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Quarks & Co
„Die Welt der Sprache“
Autoren:
Alexandra Hostert,
Ilka aus der Mark,
Jakob Kneser,
Anke Rau,
Silke Übelstaedt,
Silvio Wenzel
Redaktion:
Monika Grebe
Deutsche Säuglinge brabbeln anders als französische oder englische Kinder. Noch
bevor Babys die ersten Worte sagen können, ahmen sie den Sprechrhythmus ihrer
Eltern nach. Doch wie ist es möglich, dass Kinder in so kurzer Zeit ein so komplexes
System wie Sprache lernen können? Was ist Sprache überhaupt? Und wie wird sie im
Gehirn verarbeitet? Ab welchem Alter lernen Kinder Fremdsprachen am besten? Wie
hat sich die Sprache im Laufe der Jahrhunderte verändert, und wie sieht ihre Zukunft
aus? Quarks & Co taucht ein in die Welt der Sprache. Wir erklären, wie der Mensch mit
Sprache umgeht, wie Gehörtes und Gelesenes verarbeitet wird und schauen dem
menschlichen Gehirn beim "Sprache verstehen" zu.
Die meisten Menschen auf dieser Welt wachsen zwei- oder mehrsprachig auf. Die
Einsprachigkeit in Europa ist eher die Ausnahme als die Regel. Das Beherrschen von
Fremdsprachen wird aber immer wichtiger und so wird heute bereits in der
Grundschule Englisch gelehrt. Wie sieht der Englisch-Unterricht ab der ersten Klasse
aus und welche Lehrmethoden sind erfolgreich?
Zur Zeit gibt es etwa 6.000 Sprachen weltweit. Wissenschaftler schätzen, dass die
Hälfte davon im nächsten Jahrhundert verschwinden werden. Mit der Sprache stirbt
ein Teil der Kultur und der Identität der Völker. Quarks & Co begleitet eine Forscherin
nach Papua Neuguinea und zeigt wie sie dort die Sprache der Teop vor dem
Verschwinden gerettet hat.
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Heute haben Wissenschaftler sehr viel detailliertere Vorstellungen von der Funktions-
weise unseres Gehirns. Forscherinnen und Forscher am Leipziger Max-Planck-Institut
für Kognitions- und Neurowissenschaften untersuchen derzeit mit modernsten
Methoden, wie das Gehirn tatsächlich Sprache versteht. Sie beobachten das Gehirn,
während es Wörter und Sätze registriert, Sprachmelodie, Satzaufbau und Sinn ent-
schlüsselt.
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Silvio Wenzel
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Zwei Sprachen hat Tolkien besonders ausgearbeitet – die Elbensprachen Quenya und
Sindarin. Es war ihm wichtig, dass diese Sprachen schön klingen. Deshalb weisen
Quenya und Sindarin bestimmte Eigenschaften auf, die genau dafür sorgen sollen:
• viele helle Vokale, also a-e-i, nur wenige o´s und u´s
• sehr kleiner Konsonantenbestand,
selten zusammenhängende Konsonantengruppen
• Silben enden oft mit Vokalen
• wenige Zischlaute, so genannte Sibilanten (z. B. "s" und "sch")
Tolkien dachte sich nach diesen Kriterien eine Vielzahl von Wörtern aus. Als er damit
anfing, nach Bedeutungen für seine Erfindungen zu suchen, überlegte er, wonach
seine Wörter klingen könnten. Einige erinnerten ihn an Wörter aus anderen Sprachen.
Zum Beispiel melina (Geschätzte, Liebste) könnte Tolkien nach dem Vorbild des eng-
lischen mellow (lieblich), des deutschen milde bzw. des griechischen melite (Honig)
mit dieser Bedeutung belegt haben.
