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Gunter Kullmer
Biomechanik
Anwendungen mechanischer
Prinzipien auf den menschlichen
Bewegungsapparat
2. Auflage
Biomechanik
Hans Albert Richard · Gunter Kullmer
Biomechanik
Anwendungen mechanischer Prinzipien
auf den menschlichen Bewegungsapparat
2. Auflage
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail-
lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Vorwort
Das vorliegende Lehr- und Übungsbuch „Biomechanik“ mit anwendungsnahen Beispielen und
Übungsaufgaben beschäftigt sich insbesondere mit der Anwendung der Technischen Mechanik
auf den menschlichen Bewegungsapparat.
Unter dem Motto „Lasst Bilder und Skizzen sprechen“ werden zunächst in einem Anfangska-
pitel Definitionen sowie Aufgaben und Fragestellungen der Biomechanik dargestellt und for-
muliert. Dies soll die Motivation, sich mit dem Inhalt des Buches auseinander zu setzen, erhö-
hen und es dem Leser von Anfang an ermöglichen, auch notwendige Details in einem Gesamt-
zusammenhang zu sehen. Erst nach diesem Anfangskapitel werden dann alle wesentlichen
Grundlagen und ihre Anwendungen dargestellt.
Diese Vorgehensweise hat sich in zahlreichen Lehrveranstaltungen, welche von den Autoren
an der Universität Paderborn gehalten werden, bewährt. Sie führt zu einer hohen Aufmerk-
samkeit von Beginn an und einer aktiven Mitwirkung der Studierenden in Vorlesungen und
Übungen.
Zunächst beschäftigt sich dieses Buch mit der Statik des Stützapparats des Menschen, mit der
Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats sowie der Kinematik und Kinetik der Bewegun-
gen. D. h. die wesentlichen Grundlagen der Mechanik werden kurz und allgemeinverständlich
dargestellt und finden dann Anwendung auf den menschlichen Bewegungsapparat. Zahlreiche
besonders hervorgehobene Beispiele vertiefen den Stoff. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich
mit dem Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats. Hier werden
die Eigenschaften und die biomechanischen Funktionen der Knochen, Bänder, Sehnen und
Muskeln sowie die Anatomie und Funktion der Gelenke beschrieben. Sehr anwendungsnah ist
auch das Kapitel „Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats“. Dabei steht insbeson-
dere die Anwendung der Finite-Elemente-Methode diese gehört im Ingenieurbereich zu
einem Standardwerkzeug auf biomechanische Vorgänge, wie z. B. die Ermittlung von Be-
wegungen und Kraftwirkungen beim Kniegelenk im Vordergrund. Das abschließende Kapitel
„Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin“ beschäftigt sich unter anderem
mit Wurf- und Stoßbewegungen in der Leichtathletik, Fahrradfahren bei Windstille, Rücken-
und Gegenwind, präoperativen Studien, Knochenbrüchen und ihrer Heilung, der Entwicklung
eines künstlichen Kniegelenks und weiteren Praxisbeispielen.
Dieses fachübergreifende Buch wendet sich an Studierende der Ingenieurwissenschaft und
angrenzender Gebiete, sowie an in der Praxis tätige Ingenieure und Naturwissenschaftler, die
ihre Kenntnisse in den Naturwissenschaften oder ihr Ingenieurwissen zur Lösung von biome-
chanischen oder medizinischen Fragestellungen nutzen wollen.
Das Buch soll aber auch als zuverlässiger Ratgeber für Medizin- und Sportstudenten sowie für
in der Lehre oder in der Praxis tätige Mediziner und Sportwissenschaftler dienen. Insbesondere
Orthopäden oder Orthopädietechniker finden in diesem Buch viele grundlegende Anregungen.
Die Biomechanik ist nicht allein durch das Lesen dieses Buches erlernbar. Notwendig sind das
selbständige Bearbeiten und Lösen von Fragestellungen. Dieses Buch versteht sich daher auch
als Arbeitsanleitung. Die zahlreichen Beispiele können und sollen vom Leser nachvollzogen
werden, um somit den eigenen Kenntnisstand zu überprüfen.
VI Vorwort zur 2. Auflage
In diesem Sinne wünschen wir dem Leser viel Freude beim Erlernen und Nachvollziehen der
Grundlagen der Biomechanik und beim Anwenden der in diesem Buch beschriebenen Konzep-
te und Methoden.
Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Herrn Dr. med. Dietrich Nöcker, Paderborn, für die wert-
vollen Ideen und Anregungen und die konstruktiven Diskussionen. Herrn Dipl.-Ing. Andre
Riemer danken wir für das Zeichnen der Bilder und das Übertragen der Texte und Formeln in
das Manuskript sowie für die zahlreichen Anregungen zur Buchgestaltung. Danken möchten
wir auch Frau Dipl.-Ing. Cornelia Glaschick, Frau Dipl.-Ing. Melanie Stephan, Frau Dipl.-Ing.
Annika Schneider, Frau cand. Ing. Nicole Löseke sowie allen derzeitigen und ehemaligen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fachgruppe Angewandte Mechanik der Universität
Paderborn für die Unterstützung dieses Projektes.
Unser Dank gilt insbesondere auch der Stiftung Westfalen, Paderborn (Stifter: Heinz Nixdorf)
für die Förderung zahlreicher in diesem Buch zusammengefasster Forschungsarbeiten.
Danken möchten wir dem Verlag Springer Vieweg für die gewährte Unterstützung und insbe-
sondere Herrn Thomas Zipsner für das Lektorat und die wertvollen Hinweise.
Die positive Resonanz auf die 1. Auflage hat uns dazu bewogen, das Grundkonzept des Fach-
und Lehrbuchs „Biomechanik“ konsequent fortzusetzen. Wir sind dankbar für die Hinweise,
die dazu führten, dass einige kleine Fehler beseitigt werden konnten. Aufgrund von Anregun-
gen wurde das Kapitel „Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin“ um das
Unterkapitel „Optimierung der Tritttechnik beim Fahrradfahren“ erweitert.
Danken möchten wir dem Verlag Springer Vieweg für die vorzügliche Unterstützung und
insbesondere Herrn Thomas Zipsner für das Lektorat und die wertvollen Hinweise. Dem Leser
wünschen wir viel Erfolg beim Anwenden der Biomechanik.
Dieses Lehr- und Übungsbuch „Biomechanik“ beschäftigt sich insbesondere mit den Grundla-
gen der Mechanik und den Anwendungen auf den menschlichen Bewegungsapparat. Bevor mit
der Vermittlung des Basiswissens durch Theorie, anwendungsnahe Beispiele und Übungsauf-
gaben begonnen wird, werden zunächst die verschiedenen Ausprägungen der Biomechanik
erläutert und definiert. Daran schließt sich eine Kurzbeschreibung des Grundaufbaus des
menschlichen Bewegungsapparats an, damit bei der Vermittlung der Grundlagen der Mechanik
bereits auf den Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen Bezug genommen werden kann.
Die Aufgaben und die Einteilung der Biomechanik werden in weiteren Kapiteln erläutert. Das
Unterkapitel „Spezielle Fragestellungen der Biomechanik“ soll das Interesse an den weiteren
Inhalten des Buches wecken und es ermöglichen, die notwendigen Details bei der Vermittlung
der Grundlagen in einem Gesamtzusammenhang zu sehen. Die Schwerpunkte und Inhalte der
weiteren Kapitel werden daran anschließend zusammenfassend dargestellt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_1
2 1 Biomechanik – Definitionen, Aufgaben und Fragestellungen
Schädel (Cranium)
Schultergelenk
(Articulatio humeri)
Schlüsselbein (Clavicula)
Schulterblatt (Scapula)
Brustbein (Sternum)
Ellenbogengelenk Oberarmknochen (Humerus)
(Articulatio cubiti)
Rippe (Costa)
Wirbelsäule (Columna vertebralis)
Hüftgelenk
(Articulatio coxae) Elle (Ulna)
Speiche (Radius)
Kreuzbein (Sacrum)
Schienbein (Tibia)
Wadenbein (Fibula)
a) b)
Schenkelbinden-
spanner
(Tensor fasciae latae)
Zweiköpfiger Großer Gesäßmuskel
Armmuskel „Bizeps“ (Glutaeus maximus) Äußerer
(Bizeps brachii) Schenkelmuskel
Zweiköpfiger (Vastus lateralis)
Schenkelmuskel
Oberarm- (Bizeps femoris)
Verstärkungszug
speichenmuskel der Schenkelbinde
(Brachioradialis) Fingerbeuger (Tractus iliotibialis)
(Flexor digitorum)
Vorderer
Zwillingswadenmuskel Schienbeinmuskel
(Gastrocnemius) (Tibialis anterior)
Da sich Muskeln aktiv nur verkürzen aber nicht verlängern können, sind für die Ausführungen
der möglichen Bewegungen und der Sicherung eines jeden Gelenks mehrere Muskeln erfor-
derlich. Wird ein Muskel für die Bewegung eines Gelenks eingesetzt, bewegt er nicht nur das
Gelenk, sondern dehnt auch den für die Gegenbewegung verantwortlichen Muskel. In Bild 1-2
sind exemplarisch die wichtigsten Muskeln, die in der Vorderansicht des Arms bzw. in der
Außenansicht des Beins sichtbar sind, dargestellt. Dabei ist der längs des Oberarms angeordne-
te, als „Bizeps“ bekannte, zweiköpfige Armmuskel für die Beugung des Arms und die im Un-
terarm befindlichen Flexoren sind für die Beugung der Finger zuständig. Der als „Quadrizeps“
bekannte, vierköpfige Schenkelstrecker, der im vorderen Bereich des Oberschenkels angeord-
net ist, streckt das Bein im Kniegelenk, während der auf der Rückseite des Oberschenkels
angeordnete zweiköpfige Schenkelmuskel das Kniegelenk beugt. In Bild 1-2 ist von dem vier-
köpfigen Schenkelstrecker mit dem äußeren Schenkelmuskel nur der von der Außenseite
sichtbare Kopf dargestellt. Die Bewegung des Beins im Hüftgelenk erfolgt im Wesentlichen
mit Hilfe des großen Gesäßmuskels, der aber auch zusammen mit dem Schenkelbindenspanner
über den Verstärkungszug der Schenkelbinde für die Statik des Beins und des Hüftgelenks
beim Einbeinstand bzw. beim Gehen zuständig ist.
4 1 Biomechanik – Definitionen, Aufgaben und Fragestellungen
y x-y-Ebene
y-z-Ebene
v
P
Bahnkurve
yp
r
x
Bild 1-3
p Kartesische Koordinaten zur Beschrei-
xp
bung der Lage und Bewegung eines
z Körpers im Raum
x-z-Ebene
Um die Lage und Ausrichtung von Teilen des menschlichen Bewegungsapparats zu beschrei-
ben, werden dagegen in der Anatomie und deshalb auch in der Biomechanik Achsen- und
Ebenenbezeichnungen verwendet, die fest mit dem menschlichen Körper verbunden sind und
sich auf den aufrecht stehenden Menschen beziehen, Bild 1-4.
Die Longitudinal- bzw. Längsachse, die Sagittalachse und die Transversal- bzw. Frontalachse
sind drei zueinander senkrechte Achsen, die sich im Körperschwerpunkt schneiden. Die
Längsachse verläuft von unten nach oben, die Sagittalachse von hinten nach vorne und die
Frontalachse von links nach rechts. Diese Achsen spannen paarweise die anatomischen Ebenen
auf. Die Ebene, die von der Längs- und der Frontalachse aufgespannt wird, und alle dazu pa-
rallelen Ebenen heißen Frontalebenen. Die Ebene, die von der Längs- und der Sagittalachse
gebildet wird, und alle dazu parallelen Ebenen heißen Sagittalebenen, wobei die mittig liegen-
de Sagittalebene, die den Körper symmetrisch in eine linke und eine rechte Hälfte teilt, auch
als Medianebene bezeichnet wird. Transversalebenen sind die Ebene, die von Frontal- und der
Sagittalachse aufgespannt wird und alle dazu parallelen Ebenen.
Da es sich bei den anatomischen Achsen und Ebenen um ein mit dem Körperzentrum mitbe-
wegtes Koordinatensystem handelt, sind die Lage- und Richtungsangaben unabhängig von der
Position des Körpers relativ zur Umgebung. So ist die Wand eines Raums eine Frontalebene,
wenn ein Mensch mit dem Rücken zur Wand steht, aber auch der Boden des Raums eine Fron-
talebene, wenn der Mensch mit dem Bauch auf dem Boden liegt.
1.2 Grundaufbau des menschlichen Bewegungsapparats 5
Längsachse Sagittalebene
Frontalebene
Schwerpunkt
Transversalebene
S
Sagittalachse
Frontalachse
Bild 1-4
Achsbezeichnungen und
Ebenen beim menschli-
chen Bewegungsapparat
anterior vorne
distal entfernt,
vom Rumpf weg
cranial dorsal rückenwärts
proximal ventral caudal fußwärts
lateral cranial kopfwärts
caudal
lateral zur Seite hin
medial dorsal medial zur Mitte hin
distal
proximal nah, zum Rumpf hin
posterior hinten
ventral bauchwärts
proximal
anterior posterior
distal proximal
lateral dorsal ventral
anterior caudal cranial
medial lateral medial
distal posterior
1*
3*
(1*) Abduktion Abspreizung
1* 1
3* 3
So wird bei der Relativbewegung des Unterschenkels zum Oberschenkel zwischen Flexion
und Extension im Kniegelenk unterschieden, wenn das Bein im Kniegelenk gebeugt oder ge-
streckt wird, obwohl in beiden Fällen eine Drehung des Unterschenkels relativ zum Ober-
schenkel um dieselbe Transversalachse des Kniegelenks stattfindet.
Aus biomechanischer Sicht ist es allerdings sinnvoll, die beiden entgegengesetzten Relativbe-
wegungen eines Gelenks separat zu betrachten, weil jeweils unterschiedliche Muskeln zum
Einsatz kommen, während dazu bei einem technischen Gelenk in der Regel nur die Drehrich-
tung des Gelenkantriebs geändert werden muss. Die wesentlichen in der Biomechanik üblichen
Bezeichnungen für die Relativbewegungen beim Bewegungsapparat und ihre Bedeutungen
sind in Bild 1-6 zusammengefasst.
a) b)
7%
43%
43
3,6% 6,5% 60 40
57
43
2,2% 60
40
57
30
0,7% 43
70
11,4% 18,5%
57 45
43
5,3% 55
57
1,8% 43
57
Außerdem müssen für die Körperteile die Masse und die Schwerpunktslage bekannt sein. Je
nach Aufgabenstellung kann dabei z. B. ein Bein als ein starres Teilsystem, das sich als Ganzes
im Hüftgelenk relativ zum Rumpf bewegt oder als ein aus starren Einzelteilen, dem Ober-
schenkel, dem Unterschenkel und dem Fuß zusammengesetztes Teilsystem betrachtet werden.
Die dafür notwendigen Teilmassen und Teilkörperschwerpunkte sind in Bild 1-7 angegeben.
· Ermittlung der Belastungen und Beanspruchungen für den gesunden und den erkrankten
Bewegungsapparat
· Erarbeitung von Hinweisen zur schonenden und effektiven Ausführung von Tätigkeiten
· Erarbeitung von Hinweisen zur optimalen Gestaltung von Haushalts-, Arbeits- und Sportgeräten
sowie von Möbeln
Biomechanik
Orthopädische Arbeitswissenschaft /
Sportbiomechanik
Biomechanik Arbeitsphysiologie
Diese Übersicht zeigt einzelne Arbeitsgebiete und Aufgaben der Biomechanik auf. Spezielle und
detailliertere Fragestellungen sind beispielhaft im nachfolgenden Kapitel erläutert.
Bei Fragestellung 1-2 soll die Standsicherheit bzw. die Stabilität der Gleichgewichtslage eines
Rugbyspielers untersucht werden, Bild 1-11.
Der Spieler wird durch einen Gegenspieler mit der Kraft FK angeschoben. Von Bedeutung sind
dabei die Haltung des Spielers sowie sein Gewicht G. Es stellt sich somit die Frage: Bei wel-
cher Kraft FK verliert der Spieler sein Gleichgewicht und kippt rückwärts um?
FK
A
Bild 1-11 Rugbyspieler, der durch einen Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht werden soll
Fragestellung 1-3 beschäftigt sich mit der Belastung eines Oberschenkelknochens (Femur)
beim Zweibeinstand eines Menschen, Bild 1-12. In diesem Zusammenhang ergeben sich viele
Fragen, die mit den Methoden der Biomechanik, konkret mit den Methoden der Statik und der
Festigkeitslehre gelöst werden können:
a) Welche Kräfte und Momente wirken im Inneren des Oberschenkelknochens?
b) Welchen Spannungen ist der Oberschenkelknochen ausgesetzt?
c) Wie erhöhen sich die Spannungen, wenn sich die Kraft F infolge eines Sprungs oder
Absturzes verdreifacht?
d) Besteht Bruchgefahr für den Oberschenkelknochen?
1.5 Spezielle Fragestellungen der Biomechanik 11
a) b)
F F
Bild 1-12 Kräfte am Oberschenkelknochen (Femur) und daraus resultierende Spannungen im Kno-
chen
a) Wirkende Kraft F
b) Normalspannung im Knochenschaft
Fragestellung 1-4 beschäftigt sich mit einem Patienten, der nach der Implantation eines künst-
lichen Hüftgelenks physiotherapeutisch behandelt werden soll. Mittels der Biomechanik soll
geklärt werden, ob Bewegungsübungen bei einer Seitenlage des Patienten bei gestrecktem oder
angewinkeltem Bein durchgeführt werden können. Entscheidend sind hierbei die Kräfte, die
übungsbedingt an der Hüftprothese auftreten.
Bild 1-13 Reha-Maßnahmen bei einem Patienten nach der Implantation eines künstlichen Hüftgelenks
Bei Fragestellung 1-5 wird ein Fahrradfahrer bei verschiedenen Fahrsituationen untersucht,
Bild 1-14. Hierzu ergeben sich die Fragen:
a) Welche Kräfte muss der Fahrradfahrer bei bestimmten Fahrsituationen überwinden?
b) Wie groß ist der Energieverbrauch, um eine bestimmte Strecke zu bewältigen?
c) Welche Leistung ist erforderlich, um mit einer bestimmten Geschwindigkeit zu fah-
ren?
d) Wie lange braucht der Fahrradfahrer, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen?
e) Welchen Einfluss hat das Gewicht des Fahrradfahrers und des Fahrrads auf die Fahr-
geschwindigkeit?
12 1 Biomechanik – Definitionen, Aufgaben und Fragestellungen
Fragestellung 1-6 beschäftigt sich mit der Entwicklung einer Knieprothese für oberschenkel-
amputierte Personen, Bild 1-15. Hierbei ist unter anderem zu untersuchen, welche Kinematik
beim menschlichen Knie vorliegt, welche Bewegungen das künstliche Kniegelenk ausführen
soll, wie die Standsicherheit des Prothesenträgers gesichert werden kann und wie die techni-
sche Ausführung des künstlichen Gelenks zu gestalten ist.
Diese und zahlreiche andere Fragen werden in den folgenden Kapiteln beantwortet. Ausge-
wählte Übungsaufgaben ermöglichen eine selbständige Überprüfung des bereits gelernten
Stoffs und geben Sicherheit beim Umgang mit biomechanischen Fragestellungen.
1.6 Schwerpunkte und Inhalte des Buchs 13
Zusammenhang Biomechanische
Mechanik des Anwendungen
zwischen Aufbau Modellbildung und
Stütz- und der
und Funktion des Finite - Elemente -
Bewegungsapparats Biomechanik
Bewegungsapparats Simulation
Wesentliche Schwerpunkte und Inhalte des Buches sind z. B. in Bild 1-16 dargestellt. Betrach-
tet werden die Mechanik des Stütz- und Bewegungsapparats, der Zusammenhang zwischen
Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats, die biomechanische Modellbildung und die
Anwendung der Finite-Elemente-Methode zur Analyse und Simulation biomechanischer Vor-
gänge. Anwendungen der Biomechanik in Form von Beispielen und Übungsaufgaben verdeut-
lichen in allen Kapiteln die Grundlagen. Spezielle Anwendungen, wie präoperative Studien,
Knochenbrüche und ihre Heilung, die Entwicklung eines künstlichen Kniegelenkes sowie die
Entwicklung einer Operationshilfe werden in einem separaten Kapitel behandelt.
Eine Betrachtung der Biomechanik erfordert grundlegende, aber auch vertiefte Kenntnisse der
Technischen Mechanik (siehe u. a. [1-8 bis 1-10]). Diese Grundlagen werden in den nachfol-
genden Kapiteln 2, 3, 4 vermittelt. Dabei wird schon relativ schnell Bezug auf den menschli-
chen Stütz- und Bewegungsapparat genommen. Dies bezieht sich sowohl auf die Vermittlung
der Grundlagen sowie die Beispiele und Übungsaufgaben.
14 1 Biomechanik – Definitionen, Aufgaben und Fragestellungen
Eine Einteilung der Mechanik des Stütz- und Bewegungsapparats ist in Bild 1-17 gezeigt.
Dabei stehen die klassischen Teilgebiete der Technischen Mechanik, d. h. die Statik, die
Festigkeitslehre sowie die Kinematik und Kinetik im Mittelpunkt.
Literatur zu Kapitel 1
[1-1] Donskoi, D.D.: Grundlagen der Biomechanik. Verlag Bartels & Wernitz, Berlin,
1975
[1-2] Mc Ginnis, P.M.: Biomechanics of Sport and Exercise, Human Kinetics. Cham-
paign, U. S., 1999
[1-3] Hüter-Becker, A.; Dölken, M. (Hrsg.): Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungs-
physiologie, Trainingslehre. Thieme Verlag, Stuttgart, 2005
[1-4] Kummer, B.: Biomechanik, Form und Funktion des Bewegungsapparats. Deutscher
Ärzte Verlag, Köln, 2005
[1-5] Weineck, J.: Sportanatomie. Spitta Verlag GmbH, Balingen, 1996
[1-6] Rauber, A.; Kopsch, F.: Anatomie des Menschen, Band I, Bewegungsapparat.
Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1987
[1-7] Tittel, K.: Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen. Gustav Fischer
Verlag, Stuttgart, 1990
[1-8] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Statik. Verlag Springer Vieweg,
Wiesbaden, 2012
[1-9] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Festigkeitslehre. Verlag Vie-
weg + Teubner, Wiesbaden, 2011
[1-10] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Dynamik. Verlag Vie-
weg + Teubner, Wiesbaden, 2011
[1-11] Wirhed, R.: Sportanatomie und Bewegungslehre. Verlag Schattauer, Stuttgart, 2001
2 Statik des Stützapparates
Die Mechanik beschäftigt sich mit der Lehre von den Kräften und Momenten sowie den Be-
wegungen, Spannungen und Verformungen, welche diese bei Körpern sowie anderen natürli-
chen oder technischen Strukturen hervorrufen.
Die Statik, als wichtiges Teilgebiet der Mechanik, beinhaltet die Lehre von den Kräften und
die Lehre vom Gleichgewicht. Betrachtet werden im Allgemeinen tragende Strukturen, die
sich permanent oder momentan in Ruhe oder im Gleichgewicht befinden.
Die Grundlagen der Statik dienen im Wesentlichen dazu
sich einen Überblick über die wirkenden Kräfte zu verschaffen,
die resultierende Wirkung dieser Kräfte zu ermitteln,
die Wirkung von Kräften auf die Teilstrukturen zu bestimmen,
die Kräfte an den Aufstandspunkten oder in den Gelenken zu ermitteln,
die in den Teilstrukturen wirkenden inneren Kräfte und Momente zu ermitteln,
die Standsicherheit von Geräten, Körpern und sonstigen Strukturen zu überprüfen und
Haft- und Gleitreibungssituationen in Natur und Technik zu verstehen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_2
16 2 Statik des Stützapparates
Die äußeren Kräfte, d. h. die wirkenden Lasten, sowie die Reaktionskräfte verursachen auch
innere Kräfte in den Strukturen bzw. Teilstrukturen, z. B. in den Knochen des Menschen. Die
inneren Kräfte gilt es zu ermitteln, um die Belastbarkeit einer Struktur oder einer Teilstruktur
überprüfen zu können.
Sie greift im Schwerpunkt an und ist stets zum Erdmittelpunkt gerichtet, Bild 2-1. Die Ge-
wichtskraft hat, wie jede andere Kraft, die physikalische Grundeinheit Newton, abgekürzt N.
FB = m·a
G = m·g
Bild 2-1 Gewichtskraft G und Beschleunigungskraft FB bei einem Läufer, der sich in der Startphase
befindet
Bewegungen und insbesondere Bewegungsänderungen erfolgen unter dem Einfluss von Kräf-
ten. Bei Bewegungen treten neben der Gewichtskraft im Allgemeinen zusätzlich noch Be-
schleunigungs- oder Verzögerungskräfte auf.
Die Beschleunigungskraft FB errechnet sich aus der Masse m und der Beschleunigung a nach
dem Grundgesetz der Mechanik:
FB m a (2.2).
v2
FF m r 2 m (2.3).
r
2.1 Kräfte und ihre Wirkungen 17
a) b) gekrümmte Bahn
v
2
F F = m·r·ω 2 FF = m·r·ω 2 = m· vr
ω m ω m
r r
M
momentaner
Krümmungskreis
Bild 2-2 Fliehkraft FF bei der Kreisbewegung bzw. einer Bewegung einer Masse auf einer gekrümm-
ten Bahn (z. B. beim Diskus- oder Hammerwurf oder bei der Kurvenfahrt mit einem Auto)
a) Masse m bewegt sich auf einer Kreisbahn
b) Bewegung auf einer gekrümmten Bahn
Massenkräfte wirken über das Volumen verteilt, werden jedoch idealerweise als im Schwer-
punkt des Körpers oder des Teilkörpers angreifende Kräfte dargestellt, siehe Bild 2-1, Bild 2-2
und Beispiel 2-1.
Neben den Massen- bzw. Volumenkräften kommen als äußere Kräfte auch Flächenkräfte vor.
Hierzu zählen z. B. Windkräfte auf einen Körper oder ein Sportgerät oder verteilte Kräfte, die
bei flächenhaftem Kontakt zwischen zwei Körpern oder einem Körper und der Unterlage über-
tragen werden.
Die Flächenkraft oder Flächenlast wird in der Statik mit p bezeichnet und kann z. B. aus der
resultierenden Kraft F und der Bezugsfläche A mit der Beziehung
F
p (2.5)
A
errechnet werden. Die Einheit der Flächenlast ist damit z. B. N/m2 oder N/mm2.
Neben Volumen- und Flächenlasten verwendet man in der Mechanik noch zwei wichtige Idea-
lisierungen
die Linienlast und
die Punktkraft oder Einzelkraft.
Die Linienlast q ist als Kraft pro Länge definiert und errechnet sich z. B. nach der Gleichung
F
q (2.6),
l
wobei F die Kraft und l die Länge darstellt. Die Einheit ist z. B. N/m oder N/mm.
18 2 Statik des Stützapparates
Der Begriff Einzelkraft wird verwendet, wenn z. B. eine Kraftübertragung zwischen zwei
Körpern auf kleiner, nahezu punktförmiger Berührfläche erfolgt oder wenn Massenkräfte und
Flächenlasten idealisiert als Einzelkräfte betrachtet werden, die im Schwerpunkt der Massen
oder der Flächen angreifen. Die Einheit der Einzelkraft F ist z. B. N oder kN. Diese Idealisie-
rung ermöglicht den leichten Zugang zur Mechanik und insbesondere zur Statik und erlaubt
z. B. die Lösung von vielen Fragestellungen in Kapitel 1.5.
Die Einzelkraft stellt einen Vektor dar. Zur Lösung der Fragestellungen der Statik können
somit die Gesetzmäßigkeiten der Vektorrechnung herangezogen werden, siehe z. B. [2-1].
F
Wirkungslinie
KM
Kräftemaßstab
Kraftangriffspunkt
Beispiel 2-1
Für den dargestellten menschlichen Körper mit der Gesamtmasse m sind die prozentualen
Gewichtsanteile der Körperteile bezogen auf das Gesamtgewicht des Körpers und die dazu-
gehörenden Schwerpunkte angegeben (siehe linke Skizze und Bild1-7 in Kapitel 1.2.5).
Man berechne
a) das Gesamtgewicht,
b) das Gewicht des Kopfes,
c) das Gewicht des Oberkörpers,
d) das Gewicht eines Arms sowie
e) das Gewicht eines Beins
und zeichne sie in die rechte Skizze ein.
Geg.: m = 90 kg, g = 9,81 m/s2.
7%
43% GK
6,5%
3,6% GOA
2,2% GA
GUA
0,7% GH
G OK
11,4% 18,5% GOS
GB
5,3%
GUS
1,8%
GF
Lösung:
a) Gesamtgewicht der Person
m m
G m g 90 kg 9,81 882,9 kg 882,9 N
2
s s2
b) Gewicht des Kopfes
7 7 m
GK m K g m g 90 kg 9,81 61,8 N
100 100 s2
20 2 Statik des Stützapparates
Beispiel 2-2
Eine PKW-Fahrerin mit der Gesamtmasse m fährt mit einer Geschwindigkeit v in eine Kurve
mit einem minimalen Kurvenradius r.
Man ermittle
a) die Fliehkraft, die auf den Kopf der Fahrerin einwirkt und
b) die Fliehkraft auf den Oberkörper.
2.1 Kräfte und ihre Wirkungen 21
a) b) c) d)
Hand R = FH R = FH
Seil S
S
Paket,
Masse m
G = m·g G G
Bild 2-4 Verdeutlichung von äußerer Kraft, Reaktionskraft und innerer Kraft bei einer Person, die mit
einer Hand ein Paket trägt
a) Darstellung des Gesamtsystems Paket, Seil, Hand
b) Im Schwerpunkt des Pakets wirkt die Gewichtskraft G = m · g als äußere Kraft
c) Durch gedankliches Lösen des Seilgriffs von der Hand wird die Handkraft FH als Reak-
tionskraft R sichtbar
d) Durch gedankliches Aufschneiden des Seils wird die Seilkraft S als innere Kraft erfahr-
bar
In Bild 2-4a ist das Gesamtsystem dargestellt, bei dem ein Paket über eine Schnur (Seil) mit
Griff von der Hand einer Person gehalten wird. Die Masse des Pakets ist m, die Schnurmasse
ist im Vergleich zur Masse des Paketes vernachlässigbar.
22 2 Statik des Stützapparates
Im Schwerpunkt des Pakets wirkt die Gewichtskraft G = m · g als äußere Kraft, Bild 2-4b. Die
Handkraft R = FH, Bild 2-4c, stellt die Reaktionskraft dar. Sie wird erst sichtbar durch das
gedankliche Lösen des Schnurgriffs (des Seilgriffs) von der Hand. Dieses Vorgehen nennt man
in der Mechanik „Freischneiden“. Dies bedeutet, das Teilsystem „Paket mit Schnur“ wird
gedanklich vom Teilsystem „Hand“ gelöst. Die von der Hand auf die Schnur wirkende Kraft
wird als Reaktionskraft R = FH eingezeichnet. Mit den Methoden der Statik kann dann die
Reaktionskraft ermittelt werden. Sie wirkt der Gewichtskraft entgegen und ist in diesem Fall
betragsmäßig genau so groß wie die Gewichtskraft, also R = FH = G.
Natürlich muss auch die Schnur eine Kraft übertragen. Auch diese ist zunächst nicht zu erken-
nen. Sie wird erst durch das gedankliche Aufschneiden der Schnur als innere Kraft oder
Schnur- bzw. Seilkraft erfahrbar, Bild 2-4d. Um die Schnur auch nach dem Aufschneiden
straff zu halten, muss jeweils am oberen und am unteren Schnurende eine betragsmäßig gleich
große Schnurkraft S wirken. Diese innere Kraft S ist in dem betrachteten Fall betragsmäßig
ebenso groß wie die Gewichtskraft, d. h. S = G. Dies wird u. a. durch Betrachtung des unteren
Teilsystems in Bild 2-4d deutlich.
2.1.3.1 Gleichgewichtsaxiom
Das Gleichgewichtsaxiom lautet:
„Zwei Kräfte sind im Gleichgewicht, wenn sie auf derselben Wirkungslinie liegen, ent-
gegengesetzt gerichtet und gleich groß sind.“
Dieses Axiom wird in Bild 2-5 verdeutlicht.
F2
gemeinsame Wirkungslinie
der Kräfte F1 und F 2
F1 = -F2
Bild 2-5 Gleichgewicht zweier Kräfte
Gleichgewicht bedeutet somit, dass keine resultierende Kraft wirkt. Die Vektorsumme ergibt
einen Nullvektor.
Die Kräfte F1 und F2 bilden eine Gleichgewichtsgruppe. Ein Körper, der sich im Gleichge-
wicht befindet, bleibt auch unter der Wirkung einer Gleichgewichtsgruppe im Gleichgewicht.
In Bild 2-4c bilden z. B. R und G eine Gleichgewichtsgruppe. Auch sind in Bild 2-4d jeweils R
und S sowie G und S im Gleichgewicht.
2.1 Kräfte und ihre Wirkungen 23
2.1.3.2 Linienflüchtigkeitsaxiom
Das Axiom von der Linienflüchtigkeit des Kraftvektors lautet:
„Der Angriffspunkt einer Kraft kann auf der Kraftwirkungslinie beliebig verschoben
werden, ohne dass sich an der Wirkung auf einen starren Körper etwas ändert.“
beliebiger
starrer Körper
F
B
F
Kraftwirkungs- Kraftwirkungs-
linie linie
Bild 2-6 Axiom von der Linienflüchtigkeit des Kraftvektors
Das Axiom wird durch das Bild 2-6 verdeutlicht. Die Kraft kann im Punkt A, im Punkt B oder
an einem anderen Punkt der Wirkungslinie angreifen, die Wirkung auf den starren Körper ist
stets dieselbe.
Alle Körper in Natur und Technik sind verformbar. Die Lösung von Fragestellungen der Statik
kann jedoch sehr vereinfacht werden, wenn man die Verformungen vernachlässigt, d. h. die
Strukturen als starr betrachtet. Ein starrer Körper erfährt auch unter Belastung keine Verfor-
mung.
Im Gegensatz zum starren Körper ist beim verformbaren Körper die Lage des Kraftangriffs-
punktes wesentlich, da die Verformungen des Körpers unter anderem vom Kraftangriffspunkt
abhängen. Eine Verschiebung einer Kraft auf ihrer Wirkungslinie ändert aber auch beim ver-
formbaren Körper die globale Wirkung auf den Körper nicht.
Die Tatsache, dass man die Kraft auf ihrer Wirkungslinie verschieben darf, bedeutet aber
nicht, dass man die Kraft beliebig in der Ebene verschieben kann. Eine Parallelverschiebung
einer Kraft ändert auch die globale Wirkung auf den Körper, da sie zusätzlich ein Drehmoment
und somit eine Drehwirkung hervorruft.
2.1.3.3 Wechselwirkungsgesetz
Dieses Axiom lässt sich wie folgt formulieren:
„Die Kräfte, die zwei Körper aufeinander ausüben, sind gleich groß, entgegengesetzt
gerichtet und liegen auf derselben Wirkungslinie.“
Dies bedeutet auch:
„Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich“
oder
„actio = reactio“.
Dieses Gesetz ist für das Verständnis der Mechanik insgesamt, aber insbesondere auch der
Statik von großer Wichtigkeit. Es soll daher anhand eines Beispiels noch näher erläutert wer-
den.
24 2 Statik des Stützapparates
a) b) „Freischnitt”
Hand Wand
FW FH
Wirkungs-
linie
Bild 2-7 Erläuterung des Wechselwirkungsgesetzes
a) Hand drückt gegen eine Wand
b) „Freischnitt“ macht die wirkenden Kräfte sichtbar
Die Hand, die gegen eine Wand drückt, erfährt von der Wand eine gleich große Gegenkraft,
Bild 2-7. Die Kraftwirkungen werden jedoch erst deutlich, wenn man beide Körper gedanklich
trennt. Das heißt, die Körper müssen gedanklich „freigeschnitten“ werden, Bild 2-7b.
Dann sind die Kraftwirkungen auf jeden Körper zu betrachten: die Kraft FH, welche die Hand
auf die Mauer ausübt und ebenso die Reaktionskraft FW, die von der Mauer auf die Hand
wirkt. Die Gegenkraft FW liegt auf der selben Wirkungslinie wie die Handkraft
FH und ist
betragsmäßig ebenso groß: FW = FH, aber entgegengesetzt gerichtet: FW FH . Damit sind
beide Kräfte auch im Gleichgewicht (siehe Gleichgewichtsaxiom, Kapitel 2.1.3.1).
Das Wechselwirkungsgesetz gilt für Nah- und Fernkräfte (siehe auch Beispiele in [2-1] sowie
Bild 2-4).
a) b)
Wirkungslinie
der Kraft F1
Wirkungslinie
der Resultierenden
F1
F2
F=R F1
R
F2 Wirkungslinie
der Kraft F2
a) b)
Wirkungslinie (Richtung) WL1
der Kraft F1 (WL1 )
F1
F
F
F2
Wirkungslinie (Richtung)
der Kraft F2 (WL2 ) WL 2
c) d)
WL1 F1
F1
F2
WL 2
F2
Bei vielen Aufgaben der Statik und der Biomechanik ist es erforderlich, eine gegebene Kraft in
statisch gleichwertige Kräfte nach verschiedenen Richtungen zu zerlegen. Bei einer zentralen
Kräftegruppe ist eine Zerlegung nach zwei Richtungen eindeutig möglich, wenn die Wirkungs-
linie der zu zerlegenden Kraft durch den Schnittpunkt der beiden gegebenen Wirkungslinien
geht.
Die Zerlegung der Kraft F , Bild 2-9a , kann nach dem Axiom vom Kräfteparallelogramm
erfolgen, Bild 2-9b, oder im Kräfteplan, Bild 2-9c, vorgenommen werden. Die Zerlegung
erfolgt in die Richtungen der gegebenen Wirkungslinie WL1 und WL2.
Die ermittelten Kräfte F1 und F2 üben auf den Körper eine der Kraft F gleichwertige Wir-
kung aus.
Fy F sin (2.13).
a) b)
y
y
Fy
Fy
F
ey F ey β
α
Fx
α ez γ x
ex
Fz
Fx x
ex
z
Bild 2-10 Zerlegung einer Kraft in Komponenten
a) Einzelkraft F und ihre Komponenten Fx und Fy in der Ebene
b) Einzelkraft F und ihre Komponenten Fx, Fy und Fz im Raum
2.1 Kräfte und ihre Wirkungen 27
Im Raum hat eine Kraft F drei Komponenten, nämlich Fx , F y und Fz , Bild 2-10b. Für den
Kraftvektor folgt mit den Basisvektoren ex , e y und ez :
F ex Fx ey Fy ez Fz (2.14).
Geometrisch stellt sich der Betrag des Vektors als Diagonale des aufgespannten Quaders dar.
Mit den Raumwinkeln , und zwischen F und den Koordinatenachsen lassen sich die
Kraftkomponenten wie folgt schreiben:
Fx F cos (2.16),
Fy F cos (2.17),
Fz F cos (2.18).
a) b)
y y
F3
F3y
F2y F2
R
Ry
F1 F1
F1y
F2 ey αR
F3
x ex x
Die Komponenten der Resultierenden ergeben sich aus der jeweiligen Summe der Kraftkom-
ponenten:
n
Rx F1x F2x F3x ... Fnx Fix (2.20),
i 1
n
R y F1y F2y F3y ... Fny Fiy (2.21).
i 1
Der Betrag der Resultierenden kann nun aus den Komponenten Rx und Ry ermittelt werden:
R R Rx2 R y2 (2.22).
Beispiel 2-3
α α
Ein Turner mit dem Körpergewicht G hängt wie dargestellt am Reck, wobei die Arme die
Winkelstellung einnehmen.
Man ermittle die Kräfte, welche die Hände auf die Reckstange ausüben
a) zeichnerisch und
b) rechnerisch: allgemein und für die Winkel = 30°, 15° und 5°.
Geg.: Körpergewicht G = 700 N, = 5°, 15°, 30°
2.1 Kräfte und ihre Wirkungen 29
Lösung:
a) Zeichnerisch: Die Kraft in den Armen für die Winkel = 30°, = 15°, = 5°
FA30° = 404 N
FA15° = 362 N FA5° = 351 N
G
G G 200 N
G
FAy
2
α
FAy G
FA FAx FAy tan tan
2
2 2
2 2 G G G
FA FAx FAy tan 2 1 tan 2
2 2 2
Die drei Komponenten Rx, Ry und Rz ergeben sich aus der jeweiligen Summe der Komponen-
ten der Einzelkräfte:
n
Rx F1x F2x F3x ... Fnx Fix (2.26),
i 1
30 2 Statik des Stützapparates
n
R y F1y F2y F3y ... Fny Fiy (2.27),
i 1
n
R z F1z F2z F3z ... Fnz Fiz (2.28).
i 1
a) y b) y R
F2
F1 F1y Ry
F2y βR αR
F1z x γR x
F1x F2z Rz
F2x Rx
F3
z z
Beispiel 2-4
Man ermittle
a) den Betrag der resultierenden Kraft F,
b) die Winkel R, R und R der Kraft F in Bezug auf die Koordinaten x, y und z des
räumlichen Kräftesystems,
c) den Kraftvektor F
Geg.: Fx = 200 N, Fy = 50 N, Fz = 600 N,
Lösung:
a) Betrag der resultierenden Kraft F
b) Winkel R, R und R
Fx 200 N
R arccos arccos 71,6
F 634,4 N
Fy 50 N
R arccos arccos 85,5
F 634,4 N
Fz 600 N
R arccos arccos 19,0
F 634,4 N
c) Kraftvektor F
F ex Fx e y Fy ez Fz ex 200 N e y 50 N ez 600 N
Ein Moment M wird in der ebenen Statik in der Regel als gekrümmter Pfeil (Drehpfeil) darge-
stellt. Es besitzt die Dimension Kraft mal Länge. Häufig wird die Einheit Nm verwendet.
a) beliebiger starrer b)
Körper
A A
l M = F·l
a) b)
M M
0
φ
0 l = r·sinφ r
φ
M φ
r
φ
F
Aus der Draufsicht, Bild 2-14b, erkennt man, dass der Ausdruck rsin dem zuvor definierten
Hebelarm l entspricht.
y
My
ey
ex Mx
ez x
Mz
Bei einer ebenen Kräftegruppe ergibt sich das resultierende Moment M aus der Summe der
Momente der einzelnen Kräfte. Die Summe der Momente der einzelnen Kräfte ist auch gleich
dem Moment der resultierenden Kraft R. Alle Momente sind auf denselben Bezugspunkt zu
beziehen.
34 2 Statik des Stützapparates
a) b)
z z
Fy
y y F
M M 1y
F1 F2
x x1 F1x F2y
ey Fx
ez y x2
y1 y2 F2x
0 ex x 0 x
Kraftebene Kraftebene
(x-y-Ebene) (x-y-Ebene)
Bild 2-16 Ermittlung des Momentes einer ebenen Kräftegruppe
a) Momentenvektor zeigt bei einem ebenen Kräftesystem stets senkrecht zur Ebene, er hat
in einem kartesischen Koordinatensystem (Kräfte in x-y-Ebene) nur eine Komponente Mz
b) Ebene Kräftegruppe mit den Kräften F1 und F2 sowie den Kraftkomponenten F1x, F1y,
F2x und F2y
Beim ingenieurmäßigen Vorgehen wird in der Regel nur die Wirkung
der Kraftkomponenten
betrachtet. Dazu zerlegt man die Kräfte Fi in ihre Komponenten Fix und Fiy , Bild 2-16b.
Der Betrag des Momentes bezüglich des Bezugspunktes 0 berechnet sich dann unter der Be-
achtung des mathematisch positiven Drehsinns wie folgt:
: M 0 M z M F1y x1 F1x y1 F2y x 2 F2x y 2 (2.37).
Beispiel 2-5
F1
F2
a
2
B
a
2 l
A
F3
F4
b
An der skizzierten Scheibe greifen die Kräfte F1, F2, F3 und F4 an.
Man bestimme die Momente der Kräfte bezüglich der Punkte A und B.
Geg.: F1 = F2 = F3 = 200 N, F4 = 400 N, a = 20 mm, b = 80 mm
Lösung:
a) Moment der Kräfte bezüglich des Punktes A
A: M A F1 0 F2 a F3 0 F4 b 36 Nm
2.2 Momente und ihre Wirkungen 35
M y Fx z Fz x (2.39)
M z Fy x Fx y (2.40).
Die Kraftkomponenten Fy und Fz bewirken ein Moment um die x-Achse. Fz liefert dabei ein
rechtsdrehendes (positives) Moment um die x-Achse mit dem Betrag Fz·y, das in Richtung der
positiven x-Achse zeigt. Fy führt zu einem linksdrehenden (negativem) Moment um die x-
Achse mit dem Betrag - Fy·z.
Man erkennt, dass bezüglich der y-Achse nur die Kraftkomponenten Fx und Fz ein Moment
besitzen, während Fy und Fx ein Moment bezüglich der z-Achse hervorrufen, Bild 2-17.
Fy
F
Fx
My
r Fz
Mz y x
Mx
z
z x
Bild 2-17 Ermittlung der Komponenten
Mx, My und Mz eines Momentes M mit den Komponenten Fx,
Fy und Fz der Kraft F
Bei einer beliebigen räumlichen Kräftegruppe lässt sich das resultierende Moment ebenfalls
mit den Kraftkomponenten ermitteln. Für i Kräfte ergeben sich die Komponenten MRx, MRy,
und MRz
n
M Rx Fiz yi Fiy z i (2.41),
i 1
36 2 Statik des Stützapparates
n
M Ry Fix z i Fiz xi (2.42),
i 1
n
M Rz Fiy xi Fix y i (2.43).
i 1
des resultierenden Momentes M R .
