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Inhalt

Begleitung in Bewegung
Hörgeschädigtenpädagogik 2005 ................................................................................. 3

Eine spannende Aufgabe – Mobile Lehrer für sehbehinderte Kinder .................... 16

Zwischen Herausforderung und Bereicherung


Über die Integration eines Kindes im Rollstuhl ............................................................. 20

„Ich könnte alles sehen - ... fast alles!“ .................................................................... 24

Mit Sprache über Nichtsprache reflektieren ............................................................ 27

Die umgekehrte Integration


Unser Modell vom individuellen und gemeinsamen Lernen in der Schule
für gehörlose und schwerhörige Kinder ........................................................................ 30

Hanna ......................................................................................................................... 36

Praktische Anregungen für den Unterricht mit hörbeeinträchtigten Kindern ....... 39

Integration eines sehbehinderten Kindes in der Hauptschule ............................... 46

Heilpädagogisches Voltigieren als Fördermaßnahme ............................................ 48

3
Silvia M. Kopp Das Ziel ist es, betroffene Kinder und
Jugendliche und ihr schulisches als auch
persönliches Umfeld
• im Bereich des Hörens,
Begleitung in Bewegung • der auditiven Verarbeitung
• und Wahrnehmung,
Hörgeschädigtenpädagogik 2005 • der Sprachentwicklung,
• der Kommunikation
• sowie der Persönlichkeits-
• und Sozialentwicklung
spezifisch zu beraten und zu fördern.
Die Hörgeschädigtenpädagogik als Berufs-
und Handlungsfeld der Schulpädagogik be- Eine andere Zielgruppe unserer Arbeit sind
schreibt den Unterricht von Schüler/innen CODA-Kinder, Children of deaf adults. Die-
mit Hörbeeinträchtigungen, die eine sehr se Gruppe beschreibt die hörenden Kinder
inhomogene Gruppe mit den unterschied- gehörloser Eltern und rückt immer mehr ins
lichsten pädagogischen, didaktischen und Blickfeld der Hörgeschädigtenpädagogik, da
methodischen Anforderungen bilden. rund 95% der Gehörlosen hörende Kinder
haben2. Aufgrund ihrer Entwicklung und
Die Praxis zeigt eine Fachrichtung, die ihres Aufwachsens in zwei Welten, der
durch die medizinischen, technischen und hörenden und der gehörlosen, bringen sie
pädagogischen Entwicklungen der letzten ganz besondere Bedürfnisse und Erfahrun-
Jahre sehr stark im Wandel begriffen ist. gen mit, die zu berücksichtigen sind.
Hörgeschädigte Kinder werden frühest-
möglich erfasst, medizinisch-technisch bzw. Eine kontinuierliche pädagogische Be-
apparativ hochwertig versorgt und ab dem gleitung zur Bewältigung schulischer,
Zeitpunkt der Erfassung pädagogisch be- kommunikativer, emotionaler und sozialer
treut, begleitet und gefördert. Probleme ist notwendig, die von fachspezi-
fisch ausgebildeten Hörgeschädigten-
Dieser Wandel betrifft alle Bereiche, den pädagoginnen und -pädagogen gewähr-
außerschulischen Bereich sowie den schu- leistet wird.
lischen, was in der Konsequenz tief greifen- Diese sind in Bezug auf jedes einzelne Kind
de Veränderungen in der Unterrichtspraxis Teil eines Netzwerkes von unterschied-
mit sich bringt, sowie den vor- und den lichen Disziplinen und Fachleuten (z. B.
nachschulischen Bereich, wodurch eine Mediziner/innen, Akustiker/innen, Psycho-
Zusammenarbeit an den Nahtstellen, z. B. loginnen/Psychologen, Logopädinnen/Logo-
Kindergarten-Schuleintritt oder Pflichtschul- päden, Therapeutinnen/Therapeuten,
abschluss-Berufsausbildung, besonders Ämtern und Behörden, Lernbetreuungsein-
notwendig wird. richtungen, Selbsthilfegruppen u. a.).
Innerhalb dieses Netzwerkes gilt es, effektiv
In diesem Zusammenhang wird in der zu kommunizieren und Kontakte zu pflegen,
aktuellen Fachliteratur zunehmend von Hör- Informationen auszutauschen und das ge-
pädagogik1 anstelle von Hörgeschädigten- meinsame Ziel nicht aus den Augen zu ver-
pädagogik gesprochen – eine Begriffsent- lieren – die ganzheitliche Begleitung, Bera-
wicklung, die die Wende von einer über- tung und Förderung des hörgeschädigten
wiegend defizitorientierten Perspektive hin Kindes in seinem individuellen persönlichen
zu einer ressourcenorientierten Pädagogik und schulischen Umfeld.
deutlich macht. Für unser Berufsfeld spielt die fachspezifi-
sche Fort- und Weiterbildung und der Wis-
sens- und Kompetenztransfer eine große

2
vgl.
1
vgl. FRERICHS, Hajo: Audiopädagogik. Verlag http://www.taubenschlag.de/start_einfach.html
Neckar, Villingen-Schwenningen, 1998. [18.11.2005, 08:18]

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Rolle, sowohl auf österreichischer als auch Lernen und Sensibilisierungstrainings-
auf internationaler Ebene. einheiten,
• die Zusammenarbeit im interdisziplinären
Die konkrete Berufspraxis vereint viele ver- Team und die Kontaktpflege zu Institu-
schiedene Lehrer/innenrollen in sich. tionen und Einrichtungen im jeweiligen
Ich persönlich arbeite neben meiner Tätig- Schulbezirk.
keit als Fachlehrerin am Landesinstitut für
Hörgeschädigtenbildung auch in den Inte- Die Praxis ist sehr vielfältig und führt mich
grationsklassen des AHS-Modells für hör- quer durch alle Schulstufen und Gegen-
geschädigte Kinder in Graz mit, und einen stände, viele Schulen und alle Arten von
Tag in der Woche „toure“ ich als Hörge- Unterrichtsorganisation.
schädigtenpädagogin im mobilen Dienst Meine Schülerinnen und Schüler besuchen
durch die Steiermark. Das ist Begleitung in Integrationsklassen, sind aber auch einzeln
Bewegung. integriert.
Ich arbeite integrativ und kooperativ mit den
Neben diesen Lehrtätigkeiten sehe ich es Kolleginnen/Kollegen vor Ort zusammen
auch als wichtige Aufgabe, in der Aus- und und gestalte den Unterricht mit. Meine
Fortbildung von Lehrer/innen präsent zu Schwerpunkte lege ich hierbei auf die
sein, im Rahmen von Gastvorträgen und musikalisch-rhythmische Erziehung, auf die
durch die Mitarbeit in Akademielehrgängen Spracharbeit und auf soziale Interaktionen.
und der Schulpraxis, um steiermarkweit Je nach Situation und Bedarf arbeite ich mit
Kontakte herzustellen und über meine Be- den Kindern auch in der Einzelförderung.
rufspraxis und die besonderen Bedürfnisse Für viele Übungen und Methoden ist zum
von hörgeschädigten Schüler/innen zu infor- Beispiel absolute Ruhe erforderlich, wie bei
mieren und Verständnis für ihre Situation Hörübungen.
anzubahnen.
Wir Hörgeschädigtenpädagoginnen/
Durch diese sehr bewegte Berufspraxis ist -pädagogen sind bemüht, mit vollen Händen
es für mich besonders wichtig, an meiner zu kommen, um in jeder Beziehung entlas-
Stammschule und in meiner Berufsgemein- tend wirken zu können. Je mehr Informa-
schaft beheimatet zu sein, um mich aus- tionen uns zur Verfügung stehen, desto
tauschen und meine Arbeit reflektieren zu effektiver können wir unser Angebot
können. gestalten.

Begleitung in Bewegung Elternarbeit

Die Arbeit als Hörgeschädigtenpädagogin Vor dem Beginn meiner praktischen Arbeit
im mobilen Dienst stellt eine besondere in der Schule steht die Kontaktaufnahme mit
Herausforderung dar. den Eltern bzw. mit den Erziehungsbe-
rechtigten, um ein Erstgespräch zu verein-
Zu meinen Aufgaben zählt baren. Im Verlauf dieses Gespräches wer-
• die fachspezifische pädagogische Förde- den Fragen zur Lebensgeschichte und Ent-
rung des Kindes, wicklung des Kindes geklärt, das Umfeld
und die konkrete Situation besprochen,
• die Beratung und Unterstützung der ebenso Wünsche und Anliegen von Seiten
Eltern der Eltern erfragt.
• und der Lehrpersonen vor Ort,
• das Unterrichtsmanagement in Bezug auf Eltern entscheiden sich immer öfter für den
die jeweilige Schulstufe und die verschie- Besuch der wohnortnahen Regelschule,
denen Fachbereiche, weil sie z. B. wünschen,
• das Wecken des Verständnisses für die • dass ihr Kind in der Familie und der ge-
Situation des Kindes mit Hörschädigung wohnten Umgebung aufwächst,
bei Mitschüler/innen durch soziales

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• dass ihr Kind das Angebot einer überwie- digung zu unterrichten, so wird im Rahmen
genden lautsprachlichen und hörgerich- der Lehrer/innenfortbildung eine Einführung
teten Erziehung und Förderung erhält, in die Unterrichtsarbeit mit hörgeschädigten
• dass das Kind einfach „normal“ auf- Kindern angeboten.
wächst und die nächstgelegene Schule
besucht wie jedes andere Kind im selben Dieses Angebot beinhaltet Informationen
Alter auch, und multimediale Eindrücke zu den folgen-
den Themen:
• und dass es sich infolge auch mit den
gleichen schulischen Anforderungen und • Hören und Gehör: das gesunde Ohr
Situationen auseinandersetzen muss und und der Hörvorgang, die Aufnahme der
so auf ein Leben in einer akustisch auditiven Informationen, die Verarbeitung
dominierten Umwelt vorbereitet wird. und die Wahrnehmung im Gehirn
• Hörschädigungen: Überblick über die
Diese Entscheidung alleine darf aber nicht Großgruppen der Hörschädigungen
darüber hinwegtäuschen, dass das Kind • Audiogramme und Diagnostik: Bei-
besondere Bedürfnisse hat und nach spiele und Simulationen
UNGRECHT-BRUMM3 gewisse Voraus-
• Hörentwicklung und
setzungen bereits mitbringen sollte, um den
Sprachentwicklung: sensible Phasen
Schulalltag in der Regelschule möglichst
und Entwicklungsskalen
unbeschwert und ohne ständige Überfor-
derung bewältigen zu können: • psychosoziale Entwicklung: Emotio-
nalität und Persönlichkeitsentwicklung
• ein gesundes Selbstbewusstsein und
Selbstvertrauen • technische Versorgung: Hörgeräte,
Implantate (CI), FM-Anlagen, Dinge des
• eine altersgemäße Selbstständigkeit
Alltags (Blinkwecker etc.), Ersthilfe bei
• Frustrationstoleranz möglichen Defekten für die Lehrer/in-
• Belastungsfähigkeit nenhand
• Kontaktfähigkeit zu Kindern und Bezugs- • Unterrichtsorganisation: Lichtverhält-
personen nisse, Sitzordnung, Medien
• die Fähigkeit, sich auf andere einlassen • Schulraumgestaltung: Akustik, beson-
zu können dere Räume (z. B. Turnsaal)
• eine altersgemäße Konzentrations- • Kommunikation: Kontaktaufnahme,
fähigkeit Sprecherverhalten, Absehen
• ein altersgemäßes Durchhaltevermögen • hörgeschädigtenspezifische
• die Neugier auf schulische und soziale Förderung: Förderkonzept und Förder-
Inhalte planung, -ziele und -inhalte (Hörtraining,
Sprach- und Sprechtraining, Sprachbe-
• die Bereitschaft sich anzustrengen trachtung, schriftlicher Ausdruck, Rhyth-
• ein altersgemäßer Reifegrad mik, u. a.)
• die Akzeptanz der Hörgeräte und anderer • Schulrechtliche Fragen: SPF, Lehr-
technischer Kommunikationshilfen plan, Einstufung
• besondere Situationen und Anlässe:
Missverständnisse, Prüfungssituationen
Erstinformation und Beratung der (mündlich, schriftlich), Projekte, Auffüh-
Schule vor Ort rungen, Ausflüge, Exkursionen, Projekt-
wochen, Wintersportwochen, Fremd-
Stehen Schule und Lehrer/innen zum ersten sprachenunterricht u. a.
Mal vor der Situation, ein Kind mit Hörschä-

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Neben allgemeinen Erstinformationen wird
UNGRECHT-BRUMM, Susi: Die Betreuung inte- der konkrete Einzelfall in der jeweiligen
grierter hörgeschädigter Kinder in Schule und Aus-
bildung. In: Internationales Beratungszentrum schulischen Situation besprochen.
Meggen (Hg.): Kongressbericht. Berchtesgaden,
1995.

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Durch die kontinuierliche Betreuung können Ich gestalte die gemeinsame Zeit zum
infolge Anfragen jederzeit geklärt und Beispiel mit:
Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
• Selbsterfahrungen zum Thema
„Hören“
Einen wesentlichen Teil meiner Arbeit bildet
auch die Rücksprache mit den Lehrer/innen 〉 Was hören wir? (Die Augen schließen
der einzelnen Gegenstände. Ein Austausch und die Geräusche des Schulalltags
über Methodik und Fachdidaktik auf dem im Klassenraum wahrnehmen.)
Hintergrund der Hörgeschädigtenpädagogik 〉 Was hörst du jetzt? (Die Augen schlie-
findet so statt, ich kann empfehlenswerte ßen und typische Geräusch erraten,
und praxiserprobte Unterrichtsmaterialien z. B. eine Tür öffnen und schließen,
und Schulbücher vorstellen und Tipps für eine Schultasche öffnen.)
Themenfelder und die Unterrichtsgestaltung 〉 Hörübungen zu bestimmten Themen
geben. spielerisch durchführen und ein Ge-
räuschorchester eine Aufführung ma-
Ich sehe meine Arbeit als Prozess, der auf chen lassen (z. B. welche Geräusche
der aktiv gestalteten Kommunikation mit kann man mit Papier erzeugen, mit
allen Beteiligten über jede Art von Medium den Gegenständen im Raum, mit dem
(Telefon, E-Mail, Lehrer/innenmitteilungs- Körper)
heft, das in der Klasse aufliegt und in das
alle Kolleginnen/Kollegen Anliegen, Fragen 〉 Hörübungen und Hörspiele aller Art
und Bemerkungen das Kind und die Arbeit zur Geräuschidentifikation, zum Rich-
betreffend eintragen können) aufbaut. tungshören u. a. mit dem Einsatz von
Dieses Im-Gespräch-Sein und meine Ein- Medien und Materialien aller Art
ladung an alle Beteiligten, immer im Ge- 〉 Anleitung zur Führung eines Hörtage-
spräch zu bleiben, ermöglicht eine ständige buchs
Reflexion der Situation und der Förderar-
beit, und ich kann jederzeit Veränderungen • Erfahrungen zum Thema „Schall“
und Adaptierungen einleiten. 〉 Körnertanz: mit Reiskörnern oder
Mohn auf einer Trommel Schwingun-
gen sichtbar machen
Sensibilisierungstraining für die Klasse 〉 Wasserwellen: eine Stimmgabel an-
vor Ort schlagen und in eine Schüssel mit
Wasser tauchen, die entstehenden
Dasselbe Angebot gilt für Mitschülerinnen Wellen beobachten
und Mitschüler des Kindes mit Hörschädi- Tipp: einen Glasteller oder eine Glas-
gung. schüssel auf einen OP stellen und in
die Mitte der Wasseroberfläche z. B.
Als Erstinformation wird ein Sensibilisie- ein paar Tropfen Tinte geben, dann
rungstraining mit der Klasse durchgeführt. kann man besonders gut sehen, wie
Neben dem Kennenlernen meiner Person die Wellen die Farbe verteilen
und der Klärung meiner Rolle als Lehrerin,
die immer wieder auf Besuch kommt, ste- • Erstinformation zum Thema „Ohr“ und
hen Informationen, Selbsterfahrungs- „Hörbeeinträchtigung“
übungen und Situationen zum Einfühlen in
〉 Arbeitsblätter zum Thema „Ohr“, siehe
die Situation eines Menschen mit Hörschä-
Anhang 1 - 6
digung auf dem Programm, gestaltet und
zugeschnitten auf die jeweilige Altersstufe 〉 spielerische Erkundung der Anatomie
und Situation. mit einem Ohrmodell, das mit den
Kindern zerlegt und wieder zusam-
mengebaut wird
〉 eine multimediale Reise durch das Ohr
mit einem Film

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〉 Hörbeispiele zu Hörschädigungen
(Wie hört es sich an, wenn man nicht
gut hören kann?)

