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"Wolfenstein 2: The New Colossus"

Nazis trinken Erdbeermilch


In "Wolfenstein 2" treten die Spieler mit aller Gewalt gegen den Faschismus an. Doch
im Spiel der Zeichen und Symbole fehlt in Deutschland ein Symbol: das Hakenkreuz.

Von Ma!hias Kreienbrink


30. Oktober 2017, 12:58 Uhr / 269 Kommentare /

"Wolfenstein 2": Nazis mit seltsamen Armbinden © Bethesda


Softworks

Die Banalität des Bösen ist eine Erdbeermilch. Während der Kommandant sie schlürft,
schwadroniert er über den Mangel an deutschen Gerichten in diesem amerikanische Diner.
Die Spieler fordert er auf, ihren Ausweis vorzuzeigen. Auf dem Tresen steht eine als
Feuerlöscher getarnte Hand-Atombombe, die er nicht bemerkt.

Willkommen in Wolfenstein 2: The New Colossus, wo der Nationalsozialismus


[https://www.zeit.de/thema/nationalsozialismus] nie verloren hat und nun der Widerstand
in den USA reaktiviert werden muss. Doch halt, in der deutschen Version des Spiels ist es
nicht der Nationalsozialismus, der die Welt unterjocht. Es ist das Regime. Das Regime kennt
keine Hakenkreuze. Denn Videospiele sind ja keine Kunst. Oder?

"Du hast deine Leibesübungen nicht eingehalten! Du bist eine Schande für dein Land!",
herrscht Frau Engel ihre Tochter Sigrun an. Und bringt damit das Körperbild des
Nationalsozialismus auf den Punkt. Wer nicht tüchtig ist, ist kein werter Mensch. Frau Engel
ist die Antagonistin in Wolfenstein 2. Wilhelm Strasse alias General Totenkopf segnete im
Vorgänger The New Order das Zeitliche. Das nachfolgende Böse in Form von Frau Engel ist
aber um keinen Deut weniger faschistisch. Und die Antwort der Spieler darauf keinen Deut
weniger drastisch. In einem zerstörten Amerika helfen sie mit, den Widerstand zu
organisieren.

Menschen, keine Monster


Wolfenstein 2 ist ein Antikriegsspiel. Gewalt ist hier kein Selbstzweck. Vielmehr ist sie die
künstlerische Auseinandersetzung mit dem menschenverachtenden Faschismus
[https://www.zeit.de/thema/faschismus]. Die Spieler laufen durch ein von Atombomben
zerstörtes New York. Sie streifen durch ein Roswell, das geprägt ist von den weißen Roben
des Ku-Klux-Klan. Zwischendurch erfahren sie von der Kindheit des Protagonisten B.J.
Blazkowicz. Eine Kindheit geprägt durch einen autoritären Vater, der alles Queere aus
seinem Sohn prügeln möchte. Der den Sohn deshalb den Haushund erschießen lässt. Der die
Mutter schlägt und auch dem Sohn Gewalt antut, als er erfährt, dass der sich mit nicht-
weißen Menschen umgibt.

Die Ideologie des Nationalsozialismus wird in dieser Welt künstlerisch verdichtet und
dadurch gebrochen: Die Neue Wahrheit heißt die Zeitung, die dem Stürmer nachempfunden
ist. Die Spieler können sie auf ihrem Gewaltzug durch diese kaputte Welt lesen. Die Soldaten
sehen aus wie Karikaturen des Menschenbilds der Nürnberger Rassegesetze. Alles ist etwas
zu massiv, zu monströs, zu pointiert – und damit genau auf den Punkt.

Massiv sind auch die Waffen, mit denen die Spieler dieses Sinnbild des Faschismus blutig
niederschießen können. Jeder Schuss, jeder Liter Blut ist in Wolfenstein 2 eine grausam
richtige Rache. Die Spieler werden aus einer Starre befreit. Sie werden gestoßen in eine
Aktivität – nimm diese virtuelle Waffe und beende diese Menschenverachtung. Doch
werden die Spieler dabei nie in Ruhe gelassen. Es wird nie zu einer Gewaltorgie. Immer
wieder bricht das Unbehagen ins Spiel. Wenn etwa der Protagonist von seinen starken
Schmerzen spricht. Wenn die Menschen des Widerstands an der Menschheit zerbrechen.
Oder wenn in all dieser Dystopie plötzlich ein Baby an eine Brust gehoben wird. In
Wolfenstein 2 existieren keine Monster, sondern Menschen
[https://www.zeit.de/digital/games/2016-05/doom-game-shooter-gewalt-2016].

Überall Politik
Erfreulicherweise erkennt der Publisher Bethesda die politische Relevanz des Spiels, gerade
jetzt. So können die Spieler etwa Nazis lauschen, die mit ihren Waffen durch die Gänge
patrouillieren. "Gewalt ist niemals in Ordnung", sagt einer. "Dieser Widerstand, das sind
Terroristen." Entdecken die Soldaten die Spieler, werden die vermeintlich friedliebenden
Nazis freilich sofort auf sie schießen.