M 2 F2 b (2.44).
a) b)
F1 M1 = F1·a
a F2
=
M2 = F2·b
F1 b
F2
Mehrere Einzelmomente addieren sich unter Berücksichtigung des Drehsinns in ihrer Wir-
kung. Für die Momente in Bild 2-18b ergibt sich unter der Beachtung des mathematisch posi-
tiven Drehsinns das Gesamtmoment M:
: M M 1 M 2 F1 a F2 b (2.45).
Beispiel 2-6
An einem Röhrenknochen – idealisiert als Hohlzylinder mit dem Durchmesser d und der
Länge l – greifen die Kräfte F1, F2, F3 und F4 an.
Man bestimme die Momente, die um die x-, y- und z-Achse wirken.
Geg.: F1 = F, F2 = F, F3 = 2F, F4 = 3F
2.3 Gleichgewichtsbedingungen 37
y l
F3
F1
d x
z
F2 F4
Lösung:
a) Moment um x-Achse
d d d d d d d
M x F1 F2 F4 F F 3F F
2 2 2 2 2 2 2
b) Moment um y-Achse
M y F4 l 3F l
c) Moment um z-Achse
d
M z F3 F d
2
2.3 Gleichgewichtsbedingungen
In Kapitel 1 sind u. a. Fragestellungen der Biomechanik formuliert, die es durch Anwendung
der bisher beschriebenen Grundlagen und mit den noch zu formulierenden Gleichgewichtsbe-
dingungen zu lösen gilt. Ein Körper oder eine Struktur ist im Gleichgewicht, wenn keine resul-
tierende Kraft und kein resultierendes Moment vorhanden sind. D. h. die Summen aller von
außen wirkenden Kräfte und Momente müssen Null sein. Mit diesen Überlegungen lassen sich
die Gleichgewichtsbedingungen der Statik formulieren.
M1
F2
y
F3
x
φ
F1
M2
Bild 2-19 Belastung eines Körpers durch Kräfte und Momente mit den möglichen Verschiebungen in
x- und y-Richtung und der möglichen Verdrehung
Mit diesen Überlegungen ergeben sich die drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik:
F1x F2x F3x ... 0 (2.46),
Fix 0 (2.49),
Fiy 0 (2.50),
Mi 0 (2.51).
Gleichgewicht herrscht, wenn die Summe aller Kräfte in x-Richtung gleich null, die Summe
aller Kräfte in y-Richtung gleich null und die Summe aller Momente bezüglich eines beliebi-
gen Drehpunktes gleich null sind.
Bei der Anwendung der Gleichgewichtsbedingungen ist auf das Vorzeichen, d. h. auf die Rich-
tung der Kräfte und Momente genau zu achten. Eine in x-Richtung zeigende Kraft ist i. Allg.
positiv einzusetzen und eine entgegengesetzt wirkende Kraft negativ. Ein linksdrehendes Mo-
ment erhält i. Allg. ein positives Vorzeichen, ein rechtsdrehendes Moment ein negatives Vor-
zeichen. Die Vorzeichenrichtung kann auch durch die in den Gleichungen (2.49), (2.50) und
(2.51) dargestellten Pfeile kenntlich gemacht werden.
Bei Gleichgewichtbetrachtungen von Körpern müssen nur die äußeren Kräfte und Momente,
d. h. die wirkenden Lasten und die Lagerreaktionen, berücksichtigt werden. Innere Kräfte
bleiben dabei unberücksichtigt.
Betrachtet man die Kräfte und Momente in den Komponenten, so ergeben sich die sechs
Gleichgewichtsbedingungen der räumlichen Statik:
Fix 0 (2.52),
Fiy 0 y (2.53),
Fiz 0 z (2.54),
M ix 0 x (2.55),
M iy 0 (2.56),
M iz 0 z (2.57).
Die Momentenbedingungen, Gleichungen (2.55), (2.56) und (2.57) beziehen sich auf die x-, y-
und z-Achse.
2.4 Schwerpunkt
In der Mechanik unterscheidet man verschiedene Arten von Schwerpunkten. Hierzu zählen der
Schwerpunkt eines Körpers sowie der Schwerpunkt einer Fläche.
Dabei ist mi die Teilmasse und g die Fall- oder Schwerebeschleunigung. Diese hat auf der Erde
im Mittel den Wert 9,81 m/s2.
Alle Teilgewichte wirken zum Erdmittelpunkt hin, d. h. in vertikaler Richtung. Das Gesamt-
gewicht G des Körpers ergibt sich aus der Summe aller Teilgewichte
G Gi (2.59).
Diese resultierende Gewichtskraft greift im Schwerpunkt des Körpers an. Sie ist ebenfalls
vertikal gerichtet und kann im Sinne der Raumstatik als resultierende Kraft einer aus parallelen
Kräften bestehenden Kräftegruppe angesehen werden, siehe Bild 2-20.
Die Lage des Schwerpunkts ergibt sich mit dem Momentensatz der Mechanik. Demnach ist die
Summe der Momente der Teilgewichte gleich dem Moment des Gesamtgewichts bezüglich
eines beliebigen Bezugspunkts oder einer beliebigen Bezugsachse.
40 2 Statik des Stützapparates
Teilbereich 1 Teilbereich 2
y Teilbereich 3
S1 S2 S3
S
G1 G2 G3
y1
G
z1 x
x1 yS zS
z xS
Entsprechend gilt der Momentensatz bzgl. der x- und y-Achse. Auf diese Weise erhält man die
Schwerpunktskoordinaten:
G x G2 x2 G3 x3
xS 1 1 (2.62),
G
G y G2 y 2 G3 y3
yS 1 1 (2.63),
G
G z G2 z 2 G3 z 3
zS 1 1 (2.64).
G
Für beliebig viele Teilmassen gelten die Beziehungen:
xS
Gi xi (2.65),
G
yS
Gi yi
(2.66),
G
zS
Gi z i
(2.67),
G
mit G Gi .
2.4 Schwerpunkt 41
S Bild 2-21
hK Schwerpunkt des Menschen beim aufrechten Stand
(mit angelehnten Armen)
hS
Wie Bild 2-22 zeigt, verschiebt sich die Lage des Schwerpunkts bei verschiedenen Körperhal-
tungen.
Beispiel 2-7
Eine Person hängt wie dargestellt am Reck. SO,K ist dabei der Gesamtschwerpunkt von Ober-
körper und Kopf, SB der Teilschwerpunkt der Beine.
Man beantworte und bestimme:
a) Kann sich die Person ohne Mühe in der dargestellten Position halten?
b) Um welche Drehachse wird sich die Person wahrscheinlich auspendeln?
42 2 Statik des Stützapparates
c) Die Teilgewichte für den Oberkörper, den Kopf und die Beine mit Hilfe der prozentualen
Gewichtsangaben in Kapitel 1.2.5 oder Beispiel 2–1.
d) Die Position des gemeinsamen Schwerpunkts von Oberkörper, Kopf und Beinen bezüg-
lich des Schultergelenks.
e) Den Winkel zwischen den gestreckten Armen und dem Oberkörper für den Gleichge-
wichtszustand.
Geg.: Gesamtgewicht der Person G = 650 N, a = 30 cm, b = 70 cm, c = 45cm
Reckstange
Schultergelenk
a S O,K
SB
c
Lösung:
a) Kann sich die Person ohne Mühe in der dargestellten Position halten?
Die Person kann die Position so nicht halten, weil das Gewicht der nach vorne gestreck-
ten Beine ein großes Moment um die Hand bzw. die Reckstange ausübt. Auch um das
Schultergelenk wirkt das gleiche Moment, das auch hier nicht ohne große Mühe im
Gleichgewicht gehalten werden kann.
b) Um welche Drehachse wird sich die Person wahrscheinlich auspendeln?
Die Person wird sich wahrscheinlich so auspendeln, dass die Hand, das Schultergelenk
und der Gesamtschwerpunkt von Oberkörper, Kopf und Beinen auf einer vertikalen Linie
liegen. Die voraussichtliche Drehachse verläuft durch die Schultergelenke.
c) Die Teilgewichte für den Oberkörper, den Kopf und die Beine.
Teilgewicht Oberkörper: Teilgewicht Kopf:
43 43 7 7
GO G 650 N 279,5 N GK G 650 N 45,5 N
100 100 100 100
Gesamtgewicht von Oberkörper und Kopf:
GO, K GO GK 279,5 N 45,5 N 325 N Gesamtschwerpunkt: SO,K
Teilgewicht Bein:
18,5 18,5
GB G 650 N 120,25 N
100 100
Gesamtgewicht Beine:
G2B 2GB 2 120,25 N 240,5 N Schwerpunkt: SB
2.4 Schwerpunkt 43
Schwerpunktskoordinate xS
xS
Gi xi Gi xi
GO,K 0 G2B c
240,5 N 45 cm
19,1 cm
Gi G(oA) G(oA) 565,5 N
yS
Gi yi GO, K a G2B b 325 N 30 cm 240,5 N 70 cm 47 ,0 cm
G(oA) G(oA) 565,5 N
Reckstange
Schultergelenk y
S O,K x
φ S
GO,K
SB
G 2B
xS
Ai xi (2.68)
Ai
yS
Ai yi (2.69)
Ai
mit der Gesamtfläche A Ai .
44 2 Statik des Stützapparates
y A1
Ai
A2 Bild 2-23
Si Schwerpunktberechnung einer aus Teilflä-
x1 S1 chen zusammengesetzten Fläche
S S2
xS A1, A2, ..., Ai : Teilflächen
x1, y1, …, xi, yi : Koordinaten der Schwer-
y1 punkte der Teilflächen
yS A = A i : Gesamtfläche
xS, yS : Schwerpunktskoordinaten
der Gesamtfläche
x
Beispiel 2-8
Eine Person mit einem Gesamtgewicht G hat sich zu Übungszwecken einen Schuh mit einem
Teilgewicht GS an einem Fuß befestigt. Die Positionen der Einzelschwerpunkte sind in der
nachfolgenden Tabelle in Bezug auf das Kniegelenk (Koordinatenursprung des x-y-
Koordinatensystems) aufgelistet.
y
x [cm] y [cm]
x
Kniegelenk 0 0
Schwerpunkt Unterschenkel 0 -20
Schwerpunkt Fuß 9 -50
Schwerpunkt Schuh 6 -53
Man ermittle:
a) das Gewicht des Unterschenkels und des Fußes anhand der in Kapitel 1.2.5 angegebenen
Gewichtsanteile des menschlichen Körpers,
b) die Position des Gesamtschwerpunkts von Unterschenkel, Fuß und Schuh bezüglich des
Kniegelenks und
c) das Drehmoment von Unterschenkel, Fuß und Schuh bezüglich des Kniegelenks.
Geg.: G = 850 N, GS = 60 N, Koordinaten x und y entsprechend der Tabelle
Lösung:
a) Gewicht des Unterschenkels und des Fußes
5,3 5,3
Unterschenkel: GUS G 850 N 45,05 N
100 100
1,8 1,8
Fuß: GF G 850 N 15,3 N
100 100
2.4 Schwerpunkt 45
x
S US
yS Gesamtgewicht des Unterschenkels mit Fuß und Schuh
G US G GUS GF GS 45,05 N 15,3 N 60 N 120,35 N
S
SF
SS
GS GF
xS
Gi xi Gi xi
45,05 N 0 15,3 N 9 cm 60 N 6 cm
4,1 cm
Gi G 120,35 N
yS
Gi yi
45,05 N 20 cm 15,3 N 50 cm 60 N 53 cm
40,3 cm
G 120,35 N
c) Drehmoment bzgl. des Kniegelenks y
x
lS
α
S
lS ·sinα
Die Gewichtskraft G wirkt senkrecht nach unten und greift im Schwerpunkt S an. lS ist
der direkte Abstand vom Schwerpunkt zum Kniegelenk:
a) b)
Muskel (Seil)
Sehne (Seil)
Oberschenkel-
knochen (Balken)
hinteres Kreuz-
band (Seil) Kniescheiben-
band (Seil)
Schienbein
(Balken)
Bild 2-24 Prinzipielle Darstellung des passiven und aktiven Bewegungsapparats am Beispiel des Knie-
gelenks
a) Passiver Bewegungsapparat mit den Knochen und Bändern
b) Aktiver Bewegungsapparat mit der Sehne und dem Muskel
Knochen stellen, statisch gesehen, Stäbe, Scheiben, Balken, Schalen oder Körper, die beliebige
Belastungen übertragen können, dar. Stäbe übertragen nur Normalkräfte als Zug- oder Druck-
kräfte. Balken und andere Körper können Normalkräfte, Querkräfte, Biegemomente und Tor-
sionsmomente aufnehmen.
Bänder sind statisch gesehen Seile, in denen nur Zugkräfte wirken.
Gelenke sind bewegliche Verbindungen zwischen Körperteilen, die beliebige Kräfte aber keine
Momente übertragen können.
2.5.3.1 Seil
Ein Seil ist biegeschlaff. Es kann nur Zugkräfte in Seilrichtung aufnehmen, Bild 2-25. Das Seil
ist damit das einfachste Kraftübertragungselement.
a) b) gedachter Schnitt
F F F N=F
Beim menschlichen Bewegungsapparat stellen Bänder sowie Muskeln und Sehnen Seile dar.
2.5.3.2 Stab
Ein Stab hat eine gewisse Biegesteifigkeit. Daher kann er Zug- und Druckkräfte in Stabrich-
tung aufnehmen, Bild 2-26. Die Querschnittsabmessungen einer Stabstruktur sind allerdings
klein gegenüber der Strukturlänge. Im Stabinneren wirkt eine Normalkraft N F bei Zugbe-
lastung oder N F bei Druckbelastung.
a) b)
F F F F
F N=F F N = -F
x x
2.5.3.3 Balken
Ein Balken, der einer ebenen Belastung ausgesetzt wird, kann nicht nur Kräfte in Balkenrich-
tung, sondern auch quer zu seiner Achse aufnehmen und zudem auch Momente übertragen,
Bild 2-27a.
48 2 Statik des Stützapparates
a) b)
F
q M q MB
N
Q
x
Bild 2-27 Balken bei ebener Belastung
a) Balkenbelastung durch Einzelkraft, Streckenlast, und Biegemoment
b) Innere „Kräfte“ beim Balken: Normalkraft N, Querkraft Q und Biegemoment MB
Schnittgrößen sind bei ebener Balkenbelastung die Normalkraft N, die Querkraft Q und das
Biegemoment M, Bild 2-27b. Diese Schnittgrößen werden durch gedachtes Aufschneiden des
Balkens an einer bestimmten Stelle x mit den Gleichgewichtsbedingungen der Statik ermittelt.
Bei räumlicher Belastung, Bild 2-28a, können Balken oder balkenartige Strukturen im allge-
meinen Fall eine Normalkraft N, zwei Querkräfte Qy und Qz, zwei Biegemomente My und Mz
und ein Torsionsmoment M x M T übertragen, Bild 2-28b.
a)
l
MT F1 x
y
z MB
F2
b) x
N Mx
x
y Qy
Qz = Q
z
M y= M
Mz
Balken und balkenähnliche Strukturen sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass die
Länge deutlich größer ist als die Querschnittsabmessungen der Struktur.
Röhrenknochen, wie z. B. die Bein- oder Armknochen sowie z. B. die Hand- und Mittelfuß-
knochen können als Balken angesehen werden, die je nach Belastung oder Bewegung des
Menschen einer ebenen oder räumlichen Belastung ausgesetzt sind.
2.5 Bewegungsapparat als mehrteilige Struktur 49
2.5.4 Gelenke
Der menschliche Bewegungsapparat kann seine Funktion nur erfüllen, wenn die einzelnen
Knochen beweglich miteinander verbunden sind. Die Bewegung ist möglich durch die Gelen-
ke des Skeletts. Als Gelenk wird jede Art der Verbindung zwischen Skelettteilen bezeichnet.
In der Mechanik versteht man Gelenke als bewegliche Verbindungen zwischen Körperteilen
(starren Körpern), die beliebige Kräfte, aber keine Momente übertragen können.
Bild 2-29a zeigt z. B. eine Gelenkverbindung zwischen zwei Körperteilen (Körperteil 1 und
Körperteil 2), z. B. zwei Fingergliedern. Das Gelenk G z. B. ermöglicht eine Drehung um
einen Winkel . Bei ebener Belastung werden die Gelenkkräfte Gx und Gy übertragen, Bild
2-29b. Diese können durch gedankliches Aufschneiden des Gelenks sichtbar gemacht und mit
Hilfe von Gleichgewichtsbetrachtungen für jeden Körperteil ermittelt werden.
Eine eingehende Beschreibung der verschiedenartigen Gelenke des Menschen erfolgt in Kapi-
tel 5.
a) b)
Gy
G Gx
1 1
Gx
2 Gy 2
φ
Tragwerk
oder Körper
Gelenk
Lagerstuhl A d)
y Lagerführung
x N
Das Loslager wird auch verschiebbares Stützgelenk genannt, Bild 2-30a. Bei technischen
Strukturen wird sehr häufig das Tragwerk über ein Gelenk mit dem Lagerstuhl verbunden.
Dieser lässt sich dann nur parallel zur Unterlage bzw. zur Lagerführung verschieben. Die vom
Lager auf das Tragwerk übertragene Kraft A wirkt senkrecht zur Führungsebene, Bild 2-30b.
Beim reibungsfreien Kontakt zwischen zwei Körpern, Bild 2-30c, tritt ebenfalls nur eine Kraft
in Richtung der Normalen zur Kontaktfläche auf, Bild 2-30d. Diese Kontaktsituation, die beim
Menschen insbesondere in Gelenken vorkommt, ist ebenfalls ein Loslager. Da ein Loslager
2.6 Wechselwirkung des Bewegungsapparats mit der Umgebung 51
lediglich die Bewegung des Körpers in eine Richtung unterdrückt, hat das Lager nur eine La-
gerbindung: a = 1. Das Lager wird damit als statisch einwertig bezeichnet.
a) b)
Tragwerk
oder Körper
Ax
Gelenk
Ay
y Lagerstuhl ist
fest mit Unterlage
verbunden
x
c) d)
Körper
T
Unterlage N
2.6.1.3 Einspannung
Die Lagerreaktionskraft Einspannung liegt vor, wenn ein Tragwerk oder ein Körper einge-
klemmt oder fest verschraubt oder verbunden ist mit der Umgebung. Eine Einspannung lässt
weder eine Verschiebung in x- oder y-Richtung noch eine Verdrehung zu. Sie besitzt somit 3
Auflagerbedingungen und ist damit statisch dreiwertig (a = 3). Als Lagerreaktionen ergeben
sich die Kräfte Ax, Ay sowie das Einspannmoment ME.
52 2 Statik des Stützapparates
a) b)
Tragwerk
Ax
ME
Einspannung Ay
a) b)
y φ φ
x
a=2
ages = 0 f=3
ages = 2 f=1
beweglich
beweglich
c) d)
Ganz allgemein kann damit festgehalten werden, dass bei ebener Bewegung die Summe der
Freiheitsgrade den Wert drei nicht überschreitet.
Somit erhält man bei einem gelagerten oder gestützten Körper die Anzahl der Freiheitsgrade
mit der Beziehung
2.6 Wechselwirkung des Bewegungsapparats mit der Umgebung 53
f 3 ages (2.70).
In Gleichung (2.70) stellt ages die Summe der Auflagerreaktionen eines gelagerten und gestütz-
ten starren Körpers dar.
Ergibt sich f > 0, so kann sich das Tragwerk oder der Körper bewegen. Ein Tragwerk ist somit
statisch unbrauchbar, siehe auch Bild 2-33b.
Für f = 0 sind in der Regel keine Starrkörperbewegungen mehr möglich und es liegt ein sta-
tisch bestimmtes und stabiles System vor, Bild 2-33c.
Bei statisch bestimmten Systemen können die drei wirkenden Auflagerreaktionen mit den
Methoden der Statik, d. h. mit den drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik (siehe
Kapitel 2.3.1), bestimmt werden.
Ist f < 0, so ist das Tragwerk zwar stabil aber statisch unbestimmt gelagert. Die Auflagerreak-
tionen können nicht mehr allein mit den Methoden der Statik bestimmt werden. Dies bedeutet,
die drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik reichen nicht aus, um die vier Lagerre-
aktionen in Bild 2-33d zu ermitteln. Es muss noch eine weitere Bedingung gefunden werden,
um das Problem zu lösen. Bei verformbaren Tragstrukturen liefern die Verformungen eine
zusätzliche Bedingung, siehe z. B. [2-2]. Beim menschlichen Bewegungsapparat werden z. B.
das Prinzip der momentenfreien Gelenkbelastung und das Prinzip der zwanglosen Stützung
herangezogen, siehe Kapitel 2.8.5.
a) b)
G
G
T
N
Kontaktfläche
Kontaktnormale N
T
Nach dem Wechselwirkungsgesetz (Kapitel 2.1.3.3) sind die Kontaktkräfte in beiden Berühr-
flächen gleich groß und entgegengesetzt gerichtet.
Die resultierende Kraft kann, wie in Bild 2-34b gezeigt, in zwei Komponenten zerlegt werden.
Die Normalkraft N stellt eine Druckkraftkomponente senkrecht zu den Kontaktflächen, also in
Richtung der Kontaktnormalen dar. Zugkräfte können durch Kontakt nicht übertragen werden.
Die Tangentialkraft T wirkt tangential in der Berührebene. Tangentialkräfte können bei Kon-
taktsituationen nur durch Haftung (Haftreibung) bzw. Reibung (Gleitreibung) übertragen wer-
den.
a) b) c)
G G
m
F
RH
N
N
Beim Freischnitt des Körpers, Bild 2-35b, ist die von der Unterlage auf den Körper ausgeübte
Normalkraft N eingezeichnet. Diese ist mit der Gewichtskraft G im Gleichgewicht:
: N G 0 N G (2.71).
Der Betrag der Normalkraft entspricht dem Betrag der Gewichtskraft, Gleichung (2.71).
Auch wenn eine horizontale äußere Kraft F auf den Körper wirkt, Bild 2-35c, bleibt der Kör-
per bis zu einer Grenzkraft in Ruhe. In diesem Fall wird in der Kontaktfläche eine tangentiale
Kraft RH übertragen, welche die Bewegung verhindert. Die so genannte Haftreibungskraft
(Haftkraft) RH tritt stets in solcher Größe und Richtung auf, dass Gleichgewicht herrscht.
Mit den Gleichgewichtsbedingungen für die ebene Statik, Gleichung (2.49) und Gleichung
(2.50), erhält man für diese Situation (Bild 2-35c):
: N G 0 N G (2.72)
2.6 Wechselwirkung des Bewegungsapparats mit der Umgebung 55
: RH F 0 RH F (2.73).
Die Haftreibungskraft RH ist somit so groß wie die tangential zur Berührfläche wirkende äußere
Kraft F. Da Gleichgewicht in x- und y-Richtung herrscht, bleibt der Körper in Ruhe. Haftung
liegt also vor, wenn zwischen den beiden Kontaktflächen keine Relativverschiebung auftritt.
Ein Körper haftet aber nicht unbegrenzt auf einer Unterlage oder einem anderen Körper. Es
existiert für alle Kontaktpaarungen eine Grenzhaftung oder Grenzhaftreibungssituation. Haft-
reibung und damit eine Gleichgewichtssituation liegt nur solange vor, bis die Haftreibungskraft
RH die Grenzhaftungskraft RHmax erreicht. Die Grenzhaftungskraft RHmax ist der Normalkraft N
und dem Haftreibungskoeffizienten µH proportional. Es gilt das so genannte COULOMBsche
Gesetz
RHmax µH N (2.74).
Beispiel 2-9
a) b) α
G
G·cos α
G·sin α
y
x
RH
α
N
Eine Person steht auf einer schiefen Ebene mit dem Neigungswinkel . In der Kontaktfläche
liegt im Idealfall ein Haftreibungskoeffizient von µH1 und im ungünstigsten Fall ein Haftrei-
bungskoeffizient µH2 vor.
Berechnen Sie:
a) die Haftreibungskraft RH sowie die Grenzhaftungskräfte für RHmax1 und RHmax2 für die
Extremsituationen,
b) die maximal möglichen Neigungswinkel 1 und 2 für die Extremsituationen.
56 2 Statik des Stützapparates
sin 1
G sin 1 µH1 G cos 1 tan 1 µH1
cos 1
2.6.5 Gleitreibung
Wirkt auf einen Körper, der sich auf einer Unterlage befindet, eine größere horizontale Kraft
F, Bild 2-36a, oder liegt eine verminderte Reibung zwischen Körper und Unterlage vor, so
bewegt sich der Körper in Richtung von F, Bild 2-36b. Infolge der Kontaktsituation tritt eine
Gleitreibungskraft RG auf, welche die Bewegung erschwert. Diese Widerstandskraft wirkt stets
entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung und hängt von der Werkstoffpaarung und der Ober-
flächenbeschaffenheit ab. Die auftretende Normalkraft ist gleich der Gewichtskraft
N G (2.76).
Die Gleitreibungskraft errechnet sich mit der Beziehung
RG µG N (2.77).
Der Betrag der Gleitreibungskraft ist somit abhängig von der zwischen dem Körper und der
Unterlage wirkenden Normalkraft N und dem Gleitreibungskoeffizienten µG.
2.7 Bestimmung von Reaktions- und Kontaktkräften bei einteiligen Systemen 57
a) b)
G
F
G
m Bewegungsrichtung
F RG
N
N
RG
Bei Bewegungen mit Gleitreibung treten häufig Beschleunigungen und Verzögerungen auf. Da
Körper, die derartigen Bewegungen unterliegen sich nicht im Gleichgewicht befinden, können
derartige Vorgänge in der Regel nicht mit den Methoden der Statik beschrieben werden. Daher
werden diese Themen überwiegend in der Kinetik (siehe z. B. [2-3]) beschrieben.
a) reibungsbehafteter
Kontakt mit Umgebung F
α
Rolle
A B
y a
l
x
b)
F
A B
c)
F
Ax
Ay By
Bild 2-37 Bestimmung der Auflager- bzw. Reaktions- und Kontaktkräfte bei einem Balken oder einer
balkenartigen Struktur
a) Darstellung des Balkens mit äußerer Kraft F sowie der Kontakt- und Stützsituation bei A
und B
b) Abstrahierte Darstellung mit Festlager bei A und Loslager bei B
c) Freischnitt der Struktur mit den Auflagerkräften Ax und Ay bei A und By bei B
A : B y l F sin a 0 (2.80).
Mit Gleichung (2.79) und Gleichung (2.81) erhält man die vertikale Auflagerkraft im linken
Lager
a F l a sin
Ay F 1 sin (2.83).
l l
Weitere Beispiele für die Ermittlung von Auflagerreaktionen finden sich in [2-1].
Freiheitsgrade.
Ein Loslager besitzt bekanntlich eine Auflagerbindung a = 1, ein Festlager zwei Auflagerbin-
dungen a = 2 und eine Einspannung drei Auflagerbindungen a = 3, siehe Kapitel 2.6.1.
Ein Gelenk ist statisch zweiwertig. Entsprechend den Gelenkkräften Gx und Gy (siehe Kapitel
2.5.4) hat ein Gelenk somit zwei Zwischenreaktionen: z = 2.
Auch bei mehrteiligen Tragwerken gilt für f = 0: das Tragwerk ist statisch bestimmt und stabil
gelagert. In der Regel können die Auflagerreaktionen und die Gelenkkräfte mit den Gleichge-
wichtsbedingungen der Statik ermittelt werden.
60 2 Statik des Stützapparates
Für f < 0 ist das System ebenfalls stabil gelagert. Es liegt allerdings eine statisch unbestimmte
Lagerung vor. Das bedeutet, die Gleichgewichtsbedingungen allein reichen nicht aus, um das
Problem zu lösen.
a) F2
G
F1
1 2
b
a
y A B
e
x
c d
b) F2
F1
1 2
Ax Bx
Ay By
c) Gy F2
Gx Gx
F1
1 2
Gy
Ax Bx
Ay By
Bild 2-38 Statische Bestimmtheit, Auflagerkräfte und Gelenkkräfte bei einem System mit Gelenken
a) Zwei Teilsysteme sind mit einem Gelenk verbunden
b) Freischnitt des Gesamtsystems (starrer Körper) mit den wirkenden Lasten und den Auf-
lagerkräften
c) Freischnitt der Teilsysteme mit den Auflagerkräften Ax, Ay, Bx und By sowie den Gelenk-
kräften Gx und Gy
Ergibt sich f > 0, so kann sich das System bewegen. Es ist somit als statisches Tragwerk un-
brauchbar.
Für das in Bild 2-38a dargestellte System gilt für die Teilsysteme n = 2, für die Gesamtheit der
Auflagerreaktionen ages = 4 und für die Anzahl der Zwischenreaktionen zges = 2. Somit ergibt
sich nach Gleichung (2.84): f 3 2 4 2 6 6 0 Freiheitsgrade. Damit ist das System
statisch bestimmt und stabil gelagert.
: Ay G y 0 (2.86)
G: Ax b Ay c F1 b a 0 (2.87).
: B y G y F2 0 (2.89)
G: Bx b B y d F2 d e 0 (2.90).
62 2 Statik des Stützapparates
Man hat somit sechs Gleichungen mit sechs Unbekannten. Mit den Gleichgewichtsbedingun-
gen lassen sich die sechs unbekannten Größen für das statisch bestimmte Problem ermitteln.
2.8.5 Hypothesen zur Berechnung von Stütz- und Haltekräften beim menschli-
chen Bewegungsapparat
Beim menschlichen Bewegungsapparat kann man bei der Ermittlung von Stütz- und Haltekräf-
ten von verschiedenen Hypothesen ausgehen.
Diese erlauben es u. a. auch statisch unbestimmte Mehrkörpersysteme, wie sie der menschliche
Körper bei vielen Belastungssituationen darstellt, auf mit den Methoden der Statik lösbare
Systeme zurückzuführen.
a) b)
F1 F2 F1
M
I
N
y Q
FA FB FA
gedachter
Schnitt
x
c) F2
F1
Q
M M
N N
FA Q FB
Bild 2-39 Schnittprinzip nach EULER/LAGRANGE zur Ermittlung der Schnittgrößen N, Q und M
a) Tragwerk oder Körperteil mit den wirkenden Kräften (äußeren Kräften, Lagerreaktions-
kräften, Gelenkkräften) und dem gedachten Schnitt
b) Die Schnittgrößen N, Q und M verkörpern die resultierende Wirkung der verteilten inne-
ren Beanspruchungen
c) Schnittgrößen am linken und am rechten Schnittufer sind im Gleichgewicht
Bei zahlreichen Körperteilen und bei Balken oder balkenartigen Strukturen treten die Schnitt-
größen
Normalkraft N
Querkraft Q und
Biegemoment M
64 2 Statik des Stützapparates
Beispiel 2-10
hS
G hE
β α
b
a
Eine Person mit dem Gesamtgewicht G macht Liegestütze auf dem Boden. Bei den Stützstel-
len findet kein Rutschen statt.
2.9 Bestimmung von inneren Kräften, Schnittgrößen 65
NF NH
b
a
Momentengleichgewicht um den Fuß:
b
Fuß: N H a G b 0 NH G
a
Kräftegleichgewicht in vertikaler Richtung:
b ab
: NF NH G 0 N F G N H G 1 G
a a
66 2 Statik des Stützapparates
Moment im Ellenbogengelenk: NE
ME
: N E N H sin 0 N E N H sin QE
E
: QE N H cos 0 QE N H cos hE
β
h h G b hE
E : M E NH E 0 M E N H E
tan tan a tan
NH
NE ist die Druckkraft und QE die Querkraft im Ellenbogengelenk. Beide verlaufen direkt
durch den Gelenkdrehpunkt. Das Ellenbogenmoment muss durch Muskelkraft aufge-
bracht, während die Kräfte durch passive Strukturen (Knochen, Bänder) übertragen wer-
den.
Moment im Schultergelenk:
MS
QS NS
hS
S : MS NH 0
S tan
hS hS G b hS
MS NH
α tan a tan
NH
Wird der Arm gestreckt und senkrecht zum Boden ausgerichtet, erreichen die Winkel
und den Wert 90°. tan und tan werden dann sehr groß, so dass die Momente im El-
lenbogen und in der Schulter verschwinden und die Position ohne besonderen Kraft-
aufwand gehalten werden kann.
b) Wirkungslinie der Handkraft verläuft durch das Schultergelenk, so dass die Schulterge-
lenkmuskulatur entlastet wird
G α
HF
FH
NF
b
a
G b
Fuß: G b FH a sin 0 FH
a sin
2.9 Bestimmung von inneren Kräften, Schnittgrößen 67
G b cos G b
: H F FH cos 0 H F FH cos
a sin a tan
G b ab
: N F FH sin G 0 N F G FH sin G sin G
a sin a
Normalkomponente der Handkraft:
G b b FH
N H FH sin sin G NH
a sin a
α
Horizontalkomponente der Handkraft:
G b b
H H FH cos cos G H F HH
a sin a tan
Die Normalkräfte sind genauso groß wie im Fall a). Die Horizontalkraft ist vorhanden
und bei den Füßen und den Händen gleich groß und entgegengesetzt gerichtet. Die Hori-
zontalkräfte sind die Folge innerer Kräfte, die von der Person durch Muskelkräfte erzeugt
werden. Die Normalkräfte resultieren aus dem Körpergewicht G.
Moment im Ellenbogengelenk
NE
ME hE
E : M E NH H H hE 0
QE tan
E
N G b G b
hE M E hE H H H hE
β tan a tan a tan
HH G b 1 1
hE
NH a tan tan
G
β
HF
NF FH
b
a
G b
Fuß: FH sin a G b 0 FH
a sin
68 2 Statik des Stützapparates
G b ab
: N F FH sin G 0 N F G FH sin G sin G
a sin a
G b
: H F FH cos 0 H F FH cos
a tan
MS
hS
S : M S H H hS N H 0
NS
tan
QS
hS
S
M S H H hS N H
tan
b b
hS G G hS
a tan a tan
α
G b 1 1
hS
HH a tan tan
NH Das Moment im Schultergelenk ist um den Anteil HH·hS
größer als im Fall a).
Die inneren Kräfte (Muskelkräfte) können so eingestellt werden, dass die Wirkungslinie
der Handkraft zwischen den Gelenkstellen von Ellenbogen und Schulter verläuft. Beide
Gelenke müssen dann zwar durch Muskelkräfte stabilisiert werden, aber die Momente
sind kleiner als bei den beiden Grenzfällen, bei denen ein Gelenk vollständig entlastet
wird.
Bei einem gestreckten senkrecht ausgerichteten Arm werden beide Gelenkmomente null.
2.9 Bestimmung von inneren Kräften, Schnittgrößen 69
Beispiel 2-11
Eine Person mit einem Gesamtgewicht G macht Übungen für die Hüftbeugermuskulatur. Die
Füße stützen sich nur bei dem dargestellten Widerlager ab. Es findet kein Rutschen statt.
Schneiden Sie das System frei und berechnen Sie:
a) Die Teilgewichte GO und GB mit Hilfe der Angaben in Kapitel 1.2.5,
b) Die Kontaktkräfte mit dem Boden und dem Widerlager.
Beantworten Sie:
c) Wo müssen Muskelkräfte wirken, um diese Position halten zu können?
d) Wie groß sind die wirkenden Momente?
Geg.: G, a, b, c, d, e,
SO
SB α
GO
GB
d
a b
c
Lösung:
a) Teilgewichte GO und GB
GO 0,43 0,07 2 0,065 G 0,63G
GB 2 0,185G 0,37G
GO FW α
GB
HH
NH
70 2 Statik des Stützapparates
: H H FW cos 0 H H FW cos
: N H GO GB FW sin 0 N H GO GB FW sin
H : GO a GB b FW c sin FW d cos 0
G B b GO a
FW d cos c sin GB b GO a FW
d cos c sin
Die Kontaktkraft FW des Widerlagers muss größer als oder im Grenzfall gleich null sein,
da ansonsten in der gezeigten Stellung kein Gleichgewicht möglich ist. Im Grenzfall
FW 0 ist N H GO GB G und H H 0 . Dies bedeutet: das Körpergewicht G ist
über dem Gesäß ausbalanciert und die Horizontalkraft beim Gesäß ist null.
c) Wo müssen Muskelkräfte wirken, um die dargestellte Position halten zu können?
Der erste Drehpunkt ist die Hüfte, d. h. es müssen die Hüftbeuger angespannt werden, um
den Oberkörper relativ zur Hüfte halten zu können.
Der zweite Drehpunkt ist das Kniegelenk. Der Schenkelstrecker (Quadrizeps) muss ange-
spannt werden, um das Kniegelenk in der dargestellten Position halten zu können.
d) Wie groß sind die wirkenden Momente?
Berechnung des Moments um das Hüftgelenk:
SO H : M H GO a 0 M H GO a
MH
GO
HH
NH
a
Berechnung des Moments um das Kniegelenk:
NK
HK l
MK K : M K FW l 0 M K FW l
FW
2.9 Bestimmung von inneren Kräften, Schnittgrößen 71
Beispiel 2-12
Eine Person sitzt mit angelehntem Rücken und angewinkelten Beinen auf dem Boden. Auf
den Knien sitzt ein Kind mit dem Gewicht G. Das Eigengewicht der Beine der Person darf
vernachlässigt werden. Der Haftreibungskoeffizient zwischen den Füßen und dem Boden ist
µH.
lO
lU
α β
Beantworten Sie:
a) Welche Kontaktsituationen zwischen Fuß und Boden sind möglich und was bedeutet das
für die aufzuwendenden Muskelkräfte? Zeichnen Sie ein mechanisches Ersatzmodell, um
diese Frage zu beantworten.
b) Sind diese Überlegungen auch für das Hüftgelenk erforderlich?
c) Welche Muskelkräfte können zum Tragen der Last beitragen?
Berechnen Sie:
d) Die Kräfte im Hüftgelenk und im Sprunggelenk, dass kein Rutschen zwischen Füßen und
Boden auftritt und
e) wie schwer das Kind höchstens sein darf, damit die Füße gerade nicht zu rutschen begin-
nen.
Geg.: G, lO, lU, ,
Lösung:
a) Welche Kontaktsituationen sind möglich?
Fall 1:
Der Haftreibungskoeffizient zwischen Füßen und Boden ist genügend groß, dass kein
Rutschen bei den Füßen auftritt. Dadurch wirken der Oberschenkel und der Unterschen-
kel wie Fachwerkstäbe und es ist keine Muskelkraft erforderlich, um die Position zu hal-
ten. Der Oberkörper ist durch die Lehne gestützt und erfordert ebenfalls keine Muskel-
kraft.
72 2 Statik des Stützapparates
G
Haftbedingung (siehe Kapitel
2.6.4):
Unterschenkel
Oberschenkel
RHF H F µH N F
NF FFuß
H F FFuß sin
µH
N F FFuß cos
HF
FFuß β µH tan
FHüfte
β
Die Haftbedingung wird erfüllt, wenn der Unterschenkel möglichst vertikal aufgestellt
wird.
Fall 2:
Die erforderlichen Haftkräfte bei den Füßen sind so groß, dass der Haftkoeffizient nicht
ausreicht. Das ist der Fall, wenn der Boden zu glatt ist oder der Unterschenkel zu flach
aufgestellt wird.
G
µG: Gleitreibungskoeffizient
RF
FHüfte NF
Um das Gewicht dennoch halten zu können, muss mit Muskelkraft die Bewegung im
Kniegelenk verhindert werden.
b) Sind diese Überlegungen, die für die Füße erforderlich sind, auch für das Hüftgelenk
erforderlich?
Die Überlegungen sind nicht erforderlich, da das Hüftgelenk durch die Rückenlehne ge-
stützt wird.
c) Welche Muskelkräfte können zum Tragen der Last beitragen?
Reicht der Haftkoeffizient zwischen Füßen und Boden nicht aus, dann kann die Last den-
noch getragen werden, wenn die Bewegungen im Kniegelenk oder im Hüftgelenk durch
Muskelkräfte verhindert werden. Es müssen also entweder der Kniebeuger oder der Hüft-
beuger oder beide gleichzeitig angespannt werden.
d) Berechnung der Kräfte im Hüftgelenk und im Sprunggelenk für den Fall, dass die Haft-
bedingung erfüllt ist.
2.9 Bestimmung von inneren Kräften, Schnittgrößen 73
sin
: FH sin FS sin 0 FH FS
sin
sin
: FH cos FS cos G 0 FS cos FS cos G
sin
G sin G sin
FS
sin cos cos sin sin
FS
NS N S FS cos
H S FS sin
HS
β
Haftbedingung:
H S FS sin µH N S µH FS cos sin µH cos
Beispiel 2-13
a) b) c)
B x B = 160 N x
Mmax = Ax ·a = 48 Nm
F b F
a
x M (x)
A Q Ax = 240 N M 0
Ein Fußballspieler, erhält einen Tritt mit der Kraft F gegen sein Schienbein, Skizze a. Der
Fußbereich (A) wird durch ein Festlager und der Kniebereich (B) durch ein Loslager ideali-
siert.
Man bestimme:
a) die Kräfte in den Lagern A und B
b) den Querkraft- und den Biegemomentenverlauf im Schienbein infolge des Tritts sowie
c) das maximale Biegemoment
Geg.: F = 400 N, a = 20 cm, b = 50 cm
Lösung:
a) Die Kräfte in den Lagern A und B
Freischnitt: Gleichgewichtsbedingungen:
B B A: Bb F a 0
F a 400 N 20 cm
B 160 N
II b 50 cm
b F : Ax B F 0
F a a
Ax F B F F 1
a I b b
x 20 cm
A Ax 400 N 1 240 N
50 cm
Ay
: Ay 0
b) den Querkraft- und Biegemomentenverlauf
Es handelt sich um ein Zweibereichsproblem.
2.10 Standfläche und Standsicherheit 75
M N : N 0
Q : Q Ax 0 Q Ax 240 N
I
I: M Ax x 0 M Ax x 240 N x
x
Ax M (0) Ax 0 0
Ax M ( x b) Ax b F b a
240 N 50 cm 400 N 30 cm 0
Die Schnittgrößenverläufe sind in obiger Skizze bei b und c dargestellt.
c) Das maximale Biegemoment tritt bei x = a auf:
M max Ax a 240 N 0,2 m 48 Nm.
a)
Kontaktstelle
Standfläche
b) c) d)
2.10.2 Standsicherheit
Ein Körper bleibt stehen, solange die Resultierende der äußeren Lasten, die an dem Körper
angreifen, eine Druckkraft auf die Standfläche ausübt und die Wirkungslinie der Resultieren-
den durch die Standfläche verläuft. Sicherer Stand ist nur gewährleistet, d. h. Umkippen wird
verhindert, wenn um die mögliche Kippkante das Kippmoment MKipp kleiner ist als das Stand-
moment MStand. Es muss also gewährleistet sein, dass
M Kipp M Stand (2.91)
oder
M Stand
M Kipp (2.92)
SK
2.11 Räumliche Kräftesysteme 77
Als Standfläche kann in diesem Fall die Fläche, die von der Berührstelle der Hand mit dem
Boden und den Füßen aufgespannt wird, angesehen werden.
FK
S
a
G
A
b
Bild 2-41 Standsicherheit eines Rugbyspielers (Gewicht G), der im Spiel von einem Gegenspieler
(Kraft FK) aus dem Gleichgewicht gebracht werden soll
Literatur zu Kapitel 2
[2-1] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Statik. Verlag Springer Vieweg,
Wiesbaden, 2012
[2-2] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Festigkeitslehre. Verlag Vie-
weg + Teubner, Wiesbaden, 2011
[2-3] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Dynamik. Verlag Vie-
weg + Teubner, Wiesbaden, 2011
3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
Die Festigkeitslehre, als wichtiges Teilgebiet der Mechanik, beinhaltet die Lehre von den
Spannungen und Verformungen in Strukturen und Teilstrukturen und vergleicht diese mit Ma-
terial- und Verformungsgrenzen.
Die Grundlagen der Festigkeitslehre dienen im Wesentlichen dazu,
sich einen Überblick über die in einer tragenden Struktur oder Teilstruktur vorliegen-
den Kraft- und Momentenübertragungsgegebenheiten zu verschaffen,
die Spannungsverteilungen und die maximalen Spannungen in Strukturen und Teil-
strukturen zu bestimmen,
die infolge der Belastung entstehenden Verformungen zu ermitteln sowie
Bruch- und Ermüdungsvorgänge sowie, z. B. beim menschlichen Bewegungsapparat,
die Wirkung von mechanischen Hilfs- und Heilungsmitteln zu untersuchen.
3.1.1 Statik
In der Statik werden tragende Elemente des Bewegungsapparats als Teile mit starrer Form
(Knochen als starre Körper) oder starrer Länge (z. B. Bänder und Sehnen als dehnstarre aber
biegeschlaffe Seile) idealisiert. Mittels Gleichgewichtsbetrachtungen am starren Körper können
dann die Stützkräfte und die inneren Kräfte ermittelt werden (siehe z. B. Kapitel 2.7 bis Kapi-
tel 2.9).
3.1.2 Elastostatik
Die Elastostatik geht von verformbaren Körpern aus. Im Mittelpunkt steht die Berechnung der
Beanspruchungen, d. h. der Spannungen in den Knochen, Bändern, Sehnen und Muskeln infol-
ge der äußeren Belastungen. Darüber hinaus erfolgt die Berechnung der elastischen Formände-
rungen (Verzerrungen) der Knochen und der elastischen Längenänderungen (Dehnungen) der
Bänder, Sehnen und Muskeln.
