrektur 700 Grad der Behinderung (GdB)
– Laserbehandlung 36 – Nävus 275 – Arm-/Handampuation 249
– Ligatur 54 – – Ota-Nävus 37, 276 – Definition 822
– Malformation 300 – Nervenblockade 68 Granulationsphase 5
– Mamma 614, 641 – Proportionen 686, 841 Granuloma pyognicum 300
– Muskelischämie 548 – Rejuvenation 670 Grayson-Band 444
– Nahtmaterial, -technik 51 – – Dermabrasio 676 Grazilislappen 161, 180, 202–205, 523, 643
– Nase 700 – – Laser-Resurfacing 678 Green, Einteilung der Ringbandstenosen
– Revaskularisation 523 – – Peeling 672 am Finger nach 554
– Strahlenulkus 291 – Rekonstruktion 114 Grind-Test 454
– Thromboembolie, venöse (VTE) 21 – – Augenlid 140 Gummizügel 60
– Trauma 224 – – Lippe 150 Gustilo, Unterschenkelfraktureinteilung 224
– Tumor, benigner 300, 581 – – Nase 128 Gutachen, ärztliches 822
– Übernähung 54 – – Wange 124 Gynäkomastie 748
– Vasokonstriktion 54 – Resurfacing 670 – Liposuktion 750
– Venenanastomose, automatisierte 65 – Spaltbildung 779 – Mastektomie 749
Stichwortverzeichnis
857 F–H

H –

Fehlbildung 802, 845
Fraktur
– Richtungszuordnung 444
– Ringavulsion 843
Haarentfernung – – metakarpale 487 – Ruhigstellung, postoperative 60
– ästhetische (Laser) 37 – – Mittelhand 487 – Schlüsselgriff (Tetraplegie) 397
– Rasur, präoperative 25 – – Skaphoid 489 – schnellender Finger 554
Hackenfuß 365 – Froment-Zeichen 359 – Schwurhand 358
Hallux valgus 815 – Ganglion 578 – Sehne
Hallux varus 815 – Gefäßtumor, benigner 581 – – Erkrankung, degenerative 554, 555
Hals – Gewichtsreduktion, massive, Formkorrektur – – Replantation 528
– Ästhetische Chirurgie 686 754 – – Strecksehnenfach 508, 528, 554, 842
– Formkorrektur 686 – Greiffunktion 394, 397 – – Verletzung 508, 522
– Liposuktion 697 – Griffformen 249, 600 – Supinatorsyndrom 420
– Nahtmaterial, -technik 47 – hand lifting 757 – Tendovaginitis de Quervain 453, 555
– Platysmadopplung 697 – Haut 444 – Tendovaginitis stenosans (TVS) 554
– Rekonstruktion 157 – – Tumor, benigner 578 – Terminologie 444
– Wirbelsäule, Nervenverletzung 354 – – Tumor, maligner 583, 584 – Tetraplegie 394
Haltetechnik, atraumatische 40 – Humpback-Deformität 489 – – Klassifikation 397
Hämangiom 36, 297, 300 – Infektion 532 – – Rekonstruktion 397
– Hand 581 – Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – Tumor
Hämangiomatose 300 – Kienböck, Morbus 566, 568 – – benigner 578, 581
Hämangioperizytom 297, 300 – Kleinert-Schiene 515 – – maligner 542, 583, 586
Hammerfinger 508 – Klumphand 601, 605 – Versorgung, motorische 448
Hämodilution 25 – Knochen – Versorgung, sensible 444
Hämoglobin 25 – – Anatomie 444, 459 – Wartenberg-Syndrom 421
Hämostyptikum 54 – – Tumor, benigner 581 – Zahnschlagverletzung 487, 511, 537
Hand – – Tumor, maligner 586 Handgelenk
– Allotransplantation 239, 240 – Knopflochdeformität 575 – Abrasionsarthroplastik 475
– Altershand 757 – Kombinationsverletzung 518 – Anatomie 444
– Amputation 246, 247 – Kompartmentsyndrom 548 – Arthrose 565
– Anatomie 444 – Komplexverletzung 518, 520 – Arthroskopie 468
– – Leitstrukturen bei Infektion 533 – Kontraktur 548 – – Traction-Tower 469
– – Muskelkompartimente 548 – – Dupuytren-Kontraktur 588 – – Zugang (Portal) 469
– Arthrodese 563 – – Volkmann-Kontraktur 552 – Diagnostik, bildgebende 458, 468
– Arthrose 560 – Kulissenphänomen 511 – Discus ulnocarpalis 472, 474
– Basallzellkarzinom 584 – Lappenplastik (postinfektiöser Defekt) 542 – Ganglion 578
– Beihand 376 – Lipom 580 – – Resektion 474
– Beugesehnen – Loge-de-Guyon-Syndrom 427 – Knorpelläsion 474
– – Anatomie 512 – Lokalanästhesie 69 – Phalen-Test 453
– – Dupuytren-Kontraktur 588 – Luxationsfraktur 487 – rheumatoide Arthritis 574
– – Replantation 528 – Melanom 584 – Ruhigstellung, postoperative 60
– – Trauma 512 – Muskelsystem, intrinsisches/extrinsisches – skapholunäres Band 472
– – Zoneneinteilung 843 445, 508 – SLAC wrist 567, 844
– Bissverletzung 511, 536 – N.-interosseus-anterior-Syndrom 422 – SNAC wrist 493, 565, 567, 844
– Brunner, Hautinzision nach 513 – Nahtmaterial, -technik 47 – Synovialektomie 474
– Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA) – Nerv – Wafer resection 475
237, 239, 240 – – Anatomie 448 Hannover-Klassifikation von Frakturen und
– CRPS 594 – – Blockade 478 Weichteiltraumata 224
– DASH-Fragebogen 830 – – Schädigung 357, 371–375, 420 Harnblasenkatheter 25
– Denervation – Parese 372 Haut
– – Finger 414 – Phlegmone 539 – Abdominoplastik 718
– – Handgelenk 413 – Plattenepithelkarzinom 583 – Alterung 670
– Diagnostik – Plexus-brachialis-Parese 343, 352 – Angiektasie 300
– – Anamnese 450 – Preiser, Morbus 569 – Antiseptik 25
– – Arthroskopie Handgelenk 468 – Pronatorsyndrom 422 – Basalzellkarzinom 283
– – Bildgebung 458, 468 – Prothese 249 – – Typen 847
– – Tests, spezifische 453 – Quetschtrauma 519 – Biopsie 272
– – Untersuchung, klinische 450 – Rekonstruktion 210 – Bodylift 718
– Einschlusszyste, epidermale 578 – Replantation 523 – Cutis laxa, Medical Needling 682
– Erysipel 540 – – Daumen 600 – Desinfektion 25
– Fallhand 357, 372 – – Indikationen 843 – Dicke 670
– Fasziitis, noduläre 579 – rheumatoide Arthritis 542, 574 – Ersatz 16,
– Faustschluss (Tetraplegie) 398 – – Nervenengpasssyndrom 574 – – Material 660, 663
858 Stichwortverzeichnis

