Verfasser:Adrian Gottstein; Übung: Von digitalen Spielen bis Instagram – Digitale Geschichtsvermittlung; Dozentin: Müller-Tietz

Kann der Nationalsozialismus in Computerspielen angemessen dargestellt werden?

Eines der beliebtesten Themen in Videospielen ist der Zweite Weltkrieg. So gibt eine Vielzahl von
Spielen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen und die Spieler in die verschiedensten Rollen
wie Soldaten1, Resistance-Kämpfern2 oder gar ganzer Nationen3 versetzen.

Sniper Elite (PC, 2005), Mission: Töte Bormann!

Geschichte als Computerspiel? Problematisch!

Doch die Verwendung des Zweiten Weltkriegs als Hintergrundgeschichte in Videospielen birgt
gerade wegen der großen Beliebtheit, – und damit verbunden ihrer Reichweite –, auch Probleme für
Erinnerungskultur und Geschichtsbewusstsein. Oft werden in diesen Spielen simplifizierte und stark
verkürzte Darstellungen der Ereignisse gezeigt, die zu einem oberflächlichen Verständnis der
Geschichte beitragen können. Auch die Verwendung von realen Personen und Ereignissen als
Kulisse für fiktive Handlungen kann zu ahistorischen Verzerrungen und falschen Vorstellungen
beitragen. Im Spiel ,,Sniper Elite“ beispielsweise wird Martin Bormann kontrafaktisch ein
privilegierter Zugang zu Informationen zum deutschen Atomwaffenprogramm unterstellt. Der
virtuelle Bormann möchte diese Informationen im Austausch für freies Geleit an die Sowjets
weitergeben. Diesen Informationstransfer muss der Spieler verhindern, indem er Bormann, –
ebenfalls kontrafaktisch –, tötet.4 Bei 20 Millionen verkauften Einheiten des Franchise ist es nur
1 Call of Duty: World At War (PC), Entwicklung: Treyarch, Rebellion, n-Space, Exakt Entertainment, Vertrieb:
Activision, 2008.
2 Wolfenstein II: The New Colossus (PC), Entwicklung: MachineGames, Vetrieb: Bethesda Softworks, 2014.
3 Hearts of Iron (PC), Entwicklung: Paradox Development Studio, Vertrieb: Koch Media, 2003.
4 Siehe Mission Töte Bormann: Der Reichstag, in: Sniper Elite (PC), Entwicklung: Rebellion Developments, Vertrieb:
MC2 France, 2005.
Klaus Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Berlin et al. 2003, 143-145.
schwer vorstellbar, dass solche Darstellungen keinen Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein des
Publikums haben.5 Diese Probleme zeigen, dass Videospiele, die sich mit historischen Themen
auseinandersetzen, sorgfältig recherchiert und verantwortungsbewusst gestaltet werden müssen,
damit sie nebst Unterhaltung, auch ein tieferes Verständnis und ein realistisches Bild der Geschichte
vermitteln.

Darstellung des Nationalsozialismus als besondere Herausforderung

Franchizes wie Sniper Elite, Wolfenstein, Hearts of Iron, Call of Duty, Medal of Honor, – oder
abstrakter gesagt Vertreter der Action- und Strategie-Genres konzentrieren sich auf militärische
Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und thematisieren die Schicksale der Opfer des
Nationalsozialismus nur am Rande. Versuche ihre Schicksale zu thematisieren verliefen häufig
kontrovers, wie die Diskussionen um die kostenlose Wolfenstein Modifikation ,, Sonderkommando
Revolt“, in der der Spieler einen Insassen des Konzentrationslagers Ausschwitz spielt, der sich
während eines fiktiven Aufstands einen Weg in die Freiheit bahnt, indem er Horden von Nazis
umschießt. Dieses Spiel wurde von der Anti-Defamation League aufgrund seiner "[...] unnecessarily
gruesome and gratuitous graphics[...]“ als „[...]crude effort to depict Jewish resistance during this
painful period which should never be trivialized."und darum als „offensive portrayal of the
Holocaust“ beschrieben. Im Zuge dieser Debatte vertrat die Anti-Defamation League den
Standpunkt dass Darstellungen des Holocausts kein Stoff für Computerspiele seien.6 Ein ähnliches
Schicksal erfuhr auch, das für Nintendo DS entwickelte Spiel ,,Imagination Is the Only Escape“
trotz eines feinfühligeren Ansatzes, der anders als die bisher beschriebenen Spiele ,,educational“
sein sollte.7 In diesem Spiel sollte die Geschichte des jungen Samuel erzählt werden, der nach Paris
fliehen muss, nachdem seine Mutter bei einer Massenverhaftung Pariser Juden im Juli 1942 von
Nazi-Soldaten festgenommen und ermordet wird. Laut Bernard sollte sich das Spiel auf das ,,human
element“ fokussieren, statt auf Krieg, Action und/oder Strategie.8 Letztendlich scheiterte sein
Projekt an der Finanzierung.9 Möglicherweise weil das Thema potentiellen Investoren aufgrund
seiner emotionalen Aufgeladenheit als riskant erschien.10

5 https://www.vg247.com/sniper-elite-4-switch, abgerufen am 07.01.2022

6 Brian Crecente, Anti-Defamation League Slams “Fun” Holocaust Video Game As Horrific And Inappropriate,
Kotaku, 11. 12. 2010, URL: http://kotaku.com/5712163/anti-defamation-league-slams-fun-holocaust-video-ga-
me-as-horrific-and-inappropriate (abgerufen am 7. 1. 2023).

