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Seit dem Erscheinen der dritten Auflage unseres Buches, die der Einführung von Bachelor- und
Masterstudiengängen anstelle des Diploms geschuldet war, sind wieder mehrere tausend Stu-
dierende durch die Grundlagenveranstaltungen zur Technischen Mechanik gegangen. Dabei
haben sich mehrere Punkte als ergänzungswürdig herausgestellt:
Zum einen wird nun nach Einführung des Spannungstensors und insbesondere dessen Schub-
spannungskomponenten in Abschnitt 2.8.8 ein Beispiel gegeben, das dieses relativ abstrakte
Konzept in einen ingenieurtechnischen Kontext stellt, nämlich den Balken unter Querlast. Hier
wird die als „Kusinenformel“ bekannte Faustregel für die Schubspannung im Balkenquer-
schnitt endlich auf ein rationales Fundament gestellt. Zwar haben wir uns entschlossen, diesen
Abschnitt mit einem grauen Rahmen zu umgeben, d. h. beim ersten Lesen kann man ihn über-
springen. In einer großen Übung jedoch wird er jedoch sicher seinen Platz finden.
Außerdem hat sich das 4. Kapitel über Kontinuumsmechanik als zu kurz herausgestellt. Ent-
sprechend wurde es erstens um ein provokantes, ingenieurtechnisches Beispiel im Zusammen-
hang mit der BERNOULLIschen Stromfadentheorie bereichert: den aerodynamischen Auftrieb.
Zweitens wurde der Abschnitt über Kontinuumsschwingungen 4.5 teils neu gestaltet und teils
erweitert, insbesondere um die Theorie der Biegeschwingungen von Balken.
Abschließend gilt unser Dank noch allen unseren studentischen Helfern, nämlich den Herren
cand.-ing.’s Matti Blume und Felix-Joachim Müller sowie Herrn Dipl.-Ing. Guido Harneit (für
die Computeradministration und Softwareunterstützung), den Herren Assistenten Dipl.-Ing.’s
Emek Abali, Andreas Brandmair, Christina Völlmecke, Holger Worrack und – wie stets und
immer wieder gerne – Herrn Dipl. Phys. Jochen Horn vom Carl Hanser Verlag.
Why, anybody can have a brain. That's a very mediocre commodity. Every
pusillanimous creature that crawls on the Earth or slinks through slimy
seas has a brain. Back where I come from, we have universities, seats of
great learning, where men go to become great thinkers. And when they
come out, they think deep thoughts and with no more brains than you have.
But they have one thing you haven’t got: a diploma.
Frank Morgan in ‘The Wizard of Oz’, 1939
Unser Buch zu den Grundlagen der Technischen Mechanik ist das Resultat von Vorlesungen
über viele Jahre, die wir an der Universität Paderborn, der Heriot-Watt University in Edinburgh
und seit neuestem auch an der Technischen Universität Berlin gehalten haben. Letztendlich je-
doch geht der Text auf Ideen und Anregungen zurück, die aus den Notizen und Vorlesungen
von Herrn Professor Helmut Wild / Paderborn stammen. Ihm sei an dieser Stelle besonders
herzlich gedankt. Der hier präsentierte Stoff bietet Material für das Ingenieurgrundstudium an
deutschsprachigen Universitäten und Technischen Hochschulen und deckt sich mit dem Inhalt
der einsemestrigen Veranstaltungen Mechanik A (Statik) und Mechanik B (elementare Festig-
keitslehre), wie sie an der Universität Paderborn Studenten des Maschinenbaus hören, sowie
der einsemestrigen Vorlesungen Mechanik 1 (Einführung in die Statik und Festigkeitslehre),
Mechanik 2 (Reibung, Stabilität, elementarer Energiesatz, Massenpunkt- und 2D-Starrkörper-
dynamik, Schwingungen) und schließlich Mechanik 3 (Kontinuumsmechanik, insbesondere
Grundlagen der Elastizitätstheorie, Kontinuumsschwingungen und Hydromechanik sowie E-
nergieprinzipe und höhere Dynamik), wie sie für Studenten des Maschinenbaus, des Ver-
kehrswesens und der Physikalischen Ingenieurwissenschaft an der Technischen Universität in
Berlin derzeit vorgeschrieben sind.
Viele waren an der Entstehung dieses Buches sowie der begleitenden Software aktiv beteiligt,
Studenten, Assistenten, technisches und nicht-technisches Personal. Ohne sie wäre diese Arbeit
nicht vollendet worden. Ein besonderes Dankeschön gilt den Helfern aus jüngster Zeit, Karin
Bethke, Dipl.-Ing. (FH) Guido Harneit, Berrit Krahl, cand. ing. Manuela Krüger sowie Ingeni-
eur Hadi Sawan, cand. ing. Torsten Schneider und Ingenieur Firas Seifaldeen. Die Erstellung
der CD erfolgte durch cand. Wirt.-Ing.’s Isabel Koke, Volker Huneke sowie Herrn Ludger
Merkens. Aufgaben zum Dynamikteil sind auf der CD im Moment nur rudimentär vorhanden.
Dass hierzu überhaupt Material existiert, ist Herrn Dipl.-Math. Stefan Neumann von der Uni-
versität Paderborn zu verdanken. Herrn Kollegen Prof. Dr.-Ing. Albert Duda ist für die kriti-
sche Durchsicht des Manuskripts und viele Verbesserungsvorschläge zu danken.
Unter den angehenden Ingenieuren ist die Technische Mechanik ein notorisch unbeliebtes Stu-
dienfach. Nicht zuletzt aufgrund der ihr eigenen mathematisch-formalen Struktur gilt sie als
„theoretisch“ und „unpraktisch“, ja, bei nicht wenigen ist sie sogar als „altmodischer“, den Er-
fordernissen modernen Ingenieurwesens nicht länger gerecht werdender Ballast verschrien.
Dies ist jedoch ein Irrtum, denn die tägliche Ingenieurpraxis zeigt, dass neue Konstruktionen,
im Mikro- wie im Makrobereich, zur Bestimmung ihrer Zuverlässigkeit die klassischen Kon-
zepte der Mechanik benötigen und sich die Totgesagte somit bester Gesundheit erfreut und bei
der Herstellung besserer technischer Produkte hilft. Die Konzepte der Technischen Mechanik
zu kennen, zu beherrschen und anzuwenden ist leider nur durch Übung möglich. Dies erfordert
Vorwort VII
Geduld und Ausdauer und zwar von beiden Seiten, den Lernenden und den Lehrenden. Zum
Trost sollten die Studenten bedenken, dass am Ende der geistigen Anabasis auch ihnen als
Lohn ein Diplom winkt, dessen Bedeutung für unser Leben schon der Wizard of Oz richtig
einzuschätzen wusste.
Überhaupt, dass der angehende Ingenieur es nicht immer leicht hat, wurde bereits von Thomas
Mann in seinem Roman „Der Zauberberg“ bemerkt. So erwähnt eine der Hauptfiguren des
Romans, Hans Castorp, zu seinem behandelnden Arzt, Dr. Krokowski, beiläufig, dass er gerade
sein Examen bestanden hätte: „Was für ein Examen haben Sie abgelegt, wenn die Frage er-
laubt ist?“ „Ich bin Ingenieur, Herr Doktor“, antwortete Hans Castorp mit bescheidener
Würde. „Ah, Ingenieur“! Und Dr. Krokowskis Lächeln zog sich gleichsam zurück, büßte an
Kraft und Herzlichkeit für den Augenblick etwas ein. „Das ist wacker. Und Sie werden hier
also keinerlei ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen, weder in körperlicher noch in
psychischer Hinsicht?“ „Nein, ich danke tausendmal!“ sagte Hans Castorp und wäre fast
einen Schritt zurückgewichen.
Eines darf abschließend ohne zu zaudern festgestellt werden: Das rechtzeitige Studium dieses
Buches inklusive Bearbeitung der auf der CD angebotenen Übungen vor der Klausur, bewahrt
vor dem Zauberberg und der Inanspruchnahme ärztlicher, insbesondere psychiatrischer Hilfe.
1 Statik...................................................................................................................................1
1.1 Grundbegriffe .................................................................................................................................... 1
1.1.1. Zum Kraftbegriff..................................................................................................................... 1
1.1.2 Einteilung der Kräfte, das Schnitt- und das Wechselwirkungsprinzip.................................... 3
2 Festigkeitslehre ..............................................................................................................109
2.1 Einführung; Begriffe..................................................................................................................... 109
2.1.1 Aufgabe der Festigkeitslehre............................................................................................... 109
2.1.2 Beanspruchungsarten .......................................................................................................... 110
2.1.3 Begriff der Spannung .......................................................................................................... 111
3 Dynamik .........................................................................................................................205
3.1 Punktförmige Masse...................................................................................................................... 205
3.1.1 Kinematik eines einzelnen Massenpunktes......................................................................... 205
Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung im
Eindimensionalen................................................................................................................ 205
Beispiele zur eindimensionalen Bewegung......................................................................... 208
Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung im Raum ................................................. 214
Koordinatensysteme............................................................................................................ 216
3.1.2 Kinetik des Massenpunktes................................................................................................. 220
Die NEWTONschen Gesetze................................................................................................. 220
Dynamik des freien Massenpunktes.................................................................................... 221
Geführte Bewegungen......................................................................................................... 223
Bewegungen unter dem Einfluss von Reibungskräften....................................................... 227
3.1.3 Der Impulssatz .................................................................................................................... 230
3.1.4 Energiesatz der Mechanik ................................................................................................... 233
3.1.5 Drehimpuls und Momentensatz .......................................................................................... 238
4 Kontinuumsmechanik ...................................................................................................323
4.1 Bilanzgleichungen der Masse ....................................................................................................... 323
4.1.1 Bilanzgleichung der Masse in globaler Form...................................................................... 323
4.1.2 Massendichte und Umschreibung der globalen Massenbilanz............................................ 324
4.1.3 LEIBNIZsche Regel zur Differentiation von Parameterintegralen
und REYNOLDSsches Transporttheorem .............................................................................. 326
4.1.4 Lokale Massenbilanz in regulären Punkten ........................................................................ 330
4.1.5 Alternativschreibweisen der Massenbilanz in regulären Punkten;
Endziel des Mechanikers .................................................................................................... 332
5 Energiemethoden 393
5.1 Energiebilanzen............................................................................................................................. 393
5.1.1 Lokale und globale Bilanz der kinetischen Energie ........................................................... 393
5.1.2 Zum Begriff der inneren Energie........................................................................................ 395
5.1.3 Gesamtbilanz der Energie oder Energieerhaltungssatz....................................................... 395
5.1.4 Bilanz der inneren Energie ................................................................................................. 398
5.1.5 Energiebilanz bei der Rohrströmung .................................................................................. 400
Dabei befolgen wir eine Grundregel der Vektoraddition, wo- verhältnisse darstellen zu
nach gilt, dass Vektoren (hier F x , F y und F z ) dadurch addiert können, gleichgültig ob es
sich dabei um astronomi-
werden, dass man bei der Addition das Ende des Vektors an den sche oder musikalische
Kopf desjenigen Vektors hängt, zu dem er addiert werden soll. Probleme handelte. Leider
Man nennt die Größen Fx , Fy und Fz auch die kartesischen entdeckten sie bei ihren
Forschungen, dass die Dia-
Komponenten des Vektors F . Es ist üblich, sie in einer Zeile gonale eines Quadrates
(Fx , Fy , Fz ) (manchmal auch als Spalte geschrieben) zusam- nicht als rationales Vielfa-
ches darstellbar ist, d. h., sie
menzufassen. Merke, dass es sich dabei lediglich um alternative wurden plötzlich mit dem
Schreibweisen ein- und desselben Objekts F handelt. Man be- Phänomen der irrationalen
achte, dass die Reihenfolge, in der das Aneinanderketten der Zahl konfrontiert. Dies gab
bei ihnen und anderen grie-
Teilvektoren F x , F y und F z erfolgt, beliebig ist und immer chischen Mathematikern zu
zum gleichen Endresultat führt. Dies entspricht dem Kommuta- größerer Unruhe Anlass,
wie es bei Menschen, die
tiv-(=Vertauschbarkeits-) Gesetz der Vektoraddition.
mit Neuem konfrontiert
Nach dem Satz des PYTHAGORAS im Raum lässt sich der Betrag werden, auch heute noch
durchaus geschieht. Bemer-
F des Vektors F wie folgt durch die kartesischen Komponen-
kenswert scheint, dass die
ten ausdrücken: Ideen oder besser gesagt die
Wunschvorstellungen der
F = Fx2 + F y2 + Fz2 . (1.1.2) Pythagoreer bis zum Be-
ginn der modernen Natur-
Schließlich kann man die Richtungswinkel α , β und γ mit den wissenschaften ihre Kraft
behielten. So versuchte
Komponenten und dem Betrag des Kraftvektors F in Verbin- noch KEPLER in seinem
dung bringen: Werk „Harmonices Mundi“
der Natur zunächst mensch-
F
cos(α ) = , cos(β ) = y , cos(γ ) = z .
Fx F liche Harmonievorstellun-
(1.1.3) gen zu oktroyieren, ver-
F F F
schrieb sich aber schließlich
Beide Gleichungen lassen sich mithilfe der Abbildung 1.1.2 be- dann doch einer mehr ratio-
weisen. nal geprägten Weltsicht,
wie seine Auswertung ex-
perimenteller Daten Tycho
1.1.2 Einteilung der Kräfte, das Schnitt- DE BRAHES bezeugt, was
und das Wechselwirkungsprinzip ihn schließlich auf die Be-
wegungsgesetze der Plane-
In der Mechanik ist es üblich, Kräfte nach verschiedenen Ge- ten brachte.
sichtspunkten einzuteilen. Entsprechend haben sich diverse Be-
griffe eingebürgert, die man kennen sollte, um die einschlägige
Literatur zu verstehen, und die im Folgenden erläutert werden
(vgl. auch Abbildung 1.1.3).
Die Einzellast: Hierunter versteht man das idealisierte Konzept
einer punktförmig angreifenden Kraft. Man könnte sie dadurch
näherungsweise erzeugen, dass man den Körper mit einer Na-
delspitze oder über einen dünnen Draht belastet.
Die Linienkraft oder Streckenlast: Hierbei handelt es sich um
Kräfte, die entlang einer Linie kontinuierlich verteilt sind. Nähe-
rungsweise erzeugen lassen sie sich dadurch, dass man etwa mit
4 1.1 Grundbegriffe
F
einer dünnen Schneide oder einem Draht gegen einen Körper
drückt.
Die Volumenkraft: Hierunter versteht man Kräfte, die über das
Volumen eines Körpers angreifen, wie zum Beispiel das Ge-
wicht oder elektromagnetische Kräfte.
Die Oberflächenkraft: Diese tritt in der Berührungsfläche
Linienkraft: zweier Körper auf. Beispiele sind der Wasserdruck auf eine
Staumauer oder der Druck einer Panzerkette auf den Boden.
Eingeprägte Kräfte: Diese greifen in vorgegebener Weise an
einem physikalischen System an, wie etwa das Gewicht oder der
q0 Druck einer Nadel auf die Oberfläche eines Körpers bzw. eine
Schneelast auf einem Dach usw.
Reaktions- oder Zwangskräfte: Diese entstehen, wenn man ei-
nem durch eingeprägte Kräfte beeinflussten System seine Be-
wegungsfreiheit nimmt. Man denke an einen fallenden Stein, auf
F den nur sein eigenes Gewicht wirkt. Hält man den Stein in der
Hand, so ist seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt, indem man
durch die Hand eine dem Gewicht entgegengesetzte Reaktions-
bzw. Zwangskraft ausübt.
Streckenlast: Reaktionskräfte lassen sich dadurch sichtbar machen, dass man
q0 den Körper von seinen geometrischen Bindungen löst, ihn sozu-
sagen freimacht bzw. freischneidet. Diese in der Mechanik
überaus wichtige Technik des Freischnitts soll im Folgenden an
einem Beispiel erläutert werden.
Abb. 1.1.3: Zum Begriff
der Einzellast oder
Linienkraft. F F
FAx
A B FAy FB
Abb. 1.1.4: Zum Begriff des Freischnitts.
Betrachte den in Abbildung 1.1.4 dargestellten Balken, der
durch eine eingeprägte Kraft F belastet ist und auf zwei Stüt-
zen, den sogenannten Auflagern, ruht. Diese sind offensichtlich
Bindungen, die den Balken an der Bewegung hindern, und wir
befreien uns von ihnen, indem wir an ihrer Stelle zwei Reakti-
ons- bzw. Freischnittskräfte, genannt F A = (FAx , FAy ) und
F B = (0, FB ) , anbringen. Dieses führt auf das Freikörperbild
oder auch kurz den Freischnitt, der rechts in Abbildung 1.1.4 zu
sehen ist.
1.1.2 Einteilung der Kräfte, das Schnitt- und das Wechselwirkungsprinzip 5
Äußere und innere Kräfte: Wie der Name sagt, wirkt eine äuße-
re Kraft von außen auf ein mechanisches System. Sowohl ein-
F F
1 2
Schnitt
FA FB FA FB
Abb. 1.1.5: Zum Begriff der inneren Kraft und des Schnittprinzips.
geprägte als auch Reaktionskräfte sind Beispiele äußerer Kräfte.
Innere Kräfte erhält man durch gedankliches Zerteilen bzw.
Schneiden des Körpers. Dieses ist in Abbildung 1.1.5 erläutert:
Führt man durch den belasteten Körper einen Schnitt, so ist es,
um das Gleichgewicht zu wahren, nötig, an Stelle der inneren
Bindung durch das Material geeignete, flächenförmig verteilte,
eben innere Schnittkräfte aufzuprägen.
Man beachte, dass die Einteilung in innere und äußere Kräfte
davon abhängt, welches System untersucht wird. Fassen wir et-
wa den Gesamtkörper in Abbildung 1.1.5 als ein System auf, so
sind die durch den Schnitt freigelegten Kräfte innere Kräfte. Be-
trachten wir dagegen die gezeichneten Teilkörper 1 oder 2 je-
weils als ein System, so sind alle dargestellten Kräfte äußere
Kräfte.
Schnitt
F F F F
F2
F1 F1
R
R
R F
1
A
F2
F2
Abb. 1.2.1: Zum Begriff der resultierenden Kraft.
Wir verallgemeinern unser Ergebnis auf die Vektorsumme von
n Stück Kraftvektoren, die alle in einem gemeinsamen Punkt
angreifen: Abbildung 1.2.2. Ihre Resultierende erhält man durch Fi
Vektoraddition gemäß der Gleichung: Fn
n
R = F 1 + F 2 + ... + F n = ∑ F i . (1.2.1) A F2
i =1
Um den Winkel β zu bestimmen, der die Richtung der Wir- greatest mathematician
kungslinie von R bestimmt, verwenden wir vorzugsweise den since the ancients, and left
behind a huge corpus of
Sinussatz: unpublished work, mostly
sin (β ) F alchemy and biblical exege-
= 1. (1.2.4) sis, that he believed future
sin (180° − α ) R generations would appreci-
ate more than his own.“ Be-
Indem wir hierin die Gleichung (1.2.3) für R einsetzen und au- sonders berüchtigt ist sein
ßerdem beachten, dass gilt: Prioritätsstreit mit LEIBNIZ,
die Entdeckung der Diffe-
sin (180° − α ) = sin (α ) , (1.2.5) renzial- und Integralrech-
nung betreffend, worauf
folgt für den Winkel β : auch das Zitat anspielt. So
wurde LEIBNIZ von der
⎛ F1 sin (α ) ⎞ Royal Society aufgefordert,
β = sin −1 ⎜ ⎟. (1.2.6) seine Ansprüche vorzutra-
⎜ F 2 + F 2 + 2 F F cos(α ) ⎟ gen und zu begründen, aber
⎝ 1 2 1 2 ⎠
NEWTON (als wichtigstes
Mitglied und Präsident)
1.2.2 Zerlegen von Kräften in der Ebene: sorgte dafür, dass die Kar-
Komponentendarstellung ten „richtig“ gemischt wur-
den, indem er das Untersu-
Im letzten Beispiel haben wir gesehen, wie man mithilfe des Si- chungskomitee mit seinen
nus- bzw. des Kosinussatzes die Richtung und den Betrag der Anhängern besetzte und zur
Resultierenden zweier Kräfte bzw. durch konsequente Fortset- Sicherheit den Endbericht
selber schrieb. Angeblich
zung auch mehrerer Kräfte berechnen kann. Eine äußerst wirk- sei es sein schönster Tag
same Alternative zu diesem Berechnungsschema ist die Berech- gewesen zu sehen, wie
nung mithilfe von Kraftkomponenten in rechtwinklig- LEIBNIZ seelisch zerbrach,
kartesischen Koordinaten. Wir wollen diese Alternative zu- was zeigt, dass man auch
nächst für den Fall von Kraftsystemen kennenlernen, die in der ohne „romantic relation-
ships“ seinen Spaß haben
Ebene angreifen, und werden die resultierenden Gleichungen kann. In diesem Sinne stand
danach auf den Fall dreier Dimensionen verallgemeinern. er auch dem Geld nicht
feindlich gegenüber, denn
Betrachte den in Abbildung 1.2.5 gezeigten Kraftvektor F und er wurde in seinen späteren
seine Zerlegung in Komponenten Fx und F y durch Projektion Jahren Warden and Master
of the Mint, eine recht luk-
auf die x - bzw. y -Achse eines rechtwinklig-kartesischen Ko- rative Stellung neben seiner
ordinatensystems. Analog zum Abschnitt 1.1 lässt sich schrei- Position als Cambridge Pro-
ben: fessor. Von jeder geprägten
Münze erhielt er nämlich
F = F x + F y = Fx e x + F y e y . (1.2.7) seinen Anteil, was sich in
einem Jahr zu 1000 Pfund
Die nachstehenden Gleichungen folgen aus einfachen trigono- akkumulierte. NEWTON
metrischen Überlegungen: starb als reicher, allerdings
dem Bericht nach geiziger
Fx = F cos(α ) , Fy = F sin (α ) , F = Fx2 + Fy2 , Mann. Abschließend sei
bemerkt, dass NEWTONS
Fy (1.2.8) Charakter auch für den Psy-
tan (α ) = . choanalytiker von Interesse
Fx sein könnte, denn wir lesen
10 1.2 Kräfte in einem Angriffspunkt
im Internet: „Frank E. Ist die Resultierende R einer Gruppe von Kräften zu ermitteln,
MANUEL, in his bold por- so bedient man sich praktischerweise an Stelle der Vektoradditi-
trait of Isaac NEWTON
(1963), suggests that NEW-
on aus dem letzten Abschnitt der Addition der Kraftkomponen-
TONS ferocity in his argu- ten.
ments with HOOKE, FLAM-
Wir machen uns dies am Beispiel von zwei Kräften in der durch
STEED, and LEIBNIZ, is the
result of the deprivation of sie gebildeten Ebene klar. Betrachte dazu Abbildung 1.2.6 und
his mother when she mar- wende Gleichung (1.2.7) auf die Resultierende sowie auf jede
ried Barnabas SMITH and der beiden Kräfte an:
moved away from him for
seven years. Having lost his R = Rx e x + R y e y = F 1 + F 2 =
mother for a time, MANUEL (1.2.9)
speculates that NEWTON
F1x e x + F1 y e y + F2 x e x + F2 y e y .
ever afterward fought hard
to keep what he thought Dabei wurden die Komponenten der Kräfte F 1 und F 2 zusätz-
was his, especially all the lich zu den Indizes x und y mit den Indizes 1 und 2 versehen,
fruits of his genius.
WESTFALL argues more
um anzudeuten, von welcher Kraft sie herrühren. Einfaches Um-
cautiously that no empirical stellen in der letzten Beziehung bringt:
evidence can confirm or
disprove such an “analy-
R x e x + R y e y = (F1x + F2 x ) e x + (F1 y + F2 y ) e y . (1.2.10)
sis.” (Never at Rest, p.
53.)“. Durch Koeffizientenvergleich finden wir:
2 2
Rx = F1x + F2 x = ∑ Fix , Ry = F1 y + F2 y = ∑ Fiy . (1.2.11)
F i =1 i =1
Fy
In Worten: Um die Komponenten der Resultierenden zu erhal-
ten, hat man die jeweiligen Komponenten der beteiligten Kraft-
y vektoren zu summieren. Im Übrigen notieren wir für den Betrag
und die Richtung der Resultierenden gemäß der Gleichung
ey α Fx (1.2.8):
2 2
⎛ 2 ⎞ ⎛ 2 ⎞
ex
x R = R + R = ⎜ ∑ Fix ⎟ + ⎜ ∑ Fiy ⎟ ,
2
x
2
y
⎝ i =1 ⎠ ⎝ i =1 ⎠
2
(1.2.12)
Abb. 1.2.5: Zerlegung
einer Kraft in ihre R ∑F iy
rechtwinklig- tan (α ) = y = i =1
2
.
∑F
Rx
kartesischen Kompo- ix
i =1
nenten.
Für n Stück Kräfte, die an einem gemeinsamen Punkt angrei-
fen, lässt sich die Resultierende durch Verallgemeinerung der
obigen Formeln wie folgt bestimmen. Man lässt den Index i
einfach von 1 bis n laufen:
n n
Rx = ∑ Fix , Ry = ∑ Fiy , (1.2.13)
i =1 i =1
1.2.2 Zerlegen von Kräften in der Ebene: Komponentendarstellung 11
2 2 y
⎛ n ⎞ ⎛ n ⎞
R = R + R = ⎜ ∑ Fix ⎟ + ⎜ ∑ Fiy ⎟ ,
2 2 Rx
x y
⎝ i =1 ⎠ ⎝ i =1 ⎠ F2 y
n R
(1.2.14)
Ry ∑ Fiy
tan (α ) = = i =1
n
. ex F 2
Ry
∑ Fix
Rx
i =1 F1y
Auf Kräfte, die im Raum an einem gemeinsamen Punkt angrei- F1
fen, lassen sich diese Gleichungen wie folgt verallgemeinern. α F 1x F 2x
Man muss in Bezug auf die dritte Raumrichtung, also die z- x
Komponente, ergänzen und erhält: Abb. 1.2.6: Zur kompo-
n n n nentenmäßigen Addition
Rx = ∑ Fix , Ry = ∑ Fiy , Rz = ∑ Fiz , (1.2.15) von Kräften.
i =1 i =1 i =1
−F 1
Mit Gleichung (1.2.14) berechnen wir nun den Betrag und die
Richtung der Resultierenden:
Wir sagen:
Um Gleichgewicht in der Ebene zu erzielen, ist es notwendig,
dass die Summen der Komponenten aller beteiligten Kräfte in
x− und y− Richtung verschwinden.
Man beachte: Aus den beiden Gleichgewichtsbedingungen
(1.2.24) lassen sich höchstens zwei Unbekannte, z. B. zwei Un-
bekannte in einer ebenen zentralen Kräftegruppe, ermitteln. In
einem solchen Fall sprechen wir von einer statisch bestimmten
ebenen zentralen Kräftegruppe, und diese ist ein Spezialfall ei-
nes statisch bestimmten mechanischen Systems. Treten bei ei-
ner ebenen zentralen Kräftegruppe mehr als zwei Unbekannte
auf, so ist das Problem statisch unbestimmt und kann mit den
genannten Gleichgewichtsbedingungen allein nicht gelöst wer-
den.
Einige Beispiele sollen die Gleichgewichtsbedingungen zentra-
ler Kräftegruppen einüben.
14 1.2 Kräfte in einem Angriffspunkt
F β = 30o
System I (freigeschnittene Walze)
z
y k
F N
G = 2 kN
α
α = 45o
x
System II (Ebene mit Normalkraft) Abb. 1.2.9: Haltekraft auf schiefer Ebene.
Um ihn zu finden, wird das System, wie links in der Abbildung
y (System I) gezeigt, freigeschnitten. Dazu ist es nötig, eine eben-
F falls unbekannte Normalkraft FN einzuführen, die die schiefe
Fy
F N
Ebene hinsichtlich ihrer tragenden Wirkung ersetzt. Diese neue
FNy Unbekannte steht senkrecht auf der schiefen Ebene. Wir beach-
β ten das in der Abbildung eingezeichnete Koordinatensystem und
x
FNx Fx notieren als Gleichgewichtsbedingungen aller in der freige-
α schnittenen Scheibe I auftretenden Kräfte:
G ∑F x =0 ⇒ F cos(β ) − FN sin (α ) = 0 ,
(1.2.25)
Kräfteplan ∑F y =0 ⇒ − G + F sin (β ) + FN cos(α ) = 0 .
Die Vorzeichen der einzelnen in den Gleichungen auftretenden
Größen richten sich nach dem gewählten Koordinatensystem: In
Achsenrichtung weisende Komponenten werden positiv, entge-
gen der Achsenrichtung weisende Komponenten werden negativ
gezählt. Das Gleichungssystem (1.2.25) erlaubt es, die beiden
Unbekannten F und FN zu ermitteln. Durch Auflösen entsteht:
1.2.5 Zentrale Kräftegruppe im Gleichgewicht: Verkettete Pendelstäbe 15
G sin (α )
F= = 1,46 kN , (1.2.26)
sin (β )sin (α ) + cos(β )cos(α )
G cos(β )
FN = = 1,79 kN . (1.2.27)
sin (β ) sin (α ) + cos(β ) cos(α )
Das Beispiel soll außerdem zeigen, dass es sich empfiehlt, mit
dem Einsetzen von Zahlenwerten bis zum Schluss zu warten,
um mögliche Fehler bei den diversen Umformungen im Nachhi-
nein noch erkennen zu können.
α β
∑F x =0 ⇒ F − S 1 cos(α ) − S 2 cos(β ) = 0 ,
(1.2.30)
∑F y =0 ⇒ − S 1 sin (α ) + S 2 sin (β ) = 0 .
Dieses sind wieder zwei Gleichungen für zwei Unbekannte, und
man findet durch Auflösen:
F S2 S1
= = (1.2.31)
sin [180° − (α + β )] sin (α ) sin (β )
Simon STEVIN (1548 –
und somit: 1620) war holländischer
Mathematiker und Ingeni-
F sin (β ) eur. Ihm verdanken wir un-
S1 = ⇒ ter anderem das Parallelo-
sin (β )cos(α ) + cos(β )sin (α ) gramm der Kräfte, das er in
(1.2.32)
F sin (α ) seinem Buch „De Beghin-
S2 = .
sin (β )cos(α ) + cos(β )sin (α )
selen der Weeghconst“
1586 beschreibt, und An-
wendungen zum Prinzip der
Alternativ lässt sich auch hier wieder die Vektoraddition benut- virtuellen Arbeit (Flaschen-
zen, um das Ergebnis herzuleiten. zug). Im Anfang war STE-
VIN als Buchhalter und
Steuergehilfe in Antwerpen
Stabkräfte vektoriell berechnet bzw. Brügge tätig. Dies
Betrachte den in Abbildung 1.2.11 dargestellten Freischnitt. Nun schien ihn auf Dauer nicht
zu befriedigen, denn er be-
ergänzen wir bei vorgegebener Kraft F und vorgegebenen Rich- gann mit 35 Jahren an der
tungen α und β die unbekannten Kräfte S 1 und S 2 derart, Universität in Leiden zu
dass sich das Kräftepolygon schließt, also Gleichgewicht vor- studieren. Seine neu erwor-
benen naturwissenschaftli-
handen ist. chen Kenntnisse nutzte er
Die Beträge der Unbekannten, also S1 und S 2 , können aus ge- danach als Quartiermeister
der holländischen Armee,
ometrischen Überlegungen mit Hilfe des Sinussatzes berechnet und er fand einen Weg, das
werden: von einer heranrückenden
Invasionsarmee teilweise
F sin (β ) F sin (α ) okkupierte Holland durch
S1 = , S2 = . (1.2.33)
sin (α + β ) sin (α + β ) gezieltes Öffnen von Dei-
chen unter Wasser zu set-
Diese Gleichungen sind äquivalent zu den Formeln aus (1.2.31), zen und damit langfristig zu
wenn man nur die Additionstheoreme trigonometrischer Funkti- befreien. Auch beriet er den
Prinzen Maurice VON NAS-
onen beachtet. SAU in Bezug auf Festungs-
Nimm zur Übung nun eine falsche Richtung für eine der beiden bauten im Krieg gegen Spa-
Stabkräfte an, wiederhole die Argumente dieses Abschnitts und nien.
zeige, dass sich bei Wahl des Komponentenverfahrens ein nega-
tives Vorzeichen für den Betrag der falsch gerichteten Stabkraft
ergibt bzw. sich im Fall der Vektoraddition das Krafteck nicht
schließen lässt!
18 1.2 Kräfte in einem Angriffspunkt
F = Fx e x + Fy e y + Fz e z . (1.2.34)
G Diese Zerlegung erfolgt in vollkommener Analogie zum Zwei-
dimensionalen, also zur Gleichung (1.2.7), wonach galt:
F = Fx e x + Fy e y . (1.2.35)
cos( α ) =
Fragestellungen, als ihn die b
Nachricht von GALILEIS
,
Problemen mit der katholi- a + b2 + c2
2
cos(β ) =
schen Kirche und dem da- a
mit verbundenen Hausarrest , (1.2.45)
erreicht, was ihn zögern a2 + b2 + c2
lässt, intensiv vor seinem
cos( γ ) =
c
eigenen – vorzugsweise na- .
türlichen – Tod zu publizie- a2 + b2 + c2
ren. Einen solchen Vor-
wand, nicht zu veröffentli- Um die Größe dieser Kräfte zu berechnen, schneiden wir um
chen, kann der heutige Wis- den Punkt A frei, wie in der Abbildung gezeigt. Indem wir die
senschaftler nurmehr selten Pfeile der Freischnittkräfte vom Knoten weggerichtet einzeich-
geltend machen. nen, nehmen wir an, dass es sich bei den beiden Stäben um Zug-
stäbe handelt. Ob diese Annahme richtig ist, wird die Rechnung
erweisen. Mit den Gleichgewichtsbeziehungen (1.2.44) entsteht:
∑F x = 0: S1 + S 3 cos (α ) = 0 ,
∑F y = 0: S 2 + S 3 cos (β ) = 0 , (1.2.46)
∑F z = 0: S 3 cos (γ ) − G = 0 .
b a a2 + b2 + c2
S 1 = −G , S 2 = −G , S 3 = G . (1.2.47)
c c c
Offensichtlich war die beim Freischnitt getroffene implizite An-
nahme falsch, dass es sich bei den Pendelstabkräften um Zug-
stäbe handelt, wie man an dem sich ergebenden Minuszeichen
sieht.
l
K a1 a2 −K
F S′
1
R1 F 2
h R2
Abb. 1.3.2: Ergänzung zweier zueinander paralleler Kräfte.
Um die richtige Wirkungslinie zu finden, bedienen wir uns eines
Tricks. Wie in Abbildung 1.3.2 zu sehen, führen wir in das Sys-
tem zwei einander entgegengesetzt gerichtete, betragsmäßig
gleich große Kräfte K und − K ein. Wir befestigen sie jeweils
an den Angriffspunkten der Kräfte F 1 und F 2 , und da sie auf
derselben Wirkungslinie liegen und einander betragsmäßig auf-
heben, ändert sich insgesamt nichts am Gleichgewichtszustand
des Systems. Nun fassen wir F 1 und K sowie F 2 und − K zu
den Resultierenden R 1 und R 2 zusammen, welche wir, wie
dargestellt, vektoriell zur Resultierenden R addieren. Dabei ist
es nötig, R 1 und R 2 entlang ihrer Wirkungslinie zu verschie-
ben, und man gelangt zu einem Schnittpunkt S , der die Lage
der Wirkungslinie von R anzugeben erlaubt. Dazu projiziert
22 1.3 Allgemeine Kräftesysteme: Gleichgewicht des starren Körpers
Aus der Abbildung 1.3.2 lesen wir ab, dass gelten muss:
a1 K a 2 K
ARCHIMEDES (287 – 212 = , = (1.3.2)
v. u. Z.) wurde in Syrakus
l F1 l F2
auf Sizilien geboren, wo er
oder auch:
auch lebte und wirkte. Von
PLUTARCH und LIVIUS wird a1 F1 = a 2 F2 , (1.3.3)
überliefert, dass eine seiner
wesentlichen Aktivitäten wobei die Abstände a1 und a 2 sich auf einen Punkt S ′ bezie-
darin bestand, seine Hei-
matstadt gegen auswärtige hen, der auf der Verbindungslinie der Angriffspunkte der beiden
Feinde zu verteidigen. Zur gezeigten Kräfte liegt. Wir können diese Abstände ganz einfach
Abwehr nahender Truppen durch Kombination der Gleichung (1.3.1) sowie (1.3.2) der Be-
ersann er z. B. ein Katapult, ziehung
mit dem er Gegenstände
und Chemikalien (zur Ent- h = a1 + a 2 (1.3.4)
zündung des sogenannten
archimedischen Feuers) berechnen und erhalten:
verschoss, einen Mehrkom-
ponentenflaschenzug, nütz- F2 F1
a1 = h , a2 = h. (1.3.5)
lich u. a. zum Versetzen der F1 + F2 F1 + F2
„schweren Munition“, oder
einen Brennspiegel zum Wir erkennen, dass mit dem genannten Trick immer dann die
Anzünden ganzer Schiffs-
Größe und die Lage der Resultierenden ermittelt werden kön-
flotten. Aber auch theoreti-
sche Arbeiten konnten ihn nen, wenn der Nenner in Gleichung (1.3.5) nicht verschwindet.
begeistern: Er vermaß den Dieses passiert dann, wenn zwei gleich große, entgegengesetzt
Umfang des Kreises mithil- gerichtete Kräfte auf parallelen Wirkungslinien agieren. Hierbei
fe von Polygonen und handelt es sich um ein sogenanntes Kräftepaar, welches eine
schätzte die LUDOLFsche
gewisse Bedeutung für die Technik hat und auf das wir später
Zahl π als zwischen 3
10/71stel und 3 1/7tel lie- zurückkommen werden.
gend ab. Auch beschäftigte Im Moment wollen wir uns einem anderen Aspekt unserer Lö-
er sich ohne Kenntnis der
Integralrechnung mit der
sung zuwenden. Die in Gleichung (1.3.3) gezeigte Beziehung ist
Berechnung des Volumens das aus der Schule bekannte Hebelgesetz von ARCHIMEDES,
heutzutage als einfach be- wonach es, um das Gleichgewicht zu wahren, nötig ist, dass die
trachteter Körper und zeig- Produkte Kraft mal Hebelarm zweier am Körper angreifender
te, dass das Volumen einer Kräfte einander gleich sind.
Kugel zwei Drittel des Vo-
lumens eines sie umfassen- In der Tat ist diese Beobachtung ein Spezialfall eines allgemei-
den Zylinders beträgt. Die- neren Gesetzes für den Fall beliebig vieler, nicht in einem ge-
ses Ergebnis empfand er als
meinsamen Angriffspunkt wirkender Kräfte, der Bedingung des
derart signifikant, dass er
sogenannten Momentengleichgewichtes.
1.3.1 Moment beliebig verteilter Kräftegruppen im Raum 23
Abb. 1.3.5: Kräfte an Betrachte die in Abbildung 1.3.6 gezeigte Situation: Das Mo-
Sechseckscheibe. ment eines sog. Kräftepaares, d. h. zwei gleich große, aber ent-
gegengesetzte Kräfte in der Ebene, die nicht auf derselben Wir-
1.3.1 Moment beliebig verteilter Kräftegruppen im Raum 25
WL
WL
D
dr
dl F
F
D′ Lenkrad
Die Wirkung eines anfahrenden Motors, der sich auf einem Bal-
ken befindet, entspricht auch einem reinen, plötzlich angreifen-
den Moment, und wir sollten an das Modell eines Kräftepaares
26 1.3 Allgemeine Kräftesysteme: Gleichgewicht des starren Körpers
∑F
i =1
ix =0, ∑F
i =1
iy =0, ∑M (
i =1
i
A)
= 0. (1.3.10)
∑F x =0, ∑F y =0, ∑M ( A)
= 0. (1.3.11)
y F2
F iy Fi
yi
yA A F ix
F1
x
B xA xi
i =1 i =1
i iy (1.3.12)
i =1 i =1 i =1
n n n
∑M (
i =1
i
B)
− x A ∑ Fiy + y A ∑ Fix .
i =1 i =1
∑ Fix = 0 ,
i =1
∑ M i( A) = 0 ,
i =1
∑M (
i =1
i
B)
= 0. (1.3.13)
• Niemals jedoch darf man drei Kräfte- oder drei Momen- Abb. 1.3.11: b) Sta-
tenbedingungen ansetzen. Bei einer Scheibe darf eine tisch unbestimmt,
vierte Gleichung zur Kontrollrechnung verwendet wer- 3+1 Stützkräfte.
den.
• Ist statisches Gleichgewicht an mehreren Scheiben
nachzuweisen (siehe Abbildung 1.3.12), so gibt es für
jede Scheibe drei Gleichgewichtsbedingungen, die man
auswertet, nachdem man die Scheiben durch Freischnitt F
voneinander getrennt hat.
• Bei der Auswertung der Momentenbedingung kann das
Moment einer Kraft (Kraft mal Hebelarm) oder die
Momente aus den Komponenten der Kraft zur Berech-
nung herangezogen werden.
• Wird ein Scheibensystem mit mehr als drei Stützkräften
gehalten, so ist es mit drei Gleichgewichtsbedingungen
nicht mehr zu berechnen. Das System ist statisch unbe- Abb. 1.3.11: c) Sta-
stimmt. Die fehlenden Gleichungen sind Verformungs- tisch überbestimmt,
bedingungen: Abbildung 1.3.11 b). System klappt um.
28 1.3 Allgemeine Kräftesysteme: Gleichgewicht des starren Körpers
F
F F
F
M
A
F
Fy = 40 kN
Abb. 1.3.11: c) und d)
Fehlerhafte Stützung:
0,2 m Fx = 10 kN
Die Wirkungslinien der
drei Stützkräfte dürfen 0,2 m 0,55 m 0,55 m
nicht durch einen Punkt
gehen, auch wenn dieser C
B
im Unendlichen liegt
(parallele Stützen).
Abb. 1.3.13: System von Pendelstäben.
Wir interessieren uns für die in den Pendelstäben A , B und C
herrschenden Kräfte, die wir mit FA , FB und FC bezeichnen.
Um diese Kräfte herauszufinden, wird zunächst, wie in Abbil-
dung 1.3.14 gezeigt, freigeschnitten, und danach werden die
Gleichgewichtsbedingungen ausgewertet, und zwar bezüglich
des ebenen kartesischen Koordinatensystems, das in der Abbil-
dung zu sehen ist.
Fy
FA
y
Fx
x
FC
FB
D
∑F x = 0: FA + FB − 10 kN = 0 ,
(1.3.14)
∑F y = 0 : − 40 kN + FC = 0 .
Aus der zweiten Gleichung finden wir:
FC = 40 kN . (1.3.15)
Die Pfeilspitze war also richtig am Stab C eingetragen. Um die
beiden anderen Stabkräfte zu bestimmen, benötigen wir noch ei-
ne weitere Gleichung. Das ist die Momentenbedingung. Um
möglichst wenig rechnen zu müssen und gleichzeitig wenig
neue Unbekannte in die Momentengleichung einzubringen, wäh-
len wir den im Freischnitt eingezeichneten Punkt D als Dreh-
punkt. Man erhält so:
∑M ( D)
= 0:
(1.3.16)
− FA ⋅ 0,4 m + 40 kN ⋅ 0,55 m + 10 kN ⋅ 0,2 m = 0.
Als Endergebnis folgt:
FA = 60 kN , FB = −50 kN . (1.3.17)
Die Pfeilspitze der Stabkraft A war korrekt, wohingegen die
Pfeilspitze der Stabkraft B sich nachträglich als falsch gewählt
herausstellt. Wir fassen zusammen: Es handelt sich bei A um
einen Druckstab, bei B um einen Zugstab und bei C wieder um
einen Druckstab.
Fy
F
y P
Fx
x
O x
Abb. 1.3.15: Zur vektoriellen Deutung des Momentes.
Betrachte die Abbildung 1.3.15: Eine Kraft F greift in der
(x, y ) -Ebene in dem durch den Ortsvektor r = (x , y , 0) ge-
30 1.3 Allgemeine Kräftesysteme: Gleichgewicht des starren Körpers
Dabei haben wir die Summe aus Produkten von Abständen und
Kräften mithilfe einer 3× 3 -Determinante umgeschrieben. Diese
Darstellung lässt eine neue Interpretation des Momentes zu. I-
dentifizieren wir nämlich die erste Zeile dieser Determinante als
Einheitsvektor in z − Richtung, also:
(0 , 0 , 1) → ez , (1.3.19)
und die zweite Zeile als zum Fußpunkt der Kraft führenden
Ortsvektor:
(x , y , 0) → r , (1.3.20)
und die dritte Zeile schließlich als in der Ebene liegenden Kraft-
vektor:
(F x , F y , 0) → F, (1.3.21)
folgt.
Wir fragen uns, wie man die Komponenten des Vektors c durch
die Komponenten der beiden anderen Vektoren ausdrücken
kann. Es lässt sich zeigen, dass gilt:
c = (a y bz − a z b y , a z bx − a x bz , a x b y − a y bx )
ex ey ez
(1.3.27)
= ax ay az .
bx by bz
Betrachten wir einen Spezialfall und nehmen an, dass die beiden
Vektoren a und b in der (x , y ) -Ebene liegen, dass also gilt:
a = (a x , a y , 0) , b = (bx , by , 0) . (1.3.30)
(0 )
Die Länge von M wird gemäß der Formel (1.3.18) berechnet.
Lägen nun r und F beliebig im Raum, d. h., greift der Kraft-
vektor in beliebiger Richtung an einem Ortspunkt an (beides re-
lativ zu einem externen dreidimensionalen Koordinatensystem),
so greift die allgemeine Definition (1.3.27) für das Kreuzpro-
dukt und wir schreiben:
= ( yFz − zFy , zFx − xFz , xFy − yFx )
(0 )
M
ex ey ez
(1.3.32)
= x y z .
Fx Fy Fz
F 1 = (F , 0 , 0 ) , F 2 = (0 , 0 , − F ) ,
F 3 = (2 F , 0 , 0 ), F 4 = (0 , 0 , 2 F ) , (1.3.34)
F 5 = (0 , 3F , 0 ) , F 6 = (0 , 3F , 0 ) .
F2 F4 r 1 = (a , 0 , 0 ) , r 2 = (a , 0 , 2a ) ,
r 3 = (0 , a , 0 ), r 4 = (0 , a , 2a ) , (1.3.35)
r 5 = (a , a , 2a ) , r 6 = (a , a , 0 ).
F5 Die Kraftresultierende ergibt sich somit zu:
R = (3F , 6 F , F ) ,
2a z
(1.3.36)
A y R = 9 F 2 + 36 F 2 + F 2 = 46 F .
x
F3 Wir erhalten für die Momentenvektoren der einzelnen Kräfte
a a bezogen auf A :
F1
F6 M 1 = (0 , 0 , 0 ) , M 2 = (0 , aF , 0 ) ,
M 3 = (0 , 0 , − 2aF ), M 4 = (2aF , 0 , 0 ) , (1.3.37)
Abb. 1.3.17: Ein Qua- M 5 = (− 6aF , 0 , 3aF ) , M 6 = (0 , 0 , 3aF ).
der unter dem Einfluss
äußerer Kräfte. Damit ergibt sich der resultierende Momentenvektor zu:
M R = (− 4 , 1 , 4) aF ,
( A)
(1.3.38)
M R( A ) = 16 + 1 + 16aF = 33aF .
Wir stellen fest, dass der Quader geeignet gelagert werden muss,
damit er sich nicht in Bewegung setzt. Er würde nämlich in
translatorische Bewegung versetzt, da die Kräfteresultierende
nicht verschwindet, und außerdem in Rotation geraten, da der
resultierende Momentenvektor nicht gleich dem Nullvektor ist.
Rahmen im Raum
C
0 ,5 m z
y
B 0,8 m x
A
1,2 m D
FCy
C
FAz
FBy FAy
B A FAx
D
FBz 10 kN z y
20 kN x
MANN die seiner Meinung ihrer Größe und Richtung zeichnerisch zu ermitteln. In der Tat
nach unzureichenden theo- kann die CULMANN-Kraft nur in die Richtung zwischen P 1 und
retischen Voruntersuchun-
gen und bemerkt lakonisch, P 2 weisen. Nehmen wir zum Beweis an, dass sich die Kräfte F
dass eine Konstruktion und F C zu einer nicht in P 1 - P 2 -Richtung weisenden Kraft er-
nicht deshalb für ungenü-
gend befunden wird, weil gänzen. Dann müsste aufgrund des Kräftegleichgewichtes die
sie sich theoretisch nicht Resultierende zwischen F A und F B dieselbe Wirkungslinie
untermauern lässt, sondern aufweisen, allerdings wäre der Kraftpfeil umgekehrt gerichtet.
erst dadurch, dass sie im
Betrieb versagt. Nachdem
Es entstünde ein Kräftepaar, das in den Punkten P 1 bzw. P 2
CULMANN 1852 nach ansetzt und (da dessen Verbindungslinie per Annahme nicht in
Deutschland zurückkehrt, P 1 - P 2 -Richtung weist) zu einem Drehmoment Anlass gibt.
arbeitet er zunächst wieder
für die Bayerische Eisen- Dies jedoch darf im Gleichgewicht nicht passieren.
bahn, bis er 1855 an das
neu gegründete Züricher Das Seileck
Polytechnikum als Profes-
sor für Baustatik berufen
wird. F1 S1
S2
F2
F1 P
F2 R
S3
WLS1 FN
WL1 WL
WL2
WLN N +1 FN S N +1
WLS 2
P1 WLS 3
P2 PN
Kräfteplan
Lageplan
PR
WLR
S4
S1
S2 S3
F1 F3
F 2
S1
WL F 1 F1
S2 WLF 2 S2 S1 = S 5
S3 WLF 3 F2 F4
S5 S3 P
WLF 4 S4
F3 S4
Lageplan Kräfteplan
S4 S1 = S 4
h WL F 3
F1
F3 S P
2
WL F 1 WL F 2
S3 F2
S1 S3
S2
Lageplan Kräfteplan
z xN R H
xi
x2
x1
z GN
G1 G2 Gi GN y
o S
O
xs
G1 ys G2 Gi
xs xi y i
x1 y1 x 2 y 2
H x
∑ Fz = 0 ⇒ H − ∑ G i = 0 i =1
(1.4.1)
sowie:
N
∑ M (O ) = 0 ⇒ xS H − ∑ xiGi = 0 . i =1
(1.4.2)
∑xG i i
xS = i =1
N
. (1.4.3)
∑G
i =1
i
∗Dass wir die Ordinate hier mit z und nicht mit y bezeichnen, ist reine Kon-
vention.
1.4.1 Schwerpunkt einer Gruppe paralleler Kräfte 43
∑ Fz = 0 ⇒ H − ∑ Gi = 0 , i =1
(1.4.4)
∑M y S H − ∑ yi Gi = 0 ,
(O )
x =0 ⇒
i =1
N
(1.4.5)
∑M = 0 ⇒ xS H − ∑ xi Gi = 0 .
(O )
y
i =1
∑ xiGi ∑yG i i
xS = i =1
N
, yS = i =1
N
. (1.4.6)
∑G i =1
i ∑G
i =1
i
∫ xq(x ) dx
xS = a
b
. (1.4.8)
∫ q(x ) dx
a
∫∫ xp(x, y ) dA ∫∫ yp(x, y ) dA
xS = A
, yS = A
. (1.4.10)
∫∫ p(x, y ) dA
A
∫∫ p(x, y ) dA
A
z
p (x , y )
z q( x ) ys y
p dA xs
s
dx dA
p (x, y )
x
a x b Δx
Δy
∫ xq dx ql 2 / 2 l
xS = 0
= = , (1.4.11)
l
ql 2
∫ qdx
0
x=0 x=l
z
q (x ) q0
x x
x=0 x=l
q ( x ) = q0
x
. (1.4.12)
l
Dabei ist q0 die Endhöhe der Streckenlast am Punkt x = l . Man
erhält für den Schwerpunkt:
l
q0 2
l ∫0
x dx
l 3 / 3 2l
xS = = = . (1.4.13)
q0
l
l2 / 2 3
l ∫0
x dx
d m = ρ (x, y, z) dV
r V
z y
x g
∫∫∫ xρ (x, y, z )g dV
xS = V
,
∫∫∫ ρ (x, y, z )g dV
V
∫∫∫ yρ (x, y, z )g dV
yS = V
, (1.4.15)
∫∫∫ ρ (x, y, z )g dV
V
∫∫∫ zρ (x, y, z )g dV
zS = V
.
∫∫∫ ρ (x, y, z )g dV
V
∫∫∫ xρ (x, y, z ) dV
xS = V
,
∫∫∫ ρ (x, y, z ) dV
V
∫∫∫ yρ (x, y, z ) dV
yS = V
, (1.4.16)
∫∫∫ ρ (x, y, z ) dV
V
∫∫∫ zρ (x, y, z ) dV
zS = V
.
∫∫∫ ρ (x, y, z ) dV
V
l 1 2
l l
Abb. 1.4.5: Zum Unterschied zwischen Massen-
und Volumenschwerpunkt.
y z
dV = dy ⋅ dz ⋅ h h
h ∫∫ y dA ∫∫ z dA
xS = , y S = A
, zS = A
. (1.4.22)
2 ∫∫
A
dA ∫∫
A
dA
zSi i
Ai
y
y Si
∑ ∫∫ y dA ∑ y ∫∫ dA ∑ y
N
Si Si Ai
i =1 Ai i =1
yS = = = i =1
Ai
N N N
, (1.4.25)
∑ ∫∫ dA
i =1 Ai
∑ ∫∫ dA
i =1 Ai
∑A
i =1
i
N N
∑ ∫∫ z dA ∑ z ∫∫ dA ∑ z
N
Si Si Ai
i =1 Ai i =1
zS = = = i =1
Ai
N N N
. (1.4.26)
∑ ∫∫ dA
i =1 Ai
∑ ∫∫ dA
i =1 Ai
∑A
i =1
i
z( y ) =
h
y (1.4.28)
a z
wird für das statische Moment: h
a 2 z
∫ yz( y ) dy =
ha
S z = ∫∫ y dA = (1.4.29)
y =0
3 y
A dy
h
1 2
y
a b
Körper y Si Ai y Si Ai
Dreieck 1 2 1 1 2
a ah a h
3 2 3
Dreieck 2 1 1 1 1
a+ b bh abh + b 2 h
3 2 2 6
2
1 1
∑ (a + b ) h (a + b )(2a + b )h
i =1 2 6
Somit wird:
2a + b 1
yS = , zS = h. (1.4.31)
3 3
dz
h
z
dA = 2 ydz y
y
z =h
4 h3/ 2
∫∫
A
dA = 2 ∫ y dz =
z =0
3 a
(1.4.33)
und:
4h 5 / 2
h
2
S y = ∫∫ z dA = ∫ z dz =
3/ 2
. (1.4.34)
A a z =0 5 a
Damit folgt:
3
zS = h. (1.4.35)
5
z =0
=
2R 3
3
.
∫ z R − z dz = − 3 (R − z )
2 1 2
2 2
. (1.4.37)
z
dA = dz 2 y
dz
R z
y
2y
Abb. 1.4.12: Flächenschwerpunkt eines Kreises.
Da die Fläche A eines Halbkreises gegeben ist durch:
54 1.4 Der Schwerpunkt
1 2
A= πR , (1.4.38)
2
folgt schließlich:
4R
zS = . (1.4.39)
3π
s
s ∫ xds ∫ yds ∫ zds
xS = L
, yS = L
, zS = L
. (1.4.40)
∫ ds
L
∫ ds
L
∫ ds
L
Besteht die Linie jedoch aus Teilstücken Li , für die die Schwer-
punkte bekannt sind, so lässt sich analog wie in den Gleichun-
gen (1.4.25) und (1.4.26) aufgrund der Additivität der Linienin-
tegrale schreiben:
N N
∑ ∫ xds ∑ x ∫ ds ∑ x
N
Si Si i l
i =1 Li i =1
xS = = = i =1
Li
N N N
, (1.4.42)
∑ ∫ ds
i =1 Li
∑ ∫ ds
i =1 Li
∑l
i =1
i
N N
∑ ∫ yds ∑ y ∫ ds ∑ y
N
Si Si i l
i =1 Li i =1
yS = = = i =1
Li
N N N
, (1.4.43)
∑ ∫ ds
i =1 Li
∑ ∫ ds
i =1 Li
∑l
i =1
i
1.4.5 Zum Linienschwerpunkt 55
N N
∑ ∫ zds ∑ z ∫ ds ∑ z
N
y
Si Si i l
i =1 Li i =1
zS = = = i =1
Li
N N N
. (1.4.44)
∑ ∫ ds ∑ ∫ ds ∑l i
i =1 Li i =1 Li i =1 2
8a
Die Anschauung sagt, dass der Schwerpunkt eines homogenen
1
Drahtes genau auf seiner Mitte liegen muss.
x
Mit dieser Erkenntnis und zusammen mit den drei obigen Glei-
chungen lassen sich dann sofort die Schwerpunkte von Drahtge- 5a
bilden berechnen, die sich aus verschiedenen geraden Stücken
zusammensetzen, etwa wie in Abbildung 1.4.14 zu sehen. Abb. 1.4.14: Zum
Schwerpunkt von
Der Übersicht halber bedient man sich wieder der Tabellenme- Drahtgebilden.
thode:
Körper x Si li x Si li
Linie 2 0 8a 0
2 13a 12,5a 2
∑
i =1
R
α
Damit wird:
α
25 32
xS = a , yS = a . (1.4.45)
26 13
Der Schwerpunkt gekrümmter Linien ist jedoch, wie gesagt, im
Allgemeinen schwieriger zu berechnen. Manchmal jedoch hilft y
ein Trick, etwa im Fall des in Abbildung 1.4.15 dargestellten
Kreisbogenstücks. Dieses hat nämlich einen festen Radius R , dϕ
und man kann offensichtlich schreiben: ds
Einwertige Lager
(e)e )
Per Definition können einwertige Lager nur eine Reaktion, d. h.
eine Fesselung, übertragen. Also gilt für sie r = 1 . Technische
Beispiele hierfür sind das in Abbildung 1.5.1 dargestellte Rol-
lenlager (e), das Gleitlager (c) sowie der Pendelstab (d). In Un-
(f) terabbildung 1.5.1 (f) ist das technische Symbol eines einwerti-
gen Lagers (a, b, c) zu sehen. Die Abbildung 1.5.1 (e) deutet am
Beispiel des Rollenlagers an, welche Bewegungsmöglichkeiten
bei einwertigen Lagern verbleiben: Bewegung in einer Richtung
( g) sowie eine Drehmöglichkeit. Eine Bewegung in vertikaler Rich-
tung ist ausgeschlossen. Die Unterabbildung 1.5.1 (g) zeigt das
Freischnittbild für ein einwertiges (Rollen-)Lager.
Fy
Zweiwertige Lager
Per Definition können zweiwertige Lager genau zwei Reaktio-
Fy nen, d. h. zwei Fesselungen, übertragen. Also gilt für sie r = 2 .
Technische Beispiele hierfür sind das in Abbildung 1.5.2 darge-
stellte Festlager (a) oder die Doppelstütze (b). In Unterabbil-
dung 1.5.2 (c) ist das technische Symbol eines zweiwertigen La-
Abb. 1.5.1: Einwertige gers zu sehen. Die Unterabbildung 1.5.2 (d) deutet an, welche
Lager. Bewegungsmöglichkeit bei zweiwertigen Lagern noch verbleibt.
Nach der Gleichung (1.5.1) ist dies genau eine, in den genannten
1.5.1 Freiheitsgrade, Lager und ihre technische Realisierung 57
(c )
Fx
M
(d )
(e )
M
Fx
Fy
Fy
Abb. 1.5.3: Zweiwertige Einspannungen. F
F
Dreiwertige Lager Fy
Tritt zu einer Doppelstütze ein weiterer, etwas versetzter Pen-
delstab hinzu (Abbildung 1.5.4 (a)), so geht die Möglichkeit zu Fx
einer Drehung, die beim zweiwertigen Lager noch gegeben war,
verloren. Vollständige Fesselung setzt ein, denn man hat die
Größe r auf drei erhöht, bzw. die Anzahl der Freiheitsgrade auf Abb. 1.5.2: Zweiwertige
null herabgesetzt und ein dreiwertiges Lager erzeugt. Zusätzlich Lager.
zu zwei Kraftkomponenten kann nun (etwa) auch noch ein Mo-
ment übertragen werden, wie der Freischnitt, der in Abbildung
1.5.4 (d) zu sehen ist, lehrt. Die gleiche Situation ergibt sich bei
einem fest einbetonierten Stab in der Wand (Abbildung 1.5.4
(b), (c)).