Haut
– Expander 106
Hebedefekt
– Dekubituschirurgie 190
I
– Facelift 687 – Lappenplastik 88 Immunsuppression
– Fitzpatrick-Klassifizierung des Hauttyps – Spalthaut 79 – Allotransplantation 238
670 – Verband 61 – Infektion 532
– Hand 444 Heidelberger Lagerung 193 – plastisch-chirurgischer Patient 236
– Hautinzision Hemiatrophia faciei progressiva 774 Implantat
– – Expander 64 Hemikorporektomie 262 – Dislokation 745
– – Hand, Technik nach Brunner 513 Hemipelvektomie 262 – Majorkomplikation 799
– Laser-Rejuvenation 35 Heparin 20 – Mammafehlbildung 799
– Makula 272 HER-2-Status 629 – Ruptur 743, 745
– Malignitätskriterien 272 Herbert, Klassifikation Skaphoidfrakturen nach Infektion
– Medical Needling 682 489 – CRPS 596
– Melanom 280, 847 Herbert u. Fisher, Klassifikationen der Skaphoid- – Hand
– Memory-Effekt 634 fraktur nach 838 – – Bissverletzung 536
– Mole, atypische 275 Hermaphroditismus 199 – – Erregerspektrum 532
– Naht Hernie – – Erysipel 540
– – evertierende 50 – Abdominalplastik 718 – – Gasbildung 540
– – fortlaufende 49 – Bauchwand 178, 180 – – Leitstruktur 533
– – intrakutan fortlaufende 49 – Narbenhernie 178 – – Panaritium 535
– – überwendlich fortlaufende 49 – Omphalozele 178 – – Paronychie 535
– Nase 700 Hibernoma 297 – – Phlegmone 537
– Nävus 272 hidden penis 199, 206 – – Tenosynovitis, septische 537
– Neurofibromatose 276 Highet, Schema der motorischen/sensiblen – – Therapie 532, 542
– Nodulum 272 Funktionswiederkehr nach 331 – – Zahnschlagverletzung 537
– Papula 272 Hirudo medicinalis 56 – Mastitis, periduktale 620, 622
– Photoaging 280, 670 Histiozytom 297, 304 – Verbrennungsverletzung 665
– Plaque 272 Hoffmann-Tinel-Zeichen 330, 453 Inhalationstrauma 655
– Plattenepithelkarzinom 285 Höhler, Mammareduktion nach 738 – Beatmung 658
– Präkanzerose 286 Holt-Oran-Syndrom, Handfehlbildung 809 Insellappen 116
– Pyoderma gangraenosum 541 Homograft 78 – Schnittführung 116
– Rejuvenation 670–678 Horner-Syndrom 343 Integra 663
– Replantation Hand/Finger 529 – Augenmotilität 147 intense pulse light (IPL) 35
– Sohlenhaut 259 Howship-Rhomberg-Syndrom 363 Interimsprothese 249
– Spalthaut 78 Huang, periareoläre Straffung nach 750 Intersexualität 199
– Spannungslinien, Hautspaltlinien 40, 42 Huber, Transposition des M. abductor digiti Instep-Lappen 232
– Strahlendermatitis 287 minimi nach 374 Intrinsic-plus-Lagerungsschiene 483
– Strahlenfolgen 290, 291 Hueston-Lappen 499, 543 Intrinsic-plus-Stellung 60
– Struktur 670 Hüfte Invaliditätsgrad, Definition 823
– Transplantation 78 – Amputation 262 Inzisionsbiopsie 272
– – Areola 645 – Denervation 412 Ischiasnerv, Schädigung 362, 404
– – Expander 64 – Kompressionssyndrom 430 Iselin, Stadieneinteilung der Dupuytren-
– – Fremdhaut 663 – Nervenschädigung 362, 363, 430, 432 Kontraktur nach 588
– – Hautbank 663 Hughes-Lappen 144 Interosseus-posterior-Lappen 220, 543, 544
– – Kunsthaut 663 Hugier, Zoneneinteilung der Bauchwandperfusion Ito-Nävus 272
– – Penis 202 nach 719
– – Rücken 171 Hühnerbrust 164, 169
– – Stirn 105
– – Verband 61
Humerusderotationsosteotomie 347
Hummerscherendeformität 813
J
– – Verbrennungsverletzung 661 Humpback-Deformität 489 Jackson-Test, Mammakarzinom 616
– Tumor Hydrochinon 672 Jessner-Lösung 672
– – benigner 272, 578 Hydrofaserverband 14, 15 jump graft 336
– – maligner 280, 283, 583, 847 Hydrogelverband 14 Juri, Klassifikation der Mammaasymmetrie nach
– – Rekonstruktion 156 Hydrokolloidverband 15 796
– Typ nach Fitzpatrick 280, 670 Hydrozephalus 776 juristische Aspekte 822
– Vollhaut 78 Hypertelorismus 774, 841 – Aufklärung 25
– Wundheilung Hypospadie 201 – – Weichgewebstumor, maligner 307
– – gestörte 8 Hypotelorismus 774, 841 – Bluttransfusion/Eigenblutspende 25
– – primäre 4 Hypothenar-Hammer-Syndrom 581 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
– Xeroderma pigmentosum 287 241
Hautspaltlinien 42 – Minderung der Erwerbstätigkeit nach Arm-/
Hautspannungslinien 40, 42 Handamputation 249
Stichwortverzeichnis
859 H–L
– Schmerzen, postoperative 26 Klumphand 601, 808 – Dupuytren-Kontraktur 588
– Transsexuellengesetz 205 – Klassifikation nach Bayne u. Klug 605 – Volkmann-Kontraktur 552
Klumpke-Lähmung 342, 840 Konturlinien 42
Knie, Rekonstruktion 227 Kopf-Hals-Region

K Knochen
– Altersbestimmung 460
– Lappenplastik 160
– Melanom 282
Kahnbeinnekrose 569 – Arthrose 560 – Rekonstruktion 156
Kamptodaktylie 802, 804, 846 – CRPS 594 Körpergewichtsreduktion, massive
Kanthusrekonstruktion 148 – Epiphysenfugen, Wachstumspotenz 265 – Abdominoplastik 718, 722
Kapandji-Sauvé, Fusionspseudarthrose des DRUG – Fraktur – Hannover-Klassifikation 224 – Bodycontouring 729
nach 563 – Osteoradionekrose 291 – obere Extremität 754
Kapitatumnekrose 570 – Osteosynthesematerial, alloplastisches 65 – Wundheilungsstörung 725
Kaposi-Sarkom 272, 300 – Rekonstruktion Körperoberfläche, verbrannte (VKOF), Ermittlung
– Hand 586 – – Hand 520 651
Kapselfibrose 741, 745, 841 – – Stirn 107 Körperstamm
Kapselkontraktur 741 – Replantation Hand/Finger 528 – Adipositas 728
Karapandjic-Lappen 150, 153 – Rotationsosteotomie des Humerus 385 – Ästhetische Chirurgie 718
– reverser 153 – Transplantation 79, 81 Kraftentwicklung, motorische 343
Karpalbogen (nach Gilula) 459 – Tumor Krallenzehen 404, 406
Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424 – – benigner 581 kraniofaziale Fehlbildung 768, 775
Kausalität, haftungsbegründende/ – – maligner 307, 586 Kraniosynostose 768, 776
haftungsausfüllende 824 Knochenwachs 54 Kranium, Anatomie 98
Keloid 16 Knochenzyste, aneurysmale 582 Kreuzband Hand, Anatomie 446
Keratinozyten-Sheet 79 Knopflochdeformität Krückenlähmung 357
Keratoakanthom 287 – Definition 845 Krukenberg, Operation nach 248
Keratose – rheumatoide Arthritis 575 Kryotherapie, Blutstillung 54
– aktinische 273, 274, 286 – Sehnenverletzung 508 Kulissenphänomen 511
– seborrhoische 273, 274 Knorpel Kürettage 272
– solare 286 – Abrasionsarthroplastik Handgelenk 475 Kutler-Lappen 497, 543
Kieferorthopädie 777 – Tumor, benigner 581
Kieferspalte 779, 782 Knorpel-Knochen-Transplantation 79
Kielbrust 164, 169
Kind
Knorpeltransplantation 79
Knoten
L
– Amputation 265 – Fadeneigenschaften 46 Labienhypertrophie 206
– Amputationsverletzung 526 – Techniken 48 Lagerung 25
– Bauchwanddefekt 180 – versenkter 49 – Dekubituschirurgie, Becken/Leistenregion
– Daumenhypo-/aplasie 600 Knotengleiten 46 193
– Formkorrektur Ohr 712 knuckle pad 588 – Dekubitusprophylaxe 184
– Fraktur 838 Koagulation 54 – Fußrekonstruktion 232
– Glasgow Coma Scale (GCS) 835 Koanalgetika 26 – intraoperative, bei Thoraxwanddefekt 166
– Hämangiomatose, neonatale 300 Kofferhenkel, Ohrrekonstruktion 136 – Plexus-brachialis-Parese 351
– Hauttransplantation 79 Koilomastie 798 – postoperative
– Marquardt, Wachstumsknorpeltransplantat Kollageninduktionstherapie, perkutane 681 – – Amputation der unteren Extremität 263
nach 267 Kolumnarzellhyperplasie, Mamma 621 – – Thoraxwanddefekt 175
– Plexus-brachialis-Parese, geburtstraumatische Koma, Glasgow Coma Scale (GCS) 835 – Verbrennungsverletzung 660
342 Kompartmentresektion 305 Lagerungsschaden 40
– Säuglingshämangiom 301 Kompartmentspaltung 549 Lagophthalmus 145, 335
– Weichteiltumor 304 – Hand 550 – N.-facialis-Parese 338
– – Sarkom 307 Kompartmentsyndrom LAHS-Nomenklatur der LKG-Spalten 781
Kinematographie in der Handchirurgie 462, – Arm 548 Lambdanaht 769
468 – Elektrotrauma 654 Langer, Hautspannungslinien 40
Kirchmayr-Kessler, Nahttechnik nach 514 – Hand 548 Lanz, gestaffelte Arthrolyse bei Dupuytren-
Kirchmayr-Naht 51 – Volkmann-Kontraktur 551 Kontraktur nach 592
Kirner-Deformität 804 komplexes regionales Schmerzsyndrom 594 lap band 728
Kleeblattschädel 769 Komponentenseparationsmethode 179 Lappenkonditionierung 94
Kleinert-Schiene 60, 515 Kompressionssyndrom Lappenplastik
Klinodaktylie 804 – obere Extremität 420 – Abbé-Lappen 150, 153
Klippel-Trénaunay-Syndrom – untere Extremität 430 – Advancement-Lappen 114, 141
– Fußfehlbildung 815 Kompressionsverband 54 – Allgemeines 88
– Handfehlbildung 809 Konchaknorpeltransplantation 81 – Anästhesie 100
Klippel-Trénaunay-Weber-Syndrom 255, 300 Kontraktur – Anogenitalregion 203
Klitorisgigantismus 199 – Arm 548 – Arm 214
860 Stichwortverzeichnis

