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" Pacta sunt servanda " im deutschen und französischen


Verwaltungsvertragsrecht

Article · May 2012

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Ulrich Stelkens
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
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Erstveröffentlichung: DVBl. 2012, 609 – 615

DVBl 2012, 609

„Pacta sunt servanda“ im deutschen und französischen Verwaltungsvertragsrecht

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Stelkens, Speyer*

Der Beitrag vergleicht die unterschiedliche Ausgestaltung der Bindungswirkung von Ver-
waltungsverträgen im deutschen und französischen Recht und des in den jeweiligen Rechtsord-
nungen gefundenen Ausgleichs zwischen dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ und öffentli-
chen Interessen, die im Einzelfall für eine Vertragsnichtigkeit oder Vertragsauflösung sprechen
können.

I. Einführung

Sowohl die deutsche als auch die französische Verwaltung kann mit Privaten Verträge schlie-
ßen und sie schließt solche Verträge in erheblichem Umfang: Die Vertragstätigkeit reicht inso-
weit vom mehr oder weniger simplen Einkauf von Waren und Dienstleistungen, dem Verkauf,
der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken und anderen Vermögenswerten und dem
Abschluss von Arbeitsverträgen über Subventionsverträge und städtebauliche Verträge bis hin
zu hochkomplexen, bis ins Einzelne ausgehandelten Verträgen über Öffentlich-Private Partner-
schaften. Jedenfalls in Deutschland haben sich zudem auch Kommunen und andere Verwal-
tungsträger spekulativ auf dem Kapitalmarkt betätigt, in dem z. B. Zinsswap-Verträge geschlos-
sen wurden.1 Teilweise versuchte man sich auch in der kreativen Nutzung von Besonderheiten
ausländischen Steuerrechts, was zahlreiche Cross-Border-Leasing-Verträge zur Folge hatte, de-
ren Risiken sich zu Lasten der Verwaltung nun auf Grund der Finanzkrise verwirklicht haben.2

* Der Verfasser ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere deutsches und europäisches Verwal-
tungsrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und ordentliches Mitglied des Deut-
schen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer. Der Text beruht auf einem Vortrag, den der Verf. am
2. 7. 2010 auf einer Festveranstaltung zur Feier des 55. Geburtstags des Centre Juridique Franco-Allemand (CJFA)
in Saarbrücken gehalten hat. Er ist dem Andenken an Prof. Dr. Christian Autexier gewidmet, der am 10. 12. 2011
verstorben ist und langjähriger Co-Direktor des CJFA war.
1 S. hierzu z. B. LG Ulm, U. v. 22. 8. 2008 – 4 O 122/08 – ZIP 2008, 2009 ff.; LG Wuppertal, U. v. 16. 7. 2008 – 3 O
33/08 – WM 2008, 1637 ff.; I. Fritsche/S. Fritsche, LKV 2010, 201 ff.; dies., LKV 2011, 499 ff.; P. Gehrmann/L.
Lammers, KommJuR 2011, 41 ff.; L. Lammers, NVwZ 2012, 12 ff,; J. Weck/M. Schick, NVwZ 2012, 18 ff.;
Wille/Fullenkamp, KommJuR 2012, 1 (4 ff.).
2 S. hierzu z. B. BVerwG, B. v. 8. 2. 2011 – 20 F 13.10 – DVBl. 2011, 501 Rdnr. 16 ff.; OVG Münster, B. v. 3. 5.
2010 – 13a F 31/09 – NVwZ 2010, 1044 (1045 f.); KG Berlin, U. v. 14. 12. 2006 – 23 U 128/04 – BeckRS 2008,
21476; C. Böhm/C. Stepputat, DÖV 2009, 984 ff.; K. Rahm, NVwZ 2010, 288 ff.
–2–

Verwaltungsverträge3 bilden somit – unabhängig von ihrer Rechtsnatur – die Grundlage für
erhebliche Investitionen und finanzielle Engagements sowohl der öffentlichen Hand als auch
der privaten Vertragspartner. Dies bietet der Verwaltung zunächst einmal Vorteile: Sie kann
sich des Instruments des Vertrages bedienen, um ihre Aufgaben zu erfüllen und sich die hierfür
notwendigen Leistungen auf dem Markt zu beschaffen. Sie kann aber z. B auch durch Verspre-
chen entsprechender Gegenleistungen zu Investitionen ermuntern, sich durch Übernahme be-
stimmter Risiken neue Finanzierungsquellen erschließen, kreative Lösungen auf dem Verhand-
lungswege finden usw. Dieser Vorteil hat aber seinen Preis, klar umschrieben in Art. 1134 Abs.
1 und 2 des französischen Code Civil: „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi
à ceux qui les ont faites. Elles ne peuvent être révoquées que de leur consentement mutuel, ou
pour les causes que la loi autorise.“4 Hier wird letztlich der Grundsatz „pacta sunt
servanda“ festgeschrieben: Verträge sind einzuhalten, zu erfüllen, zu „bedienen“, und zwar
auch dann, wenn man nicht mehr an sie gebunden sein will. Denn nur die Aussicht, die ver-
sprochene Gegenleistung zu erhalten und behalten zu dürfen, motiviert (in der Regel) die Ver-
tragsparteien, die eigene Leistung zu versprechen und zu erfüllen, so dass die gesetzlich aner-
kannte Vertragsverbindlichkeit als Voraussetzung für den Leistungsaustausch erscheint.5

Ist die Verwaltung Vertragspartner, ist die Verbindlichkeit geschlossener Verträge allerdings
nicht unproblematisch. Sie kann zunächst im Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit
der Verwaltung stehen, nämlich dann, wenn die Verwaltung den konkreten Vertrag überhaupt
nicht oder nicht mit diesem Inhalt hätte abschließen dürfen.6 So haben sich verschiedene Ver-
waltungsträger, die hochriskante Spekulationsgeschäfte abgeschlossen haben, nach Risikoein-
tritt darauf berufen, sie hätten derartige Geschäfte haushaltsrechtlich gar nicht tätigen dürfen,
so dass sie unwirksam seien.7 Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist aber auch berührt, wenn
die Verwaltung den Vertrag zwar seinem Inhalt nach hätte abschließen dürfen, aber nicht mit

3 Als Verwaltungsverträge werden hier alle Verträge bezeichnet, an denen (ungeachtet ihrer Rechtsnatur) auf mindes-
tens einer Seite die öffentliche Verwaltung beteiligt ist. Zu diesem mittlerweile herrschenden Begriffsverständnis nur
H. Bauer, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd.
2, 2008, § 36 Rdnr. 70 (der selbst allerdings den Begriff noch weiter fasst). In der französischen Diskussion wird
insoweit vielfach der (etwas ungenauere) Begriff des „Contrat public“ gebraucht, s. R. Noguellou/U. Stelkens in: R.
Noguellou/U. Stelkens/H. Schroeder (Hrsg.), Droit comparé des Contrats Publics/Comparative Law on Public
Contracts, 2010, S. 1 (5 f.).
4 „Rechtmäßig geschlossene Verträge gelten gleich Gesetzen unter denjenigen, die sie geschlossen haben. Nur mit
wechselseitiger Einwilligung oder aus gesetzlichen Gründen, können sie widerrufen werden.“ (so die deutsche Fas-
sung des Code Napoléon für das Großherzogtum Baden).
5 S. hierzu K. Stern, VerwArch 49 (1958), 106 (121 ff.).
6 S. nur H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 14 Rdnr. 25.
7 Vgl. die Nachw. in Fußn. 1.
–3–

dem konkret gewählten Vertragspartner. Dies ist ein Problem, das sich insbesondere im Verga-
berecht stellt, aber auch in allen anderen Fällen, in denen vertraglich Begünstigungen gewährt
werden, um die sich verschiedene Bewerber bewerben – so bei der Einstellung und Beförderung
von Arbeitnehmern des Öffentlichen Dienstes,8 bei der Vergabe „ausgeschriebener“ Subven-
tionen,9 des Verkaufs oder der Vermietung, Verpachtung von Grundstücken und sonstigen Ver-
mögensgegenständen10 usw.