58 1.5 Lager, Trag- und Fachwerke
1.5.2 Tragwerke
Im Abschnitt 1.3.2 sind wir bereits auf den Begriff des stati-
(a) schen Gleichgewichtes an einem starren Körper bzw. an Kör-
pern, die sich aus mehreren starren Scheiben zusammensetzen,
zu sprechen gekommen. Aus mehreren Scheiben zusammenge-
setzte Körper sind in der Technik auch als Tragwerke bekannt.
Hierbei übertragen Verbindungselemente, wie z. B. Pendelstäbe
oder auch Gelenke, Kräfte und Momente von Scheibe zu Schei-
be. Diese Kräfte bzw. Momente gilt es zu berechnen, und man
erreicht das, wie schon gesagt, durch sogenannte Freischnitte.
Wir nennen unser System von Scheiben bzw. das Tragwerk sta-
tisch bestimmt, wenn es gelingt, aus den Gleichgewichtsbedin-
gungen allein, also aus Kräfte- und Momentengleichgewicht, die
für jede Scheibe gesondert aufzustellen sind, alle Unbekannten
zu berechnen. Hierzu zählen die durch Gelenke und Verbin-
(b) dungselemente übertragenen Kräfte und Momente wie auch die
Lagerreaktionen. Seien also allgemein n Scheiben gegeben, aus
denen sich das Tragwerk zusammensetzt. Dann lassen sich stets
3n Gleichgewichtsbedingungen, also 3n Gleichungen formulie-
ren, vorausgesetzt, es handelt sich bei den betrachteten Scheiben
nicht um zentrale Kräftesysteme, was wir annehmen wollen. Sei
die Anzahl der Lagerreaktionen mit r und die Anzahl der Reak-
tionen der Verbindungselemente mit υ bezeichnet. Dann ist es
( c) für ein statisch bestimmtes, ebenes Tragwerk notwendig, dass
gilt:
3n = r + υ . (1.5.2)
Man beachte, dass sich für n = 1 der Sonderfall des statisch be-
stimmt gelagerten einteiligen, ebenen Tragwerks ergibt, etwa ein
Balken auf zwei Stützen, auf den eine Kraft wirkt. Hier ist die
Anzahl der Reaktionen υ der Verbindungselemente nämlich ge-
rade null, und der Balken muss etwa mithilfe eines einwertigen
und eines zweiwertigen Lagers gefesselt werden, um statische
M Bestimmtheit zu garantieren. Ein weiteres Beispiel soll die For-
(d ) mel (1.5.2) noch näher erläutern.
Fx
Betrachte die in Abbildung 1.5.5 a) dargestellte Situation: Eine
Fy Kugel presst mit ihrem Gewicht auf zwei Stützen, die über ein
Gelenk sowie über ein Seil miteinander verbunden sind. Gesucht
F sind die Lagereaktionen in A bzw. B , die Seilkraft S sowie die
Gelenkkraft in C . Betrachten wir die über Seil und Gelenk ge-
Abb. 1.5.4: Dreiwertige
haltenen Stützen als ein Tragwerk, auf das aus dem Gewicht G
Lager.
der Kugel berechenbare, also bekannte Kräfte wirken, so lassen
sich die Gelenkkraft sowie die Seilkraft durch den in der Abbil-
dung dargestellten Freischnitt sichtbar machen. Die Anzahl der
1.5.3 Fachwerke 59
G
a
C
a 45 ° 45 °
N2 N1
a S
A B
N1
a a a a
FCy
Abb. 1.5.5: a) Der symmetrische Bock. FCx
FAx 45 °
Sx
1.5.3 Fachwerke
Definition des idealen Fachwerks FAy
II 5 IV 7 VI
3 8
4 6
V 10
III
2 9
VII
1
III V
F VII
I
l
VI VIII
II
2l IV 2l 2l B
A
Regel 3 F Regel 1
2 6 10 0
0 7 9 11 0
1 3
5 0
12 13
4 8 FBx
0 Regel 3
F Ay Regel 2 F By
Für den allgemeinen Fall gibt es nicht nur das rechnerische Ver-
fahren zur Bestimmung der Auflagerreaktionen und Stabkräfte,
sondern auch ein zeichnerisches Verfahren, den CREMONA-
Plan, den wir weiter unten besprechen.
3 F3
2 a
A B
1
F1 F2
a a a a a a
S3 S3
II F3
S2 S2
F Ax
I S1 S1
F Ay F2 F By
F1
Abb. 1.5.10: Zum RITTERschen Schnitt.
Bei diesem Verfahren wird das Fachwerk durch einen Schnitt in
zwei Teile zerlegt. Dabei werden genau drei Stäbe geschnitten,
die nicht alle zum gleichen Knoten gehören dürfen, oder der
Schnitt ist durch einen Stab und ein Gelenk zu führen. Wir er-
läutern den RITTERschen Schnitt an dem in Abbildung 1.5.10
gezeigten Fachwerk. Sowohl der linke wie auch der rechte Teil-
körper müssen für sich im Gleichgewicht sein. Zunächst werden
die Auflagerkräfte ermittelt. Dazu betrachtet man das Fachwerk
als einen starren Körper, auf den in gewohnter Weise die
Gleichgewichtsbedingungen angewendet werden.
64 1.5 Lager, Trag- und Fachwerke
F1
F1 F2
F2
S1 S2 S3
S1 S 2 S 3
1 2 3
August RITTER (1826 –
1908) war seit 1856 Dozent
an der Polytechnischen
Schule in Hannover. Bei
Eröffnung der Hochschule
in Aachen im Oktober 1870
trat er als ordentlicher Leh-
rer der Ingenieurmathema-
Abb. 1.5.11: Zum RITTERschen Schnitt.
tik und Mechanik in den Als Nächstes wird geschnitten, und dann wenden wir die drei
Lehrkörper ein. Wir kennen Gleichgewichtsbedingungen auf einen der beiden Teilkörper an,
seinen Namen vornehmlich
von der nach ihm benannte um die drei unbekannten Stabkräfte zu ermitteln. Man sollte da-
Schnittmethode. Sein wis- bei möglichst Momentengleichungen um die Schnittpunkte von
senschaftliches Interesse zwei Stabkräften aufstellen, um so jeweils eine Gleichung für
galt aber auch vielen ande- eine unbekannte Stabkraft zu erhalten. Bei Drehung um den
ren physikalischen Frage- Punkt I erhält man:
stellungen, z. B. der Theo-
rie der adiabaten Zustands- 2aF Ay − aF1 − aS 3 = 0 ⇒ S 3 = 2 FAy − F1 . (1.5.4)
änderungen. RITTER hatte
den Aachener Lehrstuhl für Und bei Drehung um den Punkt II sowie mit der Forderung,
Mechanik (so die damalige
Bezeichnung) bis 1899 in-
dass die Summe der Kräfte in vertikaler Richtung verschwinden
ne. Sein Nachfolger wurde muss, entsteht:
im Jahr 1900 der berühmte
Physiker Arnold SOMMER-
3aFAy + aFAx − 2aF1 + aS1 = 0
(1.5.5)
FELD. ⇒ S1 = 2 F1 − 3FAy − FAx ,
1
− FAy + F1 + S2 = 0
mit cos(45°) =
1
2 . (1.5.6)
⇒ S 2 = 2 (FAy − F1 )
2
Der Cremona-Plan
Der CREMONA-Plan erlaubt es, die Stabkräfte in einem statisch
und kinematisch bestimmten idealen Fachwerk zeichnerisch zu
ermitteln. Die folgenden Regeln gilt es zu beherzigen:
• Zeichne einen Freischnitt des Fachwerks und berechne,
wenn möglich, die Lagerkräfte (zeichnerisch oder rechne-
risch).
Antonio Luigi Gaudenzio
• Nummeriere die Stäbe durch. Giuseppe CREMONA (1830
– 1903) wurde in der Lom-
• Identifiziere eventuell vorhandene Nullstäbe, kennzeichne bardei in Pavia geboren. Er
dieselben (etwa) durch eine Null im Freischnitt. wurde im Jahre 1860 Pro-
fessor an der Universität
• Lege für den Kräfteplan einen Maßstab sowie einen Um- von Bologna, um 1866 an
laufsinn um die Knoten fest (beides willkürlich). das Polytechnische Institut
in Mailand zu wechseln.
• Beginne an einem Knoten mit höchstens zwei unbekann- Dies waren seine wissen-
ten Stabkräften und zeichne für jeden Knoten das ge- schaftlich fruchtbaren Jah-
schlossene Kräftepolygon. Trage dabei die Kräfte wieder re. Als er 1877 an die Uni-
versität in Rom ging, holte
in der Reihenfolge an, die durch den Umlaufsinn gegeben ihn das Peterprinzip ein.
ist. Verwaltungsaufgaben nah-
men überhand und töteten
• Jede Stabkraft tritt zweimal auf (mit entgegengesetzter zunehmend seinen Geist,
Orientierung). Trage daher keine Pfeile in das Kräftepoly- was daran besonders deut-
gon ein, sondern kennzeichne die Stabkraft nur durch die lich wird, dass er 1879 die
entsprechende Stabnummer. Zeichne im Freischnitt (La- Mathematik völlig aufgab,
geplan) jedoch jeweils an den Knoten den Pfeil und an den um Erziehungsminister zu
werden und schließlich als
Gegenknoten den Gegenpfeil. Vom Knoten weg weisende Vizepräsident des italieni-
Kraftpfeile entsprechen Zugstäben und in den Knoten wei- schen Parlaments sein Ende
sende Kraftpfeile stehen für Druckstäbe. fristete.
FAx F
45o F
FAy a 4
S2
5
S1 2 3
a
F Ax
S4 1 F
a a FAy FBy
S2
S3
Abb. 1.5.12: a) Zum CREMONA-Plan.
F
1.6 Der biegesteife Träger
S5
1.6.1 Schnittgrößen – Begriffsbildung
S4
In diesem Abschnitt soll es um die inneren Kräfte in Balken-
tragwerken gehen. Gefühlsmäßig wird man sagen, dass diese ein
Maß für die Beanspruchung des Balkenmaterials sind, und es ist
S5 einleuchtend, festzustellen, dass ihre Kenntnis wichtig ist, wenn
FBy es darum geht, die Tragflächen eines Rahmens zu untersuchen
oder ein Tragwerk für vorgegebene Lasten richtig zu dimensio-
S3 nieren.
Der Einfachheit halber beschränken wir uns im Folgenden auf
S1 ebene Tragwerke, die durch Kräftegruppen in der Zeichenebene
belastet sind, so wie in der Abbildung 1.6.1 gezeigt. Die im Bal-
FBy F ken herrschenden inneren Kräfte werden an der uns interessie-
5 renden Stelle durch einen Schnitt senkrecht zur Schwerachse
FAx des Balkens sichtbar gemacht. An der Schnittstelle wirken dann
4 über die Querschnittsfläche verteilte innere Kräfte, genannt p :
2
3 Abbildung 1.6.1. Dieses System kontinuierlich verteilter Flä-
chenkräfte können wir nach den vorangegangenen Ausführun-
FAy1 gen durch eine Resultierende R sowie ein resultierendes Mo-
ment M ( S ) ersetzen. Als Bezugspunkt für diese Reduktion wäh-
len wir den Schwerpunkt S der betreffenden Querschnittsflä-
Abb. 1.5.12: b) Zum che. Im Folgenden wollen wir diese Wahl stillschweigend vor-
CREMONA-Plan. aussetzen und lassen den Index S am Momentensymbol M da-
her wieder weg.
Die Resultierende R zerlegen wir in zwei Komponenten. Die
erste wirkt in Richtung der Schwerachse (normal zur Schnitt-
ebene). Wir nennen sie N . Die andere, Q , wirkt in der Schnitt-
ebene, senkrecht zur Schwerachse. Wir sprechen auch von der
1.6.1 Schnittgrößen – Begriffsbildung 67
Schnitt
F1 M1
Schnitt
M (S )
N
S
Offenbar besteht der Balken nach dem Schnitt aus zwei Teilen, Abb. 1.6.1: b) Zur Defini-
an deren Schnittflächen jeweils N , Q und M anzubringen sind tion der Schnittgrößen.
und zwar so, dass beim Zusammenschluss beider Teile sich alle
Schnittgrößen gegeneinander aufheben. Dieses zeigt die Abbil-
dung 1.6.2. Zur Charakterisierung der Vorzeichen der Schnitt-
größen am linken wie am rechten Schnittufer führen wir, wie
gezeigt, ein rechtwinklig-kartesisches Koordinatensystem x , y ,
z ein (mathematisch positiv orientiert), dessen x -Richtung ent-
lang der Schwerachse weist. Am linken Schnittufer, das wie ge-
zeigt durch eine Flächennormale n charakterisiert ist, zeigt also
die x -Achse in Richtung dieser Flächennormale, am rechten
entgegengesetzt dazu. Die Vorzeichenfestlegung lautet nun:
M
y x n
N
z
Q
linkes Schnittufer
Q
M
n
N
rechtes Schnittufer
Abb. 1.6.2: Zur Bedeutung der Schnittufer.
68 1.6 Der biegesteife Träger
l F Az a1 FBz
a2
N (x )
Fnx
F2 x
FAx F1x
FAz F1z
Q(x) F2 z
Fnz
M (x )
FBz (l − a3 )
F Az a1
∑M B = 0: −lFAz − ∑ (l − ai )Fiz = 0
i =1
(1.6.2)
1⎡ n ⎤
⇒ FAz = ⎢∑ (l − ai )Fiz ⎥ ,
l ⎣ i =1 ⎦
n n
∑ Fx = 0 : FAx − ∑ Fix = 0 ⇒
i =1
FAx = ∑ Fix .
i =1
(1.6.3)
∑F = 0:
x FAx − ∑ Fix + N = 0 , (1.6.4)
∑F = 0:
z FAz − ∑ Fiz − Q = 0 , (1.6.5)
a b
l FAz x FBz
b
M = x F für 0 ≤ x ≤ a ,
l
(1.6.13)
⎛ x⎞
M = ⎜1 − ⎟aF für a ≤ x ≤ l .
⎝ l⎠
Die zeichnerische Darstellung dieser Ergebnisse ist in Abbil-
dung 1.6.4 im unteren Teil zu sehen.
Man muss jedoch die Gleichungen des letzten Abschnitts über-
haupt nicht parat haben, um schnell die Querkraft- bzw. die
Momentenfläche für dieses Problem zu zeichnen. Wenn man die
Auflagerkräfte kennt, so startet man einfach am linken bzw. am
rechten Balkenende und baut nach rechts bzw. nach links ge-
hend die jeweiligen Flächen auf. Beispielhaft sei dies für das
rechte Ende erläutert. Die Querkraft ist hier gleich dem negati-
ven Wert von FBz , da die Normale auf der rechten Seitenfläche
nach rechts zeigt und die Kraft FBz offenbar in negative Rich-
tung von z weist. Der Wert der Querkraft ändert sich so lange
nicht, bis die Stelle der Krafteinleitung erreicht ist. Die eingelei-
tete Kraft zeigt in positive z − Richtung und die Querkraftfläche
erfährt einen Sprung nach oben. Mit dem Moment ist es ähnlich:
Die Kraft FBz baut die Momentenfläche beim Wegschreiten
vom rechten Ende linear auf, und zwar bis zu der Stelle, wo die
Kraft F eingeleitet wird. Das Moment ist nach unserer Verein-
barung positiv (beachte die eingezeichnete strichlierte Hilfslinie)
und erreicht an der Stelle der Krafteinleitung den Wert abF l .
Danach wird das Moment wieder abgebaut, denn die Kraft F
resultiert in einem negativen Beitrag zur Momentenfläche (ge-
sehen vom rechten Ende), der linear abnimmt und schließlich
beim linken Ende den Wert − aF erreicht. Dort jedoch hat die
Kraft FBz das Moment aF geschaffen, sodass sich insgesamt
der Wert null ergibt.
l /2 l /2 M = 2 lF
FAz x
Q M lF 2
−
FAz = F M A = lF +
3lF 2
Abb. 1.6.5: b) Querkraft- und Momentenfläche des Kragträgers.
Bei der Konstruktion der Momentenfläche geht man sinnvoller-
weise vom rechten Balkenende aus. Die Kraft F staucht die un-
ter dem Balken gedachte strichlierte Hilfslinie und die entspre-
chend negative Momentenfläche baut sich von null kommend
linear bis auf den Minimalwert − lF 2 auf. Bei Überschreiten
der Balkenmitte wird plötzlich das in Bezug auf die Hilfslinie
positiv zu wertende Moment 2 Fl sichtbar. Mithin erfolgt ein
Sprung auf den positiven Wert 3lF 2 . Geht man weiter nach
links, so sammelt die am rechten Balkenende immer noch sicht-
bare Kraft F weiterhin Hebelarm an und baut damit immer wei-
ter Moment ab, eben nochmals um − lF 2 . Damit verbleibt am
linken Balkenende der Momentenwert lF , was nicht weiter
verwundert, denn schließlich ist der Kragträger dort ja einge-
spannt. Mit ähnlichen Argumenten gelingt es, die Momentenflä-
che auch von links kommend aufzuziehen.
dF = q( x )dx
q(x ) dF = q(x ) dx
Q
M
M + dM
Q + dQ
dx
x dx
∑F z = 0 : Q − q dx − (Q + dQ ) = 0
(1.6.15)
= − q ( x ),
dQ
⇒
dx
dx
∑M S = 0: −M − dxQ +
2
q dx + M + dM = 0
(1.6.16)
dM
⇒ = Q,
dx
Dieses sind zwei gewöhnliche Differenzialgleichungen erster
Ordnung für die Querkraftfläche und für die Momentenfläche.
Wir können die Differenzialgleichung für die Momentenfläche
nochmals nach x differenzieren und finden so unter Verwen-
dung der Differenzialgleichung für die Querkraft den folgenden
Zusammenhang:
d2M
= −q(x ) . (1.6.17)
dx 2
M (x = 0) = 0 , M (x = l ) = 0 . (1.6.20)
Abb. 1.6.7: Fall a).
Im zweiten Fall muss mit dem gleichen Argument wie eben die
Momentenfläche zwar an der rechten Balkenende verschwinden,
keineswegs jedoch am linken. Der Balken ist dort fest einge- q0
spannt. Dies entspricht, wie wir wissen, einer festen Einspan-
nung, also dreiwertigen Lagerung, und eine solche kann auch A
ein Moment aufnehmen. Am rechten Ende muss jedoch auch die x
l
Querkraftfläche verschwinden, denn schließlich gibt es keine
Auflagerkraft, und die konstante Streckenlast hat auch noch
nicht angefangen zu wirken. Also wird:
Q
Q(x = l ) = 0 , M (x = l ) = 0 . (1.6.21)
q0 l
Der dritte Fall schließlich führt mit ähnlichen Argumenten auf
folgende Randbedingungen:
Q(x = 0) = 0 , M (x = l ) = 0 . (1.6.22) M
− q0 l 2 2
Man bestimmt nun die Konstanten aus Gleichung (1.6.19) für
jeden Fall getrennt, indem man die Beziehungen (1.6.20) und
(1.6.21) einsetzt. Dies ergibt jeweils zwei Gleichungen für die
beiden unbekannten Integrationskonstanten, und die Endlösung Abb. 1.6.7: Fall b).
lautet im Fall a):
76 1.6 Der biegesteife Träger
1 ⎛ x⎞ 1 x⎛ x⎞
Q= q 0 l ⎜1 − 2 ⎟ , M = q 0 l 2 ⎜1 − ⎟ , (1.6.23)
2 ⎝ l⎠ 2 l⎝ l⎠
A B
im Fall b):
x
l ⎛ x⎞ 1 ⎛ x⎞
2
Q = q 0 l ⎜1 − ⎟ , M = − q 0 l 2 ⎜1 − ⎟ (1.6.24)
⎝ l⎠ 2 ⎝ l⎠
Q
und im Fall c):
1 2 ⎛⎜ ⎛ x ⎞ ⎞
2
⎟.
q0 l Q = − q0 x , M = 2 q0l ⎜1 − ⎜ l ⎟ ⎟
(1.6.25)
⎝ ⎝ ⎠ ⎠
M
Die entsprechenden Querkraft- und Momentenflächen sind in
Abbildung 1.6.7 skizziert. Man beachte die Struktur der quad-
ratischen Parabel, die sich für die Momentenverteilung in allen
drei Lagerungsfällen als Folge der Belastung mit einer konstan-
q0 l 2 2 ten Streckenlast ergibt.
A B
a b
l
F
M q0
A B
x1 x2
kubische
Parabel Abb. 1.6.8: Balken mit zwei Belastungsfunktionen.
Wegen der unstetigen Belastung teilen wir den Balken in zwei
Bereiche, genannt I vor der Kraft F und II nach der Kraft F .
1.6.2 Zur Berechnung von Schnittgrößen am geraden Balken 77
x2 x 22
II : q II ( x 2 ) = q 0 ⇒ QII = − q 0 + C3
b 2b (1.6.27)
x3
⇒ M II = −q 0 2 + C 3 x 2 + C 4 .
6b
Die vier Integrationskonstanten ergeben sich aus den vier nach-
stehenden Rand- und Übergangsbedingungen:
M I ( x1 = 0 ) = 0 , M II ( x 2 = b ) = 0 ,
QII ( x 2 = 0 ) = QI ( x1 = a ) − F , (1.6.28)
M II ( x 2 = 0) = M I ( x1 = a ) ,
denn es gibt ja keine freien Momente und daher sollte die Mo-
mentenfläche überall stetig sein. Insgesamt erhalten wir also vier
Gleichungen zur Bestimmung von vier Unbekannten und wir
finden als Lösung für die Querkräfte:
⎛1 ⎞b x 22 ⎛ 1 a ⎞b
Q I = ⎜ q 0 b + F ⎟ , Q II = − q 0 + ⎜ q0 b − F ⎟ (1.6.29)
⎝6 ⎠l 2b ⎝ 6 b ⎠l
und für die Momente:
⎛1 ⎞b
M I = ⎜ q 0 b + F ⎟ x1 ,
⎝6 ⎠l
(1.6.30)
x3 ⎛ 1 a ⎞b ⎛1 ⎞ ab
M II = − q 0 2 + ⎜ q 0 b − F ⎟ x 2 + ⎜ q 0 b + F ⎟ .
6b ⎝ 6 b ⎠l ⎝6 ⎠ l
q(x)
q0
A B
Q ⎛⎜⎝ x ⎞⎟⎠
q0 l π
M ⎛⎜⎝ x ⎞⎟⎠
q 0 (l π )
2
F1 = 10 kN M1 = 5 kN⋅ m
F2 = 20 kN
A
B
1m 1m 1m
FAx = 20 kN
FAz = 5 kN FBz = 5 kN
"+"
+20 kN
N (x) + d. h. Zug
+ 5 kN
Q (x ) −5 kN
M (x ) x
2m F = 12 kN
i 2 k −12 kN
3 1m
x
1,6 m 1 B
F Bz x
F Ax N (x )
A 9,6 kN
F Az − 9,6 kN
9,6 kN
−19,2 kN⋅ m
x x 0 kN ⋅ m
Q(x) M (x)
0 kN
−12 kN
α = 30° α = 30°
F = 300 N
F = 300N
1,5 m x
1,5 m
x A
F Ax 2m 1m
F Ay
FAx A
2m 1m MA
FAy MA 300 N 300 N
–150 N – 300 N ⋅ m
00 N 260 N 0N
–150 N –900N ⋅ m
0N
–300 N
N (x) 260 N
Q (x)
M (x)
300 N
-300 Nm
–300 N 260 N 0N –900 N ⋅ m
900 N
FN s=0
k ρ q N (s )
F FQ s=L
s ds
M Q
N
ϕ
dϕ
z
Q(s )
N (s ) M(s + ds) N (s + ds)
x ρ
M (s )
s
dϕ
dϕ / 2 Q(s + ds )
q N (s )ds
sin(ϕ
F F F FFsin( ϕ))
ϕ ϕ F F
F cos(ϕ )
h h k
Q(ϕ ) N(ϕ) M(ϕ)
ϕ kϕ R
R F −F
ψ F
ψ F cos(ψ ) 45 ° 45 ° FR
ψ −F −F −FR
ψ
F sin(ψ ) − 2F
1.7 Reibungsphänomene
1.7.1 Gleitreibung und Haftreibung
F F F Betrachte den auf ebener Fläche reibungsfrei gelagerten Körper
•
in Abbildung 1.7.1 oben. Wenn dieser Körper nicht in Bewe-
gung gesetzt werden soll (Fall des statischen Gleichgewichtes),
darf man offenbar nur Kräfte F anbringen, die exakt senkrecht
zur Lagerfuge stehen. Sobald die Kraft F eine Komponente in
horizontaler Richtung aufweist, also parallel zur Lagerfuge
zeigt, wird der Körper ins Rollen geraten, so klein diese Hori-
zontalkraft auch sein mag. Mithin ist der soeben diskutierte
α F Gleichgewichtszustand extrem instabil.
•
Im Allgemeinen ist jedoch zwischen zwei sich berührenden Flä-
chen Reibung vorhanden. Und diese Reibung kann dazu benutzt
werden, auch eine um den Winkel α geneigte Kraft (siehe Ab-
bildung 1.7.1 unten) im statischen Gleichgewicht zu halten, je-
denfalls solange man nicht einen kritischen Neigungswinkel ρ
Abb. 1.7.1: Zum Begriff überschreitet.
der Reibungsfuge. Dieses wollen wir nun näher untersuchen und insbesondere die
Wirkung der Reibung quantitativ erfassen. Dazu betrachten wir
einen unter seinem Eigengewicht stehenden Körper, den wir
nach links bewegen wollen, so wie in Abbildung 1.7.2 gezeigt.
Zunächst wird die Kraft F in zwei Komponenten zerlegt, eine
normal zur Unterseite des Klotzes (d. h. im mathematischen Sin-
ne senkrecht), genannt FG , und eine parallel zur Unterseite, ge-
F nannt FH . Die Indizes G bzw. H rühren von den Worten Ge-
FG wichtskraft bzw. Haltekraft her, denn der Körper wird ja mit
seinem Gewicht über seine Unterseite senkrecht auf die Erd-
oberfläche drücken, und die Haltekraft muss aufgebracht wer-
υ FW FH den, um die Haftung des Körpers gerade zu überwinden und ihn
FN in Bewegung zu setzen. Diese potenzielle Bewegung ist in Ab-
bildung 1.7.2 o. B. d. A. nach links angenommen und durch das
die Geschwindigkeit (englisch „velocity“) andeutende Pfeilsym-
bol υ hervorgehoben.
FN
FW In der Reibungsfuge selbst werden zwei Kräfte angesetzt: eine
sogenannte Normalkraft FN sowie eine Widerstandskraft FW
(die Haftreibungskraft). Man beachte, dass die Widerstands-
kraft stets der potenziellen Bewegung entgegengerichtet ist.
Abb. 1.7.2: Freischnitt Sie zu überwinden ist notwendig, um den Körper zu bewegen.
in der Reibungsfuge. Dieses Mal darf man sich beim Freischnitt, also beim Einzeich-
nen des Kraftpfeils, nicht irren, sonst wird es zu Fehlern in der
1.7.1 Gleitreibung und Haftreibung 91
Kontakt μ μG
FW FN
FG
Abb. 1.7.3: Zur Lokalität des Reibungsproblems.
Der letzte Satz sei nochmals an einem Beispiel illustriert. Eine
Walze wird mit einer Umfangsgeschwindigkeit υ einen Berg
hinaufgerollt (Abb. 1.7.3). Der Geschwindigkeitstrend geht al-
1.7.2 Reibung an der schiefen Ebene 93
y
x
FH
FN
FH
FN
α FH
α FG FG FG α
ρ
α FN
FG FN α FG FN
FR
∑F x = 0 : FH − FG sin (α ) − FW = 0 , (1.7.6)
∑F y = 0 : FN − FG cos(α ) = 0 .
1.7.2 Reibung an der schiefen Ebene 95
Diese Lösung sieht auf den ersten Blick ein wenig anders aus als
das in der zuvor abgeleiteten Gleichung (1.7.7) notierte Ergeb-
nis. Das ist aber nur scheinbar, denn man rechnet nach, dass gilt:
FH = FG [sin (α ) + μ cos(α )] = FG [sin (α ) + tan (ρ )cos(α )] = (1.7.9)
F Ay
FAx I
l a ρ F
A ρ
F
FN FW
h
FW FN
μ
r II
B F Bx
FG FBy
FG
1 l + μh
F= FG . (1.7.16)
μ l+a
Mithin ist stets eine Bremskraft F erforderlich. Selbstsperrung
ist bei diesem System nicht möglich.
FN
F Ay FW
FAx I
F υ
α α
FBx FBy
FW
FN FG
F
Abb. 1.7.10: Freischnitt am PRONYschen Zaum bei Umhängung
des Gewichtes auf die rechte Seite.
Schraube
Betrachte die in Abbildung 1.7.11 dargestellte Situation. Eine
Schraube wird unter Wirkung eines Momentes M d nach rechts
in ein Gewinde hineingedreht. Dabei wirken längs der Schrau-
benflanken (gewellte Linien in Abbildung 1.7.11) Reibungskräf-
te. Außerdem gilt es, eine äußere Kraft F zu überwinden. Diese
Kraft kann man sich z. B. wie folgt zustande gekommen denken:
Eine Person sitzt auf einem drehbaren Klavierhocker (Abbil-
dung 1.7.11 rechts).
Wir wollen studieren, unter welchen Bedingungen statisches
Gleichgewicht garantiert ist. Dazu wickeln wir zunächst die
Schraubenlinie in der Ebene wie gezeichnet ab. Es entsteht eine
Gerade, die wir durch die Ganghöhe h und die Basislänge 2 π r
bzw. kurz und effektiv durch den Schraubenwinkel α charakte-
risieren wollen. Es gilt offenbar:
h
tan (α ) = . (1.7.17)
2πr
Dabei ist r der Schraubenradius. Auf der Schraubenfläche be-
trachten wir, wie gezeichnet, ein kleines Element. Dieses unter-
liegt einem Normalkraftbeitrag dFN sowie einem der Bewegung
entgegengesetzten (also nach links weisenden) Reibungskraft-
beitrag dFW . Beide Größen sind durch das COULOMBsche Rei-
bungsgesetz miteinander verknüpft:
dFW = μ dFN . (1.7.18)
Um die Gleichgewichtsbedingungen zu finden, müssen wir die-
se differenziellen Größen über die gesamte Schraubenlänge
1.7.3 Spezielle Anwendungen des Reibungsphänomens 99
x α h
2π r
h
dFW
Md α
υ
Md r dFN sin(α ) d FN
dFW cos(α) α
Abb. 1.7.11: Zum Reibungsphänomen bei Schrauben.
Dabei wurde das COULOMBsche Reibungsgesetz verwendet. Die
zweite Gleichung benutzen wir, um bei bekannter eingeprägter
Kraft F sowie bekanntem Schraubenwinkel α und Reibungs-
koeffizienten μ die totale Normalkraft FN zu ermitteln:
F
FN = . (1.7.24)
cos(α ) − μ sin (α )
100 1.7 Reibungsphänomene
Abb. 1.7.12: Zum Ein- Dabei ist das erste Gleichheitszeichen eine Folge der Geometrie
fluss des Reibungswin- (siehe Abbildung 1.7.12), das zweite hingegen eine Folge des
kels bei der Schraube COULOMBschen Reibungsgesetzes. Offenbar gelingt es FR , der
(Drehung nach rechts). eingeprägten Kraft F gerade dann das Gleichgewicht zu halten,
falls:
F cos(ρ )
= cos (α + ρ ) ⇒ FN = F. (1.7.28)
FR cos (α + ρ )
Dieses Ergebnis erscheint auf den ersten Blick anders als das
aus Gleichung (1.7.24). Man denke jedoch an das folgende Ad-
ditionstheorem:
cos(α ± ρ ) = cos( α ) cos( ρ ) m sin (α ) sin ( ρ ) , (1.7.29)
mit dem es gelingt, die Äquivalenz beider Gleichungen zu zei-
gen:
1.7.3 Spezielle Anwendungen des Reibungsphänomens 101
cos(ρ ) cos(ρ )F
FN = F=
cos (α + ρ ) cos α cos( ρ ) − sin (α ) sin (ρ )
F F (1.7.30)
= =
sin ( α ) sin (ρ )
cos(α ) − sin (ρ ) cos(α ) − sin ( α )
cos(ρ ) cos(ρ )
F F
= = .
cos( α ) − tan ( ρ ) sin ( α ) cos( α ) − μ sin (α )
Schließlich sei bemerkt, dass es gelingt, auch das Ergebnis für
das Moment (1.7.25) mithilfe des Reibungswinkels ρ in eine
handliche Form umzuschreiben. Hierbei ist das folgende Additi-
onstheorem nützlich:
tan (ρ ) ± tan ( α )
tan (ρ ± α ) = . (1.7.31)
1 m tan ( ρ ) tan (α )
Md
Beachtet man nun wieder die Beziehung (1.7.27), so wird aus dFW cos(α )
Gleichung (1.7.25) nach kurzer Rechnung:
sin (α ) + μ cos(α )
Md = r
cos(α ) − μ sin (α )
F dFN sin(α )
sin (α )
+ tan (ρ ) (1.7.32)
cos(α )
=r F = r tan (ρ + α )F . F
sin (α )
1 − tan (ρ )
cos(α ) υ
FN
Wir wollen uns nun dem Fall zuwenden, dass die Schraube her- α
FW
ausgedreht wird: Abbildung 1.7.13. FR
α
In diesem Fall ändern sich die Gleichgewichtsbedingungen um ρ
in:
∑ Fz = 0 : −F + ∫ cos(α ) dFN + ∫ sin (α ) dFW = 0 (1.7.33)
Abb. 1.7.13: Zum Ein-
und: fluss des Reibungswin-
kels bei der Schraube
∑ M 0 = 0 : −M d − r ∫ sin (α ) dFN + r ∫ cos(α ) dFW = 0, (1.7.34) (Drehung nach links).
denn sowohl das angreifende Moment wie die Reibungswider-
standskraft FW (der Bewegung entgegengesetzt) ändern ihr Vor-
zeichen. Man erhält:
F F
FN = =
cos(α ) + μ sin (α ) cos(α ) + sin (ρ ) sin (α )
cos(ρ ) (1.7.35)
F cos(ρ )
= ,
cos(ρ − α )
102 1.7 Reibungsphänomene
sin (α )
tan (ρ ) −
− sin (α ) + μ cos(α ) cos(α )
Md = r F =r F
cos(α ) + μ sin (α ) sin (α ) (1.7.36)
1 + tan (ρ )
cos(α )
= r tan (ρ − α )F .
Dabei wurde wieder von den Additionstheoremen (1.7.29) und
(1.7.31) sowie der Definition des Reibungswinkels ρ Gebrauch
gemacht. Die dazugehörige zeichnerische Interpretation und Lö-
sung ist in Abbildung 1.7.13 unten zu sehen. Man erkennt aus
der Lösung außerdem, dass im Fall ρ = α das zur Aufrechter-
haltung des Gleichgewichtes nötige Drehmoment trotz wirken-
der Kraft gerade verschwindet. Die Interpretation ist die, dass
das System für diesen und kleinere Schraubenwinkel, also
α ≤ ρ , selbstsperrend ist. Man kann auch so sagen: Es ist dann
erlaubt, nach links anzuziehen, ohne dass die Kraft F in der
Lage ist, die Schraube herauszudrücken.
Umschlingungsreibung
μ
dα dFW
αL d α /2 dFN d α /2
αH
SH S
dα
S + dS
R
SL
SH < S L
Seilbremse
Eine Anwendung der EULER-EYTELWEINschen Gleichung ist in
Abbildung 1.7.16 zu sehen. Um eine mit dem Drehmoment M
nach links oder nach rechts anfahrende Walze zu halten, wird sie
mit einem Riemen (Haftreibungskoeffizient) umgeben und mit
einer Bremsvorrichtung, wie gezeichnet, verbunden. Gesucht ist
die Bremskraft F für beide Drehrichtungen. Wir schneiden frei
wie gezeichnet. Um die Auflagerkräfte nicht als Unbekannte in
die Gleichungen hineinzubringen und die Bremskraft direkt zu
ermitteln, wird im Teilsystem Walze das Momentengleichge-
wicht um den Punkt A sowie im Teilsystem Bremsstab das
Momentengleichgewicht um den Punkt B ausgewertet. Man er-
hält bei Drehung nach links:
∑M ( A)
= 0: M + S 2 r − S1 r = 0 , (1.7.44)
r
A
M
F
B
0,5r 1,5r 2r
μ
S2 S1 F
M
A B
FAx FAy
FBx
FBy
S2 S1
Reibung am Keil
FG
F FG
FW FN FN
β β
y 2β
2β x
∑ Fy = 0 : 2 FN sin (β ) − FG = 0
1 (1.7.53)
⇒ FN = FG ,
2 sin (β )
F
∑ Fz = 0 : 2 FW − F = 0 ⇒ FW =
2
.
2.1.2 Beanspruchungsarten
Die Beanspruchung eines Balkenquerschnitts infolge der
Schnittkräfte und der Schnittmomente ist aus der statischen Be-
rechnung bekannt (siehe Kapitel 1.6). Wir unterscheiden die
nachstehend genannten Grundbelastungsfälle:
a) Normalkraftbelastung (vgl. Abbildung 2.1.1): Hier
greift die Kraft in der Schwerachse an und besitzt ledig-
lich Komponenten in Richtung der Schwerachse. Je
nachdem, ob der Kraftvektor in die Querschnittsfläche
hinein- oder aus ihr herauszeigt, unterscheiden wir zwi-
schen Druck- und Zugbelastungsfällen.
F F Druckkraft
Zugkraft
M M
FQ
Querkraftsbiegung
Die Einheit der Spannung ist somit N/m 2 , die man auch als
1 Pa (Pascal) bezeichnet. Technisch relevante Spannungen sind
im Allgemeinen wesentlich größer als 1 Pa , man benötigt MPa
(Megapascal = 10 6 Pa ) oder sogar GPa (Gigapascal = 10 9 Pa ),
um technischen Spannungen gerecht zu werden. In der techni-
schen Literatur Deutschlands wird auch gern die Einheit
1 N/mm 2 = 1 MPa verwendet. Zur vollständigen Charakterisie-
rung von Spannungen ist weiterhin die Richtung wichtig, unter
der die Kraft auf die Fläche wirkt. Offenbar gilt es hier, zwei
verschiedene Fälle zu unterscheiden:
a) Die Kraft greift senkrecht auf der Schnittfläche an, wie in
der Abbildung 2.1.5 gezeichnet. Hierbei handelt es sich
um eine reine Normalbelastung, eben durch eine Normal-
kraft ΔF , die als Zug- oder Druckkraft (so ist es gezeich-
net) wirken kann. Berechnet man nun die zugehörige
Spannung gemäß obiger Gleichung, so erhält man konse-
quenterweise eine Normalspannung, die wir mit dem
Symbol σ bezeichnen. Je nach Richtung der Normalkraft
lässt sich noch zwischen Zug- bzw. Druckspannungen un-
terscheiden. Druckspannungen wollen wir per Definition
durch ein negatives Vorzeichen kennzeichnen, Zugspan-
nungen durch ein positives. Wir schreiben:
ΔF
σ= . (2.1.2)
ΔA
ΔA
≅
ΔF σ
Abb. 2.1.5: Zum Begriff der Normalspannung.
b) Die Kraft greift parallel zur Schnittfläche an, wie in der
Abbildung 2.1.6 dargestellt. Es handelt sich also um eine
reine Querkraftbelastung ΔFQ , und wir sprechen von ei-
ner aus ihr resultierenden Schubspannung, die wir mit
dem Symbol τ bezeichnen. Man erhält:
ΔFQ
τ= . (2.1.3)
ΔA
2.2.1 Zug- und Druckspannung in Bauteilen 113
ΔA
≅
τ
Δ FQ
σ
Abb. 2.1.7: Zum Begriff der Biegespannung.
σ
F F
A
Spannungsfluss
Querschnitt A
Spannungsfluss
F F
A1 A2
Kerb
σ max σ max
F F
Loch
σ σ
r0 r(x) 2r0
F x F
π r ⎜1 +
0
2
⎟
⎝ l⎠
Man erkennt, dass die Spannung am linken Ende viermal so
groß wie am rechten Ende ist.
116 2.2 Zug- und Druckbeanspruchung
σ 0 ( A + dA) x
2.2.4 Die Längenänderung des Zug- oder Mit dem Namen des Ge-
Druckstabes lehrten Thomas YOUNG
(1773 – 1829) wird im an-
A gelsächsischen Raum gerne
der Elastizitätsmodul be-
F F zeichnet. Gerechterweise
muss man sagen, dass bei
dieser Gepflogenheit der
Patriotismus eine nicht un-
l Δl erhebliche Rolle spielt,
denn hundert Jahre vor
Abb. 2.2.6: Zur Längenänderung eines unter YOUNG verwendete der
Zug stehenden Stabes. Schweizer EULER bei sei-
nen Studien zur Biegelinie
Wie in der Abbildung 2.2.6 erkenntlich, verlängert (verkürzt) eine derartige materialspe-
sich ein mit der Kraft F belasteter Zugstab (Druckstab) um den zifische Größe. Nichtsdes-
toweniger ist es kurzweilig
Betrag Δl . Wir definieren die sogenannte Dehnung (genauer zu hören, wie YOUNG den
Axialdehnung) ε als eine auf die Ausgangslänge l des Stabes Elastizitätsmodul einführt.
bezogene Verlängerung: Er sagt: „Der Modulus der
Elastizität irgendeiner Sub-
Δl stanz ist die Säule dieser
ε= . (2.2.8)
l selben Substanz, die an ih-
rer Basis einen Druck er-
Die Dehnung ist also eine dimensionslose Größe. Die Erfahrung zeugt, der sich bezüglich
lehrt, dass bei vorgegebener Kraft die Verlängerung bei unter- des Gewichts, das einen be-
schiedlichen Materialien unterschiedlich stark ausfällt. Und stimmten Grad an Kom-
pression verursacht, verhält
zwar wird ein sehr steifes Material (Stahl) im Gegensatz zu ei- wie die Länge der Substanz
nem sehr weichen Material (Gummi) bei gleicher Kraft eine viel zur Verlängerung ihrer
geringere Verlängerung erfahren, was nach obiger Gleichung Länge.“ Der Mechaniker
einer viel geringeren Dehnung entspricht. und Werkstoffwissenschaft-
ler J. E. GORDON bemerkt
Die Steifigkeit eines Materials kennzeichnet man physikalisch sarkastisch in seinem bei
durch den sogenannten Elastizitätsmodul E . Man ermittelt Spektrum der Wissenschaft
denselben aus Zugversuchen. Dies sei exemplarisch am Beispiel erschienenen Buch „Struk-
des Baustahls St 37 vorgeführt. Im Prinzip fertigt man sich zu- turen unter Stress“ zu dieser
„bemerkenswerten“ Defini-
nächst einen Probestab aus dem interessierenden Material (hier tion: „Verständlicherweise
St37), wie in der Abbildung 2.2.7 gezeigt. Man misst seinen konnten sich nur wenige
Querschnitt A (vor der Belastung) und setzt ihn danach in einer Leute vorstellen, was das
Universalprüfmaschine einer Zugbelastung durch die Kraft F wohl heißen mochte ─ falls
es überhaupt etwas hieß.“
aus, die stetig ansteigt. Im Versuch misst man nun die zu der
118 2.2 Zug- und Druckbeanspruchung
σ
σB = 370MPa
A
F F σ F = 240 MPa
σ P = 190 MPa
σ zul = 140 MPa
l
α tan (α ) = E ε
Abb. 2.2.7: Spannungs-Dehnungs-Kurve von St37.
Es sei angemerkt, dass bei Entlastung des Materials aus dem
plastischen Bereich heraus seine Dehnung nicht wieder auf null
zurückgeht, es verbleibt eine Restdehnung aufgrund der plasti-
scher Verformung. Schließlich kommt der Punkt, bei dem das
Material bricht, die Bruchspannung σ B . In manchen Span-
nungs-Dehnungs-Schaubildern beruht das nicht monotone
Wachstum der Spannungs-Dehnungs-Kurve übrigens auf der
2.2.4 Die Längenänderung des Zug- oder Druckstabes 119
wickelt die Idee, dass die in der Größenordnung von 1 ‰, d. h., die eingangs gemachte
Schwingungen der Saite Voraussetzung, dass die Verlängerung klein gegen die Aus-
durch das Zupfen der Här- gangslänge ist, ist mit Sicherheit erfüllt.
chen des Bogens hervorge-
rufen werden. Ihm entgeht Neben der Längenänderung durch mechanische Belastung des
es jedoch vollständig, zu Stabes ist es auch möglich, den Stab durch Erwärmung zu ver-
realisieren, dass die Wel-
längern (oder durch Abkühlung zu verkürzen). Die dazugehöri-
lenausbreitung längs der
Saite nicht instantan erfolgt, ge Dehnung ist proportional zur aufgeprägten Temperaturände-
ein Fakt, der später von rung ΔT . Man schreibt:
dem Physiker Herrmann
VON HELMHOLTZ klar er- ε T = α T ΔT (2.2.13)
kannt wurde. DUHAMELs in
der Wärmelehre angewand- und nennt den positiven Proportionalitätskoeffizienten α T den
te Methoden waren mathe- thermischen Ausdehnungskoeffizienten des betreffenden Ma-
matisch ähnlich denen, die terials. Für Stahl beträgt er 12 ⋅ 10 −6 1/K und für Aluminium ist
der Physiker FRESNEL in
der Optik verwandte. Wei- er 23 ⋅ 10 −6 1 / K . Die Temperaturänderung ΔT kann positiv (Er-
terhin basierte DUHAMELs wärmung) oder negativ (Abkühlung) sein, was jeweils zu einer
Theorie der Wärmeleitung positiven bzw. negativen Dehnung führt. Wirkt sowohl eine me-
in Kristallen auf den Arbei-
chanische Spannung als auch eine Temperaturänderung, so er-
ten von FOURIER und POIS-
SON.
gibt sich die Gesamtdehnung des Materials durch Superposition
des mechanischen und des thermischen Dehnungsanteils:
σ
ε= + α T ΔT , (2.2.14)
E
was man auch in folgender Form schreiben kann:
σ = E (ε − α T ΔT ) . (2.2.15)
Dieses um thermische Dehnungen erweiterte HOOKEsche Gesetz
Franz Ernst NEUMANN
bezeichnet man auch als DUHAMEL-NEUMANN-Beziehung. Be-
wurde am 11. September
1798 in Joachimsthal, Bran- hindert man die thermische Ausdehnung etwa dadurch, dass
denburg geboren (nun Ja- man den Stab durch Zwingen auf einer festen Länge hält, so er-
chymov) und starb am 23. geben sich, wie man der obigen Beziehung ansieht, aufgrund des
Mai 1895 in Königsberg bei technischen Materialien wie z. B. Stahl hohen Wertes von E
(nun Kaliningrad). Die NA-
sofort starke Thermospannungen.
POLEONischen Kriege
machten das Leben in
Deutschland nicht gerade
leicht, und es überrascht
2.2.5 Die Querdehnung des Zug- oder
daher nicht zu hören, dass Druckstabes
NEUMANNs Kindheit von
großen Leiden und Armut
geprägt war. Trotz gerings- F d1 d F
ter finanzieller Mittel
schafft er es jedoch, die
Volksschule in Joachims-
thal zu besuchen, und geht l Δl
später an das Werdersche
Gymnasium in Berlin.
Preußen wurde im Jahre Abb. 2.2.8: Zur Querkontraktion eines unter
Zug stehenden Stabes.
2.2.6 Verformung statisch bestimmter Stabsysteme 121
Betrachte wieder den unter äußerer Last F stehenden Stab der 1813 von der französischen
Länge l . Selbstverständlich wird er sich nicht nur verlängern, Armee befreit, und wie es
sondern auch in Querrichtung verkürzen. Man spricht von der in jenen Tagen üblich war,
entschied der junge NEU-
sogenannten Querkontraktion: Abbildung 2.2.8. Die Änderung MANN sich, als Freiwilliger
der Breite des Stabes pro Stabbreite, auch als Querdehnung ε q zu den deutschen Truppen
bekannt, ist gegeben durch: zu melden. Da er jedoch
noch zu jung war, wurde
Δd Δl ihm nicht sofort erlaubt
εq = = −ν , Δd = d1 − d < 0 oder ε q = −νε . (2.2.16) beizutreten, und man wies
d l ihn zurück. In der Tat
Dabei haben wir die sogenannte Querdehnungszahl ν (auch musste er bis zum Jahre
1815 warten, als das Militär
POISSONsche Zahl genannt) definiert, einen dimensionslosen in seiner unendlichen Güte
Kennwert. Er liegt typischerweise um den Wert 0,3 (Stahl). Für und Weisheit es ihm erlaub-
nahezu inkompressible, also volumenerhaltende Werkstoffe te, sich Marschall BLÜ-
CHERs Sturmtruppen anzu-
steigt er bis maximal auf den Wert 0,5 . Dieses sieht man wie
schließen. Und in der Tat,
folgt ein. Nehmen wir einen kreisförmigen Stab vom Durchmes- Franzens schönste Träume
ser d bzw. d + Δd und der Länge l bzw. l + Δl . Dann gilt für wurden wahr, als er end-
sein Volumen vor und nach der Belastung: lich, schwerstverwundet für
tot geglaubt, am 16. Juli
2 2 1815 auf dem Schlachtfeld
⎛d ⎞ ⎛ d + Δd ⎞
V = π⎜ ⎟ l , V′ = π⎜ ⎟ (l + Δl ) . (2.2.17) von Ligny zurückgelassen
⎝2⎠ ⎝ 2 ⎠ wird. Nachdem man ihn
schließlich doch noch le-
Für inkompressible Werkstoffe: bend wiederfindet und ins
Lazarett bringt, dauert es
Δd 1 Δl
V = V ′ ⇒ εq = =− , (2.2.18) mehrere Monate bis zu sei-
d 2 l ner Genesung. Weniger
couragierte Leute hätten
wenn man lediglich lineare Terme in Δd und Δl berücksichtigt. nun wohl aufgegeben. Aber
Ein Vergleich mit der Gleichung (2.2.16) beschließt den Beweis. nicht so Franz Ernst NEU-
MANN! Dank seines deut-
schen Kampfgeistes ent-
2.2.6 Verformung statisch bestimmter scheidet er sich unmittelbar
Stabsysteme danach, an der Belagerung
von Givet teilzunehmen,
wo er verbleibt, bis die Bel-
l1, E1, A1 le Alliance NAPOLEON
schließlich erfolgreich von
α den Vorzügen der Al-
γ tersteilzeit auf St. Helena
überzeugt hat. Im Jahre
1816 kehrt NEUMANN nach
Berlin zurück und beginnt,
β l2 , E2 , A2 durch seine militärische Er-
F fahrung vorzüglich vorbe-
reitet, an seiner akademi-
schen Karriere zu arbeiten.
Er vollendet 1817 das
Abb. 2.2.9: Längenänderung in statisch bestimmten Gymnasium und geht auf
Stabsystemen. die Berliner Universität, um
Theologie, die Rechte und
Naturwissenschaften zu stu-
122 2.2 Zug- und Druckbeanspruchung
dieren. Besonders interes- Als ein wichtiger Anwendungsfall unserer Gleichung für die-
siert er sich für Mineralogie Verformung sowie die Längenänderung eines linear-elastischen
und wird 1820 der Assistent Systems soll in diesem Abschnitt die Längenänderung in sta-
des Mineralogen E. C.
WEISS. Als Ergebnis dieser
tisch bestimmten Stabsystemen besprochen werden. Wir be-
Zusammenarbeit publiziert trachten die in Abbildung 2.2.9 dargestellte, uns bereits aus Ab-
er ein Buch über Kristall- schnitt 1.2.5 bekannte Situation zweier miteinander verbundener
strukturen und promoviert Stäbe unter der Wirkung einer äußeren Kraft F . Damals inte-
im Jahre 1826. Im selben ressierten die Stabkräfte, nun soll die Verlängerung bzw. Ver-
Jahr wird er Dozent für Mi-
neralogie in Königsberg,
kürzung der Stäbe untersucht werden. Wir wollen annehmen,
wo er den berühmten Ast- dass die Elastizitätsmoduln, die Längen und die Querschnitte der
ronomen BESSEL und den Stäbe bekannt sind: E1 , E 2 , l1 , l 2 , A1 , A2 , und fragen nun nach
Mathematiker JACOBY der Längenänderungen der Stäbe unter der Wirkung der Kraft
trifft. Nun avanciert er
schnell. Er wird Assistenz- F . Offenbar müssen wir die im jeweiligen Stab wirkenden
professor im Jahre 1828 Druck- oder Zugkraft kennen, um die Verlängerungen Δl1 und
und 1829 schließlich Ordi- Δl 2 zu bestimmen. Wir berechnen die Stabkräfte wie vormals
narius. 1831 formuliert er
ein Gesetz zur Molekular- aus dem Kräfteplan (Sinussatz) und erhalten:
theorie der Wärme und
sin (β ) sin (α )
publiziert seine Vorstellun- S1 = F , S2 = − F. (2.2.19)
gen zur elektrischen Induk- sin (γ ) sin (γ )
tion in den Jahren 1845
bzw. 1847. Auf die weitere Dabei haben wir berücksichtigt, dass es sich beim Stab 2 um
Entwicklung der Naturwis- einen Druckstab handelt (Minuszeichen). Wir erinnern uns,
senschaften in Deutschland dass für die Verlängerung von Stäben bei bekanntem Quer-
nimmt er starken Einfluss.
So waren die später be-
schnitt und Elastizitätsmodul die Gleichung (2.2.12) gilt, also
rühmten Physiker KIRCH- auf den hier vorliegenden Fall übertragen:
HOFF, CLEBSCH und VOIGT
S1l1 Sl
NEUMANNS Doktoranden. Δl1 = , Δl2 = 2 2 . (2.2.20)
E1 A1 E2 A2
Der Stab 2 wird kürzer (Druckstab), der Stab 1 dagegen länger
(Zugstab).
l1 + Δl1
l1
l2 l2
α α
l2 + Δ l2 l2 + Δl2
A
Δl1 α − Δα
A
F F F
Abb. 2.2.10: Längenänderung und Kraftaufteilung in statisch
unbestimmten Stabsystemen.
2.2.7 Statisch unbestimmte Stabsysteme 123
F F cos2 (α )
S1 = , S2 = . (2.2.24)
1 + 2( A2 A1 ) cos3 (α ) A1 / A2 + 2 cos3 (α )
Es ist interessant zu untersuchen, was in den Grenzfällen α = 0
und α = π 2 geschieht. Der erste Fall führt nach Gleichung
(2.2.22) auf:
F F
Gabriel LAMÉ (1795 – S1 = , S2 = , (2.2.25)
1870) tritt 1813 der École 3 3
Polytechnique in Paris bei,
um 1817 von dort zu gradu- wenn man noch annimmt, dass die Querschnittsflächen aller
ieren. Es folgen weitere Stäbe gleich sind. Mithin teilen sich alle drei Stäbe die Last
Lehrjahre an der berühmten gleichmäßig auf, was sofort einleuchtet. Im zweiten Fall hinge-
École des Mines, die er gen folgt:
1820 mit einem weiteren
Abschluss beendet. Auch S1 = F , S 2 = 0 , (2.2.26)
damals war es üblich, tech-
nische Entwicklungshilfe unabhängig von der Querschnittswahl, was ebenfalls klar ist, da
zu leisten, und so geht LA- nunmehr nur noch Stab Nummer 1 zum Halten bereitsteht.
MÉ 1820 nach Russland, um
in St. Petersburg Direktor
der Hochschule für Ver- 2.2.8 Behinderte Wärmeausdehnung
kehrswegeingenieure zu
werden. Er lehrt im Bauin- Wir betrachten den in Abbildung 2.2.11 dargestellten, zwischen
genieurwesen, aber er prak- zwei starren Wänden eingespannten Stab, den wir um ein Tem-
tiziert auch seine Kenntnis-
se und hilft den Russen,
peraturintervall ΔT erwärmen. Der Stab möchte länger werden,
Straßen und Brücken zu die Wände behindern ihn jedoch in seiner Ausdehnung, und es
bauen. Im Jahre 1832 kehrt werden im Stabinneren Wärmespannungen, im vorliegenden
er nach Paris zurück, grün- Fall Wärmedruckspannungen, entstehen. Diese wollen wir be-
det zunächst ein Ingenieur- rechnen. Wir erinnern, dass ein frei stehender, um das Intervall
büro und übernimmt end-
lich den Lehrstuhl für Phy-
ΔT erwärmter Stab eine Längenänderung erfährt (siehe Glei-
sik an seiner ersten Alma chung (2.2.13)):
Mater. Trotzdem bleibt er
aktiv und betätigt sich au-
ΔlT = lαΔT . (2.2.27)
ßerhalb der Academia als Eine Druckkraft F auf seiner Oberfläche A erzeugt hingegen
Berater und Chefingenieur
für Fragen des Bergbaus eine Verkürzung des Stabes:
und der Eisenbahn. Seine lF
wissenschaftlichen Arbeiten Δlσ = − . (2.2.28)
bezeugen eine große Liebe EA
für angewandte Mathema-
tik, er beschäftigt sich aber
Lassen wir den Stab sich also erst frei ausdehnen und drücken
auch mit Abstraktem, etwa wir ihn dann mit der Kraft F wieder zurück in seine Ursprungs-
der Zahlentheorie. So be- lage, so ist die effektive Verformung gleich null:
weist er FERMATS letztes
Theorem für den Fall n=5. lF
ΔlT + Δlσ = 0 ⇒ lαΔT = , (2.2.29)
Nach der Meinung von Carl EA
Friedrich GAUSS ist LAMÉ
der bedeutendste Mathema- und man erhält hieraus die gesuchte Kraft bzw. Stabspannung
tiker seiner Zeit. Seine zu:
französischen Zeitgenossen
F = EAαΔT ⇒ σ = EαΔT . (2.2.30)
2.3.2 Verformung infolge Schublast 125
Formal hätten wir dies auch aus der Gleichung (2.2.15) sehen denken jedoch anders. Die
können, in der wir einfach die totale Verzerrung ε gleich Null mathematische Gilde emp-
setzen müssen, denn diese muss in unserem Beispiel gerade ver- findet ihn als allzu prak-
tisch und für die Naturwis-
schwinden. senschaftler besitzt er ein
A, E , α, Δ T
A, E,α, ΔT zu theoretisches Flair. Wir
dürfen ihn daher als einen
wirklich großen, originellen
Denker ansehen.
ΔlT
Δlσ
τ = μγ . (2.3.2)
Diese Beziehung ist analog zum HOOKEschen Gesetz des Zug-
stabes, Gleichung (2.2.9), zu verstehen. Man nennt μ den
Schub- oder Schermodul oder auch zweite LAMÉsche Kon-
stante. In der technischen Literatur wird er auch oft mit dem
Symbol G bezeichnet. Er ist im Prinzip eine aus dem Experi-
F ment für jeden Werkstoff gesondert zu bestimmende Größe,
denn er kennzeichnet ja den Widerstand des betreffenden Mate-
rials gegenüber Scherverformung. In der Tat ist es jedoch so,
γ dass eine Messung des Schermoduls nicht nötig ist, wenn man
A bereits den Elastizitätsmodul E sowie die POISSON-Zahl ν des
betreffenden isotropen Materials kennt, denn es gilt folgender
nützlicher Zusammenhang:
Abb. 2.3.2: Verformung
unter Schub. E
G= . (2.3.3)
2(1 + ν )
Druck
M Schwerachse M M M
S
Zug
Abb. 2.4.1: Zur querkraftfreien Biegung eines Balkens durch an
seinen Stirnflächen angreifende Momente.
Wir wollen die querkraftfreie, sogenannte „reine“ Biegung un-
tersuchen, die durch Anbringen zweier Biegemomente an den
Balkenenden entsteht (Abbildung 2.4.1), und suchen im Folgen-
den die Spannungen zu berechnen, die dadurch in einem belie-
bigen Querschnitt des Balkens resultieren. Um diese Spannun-
gen zu berechnen, wollen wir folgende Voraussetzungen treffen:
• Die Schwerachse des Balkens sei gerade.
• Die Dimensionen der Querschnitte sind klein im Ver-
gleich zur Balkenlänge.