Lappenplastik – – kutane 160 – Oberschenkellappenplastik


– Atasoy, palmare VY-Dehnungslappenplastik – – Vaskularisation 91 – – anterolaterale (ALT) 125, 161, 165, 187,
nach 497 – Kutler-Lappen 497, 543 544
– Augenlid 140 – Lappenpräparation, -konditionierung 94 – – posteriore (posterior thigh) 193, 194
– Austauschplastik 90 – Lappentraining 218 – Ohr 135
– axiale 88, 93, 840 – Leistenlappen 90, 93, 107, 203–205, 214, – Omentum-majus-Lappen 180
– A-zu-M-Verschluss 100 218– 220, 248, 501, 504, 521, 523, 526, 543, – Orticochea-Lappen 100
– banana peel flap 100 544, 600, 602, 609, 636 – O-zu-Z-Verschluss 100
– Bauchwanddefekt 178, 180 – Limberg-Lappen 106, 118 – Paraskapularlappen 40, 61, 101, 125, 126, 165,
– Becken/Leistenregion – Lippe 150 172, 187, 211–213, 229, 232, 310, 543, 544
– – Dekubitus 190 – Littler-Lappen 497, 500 – Perforatorlappen 93
– – Malignom 187 – LLL-Lappen 119 – Planung 93
– Bein 226 – M.-gastrocnemius-Lappen 94, 227, 228, 265, – postauriklärer Lappen (Dieffenbach) 136
– Bestandteile 88 267, 311, 434, 840 – Prälamination, Präfabrikation 94
– bilobed flap 88, 116 – M.-gracilis-Lappen 161, 202–205, 523, 643 – Primärverschluss 100
– bipedicled flap 119 – – Bauchwanddefekt 180 – Radialislappen 161, 166, 204, 214, 218, 230,
– Brückenlappen 90, 119 – M.-latissimus-dorsi-Lappen 214, 526, 523, 236, 543, 544, 550
– Chimärenlappen 112 544, 636 – Radiotherapie 291
– Crikelair-Lappen 135 – – Kopf-Hals-Region 160 – Random-pattern-Lappen 91
– Cross-finger-Lappen 247, 497, 501, 503, 504, – – Mammarekonstruktion 636 – Rautenlappen 100, 106, 118
523, 543 – M.-rectus-abdominis-Lappen 173, 180, 188, – Rekonstruktion
– Cross-leg-Lappen 90 640, 646 – – Mamille 644
– Dekubitus 190 – – Bauchwand­defekt 180 – – Mamma 637
– Delay 94 – – deep inferior epigastric perforator (DIEP) – Reversed-cross-finger-Lappen 501
– Deltopektorallappen, Kopf-Hals-Region 161 641 – Rhomboidlappen 100, 106, 118
– Dieffenbach, postaurikulärer Lappen nach – – extendierter VRAM 180 – Rotationsdehnungslappen, Skalp 100
136 – – freier 173 – Rotationslappen 88, 10, 106, 116
– Dorsalis-pedis-Lappen 226, 230, 231, 312 – – muskelsparender 640 – Rundstiellappen 119
– Dufoumentel-Lappen 90, 119 – – superficial inferior epigastric artery perfora- – Saphena-Lappen 49, 173, 189, 190, 258, 416,
– Esser-Lappen 142 tor (SIEAP) 646 522, 608, 609, 764
– Estlander-Lappen 150, 153 – – transverser (TRAM) 203 – Schrudde, Wangen-Hals-Rotationslappen 90
– fasziokutane 840 – – vertikaler (VRAM) 173 – Schulter 210
– – Klassifikation 93 – M.-rectus-femoris-Lappen 180, 311 – semizirkulärer Lappen 142, 148
– Fernlappenplastik 90 – M.-sartorius-Lappen 94, 180, 840 – Skalp 99, 111
– Finger 496, 497 – M.-soleus-Lappen 82, 226, 227, 230, 257, 258, – Skapulalappen 83, 165, 230
– – Komplexverletzung 523 762 – Song, Oberarmlappen nach 213
– 4-Flügel-Lappen 100 – M.-tensor-fascia-lata-Lappen 180, 188 – Steal-Phänomen 226
– Foucher-Lappen 376, 497, 501, 543, 544 – M.-trapezius-Lappen 111, 167, 173, 260, 840 – Stirn 104, 105, 128–130, 132, 148, 157
– freie – – Kopf-Hals-Region 160 – superiorer Glutäalarterienperforator-Lappen
– – Blutegeltherapie 56 – M.-vastus-lateralis-Lappen 191, 193, 215, 226, (SGAP) 174, 643
– – mikrovaskuläre 90 311 – Suralislappen 226–231
– – Verband 61 – Mastektomie 636 – tarsokonjunktivaler Lappen 144
– Fuß 226, 230 – Mc Gregor, gestielter Leistenlappen nach – Temporalislappen 111, 157
– gefäßgestielte 840 142, 218 – Tenzel-Lappen 148
– Gesicht 114 – Merle d’Aubigné, Radialisersatzplastik nach – thorakoepigastrischer Lappen 165
– – Komplikationen 120 349, 372 – Thoraxwanddefekt 165, 171
– gestielte 93, 840 – Mertakarpalarterienlappen, dorsaler (DMCA) – Tranquilli-Leali, palmare VY-Dehnungslappen-
– Glabella-Lappen 108, 129 501, 502, 543, 544 plastik nach 497
– Hand – Moberg, palmare Dehnungslappenplastik – Translationslappenplastik, bipedikuläre 90
– – Defekt, postinfektiöser 542 nach 498 – Transpositionslappenplastik 88
– – Handrücken 218 – M-Plastik 100 – – Stirn 106
– – Komplexverletzung 523 – Muskellappen, Klassifikation 93 – trilobed flap 116
– Hueston-Lappen 499, 543 – muskulokutane 840 – Tripier-Lappen 144
– Hughes-Lappen 144 – Mustardé-Lappen 142, 712 – tubed flap 119
– Immunsuppression 236 – mutton chop flap 180 – Türflügellappen 132
– Insellappen 116 – Nahai u. Mathes, Klassifikation des faszio­ – Turn-in-flap 132
– Instep-Lappen 232 kutanen Lappens 840 – Vaskularisation 91
– Interosseus-posterior-Lappen 220, 543, 544 – Nahlappenplastiktechniken 120 – Venkataswami und Subramanian, laterale
– Karapandjic-Lappen 150, 153 – Nase 129 Dehnungslappenplastik nach 499
– Klassifikation nach Nahai u. Mathes 840 – Oberarmlappen 213 – Venkataswami-Lappen 497, 499
– Kopf-Hals-Region 156, 157 – – posteriorer 214,215 – Verschiebeschwenklappen 88
– – Formen 88 – – lateraler 213, 214, 228, 523, 543 – Visierlappen 90, 107, 119
Stichwortverzeichnis
861 L–M