DVBl 2012, 610

Die Vertragsbindung als vielfach in die Zukunft wirkende Bindung kann aber auch verwal-
tungspolitische Entscheidungsspielräume in einer Art und Weise einengen, die letztlich die
Durchführung im Grundsatz legitimer Politikwechsel erschweren oder zumindest faktisch aus-
schließen kann. Kann etwa eine Gemeinde ein bestimmtes – vertraglich mit einem Investor
vereinbartes – städtebauliches Projekt nach einer Änderung der politischen Verhältnisse aufge-
ben? Diese Frage spielte etwa bei der Diskussion über die Aufrechterhaltung der vom Land
Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart geschlossenen Finanzierungsverträge für das Pro-
jekt „Stuttgart 21“ eine Rolle.11 Oder auch: Kann eine Gemeinde, die versäumt hat, eine be-
stimmte Klausel zu vereinbaren, diese nachträglich in den Vertrag einführen, nur weil sie im
öffentlichen Interesse liegt? Damit ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit der Grundsatz
„pacta sunt servanda“ im öffentlichen Interesse für die vertraglich handelnde Verwaltung mo-
difiziert werden muss. Diesen Fragen soll im Folgenden vor dem Hintergrund der im deutschen
und französischen Verwaltungsvertragsrecht gefundenen Lösungen in zwei Schritten nachge-
gangen werden. Der Gang der Untersuchung orientiert sich dabei an den Einschränkungen des
Prinzips „pacta sunt servanda“, die Art. 1134 Code Civil hervorhebt: Dieser Grundsatz gilt nur
für Verträge, die einerseits „légalement formés“, also rechtsgültig geschlossen sind, und ande-
rerseits nur insoweit, als das Gesetz keine Möglichkeit vorsieht, den Vertrag einseitig zu „wi-
derrufen“.

Daher soll nachstehend zunächst der Fall behandelt werden, dass ein Verwaltungsvertrag von
Anfang an rechtswidrig (und insoweit nicht légalement formé) ist, wobei hier nur solche

8 S. hierzu für Deutschland zuletzt W. Laubinger, ZBR 2010, 332 (334 ff.); ferner die Nachw. bei U. Stelkens, in: P.
Stelkens/H. J. Bonk/M. Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2012, § 35 Rdnr. 128.
9 Vgl. VG Darmstadt, U. v. 21. 10. 2009 – 9 K 1230/07 – NVwZ 2010, 1169 (1171); U. Stelkens (Fußn. 8), EuR Rdnr.
234 f.
10 S. hierzu für Deutschland F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 465 ff. m. w. N.; für Frankreich: M.
Kermorgant, AJDA 2011, 2105 ff.
11 S. hierzu S. Kropp, Jahrbuch des Föderalismus 2011, S. 192 (194 ff.).
–4–

„Rechtswidrigkeiten“ besondere Aufmerksamkeit verdienen, die sich daraus ergeben, dass die
vertragsschließende Behörde bei Vertragsschluss gegen Rechtsvorschriften oder Rechtsgrund-
sätze verstößt, die im Verkehr zwischen Privaten nicht gelten. In diesem Zusammenhang stellt
sich die Frage, ob der Vertrag wegen eines solchen Rechtsverstoßes als nichtig anzusehen und
deshalb gegebenenfalls rückabzuwickeln ist. Dann würde zu Lasten des privaten Vertragspart-
ners der Grundsatz „nemo censetur ignorare legem“ angewandt: Niemand kann sich hiernach
darauf berufen, das Recht nicht zu kennen. Die Frage ist jedoch, ob das passend ist oder ob
nicht dem privaten Vertragspartner zugestanden werden muss, die Grenzen des Verwaltungs-
handelns nicht besser beurteilen zu können als die Verwaltung selbst (I.). In einem zweiten
Schritt soll dann der Frage nach der Geltung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ in der
Durchführungsphase des Vertrags nachgegangen werden: Sind hier die Parteien gleichgeordnet
oder verfügt eine Vertragspartei über Privilegien und das Recht, den Vertrag zu modifizieren?
(II.) Beide Teilfragen – die sich unabhängig davon stellen, ob der Vertrag als öffentlich-recht-
licher oder privatrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist – sind von erheblicher Relevanz für die
„Attraktivität“ der Verwaltung als Vertragspartner für Private: Weichen die für Verwaltungs-
verträge geltenden Regelungen zu sehr vom normalen Zivil- oder Handelsrecht ab, verteilen sie
Risiken zu einseitig auf den privaten Vertragspartner oder sind sie einfach auch nur weniger
vorhersehbar als die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen, kann sich dies negativ auf die
Bereitschaft auswirken, mit der Verwaltung Verträge zu schließen und auf Grundlage dieser
Verträge z. B. Investitionen zu tätigen.

II. Der rechtswidrige Verwaltungsvertrag: „Nemo censetur ignorare legem“ oder Ver-
trauensschutz?

Damit ist zunächst zu fragen, welche Risiken sich für den privaten Vertragspartner ergeben
können, wenn die Verwaltung einen Vertrag unter Missachtung der nur sie bindenden Vorgaben
abschließt, etwa indem bei Vertragsschluss die Kompetenzen der vertragsschließenden Be-
hörde, das Haushaltsrecht oder auch die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge
missachtet werden. Dabei ist sogleich klarzustellen, dass dies den privaten Vertragspartner nur
dann interessieren muss, wenn die entsprechende Rechtsordnung an derartige Rechtsfehler
Rechtsfolgen knüpft, die auf die Wirksamkeit des Vertrages durchschlagen. Insoweit wird so-
wohl in Deutschland als auch in Frankreich zwischen zwei Arten von Fehlern differenziert.12
Einerseits: Fehler, die den Vertragsinhalt betreffen (die Verwaltung hätte diesen Vertrag mit

12 Zu dieser Unterscheidung aus rechtsvergleichender Sicht Noguellou/Stelkens (Fußn. 3), S. 15 ff.


–5–

diesem Inhalt überhaupt nicht abschließen dürfen). Andererseits: Fehler, die sich auf die Aus-
wahl des Vertragspartners, also auf das „Mit wem“ des Vertragsschlusses beziehen, wobei dies
– wie bereits erwähnt – insbesondere im Vergaberecht eine Rolle spielt.