Für Tolkien war es wichtig, dass
seine Wörter schön klingen
Sprachwissenschaftlich fundiert
Diese Wortwurzeln konnte Tolkien nun nach Belieben und allen Regeln der Kunst eines
Sprachwissenschaftlers ausbauen. So verknüpfte er verschiedene Wörter miteinander
und bildete auf diese Weise neue, zusammengesetzte Wörter, so genannte Komposita
(z. B Haus+Tür+Schlüssel). Weiterhin legte er bestimmte Endungen fest, die andere
Worttypen entstehen ließen. So machen die Endungen –en, -eb, und –ui aus Substan-
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tiven Adjektive. Auf diese Weise wurde aus aglar (der Ruhm) aglareb (ruhmreich) und
aus úan (das Monster) uanui (monströs). Tolkien ging dabei sehr systematisch vor und
entwickelte Regeln für alle grammatischen Formen. So kann man im Elbischen auch in
den Zeitformen Vergangenheit und Zukunft sprechen.
Bei der Entwicklung der beiden Elbensprachen ließ sich Tolkien immer wieder von
Tolkien verknüpfte die anderen Sprachen inspirieren. Die Grammatik von Quenya ist nach dem Vorbild des
Wortwurzeln zu völlig neuen Altfinnischen konstruiert, zeigt aber auch Ähnlichkeiten mit dem Lateinischen und
Wörtern Altgriechischen. Sindarin ähnelt dagegen auch im Lautstand eher dem Walisischen.
Ein Waliser, der Sindarin hört, wird also vermutlich das Gefühl haben, seine
Muttersprache zu hören, obwohl er kein Wort versteht.
In jeder natürlichen Sprache gibt es ganz bestimmte Redewendungen, die immer wie-
der benutzt werden. Im Deutschen sind dies etwa "Guten Tag" oder "Auf Wieder-
sehen". Tolkien entwarf auch für seine Elbensprachen derartige Floskeln. "Mae govan-
nen" zum Beispiel ist ein höflicher Gruß, der so viel bedeutet wie "wohl getroffen";
"namarië" steht für "Lebewohl!".
Über 60 Jahre, bis zu seinem Tod im Jahr 1973, feilte Tolkien immer weiter an seinen
Elbensprachen. Heute gibt es eine große weltweite Fangemeinde, die Wörterbücher
und Grammatiksammlungen erarbeitet - sogar Sprachkurse findet man im Internet.
Zum Abschluss noch ein kleiner Test. Sie finden auf der nächsten Seite zwei Beispiele
in zwei verschiedenen Sprachen aus der Trilogie "Herr der Ringe". Lesen Sie diese laut
und raten Sie dann einmal, ob es sich dabei um die Sprache der "Guten" oder der
"Bösen" handelt.
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Silvio Wenzel
Auflösung:
Der erste Satz ist Quenya, also eine der beiden sanften Elbensprachen. Der Satz
bedeutet "Arwen, entschwundene Liebste, lebe wohl!". So verabschiedet sich Aragorn
von seiner Arwen in Lórien.
Der zweite Satz ist in der schwarzen Sprache des bösen Herrschers Sauron verfasst. Es
handelt sich dabei um die Ring-Inschrift, die übersetzt wird mit "Ein Ring, sie alle zu
knechten, sie zu finden, ein Ring, sie alle zu bringen und in der Dunkelheit zu binden."
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Hochdeutsch gehört zur 5./6. Jhd. n. Chr.: Hochdeutsche Lautverschiebung (p,t,k werden zu pf, tz, ch)
indoeuropäischen Sprachfamilie
ca. 750-1050: Althochdeutsch
Im 5./6. Jahrhundert n. Chr. begannen Bewohner des Alpengebietes damit, ihr west-
germanisches Idiom zu verändern. Den Grund dafür kennt bis heute niemand. Die
Verschlusslaute "p" und "k" wurden zu den Reibelauten "pf" und "ch". Das "t"
wurde zu "ts" oder "ss". Diese so genannte "hochdeutsche Lautverschiebung" brei-
tete sich über die Jahrhunderte nach Norden und Westen aus. Das "Englische" und
das "Niederdeutsche" machten die hochdeutsche Lautverschiebung jedoch nicht mit.
Älteste deutsche Heldendichtung. Auf "Englisch" heißt die "Pfanne" "pan", die "Katze" "cat" und "machen" "make".
Das Hildebrandslied. Quelle: In vielen niederdeutschen Dialekten haben sich bis heute Wörter wie "dat" (das),
Universitätsbibliothek Kassel, "maken" (machen) und "ik" (ich) erhalten.