3.1.3 Festigkeitslehre
Aufgabe der Festigkeitsberechnung ist es, die von den äußeren Belastungen (Statik) hervorge-
rufenen Beanspruchungen (Elastostatik) eines Körperteils rechnerisch zu erfassen und mit sei-
ner Tragfähigkeit (Materialeigenschaft) zu vergleichen. Dabei muss die Festigkeitsbedingung:
Beanspruchung Tragfähigkeit
erfüllt sein.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_3
80 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
Grundsätzlich gilt:
Kräfte wirken als Normal- und/oder Querkräfte,
Momente wirken als Biege- und/oder Torsionsmomente.
In den Querschnitten senkrecht zur Stab- oder Balkenachse führen
Normalkräfte und Biegemomente zu Normalspannungen und
Querkräfte und Torsionsmomente zu Schubspannungen.
Neben den Belastungsarten unterscheidet man auch noch Belastungsfälle. Diese beschreiben
den zeitlichen Verlauf der Belastung. Neben der ruhenden oder konstanten Belastung existie-
ren auch zeitlich veränderliche Belastungen bei periodisch oder nichtperiodisch ablaufenden
Vorgängen sowie Stoßbelastungen.
3.3 Spannungen
Äußere Kräfte und Momente rufen bei Strukturen bzw. Teilstrukturen verteilte innere Kräfte,
die Spannungen, hervor.
„Spannungen sind die auf einer gedachten Schnittfläche durch einen Körper verteilten
inneren Flächenkräfte mit der Dimension Kraft pro Fläche.“
Man unterscheidet Normalspannungen, die senkrecht zur gedachten Schnittfläche (Quer-
schnittsfläche) wirken und Schubspannungen, die als Tangentialspannungen in der Schnittflä-
che auftreten.
Die in der Statik berechneten Schnittgrößen N, Q, und M, siehe z. B. Kapitel 2.5.3.3, stellen
die Resultierenden der Spannungen dar. Die Spannungen können demnach berechnet werden,
indem man die Schnittgrößen auf charakteristische Größen der Schnittfläche (Querschnittsflä-
che bei Schnittkräften, Widerstandsmoment bei Schnittmomenten) bezieht.
a) b) c) d) e)
FO FO FO
Querschnittsfläche A
des Oberarmknochens
S
G
N σN di
da
FO
Aus der Normalkraft N und der Querschnittsfläche A des Oberarmknochens ergibt sich die
Zugspannung (Normalspannung) im Oberarm
N FO
N (3.2),
A A
Bild 3-1d. Diese ist gleichmäßig über die Querschnittsfläche verteilt, nur von der Größe und
nicht von der Form des Querschnitts abhängig.
Die Spannung ergibt sich somit als Kraft durch Fläche. Sie stellt die Intensität der inneren
Kraft pro Flächeneinheit dar. Als Einheit kann z. B. N/m2, N/mm2 oder MPa gewählt werden.
Bei dem in Bild 3-1 dargestellten Oberarmknochen wird als Knochenquerschnitt ein Kreis-
ringquerschnitt angenommen, Bild 3-1e, dessen Fläche sich mit
d 2 d i2
Aπ a (3.3)
4
ergibt.
Die hier gezeigte Vorgehensweise kann auch für andere zugbelastete Körperteile eingesetzt
werden. Zunächst muss die Schnittkraft, d. h. die Normalkraft N, ermittelt werden. Mit der
entsprechenden Querschnittsfläche A erhält man dann die Normalspannung
N
(3.4).
A
3.3 Spannungen 83
b) c) d)
FO FO FO
ND σN
FO
Die Ermittlung der Druckspannung wird am Beispiel des Oberarmknochens erläutert, siehe
Bild 3-2.
Nach der Ermittlung der Druckkraft FO, Bild 3-2b, im Oberarm und der Normalkraft ND, Bild
3-2c, mittels der Gleichgewichtsbedingungen, Kapitel 2.3.1 und Kapitel 2.9, erhält man mit
N D FO (3.5)
und der Querschnittsfläche A des Oberarms, Bild 3-1e, die Druckspannung (Normalspannung)
im Oberarmknochen
84 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
N D FO
N (3.6),
A A
Bild 3-2d.
Auch für andere druckbelastete Strukturen ergibt sich dieselbe Vorgehensweise und es gilt
– allgemein – die Gleichung (3.4).
a) b)
da
di
M
y x
N y
α
F
Q z
Mit den Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik, Kapitel 2.3.1, erhält man für den frei-
geschnittenen Knochen (Balken), Bild 3-3a, die Schnittgrößen
N F cos (3.7)
Q F sin (3.8)
M F x sin (3.9).
N ND
N (3.10),
A A
mit A als der Querschnittsfläche des Knochens, siehe z. B. Bild 3-3b.
3.3 Spannungen 85
a) b)
σ = σN
ND
a) b)
Q τ = τQ
Die mittlere Querkraft ist nur von der Größe und nicht von der Form des Querschnitts abhän-
gig. Als Einheit wird N/m2, N/mm2 oder MPa verwendet. Nähere Details zur Querkraftbelas-
tung sind in [3-1] zu finden.
a) b)
M
y x
z max σ = σ B = σB(z)
z σmax = σ Bmax
Bild 3-6 Ermittlung der Normalspannung = B infolge des Schnittmomentes M
a) Biegemoment M im Knochen
b) Normalspannungsverlauf, Biegespannungsverlauf = B = B(z) im Knochenquer-
schnitt sowie maximale Biegespannung max = Bmax in der äußeren Randfaser des
Knochens
Hierin ist Iy das Flächenträgheitsmoment der Schnittfläche und z der Abstand zur x- oder y-
Achse bzw. zur neutralen Schicht, siehe Bild 3-6b.
Für den in Bild 3-3b dargestellten Querschnitt (Kreisringquerschnitt) errechnet sich das Flä-
chenträgheitsmoment mit
(d a4 d i4 )
Iy (3.13),
64
siehe auch [3-1].
Die maximale Biegespannung im Knochenquerschnitt ergibt sich durch die Beziehung
M
max Bmax (3.14).
WBy
Sie tritt in der Randfaser mit dem größten Abstand zur neutralen Schicht, d. h. zur x-Achse,
auf, Bild 3-6b.
WBy ist das Widerstandsmoment gegen Biegung, das sich aus dem Flächenträgheitsmoment Iy
und dem maximalen Randfaserabstand zmax ergibt:
Iy
WBy (3.15).
z max
Für den in Bild 3-3b dargestellten Querschnitt (Kreisquerschnitt) ergibt sich der maximale
Randfaserabstand
da
z max (3.16)
2
und somit das Widerstandsmoment
3.3 Spannungen 87
Iy ( d a4 d i4 )
WBy (3.17).
z max 32d a
Flächenträgheitsmomente und Widerstandsmomente für andere Querschnittsprofile sind in [3-
1] zu finden.
Die Normalspannung N infolge der Normalkraft N und die Normalspannung B infolge des
Biegemomentes M wirken senkrecht zum Querschnitt, d. h. in x-Richtung, sie können damit
algebraisch addiert werden. Für die maximale Normalspannung ergibt sich somit
N M
max N Bmax (3.18).
A WBy
a) b)
da
di
MT y Mx
x
y
z
c) d)
r r
y y
τmax = τ Tmax
z τ(r) = τT(r) z
τ(r) = τT(r)
Bild 3-7 Ermittlung der Schubspannung bei Torsionsbelastung
a) Freischnitt eines durch ein Moment MT belasteten Röhrenknochens: Schnittmoment Mx.
b) Querschnitt des Röhrenknochens (Kreisringprofil)
c) Schubspannungsverlauf (r) = T(r) des Röhrenknochens in Umfangsrichtung (Knochen-
querschnitt ist vergrößert dargestellt)
d) Schubspannungsverteilung (r) = T(r) und maximale Schubspannung max = Tmax im
Kreisringquerschnitt (Knochenquerschnitt ist vergrößert dargestellt)
88 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
Beim torsionsbelasteten Knochen, Belastung durch MT, Bild 3-7a, wird das innere Schnittmo-
ment Mx mit den Gleichgewichtsbedingungen der Raumstatik, Kapitel 2.3.2, ermittelt. Mit
Gleichung (2.55) folgt
Mx MT (3.19).
(d a4 d i4 )
IP (3.21).
32
Die maximale Schubspannung (Torsionsspannung) im Knochenquerschnitt ergibt sich mit der
Beziehung
MT
max Tmax (3.22).
WP
Sie tritt am äußeren Umfang des Kreisringquerschnittes, d. h. bei r = rmax = da/2, auf.
WP ist das polare Widerstandsmoment gegen Torsion, das sich aus dem Flächenträgheitsmo-
ment IP und rmax ergibt:
IP
WP (3.23).
rmax
(d a4 d i4 )
WP (3.24).
16d a
3.4 Verformungen
Alle festen Körper ändern unter Einwirkung von Kräften und Momenten ihre Größe und ihre
Gestalt. D. h. bei Belastung treten in allen Bauteilen und Strukturen Verformungen auf.
3.4 Verformungen 89
Die Art der Verformung hängt von den äußeren Belastungen und den daraus resultierenden
lokalen Spannungen ab.
Grundsätzlich gilt:
„Normalspannungen erzeugen Längenänderungen,
Schubspannungen bewirken Winkeländerungen“.
Die Untersuchung der Verformung von Festkörpern ist ein rein geometrisches Problem. Man
vergleicht den Zustand nach der Verformung mit dem Zustand vor der Verformung.
a) l
b)
Δl
Bild 3-8 Verformungen bei einem Zugstab oder bei einem Seil
a) Unbelasteter und unverformter Stab
b) Belasteter und verformter Stab mit der Gesamtverlängerung l
Bei Belastung durch die Kraft F verlängert sich der Stab. Dabei erfahren alle Stabquerschnitte
eine Verschiebung. Der Kraftangriffspunkt verschiebt sich um l, was der Gesamtverlänge-
rung des Stabs entspricht.
Für den Fall einer konstanten Dehnung über die Stablänge gilt für die Stabverlängerung
l l (3.25)
bzw. für die Dehnung
l
(3.26).
l
Die Dehnung als bezogene Längenänderung ist ein wichtiges Verformungsmaß, die sich all-
gemein wie folgt ermitteln lässt:
Länge nach der Verformung Länge vor der Verformung
Dehnung .
Länge vor der Verformung
Die Dehnung ist eine dimensionslose Größe, die meist in % oder in ‰ angegeben wird.
90 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
Ist ein Stab durch eine Druckkraft belastet, so verkürzt er sich. Negative Dehnungen werden
häufig auch als Stauchungen bezeichnet.
τ τ γ
C C
τ
Bild 3-9 Verformungen durch Schubbelastungen
a) Unverformte und unbelastete Scheibe als Knochenelement
b) Durch Schubspannungen beanspruchtes Scheibenelement
c) Winkeländerung am Scheibenelement infolge der Schubspannungen
DD
(3.27).
CD
wird Schubverformung oder Schiebung genannt.
a) b)
τ
σ τ σ
Auch bei allgemeiner Belastung bzw. allgemeiner Formänderung bewirken die Normalspan-
nungen die Dehnungen und die Schubspannungen die Schubverformungen.
3.4.4 Stoffgesetze
Die bisher verwendeten Definitionen für die Spannungen, Kapitel 3.3, und Verzerrungen,
Kapitel 3.4.1 bis Kapitel 3.4.3, gelten unabhängig vom Materialverhalten. Der Zusammenhang
zwischen Spannungen und Verzerrungen ist jedoch materialabhängig. Er muss experimentell
durch geeignete Versuche ermittelt werden.
Um den Zusammenhang zwischen der Normalspannung und der Dehnung zu bestimmen,
werden mit einer Probe aus dem entsprechenden Material, z. B. mit einer Probe aus Knochen-
gewebe, Zugversuche durchgeführt. Dabei ergeben sich Spannungs-Dehnungs-Kurven, wie
beispielhaft in Bild 3-11 dargestellt.
σ
Rm
α
ε
Bild 3-11 Mit einem Zugversuch ermittelte Spannungs-Dehnungs-Kurve für ein sprödes Material
Rm ist dabei die Zugfestigkeit, d. h. die maximal ertragbare Spannung. Dieser für Festigkeits-
betrachtungen wichtige Materialkennwert wird in N/mm2 oder MPa angegeben.
Tabelle 3-1: Werte für E und Rm für verschiedene Materialien des Bewegungsapparats im Vergleich
mit technischen Materialien, siehe auch [3-2] bis [3-4]
E-Modul Zugfestigkeit Rm
Material [MPa] [MPa]
Knochen (Kortikalis) 17.000 – 27.000 80 – 150
Knochen (Spongiosa) 100 – 2.000 6 – 45
Bänder 2.000 50 – 100
Sehnen 2.000 50 – 100
Stahl 210.000 350 – 1.700
Aluminium 70.000 95 – 560
Titan 110.000 390 – 1.150
Plexiglas 3.000 90
3.4.5.1 Längenänderungen
Seile und Stäbe sind durch eine Normalkraft N beansprucht. Mit der Normalkraft N = F und
der Querschnittsfläche A, siehe Bild 3-12, ergibt sich die Normalspannung
F
(3.32),
A
Kapitel 3.3.1.
F F
l Δl
Mit den Gleichungen (3.26), (3.28) und (3.32) errechnet sich die Dehnung
3.4 Verformungen 93
l F
(3.33).
l E EA
Durch Umstellen von Gleichung (3.33) erhält man die Längenänderung l des Seils bzw. des
Stabs, Bild 3-12:
F l
l (3.34).
EA
Die Längenänderung ist somit abhängig von der wirkenden Kraft F, der Stablänge l, dem Elas-
tizitätsmodul E des Stabmaterials und der Querschnittsfläche A des Stabs.
a) F b) F
E·I E·I
w = wmax
w = wmax
l l/2 l/2
Für den in Bild 3-13a dargestellten Balken ergibt sich die maximale Durchbiegung
F l3
wmax (3.37)
3E I
und für den in Bild 3-13b gezeigten Balken
94 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
F l3
wmax (3.38).
48 E I
Biegelinien und maximale Durchbiegungen sind für weitere Belastungs- und Lagerungssituati-
onen in [3-1] nachzulesen.
Querschnitt
MT φ
l
Bild 3-14 Verdrehwinkel einer torsionsbelasteten Struktur
Der Verdrehwinkel ergibt sich für eine Kreis- oder Kreisringstruktur mit der Beziehung
MT l
(3.39).
G IP
Der Verdrehwinkel ist somit abhängig vom wirkenden Torsionsmoment MT, der Länge l, dem
Schubmodul G und dem polaren Flächenträgheitsmoment IP, siehe auch [3-1].
Beispiel 3-1
da
Oberarm- di Beim Liegestütz wird der
knochen Oberarmknochen durch eine
l axial wirkende Kraft F auf
Druck belastet. Mit den Armen
werden dabei ca. 60 % des
Körpergewichts abgestützt.
idealsisierter
Knochenquerschnitt
F
3.4 Verformungen 95
Berechnen Sie:
a) den Normalkraftverlauf im Oberarmknochen längs der Schaftachse, ohne das Eigenge-
wicht der Oberarme zu berücksichtigen,
b) die Normalspannung im Knochenquerschnitt,
c) die Dehnung des Oberarmknochens und
d) die Änderung der Knochenschaftlänge l.
Geg.: m = 70 kg, g = 10 m/s2, l = 30 cm, da = 20 mm, di = 15 mm, EKortikalis = 18.000 MPa
Lösung:
a) Normalkraftverlauf längst der Schaftachse
: N ( x) F 0
N ( x ) F konst.
x
Die Normalkraft N(x) ist längs der
Schaftachse konstant. N ist eine Druckkraft.
N
N
N
210 N
A 137,4 mm 2
1,53
N
mm 2
π
4
1,53 MPa mit A d a2 d i2 137,4 mm 2
c) Dehnung im Oberarmknochen
Hooksches Gesetz: E
1,53 MPa
8,5 10 5 8,5 10 3 % 0,085 ‰ (Verkürzung)
E 18.000 MPa
a) b)
ein.
Beispiel 3-2
S
G
125° 6°
d
Beinachse α α
Eine Person mit dem Gesamtgewicht G und der Beinlänge l steht aufrecht mit gespreizten
Beinen (Winkel ).
Berechnen Sie:
a) Die Bodenreaktionskräfte und die Kräfte im Hüftgelenk in der Frontalebene.
b) Wie weit können die Beine bei einem Haftkoeffizienten von µH zwischen Fuß und Boden
gespreizt werden, ohne dass die Füße rutschen?
c) Die Spannungen im Oberschenkelhals (der Abstand zum Hüftgelenkmittelpunkt ist a, der
Durchmesser des Oberschenkelhalses ist d).
Geg.: G = 900 N, l = 90 cm, = 15°, a = 30 mm, d = 28 mm,
Winkel zwischen Oberschenkelhals und Oberschenkelschaft: 125°
Winkel zwischen Oberschenkelschaft und Beinachse: 6°
98 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
Lösung:
a) Bodenreaktionskräfte und Kräfte im Hüftgelenk
GO
II
Freischnitt des Gesamtsystems:
0,45l Gewicht des Oberkörpers (nach Bild 1-7):
GB GB GO (1 2 0,185) G 0,63G 567 N
l
Gewicht eines Beines:
GB 0,185G 0,185 900 N 166,5 N
HF: Horizontalkraft zwischen Fuß und Bo-
den
HF HF NF: Normalkraft zwischen Fuß und Boden
NF NF
Freischnitte für das Becken und ein Bein (mit Ausnutzung der Symmetrie):
Becken: Bein:
GO
HH VH
II H H
II
HH
VH VH
HH: Horizontalkraft im Hüft-
gelenk GB
HF
NF
: N F G B VH 0 (2)
GO G
Aus (2) folgt: N F GB VH GB 450 N
2 2
3.5 Kombinationen von Belastungen 99
sin GO
Aus (3) folgt: H F ( N F GB 0,45) GB GB 0,45 tan
cos 2
(0,5GO 0,55GB ) tan 100,5 N
Das Becken wird mit einer Kraft von 100,5 N in horizontaler Richtung zusammenge-
drückt. Die Horizontalkraft in der Hüfte entsteht durch das Spreizen der Beine. Muskel-
kräfte sind in der Frontalebene prinzipiell keine erforderlich, außer zum Ausbalancieren
von Störkräften in horizontaler Richtung.
b) Wie weit können die Beine gespreizt werden?
Haftbedingung zwischen Fuß und Boden:
G
H F H N F bzw. H F (0,5GO 0,55GB ) tan H
2
125°
β
γ Definition der Winkel am Hüftgelenk:
180 125 6 49
6°
15 49 64 :
Winkel zwischen Oberschenkelhalsachse
und der Vertikalen
α
100 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
VH
x=a
γ
HH
HH VH·sin γ
VH HH·cos γ
I M
HH·sin γ
γ Q N
γ
VH·cos γ
I : M VH x sin H H x cos 0
Druckspannung im Oberschenkelhals:
N d2 28 2
D mit der Querschnittsfläche A π π mm 2 616 mm 2
A 4 4
215 N
folgt: D 0,35 N/mm 2
2
616 mm
Mittlere Schubspannung im Oberschenkelhals:
Q 211 N
0,34 N/mm 2
A 2
616 mm
Biegespannung im Oberschenkelhals:
M d3 283
B mit dem Widerstandsmoment WB mm 3 2155 mm 3
WB 32 32
6330 Nmm
B 2,94 N/mm 2
3
2155 mm
Die resultierende Druckspannung ergibt sich aus der Überlagerung der konstanten
Druckspannung infolge N und der maximalen Normalspannung infolge M mit:
Beispiel 3-3
S
G αG Eine Person mit dem Gesamtgewicht
lG a
G steht aufrecht auf einem Bein. Der
Winkel der Beinachse zur Senkrech-
125°
ten beträgt .
Beinachse
Berechnen Sie für die Frontalebene:
d
6° a) die Bodenreaktionskräfte,
α
b) die Kräfte im Hüftgelenk und die
αT Schenkel- Kraft der Gesäßmuskulatur,
lT bindenspanner
c) die Kräfte im Kniegelenk und die
l
Kraft im Schenkelbindenspanner
und
d) die Spannungen im Oberschenkel-
lU hals (der Abstand zum Hüftge-
lenkmittelpunkt ist a, der Durch-
messer des Oberschenkelhalses
ist d).
: N F G 0 N F G 900 N
Die Bodenreaktionskraft (verti-
Fuß, Sprunggelenk kale Fußkraft) entspricht dem
HF Gesamtkörpergewicht
NF
102 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
GR
SR
Beingewicht:
GB 0,185G 0,185 900 N 166,5 N
α
Restkörpergewicht:
GB
GR G GB (1 0,185) 900 N 733,5 N
GR hat den Abstand b zur Vertikalen:
l
Gleichgewichtsbedingungen:
0,55l : N F GB GR 0
N F GB GR G 900 N
III
NF = G
GB 166,5 N
b 0,55l sin 0,55 900 mm sin 5 9,79 mm
GR 733,5 N
Der Abstand des Restkörperschwerpunkts SR zur Vertikalen durch den Fuß ist abhängig
vom Winkel der Beinachse zur Vertikalen. Das Ergebnis zeigt, dass das Bein umso
steiler steht, je näher die Vertikale durch den Restkörperschwerpunkt zum Fuß verlagert
wird. Ist der Abstand b = 0, dann steht das Bein vertikal, d. h. = 0.
Ist so wie hier der Winkel gegeben, dann ist auch der Abstand b festgelegt. Für
b 10 mm herrscht Gleichgewicht, d. h. Stehen auf einem Bein ist möglich.
3.5 Kombinationen von Belastungen 103
FM Parallele
VH zur Beinachse
GB: Beingewicht
II
125°
HH FM: Muskelkraft
6° HH: Horizontalkraft in der Hüfte
β
GB VH: Vertikalkraft in der Hüfte
lG
Vertikale
lG: Abstand des Gesäßmuskels zum Hüft-
gelenk
α
G: Winkel der Gesäßmuskelwirkungsli-
nie zur Beinachse
Beinachse
: Winkel des Gesäßmuskels zur Verti-
kalen: = G – = 15° – 5° = 10°
NF
Gleichgewichtsbedingungen:
: N F GB VH FM cos 0 (1)
: H H FM sin 0 (2)
(G GB 0,45) l sin
mit N F G FM
lG
Bemerkung: Die Muskelkraft ist null, wenn = 0° gilt, d. h. wenn das Bein vertikal steht.
Für = 5° gilt:
(900 N 166,5 N 0,45) 900 mm sin 5
FM 925 N
70 mm
Die Muskelkraft beträgt FM = 925 N = 1,03 G. Sie ist damit geringfügig größer als das
Körpergewicht G.
Aus (2) H H FM sin 925 N sin10 161 N
Die resultierende Hüftgelenkkraft beträgt 1652 N, d. h. 1,84 G. Sie ist damit fast doppelt
so groß wie die Gewichtskraft. Die Gelenkkraft wird durch die Muskelkraft erhöht und
somit das Gelenk stabilisiert.
c) Kräfte im Kniegelenk
Freischneiden des Unterschenkels
αT = 5°
lT
GU: Unterschenkelgewicht mit Fuß
α
FT HK: Horizontalkraft im Knie
VK
VK: Vertikalkraft im Knie
HK IV
lT: Abstand der Wirkungslinie des
GU
0,45l U Schenkelbindenspanners zum Kniege-
lenk
Beinachse
lU T: Winkel des Schenkelbindenspanners
zur Beinachse
Gleichgewichtsbedingungen:
: N F G U VK FT cos( T ) 0 (1)
: H K FT sin( T ) 0 (2)
d) Spannungen im Oberschenkelhals
β
125°
γ
α
Schnittgrößen am Oberschenkelhals:
Zerlegung Zerlegung
der Kraft V H der Kraft HH
VH
x=a VH·sin γ
HH HH
VH γ
γ I γ HH·sin γ HH·cos γ
M VH·cos γ
Q
N
: N VH cos H H sin 0
: Q VH sin H H cos 0
I : M VH x sin H H x cos 0
Druckspannung im Oberschenkelhals:
N 1294 N d2 28 2
D 2,10 N/mm 2 mit Aπ π mm 2 616 mm 2
A 616 mm 2 4 4
106 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
Biegespannung im Oberschenkelhals:
M d3 283
B mit WB mm 3 2155 mm 3
WB 32 32
30780 Nmm
B 14,28 N/mm 2
2155 mm 3
a) b)
S1 = S2 = F S1 S2
Stab 2
l2 E ·A F
c2 = 2 2
l2
für n Stäbe.
Hierbei sind c1, c2 und ci die Federkonstanten der Stäbe (siehe Kapitel 3.4.5.2) mit
Ei Ai
ci (3.45).
li
für n Stäbe.
Die Gesamtverlängerung ist für alle Teilsysteme gleich und ergibt sich wie folgt:
F
l ges l1 l 2 li (3.50).
cges
108 3 Festigkeit des Stütz- und Bewegungsapparats
c2
S2 F (3.52)
cges
bzw.
ci
Si F (3.53).
cges
Bei einigen Systemen kann auch eine Kombination von Reihen- und Parallelschaltung vorlie-
gen. In diesen Fällen sind die obigen Gesetzmäßigkeiten kombiniert anzuwenden, siehe auch
[3-1].
Literatur zu Kapitel 3
[3-1] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Festigkeitslehre. Verlag Vie-
weg + Teubner, Wiesbaden, 2011
[3-2] Cowin, S. C.: The Mechanical Properties of Cortical Bone Tissue. In: Bone Mecha-
nics, Editor: Cowin, S. C., CRC Press, Second Printing, 1991, S. 97-127
[3-3] Cowin, S. C.: The Mechanical Properties of Cancellous Bone. In: Bone Mechanics,
Editor: Cowin, S. C., CRC Press, Second Printing, 1991, S. 129-157
[3-4] Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 22. Auflage. Hrsg. Grote, K.-H.;
Feldhusen, J., Springer Verlag, Berlin, 2007
4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
Die Dynamik ist ein wichtiges grundlegendes Gebiet der Technischen Mechanik. Sie beinhal-
tet die Lehre von den Bewegungen von Körpern und technischen Strukturen. Die Dynamik mit
den Teilgebieten Kinematik und Kinetik ist damit ein wichtiges Werkzeug für die Analyse von
Bewegungsvorgängen aller Art. Während die Kinematik als reine Bewegungslehre verstanden
wird, beschreibt die Kinetik die Beziehungen zwischen den Bewegungen bzw. den Bewe-
gungsänderungen und den sie beeinflussenden Kräften.
Die Grundlagen der Dynamik dienen im Wesentlichen dazu,
sich einen Überblick über die in Natur und Technik ablaufenden Bewegungsvorgänge
zu verschaffen,
bei Bewegungen auftretende Geschwindigkeiten und Beschleunigungen zu analysie-
ren,
Bewegungsbahnen von Massenpunkten und Körpern zu berechnen,
die bei Bewegungen auftretenden Kräfte und Momente zu bestimmen, sowie die ver-
richtete Arbeit, die Leistung bzw. die gespeicherte oder freigesetzte Energie zu ermit-
teln.
4.1 Idealisierungen
Verschiedene Idealisierungen der Mechanik sind bereits aus der Statik bekannt, wie z. B. die
Einzelkraft oder der starre Körper. Idealisierungen der Dynamik sind
der Massenpunkt
das Massenpunktsystem und
der starre Körper.
4.1.1 Massenpunkt
Beim Massenpunkt handelt es sich um einen massenbehafteten Körper kleiner Abmessungen.
D. h. die Abmessungen sind klein im Vergleich zur Bewegungsbahn und haben keinen Ein-
fluss auf den Ablauf der Bewegung.
Ein Massenpunkt, der sich frei im Raum bewegen kann, hat drei Freiheitsgrade der Bewegung.
Es handelt sich um drei Translationen, Bild 4-1a. Der Massenpunkt kann sich somit z. B. mit
einer Geschwindigkeit vx in x-Richtung, vy in y-Richtung und vz in z-Richtung bewegen.
In der Ebene besitzt der Massenpunkt zwei Freiheitsgrade, Bild 4-1b. Es sind Translationen in
x- und y-Richtung möglich.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_4
110 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
a) b) vy
y vy Massenpunkt y Massenpunkt
vx vx
vz
z x x
4.1.2 Massenpunktsystem
Unter einem Massenpunktsystem versteht man eine endliche Zahl von Massenpunkten, die
miteinander in Verbindung stehen. Die Verbindungen können starr sein, in diesem Fall spricht
man von kinematischen Bindungen, oder elastisch sein, hier liegt dann eine physikalische
Bindung vor. Bei Massenpunktsystemen hängen die Freiheitsgrade von der Anzahl der Mas-
sen, der Art und der Anzahl der Bindungen sowie von der Bewegungsart (räumliche, ebene
oder einachsige Bewegung) ab.
a) ωy b)
ωz
vy
z vy
y
y
x vx
z x vx ωx
vz
ωz
Bild 4-2 Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade) eines starren Körpers
a) Sechs Freiheitsgrade im Raum: 3 Translationen, 3 Rotationen
b) Drei Freiheitsgrade in der Ebene: 2 Translationen, 1 Rotation
Bewegt sich ein starrer Körper in oder auf einer Ebene, so verbleiben ihm noch drei Freiheits-
grade, nämlich die Translationen in x- und y-Richtung und die Rotation um die z-Achse, Bild
4-2b.
4.3 Kinematik des Massenpunktes 111
4.3.1 Bewegungsbahn
Betrachtet wird die Ortsänderung eines Punktes in einem bestimmten Zeitraum. Die Bewe-
gungsbahn kann somit als Folge der Aufenthaltsorte eines Massenpunktes zu verschiedenen
Zeiten aufgefasst werden, Bild 4-3.
Die Bahn wird durch den Ortsvektor r , der sich mit der Zeit ändert, beschrieben, wobei
r r (t ) (4.1)
y
P
Bahn
s r(t)
y(t)
ey
ex
ez x
z(t)
z x(t)
Bild 4-3 Bewegungsbahn als Abfolge der Aufenthaltsorte eines Punktes P zu verschiedenen Zeiten
e x , e y , ez : Einheits- oder Basisvektoren
r (t ) : Ortsvektor der Bahnkurve
x(t), y(t), z(t): Koordinaten (Komponenten) des Ortsvektors
4.3.2 Geschwindigkeit
Die Geschwindigkeit v ergibt sich durch die Ableitung des Ortsvektors r nach der Zeit:
dr
v r (4.3).
dt
Die Geschwindigkeit eines Massenpunktes ist stets tangential zur Bahn gerichtet, siehe Bild
4-4. Die Dimension der Geschwindigkeit ist Länge/Zeit [l/t]. Häufig wird die Einheit m/s oder
km/h verwendet.
v (t )
y vy (t)
P
Bahn v z (t )
vx (t)
r(t)
ey
ex
ez x
z
Bild 4-4 Geschwindigkeitsvektor v (t ) im Bahnpunkt P mit den Geschwindigkeitskomponenten
v x x (t ) , v y y (t ) und vz z (t )
Bei der Bewegung eines Massenpunktes lassen sich zwei Sonderfälle unterscheiden:
geradlinige Bewegung: die Richtung der Geschwindigkeit v ist konstant und
gleichförmige Bewegung: der Betrag der Geschwindigkeit v ist konstant.
4.3 Kinematik des Massenpunktes 113
Der Betrag der Geschwindigkeit errechnet sich als Diagonale des aufgespannten Quaders, Bild
4-4, mit
v v v x2 v y2 v z2 x 2 y 2 z 2 (4.5).
4.3.3 Beschleunigung
Die Beschleunigung a ist ein Maß für die zeitliche Änderung der Geschwindigkeit. a erhält
man durch die Ableitung der Geschwindigkeit v bzw. durch die zweite Ableitung des Orts-
vektors r nach der Zeit.
a(t)
a y (t )
y
P
Bahn a z (t)
a x (t )
r(t)
ey
ex
ez x
z
Bild 4-5 Beschleunigungsvektor a (t ) im Bahnpunkt P mit den Beschleunigungskomponenten
a x (t ) v x (t ) x(t ) , ay (t ) vy (t ) y(t ) und a z (t ) v z (t ) z(t )
Es gilt somit
a v ex v x e y v y ez vz (4.6)
oder
a r e x x e y y ez z (4.7),
a a a x2 a y2 a z2 v x2 v y2 vz2 x2 y2 z2 (4.8).
Die Beschleunigung besitzt die Dimension Länge/Zeit2 [l/t2] und z. B. die Einheit m/s2.
Der Beschleunigungsvektor a kann je nach Bewegung beliebige Richtungen annehmen. Er ist
bei allgemeinen Bewegungen nicht tangential zur Bahn gerichtet. Die Beschleunigungskom-
ponente tangential zur Bahn bewirkt eine Änderung des Betrags der Geschwindigkeit, die
Beschleunigungskomponente senkrecht zur Bahn bewirkt eine Richtungsänderung der Bewe-
gung.
y
P v a Bahn
z x
Bild 4-6 Bewegung eines Massenpunktes P auf gerader Bahn: die Bahnkoordinate x, die Geschwin-
digkeit v und die Beschleunigung a zeigen in Richtung der Bewegungsbahn
d 2x
a x (4.13).
dt 2
Beispiel 4-1
Die Hundertmeterläufe zweier Leichtathleten bei einer Olympiade sollen verglichen werden.
Die Zeitmessung hat die Zeiten der Läufer in Zehn-Meter-Abständen festgehalten.
Stellen Sie die Laufstrecke über der Laufzeit dar und bestimmen Sie die mittleren Geschwin-
digkeiten sowie die momentanen Geschwindigkeiten und die momentanen Beschleunigungen
der beiden Läufer.
Geg.: Zurückgelegte Strecken und Zeiten der beiden Läufer (siehe Tabelle)
116 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
Lösung:
a) Laufstrecke über der Laufzeit
100
90 Messwerte Läufer 1
Messwerte Läufer 2
80
Laufstrecke x(t) Läufer 1
Laufstrecke x [m]
13
12
11
Geschwindigkeit vm [m/s] 10
9
8
7
6
5
4
3
Läufer 1
2
1 Läufer 2
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Laufzeit t [s]
c) Laufstrecke (Weg-Zeit-Funktionen als Ausgleichspolynom)
x(t ) (a t 4 b t 3 c t 2 d t e) t 2
d) Momentane Geschwindigkeit:
13
12
11
Geschwindigkeit v [m/s]
10
9
8
7
6
5
4 Geschwindigkeit Läufer 1
3
2 Geschwindigkeit Läufer 2
1 mittlere Geschwindigkeit Läufer 1
0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Laufzeit t [s]
Die folgende Funktion stellt ein Ausgleichspolynom der Geschwindigkeiten dar. Im obi-
gen Bild sind diese für beide Läufer dargestellt. Zudem sind die mittleren Geschwindig-
keiten für Läufer 1 eingezeichnet.
e) Momentane Beschleunigung:
8
Beschleunigung a [m/s 2 ] 7 Läufer 1
6 Läufer 2
5
4
3
2
1
0
-1
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Laufzeit t [s]
Die folgende Funktion stellt ein Ausgleichspolynom der Beschleunigungen dar.
Da a(t ) v(t ) x(t ), gelten für alle drei Ausgleichspolynome die gleichen Koeffizienten,
siehe Aufgabenteil c).
x(t t 0 ) x0 (4.17).
Der Index 0 kennzeichnet die Anfangswerte. Für einen beliebigen Zeitpunkt werden die Be-
zeichnungen v für die Geschwindigkeit und x für den Weg gewählt.
4.3 Kinematik des Massenpunktes 119
Die Integration der jeweils vorliegenden Differentialgleichung kann als unbestimmte Integrati-
on oder als bestimmte Integration erfolgen:
Bei der unbestimmten Integration erhält man die Integrationskonstanten durch Einset-
zen der Anfangswerte.
Bei der bestimmten Integration entsprechen die unteren Grenzen den Anfangswerten.
Die oberen Grenzen entsprechen den Variablen zu einem beliebigen Zeitpunkt.
Um bei der bestimmten Integration eine Verwechslung mit den oberen Grenzen zu vermeiden,
werden die Integrationsvariablen unter dem Integral entsprechend gekennzeichnet oder umbe-
nannt. Beispielsweise steht dann für t die Integrationsvariable t usw.
Die Geschwindigkeit v bleibt über den gesamten Bewegungsvorgang konstant, siehe auch Bild
4-7. Man spricht in diesem Fall von einer gleichförmigen Bewegung.
Für die Ermittlung des Weges geht man von der Gleichung (4.11) aus, wobei für v nun v0 ein-
gesetzt werden kann:
dx
v x v0 konst. (4.21).
dt
Durch Umformung (Trennung der Variablen1) ergibt sich
dx v0 dt (4.22).
Den Weg x erhält man durch Integration dieser Differentialgleichung. Als Anfangsbedingung
wird dabei für den Zeitpunkt t = t0 der Weg x = x0, siehe auch Gleichung (4.17), gewählt.
Bei der bestimmten Integration von Gleichung (4.22) werden die Anfangswerte t = t0 und x =
x0 als untere Grenzen eingesetzt. Als obere Grenzen gelten dann t und x. Um eine Verwechs-
lung mit den oberen Grenzen zu vermeiden, werden die Integrationsvariablen in t und x
umbenannt.
Somit ergibt sich durch Integration der rechten und der linken Seite von Gleichung (4.22):
x t
dx v0 dt (4.23),
x0 t0
und somit
x t
x x0
v0 t t0
(4.24).
Durch das Einsetzen der oberen und unteren Grenzen und Umstellung erhält man für den Weg
x die allgemeine Formel
x x0 v0 (t t 0 ) (4.25).
a) b) c)
a v x
v0 x0
t0 t t0 t t0 t
Zur Verdeutlichung der Bewegung kann man die Situation im Beschleunigungs-Zeit-, Ge-
schwindigkeits-Zeit- und Weg-Zeit-Diagrammen darstellen. Für die hier betrachtete Bewe-
gung gelten die in Bild 4-7 gezeigten a-t-, v-t- und x-t-Diagramme. Es wird deutlich, dass bei
gleichförmiger Bewegung die Beschleunigung null, Bild 4-7a, und die Geschwindigkeit kon-
stant ist, Bild 4-7b, und der Weg sich linear mit der Zeit ändert, Bild 4-7c.
Den Weg x(t) erhält man mit der Differentialgleichung (4.11) und v = v(t) nach Gleichung
(4.29) sowie den Anfangsbedingungen x = x0 für t = t0 = 0 durch Integration von
x t t t
dx v0 a0 t dt v0 dt a0 t dt (4.31)
x0 t0 t0 t0
zu
t2
x x0 v0 t a0 (4.32).
2
Für den Sonderfall x0 = 0 und v0 = 0 bei t0 = 0 folgt unter Berücksichtigung von Gleichung
(4.30)
t2 v2
x a0 (4.33).
2 2a 0
a) b) c)
a v x
t2
a0 ·
2
a0·t
v0 ·t
a0 v0
x0
v0 x0
t0 t t0 t t0 t
dv a t dt
(4.36)
v0 t0
v v0 a(t ) dt (4.37).
t0
Die rechte Seite von Gleichung (4.37) lässt sich bei Vorgabe der Funktion a a (t ) integrieren.
a) a b) v c) x
a0 v0
x0
t0 t t0 t t0 t
Bild 4-9 Beschleunigungs-, Geschwindigkeits- und Weg-Zeit-Diagramme bei zeitlich veränderlicher
Beschleunigung
a) zeitlich veränderliche Beschleunigung
b) Geschwindigkeits-Zeit-Funktion
c) Weg-Zeit-Funktion
Für die Ermittlung des Weges geht man erneut von Gleichung (4.11) aus. Nach Trennung der
Variablen und bestimmter Integration unter Beachtung der Anfangsbedingung nach Gleichung
(4.17) sowie v = v(t) nach Gleichung (4.37) erhält man den Weg
t
x x0 v(t ) dt (4.38).
t0
Bild 4-9 zeigt, dass sich je nach Beschleunigung a = a(t) beliebige Geschwindigkeits- und
Wegabhängigkeiten ergeben können.
4.3 Kinematik des Massenpunktes 123
Die Ermittlung des Weges startet auch hier mit Gleichung (4.11):
dx
v v(t ) (4.44).
dt
Nach Trennung der Variablen und mit Gleichung (4.40) erhält man die Differentialgleichung
v dv
dx v dt (4.45).
a(v)
Die Integration liefert den Weg
t v
v
x x0 v(t ) dt x0 a(v ) dv (4.46).
t0 v0
Beispiel 4-2
Der Sprung eines Fallschirmspringers aus einem Flugzeug kann als freier Fall einer Masse
unter Berücksichtigung des Luftwiderstands verstanden werden. Für den Absprung gelten
die Anfangsbedingungen: Zum Zeitpunkt t = t0 = 0 sind Geschwindigkeit v = v0 = 0 und Weg
x = x0 = 0.
Die Beschleunigung des Fallschirmspringers der Masse m kann mit der Beziehung
dv v2 m g
a(v) v g 1 mit 2
dt 2 k
beschrieben werden.
Man bestimme die Geschwindigkeit v und den Weg x zur Zeit t (vor dem Öffnen des Fall-
schirms).
Geg.: m, g, k (Luftwiderstandskoeffizient)
Lösung:
t0 = 0, v0 = 0, x = 0
x
v = x· m
a) Geschwindigkeit v(t)
Beschleunigung:
dv v2
a (v ) g 1
dt 2
Durch Trennung der Variablen v und t erhält man
dv
dt
v2
g 1
2
Die Integration, siehe die Integrationstafel in [4-2], liefert:
v
t arctanh C
g
Mit der Anfangsbedingung v(t = 0) = 0 folgt C = 0 und somit:
v
t arctanh
g
Die Umstellung dieser Gleichung führt zur gesuchten Geschwindigkeit
4.3 Kinematik des Massenpunktes 125
g t
v tanh
Mit zunehmender Zeit nähert sich v der konstanten Grenzgeschwindigkeit vG, die sich für
t ergibt:
m g
vG .
k
b) Weg x(t)
Durch Integration der Geschwindigkeit erhält man mit x(t = 0) = x0 = 0
2 g t
x ln cosh
g
v dv a( x ) dx
v0 x0
bzw.
x
1 2 1 2
2
v v0
2 a ( x ) dx
x0
x
v v02 2 ax dx v( x)
(4.49).
x0
Den Weg x erhält man mit Gleichung (4.11) und v = v(x) nach Gleichung (4.49):
dx
v v(x)
dt
126 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
Es ist also eine Umkehrfunktion für die sich nach der Integration von Gleichung (4.51) erge-
bende Funktion t = t(x) zu finden.
a) ωy b) c)
vy ωy
y y
x ωx
z x vx ωx z x ωx
vz ωz
ωz
Bild 4-10 Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade) eines starren Körpers im Raum
a) Starrer Körper frei im Raum; f = 6 Freiheitsgrade: 3 Translationen, 3 Rotationen
b) Starrer Körper an einem Punkt festgehalten (1 Fixpunkt); f = 3 Freiheitsgrade: 3 Rotati-
onen
c) Starrer Körper, an zwei Punkten festgehalten (2 Fixpunkte); f = 1 Freiheitsgrad: Rotation
(Drehung) um eine feste Achse (Drehachse, z. B. x-Achse)
4.4 Kinematik des starren Körpers 127
x-, y- und z-Achse drehen. Die drei Translationen werden durch die Geschwindigkeiten vx, vy
und vz und die drei Rotationen durch die Winkelgeschwindigkeiten x, y und z beschrieben.
Die Bewegungen können getrennt voneinander, z. B. hintereinander, oder auch gleichzeitig,
d. h. überlagert, oder in verschiedenen Kombinationen vorkommen.
Ist der starre Körper an einem Punkt festgehalten (Bewegung um Fixpunkt), so entfallen die
Translationen, Bild 4-10b. Der Körper hat lediglich drei Freiheitsgrade (f = 3), nämlich die drei
Rotationen. Er kann sich also getrennt voneinander oder gleichzeitig um die x-, y- und z-Achse
drehen. Diese Rotationen können dann durch die Winkelgeschwindigkeiten x, y und z
beschrieben werden.
Ist der starre Körper an zwei Punkten fixiert, wie z. B. ein zweifach gelagertes System oder
Teilsystem, so liegt nur noch ein Freiheitsgrad (f = 1) vor, Bild 4-10c. Der Körper rotiert
(dreht) um eine feste Achse, z. B. die x-Achse, mit der Winkelgeschwindigkeit x.
a) vy b)
y ω = ωz
z z
x vx
ω = ωz
Bewegt ein Körper sich frei auf oder in einer Ebene, hat er insgesamt drei Freiheitsgrade
(f = 3), Bild 4-11a. Er kann sich in x- und/oder y-Richtung translatorisch bewegen und er kann
sich in oder auf der Ebene (um eine z-Achse) drehen. Die beiden Translationen werden durch
die Geschwindigkeiten vx und vy, die Rotation durch die Winkelgeschwindigkeit = z be-
schrieben.
Ist der starre Körper an einem Punkt gelagert (fixiert), so ist nur noch eine Drehung um den
Fixpunkt möglich (Freiheitsgrad f = 1). Die Drehung wird dann durch die Winkelgeschwin-
digkeit = z beschrieben, Bild 4-11b.
Liegt eine einachsige Bewegung vor, so besitzt der starre Körper nur einen Freiheitsgrad. Er
kann sich z. B. mit der Geschwindigkeit vx in x-Richtung bewegen.
4.4.2 Translation
Diese Bewegung lässt sich wie folgt definieren:
„Translation ist eine Bewegung, bei der alle Punkte eines Körpers in der Zeit dt die
gleiche Verschiebung dr erfahren.“
Wird der Punkt P in der Zeit dt um den Vektor dr nach P’ verschoben, so erfahren bei reiner
Translation alle übrigen Punkte des starren Körpers die gleiche Verschiebung (z. B. verschiebt
sich A nach A’ und B nach B’).