1. Fehler betreffend den Inhalt und den Gegenstand von Verwaltungsverträgen

Fragt man nach Fehlern betreffend den Inhalt und den Gegenstand von Verwaltungsverträgen
und ihren Folgen, so fällt zunächst auf, dass das Thema in der deutschen und der französischen
Literatur unterschiedlich intensiv diskutiert wird.

a) Unterschiedliche Ansätze

aa) In Frankreich wird der „contrat administratif illégal“ zwar behandelt13 und es werden
Bereiche aufgezählt, in denen die Verwaltung – zumindest im Regelfall – überhaupt nicht ver-
traglich handeln darf, z. B. im Bereich des Steuerrechts.14 Doch es werden dem vertraglichen
Verwaltungshandeln kaum Grenzen gezogen, soweit die Verwaltung vertraglich handeln darf.
So kennt das französische Verwaltungsvertragsrecht strikte Bindungen i. S. des deutschen Kop-
pelungsverbots des § 56 VwVfG nicht, sondern es wird im Gegenteil die Vertragsfreiheit auch
der öffentlichen Hand betont.15 Auch wenn das Koppelungsverbot in Deutschland als Rechts-
staatsgebot verstanden wird,16 ist es somit kein gemeineuropäischer Rechtsgrundsatz17 und
dürfte sich wohl auch kaum in dieser Allgemeinheit aus den allgemeinen Lehren über den Er-
messensmissbrauch (détournement de pouvoir) herleiten lassen.18

Soweit ein Rechtsverstoß vorliegt, wird allerdings auch in Frankreich angenommen, dass der
Vertrag nichtig sei, was

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13 Siehe z. B. D. Pouyaud, La nullité des contrats administratifs, 1991; J.-F. Lafaix, Essai sur le traitement des irrégu-
larités dans les contrats de l’Administration, 2009.
14 Siehe z. B. L. Richer, Droit des contrats administratifs, 6. Aufl. 2008, Rdnr. 71 ff.; C. Guettier, Droit des contrats
administratifs, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 201 ff.
15 Guettier (Fußn. 14), Rdnr. 182 ff.; Richer (Fußn. 14), Rdnr. 185 ff.; s. a. auch Gromitsaris, JöR n. F. 57 (2009), 255
(276 f.)
16 S. nur H. J. Bonk/W. Neumann in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fußn. 8), § 56 Rdnr. 4a.
17 U. Stelkens (Fußn. 8), § 56 Rdnr. 59; a. A. – ohne nähere Begründung – W. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungs-
handelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 496.
18 So aber A. Bleckmann DVBl. 1981, 889 (897).
–6–

von den Verwaltungsgerichten in einem von den Vertragsparteien eingeleiteten Verfahren


gegebenenfalls festzustellen sei.19 Als Folge der geschilderten, im Vergleich zu Deutschland
vielfach größeren Entscheidungsspielräume der vertragsschließenden Verwaltung werden im
Ergebnis in Frankreich jedoch letztlich nur solche Verwaltungsverträge als wegen inhaltlicher
Rechtswidrigkeit nichtig angesehen, die gegen Vertragsformverbote oder sonstige eindeutig
formulierte gesetzliche Verbote verstoßen.20 Eine regelrechte Fehlerfolgenlehre, die mit der des
fehlerhaften Verwaltungsakts vergleichbar ist, scheint es dagegen nicht zu geben. Ein Span-
nungsverhältnis zwischen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Grundsatz „pacta sunt ser-
vanda“ wird offenbar nicht gesehen.

bb) Umgekehrt wird in Deutschland die Frage der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsver-
trages und ihrer Folgen weitgehend nach wie vor als „das“ Hauptproblem des Verwaltungsver-
tragsrechts angesehen21 und fast so ausgiebig behandelt wie die Lehre vom rechtswidrigen Ver-
waltungsakt.22 Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass vertragliches Verwaltungshan-
deln als tendenziell gefährlich für die Einhaltung der Bindungen des öffentlichen Rechts ange-
sehen wird, derer sich die Verwaltung weder vertraglich noch durch eine „Flucht ins Privat-
recht“ entziehen können soll. Selbst nach Schmidt-Aßmann ist etwa das gesamte Vertragsrecht
der Verwaltung von den Sonderbindungen der Verwaltung zu entwickeln, wobei diese Sonder-
bindungen sowohl dem Schutz des Vertragspartners dienen als auch den Schutz Dritter und die
Wahrung öffentlicher Interessen zielen sollen.23 Vertragliches Verwaltungshandeln steht damit
in Deutschland unter einem gewissen Generalverdacht des „Ausverkaufs von Hoheitsrechten“,
den es zu verhindern gelte. Daher wird zumeist auch angenommen, ein inhaltlich gegen öffent-
lich-rechtliche Vorgaben verstoßender Verwaltungsvertrag müsse im Zweifel nichtig sein.24

19 Der ursprünglich hierfür einschlägige „recours en déclaration de nullité“ wurde durch die Entscheidung des Conseil
d’État vom 28. 12. 2009, Commune de Béziers, req. n° 304802, zu einem „recours en contestation de la validité du
contrat“ weiterentwickelt; siehe hierzu J.-F. Lafaix, rfda 2010, 1089 ff. m. w. N.
20 Vgl. die Darstellung der Grenzen der Vertragsfreiheit der Verwaltung bei Guettier (Fußn. 14), Rdnr. 182 ff.
21 So ausdrücklich Maurer (Fußn. 6), § 14 Rdnr. 25 (allerdings wohl nur bezogen auf öffentlich-rechtliche Verwaltungs-
verträge).
22 Vgl. Bauer (Fußn. 3), § 36 Rdnr. 92.
23 E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Rdnr. 6/14 (unter Verweis
auf H. C. Röhl, Verwaltung durch Vertrag, Habilitationsschrift [unveröffentlicht]), 2005, S. 17 ff.
24 Die (auf öffentlich-rechtliche Verwaltungsverträge beschränkte) Rechtsprechungsanalyse von M. Werner (Allge-
meine Fehlerfolgenlehre für den Verwaltungsvertrag, 2008, S. 132 ff.) bestätigt zwar nicht meine – an anderer Stelle
(U. Stelkens, Die Verwaltung 37 [2004], 193, 224) – aufgestellte Behauptung, dass noch „kein Gericht einen öffent-
lich-rechtlichen Vertrag nur als rechtswidrig angesehen hat, ohne (zumindest) über § 59 Abs. 1 VwVfG i. V. mit
§ 134 BGB auch zur Nichtigkeit des Vertrags zu kommen.“ Allerdings macht sie auch deutlich, dass sich nicht klar
bestimmen lässt, welche Rechtsverstöße zur Vertragsnichtigkeit führen, s. ferner die Ausführungen bei Fußn. 36
–7–

Als Schlüsselnorm25 gilt insoweit (§ 59 Abs. 1 VwVfG i. V. mit) § 134 BGB, nach dem ein
Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist, wenn sich nicht aus dem Gesetz
etwas anderes ergibt. Als „gesetzliche Verbote“ in diesem Sinne hat die Rechtsprechung auch
schon die verschiedensten öffentlich-rechtlichen Handlungsmaßstäbe qualifiziert, z. B. die
Grundrechte im Allgemeinen,26 Art. 3 Abs. 1 i. V. mit Art. 21 GG,27 das EU-rechtliche Verbot
des Art. 108 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 88 Abs. 3 EGV),28 die Vertrauensschutzgrundsätze des § 48
Abs. 2 VwVfG29, einzelne Grundsätze des Kommunalabgabenrechts30, des Städtebaurechts31,
des Haushaltsrechts32 und teilweise auch sehr spezielle Regelungen wie bestimmte Grundsätze
des früheren § 89 II. WoBauG,33 der Regelung der Ertragszuständigkeit für die Gewerbe-
steuer34 und einzelne landesrechtliche Detailregelungen über die Lastenverteilung zwischen
Land und Kommunen.35

Allerdings wäre es auch verfehlt anzunehmen, jeder Verstoß gegen öffentlich-rechtliche