vorgeschnittene 95
Vorschublappen 100, 105
– Stirn 106
lines of maximum extensibility (LME) 118
M
– VY-Dehnungslappen 88 Lipoaspiration, Arm 754 M-Plastik 100
– VY-Vorschiebelappen 114 Lipoblastom 296, 297 M.-gracilis-Lappen, Bauchwanddefekt 180
– Wange 124 Lipom 272, 274, 296 M.-latissimus-dorsi-Lappen 214, 526, 523, 544,
– Wangen-Hals-Rotationslappen nach Schrudde – Hand 580 636
90 – Mamma 622 – Kopf-Hals-Region 160
– Washio-Lappen 129 Lipomatose 297 – Mammarekonstruktion 636
– Weichgewebstumor, maligner 310 Liposarkom 297, 304 M.-rectus-abdominis-Lappen, Bauchwanddefekt
– Windradlappen 100 Liposuktion 180
– W-Plastik 114 – Abdomen 719 M.-rectus-femoris-Lappen, Bauchwanddefekt
– wrap-around flap zur Daumenrekonstruktion – Bein 760 180, 311
601, 606 – Bodycontouring 730 M.-tensor-fascia-lata-Lappen, Bauchwanddefekt
– YV-Vorschiebelappen 114 – Gesäß 760 180
– Z-Plastik 91, 114 – Gynäkomastie 750 M.-trapezius-Lappen 111, 167, 173, 260, 840
Lappentraining 218 – Hals 697 – Kopf-Hals-Region 160
Larynx, Anatomie 156 – Mammareduktion 741 Madelung-Deformität 810
Laser – Tumeszenzanästhesie 70 Magnetresonanztomographie (MRT) in der
– Gewebeinteraktion 34 – Übersaugung 762 Handchirurgie 462, 468
– Hämangiom 301 – vakuumassistierte 719 Makrodaktylie
– Indikationen 35 Lippe – Fuß 815
– Körperbehaarung 37 – Anatomie 150 – Hand 802, 808
– Ota-Nävus 276 – Funktion 150 – Klassifikation 845
– physikalische Grundlagen 34 – N.-facialis-Parese 335, 336 Makromastie 736
– Rejuvenation 35 – Rekonstruktion 150 Makroreplantation 522, 527
– Resurfacing 670, 678 – Sekundärheilung 150 – Definition 843
– – Vorbehandlung der Haut 672 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte Makula 272
– Typen 34 – Einteilung nach Tessier 841 Mallet-Finger 508, 844
– Verbrennungsverletzung 666 – Klassifikation 780 Mamille
Latissimuslappen 160, 214, 526, 523, 544, 636 – Therapie 785 – Anatomie 614
Leiomyom 296, 297 Lippenkolobom 782 – Biopsie 617
Leiomyosarkom 297, 304 Lippenspalte 782 – Fehlbildung 792
Leistenlappen 90, 93, 107, 203–205, 214, Littler-Lappen 497, 500 – Hohl-/Schlupfwarze (Koilomastie) 798
218– 220, 248, 501, 504, 521, 523, 526, 543, LKG-Spaltbildung 779 – Hyperplasie 798
544, 600, 602, 609, 636 LLL-Lappen 119 – Karzinom 616
Leistenregion lobster claw 813 – Morbus Paget 629
– Dekubitus 184, 190 Lochtuch 25 – Rekonstruktion 637, 644
– Kompressionssyndrom 430 Löffelfuß 815 Mamillen-Areola-Komplex
– Lappenplastik 187 Löffelhand 815 – Brust, tuberöse/tubuläre 795
– Nevenschädigung 431 Loge-de-Guyon-Syndrom 427 – Fehlbildung 792
– Rekonstruktion 226 Lokalanästhesie – Hohl-/Schlupfwarze (Koilomastie) 798
– Tumor, maligner 184, 187 – Extremität 69 – Innervation 615
Leistungsvermögen, Definition 823 – Gesicht 68 – Klassifikation 736
Leiter, rekonstruktive 93 Lookwood-Dissektor 722 – Mamillenhyperplasie 798
Leitungsanästhesie 69 Puckett, Otoplastik nach 712 – Ptose 736
Lejour, Mammareduktion 738 Lunatummalazie, Klassifikation 844 – Rekonstruktion nach Tumorchirurgie 643
Lengemann-Naht 483 Lunatumnekrose 566, 568 Mamillotom 738
Lentigo 272 Lungenfunktion nach Thoraxwandrekonstruktion Mamma
– maligna 280 165 – Anatomie 614, 736
– solaris 37, 276 Lupus erythematodes 272 – Asymmetrie 796
Lepiscopo und Hoffer, Muskeltransposition nach Lyell-Syndrom 655 – Atypie, flache epitheliale 621
347 Lymphangiom 297 – Aufklärung 737, 741
Leukoplakie 286 Lymphangiosarkom 300 – Augmentation 741
Lichtman, Klassifikation der Lunatummalazie Lymphdrainage 28 – – Implantatform 743
nach 844 Lymphknoten – – Komplikationen 741, 745
Lid – Dissektion bei Melanom 282 – – Technik 743
– Blepharoplastik 695 – Gruppen 156 – Befunderhebung 737, 826
– N.-facialis-Parese 335, 338 – Neck Dissection 157 – Biopsie 617
Lidocain 68 – Weichgewebstumor, maligner 309 – Carcinoma in situ
Limberg-Lappen – – duktales 626
– Gesicht 118 – – lobuläres 621
– Schnittführung 118 – Double Bubble 795
862 Stichwortverzeichnis

Mamma – tuberöse/tubuläre 792, 794 Merle d’Aubigné, Radialisersatzplastik nach 349,


– Eigengeweberekonstruktion nach Tumor­ – Tumor, benigner 620 372
chirurgie 637 – Verband 61 mesh-graft 78, 662
– Eigengewebeverlagerung 745 – Zyste, solitäre 620, 622 Mertakarpalarterienlappen, dorsaler (DMCA)
– Entwicklung 614 Mammaaugmentation 501, 502, 543, 544
– epitheliale Läsion, benigne 620 – Fehlbildung 792 Mikrochirurgie, Instrumentarium 51
– Fehlbildung 792 – Verband 61 Mikropenis 201
– Frau-zu-Mann-Transsexueller 205 Mammographie 616 Mikroreplantation 843
– Gynäkomastie 748 – Gynäkomastie 748 Mikrosomie, hemifaziale 773
– Hyperplasie, atypische lobuläre/duktale 621 – Mammaaugmentation 743 Mikrozephalus 768
– Hypoplasie 793 – Mammareduktion 737 Milchleiste
– Implantat 743, 799 Mann-zu-Frau-Transsexuelle 205 – Fehlbildung 792
– Innervation 615 Marfan-Syndrom 164, 169 – Poland-Syndrom 798
– Kapselfibrose 741, 745 – Handfehlbildung 809 Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
– – Klassifikation nach Baker 841 Marquardt, Operationen nach 267 – Definition 822
– Karzinom Maschinenknoten 48 – Arm-/Handampuation 249
– – Beurteilung 629, 630 Mastektomie 627 Miniabdominoplastik 719
– – Brustrekonstruktion 634 – Gynäkomastie 749 minimal access cranial suspension lift (MACS)
– – Diagnostik 615, 616 – modifziert radikale 632, 635 689
– – Lymphsystem 615 – Rekonstruktion 636 Mittelfingertest 420
– – Mastektomie 627, 632, 635 – skin-sparing 637 Moberg
– – Metastasierung 628 Mastitis, periduktale 620, 622 – Operation nach (passiver Schlüsselgriff ) 397
– – Nottingham-Prognose-Index 629 Mastodynie 737 – palmare Dehnungslappenplastik nach 498
– – Prognose 626 Mastopathie Mobilisation, Nervenrekonstruktion obere
– – Risikofaktoren 625 – fibrös-zystische 620 Extremität 370
– – Therapie 627, 632, 635 – Mammadysplasie, Mastopathia cystica fibrosa Möbius-Syndrom, Handfehlbildung 809
– – Tumorrezidiv 632 622 Mod-Quad-Operation nach Shenaq 347
– – Typen 629 Matriderm 663 Moh, Technik nach 283
– – WHO-Klassifkation 627 Matrix, proteasemodulierende 15 Mole 280
– Lymphsystem 614 Mayer, M.-trapezius-Transfer nach 347 – atypische 275
– – Lymphangiosis carcinomatosa 629 Mayo-Klassifikation der intraartikulären Radius- Monheim-Röntgenaufnahme 460
– – Metastasierung 628 fraktur 837 Morbus Kienböck 566, 568
– – Sentinel-Lymphknoten 627, 632 Mc Gregor, gestielter Leistenlappen nach 142, – Klassifikation 844
– – TNM-Klassifikation 629 218 Morbus Ollier 581
– Makromastie 793 McLaughlin, Technik der Reanimation des Mund- Morbus Paget, Mamille 629
– Malignomrisiko 621, 622 winkels nach 337 Morbus Preiser 569
– Mann-zu-Frau-Transsexuelle 205 MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) Morbus Recklinghausen 276
– Mastektomie 627, 632, 635 – Definition 822 Morbus Sudeck 594, 846
– – Gynäkomastie 749 – Arm-/Handampuation 249 Morton-Metatarsalgie 365, 435
– Mastitis, periduktale 620, 622 Mechanorezeptor 839 Motor Grading Scale des British Medical Research
– Mastopathie 622 Medianusparese 372 Council 343
– Medical Needling 794 Medical Needling 682ff. Mukoidzyste 579
– Neoplasie, lobuläre 621 – Striae 794 Mundhöhle
– Papillom 620 MEEK-Verfahren 662 – Anatomie 156
– Poland-Syndrom 170, 793, 797 Meissner-Tastkörperchen 444, 839 – Leukoplakie 286
– Ptose 736 Melanom 280 – Rekonstruktion 161
– – Klassifikation 842 – ABCDE-Regel 280 musculofascial release 179
– Reduktion 736, 738 – gutartiges juveniles 276 Musikantenknochen 358
– – Aufklärung 737 – Hand 584 Muskel
– – Gynäkomastie 750 – Klassifikation, Diagnose 280, 281, 847 – CRPS 594
– – Komplikationen 738 – – Stadieneinteilung 847 – Ersatzoperation
– – Liposuktion 750 – – TNM-Klassifikation 847 – – Ellbogen 385, 390
– – Technik 738 – Präkanzerose 280 – – Schulter 383
– Rekonstruktion – Therapie 282 – Hand 445
– – Eigengeweberekonstruktion nach Tumor- Melanose 275, 276 – – Diagnostik 452
chirurgie 637 Melasma 37 – Ischämie 548
– – Mamillen-Areola-Komplex 643 Melone, Klassifikation der Radiusfraktur nach – Kompartmentsyndrom 548
– – Mastektomie 635 837 – – Nase 700
– Strahlenfibrose 292 Meningozele 171 – Lappenplastiken 7 dort
– Striae 794 Meralgia paraesthetica 430 – Transplantation
– Stuttgarter Gürtel 61 Merkel-Zellen 839 – – Ellbogen 389
– Stütz-BH 61 Merkel-Zellkarzinom 586 – – N.-facialis-Parese 336, 338
Stichwortverzeichnis
863 M–N
– Transposition Narbenbildung – Funktionswiederkehr, motorische/sensible
– – Ellbogen 385 – Hautnaht 41 331
– – Plexus-brachialis-Parese 347 – Hautspannungslinien 42 – Fußhebung 406
– – Schulter 383 – Keloid 16 – Hand
– Volkmann-Kontraktur 551 – Körperregion 42 – – Komplexverletzung 522
Muskel-Venen-Pumpe 21 – Nahtmaterial 46 – – Replantation 529
Muskellappen 7 Lappenplastik – Neurom 325 – – Senisbilitätsprüfung 452
Muskelsystem, intrinsisches/extrinsisches 445 – Technik, chirurgische 41, 46 – – Versorgung, motorische 448
Mustardé-Lappen 142 – überschießende 16 – – Versorgung, sensible 444
Mustardé, Otoplastik nach 712 Narbendehiszenz 46 – Hoffmann-Tinel-Zeichen 453
mutton chop flap 180 Narbenhernie 178 – Ischiadikusparese 404
Myelinscheide 322, 324 Narbenmanagement, postoperatives 50 – Karpaltunnelsyndrom (KTS) 424
Myelomeningozele 171 Narbenrevision 42 – Kompartmentsyndrom 548
Myelozele 171 Nase – Kompressionssyndrom
Myoepitheliom 297 – Anatomie 128, 700 – – Diabetes mellitus 430
Myoepitheliose, Mamma 621 – Ästhetische Chirurgie 700 – – obere Extremität 420
Myositis ossificans/proliverative 297 – Atemwege 129 – – Pathophysiologie 420, 430
Myxom 297 – Einteilung in Proportionen 841 – – untere Extremität 430
– Formkorrektur 700 – Läsion
– Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Therapie 788 – – Arten 331