128 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
In diesem Fall sind auch die Geschwindigkeiten und die Beschleunigungen für alle Punkte des
starren Körpers gleich.
P
P’
dr
P
B’
r B
y
dr A’
z x
A
Bild 4-12 Translation: Alle Punkte des starren Körpers erfahren die gleiche Verschiebung dr
4.4.3 Rotation
Eine Rotation liegt vor, wenn alle Punkte eines Körpers um eine gemeinsame Drehachse rotie-
ren. Man unterscheidet dabei die Rotation um eine feste Achse (siehe z. B. Bild 4-10c) und die
Rotation um einen raumfesten Punkt (siehe z. B. Bild 4-10b). Bei der Rotation um eine feste
Achse bleibt die Lage der Achse im Raum unveränderlich. Bei der Rotation um einen Fixpunkt
ändert sich die Richtung der Achse mit der Zeit.
4.4 Kinematik des starren Körpers 129
A
A’ dφ
φ
r P’
P eφ
B
B’ er
feste Drehachse
Bild 4-13 Rotation um eine raumfeste Drehachse: Alle Punkte des starren Körpers erfahren die gleiche
Verdrehung um den Winkel d
Das bedeutet u. a.: Der Punkt P wird in der Zeit dt um den Winkel d nach P’ verdreht, Bild
4-13. Bei seiner Rotation verdrehen sich somit auch alle übrigen Punkte des starren Körpers
um d (z. B.: A nach A’ und B nach B’).
Wenn alle Punkte die gleiche Verdrehung erfahren, sind auch die Winkelgeschwindigkeit und
die Winkelbeschleunigung für alle Punkte gleich.
Für die Winkelgeschwindigkeit ω gilt somit:
d
(4.57).
dt
Die Winkelbeschleunigung ε ist definiert als
d d 2
(4.58).
dt dt 2
Die Geschwindigkeit v P für einen beliebigen Körperpunkt P, Bild 4-13, errechnet sich mit der
Beziehung
130 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
v P e v (4.59),
a r r 2 r 2 (4.62)
und
a r r (4.63),
v2
a P a r r 2 (4.65).
r
Dieses NEWTONsche Gesetz wird auch Trägheitsgesetz, Verharrungsgesetz oder „Satz von
der Erhaltung des Impulses“ genannt.
mit Fx, Fy, Fz als den Kraftkomponenten und a x x , a y y , az z als den Beschleuni-
gungskomponenten in x-, y- und z-Richtung.
Liegt eine ebene Bewegung vor, so entfällt Gleichung (4.72). Bei der geradlinigen Bewegung
wird nur eine der drei Komponentengleichungen benötigt, z. B.:
Fx m x (4.73).
wobei m die Masse des starren Körpers und aS die Beschleunigung des Schwerpunkts des
starren Körpers ist. F ist die resultierende Kraft, die auf den Körper einwirkt.
Gleichung (4.74) wird i. Allg. „Schwerpunktsatz“ genannt:
„Der Schwerpunkt eines starren Körpers bewegt sich so, als ob die Gesamtmasse in
ihm vereinigt wäre und alle äußeren Kräfte an ihm angriffen.“
Der Schwerpunktsatz gilt auch für den Gesamtschwerpunkt von Systemen aus mehreren star-
ren Körpern (Gelenksysteme), die durch innere Kräfte oder kinematische Bindungen miteinan-
der gekoppelt sind (z. B. für den menschlichen Bewegungsapparat). Das Schnittprinzip zur
Berechnung der Gelenkkräfte ergibt sich aus der Statik, Kapitel 2.8. Der Schwerpunktsatz
kann dann auch für die Schwerpunkte der Teilsysteme angewendet werden.
. ..
ε=ω=φ
Hierbei sind sowohl das Moment M als auch das Massenträgheitsmoment auf die Drehachse
zu beziehen.
Das Massenträgheitsmoment für eine feste Drehachse berechnet sich mit der Beziehung
134 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
Θ r 2 dm (4.76),
m
wobei r der Abstand eines Masseteilchens dm von der Drehachse ist, Bild 4-14.
r2
Θz m a (4.78).
2
Für eine Kugel, Bild 4-15b, gilt für alle Schwerpunktsachsen dasselbe Massenträgheitsmo-
ment:
2
Θ x Θ y Θz m ra2 (4.79).
5
a) b)
y
y
ra
l
x x
ra
z
z
Bild 4-15 Massenträgheitsmomente einzelner starrer Körper
a) Zylinder mit den Schwerpunktsachsen x, y und z, dem Radius ra und der Länge l
b) Kugel mit dem Radius ra
ΘA ΘS a 2 m (4.80).
Gleichung (4.81) beschreibt die Bewegung in x-Richtung, Gleichung (4.82) gilt für die y-
Richtung und Gleichung (4.83) beschreibt die Drehung um die z-Achse durch den Schwer-
punkt.
In Gleichung (4.83) stellt S das Massenträgheitsmoment bezüglich der Schwerpunktsachse
und MS die Summe aller Momente, ebenfalls bezogen auf die Schwerpunktsachse, dar.
y m, Θ S
φ
S
Bild 4-16 Allgemeine ebene Bewegung eines starren
yS Körpers der Masse m mit den Koordinaten
xS und yS für die Translation und der Win-
kelkoordinate φ für die Rotation um den
xS x Schwerpunkt S
Die NEWTONsche Grundgleichung für die Drehbewegung kann auch für eine andere Achse
angewendet werden, wenn diese Drehachse ist (siehe Beispiel 4-5). Dann sind aber auch M
und auf diese Achse zu beziehen.
Die Kinetik, d. h. die NEWTONsche Grundgleichung, siehe z. B. Kapitel 4.5.2 oder Kapitel
4.6.4, liefert dann die zur Bewegung notwendige Kraft, bzw. die bei der Bewegung auftreten-
den Kraftkomponenten.
Beispiel 4-3
Ein Krankenpfleger schiebt einen Patienten in einem Rollstuhl durch einen langen Kranken-
hausflur. Der Rollstuhl befindet sich auf einer geradlinigen Bahn, die sich durch die Weg-
Zeit-Kurve mit der Beziehung x A t 2 B t C beschreiben lässt.
Man bestimme die Kraft, die der Krankenpfleger aufbringen muss, um die Bewegung zu
ermöglichen.
Geg.: m = 100 kg, A = 0,4 m/s2, B, C
Lösung:
Geschwindigkeit:
v x 2 A t B
Beschleunigung:
a v x 2 A
Erforderliche Kraft:
a) b) c)
y
Bahn m m
y
v0 v0y v0 G=m·g
α α
x v0x x
Die Lösung der Aufgabe erfolgt mit der NEWTONschen Grundgleichung. Durch Freischnei-
den, Bild 4-17c, erkennt man, dass auf den Massenpunkt der Masse m während der Bewegung
lediglich die Gewichtskraft G = m·g einwirkt. Es handelt sich um eine ebene Bewegung, die
im x-y-Koordinatensystem beschrieben werden kann, Kapitel 4.5.2.
Mit den auftretenden Kraftkomponenten Fx = 0 und Fy = – G = – m·g (negatives Vorzeichen,
da G entgegen der y-Richtung wirkt) erhält man die dynamischen Grundgleichungen in der
Form
m x Fx 0 (4.84)
m y Fy m g (4.85)
g t2
y C2 t C4 (4.89).
2
Mit den Anfangsbedingungen v0x = v0·cos, v0y = v0·sin und x = x0 = 0 und y = y0 = 0 zum
Zeitpunkt t = 0 für die in Bild 4-17 dargestellte Situation, erhält man die Integrationskonstan-
ten C1 = v0x = v0·cos, C2 = v0y = v0·sin und C3 = C4 = 0 und somit die Koordinaten der Be-
wegungsbahn
x v0 t cos (4.90)
138 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
g t2
y v0 t sin (4.91).
2
in Parameterdarstellung mit dem Parameter t. Bestimmt man aus Gleichung (4.90) die Zeit t
und setzt diese in Gleichung (4.91) ein, so erhält man die Bahngleichung
g
y ( x) x tan x2 (4.92).
2v02 cos 2
Der Massenpunkt bewegt sich also beim schiefen Wurf entlang einer Parabel, der so genannten
Wurfparabel.
Mit Gleichung (4.92) erhält man für die Koordinaten x = l und y = 0 am Auftreffpunkt die
Wurfweite
v02 sin 2
l (4.93).
g
Die Wurfhöhe erhält man indem das Maximum von Gleichung (4.92) ermittelt wird:
v2
h 0 sin 2 (4.94).
2g
Die Bewegung, d. h. die Flugbahn, eines starren Körpers, bzw. eines Sportlers beim Sprung
kann auf gleiche Weise bestimmt werden, wenn man die Gleichungen auf den Körperschwer-
punkt bezieht, siehe Kapitel 4.6.1.
Beispiel 4-4
y
v0 m
α
x m·g
h0
4.6 Kinetik des starren Körpers 139
Ein Turmspringer, Masse m, springt von einem Turm der Höhe h0 unter einem Winkel mit
einer Geschwindigkeit v0 ab.
Man ermittle die Flugbahn und die Flugzeit bis zum Auftreffen im Wasser.
Geg.: m = 70 kg, h0 = 10,5 m, v0 = 2 m/s, = 50°, g = 9,81 m/s2
Lösung:
a) Flugbahn
Nach Gleichung (4.92) ergibt sich mit den angegebenen Anfangsbedingungen die Flug-
bahn:
g 9,81 1 2 1
y x tan x 2 1,19 x x 1,19 x 2,968 x 2
2v02 2
cos 2
2 2 cos 50 m2 m
x y (x) y [m]
[m] [m] 1 2 3
0
0 0 x [m]
-2
0,25 0,11
-4
0,5 -0,15 Flugbahn des
1 -1,78 -6 Körperschwerpunkts
1,5 -4,9 -8
2 -9,5 -10
b) Flugzeit
Nach Gleichung (4.91) ergibt sich mit den angegebenen Anfangsbedingungen die Flug-
bahn:
g t2 g t2
y v0 t sin h0 v0 t sin h0 0
2 2
2
2 2v sin 2h v sin v sin 2h
t 0 t 0 0 t 0 0 0
g g g g g
2
2 m/s sin 50 2 m/s sin 50
t 2 10,5 m 1,63 s
9,81 m/s 2 9,81 m/s 2 9,81 m/s 2
Beispiel 4-5
Ein Kind steht auf einer Schaukel und führt eine Pendelbewegung aus. In erster Näherung
können der Rumpf (Rumpfmasse mR, Rumpflänge lR, Rumpfdurchmesser dR) und die beiden
Beine (mB, lB, dB je Bein) als homogene Zylinder und der Kopf (mK, dK) als eine homogene
Kugel aufgefasst werden. Die übrigen Massen, wie z. B. die Massen der Arme oder der
Brettschaukel sind vernachlässigbar. Der Abstand zwischen dem Drehpunkt A und dem
Schaukelbrett ist l.
140 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
A
dK
Bestimmen Sie:
a) das Massenträgheitsmoment A des Kin-
l des um die Drehachse durch A,
lR
b) die Bewegungsgleichung für kleine Aus-
φ lenkungen um die statische Ruhelage und
c) die Dauer für eine Pendelbewegung.
lB
dR
Geg.: mK, mR, mB, dK, dR, dB, lR, lB, l, g
dB
Lösung:
a) Massenträgheitsmoment des Kindes um die Drehachse durch A:
Beachte: Massenträgheitsmomente nach Kapitel 4.6.3 und Satz von STEINER
2
1 d
ΘA mK d K2 mK l l B l R K
10 2
d 2 l2 2 d2 l2 2
l l
m R R R m R l l B R 2mB B B 2m B l B
16 12 2 16 12 2
b) Die Bewegungsgleichung für kleine Auslenkungen
Freischnitt des Systems mit den Teilgewichten
dK
φ
l GK = mK·g
lR
GK GR = mR·g
GB = 2mB·g
GR
lB
GB
A : ΘA M A
d l
M A mK g l l B l R K sin mR g l l B R sin
2 2
l *
2mB g l B sin M A mit sin für kleine Auslenkungen
2
d l l
Somit ist M *A mK g l l B l R K mR g l l B R 2mB g l B
2 2 2
* *
MA MA
0 02 0 mit 02
ΘA ΘA
2 ΘA
T 2
0 *
MA
4.6.6 Impulssatz
Das zweite NEWTONsche Gesetz, Kapitel 4.5.2, lässt sich als NEWTONsche Grundglei-
chung, siehe Gleichung (4.69) und Kapitel 4.5.1.2, oder als Impulssatz, siehe Gleichung
(4.68), formulieren.
Durch Integration von Gleichung (4.68) erhält man eine alternative Formulierung:
t
m v m v0 F dt (4.95)
t0
oder
t
p p0 F (t ) dt (4.96),
t0
wobei die Anfangswerte v0 und p0 für t = t0 berücksichtigt sind [4-1].
Somit lautet der Impulssatz:
„Die zeitliche Änderung des Impulses p p p0 ist gleich dem Zeitintegral über die
Kraft.“
4.6.7.1 Arbeit
Wird ein Massenpunkt durch eine Kraft F auf einer beliebigen Bahn bewegt, Bild 4-18, so
ergibt sich zwischen den Bahnpunkten 0 und 1 die Arbeit
1 1
W W0,1 F dr F cos dr (4.97).
0 0
m 1
α
0
dr v Bahn r = r(t)
y
z x
Bild 4-18 Bewegung auf beliebiger Bahn: Die Kraft F verschiebt den Massenpunkt m um den Weg
dr , die momentane Geschwindigkeit beträgt v
4.6.7.2 Leistung
Die Leistung P ist definiert als Arbeit pro Zeit t und somit
dW
P F x F v (4.99),
dt
mit v als der Bahngeschwindigkeit.
In Worten gilt:
„Leistung = Arbeit pro Zeit = Kraft · Geschwindigkeit“.
Die Dimension der Leistung ist Kraft · Länge/Zeit. Die Einheit ist Nm/s = 1 Watt. Der Ver-
gleich mit der früher gebräuchlichen Leistungseinheit PS liefert 1 kW = 1,36 PS.
4.6.7.3 Energie
In der Mechanik unterscheidet man kinetische Energie und potentielle Energie. Die kinetische
Energie hängt von der Masse m und der Geschwindigkeit v eines Körpers ab:
4.6 Kinetik des starren Körpers 143
m v 2 m v2
Ek (4.100).
2 2
Die kinetische Energie hat die Einheit kg·m2/s2 = Nm = Joule.
Die potentielle Energie der Gewichtskraft, auch Energie der Lage genannt, ergibt sich mit der
Masse m des Körpers, der Schwerebeschleunigung g und der Höhe h des Körpers bzgl. eines
festgelegten Nullniveaus:
Ep m g h (4.101).
4.6.7.4 Arbeitssatz
„Die Arbeit, welche Kräfte zwischen zwei Bahnpunkten verrichten, ist gleich der Ände-
rung der kinetischen Energie.“
Formelmäßig gilt:
m v12 m v02
W F dr
2
2
(4.102).
4.6.7.5 Energiesatz
„Bei reibungsfreier Bewegung ist die Summe aus kinetischer und potentieller Energie
konstant.“
Dies bedeutet formelmäßig:
E k E p konst. (4.103)
oder
E k0 E p0 E k1 E p1 (4.104),
Beispiel 4-6
Beim Bergzeitfahren der Tour de France wurde über eine Gesamtstrecke l eine Höhendiffe-
renz h überwunden. Der Sieger, Radfahrer 1 (Masse m1), benötigte hierfür die Zeit t1. Der
Zweite, Radfahrer 2 (Masse m2), benötigte 1 Minute länger. Die Masse der Fahrräder betrug
mR. Die Luftwiderstandskraft kann mit FL = k·v2 abgeschätzt werden. Der Rollwiderstand
beträgt FR.
Berechnen Sie und vergleichen Sie für die beiden Fahrer:
a) die durchschnittliche Geschwindigkeit,
b) die durchschnittlich geleistete Arbeit, aufgeteilt in die Anteile zur Überwindung der Wi-
derstandskraft und zum Erklettern der Höhendifferenz und
c) die durchschnittliche Leistung, und die spezifische Leistung.
144 4 Kinematik und Kinetik der Bewegungen
Fahrer 2:
l 32000 m min m km
v2 7,786 28,03
t 2 68,5 min 60 s s h
Ns 2
x, v FL 0,244 v2 :
2
m
Widerstandskraft hauptsächlich infolge
Gges
des Fahrtwinds
FL + FR
FF Gges (mF mR ) g :
Gewichtskraft von Fahrer und Rad
FN
FR = 4 N: Rollwiderstand
FF: die vom Fahrer aufzubringende Kraft in
Richtung des Weges (Kraft, die die Ar-
beit verrichtet)
φ
FN: Normalkraft senkrecht zur Bahn, Stütz-
φ kraft, die durch das Fahrrad gehalten
wird und keine Arbeit verrichtet, da sie
senkrecht zur Bahn steht
4.6 Kinetik des starren Körpers 145
W FF x FL l FR l Gges sin l
l h
φ h sin
l
h
W FL l FR l Gges l FL l FR l Gges h
l
Die Gesamtarbeit setzt sich zusammen aus der Arbeit WL FL l zur Überwindung des
Luftwiderstands, der Arbeit WR FR l zur Überwindung des Rollwiderstands und der
Hubarbeit WH Gges h zum Erreichen der Höhe.
Die Arbeit zur Überwindung des Luftwiderstands ist proportional zum Quadrat der Ge-
schwindigkeit des Fahrtwindes und unabhängig von der Masse des Fahrers:
Ns 2
WL FL l 0,244 v2 l .
2
m
Die Hubarbeit ist proportional zur Gesamtmasse von Fahrer und Rad.
WH Gges h (mF mR ) g h
Aufgrund der größeren Masse von Fahrer 2, die beim Bergfahren einen entscheidenden
Nachteil darstellt, hat Fahrer 2 trotz geringerer Geschwindigkeit 30,6 kJ mehr Arbeit ver-
richtet als Fahrer 1.
c) Berechnung der Leistung
Fahrer 1:
W1 1809,1 kJ min
P1 446,7 W
t1 67,5 min 60 s
Fahrer 2:
W2 1839,7 kJ min
P2 447,6 W
t2 68,5 min 60 s
Im Durchschnitt war die Leistung von Fahrer 2 um 0,9 W größer als die Leistung von
Fahrer 1. Allerdings ist der Unterschied weniger als 0,25 % bezogen auf eine mittlere
Leistung von 447 W. Ausschlaggebend war das geringere Gewicht von Fahrer 1.
Das wird deutlich durch die Betrachtung der spezifischen Leistungen:
Fahrer 1:
P1 446,7 W
P1 6,38 W/kg
m1 70 kg
Fahrer 2:
P2 447,6 W
P2 6,13 W/kg
m2 73 kg
Beim Bergzeitfahren ist die spezifische und nicht die absolute Leistung entscheidend.
Literatur zu Kapitel 4
[4-1] Richard, H.A., Sander, M.: Technische Mechanik. Dynamik. Verlag Vie-
weg + Teubner, Wiesbaden, 2011
[4-2] Papula, L.: Mathematische Formelsammlung für Ingenieure und Naturwissenschaft-
ler. Verlag Vieweg + Teubner, Wiesbaden, 2009
5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des
Bewegungsapparats
Der menschliche Bewegungsapparat wird gebildet durch Knochen, Bänder und Gelenke sowie
die Skelettmuskeln mit ihren Hilfseinrichtungen wie Sehnen, Sehnenscheiden und Schleimbeu-
tel. Es wird unterschieden zwischen dem passiven Bewegungsapparat oder Skelettsystem, zu
dem die Knochen, Bänder und Gelenke gehören und dem aktiven Bewegungsapparat oder
Muskelsystem bestehend aus den Skelettmuskeln und ihren Hilfseinrichtungen (siehe Kapitel
1.2 sowie [5-1] bis [5-4]).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_5
148 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
Die Blutbildung findet im roten Knochenmark statt. Die meisten Knochenhohlräume sind mit
Knochenmark ausgefüllt. Das rote Knochenmark ist hauptsächlich in der Spongiosa anzutref-
fen, in der die Knochenoberfläche zur Produktion der roten Blutkörperchen sehr groß ist. Das
gelbe Knochenmark im Markkanal der Röhrenknochen besteht hauptsächlich aus Fettgewebe
und trägt nicht zur Blutbildung bei. Es kann aber bei hohem Blutverlust durch rotes blutbil-
dendes Knochenmark ersetzt werden.
Die Knochen sind der hauptsächliche Kalziumspeicher. So befinden sich 99 % des körpereige-
nen Kalziums in den Knochen. Unter hormoneller Steuerung findet eine ständige Regulierung
des Blutkalziumspiegels statt, unter der die Knochen in der Lage sind, je nach Bedarf Kalzium
abzugeben oder aufzunehmen. Kalzium ist u. a. nötig für enzymatische Reaktionen, die Blut-
gerinnung und die Übertragung von Nervenimpulsen. Die höchsten Kalziumreserven sind
zwar in der Kortikalis gespeichert, allerdings kann das in der Spongiosa befindliche Kalzium
aufgrund der großen Oberfläche dieser Knochensubstanz schneller ab- und angebaut werden.
Teile der Spongiosa können bei erhöhtem Bedarf an Kalzium kurzfristig umgebaut werden,
ohne dass notwendigerweise die mechanische Tragfähigkeit der Knochen entscheidend beein-
trächtigt wird.
Knochenmark
Osteoblasten
Osteozyten
Osteoklasten
Knochenbälkchen
Knochenbälkchen
Die knochenspezifischen Zellen sind die Osteozyten, die Osteoblasten und die Osteoklasten,
Bild 5-1. Die Osteozyten sind ehemalige Osteoblasten, die inzwischen gänzlich von minerali-
sierter Knochensubstanz umgeben sind und sich in kleinen Lakunen befinden. Die Osteozyten
5.1 Aufbau und Eigenschaften der Knochen 149
sind über winzige Kanälchen mit ihren zahlreichen Fortsätzen untereinander verbunden. Diese
Verbindungen sind wesentlich für den Stoffwechsel der Zellen, die interzelluläre Kommunika-
tion und die Mineralstoffhomöostase, die Selbstregulierung des dynamischen Mineral-
stoffgleichgewichts. Die Osteoblasten sind knochenbildende Zellen. Sie befinden sich an den
äußeren und den inneren freien Knochenoberflächen. Sie sondern das Osteid ab und setzen in
großen Mengen Phosphatase, ein Enzym, welches das Osteid auf die Mineralisierung vorberei-
tet, frei. Die Osteoklasten sind große Zellen mit bis zu 100 Zellkernen, die in Lage sind, mine-
ralisierte Knochenmatrix abzubauen. Sie befinden sich in den sog. Howship-Lakunen an den
freien Knochenoberflächen [5-3 bis 5-8]. Mit diesen Umbauprozessen ist der Knochen in der
Lage seine Form an die mechanische Beanspruchung zu adaptieren.
Die chemischen Stoffe, die Moleküle und die Zellen, aus denen das Knochengewebe aufgebaut
ist, sind in allen Knochensubstanzen zumindest ähnlich. Für die unterschiedlichen Eigenschaf-
ten der verschiedenen Knochensubstanzen muss demnach die Anordnung des Knochengewe-
bes verantwortlich sein [5-5].
äußere
Generallamellen
innere
Generallamellen
Schaltlamellen
Periost (Knochenhaut)
Kapillargefäß im
Haverskanal
Kapillargefäße in
Volkmannkanälen
Osteon
Bild 5-2 Prinzipieller Aufbau der Kortikalis
Das Skelett eines Menschen setzt sich aus zwei Arten von Knochensubstanzen, der Kompakta
und der Spongiosa, zusammen. Beide Knochensubstanzen sind aus Knochenlamellen mit glei-
chen Materialeigenschaften aufgebaut. Die Knochenlamellen zeichnen sich dadurch aus, dass
die Kollagenfasern innerhalb der Lamellen parallel angeordnet sind. Diese strenge Anordnung
der Kollagenfasern unterscheidet den reifen Knochen von der an Knochenbruchstellen auftre-
tenden dritten Knochensubstanz, dem Kallus. Die Kollagenfasern des Kallus sind regellos
angeordnet. Der Grund hierfür ist, dass Kallus de novo (neu) erzeugt wird, d. h. an Stellen, bei
denen noch kein Knochen- oder Knorpelgewebe vorhanden ist. Reifer Knochen kann nur
150 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
durch Umwandlung von bereits vorhandenem Knochen- oder Knorpelgewebe entstehen. Des-
halb wird bei der Knochenheilung Kallus erst nach und nach durch Knochenlamellen im Zuge
der Knochenumwandlung ersetzt.
Knochenbälkchen
Bild 5-3 Prinzipieller Aufbau der Spongiosa
Aufgrund der großen Oberfläche bezogen auf das Volumen laufen in der Spongiosa der Kno-
chenumbau durch die Knochenzellen und die Stoffwechselprozesse der Knochen wesentlich
5.1 Aufbau und Eigenschaften der Knochen 151
schneller ab als in der Kortikalis. Dadurch ist die Spongiosa in der Lage, sich geänderten Last-
verhältnissen schnell anzupassen. Das ist allerdings auch der Grund, weshalb die Knochen mit
hohem Spongiosaanteil wie der Oberschenkelhals und die Wirbelkörper bei Osteoporose be-
sonders stark geschädigt werden, da bei Osteoporose die Knochenmasse schneller ab- als auf-
gebaut wird.
Epiphysenfuge
Metaphyse
Epiphyse
Gelenkknorpel
Spongiosa
Periost
Diaphyse
Kortikalis
Markhöhle
setzt. Bei erwachsenen Menschen verknöchern diese Wachstumsfugen, und es ist kein weiteres
Längenwachstum mehr möglich [5-3]. Die Hohlräume der menschlichen Knochen sind mit
Knochenmark ausgefüllt. In den Hohlräumen der Spongiosa befindet sich rotes Knochenmark.
In der Markhöhle der Röhrenknochen befindet sich bei jungen Menschen überall rotes Kno-
chenmark, das mit zunehmendem Alter durch Fettgewebe ersetzt und als gelbes Knochenmark
bezeichnet wird [5-4].
kortikale
Oberflächenschicht
Spongiosa
im Inneren
Zu den platten und breiten Knochen gehören das Schulterblatt, das Hüftbein, die meisten
Schädelknochen und die Rippen. Diese Knochenform besitzt eine Außenhülle aus Kortikalis
und ist im Innern mit Spongiosa ausgefüllt. Sie dienen dem Schutz innerer Organe und bieten
kräftigen Muskeln breite Ansatzflächen.
5.1 Aufbau und Eigenschaften der Knochen 153
Kurze Knochen bestehen bis auf eine dünne kortikale Deckschicht aus Spongiosa und weisen
bei geringem Gewicht eine hohe Druckfestigkeit auf. Zu ihnen gehören vor allem die Hand-
und Fußwurzelknochen. Durch die Anordnung mehrerer kurzer Knochen ergibt sich in der
Summe eine große Beweglichkeit der jeweiligen Körperteile.
Unregelmäßig gestaltete Knochen haben oft gleichzeitig Stütz-, Bewegungs- und Schutzfunk-
tion. Hierzu gehören insbesondere die Wirbelknochen, Bild 5-5. Die Wirbelkörper selbst erfül-
len die Stützfunktion und haben den gleichen Aufbau wie kurze Knochen. Sie ermöglichen die
komplexe Beweglichkeit der Wirbelsäule bei gleichzeitig hoher Belastungsfähigkeit. Die Wir-
belbogenfortsätze, deren Aufbau den platten Knochen entspricht, dienen als Ansatzstellen für
Muskeln der Bewegungsfunktion. Der Wirbelkörper umschließt zusammen mit dem Wirbel-
bogen, von dem die Wirbelfortsätze abgehen, das Wirbelloch. Die Wirbellöcher der einzelnen
Wirbel setzen sich zum Wirbelkanal zusammen, der eine bewegliche Schutzhülle für das Rü-
ckenmark darstellt.
3
axial
2
radial
1
tangential
Bild 5-6 Definition der Koordinaten bzw. Hauptachsen im Schaft langer Knochen
154 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
und anisotrop, also abhängig von der Position im Körper und von der Belastungsrichtung.
Außerdem ist das Verhalten von Knochengewebe viskoelastisch und damit von der Belas-
tungsgeschwindigkeit abhängig. Ferner ist lebendes Knochengewebe in der Lage, sich durch
Umbauprozesse an dauerhaft geänderte Beanspruchungssituationen anzupassen, d. h. Kno-
chengewebe wird in Bereichen hoher Beanspruchung aufgebaut und Bereichen niedriger Be-
anspruchung abgebaut. Diese Besonderheit der Knochen ist insbesondere bei der Optimierung
von Prothesen zu berücksichtigen.
Wesentlich sind die Materialkonstanten E3 und ν13 bzw. ν23, die in der Tabelle 5-1 hellgrau
hinterlegt sind. Bei physiologischen Belastungen, die hauptsächlich Normalspannungen in
5.1 Aufbau und Eigenschaften der Knochen 155
a) σ b) σ
Rm
Stahl
E
Alu
Zug-
belastung
kortikaler
ε Knochen
Druck-
belastung
Kunststoff/
Plexiglas
R mDruck ε
Bild 5-7 Spannungs-Dehnungs-Kurven im Vergleich
a) Spannungs-Dehnungs-Kurve für die menschliche Kortikalis mit dem Elastizitätsmodul
E, der Zugfestigkeit Rm und der Druckfestigkeit RmDruck
b) Spannungs-Dehnungs-Kurve für die menschliche Kortikalis im Vergleich mit
Spannungs-Dehnungs-Kurven für technische Materialien
E a b2 (5.1),
In Gleichung (5.2) ist in s-1 und ρ in g/cm³ einzugeben, dann erhält man den E-Modul in
MPa. Für diese Gleichung gibt es zwar keine theoretische Begründung, sie ist jedoch eine gute
Möglichkeit, die E-Modulverteilung innerhalb eines Knochens allein mit Kenntnis der Dichte-
verteilung abzuschätzen. Demgegenüber ist der Verlust an Genauigkeit für den E-Modul der
Spongiosa im Vergleich zu den zuerst genannten Modellen vernachlässigbar, Bild 5-8b.
5.1 Aufbau und Eigenschaften der Knochen 157
a)
E [GPa]
Messwerte für spongiöse Knochen:
3 menschliche Spongiosa
Spongiosa vom Rind
0
0 0,5 1,0 ρ [g/cm 3 ]
b)
E [GPa]
20 Messwerte für Knochen:
menschliche Spongiosa
Spongiosa vom Rind
menschliche Kortikalis
10
0
0 1 2 ρ [g/cm3 ]
Bild 5-8 E-Modulwerte für Knochen
a) Gemessene E-Modulwerte [5-18, 5-19] des spongiösen Knochens in Abhängigkeit der
Knochendichte und Vergleich mit Formelwerten
Gleichung (5-1) für die Rinderspongiosa
Gleichung (5-1) für die menschliche Spongiosa
Gleichung (5-2)
b) Messwerte für Spongiosa und Kortikalis im Vergleich mit Gleichung (5.2), für
0,001 s -1
158 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
Mit dieser Beziehung erhält man die Druckfestigkeit in MPa, wenn man in s-1 und in g/cm³
einsetzt. Die Zugfestigkeit ist nach Angabe von CARTER und HAYES [5-20, 5-21] identisch
mit der Druckfestigkeit, allerdings gibt es auch Forschungsergebnisse [5-23], wonach die Zug-
festigkeit der Spongiosa nur etwa halb so groß ist wie die Druckfestigkeit.
einer Synostose wird als Ankylose bezeichnet. Die künstliche knöcherne Versteifung eines
Gelenks ist die Arthrodese.
konvexer Gelenkkopf
Synovia (Gelenkschmiere)
hyaliner Gelenkknorpel
konkave Gelenkpfanne
innere Gelenkkapselschicht
äußere Gelenkkapselschicht
Verstärkungsbänder
der Gelenkkapsel
Die gelenkbildenden Knochenenden sind entweder nahezu eben oder konkav als Gelenkpfanne
bzw. konvex als Gelenkkopf ausgebildet und mit einer 2-5 mm dicken Schicht aus hyalinem
Knorpel überzogen, der eine hohe Druck- und Scherfestigkeit sowie eine hohe Elastizität auf-
weist. Die Knorpelschicht ist nachgiebig und dadurch in der Lage kleinere Inkongruenzen
(Ungleichheiten) zwischen den Knochenenden auszugleichen. Sie enthält keine Blutgefäße
und keine Nerven, so dass der Stoffwechsel nur durch einen ständigen Flüssigkeitsaustausch
bei der Be- und Entlastung der Knorpelschicht möglich ist. Durch ihr viskoelastisches Verhal-
ten wirkt sie zudem wie ein Stoßdämpfer für das darunterliegende Knochengewebe. Teilweise
160 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
ist die Gelenkpfanne zur Vergrößerung der Gelenkfläche durch einen Ring aus faserigem
Knorpel ergänzt, z. B. beim Schulter- und Hüftgelenk. Bei größeren Inkongruenzen werden die
Lücken zwischen den Knochen je nach Ausmaß der Inkongruenz durch kleine Zotten oder
Falten der Gelenkkapselinnenhaut oder durch faserige Knorpelteile ausgefüllt. Füllen diese
Knorpelteile den Gelenkspalt nicht ganz aus, handelt es sich um Menisken, wie sie im Kniege-
lenk vorkommen. Werden die Knochenenden durch diese Knorpelteile vollständig getrennt
und dadurch die Gelenkhöhle in zwei vollständig getrennte Kammern unterteilt, handelt es sich
um Disken oder Zwischenscheiben, wie sie zwischen Schlüsselbein und Brustbein oder zwi-
schen der Elle und den Handwurzelknochen vorkommen.
Die Gelenkkapsel, die alle Gelenke luftdicht umschließt, besteht aus zwei Schichten, die durch
eine dünne Fettschicht voneinander getrennt sind. Die äußere Schicht, die Membrana fibrosa,
besteht aus kollagenen Fasern, die eine hohe Zugsteifigkeit aufweisen. Die innere Schicht, die
Synovialhaut oder Membrana synovialis, besteht aus lockerem Bindegewebe und sondert stän-
dig die zähe, eiweißhaltige Gelenkschmiere, die Synovia, ab.
Durch die Synovia wird zusammen mit der glatten Hyalinknorpelschicht ein nahezu reibungs-
freies Gleiten zwischen den Gelenkflächen erreicht. Der Gleitreibungskoeffizient µG beträgt in
den Gelenken mit Werten zwischen 0,003 und 0,025 [5-3, 5-24, 5-26] nur etwa ein Zehntel der
Werte für eine geschmierte Kontaktstelle zwischen Standardkonstruktionswerkstoffen. Dort
liegt µG zwischen 0,02 und 0,2 [5-27]. Außer für die Gelenkschmierung ist die Synovia auch
für die Ernährung des Gelenkknorpels verantwortlich.
Die Verstärkungsbänder bzw. Ligamente sind für die Kinematik bzw. Führung der Bewegung
und die Begrenzung des Bewegungsausmaßes der Gelenke zuständig. Weitere Begrenzungen
des Aktionsradius der Gelenke ergeben sich durch die Form der Gelenkflächen, die Länge und
Dehnungsfähigkeit der Muskeln, die ein Gelenk überspannen sowie durch die Weichteile, die
ein Gelenk umgeben. Es werden also Band-, Knochen-, Muskel- und Weichteilhemmung un-
terschieden [5-3].
Zu den Bestandteilen der Gelenke gehören auch die mit Synovia gefüllten Schleimbeutel, die
Bursae synoviales, die in ihrem Aufbau den Gelenkkapseln entsprechen. Sie bilden nahezu
reibungsfreie Verschiebungsschichten und verhindern den Verschleiß von gegeneinander glei-
tenden Strukturen. Sie befinden sich dort, wo Weichteile wie Muskeln, Sehnen und Haut über
Knochenvorsprünge hinweg gleiten. Der größte Schleimbeutel des Körpers, die Bursa suprapa-
tellaris, befindet sich oberhalb der Kniescheibe zwischen dem Oberschenkelknochen und dem
vierköpfigen Schenkelstrecker.
d)
b)
a)
b)
c)
a)
Elle dreht oder das untere Kopfgelenk, bei dem sich der erste Halswirbel mit dem Schädel um
den Zahn des zweiten Halswirbels dreht. In den Zapfengelenken ist eine Einwärtsdrehung oder
Pronation und eine Auswärtsdrehung oder Supination möglich.
Die zweiachsigen Gelenke besitzen zwei Rotationsfreiheitsgrade. Hierzu gehören die Ei- oder
Ellipsoidgelenke und die Sattelgelenke, Bild 5-10b. Bei den Ellipsoidgelenken sind die
Krümmungen der Gelenkflächen in zwei zueinander senkrechten Richtungen bei der Gelenk-
pfanne konkav und beim Gelenkkopf konvex, Bild 5-10b. Allerdings sind die Krümmungen
nicht gleich groß, so dass Rotationen nur um zwei zueinander senkrechte Achsen stattfinden
können. Zu der Flexion und Extension kommt die Bewegung nach einwärts, die Adduktion,
und die Bewegung nach auswärts, die Abduktion, hinzu. Ein typisches Ellipsoidgelenk ist das
Handgelenk, welches das Handkreisen ermöglicht. Bei den Sattelgelenken sind die Gelenkflä-
chen in einer Richtung konkav und in der dazu senkrechten Richtung konvex geformt, Bild
5-10b. Auch hier kann die Rotation gleichzeitig um zwei zueinander senkrechte Achsen statt-
finden. Hierzu gehört das Gelenk zwischen dem ersten Mittelhandknochen und dem großen
Vieleckbein, das dem Daumen das Daumenkreisen ermöglicht. Auch das Kniegelenk ist ein
zweiachsiges Gelenk. Es ist ein kombiniertes Scharnier- und Zapfengelenk. Dadurch ist im
Kniegelenk die Beugung und Streckung und die Ein- und Auswärtsdrehung um die Längsach-
se der Tibia möglich. Der Freiheitsgrad der Ein- und Auswärtsdrehung besteht allerdings nur
bei gebeugtem Knie.
Die dreiachsigen Gelenke lassen alle drei Rotationsmöglichkeiten zu. Hierzu gehören die Ku-
gelgelenke wie das Hüftgelenk und das Schultergelenk, Bild 5-10c.
Einen Sonderfall der dreiachsigen Gelenke stellen die straffen Gelenke dar. Die Gelenkflächen
sind eben und das Gelenk ist von einer straffen Gelenkkapsel umgeben. Das Bewegungsaus-
maß in diesen Gelenken ist zwar klein, aber dennoch liegen drei Rotationsfreiheitsgrade vor.
Solche Gelenke befinden sich zwischen Schlüsselbein und Brustbein, Bild 5-10d, und zwi-
schen einzelnen Fuß- und Handwurzelknochen. Dadurch, dass mehrere Fuß- bzw. Handwur-
zelknochen dicht beieinanderliegen, summieren sich die Teilbewegungen zwischen den einzel-
nen Knochen zu einer beträchtlichen Gesamtbeweglichkeit.
Faser
Querfaser des
Fibroblastenkern lockeren Bindegewebes
Bild 5-11 Aufbau einer Sehne
Der E-Modul der Bänder und Sehnen liegt mit etwa 2.000 MPa [5-28] in der gleichen Größen-
ordnung wie der E-Modul von Plexiglas (PMMA), der etwa 3.000 MPa beträgt. Die Zugfes-
tigkeit ist mit Werten zwischen 50-100 MPa nahezu genauso hoch, wie die Zugfestigkeit der
Kortikalis. Außerdem können Bänder und Sehnen sich ähnlich wie das Knochengewebe geän-
derten Belastungen anpassen. Allerdings ist die Adaptionsgeschwindigkeit der Bänder und
Sehnen im Vergleich zum Knochengewebe recht langsam.
F [N] Relaxation
Entlastung
6
4
Erholung
Belastung
0
0 60 120 t [s]
und dem Muskeltonus für den Zusammenhalt der Gelenkflächen zuständig. Bänder gewähr-
leisten auch die Verspannung der Fußgewölbe, wodurch eine Federung des Fußes erreicht
wird. Durch die ligamentäre Stabilisierung der Wirbelsäule und des Hüftgelenks, Bild 5-13,
wird die Haltung im Rumpfbereich und an den Extremitäten trotz geringer muskulärer Aktivi-
tät erreicht. Zusammen mit dem Muskeltonus ermöglichen die Bänder z. B. bequemes Stehen
mit geringer, aktiver Muskelarbeit.
Man unterscheidet Bänder, die außerhalb der Gelenkkapsel liegen, und Bänder, die innerhalb
der Gelenkkapsel liegen. Die innenliegenden Binnen- oder Zwischenknochenbänder, wie die
Kreuzbänder im Kniegelenk und das Femurkopfband im Hüftgelenk, bestehen wie die übrigen
Bänder aus straffem Bindegewebe, sind jedoch von einer Synovialmembran überzogen. Wäh-
rend die Kreuzbänder die Gelenkkörper stabilisieren und die Kniegelenkkinematik wesentlich
beeinflussen und damit mechanische Aufgaben haben, trägt das Femurkopfband als gefäßfüh-
rendes Band hauptsächlich zur Ernährung des Femurkopfs bei.
Schambein
gedachter Schnitt
im Oberschenkel Sitzbein
Gleitsehne
Zugsehne
Widerlager
Wirkungslinien
der Muskelkräfte
Bild 5-14 Sehnen des zweiköpfigen Armbeugers (m. biceps brachii), nach [5-3]
Sehnenscheide
Sehne
Bewegungsapparat und ermöglichen dem Körper der Einwirkung äußerer Kräfte zu widerste-
hen oder sich aktiv zu bewegen. Muskeln arbeiten nach dem Prinzip eines Motors. In den
Muskeln wird chemische Energie, die dem Körper mit der Nahrung zugeführt wird, in Arbeit
d. h. mechanische Energie und Wärme umgewandelt. Die erzeugte mechanische Energie be-
trägt ca. 30 % der umgesetzten Gesamtenergie [5-4]. Die restlichen 70 % fallen in Form von
Wärme an. Der Wirkungsgrad der Muskeln ist also vergleichbar mit dem Wirkungsgrad eines
Verbrennungsmotors. Die anfallende Wärme wird benötigt, um die Körpertemperatur konstant
zu halten. Wird jedoch mehr Wärme als dafür notwendig erzeugt, muss diese Wärme aus dem
Körper abgeführt werden, um ein Überhitzen des Körpers zu vermeiden. Reicht der normale
Wärmetransport über die Körperoberfläche an die Umgebung nicht aus, beginnt der Körper zu
schwitzen. Dabei sondern die Schweißdrüsen der Haut Schweiß ab. Der Schweiß besteht im
Wesentlichen aus Wasser und verdunstet auf der Haut. Bei der Verdunstung verändert der
Schweiß seinen Aggregatszustand von flüssig zu gasförmig. Die dazu notwendige Wärme wird
dem Körper entzogen, so dass der Körper dadurch gekühlt wird [5-29].
gung in einem benachbarten Gelenk verhindern. Die zweite Funktion ist insbesondere notwen-
dig, wenn der aktive Muskel an mehreren Gelenken vorbeiläuft und auf jedes ein Moment
ausübt. Für die kontrollierte Bewegung eines Gelenks werden in der Regel die Muskeln für die
Bewegung und die Gegenbewegung gleichzeitig aktiviert, so dass auch Agonisten und Anta-
gonisten synergistisch agieren können.
Da die Bewegung in einem Gelenk durch mehrere Muskeln gleichzeitig gesteuert wird und
prinzipiell Agonisten und Antagonisten gleichzeitig aktiv sein können, kann die tatsächlich
wirkende Muskelkraft mit den Prinzipien der Mechanik nicht eindeutig berechnet werden. Es
liegt ein unbestimmtes System vor. Die Muskelkräfte können nur unter der Voraussetzung
sinnvoller, vereinfachender Annahmen (siehe auch Kapitel 2.8.5) abgeschätzt werden. Durch
den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Muskeln für eine bestimmte Gelenkbewegung werden die
Knochen gleichmäßiger belastet und so Beanspruchungsspitzen vermieden.
Grundsätzlich gilt jedoch, dass Muskeln nur Zugkräfte erzeugen können und immer ein Mo-
ment auf mindestens ein Gelenk hervorrufen. Entsprechend Kapitel 2.2.5 entsteht ein Moment
durch ein Kräftepaar. Die Kraft, die sich mit der Muskelkraft zu einem Kräftepaar ergänzt, ist
immer eine innere Druckkraft zwischen den Gelenkflächen der betroffenen Gelenke. Damit ist
eine weitere wesentliche Funktion der Skelettmuskeln, den Zusammenhalt der Gelenkflächen
während der Bewegungsvorgänge aktiv sicher zu stellen. Diese Funktion wird auch im passi-
ven Zustand der Skelettmuskeln durch den Ruhetonus erfüllt.
a)
b)
c)
Aktinfilament
Z Z
Sarkomer Myosinfilament
d) A-Band I-Band
Z-Scheibe H-Band Z-Scheibe
Verschiebung
der Z-Scheibe
e)
Z-Scheibe Z-Scheibe
Bild 5-16 Aufbau des Skelettmuskels, siehe auch [5-2]
a) Muskelfaser
b) Myofibrille
c) Myofilamente
d) Sarkomer eines Myofilaments im entspannten Zustand
e) Sarkomer eines Myofilaments im kontrahierten Zustand
a) b) c)
b a = b phys ba ba
αa
αa
b phys
b phys
la la la
FS s s
FS FS
Bild 5-17 Arten der Muskelfaseranordnung und daraus folgende mechanische Prinzipmodelle
a) Parallelfasriger Muskel
b) einfach gefiederter Muskel
c) doppelt gefiederter Muskel
Die Art der Muskelfaseranordnung ist maßgeblich für die Hubhöhe und die Kraftentwicklung
eines Muskels. Parallelfasrige Muskeln besitzen eine große Hubhöhe. Doppelt gefiederte Mus-
keln können bei geringer Hubhöhe große Kräfte entwickeln. Die Kraft eines Muskels hängt von
der Summe der Querschnitte der Fasern und von ihrem Ansatzwinkel ab [5-1]. Zur Abschät-
zung der möglichen Muskelkräfte wird zwischen dem anatomischen und dem physiologischen
Muskelquerschnitt unterschieden. Der anatomische Querschnitt ist der Querschnitt senkrecht
zur Längsachse des Muskels. Der physiologische Querschnitt ist, wie in Bild 5-17 dargestellt,
die Gesamtquerschnittsfläche der Muskelfasern. Der anatomische Querschnitt ist nur bei paral-
lelfasrigen Muskeln identisch mit dem physiologischen Querschnitt, ansonsten ist er kleiner.