• Die Querschnitte bleiben bei der Biegung eben und
senkrecht zur Balkenachse.
• Die Verformungen sind klein gegenüber den Abmes-
sungen.
2.4.1 Biegespannungsformel 127
A B
ε (z ) = 0 σ ( z) = 0 y y
M M S
neutrale
+
eu
+
Faser
εu σu
Dehnung unten unten
Streckung Zug z z
Abb. 2.4.3: Zur Herleitung der Biegespannungsformel.
Bei der reinen Biegung wirkt im Querschnitt keine resultierende
Normalkraft. Daher haben wir zu schreiben (der Index x be-
zieht sich auf die Richtung der Balkenachse):
eo
∑F x = 0: ∫ σ dA = 0 . (2.4.1)
eu
128 2.4 Biegebeanspruchung des Balkens
lich wie sein Kollege HAL- der Doppelintegration auf die Ermittlung eines einzelnen Integ-
LEY war HOOKE auch Ephe- rals zurückzuführen, wie wir nun sehen werden.
merem nicht abgeneigt, so-
lange es nur naturwissen- d A = bd z
schaftlichen Inhalt hatte, was h
z=−
ihn für den Job als Kurator 2
der Experimente geradezu z dz
prädestinierte, ganz im Ge-
gensatz zu seinem Intimfeind z =0 h
Sir Isaac, den eine solche
Aufgabe wohl eher frustriert,
wenn nicht sogar an den h
z=
Rand des Wahnsinns getrie- 2 b
ben hätte. Anders als NEW-
TON, der erbarmungslos an
einem einzigem Problem ar- Abb. 2.4.4: Zur Berechnung des Flächenträgheitsmomentes für
beitete, bis er es völlig einen Rechteckquerschnitt.
durchdrungen hatte, sprang
HOOKE von einem Thema Betrachte als Erstes die in der Abbildung 2.4.4 dargestellte
zum nächsten, wobei er neue rechteckige Querschnittsfläche eines Balkens der Höhe h und
Konzepte gleich um konkre-
ten Anwendungen bereicher-
der Breite b . Für das dazugehörige Flächenträgheitsmoment I yy
te. Auch in anderer Hinsicht erhalten wir folgenden Ausdruck:
waren HOOKE und NEWTON
+h / 2
sehr verschieden. NEWTON bh 3
zog sich gern zurück, speiste I yy = ∫ z 2 dA = b ∫ z dz =
2
, (2.4.8)
kaum außer Haus, während A −h / 2
12
HOOKE mehr den Charakter
eines Lebemannes hatte und denn schließlich gilt ja:
gern in Kaffeehäusern Hof dA = b dz . (2.4.9)
hielt. Dort dinierte er und
blieb oft bis zwei Uhr mor- Aus Symmetriegründen haben wir die Schwerachse genau in die
gens, zechte, rauchte und
Mitte des Rechteckquerschnitts gelegt, denn verabredungsge-
trieb Konversation mit seinen
Freunden. Obwohl weder mäß bezieht sich das Flächenträgheitsmoment I yy ja gerade auf
NEWTON noch HOOKE je hei- die Schwerachse des Balkens, was bei der Integration entspre-
rateten, war HOOKE, im Ge-
gensatz zu Sir Isaac, offenbar
chend zu berücksichtigen ist. Aus Gleichung (2.4.6) ermitteln
zu amourösen Gefühlen fä- wir nun mit:
hig. Er verliebte sich zum
h
Beispiel in seine Nichte, Jane eo = eu = (2.4.10)
HOOKE, die im Gresham Col- 2
lege die Hauswirtschaft führ-
te. Allerdings wurde seine sofort das Widerstandsmoment für einen Balken mit rechtecki-
Leidenschaft nur begrenzt gem Querschnitt:
erwidert, und Jane blieb ihm
nicht treu. Möglicherweise bh 2
W y ,o = W y , u = . (2.4.11)
war seine Arbeit als Kurator 6
allzu besitzergreifend, um
dem Thema „Liebe“ auf
Dauer die gebührende, stete
Aufmerksamkeit zu schen-
ken. Allerdings wurde seine
Arbeit, die er so treu und vol-
ler Leidenschaft pflegte, spä-
2.4.3 Satz von STEINER 131
z o
u
eo
Abb. 2.4.7: Zum Trägheitsmoment zusammengesetzter Körper y y
mit zusammenfallenden Schwerachsen.
In diesem Kapitel wollen wir annehmen, dass die Trägheitsmo-
mente der Teilflächen, aus denen sich der betreffende Körper
zusammensetzt, bekannt sind (etwa Rechtecke, Walzprofile, z u
Kreise etc.). Wir stellen uns nun die Frage, wie sich das Träg- Abb. 2.4.6: Zum Flä-
heits- sowie das Widerstandsmoment des gesamten Körpers I yytot chenträgheitsmoment
für Walzprofile.
132 2.4 Biegebeanspruchung des Balkens
wobei A die Querschnittsfläche des betreffenden Teilkörpers moment, and at every such
bezeichnet (auch diese wird als bekannt vorausgesetzt) und a failure he is sure to make
some characteristic re-
der Biegeachsenabstand zwischen dem teilkörpereigenen und mark.“ Letztere Dinge sind
dem globalen Koordinatensystem ist (siehe Abbildung 2.4.9). wir gelegentlich auch von
Dieses ist der sogenannte Satz von STEINER, der jetzt noch for- unseren heutigen Dozenten
mal bewiesen werden soll. Dazu betrachten wir Abbildung 2.4.9 her gewöhnt.
und bilden:
I yy = ∫ z 2 dA = ∫ (a + η ) dA
2
A A
(2.4.17)
= a ∫ dA + ∫η 2 dA + 2a ∫η dA = a 2 A + I ξξ ,
A A A
z η
dA
y
z ξ
a
y
Abb. 2.4.9: Zum Satz von STEINER.
Denn per Definition des teilkörpereigenen Schwerpunktes ver-
schwindet in Gleichung (2.4.17) das letzte Integral, und es folgt
die Behauptung (2.4.16).
h
y b z y
b
Abb. 2.4.10: Zum Tabellenverfahren.
Es bleibt festzustellen, dass das Eigenträgheitsmoment I ξξ stets
kleiner ist als das Trägheitsmoment I yy bezogen auf irgendeine
andere zur Schwerachse parallele Achse. Das Problem bei der
Anwendung des Satzes von STEINER besteht darin, diesen Ab-
stand a herauszufinden. Man hilft sich mit einer Tabellenrech-
nung, die am Beispiel des Profils der Abbildung 2.4.10 illustriert
sei (die Zählung der Abstände in z –Richtung erfolgt von der
oberen Kante):
134 2.4 Biegebeanspruchung des Balkens
Körper zi Ai z i Ai ai = z i − z S a i2 A I ξξ(i )
linkes h hb b h2 h−b (h − b )2 h b b h3
Rechteck 2 2 4 12
16
rechtes b hb hb2 h−b (h − b )2 h b h b3
Rechteck 2 2 4 12
16
∑
2 2h b h b(h + b )
I tot =
(h 2
)
+ b 2 h b (h − b ) h b
+
2
i =1 2 12 8
h+b
zS =
4
F1
M (x )
−
x
Q( x) F1 + F2 +
F2 x
a b
c d F
c−c d −d
c d
l h(x )
x
h0
b
x
x
Trapez
F
Q (x )
M (x )
Kurbelschwinge M1 M2
Δx
und es folgt:
M 1 − M 2 A* z * d M A * z *
τ (x , z ) = =
Δx I yy b d x I yy b
(2.5.5)
Q ( x ) A* z * Q( x ) S y ( z )
*
= = .
I yy b I yy b( z )
Die Größe A* z * ist nämlich nichts anderes als das aus Glei-
chung (1.4.24) bekannte statische Flächenmoment erster
Ordnung S *y ( z ) . Zu seiner Berechnung ist es nötig, die sich ü-
ber der Höhe z gegebenenfalls ändernde Querschnittsform des
betrachteten Balkens zu kennen. Ist sie bekannt, so gibt Glei-
chung (2.5.5) den gesuchten Verlauf der Schubspannungen über
der Balkenhöhe an.
Eine letzte Anmerkung, bevor wir uns der Berechnung von
Schubspannungen bei verschiedenen Querschnitten zuwenden:
Bei der Berechnung der Biegespannungen galt die Voraus-
setzung, dass die Trägerquerschnitte bei der Verformung eben
bleiben. Durch die unterschiedlichen Schubspannungen über der
Trägerhöhe ist diese Voraussetzung im Allgemeinen nicht streng
erfüllt. Man muss jedoch sagen, dass der Einfluss der Schub-
spannungen auf die Größe der Biegespannungen für nicht allzu
kurze Träger vernachlässigt werden kann.
b b
Abb. 2.5.3: Schubspannungen für den rechteckigen Querschnitt.
Abb. 2.5.4: Schubspan-
nungen am Wir betrachten zunächst das in der Abbildung 2.5.3 dargestellte
Doppel-T-Profil. Rechteckprofil, für das wir die Schubspannungsverteilung als
Funktion der Trägerhöhenkoordinate z berechnen wollen. Of-
fenbar gilt:
2.5.2 Berechnung der Schubspannungen für spezielle Trägerformen 139
Q A* z * 12 Q b( 12 h − z ) 12 ( 12 h + z ) τ Fl
τ (z ) = =
I yy b b 2 h3
(2.5.6)
=
(
6 Q 14 h 2 − z 2). τ1
bh 3
Es ergibt sich also ein zur Trägermitte hin symmetrischer para-
bolischer Verlauf. Die maximale, in der Trägermitte auftretende
Schubspannung ist gegeben durch:
Q
τ max = 3
2 . (2.5.7)
A
In ähnlicher Weise kann man für einen Kreisquerschnitt zeigen,
dass gilt:
Q
τ max = 4
3 . (2.5.8)
A
Wenden wir uns nun zusammengesetzten Profilen zu, etwa dem τ Fl
in Abbildung 2.5.4 dargestellten Doppel-T-Träger. An den Stel-
len 1 sowie 2 ermitteln wir die jeweiligen Stegspannungen mit τ1
der Grundformel (2.5.5) zu:
τ1 =
QA1* z1*
, τ2 =
( )
Q A1* z1* + A2* z 2*
≡ τ max . (2.5.9) τ max
I yy tSt I yy tSt
ASt ASt
ASt
(a ) (b ) (c ) (d )
Abb. 2.5.6: Zur Schubspannungsberechnung
bei verschiedenen Profilen.
So wie beim Doppel-T-Profil wird bei allen Profilen die Quer-
kraft im Wesentlichen von den in Kraftrichtung (Q!) liegenden
Querschnittsflächen übertragen; sehr oft ist dies die Stegfläche:
Abbildung 2.5.6. Zur Abschätzung der Schubspannung verwen-
det man die Beziehung (2.5.10), wobei die Stegfläche manchmal
etwas „erweitert“ und in den Flansch hineingezogen wird (siehe
Abbildung 2.5.6 (c)). Aber auch beim Kreisrohr oder ähnlichen
Profilen mit ausgeprägten Flanschen (Gurten) ist diese Berech-
nung meist ausreichend: Abbildung 2.5.6 (d).
I yy = I St + 2 I Fl + 2 I Auf =
⎛ 193 ⎞
⎜⎜1 ⋅ + 2 ⋅10 2 ⋅10 + 2 ⋅112 ⋅ 8 ⎟⎟ cm 4 = 4508 cm 4 . (2.5.13)
⎝ 12 ⎠
1 Q = 120 kN
80×10
100×10
3
2
y y
tSt
100×10
80×10 190 × 10
(A z )
* *
3 = 9,5 ⋅
9,5
2
cm 3 = 45 cm 3 .
Lamelle aufgenietet
τ1 =
[(
Q A* z * ) + (A
1
*
z* ) ]
2
= 83
N
(2.5.15)
I yy 2 a mm 2
und für die Naht 1: Lamelle aufgeklebt
Q (A * z * ) 1 N bkleb
τ2 = = 39 . (2.5.16)
I yy 2 a mm 2
τ3 =
[( ) (
Q A* z * 1 + A* z * ) + (A z ) ]
2
* *
3
= 62
N
. (2.5.17) Abb. 2.5.7: b) Details.
I yy tSt mm2
142 2.5 Schub infolge Querkraft beim Biegeträger
τ Niet =
(
Q A* z * ) 1
= 40,7
N
. (2.5.19)
I yy 2 ANiet c mm2
2.5.4 Schubmittelpunkt
Betrachten wir nun einen Biegeträger, dessen Profil nicht sym-
metrisch zur Lastebene in der Schwerachse liegt, etwa das
Walzprofil aus der Abbildung 2.5.8. Bei Lasteinleitung im
Schwerpunkt resultiert eine Verdrehung des Trägers um seine
Längsachse. Diese Verdrehung wird dadurch erzeugt, dass die
Schubkräfte T in den Flanschen ein Moment in Bezug auf den
Schwerpunkt ausüben: Abbildung 2.5.8. Die äußere Querbelas-
tung Q sowie die inneren Schubkräfte T1 , T2 und TSt sind näm-
lich nicht im Gleichgewicht, und somit entsteht um die Schwer-
achse ein Torsionsmoment, das den Träger verdreht. Es gibt je-
doch einen Punkt, den sogenannten Schubmittelpunkt M , in
dem die Belastung Q keine Verdrehung hervorruft. Für das in
der Abbildung gezeigte Profil liegt derselbe bei a = 3 8 b , und
zwar sieht man dies an der folgenden Berechnung. Gesucht ist
der Abstand a des Schubmittelpunktes zum Stegmittelpunkt
M ′ . Wir ermitteln ihn aus der Forderung nach Momen-
tengleichgewicht bei Drehung um den Punkt M ′ :
2.6.1 Die Differenzialgleichung der Biegelinie 143
h Th 3
∑M ( M ′)
= 0 : Q a − 2T
2
=0 ⇒ a= = b.
Q 8
(2.5.21)
τ1 Q
Q
Q
T1 = T T1
a
TSt S
S τ max h TSt
M
t
T2 = T M′ T2
τ1
b = h/ 2
a) offene Profile
mung eines Balkenelementes mathematisch zu beschreiben, um
dann durch Integration längs des jeweiligen Balkens eine Aus-
M S sage über seine globale Durchbiegung zu erhalten. Betrachten
wir also zunächst einmal ein Balkenelement, wie in der Abbil-
dung 2.6.1 dargestellt. Wir notieren, dass für die untere Randfa-
ser gilt:
M S M Meu
σu = = . (2.6.1)
W y ,u I yy
α ρ
M r S
r
M M
M Δs = l eu Δw
S Δx
Δl
b) geschlossenes Profil:
lässt sich für das Inverse des Radius des lokalen Schmiegekrei-
ses ρ an das Balkenelement, also für die Krümmung κ , die
folgende Gleichung aufstellen:
S 1 M
M = =κ . (2.6.4)
ρ EI yy
w′′ M
= . (2.6.9)
[1 + (w′) ]
2 3/ 2
EI yy
M (x ) −
x
α1
α2
z w = w(x )
Abb. 2.6.2: Zum Vorzeichen in der Differenzialgleichung
für die Biegelinie.
146 2.6 Die elastische Linie des Biegeträgers (Biegelinie)
Dabei haben wir, wie oben bereits angedeutet, mit dem Symbol
w = w( x ) die Durchbiegung des Balkens in z -Richtung be-
zeichnet.
Bevor wir uns mit der Lösung dieser gewöhnlichen nichtlinea-
ren Differenzialgleichung zweiter Ordnung befassen, wollen wir
das Vorzeichen für den Verlauf der Biegelinie festlegen. Es er-
gibt sich aus der Festlegung des Biegemomentes und der ( x , z ) -
Koordinaten. Betrachte dazu die Abbildung 2.6.2. Interpretiert
man die Krümmung als Änderung des Winkels α wie gezeich-
net, so resultiert eine positive Krümmung aus einem negativem
Moment, und wir müssen schreiben:
w′′ M
=− . (2.6.10)
[1 + (w′) ]2 3/ 2
EI yy
Diese Gleichung gilt auch für große Krümmungen, ist aber für
kaum einen Belastungsfall eines Trägers geschlossen zu integ-
rieren. Im Folgenden wollen wir von der Voraussetzung ausge-
hen, dass die Verformungen klein gegenüber der Balkenlänge
sind. Die erste Ableitung der Biegelinie, also die Trägerneigung
w′ , ist ein Maß für die Verformung. Mithin resultiert aus Glei-
chung (2.6.10):
M
w ′′ = − . (2.6.11)
EI yy
Diese Differenzialgleichung lässt sich einfach integrieren. Es
entsteht:
⎛ M ⎞
w=− ⎜ ∫∫
⎜ EI
⎝ yy
dx ⎟ dx + C3 x + C4 .
⎟
⎠
(2.6.12)
⎛ M ⎞
() ∫ ∫
wx =− ⎜
⎜ EI
d x ⎟ d x + C 3 x + C 4 , x ∈ [0,b] ,
⎟
(2.6.19)
⎝ yy ⎠
in die Momentenflächen der Form:
M (x ) = M 0
x
a
()
, M x = M0
b−x
b
, M0 =
ab
l
F (2.6.20)
x x M (x ) = M 0
x
M0 =
ab
F
()
M x = M0
b−x
b
a l
a b
Abb. 2.6.4: Beidseitig unterstützter Balken unter Querlast.
Lösung des resultierenden Gleichungssystems liefert:
Fabl x ⎡ b x 2 ⎤
w(x ) = ⎢1 + − ⎥ , x ∈ [0,a ] (2.6.21)
6 EI yy l ⎣ l al ⎦
und:
Fabl ⎡ a b x⎛ x⎞ ⎤
2 2
a b⎞ x ⎛ x⎞
wx =() ⎢2
6 EI yy ⎢ l l
⎛
− 2⎜ − ⎟ − 3⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ ⎥ , x ∈ [0,b].
b⎝l ⎠ ⎥
⎣ ⎝l l⎠l ⎝l⎠ ⎦
(2.6.22)
Eine qualitative Skizze dieser Lösung ist in Abbildung 2.6.5 zu
sehen. Beachte die Gleichheit der Steigung an der Krafteinlei-
tungsstelle.
a F b
x x
w(x )
()
wx
w′(x = a) w′(x = 0)
Abb. 2.6.5: Zur Festlegung der Randbedingungen beim
eingespannten Balken.
2.6.4 Anwendung auf statisch unbestimmte Systeme 149
w(x)
x
l
Abb. 2.6.6: Zur Festlegung der Randbedingungen beim statisch
unbestimmten System.
Betrachte die in Abbildung 2.6.6 dargestellte Situation eines
beidseitig fest eingespannten Balkens unter Gleichstreckenlast,
dessen Biegelinie gesucht ist. Für die in Gleichung (2.6.8) ein-
zusetzende Momentenfläche findet man zunächst:
M ( x ) = − ∫ ⎛⎜ ∫ q( x )dx ⎞⎟ dx + C1 x + C 2
⎝ ⎠
2
(2.6.23)
x
= −q 0 + C1 x + C 2 .
2
Entsprechend resultiert:
1 ⎡ q0 x ⎤
4
x3 x2
w( x ) = ⎢ − C 1 − C 2 + C3 x + C 4 ⎥ . (2.6.24)
EI yy ⎣ 24 6 2 ⎦
Mithin müssen auch in diesem Problem vier Konstanten be-
stimmt werden, wofür man vier Gleichungen benötigt. Diese
folgen aus der Tatsache, dass es sich an beiden Enden um eine
feste Einspannung handelt, so dass dort der Funktionswert und
die erste Ableitung der Durchbiegung verschwinden muss:
w ( x = 0) = 0 , w′(x = 0) = 0 ,
(2.6.25)
w ( x = l ) = 0 , w′( x = l ) = 0 .
Auflösen dieser vier Gleichungen liefert als Endergebnis:
q l4 ⎛ x⎞
2
⎡ x ⎛ x⎞ ⎤
2
w (x ) = 0 ⎜ ⎟ ⎢1 − 2 + ⎜ ⎟ ⎥ (2.6.26)
24 EI yy ⎝l⎠ ⎢⎣ l ⎝ l ⎠ ⎥⎦
und:
q0 l 4 ⎡ ⎛ x⎞ ⎤
2
x
M (x ) = − ⎢1 − 6 + 6⎜ ⎟ ⎥ ,
12 ⎣⎢ l ⎝ l ⎠ ⎦⎥
(2.6.27)
q0 l ⎡ x⎤
Q( x ) = ⎢1− 2 ⎥ ,
2 ⎣ l⎦
150 2.6 Die elastische Linie des Biegeträgers (Biegelinie)
fahrzeuge in Deutschland
zu planen und zu bauen. Im M ( x ) = ∫ Q( x ) dx + C 2 w = ∫ w′ dx + C 4 (2.6.30)
Alter von 32 Jahren war er
ein wohlbekannter Ingeni- oder:
eur und wurde Professor am
Stuttgarter Polytechnikum. M ( x ) = − ∫ ∫ q( x ) dx dx + C1 x + C 2
Man sagt, dass MOHR auch
ein ausgezeichneter Didakt M (x )
war und seine Vorlesungen
den Ingenieurnachwuchs
w=− ∫∫ EI yy
dx dx + C 3 x + C 4 . (2.6.31)
Form der Biegelinie, welche von der Wahl der „Auflager“ nicht
abhängt. Diese Krümmung kann damit auf jedes beliebige Sys-
tem aufgesetzt werden, das die Integration nicht stört, etwa La-
ger am Ende des Balkens. Der zweite Teil, also C 3 x + C 4 , ist of-
fenbar eine Gerade. In ihr werden die Randbedingungen des
wirklichen Systems berücksichtigt. Sie muss durch zwei Punkte
(also zwei Lager) oder durch einen Punkt und eine Richtung
(Einspannung) festgelegt werden. Die dazugehörige Linie ist die
sogenannte Schlusslinie. Einfache Beispiele sollen das Vorge-
hen erläutern.
F1 F2
A B
a a a
M (x )
[kNm ]
+
M1 M2
M (x) / EI M1 / EI M2 / EI
[1/m ]
(FA ) (FB )
w (x )
[m ]
+
(M a ) (M c )
(M b )
Abb. 2.6.7: Ermittlung der Biegelinie mithilfe der MOHRschen
Analogie bei einem Balken auf zwei Stützen.
[− ] (Fa ) (Fb )
(FA ) (FB )
(M a ) fest
w (x )
[m ]
(M b )
fest
Abb. 2.6.8: Ermittlung der Biegelinie mithilfe der MOHRschen
Analogie bei einem Balken auf zwei Stützen.
(FA ) = 1
(2,0 ⋅ 2,5 + 0,75 ⋅1) ⋅10−3 = 1,64 ⋅10−3 , (2.6.33)
3,5
(FB ) = (2,0 + 0,75 − 1,64) ⋅ 10 −3 = 1,11 ⋅ 10 −3 .
Für die Ersatzmomente folgt somit:
(M a ) = 1,64 ⋅10 −3 ⋅1 m = 1,64 mm ,
(M b ) = 1,11⋅10 −3 ⋅1 m = 1,11 mm . (2.6.34)
Einfache geometrische Überlegungen (Strahlensatz) liefern dann
im Zusammenhang mit der eingezeichneten Schlusslinie die in
der Abbildung eingetragenen Werte für die Durchbiegung am
Ende.
1kN 1kN
A B
2m 1,5m
− 1, 5
M (x )
[kN·m]
− M(x) / EI
[1/m ⋅10 ] -3
− 1,0
(Fa ) (Fb )
[− ]
(FA ) (FB )
1m 1,5 m 1m
Schlusslinie 5,75
w (x ) (M a )
[mm] (M b )
F
A B
(I)
El1 El2 El3
M
(II)
l1
M / EI
(III)
(Fa ) (Fb ) (Fc ) (Fd )
(IV )
(FA ) (FB )
(V )
(VI )
l
= +
l
α = αq + αF
0
α = αq wq + αF wF
w 0 0
2
q0 l
w = wq + wF ,
0
8
Abb. 2.6.11: Auffinden von Biegelinien durch Superposition
von Lastfällen.
F F
h M = Fh h
= +
l
w 2 = ϕ h w1 w2 = ϕh w1
ϕ
= +
I ζζ = ∫η 2 dA
A
( )
− sin (α ) cos(α )∫ z dA + sin 2 (α ) − cos 2 (α ) ∫ yzdA
2
(2.6.38)
A A
( )
= sin (α ) cos(α ) (I zz − I yy ) + cos 2 (α ) − sin 2 (α ) I yz .
sin 2 (α ) =
1
[1 − cos(2α )] , cos 2 (α ) = 1 [1 + cos(2α )] ,
2 2
2 sin (α ) cos(α ) = sin (2α ) (2.6.39)
und erhalten, indem wir in die vorherigen Gleichungen einset-
zen:
I ηη =
1
(I yy + I zz ) + 1 (I yy − I zz )cos(2α ) + I yz sin(2α ) ,
2 2
I ζζ =
1
(I yy + I zz ) − 1 (I yy − I zz )cos(2α ) − I yz sin (2α ) , (2.6.40)
2 2
I ηζ = −
1
(I yy − I zz )sin (2α ) + I yz cos(2α ) .
2
2.6.11 Schiefe Biegung (Begriff der Hauptträgheitsachsen) 159
I ηη + I ζζ = 2
1
(I yy + I zz ) = I yy + I zz = const.α . (2.6.41)
2
Man darf feststellen, dass die Summe der axialen Flächenträg-
heitsmomente unabhängig von der Winkelstellung konstant
bleibt. Diese Konstante ist gleich dem sogenannten polaren
Flächenträgheitsmoment I p , das wie folgt definiert ist:
( )
Adhémar Jean Claude
I yy + I zz = ∫ z 2 + y 2 dA = ∫ r 2 dA = I p . (2.6.42) Barré DE SAINT-VENANT
A A (1797 – 1886) wurde in Vil-
liers-en-Bière, Seine-et-
Der Name wird verständlich, wenn wir daran denken, dass es Marne geboren und starb in
sich bei dem in Abbildung 2.6.13 unten dargestellten Radialab- St. Ouen, Loir-et-Cher. Er
stand r um eine der beiden Polarkoordinaten handelt. Wir war Schüler am Lyzeum
werden dem polaren Trägheitsmoment erneut im Abschnitt über von Bruges und schrieb
sich im Alter von sechzehn
Torsion 2.7 begegnen. Wir suchen nun diejenige Winkelstel- Jahren an der École Poly-
lung, unter der I ζζ und Iηη extremal werden. Die Bedingungen technique in Paris ein,
hierfür lauten: nachdem er die Aufnahme-
prüfung mit Bravour ge-
dI ηη dI ζζ meistert hatte. Zum Aus-
=0 , =0. (2.6.43) klang der NAPOLEONischen
dα α =α *
dα α =α * Zeit, genauer gesagt im Jah-
re 1814, rückten die alliier-
Es ergibt sich: ten Armeen gegen Paris vor
und auch die Studenten der
dIηη
dα
( )
= 0 = −(I yy − I zz )sin 2α * + 2 I yz cos 2α * ( ) École Polytechnique mach-
ten mobil. SAINT-VENANT
α =α * konnte daran wenig Gefal-
len finden. Es heißt, dass er
2 I yz
⇒ tan 2α * =( ) I yy − I zz
. (2.6.44) sich mit der Begründung,
sein Gewissen verböte es
ihm, für einen Usurpator zu
Man beachte, dass Gleichung (2.6.43)2 auf genau dasselbe Er- kämpfen, aus den Reihen
schlich. Dies nahmen ihm
gebnis führt. Aufgrund der Periodizitätseigenschaft der Tan-
([ ])
seine Kommilitonen übel,
gensfunktion, also der Beziehung tan (2α * ) = tan 2 α * + π 2 , deuteten Vernunft als Feig-
heit, er wurde zum Verräter
gibt es zwei durch π 2 getrennte, also senkrecht aufeinander- deklariert und mit seinen
stehende Achsen, die beide eindeutig durch den Richtungswin- Studien an der École Poly-
kel α * charakterisiert sind und für welche die axialen Träg- technique hatte es ein Ende.
So arbeitete er während der
heitsmomente extremal werden. Dies sind die schon erwähnten nächsten acht Jahre in der
Hauptträgheitsachsen. Die Größe der Hauptachsenträgheitsmo- Pulverindustrie, bis ihm der
mente errechnen wir mithilfe folgender, aus Gleichung (2.6.44) Gouverneur 1823 schließ-
folgender Formeln: lich erlaubte, an der École
des Ponts et Chaussés sein
I yy − I zz
cos(2α * ) =
1 Studium zu vollenden.
= ,
1 + tan 2 (2α * )
Nach der Graduierung ar-
(I yy − I zz ) + 4 I yz2
2
beitete er am Bau des Ka-
nals von Nivernais sowie
160 2.6 Die elastische Linie des Biegeträgers (Biegelinie)
2 2
I ζζ* =
1
(I yy + I zz ) − 1 (I yy − I zz ) + 4 I yz2 ,
2
2 2
*
I ηζ =0. (2.6.46)
Es ist interessant zu vermerken, dass das Deviationsmoment im
Hauptachsensystem verschwindet. Ähnliches werden wir im Zu-
sammenhang mit dem MOHRschen Kreis zur anschaulichen Dar-
stellung der Komponenten des zweidimensionalen Span-
nungstensors feststellen. Hier verschwinden im Hauptspan-
nungssystem die Scherkomponenten des Spannungstensors. In
der Tat könnte man auch die diversen Flächenträgheitsmomente
als Komponenten eines Flächenträgheitstensors auffassen. An
dieser Stelle wollen wir darauf jedoch verzichten. Wir werden
auf diese Problematik im Abschnitt 5.7.2 zurückkommen, wo
wir den sogenannten Massenträgheitstensor einführen.
Wenden wir uns wieder dem Rechteckquerschnitt zu. Aus
Symmetriegründen erscheint es unmittelbar einleuchtend, dass
es sich bei der x - bzw. der y -Achse um die Hauptträgheitsach-
sen dieses Profils handelt. Wir prüfen dies durch Rechnung
nach. Dazu erinnern wir an Gleichung (2.6.35) und fügen noch
den Ausdruck für das Deviationsmoment eines Rechteckquer-
schnitts hinzu:
z=⎡ y = b2
h
2
⎤
⎢ ⎥
I yz = − ∫ yzdA = − ∫ z ⎢ ∫ y dy ⎥ dz = 0 . (2.6.47)
A
z =−
h
⎢ y = − b2 ⎥
2 ⎣ ⎦
Dieses setzen wir in die Gleichungen (2.6.46) ein, um zu finden,
dass:
*
I ηη =
1
(I yy + I zz ) + 1 (I yy − I zz ) = I yy ,
2 2
I ζζ* =
1
(I yy + I zz ) − 1 (I yy − I zz ) = I zz , Iηζ* = 0 . (2.6.48)
2 2
Man darf allgemein feststellen:
2.6.11 Schiefe Biegung (Begriff der Hauptträgheitsachsen) 161
S
Abb. 2.6.14: Die Trägheitsellipse.
Wir klären als Nächstes den Begriff der geraden Biegung.
Hierunter versteht man den Fall, dass die Biegung aus Lasten re-
sultiert, die in einer Hauptachse wirken. Die Abbildung 2.6.15
F
zeigt solche Fälle für verschiedene Querschnittsprofile.
Bei der schiefen Biegung hingegen geht die Wirkungslinie der
Last zwar weiterhin durch den Schwerpunkt des Trägers, aller-
dings ist sie unter einem Winkel α gegenüber einer der Haupt- S
achsen geneigt: siehe Abbildung 2.6.16.
Man beachte zweierlei. Erstens: Die Gesamtspannungen werden
durch Addition der Spannungen aus beiden Teilproblemen er-
mittelt, dabei sind die Vorzeichen zu berücksichtigen. Zweitens
liegt die Nulllinie der Spannungen im Allgemeinen nicht senk-
Abb. 2.6.15: Zum
recht zur Lastrichtung. Bei in y - und z -Richtung gleich gela-
Begriff der geraden
gerten Systemen, also so wie hier z. B. beim eingespannten Biegung.
Doppel-T-Profil, lässt sich die gesamte Durchbiegung w durch
vektorielle Addition der Durchbiegungen der in y - bzw. z -
Richtung errechneten Teildurchbiegungen bestimmen: Abbil-
dung 2.6.17.
162 2.6 Die elastische Linie des Biegeträgers (Biegelinie)
α F z
Fz α F
y
S S y
Fy y
y
z z
Abb. 2.6.16: Zum Begriff der schiefen Biegung.
Fz = F cos(α) σ 1a , σ a
2
1 z 2 1 2
e0
S Fy = F sin(α) S
y y
4 3 4 3
e z − σ 3a , − σ a
4
− σ1b ,−σ 4b σ 2b , σ 3b σ b4
α
F
σ1 =σ1a +σ1b wy
σ1 =σ − σ a
1
b
1
2
1
S w ϕ
ϕ wz
3
σ3 = −σ3a + σ3b
σ 4 = −σ 4a −σ 4b 4
ϕ
d = 2r F a
MT a F
ρ2
dM T = τ (ρ ) dA ρ = τ max dA . (2.7.2)
r
Durch Integration über den gesamten Querschnitt findet man
schließlich:
τ max
MT = ∫ρ
2
dA . (2.7.3)
r A
( )
ra
π 4 4
I p = 2π ∫ ρ 3dρ = ra − ri , (2.7.7)
Abb. 2.7.3: Zum polaren ri
2
Trägheitsmoment eines
und speziell für das im vorherigen Abschnitt untersuchte Voll-
Hohlzylinders.
profil:
2.7.2 Polares Trägheitsmoment für Kreisprofile 165
π 4 π 4
Ip = r = d ≈ 0,1 d 4 , (2.7.8)
2 32
wobei d den Durchmesser des Vollkreises bezeichnet. Für einen
sehr dünnen Ring gilt:
t << ra , ri , rm , (2.7.9)
und somit kann man höhere als lineare Terme in t vernachlässi-
gen, die entstehen, wenn man Gleichung (2.7.6) in Gleichung
(2.7.7) einsetzt. Es resultiert folgendes zu Gleichung (2.7.8) ana-
loge Endergebnis für das polare Widerstandsmoment eines
dünnwandigen Ringes:
I p ≈ 2 π rm3t . (2.7.10)
I W
Biegung πd 4 πd 3
≈ 0,1d 3
64 32
Torsion πd 4 πd 3
32 16
166 2.7 Axiale Verdrehung / Torsion
M T = ∫ r dT = ∫ τ t r ds =
L L
(2.7.16)
τ t ∫ r ds = τ t 2∫ dAm = 2τ t Am .
L L
und es folgt:
b
MT
τ (t ) = . (2.7.21)
Wp
h
In Tabellenwerken sind Widerstandsmomente für verschiedene
Hohlprofilformen, aber nicht nur für diese, sondern auch für
Vollprofile verzeichnet. Auch die Lage der zugehörigen maxi-
malen Schubspannung ist angegeben. Man darf feststellen, dass a
das Widerstandsmoment für offene Profile (= Profile ohne Hohl-
raum) bei gleicher umschlossener Fläche stets geringer ist als für
a
geschlossene Profile. Ein Beispiel ist in Abbildung 2.7.5 illust-
riert. Die Pfeile sollen den Spannungsfluss als Folge der Torsion
andeuten. Abb. 2.7.6: Zum Wider-
In Abbildung 2.7.6 ist ein Rechteckvollprofil zu sehen. Die Stel- standsmoment gegen
le größter Schubspannung für den Fall h > b ist angegeben. Für Torsion verschiedener
das hierzu gehörende minimale Widerstandsmoment sei notiert: Vollflächen.
168 2.7 Axiale Verdrehung / Torsion
2
Wp , min (τ max ) ≈ b 2 h . (2.7.22)
9
t << h
t Die Stärke der maximalen Torsionsspannung kann nach wie vor
mithilfe von Gleichung (2.7.21) berechnet werden. Zur Ab-
h schätzung von Widerstandsmomenten kann man oft vorteilhaft
das Konzept des sogenannten Innenkreises verwenden. Dieses
Abb. 2.7.7: Zum Wider- ist ebenfalls in Abbildung 2.7.6 angedeutet. Damit findet man
standsmoment des für ein Quadrat nach Gleichung (2.7.22):
dünnen Rechtecks.
2 3
Wp , min (τ max ) ≈ a ,
9
bzw. nach längerer Rechnung auch exakt:
Wp , min (τ max ) ≈ 0,208a 3 . (2.7.23)
Vergleicht man dies mit dem Trägheitsmoment des in das Quad-
rat einbeschriebenen Innenkreises, welches nach Gleichung
(2.7.12) gegeben ist durch:
h1 π 3
t1 Wp , min (τ max ) = a ≈ 0,196a 3 , (2.7.24)
16
Die Rechnung liefert die in der Abbildung 2.7.8 für L-, T- und
Doppel-T-Profile angegebenen Werte.
γ l′
l
h δ MT
t ϕ
Abb. 2.7.11: Zur Verdrehung des Stabes.
a
Aufgrund geometrischer Überlegungen darf man schreiben:
γ l ′ = δ = rϕ . (2.7.28)
a
Mit den Gleichungen (2.7.4/11/27) gilt darüber hinaus für die
Umfangsspannung τ max am Stabende:
M T M Tr
τ max = G γ = = . (2.7.29)
Wp Ip
Also folgt:
M Tr
γ= (2.7.30)
GI p
und mithin für den Verdrehwinkel ϕ unter Verwendung der bei
kleinen Verdrehungen (und um diese geht es hier) guten Nähe-
rung l ′ ≈ l :
l ′ M Tl
Abb. 2.7.12: Zur Ver- ϕ =γ = . (2.7.31)
drillung von Stäben ver- r GI p
schiedener Profile.
Für beliebige Querschnitte gilt eine analoge Formel:
2.7.5 Verformung infolge Torsion, Verdrehwinkel 171
l′ M Tl
ϕ =γ = , (2.7.32) Lm
r GI p*
Ein einfaches Beispiel ist in der Abbildung gezeigt. Ludwig PRANDTL (1875 –
1953) wurde in Freising bei
Spezifischer Winkel, Drehfederkonstante München als Sohn eines
Professors für Landwirt-
Für die Verformung von Torsionsstäben (Wellen) wird im Ma- schaft geboren. Er studierte
schinenbau vielfach gefordert, dass sie bestimmte Grenzen ein- Ingenieurwesen an der
Technischen Hochschule
hält. Diese Grenzen werden durch den sogenannten spezifischen
München und wurde nach
Drehwinkel ϑ angegeben, z. B. als 0,25 ° m oder als seiner Graduierung der As-
4,5 ⋅10 −3 1 m , je nachdem, ob man in Grad oder im Bogenmaß sistent und später auch der
Schwiegersohn des be-
arbeitet. Zur Berechnung von ϑ hat man den im vorigen Ab- rühmten Mechanikers Au-
schnitt bestimmten Winkel ϕ auf die Längeneinheit zu bezie- gust FÖPPL, was wieder ein-
hen: mal zeigt, wozu Kenntnisse
in der Mechanik und ihrem
ϕ MT Umfeld von Nutzen sein
ϑ= = . (2.7.37) können. Im Jahre 1900 be-
l GI p* endete er sein Doktorat mit
172 2.7 Axiale Verdrehung / Torsion
2.8 Zusammengesetzte
Beanspruchung
2.8.1 Einführung
Bislang haben wir Belastungsfälle separat behandelt, um mit den
Begriffen Zug, Druck, Biegung und Torsion vertraut zu werden.
Im Allgemeinen ist es jedoch so, dass Belastungen nicht separat,
sondern kombiniert auftreten. Es stellt sich die Frage, wie man
die aus den einzelnen Belastungsarten resultierenden Spannun-
gen zusammensetzen muss, um zu einer Aussage darüber zu
kommen, ob eine belastete Konstruktion den Festigkeitsnach-
weis erfüllt oder nicht. Eine stringente und effiziente Behand-
lung des Zusammensetzens von Spannungen wird erst im Rah-
men des Konzepts des Spannungstensors möglich. Hierauf wer-
den wir später detaillierter zu sprechen kommen. Dieses Kon-
zept soll zunächst jedoch schrittweise erarbeitet werden. Wir ar-
gumentieren zu diesem Zweck wie folgt:
z
Mz z
y y
Qy
My
N y
Qz M
T
y
A z z
My Mz I I
σMy = , σM = , W y = yy , Wz = zz (2.8.2)
Wy z Wz z y
berechnen können. Auf der rechten Seite sind Belastungen durch
Querkräfte und durch Torsionsmomente dargestellt. Die resultie-
renden Schubspannungen sind im Allgemeinen von Punkt zu
Punkt des gezeigten Profilquerschnitts verschieden und wir kön-
Der französische Ingenieur nen sie mit folgenden Formeln berechnen:
Henri TRESCA (1814 –
Qy S z Qz S y MT
1884) wirkte als Mechanik- τ Qy = , τQ = , τT = . (2.8.3)
professor am Conservatoire I zz b z I yy b Wp
National des Arts et Métiers
(CNAM) in Paris. Er war Dabei setzen wir voraus, dass die profilgeometrischen Größen
der Erste, der Regeln auf-
stellte, um das Einsetzen
wie die statischen Momente S y , S z , die Flächenträgheitsmo-
plastischen Fließens in mente I yy , I zz , die Breite b oder das Torsionswiderstandsmo-
Festkörpern zu beschreiben.
Fließen setzt ein, wenn eine ment Wp bekannt sind.
gewisse Kombination der
Einzelspannungen, die so- Folgende Regeln gilt es zu notieren:
genannte äquivalente Span-
nung, einen materialabhän- (a) Treten Spannungen an einer Stelle des Querschnitts auf,
gigen, kritischen Schwel- so darf man diese einfach zur Gesamtspannung addie-
lenwert überschreitet (vgl. ren, wenn sie die gleiche Natur und Richtung haben, al-
die Tabelle in Abschnitt
2.8.7). Nach TRESCA ist
so etwa Normalspannungen σ N zu den Biegespannun-
dies die maximale im Kör- gen σ M oder die Schubspannungen τ Q zu den Torsi-
per herrschende Schub-
spannung. Um seine Hypo- onsspannungen τ T in den oben gezeigten Fällen.
these zu verifizieren, führte
er auch Experimente durch, (b) Treten Schub- und Biegespannungen in einem Schnitt
in denen er mehrachsige gemeinsam auf oder kommen gleichzeitig Normalspan-
Spannungszustände auf den nungen in aufeinander senkrechten Richtungen zusam-
Körper einwirken ließ und men und treten eventuell noch Schubspannungen hinzu,
das Einsetzen plastischen
so wird der Spannungsnachweis über eine sogenannte
Fließens und Kriechens be-
obachtete. Außerdem war Vergleichsspannung geführt. In solchen Vergleichs-
TRESCA bei der Gestaltung spannungen sind die verschiedenen Spannungsanteile
des noch heute in Paris auf- oder Spannungskomponenten im Allgemeinen auf
bewahrten Urmeterstabes nichtlineare Weise miteinander verknüpft. Wir werden
beteiligt. Aus thermome-
hierauf später noch eingehen.
chanischen Stabilitätsgrün-
den ließ er diesen aus einer Diese Regeln werden nun detaillierter ausgeführt.
Kombination von 90 % Pla-
tin und 10 % Iridium mit
einem kreuzförmigen Quer- 2.8.2 Normalspannungen aus
schnitt anfertigen. Man darf Normalkräften und Biegung
sich wünschen, dass auch
unseren zahlreichen DIN- Wie in Abbildung 2.8.2 dargestellt, stehen alle Spannungskraft-
und ISO-Normen eine ähn- pfeile senkrecht (= normal) auf der Schnittfläche und werden
lich lange Lebenszeit be- gemäß Regel (a) vorzeichengerecht addiert:
schert ist.
2.8.2 Normalspannungen aus Normalkräften und Biegung 175
FN M y M z
σ tot = ± ± ± . (2.8.4)
A W y Wz
Falls die Biegung nur um eine Schwerachse erfolgt, entsteht der
Sonderfall:
FN M
σ tot = ± ± . (2.8.5)
A W
FN M
+ =
+
M = Fe
e =
F F
y Kernfläche
F
z z h h/3
e
y b/3
b
Abb. 2.8.5: Zur Kernfläche.
In Abbildung 2.8.5 ist die Kernfläche für eine rechteckige Flä-
che zu sehen.
τmax
T
Abb. 2.8.6: Vektorielle
Addition von Schub- 1
MT τ max
Q
spannungen.
τ max = τ max
Q
+ τ max
T
. (2.8.7)
FQ
1 = 1 + 1
MT MT
τ max
Q
τQ τ T = const.
y
σ yy σ yx
σ xy
σ xx O
x
τ σ xx
σ σ xy
σ yx σ yy
F r.S.
= (Fx , Fy ) = (σ xx Ax , σ xy Ax )
r.S.
⎛ σ xx σ xy ⎞ (2.8.9)
= ( Ax , 0 ) ⋅ ⎜⎜ ⎟.
⎝ σ yx σ yy ⎟⎠
Albert EINSTEIN (1879 –
1955) wurde in Ulm als Dabei wurde von der Multiplikationsregel einer quadratischen
Sohn eines Elektroladenbe- Matrix mit einem Zeilenvektor Gebrauch gemacht. Ebenso fin-
sitzers geboren. Wie bei
det man für die totale Kraft bezogen auf die Oberseite („ o.S. “),
großen Männern üblich,
werden über seine Jugend welche senkrecht zur y -Achse steht, die linke Seitenfläche
diverse Kuriosa berichtet. („ l.S. “), die senkrecht zur x-Achse steht und schließlich die Un-
So habe er bis zum Alter terkante („ u.S. “), die senkrecht zur y -Achse liegt, der Reihe
von drei Jahren nicht ge-
sprochen, sich aber stets nach
= (Fx , Fy ) = (σ yx Ay , σ yy Ay )
aufgeweckt und aufge-
schlossen gegenüber Natur- F o.S. o.S.
phänomenen gezeigt. Seine
⎛ σ xx σ xy ⎞ (2.8.10)
Fähigkeiten beim Ver-
= (0 , Ay ) ⋅ ⎜⎜ ⎟,
ständnis kompliziertester
⎝ σ yx σ yy ⎟⎠
mathematischer Konzepte
= (Fx , Fy ) = (− σ xx Ax ,− σ xy Ax )
werden unterstrichen, bei-
spielsweise habe er sich im F l.S. l.S.
Alter von zwölf Jahren die
⎛ σ xx σ xy ⎞ (2.8.11)
EUKLIDische Geometrie im = (− Ax , 0 ) ⋅ ⎜⎜ ⎟,
Selbststudium beigebracht.
⎝ σ yx σ yy ⎟⎠
Seine Schulzeit in München
war ihm nach eigener Aus-
sage verhasst: „Die Lehrer
F u.S.
= (Fx , Fy ) = (− σ yx Ay ,− σ yy Ay )
u.S.
⎛ σ xx σ xy ⎞
in der Elementarschule ka- (2.8.12)
men mir wie Feldwebel vor, = (0 , − Ay ) ⋅ ⎜⎜ ⎟.
und die Lehrer im Gymna- ⎝ σ yx σ yy ⎟⎠
2.8.4 Begriff des Spannungstensors im ebenen Fall 179
Zum einen fällt auf, dass je nach Fall ein negatives Vorzeichen sium wie Leutnants.“ Das
berücksichtigt werden muss, und dies aus gutem Grund, denn Geschäft seiner Eltern geht
schließlich muss für unser Flächenstück ja das Kräftegleichge- zunehmend mehr schlecht
als recht, man geht zunächst
wicht in x - und y -Richtung erfüllt sein: nach Mailand, danach in die
∑F ∑F
Schweiz und, Glück im
xi =0, yi =0, (2.8.13) Unglück, EINSTEIN muss
i i
nicht weiter in die ungelieb-
wobei der Index i hier so zu verstehen ist, dass alle vier Seiten te Münchner Schule gehen,
sondern kann statt dessen
zu berücksichtigen sind. die Matura in Aarau able-
Zum anderen fällt auf, dass in den Gleichungen (2.8.9 bis 12) gen. Er immatrikuliert sich
an der Polytechnischen
letztendlich immer die Matrix des Spannungstensors zur Be- Hochschule in Zürich für
rechnung der Kräfte auf einer Seite herangezogen werden kann. Physik und graduiert im
Aus der Mathematik ist bekannt, dass ebene Flächen durch An- Jahre 1900. Erneut geht die
gabe ihres Normalenvektors und ihrer Flächengröße definiert Fama, dass EINSTEIN die
sind. Im obigen Beispiel hatte der Normalenvektor der Flächen Lehrmethoden dort nicht
sehr gefielen. Man sagt, er
immer nur eine Komponente in x - bzw. in y -Richtung und die habe Vorlesungen ge-
Flächengröße war gegeben durch Ax bzw. Ay . Dies muss nicht schwänzt, stattdessen auf
der von ihm geliebten Gei-
notwendigerweise immer so sein, denn im Allgemeinen hat der ge gespielt und bei Prüfun-
Normalenvektor n einer Fläche in der Ebene zwei von null ver- gen sogar von Kommilito-
schiedene Komponenten (nx , n y ) und ihre Größe ist gegeben nen abgeschrieben. Dies
mag sein, wie es will, Fakt
durch A ⋅m 2 . Für die Komponenten der auf sie wirkenden Kraft jedoch bleibt, dass er es
nicht schaffte, eine Dozen-
findet man:
tur an einer Universität zu
F ⎛ Fx F y ⎞ ⎛σ σ xy ⎞ erringen, obwohl er sich
= ⎜⎜ , ⎟ = (n x , n y )⋅ ⎜ xx ⎟. (2.8.14) sehr darum bemühte. Das
⎟ ⎜σ σ yy ⎟⎠
A ⎝ A A⎠ ⎝ yx lag daran, dass er zu jener
Zeit in der akademischen
Man darf sagen, dass obiges Matrixprodukt zwischen dem Nor- Welt noch recht unbekannt
malenvektor einer ebenen Fläche und Spannungstensor die war und die Professoren,
Komponenten t = ( t x , t y ) eines Kraftdichtevektors, auch die ihn kannten, ihn nicht
mochten, um es vorsichtig
Spannungsvektor oder Traktion genannt, bestimmt. In der Tat auszudrücken. So tritt er im
ist dieses Ergebnis nicht nur für ebene Flächen, sondern lokal Jahre 1902 schließlich not-
gedrungen am Berner Pa-
auch für beliebig gekrümmte zweidimensionale Kontinua gültig.
tentamt als Beamter dritter
Denn in jedem Punkt derselben kann man eine Tangentialebene
aufspannen, die durch ihren Normalenvektor n = (n x , n y ) cha-
Klasse eine Stelle an, um
eine Familie ernähren zu
können. Er heiratet 1903
rakterisiert ist. Mehr noch: Gleichung (2.8.14) entspricht fol- seine Kommilitonin Mileva
gender koordinateninvarianter Schreibweise: MARIÇ und zeugt mit ihr
t = n ⋅σ , (2.8.15) zwei Söhne. Von Mileva
lässt er sich allerdings spä-
ter wieder scheiden, um
wobei wir, um den Matrixcharakter des Spannungstensors anzu- dann endlich seine Cousine
deuten, zwei Striche unter sein Symbol gesetzt haben, also σ . zu heiraten. Wer sich für
das Liebesleben des großen
Letztere Gleichung kann man etwa dann vorteilhaft verwenden, Physikers näher interessiert,
wenn ein dem Problem angepasstes Koordinatensystem genutzt dem seien solch herzhafte
werden soll, z. B. Polarkoordinaten, die wir schon bei verschie- Bücher wie „Im Schatten
180 2.8 Zusammengesetzte Beanspruchung
Albert EINSTEINS: das tragi- denen Gelegenheiten kennengelernt haben. Man startet dann von
sche Leben der Mileva EIN- der koordinateninvarianten Schreibweise (2.8.15) und wertet sie
STEIN“ oder „The love let- durch Verwendung der entsprechenden Einheitsbasis des betref-
ters / Albert EINSTEIN, Mi- fenden Koordinatensystems aus.
leva MARIC“ empfohlen. In
letzter Zeit wird (von femi- Gerne schreibt man an Stelle der Gleichungen (2.8.14/15) auch:
nistischer Seite?) noch von
einer EINSTEIN-Tochter, t i = n j σ ji , (i, j ) ∈ ( x, y ) , (2.8.16)
genannt Lieserl, berichtet,
die Mileva 1902 angeblich wobei die sogenannte EINSTEINsche Summenkonvention be-
zur Adoption freigegeben nutzt wurde, wonach bei doppelt vorkommenden Indizes, hier j,
hat, um Alberts Karriere automatisch über alle Möglichkeiten zu summieren ist. Ausge-
nicht zu schaden. Ob und
inwieweit eine solche Kar-
schrieben bedeutet die letzte Gleichung nämlich:
riere damals schon abzuse- t x = n x σ xx + n y σ yx , t y = n xσ xy + n y σ yy , (2.8.17)
hen war, sei dahingestellt.
Schaut man auf die Fakten, was die Platzersparnis deutlich werden lässt. Betrachtet man
so ist festzuhalten, dass
EINSTEIN sicherlich die darüber hinaus dreidimensionale Probleme, so lassen sich die
überragende naturwissen- Gleichungen (2.8.14/15) direkt übernehmen, wobei zu den Flä-
schaftliche Persönlichkeit chendimensionen (x, y ) noch die Raumdimension z hinzutritt,
des zwanzigsten Jahrhun-
derts war. Seine Erkennt-
wie wir weiter unten sehen werden.
nisse in der speziellen und Zusammenfassend zieht man aus dem Gesagten folgenden
allgemeinen Relativitäts- Schluss: In Bezug auf ein kartesisches Koordinatensystem ist
theorie sowie in der Quan-
tenmechanik haben unsere die Spannungskomponente σ ji lokal die Kraftkomponente pro
heutige wissenschaftliche Flächeneinheit in i-Richtung in Bezug auf eine Fläche senkrecht
zur j -Richtung, wobei i und j der Indexmenge (x, y ) zu ent-
Denkweise entscheidend
vorangetrieben und geprägt
und werden zeitlos ihre nehmen sind. Mit dieser Interpretation der Indizes des Span-
Gültigkeit behalten. Ande- nungstensors folgen wir der Mehrzahl der deutsch- und eng-
rerseits darf man mit der lischsprachigen Fachliteratur. Es sei jedoch an dieser Stelle ex-
Journalistin Ellen GOOD-
MAN vom Boston Globe
plizit darauf hingewiesen, dass auch die genau gegenteilige In-
auch sagen (Donnerstag, terpretation auftritt, dass also in σ ji der Buchstabe j als Kraft-
den 15. März 1990): „When und i als Flächenindex gedeutet wird und man für den Kraft-
EINSTEIN died, his brain in-
spired such awe that it was vektor t j = σ ji ⋅ ni bzw. t = σ ⋅ n schreibt. Beim Studium der
removed for study (and is Fachbücher ist darauf zu achten, welche der beiden Konventio-
still kept in a glass jar at an
American psychiatrist’s of-
nen jeweils verwendet wird.
fice). But modern standards Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das in Abbildung
add another dimension to
his biography. In his per-
2.8.10 dargestellte zweidimensionale Flächenelement in Bezug
sonal life, Albert was no auf die auf seine Seitenflanken ausgeübten Zug- und Scherspan-
EINSTEIN.” nungen kräftefrei ist: Gleichung (2.8.13). Wie jedoch ist es um
das Momentengleichgewicht bestellt? Wir bezeichnen die Dicke
des Elementes aus Abbildung 2.8.10 mit d und seine Ausdeh-
nungen in x - bzw. y -Richtung mit dx und dy . Dann gilt für
die zugehörigen Flächen:
Ax = d dy , A y = d dx . (2.8.18)
2.8.5 Begriff des Spannungstensors im räumlichen Fall 181
ϕ
σ tangential
p
σ tangential
σ axial
σ zx
σzy
σxz
σ yz
Abb. 2.8.13: HERTZsche
Pressung in einem σyx
x σxx σxy
Kugellager. σ yy y
⎛ σ xx σ xy σ xz ⎞
⎜ ⎟
σ ij = ⎜ σ yx σ yy σ yz ⎟ , (i, j ) ∈ ( x, y, z ) . (2.8.21)
⎜σ σ yz σ zz ⎟⎠
⎝ xz
Und wie in Gleichung (2.8.14) kann man die Kraftdichte
t = (t x , t y , t z ) auf ein kleines Flächenelement beziehen, das
durch den Normalenvektor (n x , n y , n z ) gekennzeichnet ist und Heinrich Rudolf HERTZ
wie folgt berechnet wird: (1857 – 1894) wurde in
Hamburg in eine Juristen-
⎛ σ xx σ xy σ xz ⎞ familie hineingeboren. Die-
⎜ ⎟
(t x , t y , t z ) = (n x , n y , n z )⋅ ⎜σ yx σ yy σ yz ⎟ . (2.8.22)
ses hindert ihn aber nicht,
sich der Physik und Ma-
⎜σ σ yz σ zz ⎟⎠ thematik im Allgemeinen
⎝ xz und der Mechanik im Spe-
Auch diese Gleichung bezieht sich wieder auf ein kartesisches ziellen schon zu Jugendzei-
ten zu verschreiben. Im Jah-
Koordinatensystem. In einem beliebigen Koordinatensystem be- re 1877 geht er nach Mün-
hält Gleichung (2.8.15) ihre Gültigkeit, wobei unter t und n je- chen, um dort an der Tech-
doch nicht zwei-, sondern dreidimensionale Vektoren zu verste- nischen Hochschule Ingeni-
eurwissenschaften zu stu-
hen sind und σ den vollen dreidimensionalen Spannungstensor dieren, entdeckt jedoch
bezeichnet. Um Momentengleichgewicht zu garantieren, ist es bald, dass seine wahre Nei-
wie vormals in Gleichung (2.8.20) notwendig, dass der Span- gung mehr den reinen Wis-
senschaften gilt. Er wendet
nungstensor symmetrisch ist, also: sich daher nach Berlin und
σ xy = σ yx , σ xz = σ zx , σ yz = σ zy . (2.8.23) studiert bei den berühmten
Physikern HELMHOLTZ und
KIRCHHOFF. Nach dem mit
summa cum laude abge-
2.8.6 Der MOHRsche Kreis schlossenen Doktorat im
Zulässige Höchstspannungen, etwa die maximal zulässige Zug- Bereich der Elektrodyna-
mik (wir kennen HERTZ ge-
spannung, werden am eindimensionalen Zugstabversuch ermit- rade wegen seiner Arbeiten
telt. Beschränken wir uns zunächst auf zweidimensionale Prob- über Elektromagnetismus
leme, so müssen wir im Sinne eines Spannungsnachweises die- und über die Wellennatur
sen Wert mit der maximalen Zug-, Druck- oder Schubspannung der elektromagnetischen
in der betreffenden, unter Last stehenden Fläche vergleichen. Strahlung) wird HERTZ
1880 bei HELMHOLTZ As-
Diese maximalen Spannungen gilt es zuvor zu ermitteln, und sistent. Er betreibt optische
dabei hilft der sogenannte MOHRsche Kreis. Experimente, beginnt sich
mit der Natur der NEWTON-
Wir betrachten das in Abbildung 2.8.16 dargestellte kleine schen Ringe zu beschäfti-
rechteckige Flächenelement. Es steht, wie eingezeichnet, unter gen und formuliert dazu ein
Wirkung der Spannungen σ xx , σ xy , σ yx und σ yy . Wir schnei- Berechnungsverfahren zur
Beschreibung der Span-
den frei und erzeugen eine neue unter dem Winkel ϕ bzw. α nungsentwicklung und De-
stehende Schnittfläche mit der Länge ds zwischen den Seiten formation von in Kontakt
(dx, dy ) . Das entstandene Dreieck halten wir durch Aufprägen stehenden elastischen Kör-
pern, die erwähnte Theorie
von Zug- und Scherspannungen σ s und τ s auf der Schnittfläche der HERTZschen Pressung.
im Gleichgewicht. Kontakt ist auch für Ingeni-
eure von Interesse und da-
184 2.8 Zusammengesetzte Beanspruchung
Und somit:
2.8.6 Der Mohrsche Kreis 185
2
⎛ σ xx − σ yy ⎞
τ max = ⎜⎜ ⎟ + (σ xy )2 . (2.8.35)
2 ⎟
⎝ ⎠
Um die Winkel ϕ 0 und ϕ1 zu finden, unter denen die maxima-
len Normal- bzw. Schubspannungen auftreten, wertet man nach
den Regeln der Extremalrechnung folgende Beziehungen aus:
dσ s dτ s
=0, =0 (2.8.36)
dϕ ϕ0
dϕ ϕ1
und findet:
2σ xy σ xx − σ yy
tan (2ϕ 0 ) = , tan (2ϕ 1 ) = − . (2.8.37)
σ xx − σ yy 2σ xy
Man beachte, dass nach den Regeln für Winkelfunktionen gilt:
⎛ π⎞ π
tan⎜ 2ϕ 0 + ⎟ = − cot (2ϕ 0 ) ⇒ 2ϕ1 = 2ϕ 0 + . (2.8.38)
⎝ 2⎠ 2
Mithin ist die Winkelrichtung maximaler Scherspannung ϕ1 so-
fort berechenbar, wenn man nur die Winkelrichtung ϕ 0 maxi-
maler Normalspannung zuvor ermittelt hat. Sie unterscheidet
sich von Letzterer um 45°. Der Winkel 2 ϕ 0 ist auch in Abbil-
dung 2.8.17 eingezeichnet. Wie mehrfach gesagt, dienen ϕ 0 und
ϕ1 zur Ermittlung der besonders gefährdeten Vorzugsrichtun-
gen, wie jetzt an drei wichtigen Spezialfällen gezeigt wird.