Pflichten der vertragsschließenden Behörde zöge über § 134 BGB die Vertragsnichtigkeit nach
sich. Denn die Nichtigkeit des Vertrages bedeutet in Deutschland immer eine absolute Nichtig-
keit und fordert, den nichtigen Vertrag vollständig rückabzuwickeln.36 Die Durchführung eines
nichtigen Vertrags wird letztlich selbst als Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
angesehen. Wäre also jeder rechtswidrige Verwaltungsvertrag nichtig, würden Rechtssicher-

25 Bauer (Fußn. 3), § 36 Rdnr. 94.


26 BGH, U. v. 4. 12. 1980 – VII ZR 217/80 – BGHZ 79, 111 (115 f.); BGH, U. v. 10. 9. 2003 – IV ZR 387/02 – NVwZ-
RR 2004, 56 f.
27 BGH, U. v. 11. 3. 2003 - XI ZR 403/01 – BGHZ 154, 146 (149 ff.).
28 BGH, U. v. 4. 4. 2003 – V ZR 314/02 – EuZW 2003, 444 (445 f.); BGH, U. v. 20. 1. 2004 – XI ZR 53/03 – NVwZ
2004, 636 (637); BGH, U. v. 24. 10. 2003 – V ZR 48/03 – EuZW 2004, 254 (255); BGH, U. v. 5. 7. 2007 – IX ZR
256/06 – BGHZ 173, 129 Rdnr. 34 ff.; BGH, U. v. 10. 2. 2001 – I ZR 136/09 – EuZW 2011, 440 Rdnr. 40.
29 BGH, U. v. 4. 4. 2003 – V ZR 314/02 – EuZW 2003, 444 (446); BGH, U. v. 17. 6. 2003 – XI ZR 195/02 – BGHZ
155 (166).
30 BGH, U. v. 23. 9. 1969 – VI ZR 19/68 – BGHZ 52, 325 (334); BGH, U. v. 26. 11. 1975 – VIII ZR 164/74 – BGHZ
65, 284 (287 ff.); BGH, U. v. 6. 2. 1985 – VIII ZR 61/84 – BGHZ 93, 358 (363 ff.); BGH, U. v. 10. 10. 1991 – III
ZR 100/90 – BGHZ 115, 311 (317 ff.); OVG Lüneburg, U. v. 11. 7. 1989 – 9 L 39/09 – NVwZ 1990, 91 (92 ff.).
31 BGH, U. v. 22. 11. 1979, BGHZ 76, 16 (21 f.); BGH, U. v. 12. 12. 1980 – V ZR 43/79 – NJW 1981, 916 (917); BGH,
U. v. 7. 2. 1985 – III ZR 179/83 – BGHZ 93, 372 (377).
32 BGH, U. v. 7. 3. 1962 – V ZR 132/60 – BGHZ 36, 395 (397 f.); BGH, U. v. 25. 1. 2006 – VIII ZR 398/03 – NVwZ-
RR 2007, 47 (Rdnr. 31 f.); OVG Lüneburg, B. v. 30. 4. 2010 – 10 ME 186/09 – NdsVBl. 2010, 251 (253).
33 BGH, U. v. 20. 12. 1968 – V ZR 51/65 – DÖV 1969, 861 (862 f.).
34 BGH, U. v. 14. 4. 1976 – VIII ZR 253/74 – BGHZ 66, 199 (200 ff.).
35 BGH, U. v. 5. 4. 1984 – III ZR 12/83 – BGHZ 91, 84 (95 ff.); BGH, U. v. 24. 5. 2000 – III ZR 252/99 – NVwZ-RR
2000, 703 (704).
36 BVerwG, U. v. 29. 1. 2009 – 4 C 15/07 – BVerwGE 133, 85 Rdnr. 17; Franckenstein, BayVBl. 2003, 615 ff.; Maurer
(Fußn. 6), § 14 Rdrn. 44 ff.; Werner (Fußn. 24), S. 165 ff.
–8–

heitsaspekte völlig in den Hintergrund gestellt. Um dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit Rech-
nung zu tragen, verlangt die Rechtsprechung daher für ein „gesetzliches Verbot“ an sich auch
eine „qualifizierte Rechtswidrigkeit“. Eine nachvollziehbare Kasuistik ist jedoch bisher noch
nicht entwickelt worden, sondern es wird von Fall zu Fall entschieden.37 Dies ist der Rechtssi-
cherheit kaum zuträglich.38 Die so begründete Rechtsunsicherheit wird zudem noch dadurch
verstärkt, dass ein Verstoß gegen das eher vage Koppelungsverbot des § 56 VwVfG nach § 59
Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ebenfalls zur Nichtigkeit von öffentlich-rechtlichen Verträgen führt.39 Bei
zivilrechtlichen Verwaltungsverträgen wird eine Verletzung des Koppelungsverbots ebenfalls
als Nichtigkeitsgrund angesehen, nämlich als ein die Sittenwidrigkeit des Verwaltungsvertrages
begründender Umstand i. S. des § 138 Abs. 1 BGB.40

DVBl 2012, 612

b) Gründe für die Unterschiede und ihre Probleme

Was können nun die Ursachen, die Gründe für diese unterschiedliche Problemwahrnehmung
in Deutschland und in Frankreich sein und wie sind die gefundenen Lösungen zu bewerten?
Eine der Ursachen dürfte darin liegen, dass ein wirksam geschlossener Verwaltungsvertrag von
der Verwaltung in Deutschland tatsächlich durchzuführen ist und insoweit – anders als in
Frankreich, wie noch zu zeigen sein wird (s. u. III 1) – kaum Rücktritts und Vertragsauflösungs-
instrumente existieren, die es der Verwaltung erlauben würden, von einem Vertrag, den sie
nachträglich als rechtswidrig erkennt, wieder Abstand zu nehmen.

Ein weiterer Grund dürfte schlicht in der traditionell unterschiedlichen Aufgabenzuweisung


des Verwaltungsrechts zu sehen sein. Lange Zeit wurde es in Deutschland als vornehmliche
Aufgabe des Verwaltungsrechts gesehen, die Verwaltung zu binden und diese Bindungen auch

37 Werner (Fußn. 24), S. 148 f.


38 Deutlich (für öffentlich-rechtlichen Vertrag) Röhl (Fußn. 23), S. 363 f.; für privatrechtlichen Vertrag: U. Stelkens,
Verwaltungsprivatrecht, 2005, S. 930 ff.
39 Zu den durch das Koppelungsverbot folgenden Rechtsunsicherheiten H. Butzer, DÖV 2002, 881 ff.
40
Das rechtsstaatliche Koppelungsverbot ist sogar ursprünglich für (nach damaliger Rechtsprechung) dem Zivilrecht
zuzuordnende Verwaltungsverträge entwickelt worden, so z. B. RG, U. v. 7. 6. 1902 – V 425/01 – RGZ 51, 417
(421 f.); RG, U. v. 9. 2. 1928 – VI 261/27 – RGZ 120, 144 (146 ff.); RG, U. v. 23. 1. 1931 – III 117/30 – RGZ 132,
174 (179 f.); RG, U. v. 26. 10. 1931 – VI 285/31 – RGZ 133, 361 (363); RG, U. v. 13. 12. 1932 – III 20/32 – RGZ
138, 300 (308).
–9–