Ausstellungstresor der Landes-
bibliothek und Morhardschen Die älteste deutsche Heldendichtung ist das "Hildebrandslied". Es wurde Anfang des
Bibliothek, Faksimile: Max 9. Jahrhunderts von Mönchen aus Fulda aufgeschrieben und ist nur fragmentarisch
Niemeyer Verlag, Tübingen erhalten. Geschildert wird der Konflikt zwischen dem Waffenmeister Hildebrand und
seinem Sohn Hadubrand.
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"Althochdeutsch"
Das "Hildebrandslied" ist in einem Dialekt abgefasst, der noch stark vom
"Niederdeutschen" beeinflusst wird. Die hochdeutsche Lautverschiebung ist darin
noch nicht verwirklicht. Neben dieser Besonderheit weist das "Hildebrandslied"
jedoch viele Merkmale des Althochdeutschen auf:
Viele althochdeutsche Vokabeln gehen im Lauf der Zeit verloren, wie z. B. "Hiltibrant
gimahalta" – "Hildebrand sprach feierlich". Das Substantiv "Gemahl" oder
"Gemahlin" ist uns heute durchaus noch geläufig, ein entsprechendes Verb kennen
wir allerdings nicht mehr.
"Mittelhochdeutsch"
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"Frühneuhochdeutsch"
Im Stil der Zeit wird Ende des 15. Jahrhunderts in Straßburg das "Volkslied vom
Hildebrand" verfasst und gedruckt. Es greift das Thema des "Hildebrandslieds" auf
und ist in weiten Teilen für heutige Ohren verständlich. So hört sich das Wort "lieben"
bereits so an, wie wir es heute kennen. Im Mittelhochdeutschen wären die Vokale noch
einzeln ausgesprochen worden. Nur an einigen Zwielauten fehlt es im Text noch. Statt
"ausreiten" dichten die Verfasser "usritte".
Der Buchdruck ab 1450 setzt dem Aussprachewandel Schritt für Schritt ein Ende.
Geschriebene Sprache konserviert die Aussprache besser als gesprochene. Was sich
jedoch weiterhin ändert ist der Wortschatz. "Grün" bedeutet im Text zum Beispiel
noch "unerfahren".
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"Neuhochdeutsch"
Bis heute sterben Wörter aus, die nicht mehr gebraucht werden. Viele landwirtschaft-
liche Vokabeln sind inzwischen aus dem modernen Sprachgebrauch verschwunden.
Sie haben in unserer Alltagswelt keinen Nutzen mehr.
Silke Uebelstädt
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Man sitzt in der Straßenbahn neben einer Gruppe Jugendlicher und versteht vor lauter
"Megamäßig"- und "Ultrakrass"-Rufen sein eigenes Wort nicht mehr. Wer in solchen
Situationen entsetzt ist, dem sei zur Beruhigung gesagt: Jugendliche können auch
anders sprechen. Doch wenn sie mit ihrer Clique in der Öffentlichkeit stehen, wollen
sie Aufmerksamkeit erregen und stark wirken. Den gewünschten Effekt erzielen die
Jugendlichen über die Lautstärke und ein entsprechend verstärktes Vokabular, ergänzt
Nicht nur mit Kleidung oder um Begriffe wie "mega" oder "voll". Übrigens demonstrieren nicht nur Jungs ihre
Muskeln, auch mit lauten scheinbare mentale Stärke auf diese Weise: Viele Mädchen benutzen in entsprechen-
Kraftausdrücken demonstrieren den Situationen eine ähnlich laute und ordinäre Sprache.
Jugendliche Stärke. Wenn Sie
wollen, können sie aber auch
anders sprechen Ich bin doch nicht blöd: die Werbe-Junkies
Skateboardfahrer rutschen mit der "Nose" gerne an Kanten und Geländern entlang.