Der erste Fall (Abbildung 2.8.18) beschäftigt sich mit dem
Spannungszustand im eindimensionalen Zugstab. Hierfür
darf man schreiben:
σxx σxx
τ max = σ xx / 2
2ϕ0 = 0°
σ min = 0 Normalspannung
σ xx / 2 σ max = σ xx
−τxy
Scherspg.
σ xx = σ yy = − p , σ xy = 0 . (2.8.43)
Wir finden:
σ max = − p , τ max = 0 . (2.8.44) σ max = σ min = − p
min
σ xx , σ yy , σ xy σ xx , σ xy
Größte Normalspannung σ xx + σ yy σ xx
Gültigkeitsbereich: Spröde σV = + σV = +
Werkstoffe bei Biegung, Zug, 2 2
Torsion; also Gusseisen, Glas, 2
⎛ σ xx ⎞
2
⎛ σ xx − σ yy ⎞
⎟⎟ + (σ xy )2 ⎟ + (σ xy )
Steine, Schweißnähte 2
⎜⎜ ⎜
⎝ 2 ⎠ ⎝ 2 ⎠
Größte Schubspannung
(nach TRESCA) σV = (σ xx − σ yy ) + 4(σ xy )
2 2
σV = (σ xx )2 + 4(σ xy )2
Gültigkeitsbereich: Spröde
Werkstoffe bei Druck
stoff ist eine andere größte Spannung für sein Versagen maßgeb-
lich. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Festig-
keitshypothesen. Wie bei Hypothesen üblich, kann man diese
nicht beweisen, sondern ihre Nützlichkeit und Richtigkeit wird
durch die Praxis belegt oder verworfen. Die obige Tabelle zeigt
einige solche Festigkeitshypothesen und gestattet es, für zwei-
dimensionale Spannungszustände explizit Auswertungen vorzu-
nehmen. Es sei darauf hingewiesen, dass die gezeigten Festig-
keitshypothesen auch auf dreidimensionale Spannungszustände
verallgemeinert werden können.
*
Dass sich die Ebene leicht dreht, und auch Anteile in z-Richtung haben
wird, ignoriert man in dieser einfachen Theorie.
2.8.8 Spannungstensor für den Balken 191
x+Δx tSt
A3
y x hSt
x σzx t
σxx σxx
A2 A1 z A*
∑F x = 0: ∫ n σ (x + Δx, z ) dy dz + ∫ n σ (x, z ) dy dz +
A1
x xx
A2
x xx
+ ∫ n zσ zx ( x, z ) dx dy = 0 . (2.8.47)
A3
1 σ ( x + Δx, z ) − σ xx ( x, z )
σ zx (x, z ) = ∫ lim xx dy dz =
b( z ) A* Δx →0 Δx
1 dM ( x ) z Q(x ) Q( x )S y*
b( z ) A∫* dx I yy I yy b( z ) A∫*
= dy dz = z dy dz ≡ . (2.8.48)
I yy b( z )
*
Man könnte ja stattdessen auch „von oben kommend“ freischneiden und
dann wäre nz=+1.
2.8.8 Spannungstensor für den Balken 193
x+Δx tSt
y x hSt
x A*
σxx σxx
σyx
A1 A3 z t
A2
∑F x = 0: ∫ n σ (x + Δx, z ) dy dz + ∫ n σ (x, z ) dy dz +
A1
x xx
A2
x xx
∫ n σ (x, y ) dx dz = 0 .
A3
y yx (2.8.54)
= ∫
t A* dx I yy
dy dz = ∫
I yy t A*
z dy dz ≡
I yy t
. (2.8.55)
S = ∫ z dy dz ≡ ∫ d~ ∫ z dz = t ( h − y ) (hSt + t ) ≡ A* z * , (2.8.56)
* 1 1
y y 2 2
A* y hSt 2
wobei das positive Vorzeichen für die Flächen 1 und 4 und das
negative für die Flächen 2 und 3 zuständig ist. Die Summe aller
dieser Kräfte ist also sicherlich gleich Null. Das Momen-
tengleichgewicht (wie man z. B. bei Drehung um den Schwer-
punkt sieht) ist damit auch identisch erfüllt: Das geschlossene
Doppel-T-Profil verdreht sich nicht. Beim U-Profil ist das an-
ders ! Wie wir in Abschnitt 2.5.4 gesehen haben, ist dort zwar
Kräftegleichgewicht aber kein Momentengleichgewicht gege-
ben, es sei denn, Q greift im Schubmittelpunkt an.
Übrigens erhält man nun auch das Ergebnisse (2.5.9 / 12) für die
Spannungen am Übergang Flansch zu Steg einfach aus den
Gleichungen (2.8.49) und (2.8.55/56). Mit den Bezeichnungen
aus Abschnitt 2.5.2 gilt nämlich:
Q( x )A1* z1*
τ 1 ≡ σ zx (x, z = 12 hSt ) = , (2.8.58)
I yy tSt
Q( x ) 12 A1* z1*
τ Fl ≡ σ yx ( x, y = 0) = , z1* = ± 12 (hSt + t )
I yy t
und somit folgt in der Tat die ingenieurmechanisch anschauli-
che*, aber leicht mysteriöse Erhaltung des Schubflusses:
τ 1tSt = 2τ Flt ⇔ T1 = 2TFl . (2.8.59)
2.9 Stabilitätsprobleme
2.9.1 Einführung
Bisher wurden statische Systeme im stabilen Gleichgewicht be-
trachtet (siehe Abbildung 2.9.1, oben). Bei der Berechnung von
Lagerkräften und -momenten, Schnittgrößen sowie Spannungen
wurde vom unverformten System ausgegangen, d. h. eine so ge-
nannte Theorie 1. Ordnung betrieben. In der Festigkeitslehre in-
teressierte das Versagen des Systems bei Erreichen einer kriti-
schen Grenzspannung.
Im Folgenden geht es uns, als Aufgabengebiet der Stabilitäts-
theorie, um indifferente und labile Gleichgewichtslagen stati-
scher Systeme (Abbildung 2.9.1, Mitte und unten). Wie wir se-
hen werden, ist es bei der Berechnung solcher Gleichgewichts-
lagen nötig, die Verformung des Systems mit einfließen zu las-
sen.
*
Im Sinne der PRANDTLschen Strömungsanalogie aus Abschnitt 2.7.4.
2.9.2 Ein erstes Stabilitätsproblem 197
x x x
c FF = cx
h
h1
FAx
A A
FAy
Abb. 2.9.2: Mit Feder gehaltener Stab unter Drucklast.
Ziel soll es sein, diejenige kritische Drucklast Fk zu finden, bei
welcher der Stab beginnt, auszuweichen. Dazu schneiden wir
die Feder frei, lenken den Stab ein wenig aus der Gleichge-
wichtslage aus (siehe Abbildung 2.9.2, rechts) und stellen die
Momentenbilanz um den Punkt A auf:
xh
∑M ( A)
=0 ⇒ −F
h1
+ Fc h1 = 0 . (2.9.1)
h12
F =c ≡ Fkr . (2.9.4)
h
Dies ist die gesuchte kritische Last, bei der das System aus-
weicht. Man darf sagen, dass der Gleichgewichtszustand des
Systems zusammenbricht, falls die Kraft F über den genannten
Wert steigt. Praktisch wird die Verformung durch eine kleine
Exzentrizität, Unebenheit oder sonstige Störung des Systems
eingeleitet. Beachte ferner, dass das Ausweichen senkrecht zur
Last erfolgt.
w′′( x ) = −α 2 w , α 2 =
F
>0, (2.9.6)
EI
wobei durch das Quadrat angedeutet wird, dass es sich bei der
Abkürzung α 2 um eine positive Größe handelt. Es resultiert
folgende Differenzialgleichung zweiter Ordnung:
w′′( x ) + α 2 w = 0 . (2.9.7)
Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lautet:
w( x ) = A sin (αx ) + B cos(αx ) , (2.9.8)
und die Konstanten A bzw. B bestimmen wir aus den Rand-
bedingungen, die für das in Abbildung 2.9.5 dargestellte Sys-
tem zu fordern sind:
w( x = 0 ) = 0 ⇒ B=0 (2.9.9)
und:
w( x = l ) = 0 ⇒ A sin (αl ) = 0 . (2.9.10)
Es wäre töricht, aus der letzten Beziehung A = 0 schließen zu
wollen, denn dann hätten wir nur die triviale (die Nulllösung)
gefunden, die sicherlich bis zum Erreichen der Grenzlast vor-
liegt, wie man auch ohne Rechnung weiß. Es gibt aber noch eine
andere Möglichkeit, die Gleichung (2.9.10) zu erfüllen, nämlich,
wenn man fordert:
α l = nπ , (2.9.11)
wobei n eine ganze (positive) Zahl ist. Dann folgt:
200 2.9 Stabilitätsprobleme
n2π2 F
α = 2 =
2
, (2.9.12)
l EI
d. h., die Kraft F muss so gewählt werden, dass eine ganz be-
stimmte Knickbedingung, eben die aus Gleichung (2.9.6), er-
füllt ist:
EIπ 2
Fkr = ⇒ Fkr ,n = n 2 Fkr . (2.9.13)
l2
Indem man in Gleichung (2.9.4) einsetzt, entsteht:
⎛ nπx ⎞
w( x ) = A sin ⎜ ⎟. (2.9.14)
⎝ l ⎠
Die Abhängigkeit der kritischen Spannung vom Schlankheits- σkr Grenze: Fließspannung
grad, die sogenannte EULER-Hyperbel, ist in Abbildung 2.9.7
zu sehen. Man erkennt, dass für gedrungene Stäbe, also bei klei- σF
1
nen Werten von l bzw. kleinem Schlankheitsgrad λ , die kriti- ~
λ2
sche Spannung deutlich ansteigt und eventuell oberhalb der
Fließgrenze liegt, womit die Stabilitätsfrage als Sicherheitsprob-
lem hinfällig wird. λ
dx
x
z
dψ
dψ w'(x)
x M
z w'(x+ dx)
N M+ dM
Heinrich HENCKY wurde Q D N+ dN dψ
am 2. November 1885 in
Ansbach (Bayern) zunächst dx Q+ dQ
ohne Schwierigkeiten gebo-
ren, um am 6. Juli 1951 Abb. 2.9.9: Biegung eines Knickstabstückes.
schließlich beim Bergstei-
gen zu sterben. Während
Dazu argumentiert man lokal für das in Abbildung 2.9.9 darge-
seines Lebens arbeitete er stellte Balkenstück wie folgt. Kräfte- und Momentengleichge-
auf diese Climax hin. So wicht am gekrümmten, unter der Drucklast F stehenden Balken
war sein Leben eine einzi- liefern mit den Bezeichnungen der Abbildung folgende Zusam-
ge, unstete Wanderschaft, menhänge:
er wurde hochgelobt und
fiel oftmals tief. Sein Vater
∑F = 0 : − N + ( N + dN ) cos(dψ ) + (Q + dQ ) sin (dψ ) = 0 ,
starb früh und seine Mutter x
x = x(t ) , t A ≤ t ≤ t E . (3.1.1)
Dabei ist t A die Anfangszeit, zu welcher die Bewegung beginnt, a
und t E signalisiert das Ende der Bewegung. Der in der Glei-
chung (3.1.1) dargestellte Zusammenhang lässt sich in einem
(t , x ) -Schaubild veranschaulichen: Abbildung 3.1.1 (oben). Man − t
beachte, dass derselbe Ort zu verschiedenen Zeiten mehrfach
angenommen werden kann, denn das Fahrzeug kann ja rück-
wärts fahren und die Bewegung sich umkehren.
Bei einer reinen Vorwärtsbewegung akkumulieren wir im Laufe
Abb. 3.1.1: Zur eindi-
der Zeit selbstverständlich immer mehr an Weg, und dann ist
mensionalen Bewegung.
x = x(t ) eine monoton ansteigende Funktion der Zeit.
Wir interessieren uns nun für die Geschwindigkeit des Fahr-
zeuges. Dieses ist ein etwas schwammiger Begriff, denn wie ein
jeder Autofahrer weiß, bleibt diese selbst bei einer eindimensio-
nalen geradlinigen Bewegung in den allerwenigsten Fällen zu
allen Zeitpunkten gleich. Zum Beispiel können wir eine mittlere
Geschwindigkeit der in Gleichung (3.1.1) beschriebenen Reise
berechnen, wie folgt:
insgesamt zurückgelegter Weg x(t E ) − x(t A )
υ= = . (3.1.2)
Gesamtzeit tE − tA
206 3.1 Punktförmige Masse
also kurz:
x = υ0t + C . (3.1.11)
Die Integrationskonstante C bestimmen wir dadurch, dass wir
die letzte Gleichung zum (beliebigen) Zeitpunkt t 0 auswerten,
für den wir wissen, dass sich der materielle Punkt dann am Ort
x 0 befindet:
x0 = υ 0 t 0 + C ⇒ C = x0 − υ 0 t 0 . (3.1.12)
Dieses setzen wir ein und finden:
x = x 0 + υ 0 (t − t 0 ) . (3.1.13)
Man kann dasselbe Ergebnis alternativ auch durch bestimmte
Integration zwischen den Zeitpunkten t0 und t finden:
208 3.1 Punktförmige Masse
x t
dx
dt
= υ0 ⇒ ∫ dx = x − x
x0
0 = ∫ υ 0 dt
t0
t
(3.1.14)
= υ 0 ∫ dt = υ 0 (t − t 0 ).
t0
Integrieren lässt sich natürlich immer, und zwar nicht nur, wenn
es sich um eine gleichförmige Bewegung handelt. Allgemein
dürfen wir daher als Umkehrung der Gleichungen (3.1.4) und
(3.1.7) schreiben:
υ = ∫ a dt + C1 , (3.1.15)
dx ⎛ ⎞
= υ ⇒ x = ∫ υ dt + C2 = ∫ ⎜ ∫ a dt ⎟dt + C1t + C2 .
dt ⎜ ⎟
⎝ ⎠
Die Konstanten C1 und C 2 muss man dann durch sogenannte
Anfangsdaten bestimmen, also durch zwei bekannte, unter-
schiedliche Orts- oder Geschwindigkeitswerte. Alternativ bietet
es sich auch diesmal wieder an, eine bestimmte Integration
durchzuführen. Dies resultiert in
t
υ = υ0 + ∫ a dt , (3.1.16)
t0
t t ⎛ t ⎞
dx
( )
= υ ⇒ x = x0 + ∫ υ dt = x0 + υ 0 t − t0 + ∫ ⎜ ∫ a dt ⎟dt .
⎜ ⎟
dt t0 t0 ⎝ t0 ⎠
In beiden Fällen ist es zur konkreten Lösung natürlich nötig, die
unter den Integralen stehenden Zeitfunktionen explizit zu ken-
nen. Dann ist es „nur noch“ nötig, die Integrale zu ermitteln,
was zur Not numerisch geschehen kann, etwa durch „Auszäh-
len“ der Fläche unter den entsprechenden Kurven, die in der
Abbildung 3.1.1 zu sehen sind. Mit drei Beispielen zur eindi-
mensionalen Bewegung sollen die Gleichungen eingeübt wer-
den.
υ
ln = −k (t − t0 ) ⇒ υ = υ 0 exp(− kt ) , (3.1.19)
υ0
wobei angenommen wurde, dass die Geschwindigkeit υ 0 zum
Zeitpunkt t 0 = 0 bekannt ist. Wollen wir nun noch die Position
210 3.1 Punktförmige Masse
des Punktes als Funktion der Zeit durch eine weitere Integration
ermitteln, so können wir diesmal wieder direkt die integrierte
Gleichung (3.1.16) verwenden:
~
t =t
υ0
∫ exp(− k t ) d t
~ ~ (1 − exp(− kt )) .
x = x0 + υ 0 = x0 + (3.1.20)
~
t =0
k
x0 x0 x(t )
υ~ =υ ~
x =x
∫ υ~ dυ~ = −ω 2 ~ ~
∫ x dx
υ~ =υ ~
x = x0
0 (3.1.24)
⇒
2
(
1 2
) 1
υ − υ 02 = − ω 2 x 2 − x02 .
2
( )
Fordern wir noch, dass υ 0 = 0 , so folgt:
υ = ω x 02 − x 2 . (3.1.25)
Um nun den Ort als Funktion der Zeit zu finden, schreiben wir:
dx dx
= ω x 02 − x 2 ⇒ = ω dt ⇒ (3.1.26)
dt x − x2
2
0
~ ~
x =x
d~ ⎛ ~
~
x =x t =t
~ ⎞
= ω (t − t 0 ) .
x x
~
∫
x = x0 x 02 − ~
x2
= ω ∫ d t ⇒ arcsin⎜⎜
~
t =t0 ⎝ x0
⎟⎟
⎠ ~x = x0
1 ⎛⎜ ⎛ x ⎞ π⎞ 1 ⎛ x⎞
t= arcsin ⎜⎜ ⎟⎟ − ⎟ = arccos⎜⎜ ⎟⎟ . (3.1.27)
ω ⎜⎝ ⎟
⎝ x0 ⎠ 2 ⎠ ω ⎝ x0 ⎠
(d) Grafische Vorhersage einer Bewegung
Als letztes Beispiel untersuchen wir noch die grafisch-
rechnerische Lösung des Weg-Geschwindigkeits-Beschleuni-
gungs-Problems. Es sei das in der Abbildung gezeigte Beschleu-
nigungs-Zeit-Diagramm vorgelegt.
a [ m/ s ] 2
1m / s2
t
10 s
25 s − t
1 1m / s2
25 s − 15 s
I II III
t 10 15 t 25 t [ s]
Abb. 3.1.3: Ein Beschleunigungs-Zeit-Diagramm.
Es wird also in den ersten zehn Sekunden linear von 0 auf
1,0 m s 2 beschleunigt, danach wird für fünf Sekunden die Be-
schleunigung konstant auf letzterem Wert gehalten und schließ-
lich in weiteren zehn Sekunden auf null linear verzögert, d. h.
abgebremst. Es ist bekanntlich:
212 3.1 Punktförmige Masse
~
t =t
dυ
= a ⇒ υ = υ0 + ∫ a(t ) d~
t . (3.1.28)
dt ~
t =t0
1 (t − 15 s ) m
2
m
υ15 + 1 2 ⋅ (t − 15 s ) − , 15 s ≤ t ≤ 25 s . (3.1.33)
s 2 25 s − 15 s s 2
Es folgt für t = 25 s :
m m 1 100 s 2 m m
υ 25 = 10 + 10 − = 15 . (3.1.34)
s s 2 10 s s s
Wir skizzieren den so bestimmten Verlauf der Geschwindigkeit:
3.1.1 Kinematik eines einzelnen Massenpunktes 213
υ [m / s]
15
10
10 15 25 t [s ]
x = x1 (t ) e1 + x 2 (t ) e 2 + x3 (t ) e 3 = ( x1 (t ) , x 2 (t ) , x3 (t )) . (3.1.39)
t = tA t = tA
Δx
x (t )
x
e3
e3 x (t + Δ t )
e2 e2 t = tE
t = tE
e1 e1
∫ a(t ) d t ,
υ = υ (t ) = υ (t 0 ) + ~ ~
~t = t
0
~ (
t =t
∫ υ (t ) d t
x = x(t ) = x (t 0 ) + ~ ~
~
t =t 0
( ~ ( (3.1.46)
⎛ t =t ~ ~ ⎞ (
t =t
= x (t 0 ) + υ (t 0 ) (t − t 0 ) + ∫ ⎜ ∫ a (t ) d t ⎟ dt ,
( ⎜ t =t ⎟
t =t0 ⎝ ~ 0 ⎠
bzw. komponentenweise:
216 3.1 Punktförmige Masse
~t = t
∫ a (t ) d t ,
υ i = υ i (t ) = υ i (t 0 ) + ~ ~
i
~
t =t0
~ (
t =t
∫ υ (t ) d t
~ ~
xi = xi (t ) = xi (t 0 ) + i
~
t =t0
( ~ ( (3.1.47)
⎛ t =t
t =t ⎞ (
= xi (t 0 ) + υ i (t 0 ) (t − t 0 ) + ∫ ⎜ ∫ ai (~ t ) d~
t ⎟ dt .
( ⎜~
t =t 0 ⎝ t = t0
⎟
⎠
Manchmal möchte man den Betrag des Positions-, des
Geschwindigkeits- oder des Beschleunigungsvektors ermitteln.
Er folgt aus den jeweiligen kartesischen Komponenten durch
Anwendung des Satzes von PYTHAGORAS im Raum:
x = r = x12 + x 22 + x 32 , υ = υ 12 + υ 22 + υ 32 ,
a = a12 + a 22 + a 32 . (3.1.48)
Koordinatensysteme
Bislang haben wir in naiver Weise zur Beschreibung der Bewe-
gung eines Punktes ein zeitlich feststehendes kartesisches Koor-
dinatensystem gewählt. Dieses ist immer erlaubt, aber stellt
nicht immer die optimale Wahl zur Beschreibung eines Bewe-
gungsproblems dar. Betrachten wir z. B. die Bewegung eines
Punktes in der Ebene, wie in der Abbildung illustriert.
t = tA
P
x = r (t ) e r (t )
e ϕ e2 t = tE
er
ϕ
e1
Abb. 3.1.6: Punktbewegung in der Ebene.
Alternativ zu den beiden feststehenden kartesischen Einheits-
vektoren e1 , e 2 können wir die zeitlich veränderliche Basis e r ,
eϕ verwenden. e r zeigt stets in Richtung des Ortsvektors, also
in radialer Richtung, eϕ steht um 90° entgegen dem Uhrzeiger-
sinn versetzt senkrecht auf e r . Man spricht von der Polarkoor-
dinatendarstellung der Bewegung. Offensichtlich müssen sich
e r und e ϕ drehen, wenn der Punkt im Laufe der Zeit seine
3.1.1 Kinematik eines einzelnen Massenpunkts 217
( ) ( )
= &r& − r ϕ& 2 e r + (r ϕ&& + 2r& ϕ& ) e ϕ = &r& − r ϕ& 2 , r ϕ&& + 2r& ϕ& .
218 3.1 Punktförmige Masse
t = tA
P
e z e3
eϕ t = tE
e2
e1
er
d x ds ds
υ = x& = = e t = (s& , 0 , 0 ) . (3.1.61)
ds dt dt
Man bedenke, dass nach PYTHAGORAS gilt:
ds
ds = dx12 + dx 22 + dx 32 ⇒ = x&12 + x& 22 + x& 32 = υ , (3.1.62)
dt
womit Gleichung (3.1.58) bestätigt ist. Um nun die Beschleuni-
gung zu errechnen, beachten wir, dass im Allgemeinen alle drei
Einheitsvektoren e t , e n , e b Funktionen der Zeit sein werden, da
der Punkt eine im Allgemeinen gekrümmte Raumkurve durch-
läuft. Also gilt:
a = υ& = &s& e t + s& e& t . (3.1.63)
Zur Berechnung von e& t beachten wir die nebenstehende Skizze
und erkennen, dass die Zeitableitung in Richtung von e n zeigen
e t (t )
muss. Wir schreiben: e t (t + Δ t )
e t (t + Δt ) − e t (t ) Δs
s& υ
e& t = lim = ϕ& e n = e n = e n . (3.1.64)
Δt → 0 Δt ρ ρ ρ
Also ist: Δϕ
υ2 ⎛ υ2 ⎞
a = υ& = &s& e t + e n = ⎜⎜υ& , , 0 ⎟⎟ . (3.1.65)
ρ ⎝ ρ ⎠
Man nennt υ& die Bahnbeschleunigung oder aus offensichtli- e t (t + Δ t )
chen Gründen auch die Tangentialbeschleunigung.
Δ et
υ2
− e t (t ) Δ ϕ
Die Komponente wird Normal- oder auch Zentripetalbe-
ρ
schleunigung genannt (lat. petere = abzielen, erstreben). Wir
notieren abschließend als Sonderfall noch die ebene Kreisbe- Abb. 3.1.10: Zeitliche
wegung (Radius R ): Änderung der Einheits-
vektoren des natürlichen
υ = s& = (Rϕ ) = Rϕ& = Rω (t ) ,
•
Koordinatensystems.
a t = υ& = R ω& , (3.1.66)
υ2
an = = Rω2 .
R
220 3.1 Punktförmige Masse
dz gx z
=0 ⇒ − max
+ tan (α ) = 0 . (3.1.78)
υ A cos 2 (α )
2
dx xz
max
2 2
υA υA
⇒ xz = sin (α ) cos(α ) = sin (2α ) .
max g 2g
Wir fragen uns, für welches α sich die größte Wurfweite ergibt:
π π
2α = ⇒ α= (3.1.79)
2 4
oder auch mit:
d
(sin (α ) cos(α )) α z = 0 = cos 2 (α ) − sin 2 (α ) = 0
dα max
⇒ tan (α ) = 1 ⇒ α = 45 ° . (3.1.80)
Die Wurfzeit erhält man durch Einsetzen der Wurfweite xmax in
Gleichung (3.1.75):
2 υ A sin (α ) cos(α )
2
x max
t max = =
υ A cos(α ) g υ A cos(α )
2 υ A sin (α )
= . (3.1.81)
g
Geführte Bewegungen
In technischen Anwendungen ist, außer in der Ballistik, die freie
Bewegung die Ausnahme. Um genau zu sein, auch in der Ballis-
tik, also der manchmal fragwürdigen Kunst des Schießens, un-
terscheidet man zwischen „innerer“ und „äußerer“ Ballistik,
d. h. der Wegbeschreibung vor und nach Austritt des Geschosses
aus dem Lauf, und nur die letzte ist „frei“, wenn auch (anders
als im obigen Beispiel) zusätzlich gebremst durch den Luftwi-
derstand. Der Weg des Geschosses ist bereits eine geführte Be-
wegung und besagte Führung resultiert in sogenannten Zwangs-
oder Führungskräften, die erst im Freischnitt des Massenpunk-
224 3.1 Punktförmige Masse
R
ϕ
R
FN
mg
den Kräfte des Freischnitts. Dann ist zum einen aufgrund von
Gleichung (3.1.66) und (3.1.82):
a t = Rϕ&& , a n = Rϕ& 2 , (3.1.85)
m a t = mg cos(ϕ ) , m a n = FN − mg sin (ϕ ) .
Es folgt:
mRϕ&& = mg cos(ϕ ) , mRϕ& 2 = FN − mg sin (ϕ ) . (3.1.86) Jean le Rond D'ALEM-
BERT wurde am 17. No-
Man erkennt, dass die zweite Gleichung sich schreiben lässt als: vember 1717 in Paris gebo-
ren und starb am 29. Okto-
FN = mRϕ& 2 + mg sin (ϕ ) , (3.1.87) ber 1783 ebenda. Er war
der uneheliche Sohn aus ei-
π ner amourösen Liaison der
und für ϕ = entsteht hieraus gerade die unter Verwendung Mme. de TENCIN. Sein offi-
2
zieller Vater, LOUIS-CAMUS
des Konzeptes der Scheinkraft/Zentrifugalkraft gewonnene Be- DESTOUCHES, war ein be-
ziehung (3.1.85). Man sieht aber auch, dass es völlig unnötig ist, ruflich stark eingespannter
dieses Konzept zu verwenden. Mehr noch: Der Name Schein- Artillerieoffizier, der sich
kraft / Zentrifugalkraft ist irreführend, denn es handelt sich neun Monate vor
D’ALEMBERTS Geburt au-
um einen aus der Kinematik herrührenden Ausdruck der Be-
ßerhalb des Landes befand.
schleunigung und dabei hat das Konzept „Kraft“ nichts zu su- Wie zur damaligen Zeit üb-
chen. lich, deponierte Mme. TEN-
CIN das neugeborene Kind
Letztere Interpretation geht auf NEWTON zurück, und man auf der Türschwelle der
spricht gerne von NEWTONscher Mechanik, die strikt zwischen Kirche St. Jean le Rond
Kraftkinetik und Geometrie (= Kinematik) unterscheidet. Das (daher sein Namenszusatz),
etwas schwammige Konzept der Scheinkräfte ist ein Derivat des wo es schnell gefunden und
Konzeptes der Trägheitskraft, welches mit dem Namen des Ma- zunächst an ein Heim wei-
tergegeben wurde. Nach
thematiko-Physikers D’ALEMBERT verbunden ist. Man kann seiner Rückkehr „kümmer-
nämlich in letzter Konsequenz NEWTONS Lex Secunda auch te“ sich Monsieur DESTOU-
schreiben als: CHES um den unfreiwilligen
Nachwuchs und übergab
F − ma = 0 (3.1.88) ihn privater Obhut, nämlich
an Mme. ROUSSEAU, die
und argumentieren, dass die Summe aller Kräfte (das umfasst Frau eines Glasers. Bei ihr
eingeprägte Kräfte, Zwangskräfte und Trägheitskräfte ( −m a )) lebte D’ALEMBERT für ge-
immer verschwindet, also letztendlich alles „Statik“ ist. Wir ra- raume Zeit. Auch für die
Ausbildung wurde gesorgt.
ten dem Anfänger zunächst von diesem Konzept aufgrund der D’ALEMBERT besuchte zu-
Schwierigkeiten, die richtigen Vorzeichen zu finden, dringlichst erst eine Privatschule und
ab. danach das Collège des
Quatre Nations. Hier
Zur Lösung des obigen Problems multiplizieren wir die erste schrieb er sich zunächst als
Gleichung in (3.1.86) mit ϕ& : Jean-Baptiste DAREMBERG
ein, änderte dann aber sei-
1 d
mRϕ&& ϕ& = mg cos(ϕ )ϕ& ⇒ mR (ϕ& )
2 nen Namen um in JEAN
D’ALEMBERT. Im Collège
2 dt
(3.1.89) des Quatre Nations wurde
d
= mg (sin (ϕ )) ⇒ der junge D’ALEMBERT
dt durch einen Professor CAR-
226 3.1 Punktförmige Masse
ϕ~& =ϕ& ϕ~ =ϕ
()
RON mit den Grundzügen 1
mR ∫ d ϕ~& ∫ d(sin (ϕ )) mR(ϕ& ) = 2mg sin (ϕ ) .
2 2
der Mathematik konfron- = mg ⇒
tiert. Dessen Mathematik- 2 ϕ~& = 0 ~ =0
ϕ
unterricht basierte auf Vor-
lesungen VARIGNONS, des- Nach (3.1.66) berechnen wir damit die einzige von null ver-
sen Namen wir bereits vom schiedene Komponente der Geschwindigkeit in natürlichen Ko-
Seileck her kennen. Außer- ordinaten:
dem lehrte man die Philo-
sophie und (Meta-)Physik 2g
DESCARTES’, für dessen υ = Rϕ& = R sin (ϕ ) = 2 gR sin (ϕ ) . (3.1.90)
Ansichten D’ALEMBERT R
den Rest seines Lebens nur
π
wenig Respekt zeigte. Na- Offenbar wird die Geschwindigkeit für ϕ = , also am unters-
türlich war auch die Religi- 2
onslehre ein großes Thema ten Punkt der Schale, maximal, nämlich gleich:
am Collège, und auch dies
wurde D’ALEMBERT gründ- υ max = 2 gR . (3.1.91)
lich ausgetrieben (als über-
zeugter Atheist wurde er in Um die Position als Funktion der Zeit zu ermitteln, sei an Glei-
einem anonymen Grab bei-
gesetzt). Nach der Graduie-
chung (3.1.90) erinnert:
rung 1735 dachte
dϕ 2g
D’ALEMBERT zunächst dar- = sin 1 2 (ϕ ) . (3.1.92)
an, sich als Rechtsanwalt dt R
bzw. als Mediziner zu betä-
tigen, gab dies dann aber Trennung der Veränderlichen führt auf:
zugunsten der Mathematik ϕ~ =ϕ
und Mechanik auf. Er reiste dϕ~
∫
R
t= . (3.1.93)
wenig und arbeitete Zeit
seines Lebens in Paris an
2g ϕ =0
sin (
12 ~
ϕ )
der Pariser Akademie der
Wissenschaften bzw. an der Dieses Integral ist jedoch für einen vorzugebenden Winkel ϕ
Französischen Akademie. nur noch numerisch zu lösen (vgl. Abschnitt 5.15).
Ein solches Leben wurde
nicht zuletzt dadurch mög- (b) Bewegung einer Masse in einer Führungsschiene
lich, dass er 1746 Mme.
GEOFFRIN kennenlernte, ei- Als ein weiteres Beispiel für eine erzwungene Bewegung be-
ne reiche, anmaßende, nicht trachten wir eine Masse m , die sich längs einer Führungsschie-
sonderlich kluge, aber fi- ne von einem sich mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit
nanziell großzügige Grün- ω 0 drehenden Zylinder bewegt. Dabei soll mithilfe einer ein-
derin eines physikalischen
Salons, zu dessen Sitzungen greifenden Kraft F sichergestellt werden, dass die Masse sich
D’ALEMBERT geladen wur- relativ zur Scheibe stets mit der konstanten Radialgeschwindig-
de. 1772 wurde keit υ 0 bewegt. Um die Führungskraft FN und die radial rück-
D’ALEMBERT schließlich
der Sekretär der Akademie wärtstreibende Kraft F zu ermitteln, arbeiten wir sinnvoller-
und eine seiner Hauptauf- weise in Polarkoordinaten (r , ϕ ) und schreiben NEWTONS Se-
gaben wurde das Aufsetzen
von Todesanzeigen, was cond Law wie folgt:
e r : −F = ma r = m(&r& − r ϕ& 2 ) ,
wohl zu den angenehmsten
Pflichten der Gremienarbeit
gehört. Seine Gesundheit e ϕ : FN = maϕ = m(rϕ&& + 2r&ϕ& ) . (3.1.94)
3.1.2 Kinetik des Massenpunktes 227
FW α FN
υ (t ) μ
α mg
Abb. 3.1.15: Klotzförmige, eine schiefe Ebene
heruntergleitende Masse.
228 3.1 Punktförmige Masse
mg
FW μ
FW = μFN (3.1.104)
und somit:
t2
m&x&1 = μmg , x&1 = μgt + υ 0 , x1 = μg + υ 0 t + x0 . (3.1.105)
2
Das Rutschen ist zu Ende, wenn:
υ F − υ0
x&1 (t = t f ) = μgt f + υ 0 = υ F
George Gabriel STOKES
⇒ tf = . (3.1.106) wurde am 13. August 1819
μg in Skreen, County Sligo, Ir-
land geboren und starb am
(b) STOKESsche Reibung 1. Februar 1903 in Cam-
bridge, England. STOKES’
Zur Illustration des Integrationsprozesses betrachten wir eine
Vater war Pastor der Ge-
Kugel der Masse m und mit dem Radius r , die in einem mit meinde von Skreen und
Flüssigkeit gefüllten Behälter unter dem Einfluss der Schwer- seine Mutter eine Pastoren-
kraft nach unten „fällt“. Zur Beschreibung der Bewegung wäh- tochter. Er war das jüngste
len wir ein nach unten weisendes Koordinatensystem, wie ge- von sechs Kindern und drei
seiner älteren Brüder mach-
zeichnet. Zur Anfangszeit soll sich die Kugel am Ort x1 = 0 be- ten sich auf, ebenso kirchli-
finden und ruhen. Der Freischnitt (siehe Abb. 3.1.17) zeigt, chen Diensten beizutreten.
dass: Trotzdem fühlte sich STO-
KES mehr zur Mathematik
m&x&1 = mg − Fw . (3.1.107) und Physik hingezogen.
Nach einem Umweg über
Mit der STOKESschen Gleichung für den Reibwiderstand das Bristol College begann
(3.1.19) wird hieraus: er in Cambridge am Pem-
broke College Mathematik
k zu studieren. 1841 graduier-
&x&1 = g − x&1 . (3.1.108) te er mit dem höchsten
m
Rang im Mathematical Tri-
Wir trennen die Variablen wie folgt: pos Examen als Senior
Wrangler, und außerdem
dx&1 wurde er auch noch First
= dt (3.1.109) Smith's Prizeman. 1849
k
g − x&1 wurde STOKES einer der
m Nachfolger NEWTONS und
rückte auf den berühmten
und integrieren von der Anfangszeit bis zu einer beliebigen Zeit Lucasian Chair. Er war
t . Es resultiert für die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit: hochgeehrt (1851 F.R.S.,
1852 RUMFORD Medaille),
gm ⎡ ⎛ k ⎞⎤ aber schlecht bezahlt. Da-
x&1 = ⎢1 − exp⎜ − t ⎟⎥ . (3.1.110)
k ⎣ ⎝ m ⎠⎦ her verschaffte er sich ein
Zubrot als Professor of
Dieses wird nun nochmals integriert, was den Weg als Funktion Physics at the Government
der Zeit liefert: School of Mines in London.
Seine Heirat mit Mary Su-
gm ⎧ m ⎡ ⎛ k ⎞⎤ ⎫ sanna ROBINSON im Jahre
x1 = ⎨t − ⎢1 − exp⎜ − t ⎟⎥ ⎬ . (3.1.111) 1857 machte ihn etwas
k ⎩ k ⎣ ⎝ m ⎠⎦ ⎭ „weicher“ und ließ ihn sich
230 3.1 Punktförmige Masse
von der reinen Wissen- Man erkennt, dass die Geschwindigkeit einem Grenzwert zu-
schaft zunehmend in Ver- gm
waltungsaufgaben zurück- strebt, nämlich , und der Ortsgewinn von einem gewissen
ziehen. Dennoch verblieb in k
seiner Seele irgendwie doch Zeitpunkt an linear zunimmt.
stets ein harter, mathemati-
scher Kern. So schreibt er t = tA
an die Geliebte: „I too feel
that I have been thinking
too much of late, but in a k
different way, my head
running on divergent series,
the discontinuity of arbi- mg
trary constants, I often FW
thought that you would do υ (t )
me good by keeping me
from being too engrossed
by those things.“ Aufgrund
solcher Äußerungen ist zu x1
vermuten, dass er im heuti-
gen emanzipatorischen Abb. 3.1.17: Zur Bewegung einer in einem mit Flüssigkeit
Zeitalter wohl Junggeselle gefüllten Behälter fallenden Masse.
geblieben wäre.
Betrachten wir nun eine Masse, die wie in der Abbildung ge-
zeigt auf eine Wand stößt, sich deformiert und nach Beendigung
des Stoßes wieder von der Wand entfernt.
3.1.3 Der Impulssatz 231
y
υ′
α′
α x
= ∫ F d~
t , K = ∫ F dt .
~
K R
K (3.1.117)
~ ~t = t
t =0 K
υ = − 2 gh . (3.1.126)
Wir messen nun die Höhe h ′ , welche die Masse nach dem Auf-
prall tatsächlich erreicht. Ihr entspricht die Geschwindigkeit:
υ ′ = 2 gh ′ . (3.1.127)
Wir bilden jetzt das Verhältnis:
υ ′x υ′ h′
e=− =− = (3.1.128)
υx υ h
und erkennen, dass aus Höhenmessungen vor und nach dem
Aufprall sich die Stoßzahl direkt bestimmen lässt. Selbstver-
ständlich ist dabei anzugeben, welches Material auf welches
trifft, etwa eine Stahlkugel auf eine Gummiplatte. Die Elastizität
bzw. die Nichtelastizität der beteiligten Körper wird somit quan-
titativ erfassbar. Anschaulich gesprochen wird mit kleiner wer-
dendem e der dissipative, also der in Form von Wärme verloren
gehende Anteil an Energie immer größer. Um diese Aussage zu
quantifizieren, ist es notwendig, dass wir uns als Nächstes über
den Energiebegriff in der Punktmechanik Klarheit verschaffen.
∫
m 2 m 2
= υ E − υ A = F ⋅ dx .
2 2 x A
m 2
Wir interpretieren Ausdrücke der Form υ als kinetische
2
Energie E kin des Massenpunktes und das Integral als die Ver-
allgemeinerung der als „Kraft mal Weg“ bekannten mechani-
schen Arbeit W am Teilchen (vgl. auch Abschnitt 5.5.1 zum
Arbeitssatz der Statik), kurz:
234 3.1 Punktförmige Masse
∫ F ⋅ dx = ∫ F
ext
W = ⋅ dx . (3.1.132)
xA xA
e2 e1
FW
α
FN
υ (t ) μ
mg
α
Abb.3.1.20: Energieverlust bei Gleitreibung.
Als Beispiel für die Berechnung eines solchen Arbeitsintegrals
betrachten wir die gleitende Masse in Abbildung 3.1.20. Mit
dem dort gezeigten Freischnitt wird:
= [FW − mg sin (α ) , −mg cos(α )]
ext
F
= [μFN − mg sin (α ) , −mg cos(α )] =
[mg [μ cos(α ) − sin (α )] , −mg cos(α )] . (3.1.133)
Weiter ist:
d x = (− dx1 , 0 ) ⇒
ext
F ⋅ dx
(3.1.134)
= −mg [μ cos(α ) − sin (α )] dx1 ⇒
⎛ H ⎞
x E = ⎜⎜ , 0 ⎟⎟
⎝ sin(α ) ⎠
υ E = mgH [1 − μ cot (α )] ⇒
m 2
2 (3.1.136)
υ E = 2 gH 1 − μ cot (α ) .
Der Anteil mgH ist als potenzielle Energie (-differenz) be-
kannt. Sie bemisst die Energie, die aufzubringen ist, um einen
Körper der Masse m (reibungsfrei) in einem konstanten Schwe-
refeld der Stärke g um den Betrag H in der Höhe anzuheben.
Fällt ein Körper um diesen Betrag, dann geht die potenzielle
Energie nicht verloren, sondern wandelt sich in kinetische Ener-
gie um. Das ist genau, was Gleichung (3.1.136) besagt. Man
sieht allerdings, dass im Falle von Anwesenheit von Reibung
nicht die gesamte potenzielle Energie in kinetische Energie um-
gewandelt werden kann. Ein Anteil μ cot (α ) geht verloren.
Aber auch dieser Energieanteil verschwindet nicht einfach.
Zwar wird er nicht in makroskopisch sichtbare kinetische Ener-
gie umgewandelt, doch erhöht er die mittlere kinetische Energie
der Atome / Moleküle, welche die Masse m aufbauen. Mit an-
deren Worten, er dient der Erhöhung der sog. inneren Energie
des Körpers, und man sagt, er geht als Wärme irreversibel verlo-
ren. Somit erkennt man auch, dass die Gleichungen
(3.1.130/131) unmöglich den gesamten Energiehaushalt eines
Körpers beschreiben können.
In der Tat repräsentieren sie auch nur den mechanischen Anteil
der vollständigen Energiebilanz, denn sie sind ja eine Folge von
NEWTONS Second Law, also der Impulsbilanz. Der Energiesatz
der Mechanik wird später in der Thermodynamik um den sog.
1. Hauptsatz ergänzt. Dieser beschreibt den inneren Energie-
haushalt eines Körpers, und in Summe mit dem mechanischen
Anteil aus Gleichung (3.1.130) ergibt sich die vollständige
Energiebilanz, in der kinetische und innere Energie gemeinsam
auftreten.
Hierauf wird aus didaktischen Gründen erst weiter unten einge-
gangen. Es sei jedoch bereits vermerkt, dass Mechaniker eine
gewisse Tendenz haben, den inneren Energiehaushalt eines
Körpers zu ignorieren bzw. zu verdrängen (Ähnliches, aber um-
236 3.1 Punktförmige Masse
P = F ⋅υ = F ⋅υ .
ext
(3.1.138)
Die Einheit der Leistung ist N ⋅ m s = J s = W . Oben haben wir
bereits ein Beispiel für die Berechnung des Arbeitsintegrals
kennengelernt. Die dort gezeigte Berechnung des Skalarproduk-
tes soll nun verallgemeinert werden. Wir nehmen zu diesem
ext
Zweck an, dass die externen Kräfte F konservativ sind, d. h.,
dass sie sich aus einer skalaren Funktion, dem sog. Potenzial
(manchmal auch „potenzielle Energie“ genannt) E pot ableiten
lässt, dergestalt dass
ext ∂E pot
Fi =− , i = 1, 2, 3 . (3.1.139)
∂xi
Das Minuszeichen ist dabei reine Konvention, die sich daraus
erklärt, dass die potenzielle Energie sich erhöhen soll, wenn man
von einer Höhe 0 auf eine Höhe H hinaufsteigt. Dass eine Dar-
stellung der Form (3.1.139) möglich ist, wird klar, wenn wir den
Fall des Schwerefeldes der konstanten Stärke g = (0, 0, − g ) be-
trachten. Dann gilt:
⎛ ∂E pot ∂E pot ∂E pot ⎞
= −⎜⎜ ⎟⎟
ext
E pot = mg x 3 ⇒ F , ,
⎝ ∂x1 ∂x 2 ∂x 3 ⎠. (3.1.140)
= −(0, 0, mg )
Es sei bemerkt, dass eine solche Eigenschaft auch beim ortsab-
hängigen, mit 1 r 2 in der Entfernung abnehmenden Schwere-
feld der Erde gegeben ist. Bei Reibungskräften jedoch ist dies
nicht der Fall. Man nennt sie daher auch nicht konservative
Kräfte. Wir berechnen jetzt vermöge (3.1.139) das Skalarpro-
dukt dW :
ext
dW = F ⋅ dx
⎛ dx1 ⎞
⎛ ∂E pot ∂E pot ∂E pot ⎞ ⎜ ⎟ (3.1.141)
= −⎜⎜ + + ⎟⎟ ⋅ ⎜ dx 2 ⎟
⎝ ∂x1 ∂x 2 ∂x3 ⎠ ⎜ dx ⎟
⎝ 3⎠
3.1.4 Der Energiesatz der Mechanik 237
∫F ⋅ d~
ext
dW = − dE pot
⇒ W= x=
~
x =xA
~
x =xE
∫ dE (x ) = −[E (x ) − E (x )].
− ~ pot pot pot
(3.1.142)
E A
~
x =xA
[E kin
(x E ) − E kin (x A )] = −[E pot (x E ) − E pot (x A )] (3.1.144)
⇒ E kin ( x E ) + E pot ( x E ) = E kin ( x A ) + E pot ( x A ) = const.
In Worten: Die Summe aus kinetischer und potenzieller Energie
ist für konservative Kräfte gleich einer Konstanten. Manche
Mechaniker nennen diese Gleichung auch den „Energiesatz“ im
Unterschied zum „Arbeitssatz“ (3.1.131), der auch den Fall dis-
sipativer, nicht konservativer Kräfte umfasst. Dies geschieht
wohl mehr, um zur babylonischen Sprachverwirrung beizutra-
gen, denn für uns ist Gleichung (3.1.144) einfach ein Spezialfall
des Energiesatzes der Mechanik (3.1.131).
238 3.2 Die Dynamik von Massenpunktsystemen
l′ S2 S3
S1 S2
2
x
R S1
x1
m1 m1 g
m2 m2 g
Abb. 3.2.3: Doppelter Flaschenzug.
Außerdem ist die Seillänge fest, und was die Masse m 2 an Weg
nach unten gewinnt, muss die Masse m1 an Weg nach oben auf-
bringen (vgl. auch Gleichung (3.2.2)):
x1 + πR − x 2 + πR − x 2 + l ′ − l = 0 ⇒ x&1 = 2 x& 2 . (3.2.8)
Also ist:
S
m1 &x&1 = S − m1 g ⇒ &x&1 = −g, (3.2.9)
m1
m2 1 4S
m 2 &x& 2 = −2 S + m 2 g = &x& ⇒ − &x&1 = − 2g .
2 m2
Durch Addieren beider Gleichungen entsteht:
S 4S 3m1 m 2
+ − 3g = 0 ⇒ S = g (3.2.10)
m1 m 2 4m1 + m 2
3m 2 m − 2m1
⇒ &x&1 = g−g =2 2 g.
4m1 + m 2 4m1 + m 2
Betrachten wir nun speziell den Fall statischen Gleichgewichts:
242 3.2 Die Dynamik von Massenpunktsystemen
m 2 = 2m1 = 2m , (3.2.11)
so resultiert in der Tat:
3⋅ 2
&x&1 = 0 , S = m g = mg .
4+2
∑ mi &x& = ∑ F + ∑ ∑ F
i i ij
. (3.2.12)
i =1 i =1 i =1 j =1 i≠ j
∑∑ F
i =1 j =1
ij
= ∑∑ F
j =1 i =1
ij
=
i≠ j i≠ j
(3.2.13)
N N N N
− ∑∑ F = −∑∑ F
ji ij
.
j =1 i =1 i≠ j i =1 j =1 i≠ j
∑ (m &x& )
N
i
i
i =1
m &x& = F , &x& =
S S
N
, (3.2.16)
∑m
i =1
i
∑ (m x )
N
i
i
i =1
x =
S
N
(3.2.17)
∑m
i =1
i
( )
N
p = ∑ mi x& = m x& ,
i S
(3.2.18)
i =1
( )
N N
L = ∑ L = ∑ mi x × x& .
i i i
(3.2.21)
i =1 i =1
Differenzieren wir dieses nach der Zeit, so wird daraus bei zeit-
lich konstanten Massen:
( ) ( )
N N
L& = ∑ mi x& × x& + ∑ mi x × &x&
i i i i
i =1 i =1
(3.2.22)
( ( ))
N
= ∑ x × mi &x&
i i
i =1
N
⎛ i ⎛ i N ij ⎞ ⎞
= ∑ ⎜⎜ x × ⎜ F + ∑ F ⎟ ⎟⎟
i =1 ⎝ ⎝ i =1 ⎠ ⎠ i≠ j
( )
N ⎛ N
ij ⎞
N
= ∑ x × F + ∑ ⎜⎜ ∑ x × F ⎟⎟ .
i i i
i =1 i =1 ⎝ j =1 ⎠ i≠ j
Dabei wurde wiederum von der NEWTONschen Lex Secunda für
den einzelnen Massenpunkt Gebrauch gemacht.
Das zweite Integral verschwindet wegen des dritten NEWTON-
schen Gesetzes, denn bei der doppelten Summation treten paar-
weise Momentenbeiträge mit umgekehrten Vorzeichen auf:
x ×F +x ×F
i ij j ji
(
= x −x
j i
)×F ji
=0 ,
x −x
j i
da F = F
ji ji
. (3.2.23)
x −x
j i
i
Punkt x befindliche Masse mi ist, folgt:
N
L& = ∑ M = M .
i
(3.2.24)
i =1
mi
ω = ϕ&
ri
a
e2
e3 mi
a i
j r
r ϕi
e2
e1 e3 e1
m j
⇒ Li3 = mi r i ω (t ), ( ) 2
Θ aa = ∑ mi (r i )
N
2
(3.2.29)
i =1
∫ ∑ (F )
t =t N 1715 als Proposition 7 in
ext
= ⋅ x& d~
i i
W t , der Arbeit Methodus Inc-
~
t =t A i =1 rementorum Directa et In-
~ (3.2.38) versa, allerdings verdient er
t =t
⎛ N ij i ⎞
N
W int = ∫ ∑ ⎜⎜ ∑ F ⋅ x& ⎟⎟ d~ t. nicht den Namen „Beweis“
im heutigen Sinne, da TAY-
t =t A i =1 ⎝ j =1
~
⎠ i≠ j LOR zahlreiche Annahmen
macht und sich auch wenig
W ext ist die Arbeit der externen (äußeren), W int die Arbeit der um Konvergenzbetrachtun-
internen Kräfte, W entsprechend die gesamte ins System inves- gen schert, was manchen
tierte Arbeit. Dies ist bereit der Energiesatz der Mechanik für Ingenieurstudenten zu hö-
ren freuen wird. Im Jahre
Punktsysteme, auch Arbeitssatz genannt. 1719 gibt TAYLOR seinen
Der Anteil der inneren Arbeit ist null, falls die Massenpunkte Posten als Sekretär der
Royal Society genauso wie
untereinander starr verbunden sind. Zum Beweis betrachten wir
das Studium der Mathema-
die Abbildung 3.2.6, die zwei miteinander starr verbundene tik auf, was nicht zuletzt
Massen zeigt. auf diverse Familientragö-
dien wie den Tod zweier
mj Ehefrauen zurückzuführen
mi ist.
l x j dt
x i dt
i
Bewegen sich die Massen i , j um die Distanzvektoren x& dt
j
und x& dt , so folgt für die Arbeit der inneren Kräfte:
(3.2.39)
= F ⋅ x& dt − F dt = F ⋅ x& − x& dt .
ij i ij ij i j
( )
Die starre Bindung bedeutet aber, dass:
[x j
(t ) − x i (t )]
2
[
= l 2 = x (t + dt ) − x (t + dt )
j i
] 2
= (3.2.40)
[x j
(t ) + x& dt − x (t ) − x& dt
j i i
] 2
=
[x j
(t ) − x (t )
i
] 2 j
[ i j i
][
+ 2 x (t ) − x (t ) ⋅ x& dt − x& dt + x& dt − x& dt .
j i
] [ ] 2
[x (t ) − x (t )] ⋅ (x&
j i j i
)
− x& = 0 , (3.2.41)
ij
d. h., beide Vektoren stehen senkrecht aufeinander. Da aber F
entlang der Wirkungslinie x (t ) − x (t ) liegt, folgt aus Gleichung
j i
(3.2.39)
dW int = 0 . (3.2.42)
Nehmen wir nun an, dass sowohl die inneren als auch die äuße-
ren Kräfte aus einem Potenzial ableitbar, also konservativ sind,
dann gilt wie bei der Einzelpunktmasse:
W ext = − E ( pot, ext
(t ) − E pot,ext (t A )),
= −(E (t ) − E pot,int (t A )).
pot,int
W int (3.2.43)
Und man schließt auf:
E kin (t ) + E pot,ext (t ) + E pot,int (t )
(3.2.44)
= E kin (t A ) + E pot,ext (t A ) + E pot,int (t A ).
Dieser Spezialfall wird manchmal auch kurz als Energiesatz be-
zeichnet.
und wieder führen wir die Stoßzahl e als das Verhältnis beider
Größen ein:
Abb. 3.2.8: Zentrischer
KR
e = K , 0 ≤ e ≤1. (3.2.46) Stoß zweier Körper.
K
m1 m2
vor dem Stoß
υ1 υ2
m1 m2
am Ende der Kompressionsphase
υK υK
m1 m2
′
(υ )
nach dem Stoß
′
(υ )
1
2
(υ )′ = m υ
1 1
1
+ m 2υ 2 − em 2 υ 1 − υ 2
,
( )
m1 + m 2
(υ )′ = m υ
2 1
1
+ m 2υ 2 + em1 υ 1 − υ 2
.
( ) (3.2.49)
m1 + m 2
Wir untersuchen einige Spezialfälle. Für den vollkommen elasti-
schen Stoß entsteht mit e = 1 :
+ (m1 − m 2 )υ 1
(υ )′ = 2m υ
2
1 2
,
m1 + m 2
(υ )′ = 2m υ m+ (m+ m− m )υ
1 2
2 1 2 1
. (3.2.50)
1 2
(υ )′ = υ , (υ )′ = υ
1 2 2 1
. (3.2.51)
Mithin tauschen beide Massen ihre Geschwindigkeiten, also hier
ihren Impuls, einfach aus. Für den Fall eines vollständigen plas-
tischen Stoßes wird hingegen wegen e = 0 :
(υ )′ = (υ )′ = m υm + m 2υ 2
1
1 2 1
. (3.2.52)
1 + m2
′ ′
( ) ( )
m1 υ 1 + m2 υ 2 =
⎡ (3.2.53)
1
⎢
m1 + m2 ⎣
(
(m1 )2 υ 1 + m1m2υ 2 − em1m2 υ 1 − υ 2 + )
( )]
m1 m2υ 1 + (m2 ) υ 2 + em1 m2 υ 1 − υ 2 = m1υ 1 + m2υ 2 .
2
Nur für e = 1 , also den völlig elastischen Stoß, ist die kinetische
Energie vorher und nachher dieselbe, ansonsten ergibt sich ein
Verlust, der sich in Form von Wärme manifestiert.
υ (t )
υ(t) + dυ + w(t )
dm
υ(t) + dυ
υ (t )
m (t ) − d m
Abb. 3.2.10: Massenveränderliche Körper als
Massenpunktsysteme gedeutet.
~
t = t + dt
p
tot
(t + dt ) = p (t ) + ∫ Fd~t
tot
⇒ (3.2.55)
~ t =t
dυ dm
m(t ) =F− w(t )
dt dt
(3.2.56)
dm
=F+S , S =− w(t ) = μ (t )w(t ).
dt
Man nennt die Größe S (t ) auch die Schubkraft oder kurz den
„Schub“. Man beachte, dass Gleichung (3.2.56) auf den ersten
Blick so aussieht, als wäre der Impuls p(t ) = m(t )υ (t ) einer ein-
zigen zeitveränderlichen Masse gemäß der Kettenregel differen-
ziert und danach in NEWTONS Bewegungsgleichung für eine ein-
zige Masse eingesetzt worden.
Das ist aber nicht ganz richtig, denn immerhin steht auf der
rechten Seite nicht die Größe − (dm(t ) dt ) υ (t ) , sondern eben Zeit t = 0
− (dm(t ) dt ) w(t ) . Diesen feinen Unterschied gilt es zu beachten.
Wir wollen nun die Gleichung (3.2.56) für den in Abbildung
3.2.11 dargestellten Fall integrieren. Dabei wollen wir anneh- x3
men, dass die Rakete anfangs ruht, die Ausströmrate zeitlich
konstant ist, der Anfangsschub stark genug ist, um die anfängli-
che Schwerkraft zu überwinden, S (0) > m(0) g , und außer-
dem in dem nach oben weisenden Koordinatensystem arbeiten:
μ = − μ 0 = const. ⇒ m(t ) = m(0 ) − μ 0 t , (3.2.57)
υ = (0 , 0 , υ ) , w = w 0 = const. = (0 , 0 , − w0 ) ,
m(0)g
m g = (0 , 0 , −mg ).
Zeit t
Die 1-D-Integration liefert:
υ (t )
dυ μ0
= −g + w0 ⇒
dt m(0 ) − μ 0 t
~
d~
t =t
υ (t ) = − gt + w0 μ 0 ∫
t
⇒
m(0 ) − μ 0 t
~
~
t =0 m(t )
m(0)
υ (t ) = w0 ln − gt . (3.2.58)
m(0) − μ 0 t
m(0 ) m(0 ) − mE
υ (t E ) = υ max = w0 ln −g . (3.2.59)
mE μ0
A
dx A
x AB x AB
B A
dx x AB B
B
lich ist die Erde auch nur bedingt als starrer Körper anzusehen:
Abbildung 3.3.3.
Studieren wir zunächst die Bewegung eines starren Körpers um
eine raumfeste Achse, wie sie in Abbildung 3.3.4 oben zu sehen
ist. In einem solchen Fall bewegen sich alle Körperpunkte auf
Kreisbahnen um die Drehachse, so zum Beispiel wie gezeichnet
der Punkt P im Senkrechtabstand r von der Drehachse. Die
Winkelgeschwindigkeit ist für alle Punkte gleich, nämlich gege- ω (t ) = ϕ& (t )
ben durch ω (t ) = ϕ& (t ) , also die vorgegebene, eventuell zeitab-
hängige Winkelgeschwindigkeit der Drehachse.
Wir dürfen wieder Resultate aus der Kinematik des einzelnen
Massenpunktes verwenden. Bequemerweise operieren wir in ei- dϕ
nem mit der Drehachse fest verbundenen Zylinderkoordinaten- P
r
system e r , e ϕ , e z und schreiben für die Komponenten des ez
Orts-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektors eines be- eϕ (t)
liebigen Punktes des starren Körpers aufbauend auf den Glei-
chungen (3.1.57): er (t)
x = r e r + 0 e ϕ + z e z = (r , 0 , z ) ,
( ) (
&x& = υ& = a = − r (ϕ& )2 , r ϕ&& , 0 = − r ω 2 , r ω& , 0 .)