Die durchschnittliche maximale Zugspannung eines Muskels beträgt nach WEINECK [5-2]
170 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
0,6 MPa und nach RAUBER u. KOPSCH [5-3] 0,3-0,5 MPa bezogen auf den physiologischen
Querschnitt. Diese Werte können jedoch nach KUMMER [5-24] nur als grobe Anhaltswerte
verstanden werden. Die Kraft in den dazugehörigen Sehnen ist allerdings wesentlich geringer
als das Produkt aus der durchschnittlichen Zugspannung multipliziert mit dem physiologischen
Querschnitt, da insbesondere auch der Fiederungswinkel, der sich mit der Muskelkontraktion
noch zusätzlich ändert, die resultierende Sehnenkraft bestimmt.
Mit Gleichung (5.4) bis Gleichung (5.6) und den Gleichgewichtsbedingungen für das bewegli-
che Muskelende nach Bild 5-18 folgt für die Sehnenkraft des parallelfasrigen Muskels:
FS, par FM F bphys, par d F ba d (5.7).
a) b) α α
bM
σM
bM σM σM bM
la
s
FS
s
FS
Bild 5-18 Gleichgewicht zwischen der Muskelspannung M im Gesamtquerschnitt bM·d der verkürzten
Muskelfasern und der Sehnenkraft FS
a) Parallelfasriger Muskel
b) Doppelt gefiederter Muskel
Die Sehnenkraft des parallelfasrigen Muskel FS,par ist dem anatomischen Querschnitt ba·d pro-
portional und bleibt während der Verkürzung im Prinzip konstant. Die Sehnenkraft des doppelt
gefiederten Muskels FS,dgf ist der anatomischen Länge la proportional und verändert sich mit
dem Kosinus des Fiederungswinkels . Da der Fiederungswinkel während der Muskelverkür-
zung zunimmt, nimmt die Sehnenkraft entsprechend ab. Außerdem hängt FS,dgf von dem Aus-
gangswinkel a ab. Theoretisch kann a Werte zwischen 0° und 90° annehmen. Für a = 0°
verschwindet der physiologische Querschnitt bphys,dgf·d und für a = 90° wirkt die resultierende
Faserkraft FM senkrecht zur Sehne, so dass bei beiden Grenzwerten FS,dgf Null ist. Die maxi-
male Kraft FS,dgf,max ergibt sich für = a = 45° und beträgt:
FS, dgf, max 2 F la d sin 45 cos 45 F la d (5.9)
Ist ein Muskel doppelt so lang wie breit, dann ist bei gleicher Zugspannung F der Muskelfa-
sern bei einem doppelt gefiederten Muskel mit a = 45° die maximale Sehnenkraft doppelt so
groß wie bei einem parallelfasrigen Muskel. Bei langen schlanken Muskeln ist also die maxi-
male Sehnenkraft FS,max bei doppelt gefiederter Faseranordnung um ein Vielfaches größer als
bei paralleler Faserordnung.
Um den Einfluss der Muskelfaseranordnung auf die Leistungsfähigkeit beurteilen zu können,
muss zusätzlich die Geschwindigkeit, mit der sich die Sehne bewegt, betrachtet werden, weil
sich die Leistungsabgabe des Muskels bei der Sehne aus dem Produkt der Sehnenkraft FS und
der Sehnengeschwindigkeit vS ergibt:
PS FS vS (5.10).
Um die Geschwindigkeit der Sehne ermitteln zu können, muss der Weg s der Sehne in Abhän-
gigkeit von der Muskelfaserverkürzung betrachtet werden. Die Muskelfasern verbinden das
unbewegliche Muskelende mit dem beweglichen Muskelende, Bild 5-19. Bei der Verkürzung
der Muskelfasern wandern beim parallelfaserigen Muskel die beiden Muskelenden aufeinander
172 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
zu und der Muskel wird dicker. Beim doppelt gefiederten Muskel verschiebt sich die Sehne
parallel zu den beiden seitlichen, festen Anbindungen des Muskels und der Fiederungswinkel
nimmt zu. Dadurch werden die Muskelfasern dicker, obwohl sich der Muskelquerschnitt ba
nicht ändert.
Die relative Längenänderung F einer Muskelfaser kann mit
lFa lF
F (5.11)
l Fa
beschrieben werden und ist so definiert, dass F bei einer Verkürzung der Muskelfaser positiv
ist. Hierbei ist lFa die Ausgangslänge und lF die Länge der Muskelfaser nach der Verkürzung.
Ferner wird vorausgesetzt, dass die Geschwindigkeit der relativen Längenänderung F eine
von der Faseranordnung unabhängige, spezifische Eigenschaft einer Muskelfaser ist.
a) b)
ba ba
ba bM > ba
αa α
lF
la = l Fa la la
s h
ha
s
lFa
lF
Bild 5-19 Verschiebung des beweglichen Muskelendes bzw. der Muskelsehne bei einer Verkürzung
der Muskelfasern von lFa auf lF
a) Parallelfasriger Muskel
b) Doppelt gefiederter Muskel
Beim doppelt gefiederten Muskel kann der Sehnenweg entsprechend Bild 5-19 mit:
sdgf ha h (5.15)
5.4 Aufbau und Eigenschaften der Muskeln 173
beschrieben werden. Der Zusammenhang zwischen h, der Muskelfaserlänge lF und dem ana-
tomischen Querschnitt ba ist festgelegt mit dem Satz von Pythagoras:
2
b
lF2 h 2 a (5.16).
2
Daraus folgt mit Gleichung (5.11) für den Sehnenweg:
2 2
b b
2
sdgf ha h ha lF2 a ha lFa 1 F 2 a (5.17).
2
2
Da F die einzige Größe ist, die sich bei der Muskelverkürzung ändert, kann die Sehnenge-
schwindigkeit mit Hilfe der Kettenregel der Differentiation berechnet werden:
2
lFa 1 F
vS,dgf sdgf h F (5.18).
2
b
2
lFa 1 F 2
a
2
Ferner gelten mit Bild 5-19 folgende geometrischen Zusammenhänge für den doppelt gefieder-
ten Muskel:
ba
lF l Fa 1 F (5.19)
2 sin
und
ba
lFa (5.20).
2 sin a
l Fa l F ba2
vS,dgf F F
2 2 2
b ba b
l F2 a 4 sin a sin a
2 2 sin 2
ba ba
vS,dgf F F (5.21).
2 sin a 1 sin 2 2 sin a cos
Bei einem parallelfasrigen Muskel ist die Sehnengeschwindigkeit vS,par der anatomischen Län-
ge la des Muskels proportional, während beim doppelt gefiederten Muskel die Sehnenge-
schwindigkeit vS,dgf dem anatomischen Querschnitt ba·d proportional ist. Außerdem verändert
sich die Sehnengeschwindigkeit des doppelt gefiederten Muskels vS,dgf mit dem Kehrwert des
Kosinus des Fiederungswinkels . Da der Fiederungswinkel während der Muskelverkürzung
zunimmt, nimmt auch die Sehnengeschwindigkeit zu. Außerdem hängt vS,dgf von dem Aus-
gangswinkel a ab. Für die beiden theoretischen Grenzwerte 0° und 90° für a wächst die
Sehnengeschwindigkeit theoretisch über alle Grenzen. Dieser Zustand kann jedoch nicht er-
reicht werden, weil bei den Grenzwerten, wie bereits bei der Betrachtung der Sehnenkräfte
174 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
dargestellt, die Sehnenkraft verschwindet. Die minimale Geschwindigkeit vS,dgf,min ergibt sich
für = a = 45° und beträgt:
ba
vS,dgf,min F ba F (5.22).
2 sin 45 cos 45
Damit sind die Zusammenhänge der Sehnengeschwindigkeiten mit den anatomischen Mus-
kelabmessungen bei den beiden betrachteten Fiederungsarten genau umgekehrt wie bei den
Sehnenkräften. Ist ein Muskel doppelt so lang wie breit, dann ist bei gleicher relativer Verkür-
zungsgeschwindigkeit F der Muskelfasern beim doppelt gefiederten Muskel mit a = 45° die
minimale Sehnengeschwindigkeit halb so groß wie beim parallelfasrigen Muskel. Bei langen
schlanken Muskeln ist also die minimale Sehnengeschwindigkeit vS,max bei doppelt gefiederter
Faseranordnung um ein Vielfaches kleiner als bei paralleler Faserordnung.
Nachdem nun für beide betrachteten Faseranordnungen die Sehnenkräfte FS und Sehnenge-
schwindigkeiten ermittelt sind, können auch die entsprechenden Leistungsabgaben PS bei der
Sehne berechnet werden. Mit Gleichung (5.7) und Gleichung (5.14) beträgt die Leistungsab-
gabe bei der Sehne des parallelfasrigen Muskel:
PS, par FS, par vS, par F ba d la F (5.23).
Entsprechend gilt für den doppelt gefiederten Muskel mit Gleichung (5.8) und Gleichung
(5.21):
ba F
PS, dgf FS, dgf vS, dgf 2 F la d sin a cos
2 sin a cos
Hierbei ist
PF F F (5.25).
erzielen und ist für die Bewegungsfunktion geeignet. Letztendlich kann ein Muskel als ein
Getriebemotor aufgefasst werden. Die Gesamtleistung ist abhängig von dem anatomischen
Muskelvolumen, das ja dem Gesamtvolumen der Muskelfasern gleichzusetzen ist. Die im
Innern des Muskels durch die Verkürzung der Muskelfasern erzeugte mechanische Leistung
wird als Produkt aus Sehnenkraft und Sehnengeschwindigkeit an den Bewegungsapparat ab-
gegeben. Mit welchem Übersetzungsverhältnis, das sich während der Bewegung verändern
kann, die Faserkraft und die Faserverkürzungsgeschwindigkeit in Sehnenkraft und Sehnenge-
schwindigkeit übersetzt wird, ist abhängig von der Faseranordnung.
Dieses Ergebnis ist keine spezielle Eigenschaft der Muskulatur, sondern die logische Folge aus
dem in der Mechanik bekannten Prinzip der virtuellen Arbeit bzw. Prinzip der virtuellen Leis-
tung, das bei beweglichen Systemen auch für reale Geschwindigkeiten gilt. Demnach ist ein
System im Gleichgewicht, wenn die Summe aller Leistungen der angreifenden Kräfte bzw.
Momente Null ist. Beim Muskel ist das zu betrachtende System die Sehne des Muskels. Durch
die Kräfte und die Verkürzungsgeschwindigkeiten der gesamten Muskelfasern wird der Sehne
Leistung zugeführt, die in Form der Sehnenkraft und der Sehnengeschwindigkeit von der Seh-
ne wieder abgegeben wird, weil die Sehne jederzeit im Gleichgewicht ist. Somit gilt der für die
vereinfachten mechanischen Muskelmodelle gezeigte Zusammenhang zwischen der im Muskel
erzeugten mechanischen Leistung und den Sehnenkräften bzw. -geschwindigkeiten sinngemäß
für beliebige Muskelformen.
a) b)
Oberschenkelknochen lateraler
medialer Schenkelknorren
(Femur) Schenkelknorren
(Gelenkfläche)
Kniescheibe
(Patella) hinteres Kreuzband vorderes
Kreuzband
medialer Meniskus
(verwachsen mit
Seitenband) lateraler
Schienbein Meniskus
(Tibia) mediales
Seitenband laterales
Seitenband
Schienbein
Wadenbein Wadenbein
(Fibula)
Bild 5-20 Rechtes Kniegelenk
a) Ansicht von vorne (ventral)
b) Ansicht von hinten (dorsal) mit Bandapparat
Durch die Patella wird zum einen der Hebelarm der Patellasehne zur Knieachse vergrößert und
zum anderen die Umlenkkraft der Sehne auf die Femurkondylen übertragen. Die dabei entste-
henden Druckkräfte sind insbesondere beim Aufstehen aus der Kniebeuge recht hoch, deshalb
ist die Patellarückfläche mit einer bis zu 5 mm dicken Knorpelschicht überzogen. Die Rückflä-
che der Patella ist durch eine mittig gelegene Führungsleiste in eine laterale und eine mediale
konkave Facette aufgeteilt. Die mediale Facette ist durch einen schrägen Grat in eine größere
und eine kleinere, randständige Facette unterteilt. Mit zunehmender Beugung wandert der in
Kontakt stehende Flächenbereich, bezogen auf die Patella, von unten nach oben [5-38].
Verbindungsband Kniescheibenband
(Ligamentum (Patellaband)
transversum genus)
medialer Meniskus
laterale Tibiafläche
mediale Tibiafläche
Trotz ihrer bindegewebigen Befestigung weisen die Menisken eine relativ große Bewegungs-
freiheit sowie, aufgrund ihrer feingeweblichen Struktur, eine ausgiebige Verformbarkeit auf.
Wird der Unterschenkel im Kniegelenk gestreckt, weichen beide Menisken nach vorn aus,
während bei einer Beugung die Menisken nach hinten verschoben werden. Die Verlagerung der
Menisken erfolgt sowohl passiv als auch aktiv. Bei der Kniebeugung werden die Menisken auf
der Innenseite durch den M. semimembranosus und auf der Außenseite durch den M. popliteus
aktiv nach hinten gezogen. Bei der Streckung werden die Menisken durch entsprechende Bän-
der zwischen der Patella und den Menisken passiv nach vorne gezogen, wodurch deren Ein-
klemmung verhindert wird. Hierbei legt der besonders bewegliche laterale Meniskus eine Weg-
strecke von mehr als 1 cm zurück [5-47]. Die Menisken bilden bei den verschiedenen Gelenk-
stellungen eine verformbare Ergänzung der Gelenkpfanne, indem sie sich als Faserknorpelkeile
in den Gelenkspalt einschieben und auf diese Weise die Kontaktflächen vergrößern.
Femurkontur
B1
Beugerichtung
Tibiakontur
Bild 5-22 Veranschaulichung der Rollgleitbewegung im Kniegelenk am Viergelenkkettenmodell
reinen Rollbewegung nach hinten. Bei etwa 15° Flexion geht die Rollbewegung des medialen
Kondylus in eine kombinierte Rollgleitbewegung über. Die Rollgleitbewegung des lateralen
Kondylus beginnt erst bei etwa 25° Flexion. Der längere Rollweg des lateralen Femurkondylus
bewirkt eine Außenrotation des Femurs gegenüber der Tibia. Bei fortgesetzter Flexion nimmt
der Anteil der Gleitkomponente an der Gesamtbewegung zu. In der Schlussphase der Flexions-
bewegung beträgt das Verhältnis zwischen Roll- und Gleitkomponente etwa 1:4, wobei die
Rollbewegung nach hinten gerichtet ist. Im Gegensatz dazu verläuft die Gleitbewegung des
Femurkondylus nach vorne. Der laterale Femurkondylus rollt, und der mediale Kondylus gleitet
länger. Das unterschiedliche Bewegungsverhalten entspricht den Formunterschieden beider
Kondylen [5-38].
gründen muss eine zweite Kraft ein Moment auf das Kniegelenk ausüben, das dem Moment der
Teilgewichtskraft entgegenwirkt. Dieses Moment erzeugt der Tractus iliotibialis, der auf der
lateralen Beinseite vom Beckenrand über das Knie bis zum Tibiakopf verläuft. Dadurch wird
auch beim Einbeinstand eine zentrale Belastung des Kniegelenks, die etwa das Doppelte des
Körpergewichts beträgt, erreicht [5-35, 5-48]. Diese Zuggurtung des Oberschenkels durch den
Tractus iliotibialis reduziert zudem die Biegebelastung des Femurs.
a) c)
Teilkörpergewicht Teilkörpergewicht
Wirkungslinie des
Teilkörpergewichts
und der
Bodenreaktionskraft b)
Resultierende
Zugkraft Kniegelenkkraft
Wirkungslinie des Tractus
des Tractus iliotibialis
iliotibialis
Zugkraft
des Tractus Resultierende
iliotibialis Kniegelenkkraft
Bodenreaktionskraft Bodenreaktionskraft
Bei gestrecktem Kniegelenk ist das Femoropatellargelenk nahezu unbelastet, deshalb ist die
Kniescheibe in dieser Stellung leicht zu verschieben. Das Femoropatellargelenk wird haupt-
sächlich bei gebeugtem Knie belastet. Durch den Muskelzug des vierköpfigen Schenkelstre-
ckers wird auch das Patellaband gespannt. Da bei gebeugtem Knie die Wirkungslinien der
Kräfte des Schenkelstreckers und des Patellabands voneinander abweichen, wird die Patella mit
der resultierenden Kraft, die sich aus den beiden Kräften ergibt, gegen das Femur gedrückt.
Aufgrund der schräg gestellten Gelenkfacetten stützt sich die Patella in der Nut zwischen den
beiden Femurkondylen ab. Durch diese knöcherne Führung ist die Patella bei gebeugtem Knie
sehr stabil gegen seitliche Kräfte. Durch den Bandapparat der Patella wird die Luxation der
Kniescheibe bei gestrecktem Knie verhindert [5-43].
tel 6.8. Für statisch bestimmte und statisch überbestimmte Systeme muss bei einer Kontaktana-
lyse die Position der gelenkbildenden Knochen und die Ansatzstellen der Bänder für jede Beu-
gestellung a priori bekannt sein. Jedoch gibt es selbst in der einschlägigen Literatur keine aus-
reichenden Angaben über die genauen Positionen der einzelnen Knochen zueinander. Allge-
meine Angaben hierzu sind aufgrund der individuell verschiedenen Gelenkkonturen auch nicht
möglich. Eine bestimmte Knochen- und Bänderanordnung stellt jedoch eine Zwangsvorgabe
für die FE-Analyse dar, die unter Umständen nicht den physiologischen Gegebenheiten ent-
spricht. Um dieses Problem zu lösen, müssen für die FE-Analyse Randbedingungen entwickelt
werden, die ohne die genaue vorherige Kenntnis der Knochenstellungen zu sinnvollen Ergeb-
nissen bei der Kontaktanalyse führen.
Pendelstütze
Gelenkkontur 1
Gelenkkontur 2
Dabei werden die Gelenke selbst und nicht nur der gelenkige Körper als kinematisch offene
bzw. geschlossene Ketten angesehen. Weil mit dieser Voraussetzung die Gelenkflächen an den
Berührungsstellen unterschiedliche Krümmungsradien aufweisen und außerdem die Reibung in
den Gelenken vernachlässigbar klein ist, ist die Wirkungslinie der über die Gelenkflächen über-
tragenen Kraft durch die Verbindungslinie zwischen den beiden Krümmungsmittelpunkten der
182 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
a) b)
Krümmungs- F
F F
mittelpunkt M2
der Kontur 2 Krümmungs-
mittelpunkt M1
der Kontur 1
Krümmungs- M2 M2
M1 M1 M1
mittelpunkt M1 M1
der Kontur 1
Kontur 1
Kontur 2
M2 M2
Krümmungs-
mittelpunkt M2
der Kontur 2
Bild 5-25 Mechanisches Verhalten verschiedener Gelenkkontaktstellen bei Druckbelastung
a) selbststabilisierende Anordnung
b) instabile Anordnung
Häufig besteht ein Gelenk aus einer konkaven Gelenkpfanne und einem konvexen Gelenkkopf,
wobei der Krümmungsradius des Kopfes kleiner ist als der der Pfanne wie z. B. beim medialen
Femorotibialgelenk. Das mechanische Verhalten dieser Gelenkkontaktstelle unter Druckbelas-
tung ist in Bild 5-25a dargestellt. Die Konturen richten sich automatisch so aus, dass die
Krümmungsmittelpunkte auf der Kraftwirkungslinie liegen. Das System ist druckstabil. Es gibt
aber auch Gelenkkontaktstellen, bei denen beide Knochenenden konvex gekrümmt sind. Auch
in diesem Fall können Druckkräfte übertragen werden, deren Wirkungslinien durch beide
Krümmungsmittelpunkte der Gelenkflächen gehen, Bild 5-25b. Das System ist jedoch druckin-
stabil. Es genügt eine geringfügige Störung, um das System aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Innerhalb des Bewegungsapparats sind also zusätzliche Einrichtungen notwendig, um auch bei
solchen Gelenkkontaktstellen eine stabile Übertragung von Druckkräften zu gewährleisten.
aus Scheiben und Pendelstützen betrachtet werden. Bei der Beschreibung der Kniekinematik
mit Hilfe einer geschlossenen Viergelenkkette [5-38, 5-41, 5-42] sind die Kreuzbänder Pendel-
stützen, die nur bei Zugbelastung ihre Funktion erfüllen. Damit die Kreuzbänder in jeder Stel-
lung gespannt sind, ist eine Führung durch die Gelenkflächen erforderlich. Die Form der Ge-
lenkflächen ist dergestalt, dass ein Femurkondylus die Hüllkurve der Tibiagelenkkontur dar-
stellt. Nur dadurch ist gewährleistet, dass die Gelenkflächen, ohne sich zu verhaken, ständig in
Kontakt sind und reibungsfrei ihre charakteristische Rollgleitbewegung ausführen können.
Dennoch ist dieses System instabil, d. h. es bewegt sich sobald Kräfte wirken. Eine stabile und
definierte Gelenkstellung, die für den Stand und die kontrollierte Fortbewegung notwendig ist,
erfordert einen entsprechenden Stellmechanismus. Dieser Stellmechanismus ist bei der Knie-
streckung der vierköpfige Schenkelstrecker, der eine feste Verbindung mit variabler Länge
zwischen Femur und Patella bildet. Er greift über die Patella und das Patellaband in die Mecha-
nik des Kniegelenks ein. Den entsprechenden Stellmechanismus für die mechanisch einfachere
Kniebeugung bilden die Kniebeugemuskeln. Im Folgenden wird nur der Kniestreckmechanis-
mus betrachtet, da die meisten physiologischen Belastungen wie Gehen, Laufen und Treppen-
steigen das Knie beugen und der Kniestreckmechanismus zur Erhaltung des statischen Gleich-
gewichts erforderlich ist.
Beugerichtung
Rastpolbahn
Femur
Gangpolbahn
Femurkondylenkontur Momentanpol
(Koppelhüllkurve der vorderes Kreuzband
Tibiakontur)
hinteres Kreuzband
Das entwickelte mechanische Modell des Kniegelenks in der Sagittalebene, das nachfolgend
dargestellt wird, besteht aus drei Scheiben und sechs Pendelstützen. Die Scheiben sind das
Femur, die Tibia und die Patella. Die Pendelstützen sind die Gelenkkontaktstellen zwischen
Femur und Tibia und zwischen Femur und Patella, das Patellaband, der Schenkelstrecker und
184 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
die beiden Kreuzbänder, Bild 5-27. Prinzipiell müssten auch die Seitenbänder bei diesem me-
chanischen Modell berücksichtigt werden. Häufig wird jedoch angenommen [5-2, 5-4], dass die
Seitenbänder nur bei gestrecktem Knie gespannt sind und die Überstreckung des Knies verhin-
dern. Während der Kniebeugung sind sie entspannt und begrenzen nur die Außen- bzw. Innen-
rotation, die in der Sagittalebene keine Rolle spielt, so dass die Seitenbänder bei dem mechani-
schen Modell für die Sagittalebene vernachlässigt werden können. Nach MENSCHIK [5-3, 5-
40, 5-41, 5-42] bilden zumindest die gespannten Teile der Seitenbänder in der Sagittalebene mit
Femur und Tibia eine zweite überschlagene Viergelenkkette, deren Kreuzungspunkt in jeder
Beugestellung mit dem Kreuzungspunkt der Viergelenkkette der Kreuzbänder zusammenfällt.
Der Kreuzungspunkt einer überschlagenen Viergelenkkette stellt den Momentanpol dar, um
den das bewegte System momentan eine reine Rotation ausführt, Bild 5-26. Die Bahn, die der
Momentanpol im ruhenden System beschreibt, ist die Rastpolbahn. Die Gangpolbahn ist die
Bahn des Momentanpols im bewegten System, die ohne zu gleiten auf der Rastpolbahn abrollt.
Demnach sind die Rast- und Gangpolbahnen beider Viergelenkketten identisch. Beide Systeme
sind mechanisch gleichwertig und wirken als Synergisten, so dass es auch mit dieser Deutung
der Funktion der Seitenbänder ausreicht, bei dem mechanischen Modell nur die Kreuzbänder zu
berücksichtigen.
Das Femur ist durch drei Pendelstützen mit der Tibia verbunden. Das sind die beiden Kreuz-
bänder und die Gelenkkontaktstelle. Aufgrund der Tatsache, dass ein Femurkondylus die Kop-
pelhüllkurve der Tibiagelenkkontur bei der Kniebewegung ist, stimmen bei jeder Beugestellung
an der Kontaktstelle die Normalen der Tibiakontur und der Femurkontur überein. Die Berüh-
rungsnormale ist, wie oben beschrieben, die Wirkungslinie der von der Gelenkpaarung über-
tragbaren Druckkraft. Ferner ist aus der Getriebelehre [5-45, 5-46] bekannt, dass Koppelhüll-
kurven und die Rastpolbahn Evolventen zu der gleichen Evolute sind. Die Evolute ist die Bahn
der Krümmungsmittelpunkte einer Kurve. Damit ist die Femurkontur eine vergrößerte Abbil-
dung der Rastpolbahn, Bild 5-26, wenn das Femursystem als ruhendes System betrachtet wird.
Ferner bedeutet das aber auch, dass der Schnittpunkt der beiden Kreuzbänder auf der Normalen
durch die Kontaktstelle zwischen Tibia- und Femurkontur liegt. Die Wirkungslinien der Kräfte
durch die drei Pendelstützen, die das Femur mit der Tibia verbinden, schneiden sich also in
einem Punkt. Obwohl drei mechanisch einwertige Bindungen zwischen Femur und Tibia beste-
hen, ist aufgrund dieser besonderen Anordnung die Bindung zwischen Femur und Tibia me-
chanisch nur zweiwertig. Dadurch ist die zwanglose Bewegung des Femorotibialgelenks ge-
währleistet, und es kann sich nicht allein aufgrund der Relativbewegung der beiden Knochen
zueinander verspannen. Die fiktive Gelenkstelle befindet sich im Schnittpunkt der drei Wir-
kungslinien, also im Schnittpunkt der Kreuzbänder bzw. dem Momentanpol. Jede Kraft durch
diese fiktive Gelenkstelle lässt sich zerlegen in eine Normalkraft und eine Tangentialkraft be-
züglich der Rastpolbahn bzw. der wahren Gelenkkontur an der Kontaktstelle. Die Tangential-
kraft wird von den beiden Kreuzbändern aufgenommen, wobei ein Kreuzband entlastet und ein
Kreuzband belastet wird. Hierzu ist eine Vorspannung der Kreuzbänder notwendig, da die
mechanische Funktionalität des entlasteten Kreuzbands nur solange gesichert ist, wie die vor-
handene Vorspannung ausreicht. Die Normalkraft wird aufgrund seiner höheren Drucksteifig-
keit im Vergleich zu den Kreuzbändern durch den knöchernen Kontakt übertragen, sofern es
sich um eine Druckkraft handelt. Ist die Normalkraft eine Zugkraft, wird sie in diesem Modell
zusätzlich zur Tangentialkraft durch die Kreuzbänder übertragen. Allerdings ist das mechani-
sche Modell nur gültig für äußere Belastungen, die das Knie beugen, so dass der letzte Fall hier
nicht relevant ist.
5.5 Aufbau und Funktionsweise des Kniegelenks 185
Die Patella ist durch zwei Pendelstützen, dem Schenkelstrecker und der Gelenkkontaktstelle,
mit dem Femur und durch eine Pendelstütze, dem Patellaband, mit der Tibia verbunden. Bei
physiologischen Belastungen des Kniegelenks wird die Patella nur durch innere Kräfte über die
drei Pendelstützen belastet. Aufgrund der Gleichgewichtsbedingung schneiden sich die drei
Richtungen der Pendelstützen immer in einem Punkt und bilden eine zentrale Kräftegruppe.
Dadurch ist die Patella dennoch nicht starr mit dem übrigen System verbunden. Selbst bei
gleichzeitiger fester Einspannung von Femur und Tibia besitzt sie eine infinitesimale Beweg-
lichkeit. Bei einer Belastung der Patella durch eine äußere Kraft, deren Wirkungslinie nicht
durch den Schnittpunkt der drei vorgebenen Kraftwirkungslinien geht, ist nur im verformten
Zustand Gleichgewicht möglich.
a) b) c)
Kraft im Femoro-
patellargelenk
Schenkelstrecker
aft
ban ella-
dkr
oro-
Pat
m F em
el en k
K r af t i
tibialg
Bodenreaktionskraft Kraftwirkungslinien
gleichzeitiger zweiwertiger Lagerung des Femurs, wie es in den ebenen FE-Modellen in Kapi-
tel 6.5 angenommen ist, liefert a = 3 Auflagerreaktionen. Für ein stabiles System muss die An-
186 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
Schenkelstrecker
Bodenreaktionskraft
Bild 5-28 Mechanisches Modell des Kniegelenks in der Sagittalebene ohne Kreuzbänder
Das System nach Bild 5-28 ist ein zwangläufiges Getriebe, das sich unter dem Einfluss von
Kräften bewegt, also prinzipiell ein statisch unbrauchbares System. Allerdings wird bei einer
statischen Belastung die Bewegung nur so weit stattfinden, bis sich die Pendelstützen ausge-
richtet haben und am verformten System wiederum Gleichgewicht zwischen äußeren und inne-
ren Kräften herrscht. Zwangläufigkeit bedeutet, dass durch die Vorgabe der Bewegung eines
Teilsystems die Bewegung des Gesamtsystems festgelegt ist. Somit ist die verformte, stabile
Geometrie, bei der Gleichgewicht eintritt, bei vorgegebener statischer Belastung eindeutig.
Diese ausgerichtete Anordnung des Systems existiert für alle Beugewinkel, ohne dass die
Kreuzbänder berücksichtigt werden müssen. Hierbei ist der Beugewinkel, ähnlich wie bei dem
statisch bestimmten System nach Bild 5-27, hauptsächlich mit der Länge des Schenkelstre-
ckers verknüpft.
Wie bei der Beschreibung des Zusammenwirkens der Kreuzbänder mit dem Kontakt zwischen
Femur und Tibia gezeigt, überträgt die Kontaktstelle die Normalkomponente der Gelenkkraft,
während die Tangentialkomponente von den Kreuzbändern übernommen wird. Das Entfernen
der Kreuzbänder aus dem mechanischen Modell ist gleichbedeutend damit, dass die Tangenti-
alkraft Null gesetzt wird. Im Stand und während des Gehens oder Laufens ist die Gelenkkraft
zwischen Tibia und Femur im Wesentlichen durch die Normalkomponente geprägt. Die Tan-
gentialkomponente ist vernachlässigbar klein und kann Null gesetzt werden. Mit der Annahme,
dass bei der Beugung des Knies unter Gewichtsbelastung das Femorotibialgelenk durch die
Kreuzbänder so geführt wird, dass die Gelenkkraft hauptsächlich durch die Normalkomponen-
te bestimmt ist, folgt ebenfalls, dass die Kreuzbänder quasi unbelastet sind. Sie sind dann,
ähnlich wie notwendige Nullstäbe in einem Fachwerk, nur für die Stabilität des Kniegelenks
zuständig und sorgen dafür, dass die Gelenkpartner sich auch bei dynamischer Belastung im-
mer in dieser optimalen Stellung befinden und kein Schwingen um die statische Ruhelage
188 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
stattfindet. Für die Annahme, dass die Kreuzbänder bei der Kniebeuge weitestgehend unbelas-
tet bleiben, spricht auch die Tatsache, dass der knöcherne Kontakt eine wesentlich höhere
Steifigkeit aufweist als die Kreuzbänder, d. h. die Kreuzbänder können sich bei Belastung
wesentlich mehr verformen als die Knochenkontaktstelle und lassen dadurch eine Ausrichtung
des Systems zu, so dass die Kreuzbänder entlastet und die Knochenkontaktstelle belastet wer-
den. Ein weiterer Hinweis für die Zulässigkeit der Annahme, dass die Kreuzbänder im stati-
schen Gleichgewicht nahezu unbelastet sind, ist die Beobachtung, dass Sportler mit einer gut
trainierten, kräftigen Beinmuskulatur auch ohne Kreuzbänder keine Laufprobleme haben.
Das in Bild 5-28 dargestellte Modell und die oben erläuterten Annahmen liefern die gesuchten
Randbedingungen für eine FE-Analyse, siehe Kapitel 6.7 und Kapitel 6.8, die ohne die genaue
vorherige Kenntnis der Knochenstellungen im Kniegelenk zu brauchbaren Ergebnissen bei der
Kontaktanalyse führt. Es ist lediglich eine ungefähre, aber dennoch sinnvolle Anordnung der
gelenkbildenden Knochen notwendig, da sich das System unter Last so ausrichtet, dass stabiles
Gleichgewicht herrscht. Bei der Ermittlung der Gelenkdruckspannungen ergibt sich die Stel-
lung der drei Knochen relativ zueinander als zusätzliches Ergebnis der geometrisch nichtlinea-
ren FE-Kontaktanalyse. Bei einer geometrisch nichtlinearen Analyse wird das Gleichgewicht
am verformten System ermittelt, was bei dem hier entwickelten Modell unbedingt erforderlich
ist. Mit den in Abschnitt Kapitel 6.7 und [5-47] beschriebenen ebenen FE-Simulationen wer-
den die Thesen auf ihre Gültigkeit überprüft und im Wesentlichen bestätigt.
auch in der Frontalebene eine überschlagene Viergelenkkette. Sie führen auch in dieser Ebene
die Relativbewegung zwischen Femur und Tibia. Da aber jederzeit auch die Gelenkflächen in
Kontakt sind, stellen offensichtlich die beiden Femurgelenkflächen räumliche Hüllflächen der
bewegten Tibiagelenkflächen dar, die sich aus der dreidimensionalen Führung durch die
Kreuzbänder ergeben. Die Kreuzbänder sichern das Gelenk gegen eine Querverschiebung. Da
aber eine zentrische Druckbelastung vorliegt, die von den Kontaktstellen übertragen wird, sind
die Kreuzbänder in der Frontalebene unbelastet.
Krümmungsmittel-
Kraft im Femoro- punkte der Tibiakontur
tibialgelenk
Kraft im Femoro-
tibialgelenk
Knochen- Viergelenkkette
kontakt
Krümmungs-
Femurkontur
mittelpunkte
der Femurkontur
Kreuzband Tibiakontur
Seitenband
In der Transversalebene findet die Rotation des Kniegelenks um die Längsachse statt. Diese
Bewegungsmöglichkeit wird hier nicht gesondert betrachtet. Dennoch wird bei dem mechani-
schen Modell eine relative Rotation um die Längsachse zwischen Femur und Tibia zugelassen,
um eine Zwangsbedingung zu vermeiden, die das automatische Ausrichten der Gelenkflächen,
um den Gleichgewichtszustand zu erreichen, behindert. Auch bei dieser möglichen, passiven
Rotation um die Längsachse wird die zentrische Druckbelastung durch die Kontaktstellen
zwischen Femur und Tibia übertragen. Lediglich das Ausmaß der Bewegung wird hauptsäch-
lich durch die Seitenbänder und zu einem geringeren Teil durch die in der Transversalebene
umeinander geschlungenen Kreuzbänder begrenzt. Ansonsten bleiben die Bänder auch in der
Transversalebene unbelastet.
Mit der Voraussetzung, dass bei der physiologischen, zentrischen Druckbelastung sowohl die
Seiten- als auch die Kreuzbänder in allen drei Schnittebenen bei der Kniebeuge unbelastet
bleiben, können diese Bänder bei dem dreidimensionalen Modell vernachlässigt werden. Ana-
log zu dem ebenen Modell besteht das räumliche Modell des Kniegelenks nur aus Femur,
Tibia, Patella, Patellaband und Schenkelstrecker. Dadurch ist das Modell zunächst instabil,
d. h. Gleichgewicht ist nur im ausgerichteten Zustand möglich. Dieses System ist die gesuchte
Grundlage für das räumliche FE-Modell, das in Abschnitt Kapitel 6.8 vorgestellt wird. Ent-
sprechend dem ebenen FE-Modell ist auch hier nur eine ungefähre, wenn auch sinnvolle Aus-
gangsanordnung der gelenkbildenden Knochen notwendig, da neben den Gelenkdruckspan-
nungen auch die ausgerichtete Anordnung der Gelenkteile das Ergebnis einer geometrisch
nichtlinearen FE-Kontaktanalyse darstellt.
190 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
ein unbestimmtes System vorliegt, aber dadurch entlasten sich die Muskeln gegenseitig und
die Lasteinleitung wird auf verschiedene Stellen verteilt. Somit werden Beanspruchungsspitzen
vermieden und die Knochen gleichmäßiger belastet. Diese besondere Gestaltung der Lastein-
leitung in die Knochen lässt sich sehr gut beim Armskelett verdeutlichen. Wie Bild 5-30 zeigt,
wird beim Halten einer Last mit der Hand bei gebeugtem Arm die Streckbewegung, die durch
das Moment der Last im Ellenbogengelenk hervorgerufen werden würde, im Wesentlichen
durch das gleichzeitige Zusammenwirken von drei Muskeln verhindert. Diese sind der zwei-
köpfige Armmuskel (m. biceps brachii), der Armbeuger (m. brachialis) und der Oberarmspei-
chenmuskel (m. brachioradialis). Da der zweiköpfige Armmuskel nicht nur das Ellenbogenge-
lenk, sondern auch das Schultergelenk überspannt und die Belastung im gesamten Arm be-
trachtet werden soll, wird bei dieser Betrachtung auch der Deltamuskel (m. deltoideus) berück-
sichtigt, der zusätzlich die Bewegung im Schultergelenk verhindert.
Schulterblatt
Deltamuskel
Oberarmknochen
zweiköpfiger Armmuskel (m. biceps)
Oberarmspeichenmuskel
Ellenbogengelenk
Unterarmknochen
F
1
U
2
3
4
Bild 5-30 Beteiligte Muskeln beim Halten einer Last bei gebeugtem Arm
Wie Bild 5-31 bis Bild 5-33 zeigen, könnte in der anatomischen Ebene, in der die Beugebewe-
gung des Ellenbogens stattfindet, das Strecken des Ellenbogengelenks theoretisch bereits mit
einem der drei Beugemuskeln verhindert werden. Für die Kontrolle der Bewegung im Schul-
tergelenk wird in allen Fällen der Deltamuskel benötigt. Wird jeweils nur ein Beugemuskel
betrachtet, ist das ebene System statisch bestimmt und es können sowohl die notwendigen
Muskelkräfte als auch die Biegemomente im Oberarmknochen sowie in den Unterarmknochen
eindeutig berechnet werden. Es werden die Biegemomente in den beteiligten Knochen betrach-
tet, weil Biegung, wie in Kapitel 3.3.3.3 gezeigt, eine lineare Spannungsverteilung im Kno-
chenquerschnitt hervorruft. Tritt Biegung auf, ist die Beanspruchung im Knochenquerschnitt
sehr ungleichmäßig mit hohen Randspannungsspitzen.
192 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
Bild 5-31 zeigt das mechanische Modell des Arms und den resultierenden Verlauf des Biege-
moments in den Armknochen, für den Fall, dass für das Halten einer Last F bei gebeugtem Arm
nur der zweiköpfige Armmuskel eingesetzt wird. Dieser Muskel überspannt sowohl das Ellen-
bogengelenk als auch das Schultergelenk und verläuft parallel zum Oberarmknochen, ohne
direkt an dem Oberarmknochen anzusetzen. Da die Drehung im Schultergelenk durch den Del-
tamuskel verhindert wird, tritt das maximale Biegemoment im Oberarmknochen dort auf, wo
die Wirkungslinie des Deltamuskels die Achse des Oberarmknochens schneidet. Wie der Wert
für das maximale Biegemoment im Oberarmknochen zeigt, wird durch die spezielle Anordnung
des zweiköpfigen Armmuskels, die in der Biomechanik als Zuggurtung [5-1, 5-3, 5-32, 5-33]
beschrieben wird, der Hebelarm l4 der Last F um die Länge lU des Unterarms verkürzt, so als
würde die Kraft F im Ellenbogengelenk angreifen. Durch die Zuggurtung des zweiköpfigen
Deltamuskel
zweiköpfiger Armmuskel
F·(l4 - lU)
F·l1
Bild 5-31 Biegemomentenverlauf beim Halten einer Last bei gebeugtem Arm mit dem zweiköpfigen
Armmuskel (m. biceps brachii)
Armmuskels wird das maximale Biegemoment im Oberarmknochen minimiert. Wird der Arm
im Ellenbogengelenk rechtwinklig gebeugt, ist der Hebelarm l4 der Last F gleich der Länge lU
des Unterarms und das Biegemoment im Oberarmknochen Null. Die Kraft des zweiköpfigen
Armmuskels, die entsprechend der Hebelverhältnisse des Muskels und der Last F zum Ellen-
bogengelenk ein Vielfaches der Last F erreicht, ruft im Oberarmknochen im Wesentlichen eine
Druckbelastung hervor, die beim Ellenbogengelenk und beim Schultergelenk in den Knochen
eingeleitet wird. Dadurch wird der Knochen über den gesamten Querschnitt gleichmäßig bean-
sprucht und ein Öffnen der Gelenkflächen durch die äußere Last F vermieden. Im Schulterge-
lenk wird dieser gelenkstabilisierende Effekt noch durch die Wirkung des Deltamuskels ver-
stärkt. Da jedoch der zweiköpfige Armmuskel nahe beim Ellenbogengelenk an den Unterarm-
knochen ansetzt, ist der Hebelarm l1 der Last F bis zur Ansatzstelle des Muskels recht groß, so
dass das maximale Biegemoment bei alleinigem Einsatz des zweiköpfigen Armmuskels in den
Unterarmknochen große Werte annimmt.
5.6 Anpassung des Bewegungsapparats an die mechanische Belastung 193
Deltamuskel
F·l4
Oberarmspeichenmuskel
F·l2 0
F
Bild 5-32 Biegemomentenverlauf beim Halten einer Last bei gebeugtem Arm mit dem Oberarmspei-
chenmuskel (m. brachioradialis)
In Bild 5-32 ist das mechanische Modell des Arms und der Verlauf des Biegemoments darge-
stellt, wenn für das Halten einer Last F bei gebeugtem Arm nur der Oberarmspeichenmuskel
eingesetzt wird. Bei diesem Modell ist vereinfachend angenommen, dass die Last F bei der
Schnittstelle der Wirkungslinie der Kraft des Oberarmspeichenmuskels mit der Achse der Un-
terarmknochen angreift. Der Muskel verläuft nahezu parallel zu den Unterarmknochen und hat
seinen Ursprung in der Nähe des Ellenbogengelenks am Oberarmknochen. In diesem Fall erfah-
ren die Unterarmknochen ausschließlich eine Druckbelastung und das Biegemoment ist Null.
Der Oberarmspeichenmuskel bewirkt also die Zuggurtung für die Unterarmknochen. Bei dieser
Anordnung tritt dort, wo die Wirkungslinie des Deltamuskels die Achse des Oberarmknochens
schneidet, ein sehr hohes Biegemoment im Oberarmknochen auf, weil für das Biegemoment an
dieser Stelle der gesamte Hebelarm l4 der Last F maßgeblich ist. Dadurch ist im Deltamuskel
auch eine sehr hohe Kraft notwendig, um die Drehung im Schultergelenk zu vermeiden.
Das mechanische Modell des Arms und der Verlauf des Biegemoments in den Armknochen ist
in Bild 5-33 für den Fall dargestellt, dass für das Halten einer Last F bei gebeugtem Arm nur der
Armbeuger eingesetzt wird. Da der Armbeuger bei den Unterarmknochen in der betrachteten
Ebene etwa bei der gleichen Stelle an den Unterarmknochen ansetzt wie beim ersten Modell der
zweiköpfige Armmuskel, ist in beiden Fällen das maximale Biegemoment in den Unterarmkno-
chen gleich groß. Weil der Ursprung des Armbeugers sich entlang des Schafts des Oberarmkno-
chens befindet, tritt auch bei dieser Anordnung dort, wo die Wirkungslinie des Deltamuskels die
Achse des Oberarmknochens schneidet, das gleiche sehr hohe Biegemoment im Oberarmkno-
chen wie bei dem zweiten Modell, bei dem nur der Oberarmspeichenmuskel betracht wird, auf.
Der Armbeuger verläuft bis zu seiner Ursprungstelle am Oberarmknochen im Wesentlichen
parallel zum Oberarmknochen und bewirkt längs dieses Abschnitts eine Zuggurtung für den
Oberarmknochen. Außerdem ruft die Zugkraft des Armbeugers eine Druckkraft im Ellenbogen-
gelenk hervor und unterstützt damit die muskuläre Stabilisierung des Ellenbogengelenks.