effektiv durchzusetzen. Diese Konzeption führt dazu, dass sich die traditionelle Verwaltungs-
rechtswissenschaft darauf konzentrierte, was die Verwaltung nicht tun darf.41 Dies hat zu einer
relativen Dichte von Verboten für die Verwaltung geführt, insbesondere dadurch, dass dem
Bürger gegenüber der Verwaltung eine Reihe von Rechten eingeräumt werden, auf die er auch
vertraglich nicht verzichten kann.42 Aber auch die mit dem Föderalismus und der kommunalen
Selbstverwaltung verbundenen Kompetenzabgrenzungsfragen tragen zur Dichte des Netzes ge-
setzlicher Verbote in Deutschland bei. Im Gegensatz dazu wird in Frankreich das Verwaltungs-
recht eher als das Recht verstanden, das die Verwaltung befähigen soll, im Allgemeininteresse
die ihr zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Es geht weniger darum, der Verwaltung etwas zu
erlauben als ihr etwas zu ermöglichen.43 Die Handlungsmaßstäbe der Verwaltung sind in
Frankreich daher weit weniger präzise und strikt formuliert. Im Ergebnis führt dies dazu, dass
es für die vertragsschließende Verwaltung in Deutschland schlicht mehr gesetzliche Bindungen
gibt als in Frankreich, so dass das Risiko eines Verstoßes gegen die Gesetzmäßigkeit der Ver-
waltung durch Vertrag in Deutschland einfach größer und daher auch öfter Gegenstand gericht-
licher Auseinandersetzungen ist. Es wird daher auch von „Nichtigkeitsfallen“ im deutschen
Verwaltungsvertragsrecht gesprochen.44

Damit ist ein generelles Problem angesprochen: Bezogen auf begünstigende Verwaltungsakte
bzw. actes administratifs unilatérales non réglementaires haben sich in beiden Rechtsordnungen
über Jahre hinweg Grundsätze entwickelt, die dem Betroffenen gestatten, auf den Bestand ein-
mal getroffener Verwaltungsentscheidungen zu vertrauen, auch wenn diese rechtswidrig sind.
In beiden Rechtsordnungen werden insoweit – wenn auch mit unterschiedlichem Ergebnissen
im Detail – das Interesse des Betroffenen am Bestand der begünstigenden Verwaltungsentschei-
dung und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gegeneinander abgewogen.45 Damit
wird die Einhaltung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Verwaltungsentscheidung letzt-
lich in die Verantwortungssphäre der Verwaltung geschoben oder umgekehrt: Es wird von dem

41 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Rdnr. 1/30; A. Voß-
kuhle, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 1
Rdnr. 8.
42 S. zur „Verrechtlichung“ als Generalmerkmal des deutschen Öffentlichen Rechts nach 1949: R. Wahl, Herausforde-
rungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 31 ff.
43 Zur historischen Entwicklung dieser Konzeption des Verwaltungshandelns siehe z. B. J.-L. Mestre, in: A. von
Bogdandy/S. Cassese/P. M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum III, 2010, § 43 Rdnr. 23 ff., 36 ff.
44 H. Schmitz, DVBl. 2005, 17 (19).
45 Für Frankreich siehe hierzu z. B. den Kommentar zu der Entscheidung des Conseil d’État vom 26. 10. 2001, Ternon,
req. n° 197018, Rec. 497, in M. Long/P. Weil/G. Braibant/P. Delvolvé/B. Genevois, Les grands arrêts de la jurispru-
dence administrative, 17. Aufl. 2009, Nr. 109, S. 815 ff.
– 10 –

Betroffenen nicht erwartet, dass er über die richtige Anwendung des Verwaltungsrechts besser
informiert sein müsse als die Behörde – er kann auf die Richtigkeit der Rechtsanwendung durch
die Behörde vertrauen.46

Es ist daher schon überraschend, dass bei vertraglichem Verwaltungshandeln entsprechende


Überlegungen keine Rolle spielen. So kann es in Deutschland etwa sein, dass ein rechtswidriger
Subventionsbescheid Bestand hat, weil dem Subventionsempfänger Vertrauensschutz zu ge-
währen ist, während ein rechtswidriger Subventionsvertrag bei gleicher Sach- und Rechtslage
als nichtig anzusehen wäre, so dass Vertrauensschutzerwägungen keine Rolle spielen. 47 Wirk-
lich rechtfertigen lässt sich diese unterschiedliche Behandlung nicht.

2. Fehler betreffend die Auswahl des Vertragspartners

Die Situation stellt sich etwas anders in sogenannten Verteilungssituationen dar. Dabei geht
es um Fälle, in denen mehrere Konkurrenten – z. B. Bewerber um einen öffentlichen Auftrag –
mit der Verwaltung einen bestimmten Vertrag abschließen wollen. In derartigen Fällen ist das
Augenmerk zunächst auf das Auswahlverfahren gerichtet, das als Verwaltungsverfahren spezi-
fischen Regelungen folgt und sicherstellen soll, dass der Vertrag mit dem am besten geeigneten
Vertragspartner geschlossen wird.

Bei allen diesen Verteilungsverfahren stellt sich allerdings die Frage, was geschieht, wenn
die Verwaltung eine rechtswidrige Auswahlentscheidung getroffen und auf Grund dieser Aus-
wahlentscheidung auch den Vertrag mit dem zu Unrecht erfolgreichen Bewerber geschlossen
hat. Hier geht sowohl die deutsche als auch die französische Rechtsordnung davon aus, dass
die Verwaltung jedenfalls nicht verpflichtet ist, denselben Vertrag mit dem zu Unrecht über-
gangenen Bewerber zu schließen, solange der Vertrag mit dem erfolgreichen Bewerber wirk-
sam ist. Mit einem wirksamen Vertragsschluss mit dem erfolgreichen Bewerber geht also das
Recht auf Vertragsschluss des erfolglosen Bewerbers unter. Folglich fragt sich, ob

46 So im Hinblick auf die Aufhebung rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte F. Ossenbühl, Die Rücknahme
fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte, 2. Aufl. 1965, S. 84 f.; G, Schäfer, Der Widerruf begünstigender Ver-
waltungsakte, 1960, S. 36; jeweils gegen G. Sommer, DÖV 1954, 716.
47 Vgl. zu diesem Problem U. Stelkens (Fußn. 38), S. 1154 ff. Dieses Problem stellt sich allerdings in Frankreich nicht
in gleicher Weise wie in Deutschland, da in Frankreich über das „ob“ der Subvention immer durch act administratif
unilatéral non réglementaire entschieden wird; nur das „wie“ der Gewährung der Subvention kann (bzw. muss in
bestimmten Fällen) vertraglich geregelt werden. Für die Rückforderung von Subventionen gelten damit im Ergebnis
die Regeln zur Aufhebung von act administratif unilatéral non réglementaire wegen Rechtswidrigkeit. Siehe hierzu
Conseil d’État, Entscheidung v. 5. 7. 2010, Chambre de commerce et d’industrie de l’Indre, req. n° 308615, Note E.
Glaser, ajda 2010, 1919 ff.; J.-P. Markus, Suppression d’une subvention accordée par convention: résolution de con-
trat ou retrait d’un acte administratif?, La semaine juridique n° 38 (2010), 33 ff. Siehe auch Q. Epron, RDP 2010, 63
(76 ff).
– 11 –

DVBl 2012, 613

Fehler der Verwaltung im Auswahlverfahren Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Ver-
trages haben, den die Verwaltung auf Grundlage des fehlerhaften Verwaltungsverfahrens ge-
schlossen hat. Denn nur bei Nichtigkeit dieses Vertrages wäre der Weg für eine neue Auswahl-
entscheidung frei, bei der der übergangene Bewerber zum Zuge kommen könnte.