N – Prothese/Epithese 132
– Rekonstruktion 128
– – Facelift 688
– Mamma (Innervation) 615
Nachbrennen (Verbrennungsverletzung) 650 – Strahlenfolgen 291 – Morton-Metatarsalgie 435
Nadelkisseneffekt 104, 120 – Untereinheit, ästhetische 128 – N.-facialis-Parese 334, 335
Nager-de-Reynier-Syndrom 773 Nasenknorpel 700 – N.-facialis-Äste 335
Nahai u. Mathes, Klassifikation des fasziokutanen Nasenseptumknorpeltransplantat 81 – N.-interosseus-anterior-Syndrom 422
Lappens 840 Nasolabialfalte 153, 692 – N. trigeminus
Nahrungskarenz, präoperative 25 Nävus 272 – – Ota-Nävus 276
Nahtextrusion 50 – blauer 272, 276 – – Trigeminuslähmung 147
Nahtmaterial – dysplastischer 275 – Naht 328
– Bestandteile 48 – Entartung 280 – – Material, -technik 51
– Eigenschaften 46 – epidermaler 272 – – Wurzelausrissverletzung 351
– Entzündungsreaktion 47 – Formen 274 – Nase 700
– Faszie 51 – Melanomrisiko 280 – Nervenengpasssyndrom bei rheumatoider
– Gefäß 51 – Naevus flammeus 300 Arthritis 574
– Mikrochirurgie 52 – Ota 37, 276 – Neurom 325
– Nerv 51, 328 – Pigmentnävus, angeborener 171 – Neurotomie 412
– Sehne 51 – Riesenzellnävus 276 – peripherer
Nahttechnik 47 Nävuszellnävus 274 – – obere Extremität 354
– Faszie 51 Neck Dissection 157 – – untere Extremität 362
– Gefäß 51 – Schädigung N. accessorius 354 – Plexus-brachialis-Parese 342, 839, 840
– Haut 48 Neopenis 204 – – Therapie 381
– Knoten 48 Neovaskularisation 6 – Pronatorsyndrom 422
– mikrochirurgische 52 Nerv – Querschnittslähmung 381, 394
– Nerv 51, 328 – Anatomie 322, 838 – Regeneration 324, 331
– Replantation Hand/Finger 527 – Aufbau 323 – – Plexus-brachialis-Parese 345
– Sehne 51 – CRPS 594 – Rekonstruktion
– – Hand 511, 514 – Daumen, sensorische Ersatzoperation 600 – – Hand 522
– Wundverschluss, schichtweiser 49 – Defektgröße 331 – – N.-facialis-Parese 336
Narbe – Denervation 412 – – Naht 328
– Akne – – obere Extremität 413 – – obere Extremität 372, 381
– – Dermabrasio 677 – – untere Extremität 415 – – Prognose 331
– – Laser-Resurfacing 678 – Diagnostik 328 – – Spendernerv 382
– – Peeling 675 – Fasern 323 – – Technik, operative 328
– Dekubitus 190 – Femoralisparese 404 – – Transplantation 329
– falltürartige 124 – Finger – – Transposition 329
– hypertrophe 16 – – Replantation 529 – Replantation Hand/Finger 529
– – Bodylift 725 – – Stereognosis 496 – Rückenmarkläsion 381
– Karpaltunnelsyndrom 425 – – Tastsinn 496 – Schädigung 7 Nervenschädigung
– Lippendefekt 150 – – Versorgung, motorische 448 – Supinatorsyndrom 420
– Medical Needling 681 – – Versorgung, sensible 444 – Tarsaltunnelsyndrom 433
– Verbrennungsverletzung 665 – Funktion 323 – Testblockade 412, 413
864 Stichwortverzeichnis