194 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
Tatsächlich sind alle drei Muskeln gleichzeitig aktiv, um das Halten einer Last bei gebeugtem
Arm zu ermöglichen. Je nachdem welcher Anteil der gesamten Last von den einzelnen Mus-
keln gehalten wird, setzt sich auch die Biegebelastung in den Knochen aus den jeweiligen
Anteilen zusammen. Dadurch kann in allen beteiligten Knochen die ungünstige Biegebelas-
tung reduziert werden. Die Aufteilung der Gesamtlast ist jedoch nicht beliebig. Es ist zu be-
achten, dass bei den betrachteten Modellen nur die Ebene in der die Beugebewegung im Ellen-
bogen stattfindet dargestellt ist. Tatsächlich sind insbesondere der zweiköpfige Armmuskel
sowie der Oberarmspeichenmuskel nicht nur bei der Beugebewegung des Ellenbogens sondern
auch bei der Handwendebewegung beteiligt, so dass bei der Aufteilung der Last auf die ein-
zelnen Muskeln zu beachten ist, ob die Hand einwärts oder auswärts gedreht ist.
Deltamuskel
F·l4 Armbeuger
F·l3
F·l1
Bild 5-33 Biegemomentenverlauf beim Halten einer Last bei gebeugtem Arm mit dem Armbeuger (m.
brachialis)
Wie das betrachtete Beispiel zeigt, bewirkt der nahezu parallele Verlauf der Muskeln zu den
Schäften der Knochen grundsätzlich eine Zuggurtung durch die Muskelkraft. Dadurch werden
sowohl das überspannte Gelenk als auch die Knochenabschnitte zwischen den Muskelansatz-
satzstellen auf Druck belastet. In den Schäften der Knochen überlagern sich die dadurch verur-
sachten Druckspannungen mit den dort nicht ganz zu vermeidenden Biegespannungen und
reduzieren zumindest die durch die Biegung hervorgerufenen Zugspannungen. Bei den Ge-
lenkenden der Knochen treten ausschließlich Druckspannungen auf, weil bei den Gelenken das
Biegemoment in den Knochen grundsätzlich verschwindet, wodurch auch einseitige Beanspru-
chungen von Knorpelarealen herabgesetzt werden. Außerdem wird durch diese Muskelanord-
nung insbesondere bei den Gliedmaßen eine schlanke Form erreicht, die ein Optimum an Be-
weglichkeit erlaubt. Die Beweglichkeit wird auch dadurch sichergestellt, dass die Muskeln
eine ausreichende Länge aufweisen, um sich wirkungsvoll verkürzen zu können. Damit verlau-
fen die Muskeln über lange Strecken entlang der Knochen und bewirken eine effektive Zug-
gurtung.
5.6 Anpassung des Bewegungsapparats an die mechanische Belastung 195
Die Muskelkräfte werden bei den Sehnenansatzstellen in die Knochen übertragen. Die Gestalt
der Anbindung der Muskeln an die Knochen hängt insbesondere von der Änderung des An-
satzwinkels der Sehne zum Knochenschaft während der Gelenkbewegung ab. Bei geringen
Winkeländerungen setzt der Muskel meist fleischig über größere Bereiche, die relativ weit von
dem zu bewegenden Gelenk entfernt sind, am Knochenschaft an. Stellen mit großen Winke-
länderungen sind gelenknah angeordnet und die Anbindung erfolgt lokal begrenzt mit schlan-
ken
a)
b)
kollagene Fibrille
als Facies, Lineae, Cristae, Tuberositates und Tubercula bezeichnet, [5-3, 5-36]. Eine weitere
Sicherung der Kraftübertragung von den Muskeln auf das Skelett wird dadurch erreicht, dass
in der Ruhelage die Form der Sehnenfibrillen leicht wellenförmig ist. Deshalb entwickeln
Sehnen ihre volle Zugsteifigkeit erst, wenn sie bei Belastung gestreckt werden. Dadurch wird
ein abruptes Einsetzen der Muskelzugkräfte vermieden, Bild 5-34.
Außer bei den Sehnenansatzstellen werden auch bei den Gelenken Kräfte in die Knochen ein-
geleitet. Vergleicht man die natürlichen Gelenke mit technischen Gelenken, stellt man fest,
dass die natürlichen Gelenke Gleitlager sind, während in der Technik bei vergleichbaren Be-
wegungszuständen, wie sie beim menschlichen Bewegungsapparat auftreten, häufig Wälzlager
eingesetzt werden [5-48]. Der Nachteil technischer Gleitlager gegenüber Wälzlagern ist, dass
bei niedrigen Relativgeschwindigkeiten zwischen den Kontaktflächen, beim Anlaufen und
Auslaufen sowie bei pendelnder Bewegung und gleichzeitig hoher Druckbelastung, also typi-
schen Zuständen, wie sie beim menschlichen Bewegungsapparat auftreten, eine erhöhte Rei-
bung auftritt. Dieser Nachteil spielt bei gesunden Gelenken keine Rolle, weil, wie in Kapitel
5.2.3 beschrieben, durch die natürliche Gelenkschmiere, die Synovia, zusammen mit der glat-
ten Hyalinknorpelschicht ein nahezu reibungsfreies Gleiten zwischen den Gelenkflächen er-
reicht wird. Gleitlager sind einfacher aufgebaut, weil keine Wälzkörper vorhanden sind, und
haben dadurch auch einen kleineren Bauraum. Durch das Fehlen von Wälzkörpern werden
punkt- oder linienförmige Lastübertragungsstellen und damit Beanspruchungsspitzen, die nur
mit harten, stoßempfindlichen Oberflächen ertragen werden können, vermieden. Die Knochen-
enden, die entweder die Pfanne oder den Kopf eines Gelenks bilden, sind zur Vermeidung von
Druckspannungsspitzen mit einer 2 bis 5 mm dicken Schicht aus hyalinem Knorpel überzogen.
Der Gelenkknorpel ist nachgiebig und dadurch in der Lage kleinere Inkongruenzen zwischen
den Knochenenden auszugleichen, so dass sich die lastübertragenden Flächen vergrößern.
Außerdem wirkt der Knorpel aufgrund seines viskoelastischen Verhaltens stoßdämpfend. Die
gleichen mechanischen Funktionen erfüllen bei einigen Gelenken Menisken oder Disken aus
faserigem Knorpel, welche die Gelenkpfanne zur Vergrößerung der Gelenkfläche ergänzen.
Obwohl die Gelenkenden der Knochen zur Vergrößerung der lastübertragenden Flächen auf-
gedickt sind, weisen die Gelenke dennoch die für Gleitlager typische kompakte Bauweise auf.
5.6.2 Anpassung der Gestalt eines tragenden Elements an die typische Belastung
Die wesentlichen tragenden Elemente des Bewegungsapparats sind die Knochen. Viele Gestal-
tungsmerkmale der Knochen weisen darauf hin, dass diese offensichtlich natürliche Leichtbau-
strukturen darstellen. Durch das Zusammenwirken von Kräften, die von außen auf den Bewe-
gungsapparat einwirken, und Muskelkräften treten in den Knochenschäften neben den Normal-
und Querkräften Biege- und Torsionsmomente auf. Wie in Kapitel 3.3 gezeigt, werden durch
die Biege- und Torsionsmomente Spannungen hervorgerufen, die vom Schwerpunkt des Kno-
chenquerschnitts nach außen linear ansteigen. Entscheidend für die Höhe der maximalen
Spannungen eines derart belasteten Balkens sind bei gleicher Belastung die Größe des polaren
Widerstandsmoments WP bei Torsionsbelastung und des Widerstandsmoments WBy bei Biege-
belastung. Für die dabei auftretenden Verformungen sind bei Torsionsbelastung die Größe des
polaren Flächenträgheitsmoments IP und bei Biegebelastung die Größe des axialen Flächen-
trägheitsmoments Iy maßgeblich. Bei gleicher Belastung sind also die Spannungen umso klei-
ner, je größer die Widerstandsmomente und die Verformungen umso kleiner, je größer die
Flächenträgheitsmomente sind. Die Widerstandsmomente und die Flächenträgheitsmomente
sind bei gleicher Querschnittsfläche A umso größer, je weiter die Flächenanteile vom Schwer-
punkt der Querschnittsfläche entfernt sind. Bei Torsionsbelastung und bei Biegebelastung mit
5.6 Anpassung des Bewegungsapparats an die mechanische Belastung 197
wechselnder Biegeachse ist damit der kreisringförmige Querschnitt optimal. Außerdem sind
für jede beliebige Biegeachse die Widerstandsmomente WBy gleich sowie die Flächenträg-
heitsmomente Iy gleich. Da die Knochenschäfte nicht unwesentlich auch durch Drucknormal-
kräfte, die potentiell ein Knicken des Knochens hervorrufen können, belastet sind, ist der
Kreisringquerschnitt auch aus dieser Sicht optimal, weil die kritische Knicklast insbesondere
vom kleinsten Flächenträgheitsmoment Iy gegen Biegung abhängig ist.
d 2 d i2
AK π· a (5.27)
4
ab und der Querschnitt des Markkanals
d2
AM π· i (5.28)
4
zu. Die Masse m eines Knochenschaftabschnitts mit der Länge l beträgt damit
m l K AK M AM
l
4
K d a2 d i2 M d i2 (5.29).
da
di
y
Knochenstruktur
Dichte ρ K
Markkanal
z Dichte ρ M
Bild 5-35 Abmessungen bei einem kreisringförmigen Knochenquerschnitt mit Markkanal
Hierbei ist K 2,1 g / cm 3 die mittlere Dichte des kompakten Knochens und
M 0,93 g / cm 3 die mittlere Dichte des Knochenmarks [5-49]. Verwendet man die Masse m0
eines Knochenabschnitts mit der Länge l und einem Vollquerschnitt mit dem Außendurchmes-
ser da als Bezugsmasse, lässt sich Gl. (5.29) auch in der Form
d a2 l d2 M d i2 d2
m K 1 i m0 1 1 M i (5.30)
4 d2 K d a2 K d 2
a a
bzw.
198 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
m d i2 d i2
m 1 1 M 1 0,5571· (5.31)
m0 K da
2
d a2
(d a4 d i4 ) d a4
d4 d4
IP · 1 i I P0 ·1 i (5.32)
32 32 d a4 d4
a
und für das Flächenträgheitsmoment bei Biegung
(d a4 d i4 ) d a4
d4
I ·1 d i
4
Iy · 1 i y0 (5.33).
64 64 d a4
d4
a
Für die ertragbaren Torsions- und Biegemomente sind die Widerstandsmomente maßgeblich.
Auch hierbei kann der Beitrag des Knochenmarks vernachlässigt werden. Somit gilt bei Torsi-
on
2 I P 2 I P0 d i4 d4
WP · 1 WP0 ·1 i (5.34)
da d a d a4 d4
a
und bei Biegung
2I y 2 I y0 d i4 4
WBy ·1 W ·1 d i (5.35).
By0
da d a d a4
da
4
Mit dem Index Null sind hierbei die entsprechenden Größen für den Knochenschaft mit Voll-
querschnitt bezeichnet und man erhält mit Gleichung (5.32) bis Gleichung (5.35)
IP Iy W WBy d4
I P 1 i (5.36).
I P0 I y0 WP0 WBy0 d a4
0,8
m = m/m 0
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
Durchmesserverhältnis d i /da
Bild 5-36 Verläufe der relativen Masse m , des relativen Flächenträgheitsmoments I und der spezifi-
schen Festigkeit bzw. Steifigkeit f* in Abhängigkeit vom Durchmesserverhältnis di/da bei ei-
nem Röhrenknochen
Betrachtet man das Verhältnis von I zu m erhält man die spezifische Steifigkeit bzw. Festig-
keit f*
d i4 d i4 d i4
1 1 1
d a4 d a4 d a4
f* (5.37),
d i2 0,93 d i2 d i2
1 1 M · 1 1 · 1 0,557·
K da
2
2,1 d a2 d a2
die für das optimale Durchmesserverhältnis
di
0,552 (5.38)
da opt
das Maximum
*
f max 1,093 (5.39)
erreicht. Die spezifische Festigkeit sowie die spezifische Steifigkeit des Knochenschafts sind
beim optimalen Innendurchmesser d i, opt 0,552d a um mehr als 9 % größer als beim Voll-
querschnitt. Der Kehrwert der maximalen spezifischen Festigkeit bzw. Steifigkeit
* 1
mmin 0,915 (5.40)
*
f max
200 5 Zusammenhang zwischen Aufbau und Funktion des Bewegungsapparats
ist die minimale spezifische Masse, die um rund 8,5 % kleiner ist als beim Vollquerschnitt.
Zu beachten ist, dass das optimale Durchmesserverhältnis vom Verhältnis der Dichte des Kno-
chenmarks zur Dichte des kompakten Knochens abhängt, Bild 5-37. Das bedeutet, dass Kno-
chenschäfte, die mit Knochenmark gefüllt sind, dickwandiger sein sollten als gasgefüllte Kno-
chenschäfte. Untersuchungen von CURREY und ALEXANDER [5-49] zeigen, dass markge-
füllte Röhrenknochen von Säugetieren ein durchschnittliches Durchmesserverhältnis von
di/da ≈ 0,55 und gasgefüllte Knochen, z. B. bei Vögeln, Werte bis di/da > 0,9 aufweisen. Der
mittlere Wert für Säugetierknochen entspricht damit recht genau dem optimalen Durchmesser-
verhältnis nach Gl. (5.38). Außerdem ist nach Bild 5-37 zu erwarten, dass bei gasgefüllten
Knochen, bei denen das Dichteverhältnis von Knochenmark zum kompakten Knochen sehr
kleine Werte annimmt, das Durchmesserverhältnis deutlich größere Werte erreicht. Für Ober-
schenkelknochen von Säugetieren geben CURREY und ALEXANDER einen durchschnittli-
chen Wert von di/da = 0,63 an. Dieser Wert ist zwar größer als das optimale Durchmesserver-
hältnis für markgefüllte Knochenschäfte, aber der Verlauf der spezifischen Festigkeit bzw.
Steifigkeit f* in Bild 5-36 zeigt, dass auch bei diesem Durchmesserverhältnis f* nur geringfügig
kleiner ist als das Maximum, so dass offensichtlich dennoch das gleiche Optimierungsziel wie
bei den übrigen Röhrenknochen zugrunde liegt.
1
optimales Durchmesserverhältnis d i /d a
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
Dichteverhältnis Knochenmark/Knochen ρM /ρ K
Bild 5-37 Optimales Durchmesserverhältnis di/da in Abhängigkeit von dem Dichteverhältnis M/K von
Knochenmark zum kompakten Knochen
Der Vergleich der Ergebnisse der theoretischen Betrachtungen für das optimale Durchmesser-
verhältnis di/da mit den Ergebnissen der Untersuchungen von CURREY und ALEXANDER [5-
49] untermauert die These, dass die Röhrenform der langen Knochen eine massen-, festigkeits-
und steifigkeitsoptimierte Anpassung der Knochenschäfte an die typische Belastung in diesem
Bereich darstellt. Die Tatsache, dass die minimale spezifische Masse nur um rund 8,5 % kleiner
ist als beim Vollquerschnitt, veranlasst PAUWELS [5-50], die minimale Masse als Optimie-
rungsziel in Zweifel zu ziehen. Er begründet die Ausbildung des Markkanals mit der Anpas-
sung des Knochens an die mechanische Beanspruchung infolge Torsions- und Biegebelastung
um wechselnde Achsen. Wären jedoch nur die lokalen Beanspruchungen entscheidend für die
Gestaltung des Markkanals und damit auch für das Durchmesserverhältnis di/da, dann müssten
5.6 Anpassung des Bewegungsapparats an die mechanische Belastung 201
unabhängig von der Befüllung des Knochenschafts mit Knochenmark oder mit Gas die Durch-
messerverhältnisse gleich sein. Außerdem führt die Anpassung der Gestalt tragender Elemente
einer Struktur an die mechanische Beanspruchung in der Regel zu einer Reduzierung der spezi-
fischen Masse, vorausgesetzt, dass das abgebaute Material nicht durch ein Material mit höherer
Dichte und verschwindender Tragfähigkeit bzw. Steifigkeit ersetzt wird.
der Spongiosa sind zusätzlich entlang der Spannungstrajektorien infolge der regelmäßigen
lokalen Beanspruchung des jeweiligen Knochenbereichs ausgerichtet [5-55]. Spannungstrajek-
torien geben die Richtung der mechanischen Hauptspannungen im Innern eines Bauteils an.
Der Beanspruchungszustand an einer beliebigen Stelle eines Bauteils ist charakterisiert mit den
lokal vorliegenden Spannungskomponenten, die je nach Wahl des Bezugskoordinatensystems
andere Werte annehmen. Grundsätzlich kann an jeder Stelle eines dreidimensionalen Bauteils
der Spannungszustand eindeutig mit den Hauptspannungen beschrieben werden. Die drei
Hauptspannungen stehen paarweise senkrecht aufeinander, d. h. die Spannungstrajektorien
bilden ein räumliches, orthogonales Netz. Die drei Hauptspannungsrichtungen stellen ein spe-
zielles Bezugskoordinatensystem dar, bei dem ausschließlich Normalspannungen also Zug-
oder Druckspannungen und keine Schubspannungen auftreten. Eine reine Normalspannungs-
beanspruchung zeichnet sich dadurch aus, dass, wie bei Stäben in einem Fachwerk, der gesam-
te tragende Querschnitt gleichmäßig genutzt wird. Der innere Aufbau der Spongiosa ist also
eine Struktur mit optimierter Beanspruchung und damit minimaler Masse.
Bild 5-38 Ausrichtung der Trabekel der Spongiosa im Bereich des Femurkopfes entlang der
Hauptspannungslinien
Die Ausrichtung der Trabekel der Spongiosa entlang der Spannungstrajektorien infolge einer
lokalen Druckbeanspruchung gilt nicht nur für die innere Struktur kurzer Knochen, wie den
Wirbelkörper eines Wirbelknochens, Bild 5-5, sondern insbesondere auch für das proximale
Ende des Femurs, Bild 5-38, wie Untersuchungen von KUMMER [5-55] und PAUWELS [5-
56] zeigen. Obwohl man auf den ersten Blick annehmen könnte, dass die Beanspruchung des
proximalen Femurs im Bereich des Oberschenkelhalses durch ein Biegemoment infolge des
Körpergewichts und damit insbesondere auch durch Zugspannungen beansprucht ist, treten im
Wesentlichen Druckspannungen auf. Wie Bild 5-38 zeigt, verläuft die resultierende Gelenk-
kraft R, die über die Gelenkkontaktfläche in Form einer Flächenlast in den Schenkelkopf ein-
geleitet wird, aufgrund der Gelenkbedingung mit ihrer Wirkungslinie durch den Mittelpunkt
des Schenkelkopfes, weil sich dort der Drehpunkt des Hüftgelenks befindet. Im weiteren Ver-
lauf münden die Trabekel der Spongiosa und damit auch die Druckspannungen infolge der
Literatur zu Kapitel 5 205
Gelenkkraft in den medialen Bereich des Knochenschafts, so dass die Gelenkkraft nahezu auf
direktem Weg in den Knochenschaft geleitet wird. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die
kortikale Deckschicht hier wesentlich dicker ist als im lateralen Bereich und bis in den Ober-
schenkelhalsbereich hinaufzieht. Die zunächst erwartete Biegespannungsverteilung stellt sich
nicht ein, weil der Oberschenkelhals nicht die dafür notwendige Bedingung, nämlich, dass die
Gestalt eines langen schlanken Balkens vorliegt, erfüllt. Dafür, dass sich die entsprechend der
Balkentheorie typische Biegespannungsverteilung einstellen kann, ist der Oberschenkelhals zu
kurz. Die Lasteinleitungsstelle, d. h. die Gelenkoberfläche, sowie die Querschnittsänderung im
Bereich der Trochanter sind nicht weit genug voneinander entfernt, um den Oberschenkelhals
als eine typische Balkenstruktur betrachten zu können.
Literatur zu Kapitel 5
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6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
a)
b)
Bild 6-1 Beispiele für Finite-Elemente für die Berechnung strukturmechanischer Probleme
a) Ein-, zwei- und dreidimensionale Elemente mit Eckknoten und linearem Verschiebungs-
ansatz
b) Elemente mit Eck- und Mittelknoten und quadratischem Verschiebungsansatz
Im zweiten Schritt, der üblicherweise mit Hilfe von speziellen Programmen, den so genannten
Preprozessoren, durchgeführt wird, erfolgt die Zerlegung des zu untersuchenden Gesamtge-
biets in finite Elemente. Dazu stehen ein-, zwei- und dreidimensionale Elemente zur Verfü-
gung. Die Geometrie der Elemente wird hauptsächlich durch die Knoten definiert, die auf den
Elementecken bzw. Elementkanten liegen. Die einfachsten Elemente sind solche mit geraden
Elementkanten, Bild 6-1a. Im eindimensionalen Fall ist das Element eine Gerade mit je einem
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H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_6
210 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
Knoten an den Enden. Im zweidimensionalen Fall sind das drei- oder viereckige Elemente mit
je einem Knoten in jeder Ecke. Im dreidimensionalen Fall sind das Tetraeder- oder Hexae-
derelemente mit vier bzw. acht Knoten, je einem in jeder Ecke. Für diese Elemente kann ein
linearer Ansatz für die primären Unbekannten, die Verschiebungsgrößen, aufgestellt werden.
Das bedeutet, dass die sekundären Unbekannten, z. B. die Dehnungen und Spannungen, auf
dem durch das finite Element festgelegten Teilgebiet nur als konstante Größen berechnet wer-
den. Nimmt man bei all diesen Elementtypen noch einen Mittelknoten auf allen Elementkanten
zwischen den Eckknoten hinzu, dann können die Elementkanten gekrümmt sein und es ist ein
quadratischer Verschiebungsansatz möglich, Bild 6-1b. In diesem Fall ergibt sich für die Deh-
nungen und die Spannungen innerhalb des Elements ein linearer Verlauf und die Genauigkeit,
mit der das FE-Modell die Lösung des mechanischen Modells beschreibt, wird erhöht. Bei
dem im Folgenden verwendeten FE-Programm ABAQUSTM [6-1] stehen Elemente mit linea-
rem und mit quadratischem Verschiebungsansatz zur Verfügung. Die Genauigkeit, mit der das
FE-Modell die Lösung für das mechanische Modell beschreibt, ist auch abhängig von der
Dichte der Elementeinteilung. Grundsätzlich gilt, dass mit höherer Elementdichte die Genau-
igkeit zunimmt.
Der dritte Schritt ist die Berücksichtigung der Randbedingungen. Hierbei werden die kinema-
tischen Randbedingungen (z. B. die Verschiebungsrandbedingungen) und die statischen Rand-
bedingungen (d. h. die äußeren Belastungen), die bei der Erstellung des mechanischen Modells
festgelegt wurden, in das FE-Modell integriert. Die kinematischen Randbedingungen werden
den entsprechenden Knoten zugeordnet. Die Verschiebungen und Verdrehungen können durch
absolute Werte vorgegeben oder Freiheitsgrade verschiedener Knoten können untereinander
gekoppelt werden. Die Belastungsrandbedingungen werden je nach Typ den Knoten, den Ele-
mentoberflächen oder dem Elementvolumen zugeordnet. Zu den Randbedingungen gehört
auch die Berücksichtigung von Kontaktstellen zwischen verschiedenen Teilkörpern. An diesen
Stellen werden Kräfte übertragen und die Relativbewegungen der Teilkörper untereinander
festgelegt.
Im vierten Schritt wird die eigentliche FE-Analyse durchgeführt. Das lineare, algebraische
Gleichungssystem für die Knotenpunktverschiebungen wird unter Berücksichtigung der Rand-
bedingungen numerisch gelöst. Dieser Schritt läuft bei allen handelsüblichen FE-Programmen
automatisch ab.
Der fünfte Schritt ist die Ausgabe und die Darstellung der Ergebnisse. Hierbei werden von dem
FE-Programm zusätzlich die sekundären Unbekannten wie z. B. die Verzerrungen und Span-
nungen berechnet. Die relevanten Ergebnisse können mit Hilfe von speziellen Programmen,
den so genannten Postprozessoren, graphisch dargestellt werden.
Der sechste und letzte Schritt ist gekennzeichnet durch die kritische Auswertung und Überprü-
fung der Ergebnisse. Hier wird entschieden, ob das Ergebnis der FE-Analyse ausreichend ist
oder ob Korrekturen am mechanischen Modell bzw. am FE-Modell notwendig sind. Bei der
Auswertung von FE-Analysen für den menschlichen Bewegungsapparat ist sowohl technischer
als auch medizinischer Sachverstand nötig, so dass bei diesem Schritt eine Zusammenarbeit
zwischen Ingenieuren und Ärzten unbedingt erforderlich ist.
ten Fehlerrisiken. Äußere Kräfte wie das Körpergewicht, das Gewicht einzelner Körperteile,
das Gewicht von Traglasten oder die Bedienungskräfte von Maschinen und Geräten können
relativ leicht ermittelt werden. Kräfte, die der menschliche Körper auf die Umgebung ausübt
wie Bodenkräfte beim Stehen, Gehen, Laufen oder Treppensteigen, deren Reaktionskräfte
aufgrund des dritten NEWTONschen Axioms, siehe Kapitel 2.1.3.3, können mit speziellen
Messplatten nach Größe und Richtung ermittelt werden. Unbekannt sind jedoch die inneren
Kräfte und insbesondere die Muskelkräfte, die notwendig sind, um auch bei äußerer Belastung
eine bestimmte Körperhaltung aufrechtzuerhalten. Da vielfach mehrere Muskeln synergistisch
wirken und gleiche Aufgaben erfüllen, versagen die Methoden der Statik, da in der Regel sta-
tisch unbestimmte Systeme vorliegen. Es ist nicht bekannt, nach welchen Gesichtspunkten sich
die Last auf die synergistisch wirkenden Muskeln verteilt. Außerdem ist die Lastverteilung auf
die verschiedenen Muskeln individuell unterschiedlich. Da Muskeln in der Lage sind, ihre
Länge und damit im Prinzip auch ihre Steifigkeit aktiv zu ändern, helfen auch die Methoden
der Elastostatik bzw. Festigkeitslehre hier nicht weiter. Um dennoch zu Ergebnissen für die
Beanspruchungen des Bewegungsapparats zu gelangen, werden auf der Basis vereinfachender
Annahmen mechanische Modelle für die verschiedenen Funktionseinheiten des Körpers aufge-
stellt. Klassische Beispiele hierfür stammen von PAUWELS [6-2, 6-3], der grundlegende
mechanische Modelle für die gesunde und die kranke Hüfte aufgestellt hat und von MAQUET
[6-4], der entsprechende Modelle für das Kniegelenk entwickelt hat, welche die Grundlage
vieler FE-Analysen bilden. Auch die in Kapitel 5.5 vorgestellten Modelle sind Beispiele für
diese Vorgehensweise. Aber nicht nur die Höhe der Muskelkräfte, sondern auch die richtige
Ansatzstelle und die Wirkungsrichtung sind häufig nur ungenau bekannt und individuell ver-
schieden. Zur Lösung dieses Problems sind daher anatomische Kenntnisse erforderlich und die
Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Ingenieuren sinnvoll.
Für die Erstellung übersichtlicher Modelle ist es erforderlich, mechanische Funktionseinheiten
des Bewegungsapparats zu definieren. Das ist relevant für die Erstellung der mechanischen
Modelle und der FE-Modelle.
Komplexere Modelle sind erforderlich, wenn das mechanische Verhalten einer größeren Funk-
tionseinheit, zu der ein oder mehrere Gelenke gehören, untersucht werden soll oder wenn die
Kontaktflächen und die Kontaktdrücke in Gelenken zu bestimmen sind. Beim FE-Modell müs-
sen dann alle zum Gelenk gehörigen Knochen modelliert und Kontaktbedingungen definiert
werden. Das Zusammenwirken mehrerer Knochen in den Gelenken ist ein weiteres Problem.
Bei der Modellierung von Teilen des menschlichen Bewegungsapparats handelt es sich in den
meisten Fällen um ein dreidimensionales Problem. Um ein FE-Netz für Knochen erstellen zu
können, wird zunächst die Knochengeometrie benötigt. Welche Möglichkeiten es gibt, die
dreidimensionale Knochenstruktur zu ermitteln, wird in Kapitel 6.4 näher diskutiert.
pes Materialverhalten vorauszusetzen und die Materialkennwerte für die axiale Richtung (E3
und ν31 = ν32, siehe Tabelle 5-1 in Kapitel 5.1.7.1) zu verwenden. Die Materialkennwerte für
die transversale Richtung treten bei dieser Art der Beanspruchung nicht in Erscheinung. Die
Berücksichtigung der Richtungsabhängigkeit der Spongiosa gestaltet sich als noch schwieri-
ger, da sie von der Orientierung der Knochenbälkchen abhängig und individuell verschieden
ist. Aber auch hier sollte es ausreichend sein, isotropes Materialverhalten vorauszusetzen.
Unbedingt erforderlich für eine hinreichend genaue FE-Analyse ist jedoch die Berücksichti-
gung der Inhomogenität der Materialkennwerte. Weil nach [6-6] (siehe auch Kapitel 5.1.7.4)
die Verteilung des E-Moduls direkt mit der Dichteverteilung gekoppelt ist, kann jedem Ele-
ment ein eigener E-Modul zugewiesen werden, wenn die Dichteverteilung z. B. in Form von
Computertomographiedaten bekannt ist.
Computer-
tomograph FAM
GoFEG:
Geometrieorientierte
FE-Netzgenerierung
Geometrie-
eigenschaften
FAM
VoFEG:
Voxelorientierte Finite-Elemente-Netz
FAM FE-Netzgenerierung
FiltraCT:
Aufbereitung Einführung der
der CT-Daten FAM
Randbedingungen
Material- MateriaCT:
eigenschaften Berechnung
des E-Moduls FE-Analyse
Schritt mit Filtertechniken bereinigt. Dadurch wird die gesuchte Gewebeart kontrastreicher
und glatter abgebildet und von den übrigen Gewebearten separiert.
a) b)
Im einem dritten Schritt werden mit Hilfe spezieller Algorithmen die Konturpunkte bzw. Ober-
flächenpunkte, welche die Bereichsgrenzen der gesuchten Gewebeart darstellen, aus den auf-
bereiteten CT-Daten segmentiert und für die Weiterverarbeitung mit geometrieorientierten
bzw. voxelorientierten Netzgenerierungsverfahren aufbereitet. Um z. B. in Gelenkbereichen
einzelne Knochen eindeutig separieren zu können, wird dieser dritte Schritt bei dem Pro-
grammsystem FAM-FiltRad in drei zueinander senkrechten Betrachtungsebenen durchgeführt.
Das Ergebnis dieses Schritts ist für eine CT-Schicht in Bild 6-3b und für alle relevanten CT-
Schichten in Bild 6-4a dargestellt. Von besonderem Interesse sind hierbei die äußeren Kontu-
ren und Oberflächen, die z. B. Knochen gegenüber anderen Gewebearten wie Muskeln oder
Knochenmark abgrenzen. Innere Konturen oder Oberflächen, die z. B. die Grenze zwischen
der Kortikalis und der Spongiosa beschreiben, sind hier von geringerer Bedeutung, da bei dem
zu erzeugenden Finite-Elemente-Netz der komplette innere Bereich der Knochen vernetzt wird
und, wie in Kapitel 6.3 beschrieben, die Knochenart durch den dem jeweiligen Element zuge-
ordneten E-Modul berücksichtigt werden kann.
FAM
6.4.3 GoFEG: Geometrieorientierte FE-Netzgenerierung
Bei der geometrieorientierten FE-Netzgenerierung wird zunächst auf der Basis der mit
FAM
FiltraCT bzw. FAM-FiltRad segmentierten, radiologischen Bilddaten mit dem CAD-
Programmpaket I-DEASTM [6-22] ein CAD-Volumenmodell erzeugt, das dann mit I-DEASTM
in der Regel mit Tetraederelementen vernetzt wird. Hierbei können die vielfältigen Optionen
des Netzgenerators von I-DEASTM, die in [6-22] beschrieben sind, genutzt werden. Die FE-
Netze können mit Verwendung eines Exportfilters im Input-File-Format des FE-Programms
ABAQUSTM ausgegeben werden. Grundsätzlich können zur Erstellung und Vernetzung des
CAD-Modells sowie der Analyse des FE-Modells beliebige andere Programmsysteme ver-
wendet werden, die ähnliche Funktionalitäten wie die hier benutzten Programmsysteme auf-
weisen. Der scheinbare Umweg bei der Generierung eines FE-Netzes über die Definition eines
216 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
CAD-Modells bietet den wesentlichen Vorteil, dass geometrische Modifikationen an den Mo-
dellen vorgenommen werden können. So können beispielsweise virtuelle Knochenbrüche oder
aber auch die mechanischen Reaktionen der anatomischen Strukturen auf eingebaute Implanta-
te oder Prothesen simuliert werden. Außerdem können die für die FEM-Simulation erforderli-
chen kinematischen und statischen Randbedingungen und auch die Kontaktzonen, wenn z. B.
Gelenke analysiert werden sollen, direkt bei dem CAD-Modell definiert werden. Ferner kann
die Vernetzung des Modells an die lokale Beanspruchung angepasst werden, ohne dass durch
eine Neuvernetzung bereits definierte Randbedingungen verloren gehen.
a) b)
Bild 6-4 Entwicklung eines CAD-Modells für einen Wirbelkörper aus CT-Daten
a) Schichtmodell des Wirbelkörpers
b) CAD-Modell des Wirbelkörpers
Für die Erstellung des CAD-Modells können die mit FAMFiltraCT bestimmten Konturpunkte
aus Bild 6-3b in I-DEASTM importiert und dort zu einer geschlossenen B-Spline-Kurve ver-
bunden werden. Die Konturpunkte können aber auch nach einer dem Problem angepassten
Aufbereitung bereits mit FAMFiltraCT automatisch zu einer geschlossenen B-Spline-Kurve
verbunden und direkt als solche in I-DEASTM importiert werden. Wird dieser Arbeitsschritt für
alle relevanten Schnitte des betrachteten Knochens durchgeführt, entsteht ein Schichtmodell
entsprechend Bild 6-4a. Zur manuellen Erzeugung der Freiformoberflächen des CAD-
Volumenmodells, Bild 6-4b, aus diesen Schichten bietet I-DEASTM mehrere Werkzeuge. Diese
Werkzeuge und deren Anwendungen auf den menschlichen Bewegungsapparat sind in [6-18,
6-19] ausführlich beschrieben.
Die mit FAM-FiltRad bestimmten Oberflächenpunkte des betrachteten Knochens können
ebenfalls direkt in I-DEASTM importiert und dort mit den gleichen Werkzeugen wie die mit
FAM
FiltraCT bestimmten Konturen manuell zu einem CAD-Modell verarbeitet werden. Eine
weitgehende Automatisierung der CAD-Modellerstellung ist jedoch möglich, wenn die mit
FAM-FiltRad ermittelten Oberflächenpunkte zunächst mit dem Programm FAM-BoneCAD [6-
19] verarbeitet werden. Hierbei werden geeignete Freiformflächen generiert, die in I-DEASTM
importiert und zu einem CAD-Volumenmodell verbunden werden können. Eine ausführliche
Beschreibung dieser Vorgehensweise einschließlich der Funktionen von FAM-BoneCAD ist in
[6-19] beschrieben. Bild 6-5 zeigt die Entwicklung eines Finite-Elemente-Modells für ein
menschliches Knie mit dem Programm FAMGoFEG.
6.4 Erstellung von FE-Netzen aus CT-Daten 217
a) b) c)
Oberschenkel-
knochen (Femur)
Kniescheibe
(Patella)
Schienbein
(Tibia)
Bild 6-5 Aufbau eines Finite-Elemente-Modells für ein menschliches Knie mit dem Programm
FAMGoFEG
FAM
6.4.4 VoFEG: Voxelorientierte FE-Netzgenerierung
Ziel des voxelorientierten Verfahrens FAMVoFEG ist die Erstellung von FE-Netzen für Teile
des menschlichen Bewegungsapparats direkt auf der Basis von CT-Daten. Das FE-Netz wird
ohne Umwege im Input-File-Format des FE-Programms ABAQUSTM erstellt. Grundsätzlich
kann auch das File-Format eines anderen geeigneten FE-Programmpakets verwendet werden.
Der große Vorteil dieser Methode ist, dass sie voll automatisiert werden kann und eine schnel-
le, effiziente und sehr wirtschaftliche Netzgenerierung für Teile des menschlichen Bewe-
gungsapparats erlaubt. Allerdings ist sie, im Gegensatz zu geometrieorientierten Netzgenerie-
rungsverfahren, für geometrische Modifikationen nicht geeignet.
Der für die voxelorientierte FE-Netzgenerierung notwendige CT-Datensatz muss den gesamten
zu untersuchenden Knochen enthalten. Es werden alle mit FAMFiltraCT bzw. FAM-FiltRAD
ermittelten Voxel, die sich innerhalb der Knochenkonturen bzw. Knochenoberflächen befin-
218 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
den, verwendet. Die einfachste Art der FE-Netzerstellung aus CT-Daten ist die identische
Abbildung. Dabei wird die regelmäßige Struktur der CT-Daten ausgenutzt und jedes mit FAM-
FiltraCT bzw. FAM-FiltRAD ermittelte Voxel als quaderförmiges finites Element und jeder
Eckpunkt als FE-Knoten aufgefasst. Mehrfache Knotenpunkte werden gekoppelt und man
erhält ein gleichmäßig eingeteiltes FE-Netz aus Hexaederelementen. Das durch identische
Abbildung generierte FE-Modell eines Wirbelkörpers ist in Bild 6-6a dargestellt. Die Schicht-
dicke und der Schichtabstand der verwendeten CT-Daten sowie die Kantenlängen in der
Schnittebene betragen jeweils 1 mm. Damit sind auch die Kanten der erzeugten Hexaederele-
mente jeweils 1 mm lang.
a) b)
Obwohl die äußeren Abmessungen eines Wirbelkörpers relativ klein sind, besteht das FE-Netz
hier insbesondere im Innern des Wirbelkörpers bereits aus zu vielen Elementen, wodurch die
Rechenzeiten unnötig erhöht werden, zumal bei FE-Analysen der Wirbelsäule in der Regel das
Zusammenwirken mehrerer Wirbelkörper studiert wird. Bei einem vergleichsweise großen
Knochen wie dem Oberschenkelknochen wäre die Zahl der Elemente sogar noch wesentlich
größer. Außerdem weist bei dieser Methode die Oberfläche trotz der feinen Netzeinteilung
verfahrensbedingt Ecken und Kanten auf, welche die Randspannungsverläufe beeinflussen und
eine Kontaktanalyse zwischen zwei Knochen im Bereich eines Gelenks unmöglich machen.
Für realistische Oberflächenspannungsverläufe und Kontaktanalysen sind glatte Oberflächen
unbedingt erforderlich. Selbst durch noch kleinere Voxel wird dieses Problem nicht gelöst. Die
so erzeugten Netze können zwar ohne großen Aufwand automatisch erstellt werden, weisen
aber erhebliche Mängel auf, die eine weitere Bearbeitung der FE-Netze erforderlich machen.
Bei FAMVoFEG wird eine optimale Approximation der realen Knochengeometrie und eine
variable Elementgröße, so dass FE-Modelle unterschiedlicher Diskretisierung möglich sind,
angestrebt. Durch die Zusammenfassung mehrerer Voxel zu einem größeren finiten Element
und einer angepassten Projektion der freien Oberflächenknoten auf die von dem Gesamtnetz
umschlossene Voxelstruktur des Knochens ermöglicht FAMVoFEG bei der Netzerstellung be-
reits eine hohe Datenreduktion und eine gute Konturglättung. Das Ergebnis dieser Methode ist
für den Fall, dass in allen drei Koordinatenrichtungen vier Voxel zu einem finiten Element
zusammengefasst sind, in Bild 6-6b. dargestellt. Da bei diesem Verfahren auch Randelemente
6.5 Beispiele für FE-Spannungsanalysen 219
berücksichtigt werden, die nur teilweise durch Voxel ausgefüllt sind, wird sichergestellt, dass
die freien Oberflächenknoten die segmentierte Voxelstruktur des Knochens umschließen. De-
tails zu dieser Vorgehensweise sind in [6-18] beschrieben.
Eine leistungsfähige Weiterentwicklung dieses Verfahrens, das eine automatische Oberflä-
chen- bzw. Volumennetzgenerierung mit lokal angepassten Elementgrößen und glatten Ober-
flächen ermöglicht, stellt das Programmsystem FAM-BoneFEM dar, das in [6-19] ausführlich
erläutert ist.
a) b) c)
lateral medial
3 5
2
2
1 1
d)
Bereich 1 2 3 4 5
EFemur,medial [MPa] 18000 420 400 720 650
1 2 E Femur,lateral [MPa] 18000 450 500 700 750
E Tibia,medial [MPa] 18000 400 750 - -
3 E Tibia,lateral [MPa] 18000 500 740 - -
ν 0,28 0,1 0,1 0,1 0,1
4
lateral medial
Bild 6-7 Partitionen im Schienbein- und Oberschenkelknochen
a) Schienbein (Tibia)
b) Oberschenkelknochen (Femur)
c) Oberschenkelknochen, Ansicht von proximal
d) Elastische Konstanten
220 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Materialeigenschaften der Kortikalis und der ver-
schiedenen Spongiosabereiche sind das Femur- und das Tibiamodell, wie in Bild 6-7 darge-
stellt, entsprechend [6-23] partitioniert. Die Patella ist nicht besonders partitioniert. Der Ein-
fachheit halber werden die mechanischen Eigenschaften der Kortikalis eingesetzt.
a) b) c) T d)
Einspannung Einspannung
L
P Einspannung
P
G
T
T Einspannung
Bild 6-8 Randbedingungen für die FE-Analyse eines Kniegelenks
a) Kraftwirkungen und Verschiebungsrandbedingungen beim Oberschenkelknochen
(Femur), Seitenansicht
b) Randbedingungen beim Oberschenkelknochen (Femur), Vorderansicht
c) Randbedingungen beim Schienbein (Tibia), Vorderansicht
d) Randbedingungen bei der Kniescheibe (Patella), Seitenansicht
Die in [6-23] angegebenen E-Moduli liegen zwischen 400 MPa für die Spongiosa und
18000 MPa für die Kortikalis. Die Querdehnzahl beträgt 0,1 für die Spongiosa und
0,28 für die Kortikalis, siehe Bild 6-7d. Das Materialverhalten wird als bereichsweise
homogen, isotrop und linear elastisch angenommen.
Für die FE-Analyse sind, wie in Bild 6-8 dargestellt, nach [6-23] die Randbedingungen für das
Treppensteigen einer 710 N schweren Person beim Ballenabstoß eingesetzt. Als Lagerungen
sind beim Femur und der Tibia an den jeweiligen Schnittflächen und bei der Patella an der
Kontaktstelle zwischen Femur und Patella feste Einspannungen modelliert. Die Muskel- und
die Bandkräfte sowie die Gelenkkräfte beim Femur und der Tibia an den potentiellen Kontakt-
stellen zwischen Femur, Tibia und Patella sind als Flächenlasten definiert. Die resultierenden
Kräfte sind in Tabelle 6-1 zusammengestellt. Die Kontaktkraft T zwischen Femur und Tibia
wirkt insgesamt je zur Hälfte auf beide Gelenkfacetten.
a)
c)
b)
Die Ergebnisse der FE-Analyse sind in Bild 6-9 dargestellt. Die Spannungsauswertung zeigt,
dass die mit FAMGoFEG erstellten FE-Netze für biomechanische Untersuchungen am Kniege-
lenk ausreichend fein diskretisiert sind. Es treten keine großen Spannungsgradienten innerhalb
einzelner Elemente auf. Auffällig ist die seitliche Biegebeanspruchung in der Tibia, die von
den Kontaktkräften zwischen Femur und Tibia hervorgerufen wird. Möglicherweise ist die
Ausrichtung der Kontaktkraft nicht ausreichend an der Tibiaachse orientiert. Außerdem wird
bei den Randbedingungen die Fibula nicht berücksichtigt, die einen wesentlichen Einfluss auf
das Biegeflächenträgheitsmoment um die Sagittalachse hat und gerade bei seitlicher Biegung
den Unterschenkel stabilisiert. Die unnatürlich scharfen Spannungssprünge, die beim Femur
und der Tibia im Übergangsbereich zwischen Schaft und Gelenkbereich auftreten, resultieren
aus den teilweise großen Sprüngen für den E-Modul zwischen den verschiedenen Materialbe-
reichen insbesondere zwischen Kompakta und Spongiosa. Da an Materialgrenzen die Dehnun-
gen kompatibel sein müssen und es nicht zu Klaffungen oder Überlappungen im Modell kom-
men darf, treten in den Spannungen Sprünge auf, die den Sprüngen des E-Moduls entsprechen.