Dabei ist die Starrheit des Körpers insofern eingegangen, dass r
und z keine Funktionen der Zeit sind, der Winkel ϕ jedoch
sehr wohl. P(t + dt )
P
und die Richtung von d x ergibt sich bei Drehung des Vektors
e ω auf den Vektor A . Es ist üblich, den sog. infinitesimalen
Drehvektor dϕ sowie den Winkelgeschwindigkeitsvektor ω
wie folgt einzuführen:
dϕ
dϕ = dϕ e ω , ω = = ϕ& e ω = ω e ω . (3.3.7)
dt
Der Geschwindigkeitsvektor des Punktes P ergibt sich aus
dem Gesagten somit zu:
P
dx
υP = =ω×x .
AP
(3.3.8)
dt
Der Beschleunigungsvektor folgt stante pede durch Differenzi-
ation nach der Zeit gemäß der Produktregel:
dυ
P
a = = ω& × x + ω × x& .
P AP AP
(3.3.9)
dt
Die zweite Differenziation werten wir wie folgt aus:
=x −x ⇒ x& = x& = ω × x ,
AP P A AP P AP
x (3.3.10)
denn die Lage des Punktes A ändert sich zeitlich ja nicht. Mit-
hin resultiert:
a = ω& × x
P AP
+ω× ω× x( AP
)
( ).
(3.3.11)
= ω& × x + ωω⋅x −x ω
AP AP AP 2
Somit wird:
x& = x& + x& = x& + r e& r = x& + rϕ& eϕ = x& + rω eϕ ,
P A AP A A A
(3.3.15)
a = a + ar + aϕ
P A AP AP
(3.3.19)
A
a gemäß den Gleichungen (3.3.2), und wir finden:
x =x +x
P A AP
,
υ P = υ A + ω × x AP , (3.3.23)
3.3.1 Starrkörperkinematik 261
a = a + ω& × x
P A AP
+ω× ω× x ( AP
)
= a + ω& × x
A AP
(
+ ωω⋅x
AP
−x ω
AP 2
).
Wir wollen noch kurz zeigen, dass diese Gleichungen den Spe-
zialfall der Starrkörperbewegung in der Ebene inkludieren. Dazu
setzen wir:
ω = ω e3 ⇒ ω& = ω& e 3 , x = r e r
AP
(3.3.24)
und gehen in die allgemeinen Gleichungen unter Beachtung von
e 3 × e r = eϕ :
x = x + re r ,
P A
υ P = υ A + (ω e 3 )× (r e r ) = υ A + rω e ϕ , (3.3.25)
a = a + (ω& e 3 ) × (r e r ) + (ω e 3 ) (ω e 3 ) ⋅ (r e r ) − (r e r ) ω 2
P A
= a + rω& eϕ − rω 2 e r .
A
ϕ
υB
l
υ A (t)
A x
= lω& cos(ϕ ) −
(υ ) A 2
sin (ϕ )
l cos 2 (ϕ )
⇒ ω& =
aA υA
+ 2
( ) 2
sin (ϕ )
,
l cos(ϕ ) l cos 3 (ϕ )
&y&B = −lω& sin (ϕ ) − lω 2 cos(ϕ ) = (3.3.29)
−a A
tan (ϕ ) −
(υ )
A 2
sin 2 (ϕ ) υ A
−
( ) 2
1
=
l cos 3 (ϕ ) l cos(ϕ )
− a A tan (ϕ ) −
(υ )A 2
1
.
l cos 3 (ϕ )
Damit sind die Geschwindigkeits- und Beschleunigungskompo-
nenten des Punktes B durch lauter vorgegebene Größen und
den Winkel ϕ als Funktion der Zeit ausgedrückt. Letzterer lässt
sich, bei vorgegebener Zeitfunktion υ A (t ) , aus der Gleichung
(3.3.27) per Integration ermitteln:
cos(ϕ ) dϕ = d [sin (ϕ )] = υ A (t ) dt
1
l
~
t =t
⇒ sin[ϕ (t )] = sin[ϕ (t = 0 )] + ∫ υ A (t ) d t .
1 ~ ~ (3.3.30)
l ~t =0
Als zweites Beispiel betrachten wir den in Abbildung 3.3.8 dar-
gestellten Kurbeltrieb. Durch Drehung der Stange l ′ mit der
konstanten Winkelgeschwindigkeit ω 0 wird über das Gelenk A
der im Punkte P gelenkig befestigte Kolben horizontal hin- und
herbewegt. Gesucht ist die Kolbenpositionsgeschwindigkeit und
-beschleunigung, wenn aus der Winkelstellung α = 0 heraus ge-
startet wird.
3.3.1 Starrkörperkinematik 263
y A
l´ l
α ϕ P
O
ω0 x
⎛ l′ ⎞
2
Der Momentanpol
Wir haben in den obigen Abschnitten gelernt, dass jede Bewe-
υP gung eines starren Körpers sich als Translationsbewegung, ver-
körpert durch die Geschwindigkeit υ des Punktes A und eine
A
P
Q Rotationsbewegung um diesen Punkt, gegeben durch den Aus-
υ Q druck ω × x , aufteilen lässt. Mehr noch, jede Bewegung lässt
AP
0 =ω× ω×x( ΠP
) − ω ×υ P
= ω 2 r P e z × (e z × e r ) − ωυ P (e z × e ϕ ) (3.3.39)
( )
= ω 2 r P e z e z ⋅ e r − e r e z + ωυ P e r = e r ω (ωr P − υ P )
2
υP
⇒ x
ΠP
=
1
υ P er = − (e z × eϕ ) .
ω ω
ΠP
P Damit steht der Vektor x senkrecht auf der Geschwindigkeit
υ P
υ und hat die Länge r = υ P / ω . Dieses erlaubt, den Momen-
P P
P′ υ P′ P′ P′ υP
r = ⇒ υ = ωr = r P′ . (3.3.40)
ω r
Der Momentanpol der in Abbildung 3.3.7 gezeichneten Situati-
on ist einfach als Schnittpunkt der senkrecht auf υ und υ ste-
A B
3.3.2 Starrkörperkinetik
Einleitende Bemerkungen
Im Abschnitt 3.3 1 wurde die Kinematik des starren Körpers ab-
gehandelt. Dabei haben wir uns zunächst mit der geometrischen
Beschreibung der Rotation um eine feste Achse eines starren 3-
D-Körpers beschäftigt, gefolgt von der Rotation um eine Achse
mit einem raumfesten Punkt, und danach wurde die Translation
zunächst für zweidimensionale Scheiben und danach auch für 3-
D-Bauteile mit der Rotation verknüpft. Die Ursachen für die
Translation und die Rotation standen dabei nicht zur Debatte.
Der Klärung der Frage nach den Ursachen wollen wir uns nun
zuwenden. Indirekt kennen wir die Antwort bereits aus der Sta-
tik. Translationen eines Tragwerks wurden dadurch verhindert,
dass die Summe aller Kräfte verschwinden musste. Rotationen
waren ausgeschlossen, sobald die Summe der Momente ver-
schwand. Beides ist nun nicht länger der Fall, und wir werden
Ergebnisse aus der Kinetik von Massenpunktsystemen verwen-
den, um die Bewegungsgleichungen für beide Fälle herzuleiten.
In bewährter Weise wird dabei induktiv vorgegangen, d. h., zu-
nächst wird die Dynamik der Rotation eines starren 3-D-Körpers
um eine feste Drehachse behandelt. Danach wird die translatori-
sche Bewegung an die Rotation angekoppelt, zunächst in 2 D,
also für starre Scheiben, und schließlich, zum Abschluss, wird
die allgemeine, sich aus Translation und Rotation zusammenset-
zende Kinetik eines starren 3-D-Bauteils untersucht.
Θ aa = ∫ r 2 dm = ∫ r 2 ρ ( x ) dV ⇒ Θ aaϕ&& = M a . (3.3.44)
M V
Θ aa = ia2 M , (3.3.45)
wobei M die Gesamtmasse des Körpers bezeichnet:
M = ∫ ρ ( x ) dV . (3.3.46)
V
x = xS + x , y = y S + y (3.3.52)
und somit für das Massenträgheitsmoment bezüglich der zur
Schwerachse parallel verschobenen Achse:
Θ aa = ∫ r 2 dm = ∫ (x 2 + y 2 ) dm = (3.3.53)
V V
(
= xS2 + y S2 )∫ dm + 2 x ∫ x dm + 2 y ∫ y dm + ∫ ( x
S S
2 2
)
+ y dm .
V V V V
∫ x dm = 0 , ∫ y dm = 0 ,
V V
(3.3.54)
l
FW = μFN = μ F. (3.3.73)
L
Als Nächstes notieren wir die Bewegungsgleichung für das Rad
gemäß Gleichung (3.3.44) (beachte, dass der Winkel ϕ im Uhr-
zeigersinn gezählt wird, was ein negatives Vorzeichen bei ϕ&&
bedeutet):
RμlF
− Θ BBϕ&& = M ( B ) = R FW ⇒ ϕ&& = −κ , κ = (3.3.74)
LΘ BB
und integrieren:
1
ϕ& = −κt + ω 0 , ϕ = − κt 2 + ω 0 t . (3.3.75)
2
Stillstand bedeutet, dass ϕ& = 0 gilt:
ω0
t stop = . (3.3.76)
κ
Der zurückgelegte „Weg“ ist gegeben durch:
1 ω 02 ω 0 1 ω 02
ϕ stop = − κ + ω = . (3.3.77)
κ 2 κ
0
2 κ2
Mithin ist die gesuchte Anzahl der verbleibenden Umdrehungen:
ϕstop ω02
n= = . (3.3.78)
2π 4πκ
Betrachten wir das Problem nun unter dem Aspekt des Arbeits-
satzes (3.3.70). Es gilt:
Seil mit derselben verbunden ist. Um das Seil an der Decke auf-
zuhängen, dient eine kleine Umlenkrolle, deren Masse bei der
Beschreibung der Bewegung beider Körper vernachlässigt wer-
den kann. Wir schneiden frei, wie in der Abbildung 3.3.16 an- R
gedeutet wurde, und zählen die Bewegung x der Masse m1 vom
Zentrum der Umlenkrolle nach unten. Im Übrigen sind alle me-
chanischen Elemente reibungsfrei.
B m2
Wie schon im Abschnitt 3.2.1 über Massenpunktsysteme ange- b
merkt, gilt es, eine kinematische Nebenbedingung zu beachten.
Fällt nämlich die Masse m1 um dx , so ist dazu Seil der Länge
dl = 2dx bereitzustellen, und es gilt:
m1 g
R
Rdϕ = dl = 2dx ⇒ x& = ϕ& . (3.3.82)
2
Die Bewegungsgleichung des Massenpunktes m1 lautet:
dl S S
m1 &x& = m1 g − 2S , (3.3.83) dϕ
Θ BB
E kin (t ) = (ϕ& )2 + m1 x& 2 , E pot (t ) = −m1 gx .
2 2
m 2
kinetische Energie E kin = υ kinetische Energie
2
Θ aa
E kin = ω2
2
Arbeit W = ∫ F dx Arbeit W = ∫ M a dϕ
Leistung P = Fυ Leistung P = M a ω dF y
&y& A ∫ ξ dm + ω& ∫ ξ 2 dm − ω 2 ∫ ξη dm
M M M
− &x& A
∫η dm + ω& ∫η
2
dm + ω 2 ∫ ξη dm = M ( A ) .
M M M
Dabei haben wir Größen, die aufgrund der Tatsache, dass wir
einen starren Körper behandeln, für jeden Massenpunkt gleich,
also Konstanten im Ort sind, vor das Integral gezogen (nämlich
ω , ω& ) und außerdem die Gesamtmasse verwendet:
M = ∫ dm . (3.3.96)
M
Die letzte Gleichung kennen wir bereits aus dem Anfang des
Abschnitts 3.3.2 über die Rotation um eine fest stehende Achse,
welche hier die Schwerachse ist.
Vorzugsweise werden wir die Bewegungsgleichungen für all-
gemeine Scheibensysteme in der Form (3.3.97) verwenden. Wir
schneiden also das im Allgemeinen aus mehreren Scheiben be-
stehende System frei und werten im jeweiligen Schwerpunktsys-
tem aus. Einige Beispiele sollen das Vorgehen verdeutlichen.
[
FW = M g sin (α ) − &x& S = ] M
3
g sin (α ) . (3.3.109)
⎛ R ⎞
F ⎜⎜1 − 1 ⎟⎟
&x&S = ⎝
R2 ⎠
. (3.3.123) Abb. 3.3.20: Auf einer
Θ SS Unterlage liegendes
M+ 2
R2 Jo-Jo.
Wie in Beispiel I ausführlich diskutiert, liefern die Gleichungen
(3.3.121) und (3.3.123) in Verbindung mit dem COULOMBschen
Haftreibungsgesetz den für reines Rollen zumindest notwendi-
gen Haftreibungskoeffizienten:
FW = μ 0 FN , FN = Mg ,
⎛ R ⎞
F ⎜⎜1 − 1 ⎟⎟
FW = F − M &x&S ⇒ μ0 =
F
− ⎝ R2 ⎠ . (3.3.124)
Mg ⎛ Θ ⎞
⎜⎜ M + SS2 ⎟⎟ g
⎝ R2 ⎠
Θ1ϕ&&1 = S1 r1 + FW R1 , (3.3.125)
Kräftesatz
0 = FAx − FN (horizontal) ,
0 = − S1 + FAy + FW − M 1 g (vertikal); (3.3.126)
b) Trommel/Reibrad 2:
Drallsatz (Drehung um B )
Θ 2ϕ&&2 = − S 2 r2 + FW R2 , (3.3.127)
Kräftesatz
0 = FBx + FN (horizontal) ,
0 = − FW − S 2 + FBy − M 2 g (vertikal); (3.3.128)
~
t =t
My& (t ) − My& (t A ) = ∫ F (t ) d t
S S ~ ~ = K (t ) , (3.3.138)
y y
~
t =t A
ϕ~ =ϕ
Θ SS ϕ& (t ) − Θ SS ϕ& (t A ) = ∫ M (t ) dϕ = K (t ) .
(S ) (S )
~ M
(3.3.139)
~
ϕ =ϕ A
(S )
Die Kraft- und Momentenstöße K x , K y , K M sind dabei aus
vorzugebenden Kräften und Momenten vorzeichenrichtig zu
ermitteln. Eine Anwendung dieser Gleichungen sind Stöße zwi-
3.3.2 Starrkörperkinetik 285
E kin =
1
2M∫
1
(
υ 2 dm = ∫ x& 2 + y& 2 dm
2M
) (3.3.141)
=
2
(
1 2
x& S + y& S2 )∫ dm − x& ω ∫η dm +
S
M M
ω
∫ (ξ )
2
y& S ω ∫ ξ dm + 2
+ η 2 dm .
M
2 M
∫ ξ dm = 0 , ∫ η dm = 0
M M
(3.3.142)
− Θ SS ϕ&& = − SR − FW R .
Analog gehen wir bei der freigeschnittenen Punktmasse vor:
m1 &x&1 = m1 g − S . (3.3.147)
m2 ,Θ SS
c S
m1
ϕ
S S
Fc R
xS
x1
FW m1 g
FN
m2 g
Abb. 3.3.22: Schwingende Walze.
Nun gilt es, kinematische und andere Bedingungen zu formulie-
ren, denn zur Bestimmung der sechs Unbekannten, nämlich
&x& s , Fc , S , Fw , &y& s , FN , ϕ&& , reichen diese drei Gleichungen nicht
aus. Die kinematischen Gleichungen sind wie folgt:
dx1 dx S
R dϕ = dx S , = ⇒ 2 Rϕ& = x&1 . (3.3.148)
2R R
Weiterhin gilt die Gleichung für die HOOKEsche Feder:
Fc = cx S (3.3.149)
3.3.2 Starrkörperkinetik 287
E kin (t ) =
1 ⎛1
( ) ⎞
m1 ( x&1 ) + ⎜ m2 x& S + Θ SS ϕ& 2 ⎟
2 2 1
2 ⎝2 2 ⎠
2⎛ m Θ ⎞
= ( x&1 ) ⎜ m1 + 2 + SS2 ⎟ .
1
2 ⎝ 4 4R ⎠
Diese Ergebnisse folgen unmittelbar aus den Ausdrücken für die
potenzielle Energie im Schwerefeld, der potenziellen Energie
einer gespeicherten Feder und den kinetischen Energieanteilen
eines starren Körpers.
3.4 Schwingungen
A x 3.4.1 Grundbegriffe der Schwingungslehre
Periodisch wiederkehrende gleiche Zustände eines physikalisch-
S technischen Systems bezeichnet man gemeinhin als Schwingun-
P gen. Als einfachstes Beispiel betrachten wir eine Scheibe, die an
einem Lager A aufgehängt nach einer Auslenkung aus ihrer
y Gleichgewichts-, also Ruhelage sich um diese periodisch hin-
und herbewegt: Abbildung 3.4.1.
Die Einheit der Frequenz ist 1 s . Dies bezeichnet man auch als
ein Hertz (Hz), zu Ehren des großen Mechanikers und Physikers
Heinrich HERTZ. Gerne trägt man eine schwingende Größe x(t )
über der Zeit auf, etwa so wie in Abbildung 3.4.2 dargestellt.
Dies erlaubt es, die Schwingung samt ihrer Periodendauer T
explizit zu „sehen“. Beachte, dass man zum Abgreifen der
Schwingungsdauer T bei irgendeinem Punkt starten kann, es
3.4.1 Grundbegriffe der Schwingungslehre 289
x(t )
t
T
Abb. 3.4.2: Schwingung einer Größe.
Wir wollen uns nun speziell den sogenannten harmonischen
Schwingungen zuwenden. Anschaulich kann man sich diese wie
folgt zustande gekommen denken: Abbildung 3.4.3. Eine Kreis-
scheibe dreht sich um ihr Zentrum S mit der konstanten Win-
kelgeschwindigkeit ω . Nach der Zeit t steht ein ursprünglich an
der Stelle (0, y max ) gelegener Punkt P auf der Position
(− sin (ω t ) , cos(ω t )) , denn er wurde ja um den Winkel ω t be-
züglich S entgegen dem Uhrzeigersinn gedreht. Diese Bewe-
gung ist in der Abbildung dargestellt. Die (x, y ) -Position ändert
sich also rein sinus- bzw. kosinusförmig, und man spricht in
dem Zusammenhang von einer harmonischen Schwingung. Die
extremalen Positionen ± x max , ± y max nennt man auch die Amp-
litude der Schwingung und ω nennt man auch die Kreisfre-
quenz. Dieser Name wird verständlich, wenn man bedenkt, dass
der Schwingungsdauer T der volle Kreiswinkel 2 π entspricht,
der bei konstantem ω während der Zeit
2π
ωT = 2π ⇒ T = (3.4.3)
ω
umfahren wird. Mit Gleichung (3.4.2) entsteht:
1 2π
= ⇒ ω = 2πν . (3.4.4)
ν ω
x
y
P (0 )
xmax
P (t ) t
α P (− α )
ωt − xmax
S ω x y T
y max
t
− ymax
m m m
cx x cx x
A
c g ϕ
c l g g
ϕ S
x0
m m
x
c( x + x0 ) FAx
ϕ l
FAy
S
mg
mg mg
Abb. 3.4.5: Einfache Schwinger: Federpendel, Fadenpendel
und physikalisches Pendel.
Aus dem Freischnitt folgen die jeweiligen Bewegungsgleichun-
gen sofort.
a) Für den Federschwinger ( x0 kennzeichnet die Gleichge-
wichtslage der Feder nach Aufhängen der Masse und vor
der Auslenkung, die zur Schwingung führt):
m&x& = −c(x + x 0 ) + mg mit mg = cx 0
c
⇒ &x& + ω 2 x = 0 , ω 2 = ; (3.4.15)
m
b) für das Fadenpendel:
g
falls ϕ << 1 ⇒ ϕ&& + ω 2ϕ = 0 , ω 2 = ;
l
sin (ϕ ) = 0 ,
mgl
⇒ ϕ&& + (3.4.17)
Θ AA
mgl
falls ϕ << 1 ⇒ ϕ&& + ω 2ϕ = 0 , ω 2 = .
Θ AA
E kin =
m
(x& (t ))2 , (3.4.20)
2
x (t ) ,
c 2
E pot = (3.4.21)
2
294 3.4 Schwingungen
beim Fadenpendel:
ml 2 2
= (lϕ ) = ϕ& (t ) ,
kin m 2
E & (3.4.22)
2 2
E pot = mgl − mgl cos(ϕ ) = mgl (1 − cos ϕ )
⎛ ⎛ ϕ2 ⎞⎞ ϕ2 (3.4.23)
≈ mgl ⎜⎜1 − ⎜⎜1 − ⎟⎟ ⎟ = mgl ,
2 ⎟ 2
⎝ ⎝ ⎠⎠
und schließlich beim physikalischen Pendel:
Θ AA Θ AA
E kin = (ϕ& )2 = ϕ& 2 (t ) , (3.4.24)
2 2
ϕ 2 (t )
E pot ≈ mgl . (3.4.25)
2
Indem man diese Ergebnisse in die Gleichung (3.4.19) einsetzt
und nach der Zeit differenziert, entstehen sukzessive die Bewe-
gungsgleichungen (3.4.15/16/17), was nicht verwunderlich ist,
denn der Energiesatz war ja eine Konsequenz der NEWTONschen
Bewegungsgleichungen, nämlich sein erstes Integral über die
Zeit.
Die Gleichung (3.4.19) zeigt uns jedoch noch etwas anderes.
Wenn man so will, schwingen auch kinetische und potenzielle
Energie um einen mittleren Wert, nämlich die mittlere konstante
Gesamtenergie. Betrachten wir zur Erläuterung die Situation
beim Fadenpendel, welches wir am Anfang um einen Winkel ϕ0
auslenken und dann aus der Ruhe loslassen. Es gilt also auf-
grund der Anfangsbedingungen:
ϕ 02
E kin (0) = 0 , E pot (0) = mgl = E0 (3.4.26)
2
und nach Gleichung (3.4.14):
ϕ (t ) = ϕ 0 cos(ω t ) ,
⇒ ϕ& (t ) = −ϕ 0ω sin (ω t ) .
g
ω2 = (3.4.27)
l
Somit nach Gleichungen (3.4.22/23):
1
ϕ 0 cos 2 (ωt ) = 0 [1 + cos(2ω 0 t )] , E 0 = mglϕ 02 ,
mgl 2 E
E pot =
2 2 2
wobei folgende Additionstheoreme verwendet wurden:
1
sin 2 (ωt ) = [1 − cos(2ωt )] ,
2
1
cos 2 (ωt ) = [1 + cos(2ωt )] . (3.4.29)
2
Das zeitliche Verhalten beider Energien, der kinetischen und der
potenziellen, ist in der Abbildung 3.4.6 illustriert.
E kin E pot
E0 2 E0 2
E0 E0
t t
Abb. 3.4.6: Schwingung der kinetischen und
der potenziellen Energie.
Man erkennt, dass:
• E kin wie E pot um einen mittleren Energiewert E 0 2
„schwingen“.
• E kin sein Minimum (nämlich null) dann annimmt, wenn
E pot sein Maximum hat (nämlich E0 ) und umgekehrt.
• die Schwingungsfrequenz der Energien zweimal so groß
ist wie die der Schwingung des Winkels ϕ .
• die Summe beider Energien E pot und E kin zu jedem Zeit-
punkt konstant und gleich dem festen Wert E0 ist.
2m1 g
ϕ0 = , (3.4.31)
Rc
und wir können schreiben:
m
ϕˆ = ϕ − ϕ 0 ⇒ ϕ&ˆ& + ω 2ϕˆ = 0 ,
c
m1 ω2 = . (3.4.32)
l Θ SS
+ 4m1 + m 2
R2
A
Als zweites Beispiel betrachten wir die in Abbildung 3.4.7 dar-
gestellte Situation:
Federkonstanten
Wir betrachten zunächst die in Abbildung 3.4.8 dargestellte Si-
tuation. Zwei Federn unterschiedlicher Stufe c1 , c 2 sind parallel
geschaltet und werden beide um dieselbe Strecke x ausgelenkt:
x
c1 F1 = c1 x
F
F
c2
F2 = c2 x
Wenden wir uns nun dem Fall der Serienschaltung zu, darge-
stellt in Abb. 3.4.10.
x
c1 c2
F c1
F F c2 F c1x1 = c2 x2 F
Wir haben aufgrund des Freischnitts für die Kraft und außerdem
für die Gesamtverschiebung, welche durch die in Abbildung
3.4.9 gezeigte Feder erreicht werden muss:
l F = c1 x1 = c 2 x 2 , x1 + x 2 = x (3.4.40)
E, A
und außerdem für die Gesamtverschiebung:
x1 + x 2 = x . (3.4.41)
G, I p 1 1 1
= + . (3.4.44)
l cser c1 c 2
Dies ist das Gesetz für die Federsteife in Serien- oder Reihen-
schaltung.
Oft ist es auch nötig, Federsteifigkeiten aus Material- bzw. Geo-
metrieparametern zu errechnen. Abbildung 3.4.11 zeigt einige
ϑ MT Varianten derartiger Probleme.
Betrachten wir zuerst den unter einer Axiallast N stehenden
Stab. Seine Längenänderung ist nach HOOKE gegeben durch:
l /2 l /2 Nl EA
Δl = ⇒ N= Δl . (3.4.45)
EI F w3Pb EA l
Mithin ist die Federsteifigkeit hier:
EA
c ax = . (3.4.46)
F l
Als Zweites betrachten wir die Torsion eines Stabes mit kreis-
wmax förmigem Querschnitt. Der Torsionswinkel wird:
M Tl GI p
l ϑ= ⇒ MT = ϑ (3.4.47)
GI p l
und wir definieren als Federkonstante der Torsion:
Abb. 3.4.11: Elastische
Balken, die als Federn GI p
cT = . (3.4.48)
wirken. l
3.4.2 Freie, ungedämpfte Schwingungen mit einem Freiheitsgrad 299
ϑ
m m
x1 x1 g
MT
Coulomb-Reibung
x
c Wir betrachten das in Abbildung 3.4.13 dargestellte System und
m μ
schneiden je nach Bewegungsrichtung frei wie gezeichnet.
Mithin ergeben sich zwei Bewegungsgleichungen
x
m&x& = −cx − FW für x& > 0 ,
cx m&x& = −cx + FW für x& < 0 . (3.4.55)
x&
FW Wir definieren die positiven Größen:
FN
c F μmg
mg ω2 = , r= W = , da : FN − mg = 0 ,
m c c
FW = μFN = μmg (3.4.56)
x
sodass:
cx &x& + ω 2 x = −ω 2 r für x& > 0 ,
x& FW
&x& + ω 2 x = +ω 2 r für x& < 0 . (3.4.57)
FN
mg Dies ist eine inhomogene lineare Differenzialgleichung 2.
Ordnung. Wir lösen sie, indem wir zunächst annehmen, dass:
x(t = 0) = x0 > 0 , x& (t = 0 ) = 0 . (3.4.58)
Abb. 3.4.13: Schwin-
gungen bei Somit wird sich der Körper danach nach links bewegen ( x& < 0 ),
COULOMB-Reibung. und wir haben zu lösen:
&x& + ω 2 x = ω 2 r . (3.4.59)
Die Lösung ist eine Summe aus der vollständigen Lösung der
homogenen Gleichung (also für r = 0 ) und einer speziellen,
sogenannten partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung.
Die erste kennen wir bereits (Gleichung (3.4.11)) und die letzte-
re ist leicht zu finden:
x part = r , (3.4.60)
sodass:
x = A1 cos(ω t ) + B1 sin (ω t ) + r . (3.4.61)
Mit den Anfangsbedingungen (3.4.58) erhalten wir:
A1 = x0 − r , B1 = 0 ⇒ x(t ) = ( x0 − r ) cos(ω t ) + r ,
x& (t ) = −( x 0 − r ) ω sin (ω t ) . (3.4.62)
3.4.3 Freie, gedämpfte Schwingungen mit einem Freiheitsgrad 301
Die Bewegung kehrt sich also um, und zwar zum Zeitpunkt:
π
ω t1 = π ⇒ t1 = . (3.4.63)
ω
Dann ist folgende Gleichung zu lösen:
&x& + ω 2 x = −ω 2 r , (3.4.64)
d. h.
x(t ) = A2 cos[ω (t − t1 )] + B 2 sin[ω (t − t1 )] − r , t ≥ t1 . (3.4.65)
Die Konstanten A2 und B2 bestimmen wir, indem wir diese Lö-
sung zu der in Gleichung (3.4.63) gezeigten für den Zeitpunkt t1
anpassen:
x(t = t1 ) = ( x 0 − r ) cos(ωt1 ) + r = −( x 0 − r ) + r = A2 − r
⇒ A2 = − x 0 + 3r
x& (t = t1 ) = 0 = B 2 ω ⇒ B2 = 0 ⇒ (3.4.66)
x(t ) = (− x 0 + 3r ) cos[ω (t − t1 )] − r , t ≥ t1 .
Die Bewegung ist in Abbildung 3.4.14 grafisch dargestellt.
x(t )
x0
π
t1 =
ω (x0 − 4r)
t
2t1
− (x0 − 2r )
Abb. 3.4.14: Amplitudenschwund bei einer Schwingung unter
dem Einfluss COULOMBscher Reibung
Geschwindigkeitsproportionale Reibung:
Der lineare Dämpfer (Dashpot)
Wir betrachten die in Abbildung 3.4.15 oben dargestellte Situa-
tion: Der nach rechts gerichteten Bewegung x& einer Masse m
steht eine der jeweiligen Geschwindigkeit proportionale Wider-
standskraft entgegen:
FW = κ x& . (3.4.67)
302 3.4 Schwingungen
x
m κ x
m FW
m κ x , x&
FW =κ x&
m
cx
c
denn wir erwarten zum einen eine Schwingung und zum anderen
eine Dämpfung der Amplitude im Laufe der Zeit. Beides ist in Ernst LEHR wurde am 4.
Juli 1896 in Groß-
diesem Ansatz enthalten, denn die Exponentialfunktion enthält Eichen/Oberhessen geboren
über EULERS Gleichung sowohl harmonische Schwingungen, und starb während des 2.
wenn das Argument nur rein imaginär ist: Weltkrieges am 24. März
1944 in Berlin. Er war seit
exp(i ϕ ) = cos(ϕ ) + i sin (ϕ ) , i = − 1 , (3.4.72) 1938 Leiter der For-
schungsanstalt für Mecha-
als auch Dämpfung, und zwar dann, wenn das Argument rein nik der MAN in Augsburg.
(negativ) reell ist: Seine Arbeiten umfassen
hauptsächlich schwingungs-
exp(−αt ) → 0 für t → ∞ , α > 0 . (3.4.73) technische Probleme, zu de-
ren Klärung auch die Fes-
Einsetzen des Ansatzes und Kürzen der von null als verschieden tigkeitslehre beitrug. So be-
vorausgesetzten Größe x liefert eine quadratische, sogenannte schäftigt er sich in einer
charakteristische Gleichung für die Konstante λ : seiner letzten Arbeiten aus
dem Jahre 1943 zum Bei-
λ2 + 2δλ + ω 2 = 0 . (3.4.74) spiel mit der Frage der
Dauerhaltbarkeit von Kur-
Wir lösen auf und finden: belwellen bei Großdiesel-
motoren.
δ
λ1, 2 = −δ ± ω D 2 − 1 , D = . (3.4.75)
ω
D ist das sogenannte LEHRsche Dämpfungsmaß, auch Dämp-
fungsgrad genannt. Je nachdem ob das Argument unter der
Wurzel positiv, null oder negativ ist, haben wir verschiedene
Fälle zu unterscheiden, die wir im Folgenden diskutieren.
1. D > 1 , starke Dämpfung (dann sind λ1 und λ 2 beide
reell):
λ1, 2 = −δ ± μ , μ = ω D 2 − 1 . (3.4.76)
Wir haben also zwei Lösungen und die Summe beider ist wieder
eine Lösung, wobei es zwei „Integrationskonstanten“ gibt, wel-
che die Ordnung der Differenzialgleichung widerspiegeln und
die an zwei Bedingungen angepasst werden müssen:
x(t ) = A1 exp(λ1t ) + A2 exp(λ 2 t )
(3.4.77)
= exp(− δ t ) [ A1 exp(μ t ) + A2 exp(− μ t )].
Die Konstanten A1 und A2 lassen sich aus den Anfangsbedin-
gungen bestimmen.
x(t = 0) = x 0 , x& (t = 0 ) = υ 0 . (3.4.78)
⇒ (A&& − 2δ A& + δ 2
)
A + 2δ A& − 2δ 2 A + δ 2 A exp(− δ t ) = 0 (3.4.81)
⇒ && = 0 ⇒
A A = A2 t + A3 ,
3.4.3 Freie, gedämpfte Schwingungen mit einem Freiheitsgrad 305
λ1, 2 = −δ ± i ω d , ω d = ω 1 − D 2 , i = − 1 . (3.4.83)
t0 t0 +T t0 + 2T t
− C exp(− δ t )
Abb. 3.4.17: Der Fall schwacher Dämpfung.
Erinnere Dich nun explizit an die Beziehung für die Schwin-
gungsdauer aus den Gleichungen (3.4.2/4):
306 3.4 Schwingungen
2π
T= (3.3.85)
ωd
und vergleiche für den Fall x& (t = 0) = 0 die Ausschläge zu den
Zeiten t und t + T :
x(t ) = C exp(− δ t ) cos(ωd t − α ) ,
x(t + T ) = C exp(− δ (t + T )) cos(ω d (t + T ) − α )
x(t ) 2πδ D
⇒ ln =δ T = = 2π = Λ. (3.4.86)
x(t + T ) ωd 1− D2
Λ nennt man auch das logarithmische Dekrement. Nachdem
es experimentell bestimmt wurde, kann es zur Bestimmung des
LEHRschen Dämpfungsmaßes D dienen.
FAy x κx2
κ
a a a
Abb. 3.4.18: Masse-Feder-Dämpfer-System mit Freischnitt.
Als kinematische Beziehungen sind (für kleine Auslenkungen
ϕ ) zu notieren:
x&1 = aϕ& , x& 2 = 3aϕ& . (3.4.88)
Somit entsteht:
9κ c
ϕ&& + 2δ ϕ& + ω 2ϕ = 0 , δ = , ω2 = . (3.4.89)
8m 4m
Schwache Dämpfung liegt vor für:
3.4.4 Angefachte Schwingungen 307
δ 9κ m 9κ
D= = 2 = <1. (3.4.90)
ω 8m c 4 mc
Als Lösung der Bewegungsgleichung (3.4.89) können wir dann
notieren:
ϕ (t ) = C exp(− δ t ) cos(ωd t − α ) ,
1 c 81κ 2
ωd = ω 1− D 2 = 1− . (3.4.91)
2 m 16 mc
Wählen wir als Anfangsbedingungen:
ϕ (t = 0) = 0 , ϕ& (t = 0 ) = ϕ&0 , (3.4.92)
so kann man die Konstanten C und α ermitteln und schreiben:
ϕ&0 ⎛ π⎞
ϕ (t ) = exp(− δ t ) cos⎜ ωd t − ⎟ . (3.4.93)
ωd ⎝ 2⎠
1
η
1
~t
x F = x0 cos (Ω t ) x = x0 sin (Ω t )
D
F = F0 cos(Ω t )
c κ
x x x
m m m
c κ κ c
(
c xF − x ) κ (x& D − x& )
F
x x x
cx κ x& κ x& cx
mo
S cos(Ω t ) S
r
xU
mU S x
c κ
κ cx κ x&
mU &x&U = − S cos(Ω t ) ,
m0 &x& = −cx − κ x& + S cos(Ω t ) . (3.4.117)
Durch gegenseitiges Einsetzen und Elimination von xU und S
wird:
(m0 + mU ) &x& + κ x& + cx = mU r Ω 2 cos(Ω t ) . (3.4.118)
Wir definieren:
mU
m = m0 + mU , x0 = r (3.4.119)
m
und erhalten mit obigen Abkürzungen:
&x& + 2δ x& + ω 2 x = ω 2η 2 x0 cos(Ω t ) . (3.4.120)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich alle vier Fälle
nur durch einen Faktor vor dem Kosinus auf der rechten Seite
der Differenzialgleichung unterscheiden. Wir fassen sie zu einer
einzigen Gleichung zusammen:
1 2D
&x& + x& + x = x0 E cos(Ω t ) . (3.4.121)
ω 2
ω
Dabei steht E für den sogenannte „Erregungspart“, nämlich:
• I: E = 1 bei kraftgesteuerter Masse / weggesteuerter Feder,
• II: E = 2 Dη bei geschwindigkeitsgesteuertem Dämpfer,
[− Vη 2
]
cos(ϕ ) + 2 DVη sin (ϕ ) + V cos(ϕ ) − E cos(Ω t ) +
[− Vη 2
]
sin (ϕ ) − 2 DVη cos(ϕ ) + V sin (ϕ ) sin (Ω t ) = 0 . (3.4.126)
Da diese Gleichung für alle Zeiten t erfüllt sein muss und Sinus
und Kosinus unabhängige Grundfunktionen sind, müssen zum
Erfüllen der Gleichungen beide Klammerausdrücke für sich ver-
schwinden:
[ ]
V − η 2 cos(ϕ ) + 2 Dη sin (ϕ ) + cos(ϕ ) = E , (3.4.127)
− η 2 sin (ϕ ) − 2 Dη cos(ϕ ) + sin (ϕ ) = 0 .
Aus der zweiten Gleichung lässt sich die Phasenverschiebung ϕ
berechnen, welche auch unter dem Namen Phasenfrequenz-
gang bekannt ist:
2 Dη
tan (ϕ ) = . (3.4.128)
1 −η 2
314 3.4 Schwingungen
V D = 0,0 V
2,0 0,25 I 1,0 III
0,5 D = 1,0
1,0
1,0 0,5
1,0
1,0 2,0 η 1,0 η
V D = 0,0
ϕ
II D = 0,0
2,0 0,25 π 0,25
0,5 0,5
1,0 π 2 1,0
1,0
1,0 2,0 η 1,0 2,0 η
2π m
T= = 2π , (3.4.131) 2×m
ω c
c κ 2×m
(b) Gedämpfte Schwingung bei geschwindigkeitsproportionaler
Reibung (Feder-Masse-Dämpfer (Dashpot)-Modell) charak-
terisiert durch das sog. LEHRsche Dämpfungsmaß:
ϕ
δ κ x
D= , 2δ = (3.4.132)
ω m M
mit D > 1 : Kriechfall, D = 1 : aperiodischer Grenzfall,
D < 1 : Schwingfall; c
c
(c) Resonanz bei extern angefachter Schwingung. 2× m 2× m
Die meisten technischen Systeme bestehen jedoch aus deutlich κ κ
mehr als einer schwingungsfähigen Masse. Ein typisches Bei-
spiel zeigt die Abb. 3.4.25. Hier ist ein vereinfachtes zweidi-
mensionales Ersatzmodell eines Fahrzeugs dargestellt, beste-
Abb. 3.4.25: Ersatzmo-
hend aus dem Wagenkasten der Masse M und vier Rädern mit
dell für ein Fahrzeug.
den jeweiligen Massen m , die über Federn der Steife c sowie
Dämpfer mit der Dämpfungskonstante κ ankoppeln (Stoßdämp-
fer).
c2 (x2 − x1 ) mit:
⎛ c2 ⎞
⎛x ⎞ ⎛ a11 a12 ⎞ ⎜ ω I2 − ⎟
c2 (x2 − x1 ) x = ⎜⎜ 1 ⎟⎟ , a = ⎜⎜ ⎟= m1 ⎟ . (3.4.136)
a 22 ⎟⎠ ⎜⎜
⎝ x2 ⎠ ⎝ a 21
⎝ − ω II
2
ω II2 ⎟⎠
m2 In der Tat zeigt Gleichung (3.4.134) bereits die typische Form
des Differenzialgleichungssystems, das sich auch dann ergibt,
Abb. 3.4.26: Zwei mit- wenn man mehr als zwei Massenschwinger in Form einer linea-
einander gekoppelte, ren Kette durch Federn in Reihe miteinander verbindet, so wie
schwingfähige Massen. in der Abbildung 3.4.27 zu sehen. Man spricht hier von der so-
genannten „linearen“ Kette.
x1 (t ) = A1 exp(λ1t ) + A2 exp(λ 2 t ) +
(3.4.146)
A3 exp(λ3 t ) + A4 exp(λ 4 t ) =
A1 (cos(ω1t ) + i sin (ω1t )) + A2 (cos(ω1t ) − i sin (ω1t )) +
A3 (cos(ω 2 t ) + i sin (ω 2 t )) + A4 (cos(ω 2 t ) + i sin (ω 2 t )) =
a1 cos(ω1t ) + a 2 sin (ω1t ) +
(3.4.147)
a3 cos(ω 2 t ) + a 4 sin (ω 2 t )
sowie analog:
x 2 (t ) = b1 cos(ω1t ) + b2 sin (ω1t ) +
(3.4.148)
b3 cos(ω 2 t ) + b4 sin (ω 2 t ) .
Dabei wurde wieder die EULERsche Gleichung verwendet:
exp(iωt ) = cos(ωt ) + i sin (ωt ) (3.4.149)
und Koeffizienten geeignet zusammengefasst, etwa:
a1 = A1 + A2 , a 2 = i( A1 − A2 ) . (3.4.150)
ω1 und ω 2 sind durch Wahl der Massen- und Federsteifigkeiten
a priori vorgegebene Systemkonstanten. Hingegen werden a j ,
b j , j = 1,L, 4 durch Anfangsbedingungen festgelegt. Aller-
dings sind die a j nicht unabhängig von den b j wählbar. Ur-
sprünglich galt es nämlich, die Gleichungen (3.4.133) zu lösen.
Wenn wir die gefundene Lösung einsetzen, so entstehen folgen-
de zwei Gleichungen:
[ ]
cos(ω1t ) − ω12 a1 + a11a1 + a12b1 +
sin (ω t ) [− ω a + a a + a b ] +
1
2
1 2 12 2 12 2
cos(ω t ) [− ω a + a a + a b ] +
2
2
2 3 11 3 12 3
(3.4.151)
sin (ω t ) [− ω a + a a + a b ] = 0,
2
2
2 4 11 4 12 4
cos(ω t ) [− ω b + a a + a b ] +
1
2
1 1 21 1 22 1
sin (ω t ) [− ω b + a a + a b ] +
1
2
1 2 21 2 22 2
cos(ω t ) [− ω b + a a + a b ] +
2
2
2 3 21 3 22 3
sin (ω t ) [− ω b + a a + a b ] = 0.
2
2
2 4 21 4 22 4
&x&2 + a 21 x1 + a 22 x 2 = 0 . (3.4.158) c2 ( x2 − x1 )
(a11 )
− Ω 2 X 1 + a12 X 2 =
F0
m1
,
F0
m1
(
a22 − Ω 2
F0
m1
)
a21
X1 = , X2 = − ,
det[Ω ] det[Ω ]
( )(
det[Ω ] = a11 − Ω 2 a 22 − Ω 2 − a12 a 21 . ) (3.4.162)
Wie schon beim angeregten Ein-Massen-Schwinger interessie-
X1 ren wir uns besonders für Resonanzphänomene. Wir erinnern
daran, dass Resonanz auftritt, wenn die anregende Frequenz
gleich der Eigenfrequenz des Schwingers ist. Hier erwarten wir
ω2 Ähnliches, wobei die Eigenfrequenzen durch die Gleichungen
ω1 Ω (3.4.145) gegeben sind.
Mathematisch gesprochen ist Resonanz durch eine unendlich
große Amplitude charakterisiert, und eine solche erhält man aus
der Lösung (3.4.162) für den Fall, dass die Determinante im
X2 Nenner verschwindet. In der Tat lässt sich die auftretende De-
terminante alternativ unter Verwendung der Eigenfrequenzen
(3.4.145) wie folgt schreiben:
ω1 ω2 Ω (
det[Ω ] = Ω 2 − ω12 Ω 2 − ω22 . )( ) (3.4.163)
Damit erhält man:
F0
m1
(
a22 − Ω 2 )
Abb. 3.4.29: Frequenz-
X1 = ,
gang eines Zwei-
Massen-Systems.
(Ω 2
)(
− ω12 Ω 2 − ω 22 )
F0
a21
m1
X2 = − . (3.4.164)
(Ω 2
)(
− ω12 Ω 2 − ω22 )
Der Verlauf der Amplituden als Funktion der anregenden Fre-
quenz ist in Abbildung 3.4.29 zu sehen. Offenbar gibt es für
beide Massen zwei Resonanzfrequenzen, eben ω1 und ω 2 . In-
teressant ist auch der Nulldurchgang im linken der beiden Gra-
phen. Nimmt z. B. die Erregerfrequenz den Wert a 22 an, so ist
die erste Masse in Ruhe, die zweite jedoch nicht. Diese schwingt
mit ihrer Eigenfrequenz, nämlich c 2 m 2 , was dann auch
gleich der Erregerfrequenz ist. Man spricht von Schwingungstil-
gung/-isolierung, einem Effekt, den man in der technischen Pra-
xis z. B. bei schwingungsgedämpften Tischen ausnutzt.
4 Kontinuumsmechanik
4.1 Bilanzgleichungen der Masse
4.1.1 Bilanzgleichung der Masse in globaler
Form
Im Folgenden betrachten wir zunächst einmal sog. abgeschlos-
sene Systeme, die auch materielle Volumina V genannt wer-
den. Ein solches ist in Abbildung 4.1.1 zu sehen.
dV
dm = ρ dV n ∂V
dA
x
V (t )
O
raumfestes
Koordi- Referenzlage
natennetz aktuelle
x X Lage zur
x2 = const. Zeit t
Teilchenbahn
x1 = const. x = x( X, t)
d
ρˆ ( x, t ) dV = 0 .
dt V∫(t )
(4.1.5)
dt α∫(t )
=
t
nach Veränderung. So geht
er stattdessen bis zum Jahre Δt → 0 Δt
1672 nach Mainz, wo er
sich nacheinander in viel-
1 ⎧⎪⎛⎜
β ( t + Δt ) β (t + Δt )
⎞
seitigster Weise als Sekre- lim ⎨ ∫ ξ ( x, t + Δt ) dx − ∫ ξˆ( x, t ) dx ⎟ +
ˆ (4.1.7)
tär, Bibliothekar, Rechtsbe- Δt →0 Δt ⎜ ⎟
⎪⎩⎝ α (t + Δt ) α (t + Δt ) ⎠
rater und als Diplomat betä-
tigt. Letztere Aktivität
⎛ β (t + Δt ) β (t )
⎞ ⎛ α (t + Δt ) α (t )
⎞⎫
bringt ihn mit J. C. von ⎜ ξˆ( x, t ) dx − ˆ( x, t ) dx ⎟ − ⎜ + ˆ( x, t ) dx − ξˆ( x, t ) dx ⎟⎪⎬ =
⎜ ∫ ∫ ∫ ∫
ξ ξ
⎟ ⎜ ⎟⎪
⎝ α (t + Δt ) α (t + Δt ) ⎠ ⎝ β (t ) β (t ) ⎠⎭
4.1.3 LEIBNIZsche Regel zur Differenziation von Parameterintegralen … 327
β (t )
ξˆ( x, t + Δt ) − ξˆ( x, t ) BOYNEBUR nach Paris, wo
∫
α( )
lim
Δt → 0 Δt
dx + er mithilft, König LOUIS
t XIV. zu überreden, von
β (t + Δt ) α (t + Δt ) Übergriffen auf deutsche
1 1
lim
Δt → 0 Δt ∫ ξˆ(x, t ) dx − lim
β (t )
Δt → 0 Δt ∫ ξˆ( x, t ) dx.
α( )t
Lande abzusehen. Aber
nicht nur deshalb weilt er
an der Seine. Vor allem
Dabei haben wir geeignet Terme addiert und wieder abgezogen studiert er dort Mathematik
und außerdem von der Vorzeichenregel bei Umtausch der Integ- und Physik unter dem be-
rühmten Christian HUY-
ralgrenzen Gebrauch gemacht: GENS, und er entwickelt in
β (t ) α (t ) dieser Zeit die Grundzüge
∫ ξˆ(x, t ) dx = − ∫ ξˆ(x, t ) dx .
α (t ) β (t )
(4.1.8) seiner Version der Diffe-
renzial- und Integralrech-
nung. Im Jahre 1676 geht er
Nun erinnern wir einerseits an die Definitionsgleichung für par- schließlich in die Stadt
tielle Differenziation: Hannover, wo er bis zu sei-
nem Tode bleibt. Um das
ξˆ( x, t + Δt ) − ξˆ(x, t ) ∂ξˆ( x, t ) ∂ξˆ(x, t ) Jahr 1673 ist er immer noch
lim = ≡ (4.1.9) stark damit beschäftigt, eine
Δt →0 Δt ∂t x ∂t gute Notation für die Diffe-
renzial- und Integralrech-
und an den Mittelwertsatz der Integralrechnung, z. B.: nung zu finden, und bei
seinen ersten Berechnungen
β (t + Δt )
1 stellt er sich genau so müh-
lim
Δt → 0 Δt ∫β ( ξ) ˆ(x, t ) dx = (4.1.10) selig an, wie viele von uns
t bis zum Ende ihrer Tage.
Aber am 21. November
ξˆ( x , t ) (β (t + Δt ) − β (t )) 1675 verfasst er schließlich
x∈[β (t ), β (t + Δt )]
lim = ξˆ(β (t ), t ) β& (t ) , ein Manuskript, in dem er
Δt → 0 Δt die Schreibweise f (x ) dx
zum ersten Mal verwendet.
und der Beweis von Gleichung (4.1.6) ist erbracht. In demselben Manuskript
Gleichung (4.1.6) verdient es, kommentiert zu werden. Der erste finden wir auch die beliebte
Produktenregel. Die Quo-
Term nach dem Gleichheitszeichen drückt aus, dass, wie nicht
tientenregel folgt in einem
anders zu erwarten, der explizit zeitabhängige Integrand partiell anderen Manuskript nach,
nach t , also bei festem Ort x , differenziert werden muss. Es und zwar zwei Jahre später,
gibt jedoch noch zwei Zusatzterme, und diese berücksichtigen im Juli 1677. Zwar muss
die zeitliche Änderung der Berandung. Der erste Zusatzterm be- man LEIBNIZ’ großem Wi-
dersacher NEWTON Recht
handelt die obere Grenze, und zwar wird die Geschwindigkeit geben, der da behauptet,
der Grenze, d. h. β& (t ) , mit dem Funktionswert ausgewertet an dass nicht ein einziges zu-
der momentanen Grenze, also ξ (β (t ) , t ) , multipliziert. Der Bei- vor ungelöstes Problem in
diesen Arbeiten behandelt
trag ist außerdem positiv. Dies kann man anschaulich so deuten, werde, aber der Formalis-
dass man sagt, dass die zur oberen Grenze gehörende Ge- mus, den LEIBNIZ erstellte,
schwindigkeit in positive x -Richtung zeigt. Der zweite Zusatz- war prägend für die weitere
term ist analog zu interpretieren, mit dem einzigen Unterschied, Entwicklung der Differen-
zial- und Integralrechnung.
dass er mit einem negativen Vorzeichen versehen ist. Hier weist Zwar dachte LEIBNIZ bei
die Geschwindigkeit der unteren Grenze sozusagen in negative der Ableitung nicht im Sin-
x -Richtung. ne eines Grenzwertes (diese
328 4.1 Bilanzgleichungen der Masse
Idee kommt erst in Die Verallgemeinerung der Gleichung (4.1.6) auf den dreidi-
D’ALEMBERTS Arbeiten im mensionalen Fall gelingt nun wie folgt:
Jahre 1786 auf), aber er
publiziert 1684 Details zu d ∂ξˆ( x, t )
Anwendungen des „Calcu- ∫ ξˆ( x, t ) dV = ∫ dV + ∫ ξˆ( x, t ) υ ⋅ n dA . (4.1.11)
lus“: In den noch heute exi- dt V (t ) V (t ) ∂t ∂V (t )
stenten Acta Editorum (ei-
nem von LEIBNIZ zwei Jah- Dem Beweis dieses auf REYNOLDS zurückgehenden Transport-
re zuvor eröffneten Journal) theorems werden wir uns gleich zuwenden. Zuvor jedoch gilt es,
erscheint die Arbeit Nova den Inhalt zu verstehen und die Analogien zur Gleichung (4.1.6)
Methodus pro Maximis et darzulegen. Wie zuvor wird im ersten Term der explizit von der
Minimis, idemque Tangen-
tibus, worin man die Regel Zeit abhängige Integrand bei konstantem Ortsvektor
zum Differenzieren von Po- x = ( x1 , x2 , x3 ) ≡ xi , i = 1, 2, 3 differenziert und anschließend
tenzen, Produkten und Quo- über V (t ) integriert. Der zweite Term berücksichtigt den Ein-
tienten findet. Zur mögli-
chen Freude vieler (nicht- fluss des sich zeitlich verändernden Volumens. Hier wird der In-
mathematischer) Studenten tegrand an einer Stelle der Oberfläche x ausgewertet, danach
finden sich in dieser Arbeit
allerdings keinerlei Bewei- mit der „gerichteten“ Geschwindigkeit υ ⋅ n multipliziert und
se und Kollege Jacob BER- schließlich über die gesamte Oberfläche ∂V (t ) integriert. Die
NOULLI spricht von ihr dann
Integration entspricht der Summe der beiden letzten Terme in
auch mehr von einem
Enigma anstatt von einer der eindimensionalen Gleichung (4.1.6). Dort gibt es nämlich
Erklärung. 1686 publiziert nur zwei Randpunkte des Integrationsgebietes, eben α (t ) und
LEIBNIZ wieder in seinem β (t ) , wohingegen im Dreidimensionalen eine ganze Hüllfläche
Hausjournal über die Integ-
ralrechnung, wo die uns be- zur Verfügung steht. Auch das jeweilige Vorzeichen wird be-
kannte Schreibweise des In- rücksichtigt, und zwar in Gestalt des Skalarproduktes υ ⋅ n . Die
tegrals zum ersten Mal in
gedruckter Form erscheint. Normale n steht senkrecht auf den jeweiligen Punkten der Hüll-
NEWTONS Principia er- fläche und ist aus dem Gebiet hinaus gerichtet (vgl. Abb. 4.1.1).
scheinen erst im darauffol- υ bezeichnet den Geschwindigkeitsvektor der auf der Oberflä-
genden Jahr. Zwar war
NEWTONS „Fluxionsmetho- che des Volumens liegenden materiellen Teilchen. Zeigt dieser
de“ bereits 1671 verfasst, aus dem Volumen hinaus, d. h. vergrößert sich das Volumen, so
aber die Publikation verspä- ist das Skalarprodukt positiv, weist er hingegen hinein, verklei-
tete sich, was neben NEW- nert sich das Volumen also, so ist der Winkel zwischen
TONS streitsüchtigem Cha-
Geschwindigkeits- und Normalenvektor größer als 90° und das
rakter zum Entstehen des
Prioritätsstreites mit LEIB- Skalarprodukt entsprechend negativ. Wir wollen noch folgende
NIZ beitrug. Im Gegensatz Alternativschreibweise für das Skalarprodukt notieren. Seien
zu NEWTON war LEIBNIZ (υ1 , υ 2 , υ3 ) ≡ υi , i = 1, 2, 3 und n = (n1 , n2 , n3 ) ≡ ni , i = 1, 2, 3
unzweifelhaft ein Univer-
salgenie, denn neben der die drei kartesischen Komponenten des Geschwindigkeits- bzw.
Mathematik und Naturwis- des Normalenvektors, so lässt sich für das Skalarprodukt kurz
senschaft und dem Bau ei- schreiben:
ner Rechenmaschine be-
3
geisterten ihn in seinem
Leben noch die Theologie
υ ⋅ n = υ1 n1 + υ 2 n2 + υ 3 n3 ≡ υ i ni , ∑υ n
i =1
i i = υ i ni . (4.1.12)
und Philosophie, die Logik,
die Biologie, die Geschich- Tauchen also in einem Ausdruck zwei gleiche Indizes auf, so
te und eben das Recht. Zu muss man gemäß der EINSTEINschen Summenkonvention bezüg-
den Eigenheiten dieser be-
lich dieser Indizes automatisch von eins bis drei summieren. Die
4.1.3 LEIBNIZsche Regel zur Differenziation von Parameterintegralen … 329
Summe werden wir aus schreibökonomischen Gründen nicht deutenden Person gehörte
explizit notieren. Mithin kann man das REYNOLDSsche Trans- es außerdem, ständig Zettel
porttheorem auch folgendermaßen schreiben: bei sich zu tragen, um Ein-
fälle bei jeder Gelegenheit
d ∂ξˆ( x, t ) notieren zu können. 70000
∫ ξˆ( x, t ) dV =
dt V ( t ) ∫
V (t )
∂ t ∫
dV + ξˆ( x, t ) υ i ni dA .
∂V (t )
(4.1.13) dieser Zettel sind bekannt.
Bei manchem heutigen
klausurschreibendem Stu-
Abschließend wenden wir uns noch dem Beweis des REY- denten oder ordentlichem
NOLDSschen Transporttheorems zu oder besser gesagt, wir prä- Professor ist das ähnlich.
sentieren eine Gedankenkette, die mehr anschaulich argumen-
tiert denn wirklich beweist. Unter Beachtung der Grunddefiniti-
on des Differenzials schreiben wir zunächst in völliger Analogie
zu der eindimensionalen Gleichung (4.1.7):
∫ ξˆ( x, t + Δt ) dV − ∫ ξˆ( x, t ) dV
d
ξˆ( x, t ) dV = lim
( ) ()
∫
V t + Δt V t
. (4.1.14)
dt V (t ) Δt → 0 Δt
⎧⎪ ξˆ( x, t + Δt ) − ξˆ( x, t ) 1 ⎫⎪
lim ⎨
Δt →0 ∫
⎪⎩V (t + Δt ) Δt
dV + ∫
ξˆ( x, t ) dV ⎬ .
Δt V (t + Δt )−V (t ) ⎪⎭
Der erste Term ergibt im Grenzfall bereits den ersten Term der
rechten Seite von Gleichung (4.1.13). Um den zweiten Term
umzuschreiben, betrachten wir die Abbildung 4.1.3. Man sieht,
wie durch die Bewegung υ i der Materie an der Oberfläche dA
das Volumen (υ i Δt ) ni dA „hinausgespült“ und damit pro
Zeiteinheit Δt die Menge ξˆ( x, t )υ n dA an Feldgröße ξˆ(x, t )
i i υi Δt
wie man sagt konvektiv transportiert wird. Das Skalarprodukt n
υi ni ist zu beachten, denn wenn die Bewegung υ i tangential
zur Oberfläche, also normal zu ni erfolgt, wird überhaupt nichts dA
konvektiv transportiert, und genau dann ist das Skalarprodukt
auch gleich null. Die dazugehörige Änderung der Größe ξˆ( x, t ) V (t )
aufgrund der Volumenänderung V (t + Δt ) − V (t ) ist also
ξˆ( x, t ) υ n Δt , was pro Zeiteinheit genommen und über die
i i Abb. 4.1.3: Zum REY-
Gesamtoberfläche integriert den zweiten Anteil in Gleichung NOLDSschen Transport-
(4.1.13) erklärt. Im Hinblick auf die eindimensionale Gleichung theorem.
(4.1.6) und um uns zu wiederholen, könnte man auch sagen,
330 4.1 Bilanzgleichungen der Masse
dPi
= K i , i = 1, 2, 3 . (4.2.1)
dt
Im Unterschied zu der Gesamtmasse, welche für ein materielles
Volumen konstant ist, ändert sich also der Gesamtimpuls, eben
aufgrund der Anwesenheit von Kräften. Um nun Gleichung
(4.2.1) weiter zu detaillieren, um also zu Feldgrößen zu gelan-
gen und letztendlich eine lokale Gleichung für den Impuls zu
gewinnen, argumentieren wir wie folgt. Das in der Abbildung Baron Augustin Louis
4.1.1 dargestellte, den Körper V (t ) aufbauende Massenelement
CAUCHY wurde am 21.
August 1789 in Paris gebo-
dm besitzt den Impuls dmυ i = ρυ i dV . Damit ergibt sich der ren und starb am 23. Mai
1857 in Sceaux bei Paris. In
Gesamtimpuls durch Integration zu: seinen jungen Jahren war er
∫ ρˆ (x, t ) υˆ (x, t ) dV .