• Entdeckendes Lernen zum Bereich


Hörhilfen und Technik
〉 Selbsterfahrung im Umgang mit tech-
nischen Hilfsmitteln, wie z. B. Hörge-
räten (Hantieren mit verschiedenen
Hörgerätetypen, Wechseln von
Batterien, Erleben des Höreindrucks
durch ein Hörgerät mit einem Abb. 2
Stethoclip (spezieller Kopfhörer), an
den das Hörgerät angeschlossen wird, 〉 Übungen zur nonverbalen Kommuni-
Kennenlernen der Reinigung und kation, z. B. „Blinde Post“ (statt dem
Pflege von Hörgeräten und der dafür Flüstern von Wörtern werden hier Be-
benötigten Dinge, wie z. B. Trocken- wegungen und Gebärden vorgezeigt)
dose, Batterietester etc.) oder „Rot, grün, blau“ (Spielerklärung
siehe Anhang 7)
• Absehübungen
〉 Absehrätsel (arbeiten mit Texten und • Fingeralphabet und Gebärdensprache
Sprachproduktionen, die so aufge- 〉 Lernen des Fingeralphabetes und Ein-
schrieben sind, wie sie ein schwer- führung in die gebärdensprachliche
höriger Mensch hört, z. B. Kommunikation bzw. in den visuellen
„schdoltsertsältaskepurtsdachsgint“ = Kommunikationsmodus (z. B. mit Ge-
„stolz erzählt das Geburtstagskind“, bärdenliedern oder Wortschatzübun-
um die Bedeutung des Absehens von gen zu den Themenfeldern des Unter-
den Lippen der Sprecherin/des richts), auch als Beitrag zum ganzheit-
Sprechers deutlich zu machen) lichen Lernen und zum Lernen mit
〉 Absehübungen (Spiele zum Erraten allen Sinnen, von dem insbesondere
von Lauten und Wörtern) Schüler/innen mit einem motorischen
oder visuellen Lerntypenprofil beson-
• Nonverbale Kommunikation und ders profitieren können
Verhaltensregeln
〉 Übungen zum Augenkontakt und zum
Kommunikationsverhalten unter-
einander, spielerisches Einüben der
Verhaltensregeln im Umgang mit
hörgeschädigten Menschen

Abb. 3
Abb. 1

7
• Angebot an weiterführenden Informa- ABBILDUNGEN:
tionen und Anregungen für Unter- Österreichischer Gehörlosenbund (Hg.):
richtsanlässe ÖGS – Basisgebärden. Basisvokabular
〉 Vorstellen von Spielen, Filmen und der Österreichischen Gebärdensprache.
Büchern zum Thema, die in den ver- Wien, 2003. S. 12 - 14
schiedenen Fächern verwendet Abb. 1 Kommunikationsregeln
werden können Abb. 2 Kommunikationsregeln
〉 Angebot zur Bereitstellung von Medien Österreichischer Gehörlosenbund (Hg.):
und Materialien für Referate, Projekte Mein Fingeralphabet. Das Finger-ABC für
etc. Kinder. Wien, 2003
Abb. 3 Fingeralphabet
• Vernetzung mit Organisationen und
Vereinen vor Ort – Unterrichtsbesuche
und Exkursionen – Mithilfe bei der ANHANG:
Organisationen von Projektwochen Firma Oticon GmbH, Hamburg 2005,
〉 Kontaktaufnahme und Organisation Kontakt: info@oticon.de
von Unterrichtsbesuchen durch Gast- AB 1 Wie funktioniert das Ohr
referentinnen/-referenten, die ihre AB 2 Der Aufbau des Ohres
Arbeit vorstellen bzw. von ihrem AB 3 Die Teile des Ohres
Leben erzählen und berichten, wie sie AB 4 Rätsel
dieses mit ihren besonderen Bedürf- AB 5 Hörverlust
nissen meistern AB 6 Wie funktioniert ein Hörgerät
〉 Besuch von Vereinen und Institutionen Evangelische Gehörlosenseelsorge in
im Umfeld der Schule Bayern (Hg.):
44 Spiele für gehörlose Kinder.
〉 Kontaktherstellung und Vernetzung Nürnberg, 1998
von Angeboten für Sensibilisierungs- AB 7 Spielerklärung
maßnahmen durch externe Referen-
tinnen/Referenten mit dem Projekt-
planungsteam der Schule, z. B.
Initiierung des Projektes „Über Mauern Autorin
schauen“ von „Christina lebt“, einem
Silvia M. Kopp, Diplompädagogin
Verein zur mobilen Betreuung und ÜSPZ Landesinstitut f. Hörgeschädigtenbildung Graz;
Integration von Menschen mit Lehrbeauftragte der Religionspädagogischen
Behinderung, der steiermarkweit an Akademie der Diözese Graz-Seckau und in der
Schulen tätig ist mit dem Ziel, über steirischen Lehrer/innenfortbildung tätig.
Selbsterfahrung, den persönlichen Aktuelle Arbeitsschwerpunkte:
Kontakt mit Betroffenen und gegen- Mobile Betreuung im Kontext der Hörgeschädigten-
seitiges intensives Kennenlernen pädagogik; Religionspädagogik und Inklusion;
Bildungsmanagement, Schulentwicklung und
o Ängste und Hemmungen im Um- pädagogische Öffentlichkeitsarbeit
gang mit Menschen mit Behinde-
rung abzubauen Kontakt: s.kopp@schule.at

o Verständnis und Einfühlungsver-


mögen aufzubauen
o und Fragen jeder Art zu beant-
worten

Die Arbeit im mobilen Dienst ist eine pro-


zessorientierte Arbeit, zwar oft mit unregel-
mäßigen Arbeitszeiten und langen Fahrt-
strecken, aber mit sehr vielfältigen Anforde-
rungen, Aufgaben und Inhalten – alles in
allem eine Bereicherung für mein Lehrer/in-
nen(er)leben!

8
ANHANG

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Gertrude Jaritz-Tschinkel reale, das funktionelle Sehvermögen eines
Kindes schließen.
Bei der Einschätzung des Sehvermögens
gebrauchen wir unterschiedliche Sehtests
Eine spannende Aufgabe — und spezielle Beobachtungen, die natürlich
durch die Beobachtungen der Lehrer/innen
Mobile Lehrerin für und Eltern ergänzt werden. Dabei geht es
sehrbehinderte Kinder immer um die Umsetzung im Unterricht.
 Wie weit kann eine Schülerin/ein
Schüler sehen?
 Wie groß muss oder wie klein darf der
Druck im Schulbuch sein?
 Braucht sie oder er optische Hilfsmittel?

Lehrerinnen oder Lehrer stehen üblicher- Kommt ein Kind plötzlich mit einem Mono-
weise in einer großen Klasse vor 20 bis kular, einem Fernsehlesegerät oder Lupen
30 Kindern und unterrichten Lehrstoff, der in die Klasse, braucht das Kind selbst
schul- und jahrgangsbezogen ist. Training im Umgang mit diesen Hilfsmitteln.
Die Lehrer/innen und Mitschüler/innen
Seit über 20 Jahren hat dieses Bild eine Er- brauchen konkrete Informationen über die
weiterung erfahren: Seither gibt es uns, die Funktionsweise bzw. Vor- und Nachteile
mobilen Lehrerinnen und Lehrer, für Kinder dieser Hilfsmittel und müssen angeregt
mit spezieller Behinderung/Sinnesschä- werden, diese selbst einmal zu probieren
digung, welche integrativ betreut werden um den „Blickwinkel“ zu erleben.
wollen.
Das Sehen des Kindes ist von vielen
Faktoren abhängig
 von der Schädigung
Unsere Zielgruppen sind:
 von der Qualität der visuellen Informa-
tionen
 das sehbehinderte oder blinde Kind
 von der Beleuchtung
 seine Lehrer/innen
 von der psychosozialen Situation
 seine Eltern
 von der Motivation
Unsere Stammschule ist zwar das Sonder-  vom Entwicklungsstand
pädagogische Zentrum für sehbehinderte
 von der Gesamtpersönlichkeit
und blinde Kinder, aber in dieser Schule hal-
ten wir uns am wenigsten auf. Wir unterrich-  vom Selbstvertrauen
ten in jenen Schulen, an denen die einzel-  von den Kompensationsmöglichkeiten
nen Kinder sind, als zusätzliche Lehrkräfte.
Die Faktoren sind also sehr variabel und in
vielen Bereichen kann man Verbesserungen
in der Umgebung z. B. bei der Platzwahl,
Zielgruppe Kind: bei der Adaptierung von Lehr- und Lern-
materialien vornehmen, auch wenn das
Einschätzung des Sehvermögens: Mit unse- Sehen im eigentlichen Sinn nicht verbessert
rem Fachwissen im augenmedizinischen werden kann.
Bereich sind wir Bindeglied zu den behan-
Beobachtungen und spezielle Übungen zur
delnden Augenärztinnen/-ärzten und Opti-
Seh- und Sinnesschulung finden in der
ker/innen. Wir bekommen die Befunde der
Einzelarbeit statt.
Kinder, klären mit den Betroffenen den In-
halt und die möglichen Auswirkungen im Oft arbeiten wir mit den Kindern im Unter-
pädagogischen Bereich. richt, manchmal mit dem Kind alleine. Das
Wissen sehbehinderter Kinder ist durch das
Mit den Aussagen eines Befundes kann
eingeschränkte Sehvermögen lückenhaft
man aber nur zu einem kleinen Teil auf das

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und manchmal mit falschen Vorstellungen mal unterrichten wir die ganze Klasse, spe-
verbunden. Daher ist es ein wichtiges Ziel, ziell wenn es um das Sehen geht, z. B.
die Erfahrungen der Kinder zu hinterfragen Selbsterfahrung mit Simulationsbrillen.
und konkrete Erlebnisse und Handlungs- Dabei lernen Erwachsene und Kinder
möglichkeiten anzubieten. verstehen was „Sehbehindertsein“ heißt.
Bei mehrfachbehinderten Schülerinnen/ Manchmal arbeiten wir mit dem sehbehin-
Schülern ist es notwendig Sehschulung zu derten Kind allein oder mit einer kleinen
betreiben und die Kompensationsmöglich- Gruppe entweder in der Klasse, in einem
keiten der anderen Sinne auszubauen. anderen Raum oder machen Lehrausgänge.
Blinde Kinder, die eine Integrationsklasse Für die Klassenlehrer/innen bereiten wir
besuchen, brauchen die Blindenlehrer/innen Informationen vor, helfen bei der Vorberei-
zur Organisation und Handhabung der tung und bei der Aufbereitung von Lehrin-
Braillematerialien und der Arbeit am Com- halten. Weiters sind wir da, um Rückmel-
puter sowie zum Erlernen der speziellen dungen zu geben und wir versuchen zu
Blindentechniken. entlasten.
Besonders schwierig ist bei der Zusammen-
arbeit den Faktor „Zeit“ in den Griff zu be-
Zusammenarbeit mit den kommen. Während des Unterrichts sind
Klassenlehrer/innen: keine wirklichen Gespräche möglich, also
muss Zeit gefunden werden, in der man sich
Der schwierigste Aspekt in der Rolle von zusammensetzen kann. Die Klassenleh-
Integrationslehrer/innen ist der Gewinn an rer/innen sind meist bereit im Anschluss an
Glaubwürdigkeit. Davies und Davies (vgl. den Unterricht oder in einer Freistunde mit
Davies 1988 in Drave 1990) beschreiben uns zu arbeiten. Sehr oft ist es für uns
verschiedene Arten von Glaubwürdigkeit: selbst schwierig zu bleiben, weil wir in die
 Legitimierte Glaubwürdigkeit: nächste Schule fahren und unseren Stun-
denplan einhalten müssen.
durch den Titel und die Tätigkeitsbe-
schreibung, unterstützt von einer positi- In der Teamarbeit ist es sehr wichtig, das
ven Erfahrung von effektiver Arbeit ganze Kind zu sehen und nicht nur die
Summe der einzelnen Behinderungen und
 Zuständigkeits-Glaubwürdigkeit: Probleme.
ein Bewusstsein von verschiedenen
Methoden, Zugangsweisen und Philo- Die erwiesenen Vorteile der Teamarbeit
sophien innerhalb einer Schule; ein Stil, sind nach Handy (vgl. Handy 1985 in Drave
der diese Vielfalt respektiert, anerkennt 1990):
und darauf erwidert  Wissen über die Ziele der Partner/innen
 ein Zusammenbringen von Fähigkeiten
 Experten-Glaubwürdigkeit:
 Aufteilung von Arbeit
ein Katalysator für Ideen und Zugangs-
weisen, ein Anerkennen der guten Me-  größere Zufriedenheit mit Aufgaben
thoden, die vom Klassenlehrer bereits  bessere Nutzung individueller Fähig-
angewendet werden. keiten
Dies ist u. a. möglich durch Beratung, durch  Probleme zu lösen und Entscheidungen
positiven professionellen Austausch und zu treffen
durch den Dialog mit Eltern.  Informationen und Ideen zu sammeln,
Informationen zu verarbeiten
 ein Koordinieren und Verbinden von
Im konkreten Schulalltg ist unsere Einzelnen und Gruppen
Tätigkeit unterschiedlich:  Leitung, Führung und Kontrolle der
Arbeit
Manchmal sind wir Partner/innen im Team-  Steigerung von Engagement und Ver-
teaching, manchmal gestalten wir Stationen pflichtung
für alle Kinder im offenen Unterricht, manch-