Bezogen auf besonders schwere Verletzungen des europäischen Vergaberechts bemüht sich
insoweit das EU-Recht um eine Teilharmonisierung, wie sie in dem neuen Art. 2 d der Richtli-
nie 89/665/EWG48 zum Ausdruck kommt. Hiernach sind die Mitgliedstaaten gehalten, bei ab-
schließend aufgezählten groben Verstößen gegen das Vergaberecht den geschlossenen Vertrag
für unwirksam zu erklären, wobei hinsichtlich der genauen Rechtsfolgen dieser Unwirksamkeit
den Mitgliedstaaten aber viel Spielraum belassen wird. Dieser ermöglicht ihnen insbesondere,
auch die schützenswerten Interessen des erfolgreichen Bieters zu berücksichtigen, der in Ver-
trauen auf die Wirksamkeit des Vertrages etwa auch schon Investitionen getätigt und Leistun-
gen erbracht hat.49

Tatsächlich haben sowohl Deutschland als auch Frankreich hier versucht, Lösungen zu fin-
den, die diesen Vertrauensschutzaspekten Rechnung tragen. Eng begrenzt auf die Fälle der An-
wendbarkeit des europäischen Vergaberechts ist insoweit die deutsche Lösung des neuen
§ 101b GWB, der einen besonderen Nichtigkeitsgrund für den Fall der Verletzung der Verga-
berichtlinien vorsieht, der aber nur während einer bestimmten Frist und nur in dem speziell
dafür vorgesehenen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden kann.50 so dass bei Ver-
streichenlassen der Fristen durch alle Nachprüfungsberechtigten der Vertrag „bestandskräf-
tig“ werden kann.51 Zudem können sich auf die Fehlerfolge des § 101b GWB nur diejenigen

48 Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvor-
schriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauauf-
träge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2007 geänder-
ten Fassung.
49 K. Costa-Zahn/M. Lutz, NZBau 2008, 22 (25 ff.); Frenz, VergabeR 2009, 1 ff.; Noguellou/U. Stelkens (Fußn. 3),
S. 17.
50 Zu den Problemen dieser Konstruktion S. Bulla/W. Schneider, VergabeR 2011, 665 (668 f.); M. Dreher/J. Hoffmann,
NZBau 2009, 216 (219); dies., NZBau 2010, 201 ff.; D. Heinemann, VerwArch 103 (2012), 87, 103 ff.; H. Ollmann,
VergabeR 2004, 669 (675 f.); F. Peters NZBau 2011, 7 ff.
51 So OLG Naumburg, B. v. 29. 4. 2010 – 1 Verg 3/10 – VergabeR 2010, 979, 989 f.
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berufen, die durch die sanktionsbewehrte Pflicht auch geschützt werden sollen.52 Bei den Fris-
ten des § 101b GWB soll es sich zudem um formelle Ausschlussfristen handeln.53 § 101b GWB
ist damit im Umkehrschluss zu entnehmen, dass eine von Anfang an bestehende Vertragsnich-
tigkeit nach § 134 BGB nicht in Betracht kommt,54 während eine Berufung auf § 138 Abs. 1
BGB jedenfalls in Kollusionsfällen nicht ausgeschlossen sein dürfte.55 Handelt es sich bei dem
öffentlichen Auftrag um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. des § 54 VwVfG56 geht damit
die spezielle Fehlerfolge des § 101b GWB zwar einer Anwendung des § 59 Abs. 1 i.V.m. § 134
BGB, nicht aber des § 59 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 BGB vor. Mit. § 101b wird damit erstmals
ein spezifisches Sonderrecht für die öffentliche Verwaltung geschaffen, das den Grundsatz
„Pacta sunt servanda“ zugunsten der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurückstellt, dabei aber
über die erwähnten Frist- und Verfahrenserfordernisse auch dem Rechtssicherheitsinteresse des
erfolgreichen Bieters Rechnung trägt.57

In Frankreich gibt es ähnliche speziell auf das Vergabeverfahren zugeschnittene Regelungen,


auf die ich hier nicht näher eingegangen werden soll.58 Sie treten nämlich in ihrer Bedeutung
hinter einer jüngeren Rechtsprechung des Conseil d’État zurück, die durch das Urteil Societé
Tropic Travaux Signalisation vom 16. 7. 2007 begründet wurde.59 Diese Rechtsprechung er-
öffnet dem erfolglosen Bewerber eine Möglichkeit, vor den Verwaltungsgerichten unmittelbar
den mit dem erfolgreichen Bewerber geschlossenen Vertrag anzugreifen. Da es sich hierbei um
einen „recours de plein contentieux“ handelt, hat der Richter im Fall der Begründetheit dieser
Klage nicht nur die Möglichkeit, den Vertrag für nichtig zu erklären, sondern er kann nach Lage
des Falles unter Berücksichtigung der schützenswerten Interessen der Beteiligten letztlich alle

52 M. Dreher/J. Hoffmann NZBau 2010, 201 (204 f.); str. ist, ob sich auch diejenigen hierauf berufen können, die keine
Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätten: hiergegen OLG Brandenburg, B. v. 14. 9. 2010 – Verg W 8/10 –
VergabeR 2011, 114 (118 f.); a. A. OLG München, B. v. 13. 8. 2010 – Verg 10/10 – NZBau 2011, 59 (60); OLG
München, B. v. 12. 5. 2011 – Verg 26/10 – VergabeR 2011, 762 (770); Bulla/Schneider (Fußn. 50), S. 669.
53 OLG München, B. v. 10. 3. 2011 – Verg 1/11 – NZBau 2011, 445 (447).
54 Vgl. OLG München, B. v. 10. 3. 2011 – Verg 1/11 – NZBau 2011, 445 (447); K. Bitterich, NJW 2006, 1845 (1846 f.);
Frenz (Fußn. 49), S. 3 f.; Heinemann (Fußn, 50), S, 106; S. Storr SächsVBl 2008, 60 (63).
55 OLG München, B. v. 10. 3. 2011 – Verg 1/11 – NZBau 2011, 445 (447); M. Gabriel NJW 2009, 2011 (2015).
56 Ausf. zum Verhältnis zwischen den §§ 9 ff. VwVfG und den §§ 97 ff. GWB in derartigen Fällen U. Stelkens (Fußn.
8), § 54 Rdnr. 186 ff.
57 § 101b GWB regelt jedoch nicht die Frage, wie die sich aus der Rspr. des EuGH ergebende, aus Art. 260 Abs. 1
AEUV folgende „Vertragsbeendigungspflicht“ nach erfolgreichem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258
AEUV wegen eines einzelnen Vergaberechtsverstoßes durch eine mitgliedstaatliche Behörde durchgesetzt werden
kann. § 101b GWB schafft also insoweit auch nach Fristablauf für den erfolgreichen Bewerber keine Rechtssicher-
heit; näher hierzu U. Stelkens (Fußn. 8), § 59 Rn. 67, Rn. 82 f. und § 60 Rn. 37.
58 Siehe hierzu S. Braconnier, Précis du droit des marchés publics, 3. Aufl. 2009, S. 379 ff.
59 Conseil d’État, Entscheidung vom 16. 7. 2007, Societé Tropic Travaux Signalisation, req. n° 291545, Rec. 360, Con-
clusions D. Casas, rfda 2007, 696 ff.; hierzu Braconnier (Fußn. 58), S. 366 ff.; Long et al. (Fußn. 45), n° 117, S. 908 ff.
m. w. N.
– 13 –

geeigneten Maßnahmen anordnen: Sei es die Erklärung der Vertragsnichtigkeit, sei es die Auf-
hebung des Vertrages nur mit Wirkung für die Zukunft, sei es die Modifizierung des Vertrages.