Nerv Neurom 325, 330 Orticochea-Lappen 100


– Transplantation 84, 329 Neuron 322 Osteoradionekrose 291
– – Arm 381 Neurorhaphie 328 Osteosarkom 297
– – Plexus-brachialis-Parese 345 Neurotisation Osteosynthese
– – Schulter 381 – Arm 371, 382 – alloplastisches Material 65
– Transposition 329 – Hand 371 – Material 777
– – Arm 370, 382 – intraplexuelle 345 Ota-Nävus 272
– – Hand 370 – Schulter 382 Otapostasis 712
– – N.-facialis-Parese 336 Neurotmesis 323, 839 Otoplastik 712
– – Plexus-brachialis-Parese 345, 351 Neurotomie 412 Oxyzephalus 769
– – Schulter 382 Nikotinabusus 210
– Trauma – Abdominalplastik 719
– – Klassifikation 323, 839
– – obere Extremität 354, 382
– Ästhetische Chirurgie 687
– Leukoplakie 286
P
– – untere Extremität 362 – Rekonstruktion Finger 496 Page-Scaglietti, Operation nach 551
– Tumor – Wundheilungsstörung 725 Palmarfaszie 444
– – benigner 582 nipple sharing 644 Palmer, Einteilung des triangulären fibrokartilagi-
– – Weichgewebstumor, maligner 307 Nodulum 272 nären Komplexes (TFCC) nach 844
– Volkmann-Kontraktur 551 Panaritium 535
– Wartenberg-Syndrom 421 Papillom, Mamma 620
– Wurzelschädigung, bei Plexus-brachialis-
Parese 350
O Papula 272
Paraskapularlappen 40, 61, 101, 125, 126, 165,
nerve growth factor (NGF) 324 Oberarmlappen 213 172, 187, 211–213, 229, 232, 310, 543, 544
Nervenblockade – posteriorer 214,215 Parkland-Formel 657
– Gesicht 68 – lateraler 213, 214, 228, 523, 543 Paronychie 535
– Hand 69, 478 O-zu-Z-Verschluss 100 Parry-Romberg-Syndrom 774
– Testblockade zur Denervation bei Schmerz- Oberlin, Doppelfaszikeltransfer nach 345, 351 Patientenvorbereitung 20
syndromen 412 Oberschenkellappen, anterolateraler (ALT) 125, – Aufklärung 25
Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) 328 161, 165, 187, 544 – Darm 25
Nervenschädigung Oberschenkellappenplastik, posteriore (posterior – Desinfektion 25
– M. quadriceps 336, 338, 405 thigh) 193, 194 – Eigenblutspende 25
– N. accessorius 354 Oberschenkelrekonstruktion 226 – Lagerung 25
– N. axillaris 356 Oberst-Leitungsanästhesie 69 – Nahrungskarenz 25
– N. cutaneus femoris lateralis 430 Ohr – Rasur, präoperative 25
– N. dorsalis scapulae 354 – abstehendes 712 – Schmerzprophylaxe 28
– N. femoralis 362, 404, 432 – Amputation 134, 137 – Thoraxwandrekonstruktion 164
– N. genitofemoralis 431 – Anatomie 134 peau d’orange, Mamma 616
– Nn. glutaei 363 – Ästhetische Chirurgie 712 Pectus carinatum 164, 169
– N. iliohypogastricus/ilioinguinalis 431 – Avulsion 134 Pectus excavatum 164, 169
– N. ischiadicus 362, 404, 432 – ear banking 138 Pectus gallinatum 164
– N. medianus 357, 371, 422 – Formkorrektur 712 Peeling 670
– N. musculocutaneus 355, 371 – Lappenplastik 135 – Substanzen 672
– N. obturatorius 363, 432 – Mikrotie, kongenitale 134 – Vorbehandlung der Haut 672
– Nn. pectorales 355 – Ohrläppchen, abstehendes 713 Penis
– N. peronaeus 343, 363, 404, 406, 434 – Otapostasis 712 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
– N. pudendus 431 – Rekonstruktion 134 239, 240
– N. radialis 356, 371, 420 – Replantation 134, 137 – Deviation 199
– N. saphenus 433 – Rippenknorpeltransplantat 81 – Epispadie 198
– N. supra-/subscapularis 354 – Schädelfehlbildung 773 – Frau-zu-Mann-Transsexueller 205
– N. thoracicus longus 355 – Trauma 134 – Länge, durchschnittiche 208
– N. thoracodorsalis 355 Oligodaktylie Fuß 813 – Mikropenis 201
– N. tibialis 365, 433 Omentum-majus-Lappen 180 – Neopenis 204
– N. ulnaris 358, 371, 375, 425 Omphalozele 178 – Rekonstruktion 201, 203, 204
Nervenstimulator, transkutaner elektrischer Open-palm-Technik 591 – Replantation 203
(TENS) 28 Operationsplanung 40 – Schädigung N. pudendus 431
Nervenrezeptor 839 – Bauchwanddefekt 178 – Umfang 208
Neunerregel nach Wallace 651 Operationsrisiko, ASA-Klassifikation 835 – Verlängerung 206
Neurapraxie 323, 839 Operationszeit 40 – versteckter 199, 206
Neurofibrom 272 Opioid 26 Perforatorlappen 7 Lappenplastik
– Hand 582 Organtransplantation periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) 8
Neurofibromatose 276 – Hirntod 835 – Unterschenkelamputation 257, 262
– Hand 582 – plastisch-chirurgischer Patient 236 Peronäusparese 404, 406
Stichwortverzeichnis
865 N–R
Pes equinovarus 404, 406 Prothese Random-pattern-Lappen 91
Pfeiffer-Syndrom 772 – Arm 250 Ranvier-Schnürring 323
Phalen-Test 425, 453 – Bein 264 Rasur, präoperative 25
Phantomgefühl 248 – Fuß 264 Rautenlappen ( 7 auch Lappenplastik –
Pharynx – Hand 249 Rhomboidlappen) 100, 106, 118
– Anatomie 156 – Klassifikation 249 – Gesicht 118
– Rekonstruktion 161 – Kopf-Hals-Region 157 – Schnittführung 118
Phenol-Peeling 675 – Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes 264 ReCell-Kit 663
Phokomelie 802 Pseudohermaphroditismus, weiblicher/ Reflexdystrophie, sympathische 594
Photoaging 280, 670 männlicher 199 Regeneration, epitheliale 6
– Medical Needling 682 Psoriasis 272 Regnault, Klassifikationen der Ptose nach 842
Phylloidestumor, Mamma 621 psychologische Aspekte Reithosendeformität 760
Physiotherapie – Abdominalplastik 719 Rekonstruktion
– CRPS 597 – Amputation der oberen Extremität 251, 523 – Allotransplantation 236
– Infektion Hand 544 – Borderline-Störung 683 – Areola 645
– Nervenrekonstruktion obere Extremität – CRPS 594, 597 – Augenlid 140
370 – Geschlechtsidentifikation, gestörte 198 – Bauchwanddefekt 178
– Plexus-brachialis-Parese 352 – Geschlechtsumwandlung 205 – Becken/Leistenregion 184
– Radialisersatzplastik 372 – Gesichtstransplantation 237 – Bein 224
– Verbrennungsverletzung 664 – Hand (Komplexverletzung/Replantation) 523 – Composite-Tissue-Allotransplantation (CTA)
Pigmentnävus, angeborener 171 – Penis 236
pin cushioning 104, 120 – – Allotransplantation 240 – Daumen 496
Piriformissyndrom 430, 432 – Replantation 203 – Extremität
Pirogow/Spitzy, kalkaneotibiale Arthrodese nach – Querschnittslähmung 381, 394 – – obere 210
262 Ptose 147 – – untere 224
Plagiozephalus 769 – Klassifikation 842 – Finger 496
Plaque 272 PU-Schaum 15 – Fuß 229
Plastische Chirurgie, Eingriffsgröße 20 Pulvertaft-Durchflechtungsnaht 51 – Hand
Plättchenaggregation 54 Pyoderma gangraenosum 541 – – Gefäß 522
Plattenepithelkarzinom 285 – – Komplexverletzung 520
– Hand 583 – Leiter, rekonstruktive 105
– Präkanzerose 286
Platysmadopplung 697
Q – Lippe 150
– Mamillen-Areola-Komplex 643
Platyzephalus 769 Quengel-Schiene 60 – Mamma, nach Tumorchirurgie 634
Plexus brachialis Querschnittslähmung – Nase 128
– Anatomie 342 – Ellbogenfunktion 381, 385, 394 – Nerv
– Läsion 840 – Ersatzoperation – – N.-facialis-Parese 336
– Parese – – Hand/Handgelenk 394 – – obere Extremität 372, 381
– – geburtstraumatische 342 – – Schulter/Ellbogen 380, 381 – – Plexus-brachialis-Parese 345
– – Klassifikation 342, 839, 840 – Handfunktion 397 – – Prognose 331
– – Spendernerv 383 – Höhe 394 – – Technik, operative 328
– – Therapie 381, 386 – Rekonstruktion Rücken 173, 175 – Ohr 134
– – Trauma bei Erwachsenem 349, 355 – Spastik 400 – Probeexzision 306
– Schlüsselgriff 376 Quetschwunde Ohr 134 – Schädelbasis 110
– Untersuchungsbogen 828, 829 Queyrat-Erythroplasie 286 – Stumpfkorrektur untere Extremität 265
Poland-Syndrom 164, 170, 797, 802 – Tetraplegie
– Handfehlbildung 809 – – Arm 397
Pollex flexus congenitus 554, 808
Polydaktylie
R – – Hand 397
– Thoraxwand 164
– Fuß 812 Radialisersatzplastik 349, 372 – Uhrwerk, rekonstruktives 241
– Hand 802, 804 Radialiskompressionssyndrom 420 – Urogenitaltrakt 198
Polymastie 793 Radialislappen 161, 166, 204, 214, 218, 230, 236, – Verbrennungsverletzung 665
Polysyndaktylie 803 543, 544, 550 – Wange 124
– Fuß 814 Radialisparese 372 – Weichgewebstumor, maligner 306, 310
Polytrauma 225 Radiodermatitis 11 Rektusdiastase 718
– Komplexverletzung Hand 519 Radiotherapie Rectus-femoris-Lappen 180, 311
– Plexus-brachialis-Parese 349 – Auswirkungen 186 Rektuslappen 188
– Schockraumanagement 519 – intraoperative 291 – deep inferior epigastric perforator (DIEP)
postauriklärer Lappen (Dieffenbach) 136 – Strahlenulkus 10, 290, 291 641
Primärverschluss 100 Radius – extendierter VRAM-Lappen 180
Probeexzision 306 – Derotationsosteotomie 371 – freier 173
Prolene, bei Bauchwanddefekt 179 – Fraktur, intraartikuläre 475 – muskelsparender 640
866 Stichwortverzeichnis