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 effektiver Zugang zu Ressourcen. Außenseiter/innen, da wir nur kurze Zeit in
den Schulen anwesend sind.
Ideen, welche in einem Team entwickelt
wurden, sind üblicherweise besser durch- Wir haben Schwierigkeiten Zeiten einzuhal-
führbar. ten, da wir in der einen Schule durch irgend-
welche Umstände festgehalten werden oder
verspäten uns wegen schlechter Bedingun-
Zusammenarbeit mit Eltern: gen im Straßenverkehr.
Wir müssen uns ständig auf wechselnde
Bei Kindern mit einer Behinderung muss der Bedingungen und unterschiedliche Kinder
Kontakt mit den Eltern intensiviert werden. einstellen. An einem Vormittag besuche ich
ein sehbehindertes Kind in einer Integra-
Die Eltern haben die Entwicklung ihres Kin-
tionsklasse, anschließend fahre ich in die
des in sehr schwierigen Zeiten und mit sehr
Sonderschule des gleichen Ortes, wo ich
viel Aufwand begleitet, sie sind Experten für
ein schwer mehrfachbehindertes Kind
den Entwicklungsstand ihres Kindes.
betreue und zum Schluss gehe ich in ein
Gerade bei Kindern mit zusätzlichen Behin- Gymnasium, an dem meine Schülerin die
derungen ist dieses Wissen wertvoll und die Schwierigkeiten einer Maturaklasse be-
gemeinsame Absprache des Programmes wältigt.
entscheidend für den Erfolg. Es ist bekannt,
Wir sollten Zeit für aktuelle Notwendigkeiten
dass die Qualität der Beziehung zwischen
haben und trotzdem möglichst genau den
Professionellen und Eltern einen starken
„behördlichen“ Stundenplan einhalten.
Einfluss auf die allgemeine Entwicklung des
Kindes ausübt. Spannungen entstehen manchmal, wenn
wir einen anderen Stil oder eine andere
Eltern haben Phasen der Bewältigung der
Meinung haben als die Klassenlehrer/innen
Behinderung ihres Kindes hinter sich oder
oder wenn wir uns in Settings befinden, die
stecken mitten darin.
atmosphärisch unangenehm sind.
Was können wir ihnen bieten?
Wir spüren den Druck ständig auf dem
Es ist wichtig, dass eine Atmosphäre aus neuesten Stand sein zu müssen, sollen aber
Respekt, Ehrlichkeit und Vertrauen entsteht. andererseits keine Zeit durch Fortbildung
Wir können zuhören, interessiert sein, Wär- verlieren.
me und Verständnis entgegenbringen. Wir
Die Notwendigkeit der Mitarbeit an öster-
können mit unserer Fachkompetenz ver-
reichweiten oder internationalen Projekten –
suchen, Verbesserungen für den Schulalltag
ohne dabei Unterrichtszeit zu verlieren –
einzubringen und Eltern im Leben mit ihrem
stellt uns oft vor eine unlösbare Aufgabe.
Kind ein Stück zu begleiten.
Besonders in dieser Zeit des Sparens sehen
In unserer Rolle als mobile Lehrer/innen wir oft auch schlechte Rahmenbedingungen
befinden wir uns aber in großen für den Unterricht und haben keinen
Spannungsfeldern. Einfluss diese zu ändern.
Auf uns werden die Anforderungen, die an
die Integration in schulischer und sozialer
Hinsicht gestellt werden, übertragen. Oft
fühlen wir uns auch selbst für das Gelingen
verantwortlich.
Wir kommen zwar als Expertinnen und
Experten für das „Sehen“, nehmen aber
gleichzeitig Expertinnen und Experteninfor-
mationen von den Klassenlehrer/innen und
Eltern entgegen.
Wir müssen mobil sein, um rasch von einer
Schule zur anderen zu kommen. Wir bleiben
dadurch bis zu einem gewissen Grad

18
Weitere Spannungen entstehen durch Literaturhinweise
 die unterschiedlichen Ansprüche im
integrativen und sonderpädagogischen Penny Lacey, Jeanette Lomas, Mike Mc
Ansatz Linden: „Teaching children with a Visual
 die Unerfahrenheit oder manchmal auch Impairment and Multiple Disabilities“; School
durch den Widerwillen von Lehrerinnen of Education, University Birmingham 1996
und Lehrern ihren Unterricht zu verän-
Penny Lacey, Jeanette Lomas, Mike Mc
dern, wenn sie in der Sekundarstufe
Linden: Management and Administration
mehrfachbehinderte Kinder unterrichten
Issues: Working as a teacher of children
müssen
with multiple diabilities and a visual
 die Notwendigkeit mit allen zusammen- Impairment; School of Education, University
arbeiten zu müssen Birmingham 1996
 das Gefühl nirgends wirklich dazuzuge-
Wolfgang Drave: „Lehrer beraten Lehrer“,
hören – auch an der eigenen Stamm-
Beratung bei der Integration von sehbehin-
schule eine Art von Gast zu sein
derten Schülern; edition bentheim 1990
 die Tatsache, sich ständig neu organi-
sieren zu müssen, einen Platz zu
suchen
 das Problem zwischen notwendiger Autorin
Verschwiegenheit und der Weitergabe
von guten Ideen Gertrude Jaritz-Tschinkel
Lehramtsprüfung für VS, ASO, HS, Schwerstbehin-
 das Setzen eigener Prioritäten und der derte und Blinde.
Notwendigkeit spontan zu sein. Frühförderin für Kinder mit Sehbehinderung oder
Blindheit.
Seit 1974 Lehrerin am Odilien Institut, Schule für
Sehbehinderte und Blinde in Graz
Seit 1981 Mitarbeit am Aufbau eines steirischen
Frühfördersystems für Kinder mit Sehbehinderung
oder Blindheit
Seit 1984 Mobile Lehrerin für Kinder mit Sehbehin-
derung oder Blindheit
Seit 1992 Entwicklung des Multimediapaketes zur
Wahrnehmungsschulung Lilly & Gogo,
ständige Weiterentwicklung.
Weltweite Präsentation und Studienreisen in zahl-
reichen Ländern.
Seit 1993 aktive, nebenberufliche Frühförderin
1993 – 2002 Koordinatorin der Fachweiterbildung für
Sehgeschädigtenfrühförderung
Lehrtätigkeit an allen Ausbildungskursen für Sehbe-
 Aus dieser sicher nicht vollständigen hinderten- und Blindenlehrer/innen
Schilderung wird ersichtlich, wie wichtig Koordination des Akademielehrganges für Sehbe-
es für uns Lehrer/innen ist, auch Bera- hinderten- und Blindenpädagogik
tungskompetenzen zu lernen. Diese
wurden aber in der Grundausbildung
noch nicht unterrichtet.

Wir müssen lernen uns in einem Span-


nungsfeld zu bewegen, ständig in verschie-
denen Systemen zu verkehren ohne uns zu
verzetteln und aufreiben zu lassen.

Lehrerin für ein Kind zu sein ist ohne


Zweifel eine sehr abwechslungsreiche,
spannende Tätigkeit.

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Verena Corazza gehen. Andere hätten da oft schon längst
aufgegeben. Wir nennen ihn unseren
„Sonnenschein“, weil er Freude an den
vielen Dingen um ihn herum zeigt und er
uns das auch mit einer besonderen Gabe
Zwischen Herausforderung und vermitteln kann.
Bereicherung Schon im Sommer, bevor Valentin in unsere
Gruppe kam, besprachen meine Kollegin
Über die Integration eines Kindes und ich notwendige Änderungen für den
im Rollstuhl Unterrichtsablauf. Obwohl Martina
Englbrecht und ich nun schon das elfte Jahr
als Integrationsklassenteam zusammenar-
beiten, war diese Herausforderung wieder
etwas Neues. Nachdem wir einen mon-
Seit über zwei Jahren lernen und wachsen tessoriorientierten Unterricht anbieten, ste-
wir Lehrerinnen mit den Herausforderungen, hen in den Regalen sehr viele Materialien,
den besonderen Bedürfnissen und den die sich Schüler/innen holen müssen. Einer
ebenso besonderen Leistungen unseres der ersten Schritte war es, den Klassen-
Schülers Valentin. Welche Vorbereitungen raum rollstuhlgerecht einzurichten.
dazu nötig waren und welche Rahmenbe-
dingungen dabei zu schaffen wären, möchte
ich im Folgenden darstellen. Kompetente Unterstützung —
Mobiles Motorik Team

Valentin, der „Sonnenschein“ Da wir beide keine Spezialistinnen für Kin-


der mit Körperbehinderungen sind, fanden
Valentin besucht eine integrativ geführte wir in Barbara Kriegl vom „Mobilen Motorik
Mehrstufenklasse in der Lernwerkstatt Team“1) die kompetente Unterstützung.
Brigittenau. Er absolviert heuer sein drittes Sie betreut mehrere körperbehinderte und
Schuljahr und ist eines von vier Integrations- bewegungsauffällige Kinder an unserer
kindern unserer Gruppe. Seine Diagnose Schule. Mit Valentin arbeitet sie zurzeit zwei
lautet „Spastische Tetraparese“. Valentin Stunden. Barbara reorganisierte zum Bei-
kann sich mit der Kraft der Arme robbend spiel den Computer-Arbeitsplatz in der Klas-
fortbewegen, seine Beine übernehmen se: das Gerät kam auf ein Stehpult und da-
kaum ein Gewicht. Deshalb sitzt er im Roll- vor befindet sich nun eine Treppe. Valentin
stuhl. Die oberen Gliedmaßen sind viel we- kann mit seinem Rollstuhl hinfahren, mit
niger betroffen, trotzdem ist seine Handge- seinen Armen seine Beine auf die Treppen
schicklichkeit eingeschränkt. Inzwischen hinaufstellen, sich an Stangen hochziehen
wurde bei ihm auch Epilepsie festgestellt und wird dann mit zwei Gürteln von einer
und er wird derzeit medikamentös einge- Lehrerin oder Kindern fixiert. So kann er im
stellt. Seinen Stuhl- und Harndrang kann er Stehen schreiben und trainiert gleichzeitig
nur sehr schwer kontrollieren. Er hasst es seine Beinmuskulatur. Das Spezialmöbel-
aber eine Windel zu tragen und wir versu- stück wurde von der Werkstatt des Sozial-
chen seinem Wunsch nach zu kommen. projekts „Team-Idee“2) über Vermittlung
Wenn er spricht, ist es nicht immer einfach Barbaras hergestellt. Wir haben auch im
ihn zu verstehen und es braucht etwas Zeit, Klassenraum einen besonders niedrigen
sich darauf einzustellen.
Valentin wird nach dem Volksschullehrplan
unterrichtet. Er hat ein großes Allgemein- 1)
Das „Mobile Motorik Team“ ist über die
wissen, ist sehr fleißig und ehrgeizig und hat H. Radl-Schule (01/479 11 76) und die Integra-
einen unglaublichen Willen an allen Ange- tionsberatung (01/525 25/77193) erreichbar.
2)
boten teilzunehmen und auch bis an die Nach Vorschlag durch das Mobile Motorik Team
Grenzen seines körperlichen Vermögens zu und Einreichung bei der MA56 erhielt das Sozial-
projekt „Team-Idee“ (01/493 26 96) den Auftrag.

20
Tisch mit einem extra kleinen Sessel. In den Auch im Turnunterricht voll in Aktion
ersten beiden Jahren konnte Valentin auch
noch an diesem Tisch arbeiten, inzwischen
ist ihm das Sitzen auf einem normalen Ses- Ein weiterer Schritt war die Gestaltung des
sel nur mehr schwer möglich und er bleibt Turnunterrichts. Wir suchten nach Literatur
am liebsten in seinem Rollstuhl. Sooft es und im Internet, konnten zu diesem Thema
möglich ist, arbeitet er auch am Boden. aber nur Vorschläge für ältere Jugendliche
finden. Obwohl Barbara auch hier eine
große Hilfe war, erkannten wir im Laufe des
ersten Jahres, dass wir von unserem An-
spruch, Valentin solle überall mitmachen,
Abstriche werden machen müssen. Den-
noch blieben wir unserem Grundsatz treu,
dass in jeder Turnstunde etwas dabei sein
muss, das für alle passt. Für Laufspiele
steht Valentin ein kleiner Rollwagen (Leih-
gabe vom Mobilen Motorik Team) zur Ver-
fügung, auf den kann er sich legen und sich
mit seinen Armen im Turnsaal fortbewegen.

21
einkotet. Dann geht eine Lehrerin mit
Valentin duschen und ihn umziehen. In sol-
chen Fällen, die letztes Jahr häufig waren,
bedeutet das, dass eine von uns im Unter-
richt nicht anwesend ist, was die Wichtigkeit
einer Doppelbesetzung zeigt.
Nicht zuletzt der engagierte Einsatz von
Valentins Mutter und das Verständnis der
Integrationsberatungsstelle sowie des zu-
ständigen Sonderpädagogischen Zentrums
machten es möglich, dass wir seit diesem
Schuljahr einen Zivildiener fast durch-
gehend (für neun Integrationsklassen) an
unserer Schule zur Verfügung haben. In
Sein Rollstuhl wird im Turnsaal nie benützt.
unserem Bereich ist es eine enorme Hilfe,
Wir haben sehr oft Stationenbetrieb mit
denn der Zivildiener hilft Valentin auf der
Geräten, von denen Valentin einige auch
Toilette, begleitet uns auf Lehrausgängen
benutzen kann. Meine Kollegin Martina hat
und achtet darauf, dass er rechtzeitig ange-
eine Ausbildung in Motopädagogik und viele
zogen und dann zum Fahrtendienst ge-
Turnstunden sind ohnedies so gestaltet,
bracht wird.
dass die Kinder aus vorbereiteten Ange-
boten frei wählen können. Valentin liebt Bei Lehrausgängen versuchen wir Routen
diese Turnstunden. Wenn Kinder am Ende zu wählen, die rollstuhlgerecht sind. Wie
der Turnstunde Kunststücke auf den ein- viele Hindernisse dann trotzdem zu über-
zelnen Geräten vorzeigen dürfen, dann ist winden sind, war für uns auch eine neue Er-
Valentin immer dabei. Mit riesiger Anstren- fahrung. Valentin trägt inzwischen bei Lehr-
gung zeigt er Übungen und ist mächtig stolz ausgängen Windeln, weil die Benutzung von
darauf. Seit letztem Jahr haben wir den normalen Toiletten mit ihm kaum möglich ist
Turnunterricht so angelegt, dass Barbara und er sich gerade bei Lehrausgängen –
dabei ist und sie kümmert sich zu seiner wenn es kalt ist – noch häufiger einnässt.
Freude ausschließlich um ihn. Natürlich ist Letztes Jahr waren wir mit unserer Gruppe
das aber auch eine große Entlastung für auch auf Projektwoche. Wir wählten den
uns. Appelhof in Mürzsteg, weil dieser behinder-
tengerecht eingerichtet ist. Für Valentin war
es ein ganz ein tolles Erlebnis, einmal weg
Alltagsbetreuung braucht Zeit und von zu Hause zu sein. Wir alle (Lehrer/innen
Übung und Schüler/innen) haben in dieser Woche
erkannt, dass es, auch wenn alles behin-
Im täglichen Unterricht zeigt sich das beim dertengerecht eingerichtet ist, es noch sehr
Heben, Tragen und beim Besuch der Toi- viele Hürden zu überwinden gilt, die man als
lette. Barbara brachte uns bei, wie wir mit nicht behinderter Mensch gar nicht bemerkt.
wenigen Griffen Valentin in den Rollstuhl
bringen können. Einen Teil dieses Vorgangs
kann er selbst tätigen, am Schluss jedoch Im Unterricht sind kreative Lösungen
muss man ihn mit einigen Griffen auf den gefragt
Sitz bringen und seine Füße einhängen.
Auch der Toilettengang dauert seine Zeit. Er Valentin hat in den ersten beiden Jahren die
braucht dort die Unterstützung eines Er- Druckschrift und im letzten Jahr die Schreib-
wachsenen, damit seine Beine nicht weg- schrift erlernt. Seine Schrift war sehr krake-
rutschen, wenn er sich auf die Klobrille lig, aber lesbar. Seit heuer hat sich sein Zu-
setzt. Nachdem seine Mutter sehr drängte, stand verschlechtert und er schafft es auch
dass Valentin keine Windeln mehr tragen mit viel Mühe nicht, Buchstaben oder Ziffern
soll, da er sonst nie rein wird, passiert es leserlich zu schreiben. Was tun, wenn ein
immer wieder, dass er sich einnässt oder Kind handschriftlich nicht mehr schreiben

22
kann, aber dem Volkschullehrplan ent- Autorin
spricht? Wieder in Zusammenarbeit mit
Barbara kamen wir zu folgenden Lösungen: Verena Corazza, Diplompädagogin
Seine Schreibübungen, Lernwörter und
Deutschkarteien erledigt Valentin heuer alle Nach vielseitigen Berufserfahrungen seit 1989 als
am Computer, mit dem er gut zurecht Volksschullehrerin tätig.
Seit 1994 Unterrichtstätigkeit in Integrationsklassen,
kommt. Es gab von unserer Seite die Über- seit 2000 in einer integrativ geführten Mehrstufen-
legung, einen Laptop zu organisieren, aber klasse als Klassenlehrerin.
das Stehen am Stehpult ist gleichzeitig eine 1999 Abschluss des zweijährigen Montessori-Ausbil-
gute Übung für ihn. Geschichten spricht er dungslehrganges mit einem Diplom.
auf ein Diktiergerät und schreibt sie zu In letzter Zeit spezielles Interesse für Inklusion,
soziales Lernen und schulbezogene Genderfragen.
Hause dann auf. Das Tippen in der Schule
würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die
Seiten aus dem Mathematikbuch ver-
größern wir auf A3 Format, damit er dort
Ziffern besser einsetzen kann. Sollte dies
irgendwann auch nicht mehr möglich sein,
denken wir den Einsatz von Ziffernstempeln
an. Inzwischen haben wir erfahren, dass es
viele Mathematikbücher auch in A3 Format
speziell für sehbehinderte Kinder gibt.3)
Ich hoffe, ich habe mit diesen Zeilen zeigen
können, dass es eine große Herausforde-
rung und Bereicherung sein kann mit einem
Kind wie Valentin zu arbeiten. Meine Hoch-
achtung gebührt diesem Kind, das mit
einem Optimismus und einer unbeschreib-
lichen Energie seine Behinderung anneh-
men kann, damit umzugehen versucht und
uns zeigt, was alles möglich ist. Meine
Hochachtung gebührt auch seiner Mutter
und seiner Familie, die mit unendlichem
Einsatz alle Therapieangebote nützt,
Valentin so annimmt, wie er ist, aber auch
nicht wegschaut, wenn sich sein Zustand
verschlechtert. Ihre Hoffnung ist, dass
Valentin intellektuell in der Schule so
gefördert wird, dass er später einmal einen
Beruf ergreifen kann. Wir hoffen für alle
Beteiligten, dass ihre Wünsche in Erfüllung
gehen.