Das ist völlig schmerzlos, denn in ihrer Sprache bezeichnet "Nose" nicht die eigene
"Nase", sondern das vordere Ende des Skateboards. Die Sprache der Skater ist voll
von "Fachausdrücken", die zwar aus dem Englischen stammen, für sie aber eine ganz
spezielle Bedeutung haben. So meint "slide" für Skater nicht einfach "rutschen", son-
dern, dass man mit dem Holz des Skateboards an Kanten entlang gleitet. Beim "Fifty-
Ob Skater oder Computerfreunde Fifty-Grind" rutscht der Skater auf beiden Achsen des Brettes und ein "Flip" ist ein
– die Sprachen vieler Jugend- Sprung, bei dem das Skateboard sich um seine Achse dreht und wieder auf den Rädern
szenen sind vom Englischen landet.
geprägt
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Auch Rapper und Computerfreaks haben ihre eigene Sprachen, die stark vom
Englischen geprägt sind. Solche "Fachsprachen" dienen nicht nur dazu, sich kompe-
tent über die geliebten Computer oder Skateboards zu unterhalten, sondern kenn-
zeichnen auch die Mitglieder einer Gruppe. Wer die richtige Sprache spricht, gehört
dazu.
Das Bild, das viele Comedy-Nummern von der so genannten Kanaksprak zeichnen,
mag zwar lustig sein, doch es zeigt nur die halbe Wahrheit. Heute sprechen viele
jugendliche Migranten ein standartnahes Deutsch und setzen die Kanaksprak bewusst
zu bestimmten Zwecken ein: Zum Beispiel dann, wenn sie besonders stark und aggres-
siv wirken wollen oder um unwissende Deutsche auf den Arm zu nehmen. Besonders
ältere Jugendliche beherrschen die deutsche Sprache oft sehr gut, genauso gut, wie
sie die Sprache ihrer Eltern sprechen, Türkisch etwa oder Italienisch. Daraus entsteht
das so genannte "Language crossing" - das Mischen der beiden Sprachen in einem
Gespräch: Ein Satz kann auf Türkisch beginnen und auf Deutsch enden. Bei einer
Gruppe von Türkinnen zwischen 14 und 22 Jahren haben Wissenschaftler des Instituts
für Deutsche Sprache in Mannheim im Jahr 2002 Gespräche aufgezeichnet und an-
schließend analysiert, in welchen Situationen die Mädchen und jungen Frauen welche
Sprache bevorzugen. Ergebnis: Die jungen Türkinnen diskutierten bevorzugt auf
Deutsch; im vertraulichen Gespräch zwischen Freundinnen aber benutzten sie lieber
Türkisch.
Sie sind Ende zwanzig, haben endlich ihren ersten festen Job und sind der Jugend und
ihrer typischen Sprache entwachsen. Doch einige Wörter ihrer Jugend benutzen junge
Erwachsene weiter: Solche Ausdrücke werden langsam Teil des normalen Sprach-
gebrauchs. Zum Beispiel das Wort "chillen": Wurde es in den 1980er und 1990er Jahren
noch im Sinne von "ausruhen nach einer durchtanzten Nacht" und hauptsächlich in der
Techno-Szene benutzt, wird es heute ganz normal im Sinne von "entspannen" verwen-
Was früher "Hallo" hieß, heißt det - und das sogar von so renommierten Zeitschriften wie "DIE ZEIT".
heute "Hey, was geht?". Auch die
richtigen Begrüßungsformeln Das Entstehen von immer neuen jugendsprachlichen Ausdrücken und das Eingehen
sind ein wichtiger Teil der von Teilen der Jugendsprache in das Standartdeutsch sind also ganz normale Prozesse
Jugendsprache des Sprachwandels. Wer glaubt, dass er nie Wörter gebraucht, die aus der
Jugendsprache stammen, dem sei noch ein letztes Beispiel genannt: "Hallo" gehörte
in den 1950er Jahren noch zur Jugendsprache und entsetzte damals viele Erwachsene;
heute gebraucht dieses Wort fast jeder von uns, ohne das jemand überhaupt auf die
Idee käme, daran Anstoß zu nehmen.
