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historischer Feuerwaffen
Internet: www.feuerwaffen.ch
ISBN: 978-3-033-08077-5
Inhalts-Übersicht
Haftung
Der Leser dieses Buches trägt die alleinige Verantwortung für die von ihm durchgeführten Waffenhand-
habungen oder Schiessversuche. Er ist dafür verantwortlich, dass kein Schaden entsteht und die Gesetze
eingehalten werden.
Der Verfasser lehnt jede Haftung ab.
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
Bei der Belagerung der Burg Tannenberg in den Jahren 1398 bis 1399 wurden bei deren Verteidigung
von dem dort ansässigen Raubritter Hartmann der Jüngere unter anderem bronzene Stabbüchsen
eingesetzt. Die Burg wurde damals vollständig zerstört. Anlässlich von Ausgrabungen im Jahre 1849
wurde eine bronzene Stabbüchse in sehr gutem Zustand gefunden. Bei der Tannenberg-Stabbüchse ist
damit eine eindeutige Datierung vor 1399 möglich.
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
Die Tannenbergbüchse ist in Bronze gegossen. Sie besitzt einen sich nach vorne verjüngenden
Oktogonallauf mit Mündungswulst. Der Pulverkammerbereich hat wiederum einen oktogonalen Quer-
schnitt gleichbleibender Dicke. Dieser ist jedoch grösser als jener des Laufes. Am hinteren Ende befindet
sich eine konische Tülle für die Befestigung eines wiederum oktogonalen Holzstabes. Das Zündloch auf
dem Lauf ist leicht nach links verschoben und wird von einer ovalen, flachen Pulverpfanne eingefasst.
Die Bohrung hat ein Kaliber von ca. 15.2 mm. Der Pulverraum besitzt eine Länge von 120 mm und
einen relativ kleinen Durchmesser von nur 9mm.
Hauptmasse
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
• Das Wachsausschmelzverfahren hatte den grossen Vorteil, dass eine einteilige Form verwendet werden
konnte und nach dem Giessen keine Trennnähte entfernt werden mussten.
• Das Wachsmodell musste, wie das Holzmodell, möglichst genau sein. Ob dieses Wachsmodell direkt
modelliert oder in einer Form gegossen wurde ist nicht bekannt.
• Eine Möglichkeit bestände darin, dass in einem ersten Schritt mit einem genauen Holzmodell und einer
zweiteiligen Form ein Wachsmodell mit Angusstrichter gegossen und dann die Trennnähte entfernt
wurden.
• Um dieses Wachsmodell wurde dann mit Lehm eine dickwandige Form modelliert und diese gut
trocknen gelassen.
• Durch Erwärmen über einer Holzkohlenglut wurde als Erstes das Wachs geschmolzen und aus-
gegossen.
• Diese Form wurde dann sorgfältig erst getrocknet und dann gebrannt.
Senkrechtes Vollguss-Giessverfahren
• Giessform mit Anguss G nach oben so in feuerfesten Topf H stellen, dass Aussenkonturen I genau
fluchten.
• Giessform mit Lehm, Erde oder Sand hinterfüllen. Hinterfüllung J festpressen.
• Flüssige Bronze K ohne Unterbruch so in den Anguss G füllen, dass die Luft L entweichen kann und
der Anguss G vollständig gefüllt ist.
• Giessform abkühlen lassen.
• Lehm-Formhälften aus Topf nehmen und die Lehmform zerschlagen.
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
Holzmodell bereitstellen
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
Ausführungsvarianten
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
• Sicherstellen, dass die Position des Zündloches sich im Ende der Bohrung befindet.
• Zündloch bohren.
• Kleine ovale Vertiefung um das Zündloch einmeisseln.
Oberflächen-Behandelung, Alterung
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
Nachgebaute Tannenbergbüchse
Schiessversuche
Für die Schiessversuche wurde die Nachbauvariante mit dem langen, dünnen Pulverraum eingesetzt. Da
auch mit der Tannenberg-Büchse ein Zielen unmöglich war, wurden die Schiessversuche auf 15 Meter
Distanz durchgeführt. Als Ladung diente 2.5 g Schwarzpulver. Bei einem grösseren Hohlraum zwischen
dem Schwarzpulver und der Kugel können angeblich starke Druckwellen entstehen, welche im Lauf zu
Blähungen führen könnten. Auf das Schwarzpulver im dünnen Pulverraum wurde daher sicherheitshalber
so viel Gries eingeschüttet, dass kein Hohlraum zwischen der Bleikugel und dem Pulverraum entsteht. In
das Zündloch und auf die kleine Pulverpfanne wurde Schwarzpulver gestreut und dieses mit einer
brennenden Lunte gezündet. Das Mündungsfeuer und der Knall waren beeindruckend. Der Rückschlag
war mässig und mit einem Anheben der Waffe begleitet. Treffen war absolute Glückssache.