3)
Zu beziehen über die mobilen Lehrer/innen für
sehbehinderte Kinder. Diese werden angefordert
beim SPZ für sehbehinderte Kinder (1150 Wien,
Zinkgasse 12-14, Tel.: 01/98 25 191) oder direkt
mit dem „Formular zur Schulbuchbestellung für
Sehgeschädigte“; zu faxen an das Bundesblinden-
erziehungsinstitut (1020, Wittelsbachstraße 5,
Tel.: 728 08 66 / 236).

23
Maria Nagel

„Ich könnte alles sehen —


... fast alles!“

Wenn ich etwas in der Ferne betrachten


möchte, nehme ich ein Kleinfernrohr zu
Hilfe.
Beim Ballspielen muss ich besonders kon-
zentriert sein und schnell reagieren, weil ich
den Ball viel später sehe als du.
Weil ich nicht alleine mit dem Fahrrad fah-
ren darf („können tät ich’s schon“), haben
meine Eltern mir ein ganz spezielles Rad
gekauft, auf dem zwei Personen sitzen
können: ein Tandem – da macht das Rad
Das bin ich: Kerstin. fahren so richtig Spaß!

Ich bin seh- und hörbehindert und gehe in


die 4. VS Wetzawinkel in der Steiermark.
Mein Arbeitsplatz ist beinahe immer in der
Mitte der ersten Reihe – da sehe und höre
ich am besten, was die Lehrerin vorne
spricht ... – und es ist der einzige Platz, von
dem aus ich auch zur Tafel sehen kann.
Allerdings schreibt meine Lehrerin beson-
ders groß und meist mit gelber Kreide, weil
dadurch der Kontrast für mich besser ist.
Ich rechne in meinem Schulheft, wenn alle
anderen rechnen. Meine Mathematikhefte
sind allerdings wesentlich größer kariert als
jene meiner Freundin ...
Mein Lesebuch hat dieselben Texte und
Bilder wie das meiner Sitznachbarin, aber Wenn jemand mit mir langsam und deutlich
es ist doppelt so groß! spricht und einfache Begriffe verwendet,
Mein Arbeitstisch ist häufig schräg gestellt, verstehe ich schon sehr viel, obwohl ich
damit ich meinen Rücken nicht so stark mein Hörgerät erst knapp vor meiner Ein-
krümme, weil ich nämlich beim Arbeiten schulung bekommen habe. Vorher habe ich
ganz nah an meine Hefte und Bücher beinahe gar nichts gehört. Meine Lehrerin
herangehen muss. hat extra für mich die Gebärdensprache
gelernt – und allen Kindern in meiner Klasse
Viele Dinge, die meinen Mitschülerinnen/ hat sie einen Teil dieser besonderen
Mitschülern gezeigt werden, möchte und „Sprache“ gelernt.
darf ich auch angreifen, weil ich Kleinigkei-
ten, die weiter weg sind, nicht sehen kann.

24
viel schwieriger ist, etwas genau anzu-
klicken.
Seit einigen Wochen darf ich mit einem
ganz besonderen Gerät arbeiten:

Es ist ein Bildschirmlesegerät – und da


kann ich ziemlich alles sehen, was meine
Mitschüler/innen auch sehen. Ich habe
schon Kataloge angesehen, „normale“
Arbeitsblätter ausgefüllt, auf Fotos kann ich
sogar alle mir bekannten Personen erken-
nen! Das ist mir sonst unmöglich, weil sie
viel zu klein sind.

Damit ich mein Sehvermögen noch besser


einsetzen kann und meine visuelle Wahr-
nehmung geschult wird, mache ich
wöchentlich spezielle Übungen mit einer
Sehbehindertenlehrerin.

Weil ich meine eigene Schrift nicht gut lesen


kann, habe ich mit ihr das 10-Finger-Tast-
schreiben mit dem Computer gelernt.

Mit diesem Gerät kann ich länger konzen-


tiert arbeiten - und ich brauche nicht sooo
viel Energie fürs Erkennen. Manche Dinge
habe ich das erste Mal in meinem Leben „so
richtig“ gesehen – mit dem BLG konnte ich
sogar die Punkte eines Marienkäfers
zählen!

Dieses Bildschirmgerät ist an einen Compu-


ter angeschlossen – und ein spezielles
Großschriftprogramm habe ich da auch.

Dabei kann ich nämlich die Schriftgröße so


einstellen, wie sie meinem Sehen ent-
spricht – und ich schreibe in Schrift-
größe 48 ...!
In diesem Schuljahr habe ich schon sehr
viel auf dem Computer gelernt. Ich kann
viele Arbeitsschritte ohne Maus ausführen,
einfach mit Kurzbefehlen. Mit diesen bin ich
schneller, weil ich die Maus nämlich nicht
mühsam suchen muss bzw. weil es für mich

25
Nächstes Jahr komme ich schon in die
Hauptschule, und da sind die Schriften in
den Schulbüchern noch kleiner – und für
mich wird es noch schwieriger werden ...
Da wäre es schön, diese Ausstattung für
immer zur Verfügung zu haben – auch für
daheim. Dann könnte ich nämlich alles
sehen – fast alles ...

Autorin

Maria Nagel
Sehbehinderten- und Blindenlehrerin
am Odilien-Institut in Graz

26
Stefan Fraundorfer Gottes Willen, dann fängt das eigene Kind
auch noch so mit den Händen zum Herum-
deuten an. Eltern, die ihren Kindern verwei-
gerten, eine der Auszeichnungen mensch-
lichen Seins – die Sprache – zu lernen. Und
Mit Sprache über Nichtsprache da fängst du dann an, dich mit den Folgen
reflektieren dieser Verweigerung zu beschäftigen, mit
Sprache an sich, Kommunikation, versuchst
ohne Sprache über etwas nachzudenken,
mit der Mehrdeutigkeit eines Begriffes,
interessierst dich plötzlich für Etymologie,
erkennst, wie wichtig das Errichten von
geistigen Ankerpunkten zum Knüpfen von
Zack – da ist es wieder, dieses eigentüm-
sprachlichen Netzen, in denen sich die
liche Gefühl. Und wieder einmal erwischt es
Begriffe festhalten können, ist. Siehst mit
mich in der Situation anderen erklären zu
neuen Augen die Unterrichtsbücher durch
wollen, was es bedeutet, nichts zu hören,
und bist völlig fassungslos, was da teilweise
sprachlos zu sein. Nach über zwanzig Jah-
für ein Quatsch drinnen steht und wie Inhal-
ren in diesem Job, in denen ich unzählige
te vermittelt werden, wie ihre Sprache über
Male darüber nachdachte und diskutierte,
die Köpfe der Schüler/innen hinweg-
was das eigentlich bedeutet und ich mich
schwebt, ohne eine Spur zu hinterlassen.
genauso oft in der Falle gefangen sah, dass
es eigentlich ein Paradoxon ist, mit Sprache Das hat natürlich Konsequenzen für die
über Nichtsprache zu reflektieren, erkenne Arbeit mit den Klientinnen/Klienten, die sich
ich immer wieder die Ausweglosigkeit, die altersmäßig, sozial, intellektuell, hörverlust-
eigene Sprachlosigkeit, Unbeteiligten diese mäßig etc. ziemlich unterscheiden. Das
Sache begreiflich zu machen. Worum geht Wichtigste für alle ist die Freilegung der
es eigentlich in meiner Arbeit mit meinen Kommunikationsfähigkeit und die Entwick-
Klientinnen/Klienten, mit welcher Methodik lung der Kommunikationsfertigkeit in
gehe ich es an? Sprache und Schrift.
Seit ich vor zweiundzwanzig Jahren mit der
Arbeit mit schwerhörigen und gehörlosen Das Ziel ist definiert, die Kernfrage ist – wie
Kindern und Jugendlichen begann, stellte leg ich’s an?
ich mir das alles viel einfacher vor. Als ich Für mich sind folgende Punkte grundlegend:
den Anruf bekam, als Erzieher im Landes- • Kinder sind Erwachsenen – also auch
institut für Hörbehinderte arbeiten zu kön- mir – ausgeliefert. Das betrifft den per-
nen, grenzte ich die Dimensionen des sönlichen Umgang miteinander genauso
Problems mit Hilfe von Beethoven, der doch wie die Inhalte, die ich anbiete. Ich trage
im ertaubten Alter noch seine besten Werke Verantwortung, die ich wahrzunehmen
komponierte, auf für mich überschaubare habe.
Ausmaße ein. Die Wirklichkeit holte mich in
• Hörgeschädigte Kinder erleben im Um-
den nächsten Jahren als Lehrer ziemlich
gang mit anderen Kindern und Erwach-
heftig ein. Heute, nach mehr als fünfzehn
senen häufig Missverständnisse. Meine
Jahren in der Integration hörgeschädigter
Aufgabe ist es, für meine Klientinnen/
Kinder, stehe ich vor der Tatsache, dass ich
Klienten eine faire Situation zu schaffen.
zwar vieles kapiert habe, etliches davon
Wenn es Probleme gibt, bin ich da und
aber nicht ausdrücken kann.
kümmere mich darum.
Große Herausforderungen kamen auf mich • Diese Kommunikationsanbahnung ist
zu: Gehörlose Kinder hörender Eltern, die ein sensibler Prozess, die Beziehung
die Behinderung nicht akzeptieren konnten. zwischen Kind und Pädagoginnen/
Kein Cochlea-Implantat noch in Sicht, oder Pädagogen soll tragfähig sein. Das er-
einfach eine Ablehnung gegen das Ding im fordert die Bereitschaft der Lehrerin/des
Kopf. Nur Lautsprache, bloß nicht zusam- Lehrers, das Kind erst einmal zu akzep-
men mit anderen gehörlosen Kindern. Um tieren und wirklich kennen zu lernen.

27
Gibt es in diesem Bereich ein echtes und Ende – Zeitenwenden, Kreuzzüge,
Problem, dann muss es einen Wechsel Leben im Mittelalter – soziale Bedingungen,
in der Betreuung geben. Manchmal Weltbild der einfachen Menschen, Rittertum,
können eben zwei Menschen nicht Geldwesen, Entfernungen und Reisen da-
miteinander. mals, Orden der Templer …), in die Begriffs-
• Es gibt Regeln im Umgang miteinander, definition „Minne“ mit ihren sozialen Kompo-
die mit dem Kind vereinbart werden, nenten und Strukturen und „Minnedichtung“
oder die es durch entsprechendes Vor- als einem der Ausflüsse der damaligen
leben übernehmen kann. Das gilt auch feudalen (und schon wieder ein Begriff …)
für den verantwortungsbewussten Gesellschaft. Nächste Woche liegt vielleicht
Umgang mit dem verwendeten Material. etwas an in Biologie – Flexibilität ist gefragt.
Die Arbeit mit Georg*), Schüler einer 3. Klas-
Und wie geh ich’s an? se VS, ist besonders erfreulich. Wir kennen
• Das erste Instrument bin ich selbst: uns nun bereits das vierte Jahr und treffen
Hörtraining, Absehtraining, Artikulation, uns zweimal wöchentlich. Trotz ungünstiger
Phrasen und Wendungen etc. – dafür Startbedingungen hat er es geschafft, dass
bin ich das Medium. seine Leistungen in Deutsch jetzt über dem
• Schreiben, Lesen und Wahrnehmungs- Klassendurchschnitt liegen. Georg nimmt
übungen erfolgen großteils am PC/Note- meine Angebote interessiert an, das Spek-
book, teilweise auch im Heft. trum unserer Inhalte überschreitet öfters
den Bereich der Volksschule. Georg ist
• Besonders für meine Leseanfänger/innen gehörlos und wurde im zweiten Lebensjahr
(„Erstleseunterricht“) findet der Leselehr- mit einem Cochlea-Implantat versorgt.
gang „Lilos Lesewelt“ meine uneinge-
schränkte Zustimmung und Anwendung. Florian*) kenne ich erst seit eineinhalb Jah-
Die teilweise überdurchschnittlichen ren. Seine relativ schwere Hörbehinderung
Erfolge bestätigen die Richtigkeit dieses wurde im Alter von acht Jahren erkannt und
Weges. (So lagen hörgeschädigte [Lilo] technisch mit Hörgeräten versorgt. Florian
Schüler/innen mit Cochlea-Implantat leidet zusätzlich unter erheblichen Konzen-
oder Hörgeräten im Salzburger Lesetest trationsstörungen und teilweise recht hef-
in manchen Bereichen über dem Durch- tigen Aggressionsschüben, unter denen
schnitt der gleichaltrigen hörenden Ver- nicht nur Mitschüler/innen, Klassenräume
gleichsgruppe.) und Materialien leiden, sondern auch er
selber. In diesem Fall kommt zum Unterricht
• Natürlich schaut es bei den Schüler/in-
eine wesentliche erziehliche/soziale Kompo-
nen in höheren Klassen bzw. im Gymna-
nente dazu, denn sonst funktioniert die
sium anders aus: Da braucht es schon
Förderung überhaupt nicht. Der regelmä-
fundiertes Wissen in den jeweiligen Ge-
ßige Kontakt zur Klassenlehrerin ist Pflicht,
genständen und falls das nicht reicht,
Berichte, Tipps (sofern gefragt) und Koor-
die entsprechenden
dination haben hier ihren Platz.
Nachschlagemöglichkeiten (Atlas,
diverse Duden, Fach
Die meisten unserer Schüler/innen werden
bücher …), die in jeder Schule zu finden
ein- bis zweimal pro Woche von meinen
sein sollten. Wenn möglich, nutzen wir
Kolleginnen und mir an ihrer Schule besucht
auch das Internet.
(Betreuungszeitraum ein bis drei Stunden).
Die Bandbreite reicht von der Vorschule
Und wie sieht meine Praxis aus?
über die ASO, VS und HS bis in die Ober-
Diese Woche brauchte Lisa*), die eine
stufe der AHS. Geographisch gesehen
6. Klasse Gymnasium besucht, Informatio-
decken wir das gesamte Bundesland ab,
nen zur mittelalterlichen Minnedichtung.
dem zufolge verbringen wir viel Zeit im Auto.
Daraus wurde – neben dem eigentlichen
Diese Fahrten sind oft recht anstrengend,
Thema – ein Ausflug in die Geschichte
erfordern sie doch durch die massive Zu-
(Früh-, Hoch- und Spätmittelalter, Beginn
*)
Die Namen wurden aus Datenschutzgründen
geändert

28
nahme des Verkehrs und einem gewissen
Zeitdruck volle Konzentration.