Alexandra Hostert
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Die Teop-Sprache ist kein Einzellfall. Derzeit gibt es weltweit etwa 6.000 Sprachen,
von denen mehr als die Hälfte im Verlauf des nächsten Jahrhunderts vermutlich ver-
schwinden werden. Besonders bedroht sind die vielen kleinen Sprachen, die rund um
den Äquator gesprochen werden, zum Beispiel im nördlichen Südamerika, an der afri-
kanischen Westküste oder in Papua-Neuguinea. Allein in diesem Land gibt es über 800
Sprachen, die oft nur von jeweils wenigen hundert Menschen gesprochen werden.
Weltweit gibt es etwa 6.000 Doch nicht nur die Zahl der Sprecher ist entscheidend für das Überleben einer
Sprachen. (Auf dieser Karte ist Sprache. Ob ein Volk seine Muttersprache als wertvoll empfindet und sie konsequent
jede Sprache durch einen roten benutzt, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor.
Punkt markiert). Die meisten
Sprachen gibt es rund um den
Äquator, zum Beispiel in Papua- Teop oder Englisch?
Neuguinea
Vielen Teop war lange nicht bewusst, dass ihre Muttersprache etwas Besonderes ist.
Sie wurde nur mündlich überliefert und die Teop konnten sich lediglich innerhalb ihres
kleinen Volkes damit verständigen. So gingen die jüngeren Teop mehr und mehr zum
Englischen und der auf Neuguinea verbreiteten Pidginsprache, dem so genannten Tok-
Pisin, über. Eine derartige Entwicklung ist auch bei vielen anderen kleinen Sprachen
zu beobachten: Die Eltern hören damit auf, mit den Kindern in ihrer Muttersprache zu
sprechen; statt dessen lernen die Kinder die Sprache eines größeren Nachbarvolkes
oder eine Pidgin- bzw. Kreolsprache, in der sie sich besser mit Angehörigen anderer
Völker verständigen können.
Doch es ist auch von Nachteil, die ursprüngliche Muttersprache aufzugeben: Stirbt eine
Sprache, geht auch ein großer Teil des Wissens um Pflanzen, Medizin, Religion oder
Musik eines Volkes verloren, denn bei den kleinen Sprachgemeinschaften werden diese
Dinge meist nur mündlich überliefert. Außerdem fehlen der neuen Sprache oft die rich-
tigen Worte, um die Besonderheiten einer Kultur zum Ausdruck zu bringen. So kann
zum Beispiel das Englische mit seinem Wort "carry" die zahlreichen Worte, die die Teop
für "tragen" benutzen, nur schlecht übersetzten – Die Teop unterscheiden zwischen:
Auch für die Wissenschaft ist es ein Problem, wenn Sprachen wie das Teop verschwin-
den: Anthropologen und Kulturwissenschaftler benutzen Sprachen, um den Ursprung
von Völkern und die Siedlungsgeschichte bestimmter Gebiete zu untersuchen. Und
Sprachwissenschaftler schließlich erforschen möglichst viele verschiedene Sprachen,
um herauszufinden, welche Elemente universell in allen Sprachen vorhanden sind,
und worin sich die verschiedenen Sprachen unterscheiden.
Die Kieler Sprachwissenschaft-
lerin Ulrike Mosel sammelte die
Mythen der Teop auf Tonband Ein Märchenbuch auf Teop
Ende der 1990er Jahre begannen zwei Sprachwissenschaftlerinnen damit, die Teop-
Sprache zu dokumentieren. Mit Tonbandgeräten und Videokamera fuhren Ruth Spriggs,
eine australische Wissenschaftlerin, die aus dem Volk der Teop stammt, und die deut-
sche Linguistin Dr. Ulrike Mosel auf die Insel. Auf diese Weise entstanden nicht nur
wichtige Dokumente für die Wissenschaft. Während die Teop den Wissenschaftlerinnen
ihre Traditionen und Märchen erzählten, wurde den Teop bewusst, dass ihre Sprache
Die Kinder der Teop waren von und ihre Mythen wertvoll sind. Deshalb verfassten sie gemeinsam mit den beiden
dem ersten Buch in ihrer Sprache Forscherinnen ein Märchenbuch, mit dem die Kinder in der Schule nun das Lesen erler-
begeistert nen. Die Kinder der Teop waren begeistert. Ihre Freude an dem Buch und an ihrer
Muttersprache könnte jetzt helfen, die Teop-Sprache zu erhalten.
