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Koiran, Linda: Schreiben in fremder Sprache 279

X Koiran, Linda:
Schreiben in fremder Sprache. Yoko Tawada und Galsan Tschinag. Studien
zu den deutschsprachigen Werken von Autoren asiatischer Herkunft. Mün-
chen: iudicium, 2009. – ISBN 978-3-89129-186-3. 408 Seiten, € 39,40
(Karl Esselborn, München)
Die Verfasserin hat sich in ihrer (überarbeiteten) Dissertation (die in Zusammen-
arbeit der Universitäten Paris VII und Osnabrück entstand und ein französisches
résumé enthält) auf die beiden bekanntesten deutsch schreibenden Autoren
asiatischer Herkunft, Yoko Tawada und Galsan Tschinag, als Vertreter der
»anderen« deutschsprachigen Literatur in Deutschland konzentriert, die ihr als
einer Deutschen mit koreanischer Mutter besonders nahe standen. Sie stellt sie
zunächst in einer allgemeinen Einleitung zu Forschungsgegenstand und For-
schungsstand in den Rahmen einer ausführlichen Darstellung der Migration in
Deutschland und in der DDR von 1950 bis 1990, die sie bis zu den neuesten
Formen des »Transnationalismus« und der »Transmigration« (Pries 2001) jenseits
eines nationalstaatlichen Denkens verfolgt. Als »Transmigrant« fasst sie dabei
eine Person, die durch ein häufiges Hin und Her in transnationalen freien Räumen
und eine globale, ubiquitäre, »gebunden-nomadische« Lebensweise gekennzeich-
net ist.
Es folgt ein umfangreicher allgemeiner Überblick über die »andere« deutschspra-
chige Literatur (so der eigene Gegenbegriff zur bisherigen Diskussion) mit
zahlreichen Einzeldarstellungen verschiedener Autoren bis zu Mora, Biller,
Kaminer u. a. einschließlich der historischen Veränderungen in Themenstellung
und Selbstverständnis. Referiert werden auch die sich ändernden literaturwissen-
schaftlichen Ansätze zu ihrer Erfassung, vom Konzept multikultureller über inter-
bis zu transkultureller, postkolonialer und hybrider Literatur. Der letzte Wechsel
vom »Fremden« zum »Exotischen« war allerdings eher für die 1990er Jahre
typisch.
Die vorgestellten asiatischen Autoren – von einem sehr inhomogenen Kontinent
vom Nahen Osten bis zu Fernost – bleiben in der »anderen« Literatur allerdings
eher unauffällig und die Ausnahme, anders als Tschinag und Tawada, die als
kulturelle Nomaden beide zu der neuen kosmopolitischen deutschen Literatur
gehören, aber aus ganz gegensätzlichen Gesellschaftssystemen kommen und sehr
unterschiedliche Schreibziele verfolgen. Insofern macht das Nebeneinanderstel-
len der beiden ungewöhnlichen Beispiele zwar die ganz gegensätzlichen Möglich-
keiten des fremdsprachigen Schreibens in allen seinen Eigenarten deutlich, stellt
aber kaum eine Gemeinsamkeit her.
Koiran geht bei ihren Untersuchungen statt von theoretischen Reflexionen lieber
von textnahen Erzählanalysen zu Erzählstruktur und -thematik (Stierle, Stanzel)
und von der spezifischen Ästhetik der Werke aus und berücksichtigt vor allem

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280 Koiran, Linda: Schreiben in fremder Sprache