In der nachfolgenden Grafik ist ersichtlich,


dass die Schüler/innenzahlen in der mobilen
Betreuung die letzten Jahre (auch in der
AHS) kontinuierlich angestiegen sind.

Mobile Betreuung hörgeschädigter SchülerInnen


35

an Höheren Schulen
6
an Pflichtschulen
30

25

20

15 29
25
21
10

0
2003/04 2004/05 2005/06

Autor

Stefan Fraundorfer
1981 - 1983 Volksschullehrerausbildung in der
Pädagogischen Akademie in Salzburg
1983 - 1984 Erzieher im LIH
seit 1984 dort klassenführender Lehrer mit
Ausbildung zum Gehörlosen- und Schwer-
hörigenpädagogen, nebenbei EDV-Ausbildung
1989 Gründer der integrativen Betreuung
Hörgeschädigter
derzeit Stützlehrer für Hörgeschädigte am SPZ
für Sinnesbehinderte in Salzburg

29
Katharina Ferner

Die umgekehrte Integration

Unser Modell vom individuellen und


gemeinsamen Lernen in der Schule
für gehörlose und schwerhörige
Kinder
Der erste Schultag in der ersten Klasse integrativ:
13 Kinder: 7 hörende Kinder, 1 gehörloses Mädchen
(gehörlose Eltern), 1 Bub mit Cochlea-Implantat,
1 Mädchen hochgradig schwerhörig mit Hörgeräten,
2 Mädchen mittelgradig schwerhörig mit Hörgeräten,
Integration 1 Mädchen leichtgradig schwerhörig, (2 hörbehinderte
im schulischen Bereich ist weithin bekannt Kinder sind dazu muttersprachlich fremdsprachig). In
als gemeinsamer Unterricht von behinderten der Klasse sind außerdem 2 Kinder mit mathemati-
scher Hochbegabung und 2 Kinder mit legasthenen
und nichtbehinderten Kindern. Problemen.
Der gesetzliche Rahmen ermöglicht im Prin-
zip nur ein schulisches Modell. Von der An-
zahl der Kinder mit Förderbedarf in der
Klasse hängt ab, ob man im Zweilehrer/in- Grundsätzliches
nensystem oder im Stützlehrer/innensystem
arbeiten kann. Individuelle Voraussetzungen Die Kinder mit Hörbeeinträchtigung benöti-
beim Kind und die Anzahl der Stützstunden gen einen handlungsorientierten, optisch
lassen unterschiedliche Erfahrungen und unterstützten Unterricht. Es müssen Begriffe
Erfolge zu. geklärt werden, die Sprache aufgebaut und
die Gebärdensprache gelernt werden.
Jene, die nach Gehörlosen-Lehrplan unter-
Umgekehrte Integration richtet werden, besuchen die Volksschule
ist ein konstruierter Begriff, den man nur im fünf Jahre lang. Das erste Jahr dient vor
Zusammenhang verstehen kann: Kinder mit allem dem Sprachaufbau und dem Nach-
sonderpädagogischem Förderbedarf, in holen von fehlenden Erfahrungen. Eine Hör-
unserem Fall sind es Kinder, die nach Ge- behinderung wirkt sich auch auf räumlich-
hörlosen-Lehrplan unterrichtet werden, be- mathematisches Denken, auf Gleichge-
suchen eine Spezialschule: die Sonder- wichtssinn und Motorik und psychische
schule für gehörlose und schwerhörige Kin- Stabilität (Verstanden werden), auf Spre-
der. Integration findet nun „umgekehrt“ statt: chen oder auf sprachliches Denken aus.
Hörende Kinder kommen in die Spezialein-
richtung. Sie leben mit den hörbehinderten
Kindern gemeinsam den Schulalltag:
Freundschaft, Lernen, Spiel und Projekte
werden trotz der vorhandenen Kommuni-
kationsschwierigkeiten gemeinsam erlebt.

Begriffarbeit: Erfahrung mit allen Sinnen

30
Die äußeren Rahmenbedingungen

Im Allgemeinen sind in einer Klasse drei bis


acht Kinder mit Hörbeeinträchtigung. Die
Kinder sind völlig gehörlos, schwerhörig
oder mit Cochlea-Implantat versorgt.
Manche Kinder bringen zusätzliche Lern-
schwierigkeiten mit, die sich aus der Hörbe-
hinderung oder aus der Genese ergeben.
Dazu werden noch sieben hörende Kinder
unterrichtet. Eine Gruppe folgt dem Lehr-
plan für gehörlose Kinder, die anderen dem
Systematische Spracharbeit in der ersten Klasse
Volksschullehrplan. Vierzehn Stunden pro
Woche werden die Kinder im Gesamt-
unterricht im Zwei-Lehrer/innen-System
unterrichtet. Davon ist mindestens ein/e
Alle Begriffe werden in Gebärdensprache
Lehrer/in speziell in Hörgeschädigtenpäda-
gogik ausgebildet. Der Lehrplan für gehör-
lose Kinder sieht zusätzlich fünf Stunden
pro Woche mehr Unterricht in der Klein-
gruppe mit dieser Lehrerin/diesem Lehrer
vor.

Alle Begriffe werden in Gebärdensprache erarbeitet

Im Unterricht in der Kleingruppe werden die Kinder mit


Hörbehinderung extra gefördert: Artikulation, Sprach-
aufbau, Hörtraining, Gebärden u. a.

Die Klasse wird in allen anderen Bereichen


integrativ geführt. Besonders die schwer-
hörigen Kinder und Kinder mit Cochlea-
Vier Wochen lang Implantat profitieren von den hörenden Kin-
wurde der Unterricht dern enorm. Sprache wird nun einmal im
im Wald abgehalten.
Bewegungserfahrungen,
Sprachhandeln gelernt und so bekommen
Wissenserwerb und sie ausreichend sprachlichen Input, der
Kommunikation werden unter ausschließlich hörbehinderten Kindern
geübt. Anschließend ausbleiben würde.
wird alles mit Hilfe von
Fotos und Zeichnungen
sprachlich in der Klasse Der Begriff der Integration hat sich inter-
aufgearbeitet. national ja bereits weiterentwickelt zum Be-
griff „Inclusion“. Damit ist das Zusammen-
leben der verschiedensten Persönlichkeiten
mit den verschiedensten Bedürfnissen ge-
meint. Es geht nicht um das Zusammen-

31
leben zweier Gruppen und schon gar nicht Klasse, um mit den Kindern in Gebärden-
darum, dass sich eine Gruppe anpassen sprache zu kommunizieren. Die Kinder kom-
muss. Das einzelne Kind soll sich als Ge- men freiwillig zu ihr, egal ob sie hören oder
samtpersönlichkeit in der Gruppe wohl- nicht. Gebärdensprache kann und soll jedes
fühlen können. Es muss also ein Lernklima Kind in der Klasse lernen. Bei Ausflügen, in
herrschen, das individuelle Lernwege er- der Pause oder beim Schwimmen, wo die
laubt. Wir versuchen dies in unserer Klasse Kommunikation übers Ohr erschwert ist,
umzusetzen: beobachten wir die Kinder dabei, dass sie
• Die Kinder arbeiten oft in Kleingruppen selbstverständlich zur Gebärdensprache
oder zu zweit. greifen, damit sie verstehen und verstanden
werden. Im November wurde dieses Projekt
• Es gibt Helferdienste. „native signer“ mit dem ersten Salzburger
• Im Klassenrat werden Anliegen unter Kinderrechtspreis ausgezeichnet. Es berührt
der Moderation der Kinder besprochen. das Recht auf Gleichheit, auf Bildung und
• Einige Kinder sind auf die Gebärden- Meinungsfreiheit. Ein Jahr lang kamen auch
sprache angewiesen, weswegen der wöchentlich Eltern in den Unterricht, um
Unterricht in Gebärden- und Lautspra- erste Gebärden zu lernen, damit bei Be-
che angeboten wird. Bei Einführungen suchen und in der Klassengemeinschaft
und Erklärungen spricht eine Lehrerin/ erste Schwierigkeiten überwunden werden
ein Lehrer die/der andere gebärdet. können.

Wie in jeder anderen Volksschulklasse


auch, ist individualisierter Unterricht unab-
dingbar. Ein gehörloses Kind z. B. lernt die
Schriftsprache als Fremdsprache. In der-
selben Klasse sind aber Kinder, die sich
schriftsprachlich künstlerisch ausdrücken
oder am liebsten alles auf englisch hören
würden.
Gebärdensprachlich kompetente Kinder
müssen auf einem anderen Niveau geför-
dert werden, während Neulinge z. B. die
Wochentage oder die Farben üben.
Auch bei uns gibt es Kinder mit Legasthenie
oder mathematischer Hochbegabung.
Wie begegnen wir dieser Herausforderung?
Die Kinder müssen lernen ihren eigenen
Lernweg zu gehen. Es gibt bestimmte
Limits, die jeder erfüllen muss (z. B. Mal-
reihen, Rechtschreibregeln usw.). Darüber
hinaus eignen sich die Kinder selbst Kom-
petenzen an, wie sie zu Lernergebnissen
kommen: Dies funktioniert mit Montessori-
Material, mit dem Internet oder mit Büchern
und Experimenten.

Die Methodik im Lernalltag muss be-


Eine Abstimmung im Klassenrat. Soll es den Wochen-
stimmten Anforderungen standhalten:
plan mit den Pflichtübungen weiterhin geben? • Der Unterricht muss optisch orientiert
Ergebnis: 12:1 dafür. sein.
In unserer Klasse wird das Projekt „native • Er muss handlungsorientiert sein.
signer“ durchgeführt. Eine gehörlose Frau • Er muss Kommunikation ermöglichen.
besucht drei Stunden pro Woche die

32
• Er muss individuelle Lernwege
ermöglichen.
Vom Multiplizieren mit großen Zahlen bis
zum Fingerrechnen im Zahlenraum 10 oder
vom Vokabellernen einfacher Tiernamen bis
zum künstlerischen Ausschmücken selbst-
erfundener Geschichten, vom Krimilesen bis
zum Bilderbuchanschauen muss im ge-
meinsamen Unterricht alles möglich sein.
• Deshalb arbeiten die Kinder in der Frei-
arbeit.
• Wir erteilen in Kleingruppen Lektionen
und
• geben bestimmte Lernziele vor, die die
Kinder innerhalb einer Woche festigen
müssen (z. B. Grundwortschatz erar-
beiten).
• Es soll jedoch Raum sein, seinen
eigenen Neigungen nachzugehen.

Unsere Aufgabe ist es aber auch, genau zu


beobachten, dass kein Kind Lernbereiche,
die mit Schwierigkeiten verbunden sind,
vermeidet. Parallel zur Freiarbeit werden
jetzt in der zweiten Klasse Leseübungen,
Wortschatzübungen, Malreihenübungen
usw. durchgeführt.

Fotos 10-15

Eindrücke aus der Freiarbeit

Den Unterrichtsertrag sichern auch die Zu-


satzstunden für Sprachheilpädagogik und
interkulturelle Pädagogik. Wir arbeiten mit
einer Ergotherapeutin, einer Psychothera-
peutin und den Hortbetreuerinnen zusam-
men. Allerdings mussten wir in den letzten
Jahren eine starke Einschränkung der
therapeutischen Unterstützung unserer

33
Kinder hinnehmen und hoffen wieder auf Einen großen Bereich nimmt die Projekt-
eine Besserung. arbeit ein. In Projekten ist direkte Erfahrung
mit allen Sinnen möglich, aber auch theore-
Wir arbeiten mit dem „Lilo-Leseprogramm“, tisch die Reflexion und Dokumentation. Es
das sich auf Grund seiner methodisch- ist also für jeden das Richtige dabei. In der
didaktischen Konzeption sowohl für hörende Vorbereitung des Projektes beachten wir
als auch für Kinder mit Hörschädigungen immer den sorgsamen Umgang mit der Sin-
eignet. nesbehinderung. Als ein gelungenes Bei-
Zum Lesepaket gehört ein interaktives spiel sei hier das Projekt „Peter und der
Computerprogramm, das ein hohes Maß an Wolf“ genannt. Die Musik über CD allein
individualisiertem Lernen ermöglicht. wäre nicht für alle Kinder erfahrbar gewe-
sen, so haben wir die Instrumente in die
Klasse gebracht, um sie näher kennen zu
lernen, zu spüren oder auszuprobieren. Auf
der Schwingsitzbank, die Vibration von
Klängen weitergibt, wurden bestimmte
Melodien wiedererkannt. Die Geschichte
wurde in Gebärdensprache erarbeitet. Wir
nahmen an einer Orchesterprobe teil, bei
der die Kinder mitten im Orchester sitzen
konnten, damit der Klang für sie gut spürbar
war. Das ist keine Frage: Natürlich profitie-
ren alle Kinder – auch die hörenden – von
einer so umfassenden Erarbeitung.

Buchstaben und Wörter werden mit allen Sinnen


geübt, Fingeralphabet und Mundbild sind immer
dabei. Neben Hörübungen gibt es auch Ablese-
übungen.

34
Die Geschichte wird bei der Aufführung gedolmetscht

Instrumente spüren

Autorin

Katharina Ferner, Diplompädagogin


Sonderschullehrerin, Sprachheilpädagogin
Ausbildung in Montessoripädagogik
verheiratet, zwei Töchter
Projekte: Literaturprojekt „freies lesen“, Leitung von
Familienwochen zum Thema musikalische
Sprachförderung, Spielplatz der Sinne

Kinder sitzen in der Orchesterprobe unter den


Musikern

35
Ingrid Handle schaft und ihrer später festgestellten
Schwerhörigkeit wurde jedoch nie gemacht.
Auch eine Gehörprüfung wurde nicht durch-
geführt, da zu diesem Zeitpunkt die techni-
schen Mittel fehlten.
Hanna
In den ersten zehn Monaten entwickelte
sich Hanna recht gut. Sie wurde voll gestillt
und gedieh prächtig.
Mit der Zeit fiel den Eltern jedoch auf, dass
Hanna weder auf ihren Namen noch auf
andere Geräusche reagierte.
Der Kinderarzt überwies die Eltern zu einem
Ohrenfacharzt nach Innsbruck, der Hanna
zuerst auf eine Mittelohrentzündung behan-
delte.
Nach der medikamentösen Behandlung
änderte sich nichts und man entschloss sich
zu einer Paukenröhrchenoperation.
Hanna war zu diesem Zeitpunkt 11 Monate.
Als auch nach der Operation keine Ände-
rungen im Verhalten von Hanna eintraten,
wurde die Familie an die HSS Ambulanz in
Innsbruck überwiesen.
Der behandelnde Arzt untersuchte Hanna
und stellte einen Hörverlust von 80 % auf
der linken Seite und 70 % auf der rechten
Seite fest. Auch die BERA (Gehirnstamm-
untersuchung) bestätigte das Ergebnis.

Als Hanna ihre ersten Hörgeräte bekam,


war sie 12 Monate.
Das Einstellen der Hörgeräte nahm einige
Zeit in Anspruch, doch schon nach relativ
kurzer Zeit begann Hanna ihre Umwelt auch
1. Entwicklungspsychologischer Abriss akustisch wahrzunehmen.