Rektuslappen 188 – Stirn 106 – postoperative 26


– superficial inferior epigastric artery perforator Roux-XY-Bypass 728 – – Messung 26
(SIEAP) 646 Royle-Thompson – – Therapie 26, 28
– transverser (TRAM) 203 – Transposition des M. flexor digitorum – – WHO-Stufenschema 26
– vertikaler (VRAM) 173 superficialis 4 nach 373 – Strahlenulkus 291
relaxed skin tension lines 40, 42 Rücken – Testblockade 412, 413
Remodellierungsphase 6 – Interponat, synthetisches 165 – Verbrennungsverletzung 658
Replantation – Lappenplastik 165, 171 Schmerzsyndrom, komplexes regionales 594
– Daumen 524 – Nahtmaterial, -technik 47 Schnapp-Phänomen 574
– Definition 523 – Rekonstruktion bei malignem Weichgewebs­ Schnienenbehandlung 60
– Finger 246, 518, 524 tumor 310 Schnittführung
– – Blutegeltherapie 57 Rückenmarkläsion 381 – Abdominoplastik 719
– Hand 518, 524 Rückstichnaht 49 – Expander 64
– – Komplikationen 530 Ruffini-Körperchen 839 – Extremität 41
– – postoperatives Management 529 Ruhigstellung, postoperative 60 – Facelift 688
– Instrumentarium 527 Rumpf, Adipositas 728 – Hand 41
– Makroreplantation 522, 527 Rundstiellappen – Hautspannungslinien 40
– Ohr 134, 137 – Gesicht 119 – Kompartmentspaltung Hand/Unterarm 549
– Penis 203 – Schnittführung 119 – Lappenhebung 40
– Testes 203 Russe, Klassifikation Skaphoidfrakturen nach – Prinzip 40
– VTE-Prophylaxe 23 489, 838 – Tumorexzision 41
rerouting (Transposition Bizepssehne) 71 Schnürringdeformität, -syndrom 805, 846
Resurfacing 670 Schraubenziehertest 454
Retin-A 672
Reversed-cross-finger-Lappen 501
S Schrudde, Wangen-Hals-Rotationslappen nach
90
Rhabdomyom 297 Saethre-Chotzen-Syndrom 772 Schulter
Rhabdomyosarkom 297, 304 Saha, M.-trapezius-Transfer nach 347 – Arthrodese 383
rheumatoide Arthritis Salter-Harris, Klassifikation Fingerfrakturen nach – DASH-Fragebogen 830
– Definition 574 478 – Ersatzoperation, muskuläre 383
– Diagnostik, Therapie 575 Sarkoidose 272 – Muskelfunktion 380
– Finger 560, 574 Sarkom 300 – Nerv
– Hand 542, 560, 574 – Klassifikation 304 – – Transposition 382
– Klinik, Symptomatik 542, 574 – Lokalisation 304 – – Schädigung 354–356
Rhinophym 676 – Therapie 307 – Neurotisation 382
Rhinoplastik 700 – Typen 296, 304 – Plexus-brachialis-Parese 342, 839, 840
– geschlossene/offene 704 Saphena-Lappen 49, 173, 189, 190, 258, 416, – – Therapie 381, 383
Rhizarthrose 561, 845 522, 608, 609, 764 – Rekonstruktion 210
Rhomboidlappen (7 auch Lappenplastik – Säuglingshämangiom 301 – Scapula alata 343
Rautenlappen) 100 Sartorius-Lappen 94, 180, 840 – Tetraplegie 383
– Gesicht 118 Scaglietti, Operation nach 551 Schulterdystokie 343
– Schnittführung 118 scaphoid non union advanced collapse wrist Schwanenhalsdeformität 552
– Stirn 106 (SNAC wrist) 493, 565, 567, 844 – Definition 845
Rhytiden 677 scapholunate advanced collapse wrist (SLAC wrist) – rheumatoide Arthritis 574
Riesenzellnävus 276 567, 844 – Sehnenverletzung 508
Riesenzelltumor Hand 580, 581 Scapula alata 343, 355 Schwangerschaftsstreifen, Medical Needling
Ringavulsion 843 Scarpa-Faszie, Bodylift 722 682
Ringband (Hand, Anatomie) 446 Schädel Schwann-Zelle 322, 323, 324
Rippenknorpeltransplantation 81 – Fehlbildung 768 Schwannom 296
Rippling 799 – – Therapie 775 – Hand 582
Risikobeurteilung, perioperative 20, 835 – Osteosynthesematerial 777 Schweißdrüsentumor, ekkriner 586
Risswunde, Ohr 134 Schädelbasis, Rekonstruktion 110 Schwimmhaut 802
Robert-Röntgenaufnahme 486 Schädelnaht Schwurhand 358
Rolando-Fraktur 486 – Verknöcherung, vorzeitige 768 Screw driver test 454
Röntgen Schaumstoffverband 15 Sehne
– Fuß 812 Schiefschädel 769 – Nahtmaterial 51
– Hand 458 Schlüsselgriff, Tetraplegie 397 – Nahttechnik 40, 51
– Handgelenk 468 Schmerzen – Ruhigstellung, postoperative 60
– Robert-Aufnahme 486 – Arthrodese 412 – Transplantation 84
Ropivacain 68 – Arthrose 412 semizirkulärer Lappen 142, 148
Rotationsdehnungslappen, Skalp 100 – Denervation 412 Shaving, Biopsietechnik 272
Rotationslappen 88, 116 – Kompartmentsyndrom 548, 549 Shenaq, Mod-Quad-Operation nach 347
– Skalp 100 – komplexes regionales Schmerzsyndrom 594 Silberverband 14
Stichwortverzeichnis
867 R–T
Silikon
– Materialeigenschaften 65
Steppergang 364, 404
Stereognosis 496
T
– Silikoneinschwemmung 743 Stillfähigkeit 737 Taille 719
Skalp Stirn Tarsaltunnelsyndrom 433
– Anatomie 98 – Anatomie 104 tarsokonjunktivaler Lappen 144
– Hautexpander 101 – Defektdeckung 105 Tastsinn 496
– Lappenplastik 99, 111 – Facelift 692 Tätowierung
– Nahtmaterial, -technik 47 – Gewebeexpansion 106 – Laser 37
– Spalthauttransplantation 101 – Knochenrekonstruktion 107 – Rekonstruktion Areola 645
Skaphoidfraktur 489 – N.-facialis-Parese 334, 335 Telekanthus 775, 841
Skaphoidpseudarthrose 844 – Rekonstruktion 104 Temporalislappen 111, 157
Skaphozephalus 768 – Wundverschluss 104 Tendinitis
Skapulalappen 83, 165, 230 Stirnbein, schwimmendes 768 – M. extensor carpi ulnaris 557
Skidaumen 483 Stirnlappen 104, 105, 128–130, 132, 148, 157 – M. flexor carpi radialis 557
Sklerodermie 272 Strahlendermatitis 287 Tendovaginitis
Skrotalraffung 208 Strahlenfibrose 186 – de Quervain 453, 555
Skrotumrekonstruktion 202 Strahlenfolgen 290 – Hand 580
SLAC wrist 567, 844 Strahlenulkus 10, 291 – Handgelenk 556
SNAC wrist 493, 565, 567, 844 Strecksehnenfach Hand Tensor-fascia-lata-Lappen 180, 188
Snoopy-Phänomen 744 – Anatomie 446, 508, 842 Tenzel-Lappen 148
Soleuslappen 82, 226, 227, 230, 257, 258, 762 – Sehnenerkrankung, degenerative 554 Tessier, Klassifikation der Gesichtsspalten nach
Sommersprossen 276 – Tendovaginitis 555 841
Song, Oberarmlappen nach 213 – Trauma 508, 842 Testes, Replantation 203
Sonnenexposition Streeter-Syndrom 805 Tetraplegie
– Basalzellkarzinom 283, 584 Striae – Ellbogenfunktion 381, 385, 394
– Hauttyp 280 – distensae 718 – Ersatzoperation
– Melanom 280, 584 – Mamma 794 – – Hand/Handgelenk 394
– Plattenepithelkarzinom 285, 583 – Medical Needling 683 – – Schulter/Ellbogen 381, 390
– Präkanzerose 286 Stumpfbelastbarkeit 255 – Hand(funktion)
Sonographie, Handchirurgie 461, 468 Sturge-Weber-Syndrom 300, 817 – – Faustschluss 398
sozialmedizinische Aspekte 822 Stuttgarter Gürtel 61, 745 – – Schlüsselgriff 397
Spaltbildung (Gesicht) 779 Stütz-BH 745 – Schulterfunktion 380
– Einteilung nach Tessier 841 Subkutannaht 49 – Spastik 400
Spaltfuß 813 subscapular release 347 Thalidomid 802
Spalthand 802, 813, 845 Sulcus-N.-ulnaris-Syndrom (SNUS) 425 Thenaratrophie 422
Spalthaut superfizielles muskuloaponeurotisches System thorakoepigastrischer Lappen 165
– Abdomen apertum 180 (SMAS), Gesichtstraffung 689 Thoraxwand
– Augenlid 141 superiorer Glutäalarterienperforator-Lappen – Atemtraining 171, 175
– Nase 129 (SGAP) 174, 643 – Brust 164
– Operationstechnik 78 Supinatorsyndrom 420 – Interponat, synthetisches 165
– Skalp 101 Suprathel 663 – Lappenplastik 165, 171
– Transplantateigenschaften 78 Sutura coronalis 769 – Poland-Syndrom 797
– Verbrennungsverletzung 661 Sutura frontalis 768 – Rekonstruktion 164
Span, kortikospongiöser 81 Sutura lambdoidea 769 – – Weichgewebstumor, maligner 310
Spare-part-Konzept 265, 503 Sutura sagittalis 768 – Rücken 171
Spiegelhand 805 Suralislappen 226–231 – Strahlenfibrose 292
Spina bifida 171 Swanson, Einteilung der Handfehlbildungen nach Thromboembolie, venöse (VTE)
Spitz-Nävus 272 845 – Prophylaxe 21
Spitzfuß 364 Swanson-Spacer 65 – Risikogruppen 21
Spitzschädel 769 Symbrachydaktylie 803 Tibialis-anterior-Syndrom 364
Spongiosaplastik 81 Syme, transmalleoläre Amputation nach 262 Tinel-Zeichen 365
Stack-Schiene 478 Symphalangismus 804 Traction-Tower 469
Stanzbiopsie 272 Syndaktylie 845 Tränendrüse 140
Steal-Phänomen 226 – Apert-Syndrom 815 Tranquilli-Leali, palmare VY-Dehnungslappen­
Stegner, Transformationsstufen des Mamma­ – Hand 802 plastik nach 497
karzinoms nach 625 Synovialsarkom 304 Translationslappenplastik, bipedikuläre 90
Steigbügelplastik 312, 404, 407 Syringomyelozele 171 Transplantat
Steindler, Proximalisierung des Flexoren- Szintigraphie in der Handchirurgie 463 – Allograft 78
Pronatoren-Ansatzes nach 347, 385 – Autograft 78
Steindler-Effekt 347 – Composite-Transplantation 79
Stelze, biologische 312, 404 – Composite Graft 85
Stenström, Otoplastik nach 712 – Definition 78
868 Stichwortverzeichnis

Transplantat – – Becken/Leistenregion 184, 187 Van Nuys-Klassifikation und Prognoseindex des