Insgesamt zeigt sich damit, dass bei Rechtsfehlern hinsichtlich der Auswahl der Vertrags-
partner Vertrauensschutzinteressen am Bestand des Vertrages sowohl in Deutschland als auch
in Frankreich durchaus Rechnung getragen wird. Man nähert sich dem komplexen Fehlerfol-
gensystem an, das bei rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten gilt. Allerdings ist hier
die Rechtsentwicklung noch im Fluss.

III. Die Durchführung wirksamer Verwaltungsverträge: Gleichstellung der Vertragspar-


teien oder „privilèges exorbitantes“?

Ist ein Verwaltungsvertrag wirksam geschlossen worden, kann sich die Frage stellen, ob und
unter welchen Voraussetzungen die Verwaltung bestehende Verträge an neue Bedürfnisse an-
passen kann. Wenn wir wieder von Art. 1134 Code Civil ausgehen, ist ein Fall unproblematisch,
nämlich der Fall, dass der private Vertragspartner mit dieser Anpassung einverstanden ist. Nun
neigen aber jedenfalls private Wirtschaftsunternehmen nicht gerade zum Altruismus, so dass
sie sich eine Vertragsänderung – unabhängig davon, ob sie ihnen im Ergebnis gleichgültig sein
kann oder nicht – regelmäßig auf die eine

DVBl 2012, 614

oder andere Art und Weise bezahlen lassen werden. Daher stellt sich die Frage, ob der Ver-
waltung nicht im öffentlichen Interesse zugestanden werden muss, bestehende Verträge aus
sachlichen Gründen einseitig neuen Bedürfnissen anpassen zu können, soweit die finanziellen
Interessen des Vertragspartners hierbei berücksichtigt werden.

1. Die französische Lösung

Dies ist im Wesentlichen die Lösung des französischen Rechts: Die französische Verwaltung
kann einseitig die Durchführungsbedingungen des Vertrages ändern und die Pflichten des pri-
vaten Vertragspartners steigern und dies kraft Gesetzes und ohne dass dies durch entsprechende
Vertragsklauseln abgesichert werden muss oder vertraglich ausgeschlossen werden könnte.60
Rechtfertigungsgrund ist insoweit nur „l’interêt général“ oder „les besoins des services publics
interessés“. Seine Grenze findet das Änderungsrecht darüber hinaus nur im Wesen des Vertrags

60 S. hierzu auch Gromitsaris (Fußn. 15), S. 272 ff.


– 14 –

selbst, der nicht vollständig verändert sondern eben nur modifiziert werden darf. Die Interessen
des privaten Vertragspartners am Bestand des Ausgehandelten werden nur dadurch geschützt,
dass dieser einen Anspruch auf vollständigen finanziellen Ausgleich der Mehrbelastung hat.61
Hinzu treten Vertragsauflösungs- und Vertragsänderungsmöglichkeiten im Fall unvorhergese-
hener Ereignisse, wobei hier die Voraussetzungen etwas unklar zu sein scheinen.62

Diese einseitigen Vertragsänderungsrechte geben der Verwaltung nun sicher hinreichend ein-
fach zu handhabende Instrumente, um den Vertrag an veränderte Verhältnisse und geänderte
Bedürfnisse der Verwaltung anzupassen, ohne dass dem privaten Vertragspartner Obstrukti-
onsmöglichkeiten offen stehen, ohne dass aber auch das finanzielle Gleichgewicht des Vertra-
ges gestört wird.63 Allerdings machen diese Vorrechte der Verwaltung für den privaten Ver-
tragspartner die Art und Weise der Vertragsdurchführung weniger vorhersehbar und damit we-
niger kalkulierbar. Sie macht auch den Vertragsverhandlungsprozess nicht unbedingt einfacher,
da nicht ohne weiteres das normale zivilrechtliche Fachwissen z. B. in Form von Speziallitera-
tur und spezialisierten Anwälten herangezogen werden kann, um z. B. zu entscheiden, welche
Konsequenzen eine simple Leistungsstörung etwa bei einem Bauvertrag hat.64

Vor allem aber ist nicht selbstverständlich, dass sich Investoren, vor allem solche aus dem
Ausland, auf derartige einseitige, die Verwaltung begünstigende Regelungen einlassen. Dies
zeigte deutlich der Fall Euro Disney: Die Errichtung von Disneyland Paris beruht auf einem
umfassenden Vertrag zwischen dem Investor, der Walt Disney Company, dem französischen
Staat und diversen anderen Gebietskörperschaften. Dieser Vertrag sah u. a. städtebauliche
Pflichten der öffentlichen Vertragspartner vor, die mit entsprechenden Infrastrukturerrichtungs-
pflichten von Disney korrespondierten. Während der Verhandlungen stellte sich offenbar
schnell heraus, dass Disney nicht bereit war, sich auf die Geltung des französischen Verwal-
tungsvertragsrechts mit den entsprechenden Vorrechten der Verwaltung einzulassen. Es wurde
daher eine Schiedsklausel vereinbart: Streitigkeiten um die Auslegung und die Anwendung des
Vertrags sollten ausschließlich und abschließend von einem international zusammengesetzten
Schiedsgericht entschieden werden. Disney ging dabei natürlich davon aus, dass sich dieses

61 Siehe zum Ganzen R. Noguellou in: Noguellou/Stelkens (Fußn. 3), S. 675 (689 ff.); Richer (Fußn. 14), Rdnr. 349 ff.;
Guettier (Fußn. 14), Rdnr. 526 ff.; R. Chapus, Droit administratif général – Band 1, 15. Aufl. 2001, Rdnr. 1375 ff.
62 Siehe hierzu Chapus (Fußn. 61), Rdnr. 1385 ff.
63 So wurde im französischen Verwaltungsvertragsrecht als Ausgleich für die Sonderrechte der Verwaltung die Ver-
pflichtung zur Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts des Vertrags entwickelt, siehe hierzu Noguel-
lou/Stelkens (Fußn. 3), S. 15.
64 S. zur entsprechenden Problematik in Deutschland in Zusammenhang mit der „entsprechenden“ Anwendbarkeit des
BGB bei öffentlich-rechtlichen Verträgen nach § 62 S. 2 VwVfG: U. Stelkens (Fußn. 38), S. 698 ff.
– 15 –

Schiedsgericht kaum vom französischen Verwaltungsvertragsrecht würde inspirieren lassen.


Der Conseil d’État sah dies in einem Rechtsgutachten ebenso: Er verneinte die Vereinbarkeit
dieser Schiedsklausel mit dem französischen „ordre public“.65

Dies war nicht das Ende der Schiedsklausel: Das Unternehmen machte die Fortführung der
Verhandlungen von der Zulassung der Schiedsklausel abhängig – und erreichte sie auch durch
Art. 9 des Gesetzes 86-97666, nach dem nunmehr als Ausnahme vom allgemeinen Verbot der
Schiedsgerichtsbarkeit für verwaltungsvertragsrechtliche Streitigkeiten Verträge mit ausländi-
schen Gesellschaften Schiedsklauseln auch hinsichtlich der Anwendung und der Durchführung
des Vertrags enthalten können. Die Verhandlungsmacht von Disney war folglich offenbar min-
destens so groß wie das Interesse der französischen Politik am Disneylandressort Paris.