1.2. Das Kleinkindalter


1.1. Das erste Lebensjahr
Langsam begann sie zu sprechen.
Hanna Rauchegger wurde am 18.6.1995 in Ihr Wortschatz beschränkte sich anfangs
Zams geboren. Die Schwangerschaft verlief auf den ihrer näheren Umgebung: Mama,
ohne jegliche Komplikationen. Hanna kam Papa, Oma, Opa ...
zwei Tage vor dem errechneten Geburts- Mit der Zeit kamen immer mehr Begriffe
termin innerhalb von drei Stunden zur Welt. dazu.
Sie war ein recht zartes Kind mit einem Rückblickend kann man sagen, dass ihre
Geburtsgewicht von nur 2,30 kg. sprachliche Entwicklung eine Berg- und
Bei der Untersuchung der Plazenta stellte Talfahrt war. Es gab Wochen, in denen sie
sich heraus, dass das Kind während der stagnierte und Hanna sich sprachlich
Schwangerschaft nicht ausreichend ernährt scheinbar nicht weiterentwickelte. Dem-
worden war. gegenüber gab es Zeiten mit raschen Ent-
Natürlich wurde Hanna genauestens unter- wicklungsfortschritten.
sucht, ein Zusammenhang zwischen ihrer Eingebremst wurde ihre sprachliche Ent-
Unterernährung während der Schwanger- wicklung immer wieder durch Hals-, Nasen-

36
und Ohreninfektionen, weswegen Hanna
sich noch drei weiteren Paukenröhrchen-
operationen unterziehen musste.
Im Alter von ca. 3;6 Jahren begann Hanna
in einfachen Zweiwortsätzen zu sprechen.
Zu diesem Zeitpunkt konnte sie sich schon
recht gut verständlich machen.

1.3. Die Kindergartenjahre


Mit fünf Jahren wurde Hanna im örtlichen
Kindergarten integriert.
Sie wies noch große sprachliche Rückstän-
de auf. Sie konnte zum Beispiel Liedtexte
nur zum Teil, Gedichte überhaupt nicht Von Anfang an fühlte sich Hanna wohl in
erfassen und wiedergeben. der Klassengemeinschaft.
Wenn sie etwas vortrug, verschwammen die In der Klasse war auch ein Kind mit Diabe-
Laute ineinander. Auch die Kommunikation tes, eines mit einer psychogenen Hörstö-
mit den anderen Kindern verlief manchmal rung und ein Kind mit einem schweren
beschwerlich. Augenfehler.
Trotzdem merkte man, dass ihr der soziale Fünf Kinder mit nichtdeutscher Mutterspra-
Umgang mit anderen Kindern gut tat. Sie che vollenden das Team.
war sehr kontaktfreudig, hatte keine Proble- Somit stellt Hanna keinen Sonderstatus dar
me Freundschaften zu schließen und spielte und der Alltag basiert auf einem gemeinsa-
gerne – vor allem mit Buben. men Miteinander unter besonderer Rück-
Sie lernte viel von den Kindern. sichtsnahme auf die Defizite der einzelnen
Ihre akustische Schwäche kompensierte sie Kinder.
durch ihr ausgeprägtes optisches Wahrneh- Probleme gab es anfänglich mit der Kom-
mungsvermögen. munikation zwischen Hanna und den Leh-
Nach zwei Kindergartenjahren sollte Hanna rerinnen, bzw. Hanna und ihren Mitschülern.
eigentlich eingeschult werden. Die Mutter, Doch im Laufe des Jahres machte Hanna
selbst Volksschullehrerin, entschloss sich im Bereich der Artikulation und des Sprach-
aber einen Antrag auf häuslichen Unterricht gebrauchs große Fortschritte und kann jetzt
zu stellen. schon, ein Jahr später, in kurzen Sätzen
Diesem Ansuchen wurde stattgegeben und zusammenhängend erzählen.
so besuchte Hanna den Kindergarten für ein
weiteres Jahr und am Nachmittag wurde sie
von ihrer Mutter nach dem Vorschullehrplan 2. Der Unterricht in der
unterrichtet.
Nach diesem Vorschuljahr wurde sie als Integrationsklasse
Integrationskind in der Volksschule
Landeck-Angedair aufgenommen.

1.4. Die Schulzeit


Nachdem die Klasse hörbehindertengerecht
ausgestattet worden war (Schallschutz-
decke, Teppiche, dicke Vorhänge ..), stand
dem Schulstart von Hanna nichts mehr im
Wege. Mit insgesamt 14 weiteren Kindern
begann im September 2002 der Schulalltag.
Die Klasse wurde als Integrationsklasse ge-
führt und für zehn Wochenstunden war eine
zweite Lehrperson in der Klasse.

37
2.1. Der Schriftspracherwerb 2.2. Methodisch-didaktische
Da es sich bei der Klassenstruktur um eine Überlegungen
sehr inhomogene Gemeinschaft handelte,
musste darauf auch im methodisch-/didak-
tischen Bereich des Unterrichts eingegan-
gen werden.
Der Schriftspracherwerb wurde nach der
Methode „Lesen durch Schreiben“ von
Jürgen Reichen durchgeführt.
Diese Methode hat die Einsicht zur Grund-
lage, dass es viele Wege zum Erwerb der
Lesefertigkeit gibt, dass aber jedes Kind
seinen eigenen Weg finden soll, wozu ihm
die Didaktik die Möglichkeiten eröffnen
muss.
Der handelnde Umgang mit der Schrift, die
Hinführung zur Einsicht in die Funktionen
der Buchstaben und die handlichen Arbeits-
materialien ermöglichen es dem Kind, den
grundlegenden Leselernprozess auf seine
Weise und in einer wesentlich von ihm
bestimmten Zeitspanne zu bewältigen.
Nicht mehr das Lehren des Lehrers steht im
Vordergrund, sondern das Lernen des
Kindes.
„Insofern kann dieses Leselernwerk nicht
mehr als Kodifikation eines durchstrukturier-
ten Lehrgangs verstanden werden; die Grundsätzlich unterscheiden sich hörge-
Buchstaben sind nicht mehr wie Perlen an schädigte Kinder hinsichtlich ihrer Bedürf-
einer Schnur aufgereiht, mit großen nisse, Wünsche und Interessen nicht von
Zwischenräumen, versteht sich, die mit hörenden Kindern.
„angenehmen“ Bildern ausgefüllt sind. Auch die Lernvoraussetzungen sind ver-
Hier – um im Bild zu bleiben – sind die gleichbar. Die mehr oder weniger einge-
Buchstaben hingestreut wie Bauklötze eines schränkte Sprachwahrnehmung und – ver-
Spielkastens mit der Aufforderung, sich ihrer arbeitung machen jedoch eine spezifische
zu bedienen und Lesbares zu ‚schaffen’. Unterstützung notwendig, damit sich die
Und Kinder, die nicht durch den Druck des individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten
Erfolgreichseinmüssens entmutigt worden entsprechend entwickeln können.
sind, werden sich solchen Materialien immer Das Bildungs- und Erziehungsziel in Inte-
zuwenden und damit Sinnvolles gestalten.“ grationsklassen für Hörgeschädigte ist das
(Vgl. Lesen durch Schreiben, Information für gleiche wie an allen allgemeinen Volks-
Lehrer, 1982, S. 4) schulen und deshalb richtet sich auch der
Unterricht nach dem Lehrplan der Volks-
schule (Jahrgangsstufe 1 - 4), der durch
einen systematischen Sprachaufbau und
durch intensive rhythmisch musikalische
Erziehung ergänzt wird. Außerdem wird die
Hörfähigkeit durch besondere Hörerziehung
in Verbindung mit modernen technischen
Geräten (Höranlage, individuelle Hörgeräte,
spezielle Computerprogramme) gefördert
und trainiert.

38
Ingrid Handle Gestisches Signal
Die Instrumente werden stumm ausgeteilt.
Sobald einige Kinder anfangen zu spielen,
greift der Lehrer dies auf, intensiviert die
Lautstärke und reißt plötzlich die Arme
Praktische Anregungen hoch. Instinktiv wird diese Geste in der
für den Unterricht mit Regel mitvollzogen. Einzelne Kinder über-
hörbeeinträchtigten Kindern nehmen diese Spielleiterfunktion.

Klangsignale
Auf ein Klangsignal beginnen alle Kinder frei
zu trommeln (spielen), bis das gleiche
Signal ein zweites Mal erklingt und alle
Instrumente zum Aufhören auffordert.

Spiele sind für Kinder ein Feld der Freiheit


zum Ausprobieren von Einfällen und Reak- 1.2. Dirigentenspiel
tionen, zur Erweiterung von Grenzen des
Handelns und der geistigen Beweglichkeit, Material:
zur Erkundung von Wahrnehmungen und - Trommeln oder beliebige Instrumente in
Empfindungen. Klassenstärke
Spiele leben von Spannung, Bewegung,
Begeisterung und Witz, aber auch von Lautstärke dirigieren
Instinkt, Geheimnis, Ordnung und Ernst. Der Dirigent zeigt gestisch an, in welcher
Dies gilt auch für die Musik. Sie ist Schau- Lautstärke getrommelt (gespielt) wird. Je
platz von Beziehungen zu Partnern, zum weiter die ausgestreckten Handflächen von-
eigenen Körper und Verhalten, sowie zum einander entfernt sind, also die Arme seitlich
Instrument und zur Umgebung. ausgestreckt werden, desto lauter spielen
Die Musikimprovisation ist ihr kunstvoller die Teilnehmer ihr Instrument. Die aneinan-
Ausdruck und die Musiktherapie ihre wir- der gelegten Handflächen sind das Zeichen
kungsvolle Kraft. für Stille.
In diesem Sinne möchte ich nun in den fol-
gendenden Punkten die Arbeit in meiner Taktiles Dirigieren
Integrationsklasse anhand einiger exempla- Alle sitzen mit einem Instrument eng
rischer Beispiele vorstellen, die sich für mich nebeneinander im Kreis mit dem Blick nach
und meinen Unterricht als taugliche Hilfs- außen. Ein Dirigent in der Kreismitte dirigiert
mittel herausgestellt haben. durch Antippen der Spielerrücken.

1.3. Imitationsspiele
1. Übungen und Rituale
Material:
Folgende Übungen sind als immer wieder- - Trommeln oder beliebige Instrumente in
kehrende Sequenzen im Morgenkreis, als Klassenstärke
Auflockerung zwischendurch oder als Stille-
übung gedacht. Mitspielen
Der Lehrer spielt eine vom Charakter her
gleich bleibende Klang- oder Geräuschfolge
1.1. Signalspiele vor – z. B. schnelles Kratzen mit den Fin-
gern über das Trommelfell –, die von den
Material: Kindern simultan mitvollzogen wird, bis der
- Trommeln oder beliebige Lehrer aufhört. Anschließend übernehmen
Instrumente in Klassen- einzelne Kinder die Spielleiterfunktion mit
stärke selbst ausgedachten Klang – oder Ge-
- Signalinstrumente wie Becken, Triangel, räuschfolgen.
Gong, Kuhglocke u. a.

39
Vor- und Nachspielen 1.5. Bewegungs- und Wahrneh-
Der Lehrer spielt eine kurze, vom Charakter mungsspiele mit Luftballons
her gleichbleibende Klang- oder Geräusch-
folge vor, die nach einer kleine Pause iden- Material:
tisch wiederholt wird. Die Kinder imitieren - aufgeblasene Luft-
anschließend entsprechend. Einzelne Kin- ballone für jedes Kind
der übernehmen dann die Spielleiterfunk- - ruhige, meditative
tion, wobei darauf zu achten ist, dass jede Musik
Klangfolge zweimal gespielt wird. Damit
wird vermieden, dass sich die Kinder zu
komplizierte Klangfolgen ausdenken, die
von der Gruppe nicht mehr nachvollzogen
werden können. Der bewegte Luftballon
Jeder bewegt sich ohne zu sprechen frei mit
seinem Ballon im Raum, ohne dass der
1.4. Gruppendynamische Spiele Ballon den Boden berührt.

Material: Verschiedene Körperteile


- Trommeln oder beliebige Instrumente in Wie oben, es werden jedoch je nach verba-
Klassenstärke lem Impuls des Lehrers nur bestimmte Kör-
- unterschiedliche Instrumente perteile benutzt: Kopf, Zeigefinger, Rücken,
linke Hand, rechter Fuß usw.
Namenspiel
 Alle trommeln (spielen) zugleich. Einer Variation:
nach dem anderen ruft dabei seinen die verbalen Impulse werden durch Klang-
eigenen Namen so laut, dass er von allen signale ersetzt,
verstanden werden kann. z. B. Triangel = Kopf, Zymbel = Zeigefinger,
Tremolo = Schluss.
 Wie , wobei jeder einmal seinen Namen
singend ruft und die anderen Kinder Luftballon im Kreis
entsprechend wiederholen. Die Kinder bilden einen engen Kreis, knien
am Boden und werfen sich innerhalb des
 Ein Kind fängt an zu trommeln (spielen) Kreises die Ballons mit ruhigen Bewegun-
und ruft dabei den Namen eines anderen gen zu, ohne dass diese außerhalb des
Kindes auf. Dieses setzt daraufhin ebenfalls Kreises geraten. Dazu erklingt ruhige Musik.
ein, ruft ein drittes auf usw., bis alle spielen. Es wird nicht gesprochen.
Anschließend wird immer lauter gespielt und
beim Höhepunkt abrupt aufgehört. Ballonmassage
Der Luftballon wird vorsichtig (um Quietsch-
Besuch mit Klängen geräusche zu vermeiden) über den Körper
Ein Kind geht mit seinem tragbaren Instru- eines Partners gerollt. Nach einer vorher
ment zu einem beliebigen Mitspieler und bestimmten Zeit wechseln sich die Partner
spielt diesem eine kurze Klangfolge vor, die ab.
von dem Besuchten annähernd gleich wie- Dazu erklingt ruhige Musik.
derholt wird. Der Besuchte nimmt den Platz
des Empfängers ein, der nun seinerseits
einen anderen besucht. Jeweils während 1.6. Pantomimische
des Besuchgangs spielt die ganze Gruppe Einführungsspiele
kurz und laut auf ihren Instrumenten.
Material:
- Musik im Gehtempo
- diverse Musik, auf Fortbewegungsarten/
Tätigkeiten zugeschnitten
- verschiedene lautmalerische
Instrumente

40
Pantomimische Reizwortspiele werden, jeweils in der rechten Hand an
Die Kinder bewegen sich nach Musik im einem Ende gehalten.
Gehtempo frei im Raum. Sobald die Musik In einem verdunkelten Raum bietet sich ein
stoppt, ruft der Gruppenleiter ein Reizwort Kerzentanz an: In jeder Hand wird ein
(verbaler Impuls), das alle unmittelbar Kerzenbehälter mit Kerze getragen. Die
pantomimisch umsetzen, bis wieder die Arme sind seitlich leicht ausgebreitet in
Musik einsetzt. Brusthöhe.
Die pantomimischen Darstellungen können
auch klanglich durch improvisatorisches Tanz in freier Raumform
Instrumentenspiel untermalt werden. Ein Tänzer führt die Gruppe in einer sich
ständig wiederholenden Schrittkombination
Beispiele für Fortbewegungsarten: (4 Zählzeiten) durch den Raum, z. B. auch
verschiedene Bodenbeschaffenheit: unter einer Thematik wie „Karawanenzug“
Glatteis, hoher Schnee, Matsch, heißer zu entsprechender arabischer/israelischer
Sand, klebriger Boden ... Folklore-Musik.
verschiedene Personen:  rechter Fuß vorwärts (Schritt)
schleichender Einbrecher, alter Mann am  linker Fuß vorwärts (Schritt)
Stock, Kofferträger, Polizist auf der  rechter Fuß vorwärts (Wiegeschritt)
Straße ...  Gewicht auf linken Fuß zurückverlagern
verschiedene Orte: (Vgl. Tischler 1995)
nachts im Urwald, im Kaufhaus, in einer
engen Höhle, auf einem schmalen Steg ...
verschieden Tiere: 2. Rhythmus und Bewegung im
Maus, Känguru, Bär, Stier ... Mathematikunterricht
verschiedene Stimmungen:
fröhlich, traurig, müde, wütend, verträumt,
2.1. Zahlenkonzert (ZR 5)
stolz ...