7 Imagination Is the Only Escape (DS), Entwickler: Silver Sphere Studios, Vertrieb: Alten8, Nicht veröffentlicht
8 Parker, Inside Controversial Game That’s Tackling the Holocaust, RollingStone, URL:
https://www.rollingstone.com/culture/culture-news/inside-controversial-game-thats-tackling-the-holocaust-251102/
(abgerufen am 7. 1. 2023)

9 Indigogo Kampagne zu Imagination is the only escape, URL: https://www.indiegogo.com/projects/imagination-is-

the-only-escape/ (Abgerufen am 7. 1. 2023)
10 Parker, Inside Controversial Game That’s Tackling the Holocaust, RollingStone, URL:
https://www.rollingstone.com/culture/culture-news/inside-controversial-game-thats-tackling-the-holocaust-251102/
Ist es möglich den Nationalsozialismus in Computerspielen angemessen darzustellen?

Angesichts dieser Kontroversen stellt sich die Frage, ob der Nationalsozialismus in einem
Computerspiel angemessen dargestellt werden kann und welche Charakteristika dafür erfüllt sein
sollten. Folgt man der Auffassung, das Computerspiele nur zur Unterhaltung geeignet seien und
daher grundsätzlich zu einer Trivialisierung oder Verzerrung des behandelten Stoffes führten, so
muss man diese Frage verneinen. Folgt man Bernard, der klar die Vorteile des Computerspiels als
Medium, das in der Lage ist das Publikum zu involvieren und mit ihm zu interagieren hervorhebt,
dann kann man aus den hier soweit vorgestellten Debatten herauskristallisieren, dass sorgfältige
Recherche, historisch korrekte Darstellung, Sensibilität und Respekt gegenüber den Opfern des
Nationalsozialismus, die grundsätzliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung sind. Eine
in diesem Sinne angemessene Umsetzung ist das Spiel "Papers, Please", in dem der Spieler die
Rolle eines Grenzbeamten in einem fiktionalen totalitären Staat übernimmt und Entscheidungen
über die Einreise von Personen treffen muss.11 Dabei haben SpielerInnen die Wahl, ob sie
Menschen, die aufgrund von Formfehlern oder anderen Gründen keine gültigen Papiere haben,
einreisen lassen oder nicht, mit schweren Folgen für die Abgelehnten. Auf diesem Weg zeigt das
Spiel die Auswirkungen von Diskriminierung und Unterdrückung auf individueller Ebene und
vermittelt ein Verständnis dafür, wie die politischen Ideologien und Strukturen des National-
sozialismus funktionierten. Ein weiteres Spiel, das sich mit dem Nationalsozialismus befasst, ist das
von durch Fakultäten der Karls Universität und des Instituts für Zeitgeschichte der tschechischen
Akademie der Wissenschaften entwickelte "Attentat 1942".12 Der Spieler hat zur Aufgabe das
Schicksal seines im Nachgang zur Tötung Reinhard Heydrichs in Prag von der Gestapo verhafteten
Großvaters herauszufinden. Die nötigen Informationen gewinnt der Spieler aus Tagebüchern und
teils widersprüchlichen Augenzeugenberichten, welche eine kritische Auseinandersetzung mit den
Quellen simulieren. Auch wenn die Geschichte fiktiv ist, so basiert sie auf historischer Forschung
und Augenzeugenberichten und wahrt durch die Verwendung historischen Bildmaterials einen
hohen Grad an Authentizität, bleibt aber in seiner Darstellung des Holocausts abstrakt, um auch ein
jüngeres Publikum nicht zu überfordern. Dadurch wird effektiv auch der Respekt und die
Sensibilität gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus gewahrt. Erwähnenswert ist in diesem
Kontext auch das Spiel ,,Through the darkest of Times“ vom Berliner Entwickler Paintbucket
Games, das im Jahr 2020 den Deutschen Entwicklerpreis in den Kategorien ,,Bestes Indie Game“
und ,,Beste Story gewann.13 Zusammenfassend lässt sich die Frage ob sich der Nationalsozialismus
in einem Videospiel darstellen lässt, vielleicht so beantworten: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
(abgerufen am 7. 1. 2023)

11 Papers, Please, Entwickler: Lucas Pope, Vertrieb: 3909, 2013

12 Attentat 1942, Entwickler: Charles Games, Vertrieb: Charles Games, 2017
13 Through the Darkest of Times, Entwickler: Paintbucket Games, Vertrieb: HandyGames, 2019
 Literaturverzeichnis

• Bender, Virtuelles Erinnern: Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen, Bielefeld, 2014, S.50-53

• Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Berlin, 2003, S.143-145

• Parker, Inside Controversial Game That’s Tackling the Holocaust, RollingStone, URL:
https://www.rollingstone.com/culture/culture-news/inside-controversial-game-thats-tackling-the-holocaust-
251102/ (abgerufen am 7. 1. 2023)
• Brian Crecente, Anti-Defamation League Slams “Fun” Holocaust Video Game As Horrific And Inappropriate,
in: Kotaku, 11. 12. 2010, URL: http://kotaku.com/5712163/anti-defamation-league-slams-fun-holocaust-video-
ga-me-as-horrific-and-inappropriate (abgerufen am 7. 1. 2023).

Spieleverzeichnis
• Call of Duty: World At War , Treyarch, Activision, 2008
• Wolfenstein II: The New Colossus , MachineGames, Bethesda Softworks, 2014
• Hearts of Iron , Paradox Development Studio, Koch Media, 2003.
• Sniper Elite, Rebellion Developments, MC2 France, 2005.
• Sonderkommando Revolt, Team RayCast, 2007-2011
• Imagination Is the Only Escape (DS), Silver Sphere Studios, Alten8, Nicht veröffentlicht
• Papers, Please, Lucas Pope, 3909, 2013
• Attentat 1942, Charles Games, Charles Games, 2017
• Through the Darkest of Times, Paintbucket Games, HandyGames, 2019