den kulturellen und sprachlichen Hintergrund, die kulturelle Identität der Auto-
ren, ihre Sprachwahl (da Sprache nach Whorf Kultur und Weltbild prägt) und die
Synthese der Herkunfts- und Wahlkultur. Auch die Vorstrukturen des eigenen
Verstehens werden hier im Sinne interkultureller Wechselseitigkeit reflektiert. Das
Schreiben in der fremden Sprache, der Sprachwechsel, der bis zur Exilliteratur in
Deutschland lange nicht positiv gesehen wurde (hier wäre aber an die ältere
Tradition einer interkulturellen deutschen Literatur im europäischen Rahmen zu
erinnern), ist erst zuletzt mit den zahlreichen zweisprachigen Autoren in Deutsch-
land für die Forschung wieder zum Thema geworden. Ihr anderes Verhältnis, ihre
Distanz zur deutschen Literatursprache wie auch zur eigenen Muttersprache, die
nun ähnlich von außen wahrgenommen wird, bestimmt neben der asiatischen
Herkunft wesentlich ihre deutschsprachige Literatur, ihre unterschiedliche
Schreibweise wie ihre Perspektive auf die Realitäten des anderen Landes.
Galsan Tschinag, der Nomade der Sprachen, Kulturen und Zeiten, der aus einer
archaischen Nomaden-Kultur mit animistischem Weltbild und schamanistischem
Hintergrund als junger Stipendiat zum Studium in die DDR kam, konnte seine
frühen tuwinischen Erzählungen erst nach der Wende von 1990 (und dem
Chamisso-Preis 1992) in Westdeutschland wieder veröffentlichen. Die Bekannt-
schaft mit der Ethnologin Erika Taube hatte ihm die eigene Stammeskultur
erschlossen, die er (mangels eigener Literatursprache) in seinem umfangreichen
deutschsprachigen (teils auch dokumentarischen) Werk zu gestalten und zu
bewahren versuchte. Koiran untersucht die einzelnen Werke im Blick auf das
Schreibverfahren zwischen den oralen Traditionen der Tuwa-Kultur und der
(intensiv vor Ort angeeigneten) abendländischen Literatur, etwa auf die Ich-
Perspektiven zwischen Schamanismus und Aufklärung. Ausführlich vergleicht
sie die späte autobiographische Romantrilogie Tschinags über seine tuwinische
Jugend, seine Lehr- und Wanderjahre mit Goethes Bildungsroman Wilhelm
Meister, was sich angesichts der grundsätzlichen Unterschiede auf der Raum- und
Zeitebene, speziell des landschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergrunds, der
formalen Grundstruktur, der wenig westlichen Ich-Figur, der situativ gebunde-
nen realitätsnahen Sprache, der zeitlosen Traum- und Visionen-Episoden usw.
allerdings als ein eher irreführender Vergleich erweist. Das außerordentliche
Interesse in Deutschland und der Schweiz an dem mongolischen Schriftsteller
und Schamanen wird auch aus der »Leselust am Fremden« und einer westlichen
Naturnostalgie, einer (esoterischen) Begeisterung an dem »exotischen Naturkind«
und der archaischen Nomadenkultur erklärt (174). Auch das politische Engage-
ment für sein Volk, dessen Geschichte und Gedächtnis er bewahrte und das er in
einer von den deutschen Medien verfolgten spektakulären Aktion in seine alten
Stammesgebiete zurückführte, trugen zu seiner Bekanntheit bei.
Yoko Tawada, die aus einem bürgerlichen Elternhaus in Tokyo früh nach
Deutschland gekommen war, in Hamburg Germanistik studierte und bald in zwei

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Koiran, Linda: Schreiben in fremder Sprache 281

Sprachen zu schreiben anfing, erscheint Koiran ebenfalls als ein kultureller


Nomade, ihr Leben als ein »Schreiben im Unterwegs« (253 ff.) in der ganzen Welt
und ein »Unterwegs im Schreiben« (263 ff.). Die anderen Sprachen öffnen den
fremden Blick auch auf die Herkunftskultur und schaffen ihr die gesuchten
Freiräume und ermöglichen Entdeckungsreisen und einen ethnologisch-poetolo-
gischen Zugang zu Sprachen, Menschen und Dingen. Ihre grenzenlose Offenheit
und ein ständiger Identitätswandel (in der Wassermetapher gefasst) in den
Reiseberichten wie bei ihren Figuren bestimmen ihre interkulturelle und zwei-
sprachige Positionierung. (Allerdings wird auch die Gefährdung durch den
Sprachverlust beim Sprachwechsel, bis hin zum Verstummen, zum Verlust der
Zunge, zum körperlichen Zusammenbruch bei Tawada sehr eindrücklich gestal-
tet.) Ihre ungewöhnlichen, komplexen Vorstellungen von Körper und Sprache (als
Text und Laut), das Motiv der Zunge als Organ der Sprache, der Stimme und des
Ohrs usw. werden von Koiran ausführlich und sehr interessant kommentiert. Ins
Zentrum stellt sie die Vorstellungen vom Schreibverfahren als Form des Über-
Setzens, das Über-Setzen von Schrift, Laut und Sinn als Loslösung von den Zeichen,
das Über-Setzen des Über-Setzers (Charon) als interkulturelle Vermittlung und das
Über-Setzen vom Mikrokosmos der erzählten Welt zur imaginären (Traum-)Welt
der Ich-Figur. Die Verschränkung von Erzählebenen, die paradoxe Erzähllogik
und das Schreiben aus dem Abgrund zwischen den Sprachen scheinen eher
buddhistischem, taoistischem Denken zu entsprechen, worauf Koiran wie auf
bestimmte Aspekte fernöstlicher Sprachen immer wieder zurückgreifen kann.
Tawadas »Poetik der Übersetzung«, die zur »Verwandlung« zwischen den un-
übersetzbaren Sprachen wird, wie in ihrer Poetikvorlesung Verwandlungen von
1998 ausgeführt, hätte allerdings noch deutlicher, etwa auch an Opium für Ovid
(2000), herausgearbeitet werden können (vgl. Esselborn 2007).
Der abschließende Blick auf das Schreiben in fremder Sprache im Vergleich der
beiden Autoren aus Ostasien geht von ihrer ähnlichen transmigratorischen
Lebenssituation (allerdings als akademische und literarische Migranten) aus und
beschreibt noch einmal das unterschiedliche Verhältnis zur Herkunfts- und
Muttersprache und zur gewählten deutschen Schreibsprache. Galsan Tschinag
schuf in der angeeigneten fremden, literarisch entwickelteren Sprache ein litera-
risches Archiv und ein »hybrides Kulturerbe« (patrimoine métisse, 359) seiner
tuwinischen Nomadenwelt mit ihrer animistischen Weltanschauung, zu der er
trotz seines eigenen zivilisatorischen Bruchs und seiner Kritik an der modernen
High-Tech-Gesellschaft eher in Distanz blieb.
Yoko Tawada, die sich in der Fremde von der japanischen Sprache und ihren
Identitätszuschreibungen befreite, richtete sich auch in der fremden deutschen
Sprache ein und kann nun den deutschen Lesern einen distanzierenden Spiegel
vorhalten, ihnen den ›toten Winkel‹ im abendländischen Blickfeld zeigen und die
Möglichkeit des Anderen eröffnen.