Beispiel für Tätigkeiten


einzeln:
essen, trinken, Fenster putzen, Motorrad
fahren ...
zu zweit/dritt:
einen Tisch, eine schwere Kiste, einen
langen Balken tragen
Boxkampf ohne Berührung, Ball spielen,
streiten ohne Berührung, musizieren ... Material:
- Zahlenkarten bis 5
- 5 verschiedene Instrumentengruppen,
z. B. Trommeln, Rasseln, Klanghölzer,
1.7. Meditationstanz
Schellen, Triangeln (in Klassenstärke)
Material:
Die Klasse wird auf die fünf Instrumenten-
- beliebige, langsame, getragene, gerad-
gruppen aufgeteilt.
taktige Musik
Jede Gruppe erhält eine Zahl
- Chiffontücher in Klassenstärke oder je
(z. B. Trommelgruppe = 1,
Teilnehmer 2 Kerzen (Teeleuchten) im
Rasselgruppe = 2 ...).
Glasbehälter
Der Spielleiter dirigiert die Gruppe, indem er
die Zahlenkärtchen einzeln aufhebt und den
Die Tänzer fassen sich an den Händen. Schülern der entsprechenden Gruppe somit
Dabei können auch Chiffontücher eingesetzt den Auftrag zum Spielen gibt.

41
Variation: - die entsprechende Menge schlagen
- Wechseln der Zahlkarten in schnellem (1 = 1x schlagen, 2 = 2x schlagen ...)
Tempo - im Zahlenraum 100 die Zehnerzahlen
- mehrere Karten gleichzeitig zeigen schlagen
- die Schüler spielen genauso oft, so groß - die Ergebnisse einer 1x1 Reihe
ihre Zahl ist schlagen
- kann auch mit allen anderen beliebigen
Mengen gespielt werden
- kann auch bei der Erarbeitung der 1x1 2.4. Die 1x1-Musik-Band
Reihen verwendet werden
Material:
- verschiedene Rhythmusinstrumente in
Klassenstärke
2.2. Zahlenreise (ZR 5)
Material: Die Kinder stehen im Kreis. Sie haben die
- Rahmentrommel Instrumente in der Hand und begleiten das
- Sprossenwand, Langbänke, Vorwärts- und Rückwärtszählen der 1x1
Gymnastikmatten, Kasten, Weichboden Reihen rhythmisch, indem sie bei jeder ge-
nannten Zahl auf ihr Instrument schlagen.
Ort:
Turnsaal Variation:
- wie oben, aber ohne Instrumente
Die Geräte werden gleichmäßig im Turnsaal (stampfen, klatschen, mit Gegenständen
verteilt. klopfen ...)
Die einzelnen Stationen werden einer Zah- - Jede zweite Zahl wird verschwiegen, sie
lenmenge zugeordnet (z. B. Weichboden = wird nur gedacht, auch die Instrumente
1, Sprossenwand = 2 ...) sind still.
Die Kinder bewegen sich , eventuell auch (z. B. zwei - ... - sechs - ... - zehn - ..)
nach Musik, frei im Turnsaal. Sobald die
Musik stoppt gibt der Lehrer mit der Rah-
mentrommel die entsprechenden Signale: 2.5. Drei starke Ochsen
1x trommeln – alle Kinder setzen sich auf
den Weichboden Die Kinder entscheiden vor der Sprach-
2x trommeln – alle Kinder setzen sich auf übung, ob sie über die „starken Ochsen“
die Sprossenwand usw. oder lieber über die „Papageien“ etwas
Variation: erzählen wollen:
- die letzten Zwei scheiden aus
- der Sieger wird Gruppenleiter 3 starke Ochsen (3er Reihe)
3 starke Ochsen ziehen 6 schwere Karren,
9 starke Ochsen ziehen 12 schwere Karren,
15 starke Ochsen ziehen 18 schwere
2.3. Wir machen Musik
Karren ( und so weiter).
Material:
- verschiedene Rhythmusinstrumente in Papageien (4er Reihe)
Klassenstärke 4 Papageien plappern 8 Stunden, 12 Papa-
Die Kinder sitzen im Kreis. Jedes Kind hat geien plappern 16 Stunden (und so weiter).
ein Instrument. Nun wird rhythmisch zu-
nächst von 1 bis 10 gezählt. Bei jeder Zahl Strümpfe stricken (5er Reihe)
wird das Instrument geschlagen. Sofort an- 5 Reihen hin, 10 Reihen zurück, 15 Reihen
schließend zählen die Spieler rückwärts von hin, 20 Reihen zurück (und so weiter).
10 bis 1. Variation:
Variation: Die Kinder denken sich selbst Sprüche für
- wie oben, aber ohne Instrumente andere Malreihen aus.
(stampfen, klatschen, mit Gegenständen (Vgl. 1 2 3 mit allen Sinnen und vgl. 1x1 mit
klopfen ...) allen Sinnen, Sonderdruck)

42
3. Reim und Bewegung im Deutsch- Die Kinder tanzen frei im Raum. Wenn die
Musik stoppt, sucht sich jeder einen Partner.
unterricht
Beide halten ihre Wortbausteine zusammen
und lesen ihr Wort vor. Dabei haben sie die
3.1. Lebendige Wörter Wahl, welches Wort Grund- und welches
Material: Bestimmungswort werden soll. Wer das
- Buchstabenkarten (zum Umhängen), lustigste Wort bilden konnte, erhält den
passend zu den Lernwörtern lautesten Beifall.
Variation:
Mit den folgenden Übungen kann ein Die Kinder suchen sich einen Partner, mit
bestimmter Wortschatz geübt werden. dem sie ein sinnvolles Wort bilden können.

Wörterzug (Vgl. A B C mit allen Sinnen; Sonderdruck)


Ein Kind möchte den Wörterzug „Elefant“
bilden und ruft nacheinander die aufeinan-
der folgenden Buchstaben des Wortes auf. 3.3. Erarbeiten von Lernwörtern
Die Kinder, die den betreffenden Buchsta-
ben umgehängt haben, bilden einen kleinen Lernwörter rhythmisch erfassen
Wörterzug. Stimmt der Wörterzug, darf das Material:
Kind, das ihn zusammengestellt hat, die - Karten mit den Lernwörtern
Lokomotive bilden und seine Wagons zu - ein beliebiges Rhythmusintrument wie
einer passenden Melodie in der Klasse Trommel, Klangstäbe, Triangel ...
herumführen

Wörter fangen Die Kinder sitzen im Sitzkreis. Die neuen


Jedes Kind hängt sich wieder eine Buch- Lernwörter liegen im Kreis.
stabenkarte um. Bei dem Spiel sollte weit- Der Lehrer sucht sich ein Wort und rhyth-
gehend auf selten vorkommende Buchsta- misiert es mit dem Instrument. Das Kind,
ben verzichtet werden und dafür mehrere welches das Wort erraten hat, kommt als
häufig gebrauchte wie E, S, T, R usw. ein- nächstes als Spielleiter an die Reihe.
gesetzt werden.
Nun werden aus einem Behälter mit Buch- Lernwörter pantomimisch darstellen
staben aus Holz, Ton, oder Fühlbuchstaben Ein Kind sucht sich ein Lernwort aus der
drei herausgezogen. Wortschatzkiste und versucht es pantomi-
Die Kinder, die einen von ihnen umhängen misch darzustellen. Das Kind, welches das
haben, denken sich schnell ein Wort aus Wort erraten hat, kann das nächste Wort
dem Wortschatz aus, das mit diesem Laut pantomimisch darstellen.
beginnt und fangen sich so schnell wie
möglich ihre Wortmitglieder der Reihenfolge Lernwörter erraten
nach ein. Der Lehrer stellt ein Rätsel und die Kinder
Alle Gefangenen hängen sich an ihren An- zeichnen das zu erratende Wort auf ein
fangsbuchstaben, sodass zum Schluss Blatt Papier.
ganze Kinderketten als Fänger unterwegs
sind. Lernwörter fühlen
In der Fühlkiste wird der entsprechende
Gegenstand erraten und den anderen
3.2. Lustige Wörter Kindern präsentiert.

Material:
- verschiedenen Namenwörter auf einen 3.4. Gedichte erarbeiten
Karton geklebt zum Umhängen
- jedes Kind erhält einen Karton zum Material:
Umhängen - beliebige Rhythmusinstrumente in
- beliebige schwungvolle Musik Klassenstärke

43
Alle sitzen im Sitzkreis. mus ist dann durch die Rhythmisierung des
Die Gedichterarbeitung basiert auf Vor- und jeweiligen Liedes vorgegeben.
Nachsprechen.
Der Lehrer spricht die erste Sinneinheit vor
und begleitet dies durch rhythmisches 4. Lied und Rhythmuserarbeitung im
Patschen auf die Oberschenkel.
Musikunterricht anhand konkreter
Die Schüler wiederholen diese Sequenz.
Die nächste Reimzeile wird durch Klatschen Beispiele
mit den Händen begleitet.
Die Schüler wiederholen auch diese 4.1. Viele Elefanten
Sequenz. Material:
So geht es weiter, bis das ganze Gedicht - Orff-Instrumente:
erarbeitet wurde. Bassstab – C/F
Zum Einsatz kommen alle Körperinstru- Altklangbausteine – C/F
mente wie Klatschen, Stampfen, Patschen,
Klopfen usw. Klangstäbe – C/F
Natürlich können auch Rhythmusinstru- Gitarre
mente, die in Klassenstärke vorhanden sind,
eingesetzt werden. Liederarbeitung
Wenn das Gedicht dann memoriert wurde,  Der Liedtext wird wie bei 3.4. erarbeitet.
können passende Instrumente als Klang- Zusätzlich können noch Crescendo- und
teppiche eingesetzt werden. Decrescendoübungen im Sitzkreis gemacht
werden. (Vgl. 1.1.)
Sprechchor
Eine Vers oder eine Verszeile wird von den  Einsatz von Körperinstrumenten
Kindern, die zu einem Sprechchor aufge- Gleichzeitig mit dem rhythmischen
stellt sind, nacheinander ausgesprochen, Sprechen werden Körperinstrumente wie
sodass eine nachhallende Sprechwelle Stampfen, Patschen, Klopfen, Schnipsen,
entsteht. Je nach Angabe des Dirigenten usw. auf die erste und dritte Zählzeit einge-
wird laut oder leise, schnell oder langsam, setzt.
feierlich oder abgehackt gesprochen.
 Einsatz der Orff-Instrumente, ebenfalls
Im Kanon auf die erste und dritte Zählzeit
Zu Beginn teilt man den Chor in Gruppen
ein, die wie beim Singen eines Kanons in Ablauf
einem räumlichen Abstand voneinander
getrennt stehen. Der Lehrer gibt nun nach- Intro
einander die Einsätze. Zuerst beginnt die Der C-Bassstab beginnt zwei Takte ganz
erste Gruppe, dann die zweite und so be- allein, danach setzt für weitere zwei Takte
ginnt eine Sprechgruppe nach der anderen, die Gitarre ein.
bis der Dirigent ein Zeichen zum Aufhören Der C-Bassstab und die Gitarre begleiten
gibt. während des ganzen Liedes.
1. Strophe
Die Welle Ein Kind singt die erste Strophe allein.
Die Kinder stehen mit leicht gespreizten
Beinen fest auf dem Boden, halten die Arme 2. Strophe
nach vorne oder nach oben und schwingen Erstes und zweites Kind singen die zweite
mit dem Oberkörper und den Armen im Strophe
Sprachrhythmus mit. Die wellenförmige Bassstab F kommt dazu.
Bewegung im Auf und Ab der Sprache kann 3. Strophe
so sichtbar gemacht werden. Erstes, zweites und drittes Kind singen die
Variation: dritte Strophe.
Kann auch im Musikunterricht bei der Lied- Altklangbaustein C kommt dazu
erarbeitung eingesetzt werden, der Rhyth-

44
4. Strophe Start
Fünf Kinder singen die Strophe von den Auftakt

5 Elefanten und der Altklangbaustein F Text: bitte Sonne bitte


kommt dazu.
5. Strophe Variation:
Zehn Kinder singen die Strophe von den
10 Elefanten und weitere zwei Altklang-
bausteine oder die Töne C und F eines
Xylophons kommen dazu.
6. Strophe
Alle Kinder der Klasse singen die Strophe
von den 15 Elefanten (je nach Klassen-
stärke) und die Klangbausteine setzen ein.

Der Dirigent baut ein kontinuierlich steigen-


des Crescendo auf, das mit einem Riter- Text: bitte Sonne bitte Sonnenschein bitte
dando auf dem letzten Takt beendet wird.

O: Open tone: schlagen des hohen Tones


4.2. Wir begrüßen die Sonne auf den am Rand der Trommel
Trommeln
B: Bass tone: schlagen des tiefen Tones,
Material:
mit der flachen Hand, in der Mitte der
- Congas und Djembés
Trommel
in Klassenstärke

Autorin

Jahrgang 1964, verheiratet, Mutter von 4 Kindern.


Beratungslehrerin für Kinder mit Lernschwächen und
Entwicklungsverzögerungen im Bezirk Landeck

Diplomierte Volks- und Sonderschullehrerin,


Zusatzausbildung für Integration, derzeit Studium für
Pädagogik und Psychologie.
Referententätigkeiten für Volksschul- und Sonder-
schullehrer

Vorübungen:
Die Textzeile „bitte Sonne“ wird rhythmisiert.
Die Kinder sitzen im Sitzkreis (am besten
eignet sich hier ein Sitzkreis mit Stühlen)
und patschen den Rhythmus auf den
Oberschenkel.

45
Christian Horvath Schüler/innen zeigen nach etwas längerer
Fixation im Nahbereich manchmal erstaun-
lich Leseleistungen bei kleiner Schrift. Be-
reits bei minimaler Distanzvergrößerung
können jedoch nur noch stark vergrößerte
Integration eines Schriften erkannt werden. (vgl. Seite 84,
sehbehinderten Kindes Fritsch 2000)
in der Hauptschule Sie benötigen zusätzliche Hilfe in Orientie-
rung, Mobilität, Fein-, Grobmotorik und ein
Training ihrer visuellen Wahrnehmungs-
fähigkeiten.

Hilfsmittel
Bernhard*) ist Schüler der 4. Klasse/
8. Schulstufe an einer Hauptschule und dort • geeignete Hefte (stärkere Linien,
sehr gut im Klassenverband integriert. größere Zeilen)
Bernhard hat eine hochgradige Sehschädi-
• Großdruckbücher oder Lesegerät
gung (links: 0 %, rechts 16 % Sehvermö-
gen). Bei dieser Sehschädigung handelt es • neigungsverstellbarer Tischaufsatz
sich um Retinopathia praematurorum • Bildschirmlesegerät
• PC
Ursache und Krankheitsbild • Tafelkamera
• Brailler
• Frühgeburt/hohes Sauerstoffangebot im
Inkubator führt zu Schäden (Gefäßver-
engung an Haargefäßen der Netzhaut).
Unterstützung im Unterricht
• Verödung gebildeter Gefäße und Still-
stand der normalen Gefäßbildung. • mehr Zeit geben
• Sauerstoffmangel bewirkt ungeregelte • mehr Platz lassen
Neubildung. Die Gefäße sind undicht • Ordnung vermitteln
und bluten in Netzhaut und Glaskörper
• Hilfsmittel vorzeigen und erklären
• Schüler/innen motivieren, die Hilfsmittel
Auswirkungen zu benutzen (Einschulung!)