Ingenieur in NAPOLEONS
Pi = i (4.2.2) Armee. Im Alter von 26
V (t )
Jahren wurde er bereits Pro-
fessor an der École Poly-
Für die Zeitableitung dieser Größe gelten genau dieselben Ar-
technique, wo er sich bald
gumente wie im Zusammenhang mit der Massenbilanz, denn als der führende französi-
sowohl das Integrationsgebiet als auch die Integranden sind ex- sche Mathematiker seiner
plizit zeitabhängig. Also müssen wir mit dem REYNOLDSschen Zeit etablierte. Es wird be-
Transporttheorem nach Gleichung (4.1.13) schreiben: richtet, dass ihm seine Kol-
legen den zweifelhaften
dPi d
(ρυ i ) dV
Kosenamen „cochon“ zu-
dt V∫(t )
= legten, da er angeblich sei-
dt ne Ideen aus von ihm be-
(4.2.3)
∂ (ρυ i ) gutachteten Veröffentli-
= ∫ dV + ∫ ( ρ υ i ) υ j n j dA , chungen stahl, ähnlich wie
V (t )
∂t ∂V (t ) Studenten während der
Klausur. Trotz dieser dunk-
wobei ξ = ρ υ i gesetzt wurde. Welchen Index man im Ska- len Seite muss man wohl
gerechterweise feststellen,
larprodukt υ ⋅ n verwendet, ist an und für sich gleichgültig, nur dass der Großteil seiner 789
muss man darauf achten, dass er nicht bereits vergeben ist. Da Veröffentlichungen wohl
wir zur Kennzeichnung der Impulsdichte bereits den Index i doch von ihm selbst
stammt. CAUCHYS letzte
verwendet hatten, mussten wir ihn im Skalarprodukt auf j ab-
Worte in der Französischen
ändern: υ ⋅ n = υ j n j . Wir nehmen nun wieder an, dass die Felder Akademie waren „C’est ce
que j’expliquerai plus au
der Dichte und der Geschwindigkeit im Innern des Gebietes ste- long dans un prochain mé-
tig sind, und benutzen dann den GAUSSschen Satz, um zu schrei- moire“. Er starb achtzehn
ben: Tage später und äußerte
⎛ ∂ (ρυ i ) ∂ (ρυ iυ j ) ⎞
sich verständlicherweise
dPi
= ∫ ⎜ ⎟ dV . nicht mehr darüber, was er
+ (4.2.4)
dt V (t ) ⎜⎝ ∂t ∂x j ⎟⎠ denn wohl erklären wollte.
Sein Wissen nahm er mit
ins Grab und die Kollegen
Wenden wir uns nun den Kräften zu. Die Gesamtkraft lässt sich in der Akademie hörten rein
additiv in zwei „Sorten“ von Kräften aufteilen: gar nichts von seiner ma-
thematischen Neuentde-
K i = Fi + Ti . (4.2.5)
336 4.2 Bilanzgleichungen des Impulses
ckung. Gleiches Pech (oder Zum einen gibt es langreichweitige Kräfte, die sozusagen von
Glück?) hat man als Stu- außen kommend im Innern des Körpers angreifen. Man nennt
dent der Ingenieurwissen- sie Volumenkräfte Fi und ein prominentes Beispiel hierfür ist
schaft in Bezug auf die
Vorlesung zumindest bei die Schwerkraft. Wie gesagt wirken sie direkt am Massenele-
jungen, neuberufenen Pro- ment dm und wir schreiben:
fessoren nur äußerst selten.
Fi = ∫( )ρ̂ (x, t ) fˆ (x, t ) dV .
V t
i (4.2.6)
⎛ ∂υ i ∂υ i ⎞ ∂σ ji
ρ ⎜⎜ +υ j ⎟=
⎟ ∂x
+ ρ fi . (4.2.24)
⎝ ∂t ∂x j ⎠ j
wobei in den letzten beiden Gleichungen auch noch mal die EU-
LERsche bzw. LAGRANGEsche Darstellungsweise explizit hinge-
schrieben wurde. Hiermit gehen wir in Gleichung (4.1.13) und
schreiben:
ξ ( x, t ) dV = ρˆ ( x, t )ψˆ ( x, t ) dV
d ˆ d
∫
dt V (t ) dt V∫(t )
(4.2.28)
= ∫ψˆ ( x, t ) dm .
d
dt M
Beachte, dass im letzten Schritt der Gleichungskette das Mas-
senelement dm gemäß Gleichung (4.1.2) eingeführt wurde und
nun über die zeitlich konstante Gesamtmasse M zu integrieren
ist. Dies vereinfacht die Differenziation nach der Zeit beträcht-
4.2.4 Eine Bemerkung zum REYNOLDSschen Transporttheorem 341
ψˆ ( x, t ) dm = ∫ ψˆ ( x, t ) dm
d d
∫
dt M M
dt
(4.2.29)
= ∫ψ& dm =
M
∫ ρˆ (x, t )ψˆ& (x, t ) dV .
V (t )
In der Tat ist dies konsistent mit dem alten Ergebnis gemäß
Gleichung (4.2.3), das wir zunächst mit dem GAUSSschen Satz
gemäß (4.1.17) umformen:
dPi ⎡ ∂ (ρυ i ) ∂ (ρυ iυ j )⎤
=
d
∫ (ρυ i ) dV = ∫ ⎢ + ⎥ dV (4.2.32)
dt dt V (t ) ⎢
V (t ) ⎣
∂t ∂x j ⎥⎦
und dann unter Verwendung der Produktregel umschreiben:
dPi d
(ρυ i ) dV
dt V∫(t )
=
dt
(4.2.33)
⎡ ⎛ ∂υ ∂υ ⎞ ⎛ ∂ρ ∂ρυ j ⎞⎤
= ∫ ⎢ρ ⎜ i + υ j i ⎟ + υi ⎜ + ⎟ ⎥ dV .
⎢ ⎜⎝ ∂t
V (t ) ⎣
∂x j ⎟⎠ ⎜ ∂t
⎝ ∂x j ⎟⎥
⎠⎦
Indem man nun noch die Massenbilanz in der Form (4.1.20) be-
achtet, folgt gerade (4.2.31). Zusammenfassend stellen wir fest,
dass sich für massenspezifische Feldgrößen ψ mithilfe des in
Gleichung (4.2.29) gezeigten Tricks die Verwendung des REY-
NOLDSschen Transporttheorems umgehen lässt.
342 4.3 Einfache Materialgleichungen
übernahm KRONECKER die aus einem für alle gleichen translatorischen sowie für alle glei-
Verwaltung des Familien- chen rotatorischen Anteil zusammensetzt, und wir haben den
gutes in Schlesien. Dies Kraft- und Drallsatz zu ihrer Berechnung erfolgreich herangezo-
hindert ihn für die nächsten gen. Im Folgenden soll der Festkörper nicht mehr ideal starr
acht Jahre weiter zu
publizieren. Allerdings wird
sein. Vielmehr dürfen sich die ihn aufbauenden Masseteilchen
er durch Erbschaft und auch gegeneinander bewegen, mit anderen Worten, der Festkör-
Großgrundbesitz vermö- per darf sich deformieren. Allerdings sollen im Rahmen dieses
gend, was es ihm später Buches die gegenseitigen, relativen Bewegungen klein sein und
ermöglicht, als Privatmann mithilfe einer linearen Deformationstheorie beschrieben wer-
in Berlin zu leben und sich
nach Belieben seinen
den. Doch davon später.
Interessen zu widmen. 1861 Bisher haben wir zur Beschreibung von Feldern und Bewegun-
wird er in die Berliner und gen hauptsächlich die EULERsche Darstellungsweise verwendet,
1868 in die Pariser
Akademie gewählt. Ordent- bei der „unter“ dem Körper angelegte Koordinatenlinien zur Be-
licher Professor wird er erst schreibung der sich darüber bewegenden Materie verwendet
im Jahre 1883, nachdem wurden. Wir haben jedoch bereits angemerkt, dass man äquiva-
KUMMER aus Altersgründen lent und alternativ auch die LAGRANGEsche Sichtweise verwen-
zurückgetreten war. Aber den kann, bei der man sich sozusagen mit dem in einer Refe-
KRONECKER hatte es ja, wie
gesagt, eigentlich auch renzkonfiguration eindeutig durch seinen Ortsvektor X ge-
nicht nötig, Geld zu kennzeichneten Teilchen mitbewegt und für seine Bewegung
verdienen, und konnte es x (X , t ).
schreibt x = ~
sich erlauben, wählerisch
zu sein, wie man auch In der Tat ist es bei fluidmechanischen Problemen oft einfacher
daran sieht, dass er einen
zuvor erhaltenen Ruf nach
nach EULER zu argumentieren. Zur Beschreibung der Bewe-
Göttingen einfach ablehnte. gung, Deformation und Spannungen in Festkörpern jedoch ist
die Beschreibung nach LAGRANGE i. Allg. besser geeignet. An-
stelle der Bewegung x = ~ x ( X , t ) verwendet man hier aber
hauptsächlich den sogenannten Verschiebungsvektor u und
seine Ableitungen. Wir führen u über seine kartesischen Kom-
ponenten ein wie folgt:
u i = xi − X i ⇔ u~i ( X , t ) = ~ xi ( X , t ) − X i
(4.3.8)
⇔ uˆ i ( x, t ) = xi − Xˆ ( x, t ) , i = 1, 2, 3 .
Sind die Verschiebungen für alle Teilchen X gleich, so haben
wir es mit einer translatorischen Starrkörperbewegung zu tun.
Diese führt zu keinerlei Spannungen im Körper, denn wenn wir
alle Teilchen des Körpers in gleicher Weise durch den Raum
bewegen, gibt es keinerlei Deformation, und wo es keine De-
formation gibt, da existiert auch keine Spannung. Wenn die
Teilchen im Festkörper jedoch unterschiedliche Verschiebungen
erfahren (den Fall einer allgemeinen aus Translation und Rotati-
on zusammengesetzten Starrkörperbewegung ausgenommen),
wenn es also Verschiebungsgradienten gibt, dann treten Span-
nungen auf. Dieses ist uns nicht neu. Denken wir beispielsweise
an einen Stab der ursprünglichen Länge l . Dieser wird am einen
4.3.3 Der linear-elastische HOOKEsche Körper 345
∂x1 Δl
mittelbar Vollzug der Repa- x1 = u1 + X 1 ⇒ = +1 , (4.3.14)
raturarbeiten. Allerdings ∂X 1 l
unterstützte der Stadtrat den
Bau der Brücke von Anfang und Δl l ist eine kleine Größe, jedenfalls bei den Materialien
an nicht, und so bot sich für
ihn die willkommene Gele-
und Deformationsprozessen, die wir im Rahmen dieses Buches
genheit, den unverzüglichen betrachten. Wie bereits gesagt, geht es uns hier um eine lineare
Abriss zu befehlen. Gegen Theorie, und ε ist bereits ein lineares Verformungsmaß, in dem
die Verwaltung helfen eben
keine noch so guten Quadrate des Verschiebungsgradienten sowie höhere Ableitun-
theoretischen Argumente. gen der Verschiebung nicht auftreten.
Nach HOOKE, der sich mit als Erster mit linearen Kraft-
Verformungs-Gesetzen bei Federn quantitativ beschäftigt hat,
setzt man nun Verformungsgradienten in linearer Weise mit
Spannungen in Verbindung. Im dreidimensionalen Fall hat man
allgemein für anisotrope linear-elastische Werkstoffe zu schrei-
ben (man beachte die EINSTEINsche Summationskonvention in
Bezug auf die Indizes k und l ):
σ ij = C ijkl ε kl . (4.3.15)
Im Vergleich mit (2.3.3) stellt man fest, dass die zweite LAMÉ-
sche Konstante nichts anderes als der Schubmodul ist. Warum
sich ein derart komplizierter Zusammenhang ergibt, werden wir
weiter unten diskutieren. Im Moment genügt es festzustellen,
dass nach Einsetzen von (4.3.16/17) in (4.3.15) und nach leich-
tem Umformen das HOOKEsche Gesetz für isotrope, linear-
elastische Materialien resultiert:
σ ij = λε kk δ ij + 2με ij oder
E ⎛ ν ⎞
σ ij = ⎜ ε ij + ε kk δ ij ⎟ . (4.3.18)
1 +ν ⎝ 1 − 2ν ⎠
Dabei steht ε kk für die Spur des Verzerrungstensors, die nach
der EINSTEINschen Summationskonvention ausführlich ge-
schrieben lautet:
ε kk = ε 11 + ε 22 + ε 33 = Sp (ε ) . (4.3.19)
=
( )
∂ ⎛⎜ ∂u~k Xˆ ( x, t ), t ∂x m ⎞ ∂X l
⎟
∂t ⎜⎝ ∂x m ∂X l ⎟ ∂x
⎠ k (4.3.21)
d ⎛ ∂uˆ ( x, t ) ∂x m ⎞ ∂X l
= ⎜⎜ k ⎟⎟
dt ⎝ ∂x m ∂X l ⎠ ∂x k
d ⎛ ∂u k ∂ (u m + X m ) ⎞ ∂X l
= ⎜ ⎟⎟
dt ⎜⎝ ∂x m ∂X l ⎠ ∂x k
d ⎛ ∂u k ∂u k ∂u m ⎞ ∂X l d ⎛ ∂u ⎞ ∂ ( xl − u l )
= ⎜⎜ + ⎟⎟ ≈ ⎜⎜ k ⎟⎟
dt ⎝ ∂xl ∂x m ∂X l ⎠ ∂x k dt ⎝ ∂xl ⎠ ∂x k
348 4.4 Bilanzgleichungen des Drehimpulses
d ⎛ ∂u k ⎞ ∂ ( xl − u l ) d ⎛ ∂u k ⎞ d ⎛ ∂u k ⎞ ∂u l
= ⎜ ⎟⎟ = ⎜⎜ ⎟⎟ − ⎜⎜ ⎟⎟
dt ⎜⎝ ∂xl ⎠ ∂x k dt ⎝ ∂x k ⎠ dt ⎝ ∂xl ⎠ ∂x k
d ⎛ ∂u k ⎞ d
≈ ⎜ ⎟⎟ = ε kk ≡ ε&kk .
dt ⎜⎝ ∂x k ⎠ dt
Mit (4.3.20) wird es möglich, die Massenbilanz (4.1.26) in der
Zeit zu integrieren:
⎛ ρ ⎞
(ln ρ )• = −ε& kk ⇒ ln⎜⎜ ⎟⎟ = −ε kk , (4.3.22)
⎝ ρ0 ⎠
wenn man annimmt, dass die Deformation eingangs null war
und die dazugehörige Massendichte den Wert ρ 0 hatte. Für
kleine Deformation folgt aus der letzten Gleichung durch Line-
arisierung:
ρ = ρ 0 (1 − ε kk ) . (4.3.23)
Diese Gleichung gestattet es zu berechnen, um wie viel sich die
Dichte eines Festkörpers bei kleinen Verformungen ändert, also
z. B. herauszufinden, um wie viel sich ρ 0 verringert, wenn man
einen HOOKEschen Balken einem einachsigen Zug aussetzt.
Weiter unten werden wir hierauf zurückkommen.
∂xl
−ε kli σ ji = −ε kli δ lj σ ji = −ε kjiσ ji = +ε kijσ ji .
∂x j
Die erste Formel ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass in EU-
LERscher Darstellung die Variablen xl und t voneinander unab-
hängig sind. Wenn wir uns nun wie schon weiter oben angedeu-
tet auf Materialien beschränken, für die der Spannungstensor
symmetrisch ist, so folgt:
ε kij σ ji = 0 , (4.4.7)
Definieren wir:
∫( )ρ l dV ∫( m)
σ
Li = i , M iA = ij n j dA ,
V t ∂V t
M iV = ∫( )m dV , (4.4.14)
f
i
V t
x1 A
l Δl
1 ∂u ⎛ ∂u j ⎞
ε ij = ⎜ i + ⎟, (4.5.4)
2 ⎜⎝ ∂x j ∂x i ⎟⎠
= (λ + 2μ ) ε 11 + λ (ε 22 + ε 33 ) ,
F
σ 11 =
A
σ 22 = 0 = λ ε 11 + (λ + 2μ ) ε 22 + λε 33 ,
σ 33 = 0 = λ ε 11 + λ ε 22 + (λ + 2μ )ε 33 , (4.5.5)
σ 12 = 0 = 2μ ε 12 , σ 13 = 0 = 2μ ε 13 , σ 23 = 0 = 2μ ε 23 .
Wir addieren die zweite zur dritten Gleichung und erhalten:
λ
ε 22 + ε 33 = − ε 11 . (4.5.6)
λ + 2μ
Aus Symmetriegründen (isotroper HOOKEscher Körper) steht
zu erwarten, dass die Querdehnungen gleich sind und daher gilt:
λ
ε 22 = ε 33 = − ε 11 . (4.5.7)
2(λ + μ )
Im Vergleich mit (2.2.16) schließen wir, dass für die Querkon-
traktionszahl gelten muss:
λ
ν≡ . (4.5.8)
2(λ + μ )
Die Konsistenz mit den Gleichungen (4.3.17) ist einfach nach-
zuprüfen. Wir setzen nun (4.5.7) in die erste Gleichung aus
(4.5.5) ein:
F 3λ + 2μ
σ 11 = =μ ε 11 . (4.5.9)
A λ+μ
In der Tat ist dies genau die Form, welche wir im Abschnitt über
die elementare Festigkeitslehre für das HOOKEsche Gesetz in
4.5.2 Die LAMÉ-NAVIERschen Gleichungen 353
1 ∂u ⎛ ∂u ⎞
ε ij = ⎜⎜ i + ⎟;
j
(4.5.16)
2 ⎝ ∂x j ∂x i ⎟⎠
fügung. Wir wollen uns ganz auf das Bestimmen der drei Felder
ui konzentrieren und daher versuchen wir, (4.5.15–17) ineinan-
der einzusetzen, und zwar so lange, bis nur mehr u i und ihre
Ableitungen nach Ort und Zeit vorkommen. Diese Gleichungen
sind in der Literatur auch als LAMÉ-NAVIERsche Gleichungen
bekannt. Wir setzen als Erstes (4.5.16) in (4.5.17) ein und be-
achten, dass aufgrund der Symmetrie ε ij = ε ji allgemein gelten
muss, dass C ijkl = C ijlk :
1 ⎛ ∂u ∂u ⎞
σ ij = Cijkl ⎜⎜ k + l ⎟⎟
2 ⎝ ∂xl ∂x k ⎠
(4.5.20)
1⎛ ∂u ∂u ⎞ ∂u
= ⎜⎜ C ijkl k + C ijlk l ⎟⎟ = C ijkl k .
2⎝ ∂xl ∂x k ⎠ ∂xl
Hiermit gehen wir in (4.5.15) und beachten, dass der Steifig-
keitstensor C ijkl konstant ist:
∂ 2uk
ρ u&&i = C ijkl + ρ fi . (4.5.21)
∂x j ∂x l
Nun erinnern wir uns noch an die in Abschnitt 4.3.3 getroffene
Vereinbarung, dass wir bei kleinen Deformationen nur lineare
Terme mitnehmen, also Produkte aus Zeit- bzw. Ortsableitungen
der Verschiebung vernachlässigen. Im Hinblick auf die Kombi-
nation der Lösung für die Massendichte (4.2.19) mit Gleichung
(4.5.21) bedeutet das, dass wir darin nur die Referenzdichte ρ 0
einzusetzen haben:
∂ 2ui ∂ 2uk
ρ0 = C , (4.5.22)
∂t 2 ∂x j ∂xl
ijkl
wobei wir außerdem, wie es oft üblich ist, den Einfluss der Vo-
lumenkraft vernachlässigen und die materielle Zeitableitung in
EULERscher Darstellung gemäß Gleichung (4.1.25) wie folgt be-
achtet haben:
∂u i ∂u i ∂u i ∂u ∂u
u& i = +υk = + u& i i ≈ i , (4.5.23)
∂t ∂x k ∂t ∂x k ∂t
.
⎛ ∂u i ⎞ ∂ u i ∂ 2ui ∂ 2ui ∂ 2ui ∂ 2ui
2
⇒ u&&i ≈ ⎜ ⎟ = 2 +υk = 2 + u& i ≈ 2 .
⎝ ∂t ⎠ ∂t ∂x k ∂t ∂t ∂x k ∂t ∂t
Spezialisieren wir nun noch auf isotrope HOOKEsche Festkörper
(4.5.18), so wird:
356 4.5 Einführung in die lineare Elastizitätstheorie
⎛ σ 11 σ 12 σ 13 ⎞
⎜ ⎟
n j σ ij = (0 0 ± 1) ⎜ σ 12 σ 22 σ 23 ⎟
⎜σ ⎟
⎝ 13 σ 23 σ 33 ⎠
= (± σ 13 , ± σ 23 , ± σ 33 ) = (0, 0, 0 ) .
Mithin erkennen wir, dass:
σ 12 = 0 , σ 13 = 0 , σ 23 = 0 , (4.5.32)
was konsistent zu (4.5.30)4–6 ist und auf keinen Widerspruch
führt. Ferner ist im Vergleich mit (4.5.30)1–3 zu fordern:
358 4.5 Einführung in die lineare Elastizitätstheorie
Δl ⎛ Δd Δd ⎞
= (λ + 2 μ ) − λ ⎜⎜ 2 + 3 ⎟⎟ ,
F
σ 11 = (4.5.33)
A l ⎝ d2 d3 ⎠
Δl Δd Δd 3
σ 22 = 0 = λ − (λ + 2 μ ) 2 − λ ,
l d2 d3
Δl Δd 2 Δd
σ 33 =0=λ −λ − (λ + 2 μ ) 3 .
l d2 d3
Damit ist derselbe Zustand wie in Abschnitt 4.5.1 erreicht, und
man mag fragen, was wir nun gewonnen haben. Die Antwort ist,
dass die damaligen anschaulichen Argumentationen bei kompli-
zierteren Last- und Geometriefällen sich nicht beibehalten las-
sen. Hier ist man auf ein rationales Vorgehen durch Vorgabe
von Rand- und (bei zeitabhängigen Problemen) Anfangsbedin-
gungen für die Verschiebungen und Lasten angewiesen.
u1(− l, t ) u1(+ l, t )
2l
Abb. 4.5.2: Ein axial schwingender Stab.
Gesucht ist das nunmehr zeitabhängige Verschiebungsfeld im
Stabinnern u i = uˆ i ( x, t ) und die Basis zu seiner Bestimmung bil-
den die LAMÉ-NAVIERschen Gleichungen (4.5.24). Analog zum
statischen Fall wählen wir als semiinversen Ansatz:
u1 = u1 ( x1 , t ) , u 2 = u 2 ( x 2 , t ) , u 3 = u 3 (x 3 , t ) . (4.5.35)
Dann entkoppeln die LAMÉ-NAVIERschen Gleichungen (4.5.24)
wieder*:
∂ 2ui ∂ 2ui
ρ0 = (λ + 2μ ) mit i = 1, 2, 3 . (4.5.36)
∂t 2 ∂x i2
∂ 2 u1 E ∂ 2 u1 σxx σxx
= . (4.5.38) A
∂t 2 ρ 0 ∂x12
Wie man leicht feststellt, hat der Ausdruck Δx
E
cl = (4.5.39) Abb. 4.5.3: Freischnitt
ρ
eines axial schwingen-
die Dimension einer Geschwindigkeit. Hierbei handelt es sich den Balkenteilchens.
um die Geschwindigkeit sich in axialer, also longitudinaler
Richtung des eindimensionalen Stabes ausbreitender Wellen,
auch Schallgeschwindigkeit genannt. Sie beträgt z. B. in Stahl:
210 ⋅109 m m
cl = ≈ 5000 . (4.5.40)
7900 s s
Eine schnellere, ingenieurmäßige Herleitung der Wellenglei-
chung (4.5.38) eines axial schwingenden Balkens beruht auf
dem in Abbildung 4.5.3 dargestellten Freischnitt eines Balken-
stücks. Es soll nur in x1-Richtung, ingenieurmäßig kurz x-Achse
genannt, schwingen können, und daher betrachten wir aus-
schließlich die NEWTONsche Grundgleichung in dieser Rich-
tung:
Δm&x& = ∑ Fx , Δm = ρ A Δx . (4.5.41)
N N
x2 .
x1
q ( x1 )
N ( x1 ) N ( x1 ) + dN
x3
d( x1 ) Q ( x1 ) Q ( x1 ) + d Q
N
ψ ψ q( x1 ) x1
du3 Δx3
x2 x
3
ψ + dψ Δx1 Δx2
N
Abb. 4.5.4: Belastete Geigensaite nebst diversen Freischnitten
und Koordinatensystemen.
Nun beachten wir, dass der Deformationswinkel klein ist und
entwickeln den Sinus in eine TAYLOR-Reihe bis zu maximal li-
nearen Termen:
sin (ψ + dψ ) ≈ ψ + dψ , cos(ψ ) ≈ 1 . (4.5.47)
Es entsteht:
∂ 2u3
ρ Adx1 = + Ndψ + qdx1 . (4.5.48)
∂t 2
Nun gilt, wie schon in Abschnitt 2.9.5 gezeigt wurde, folgende
geometrische Beziehung:
∂u 3
du 3 = u 3 ( x1 + dx1 , t ) − u 3 ( x1 , t ) = dx1 ,
∂x1
(4.5.49)
du dψ ∂ 2 u 3
ψ ≈ tan (ψ ) = 3 ⇒ = ,
dx1 dx1 ∂x12
und es folgt als partielle Differenzialgleichung für die gesuchte
Vertikalverschiebung:
∂ 2u3 ∂ 2u3
ρA =N +q. (4.5.50)
∂t 2 ∂x12
Dieselbe Gleichung soll nun nochmals aus einer mehr konti-
nuumsmechanischen Sichtweise hergeleitet werden. Wir integ-
362 4.5 Einführung in die lineare Elastizitätstheorie
Dieses sind, wie bereits betont, drei Gleichungen, die wir nun
komponentenweise für den in der Abbildung gezeigten Quader
auswerten. Aufgrund seiner Kleinheit sind die in ihm bzw. auf
seinen Oberflächen erklärten Felder nahezu konstant und wir
dürfen schreiben:
∂ 2ui 6 ( i ) (i ) (i )
ρ0
∂t 2
Δx1 Δx 2 Δx 3 = ∑
i =1
n j σ ji d A . (4.5.52)
Der Index i läuft über die sechs Flächen des Quaders, deren
Normalenvektoren sich sehr einfach berechnen:
(1, 2 ) ( 3, 4 )
n j = (± 1, 0, 0) , n j = (0, ± 1, 0)
(5 , 6 )
oder n j = (0, 0, ± 1) . (4.5.53)
Daher lauten die drei Gleichungen (4.5.52):
∂ 2 u1 (1) (2 )
ρ0 dx1dx 2 dx3 = ⎛⎜ σ 11 − σ 11 ⎞⎟dx 2 dx3 +
∂t 2
⎝ ⎠ (4.5.54)
⎛ (3) − (4 ) ⎞dx dx + ⎛ (5 ) − (6 ) ⎞dx dx ,
⎜ σ 21 σ 21 ⎟ 1 3 ⎜ σ 31 σ 31 ⎟ 1 2
⎝ ⎠ ⎝ ⎠
∂ 2u2 (1) (2 )
ρ0 dx1dx 2 dx3 = ⎛⎜ σ 12 − σ 12 ⎞⎟dx 2 dx3 +
∂t 2
⎝ ⎠
⎛ (3) − (4 ) ⎞dx dx + ⎛ (5 ) − (6 ) ⎞dx dx ,
⎜ σ 22 σ 22 ⎟ 1 3 ⎜ σ 32 σ 32 ⎟ 1 2
⎝ ⎠ ⎝ ⎠
∂ 2u3 (1) (2 )
ρ0 dx1dx 2 dx3 = ⎛⎜ σ 13 − σ 13 ⎞⎟dx 2 dx3
∂t 2
⎝ ⎠
(3 ) (4 ) (5 ) (6 )
+ ⎛⎜ σ 23 − σ 23 ⎞⎟dx1dx3 + ⎛⎜ σ 33 − σ 33 ⎞⎟dx1dx 2 .
⎝ ⎠ ⎝ ⎠
Wir erinnern daran, dass der erste Index im Spannungstensor
die Richtung der Flächennormale und der zweite Index die
Richtung der in der Fläche wirkenden Kraft bezeichnet. Auf-
grund der gewählten Belastung ist wegen der CAUCHYschen
4.5.4 Die Schwingungsgleichung der Geigensaite 363
dψ ∂ 2 u 3
w = u 3 , w′′ = = . (4.5.58)
dx1 ∂x12
Außerdem bestand damals zwischen den Kraft- / Verformungs-
größen folgende Beziehung:
dψ dQ
N = . (4.5.59)
dx1 dx1
Beides übertragen wir nun in die Gleichung (4.5.57) und fol-
gern, dass:
∂ 2u3 dQ ∂ 2u3
ρ0 A = + q( x1 ) = N + q( x1 ) . (4.5.60)
∂t 2 dx1 ∂x12
Wie eingangs gesagt, ist die axiale Zugspannung in der Saite
konstant. Weiterhin macht es Sinn, für kleine Durchsenkungen
u 3 die Verschiebungen/Schwingungen in x1, 2 -Richtung völlig
zu vernachlässigen: u1, 2 ≈ 0 . Dies alles ist konsistent mit den
Gleichungen (4.5.57)1,2, wonach dann wieder folgt:
dN = 0 , (4.5.61)
also die vorausgesetzte Konstanz der axialen Kraft.
Im Speziellen interessiert der Fall verschwindender Querlast
q (x1 ) , also die sog. freie Saitenschwingung. Hierfür folgt aus
Gleichung (4.5.55):
∂ 2 u3 2 ∂ u3
2
N
= c , cS2 = . (4.5.62)
ρ0 A
S
∂t 2
∂x12
x3
p(x1,x2) p(x1,x2) dx1dx2
ndx2 ndx1
dx2
... dx1
x2 x1 ndx1 ndx2
n ...
Abb. 4.5.5: Zur transversal schwingenden Membran.
Wir können das Ingenieurargument aus Abschnitt 4.5.4 unmit-
telbar auf den hier vorliegenden Fall übertragen, mit dem einzi-
gen Unterschied, dass wir diesmal die Rechnung in zwei Di-
mensionen durchführen müssen. Analog zu dem in Abbildung
4.5.4 oben dargestellten Linienelement schneiden wir nun ein
entlang der x1 / x 2 -Achsen orientiertes Flächenelement heraus.
Dieses steht unter der Wirkung der Vertikallast p ( x1 , x 2 ) dx1 dx 2
sowie der konstanten in x1 - und x 2 -Richtung weisenden Vor-
spannkräfte n . Gemäß dem Vorgehen in Abschnitt 4.5.4 müssen
wir die analog zu dem links unten in Abbildung 4.5.4 dargestell-
ten Schnitt (verformte Geigensaite) in x 3 -Richtung weisende n -
Anteile berücksichtigen, die sowohl aus der x1 - als auch aus der
x 2 -Richtung stammen. Entsprechend verwenden wir zwei für
die Deformation in der x1 / x 3 - bzw. x 2 / x 3 -Ebene maßgebliche
Winkel ψ 1 ( x1 ) und ψ 2 ( x 2 ) und schreiben:
∂ 2 u3
ρ hdx1dx2 =
∂t 2
−n dx 2 sin (ψ 1 ) + n dx 2 sin (ψ 1 + dψ 1 ) − (4.5.63)
n dx1 sin (ψ 2 ) + n dx1 sin (ψ 2 + dψ 2 ) + p dx1dx2 .
Auf der linken Seite dieser Gleichung haben wir die Verfor-
mung der Fläche (vgl. die Kosinusanteile in der analogen Bezie-
hung (4.5.46)) von vornherein nicht berücksichtigt. Indem wir
nun wieder wie folgt entwickeln:
sin (ψ 1 / 2 + dψ 1 / 2 ) ≈ ψ 1 / 2 + dψ 1 / 2 , (4.5.64)
entsteht:
∂ 2u3
ρh dx1dx 2 2 =
∂t . (4.5.65)
+n dx 2 dψ 1 + n dx1dψ 2 + pdx1dx 2
366 4.5 Einführung in die lineare Elastizitätstheorie
rentialgleichung aus, die wie wir sehen werden, nicht mehr denn er überlebt die Fran-
zweiter, sondern vierter Ordnung im Ort ist. Wir analysieren den zösische Revolution, ohne
Freischnitt eines Balkenteilchens aus Abbildung 4.5.6. Anwen- Schaden zu nehmen. Im
Gegenteil, alle Despoten
dung der NEWTONschen Grundgleichung in transversaler Rich- gleich welcher Couleur lo-
tung z erfordert, dass: ben ihn. Unter NAPOLEON
wird er in den Französi-
Δm&z& = ∑ Fz , Δm = ρ A Δx . (4.5.71) schen Senat gewählt, und
nach dessen Fall wird ihm
Für die Kräfte in z-Richtung darf man schreiben: sogar der Titel eines „Mar-
quis“ verliehen, und zwar
⎛ ∂Q ⎞
∑F = Q( x + Δx, t ) − Q( x, t ) + q( x, t )Δx ≈ ⎜ + q ⎟Δx , (4.5.72) ohne vorher Konsul WEYER
⎝ ∂x
z
⎠ kontaktiert zu haben.
∂ 2 w ∂ ⎛ ∂w ∂w ⎞
= ⎜ + ⎟=
∂x 2 ∂x ⎜⎝ ∂z1 ∂z 2 ⎟⎠
∂ ⎛ ∂w ∂w ⎞ ∂z1 ∂ ⎛ ∂w ∂w ⎞ ∂z 2
⎜⎜ + ⎟⎟ + ⎜⎜ + ⎟⎟ =
∂z1 ⎝ ∂z1 ∂z 2 ⎠ ∂x ∂z 2 ⎝ ∂z1 ∂z 2 ⎠ ∂x
∂2w ∂2w ∂2w
+ 2 +
∂z12 ∂z1∂z 2 ∂z 22
sowie in der Zeit:
∂w ∂w ∂z1 ∂w ∂z 2 ⎛ ∂w ∂w ⎞
= + =⎜ − ⎟c, (4.5.80)
∂t ∂z1 ∂t ∂z 2 ∂t ⎜⎝ ∂z 2 ∂z1 ⎟⎠
∂2w ∂ ⎛ ∂w ∂w ⎞ ∂ ⎛ ∂w ∂w ⎞ ∂z1
= c ⎜⎜ − ⎟⎟ = c ⎜ − ⎟ +
∂t 2
∂t ⎝ ∂z 2 ∂z1 ⎠ ∂z1 ⎜⎝ ∂z2 ∂z1 ⎟⎠ ∂t
∂ ⎛ ∂w ∂w ⎞ ∂z2 ⎛ ∂2w ∂2w ∂2w ⎞
c ⎜⎜ − ⎟⎟ = c 2 ⎜⎜ 2 − 2 + ⎟.
∂z2 ⎝ ∂z2 ∂z1 ⎠ ∂t ⎝ ∂z1 ∂z1∂z 2 ∂z22 ⎟⎠
Eingesetzt in Gleichung (4.5.77) und nach Kürzen des gemein-
samen Faktors 4 ergibt sich folgende Differenzialgleichung:
∂2w
=0. (4.5.81)
∂z1 ∂z 2
4.5.7 Lösungsmethoden I: Das Verfahren von d’Alembert 369
* Eigentlich wäre es für eine Saite natürlicher [0,l] als Intervall zu wählen.
Weiter unten werden wir jedoch sehen, dass sich die Störungen bzw. Wellen
symmetrisch nach links und rechts ausbreiten. Das oben gewählte Intervall
trägt dem Rechnung und wird in der Literatur alternativ benutzt.
4.5.7 Lösungsmethoden I: Das Verfahren von d’Alembert 371
„Zeit“ ct Auslenkung w (x )
–2l' +2l' x
l′ 2 ⎧w0 2 , falls x ∈ [− 3 l ′ 2 , − l ′ 2 ) oder (l ′ 2 , 3l ′ 2 w0 w (x,ct>l')
⎪
⎨w0 , falls x ∈ [− l ′ 2 , l ′ 2]
⎪0 sonst
⎩ x
2l'
muss, und das macht Arbeit, selbst wenn sie z. B. wie in Abbil-
dung 4.5.7 nur in einem Bereich [− 12 l ′,+ 12 l ′] ungleich Null und
dort auch noch konstant ist. Die Stammfunktion für diesen Fall
zu finden ist noch leicht, aber je nach gewählter Zeit und ge-
wähltem Ort müssen diverse Fallunterscheidungen gemacht
werden. Teilergebnisse sollen das Vorgehen für ct = 12 l ′ erläu-
Johann Peter Gustav Lejeu-
ne Dirichlet wurde am 13. tern:
Februar 1805 in Düren ge- x =0+l ′ / 2
~ x =l ′ / 2
~
∫ B(~x ) d~x =
boren und starb am 5. Mai
x =0: ∫ w& d~
x= l′ ,
1 1 w& 0
1859 in Göttingen. Seine c c 0 c
x = 0 −l ′ / 2
~ x = −l ′ / 2
~
Familie stammte aus dem
heutigen Belgien, damals x =l ′ / 2 + l ′ / 2
~ x =l ′
~
Fürstbistum Lüttich, was x = l′ : ∫ B(~x ) d~x = ∫ w& d~
x= l′ ,
w& 0
1
2
1 1
0 (4.5.91)
seinen Namen erklärt, wenn c c c
x =l ′ / 2 −l ′ / 2
~ ~
x =0
man noch weiss, dass Ri-
chelette der Ursprungsort x =l ′+ l ′ / 2
⎛ x =l ′ x = 3l ′ / 2
~ ~ ~
⎞
der DIRICHLETs war und er x = l′ : 1
c ∫ B ( ~
x ) d~x = c⎜ ∫
1⎜
w& 0 d~x + ∫ 0 d~x ⎟=
⎟
w& 0 1
c 2
l ′ , etc.
nach seinen Vorfahren x =l ′−l ′ / 2
~ ⎝ x =l ′ / 2
~ x =l ′
~ ⎠
nurmehr ein „junger“ DI-
RICHLET war. Er ging in
Bonn und Köln auf das 4.5.8 Die Frage der Randbedingungen
Gymnasium und begann im
Mai 1822 ein Mathematik- Zunächst erläutern wir, welche Randbedingungen typischerwei-
studium in Paris, um dort se in technischen Kontinuumsschwingungen auftreten. Beginnen
berühmte Persönlichkeiten wir mit dem axial schwingenden Zugstab aus Abschnitt 4.5.3.
zu treffen, von denen auch Wir können eines der Kopfenden festhalten und das andere ent-
weder mit der zeitabhängigen Amplitude u0 (t ) bewegen oder
wir in diesem Buch gehört
haben, u. a. nämlich FOU-
RIER, LAPLACE, LEGENDRE unter eine vorgegebene, zeitabhängige Axialspannung setzen.
und POISSON. Mit LEGEND- Dies bedeutet*:
RE bewies er 1825 die FER-
MATsche Vermutung für u x (0 ,t ) = 0 , u x (l ,t ) = u 0 (t ) , (4.5.92)
den Spezialfall n = 5: Für
n > 2 existiert keine nicht-
triviale ganzzahlige Lösung
σ xx (l ,t ) = σ 0 (t ) ⇒
∂u x
(l ,t ) = σ 0 (t ) ,
∂x E
der Gleichung an + bn = cn.
1827 erhielt er einen Eh- wobei in der letzten Gleichung mit Hilfe des HOOKEschen Ge-
renpromotion an der Uni- setzes die vorgegebene Spannung in einen Verschiebungsgra-
versität Bonn. Die Habilita- dienten umgerechnet wurde. Das gesuchte Feld ist die (axiale)
tion und Privatdozentenzeit
verbrachte er an der Uni- Verschiebung. Gibt man diese auf dem Rand direkt vor, so
versität Breslau. 1828 holte spricht man von DIRICHLETschen Randbedingungen. Gibt man
ihn Alexander VON HUM- stattdessen die Ableitung der Ortsableitung vor, so nennt man
BOLDT an die Berliner Uni- das eine NEUMANNsche Randbedingung.
versität, wo er 1831 a.o.
Professor und 1839 schließ-
lich Ordinarius wird.
Tüchtig wie er in seinem
Fach ist, beruft man ihn
1855 schließlich nach Göt-
*
An Stelle der Enden 0 und l kann man natürlich auch –l/2 und +l/2 wählen,
und umgekehrt, so wie das bereits eingangs in Abschnitt 4.5.7 geschehen ist.
4.5.8 Die Frage der Randbedingungen 373
Bei der transversal schwingenden Geigensaite ist die Vorspan- tingen als Nachfolger von
nungskraft N konstant. Die Saite wird an beiden Rändern fest- GAUSS. Dort bleibt er bis
gehalten: zum Tode.
∂w2 (i, t )
M (i, t ) = EI = 0 (unterstütztes Ende, Loslager);
∂x 2
∂w(i, t )
(d) =0,
∂x
∂w3 (i, t )
Q(i, t ) = EI = 0 (vertikal gleitendes Ende).
∂x 3 Carl Gottfried Neumann
Wie kann man nun sicherstellen, dass Randbedingungen im Zu- wurde am 7. Mai 1832 in
Königsberg (Preußen) ge-
sammenhang mit der allgemeinen D’ALEMBERTschen Lösung boren und starb am 27.
der Wellengleichung (4.5.88), welche die Wellenausbreitung für März 1925 in Leipzig. Er
die unendlich lange x-Achse beschreibt, erfüllt sind ? Die Lö- war der Sohn des und schon
sung besteht darin, sich zu vergegenwärtigen, dass Gleichung bekannten Physikers und
(4.5.88) eine links- und eine rechtslaufende Welle enthält und Mineralogen Franz Ernst
NEUMANN. Er studierte in
das lineare Superpositionsprinzip gilt. Um zum Beispiel die fes- Königsberg Mathematik,
ten Einspannbedingungen (4.5.93) für die Saite zu realisieren, promovierte 1856 und habi-
muss man die beiden Anfangsbedingungen A( x ) und B( x ) ein- litierte sich 1858 in Halle.
fach ungerade über das Intervall [− 12 l ,+ 12 l ] fortsetzen. Dadurch Dort arbeitete er zunächst
als Privatdozent und wurde
ist dann automatisch garantiert, dass sich an den Enden stets be- 1863 außerordentlicher Pro-
tragsmäßig gleichgroße Amplituden mit unterschiedlichen Vor- fessor. 1863 folgt er Rufen
zeichen treffen und in der Summe eine Null entsteht, sich also nach Basel, 1865 nach Tü-
bingen und 1868 an die
die Bedingung für feste Einspannung ergibt. Der Vorgang ist in Universität Leipzig, wo er
Abbildung 4.5.9 (oben) illustriert. Wie man sich überlegt, 42 Jahre wirkte.
schafft man es, ein spannungsfreies Ende (vgl. Gleichung
374 4.5 Einführung in die lineare Elastizitätstheorie
w(x,t)
∑ b2,k sin (k
k =1
πx
l
) = A(x ) , πc
l ∑ kb
k =1
1, k sin (k πx
l
) = B( x ) . (4.5.105)
376 4.5 Einführung in die lineare Elastizitätstheorie
2π ⎧0 für n = k = 0
⎪
∫y =0sin (n y )sin (k y )dy = ⎨π für n = k ≠ 0 ,
⎪0 sonst
⎩
2π ⎧2 π für n = k = 0
⎪
∫y =0cos(n y )cos(k y )dy = ⎨ π für n = k ≠ 0 , (4.5.106)
⎪0 sonst
⎩
2π
y =0
∫ sin (n y )cos(k y )dy = 0 ∀ k , n .
Die beiden anderen Formeln erweisen sich als nützlich, wenn
man Wellengleichungsprobleme mit anderen Randbedingungen
studiert, etwa die in Gleichung (4.5.92) angegebenen. Im vorlie-
genden Fall lautet die Lösung für k = 1, 2, L :
x = 2l x = 2l
b1,k = 1
k πc ∫ B(x ) sin (k
x =0
πx
l
) dx , b2,k = 1l ∫ A(x ) sin (k πlx ) dx . (4.5.107)
x =0
*
n ist wie k ganzzahlig positiv.
4.5.9 Lösungsmethoden II: Das Verfahren von Bernoulli 377
b1,k =1 = 0 , b1,k = 2 = 0 , L
... ...
–l 0 x l 2l 3l
... ...
–l 0 x l 2l 3l
L
bk = 2
L ∫ f (x )sin (2πk ) dx , k = 1, 2, 3L .
x =0
x
L
Das genau ist unser Resultat aus Gleichung (4.5.107). Man darf
also festhalten, dass die Anfangsbedingungen bei der einge-
spannten Saite ungerade über l fortzusetzen sind, so wie es be-
reits am Ende von Abschnitt 4.5.8 bei der Spezialisierung der
4.5.9 Lösungsmethoden II: Das Verfahren von Bernoulli 379
2l
bk = 1l ∫ f (x )sin (πk ) dx = 0 , k = 1, 2, 3L .
x =0
x
l
wobei:
x = 2l
b2, 0 = 1
2l ∫ A(x ) dx .
x =0
(4.5.118)
(4.5.121)
Abb. 4.5. 13: Einseitig
eingespannter, axial Die Konstanten b1, k und b2, k bestimmt man dann in ähnlicher
schwingender Balken. Weise wie in Gleichung (4.5.105).
Abschließend noch ein Wort zur Lösung der Wellengleichung
vierter Ordnung (4.5.76). Wir spezialisieren uns auf den Fall
ohne Querlast und finden mit dem Produktansatz (4.5.95) in völ-
liger Analogie zu den Ausführungen am Anfang dieses Ab-
schnitts:
A(IV ) ( x ) &&(t )
B
c2 =− = ω2 ⇒ (4.5.122)
A( x ) B(t )
A(IV ) ( x ) + (ωc ) A( x ) = 0 , B
&&(t ) + ω 2 B(t ) = 0 .
2
β= ω
c
. (4.5.124)
[
w( x, t ) = A1 sin ( x)+ A cos( x)+ A sinh( x)+ A cosh( x)]
ω
c 2
ω
c 3
ω
c 4
ω
c
∑ {a
k =0
k sin (kπ xl ) sin (kπ ctl ) + bk sin (kπ xl ) cos(kπ ctl ) +
Den Faktor 1 2π haben wir, wie wir gleich sehen werden, aus
reiner Bequemlichkeit eingefügt. Man beachte, dass auch die
Fourier-Koeffizienten a (k ) , ..., d (k ) nunmehr kontinuierliche
Funktionen sind. Man bestimmt sie mithilfe des Fourierschen
Integralsatzes. Dieser lautet in Analogie zu dem Satz über Fou-
rier-Reihen, also den Gleichungen (4.5.112/113), wie folgt. Be-
trachte eine integrierbare, stückweise stetige Funktion f ( x ) mit
+∞
endlich vielen Sprungstellen ( ∫ f (x ) dx < ∞ ), erklärt über dem
−∞
Intervall − ∞, + ∞ . Dann gilt:
+∞
f (x ) = 1
2π ∫ fˆ (k ) exp(– ikx ) dk mit
k = −∞
+∞
fˆ (k ) = 1
2π ∫ f (x ) exp(ikx ) dx . (4.5.130)
x = −∞
Die linken Seiten seien vorgegeben, und zwar als reelle Größen,
beide integrierbar und mit endlich vielen Sprungstellen. Dann
folgt im Vergleich mit den Gleichungen (4.5.130/132):
+∞
d (k ) + ib(k ) = 1
2π ∫ w(x, t = 0)exp(ikx ) dx ,
x = −∞
+∞
ck [c(k ) + ia (k )] = 1
2π ∫ w& (x, t = 0)exp(ikx ) dx . (4.5.135)
x = −∞
+∞
x1
AI ∂V0
∂ρ
∫ ∂t
V0
dV + ∫ ρυ n
∂V0
i i dA = 0 . (4.6.3)
∫ ρυ n
AI
i i dA + ∫ ρυ i ni dA +
AII
∫ ρυ n
AM
i i dA = 0 . (4.6.4)
Nun betrachten wir jedes Integral getrennt. Für die ersten beiden
dürfen wir aufgrund von Gleichung (4.6.1) und aufgrund des
Mittelwertes der Integralrechnung schreiben:
∫ ρυ n
AM
i i dA = 0 . (4.6.6)
Wie man sich leicht überzeugt, hat das Produkt ρ υ1 A die Ein-
heit kg s , d. h. die Dimension eines Massenflusses. In Worten
bedeutet die Gleichung (4.6.7), dass der Massenfluss längs der
Rohr- bzw. Düsenachse konstant ist; die (mittlere) Massendichte
ρ , die (mittlere) Geschwindigkeit υ1 und die Querschnittsflä-
che A können sich ändern, nicht jedoch ihr Produkt:
4.6.2 Der hydrostatische Druck 387
p0 g
p ( x1 , x 2 , x 3 )
x3
Ti =
∂VK
∫σ ji n j dA = − ∫ pn
∂VK
i dA = − ∫ ρ f i dV .
VK
(4.6.25)
∫ n dA = 0 .
∂VK
i (4.6.29)
∫ x n d A = ∫ x n d A + ∫ x n dA +
∂VF
3 i
M
3 i
Do
3 i
(4.6.32)
∫ x3ni dA + ∫ x3ni dA −
Du S
∫ x3ni dA .
∂VK
∫x n
M
3 i dA = 0 , ∫ x n dA = 0 ,
S
3 i
∫ x n dA = 0 ∫ (0, 0, − 1)dA = 0 .
Du
3 i
Du
Die beiden ersten Ergebnisse erklären sich aus dem Fakt, dass
für eine feste Höhe x 3 zu jeder Normale eine entgegengerichtete
Normale existiert, sodass sich insgesamt die Null ergibt. Zu-
sammen mit Gleichung (4.6.31) erhält man also für das in Glei-
chung (4.6.32) verbliebene Oberflächenintegral:
∂ ∂σ
υi (ρυi ) + υi ∂ (ρυiυ j ) = υi ji + ρυi f i . (5.1.1)
∂t ∂x j ∂x j
Ziel ist es zunächst, auf der linken Seite Dichten der kinetischen
ρυ 2
Energie zu erzeugen, also Terme der Form . Dieses gelingt
2
wie folgt:
∂
υi (ρυi ) + υi ∂ (ρυiυ j ) =
∂t ∂x j
(5.1.2)
⎛ ∂ρ ⎞ ⎛ ⎞
υ ⎜⎜ +
2 ∂
(ρυ j )⎟⎟ + ρυi ⎜⎜ ∂υi + υ j ∂υi ⎟⎟ =
⎝ ∂t ∂x j ⎠ ⎝ ∂t ∂x j ⎠
∂ ⎛ ρ 2⎞ ∂ ⎛ ρ 2 ⎞ 1 2 ⎛⎜ ∂ρ ∂ ⎞
⎜ υ ⎟+ ⎜ υ υj ⎟− υ ⎜ + (ρυ j )⎟⎟ =
∂t ⎝ 2 ⎠ ∂x j ⎝2 ⎠ 2 ⎝ ∂t ∂x j ⎠
∂ ⎛ ρ 2⎞ ∂ ⎛ ρ 2 ⎞
⎜ υ ⎟+ ⎜ υ υj ⎟.
∂t ⎝ 2 ⎠ ∂x j ⎝ 2 ⎠
Dabei wurde mehrfach Gebrauch von der lokalen Massenbilanz,
Gleichung (4.1.20), gemacht. Für den ersten Term der rechten
Seite von Gleichung (5.1.1) sei noch notiert, dass gilt:
∂σ ji
υi =
∂
(υiσ ji ) − σ ji ∂υi . (5.1.3)
∂x j ∂x j ∂x j
Wir integrieren nun die umgeformten linken und rechten Seiten
über ein materielles Volumen V (t ) , in dem alle Feldgrößen ste-
tig variieren, und wenden das REYNOLDSsche Transporttheorem:
394 5.1 Energiebilanzen
d ρ 2 ∂ ⎛ρ ⎞ ρ
∫ υ dV = ∫ ⎜ υ 2 ⎟ dV + ∫ υ 2υ j n j dA (5.1.4)
dt V (t ) 2 V (t ) ∂t ⎝ 2 ⎠ ∂V (t ) 2
Dies ist die globale Bilanz der kinetischen Energie. Sie besagt,
dass man die kinetische Energie eines Körpers dadurch ändert,
dass die angreifenden Oberflächen- sowie die Volumenkräfte
am Körper Arbeit verrichten. Um es genauer zu sagen: Der erste
Term („Kraft mal Geschwindigkeit“) auf der rechten Seite von
Gleichung (5.1.5) repräsentiert die Leistung der Oberflächen-
kraft, der zweite, ebenfalls von der Form „Kraft mal Geschwin-
digkeit“, steht für die Leistung der Volumenkräfte. Beides sind
sogenannte Zufuhrterme. Unter Zufuhren einer Größe versteht
man von außen auf den Körper wirkende Einflüsse, welche die
auf der linken Seite der Bilanz stehende Größe zeitlich ändern.
Derartige Zufuhrgrößen kennen wir bereits aus der Impulsbilanz
in Form der Gleichungen (4.2.1/6 bis 8). Hier waren es die
Oberflächen- und die Volumenkraft, die, von außen dem Körper
„zugeführt“, seinen Impuls beeinflussen. Derartige Einflüsse
lassen sich im Prinzip „ausschalten“ bzw. zumindest von außen
steuern. Nun gibt es auf der rechten Seite der Gleichung (5.1.5)
allerdings noch ein drittes (Volumen-)Integral, das mit der
Wirkung der Spannungen und Geschwindigkeiten im Innern des
Körpers zu tun hat und das sich von außen nicht beeinflussen
lässt, sondern eine Konsequenz thermodynamischer Prozesse im
Körper ist, wie beispielsweise der Reibung. Bei einer Bilanz
spricht man in einem solchen Zusammenhang von Produktions-
termen, und wenn sie auftreten, sagt man, dass die zu
bilanzierende Größe keine Erhaltungsgröße ist. Mithin genügt
die kinetische Energie allein keinem Erhaltungssatz.
Nun spricht man aber gerade im Zusammenhang mit der Energie
gerne von einer Erhaltungsgröße. Wie steht das jedoch im Ein-
klang mit unserer Gleichung (5.1.5)? Die Antwort ist einfach.
Diese Gleichung beschreibt überhaupt nicht den gesamten Ener-
5.1.3 Gesamtbilanz der Energie oder Energieerhaltungssatz 395
mehrere hundert Jahre Mühe und Streit, sie zu finden, und wir
wollen es den Thermodynamikern überlassen, von diesen histo-
rischen Schlachten zu berichten. Für uns genügt es zu wissen,
dass die Gesamtenergie sich dadurch ändern lässt, dass man ers-
tens über die Oberfläche dem Körper Wärme zuführt ( qi be-
zeichnet den Wärmeflussvektor; das negative Vorzeichen in der
Bilanz ist Konvention, da man sagt, dass sich die innere Energie
eines Körpers erhöhen soll, wenn Wärme in den Körper hinein-
strömt, was offenbar einen gegen die nach außen weisende
Normale gerichteten Wärmeflussvektor bedingt), zweitens so-
wohl die Oberflächen- als auch die Volumenkräfte am Körper
Leistung erbringen und drittens durch Strahlung dem Körper
Energie zugeführt werden kann ( r bezeichnet die spezifische
Strahlungsdichte in J (kg ⋅ s ) ):
d ⎛ υ2 ⎞
ρ ⎜ u + ⎟⎟ dV =
dt V∫(t ) ⎜⎝ 2⎠ (5.1.7)
− ∫ q j n j dA + ∫ υiσ ji n j dA + ∫ ρυi f i dV + ∫ ρ r dV .
∂V (t ) ∂V (t ) V (t ) V (t )
∫ ⎢ ρ ⎜⎜ u + 2 ⎟⎟⎥ dV + ∫ ρ ⎜⎜ u + 2 ⎟⎟υ j n j dA =
V (t ) ∂t ⎢
⎣ ⎝ ⎠⎥⎦ ∂V (t ) ⎝ ⎠
⎛ ∂ ⎡ ⎛ υ 2 ⎞⎤ ∂ ⎡ ⎛ υ2 ⎞ ⎤⎞
∫ ⎜⎜ ∂t ⎢ ρ ⎜⎜ u + 2 ⎟⎟⎥ + ∂x ⎢ ρ ⎜⎜ u + ⎟⎟υ j ⎥ ⎟ dV .
2 ⎠ ⎥⎦ ⎟⎠
V (t ) ⎝ ⎢⎣ ⎝ ⎠⎥⎦ j ⎢⎣ ⎝
Stetigkeit vorausgesetzt wandeln wir mithilfe des GAUSSschen
Satzes die beiden Oberflächenintegrale auf der rechten Seite der
Gleichung (5.1.7) in Volumenintegrale um und schließen, dass
in regulären Punkten des Körpers folgende lokale Bilanz der
Gesamtenergie gilt:
∂ ⎡ ⎛ υ ⎞⎤ ∂ ⎡ ⎛ υ2 ⎞ ⎤
2
∂⎛ υ ⎞ ∂ ⎛ υ ⎞ ∂
(q j − υiσ ji )
2 2
ρ ⎜u + ⎟ + ρυ j ⎜u + ⎟ +
∂t ⎜⎝ 2 ⎟
⎠ ∂x j ⎜⎝ 2 ⎟⎠ ∂x j (5.1.10)
= ρ (υi f i + r ).
Diese entsteht, wenn man in Gleichung (5.1.9) die Produktregel
anwendet und die Massenbilanz in lokaler Form, Gleichung
(4.1.20), berücksichtigt. Mit der aus Gleichung (4.1.25) bekann-
ten materiellen Zeitableitung darf man auch schreiben:
•
⎛ υ2 ⎞ ∂
ρ ⎜⎜ u + ⎟⎟ + (q j − υiσ ji ) = ρ (υi fi + r ) . (5.1.11)
⎝ 2 ⎠ ∂x j
d ⎛ υ 2 ⎞⎟
ρ ⎜
dt V∫(t ) ⎜⎝
u + dV = − ∫ q ⋅n dA
2 ⎟⎠ ∂V (t )
(5.1.16)
σ
+ ∫ω ⋅ m ⋅ n dA + ∫m ⋅ ω dV + ∫ ρ r dV .
f
∂V (t ) V (t ) V (t )
dϕ
Jean Baptiste Joseph ω= , (5.1.17)
Baron de FOURIER wurde dt
am 21. März 1768 in
Auxerre in der Bourgogne und dann entstehen Ausdrücke für die Leistung bzw. für das Ar-
geboren und starb am 16. beitsinkrement folgender Art:
Mai 1830 in Paris. Er war
ursprünglich nicht von ω ⋅ mσ dt = dϕ ⋅ mσ , m f ⋅ ω dt = m f ⋅ dϕ . (5.1.18)
adliger Herkunft, sondern
vielmehr der Sohn eines Damit werden wir weiter unten noch arbeiten. Erinnert sei nun
Schneiders, der ihn noch an die Gleichung (4.3.10) im Zusammenhang mit dem
eigentlich in klerikalen Verschiebungsvektor u in LAGRANGEscher Darstellung und sei-
Diensten wissen wollte.
FOURIERS Interesse für die ne Zeitableitung – die Geschwindigkeit – aus Gleichung
Mathematik und Naturwis- (5.1.16). Wir dürfen demzufolge für die Leistungsterme bzw.
senschaften war jedoch Arbeitsinkremente auch schreiben:
stärker, denn wie er in ei-
nem Brief an seinen Mathe- n ⋅ σ ⋅υ dt = n ⋅ σ ⋅ du , ρυ ⋅ f dt = ρ f ⋅υ dt = ρ f ⋅ du , (5.1.19)
matikprofessor BONARD
ehrgeizig betont, hätten und Ausdrücke dieser Form sind besonders im Falle von (linear-
NEWTON und PASCAL in elastischen) Festkörpern, bei denen (kleine) Verschiebungen in-
seinem Alter von 21 Jahren
doch bereits unsterbliche
teressieren, nützlich.