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282 Koithan, Ute u.a.: Aspekte 3

Zwei interessante Interviews mit den beiden Autoren schließen den umfang-
reichen Band ab, der einen ausführlichen und informativen Überblick über die
»andere« deutschsprachige Literatur und ihre Aufnahme in Deutschland bietet
und speziell in ausführlicher und textnaher Kommentierung und Ausdeutung die
beiden so verschiedenen Autoren aus dem asiatischen Raum als Beispiele für die
Öffnung auf eine andere Sprache und Kultur – und die Möglichkeiten eines
Schreibens in fremder Sprache – vorstellt. Eine für alle Interessierten sehr
anregende Lektüre.

Literatur
Esselborn, Karl: »›Übersetzungen aus der Sprache, die es nicht gibt.‹ Interkulturalität,
Globalisierung und Postmoderne in den Texten Yoko Tawadas«, Arcadia 2 (2007), 240–
262.
Pries, Ludger: Internationale Migration. Bielefeld: transcript, 2001.

X Koithan, Ute; Schmitz, Helen; Sieber, Tanja; Sonntag, Ralf; Lösche, Ralf-Peter:
Aspekte 3. Mittelstufe Deutsch. Lehrbuch mit DVD. – ISBN 978-3-468-47494-
1. 208 Seiten, 90 Minuten, € 21,90; 3 Audio-CDs zum Lehrbuch 3. – ISBN 978-
3-468-47496-5. 190 Minuten, € 24,90. Berlin: Langenscheidt, 2009
(Joanna Targońska, Olsztyn / Polen)

Bei dem von mir rezensierten Lehrwerk handelt es sich um den dritten Band eines
Mittelstufenlehrwerks, das, wie auf dem Titelblatt steht, das C1-Niveau anstrebt
und, wie dem Rückblatt des Umschlags zu entnehmen ist, auf alle drei bekannten
zertifizierten Deutschprüfungen der Niveaustufe C1 vorbereiten soll, d. h. auf das
Goethe-Zertifikat C1, telc Deutsch C1 und das Österreichische Sprachdiplom (ÖSD) C1.
Aspekte Band 3 umfasst ein Lehrbuch (das je nach Bedarf mit einer DVD erworben
werden kann), 3 Audio-CDs zum Lehrbuch, ein Arbeitsbuch mit Übungstests auf
einer CD-ROM (zur gezielten Prüfungsvorbereitung) sowie Lehrerhandrei-
chungen; der Rezension liegt das Lehrbuch mit den CDs zugrunde.
Das Lehrbuch besteht aus 10 Kapiteln, wobei in jedem Kapitel an vier Fertig-
keiten gearbeitet wird und neben neuem Wortschatz und Wortschatzübungen
(diese kommen meistens im Arbeitsbuch vor) auch ein Grammatikteil auftritt.
Die modulare Konzeption des Lehrwerks findet hier ihre Fortsetzung. Jedes
Kapitel besteht nämlich aus vier ziemlich ähnlich aufgebauten Modulen, in
denen die Integration bestimmter Fertigkeiten im Vordergrund steht. In die o. g.
vier Module führt ein doppelseitiger Einstieg (d. h. eine thematische Einfüh-
rung in jedes Kapitel) ein, in dem die Lerner immer zuerst direkt angesprochen
und aktiv in das Unterrichtsgeschehen eingebunden werden. Dies geschieht
vorwiegend durch die Präsentation von Bildmaterial, das von kürzeren oder

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