• kein räumliches Sehen • groß schreiben!

• kleineres Gesichtsfeld • auf gute Kontraste achten (schwarze


Tafel – weiße oder gelbe Schrift ...)
• oft ein Auge stärker betroffen
• „außerlich auffällig ist bei vielen ... die Bernhard wurde bereits im Kleinkindalter
dezentrale Fixation und daraus resul- von der Sehfrühförderin betreut, die ihn
tierende Kopfzwangshaltung“ auch während seiner Kindergartenzeit be-
(Seite 83, Fritsch 2000)1) gleitete. Der Integrationslehrer für sehbehin-
derte und blinde Kinder übernahm die
• meist ein sehr geringes Sehvermögen
Betreuung ab dem Schuleintritt.
(Lichtwahrnehmung bis funktionelles
Sehen, abhängig vom Zustand der ver- Bernhard wurde nach dem Volksschul- und
bliebenen Retina) jetzt nach dem Hauptschullehrplan unter-
richtet. Ich hatte als Integrationslehrer die
Aufgabe, in zwei Wochenstunden die Arbeit
mit dem Braille-Lesegerät zu trainieren, vier
*)
1)
Name geändert Wochenstunden waren integrative Betreu-
FRITSCH, Franz: Das Auge (Verein zur Förderung
Sehbehinderter), Waldkirch 2000
ung im Mathematikunterricht, weil Bernhard

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dort Hilfe am Nötigsten hatte. Die Planung der Piste und die Beschaffenheit des
für die Integrationsstunden erfolgte in Zu- Geländes zu verbalisieren.
sammenarbeit mit dem Fachlehrer für • Es kam auch vor, dass andere Schi-
Mathematik. Meine Aufgabe lag hauptsäch- fahrer/innen in unsere Gruppe hinein-
lich im organisatorischen Bereich, damit fuhren. Auf diese Situation machte ich
Bernard nicht zu langsam wurde und nicht Bernhard mittels Zurufe aufmerksam.
zu viel versäumte. • Eine Schifahrerin/ein Schifahrer, die/der
In erster Linie muss ich mit ihm seinen eine Sehbehinderung hat, muss für
Arbeitsplatz koordinieren, auf Ordnung und andere erkennbar sein. Eine spezielle
Gliederung im Heft achten. Anfangs waren Kennzeichnung vermittelt Sicherheit, da
auch die Großdruckbücher immens wichtig. alle anderen Schifahrer/innen auf die
Zusätzlich achtete ich im Unterricht darauf, Sehbehinderung und die damit verbun-
dass die Tafelkamera optimal eingerichtet denen Unsicherheiten aufmerksam
wurde, wies Bernhard auf Fehler hin bzw. gemacht werden.
gab ihm die Erklärungen, die er brauchte.
Auf Grund seines guten Abschlusses in der
Hauptschule besuchte Bernard im Schul-
Autor
jahr 2005/06 das Oberstufenrealgymna-
sium, wo ich ihn weiter betreue. Christian Horvarth
verheiratet, zwei Kinder
Ein besonderes Erlebnis für Bernhard und 1985 – 1988 Hauptschullehrerausbildung an der
seine Klassenkameradinnen/-kameraden Pädagogischen Akademie in Eisenstadt
Anstellung in einem Kinderheim, während dessen
war der gemeinsame Schulschikurs. Ausbildung zum Sonderschullehrer
Anstellung am SPZ Oberwart – Integrationslehrer an
diversen Volks- und Hauptschulen
Ausbildung zum Lehrer für Sehbehinderte und Blinde
Sportwoche: Schikurs

• Bei der Anreise ist zu beachten, dass


Schüler in Gruppen zusammen bleiben
und auf jeden warten.
• Für ein gutes Gelingen dieser Veran-
staltung ist auch die Zimmereinteilung.
Neben den Wünschen der Schüler/innen
ist darauf zu achten, dass niemand aus-
geschlossen wird.
• Ein Kind mit Sehbehinderung soll auch
auf der Piste, soweit als möglich in der
Gruppe fahren.
Wir haben dies so gelöst, dass ich als
Letzter fuhr, direkt hinter Bernhard. Da-
durch blieb er in meinem Blickfeld.
• Im Zusammenhang mit der Benützung
von Liften ergaben sich Probleme beim
Anstellen, Aus- und Einsteigen.
Ich entschied mich hinter ihm zu fahren,
und beim Einstieg die Ausstiegsrichtung
zu besprechen. Obwohl sich mit der Zeit
eine gewisse Routine bei den Hand-
lungsabläufen einstellte, war immer die
größtmöglichste Aufmerksamkeit in der
Begleitung erforderlich.
• Während des Fahrens hat es sich be-
währt, immer wieder die Situation auf

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Waltraud Marsoner Pferd wird in einem Zirkel von ungefähr
13 m Durchmesser vorwärts bewegt. Volti-
gierer, Pferd und Longenführer stehen in
permanenter Kommunikation zueinander.
Heilpädagogisches Voltigieren Bereits in der Antike wusste man um die
als Fördermaßnahme Vorzüge dieser Sportart. In der römischen
Zeit war sie fixer Bestandteil der alljährli-
chen römischen Spiele, im Mittelalter wurde
Voltigieren von den Rittern ausgeübt und in
der Renaissance gehörte das Voltigieren
zur Ausbildung in den Ritterakademien da-
zu. Übungsformen, die in diesen Zeiten ent-
standen, werden heute noch praktiziert. Das
Seit dem Schuljahr 2004/2005 biete ich Voltigieren wurde früher so wie heute aus-
Heilpädagogisches Voltigieren (HPV) für geübt, um sein Gleichgewicht, Bewegungs-
sprachbeeinträchtigte Kinder an der Ganz- koordination und die gesamte Sensorik zu
tagsvolksschule Landstraßer Haupt schulen. (Vgl. RIEDER, 1997, S. 9)
straße 146 in Wien an.
„Auf dem Rücken der Pferde liegt eine Auch der Medizin war die positive Wirkung
Sprachtherapie dieser Erde“ des Reitens auf den Körper bereits in der
Mit diesem Zitat von Frau Claudia SOYKA- frühen Geschichte bekannt. So erkannten
THUN-HOHENSTEIN, einer Sprachheil- Hippokrates und Xenophon bereits in der
pädagogin, möchte ich gerne eine beson- Antike die positive Wirkung des Pferdes auf
dere Art der Förderung, nämlich das Heil- die seelische, geistige und körperliche
pädagogische Voltigieren vorstellen. Gesundheit des Menschen (vgl. PIETRZAK,
2001, S. 15 - 16).
„Unter dem Begriff ’Heilpädagogisches
Voltigieren/Reiten (HPV/R)’ werden päda- Unter anderem erkannte auch Johann
gogische, psychologische, psychothera- Wolfgang Goethe den gesundheitlichen
peutische, rehabilitative und soziointegrative Wert des mitschwingenden Körpers mit der
Angebote mit Hilfe des Pferdes bei Kindern, Bewegung des Pferdes (vgl.GABRIEL,
Jugendlichen und Erwachsenen mit ver- 1997, S. 19).
schiedenen Behinderungen oder Störungen
zusammengefasst. Dabei steht nicht die Auch Maria Montessori hat erkannt, wie
reitsportliche Ausbildung, sondern die wichtig die Bewegung für die geistige Ent-
individuelle Förderung über das Medium wicklung der Kinder ist.
Pferd im Vordergrund, das heißt vor allem „Der Mensch ist ewiges Pendel an Bewe-
eine günstige Beeinflussung der Wahrneh- gung und Schwingung. Sein Geist ist in
mung, der Motorik, des Lernens, des Befin- einem Körper gefangen, in dem Kräfte
dens und des Verhaltens. Im Umgang mit pochen und pulsieren wie ein Herzschlag.
dem Pferd und beim Voltigieren/Reiten wird Häufig donnern und beben sie in seinem
der Mensch ganzheitlich angesprochen: Körper mit starken Emotionen, die die
körperlich, emotional, geistig und sozial.“ Grundlage seines körperlichen Seins er-
(Österreichisches Kuratorium für heilpäda- schüttern. Das Leben geht weiter, rhyth-
gogisches Voltigieren/Reiten) misch und leise pulsierend mit dem warmen
Gefühl der Liebe oder kaskadierend mit den
Das heilpädagogische Voltigieren hat sich Lawinen gewalttätiger Emotion, denn das
aus dem sportlichen Voltigieren entwickelt. Leben besteht aus Bewegung und Pulsie-
Voltigieren ist die Bezeichnung für „die ren. Wenn die Bewegung nachlässt, wird
gymnastisch-turnerischen Übungen am sich der Mensch krank, und wenn die Bewegung
bewegenden Pferd“ (GAST, RÜSING- aufhört, dann stirbt der Mensch“. John C.
BRÜGGEMANN 1994, S. 10) und gehört zu Pierrakos, in, MC CORMICKs, 2000, S. 111
den ältesten Sportarten.
Zum Voltigieren benötigt man ein Pferd, Mit dem Pferd kann der Mensch auf ganz
einen Longenführer und Voltigierer. Das natürliche Weise wieder „seine Bewegung“

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erspüren lernen. Mensch und Pferd können sehr beeindruckend. Durch seine Größe
zu einer Einheit verschmelzen, wobei das und Präsenz wird im Menschen das
Pferd den Rhythmus vorgibt und der Reiter körperliche, geistige und emotionale in
die Melodie dazu gibt. Zusammen werden solchem Maße aktiviert, dass es in ihm zu
sie zu einem harmonischen, musischen einem Zustand erhöhter Einfühlsamkeit und
Wesen. (Vgl. MC CORMICKs, 2000, S. 29) Erregung kommt.“ (MC CORMICKS, 2000,
S. 29)
Durch die hoch geforderte Konzentration bei
Pferde schaffen einen Zugang zu
den verschiedenen Übungen auf dem
Menschen, den man ohne ihre Hilfe kaum
Pferderücken, wird das Gelernte besser
erreichen kann.
abgespeichert.
„Wir lernen etwas NEUES richtig schnell
und so, dass es auch sitzt, offenbar nur
dann, wenn etwas passiert, das uns und da- Durchführung des Heilpädagogischen
mit dieses sonderbare noradregene System Voltigierens
in unserem Hirn gehörig wachrüttelt. Das,
was uns nicht unmittelbar berührt, was nicht Für das Heilpädagogische Voltigieren benö-
die geringste Spur einer kontrollierbaren tigt man ein dafür geeignetes Pferd. Es
Stresssituation auslöst, bekommen wir, muss nervenstark, kooperationsbereit, mit-
wenn überhaupt, nur mit großer Mühe in denkend und einfühlend sein. Nicht jedes
unseren Kopf … Prof. Dr. Gerald Hüther.“ Pferd eignet sich für diese Arbeit.
(zit. nach PIETRZAK, 2001, S. 73) Statt dem Sattel verwendet man einen
Voltigiergurt, der mit zwei Griffen ausge-
Genau hier setzt die Arbeit mit dem Pferd stattet ist. Damit können die unterschied-
an. Durch das Ausführen verschiedenster lichsten Übungen auf dem Rücken des
Übungen auf dem Pferderücken wird das Pferdes gut ausgeübt werden.
Kind genau in solche Situationen gebracht.
Es muss sich explizit darauf konzentrieren, Pro Einheit (50 Minuten) kommen vier
was es tut. Durch die Bewegung des Pfer- Kinder einmal pro Woche. Am Anfang ihrer
des ist das Kind doppelt gefordert. Es muss Stunde wird das Pferd geputzt und fertig ge-
auf seinen Körper achten und gleichzeitig macht, dann geht es los. Am Schluss der
mit der Bewegung des Pferdes in Symbiose Stunde wird das Pferd noch mit Leckerbis-
treten. Diese Reize, die dabei an das Hirn sen wie hartes Brot oder Karotten verwöhnt.
des Kindes übermittelt werden, sind Inputs,
die dazu verhelfen, fehlgesteuerte Reaktio-
nen, die sich beim Kind bereits manifestiert
haben, umwandeln zu können.
Sprache und Sprechvermögen beruhen auf
der Integration akustischer Reize mit dem
vestibulären System (vgl. AYRES, 1984,
S. 90), welches beim Heilpädagogischen
Voltigieren stark angesprochen wird. Aber
nicht nur das vestibuläre System, sondern
auch das auditive, propriozeptive, taktil-
kinästhetische, visuelle und olfaktorische
System werden auf besondere Art und Gemeinsam wird das Pferd gezäumt und
Weise angesprochen. (vgl. GABRIEL, 1997, gesattelt
S. 43)
Es ist eine Therapie, die von Kindern als Putzen des Pferdes ist besonders wichtig
solche nicht empfunden wird. Mit Spaß und
Freude sind sie dabei und wie wir alle
wissen, ist genau das die Voraussetzung,
um überhaupt etwas „bewegen“ zu können.
„Die Fähigkeit mit der sich ein Pferd mit
einem Menschen verbinden kann, ist schon

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Die Kinder nehmen Kontakt zum Pferd auf

Gemeinsam wird das Pferd gezäumt und gesattelt

Einzelübungen und Partnerübungen am Pferd


wechseln sich ab

Es geht los. Spiele am Pferd sind besonders beliebt

Am Schluss darf ein guter Leckerbissen nicht fehlen

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Literatur

AYRES, J. A.: Bausteine kindlicher Entwick-


lung. Springer Verlag, 1984

GABRIEL, E.: Das heilpädagogische


Voltigieren zur Entwicklungsförderung von
benachteiligten Kindern und Jugendlichen.
Diplomarbeit, Wien, 1997

GAST, U./RÜSING-BRÜGGEMANN, Britta:


Voltigieren lernen – lehren. Ein Handbuch
für Voltigierausbilder, Voltigierer und
Voltigierinteressierte. Warendorf, FN-Verlag
der Deutschen Reiterlichen Vereinigung
GmbH, 1994, 2. Auflage

MC CORMICK, A. und M. D.: Pferde als


Heiler, Econ Verlag, Berlin, 2000

ÖSTERREICHISCHES KURATORIUM FÜR


THERAPEUTISCHES REITEN:
Informationsblatt Sektion HPV/R, Hofburg,
Batthyany-Stiege, 1010 Wien

PIETRZAK, I.-M.: Kinder mit Pferden stark


machen. Cadmos Verlag, Lüneburg, 2001
Besonders viel Freude macht es den Kindern auch,
wenn wir hinaus ins Gelände gehen RIEDER, Ulrike: Richtig Voltigieren. BLV-
Verlagsgesellschaft, Wien, 1991

Schlussgedanken THUN-HOHENSTEIN, Claudia:


Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren
und seine Auswirkungen auf die Sprache
Heilpädagogisches Voltigieren ist eine be-
anhand eines Fallbeispiels. In: Der
sondere Art der Förderung, um Kindern mit
Sprachheilpädagoge, 3/91, S. 51-56
den unterschiedlichsten Problemen helfen
zu können.

Sie ist eine Autorin


• hoch motivierende,
Mag. Waltraud Marsoner
• alle Sinne erfassende,
Volksschullehrerin
• entwicklungs-, bewegungs- und hand- Sonder- und Heilpädagogin, Voltigiertherapeutin
lungsorientierte,
• kommunikationsfördernde, Kontakt:
Mag. Waltraud Marsoner
• den sozialen und emotionalen Bereich Arsenal Objekt 14/23
des Kindes umfassende, Therapie (vgl. 1030 Wien
THUN-HOHENSTEIN, S. 56). waltraud.marsoner@chello.at

Es wäre zu wünschen, dass diese Form der


Förderung noch mehr Einzug in die Schule
hält.

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