Leistungen vollbracht. Mit
der geplanten Priesterweihe 5.1.4 Bilanz der inneren Energie
wird es also nichts, mit
einem intensiven Studium Subtrahieren wir von der globalen Energiebilanz (5.1.8) die glo-
der Mathematik allerdings bale Bilanz der kinetischen Energie, Gleichung (5.1.4), so ver-
zumindest vorläufig auch bleibt die Bilanz der inneren Energie, auch erster Hauptsatz
nichts, denn die Fran- der Thermodynamik genannt:
zösische Revolution setzt
ein und der junge FOURIER d ∂υ
begeistert sich für die damit ∫ ρ u dV = − ∫ q j n j dA + ∫ ρr dV + ∫ σ ji i dV . (5.1.20)
verbundenen Ideen. Die Er-
dt V ( t ) ∂V (t ) V (t ) V (t ) ∂x j
nüchterung kommt jedoch
schnell, denn der Terror Indem wir hierauf das REYNOLDSsche Transporttheorem gemäß
regiert und unglücklicher- (4.1.13) mit ξ = ρ u anwenden sowie den GAUSSschen Satz
weise verteidigt FOURIER in (4.1.18) zur Umschreibung aller Volumenintegrale heranziehen,
Orleans Anhänger der fal- entsteht:
schen Fraktion, was ihn
∂ (ρ u ) ∂
1794 ins Gefängnis bringt.
Doch schließlich kommt + (ρ uυ j + q j ) = ρ r + σ ji ∂υi , (5.1.21)
ROBESPIERRE selbst auf die ∂t ∂x j ∂x j
Guillotine, der politische
Wind dreht sich, FOURIER
wird wieder freigelassen
5.1.4 Bilanz der inneren Energie 399
bzw. wenn wir noch die Massenbilanz (4.1.20) sowie die Defini- und beginnt endlich an der
tion der materiellen Zeitableitung (4.1.25) berücksichtigen, er- École Normale in Paris zu
halten wir: studieren. Sein Lehrmeister
ist der berühmte LAGRAN-
∂q j ∂υi GE, der ihn als einen der
ρ u& + = ρ r + σ ji , (5.1.22) ersten Wissenschaftlern Eu-
∂x j ∂x j ropas ansieht. 1797 wird
FOURIER LAGRANGES
was wir alternativ auch direkt unter Beachtung von (4.2.30) mit Nachfolger und auf den
der Setzung ψ = u hätten finden können. Lehrstuhl für Analysis und
Mechanik der École Poly-
∂υi technique berufen. Hier
Dabei umfasst ∫ σ ji
dV die gesamte Produktion an inne-
V (t ) ∂x j wird er als sehr guter
Lehrer gerühmt, um seine
rer Energie. Die innere Energie ist also ebenfalls keine Erhal- Forschung jedoch ist es
tungsgröße. Ein thermodynamisch vorbelasteter Mensch wird noch nicht weit bestellt.
sich wundern, dass die Gleichung (5.1.20) so ganz anders als die Und so wird FOURIER 1798
schließlich NAPOLEONS
gemeinhin aus der Schule bekannte Form des ersten Hauptsatzes wissenschaftlicher Berater
aussieht. Um diese wiederzugewinnen, spezialisieren wir als und begleitet diesen wäh-
Erstes den Spannungszustand im Körper auf einen reinen rend seines Ägyptenfeldzu-
Druckzustand: ges. Er ist Mitentdecker des
Steins von Rosette und
σ ij = − p( x, t ) δ ij . (5.1.23) stellt seine Fähigkeiten als
Verwalter und Gründer
Wie angedeutet, wird der Druck im Körper, etwa in einem mit wissenschaftlicher Institu-
Gas gefüllten Behälter, im Allgemeinen von Position zu Position tionen in Ägypten unter
Beweis. Diese Aufgabe er-
variieren. Nehmen wir nun zweitens an, dass wir einen Prozess
ledigt er wohl nicht ganz
an dem Behälter so ausführen (etwa den Kolben in einem Zylin- schlecht, denn NAPOLEON
der bewegen), dass der Gasdruck sich zeitlich zwar verändert, hindert ihn daran, seiner
aber in jedem Punkt des Zylinders denselben Wert annimmt, so Stellung als Professor
gelingt es, für den Druckterm in Gleichung (5.1.20) zu schrei- weiter nachzugehen, und
macht ihn stattdessen
ben:
einfach zum Präfekten über
∂υi ∂υi das Département d’Isère.
∫ σ ji ∂x dV = − p (t ) ∫ dV = − p(t ) ∫ υi ni dA FOURIER ist darüber nicht
V (t ) j V (t ) ∂xi ∂V (t ) sehr glücklich und merkt
(5.1.24)
einmal mehr, wie schnell
= − p (t )
dV
. man zum Spielball der
dt wahrhaft Mächtigen werden
kann. Immerhin nützt er die
Dabei wurde vom GAUSSschen Satz Gebrauch gemacht und das Zeit zu etwas Praktischem,
REYNOLDSsche Transporttheorem aus Gleichung (4.1.13) mit indem er den Bau einer
ξˆ( x, t ) = 1 verwendet. Wir definieren außerdem: neuen Straße zwischen
Grenoble und Turin beauf-
U= ∫ ρ u dV , Q& = − ∫ q j n j dA , (5.1.25) sichtigt, die noch heute in
V (t ) ∂V (t )
Betrieb ist. Auch bleibt
genug Zeit zum Forschen,
vernachlässigen die Strahlung und finden so den aus der Schule und er veröffentlicht seine
berühmte Arbeit De la
bekannten ersten Hauptsatz der Thermodynamik:
propagation de la chaleur,
in der er die Wärmelei-
= Q − p(t )
dU & dV
. (5.1.26) tungsgleichung aufstellt. Er
dt dt beginnt sie auch zu lösen,
400 5.1 Energiebilanzen
eben mithilfe der nach ihm In diesem Buch werden wir uns jedoch weniger mit der Mecha-
benannten trigonometri- nik von Gasen als der von Festkörpern, speziell mit dem linear-
schen Reihenansätze. Dafür
verleiht ihm NAPOLEON elastischen HOOKEschen Festkörper kleiner Deformationen, be-
1808 die Würde eines schäftigen. Der Spannungszustand hierin weicht, wie wir von
Barons, was zeigt, dass der Längenänderung, Biegung und Torsion von Stäben aus vo-
Wissenschaft einen manch- rausgegangenen Kapiteln wissen, jedoch deutlich von einem
mal auch im gesellschaft- Druckzustand, geschweige von einem örtlich konstanten Druck-
lichen Leben weiterbringen
kann. Seine Arbeit wird zustand ab. Daher brauchen wir die Energiebilanz und speziell
kontrovers diskutiert, 1811 den ersten Hauptsatz in der allgemeineren Form (5.1.7) bzw.
gibt man FOURIER dafür (5.1.20).
zwar einen Mathematik-
preis, bemängelt allerdings Den gemeinen Mechaniker stören an diesen Gleichungen aller-
seinen Zugang zu den dings weniger die Leistungsterme der Oberflächen- und Volu-
Gleichungen und Mangel menkräfte als vielmehr der Wärmeflussterm. Genauso wie für
an Allgemeinheit, was den Spannungstensor und die innere Energie muss man auch für
Gutachter wissenschaft-
licher Arbeiten auch heute
den Wärmefluss materialspezifische Gleichungen formulieren,
noch gerne kritisieren. Man um diesen mit den letztlich interessierenden Feldern, Massen-
kann jedoch sagen, dass dichte, Geschwindigkeit und Temperatur in Verbindung zu
FOURIER sein Leben der bringen. Ein konkretes Beispiel für einen solchen Zusammen-
Wärme quasi widmete. So hang ist das FOURIERsche Gesetz, wonach der Wärmeflussvek-
vermerkt der amerikanische
Science-(Fiction-)Autor
tor entgegengesetzt dem Temperaturgradienten gerichtet ist. Ge-
Isaac ASIMOV: FOURIER setze dieser Art werden wir in diesem Buch, um im Fachgebiet
believed heat to be essential der Mechanik zu bleiben, jedoch zu vermeiden wissen. Wir
to health so he always kept werden also den Teufel mit Beelzebub austreiben und den Wär-
his dwelling place mefluss mithilfe der Entropiebilanz bzw. Entropieungleichung
overheated and swathed
himself in layer upon layer
eliminieren.
of clothes. He died of a fall
down the stairs.
5.1.5 Energiebilanz bei der Rohrströmung
Wir betrachten erneut die stationäre Rohrströmung aus Abbil-
dung 4.6.1 und werten die Gesamtenergiebilanz in der Form:
∂ ⎡ ⎛ υ ⎞⎤
2 ⎧⎪⎡ ⎛ υ 2 ⎞ ⎤ ⎫⎪
∫ ⎢ ρ ⎜ u + ⎟ ⎥ d V + ⎢ ρ ⎜ u + ⎟ − σ
∫ ⎨ ⎜ 2 ⎟ ji j j ⎬n j dA =
⎥ υ + q
⎜ ⎟
V (t ) ∂t ⎢
⎣ ⎝ 2 ⎠ ⎥
⎦ ∂V (t ) ⎪⎩⎢⎣ ⎝ ⎠ ⎥⎦ ⎪⎭
∫( )ρ (υ
V t
i f i + r ) dV (5.1.27)
S= ∫ ρ s dV . (5.2.1)
V (t )
402 5.2 Entropiebilanz und zweiter Hauptsatz
Für die linke Seite schreibt man unter Verwendung des REY-
NOLDSschen Transporttheorems noch:
dS ∂
= ∫ ( ρ s ) dV + ∫ ρ s υ j n j dA . (5.2.4)
dt V (t ) ∂t ∂V (t )
so entsteht:
⎛ ∂(ρ s ) ρ r ⎞ ⎛ qj ⎞
∫ ⎜ − ⎟ dV + ∫ ⎜⎜ ρ sυ j + ⎟⎟n j dA =
V (t ) ⎝ ∂t T ⎠ ∂V (t ) ⎝ T ⎠ (5.2.6)
∫σ dV ≥ 0 .
V (t )
∂q j
ρ Ts& + = ρr. (5.2.11)
∂x j
Mithilfe der Bilanz für die innere Energie, Gleichung (5.1.22),
lassen sich Wärmefluss- und Strahlungsanteil eliminieren. Man
findet:
∂q j ∂υi
Josiah Willard GIBBS ρTs& = ρr − = ρ u& − σ ji
wurde am 11. Februar 1839 ∂x j ∂x j
in New Haven, Connecticut (5.2.12)
1 ⎛ ∂υ ∂υ j ⎞⎟
geboren und starb am 28.
= ρ u& − σ ji ⎜ i + ,
April 1903 ebenda. Er war 2 ⎜⎝ ∂x j ∂xi ⎟⎠
ein mathematisch orientier-
ter Physiker, der die Wis- Letzteres aufgrund der Symmetrie des Spannungstensors. Ana-
senschaft der chemischen
Thermodynamik begründe- log zur Gleichung (4.3.20) kann man nun den Produktionsterm
te und darüber hinaus viele der inneren Energie auf Zeitableitungen der linearen Dehnungen
bedeutende Beiträge zur umschreiben. Es gilt bis auf Terme höherer Ordnung (zum Be-
Vektoranalysis und zur sta- weis ersetze man in der Gleichungskette (4.3.21) einfach die
tistischen Mechanik ein- Doppelindizes k durch i und j ):
brachte. Sein Vater, der
ebenfalls Josiah Willard
GIBBS hieß, war Professor 1 ⎛⎜ ∂υi ∂υ j ⎞⎟
+ = ε&ij , (5.2.13)
für sakrale Literatur an der 2 ⎜⎝ ∂x j ∂xi ⎟⎠
Yale University. Es wird
gesagt, dass sein Sohn je- und wir schließen auf:
doch eher seiner Mutter,
Mary Anna Van Cleve ρ Ts& = ρ u& − σ jiε&ij , (5.2.14)
GIBBS, nachschlug. Josiah
hatte vier Geschwister. Er was die Motivation der GIBBSschen Gleichung beschließt. Für
schrieb sich in Yale 1854 Spannungszustände, die nur Drücke umfassen (vgl. Gleichung
ein und graduierte 1858,
wobei er viele Preise in La- (4.3.1)), wird hieraus:
tein und in Mathematik ge- p
wann. Danach folgte das T ds = du + dε kk . (5.2.15)
Doktorat, ebenfalls in Yale, ρ
und zwar als Student der
Ingenieurwissenschaften, Nach den Gleichungen (4.3.20–22) kann man dies wie folgt um-
also an Yales neu gegrün- schreiben:
deter Schule für Graduierte.
1863 wird ihm einer der p ⎛1⎞
ersten Doktortitel in den
T ds = du − d ρ = du + p d⎜⎜ ⎟⎟ = du + p dυ , (5.2.16)
ρ 2
⎝ρ⎠
USA verliehen. Danach
wird er erst einmal Tutor wobei im letzten Schritt das spezifische Volumen υ als Kehr-
für Latein und Naturwis-
senschaften. Er begibt sich
wert der Massendichte eingeführt wurde. In dieser Form ist die
aber bald für mehrere Jahre GIBBSsche Gleichung aus elementaren Thermodynamiklehrbü-
nach Europa und treibt Stu- chern bekannt.
dien in Paris, Berlin und
Heidelberg. Erfahren und
gereift kehrt er schließlich
nach Yale in New Haven
zurück und wird dort Pro-
5.2.3 Eine Anwendung der GIBBSschen Gleichung … 405
Atomabstand
potenzielle Energie
und wir halten fest, dass wir uns über die Querdehnungen jeden-
falls für den Produktionsterm keine weiteren Gedanken machen
müssen. Nun beachten wir noch, dass wir die Massendichte in
der GIBBSschen Gleichung bei Vernachlässigung von Dehnungs-
termen höherer als linearer Ordnung als eine Konstante ρ 0 an-
sehen können, die wir mit dem Ausdruck A0l0 zur (während des
Versuchs konstanten) Gesamtmasse M zusammenfassen:
M = ρ 0 A0l0 . (5.2.20)
Gleichung (5.2.14) schreibt sich dann:
1 &
Ts& = u& − Fl ⇔ TS& = U& − Fl& , (5.2.21)
M
wobei wir im letzten Schritt zu der gesamten Entropie S = Ms
und der gesamten inneren Energie U = Mu übergegangen sind
und wir sinnvollerweise annehmen, dass beide Funktionen der
Veränderlichen Temperatur T (t ) sowie Länge l (t ) sind:
S = S (T , l ) , U = U (T , l ) . (5.2.22)
Dann können wir die Zeitableitungen in (5.2.21) ausführen:
⎡ ∂S & ∂S &⎤ ⎡ ∂U & ∂U &⎤
T⎢ T+ l⎥ = ⎢ T+ l ⎥ − Fl& . (5.2.23)
⎣ ∂T l ∂l T ⎦ ⎣ ∂T l ∂l T ⎦
∂S ∂U ∂U ∂S
T = −F ⇒ F= −T .
∂l T ∂l T ∂l T ∂l T
Die letzte Beziehung ist besonders bemerkenswert, denn sie sagt
aus, dass im 1-D-Zugversuch ein Teil der herrschenden Kraft re-
spektive Zugspannung mit der inneren Energie und ein anderer
Teil mit der Entropie zusammenhängt, d. h. teils energie- und
teils entropieinduziert ist. Die beiden Anteile wollen wir weiter
untersuchen. Dazu leiten wir Gleichung (5.2.24)1 nach l und
Gleichung (5.2.24)2 nach T ab und beachten die Vertauschbar-
keit der Reihenfolge partieller Differenziation bei den als stetig
vorausgesetzten Funktionen S und U :
∂ 2 S ∂ 2U
T = , (5.2.25)
∂l∂T ∂l∂T
408 5.2 Entropiebilanz und zweiter Hauptsatz
∂S ∂2S ∂U ∂F ∂S ∂F
+T = − ⇒ =− .
∂l T ∂T∂l ∂T∂l ∂T l ∂l T ∂T l
Dieses können wir in (5.2.24)2 einsetzen und erhalten:
∂U ∂F
F= + T. (5.2.26)
∂l T ∂T l
Um den Einfluss der beiden verbliebenen partiellen Ableitungen
möglichst griffig zu untersuchen, ändern wir unseren eingangs
geschilderten Versuch wie folgt ab:
Erstens soll der Versuch mit zwei verschiedenen Materialien
durchgeführt werden, nämlich mit einem polykristallinen Metall-
(etwa Stahl) als auch mit einem Gummistab.
Zweitens werden beiden Stäbe vor Erwärmung von ihrer ur-
sprünglichen Länge l0 um den festen Wert Δl gedehnt.
Drittens werden die Stäbe auf der Länge l0 + Δl gehalten und
dabei die Temperatur geändert, und zwar sowohl gesenkt als
auch erhöht.
Wir fragen nach dem Verhalten der im jeweiligen Stab herr-
schenden Kraft und beantworten die Frage zunächst für den
Stahlstab, für den das HOOKEsche Gesetz in der DUHAMEL-
NEUMANNschen Form (2.2.15) gilt:
σ = E (ε − α ΔT ) . (5.2.27)
Nach der ersten Ausdehnung ( ΔT = 0 ) gilt dann für die zugehö-
rige Kraft F1 im Stab:
Δl
F1 = EA0 > 0, (5.2.28)
l0
d. h., der Stab steht unter Zug, so wie man es anschaulich erwar-
tet. Im zweiten Schritt erfolgt eine Temperaturänderung ΔT und
nach (5.2.27) gilt dann:
⎛ Δl ⎞
F = EA0 ⎜⎜ − α ΔT ⎟⎟ = F1 − EA0α ΔT , (5.2.29)
⎝ l0 ⎠
denn die Vordehnung ε = Δl l0 wird ja beibehalten. Die bislang
im Stab herrschende Zugkraft F1 wird sich also ändern, und
zwar (bei als positiv vorausgesetztem Ausdehnungskoeffizienten
α ) wird eine Temperaturerhöhung ΔT > 0 eine Verringerung
bewirken ( F < F1 ), die prinzipiell bis zum Umschlagen von Zug
auf Druck reichen kann. Dass dem so ist, wird klar, wenn man
5.2.3 Eine Anwendung der GIBBSschen Gleichung … 409
σ lk (ε~ )ε&kl dt ⇔
tE
1
fE − fA = ∫
t =t A
ρ
ε~ =ε
(5.3.7)
σ lk (ε~ ) dε~kl
1
fE − fA =
ε
∫~ =0 ρ
Adrien Marie LEGENDRE bzw. wieder im Rahmen einer Theorie, in der Quadrate der
wurde am 18. September Dehnung und höhere Terme vernachlässigt werden, auch:
1752 in Paris geboren und
starb ebenda am 10. Januar ε~ =ε
1833. Von seiner Jugend ist ρ ( f E − f A ) = ∫ σ lk (ε~ ) dε~kl . (5.3.8)
wenig bekannt. Manche ε~ = 0
verlegen seinen Geburtsort
sogar nach Toulouse und Im Vergleich mit Gleichung (5.3.4) stellt sich also heraus, dass
behaupten, seine Eltern sei- bei isothermen Vorgängen die Formänderungsenergiedichte da-
en erst später nach Paris ge-
zogen. Auf jedem Fall ent-
zu dient, die Dichte der freien Energie des Festkörpers (also sei-
stammt er einer vermögen- ne Temperatur und seinen Ordnungszustand) zu ändern:
den Familie und erhält die
bestmögliche Ausbildung in
ρ ( f E − f A ) = ws . (5.3.9)
Mathematik und Physik am
Collège Mazarin in Paris.
Schließlich behandeln wir noch den allgemeinen Fall, bei dem
Mit 18 verteidigt LEGEND- die Temperatur sich ändern kann. Wir schreiben die GIBBSsche
RE bereits seine Doktorar- Gleichung in der Form (5.2.10) leicht um (sog. LEGENDRE-
beit. Dies klingt allerdings Transformation) und finden mit der als konstant angenommenen
nach mehr, als es tatsäch- Dichte (was im Rahmen der schon mehrfach angesprochenen
lich war, denn zu jener Zeit
bestand eine Doktorarbeit
Näherung bei Vernachlässigung der Quadrate der Dehnung und
im wesentlichen aus einem höherer Terme zulässig ist):
Plan, welche Forschung
man theoretisch durchfüh- [ ]
d ρ f (T , ε ij ) = − ρ s (T , ε ij ) dT + σ lk (T , ε ij ) dε kl . (5.3.10)
ren müsse, und nicht aus
der Durchführung dieser Wir schließen, dass:
Forschung selbst. Trotzdem
war LEGENDRE alles andere ∂ (ρ f ) ∂f
= σ ji , = −s . (5.3.11)
als ein Sprücheklopfer. Er ∂ε ij ∂T ε ij
lehrt zwischen 1775 und T
1780 an der École Militaire
in Paris unter der Mento- In Worten heißt das: Die freie Energiedichte als Funktion der
renschaft von LAPLACE. Dehnungen und der Temperatur ist ein skalares Potenzial für
Durch seine Umgebung of- die Spannungen und für die Entropiedichte, denn sie erlaubt
fenbar stimuliert, entschei- es, bei Differenziation nach den Dehnungen bzw. nach der Tem-
det er sich 1782, an einem peratur die Spannungen und die Entropiedichte zu berechnen.
Wettbewerb der Berliner
Akademie teilzunehmen, Der Potenzialbegriff erklärt sich aus der Analogie, wonach wir
bei dem es um äußere Bal- durch Differenziation der potenziellen Energie nach dem Ort
listik geht. Mit seiner Ar- konservative Kräfte ermitteln konnten (vgl. Abschnitt 3.1.4).
beit Recherches sur la tra-
jectoire des projectiles dans Das Ergebnis (5.3.11) kann man jedoch auch anders interpretie-
les milieux résistants ge- ren, und zwar im Kontext mit der Definitionsgleichung für die
winnt er den Preis und er- Formänderungsenergiedichte (5.3.4). Zunächst einmal folgt aus
regt die Aufmerksamkeit dieser Beziehung aufgrund des Hauptsatzes der Integralrech-
und das Wohlwollen des
nung:
5.3.1 Potenzialcharakter von Formänderungsenergie 415
∂ws
= σ lk (ε ) . (5.3.12) großen LAGRANGE. In Fol-
∂ε kl ge publiziert LEGENDRE
über diverse Themen der
Also ist die Formänderungsenergiedichte ein Potenzial für die Mathematik und Mechanik.
So entwickelt er u. a. im
Spannungen, die man dadurch erhält, dass man ws nach den
Zusammenhang mit him-
Dehnungen differenziert. Diese mathematische Tatsache be- melsmechanischen Unter-
zeichnet man in der Mechanik als den (erweiterten) 2. Satz von suchungen die nach ihm
CASTIGLIANO*. Im Vergleich von Gleichung (5.3.11)1 mit Glei- benannten Polynome. Er
steigt auf im wissenschaft-
chung (5.3.12) darf man darüber hinaus feststellen, dass bei Pro- lichen Leben und wird 1787
zessen mit konstanter Temperatur die Formänderungsenergie- Mitglied der Französischen
dichte mit der freien Energiedichte übereinstimmt: Akademie. In dieser Eigen-
ws = ρ f (T = const., ε ij ).
schaft ist er federführend
(5.3.13) bei der Organisation der
Zusammenarbeit mit dem
Um zu dem (erweiterten) 1. Satz von CASTIGLIANO zu gelangen, Royal Observatory in
definieren wir zunächst die komplementäre oder auch Ergän- Greenwich, wo es um die
zungsenergiedichte (in N ⋅ m m 3 ≡ N m 2 ) wie folgt: Vermessung der Form des
Erdkörpers geht. Überhaupt
σ~ =σ sind Maße und Normen
w = *
s ∫ ε (σ~ ) dσ~
lk kl . (5.3.14) große Themen während der
~ =0 Französischen Revolution,
σ
denn die Betonung liegt
Die komplementäre Formänderungsenergiedichte ist also primär fortan in der Schaffung „na-
türlicher“, dezimaler, von
eine Funktion der Spannungen aber analog zu ws ließe sie sich der Person des jeweiligen
()
mit σ = σ~ ε im Prinzip auch als Funktion der Dehnungen Herrschers unabhängiger
Längen und Gewichte. So
schreiben. Wie ws lässt sich auch ws* anschaulich interpretieren, wird LEGENDRE 1791 Mit-
glied des entsprechenden
und zwar als die unter der Dehnungs-Spannungs-Funktion
ε lk (σ~ ) liegende Fläche, so wie in Abb. 5.3.1 Mitte zu sehen. Mit
Komitees der Akademie.
1792 wird begonnen, Loga-
dem Hauptsatz der Integralrechnung erhält man hieraus sofort: rithmentafeln zu erstellen,
und unter der Leitung LE-
∂ws*
= ε lk (σ ) .
GENDRES, CARNOTS und de
(5.3.15) PRONYS arbeiten zeitweise
∂σ kl mehr als 80 Assistenten, ein
Zustand, von dem heutzu-
Also ist die komplementäre Formänderungsenergiedichte ein tage selbst großzügig aus-
Potenzial für die Dehnungen, denn diese erhält man dadurch, gestattete Professoren nur
dass man ws* nach den Spannungen differenziert, und genau die- träumen können. Gegen
Ende seines Lebens ändern
se (wiederum mathematische) Tatsache bezeichnet man in der sich die politischen Ver-
Mechanik als den (erweiterten) 1. Satz von CASTIGLIANO. Aber hältnisse. Beharrlich wei-
auch in diesem Zusammenhang ist es wieder möglich, dem gert sich LEGENDRE 1826
Ganzen einen naturwissenschaftlichen Sinn zu geben. Wir star- für den Regierungskandida-
ten des Institute National zu
ten erneut mit der GIBBSschen Gleichung (5.2.10) und wechseln
zunächst von (T , ε ij ) auf den Variablensatz (T , σ ij ) :
stimmen. Dies nimmt man
ihm übel und streicht seine
Pension, sodass er in Armut
stirbt. Möge dieses Schick-
sal unsere heutige Regie-
*Es sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnungen „1. oder 2. Satz von rung nicht auf neue Sparge-
CASTIGLIANO“ in der Literatur nicht immer einheitlich gebraucht werden. danken bringen!
416 5.3 Die Sätze von CASTIGLIANO, BETTI und MAXWELL
− d[ρ u − Tρ s − σ lk ε kl ] (T , σ ij )
= ρ s (T , σ ij ) dT + ε kl (T , σ ij ) dσ kl .
(5.3.16)
1
Man nennt die Kombination g = u − Ts − σ lk ε kl auch die spe-
ρ
zifische freie Enthalpie (engl. specific GIBBS free energy in
N ⋅ m kg ≡ J kg ) und schließt, dass gilt:
[ ]
− d ρ g (T , σ ij ) = ρ s (T , σ ij ) dT + ε kl (T , σ ij ) dσ lk , (5.3.17)
und folglich ist:
∂ (ρ g ) ∂g
= −ε ji , = −s , (5.3.18)
∂σ ij ∂T σ ij
T
5.3.2 Formänderungsenergiedichte
linear-elastischer Körper
Für linear-elastische Materialien lassen sich die verbliebenen In-
tegrale in den Gleichungen (5.3.3/6) explizit auswerten, denn in
diesem Fall wissen wir, wie die Spannungen von den Dehnun-
gen abhängen, nämlich gemäß dem HOOKEschen Gesetz aus
Gleichung (4.3.18):
σ lk = λε pp δ lk + 2με lk . (5.3.20)
∂ ⎛λ ⎞
⎜ a kk all + μ alk a kl ⎟ =
∂aij ⎝2 ⎠
(5.3.28)
λ
(δ ik δ jk all + a kk δ il δ jl ) + μ (δ il δ jk a kl + alk δ ik δ jl ) =
2
λ
(all + a kk )δ ij + μ (a ji + a ji ) = λ all δ ij + 2μ a ji .
2
Im Grenzwert ω → 0 folgt hieraus gerade wieder (5.3.12). Nach
diesem Exkurs über Tensordifferenziation sei darauf hingewie-
sen, dass sich anstelle von Gleichung (5.3.21) die Formände-
rungsenergiedichte auch unter Verwendung des Elastizitätsmo-
duls und der POISSON-Zahl schrieben lässt (vgl. (4.3.17)):
E ⎛ ν
ws = ⎜ ε lk ε kl + (ε kk )2 ⎞⎟ . (5.3.29)
2(1 +ν ) ⎝ 1 − 2ν ⎠
Schließlich kann man die Formänderungsenergie auch als Funk-
tion der Spannungen darstellen. Dazu lösen wir das HOOKEsche
Gesetz (5.3.20) nach der Spur der Dehnungen ε kk auf und stel-
len danach nach ε ij um:
5.3.3 Komplementäre Formänderungsenergiedichte linear-elastischer Körper 419
1
ε kk = σ kk ⇒ (5.3.30)
3λ + 2μ
1 ⎛ λ ⎞
ε ij = ⎜⎜ σ ij − σ kk δ ij ⎟⎟
2μ ⎝ 3λ + 2μ ⎠
1 +ν ⎛ ν ⎞
⇔ ε ij = ⎜ σ ij − σ kkδ ij ⎟ .
E ⎝ 1 +ν ⎠
Das in (5.3.21) oder (5.3.29) eingesetzt, ergibt:
1 ⎛ λ
ws = ⎜⎜ σ lkσ kl − (σ kk )2 ⎞⎟⎟
2μ ⎝ 3λ + 2μ ⎠ (5.3.31)
1 +ν ⎛ ν
⇔ ws = ⎜ σ lkσ kl − (σ kk )2 ⎞⎟ .
2E ⎝ 1 +ν ⎠
Es sei abschließend bemerkt, dass sich aufgrund der Gleichun-
gen (5.3.2) und (5.3.4) die Formänderungsenergie elastischer
Körper unter Beachtung des HOOKEschen Gesetzes in der Form
(5.3.20) auch einfach folgendermaßen schreiben lässt:
1
ws = σ lk ε kl . (5.3.32)
2
1 ⎛ λ
ws* = ⎜⎜ σ lkσ kl − (σ kk )2 ⎞⎟⎟
2μ ⎝ 3λ + 2μ ⎠ (5.3.33)
1 +ν ⎛ ν
⇔ w = ⎜ σ lkσ kl −
*
(σ kk )2 ⎞⎟ .
1 +ν
s
2E ⎝ ⎠
Mit anderen Worten, es ergibt sich im Vergleich mit (5.3.31),
dass für linear-elastische Materialien die Gleichheit beider
Formänderungsenergiedichten:
ws ≡ ws* (5.3.34)
gilt. Dass dies so sein muss, ist mit einem Blick auf Abbildung
5.3.1 unten ebenfalls sofort einleuchtend: Bei einem linear ela-
420 5.3 Die Sätze von CASTIGLIANO, BETTI und MAXWELL
ε 11 = (u1′ )2 .
E 2 E
wsN = 12 σ 11ε 11 = (5.3.39)
2 2
5.3.4 Formänderungsenergiedichten für Balken 421
α S 22 ( x3 )
l l
Q ( x1 ) dx1 , α = 2
A
= ∫ ∫0 b 2 (x3 ) dA ,
*,Q 2
W s (5.3.43)
2GA 0 I 22
l
M 2 ( x1 ) dx1 .
1
= ∫
*, M
W s
2 EI 22 0
422 5.3 Die Sätze von CASTIGLIANO, BETTI und MAXWELL
bzw. lokal:
5.3.6 Die Sätze von MAXWELL und BETTI 423
∂
w& s = (υiσ ji ) + ρυi f i . (5.3.49)
∂x j
Statik heißt außerdem, dass am Körper angreifende Kräfte nicht
zu einer Impulsänderung, also einer Bewegung führen. Im Hin-
blick auf die Impulsbilanz in regulären Punkten, Gleichungen
(4.2.22) oder (4.2.24), bedeutet dies, dass man dort einfach die
Terme weglässt, die Geschwindigkeiten enthalten, sodass folgt:
James Clerk MAXWELL
∂σ ji
= −ρ fi , (5.3.50) wurde am 13. Juni 1831 in
∂x j Edinburgh, Schottland ge-
boren und starb am 5. No-
und aus Gleichung (5.3.49) wird: vember 1879 in Cambridge,
Cambridgeshire, England.
w& s = υi
∂
(σ ji ) + σ ji ∂υi + ρυi f i = σ ji ∂υi . (5.3.51)
Bei ihm handelt es sich um
einen Forscher, dem auf-
∂x j ∂x j ∂x j grund seines Hanges zum
Understatement und wohl
Spezialisieren wir nun wieder auf das lineare Verzerrungsmaß auch aufgrund seines frühen
gemäß Gleichung (5.2.13) und beachten ferner die Symmetrie Todes an seinen Leistungen
des Spannungstensors, so entsteht im Einklang mit der Grundde- gemessen viel zu wenig
finition der Formänderungsenergiedichte nach Gleichung Beachtung geschenkt wird.
(5.3.4): Wie wir wissen, war er
nicht nur in der klassischen
w& s = σ lk ε&kl . (5.3.52) Disziplin der Mechanik tä-
tig. Vielmehr war er derje-
In Worten veranschaulicht bedeutet dies, dass im Falle des stati- nige, welcher den Experi-
schen Gleichgewichtes die Änderung der Formänderungsenergie menten FARADAYS mathe-
matischen Charakter gab,
gleich der Leistung der Oberflächenkräfte ist, denn genau diese und zwar in den berühmten
verändern ja auch die Form des Körpers durch Zug, Druck oder MAXWELLschen Gleichun-
Scherung. gen der Elektrodynamik.
Auch war er ein Verfechter
des atomaren Aufbaus der
5.3.6 Die Sätze von MAXWELL und BETTI Materie, wie seine Arbeiten
Wie wir bereits aus den Kapiteln über Statik und Starrkörperdy- zur kinetischen Gastheorie
namik wissen, ist es in der Technischen Mechanik üblich, sich bezeugen. Berühmt und be-
rüchtigt ist hierbei sein Dis-
äußere Kräfte und Momente in diskreten Angriffspunkten put mit dem Österreicher
k = 1 , L, n zusammengefasst zu denken, so wie dies in der BOLTZMANN, der von MAX-
Abbildung 5.3.2 zu sehen ist. Hier vertritt man aus Gründen des WELLS Arbeiten schreibt:
Aufwandes also nicht mehr den detaillierten lokalen Standpunkt „Und immer höher wogt
das Chaos der Formeln“,
der Kontinuumsmechanik, der sich in den Kraft- und Momen- ein Ausspruch, den man
tendichten / -verteilungen der Gleichungen (4.2.6/11) und auch von so manchem Stu-
(4.4.9) manifestiert. Diese „Zusammenfassung in Schwerpunk- denten der Mechanik hört.
ten“ ist im Rahmen des Superpositionsprinzips vollkommen le-
gitim, wir werden sie im Folgenden anwenden, verzichten aber
auf einen formalen Beweis und schreiben summarisch für die
äußeren Kräfte und Momente:
∫( m) ∫( m)
σ
ij n j dA + i
f
dV = M ia .
∂V t V t
σ ij1 Fi a,1
dA1 σ ijk M ia,1
Fi a,k
k
M ia ,k
dA n dA
M ia ,n
σ n
ij Fi a,n
und zwar kann man sagen, dass die Einflusszahl α kl den Ver-
schiebungsbeitrag angibt, den eine an der Stelle l angreifende
verallgemeinerte Einzelkraft der Stärke eins ( K l = 1 ) an der
k
Stelle k in Richtung der verallgemeinerten Kraft K hervorruft.
Wie wir gleich sehen werden, hat dieses gegenüber dem Forma-
lismus der Material- und Bilanzgleichungen der Kontinuums-
mechanik auf den ersten Blick etwas unbeholfen wirkende Kon-
zept seine Meriten, wenn es um die Berechnung von Reaktions-
kräften in Lagern geht, und zwar insbesondere bei statisch un- Enrico BETTI wurde am
bestimmten Systemen. 21. Oktober 1823 in Pistoia,
Toskana geboren und starb
am 11. August 1892 in
Soiana, Region Pisa. Er
u1 1
K1 studierte Mathematik und
f1 Physik an der Universität in
Pisa, graduierte in Mathe-
Kk fk matik im Jahre 1846 und
n fn k wurde daraufhin zum Assis-
n tenten ernannt. Nicht zu-
K letzt auch durch den Ein-
un fluss seines akademischen
Lehrers MOSSOTTI begeis-
terte er sich außer für Wis-
Abb. 5.3.3: Gelagerter Körper unter Wirkung senschaft auch für Italiens
verallgemeinerter Belastungsgrößen. Unabhängigkeitskampf ge-
gen Österreich. Er schloss
In Vorbereitung auf diese Anwendungen beweisen wir zunächst sich MOSSOTTIS Bataillon
den sog. Reziprozitätssatz von BETTI. Wir betrachten ein line- an und kämpfte an dessen
ar-elastisches System wie in Abbildung 5.3.3, auf das der Ein- Seite in den Schlachten von
Curtatone und Montanara,
fachheit halber lediglich zwei verallgemeinerte Kräfte wirken, eine Leistung, die ein heu-
k l k
nämlich K und K . Wir bringen zunächst die Kraft K lang- tiger Professor von sich nur
bedingt erwarten kann.
sam auf, was analog zu den Gleichungen (3.1.137/138) mit fol-
gender Leistung bzw. Arbeit verbunden ist:
~k
k u~ k =u k f =fk
dW kk k du ~
=K ⋅ ⇒ W kk = ∫K ⋅ du~ = ∫K
k k k
df k . (5.3.56)
dt dt u~ k = 0
~k
f =0
l
„Nun bringen wir als Nächstes die Kraft K auf, die eine zu-
sätzliche Verschiebung α kl K l an der Stelle k und die Ver-
schiebung α ll K l an der Stelle l hervorruft. Längs der ersten
k
Verschiebung wirkt dabei K und leistet die Arbeit:
426 5.3 Die Sätze von CASTIGLIANO, BETTI und MAXWELL
~
K l =K l
∫ K d(α )
~ ~
W kl
= k kl
K l = α kl K k K l . (5.3.58)
~
K l =0
~l ~
u~ l = 0 f =0 K l =0
Die Reihenfolge, in der wir die Kräfte aufbringen, ist jedoch be-
l k
liebig. Wenn wir also zuerst K und danach K aufprägen, so
erhalten wir für die Formänderungsenergie:
Ws* = W ll + W lk + W kk
(5.3.61)
= 12 α ll (K l ) + α lk K l K k + 12 α kk (K k ) .
2 2
w( xi ) = α i1 K 1 + α i 2 K 2 + L + α in K n . (5.3.64)
l
K1 K 2 ... K n EI a
K
xi
• w( x ) • w(x)
i
Kl 2 (l − a ) x ⎛ x 2 + (l − a ) ⎞
2
w( x ) = − ⎜
⎜ 2
− 1⎟⎟ 0 ≤ x ≤ a , (5.3.66)
6 EI l⎝ l ⎠
Kl 2 (l − a ) x ⎛ x 2 + (l − a ) ⎞ K ( x − a )3
2
w(x ) = − ⎜ − 1⎟+ , a≤ x≤l.
6 EI l ⎜⎝ l2 ⎟
⎠ 6 EI
428 5.3 Die Sätze von Castigliano, Betti und Maxwell
w( x3 = l / 2)
Abb. 5.3.5: Symmetrisch belasteter, statisch bestimmt
gelagerter Balken.
Werden wir nun noch konkreter und wenden dieses Ergebnis auf
den in Abbildung 5.3.5 dargestellten Fall an. Speziell fragen wir
nach Durchbiegung in der Balkenmitte. Also ist x k = x 3 = l 2
und nach Gleichung (5.3.64/65) haben wir zu schreiben:
⎛ l⎞
w⎜ x3 = ⎟ = α 13 K 1 + α 23 K 2 (5.3.68)
⎝ 2⎠
mit:
K 1 = K ( x1 = a ) , K 2 = K ( x 2 = l − a ) (5.3.69)
und nach Gleichung (5.3.67):
l 2 (l − a ) ⎛⎜ (l − a ) + l 2 4 ⎞⎟ (l − a − l 2)
2 3
α 23 = − − 1 +
12 EI ⎜⎝ l2 ⎟
⎠ 6 EI
(5.3.70)
a ⎛ 2 3 2⎞
=− ⎜a − l ⎟,
12 EI ⎝ 4 ⎠
l 2a ⎛ a2 + l 2 4 ⎞ a ⎛ 2 3 2⎞
α 13 = − ⎜⎜ 2
− 1⎟⎟ = − ⎜a − l ⎟.
12 EI ⎝ l ⎠ 12 EI ⎝ 4 ⎠
5.3.7 Anwendung der Sätze von MAXWELL und BETTI … 429
Diese beiden Einflusszahlen sind also gleich, und das muss aus
Symmetriegründen auch so sein. Wir erhalten somit als Durch-
biegung in der Mitte:
⎛ l ⎞ al 2 ⎛ 4 a 2 ⎞
w⎜ x3 = ⎟ = ⎜1 − ⎟K. (5.3.71)
⎝ 2 ⎠ 8 EI ⎜⎝ 3 l 2 ⎟⎠
Betrachten wir nun den in der Abbildung 5.3.6 dargestellten sta-
tisch unbestimmten Balken. Dieser unterscheidet sich vom vor-
herigen durch die in der Mitte angebrachte Stütze. Gesucht ist
die notwendige Stützkraft in vertikaler Richtung F y3 . Wenn wir
im Punkt x 3 wie rechts gezeichnet freischneiden, so dürfen wir
nach Gleichung (5.3.65) schreiben:
w( x3 ) = 0 = α 31 K 1 + α 32 K 2 + α 33 K 3 (5.3.72)
mit:
K 1 = K ( x1 = a ) , K 2 = K ( x 2 = l − a ) , K 3 = F y3 . (5.3.73)
α 31 + α 32
F =−
3
K. (5.3.74)
α 33
y
a K1 = K K2 = K a K K
1 3 2
• • •
α 31 + α 32 = α 13 + α 23 =
a
24 EI
( )
3l 2 − 4a 2 . (5.3.75)
l3 1 ⎛ l2 + l2 ⎞ l3
α 33
= ⎜ ⎟
− 1⎟ = − . (5.3.76)
12 EI 2 ⎜⎝ 2l 2 ⎠ 48 EI
Somit resultiert als Endergebnis:
6a ⎛ 4 a 2 ⎞
F = 3
⎜1 − ⎟K. (5.3.77)
l ⎜⎝ 3 l 2 ⎟⎠
y
( ) 2
Ws* = 12 α 11 K 1 + α 12 K 1 K 2 + 12 α 22 K 2 + L + ( ) 2
(5.3.78)
α 1n K 1 K n + α 2 n K 2 K n + L + α n −1,n K n −1 K n + 12 α nn (K n ) .
2
( ) ( )
n n
1
2 K n α n1 K 1 + α n 2 K 2 + L + α nn K n = ∑∑ 12 α ik K i K k ,
k =1 i =1
( )
n
Ws* = ∑ 1
2 K i f i ≡ Ws . (5.3.80)
i =1
Vom Aufbau her ergibt sich also eine zu der Gleichung (5.3.32)
für die Verzerrungsenergiedichte der Kontinuumsmechanik völ-
lig analoge Beziehung, wie auch nicht anders zu erwarten war,
denn schließlich handelt es sich immer noch um ein linear-
elastisches Material, wenn auch die elastische Wirkung nun dis-
kret und nicht mehr kontinuierlich behandelt wird. Ferner ist die
Gleichung (5.3.80) eine „Mischform“, und sie wird der Formän-
5.3.8 Die Sätze von CASTIGLIANO für diskret belastete Systeme 431
( ) ( )
n n
= ∑ 12 α lk K k + ∑ 12 α il K i
k =1 i =1
( ) ( )
n n
= ∑ 12 α lk K k + ∑ 12 α lk K k = 1
2 f l + 12 f l = f l .
k =1 i =1
x1
l
Abb. 5.3.7: Kragträger unter Einzellast.
Dazu berechnen wir zunächst die (komplementäre) Formände-
rungsenergie des Balkens gemäß Gleichung (5.3.43), worin wir
setzen:
Q(x1 ) = F , M ( x1 ) = − Fx1 . (5.3.84)
Es entsteht:
α F2 l
(1 +ν )α F 2l
= ∫ dx =
*,Q
W s 1 , (5.3.85)
2GA 0
EA
F2 F 2l 3
l
= ∫ x1 dx1 = , Ws* = Ws*,Q + Ws*,M .
*, M 2
W s
2 EI 22 0 6 EI 22
Gemäß dem 1. Satz von CASTIGLIANO ergibt sich die gesuchte
Absenkung zu:
∂Ws* Fl ⎛ 2(1 + ν )α l2 ⎞
= f = ⎜⎜ + ⎟. (5.3.86)
∂F E⎝ A 3I 22 ⎟⎠
Der zweite Anteil in diesem Ausdruck ist bei schlanken Balken
dominant. So findet man beispielsweise mit den Daten aus Ab-
schnitt 2.5.3 bei einer Länge l = 3 m :
2(1 +ν )α l2
= 0,047 α 1
cm 2
, = 6.65 cm1 2 . (5.3.87)
A 3I 22
Die Formzahl α liegt typischerweise um der Wert Eins. M.a.W.
Schlanke Balken sind schubsteif, in dem Sinne, dass man in der
gesamten (komplementären) Formänderungsenergie für die
Schubsteife GA → ∞ setzt und den Querkraftanteil vernachläs
sigt.
5.4.1 Eine erste Motivation zur Minimierung von Energieausdrücken 433
d
dt V∫(t )
ρ Ts dV + ∫ q j n j dA − ∫ ρ r dV = ∫ Tσ dV ≥ 0 . (5.4.3)
∂V (t ) V (t ) V (t )
Man beachte, dass sich dadurch auch der Charakter der Unglei-
chung nicht ändert, da die absolute Temperatur ja stets positiv
ist. Nochmaliges Umstellen nach den Wärmefluss- und Strah-
lungstermen in der letzten Gleichung erlaubt es, beide aus der
Energiebilanz zu eliminieren. Wir finden zuerst
d
−
∂V t
∫( q) n
j j dA + ∫( )ρ r dV = dt ∫( )ρ Ts dV − ∫( T) σ dV ,
V t V t V t
(5.4.4)
oder:
d ⎛ υ 2 ⎞⎟
dt V∫(t ) ⎜⎝
ρ ⎜ f + dV − ∫ υiσ ji n j dA − ∫ ρ υi f i dV =
2 ⎟⎠ ∂V (t ) V (t ) (5.4.6)
− ∫ Tσ dV ≤ 0 .
V (t )
kinetischer Energie:
υ2
E kin = ∫
V (t )
ρ
2
dV , (5.4.8)
Ψ = ∫ψ ( x, u, u′) dx (5.4.14)
xA
und setzen der Einfachheit halber voraus, dass das Problem sta-
tisch ist, also nicht von der Zeit abhängt. u ′ ≡ du dx bezeichnet
die Ableitung der Verschiebung nach dem Ort. Wie in der Ab-
bildung 5.4.1 dargestellt, versuchen wir diejenige Verschie-
bungsfunktion u ( x ) , welche den Ausdruck (5.4.14) extremiert,
dadurch zu finden, dass wir in dem Intervall [xA , xE ] eine Serie
beliebiger Testfunktionen δu ( x ) mit zugehöriger Ortsableitung
δu ′( x ) aufaddieren. Dabei stellen wir sicher, dass diese Test-
funktionen in den Intervallgrenzen verschwinden:
δu (xA ) = 0 , δu ( xE ) = 0 . (5.4.15)
u(x)
δu(x) u+δu
A
E
xA xE x
Abb. 5.4.1: Variation einer Funktion.
Man sagt, man bildet die erste Variation des Funktionals Ψ un-
ter der Nebenbedingung fester Endpunkte. Letzteres kann an-
schaulich bedeuten, dass man an den Enden geeignet lagert.
Hierfür ist es üblich, zu schreiben:
δΨ δψ ( x, u, u′)
x x
δ E E
( )
δu δu x∫A ∫x δu dx .
= ψ x , u , u ′ dx = (5.4.16)
A
δψ ( x, u , u ′)
=
δu
(5.4.17)
1
lim
δu →0 δu
[ψ (x, u + δu, u′ + δu′) −ψ (x, u, u′)].
δu ′→0
ψ ( x, u , u ′ + ε η ′) − ψ ( x, u, u ′) u ′ + ε η ′ − u ′ ⎤ ∂ψ ∂ψ δu ′
⎥≡ + .
u′ + ε η′ − u′ δu ⎦ ∂u ∂u ′ δu
Letzteres folgt gemäß der Grunddefinition partieller Differenzia-
le. Das wird nun in (5.4.16) eingesetzt, und der zweite Term
wird partiell integriert sowie Gleichung (5.4.15) beachtet:
⎛ ∂ψ ∂ψ
xE
⎞
δΨ = ∫ ⎜ δu + δu ′ ⎟ dx
xA ⎝
∂u ∂u ′ ⎠
(5.4.20)
⎛ ∂ψ d ⎛ ∂ψ ⎞ d ⎛ ∂ψ ⎞ ⎞
xE
= ∫ ⎜⎜ δu + ⎜ δu ⎟ − ⎜ ⎟δu ⎟⎟ dx
xA ⎝ ∂u d x ⎝ ∂u ′ ⎠ d x ⎝ ∂u ′ ⎠ ⎠
xE
⎛ ∂ψ d ⎛ ∂ψ ⎞ ⎞ ⎛ ∂ψ ⎞
xE
= ∫ ⎜⎜ − ⎜ ⎟ ⎟⎟δu dx + ⎜ δu ⎟
xA ⎝
∂u dx ⎝ ∂u′ ⎠ ⎠ ⎝ ∂u ′ ⎠ xA
⎛ ∂ψ d ⎛ ∂ψ ⎞ ⎞
x
E
= ∫ ⎜⎜ − ⎜ ⎟ ⎟⎟δu dx .
xA ⎝ ∂u dx ⎝ ∂u ′ ⎠⎠
Extremum heißt, dass die erste Variation des Funktionals ver-
schwindet, und somit schließen wir auf das Verschwinden des
verbliebenen Integranden und folgende notwendigen Beziehun-
gen in Form einer Differenzialgleichung, der sogenannten EU-
LERschen Gleichung:
5.4.3 Die Eulersche Variationsgleichung 439
δΨ ∂ψ d ⎛ ∂ψ ⎞
=0 ⇒ − ⎜ ⎟ = 0. (5.4.21)
δu ∂u dx ⎝ ∂u ′ ⎠
Dieses entspricht der Gleichung (5.4.11) des einfachen Mini-
maxkalküls, eine Differenzialgleichung hat sozusagen die Rolle
der Extremalstelle xex übernommen.
Um zu sagen, ob es sich um eine Maximierung oder Minimie-
rung des Funktionals handelt, also hinreichende Bedingungen
für ein Extremum zu erhalten, ist es nötig, die zweite Variation
zu bilden, um zu finden, dass:
⎧< 0 , Maximum
δ 2Ψ ⎪
⎨= 0 , Sattelpunkt (5.4.22)
δu 2 ⎪> 0 , Minimum .
⎩
Wie die zweite Variation explizit im vorliegenden Fall zu bilden
ist, soll allerdings hier nicht weiter untersucht werden. Wir
kommen stattdessen auf das in Gleichung (5.4.12) gezeigte all-
gemeinere dreidimensionale Funktional zu sprechen und suchen
notwendige Bedingungen für diejenigen Verschiebungen ui , die
es extremieren. Die Vorgehensweise ist völlig analog zu der in
der Gleichungskette (5.4.16–21), wobei wir es lediglich mit
mehreren Variablen u i und zugehörigen Ableitungen zu schaf-
fen haben. So lässt sich sofort der Anfang von Gleichung
(5.4.20) übertragen und schreiben:
⎡ ∂ψ ∂ψ ⎛ ∂u ⎞⎤
δΨ = ∫( ) ⎢ ∂u δu k + δ⎜⎜ l ⎟⎟⎥ dV .
∂ (∂u l ∂x m ) ⎝ ∂x m ⎠⎦
(5.4.23)
V t ⎣ k
∂ ⎛ ∂ψ ⎞ ⎤
⎜⎜ ⎟ δul ⎥ dV .
∂xm ⎝ ∂ (∂ul ∂xm ) ⎟⎠ ⎦
Bei dieser Umformung ist die Frage angebracht, warum man die
Variation mit der partiellen Differenziation vertauschen darf,
warum also gilt:
440 5.4 Energiefunktionale und ihre Extrema
⎛ ∂u ⎞ ∂ (δu l )
δ ⎜⎜ l ⎟⎟ = ? (5.4.25)
⎝ ∂x m ⎠ ∂x m
Dieses erklärt sich anlog wie in Gleichung (5.4.18), wonach wir
mit Testfunktionen für die Verschiebungskomponenten und für
deren Ableitungen schreiben:
⎛ ∂u ⎞ ∂η
δu l ( x k , t ) = ε η l ( x k , t ) , δ ⎜⎜ l ⎟⎟ = ε l . (5.4.26)
⎝ ∂x m ⎠ ∂x m
Dann folgt sofort:
⎛ ∂u ⎞ ∂η ∂ (εη l ) ∂ (δu l )
δ ⎜⎜ l ⎟⎟ = ε l = = . (5.4.27)
⎝ ∂x m ⎠ ∂x m ∂x m ∂x m
Den zweiten Term formen wir mit dem GAUSSschen Satz
(4.1.17) in ein Oberflächenintegral um, den dritten führen wir
mit dem ersten zusammen:
⎡ ∂ψ ∂ ⎛ ∂ψ ⎞⎤
δΨ = ∫( ) ⎢ ∂u −
∂x m
⎜⎜ ⎟⎟ ⎥ δu l dV
⎝ ∂ (∂u l ∂x m ) ⎠ ⎦
V t ⎣ l
(5.4.28)
∂ψ
+ ∫ nm δu l dA .
∂V (t )
∂ (∂u l ∂x m )
∑F x = 0, ∑F y = 0, ∑M( D)
=0 (5.5.1)
stets zum Ziel, wenn man die Auflager- oder die Schnittkräfte
ermitteln will. Sehr oft ergeben sich dabei gekoppelte Glei-
chungssysteme, denn bei Tragwerken, die aus mehreren Schei-
ben bestehen, lassen sich jeweils drei Gleichungen der obigen
Form aufschreiben, und diese sind miteinander gekoppelt (über
die Freischneide- bzw. Reaktionskräfte). Bei der konkreten Lö-
sung ist dieses Vorgehen oft mit erheblichem Rechenaufwand
verbunden. Will man jedoch lediglich einige Aussagen über das
Tragwerk machen, etwa nur eine einzige Auflagerkraft oder nur
eine einzige Stabkraft ermitteln, so verwendet man statt des
kompletten Satzes an Gleichungen vorteilhafterweise das soge-
nannte Prinzip der virtuellen Verrückungen, oft auch Ar-
beitssatz der Mechanik genannt. Hierbei wird nur die sog. äu-
ßere Arbeit, das ist die Arbeit der angreifenden Lasten und even-
tuell der Lagerkräfte, angesetzt, da vereinbarungsgemäß die
Verformungen in der Statik nicht bei der Ermittlung des Gleich-
gewichtes berücksichtigt werden.
In der Punktmechanik ist der Begriff der Arbeit als das Ska-
larprodukt zwischen Kraft und Weg definiert, also, falls die
Kraft entlang des Weges konstant bleibt, durch:
A = F ⋅r . (5.5.2)
Arbeit leistet also nur die Teilkomponente der Kraft in Richtung
des Weges, nicht die senkrecht zum Weg stehende Komponente.
Ändert sich die Kraft längs des Weges, ist sie also eine Funktion
442 5.5 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PdvV)
und dabei ist ϕ i der zwischen der Kraft Fi und der Verschie-
bung δui stehende, hier als konstant vorausgesetzte Winkel (De-
finition des Skalarproduktes). Man beachte, dass die virtuellen
Verschiebungen sich oft auch durch Änderung von Winkellagen
(Drehwinkel) erzeugen lassen. Wir haben (bei festem Drehab-
stand ri )
δu i = ri δϑi (5.5.7)
und können für solche Anteile in der obigen Summe auch
schreiben:
n m
δA = ∑ Fi δui cos(ϕi ) + ∑ F j r j δϑ j cos(ϕi ) = 0 (5.5.8)
i =1 j =1
nicht infinitesimal klein ist und sich mit der inneren Kinema-
tik des kontinuierlichen Systems verträgt. Die „Energien“ ei-
nes solchen Systems werden klarerweise von der Deformation,
also von der Verschiebung abhängen. Also vergleichen wir im
Folgenden nun gewisse, noch zu entwickelnde Energieausdrü-
cke und postulieren dann, dass unter der Vielzahl möglicher vir-
tueller Verschiebungen diejenigen die wahre Deformation des
Körpers kennzeichnen, für welche der Energieausdruck minimal
wird.
Bevor wir mit der Herleitung dieser Energieausdrücke beginnen,
sei vermerkt, dass, wie oben schon angesprochen, Verschiebun-
gen, also auch virtuelle Verschiebungen, ihrem Charakter nach
Ortsverschiebungen mit der Einheit Meter [m] oder dimensions-
lose Winkeldrehungen sind. Für Letztere schreiben wir, um es
explizit zu machen, analog zur Gleichung (5.1.17) auch oft δϕ .
Wir setzen nun voraus, dass alle Felder innerhalb des Volumens
V (t ) stetig sind, und formen mithilfe des GAUSSschen Satzes
das Oberflächenintegral in ein Volumenintegral um:
∂ (σ ji δui )
∫ n jσ ji δui dA =
∂V (t )
∫( )
V t
∂x j
dV =
(5.5.11)
∂σ ji ∂ (δui )
∫
V (t )
∂x j
δui dV + ∫ σ ji
V (t )
∂x j
dV .
∫n σ
∂V (t )
j ji δui dA = ∫ ρ u&& δu
V (t )
i i dV
⎛ ∂ (δui ) ∂ (δu j ) ⎞
(5.5.13)
⎜ ⎟ dV .
− ∫( )ρ f δu i i dV + ∫( )σ 1
ji 2 ⎜ ∂x
+
∂ x ⎟
V t V t ⎝ j i ⎠
Wir definieren nun in Übereinstimmung mit Gleichung (4.3.12)
den virtuellen Verzerrungstensor:
⎛ ∂ (δui ) ∂ (δu j ) ⎞
δε ij = 12 ⎜ + ⎟ (5.5.14)
⎜ ∂x ∂ x ⎟
⎝ j i ⎠
und erkennen, dass sich Gleichung (5.5.10) auch folgenderma-
ßen schreiben lässt:
δA = ∫ ρu&& δu
V (t )
i i dV + ∫σ
V (t )
ji δε ij dV . (5.5.15)
Das zweite Integral ist nach Gleichung (5.3.4) die mit der virtu-
ellen Verschiebung einhergehende, gesamte virtuelle Formände-
rungsenergie des Volumens, nämlich:
δWs = ∫ δw
V (t )
s dV = ∫σ
V (t )
ji δε ij dV . (5.5.17)
∫( ) ε ∫ σ (ε ) dε
~ ~
Ws = ∫( )w
V t
s dV =
V t ~ =0
rs sr dV . (5.5.22)
Die weitere Umformung ist etwas länglich, folgt aber stets den
gebräuchlichen Regel der Differenzial- und Integralrechnung:
⎡ ⎛ ε~ =ε ⎞ ⎤
⎢ ∂⎜ ∫ σ rs (ε~ ) dε~sr ⎟ ⎥
∂ ⎢ ⎜ ⎟ ∂ε uυ ⎥
δWs = − ∫ ⎝ ε =0
~
⎠
⎢ ⎥ δul dV (5.5.24)
V (t )
∂xm ⎢ ∂ε uυ ∂ (∂ul ∂um ) ⎥
⎢ ⎥
⎢⎣ ⎥⎦
~
⎛ ε =ε ⎞
∫ ()
⎜ ⎟
∂⎜ σ rs ε~ dε~sr ⎟
⎜ ε~ =0 ⎟ ∂ε uυ
+ ∫ nm ⎝ ⎠ δu l dA =
∂V (t )
∂ε u υ ∂ (∂u l ∂ u m )
∂
− ∫( ) ∂x [σ υ (δ
V t m
1
u 2 ul δ mυ + δ lυ δ mu )]δul dV +
∫( n) σ υ (δ
∂V t
m
1
u 2 ul δ mυ + δ lυδ mu ) δul dA =
∂
− 12 ∫( ) ∂x [σ
V t m
ml + σ lm ]δul dV + 12 ∫ n (σ
∂V (t )
m ml + σ lm ) δul dA =
∂σ ml
− ∫( ) ∂x
V t m
δul dV + ∫n σ
∂V (t )
m ml δul dA =
∂σ ml
− ∫( ) ∂x
V t m
δul dV + ∫n t
∂V (t )
m m δul dA .