Vorraussagen über den Erhalt oder die Ausbreitung einer Sprache zu treffen, ist
extrem schwierig, zumal die Sprachentwicklung eng mit gesellschaftlichen und poli-
tischen Entwicklungen eines Volkes verknüpft ist. Die weltweite sprachliche
Vorherrschaft des Englischen hängt zum Beispiel sehr stark mit der langen politischen
Dominanz der Briten und später der Amerikaner zusammen. Aber sie beruht ebenso
darauf, dass die angloamerikanische Kultur für viele Menschen nachahmenswert er-
schien und noch immer erscheint. So hängt das Schicksal der Teop-Sprache auch
davon ab, ob die Menschen langfristig ihre traditionelle Lebensweise oder eine west-
lich geprägte Kultur attraktiver finden.
Alexandra Hostert
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Daneben haben die Forscher festgestellt, dass bereits Grundschulkinder die fremde
Sprache durchaus reflektieren können. Das Mischen von Mutter- und Fremdsprache ist
ein ganz normaler Vorgang beim Sprachlernprozess und ein wichtiger Schritt beim
Spracherwerb. Sogar Fehler zeigen manchmal, wie viel ein Schüler bereits verstanden
hat. Der Satz "I am ball spieling" ist für die Forscher kein Malheur, sondern der in-
teressante Versuch eines Kindes, eine grammatikalische Regel anzuwenden, obwohl
ihm noch die passenden Worte fehlen. Diese geistigen Prozesse hatte bisher niemand
Grundschülern zugetraut.
Kinder orientieren sich viel stärker an Gleichaltrigen als an Eltern und Lehrern und
unterstützen sich dadurch gegenseitig beim Lernen. Forscher nennen dieses
Phänomen "Peer Learning". Es funktioniert eigentlich in jeder Klasse, besonders gut
jedoch in altersgemischten Jahrgangsstufen. Über 600 Grundschulen in Baden-
Württemberg bieten zum Beispiel für den Schulanfang jahrgangsübergreifende
Lerngruppen an - unter dem Stichwort "Schulanfang auf neuen Wegen". In solche
Gruppen können Kinder flexibel eingeschult werden (sogar schon mit fünf Jahren) und
werden je nach Bedarf und Talent gefördert. Ein bis drei Jahre bleiben die Kinder in der
Lerngruppe. Alle profitieren voneinander. Die Jüngeren schauen sich von den Älteren
eine Menge ab. Die Älteren wiederholen Inhalte und können den Jüngeren vieles erklä-
ren: Das fördert ihr Selbstbewusstsein.
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Silke Uebelstädt
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Lesetipps
"Einsicht ins Gehirn"
Dieses Buch erklärt sehr unterhaltsam, wie unser Gehirn Sprache versteht und pro-
duziert. Der Leser begleitet die Vorbereitungen einer Gehirnoperation. Wir lernen, wie
Mediziner herausfinden, welche Funktionen wo in unserem Gehirn lokalisiert sind.
Welche Folgen hätte ein kleiner Fehler bei der Operation? Der gut lesbare Erzählstil
lässt den Leser schnell in eine vorher unbekannte Welt eintauchen. Die Autoren ver-
zichten auf unnötiges Fachchinesisch und so macht dieses Buch einfach Spaß.
Mit dem gerade erschienen Buch, fasst der Kulturhistoriker und Journalist Martin
Kuckenburg neue und etablierte Theorien zur Entstehungsgeschichte der Sprache
zusammen. Außerdem benennt und bespricht er archäologische und paläoanthropolo-
gische Funde, die neue Hinweise zum Thema Sprachentstehung geliefert haben und
noch immer liefern.