2. Die deutsche Lösung

Dem Bedürfnis des privaten Vertragspartners nach Vorhersehbarkeit des Verwaltungsver-


tragsregimes und nach Stabilität des Vertrages wird das deutsche Recht insoweit besser gerecht.
Anders als das französische Recht ist es vom Grundsatz der Gleichordnung der Vertragspar-
teien bei der Vertragsdurchführung geprägt. Im Wesentlichen gilt insoweit (ggf. vermittelt über
§ 62 S. 2 VwVfG) das reguläre Zivilrecht. Dementsprechend stehen der Verwaltung als Ver-
tragspartner auch nur solche Vertragsänderungsmöglichkeiten zu, die das Zivilrecht insoweit
vorsieht.67 Dies schließt indes nicht aus, vertraglich entsprechende Anpassungsklauseln vorzu-
sehen. Will die Verwaltung also sicherstellen, dass sie den Vertrag neuen Bedürfnissen anpas-
sen kann, muss sie dies in Deutschland vertraglich vorsehen. Sie muss also erreichen, dass be-
stimmte Klauseln in den Vertrag mit aufgenommen werden. Das setzt die Entwicklung einer
veritablen Lehre von der Verwaltungsvertragsgestaltung voraus.68 Für Bauverträge und Ver-
träge über Dienstleistungen sind derartige Muster etwa in der VOB/B und der VOL/B enthalten,

65 Conseil d’État, Rechtsgutachten vom 6. 3. 1986, n° 339710, abrufbar unter


http://www.conseil-etat.fr/media/document//avis/339710.pdf; siehe hierzu und zum allgemeinen Verbot der verwal-
tungsvertragsrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit Chapus (Fußn. 61), Rdnr. 525, 1375; ders., Droit du contentieux ad-
ministratif, 13. Aufl. 2008, Rdnr. 298 ff., 301. Momentan wird in Frankreich über eine Weiterentwicklung der Rechts-
lage bezüglich der Möglichkeit verwaltungsvertragsrechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit nachgedacht, siehe hierzu das
vom Justizministerium in Auftrag gegebene Gutachten der Arbeitsgruppe zur Schiedsgerichtsbarkeit unter der Lei-
tung von Daniel Labetoulle („le Rapport Labetoulle“), abrufbar unter
http://www.justice.gouv.fr/art_pix/Rapport_final.pdf, hierzu Chapus, Droit du contentieux administratif (ebd.),
Rdnr. 300.
66 Loi n°86-972 du 19 août 1986 portant dispositions diverses relatives aux collectivités locales, JORF du 22 août 1986,
S. 10190.
67 Gromitsaris (Fußn. 15), S. 274.
68 Bauer (Fußn. 3), § 36 Rdnr. 121 ff.
– 16 –

die etwa auch Vertragsstrafen für den Fall der Schlechterfüllung durch den Auftragnehmer vor-
sehen.69 Für die Arbeitnehmer des Öffent

DVBl 2012, 615

lichen Dienstes übernehmen die Tarifverträge des Bundes, der Länder und der Kommunen
(TVöD, TvL) entsprechende Funktionen, die dementsprechend auch den Verträgen nicht tarif-
gebundener Arbeitnehmer zu Grunde gelegt werden – und die Länder können auch die Kom-
munen zu einer entsprechenden Vertragsgestaltung verpflichten.70 Auch für die klassischen
städtebaulichen Verträge liegen Vertragsmuster vor.71 Erhebliche Schwierigkeiten wirft aber
nach wie vor die rechtssichere Gestaltung von Privatisierungsverträgen und PPP-Verträgen
auf.72 Je komplexer die Verträge sind, desto höher werden also die Anforderungen an die Ver-
tragsgestaltung, die oft mit Bordmitteln etwa einer Gemeinde kaum noch bewältigt werden
können. Gemeinden werden somit letztlich völlig abhängig von zumeist anwaltlichen Bera-
tern.73 Auch die interne Kontrolle, z. B. über den Gemeinderat, läuft leer, wenn diesem 1000-
seitige Verträge – teilweise ausschließlich auf Englisch – vorgelegt werden.74 Die Aussage liegt
nicht fern, dass die nach dem deutschen Recht notwendige Kautelarjurisprudenz in vieler Hin-
sicht die Verwaltung, zumindest die Kommunalverwaltung, überfordert. Um so bedenklicher
ist dann aber auch, wenn sich die Verwaltung und ihr Vertragspartner – wie dies ebenfalls Stan-
dard in vielen PPP-Verträgen ist – auch der Kontrolle durch die staatlichen Gerichte und der
Öffentlichkeit durch Vereinbarung von nicht-öffentlichen Schiedsverfahren entziehen.75

IV. Fazit

Wird hinsichtlich des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ das deutsche und das französische
Verwaltungsvertragsrecht verglichen, ergeben sich somit in beiden Rechtsordnungen nicht un-
erhebliche Probleme hinsichtlich der Vorhersehbarkeit zukünftiger Vertragsentwicklungen: In

69 U. Diehr, ZfBR 2008, 768 ff.


70 OVG Magdeburg, U. v. 28. 10. 2009 – L 209/07 – NVwZ-RR 2010, 162.
71 S. H.-J. Birk, Städtebauliche Verträge, 4. Aufl. 2002, Rdnr. 161 ff. ; H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen
Recht, 2002, Rdnr. 320 ff.
72 Zu den insoweit zu berücksichtigenden Aspekten Bauer (Fußn. 3), § 36 Rdnr. 126 ff. ; H. Horn/A. Peters, BB 2005,
S. 2421ff.
73 Welche absurden Züge das annehmen kann zeigt der Fall von KG Berlin, U. v. 14. 12. 2006 – 23 U 128/04 – BeckRS
2008, 21476.
74 Böhm/Stepputat (Fußn. 2), S. 986.
75 S. hierzu S. Schill, DÖV 2010, 1013 (1016); J. Wolff, NVwZ 2012, 205 ff.
– 17 –

Deutschland besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr von „Nichtigkeitsfallen“, da die


Rechtsprechung dazu neigt, das Risiko fehlerhafter Rechtsanwendung seitens der Verwaltung
auch auf den privaten Vertragspartner dergestalt zu übertragen, dass ein inhaltlich gegen öf-
fentlich-rechtliche Bindungen verstoßender Vertrag als nichtig angesehen wird. Das ist in
Frankreich zwar nicht grundsätzlich anders. Das Problem liegt in Deutschland allerdings darin,
dass die Rechtsprechung zur Frage, wann ein Vertrag gesetzeswidrig ist und wann er wegen
Gesetzesverstoßes nichtig ist, kaum vorhersehbar ist.

Ist ein Vertrag in Deutschland allerdings einmal wirksam geschlossen worden, gilt der
Grundsatz „pacta sunt servanda“ letztlich uneingeschränkt. Hier begründet eher das französi-
sche Recht Rechtsunsicherheiten für den privaten Vertragspartner, da die einseitigen Vertrags-
änderungsmöglichkeiten der Verwaltung eben nicht immer vorhersehbar sind.

Ein echter Ausgleich zwischen öffentlichem Interesse an der Einhaltung gesetzlicher Vor-
schriften und den Interessen der privater Vertragspartner, wie man ihn aus der Rechtsprechung
und Gesetzgebung zur Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte kennt,
scheint – angestoßen durch das EU-Recht – nur im Bereich des Konkurrentenschutzes im
Vergaberecht gelungen zu sein, soweit es dem Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien
unterfällt. Doch auch hier ist die Entwicklung noch im Fluss und es muss sich noch zeigen, ob
das EU-Recht zu einer weitergehenden Angleichung der deutschen und der französischen Ver-
waltungsvertragsphilosophie führen wird.

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