Diese Sprünge sind in Bild 6-9 besonders auffällig, da der Postprozessor von ABAQUSTM an
Materialgrenzen keinen Mittelwert für die Knotenpunktspannung aus allen angrenzenden Ele-
menten berechnet und damit die Sprünge nicht künstlich verwischt. Um große Sprünge in den
Materialeigenschaften zwischen benachbarten Elementen, wie sie bei der hier verwendeten
bereichsweisen Definition auftreten, zu vermeiden, kann zukünftig mit FAMMateriaCT für jedes
Element der E-Modul bestimmt werden.
a) b) c)
Bild 6-10 FE-Netzerstellung für ein Hüftgelenk auf der Basis von CT-Daten mit FAMGoFEG
a) Schichtmodell
b) CAD-Modell
c) Finite-Elemente-Modell
6.5 Beispiele für FE-Spannungsanalysen 223
a) b) c)
K
M
21°
M
Einspannung
K K
M
M
G
16° Einspannung
In Anlehnung an [6-2, 6-3, 6-24] wird bei der FE-Analyse für das Hüftgelenk als Belastungsfall
der Einbeinstand für eine 686 N schwere Person angenommen. Das um das Standbein reduzier-
te Teilkörpergewicht beträgt 556 N. Die inneren Kräfte, die zwischen proximalem Femur und
Hüftbein wirken, sind ganz überwiegend die resultierende Muskelkraft der Abduktoren und die
Kontaktkraft im Hüftgelenk (Tabelle 6-2).
Betrachtet man das Becken als mechanisches Teilsystem, dann hält die Muskelkraft der Ab-
duktoren das Becken gegen die Teilgewichtskraft im Momentengleichgewicht um das Hüftge-
lenk. Die Kontaktkraft im Hüftgelenk ist die Reaktionskraft, die mit der Muskelkraft und der
Teilgewichtskraft das Becken im Kräftegleichgewicht hält. Die Randbedingungen in den bei-
224 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
den Teilmodellen proximaler Femur und Hüftbein sind in Bild 6-11 zusammengefasst. In bei-
den Modellen wirken die Muskelkraft und die Gelenkkraft als äußere Kräfte. Sie sind in beiden
Systemen gleich groß und entgegengesetzt gerichtet. Das Femur ist an der Schnittstelle und das
Hüftbein an der Kontaktfläche zum Kreuzbein und an der Schambeinfuge fest eingespannt.
a)
b)
Bild 6-12 Ergebnisse der FE-Analyse für ein Hüftgelenk beim Einbeinstand
a) Spannungsverteilung im Femur
b) Spannungsverteilung im Hüftbein
teilt. Hier ist der E-Modul 700 MPa für die Spongiosa und 14500 MPa für die Kortikalis und
die Querdehnzahl 0,07 für die Spongiosa und 0,28 für die Kortikalis. Das Materialverhalten ist
in beiden Modellen bereichsweise homogen, isotrop und linear elastisch angenommen.
Die Ergebnisse der FE-Analyse für ein Hüftgelenk sind in Bild 6-12 dargestellt. Ähnlich wie
für das Kniegelenk, Bild 6-9, zeigen die Ergebnisse, dass die mit FAMGoFEG erstellten FE-
Netze für das Hüftgelenk ausreichend fein diskretisiert sind. Die Spannungsverteilung im
Femurschaft zeigt deutlich die erwartete Biegespannungsverteilung aufgrund der Muskel- und
der Kontaktkraft. Auffällig sind jedoch auch hier die scharfen Spannungssprünge, die insbe-
sondere beim Femur im Übergangsbereich zwischen Schaft und Gelenkbereich zu erkennen
sind. Diese resultieren wie beim Kniegelenk aus den Sprüngen für den E-Modul zwischen den
verschiedenen Materialbereichen insbesondere zwischen der Kortikalis und der Spongiosa.
Also muss auch hier zukünftig mit FAMMateriaCT für jedes Element der E-Modul bestimmt
werden, um eine gleichmäßigere E-Modulverteilung zu erhalten und diesen Mangel zu vermei-
den.
diskretisiert vorliegen, können auch die surfaces nur in diskretisierter Form mit Knoten und
Segmenten definiert werden, Bild 6-13. Die surfaces werden basierend auf den Elementen,
welche die Oberfläche bilden, definiert. Die Knoten der einen Oberfläche (slave surface, Bild
6-13b) treten in Kontakt mit den Segmenten der anderen Oberfläche (master surface, Bild
6-13a). Die Kontaktnormalenrichtung ist durch die lokale Normale zu den Segmenten der mas-
ter surface festgelegt. Die Knoten der slave surface können die Segmente der master surface
nicht durchdringen, jedoch können die Knoten der master surface die Segmente der slave
surface durchdringen, Bild 6-13c.
a)
c)
Segmente der
master surface Knoten der
Segmente der master surface
master surface
Durchdringung
b)
Knoten der
slave surface Segmente der
Segmente der
slave surface slave surface
Bild 6-13 Kontakt zwischen den Oberflächen zweier Körper mit dem master-slave-Konzept
a) Master surface
b) Slave surface
c) Kontaktsituation
grund der Relativbewegung der Knochen zueinander eine geometrische Nichtlinearität vor,
weil bei dem Kniemodell Gleichgewicht nur am verformten Gesamtsystem möglich ist. Bei
allen nichtlinearen FE-Analysen dürfen die Belastungen und alle Modifikationen der Randbe-
dingungen für einen Lastschritt nur inkrementell verändert werden, weil die Nichtlinearität
durch kleine linearisierte Zwischenschritte approximiert wird. Bei jedem Lastinkrement wer-
den so lange Gleichgewichtsiterationen durchgeführt, bis verschiedene Fehlerindikatoren vor-
gegebene Fehlerschranken unterschreiten und Gleichgewicht innerhalb der Toleranzgrenze
erreicht ist. Hierbei werden u. a. die nicht ausbalancierten Kräfte und das Ausmaß der Ver-
schiebungskorrekturen im Vergleich zu der Gesamtverschiebung innerhalb des Lastinkrements
berücksichtigt. Ausgehend von einem gewählten, dem Problem angepassten Startinkrement
wird die Größe dieser Inkremente entsprechend dem Konvergenzhalten bei der Gleichgewicht-
siteration automatisch vergrößert oder verkleinert. Es werden so viele Inkremente gerechnet,
bis der gesamte Lastschritt abgeschlossen ist oder eine andere Abbruchbedingung erreicht ist.
Bei einer FE-Analyse mit mehreren Lastschritten werden ausgehend von der Endsituation des
vorherigen Lastschritts die Randbedingungen und die Belastungen so lange inkrementell ver-
ändert, bis die Randbedingungen und Belastungen des aktuellen Lastschritts erreicht sind. Soll
in einem Lastschritt ein Lager entfernt werden, dann wird zu Beginn des Lastschritts das Lager
durch die im vorhergehenden Lastschritt berechnete Lagerreaktionskraft ersetzt und diese
schrittweise auf null abgesenkt.
6.7.1 Modellbildung
Um sicher zu stellen, dass die Gelenkflächenkonturen und der Bandapparat bei dem ebenen
FE-Modell den beschriebenen kinematischen Zusammenhang erfüllen, wird bei vorgegebenen
Ansatzpunkten der Kreuzbänder am Femur und an der Tibia und vorgegebener gerader Tibia-
gelenkflächenkontur die passende Gelenkkontur am Femur für den Kontakt zwischen Femur
228 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
und Tibia mit Hilfe des CAD-Programms I-DEASTM rekonstruiert. Da die Gelenkflächenkon-
tur des Femurs die Hüllkurve der Tibiagelenkflächenkontur während der Kniebeuge darstellt,
verläuft die Tibiagelenkflächenkontur bei allen Beugewinkeln tangential zur Femurgelenkflä-
chenkontur und berührt diese im Berührpunkt. Zur Rekonstruktion der passenden Femurge-
lenkflächenkontur gibt es also grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Zunächst können bei festge-
haltenem Femur für beliebige Beugewinkel aus der Tibiagelenkflächenkontur die Tangenten
zur Femurgelenkflächenkontur erzeugt werden. Dazu werden die beiden Kreuzbandansatz-
punkte am Femur festgehalten und die Tibiagelenkflächenkontur gemäß dem durch die Kreuz-
bandviergelenkkette vorgegebenen Zwanglauf schrittweise bewegt. Die durch diese Tangen-
tenschar beschriebene Hüllkurve entspricht der Femurgelenkflächenkontur, Bild 6-14a.
a) b)
Femur Femur
vorderes vorderes
Kreuzband Kreuzband
hinteres hinteres
Kreuzband Kreuzband
Berührpunkt
Tibiagelenk- zwischen Tibiagelenk-
Tangente flächenkontur Femur und Tibia flächenkontur
Bild 6-14 Methoden zur Rekonstruktion der passenden Femurgelenkflächenkontur bei vorgegebenen
Kreuzbandansatzpunkten und vorgegebener Tibiagelenkflächenkontur
a) Femurgelenkflächenkontur als Hüllkurve der Tangentenschar gebildet von der Tibiage-
lenkflächenkontur
b) Femurgelenkflächenkontur als kontinuierliche Abfolge der Berührungspunkte auf der
Tibiagelenkflächenkontur
Außerdem entspricht bei dieser Bewegung die Femurgelenkkontur der Abfolge der Berüh-
rungspunkte zwischen der Tibia- und der Femurgelenkkontur, Bild 6-14b. Nach Bild 5-26 ist
der Berührpunkt der Schnittpunkt der Berührungsnormalen mit der Tibiakontur. Da die Berüh-
rungsnormalen durch den Momentanpol der Viergelenkkette verlaufen, ist der Berührpunkt bei
jeder Beugestellung die Projektion des Momentanpols auf die Tibiakontur. Der Momentanpol
für die Beugebewegung liegt für die Viergelenkkette auf dem Schnittpunkt der beiden Kreuz-
bänder. Beide Methoden liefern grundsätzlich die gleiche Gelenkkontur für das Femur.
Bei der Rekonstruktion der Femurgelenkflächenkontur aus der Tangentenschar wird die
Femurgelenkflächenkontur durch kurze, zusammenhängende Geraden approximiert, auf denen
sich die Berührpunkte der Gelenkkonturen befinden. Aufgrund der numerischen Grenzen des
CAD-Programms können diese Geraden nicht beliebig kurz werden. Die exakte Position des
Berührpunkts bleibt also unbestimmt und die Verbindungspunkte zwischen den Geraden stel-
len die Punkte mit der größten Abweichung von der Idealkontur dar. Bei der Vernetzung die-
ser Kontur mit finiten Elementen werden die Randknoten, welche die Gelenkflächenkontur
beschreiben, auf den relativ ungenauen Verbindungspunkten der Geraden erzeugt, so dass das
6.7 Bewegungsstudien am ebenen Kniemodell 229
FE-Modell gerade in diesem für die Qualität der Simulationsergebnisse wesentlichen Bereich
methodisch bedingte Schwächen aufweist.
Wird die Femurkontur aus der Abfolge der Berührungspunkte rekonstruiert, dann ist sicherge-
stellt, dass diese Punkte exakt auf der idealen Femurgelenkkontur liegen. Es können ausrei-
chend viele Punkte erzeugt werden, die als Stützpunkte für eine B-Splinekurve dienen, mit der
die ideale Femurgelenkkontur sehr genau nachgebildet werden kann. Bei der Vernetzung die-
ses Bereichs mit finiten Elementen liegen alle Randknoten auf dieser Kurve, so dass metho-
disch bedingte Fehler in diesem Bereich vermieden werden können.
Die Femurkontur des Gelenks zwischen Femur und Patella wird mit Hilfe eines weiteren Mo-
dells, das von KAPANDJI [6-25] vorgeschlagen wird, als Hüllkurve der Rückflächenkontur
der Patella erzeugt. Bei diesem Modell werden die Haltebänder der Patella zur Führung der
Patella berücksichtigt und vorausgesetzt, dass sich der Winkel zwischen der Patella und dem
Patellaband während der Kniebeuge nicht ändert. Damit ist ein eindeutiger kinematischer Zu-
sammenhang zwischen den Gelenkkonturen des Kniegelenks und dem Bandapparat gegeben.
Auch diese Kontur wird mit den entsprechenden Methoden wie die Femurgelenkkontur für den
Kontakt mit der Tibiagelenkkontur mit dem CAD-Programm I-DEASTM rekonstruiert.
Da bei den ebenen FE-Modellen alle Gelenkkonturen eindeutig durch den vorgegebenen
Bandapparat und gerade Gelenkkonturen bei der Tibia und der Patella definiert sind, können
diese Modelle sehr gut für Parameterstudien verwendet werden, mit denen z. B. der Einfluss
von Veränderungen am Bandapparat auf die Kniemechanik untersucht werden kann.
Femur, Tibia und Patella sind bei den FE-Modellen mit ebenen, viereckigen Kontinuumsele-
menten mit vier Eckknoten, linearem Verschiebungsansatz und Einheitsdicke vernetzt. Jeder
Knoten hat also zwei Verschiebungsfreiheitsgrade in der Ebene. Da die globale Kinematik, die
sich bei der Kniebeuge einstellt und nicht die lokalen Dehnungen im Innern der Strukturen von
Interesse sind, ist es zulässig, den ebenen Spannungszustand anzunehmen. Bei Kontaktrech-
nungen empfiehlt ABAQUSTM [6-1] die Verwendung von Elementen mit linearem Verschie-
bungsansatz, da starke Oszillationen und Spitzen bei den Kontaktspannungen auftreten kön-
nen, wenn master und slave surface mit Elementen mit quadratischem Verschiebungsansatz
modelliert werden. Die Kreuzbänder sind als Seile modelliert, die nur Zugspannungen und
keine Druckspannungen aufnehmen können. Das Patellaband ist mit einem Seilelement model-
liert, das die Patella mit der Tibia verbindet. Der Schenkelstrecker ist durch mehrere in Reihe
angeordnete Seilelemente abgebildet, die die Patella mit dem proximalen Abschnitt des Femurs
verbinden, da mit zunehmender Beugung des Knies der Schenkelstrecker das Femur berührt.
Die Seilelemente sind im Gelenkbereich kürzer gewählt, um im Berührungsbereich eine aus-
reichende Knotenanzahl zu gewährleisten und Durchdringungen der Kontaktoberflächen zu
minimieren. Die Kontur des Femurnetzes ist für die Kontaktanalyse im Gelenkbereich als
master surface definiert. Die Gelenkkonturen von Tibia und Patella sowie die Seilelemente,
die den Schenkelstrecker darstellen, sind als drei einzelne slave surfaces definiert, wobei jede
zusammen mit der master surface ein separates, reibungsfreies Kontaktpaar bildet. Da mit den
FE-Analysen die Kinematik bei der Kniebeuge, die Kräfte im Patellaband und im Schenkel-
strecker sowie die Kontaktstellen und Kontaktkräfte auf den Gelenkkonturen ermittelt werden
sollen und diese Ergebnisse nicht von den Materialeigenschaften abhängen, wird für die drei
Knochen, die Bänder und den Muskel homogenes, isotropes Materialverhalten angenommen.
Die Steifigkeit aller Elemente wird genügend hoch gewählt, dass die lokalen Verformungen im
Vergleich zu den globalen Verformungen vernachlässigt werden können.
230 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
a) b) c)
F anteiliges F anteiliges
Körpergewicht Körpergewicht
Lager 1 Lager 1
Oberschenkel- Oberschenkel-
Schenkel- Schenkel-
knochen knochen
strecker strecker
Kniescheibe Kniescheibe
vorderes
Kreuzband
hinteres
Kreuzband Kniescheiben- Kniescheiben-
band band
Schienbein Schienbein
Lager 2 Lager 2
Mit diesen Randbedingungen ist das System zwar äußerlich statisch bestimmt gelagert, es hat
jedoch, wie in Kapitel 5.5.6.3 beschrieben, einen oder mehrere Starrkörperfreiheitsgrade ins-
besondere, wenn das System ganz oder teilweise ohne Kreuzbänder betrachtet wird. Dann ist
Gleichgewicht bei statischer Belastung nur am verformten System möglich.
6.7 Bewegungsstudien am ebenen Kniemodell 231
numerisch stabiler abläuft und auch dann noch brauchbare Simulationsergebnisse liefert, wenn
die erste Methode bereits aus numerischen Gründen versagt.
26
Ober-
schenkelteil 60
42
40°
hinteres vorderes
Kreuzband Kreuzband
Unterschenkelteil
a = 46-56
Bild 6-16 Festlegung des zu variierenden Abstands a der Kreuzbandansatzpunkte an der Tibia
a) b) c)
dass die Positionen bzw. die Abstände der Bandansatzpunkte variieren und mit den beschrie-
benen Methoden die dazugehörigen Gelenkkonturen rekonstruiert werden. Exemplarisch wird
der Einfluss des Abstands a der Kreuzbandansatzpunkte an der Tibia betrachtet, Bild 6-16.
Bild 6-17 zeigt das Kniemodell mit Kreuzbändern bei verschiedenen Beugestellungen für den
Abstand a = 51 mm. Es wird deutlich, dass sich das Femur während der Kniebeuge relativ zur
Tibia nach hinten verlagert.
Um den Einfluss dieses Parameters auf die Kinematik und die Kräfte im Kniegelenk zu unter-
suchen, wird der Abstand a auf 46 mm verkürzt und auf 56 mm verlängert. Bild 6-18 zeigt den
Einfluss des Abstands a auf die Kinematik des Kniegelenks bei einem Beugewinkel von 90°.
Wie bei allen Varianten, bei denen der aufgrund des Viergelenkkettenmodells vorgegebene
eindeutige kinematische Zusammenhang zwischen den Gelenkkonturen und dem Bandapparat
erhalten bleibt, verlagert sich das Femur während der Kniebeuge relativ zur Tibia nach hinten.
Diese Rückverlagerung nimmt mit größer werdendem Abstand a zu.
a) b) c)
Bild 6-18 Einfluss des Abstands a der Kreuzbandansatzpunkte an der Tibia auf die Kinematik des
Kniegelenks in der Sagittalebene bei einem Beugewinkel von 90°
a) a = 46 mm b) a = 51 mm c) a = 56 mm
Bild 6-19 und Bild 6-20 zeigen den Einfluss des Abstands a auf die Kräfte bei der Kniebeuge.
Die einzelnen Verläufe für die Gelenkkontaktkräfte, die Muskelkraft und die Patellabandkraft
sind jeweils sehr ähnlich. Das gilt auch für die übrigen untersuchten Variationen der Gelenk-
konturen, die durch unterschiedliche Abstände der Bandansatzpunkte entstehen. Erst mit zu-
nehmendem Beugewinkel nehmen die Unterschiede bei den Kraftverläufen zu, da die Simula-
tion in allen Fällen bei der Streckstellung beginnt.
Charakteristisch für die in Bild 6-19b dargestellten Kraftverläufe ist der signifikante Knick bei
einem Beugewinkel von ca. 80°. Bis zu diesem Beugewinkel nehmen die Winkel zwischen der
Patellarückfläche und dem Schenkelstrecker sowie der Patellarückfläche und dem Patellaband
ab, Bild 6-17. Da bei den betrachteten Modellen der Winkel zwischen der Patellarückfläche
und dem Schenkelstrecker stärker abnimmt als der Winkel zwischen der Patellarückfläche und
dem Patellaband, sinkt die Kraft im Patellaband relativ zur Muskelkraft, Bild 6-20b. Ab dem
Beugewinkel von ca. 80° berühren die Knoten der Seilelemente, die den Schenkelstrecker
234 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
abbilden, die Femurkontur. Ab diesem Beugewinkel ändern sich die Winkel zwischen der
Patella rückfläche und dem ersten, zum Schenkelstrecker gehörenden Seilelement sowie der
Patellarückfläche und dem Patellaband nur noch geringfügig. Das bedeutet, dass unabhängig
von dem Abstand a dann das Verhältnis der Patellabandkraft zur Muskelkraft nahezu konstant
bleibt, Bild 6-20b.
a) 5
.
4
Bodenreaktionskraft
Gelenkkraft FT/
2
a = 46
1 a = 51
a = 56
0
0 20 40 60 80 100 120
Beugewinkel in Grad
b)
8
.
7
Bodenreaktionskraft
6
Gelenkkraft FP/
5
4
3
a = 46
2 a = 51
1 a = 56
0
0 20 40 60 80 100 120
Beugewinkel in Grad
Bild 6-19 Einfluss des Abstands a der Kreuzbandansatzpunkte bei der Tibia auf die in der Sagittalebe-
ne wirkenden Kniegelenkkräfte bezogen auf das anteilige Körpergewicht
a) Relative Gelenkkraft FT zwischen Femur und Tibia
b) Relative Gelenkkraft FP zwischen Femur und Patella
Die Modellierung der Kreuzbänder als druckschlaffe Seile ergibt, dass in der Streckstellung
nur das vordere Kreuzband und mit zunehmendem Beugewinkel nur das hintere Kreuzband
belastet ist, wobei die maximale relative Belastung des vorderen Kreuzbands wesentlich gerin-
ger ist als die relative Belastung des hinteren Kreuzbands bei größeren Beugewinkeln, Bild
6-21.
Der Beugewinkel, bei dem beide Kreuzbänder entlastet sind, bei dem auch der Wechsel zwi-
schen der Belastung des vorderen und des hinteren Kreuzbandes stattfindet, ist umso größer je
kleiner der Abstand a der Ansatzstellen an der Tibia ist. Je kürzer dieser Abstand a, desto
früher wird bei großen Beugewinkeln ein charakteristisches Maximum bei der relativen Kraft
im hinteren Kreuzband erreicht, Bild 6-21b. Beim diesem Maximum überquert der Momentan-
pol, das ist der Schnittpunkt der Kreuzbänder (siehe Bild 5-26), den Femuransatzpunkt des
6.7 Bewegungsstudien am ebenen Kniemodell 235
vorderen Kreuzbands und die überschlagene Viergelenkkette öffnet sich, d. h. die Kreuzbänder
schneiden sich nicht mehr. Offensichtlich wird dann die Gültigkeitsgrenze des Modells der
überschlagenen Viergelenkkette erreicht. Dies zeigt, dass die Bandabmessungen nur innerhalb
eines bestimmten Bereichs sinnvoll variiert werden können.
a) . 7
6
Bodenreaktionskraft
5
4
Muskelkraft/
3
a = 46
2 a = 51
a = 56
1
0
0 20 40 60 80 100 120
Beugewinkel in Grad
b)
1,05
1
.
0,95
Patellabandkraft/
0,9 a = 46
0,85 a = 51
Muskelkraft
0,8 a = 56
0,75
0,7
0,65
0,6
0 20 40 60 80 100 120
Beugewinkel in Grad
Bild 6-20 Einfluss des Abstands a der Kreuzbandansatzpunkte auf die Muskelkräfte
a) Muskelkraft bezogen auf die Bodenreaktionskraft
b) Verhältnis zwischen Patellabandkraft und Muskelkraft
Außerdem werden mit entsprechenden FE-Modellen die Auswirkungen gerissener bzw. falsch
fixierter Bandimplantate untersucht, Bild 6-15b. Fehlen die Kreuzbänder, so bleibt die Rück-
verlagerung der Femurs während der Beugebewegung aus, Bild 6-22. Die beschriebene Domi-
nanz des hinteren Kreuzbands bei den untersuchten Modellen mit intakten Kreuzbändern wird
auch bestätigt, wenn das Fehlen eines oder beider Kreuzbänder simuliert wird. Bild 6-22 zeigt
den Einfluss fehlender Kreuzbänder auf die Kinematik des Kniegelenks. Die in Bild 6-17 zu
erkennende Rückverlagerung des Femurs durch das hintere Kreuzband relativ zur Tibia findet
nicht statt. Bis zu einem Beugewinkel von ca. 80° berührt der Femur die Tibia nahezu bei der
gleichen Stelle und bei größeren Beugewinkeln wandert der Femur sogar auf der Tibia nach
vorne, Bild 6-22. Fehlt nur das vordere Kreuzband, hat das bei der untersuchten Belastungssi-
tuation nahezu keinen Einfluss auf die Kniemechanik, Bild 6-23a. Fehlt das hintere Kreuz-
band, Bild 6-23b, oder fehlen beide Kreuzbänder, Bild 6-23c, dann bleibt die Rückverlagerung
236 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
a)
Bandkraft VK/Bodenkraft
0,1
0,08
0,06
0,04 a = 46
a = 51
0,02 a = 56
0
0 20 40 60 80 100 120
Beugewinkel in Grad
b) 3
Bandkraft HK/Bodenkraft
2,5
2
1,5
1 a = 46
a = 51
0,5 a = 56
0
0 20 40 60 80 100 120
Beugewinkel in Grad
Bild 6-21 Einfluss des Abstands a der Kreuzbandansatzpunkte bei der Tibia auf die Belastung der
Kreuzbänder
a) Belastung des vorderen Kreuzbands VK b) Belastung des hinteren Kreuzbands HK
a) b) c)
Bild 6-22 Einfluss fehlender Kreuzbänder auf die Kinematik des Kniegelenks
a) Beugewinkel 20° b) Beugewinkel 80° c) Beugewinkel 120°
6.7 Bewegungsstudien am ebenen Kniemodell 237
des Femurs während der Beugebewegung aus. Eine Folge davon ist, dass die notwendige
Muskelkraft für das Halten einer bestimmten Beugestellung größer ist als mit intaktem hinte-
rem Kreuzband, Bild 6-24.
Die Simulation fehlerhafter Reinserierung von Kreuzbändern ergibt, dass sich die Abstände
der Bandansatzpunkte während der Kniebeuge verändern und nicht, wie im Idealfall isomet-
risch sind. Verkürzt sich der Abstand der Ansatzpunkte kann das Band die Bewegung nicht
führen und das Knie wird instabil. Vergrößert sich der Abstand, verspannt sich das Band allein
aufgrund der Beugebewegung, wobei dadurch gleichzeitig auch das zweite Kreuzband ver-
spannt wird. Je nach Art der Fehlanbindung können im Laufe der Beugebewegung beide Fehl-
funktionen abwechselnd auftreten.
a) b) c)
Bild 6-23 Einfluss gerissener Kreuzbänder auf die Kinematik des Kniegelenks in der Sagittalebene,
Beugewinkel 80°
a) Fehlendes vorderes Kreuzband
b) Fehlendes hinteres Kreuzband
c) Fehlendes vorderes und hinteres Kreuzband
Die Ergebnisse der Studien mit den ebenen Kniemodellen zeigen, dass, solange der vorgege-
bene eindeutige kinematische Zusammenhang zwischen den Gelenkkonturen und dem
Bandapparat erhalten bleibt, Variationen bei den Konturen des Gelenks zwischen Femur und
Tibia sowie des Gelenks zwischen Femur und Patella erst bei größeren Beugewinkeln einen
nennenswerten Einfluss auf die Belastung des Kniegelenks haben. Bei kleineren Beugewinkeln
sind die individuellen Unterschiede gering. Dahingegen haben fehlende oder falsch reinserierte
Kreuzbänder deutliche Auswirkungen auf die Kinematik und die Beanspruchung des Kniege-
lenks. Die Ergebnisse für die ebenen Modelle lassen den Schluss zu, dass bei falsch reinserier-
ten Kreuzbändern die Beanspruchung des Kniegelenks höher sein kann als bei fehlenden
Kreuzbändern insbesondere, wenn sich der Bandapparat bereits aufgrund der Bewegung ver-
spannt, selbst wenn keine äußere Belastung vorliegt.
238 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
Muskelkraft/Bodenreaktionskraft
8 mit Kreuzbändern
.
7 nur hinteres Kreuzband
nur vorderes Kreuzband
6 ohne Kreuzbänder
5
4
3
2
1
0
0 20 40 60 80 100 120 140
Beugewinkel in Grad
Bild 6-24 Einfluss gerissener Kreuzbänder auf die relative Muskelkraft
Zusammenfassend geben die Ergebnisse für die ebenen Modelle wichtige Hinweise für die
Interpretation der Resultate für dreidimensionale Modelle. Außerdem zeigen die Ergebnisse,
dass man sich bei weitergehenden Prinzipstudien mit dreidimensionalen Kniemodellen auf
eine Geometrie beschränken kann.
können adäquate Nachgiebigkeiten für die Knorpelschicht definiert werden, ohne dass unzu-
lässig große Elementverzerrungen zum vorzeitigen Abbruch der FE-Simulation führen.
6.8.1 Modellbildung
Da das Femur als Starrkörper betrachtet wird, werden bei der Kontaktpaardefinition die Ge-
lenkflächen des Femurs als master surface und die Oberflächen bei der Tibia und der Patella,
bei denen die Knorpelschichten berücksichtigt werden, als slave surfaces gewählt. Außerdem
ist es völlig ausreichend nur die Oberfläche des Femurs mit dreieckigen rigid-Elementen zu
vernetzen. Grundsätzlich ist es sogar ausreichend, wie bei der Weiterentwicklung des FE-
Modells in Bild 6-27 zu sehen, ausschließlich die Gelenkflächen auf dem Femur abzubilden,
weil der Schaft auf die Simulationsergebnisse keinen Einfluss hat. Als Referenzknoten, bei
dem alle Belastungs- und Verschiebungsgrößen, die den Femur betreffen, vorgegeben bzw.
berechnet werden, wird ein spezieller Knoten in der Höhe des körpernahen Femurschaftendes,
in medialer Richtung zum hinteren Schaftrand versetzt, auf der Tragachse des Beins generiert.
a) b) c) d)
Lager 1
Verschiebung
von Lager 1
längs der Wir-
kungslinie
Lager 2
Bild 6-25 Räumliches FE-Modell des Kniegelenks mit Randbedingungen für die Kniebeugung
a) Ansicht von lateral
b) Ansicht von dorsal
c) Ansicht von medial
d) Ansicht von ventral
Die FE-Modelle der Tibia und der Patella sind durch Tetraederelemente mit vier Knoten und
linearem Verschiebungsansatz vernetzt, da ABAQUSTM bei dreidimensionalen Kontaktrech-
nungen die Verwendung von Tetraederelementen erster Ordnung für die Definition der slave
surface empfiehlt. Das Materialverhalten der Elemente, welche die Tibia bzw. die Patella dar-
stellen, ist linear elastisch, homogen und isotrop mit einem E-Modul, der so hoch ist, dass die
elastischen Verformungen während der gesamten Simulation vernachlässigbar bleiben. Das
Patellaband und der Schenkelstrecker sind jeweils mit mindestens zwei Seilelementen abgebil-
240 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
det. Während für die Seilelemente des Patellabands der E-Modul ebenfalls so hoch gewählt
wird, dass wie bei der Tibia und der Patella die elastische Verformung keine wesentliche Ge-
ometrieänderung darstellt und dieser Einfluss auf die Ergebnisse der geometrisch nichtlinearen
Analyse vernachlässigbar bleibt, wird der E-Modul für die Seilelemente des Schenkelstreckers
so niedrig gewählt, dass sich bei der Kniebeuge im Wesentlichen nur die Schenkelstreckerele-
mente verlängern. Diese Modellierung wird gewählt, weil die FE-Simulation, wie in Kapitel
6.7.2 für das ebene FE-Modell ausführlich beschrieben, aufgrund der höheren numerischen
Stabilität durch die Vorgabe einer Verschiebung anstatt der anteiligen Gewichtskraft durchge-
führt wird. Mit der Verwendung von jeweils mehreren Seilelementen für die Abbildung des
Patellabands und des Muskels wird eine stabilere Verbindung der Patella mit dem restlichen
Kniemodell erreicht und eine unerwünschte Rotation der Patella um die Sagittalachse vermie-
den und dadurch numerischen Problemen infolge von Starrkörperfreiheitsgraden vorgebeugt.
Da bei der Segmentierung der CT-Daten mit FAMFiltraCT bzw. FAM-FiltRad ähnlich wie bei
den Knorpelschichten Informationen über den Bandapparat bzw. die Ansatzpunkte der Bänder
verloren gehen, müssen auch die Bänder nachträglich implementiert werden. Wie für das ebe-
ne Kniemodell in Abschnitt 6.7 beschrieben, sind jedoch die Gelenkformen und die Abmes-
sungen und Ansatzpunkte des Bandapparats nicht unabhängig voneinander. Vielmehr sind
sogar zusätzliche Beanspruchungen bzw. kinematische Fehler zu erwarten, wenn der Bandap-
parat und die Gelenkformen nicht zusammenpassen. Deshalb wird bei dem ersten räumlichen
FE-Modell gänzlich auf die Abbildung der Kreuz- und Seitenbänder verzichtet. Mit den damit
erzielbaren Ergebnissen kann die Übertragbarkeit der in Kapitel 5.5.6.3 beschriebenen Überle-
gungen zur Mechanik des Kniegelenks in der Sagittalebene bei Verletzungen des Bandapparats
auf das natürliche räumliche Kniegelenk überprüft werden. Bei der Weiterentwicklung des
räumlichen Modells werden die Kreuzbänder nachträglich in das Modell integriert. Da die
Bandansatzstellen nicht eindeutig bekannt sind, können systematische Fehler auftreten, weil
nicht sichergestellt werden kann, dass der Bandapparat und die Gelenkflächenformen exakt
zusammenpassen. Daher werden mit anatomischen Betrachtungen die wahrscheinlichsten
Ansatzstellen festgelegt, um diese Fehler zu minimieren.
Wenn die Lagerreaktionskraft beim Lager 1 in Richtung der vorgegebenen Verschiebung als
äußere Kraft betrachtet wird, dann ist das System mit diesen Randbedingungen äußerlich sta-
tisch bestimmt gelagert. Es hat jedoch, wie in Kapitel 5.5.6 beschrieben, innere Freiheitsgrade,
da bei dem ursprünglichen Simulationsmodell weder die Kreuzbänder noch die Seitenbänder
und bei der Weiterentwicklung des Modells nur die beiden Kreuzbänder berücksichtigt sind.
Gleichgewicht ist daher bei statischer Belastung nur am verformten Gesamtsystem möglich,
wenn sich die Gelenkflächen entsprechend der äußeren Belastung ausgerichtet haben.
unbrauchbar sind. Obwohl mit zunehmendem Beugewinkel die errechnete Bewegung des
Kniegelenks von den physiologischen Bewegungsabläufen abweicht, stimmen die qualitativen
Ergebnisse mit den Ergebnissen nach [6-27 bis 6-30] recht gut überein. Dass das Femur auf
der Tibia nach vorne gleitet, folgt aus dem Fehlen der Kreuzbänder. Diese charakteristische
Relativbewegung des Femurs wird auch für das ebene Modell beobachtet, wenn die Kreuz-
bänder fehlen, Bild 6-22.
a) b) c)
Bild 6-26 FE-Bewegungsanalyse für das räumliche Kniegelenk ohne Kreuzbänder bei verschiedenen
Beugestellungen
a) Beugewinkel 20°
b) Beugewinkel 50°
c) Beugewinkel 70°
In Bild 6-27 sind die Ergebnisse der Bewegungsanalyse für die Weiterentwicklung des räumli-
chen Kniemodells mit nachträglich implementierten Kreuzbändern dargestellt. Die Ergebnisse
zeigen, dass allein durch die Berücksichtigung der Kreuzbänder das Femur sich während der
gesamten simulierten Kniebeugebewegung nach hinten verlagert, wie es der natürlichen Knie-
bewegung entspricht. Das Fehlen der Seitenbänder, die im natürlichen Kniegelenk die Rotation
der Tibia um ihre Längsachse begrenzen, ist bei diesem Modell kompensiert, indem zusätzlich
zu den in Kapitel 6.8.1 beschriebenen Randbedingungen nach Bild 6-25 auch für die Tibia die
Rotation um die Verbindungslinie zwischen Lager 1 und Lager 2 verhindert wird. Dazu wird
nicht nur bei Lager 1, sondern auch bei Lager 2 dieser Rotationsfreiheitsgrad Null gesetzt. Die
Beugebewegung kann mit diesem Modell bis zu einem Winkel von ca. 100° simuliert werden.
Eine Simulation über diesen Beugewinkel hinaus ist nicht sinnvoll, da noch kein Kontakt zwi-
schen Schenkelstrecker und Femur vorgesehen ist und bei größeren Beugewinkeln die Mus-
kelelemente die Femuroberfläche rechnerisch durchdringen.
Grundsätzlich bestätigen die Ergebnisse für die räumlichen FE-Modelle die Erkenntnisse, die
mit den ebenen Modellen ermittelt wurden. Das gilt im Prinzip auch für die Kraftverläufe,
6.8 Bewegungsstudien am räumlichen Kniemodell 243
a) b) c) d)
Bild 6-27 FE-Bewegungsanalyse für das räumliche Kniegelenk mit Kreuzbändern bei verschiedenen
Beugestellungen
a) Beugewinkel 10°
b) Beugewinkel 40°
c) Beugewinkel 70°
d) Beugewinkel 90°
berechnet mit dem ersten Modell ohne Bandapparat. Die Muskelkraft bezogen auf die anteilige
Gewichtskraft nimmt ähnlich wie bei den ebenen Modellen im Beugewinkelbereich bis etwa
80° nahezu linear zu, Bild 6-28a. Gleichzeitig nimmt die Patellabandkraft bezogen auf die
Muskelkraft ab, Bild 6-28b.
a) b)
2 1,4
1,8
Muskelkraft/Bodenreaktionskraft
1,2
Patellabandkraft/Muskelkraft
1,6
1,4 1
1,2
0,8
1
0,6
0,8
0,6 0,4
0,4
0,2
0,2
0 0
0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100
Kniebeugewinkel [Grad] Kniebeugewinkel [Grad]
Bild 6-28 Kräfte im Kniegelenk in Abhängigkeit des Beugewinkels berechnet mit dem räumlichen FE-
Modell ohne Bandapparat
a) Verhältnis der Muskelkraft zur Bodenreaktionskraft
b) Verhältnis der Patellabandkraft zur Muskelkraft
244 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
der in Bild 6-14b beschriebenen Methode rekonstruiert worden sind. Dadurch sind die Ergeb-
nisse für die ebenen Modelle eindeutig reproduzierbar, so dass Parameterstudien möglich sind,
um den Einfluss von Geometrievariationen zu untersuchen. Um qualitativ gleichwertige Simu-
lationsergebnisse mit dreidimensionalen Modellen zu ermöglichen, wird, analog zu der in
Kapitel 6.7 beschriebenen Methode zur Rekonstruktion der Gelenkkonturen für die ebenen
Modelle, ein neues, dreidimensionales Getriebemodell zur Erzeugung der Femurgelenkflächen
für die Teilgelenke zwischen Femur und Tibia sowie zwischen Femur und Patella entwickelt.
Erhebung zwischen
den Gelenkknorren laterale
Gelenkfläche
mediale
Gelenkfläche
Ansatzpunkt
des vorderen
Kreuzbands
Ansatzpunkt
für das mediale a l
er
Seitenband lat
pos
ter ior
ial
ed
ante m
rior
Bild 6-29 CAD-Modell des Tibiakopfs mit idealisierten Gelenkflächen mit konstanten Krümmungsra-
dien
Kniegelenks generiert und damit die Kniebewegung schrittweise simuliert. Mit den berechne-
ten Stellungen der Tibia und der Patella wird ein Femurdummy durch die vorgegebenen Ge-
lenkflächen der Tibia und der Patella beschnitten, um so kinematisch passende Gelenkflächen
auf dem Femur zu rekonstruieren. Zur Erweiterung der Tibiagelenkflächen, um die beim natür-
lichen Kniegelenk in der Beugestellung ausführbare Rotation um die Längsachse des Unter-
schenkels auch bei dem Kniegelenkmodell zu ermöglichen, wird bei einer weiteren Kinema-
tiksimulation bei rechtwinklig gebeugtem Knie der Unterschenkel gedreht und der Tibiakopf
mit den zuvor erstellten Gelenkflächen des Femurs beschnitten. Um die ursprünglich festgeleg-
ten Tibiagelenkflächen nicht nachträglich zu zerstören, wird als Drehachse die Verbindungsli-
nie der Krümmungsmittelpunkte der beiden vorgegebenen Tibiagelenkflächen gewählt.
horizontaler
mediale First
Gelenkfläche
vertikaler
laterale
First
Gelenkfläche
Bild 6-30 CAD-Modell der Patella mit idealisierten Gelenkflächen mit konstanten Krümmungsradien
Diese Methode zur Rekonstruktion der Femurgelenkflächen beruht auf der Annahme, dass
beim natürlichen Kniegelenk die räumlich gekrümmten Gelenkflächen auf dem Femur Hüllflä-
chen eines dreidimensionalen Getriebes darstellen, das durch den Bandapparat im Kniegelenk
sowie den Gelenkflächen der Tibia und der Patella gebildet wird, [6-35]. Entsprechend der in
Bild 6-14a dargestellten Rekonstruktionsmethode der Femurkontur als Hüllkurve einer Tan-
gentenschar werden durch das beschriebene Beschneiden des Femurdummys auf dessen Ober-
fläche Tangentialflächenscharen generiert, die jeweils gemeinsame Hüllflächen besitzen, die
den postulierten idealen Gelenkflächen entsprechen, Bild 6-31.
Bei der beschriebenen Methode zur Rekonstruktion der Gelenkflächen des Femurs treten
grundsätzlich die gleichen Probleme auf, wie beim ebenen Kniemodell bei der Rekonstruktion
der Femurgelenkkontur aus einer Tangentenschar. Wie Bild 6-31 zeigt, werden bei der Rekon-
struktion der Femurgelenkflächen aus Tangentialflächenscharen die Hüllflächen durch schma-
le, quer zur Relativbewegung der Gelenkpartner ausgerichtete, räumlich gekrümmte, zusam-
menhängende Flächenstreifen approximiert. Diese Flächenstreifen entsprechen den in Bild
6-14a dargestellten kurzen Geraden auf denen sich die Berührpunkte der Gelenkkonturen bei
den ebenen Modellen befinden. Analog dazu verlaufen innerhalb dieser Flächenstreifen die
Berührungslinien der Gelenkflächen, die zusammengesetzt die gesuchten optimalen Femurge-
lenkflächen darstellen. Aufgrund der numerischen Grenzen des CAD-Programms können diese
Flächenstreifen nicht beliebig schmal werden. Die exakten Berührungslinien bleiben also un-
bestimmt und die Verbindungslinien zwischen den Flächensteifen stellen die Linien mit der
größten Abweichung von den optimalen Gelenkflächen dar. Teilweise ergeben sich hier zu-
nächst sogar Stufen in den rekonstruierten Flächen. Vor der Vernetzung mit finiten Elementen
müssen daher diese Flächenstreifen zu Regionen zusammengefasst werden, so dass genügend
glatte Oberflächen entstehen, die eine Kontaktsimulation mit der FE-Methode erlauben.
6.8 Bewegungsstudien am räumlichen Kniemodell 247
a) b)
laterale Gelenkfläche
mediale Gelenkfläche
Femur-Tibia Kontakt
Femur-Patella Kontakt
Ein auf Basis der Hüllflächentheorie erstelltes Simulationsmodell des Kniegelenks zeigt Bild
6-32. Das Modell entspricht im Wesentlichen dem natürlichen Kniegelenk. Erste Studien zur
Simulation der Kniebeuge zeigen, dass die Ergebnisse für das rekonstruierte Modell mit Er-
gebnissen für Modelle basierend auf CT-Daten prinzipiell übereinstimmen, wobei das rekon-
struierte Modell deutlich bessere Kontaktzonen liefert, so dass numerische Probleme bei der
FE-Simulation aufgrund ungenau abgebildeter Kontaktbereiche vermieden werden können.
Wie Bild 6-32 zeigt, stellen die aus Tangentialflächenscharen erzeugten Femurgelenkflächen
eine recht gute Approximation der optimalen Gelenkflächen dar. Allerdings sind die Ergebnis-
se der Rekonstruktion auch bei identischen Ausgangssituationen unter anderem davon abhän-
gig, wie viele Beugestellungen verwendet werden bzw. aufgrund der numerischen Grenzen des
CAD-Programms verwendet werden können, um den Femurdummy zu beschneiden. Außer-
dem sind Ergebnisse davon abhängig wie die einzelnen Teilflächen zu Regionen zusammenge-
fasst werden. Diese Unbestimmtheit bei der Modellerstellung bedingt Unsicherheiten bei der
Interpretation der Ergebnisse von Parameterstudien.
248 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
Mit Hilfe des so gewonnenen Modells können grundlegende Kinematik- und Beanspru-
chungssimulationen durchgeführt werden. Außerdem kann auf dieser Basis ein künstliches
Kniegelenk für die Endoprothetik entwickelt werden. Eine weitere Anwendung ist der Einsatz
des Kniegelenksmodells zum Studium des Einflusses von Veränderungen der Struktur des
Kniegelenks auf die Kniemechanik. Strukturveränderungen beim Kniegelenk ergeben sich
z. B. durch Verletzungen am Bandapparat, Veränderungen bei den Bandansatzpunkten und
den Bandlängen bei operativen Eingriffen nach Verletzungen am Bandapparat oder die Entfer-
nung der Menisken bzw. Teile der Menisken. Solche Simulationsmöglichkeiten sind insbeson-
dere für Orthopäden und Chirurgen aber auch für Sportwissenschaftler von Interesse, um die
komplizierte Mechanik des Kniegelenks grundlegend verstehen bzw. Studenten oder Patienten
anschaulich vermitteln zu können. Mit solchen Simulationen können die Auswirkungen von
geplanten Operationen abschätzt werden und damit die Anzahl von Misserfolgen reduziert
werden. Ferner können hiermit Trainingsmethoden optimiert und die Gefahr von Ver-
schleißerkrankungen minimiert werden.
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250 6 Finite-Elemente-Analysen des Bewegungsapparats
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Deutschen Gesellschaft für Biomechanik, 2007, S. 94
7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und
Medizin
In den bisherigen Kapiteln wurden mehrere Beispiele eingefügt, um ein vertieftes Verständnis
der Grundlagen zu fördern. Dabei stand bereits die Praxisrelevanz im Mittelpunkt. Einen zu-
sammenfassenden Einblick in die Anwendung der in diesem Buch dargestellten Methoden und
Konzepte sollen auch die nachfolgenden Beispiele aus der Praxis liefern. Zudem werden
präoperative Finite-Elemente-Studien für einen Unterarm, die Entwicklung eines künstlichen
Kniegelenks und strukturmechanische Studien zur Knochenbruchheilung vorgestellt.
y v0
α0
h0
x
l
Bild 7-1 Flugbahn beim Kugelstoßen mit Abfluggeschwindigkeit v0, Abflugwinkel α0, Abflughöhe h0
und Flugweite l
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9_7
252 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
g t2
y (t ) v0 t sin 0 h0 (7.2)
2
in Parameterdarstellung (mit dem Parameter t) bzw. die Bahngleichung
g
y ( x) x tan 0 x 2 h0 (7.3).