– Dermis 83 – – Hand 542, 583 duktalen Carcinoma in situ 626
– Faszie 84 – – Haut 280, 283, 583, 847 Vastus-lateralis-Lappen 191, 193, 215, 226, 311
– Fett 83 – – Infektion 532 Vater-Pacini-Lamellenkörperchen 839
– Haut 78 – – Knochen 586 Velopharyngoplastik 786, 787
– Homograft 78 – – Mammakarzinom 615, 616, 625 Venkataswami-Lappen 497, 499
– Keratinozyten-Sheet 79 – – obere Extremität 210 Venkataswami und Subramanian, laterale
– Knochen 81 – – Strahlenfolgen 290 Dehnungslappenplastik nach 499
– Knorpel 79 – – Thoraxwand 164 Verätzung 653
– Muskel 84 – – Umdrehplastik nach Borggreve-van Nes Verband
– Nerv 84 258 – Arten 14
– Sehnen 84 – – untere Extremität 224 – Dupuytren-Kontraktur, postoperativ 592
– Xenograft 78 – – Vagina 205 – Fußrekonstruktion 232
Transplantation – – vaskulärer 300 – Gynäkomastieoperation 750
– Allotransplantation 236 – – Weichgewebe 304, 586 – Hauttransplantation 61, 79
– plastisch-chirurgischer Patient 236 – Präkanzerose der Haut 286 – Hebedefekt 61
Transpositionslappenplastik 88 Tumorverschleppung 309 – interaktiver 14
– Stirn 106 Türflügellappen 132 – Kompartmentsyndrom 548
Transsexualismus 198, 205 Turn-in-flap 132 – Kompression 54, 61
Trapezius-Lappen 111, 167, 173, 260, 840 Turner-Syndrom, Handfehlbildung 809 – Mamma 61
trap door deformity 124 – Replantation Hand/Finger 529
Treacher-Collins-Syndrom 773 – Ruhigstellung, postoperative 60
Trendelenburg-Hinken 363
Tretinoin 672
U – Skalp 101
– Technik 60
triangulärer fibrokartilaginärer Komplex 843 Überknüpfverband 61 – Verbrennungsverletzung 659, 664
Trichloressigsäure (TCA) 673 Ulkus – Vakuumverband 62
Trichterbrust 164, 169 – Dekubitus 7 auch dort 10 – Wundauflage, aktive/passive 14
– Silikon 65 – diabetisches 9 Verbrennungsverletzung 650
Triefauge 147 – Strahlenulkus 10 – Analgesie, Sedierung 658
Trigeminuslähmung, Augenmotilität 147 – Ulcus cruris venosum 10 – Ausdehnung 651
trigger finger 554 Ulnarisparese 375 – Bettenverteilungszentrale 656
Trigonozephalus 769 Umdrehplastik – Escharotomie 659
trilobed flap – Borggreve-van Nes 258 – Grade 651
– Gesicht 116 – Sauerbruch 259 – Hautersatzmaterial 660, 663
– Schnittführung 116 Unfallversicherungswesen 822 – Hauttransplantation 78, 662
Trinkgeld-Stellung 343 Unfurling 795 – Inhalationstrauma 655
Trinkplatte 786 Unterschenkel – Lyell-Syndrom 655
Tripier-Lappen 144 – Fraktureinteilung nach Gustilo 224 – Nachbrennen 650
Trisomie 21 – Rekonstruktion 227 – Narbenmanagement 665
– Handfehlbildung 809 Urbaniak, Ringavulsionsverletzungen nach 526 – – Medical Needling 682
tubed flap Urethrarekonstruktion 199, 201 – Nekrektomie 661
– Gesicht 119 Urinableitung 25 – Nekrolyse, toxisch-epidermale 655
– Schnittführung 119 Urogenitaltrakt – Ohr 134
Tumeszenzanästhesie 70 – Ästhetische Chirurgie 206 – Pathophysiologie 650
Tumor – Fehlbildung 198 – postoperatives Management 664
– benigner – Rekonstruktion 198 – Schwere 653
– – Einschlusszyste, epidermale 578 UV-Strahlung – Spalthaut 661
– – Fasziitis, noduläre 579 – Basalzellkarzinom 283, 584 – Sterbewahrscheinlichkeit 653
– – Gefäß 581 – Melanom 280, 584 – Temperaturabhängigkeit 650
– – Hand 578 – Plattenepithelkarzinom 285, 583 – Therapie
– – Haut 272, 578 – Photoaging 280, 670 – – Beatmung 658
– – Klassifikation 578 – Präkanzerose 286 – – chirurgische 660
– – Knochen 581 – – intensivmedizinische 656
– – Knorpel 581 – – Planung 658
– – Mamma 620
– – vaskulärer 300
V – – Rekonstruktion, ästhetisch-funktionelle 665
– – Volumenersatz 657
– – Weichgewebe 296, 578 Vagina – Tiefe 651, 660
– maligner – Mann-zu-Frau-Transsexuelle 205 – Verband 659
– – Adenomyoepitheliom, Mamma 621 – Rekonstruktion 204 – Verlegung in Brandverletztenzentrum 657
– – Amputation der unteren Extremität 255 Vaginalatresie 204 – VTE-Prophylaxe 24
– – Augenlid 140, 142 Vakuumtherapie 16 – Zonen 650
– – Bauchwand 178 Vakuumverband 62 Verbrühung 653
Stichwortverzeichnis
869 T–Z
Verdan, Zoneneinteilung bei Strecksehnen­ – Nahtmaterial, -technik 46 – Fingerersatz 503
verletzungen der Hand nach 508 WHO-Stufenschema der Schmerztherapie 26 – Großzehentransfer als Daumenersatz 601
Vermillion 150, 152 Windradlappen 100 – Hallux varus/valgus 815
Verschiebeschwenklappen 88 Winkel, karpaler 459 – Krallenzehen 404, 406
Vicryl-Netz, Bauchwanddefekt 179 Winkelmann-Klassifikation 258 – Morton-Metatarsalgie 435
Videofluroskopie in der Handchirurgie 468 Winterstein-Fraktur 486 – Schädigung N. peronaeus 343
Visierlappenplastik 90 wrap-around flap zur Daumenrekonstruktion – Zweitzehentransplantation, als Daumenersatz
– Gesicht 119 601, 606 605
– Schnittführung 119 Wundabdeckung 14 Zehenpulpatransplantation, mikrochirurgische
– Stirn 107 Wundauflage, aktive/passive 14 503
visuelle Analogskala (VAS) zur Schmerzmessung Wunde, chronische (Definition, Ursachen) 8 zentrales Nervensystem (ZNS), Regeneration
26 Wundheilung 324
Volkmann-Kontraktur 551 – Antibiotoka 17 Zitherspieler-Röntgenaufnahme 460
Vollhaut – gestörte 8 Zunge, Rekonstruktion 161
– Augenlid 140 – – Amputation der unteren Extremität 263 Zyste, dermale 272
– Nase 129 – – Mangelernährung 729, 730
– Operationstechnik 78 – – Narbenbildung, überschießende 16
– Transplantateigenschaften 78 – Phasen 4
– Wange 124 – Physiologie 4
von Heimburg, Klassifikation der tuberösen Brust – primäre 4
nach 794 – Stirn 105
Vorschublappen 100 – Wachstumsfaktoren 6
– Stirn 105 – Wundmanagement 14
VTE-Prophylaxe 21 Wundkontraktion 4
VY-Dehnungslappen 88 Wundödem 4
VY-Vorschiebelappen 114 Wundverschluss
– Blutstillung 54
– Drainage 55

W – Nahtmaterial 46
– Nahttechnik 48
W-Plastik (Gesicht) 114 – Prinzip 42
Wachstumsfaktoren, Wundheilung 6 – Stirn 104
Wade, Vergrößerung/Verschmälerung 762 – Ulkus, diabetisches 10
Wafer resection 475 – Vakuumtherapie 16
waiters tip position 343 – Verbände 14
Wallace, Neunerregel nach 651 – Wundmanagement 14
Waller-Degeneration 323
Wange
– Anatomie 124
– Gewebeexpansion 124
X
– Konturdefekt 126 Xenograft 78
– N.-facialis-Parese 335 Xeroderma pigmentosum 287
– Rekonstruktion 124
– Rotationslappen 116
– Vollhauttransplantation 124
Wangen-Hals-Rotationslappen nach Schrudde
Y
90 YV-Vorschiebelappen 114
Wartenberg-Syndrom 421
Washington-Regime 515
Washio-Lappen 129
Watschelgang 363
Z
Watson-Test 454 Z-Plastik 90
Wedge-Resektion 135 – Gesicht 114
Weichgewebe – Schnittführung 114
– Abdominoplastik 718 – Variationen 91
– Traumaklassifikation 836 Zahnschlagverletzung 487, 511, 537
– Tumor Zancolli, Kapsulodese/Lassoplastik nach 375
– – benigner 296, 297, 578 Zange, sensible 312
– – maligner 304, 307, 312–315, 586 Zechner, Nahttechnik nach 51, 514
Weichteiltrauma Zehen
– Finger 496 – Amputation 260
– Hannover-Klassifikation 224 – Fehlbildung 812

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