"Frühneuhochdeutsches Wörterbuch"
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"Voll konkret"
Verstehen Sie Ihre Kinder nicht? Dieses Lexikon der Jugendsprache könnte Ihnen viel-
leicht helfen, denn es erklärt viele Wörter, die Jugendliche benutzen: von "den
Bodenturner machen" bis zum "Techno-Bonsai". Leider ist es schon 2001 erschienen,
also sind manche Wörter nicht mehr aktuell. Auf alle Fälle lesenswert ist aber die kurze
Einleitung, in der Hermann Ehmann allgemeine Trends der Jugendsprache erläutert.
Tore Janson erklärt in diesem Buch, wie sich Sprachen im Laufe der Zeit verändern,
warum manche Sprachen ganz aussterben und wie neue Sprachen entstehen. Er erläu-
tert, warum heute niemand mehr Latein spricht, wie das Englische die Welt erobert hat
und wagt am Schluss des Buches einen spannenden Blick in die Zukunft.
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"Vision Dorfschule"
In diesem Artikel finden Sie Informationen über den "Schulanfang auf neuen Wegen"
– den größten Schulversuch Deutschlands.
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Linktipps
Zu "McGurk-Effekt"
Wenn Sie mehr zum Thema McGurk-Effekt wissen möchten, dann folgen Sie diesem
Link zu einer englischsprachigen Seite.
http://hubel.sfasu.edu/courseinfo/SL02/an2mcgurk.html
www.sindarin.de ist eine Seite, die von Fans der Tolkiensprache unterhalten wird. Sie
finden dort ein ausführliches Wörterbuch, detaillierte Ausführungen zur Grammatik
und können sich sogar einen Sprachkurs herunterladen. Diese Seite ist mehr als nur
einen Besuch wert!
Diese englische Seite bietet eine ausführliche Beschreibung des Sindarin. Beginnend
bei der Geschichte der Sprache in Mittelerde bespricht sie alle Facetten ihrer
Grammatik: http://www.uib.no/People/hnohf/sindarin.htm
Das "Institut für Deutsche Sprache" (IDS) in Mannheim stellt hier ausführlich seine
Forschungsarbeiten zur aktuellen Entwicklung von Wortschatz, Grammatik und
Sprache im gesellschaftlichen Kontext dar. Für Kenner besonders interessant ist das
umfassende Publikationsverzeichnis. http://www.ids-mannheim.de
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Die Silcherschule in Fellbach bei Stuttgart gehört zu den Schulen, die seit Jahren am
"wibe"-Projekt teilnehmen. Sie bietet auch die jahrgangsgemischten Eingangsstufen
an. http://www.sgsfellfach.wn.bw.schule.de
Auf der Seite http://www.gifil.de finden Sie Informationen über das so genannte
"Immersionslernen", das in Altenholz bei Kiel seit 1996 untersucht wird. Es basiert auf
Erkenntnissen aus der kanadischen Mehrsprachigkeitsforschung.
Zu "Das Navajo-Projekt"
Die Sprache der Navajo-Indianer unterscheidet sich völlig von anderen europäischen
und asiatischen Sprachen. Deshalb eignete sie sich bestens als Geheimsprache. Und
so kämpften im Zweiten Weltkrieg über 400 Navajos als Funker auf Seiten der USA
gegen Japan. Die Sprache der Indianer war ein so perfekter Code, dass die Japaner ihn
niemals knacken konnten.
Viele Seiten im Internet beschäftigen sich mit den Einsätzen der Navajo-Indianer im
Zweiten Weltkrieg. Unter http://www.history.navy.mil/faqs/faq61-4.htm finden Sie
das komplette Codierungs-Alphabet der Navajos. Es ist relativ einfach aufgebaut und
war deshalb sehr gut für die schnelle Übertragung von Nachrichten geeignet.
Silvio Wenzel
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Impressum:
Herausgegeben
vom Westdeutschen Rundfunk Köln
Verantwortlich:
Quarks & Co
Claudia Heiss
Autoren:
Alexandra Hostert,
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Jakob Kneser,
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Silke Übelstaedt,
Silvio Wenzel
Redaktion:
Monika Grebe
Gestaltung:
Designbureau Kremer & Mahler
Bildrechte:
Alle: © wdr
außer:
S. 7 u. Faksimile des Hildebrandsliedes: Max Niemeyer Verlag Tübingen
© wdr 2004
Seite 22