Es sind Diskurse, die unserer Gesellschaft schauerlich bekannt sind und hier spielbar
gemacht werden. Wolfenstein 2 ist ein hochpolitisches Spiel und gleichzeitig – das ist kein
Paradoxon – ein hochspaßiges. In einem Interview
[https://www.spieletipps.de/artikel/7723/1/] sagte der Narrative Designer des Spiels selbst:
"Es ist eine kathartische Erfahrung. Es fühlt sich richtig gut an, zurückzuschlagen".

Wo ist der Unterschied zu Tarantinos "Inglourious Basterds"?

Jeder Schuss ist wichtig und richtig, das ist die Grundhaltung in
"Wolfenstein 2". © Bethesda Softworks

Doch auch im Marketing hat sich Bethesda nicht von politischen Diskursen ferngehalten –
zumindest in den USA [https://www.zeit.de/thema/usa]. "Make America Nazi Free Again"
lautete die Losung auf dem Twitter-Kanal des Spiels. Das ist insofern bemerkenswert, als
nicht wenige Spieler das Politische von ihren Videospielen am liebsten fernhalten würden.
Prompt folgte das Entsetzen einiger Gamer [http://de.ign.com/wolfenstein-new-
colossus/123296/news/wolfenstein-2-the-new-colossus-sorgt-auch-im-netz-fur-nazi-t].
Politische Spiele seien zu boykottieren. Widerstand gegen Nazis zu organisieren, scheint
inzwischen tatsächlich wieder eine bedenkenswerte Angelegenheit zu sein.

In und um Wolfenstein 2 zeigt sich also eine intelligente Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus, mit Gewalt, mit Verlust, mit Widerstand. Durch das Mittel der
Hyperbel [https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperbel_(Sprache)] wird eine
menschenverachtende Ideologie der Dekonstruktion preisgegeben – und dem Abschuss
durch die Spieler. Geradezu absurd ist jedoch, dass in der deutschen Fassung ebenso wie in
der englischen alles an dieser Ideologie nach dem Dritten Reich aussieht und klingt, dass es
keinerlei Verwechslungsgefahr mit einem anderen Regime gibt, und dass in diesem Spiel der
Zeichen und Symbole trotzdem eines nicht vorkommen darf: das Hakenkreuz. Denn
Videospiele [https://www.zeit.de/thema/videospiel] sind ja keine Kunst.

Der Streit um die Kunst


Wieso in Deutschland keine verfassungswidrigen Symbole gezeigt werden dürfen? "Weil
man den Videospielern und auch den Videospielen letztlich noch nicht traut", sagt Olaf
Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Gleichzeitig betont er aber, dass
sich die Videospielbranche selbst auch nicht traue, diese Frage nach der Kunst in einem
Musterprozess entscheiden zu lassen. Dabei sei die Politik inzwischen weit progressiver:
"Noch vor zehn Jahren hatte der NRW Kultursekretär Grosse-Brockhoff meinen Rücktritt
gefordert, weil ich gesagt habe, dass Computerspiele Kunst sein können. Jetzt spricht die
Kanzlerin auf der Gamescom vom Kulturgut Games." Die größere Herausforderung liege
daher bei der Branche selbst. "Traut euch endlich, Künstler sein tut nicht weh!", ruft er
dieser zu [https://www.kulturrat.de/themen/kulturgut-computerspiele/kulturgut-
computerspiele/].

Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands BIU, kennt den Grund für den Missstand
zwischen Videospielen und anderen Medien: "Während in anderen Medien wie dem Film
verfassungsfeindliche Symbole wie das Hakenkreuz bei entsprechendem Kontext
verwendet werden können, wird dieses Recht Games bisher nicht eingeräumt. Ursache
hierfür ist ein Gerichtsurteil aus den frühen Jahren des Mediums." Das heutige Verbot von
verfassungsfeindlichen Symbolen wie dem Hakenkreuz in Videospielen hält er für
willkürlich. "Das verstößt unter anderem gegen die Grundrechte der Kunst- und
Meinungsfreiheit." Die Lösung müsse es sein, die momentane Ungleichbehandlung zu
beenden, die Behörden müssten die veraltete Rechtsposition anpassen.

Doch von wem soll dieser Impuls nun kommen? Der Politik? Der Branche? Den Spielern? Den
Medien? Schlussendlich ließe sich der Sachverhalt wohl auf eine Frage herunterbrechen:
Wieso geht es im Tarantino-Film Inglourious Basterds um den Nationalsozialismus, aber in
Wolfenstein 2: The New Colossus um das Regime? Die Antwort liegt wohl irgendwo zwischen
dem Popcorn im Kino und dem Controller in der Hand der Spieler.

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