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Vor 1399 Tannenberg Stabbüchse
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Um 1470 Hinterladergeschütz
Um 1470 Hinterladergeschütz
«Israhel van Meckenem der Jüngere» war ein bekannter Kupferstecher. Seine Werkstatt befand sich im
westfälischen Bocholt. Durch seine Herkunft aus Meckenheim im Rheinland führte die Familie des
Künstlers den niederdeutschen Namen «van Meckenem», oder «von Meckenheim». 1465 wirkte er in
Kleve und 1482 war er nachweislich für den Rat der Stadt Bocholt tätig. Unter anderem hatte er um
das Jahr 1470 einen Stich mit mehreren frühen Hinterladergeschützen samt Zubehör angefertigt. Auf
diesem Stich sind mehrere Hinterladergeschütze des gleichen Typs mit sehr vielen Details dargestellt.
Die Geschütze sind aus verschiedenen Richtungen zu sehen. Die Geschütze und ihr Zubehör sind so
genau dargestellt, dass deren Herstellungsmethoden und Funktionsweisen sehr gut aus dem Stich
abzulesen sind.
An sich hatten Hinterladergeschütze den grossen Vorteil, dass sie mit den kurzen, auswechselbaren
Pulverkammern sehr schnell nachgeladen und abgefeuert werden konnten. Man vermutet, dass das
Laden eines normalen Geschützes bis zu fünf mal länger dauerte. Ein grosser Nachteil lag darin, dass
durch das Entweichen von Gasen zwischen dem Hauptrohr und der eingeschoben Pulverkammer ein
grosser Druckverlust resultierte. Reichweite und Genauigkeit waren deshalb wesentlich schlechter als
bei normalen Hinterladergeschützen mit langen Rohren.
Diese Hinterladergeschütze waren z.B. ideal für das schnelle Vorpreschen zu einem Burgtor, um
dieses durch die Abgabe mehrere Schüsse zusammen zu schiessen und sich dann sofort wieder
zurückzuziehen. Für grössere Distanzen waren sie jedoch nicht geeignet. Für die damalige Kriegs-
technik war jedoch ein Geschütztyp für lange und kurze Distanzen von grossem Vorteil. Auch
besassen die normalen Vorderladergeschütze eine wesentlich grössere Durchschlagskraft. Dies war
wohl auch der Grund, weshalb damals Hinterladergeschütze nur selten im Einsatz waren und schnell
wieder in Vergessenheit gerieten.
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Um 1470 Hinterladergeschütz
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Um 1470 Hinterladergeschütz
Holzspeichenräder
Die bei einem Bauern erstandenen Räder besassen einen Durchmesser von 510 mm. Sie waren in
einem guten Zustand und hatten die für den Nachbau geeigneten Proportionen.
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Um 1470 Hinterladergeschütz
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Um 1470 Hinterladergeschütz
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Um 1470 Hinterladergeschütz
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Um 1470 Hinterladergeschütz
Geschützlafette
Erforderliches Eichenholz
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Beim Pflügen eines Ackers in der Nähe des Dorfes Recherswil in der Schweiz, wurde von einem Landwirt
ein relativ grosses Radschloss zu Tage gefördert. Dieses durch den lehmigen Boden gut verpackte
Radschloss gelangte an den Autor, der es vom Schmutz befreite und mit Überraschung feststellte, dass
es wohl stark verrostet jedoch vollständig war. Der Hahn und der Pfannendeckel liessen sich wie im
Neuzustand bewegen. Das Rad war jedoch in seinen Lagern eingerostet und auch die Kette war nur noch
beschränkt beweglich.