∂V (t ) V (t ) i =1
(5.5.32)
N M
= ∑ F ⋅ δu + ∑ M ⋅ δϕ .
i i i i
i =1 i =1
F2
δϑ F1 δu1
δu 2 δϑ
a b
δu δu
a b
F2 FA F1
δA = FA δu − F2 δu − F1δu = 0 . (5.5.36)
Dabei mussten wir wieder die jeweilige Orientierung der Kräfte
zu der Verschiebung, also die Wirkung der Kosinusfunktion,
beachten. Es folgt:
FA = F1 + F2 , (5.5.37)
also die Kräftesumme in y -Richtung.
FG
FG
δuG h δuG / 2
l
δuG / 2 l
F1 h l δu1
h
F1
b− δu1
b b − δu1 b
b
F1 = 2 FG . (5.5.41)
h
Evangelista TORRICELLI l
wurde am 15. Oktober 1608
in Rom geboren und starb 2 l
jung am 25. Oktober 1647 h 2 (x, y)
in Florenz. Er war u. a. Sek-
retär des berühmten Galileo
GALILEI und beschäftigte G
sich wie dieser mit Proble- H y
men der Mechanik. Die
Wetterkunde hatte es ihm
besonders angetan. Er ent-
wickelte nämlich Barome-
ter (siehe Bild), und die x
noch heute verwendete Abb. 5.5.4: Gleichgewicht eines reibungsfrei gelagerten Stabes
Druckeinheit Torr ist nach
ihm benannt. Außerdem
an einer gekrümmten Wand.
studierte er Probleme der Betrachte die in Abbildung 5.5.4 dargestellte reibungsfrei gela-
Ballistik, was der Obrigkeit gerte Stange mit dem Gewicht G (gleichmäßig über die Stange
besonders gefiel. Geld
machte er jedoch mit dem verteilt zu denken). Wir suchen die Menge der Punkte (x , y ) in
Schleifen von Mikroskop- der Ebene, für die diese Stange im Gleichgewicht bleibt, mit an-
linsen, also mit extrem deren Worten, die stabilen Gleichgewichtslagen der Stange. Mit
dem allgemeinen Verschiebungsvektor (δu Gx , δu Gy ) des mit
praktischer Mechanik, und
das stellt die Wertschätzung
seines Theorems durch den dem Gewicht G versehenen Schwerpunktes findet man über
Rest der Menschheit in die den Arbeitssatz:
richtige Perspektive.
⎛ δu Gx ⎞ ⎛ 0 ⎞
δA = ⎜⎜ ⎟ ⋅ ⎜⎜
⎟ ⎟⎟ = −δu Gy G = 0 ⇒ δu Gy = 0 (5.5.42)
⎝ δu Gy ⎠ ⎝ − G ⎠
und damit sofort:
h
H = const. = y + = y + 12 l 2 − x 2 . (5.5.43)
2
Das bedeutet anschaulich, dass sich die Höhe des Schwerpunk-
tes H nicht ändern darf. Der Wert dieser konstanten Höhe lässt
sich für den Fall einer vertikal aufgestellten Stange sofort ermit-
teln:
const. = 0 + 12 l 2 − 0 2 = 12 l . (5.5.44)
Somit folgt:
y = 12 l − 12 l 2 − x 2 . (5.5.45)
5.5.5 Beispiele zum PdvV in der Statik starrer Systeme 453
Dieses ist nichts anderes als die Gleichung einer Ellipse, wie
man durch einfaches Umstellen sofort erkennt:
( y − l / 2 )2 +
x2
= 1. (5.5.46)
(l / 2)2 l2
diesem Punkt und lassen ihn sich unter der Wirkung der Aufla-
gerkraft F = (0, FBy ) um die virtuelle Verschiebung
ger verbunden sind. Be-
merkenswert ist dabei, dass
die Gurtführung weitge-
hend dem Momentenver-
( )
δu = δu xB , δu yB bewegen. Dabei bewegt sich auch der Punkt,
B
lauf, also den tatsächlichen in dem die Kraft P = (0, − P ) angreift, und zwar um
( )
Biegemomenten entspre-
δu = δu , δu . Die dazugehörigen virtuellen Arbeiten erge-
P P P
chend, angepasst wird. An x y
den Gurtkreuzungspunkten, ben sich unter Verwendung des PdvV aus den Gleichungen
wo die Zug- und Druck-
kräfte gegen null gehen, (5.5.31/32) zu:
sind die GERBER-Gelenke
angeordnet. Zu den vielen
δA = FyB δu yB − Pδu yP = 0 . (5.5.50)
in aller Welt nach dem
GERBER-Prinzip gebauten Der Kinematik ist Rechnung zu tragen, und das bedeutet nach
Brücken zählt die berühmte dem Strahlensatz, dass gelten muss:
Firth-of-Forth-Brücke bei
Queensferry in Schottland. δu yB δu cy δu yP δu cy
= , = . (5.5.51)
a A b B
Eliminierung der Hilfsgröße δu cy ergibt:
b A B
δu yP = δu y . (5.5.52)
aB
Dies in Gleichung (5.9.50) eingesetzt führt auf:
⎛ B b A⎞ B
⎜ Fy − P ⎟δu y = 0 . (5.5.53)
⎝ a B⎠
Da die Wahl von δu yB willkürlich ist, folgt:
b A
FyB = P . (5.5.54)
aB
q( x )
δw(x)
x
l
∫ EI (w′′) dx .
2
Ws*,M ≡ WsM = 1
2 (5.5.62)
0
Wir wenden uns nun der Arbeit zu, welche die Querlasten im
Zusammenhang mit der virtuellen Verschiebung erbringen.
Hierfür haben wir offenbar:
l
δAM = ∫ q δw dx . (5.5.64)
0
∫ (q δw − EIw′′δ(w′′)) dx = 0 .
0
(5.5.65)
l
[EIw′′δ(w′)] l0 − ⎡⎢(EIw′′)′ δw⎤⎥ ″
l
+ ∫ (EIw′′) δw dx .
⎣ ⎦ 0 0
(EIw′′)″ = q , (5.5.70)
also die Grundgleichung der Biegetheorie bei Anwesenheit einer
Streckenlast quer zur Balkenachse.
458 5.5 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PdvV)
Normalkraft N ( x ) N2
l
W s
*, N
≡ Ws N
= ∫
1
2 dx ⇔
bzw. Verschiebung in 0
EA
Schwerachsenrichtung
des Balkens u ( x ) (vgl.
l
∫ EA(u′) dx
2
WsN = 1
2
(5.5.71)
Abschnitte 2.2.1/4) 0
Momentenverteilung M2
l
gung w( x ) senkrecht
2
0
zu derselben (vgl. Ab-
(5.5.72)
schnitt 2.6)
5.5.8 PdvV – Allgemeine Belastungsfälle für HOOKEsche Balken 459
Torsionsmomenten- l
M T2
verteilung M T ( x ) Ws*,M T ≡ WsM T = 1
2 ∫0 GI p dx ⇔
längs der Balkenachse l
bzw. resultierender
∫ GI (ϕ ′) dx
2
Ws MT
= 1
Verdrillwinkel ϕ ( x )
2 p
0
(vgl. Abschnitte 2.7.5)
(5.5.73)
1 ⎛⎜ N 2 M 2 M T2 ⎞⎟
l
W =W
* *, N
+W *, M
+W *, M T
= ∫ + + dx . (5.5.76)
2 0 ⎜⎝ EA EI GI p ⎟⎠
s s s s
n(x)
q (x)
M(x)
x x
y− y N(x)
1 ⎛⎜ N ( x ) M y (x ) ⎞⎟
2
σ xx2
ws = σ xxε xx =
1
= + z = (5.5.80)
2
2 E 2 E ⎜⎝ A I yy ⎟
⎠
1 ⎛⎜ N 2 M y 2 ⎞
2
NM y
+ 2 z +2 z⎟ .
2 E ⎜⎝ A 2
I yy AI yy ⎟
⎠
Hieran sieht man deutlich, wie zwischenzeitlich ein Mischterm
auftritt. Dieser verschwindet jedoch bei den nachfolgenden In-
tegrationen gemäß der Gleichung (5.5.75), wobei man zu beach-
ten hat, dass die Größen N , M y , E und I yy höchstens von der
Längenkoordinate x abhängen können:
1 ⎛⎜ N 2 M y 2 ⎞
l 2
NM y
W = ∫ ∫
*
+ 2 z +2 z ⎟ dAdx = (5.5.81)
2 E ⎜⎝ A ⎟
s 2
x =0 A
I yy AI yy ⎠
2
1 N2
l l l
1 My 1 NM y
∫ 2 E A 2 ∫A + ∫ 2E I yy2 ∫A + ∫ E AI yy ∫ z dAdx .
2
dA dx z dAdx
x =0 x =0 x =0 A
q0 l 4 x ⎡⎛ x ⎞ ⎤
3 2
⎛ x⎞
w(x ) = ⎢⎜ ⎟ − 2⎜ ⎟ + 1⎥ . (5.5.93)
24 EI l ⎣⎢⎝ l ⎠ ⎝l⎠ ⎥⎦
q0
x x
w(x)
Abb. 5.5.8: Gerader Balken auf zwei Stützen unter Wirkung
einer Gleichstreckenlast.
Hieraus ermittelt man das Maximum der Durchbiegung zu:
⎛ l ⎞ 5q 0 l 4
wmax = w⎜ x = ⎟ = . (5.5.94)
⎝ 2 ⎠ 384 EI
Wie man sieht, ist zur exakten Beschreibung der Form der Bie-
gelinie ein Polynom vierter Ordnung notwendig. Auf den ersten
Blick sieht die Biegelinie der Abbildung 5.5.8 jedoch wie eine
Sinusfunktion aus und wir schreiben mit RITZ näherungsweise:
w~ ( x ) = c sin ⎛⎜ πx ⎞⎟ . (5.5.95)
1
⎝ l ⎠
Damit haben wir auch gleichzeitig sichergestellt, dass die Orts-
funktion die geometrischen Randbedingungen erfüllt, nämlich:
~( x = 0) = sin ⎛⎜ π0 ⎞⎟ = 0 , w
w ~( x = l ) = sin ⎛⎜ πl ⎞⎟ = 0 . (5.5.96)
⎝ l ⎠ ⎝ l ⎠
Wir berechnen nun gemäß der Gleichung (5.5.88) das Energie-
funktional:
Π M = AM − WsM
l
⎛ πx ⎞ EI 2 ⎛ π ⎞
4 l
⎛ πx ⎞ (5.5.97)
= q0 c1 ∫ sin ⎜ ⎟ dx − c1 ⎜ ⎟ ∫ sin 2 ⎜ ⎟ dx .
0 ⎝ l ⎠ 2 ⎝l⎠ 0 ⎝ l ⎠
Indem wir nun extremieren, also gemäß Gleichung (5.5.92) nach
c1 differenzieren, entsteht:
4 l
∂Π M ⎛ πx ⎞ ⎛π⎞ ⎛ πx ⎞
l
= q0 ∫ sin ⎜ ⎟ dx − EIc1 ⎜ ⎟ ∫ sin
2
⎜ ⎟ dx (5.5.98)
∂c1 0 ⎝ l ⎠ ⎝l⎠ 0 ⎝ l ⎠
4
2l ⎛π⎞ l
= q0 − EI ⎜ ⎟ c1 = 0
π ⎝l⎠ 2
464 5.5 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen (PdvV)
mit:
4l 4 4q 0 l 4 ⎛ πx ⎞
c1 = q 0 5 ⇒ w( x ) = 5 sin ⎜ ⎟ .
~ (5.5.99)
π EI π EI ⎝ l ⎠
Die maximale Durchbiegung ergibt sich somit zu:
~ ~ ⎛ l ⎞ 4q 0 l 4
wmax = w⎜ x = ⎟ = 5 . (5.5.100)
⎝ 2 ⎠ π EI
Wir vergleichen nun die beiden Zahlenfaktoren in dieser und in
Gleichung (5.5.94):
4 5
5
≈ 0,013071054 , ≈ 0,013020833 (5.5.101)
π 384
und erkennen eine minimale Abweichung zwischen beiden Er-
gebnissen. Selbstverständlich hätten wir durch einen die Rand-
bedingungen erfüllenden Polynomansatz vierter Ordnung die
exakte Lösung herausbekommen. Die Rechnung (Aufstellen und
Lösen eines Gleichungssystems mit vier unbekannten Konstan-
ten) ist jedoch etwas mühsam und darum verzichten wir an die-
ser Stelle darauf.
Das Vorgehen nach GALERKIN ist ähnlich. Es wird ein Nähe-
rungsansatz für die Verschiebungen in der Form (5.5.89) ge-
macht, der viermal bereichsweise stetig differenzierbar und von
der Nullfunktion verschieden ist und der diesmal alle geometri-
schen und physikalischen Randbedingungen erfüllt. Wieder sind
alle dabei notwendigen Ansatzfunktionen wi ( x ) bekannt und die
Konstanten ci sind die noch zu ermittelnden Unbekannten. Man
legt sie dadurch fest, dass man fordert, dass das Energieprinzip
in der Form (5.5.69) für jede der virtuellen Verschiebungen δw j
erfüllt ist, also:
⎡ ″⎤
⎛ ⎞
l n
∫0 ⎢⎢q − ⎜⎝ EI ∑ ci wi′′( x )⎟ ⎥ δw j dx = 0 ,
i =1 ⎠ ⎥ (5.5.102)
⎣ ⎦
j = 1 , 2 , L , n.
Dies sind wieder genau n Stück Gleichungen für die n Stück
unbekannten Gewichte ci . Werden Letztere in die Gleichung
(5.5.89) eingesetzt, so erhält man eine Näherungslösung, die
zwar alle Randbedingungen exakt, aber die zu Gleichung
(5.5.102) gehörigen Differenzialgleichungen nur im Mittel er-
füllt.
5.5.9 PdvV – Die Näherungsmethoden von RITZ und GALERKIN 465
Damit verbleibt:
~ ( x ) = c ⎡⎛⎜ x ⎞⎟ − 2⎛⎜ x ⎞⎟ + x ⎤ .
4 3
w 4⎢ ⎥ (5.5.108)
⎢⎣⎝ l ⎠ ⎝l⎠ l ⎥⎦
~ IV ( x ) = 24 c 4 .
w (5.5.109)
l4
Also reduziert sich das Problem (5.5.102) auf:
c 4 ⎤ ⎛⎜ ⎧⎪⎛ x ⎞ x ⎫⎪ ⎞⎟
4 3
⎡ ⎛ x⎞
l
∫0 ⎢⎣ 0
q − 24 EI δ c 4⎨⎜ ⎟
l 4 ⎥⎦ ⎜⎝ ⎪⎩⎝ l ⎠
− 2⎜
⎝l⎠
⎟ + ⎬ dx = 0 ,
l ⎪⎭ ⎟⎠
(5.5.110)
q0 l 4
c4 = , (5.5.111)
24 EI
damit entsteht aus Gleichung (5.5.108) die „Näherungslösung“:
~(x ) = q 0 l
4
⎡⎛ x ⎞ 4 ⎛ x⎞
3
x⎤
w ⎢⎜ ⎟ − 2⎜ ⎟ + ⎥ . (5.5.112)
24 EI ⎢⎣⎝ l ⎠ ⎝l⎠ l ⎥⎦
Wir setzen wieder voraus, dass alle Felder innerhalb des Volu-
mens V (t ) stetig sind, und formen mithilfe des GAUSSschen Sat-
zes das Oberflächenintegral in ein Volumenintegral um:
∂ (ui δσ ji )
∫( u) (δσ ) n
∂V t
i ji j dA = ∫( )
V t
∂x j
dV =
(5.6.2)
∂ui ∂ (δσ ji )
∫
V (t )
∂x j
δσ ji dV + ∫ ui
V (t )
∂x j
dV .
∫( u) (δσ )n
∂V t
i ji j dA = ∫( )ρ u δu&& dV
V t
i i
(5.6.4)
1 ⎛ ∂u ∂u j ⎞⎟
− ∫ ρ ui δf i dV + ∫ ⎜ i + (δσ ji ) dV .
V (t )
2 ⎜ ∂x j ∂xi ⎟⎠
V (t ) ⎝
l
δA *
MT = ∫ ϕ δmT dx .
0
( )
!
δΠ * = δ A* − Ws* − B * ≡ δA* − δWs* − δB* = 0 . (5.6.16)
Um diese Gleichung zu konkretisieren, variieren wir nun jeden
seiner drei Bestandteile nach den Kräften. Es sei zunächst an
Gleichung (5.5.20) erinnert, und dass gilt A* ≡ A . Offenbar ist
die Arbeit ein lineares Funktional in den Kraftgrößen t i und
ρ f i , und das bedeutet nach den Regeln der Variationsrechnung
aus Abschnitt 5.8, dass wir einfach schreiben dürfen:
δA* = ∫( u) δt
∂V t
i i dA + ∫( u) δ(ρ f ) dV .
V t
i i (5.6.17)
470 5.6 Das Prinzip der virtuellen Kräfte (PdvK)
∫( ) σ∫ ε (σ ) dσ
~ ~
W = ∫( )w dV =
* *
s s lk kl dV . (5.6.18)
V t V t ~ =0
∂ws*
≡ ∫
V (t )
∂σ kl
δσ kl dV = ∫ ε lk δσ kl dV .
V (t )
(5.6.19)
∂ ⎛ ∂σ ⎞
= ∫( ) ∂x (u δσ ) dV − ∫( ) u
V t k
l kl
V t
l δ ⎜⎜ kl
⎝ ∂x k
⎟⎟ dV
⎠
⎛ ∂σ ⎞
= ∫( u) δσ
∂V t
l kl nk dA − ∫( ) u
V t
l δ ⎜⎜ kl
⎝ ∂x k
⎟⎟ dV
⎠
⎛ ∂σ ⎞
=
∂V t
∫( u) l δt l dA −
V t
∫( ) u l δ ⎜⎜ kl
⎝ ∂x k
⎟⎟ dV .
⎠
Es bleibt die Beschleunigungsarbeit gemäß Gleichung (5.5.25)
zu variieren. Hier ist analog zu Gleichung (5.6.16) B * ≡ B und
die Verschiebung als Konstante zu behandeln, also zu schreiben:
δB * = ∫( u) δ(ρ u&& ) dV .
V t
i i (5.6.21)
⎛ ∂σ kl ⎞
δΠ * = ∫( ) u δ⎜⎜⎝ ρ f
V t
i i +
∂x k
− ρ u&&i ⎟⎟ dV = 0 .
⎠
(5.6.22)
q0
x x
w(l)
l
w(l ) δF − ∫
M
δM dx = 0 . (5.6.25)
0
EI
Hierin muss man nun das zur variierten Kraft gehörige variierte
Biegemoment einsetzen, das offenbar gegeben ist durch:
⎛ x⎞
δM = −⎜1 − ⎟ l δF . (5.6.26)
⎝ l⎠
Mit Gleichung (5.6.23) folgt somit aus dem PdvK:
2 2
⎛ x⎞ ⎛ x⎞
l
ql
w(l ) δF − ∫ 0 ⎜1 − ⎟ ⎜1 − ⎟ l δF dx = 0 . (5.6.27)
0
2 EI ⎝ l⎠ ⎝ l⎠
Die Integration wird ausführbar und es folgt:
3
q0 l 3 ⎛ x ⎞
l
w(l ) =
2 EI ∫0 ⎝ l ⎠
⎜ 1 − ⎟ dx
x =l (5.6.28)
q0 l ⎡ 3 x ⎛ x ⎞ 1 ⎛ x ⎞ ⎤
3 2 3 4
q0 l
= x ⎢1 − +⎜ ⎟ − ⎜ ⎟ ⎥ = .
2 EI ⎣⎢ 2 l ⎝ l ⎠ 4 ⎝ l ⎠ ⎦⎥ 8 EI
x =0
⎛ x⎞
δM = −l ⎜1 − ⎟δF . (5.6.30)
⎝ l⎠
q0
A x B
A B
z
l FyB
l2
l
⎡ B⎛ x ⎞ q0 l ⎛ x⎞
2
⎤ ⎛ x⎞
−
EI ∫0 ⎢⎢ Fy ⎜⎝1 − ⎟−
l⎠ 2 ⎝
⎜1 − ⎟
l⎠
⎥
⎥⎦
⎜1 −
⎝
⎟δF dx .
l⎠
⎣
Die Integrationen lassen sich einfach ausführen:
l
⎡ B⎛ x ⎞ q0 l ⎛ x⎞
2
⎤⎛ x⎞
∫0 ⎢⎢ Fy ⎜⎝1 − ⎟−
l⎠ 2 ⎝
⎜1 − ⎟
l⎠
⎥ ⎜1 −
⎥⎦ ⎝
⎟ dx =
l⎠
(5.6.33)
⎣
l x =l
⎡ x 1 ⎛ x ⎞2 ⎤ ql ⎡ 3 x ⎛ x ⎞ 2 1 ⎛ x ⎞3 ⎤
Fy x ⎢1 − + ⎜ ⎟ ⎥ − 0
B
x ⎢1 − +⎜ ⎟ − ⎜ ⎟ ⎥ ,
⎢⎣ l 3 ⎝ l ⎠ ⎥⎦ x =0 2 ⎢⎣ 2 l ⎝ l ⎠ 4 ⎝ l ⎠ ⎥⎦ x =0
und es resultiert:
⎛ FyB l q 0 l 2 ⎞
δF ⎜ − ⎟ = 0. (5.6.34)
⎜ 3 8 ⎟
⎝ ⎠
Und da dieses für alle variierten Kräfte δF Bestand haben
muss, folgt für die unbekannte Auflagerkraft:
3q 0 l
FyB = . (5.6.35)
8
474 5.6 Das Prinzip der virtuellen Kräfte (PdvK)
1 ⎛⎜ N 2 M 2 M T2 ⎞⎟
l
δWs* = δ∫ + + dx
2 0 ⎜⎝ EA EI GI p ⎟⎠
(5.6.39)
1 ⎛⎜ 2 N δN 2M δM 2M T δM T ⎞⎟
l
= ∫ + + dx .
2 0 ⎜⎝ EA EI GI p ⎟
⎠
Wir setzen:
δN δM δM T
N= , M = , MT = , (5.6.40)
δF δF δF
haben somit die variierten Normalkräfte und -momente auf die
Krafteinheit bezogen, woraus die Behauptung (5.6.36) resultiert.
Die Gleichung (5.6.36) wird nun zur Probe auf die beiden Prob-
leme aus Abschnitt 5.6.5 angesetzt. Für die in Abbildung 5.6.1
dargestellte Durchbiegung findet man zunächst:
1
M ( x ) M ( x ) dx ,
EI ∫l
w= (5.6.41)
q0l 2
− −l
2
Abb. 5.6.3: Momentenflächen am
einseitig eingespannten Balken
Man könnte sich nun die Arbeit machen, Gleichungen für M ( x )
und M ( x ) aufstellen und die notwendigen Integration durchfüh-
ren. Dieses nimmt einem die sogenannte Koppeltabelle 5.6.1 ab.
Hier sind für einige wichtige Normalkraft- und Momentenflä-
chen die Integrale aus Gleichung (5.6.36) bereits gelöst, und
man kann die Ergebnisse einfach ablesen, wobei man die Größe
C noch mit der Balkenlänge geteilt durch die jeweilige Balken-
steife multiplizieren muss.
Im vorliegenden Fall trifft also eine dreiecksförmige Fläche auf
eine Parabel, und wir haben zu schreiben:
C = 13 A ⋅ a mit a = −1 ⋅ l = −l und A = − 12 q0l 2 . (5.6.42)
Also ist:
476 5.6 Das Prinzip der virtuellen Kräfte (PdvK)
q0 l 4
w= , (5.6.43)
8EI
wie bereits in Gleichung (5.6.28) angegeben. Bei diesem Ver-
fahren muss man aufpassen, die jeweils richtigen Flächen zu-
sammenzusetzen, also wie hier eine „spitze Parabel“ mit einem
Dreieck, dessen Stirnseite links liegt. Ferner beachte man die
Vorzeichen der Momentenflächen.
Wir wenden uns nun erneut dem in Abbildung 5.6.2 gezeigten
einfach statisch unbestimmten System zu. Wir zerlegen es zur
Bestimmung der Auflagerkraft FyB in zwei statisch bestimmte
Systeme, wie folgt (vgl. Abbildung 5.6.3). In der sogenannten
0-Situation wurde das „störende“ Lager B beseitigt. Es resul-
tiert im Punkt B eine Absenkung nach unten, die wir mit den
zugehörigen Momentenflächen M 0,0 und M 0,1 folgendermaßen
berechnen:
1 q0 l 4
M 0,0 (x ) M 0,1 (x )dx =
EI ∫l
w0 = . (5.6.44)
8EI
Tabelle 5.6.1: Kopplungsintegrale C
für Normalkraft- und Momentenflächen.
C A A B A
B
a A⋅a 1
2 A⋅ a 1
2 B⋅a 1
2
( A + B )⋅ a
a 1
2 A⋅ a 1
3 A⋅ a 1
6 B⋅a 1
6
(2 A + B ) ⋅ a
a 1
2 A ⋅ (a + b ) 1
6 A ⋅ (2a + b ) 1
6 B ⋅ (a + 2b ) 1
6
(2 Aa + 2 Bb + Ab + Ba )
b
a
2
3 A⋅ a 1
3 A⋅ a 1
3 B⋅a 1
3
( A + B )⋅ a
a
2
3 A⋅ a 5
12 A⋅ a 1
4 B⋅a 1
12
(5 A + 3B ) ⋅ a
a
1
3 A⋅ a 1
4 A⋅ a 1
12 B⋅a 1
12
(3 A + B ) ⋅ a
5.6.4 Eine rezeptmäßige Auswertung des PdvK: Das 1-Kraft-Konzept 477
0 − Situation
q0 1
A− B x −
M 0,0 M0,1
z
q0l 2 l
− −l
2
1− Situation
l
FByl M 1,1
M1,0
+ +
FBy 1
Also ist:
1 FyB l 3
M 1, 0 ( x ) M 1,1 ( x ) dx =
EI ∫l
w1 = . (5.6.46)
3EI
also wieder das Ergebnis (5.6.35). Man beachte, dass die vorge-
stellte Methode sich sinngemäß ohne Schwierigkeiten auch auf
höher unbestimmte Balkenproblem übertragen lässt. Der Re-
chenaufwand ist dann jedoch i. Allg. größer.
478 5.7 Dynamische Energieprinzipe
δE kin =
1
2M∫ ( )2 1
δ u& dm = ∫ [(δu&i )u&i + u&i (δu&i )] dm
2M
(5.7.9)
= ∫ u&i (δu&i ) dm .
M
(5.7.15)
= &x& + ω × ω × x
A
( AP
)+ ω& × x AP
.
Weiterhin darf man unter Beachtung von:
dϕ
ω= (5.7.16)
dt
für die virtuelle Verschiebung eines beliebigen Aufpunktes
schreiben:
δ x ≡ δu = δ x + δϕ × x
A AP
. (5.7.17)
∫x dm = 0 ,
SP
(5.7.20)
M
M
(5.7.21)
+ ∫ (ω& × x ) ⋅ (δϕ × x ) dm .
M
⎛⎧ ⎫ ⎞
∫ δϕ ⋅ [(x ⋅ x )ω& − x(ω& ⋅ x )] dm = ⎜⎜ ⎨⎩ ∫ [(x ⋅ x )1 − x x] dm⎬ ⋅ ω& ⎟ ⋅ δϕ ,
⎭ ⎠
⎟
M ⎝ M
⎜ − ∫ zx dm − ∫ zy dm x 2 + y 2 dm ⎟
⎝ M M M ⎠
Man erkennt sofort, dass es sich um eine in den Indizes sym-
metrische Größe handelt:
Θ ij = Θ ji . (5.7.29)
Wir fragen nun noch nach einer einfachen Deutung des zweiten
Anteils in Gleichung (5.7.30). Nach der für den zweidimensio-
nalen Fall gültigen Gleichung (3.2.28) ist zu vermuten, dass die-
ser und der dritte, soeben berechnete Anteil mit der zeitlichen
Änderung des Drehimpulses des starren Körpers zusammenhän-
gen. Dieses wollen wir nun für den dreidimensionalen Fall un-
tersuchen, und wir erinnern an die Definition des Drehimpulses
(oder auch „Dralls“) für einen beliebig deformierbaren und nicht
notwendigerweise starren Körper gemäß den Gleichungen
(4.4.8) und (4.4.14)1:
∫ x × (ρ x& ) dV = ∫ x × x& dm .
(O )
L = (5.7.32)
V (t ) M
5.7.2 Ableitung der Bewegungsgleichungen des starren Körpers … 485
(O )
Der Drehimpuls L hängt von der Wahl des Ursprungs ab.
Zum Beispiel haben wir in der obigen Darstellung den beliebi-
gen Ursprung O aus Abbildung 5.7.1 verwendet. Wir wollen
nun hierfür speziell den Schwerpunkt S wählen. Dann schreibt
sich Gleichung (5.7.14)2:
x=x ⇒ x& = ω × x = ω × x ,
SP SP
(5.7.33)
und es folgt aus Gleichung (5.7.32):
= ∫ x × x& dm = ∫ x × (ω × x ) dm .
(S )
L (5.7.34)
M M
∫ (x ⋅ x ω − x x ⋅ ω ) dm = ∫ (x ⋅ x 1 − x x )⋅ ω dm =
(S )
L = (5.7.35)
M M
⎛ ⎞
⎜ ∫ (x ⋅ x 1 − x x ) dm ⎟ ⋅ ω = Θ ⋅ ω .
⎜ ⎟
⎝M ⎠
Damit wir die Winkelgeschwindigkeit ω vor das Integral ziehen
durften, mussten wir schließlich annehmen, dass es sich um ei-
nen starren Körper handelt, denn nur für diesen gibt es eine
einzige, gemeinsame, eben ortsunabhängige Winkelgeschwin-
digkeit. Wir bilden nun die Zeitableitung des Drehimpulses:
(S )
L& = Θ& ⋅ ω + Θ ⋅ ω& . (5.7.36)
Den zweiten Term in dieser Gleichung hatten wir bereits als den
dritten Term in der Gleichung (5.7.21) identifiziert: Gleichung
(5.7.30). Es bleibt noch, den zweiten Term aus (5.7.21) als den
ersten Term in (5.7.36) zu identifizieren. Dies gelingt wie folgt.
Die zeitliche Änderung des Trägheitstensors ist ausschließlich
bedingt durch die Drehung des bei seiner Berechnung verwen-
deten Koordinatensystems. Es gelten exakt die Argumente, wie
sie bei der Berechnung der Zeitableitung von Ortsvektoren im
Abschnitt 3.3.1 vorgestellt wurden, und in Analogie zu der Glei-
chung (5.7.33)2 findet man, dass gilt:
Θ& = ω × Θ . (5.7.37)
Wir schreiben nun hiermit für die mit dem ersten Term aus
Gleichung (5.7.36) verbundene virtuelle Arbeit:
486 5.7 Dynamische Energieprinzipe
(Θ& ⋅ ω )⋅ δϕ = [(ω × Θ )⋅ ω ]⋅ δϕ
⎧⎪ ⎛ ⎞ ⎫⎪ (5.7.38)
= ⎨ω × ⎜⎜ ∫ (x ⋅ x 1 − x x ) dm ⎟⎟ ⋅ ω ⎬ ⋅ δϕ
⎪⎩ ⎝M ⎠ ⎪⎭
⎧ ⎫
[ ]
= ⎨ ∫ ( x ⋅ x ) (ω × 1) ⋅ ω − (ω × x ) ( x ⋅ ω ) dm⎬ ⋅ δϕ
⎩M ⎭
= ∫ [(x × ω ) (x ⋅ ω )] dm ⋅ δϕ
M
denn es ist:
(x ⋅ x ) (ω × 1)⋅ ω = xr xr ε ijk ω j δ kmω i = 0, (5.7.39)
i =1 j =1
(5.7.46)
( )+ ∑ M
I J
= ∑ F ⋅ δ x + δϕ × x ⋅ δϕ
i S SP ,i j
i =1 j =1
⎛ I i⎞ ⎛ I SP ,i J ⎞
= ⎜ ∑ F ⎟ ⋅ δ x + ⎜⎜ ∑ x × F + ∑ M ⎟ ⋅ δϕ
S i j
⎟
⎝ i =1 ⎠ ⎝ i =1 j =1 ⎠
⋅δ x + M ⋅ δϕ .
app app, S
=F
S
ten, denn es gibt nur einen Schwerpunkt und bei einem starren
Körper nur eine einzige kollektive Drehmöglichkeit. Ferner be-
app
zeichnet F die Summe aller angreifenden äußeren Kräfte und
app, S
M ist die Summe der freien Momente zuzüglich der auf den
Schwerpunkt bezogenen Momente der Einzelkräfte. Einsetzen
der Gleichungen (5.7.44) und (5.7.46) in das Energieprinzip
(5.7.12) führt schließlich auf das D’ALEMBERTsche Prinzip in
LAGRANGEscher Fassung für einen ebenen starren Körper bzw.
für die Drehung eines starren Körpers um eine räumlich feste
Drehachse
δ( A − B ) = F ( app
)
− M &x& ⋅ δ x + M
S S
( app, S
)
− Θ ⋅ ϕ&& ⋅ δϕ = 0 . (5.7.47)
( )⋅ δ x
n
δ( A − B ) = ∑ F
app,i
− M &x&
Si Si
i =1
(5.7.49)
( )
n
+∑ M − Θ ⋅ ϕ&& ⋅ δϕ = 0 .
app, Si i i i
i =1
( )⋅ δ x
3
δ( A − B ) = ∑ F
app,i
− mi &x&
Si Si
i =1
(5.7.50)
( )
3
+∑ M − Θ i ⋅ ϕ&& ⋅ δϕ = 0 .
app, Si i i
i =1
5.7.3 Ein Beispiel zum D’ALEMBERTschen Prinzip in LAGRANGEscher Fassung 489
δϕ 2 δϕ 1
M0 • 2
•
g δx1
3
1
δz 3
d
d t M∫
δP = u& ⋅ δu dm , (5.7.60)
I J
δA = ∑ F ⋅ δ x + ∑ M ⋅ δϕ , δE kin = ∫ u& ⋅ δu& dm .
i i j j
i =1 j =1 M
Wir wollen jetzt die Bewegung des starren Körpers über der Zeit
erfassen. Zu diesem Zweck variieren wir die Bahnkurven, und
zwar so, dass wir fordern, dass die variierten Verschiebungen zu Sir William Rowan HA-
Anfang und zu Ende der Bewegung verschwinden: MILTON wurde am 4. Au-
gust 1805 in Dublin, Irland
δu (t = t A ) = 0 , δu (t = t E ) = 0 . (5.7.61) geboren und starb ebenda
am 2. September 1865.
Damit stellen wir sicher, dass der starre Körper aus einer ganz Vernachlässigt durch seinen
bestimmten Position heraus startet und in einer ganz bestimmten geschäftsreisenden Vater,
Position endet. Gesucht sind seine Zwischenstationen. Indem jedoch gefördert durch sei-
wir nun Gleichung (5.7.59) über die Zeit integrieren, entsteht: ne interlektuell orientierte
Mutter, entwickelte er sich
∫ (δA + δE ) dt .
tE t =t E zum Wunderkind, das mit
∫ u& ⋅ δu dm
M
=
t =t A
kin
(5.7.62) fünf Jahren bereits Latein,
Griechisch und Hebräisch
tA
beherrschte. Sein Interesse
Die linke Seite verschwindet aufgrund der Forderung (5.7.61) an der Mathematik erwach-
te mit ca. zwölf Jahren, wo
und es resultiert: er sich bereits aktiv an Ma-
∫ (δA + δE ) dt = 0 .
t =t E thematikwettbewerben be-
kin
(5.7.63) teiligte. Mit achtzehn Jah-
t =t A ren besucht er schließlich
das Trinity College in Dub-
Diese Beziehung gilt auch für nicht konservative Systeme. Liegt lin, um Naturwissenschaf-
nun speziell der Fall vor, dass die Kräfte in Gleichung (5.7.60)2 ten und „Classics“ zu stu-
dieren. Es wird jedoch be-
aus einem Potenzial U ableitbar sind, so lässt sich schreiben: richtet, dass eine (unglück-
∂U ∂U liche) Liebesaffäre seinen
Fk = − ⇒ δA = F ⋅ δ x = − δxk = −δU . (5.7.64) Notendurchschnitt von
∂ xk ∂ xk „valde bene“ auf „bene“
senkte und er sich sogar
Damit lässt sich Gleichung (5.7.62) wie folgt umschreiben: zeitweise mit dem Gedan-
ken an Selbstmord trug.
∫ (δE )
t =t E t =t E
t =t E
δH = δ ∫ L dt = 0 .
t =t A
(5.7.67)
H= ∫ L dt = 0
t =t A
(5.7.68)
f = p−k , (5.7.69)
und der Vektor generalisierter Koordinaten sowie dessen Zeitab-
leitung besitzt folgende Struktur:
q = (q1 , q 2 , L q f ) , q& = (q&1 , q& 2 , L q& f ). (5.7.70)
( )
δH q ; q& = lim
ε →0
1
ε
[H (q + ε q~ ; q& + ε q~& ) − H (q ; q& )] (5.7.75)
494 5.7 Dynamische Energieprinzipe
t =t E
= lim ∫ ⎢
1
t =t E
( )
⎡ L q + ε q~ ; q& + ε q~& − L(q + ε q~ ; q& ) + ⎤
⎥ dt
⎢ L(q + ε q ; q& ) − L(q ; q& )
ε →0 ε ~
t =t A ⎣ ⎦⎥
t =t E
⎡ f ∂L ~& f
∂L ~ ⎤
= ∫t =t ⎢⎣∑
k =1 ∂q& k
q k + ∑
k = 1 ∂q k
qk ⎥ dt
⎦
A
t =t E
⎡ f ⎛ d ⎛ ∂L ⎞~ ⎤
tE
∂L ~
f
⎞ ∂L
=∑ q − ∫t =t ⎢⎢∑ ⎜ ⎜
⎜ ⎜ &
⎟⎟ − ⎟ qk ⎥ dt .
⎟
k =1 ∂q
&k k tA A ⎣
k =1 ⎝ dt ⎝ ∂q k ⎠ ∂qk ⎠ ⎦⎥
Aufgrund der Bedingungen (5.7.74) verschwindet der nach par-
tieller Integration entstandene, ausintegrierte Anteil. Wegen der
Unabhängigkeit der Größen q~k darf man ferner auf das Ver-
schwinden des zweiten Integranden schließen, und man erhält
f Stück der sogenannten EULER-LAGRANGEschen Bewe-
gungsgleichungen:
d ⎛ ∂L ⎞ ∂L
⎜ ⎟⎟ − = 0 , k =1, 2 ,L, f . (5.7.76)
dt ⎜⎝ ∂q& k ⎠ ∂q k
Wie zuvor gesagt, hängt die potenzielle Energie U q stets nur ()
von den generalisierten Koordinaten und nicht von deren Zeitab-
leitungen, also von den generalisierten Geschwindigkeiten q& ,
ab.
Entsprechendes gilt jedoch nicht für die kinetische Energie
( )
E kin q , q& . Mithin können wir unter Verwendung von Glei-
chung (5.7.71) die EULER-LAGRANGEschen Bewegungsglei-
chungen auch folgendermaßen schreiben:
d ⎛⎜ ∂E kin ⎞ ∂E kin
⎟− ∂U
=− = Qk , k = 1 , 2 , L , f . (5.7.77)
dt ⎜⎝ ∂q& k ⎟ ∂q
⎠ k ∂q k
∫L dt = 0 , L* = A + E kin .
*
δ (5.7.78)
t =t A
∂q k
k k
k =1
*
wobei mit dem Symbol Q die nicht konservativen, generali-
sierten Kräfte bezeichnet wurden.
Die obige Argumentationskette zur Herleitung der EULER-
LAGRANGEschen Bewegungsgleichungen bleibt ansonsten erhal-
ten, und man findet für den nicht konservativen Fall folgendes
Analogon zur Gleichung (5.7.77):
y
d ⎛⎜ ∂E kin ⎞ ∂E kin
⎟− = Q k + Q k* , k = 1 , 2 , L , f . (5.7.80) m
dt ⎜⎝ ∂q& k ⎟ ∂q
⎠ k g
( x& , y& ) y = ax2
5.7.7 Beispiel I zu den EULER-
LAGRANGEschen Bewegungs-
gleichungen: Geführte Punktmasse x
Betrachte die in der Abbildung 5.7.3 dargestellte Situation. Ein
Massenpunkt bewegt sich unter dem Einfluss der Erdschwere
Abb. 5.7.3: Eine geführ-
auf einer parabolisch geformten Schiene reibungsfrei auf und ab.
te Bewegung.
Die Bewegung des Massenpunktes ist also in der ( x , y ) -Ebene
festgeschrieben, aufgrund der Schienenführung jedoch sind bei-
de Koordinaten nicht voneinander unabhängig, sondern stets
gemäß der Parabelgleichung miteinander verknüpft:
y = ax 2 , (5.7.81)
wobei a eine geeignet zu wählende Konstante bezeichnet.
Wir müssen uns nun für eine generalisierte Koordinate entschei-
den, und ohne Beschränkung der Allgemeinheit wählen wir hier-
für x . Als Nächstes konstruieren wir die LAGRANGE-Funktion
496 5.7 Dynamische Energieprinzipe
sin (ϕ ) = 0 ,
g
ϕ&& + (5.7.102)
l
also wieder die Schwingungsgleichung für das Fadenpendel. Als
zweiten Spezialfall untersuchen wir die Situation eines „freien“
Klotzes, nehmen also die Feder aus dem System heraus: c = 0 .
Dann entsteht aus der ersten Differenzialgleichung:
&x& = −
m2 l
m1 + m 2
[ ]
ϕ&& cos(ϕ ) − ϕ& 2 sin (ϕ ) . (5.7.103)
⎡ ⎤
cos 2 (ϕ )⎥ lϕ&& +
m2
⎢1 −
⎣ m1 + m2 ⎦ (5.7.104)
sin (ϕ ) cos(ϕ ) ϕ& 2 + g sin (ϕ ) = 0 .
m2l
m1 + m2
Diese Gleichung kann man noch hinsichtlich kleiner Auslen-
kungen linearisieren:
cos(ϕ ) ≈ 1 , sin (ϕ ) ≈ 0 (5.7.105)
und dann entsteht:
g m1 + m 2
ϕ&& + ϕ = 0. (5.7.106)
l m1
Offenbar schwingt das Pendel jetzt mit einer anderen Eigenfre-
quenz, nämlich:
g m1 + m 2
ω2 = , (5.7.107)
l m1
denn der Klotz nimmt ja an der Bewegung zum Pendel gegen-
läufig teil.
R
x
mg α
Abb. 5.7.7: Eine den Berg herunterrollende Walze.
Selbstverständlich ist die Rollbedingung zu beachten:
x& = R ϕ& , (5.7.116)
und es wird möglich, eine einzige generalisierte Koordinate,
nämlich x , zu verwenden:
⎛ Θ ⎞
E kin = 12 ⎜ m + 2 ⎟ x& 2 . (5.7.117)
⎝ R ⎠
Aus in diesem Fall handelt es sich wieder um ein konservatives
System. Die potenzielle Energie besteht lediglich aus einem
Gravitationsanteil, und wir dürfen bis auf eine Normierungskon-
stante schreiben:
U = −m g x sin (α ) . (5.7.118)
Die LAGRANGE-Funktion lautet somit:
⎛ Θ ⎞
L = E kin − U = 12 ⎜ m + 2 ⎟ x& 2 + m g x sin (α ) , (5.7.119)
⎝ R ⎠
und die Bewegungsgleichung ergibt sich nach Ausführung der
entsprechenden Differenziationen nach der generalisierten Ko-
ordinate x und ihrer Zeitableitung zu:
⎛ Θ ⎞
⎜ m + 2 ⎟ &x& − m g sin (α ) = 0 ⇒ &x& = sin (α ) . (5.7.120)
mg
⎝ R ⎠ Θ
m+ 2
R
Dies entspricht dem per Freischnitt über die NEWTONsche Me-
thode gewonnenen Ergebnis aus Abschnitt 3.3.2.
5.7.12 Beispiel VI zu den EULER-LAGRANGEschen Bewegungsgleichungen … 503
( )
2
( )
2
( ) 2
( ) 2
E kin = 12 m3 z& 3 + 12 Θ 2 ϕ& 2 + 12 m1 x&1 + 12 Θ1 ϕ& 1 . (5.7.124)
M0
+ m3 g
R2
&z& =
3
.
Θ2 m1 Θ1
m3 + + +
(R2 )2 4 4(R1 )2
Dieses stimmt offensichtlich mit dem zuvor gefundenen Ergeb-
nis aus Gleichung (5.7.58) überein.
( )⋅ δ x
n
δ (A − B) = ∑ F
app,i
− mi &x& +
Si Si
i =1
(5.7.128)
∑ (M )
n
− Θ i ⋅ ϕ&& ⋅ δϕ = 0
app, S i i i
i =1
bzw. auch:
( )
p
δ ( A − B ) = ∑ K j − m j &f&j δf j = 0 , (5.7.129)
j =1
i ∂F
k i
mj f j = K j +∑λ
&& , j =1,L, p. (5.7.133)
i =1 ∂ fj
Dieses sind die LAGRANGEschen Gleichungen 1. Art. Es ist
üblich, den Ausdruck:
k
∂F i
Z j = ∑ λi , j =1,L, p (5.7.134)
i =1 ∂ fj
als generalisierte Zwangskraft zu deuten, die dafür Sorge
trägt, dass die Körper in ihrer Bewegung den kinematischen Ne-
benbedingungen genügen. D. h., man schreibt anstelle von Glei-
chung (5.7.133):
m j &f&j = K j + Z j , j = 1 , L , p . (5.7.135)
sin (ϕ ) .
g
ϕ&& = − (5.7.141)
l
Um diese Gleichung zu lösen, multiplizieren wir sie auf beiden
Seiten mit ϕ& und schließen:
d ⎛1 2 ⎞
⎜ ϕ& − ω cos(ϕ )⎟ = 0
2
dt⎝2 ⎠ (5.7.142)
1 2
ϕ& − ω 2 cos(ϕ ) = const.t , ω 2 = .
g
⇒
2 l
Um die Konstante zu bestimmen, formulieren wir als Anfangs-
bedingungen:
ϕ (t = 0) = ϕ 0 , lϕ& (t = 0) = υ 0 (5.7.143)
und finden, dass:
⎛ϕ ⎞ ⎛ϕ ⎞
lϕ& = ± 4 gl sin 2 ⎜ 0 ⎟ − sin 2 ⎜ ⎟ . (5.7.146)
⎝ 2 ⎠ ⎝2⎠
Wir definieren noch:
⎛ϕ ⎞
sin 2 ⎜ 0 ⎟ = k 2 < 1 . (5.7.147)
⎝ 2 ⎠
Man beachte, dass dies bei einem schwingenden Pendel eine
Größe ist, die stets kleiner als eins bleibt, da in diesem Fall der
maximale Anfangswinkel unterhalb von π liegt ( ϕ 0 < 180° ).
508 5.7 Dynamische Energieprinzipe
Gleichung (5.7.146) lässt sich nach der Zeit wie folgt integrie-
ren:
⎛ ϕ~ ⎞
ϕ d ⎜ ⎟
g
t = ±∫ ⎝2⎠ . (5.7.148)
l ⎛ ~⎞
ϕ
ϕ0
k 2 − sin 2 ⎜ ⎟
⎝2⎠
Indem man nun noch einen Winkel ψ wie folgt einführt:
⎛ϕ ⎞
k sin (ψ ) = sin ⎜ ⎟ , (5.7.149)
⎝2⎠
folgt für Zähler und Nenner unter dem Integral in der Gleichung
(5.7.148):
⎛ϕ ⎞ k cos(ψ ) dψ
d⎜ ⎟ = ,
⎝2⎠ 1 − k 2 sin 2 (ψ )
T
=−
l
[F (k ,0) − F (k ,ψ 0 )] = l
F (k ,ψ 0 ) . (5.7.153)
4 g g
5.7.14 Beispiel I zu den LAGRANGEschen Bewegungsgleichungen 1. Art 509
F (k ,ψ ) .
T l
t= − (5.7.154)
4 g
Für die Zeit, bis zur der das Pendel die Lage ϕ = −ϕ 0 erreicht,
also eine halbe Schwingung vollendet ist, gilt aufgrund der Glei-
chungen (5.7.147/149):
π T T l ⎛ π⎞
ψ =− ⇒ = − F ⎜ k ,− ⎟ . (5.7.155)
2 2 4 g ⎝ 2⎠
Es gilt:
⎛ π⎞ ⎛ π⎞
− F ⎜ k ,− ⎟ = F ⎜ k , ⎟ = K (k ) , (5.7.156)
⎝ 2⎠ ⎝ 2⎠
und man nennt die Größe:
π 2
dψ
K (k ) = ∫ (5.7.157)
0 1 − k 2 sin 2 (ψ )
das vollständige elliptische Integral 1. Art. Es ist ebenfalls für
gegebene Werte k tabelliert. Für die Schwingungsdauer wird
somit:
K (k ) .
l
T =4 (5.7.158)
g
Wählen wir beispielsweise einen anfänglichen Auslenkungs-
winkel ϕ 0 = 5° , so findet man in der Tabelle:
k = sin (2,5°) ⇒ K (k ) = 1,5716 L . (5.7.159)
Man sieht also, dass die Abweichung zur Schwingungsdauer der
linearisierten Schwingungsgleichung:
g 2π
ϕ&& = − ϕ ⇒ T = (5.7.160)
l g l
äußerst gering ist. Wie gering, lässt sich ermitteln, indem man
den Integranden des vollständigen elliptischen Integrals in eine
Reihe entwickelt und danach Term für Term integriert:
π2
dψ
K (k ) = ∫
0 1 − k 2 sin 2 (ψ )
(5.7.161)
π2
= ∫ [1 +
0
1
2
]
k 2 sin 2 (ψ ) + 21⋅⋅34 k 4 sin 4 (ψ ) + L dψ
510 5.7 Dynamische Energieprinzipe
=
π
2
[ ] [ π
]
1 + ( 12 ) k 2 + ( 21⋅⋅34 ) k 4 + L = 1 + 5 ⋅10 −4 ,
2 2
2
wobei im letzten Schritt der oben genannte Auslenkungswinkel
zur Berechnung von k verwendet wurde. Die Korrektur ist also
sehr klein. Sie wird natürlich umso bedeutender, je größer der
anfängliche Auslenkungswinkel ist.
∂F 1
m 2 &x&2 = m 2 g + λ1 = m 2 g + λ1 . (5.7.163)
∂x 2
Elimination des LAGRANGEschen Multiplikators aus beiden
Gleichungen führt auf:
m1 &x&1 − m2 &x&2 = (m1 − m2 ) g . (5.7.164)
Zweifache Differenziation der Nebenbedingung (5.7.162) nach
der Zeit ergibt außerdem:
&x&1 = − &x&2 (5.7.165)
und somit folgt:
m1 − m2
&x&1 = g. (5.7.166)
m1 + m2
Dies ist aber wieder das Ergebnis aus Abschnitt 5.7.9, wenn man
das Trägheitsmoment der Schwungscheibe vernachlässigt. Will
man dieses berücksichtigen, so muss man eine weitere Neben-
bedingung beachten, nämlich die Abrollbedingung (5.7.110).
Diese ist inkrementell in der Zeit formuliert, und wir schreiben
daher:
5.7.16 Klassifizierung kinematischer Bedingungen 511
∂F 2 ∂F 2 ∂F 2
dF = 0 =
2
dx1 + dx 2 + dϕ = dx1 − R dϕ . (5.7.167)
∂x1 ∂x 2 ∂ϕ
Damit folgt:
∂F 2 ∂F 2 ∂F 2
=1 , =0 , = −R . (5.7.168)
∂x1 ∂x 2 ∂ϕ
Man erhält aus den Formeln (5.7.133) nun folgende LAGRANGE-
schen Gleichungen 1. Art:
∂F 1 ∂F 2
m1 &x&1 = m1 g + λ1 + λ2 = m1 g + λ1 + λ2 ,
∂x1 ∂x1
∂F 1 2 ∂F
2
m2 &x&2 = m2 g + λ1 +λ = m2 g + λ1 , (5.7.169)
∂x 2 ∂x 2
∂F 1 ∂F 2
Θ ϕ&& = λ1 + λ2 = −λ 2 R .
∂ϕ ∂ϕ
Hieraus eliminiert man nun beide LAGRANGEsche Multiplikato-
ren λ1 und λ 2 , sodass entsteht:
Θ
m1 &x&1 − m2 &x&2 = (m1 − m2 )g − ϕ&& . (5.7.170)
R
Aufgrund der Beziehungen (5.7.165) und (5.7.167) gewinnt man
hieraus das bekannte Ergebnis (5.7.114).
m
F ( x, z , t ) = x 2 + [z − Z (t )] − l 2 = 0 .
2
(5.7.173)
Man nennt solche explizit zeitabhängigen Nebenbedingungen
b) fließend oder auch nach dem entsprechenden griechischen Wort
z rheonom und wir schreiben allgemein:
x F i ( f1 , f 2 , L , f p , t ) ≡ F i ( f j , t ) = 0 ,
Z(t ) (5.7.174)
j = 1 , L , p , i = 1 , L , k.
l Oft haben wir die Nebenbedingungen auch in differenzieller
Form verwendet, also geschrieben:
m
∂F i ( f j )
dF ( f j ) = 0 ⇒
p
i
∑j =1 ∂ fj
d f j = 0 , i =1,L, k , (5.7.175)
bzw.:
p ∂F i ( f j , t ) & ∂F i ( f j , t )
∑
j =1 ∂ fj
fj +
∂t
= 0 , i =1,L, k . (5.7.178)
∑ ξ ( f ) f&
p
i
j j j = 0 bzw.
j =1
5.7.16 Klassifizierung kinematischer Bedingungen 513
∑ ξ ( f , t ) f& + ξ 0i ( f j , t ) = 0 , i = 1 , L , k ,
p
i
j j j (5.7.179)
j =1
∂F i ( f j )
gibt, sodass ξ = i
,
∂ fj
j
i = 1, 2, L , k , j = 1, 2, L , 3n gilt
&x& + ω 2 x = ω 2 X (t ) , ω 2 =
g
. (5.7.188)
l
Das ist die Differenzialgleichung einer angeregten eindimensio-
nalen Schwingung. Die Führung wirkt also wie eine externe
Kraftanregung. Im Falle des vertikal geführten Pendels entsteht
hingegen:
Z&& + g
&x& + ω 2 x = 0 , ω 2 = . (5.7.189)
l
Dieses ist die Schwingungsgleichung eines linearen eindimensi-
onalen Oszillators, falls man noch fordert, dass:
Z&& = a = const t . (5.7.190)
Falls wir speziell das frei fallende Pendel betrachten, also wäh-
len:
Z&& = − g , (5.7.191)
so folgt:
2π
&x& = 0 , ω 2 = 0 ⇒ T = = ∞. (5.7.192)
ω
516 5.7 Dynamische Energieprinzipe
Dies bedeutet, das Pendel fällt einfach frei nach unten und
schwingt überhaupt nicht, so wie man es auch anschaulich er-
wartet.
d ⎛ ∂L ⎞ ∂L
⎜ ⎟⎟ − = 0 , k =1, 2 ,L, f . (5.7.193)
dt ⎜⎝ ∂q& k ⎠ ∂q k
Wie wir wissen, führt das auf f Stück Differenzialgleichungen
für die f Stück unbekannten generalisierten Koordinaten q k .
Um zu vermeiden, ein Differenzialgleichungssystem zweiter
Ordnung lösen zu müssen, bedient man sich gerne eines Tricks.
Man führt f Stück neue Unbekannte dergestalt ein, dass aus
dem System zweiter Ordnung ein System erster Ordnung wird,
allerdings von doppelter Größe. In diesem Sinne verwenden wir
nun anstatt der Zeitableitungen q& k die f Stück neuen Unbe-
kannten, genannt generalisierte Impulse p k , wie folgt:
∂L
pk = , k =1, 2 ,L, f . (5.7.194)
∂q& k
Damit geht man in die LAGRANGEschen Bewegungsgleichungen
2. Art und folgert, dass gilt:
∂L
p& k = , k =1, 2 ,L, f . (5.7.195)
∂q k
Die 2 × f Stück Gleichungen (5.7.194/195) erster Ordnung zei-
gen bereits eine gewisse Symmetrie, die sich durch eine LE-
GENDRE-Transformation, d. h. differenzielle Variablentrans-
formation von (q k , q& k , t ) auf (q k , p k , t ) , noch weiter steigern
lässt. Es gilt nämlich (rheonome Nebenbedingungen angenom-
men):
L = L(q k , q& k , t ) ⇒
f
⎛ ∂L ∂L ⎞ ∂L (5.7.196)
dL = ∑ ⎜⎜ dq k + dq& k ⎟⎟ + d t.
k =1 ⎝ ∂q k ∂q& k ⎠ ∂t
Mit den Gleichungen (5.7.194/195) wird hieraus:
5.7.18 Die HAMILTONschen Bewegungsgleichungen 517
f
∂L
d L = ∑ ( p& k dq k + p k dq& k ) + dt (5.7.197)
k =1 ∂t
f f
∂L
= d ∑ ( p k q& k ) + ∑ (− q& k dp k + p& k dq k ) + dt
k =1 k =1 ∂t
oder auch:
⎛ f ⎞ f
∂L
d⎜⎜ ∑ ( p k q& k ) − L ⎟⎟ = ∑ (q& k dp k − p& k dq k ) − dt . (5.7.198)
⎝ k =1 ⎠ k =1 ∂t
Die Kombination von Termen auf der linken Seite nennt man
auch HAMILTONsche Funktion. Sie ist jedoch nicht zu ver-
wechseln mit der HAMILTONschen „Wirkung“ nach Gleichung
(5.7.68), und wir verwenden daher ein leicht anderes Symbol:
f
H = ∑ ( p k q& k ) − L = H(q k , p k , t ) . (5.7.199)
k =1
f
H = ∑ p k q& k ( p k ) − L(q k , p k , t ) . (5.7.202)
k =1
Dabei sind die Größen c k reine, insbesondere von der Zeit un-
abhängige Zahlenkonstanten.
Satz 3
Eine HAMILTON-Funktion, die nicht explizit von der Zeit abhän-
gig ist, ist ebenfalls eine Erhaltungsgröße, denn nach den Glei-
chungen (5.7.200/201) gilt allgemein:
5.7.18 Die HAMILTONschen Bewegungsgleichungen 519
H = H(q1 , L , q f , p1 , L , p f , t ) ⇒ (5.7.207)
dH f
∂H f
∂H ∂H
=∑ q& k + ∑ p& k +
d t k =1 ∂qk k =1 ∂pk ∂t
f
∂H ∂H
= ∑ (− p& k q& k + q& k p& k ) + = .
k =1 ∂t ∂t
Für die nicht explizit zeitabhängige HAMILTON-Funktion folgt
somit:
dH ∂H
= = 0 ⇒ H = const.t = E . (5.7.208)
dt ∂t
Man nennt die Gleichung (5.7.208) auch das Energieintegral,
da es für konservative Systeme E gerade die Gesamtenergie
angibt. Letzteres sieht man wie folgt ein. Allgemein ist die kine-
tische Energie E kin eines Starrkörpersystems in generalisierten
Koordinaten gegeben durch:
E kin = ∑ α jk (ql ) q& j q& k , (5.7.209)
j ,k
∑ q&
m
m p m = 2E kin . (5.7.213)
520 5.7 Dynamische Energieprinzipe
und Letzteres ist offenbar nichts anderes als die gesamte Energie
des (konservativen) Starrkörpersystems. Einige Beispiele sollen
das Arbeiten mit dem HAMILTONschen Formalismus erläutern.
E kin =
m 2
2
( )
x& + y& 2 + z& 2 =
m 2
2
(
q&1 + q& 22 + q& 22 ,)
U = mgz = mgq3 . (5.7.216)
Hieraus ergibt sich die LAGRANGE-Funktion zu:
L = E kin − U =
2
(
m 2
)
q&1 + q& 22 + q& 22 − mgq3 . (5.7.217)
H=
1
2m
( )
p12 + p 22 + p32 + mgq3 = E . (5.7.219)
5.7.19 Beispiel I zu den HAMILTONschen Gleichungen: … 521
z (t ) = z 0 − (t − t 0 )2 .
g
(5.7.224)
2
In gleicher Weise werden nun die Gleichungen (5.7.220) nach
der Zeit integriert und auf die Ausgangsvariablen zurückgeführt:
a1
x(t ) = x0 + (t − t 0 ) , y(t ) = y 0 + a 2 (t − t 0 ) . (5.7.225)
m m
522 5.7 Dynamische Energieprinzipe
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