Die Konstruktion des Radschlosses ist sehr zweckmässig und doch recht aufwändig. Es besitzt ein äusseres
Radlager, einen Sicherungsmechanismus sowie einen Pfannendeckel, welcher bei der Schussauslösung
über einen Exzenter und einen Hebel geöffnet wird. Im Wesentlichen entspricht seine Form jener eines
Musketen-Radschlosses, ist jedoch wesentlich grösser. Der Fundort lässt vermuten, dass es sich um ein
Reserveradschloss handelte, welches auf unerklärliche Weise verloren ging. Aus Sicht des Autors war es
ein einmaliger Glücksfall in den Besitz eines derartigen Radschlosses zu kommen. Es war daher nur
natürlich, das Radschloss und deren Einzelteile auszumessen, in Zeichnungen festzuhalten und
nachzubauen.
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Schlossplatte
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Hahnzubehör
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Hauptfeder
Äusseres Radlager
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Inneres Radlager
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Pfannendeckel-Feder
Abzugsmechanik
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Schrauben
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Um 1600 Grosses Muskete-Radschloss
Nachgebautes Radschloss
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
Offensichtlich war Pastor Alexander Forsyth ein sehr umtriebiger Mann. Im Buch «Forsyth & Co. Patent
Gunmakers» von W-. Keith Neal & D. H. L. Back wird er als wahrhaftiges Genie, mit einem hoch-
stehenden Sinn für und einem starken Glauben an seine Erfindungen beschrieben. Er war sehr erfinde-
risch und besass grosse Fähigkeiten bezüglich mechanischer Konstruktionen und wusste über die Bedürf-
nissen der Benutzer von Feuerwaffen. Hinzu kam ein ausgesprochener Geschäftsinn und ein starker Glau-
ben an seinen Erfolg.
Nachdem er festgestellt hatte, dass ein grosser Bedarf für Feuerwaffen mit Explosionszündung bestand,
gab er seinen Pastorberuf auf und widmetet sich vollumfänglich der Konstruktion von Perkussions-
feuerwaffen. Bereits 1807 begann er mit der Herstellung der Roller Primer Schlösser für Langwaffen für
die Jagd. 1808 Gründete er seine eigene Waffenfirma und stellte wohl sehr bald fest, dass auch für
Pistolen ein grosser Bedarf für seine Explosionszündung bestand; dass aber der Roller Primer für Faust-
feuerwaffen zu sperrig war. Vor diesem Hintergrund entwickelte er den Sliding Primer mit einer Schiebe-
dosierung in den verschiedensten Aufführungen. Anfänglich waren es meist Einzelstücke oder Kleinserien.
Später wurden diese Zündschlösser in grösseren Serien hergestellt.
In diesem Kapitel wird der Sliding Primer Modell 1 behandelt, welches in der Zeit um 1813 für Pistolen
und Doppellaufpistolen in Serie hergestellt wurde.
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
Gleitschiene
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
Studel, d.h. inneres Radlanger
Zu verwendender Original-Pistolenlauf
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
Pistole mit «Sliding Primer» System Forsyth
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Um 1813 Forsyth «Sliding Primer» Perkussions-Pistole
Erkenntnisse
Der «Sliding Primer» von Alexander Forsyth basiert auf einer genialen Idee und kann als sehr gut durch-
konstruiert bezeichnet werden. Zu deren Herstellung sind jedoch hoch qualifizierte Mechaniker oder bes-
ser Feinmechaniker erforderlich. Auch waren dazu sehr präzise Maschinen von Vorteil. Die Herstellung
des Knallquecksilber-Behälters mit den gebogenen Armen für die Anpressrollen, und der feinen Federkon-
struktion für die Anpressrollen wäre heute noch eine rechte Herausforderung.
Wie beim «Roller-Primerschloss» könnte es auch hier vorkommen, dass bei zu schnellem Verschieben des
Dosierkörpers, eine kleine Menge des Knallquecksilbers durch Abscherung an der Dosierlochkante irrtüm-
lich zur Explosion gebracht werden könnte. Auch hier befindet sich zur Ableitung des Explosionsdruckes
im Schraubdeckel des Einfülltrichter ein Loch mit dahinter aufgespanntem Wildleder. Dieses soll als eine
Art von Sicherheitsventil für derartige Fehlzündungen dienen.
Der «Sliding Primer» brachte gegenüber der Steinschlosszündung auch bei den Pistolen den grossen
Vorteil, dass die Zündung wetterunabhängig und deren Nachladen ausserordentlich schnell war.
Obschon Forsyth seine Ideen möglichst schnell patentieren liess, gab es recht viele illegale Kopien oder
leichte Abänderung seiner Konstruktion.
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