2v02 2
cos 0
Die Wurf- oder Stoßweite erhält man, wenn man für den Auftreffpunkt die Koordinaten x = l
und y = 0 in Gleichung (7.3) einsetzt:
v02 2 g h0
l cos 0 sin 0 sin 2 0 (7.4).
g v02
Mit dieser Beziehung lässt sich ermitteln, welchen Einfluss die Größen v0, α0 und h0 auf das
Stoß- oder Wurfergebnis haben.
Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse geben Hinweise für die Optimierung der Stoß- oder
Wurfergebnisse in den technischen Disziplinen der Leichtathletik.
Tabelle 7-1: Stoßweite l beim Kugelstoßen in Abhängigkeit von der Abfluggeschwindigkeit v0 für
h0 = 2,20 m und α0 = 41°
v0 [m/s] 10 12 14
l [m] 12,19 16,73 22,06
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 253
Beim Hammerwerfen liegen höhere Abwurfgeschwindigkeiten vor. Hier ergeben sich für
h0 = 2,00 m und α0 = 44° die in Tabelle 7-2 angegebenen Werte für die Flugweite. Beim
Hammerwerfen ist infolge der größeren Abfluggeschwindigkeit der Einfluss auf die Wurfweite
noch größer. Wird v0 um 2m/s gesteigert, ergibt sich ein Wurfweitenzuwachs von ca. 10 m.
Tabelle 7-2: Flugweite l beim Hammerwerfen in Abhängigkeit von der Abfluggeschwindigkeit v0 für
h0 = 2,00 m und α0 = 44°
v0 [m/s] 20 22 24 26
l [m] 42,73 51,30 60,68 70,88
Tabelle 7-3: Stoßweite l beim Kugelstoßen in Abhängigkeit vom Abflugwinkel α0 für v0 = 12 m/s und
h0 = 2,2 m
α0 [°] 35 40 45 50
l [m] 16,43 16,72 16,62 16,11
Für das Hammerwerfen sind die sich für v0 = 24 m/s und h0 = 2,0 m ergebenden Flugweiten in
Tabelle 7-4 dargestellt.
Tabelle 7-4: Wurfweite l beim Hammerwerfen in Abhängigkeit vom Abflugwinkel α0 für v0 = 24 m/s
und h0 = 2,0 m
α0 [°] 35 40 45 50
l [m] 57,90 60,12 60,65 59,46
Betrachtet man den praktisch interessierenden Bereich von α0 zwischen 38° und 45°, dann ist
im Gegensatz zur Abfluggeschwindigkeit der deutlich geringere Einfluss des Abflugwinkels
zu erkennen. Beim Kugelstoßen ergibt sich ein optimaler Abstoßwinkel von ca. 41°, beim
Hammerwerfen liegt der optimale Abflugwinkel bei ca. 44°.
Tabelle 7-5: Stoßweite l beim Kugelstoßen in Abhängigkeit von der Abstoßhöhe h0 für v0 = 12 m/s
und α0 = 41°
Beim Kugelstoßen ergeben sich für v0 = 12 m und α0 = 41° die in Tabelle 7-5 dargestellten
Stoßweiten. Beim Kugelstoßen führt die Erhöhung von h0 um 0,2 m zu einer Vergrößerung der
Stoßweite von ca. 1 %.
Tabelle 7-6: Wurfweite l beim Hammerwerfen in Abhängigkeit von der Abflughöhe h0 für v0 = 24 m/s
und α0 = 44°
Beim Hammerwerfen hat die Abflughöhe h0 einen sehr geringen Einfluss auf die Wurfweite.
Bei einer Vergrößerung der Abflughöhe um 0,2 m wächst die Wurfweite lediglich um ca.
0,3 %.
a)
c v
b) c)
G v c G v
c FF FL FL FF
1 1
v FW v FW
Bild 7-2 Fahrradfahrer fährt bei Wind eine Strecke hin und zurück
a) Fahrstrecke der Länge s (einfache Strecke)
b) Kraftwirkungen bei der Hinfahrt (Rückenwind)
c) Kraftwirkungen bei der Rückfahrt (Gegenwind)
G: Gewicht von Fahrer und Fahrrad v: Geschwindigkeit des Radfahrers
FL: Luftwiderstandskraft c: Windgeschwindigkeit
FF: Vom Fahrer aufzubringende Kraft vFW = v: Geschwindigkeit des Fahrtwindes
Bei der Fahrt erbringt der Fahrer eine konstante Leistung von P = 250 W, der Wind hat eine
Geschwindigkeit c = 5 m/s, der Windwiderstandswert k beträgt 0,244 Ns2/m2 und die einfache
Strecke ist s = 10 km. Die Luftwiderstandskraft FL ist dem Quadrat der Geschwindigkeit pro-
portional (Proportionalitätsfaktor ist der Windwiderstandswert k), der Rollwiderstand FR des
Fahrrads kann vernachlässigt werden.
Die Fahrt erfolgt im Wesentlichen bei konstanter Geschwindigkeit v, somit liegt keine Be-
schleunigung vor, d. h. a x 0 . Die Gewichtskraft G wirkt senkrecht zur Bahn und hat bei
der ebenen Bahn keine Komponente in Bahnrichtung, d. h. sie hat keinen Einfluss auf den
Bewegungsvorgang.
FL k v 2 (7.5).
Da eine gleichförmige Bewegung (keine Beschleunigung) vorliegt, muss der Fahrer lediglich
den Luftwiderstand überwinden. Die vom Fahrer aufzubringende Kraft ist somit
FF FL k v 2 (7.6).
Bei geradliniger Bewegung errechnet sich die Leistung nach Kapitel 4.6.7.2 und Gleichung
(4.99). Für den Fahrradfahrer gilt somit
P FF v k v 2 v k v 3 (7.7).
P
v v0 3 (7.8).
k
Mit den gegebenen Größen für P und k erhält man
250 W
v v0 10,08 m/s 36,3 km/h (7.9).
3 Ns 2
0,244
m2
Die Kennzeichnung v0 weist darauf hin, dass es sich hierbei um eine Basisgeschwindigkeit
bzw. Bezugsgeschwindigkeit für die Fahrt ohne Wind handelt, mit der sich die Geschwindig-
keiten bei Rücken- und Gegenwind vergleichen lassen.
FL k (v c ) 2 (7.10).
256 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
FF FL k (v c) 2 (7.11).
P FF v k (v c) 2 v (7.12).
v ist dabei die Geschwindigkeit des Radfahrers bei Rückenwind. Durch Umformung erhält
man die kubische Gleichung in der Normalform
P
v 3 2c v 2 c 2 v 0 (7.13).
k
Diese Gleichung gilt es nach v aufzulösen. Entsprechend einer Diskriminanten
3 2
n q
D (7.14)
3 2
lässt sich über die Art der Lösungen entscheiden, siehe [7-1]. Dabei sind:
3c 2 (2c ) 2 3c 2 4c 2 c 2
n
3 3 3
und
2
c3 P c 6 c 3 P
3 (7.17)
27 2k 729 27 2k
und
2
c3 P c 6 c 3 P
3 (7.18)
27 2k 729 27 2k
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 257
bzw.
2
c3 P c 6 c 3 P
v vR 3
27 2k 729 27 2k
(7.19)
2
c3 P c 6 c 3 P 2c
3
27 2k 729 27 2k
3
Bei einer Leistung von P = 250 W und einem Rückenwind von c = 5 m/s fährt der Radfahrer
mit einer Geschwindigkeit von
m
v v R 13,68 .
s
Der Rückenwind von 5 m/s = 18 km/h steigert also die Fahrgeschwindigkeit um 3,6 m/s =
12,96 km/h auf 13,68 m/s = 49,25 km/h.
Mit Gleichung (7.19) und v0 nach Gleichung (7.8), d. h.
P
v03 ,
k
erhält man die relative Fahrgeschwindigkeit
2
3 6 3
v vR 3 1 c 1 1 c 1 c 1
v0 v0 27 v0
2 729 v0
27 v
0
2
(7.20).
2
6 3
1 c 1 1 c 1 c 1 2 c
3
27 v0 2
729 v0
27 v
0
2 3 v0
Die Fahrgeschwindigkeit v = vR bei Rückenwind ist in Gleichung (7.20) auf die Fahrge-
schwindigkeit v0 bei Windstille bezogen. Der Zusammenhang zwischen der relativen Fahrge-
schwindigkeit vR/v0 und der relativen Windgeschwindigkeit c/v0 ist in Bild 7-3 für den Rü-
ckenwind dargestellt. Mit zunehmendem Rückenwind steigt die Fahrgeschwindigkeit deutlich
an.
v R /v0
1
Bild 7-3
Relative Fahrgeschwindigkeit vR/v0 in Ab-
hängigkeit der relativen Windgeschwindig-
1 2 c/v0 keit c/v0 bei Rückenwind
258 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
FL k (v c) 2 (7.21).
Da diese Kraft vom Fahrer aufgebracht werden muss, ergibt sich mit FF = FL die Leistung des
Fahrers
P FF v k (v c) 2 v (7.22).
2
c3 P c 6 c 3 P
v vG 3
27 2k 729 27 2k
(7.25)
2
c 3
P c c 6
P 3
2c
3
27 2k 729 27 2k 3
Bei einer Leistung von P = 250 W und einem Gegenwind von c = 5 m/s fährt der Radfahrer
mit einer Geschwindigkeit von v vG 7,06 m/s . Der Gegenwind von 5 m/s =18 km/h ver-
mindert also die Fahrgeschwindigkeit um 3,02 m/s = 10,87 km/h auf 7,06 m/s = 25,42 km/h.
Mit Gleichung (7.25) und Gleichung (7.8) erhält man die relative Fahrgeschwindigkeit v/v0 bei
Gegenwind:
2
3 6 3
vG 1 c 1 1 c 1 c 1
3
v0 27 v0 2 729 v0 27 v 2
0
(7.26).
2
6 3
1 c 1 1 c 1 c 1 2 c
3
27 v0 2 729 v0 27 v 2 3 v0
0
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 259
Die Fahrgeschwindigkeit v = vG bei Gegenwind ist in Gleichung (7.26) auf die Fahrgeschwin-
digkeit v0 bei Windstille bezogen. Der Zusammenhang zwischen der relativen Fahrgeschwin-
digkeit vG/v0 und der relativen Windgeschwindigkeit c/v0 ist in Bild 7-4 für den Gegenwind
dargestellt. Mit zunehmendem Gegenwind sinkt die Fahrgeschwindigkeit sehr deutlich.
vG /v0
0
0 1 2 c/v0
Bild 7-4 Relative Fahrgeschwindigkeit vG/v0 in Abhängigkeit der relativen Windgeschwindigkeit c/v0
bei Gegenwind
Bei sonst gleichen Bedingungen ergibt sich für einen Rückenwind von c = 5 m/s eine Zeit
s 10000 m
t tR 731 s 12,2 Min .
vR m
13,68
s
Die Fahrt mit Gegenwind dauert natürlich länger. Hier ist in Gleichung (7.28) die Geschwin-
digkeit v = vG nach Gleichung (7.25) einzusetzen.
Für einen Gegenwind von 5 m/s gilt bei sonst gleichen Fahrbedingungen
s 10000 m
t tG 1416,4 s 23,6 Min .
vG m
7,06
s
Für die Gesamtfahrzeiten bei Hin- und Rückfahrt ergeben sich ohne Wind
t 0ges 2t 0 2 991,8 s 1983,6 s 33,1 Min .
Bild 7-5 zeigt die relative Gesamtfahrzeit t/t0 (Zeit t mit Wind und Zeit t0 ohne Wind) in Ab-
hängigkeit der relativen Windgeschwindigkeit c/v0. Man erkennt, dass bei Wind die Gesamt-
fahrzeit bei Hin- und Rückfahrt steigt. Der Zeitverlust bei Gegenwind, z. B. bei der Rückfahrt,
kann durch den Zeitgewinn bei Rückenwind, z. B. bei der Hinfahrt, nicht kompensiert werden.
t/t 0
1 2 c/v0
Bild 7-5 Relative Gesamtfahrzeit t/t0 in Abhängigkeit der relativen Windgeschwindigkeit c/v0
Durch die dimensionslose Darstellung der Ergebnisse, alle Geschwindigkeiten und Fahrzeiten
sind auf die Geschwindigkeit v0 und die Fahrzeit t0, die bei Windstille erzielt werden können,
bezogen, können unterschiedlich leistungsstarke Fahrer direkt miteinander verglichen werden.
Je kleiner die Bezugsgeschwindigkeit v0 umso größer ist bei gleicher Windgeschwindigkeit c
das Verhältnis c/v0. Die gefundenen Ergebnisse zeigen, dass bei einem Zeitfahren auf flacher
Strecke der Zeitvorteil eines leistungsstärkeren Fahrers mit zunehmendem Gegenwind über-
proportional wächst, während bei zunehmendem Rückenwind der Zeitverlust eines leistungs-
schwächeren Fahrers sinkt.
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 261
Sektor 4 Sektor 2
Hubphase Druckphase
vortriebs-
wirksame Verlustkraft
Kraft
resultierende Sektor 3
Zugphase
Kraft
Bild 7-6 Betrachtung der Kräfte beim „Runden Tritt“ nach [7-2]
a) Kraftkomponenten und resultierende Kraft am Pedal
b) ideale Kraftrichtung senkrecht zur Kurbel
Wie bereits erwähnt, muss der Radfahrer bei der Tretlagerwelle eine Leistung erzeugen. Ent-
sprechend Gleichung (4.99) ist die Leistung das Produkt aus momentaner Kraft F und Ge-
schwindigkeit v in Richtung der Kraft oder, wenn es sich um eine Drehbewegung handelt, das
Produkt aus momentanem Drehmoment M und Winkelgeschwindigkeit ω mit gleicher Dreh-
richtung. Die momentane Leistung P, die zur Vorwärtsbewegung des Fahrrads dient, kann also
zu jedem Zeitpunkt der Kurbelumdrehung aus dem Produkt des momentanen Drehmoments
MT und der momentanen Winkelgeschwindigkeit ωT bei der Tretlagerwelle berechnet werden.
Damit mit den Füßen die Antriebsleistung über die Pedale und die Kurbeln in die Tretlager-
welle eingeleitet werden kann, müssen sich somit die Füße auch mit einer möglichst hohen
Geschwindigkeit in Richtung der Kräfte, welche die Füße auf die Pedale ausüben, bewegen. Es
reicht also nicht aus, die Kräfte zu betrachten, es muss auch die Bewegung der Füße betrachtet
werden. Die Fußbewegung ist leicht zu beschreiben, wenn der Fahrradrahmen als mitbewegtes
Bezugssystem gewählt wird. Hierbei führt die Pedalachse eine Kreisbewegung um die Tretla-
gerwelle aus, welche der Fußballen im Wesentlichen mitmacht. Das ist der Fall, wenn der
Schuh mittels Klickverbindung, die im Radsportbereich üblich ist, fest mit dem Pedal verbun-
den ist. Das ist aber auch beim Standardpedal der Fall, solange der Fuß bei der Tretbewegung
auf dem Pedal und der Fußballen über der Pedalachse positioniert bleibt.
262 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
Damit der Fuß der Kreisbewegung der Pedalachse folgen kann, ist eine Bewegung des gesam-
ten Beins erforderlich. Das Bein kann hauptsächlich durch Drehbewegungen im Hüftgelenk
und im Kniegelenk sowie in vergleichsweise geringem Maße im Sprunggelenk gestreckt und
gebeugt werden. Wie in Abschnitt 5.4.2 beschrieben, werden Drehbewegungen in Gelenken
durch Muskelkräfte hervorgerufen. Die Größe des Moments, das auf ein Gelenk wirkt, ist ein
Maß für die wirksame Muskelkraft. Die Wirkungen der Muskeln auf Gelenke können also als
Muskelmomente aufgefasst werden.
a)
Muskelmoment und
Drehrichtung im
Kniegelenk
gleichgerichtet
=>
konzentrische
Muskelmoment Muskelarbeit
und Drehrichtung
im Hüftgelenk
Wirkungslinie
gleichgerichtet
der Pedalkraft
=>
konzentrische
Muskelarbeit
Resultierende
Pedalkraft
b)
Muskelmoment und
Drehrichtung im
Kniegelenk
entgegengesetzt
gerichtet
Muskelmoment =>
und Drehrichtung exzentrische
im Hüftgelenk Muskelarbeit
gleichgerichtet
=>
konzentrische Wirkungslinie
Muskelarbeit der Pedalkraft
Resultierende
Pedalkraft
Bild 7-7 Auswirkungen auf die Art der Muskelarbeit infolge des beim „Runden Tritt“ geforderten
Verlaufs der Wirkungslinie der Pedalkraft senkrecht zur Kurbel
a) Verlauf der Wirkungslinie der Pedalkraft im Bereich zwischen Hüft- und Kniegelenk
b) Verlauf der Wirkungslinie der Pedalkraft rechts von Hüft- und Kniegelenk
Bewegt sich gleichzeitig mit dem Muskelmoment das Gelenk mit einer Winkelgeschwindigkeit
ω, dann überträgt der Muskel bei diesem Gelenk eine Leistung P auf den Bewegungsapparat.
Sind das Muskelmoment und die Drehung gleichgerichtet, d. h. der Muskel verrichtet konzen-
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 263
trische Arbeit, dann wird der Bewegung Energie zugeführt und diese dadurch unterstützt. Sind
das Muskelmoment und die Drehung entgegengesetzt gerichtet, d. h. der Muskel verrichtet
exzentrische Arbeit, dann wird der Bewegung Energie entzogen und diese dadurch gehemmt.
In Bild 7-7 sind zwei ausgewählte Beinstellungen bei der Tretbewegung dargestellt. Außerdem
ist der notwendige Verlauf der Wirkungslinie der resultierenden Pedalkraft relativ zum Hüft-
bzw. zum Kniegelenk eingezeichnet, wenn die resultierende Pedalkraft, wie beim runden Tritt
als Ideal gefordert, senkrecht zur Kurbel wirken soll. Verläuft die Wirkungslinie, wie in Bild
7-7a dargestellt, zwischen den beiden Gelenken, dann ist beim Hüftgelenk ein rechtsdrehendes
und beim Kniegelenk ein linksdrehendes Muskelmoment notwendig, um bei der Pedalachse
eine Kraft mit der geforderten Richtung hervorrufen zu können. Da bei dieser Beinstellung das
Bein für die Kurbeldrehung gestreckt werden muss, findet beim Hüftgelenk eine Rechtsdre-
hung und beim Kniegelenk eine Linksdrehung des Unterschenkels relativ zum Oberschenkel
statt. Damit sind bei beiden Gelenken das Muskelmoment und die momentane Drehrichtung
gleichgerichtet und die Muskelarbeit konzentrisch und unterstützend für die Tretbewegung.
Verläuft die Wirkungslinie, wie in Bild 7-7b dargestellt, rechts von den beiden Gelenken, dann
ist bei beiden Gelenken ein rechtsdrehendes Muskelmoment notwendig, um bei der Pedalachse
eine Kraft mit der geforderten Richtung hervorrufen zu können. Weil jedoch das Bein auch in
dieser Position für die Kurbeldrehung weiterhin gestreckt werden muss, sind die Drehrichtun-
gen bei den Gelenken dieselben wie bei der ersten Position. Somit ist die Muskelarbeit nur
noch beim Hüftgelenk konzentrisch und unterstützend für die Tretbewegung während sie beim
Kniegelenk exzentrisch ist und die Tretbewegung hemmt. Entsprechende Folgerungen gelten
auch für Beugebewegung des Beins, wenn sich die Kurbel wieder nach oben bewegt. Diese
Überlegungen zeigen, dass die alleinige Betrachtung, wie die Kraft auf das Pedal wirkt, nicht
ausreicht und zum Teil zu unsinnigen Forderungen führt.
Ein Mensch kann mit seinem Bewegungsapparat Leistung erbringen, indem er durch Muskel-
momente Drehungen bzw. Winkelgeschwindigkeiten in Gelenken erzeugt. Idealerweise kann
er bei jedem Gelenk, das an einer Gesamtbewegung beteiligt ist, Leistungsanteile erbringen,
die sich zu einer Gesamtleistung summieren. Während der Tretbewegung beim Fahrradfahren
können die beteiligten Gelenke in der Sagittalebene als ideale, einachsige Scharniergelenke
und die beteiligten Körperglieder als starre Körper mit konstanter Länge betrachtet werden.
Damit ergibt sich die in Bild 7-8a dargestellte Gelenkkette. Es handelt sich hierbei um eine
ebene, geschlossene Fünfgelenkkette bzw. ein Fünfgelenkgetriebe [7-4]. Die beteiligten ana-
tomischen Gelenke sind das Hüftgelenk, das Kniegelenk und das Sprunggelenk. Das Zehen-
grundgelenk gehört nicht dazu, weil bei der Tretbewegung insbesondere bei Klickpedalen der
Fußballen üblicherweise mit dem Pedal in Kontakt bleibt. Vervollständigt wird die Fünfge-
lenkkette durch die Pedalachse und die Tretlagerwelle, die zum Fahrrad gehören. Die Gelenke
werden durch den Oberschenkel, den Unterschenkel und den Fuß, welche die anatomischen
Getriebeglieder darstellen sowie die durch das Fahrrad gegebenen Getriebeglieder, die Kurbel
und das Sitzrohr einschließlich Sattel, verbunden. Wird der Fahrradrahmen als mitbewegtes
Bezugssystem zur Beschreibung der Kinematik der Gelenkkette verwendet, sind die Tretla-
gerwelle und das Hüftgelenk zwei ortsfeste Gelenkpunkte, solange der Radfahrer bei der Tret-
bewegung auf dem Sattel sitzt. Die Verbindungslinie zwischen Tretlagerwelle und Hüftgelenk,
die im Prinzip durch das Sitzrohr und den Sattel gebildet wird, stellt somit das Gestell bzw. das
ruhende Bezugsglied des Getriebes dar [7-5].
Nach [7-4] besitzen Fünfgelenkgetriebe zwei Bewegungsfreiheitsgrade. Um eine eindeutige
Beschreibung der Bewegung der Getriebeglieder zu ermöglichen, sind an zwei Gelenken der
kinematischen Kette Vorgaben für die Winkelstellung zwischen zwei benachbarten Gliedern
264 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
erforderlich. Da bei der Tretbewegung letztendlich eine Drehung der Kurbel um die Tretla-
gerwelle relativ zu dem Gestell erreicht werden soll, wird die Bewegung der Getriebeglieder in
Abhängigkeit vom Kurbelwinkel α beschrieben, womit die erste Vorgabe für die Winkelstel-
lung zwischen zwei benachbarten Gliedern festgelegt ist.
a)
Hüftgelenk
1
LO
Kniegelenk
LU
LS L UF
Sprunggelenk
LF
Tretlagerwelle L Pedalachse
K
b)
Hüftgelenk
1
LO
Kniegelenk
LS L UF
Pedalachse
Tretlagerwelle
LK
Bild 7-8 Definition der kinematischen Gelenkkette für die Tretbewegung beim Fahrradfahren
a) Fahrradantrieb als Fünfgelenkkette
b) Fahrradantrieb als Viergelenkkette
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 265
Konsequenterweise wird definiert, dass der Kurbelwinkel α null ist, wenn die Kurbel mit dem
Gestell deckungsgleich liegt und in Richtung des Hüftgelenks zeigt, Bild 7-8. Als zweite not-
wendige Vorgabe für den Zwanglauf des Fünfgelenkgetriebes wird der Winkel δ, Bild 7-8a,
zwischen Unterschenkel und Fuß in Abhängigkeit vom Kurbelwinkel α festgelegt. Damit ist
die Bewegung des gesamten Getriebes eindeutig bestimmt. Da die Winkeländerung im
Sprunggelenk im Vergleich zu den Winkeländerungen in den übrigen Gelenken der Gelenk-
kette während einer Kurbelumdrehung vergleichsweise gering ist, wird für die hier vorgesehe-
nen grundsätzlichen Betrachtungen zur Tritttechnik vereinfachend angenommen, dass der
Winkel δ während der Tretbewegung konstant bleibt. Das ist gleichbedeutend damit, dass
keine Bewegung im Sprunggelenk stattfindet. Der Unterschenkel mit dem Fuß kann somit als
ein einzelner starrer Körper betrachtet und durch ein Getriebeglied mit der Länge LUF, das die
direkte Verbindung zwischen Kniegelenk und Pedalachse beschreibt, ersetzt werden. Damit
erhält man die in Bild 7-8b dargestellte Viergelenkkette. Nach [7-4] ist eine Viergelenkkette
zwangläufig und die Bewegung aller Getriebeglieder ist eindeutig in Abhängigkeit vom Kur-
belwinkel α beschreibbar.
Das beschriebene Viergelenkgetriebe ist nach [7-5] eine Kurbelschwinge, weil ein Getriebe-
glied, die Kurbel, umlauffähig ist. Für die Umlauffähigkeit der Kurbel muss nach dem Satz
von GRASHOF die Bedingung, dass die Summe der Längen des längsten Getriebeglieds, der
Sitzhöhe LS, und des kürzesten Getriebeglieds, der Kurbel LK, kleiner ist als die Summe der
Längen der übrigen Getriebeglieder
LS LK LO LUF (7.30),
erfüllt sein. Der Oberschenkel LO ist die Schwinge und die Kombination aus Unterschenkel
und Fuß LUF die Koppel des Getriebes. Die GRASHOFsche Bedingung wird erfüllt, indem
typischerweise die passende Rahmenhöhe des Fahrrads bzw. die Sitzhöhe LS und die Kurbel-
länge LK in Abhängigkeit von der Schrittlänge des Radfahrers gewählt werden, die hiernach in
der Summe nicht zu groß sein dürfen. Bei technischen Anwendungen von Kurbelschwingen,
wie z. B. dem Scheibenwischerantrieb bei einem Auto, wird in der Regel die Kurbel mit einem
gleichmäßig drehenden Motor angetrieben, um eine Schwingbewegung der Schwinge, dem
Scheibenwischer, relativ zum Gestell, der Windschutzscheibe, zu erzeugen. Bei der Tretbewe-
gung wird das Viergelenkgetriebe jedoch sowohl beim Hüftgelenk als auch beim Kniegelenk,
also an den beiden Enden der Schwinge des Getriebes, durch eine schwingende Muskelaktivi-
tät bzw. durch einen stetigen Wechsel zwischen Beugung und Streckung in den beiden Gelen-
ken angetrieben, um die Drehung der Kurbel zu erreichen.
Wird das Getriebe durch ein Muskelmoment beim Hüftgelenk angetrieben, überträgt die Kop-
pel die erzeugte Leistung auf die Kurbel. Die Wirkungslinie des Pedalkraftanteils FH verläuft
entlang der Verbindungslinie zwischen Kniegelenk und Pedalachse, weil die Koppel für den
Antrieb beim Hüftgelenk entsprechend Abschnitt 5.5.6.1 eine Pendelstütze darstellt, Bild 7-9a.
Bei einem Antrieb des Getriebes durch ein Muskelmoment beim Kniegelenk wirkt die Vierge-
lenkkette entsprechend der Getriebesystematik nach [7-5] wie eine zentrische Kurbelschwinge.
Dabei verläuft die Wirkungslinie des Pedalkraftanteils FK entlang der Verbindungslinie der
zum angetriebenen Gelenk benachbarten Gelenke, dem Hüftgelenk und der Pedalachse. Dies
gilt, weil entsprechend Abschnitt 2.5.4 Gelenke keine Momente übertragen können und des-
halb die Hebelarme der Kraft FK zu diesen Gelenken verschwinden müssen, Bild 7-9b. Auffäl-
lig ist, dass beim Hüftgelenkantrieb die Wirkungslinie des Pedalkraftanteils FH durch das
Kniegelenk und beim Kniegelenkantrieb die Wirkungslinie des Pedalkraftanteils FK durch das
Hüftgelenk verlaufen. Damit bewirken bei beiden Antriebsvarianten die Pedalkraftanteile kein
266 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
Moment auf das jeweils andere angetriebene Gelenk. Deshalb addieren sich bei der Tretbewe-
gung die anteiligen Leistungen zu der Gesamtleistung, die auf die Tretlagerwelle wirkt, ohne
sich gegenseitig zu beeinflussen. Damit können die Wirkungen der beiden Antriebsvarianten
unabhängig voneinander untersucht werden. In Bild 7-9 sind für beide Antriebsvarianten die
Wirkungslinien sowie die wirksamen Hebelarme der Pedalkraftanteile sowohl zu den angetrie-
benen Gelenken als auch zur Tretlagerwelle dargestellt. Die Gesamtkraft auf das Pedal ist die
vektorielle Addition der beiden Pedalkraftanteile FH und FK.
a) b)
HH
H K
MH MK
HK
HTK
TH TK
HTH
MTH MTK FK
FH
Bild 7-9 Pedalkraftanteile durch die Antriebe des Viergelenkgetriebes bei Hüft- und Kniegelenk
a) Wirkungslinie und Hebelarme des Pedalkraftanteils FH für den Antrieb beim Hüftgelenk
b) Wirkungslinie und Hebelarme des Pedalkraftanteils FK für den Antrieb beim Kniegelenk
Eine wesentliche Eigenschaft eines Getriebes ist die Übersetzung i, die nach [7-5] mit dem
Verhältnis der Winkelgeschwindigkeit ωan beim Antrieb zur Winkelgeschwindigkeit ωab beim
Abtrieb
an
i (7.31)
ab
definiert ist. Da bei einem idealen Getriebe die Antriebsleistung Pan und die Abtriebsleistung
Pab gleich sind, gilt
Pan M an an M ab ab Pab (7.32)
Die Übersetzung iTH ist umso größer, je größer für den Pedalkraftanteil FH der wirksame He-
belarm HTH zur Tretlagerwelle und je kleiner der wirksame Hebelarm HH zum Hüftgelenk ist,
Bild 7-9a. Entsprechend der ungleichmäßigen Übersetzung iTH ändert sich auch das Hebelarm-
verhältnis während der Kurbelumdrehung. Die Hebelarme haben gleiches Vorzeichen, solange
sie beide auf der gleichen Seite der Wirkungslinie des Pedalkraftanteils liegen. Ansonsten sind
die Vorzeichen verschieden, weil dann auch die jeweiligen Winkelgeschwindigkeiten bei den
Gelenkpunkten unterschiedliche Drehrichtungen aufweisen. Der Hebelarm HTH zur Tretlager-
welle ist null, wenn die drei Gelenke, Kniegelenk, Pedalachse und Tretlagerwelle auf einer
Geraden liegen. Das ist beim Hüftgelenkantrieb der Fall, wenn die Kurbel zum Kniegelenk
zeigt, das ist die obere Totlage, und wenn die Kurbel vom Kniegelenk weg zeigt, das ist die
untere Totlage. Der Kurbelwinkel beträgt bei der oberen Totlage 30 35 und bei der
unteren Totlage 180 abhängig von den Längenverhältnissen der Getriebeglieder. Die
Totlagen sind gleichzeitig die Umkehrpunkte für die Beuge- und Streckbewegung im Hüftge-
lenk, bei denen die Winkelgeschwindigkeit ωH momentan null ist. Bei der oberen Totlage ist
der Winkel γ zwischen dem Oberschenkel LO und der Sitzhöhe LS maximal und bei der unteren
Totlage minimal, Bild 7-10a. Mit der Drehrichtungsänderung im Hüftgelenk beim Überschrei-
ten der Totlagen muss sich auch die Drehrichtung des Antriebsmoments MH beim Hüftgelenk
ändern, damit die Muskelarbeit beim Hüftgelenk jederzeit konzentrisch ist.
Beim Kniegelenkantrieb gilt für die Übersetzung
K M TK F H TK H
iTK K TK (7.35).
TK M K FK H K H K
Hierbei ist berücksichtigt, dass die Drehrichtungen beim Knie und bei der Kurbel entgegenge-
setzt sind und die Hebelarme zunächst auf verschiedenen Seiten zur Wirkungslinie des Pedal-
kraftanteils FK liegen. Die Übersetzung iTK ist umso größer, je größer für den Pedalkraftanteil
FK der wirksame Hebelarm HTK zur Tretlagerwelle und je kleiner der wirksame Hebelarm HK
zum Kniegelenk ist, Bild 7-9b. Der Hebelarm HTK zur Tretlagerwelle ist null, wenn die drei
Gelenke, Hüftgelenk, Pedalachse und Tretlagerwelle auf einer Geraden liegen. Das ist beim
Kniegelenkantrieb der Fall, wenn die Kurbel zum Hüftgelenk zeigt, das ist die obere Totlage,
und wenn die Kurbel vom Hüftgelenk weg zeigt, das ist die untere Totlage. Weil nach [7-5]
hierbei eine zentrische Kurbelschwinge vorliegt, ist der Kurbelwinkel bei der oberen Totlage
unabhängig von den Längenverhältnissen der Getriebeglieder 0 und bei der unteren
Totlage 180 . Die Totlagen sind die Umkehrpunkte für die Beuge- und Streckbewegung
im Kniegelenk bei denen die Winkelgeschwindigkeit ωK null ist. Bei der oberen Totlage ist der
Winkel β zwischen dem Oberschenkel LO und der Kombination aus Unterschenkel und Fuß
LUF minimal und bei der unteren Totlage maximal, Bild 7-10a. Mit der Drehrichtungsänderung
im Kniegelenk beim Überschreiten der Totlagen muss sich auch die Drehrichtung des An-
triebsmoments MK beim Kniegelenk ändern, damit die Muskelarbeit auch beim Kniegelenk
jederzeit konzentrisch ist.
Für beide Antriebsvarianten existieren zwei Totlagen, bei denen das anteilige Moment beim
Abtrieb, der Tretlagerwelle, null ist, selbst wenn beim Antrieb ein Moment auf das Gelenk
wirkt. Da die Totlagen für die beiden in der Regel zusammen wirkenden Antriebsvarianten bei
268 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
unterschiedlichen Kurbelwinkeln α überstrichen werden und der Antrieb gleichzeitig mit dem
zweiten Bein um einen Kurbelwinkel 180 versetzt erfolgt, stellt sich bei der Tretbewe-
gung in der Regel keine Position ein, bei der die Kurbel aufgrund einer generellen Totlagen-
stellung nicht mehr weiterbewegt werden kann. Lediglich beim Anfahren, wenn ein großes
Antriebsmoment bei der Tretlagerwelle benötigt wird und zunächst nur mit einem Bein der
Antrieb erfolgt, sollte die Kurbel so positioniert werden, dass der Anfangskurbelwinkel bei
60 liegt. Dann kann über einen relativ großen Kurbelwinkelbereich ein ausreichendes
Drehmoment bei der Tretlagerwelle erzeugt werden, um das Fahrrad soweit zu beschleunigen
und mit beiden Beinen die Tretbewegung weiterzuführen.
Die getrennte Betrachtung der Tretbewegung durch den Antrieb beim Hüftgelenk und den
Antrieb beim Kniegelenk ermöglicht, den Einfluss von Änderungen bei den Abmessungsver-
hältnissen der Getriebeglieder auf die Übersetzung des Getriebes zu untersuchen. Für den
Radfahrer sind die Längen des Oberschenkels LO, des Unterschenkels LU, des Fußes LF und bei
fixiertem Sprunggelenk auch der Kombination aus Unterschenkel und Fuß LUF unveränderbare
Größen. Veränderbar sind jedoch die Getriebeglieder, die durch das Fahrrad hinzukommen,
die Sitzhöhe LS, die über die Rahmengröße und die Sattelhöhe angepasst werden kann, und die
Kurbellänge LK. Wobei in der Praxis bei Rennrädern Kurbellängen je nach Rahmengrößen
zwischen 170 mm und 175 mm verwendet werden. Eine effektive Anpassung an die Schritt-
länge des Radfahrers wie bei der Rahmenhöhe findet in der Praxis also kaum statt. Dennoch
wird im Folgenden sowohl der Einfluss der Sitzhöhe LS als auch der Kurbellänge LK auf die
Übersetzungen iTH und iTK in Abhängigkeit vom Kurbelwinkel α für den Antrieb bei der Hüfte
bzw. beim Kniegelenk untersucht.
Zur formelmäßigen Beschreibung der Übersetzungsverhältnisse iTH und iTK sollen die in Bild
7-10a definierten Abmessungen, LS für die Sitzhöhe, LK für die Kurbellänge, LO für die Ober-
schenkellänge, LUF für die Länge der Kombination aus Unterschenkel und Fuß und die defi-
nierten Winkel, α für den Kurbelwinkel, β für den Kniebeugewinkel und γ für den Hüftbeuge-
winkel verwendet werden. Hierbei ist zu beachten, dass der Kniebeugewinkel β den Winkel
zwischen Oberschenkel und der Verbindungslinie zwischen Kniegelenk und Pedalachse dar-
stellt und nicht den Winkel zwischen Oberschenkel und Unterschenkel, der deutlich kleiner ist.
Für die analytische Berechnung der Übersetzungen iTH und iTK ist es jedoch einfacher, die
Getriebeglieder entsprechend [7-5] als eine Vektorkette aufzufassen und systematisch durch-
zunummerieren, Bild 7-10b, sowie die Ausrichtung der einzelnen Getriebeglieder mit den
relativen Winkellagen zum Gestell mit φ21 bis φ41 zu beschreiben. Zwischen den Winkeldefini-
tionen gelten die Zusammenhänge
21 (7.36),
41 31 (7.37),
180 41 (7.38).
Da die Gelenkkette zwangläufig ist, sind bei festgelegten Längen der Getriebeglieder alle
Winkel eindeutig vom Kurbelwinkel α abhängig. Weil das Viergelenkgetriebe eine geschlos-
sene kinematische Kette ist, muss nach [7-5] die Maschengleichung gelten und die Vektor-
summe
r1 r2 r3 r4 0 (7.39)
verschwinden.
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 269
a) b)
Hüftgelenk y y
r4
LO Oberschenkel
Kniegelenk
r1
Sitzhöhe, LS D Kombination
Gestell aus r3
UF
Unterschenkel
und Fuß
Pedalachse
LK
r2
Tretlagerwelle Kurbel
x x
Bild 7-10 Geometrisches Modell des Fahrradantriebs als Viergelenkkette
a) Definition des Kurbelwinkels α, des Kniebeugewinkels β und des Hüftbeugewinkels γ
b) Definition der Getriebeglieder als Vektoren und der Winkel relativ zum Gestell
Mit Verwendung des in Bild 7-10 eingeführten Koordinatensystems und den definierten Rela-
tivwinkeln zum Gestell lautet Gleichung (7.39) in Komponentenschreibweise
und
LUF sin 31 LO sin 41 LK sin (7.42).
für die Winkel φ31 und φ41 als Funktion des Kurbelwinkels α. Allerdings ist es nicht ohne Wei-
teres möglich, diese Gleichungen direkt nach den beiden gesuchten Winkeln aufzulösen. Für
die indirekte Bestimmung der beiden Winkel werden zunächst die Gleichungen (7.41) und
(7.42) quadriert und addiert
Die Gleichungen (7.47) entsprechen der zweifachen Anwendung des Kosinussatzes für die
beiden Dreiecke LUFLOD mit dem Kniebeugewinkel β als Innenwinkel und LSLKD mit dem
Kurbelwinkel α als Innenwinkel, die sich mit Einführung der Diagonalen D in Bild 7-10a erge-
ben. Damit kann der Kniebeugewinkel β als Funktion des Kurbelwinkels α ausgedrückt wer-
den:
L 2
LO 2 LS 2 LK 2 2 LS LK cos
arccos UF
(7.48).
2 LUF LO
Zur Bestimmung des Hüftbeugewinkels γ werden ebenfalls die beiden Dreiecke LSLKD mit dem
Teilhüftbeugewinkel γ1 als Innenwinkel und LUFLOD mit dem Teilhüftbeugewinkel γ2 als In-
nenwinkel betrachtet und erhält mit Hilfe des Sinussatzes und der Gleichung (7.47) für den
Teilhüftbeugewinkel γ1
LK sin LK sin
1 arcsin arcsin (7.49)
D L L 2 2 L L cos
2
S K S K
sowie für den Teilhüftbeugewinkel γ2 unter zusätzlicher Berücksichtigung der Gleichung (7.48)
LUF sin LUF sin
2 arcsin arcsin (7.50).
D L 2 L 2 2 L L cos
S K S K
Für den gesuchten Hüftbeugewinkel γ gilt:
1 2 (7.51).
Mit den Gleichungen (7.48) und (7.51) sowie den Gleichungen (7.37) und (7.38) sind auch die
in den Gleichungen (7.41) und (7.42) noch unbekannten Winkel φ31 und φ41 als Funktion des
Kurbelwinkels α bekannt.
Das eigentliche Ziel dieser analytischen Berechnung ist die formelmäßige Beschreibung der
Übersetzungsverhältnisse iTH und iTK für den Hüft- bzw. den Kniegelenkantrieb. Für das Über-
setzungsverhältnis iTH gilt mit Gleichung (7.34) und Bild 7-10b
2 41
H t 41
iTH 41 (7.52)
TH
2
t
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 271
180
iTH 41 (7.53).
Entsprechend gilt für das Übersetzungsverhältnis iTK nach Gleichung (7.35) und Bild 7-10a
2
K t
iTK (7.54)
TK
2
t
und mit Gleichung (7.37)
iTK 41 31 31
41
(7.55).
Zur Bestimmung der Ableitungen der Winkel φ31 und φ41 nach dem Kurbelwinkel α werden
zunächst die Gleichungen (7.41) und (7.42) nach dem Kurbelwinkel α differenziert. Unter
Berücksichtigung der Kettenregel der Differentiation ist das Ergebnis
LO sin 41 41
LUF sin 31 31 LK sin (7.56)
und
LO cos 41 41
LUF cos 31 31 LK cos (7.57).
Das ist ein lineares Gleichungssystem für die beiden gesuchten Ableitungen. Die Auflösung
dieses Gleichungssystems ergibt
LK sin cos 41 cos sin 41
31 (7.58)
LUF sin 41 cos 31 cos 41 sin 31
und
LK sin cos 31 cos sin 31
41 (7.59).
LO sin 41 cos 31 cos 41 sin 31
Mit Berücksichtigung der Additionstheoreme sowie den Gleichungen (7.37) und (7.38) kön-
nen die Ergebnisse auch in der Form
LK sin 41 LK sin
31 (7.60)
LUF sin 41 31 LUF sin
und
LK sin 31 LK sin
41 (7.61)
LO sin 41 31 LO sin
dargestellt werden. Für die Übersetzungsverhältnisse iTH und iTK entsprechend den Gleichun-
gen (7.53) und (7.55) gilt damit
L sin
K
iTH 41 (7.62)
LO sin
272 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
und
LK sin LK sin
iTK 31
41
(7.63).
LUF sin LO sin
Diese beiden Beziehungen können auf anschauliche Formen gebracht werden, welche die
wesentlichen Einflussgrößen auf die Übersetzungsverhältnisse und die Totlagenwinkel direkt
erkennen lassen, wenn entsprechend Bild 7-11 die Zusammenhänge für den Winkel ε zwischen
der Kurbel LK und der Koppel LUF und den Projektionen der Getriebeglieder auf die Kurbel-
normale genutzt werden.
Bild 7-11 Definition des Winkels ε zwischen Kurbel LK und Koppel LUF und geometrischer Zusam-
menhang zwischen den Projektionen der Getriebeglieder auf die Kurbelnormale
und somit
sin sin360 sin sin (7.65)
gültig. Damit lauten die Gleichungen (7.62) und (7.63) für die Übersetzungsverhältnisse
L sin LK sin
iTH K (7.67)
LO sin LO sin
und
LK LO sin LUF sin L L sin
iTK K S (7.68).
LO LUF sin LO LUF sin
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 273
Mit diesen Beziehungen wird direkt ersichtlich, dass bei den Winkeln ε = 0° und ε = 180°, das
sind die untere und die obere Totlage für den Hüftgelenkantrieb, sowie bei den Kurbelwinkeln
α = 0° und α = 180°, das sind die obere und die untere Totlage für den Kniegelenkantrieb, die
entsprechenden Übersetzungsverhältnisse null sind. Außerdem kann mit diesen Beziehungen
untersucht werden, wie sich die Übersetzungsverhältnisse iTH und iTK während einer Kurbe-
lumdrehung in Abhängigkeit der Längenverhältnisse der Getriebeglieder ändern. Exemplarisch
werden dafür LO = 400 mm für die Oberschenkellänge und LUF = 483 mm für die Länge der
Kombination aus Unterschenkel und Fuß als feste Werte für einen groß gewachsenen Fahrer
angenommen.
Um den Einfluss der veränderbaren Längen der Getriebeglieder, der Sitzhöhe LS und der Kur-
bellänge LK, auf die Übersetzungsverhältnisse zu zeigen, werden zum einen bei konstanter
Kurbellänge LK = 175 mm die Sitzhöhe LS und zum anderen bei konstantem Wert für die
Summe der Längen aus Sitzhöhe und Kurbellänge LS + LK = 879 mm die Kurbellänge LK vari-
iert. Bei der Variation der Kurbellänge LK ist berücksichtigt, dass hier LS + LK = 879 mm als
zulässiges Maximum für die Summe festgelegt ist, weil sich ansonsten beim Kurbelwinkel
α = 180° der Kniebeugewinkel β = 180° nähert und aus physiologischer Sicht unzulässig groß
wird und aus getriebetechnischer Sicht der Satz von GRASHOF, Gleichung (7.30), nicht mehr
ausreichend erfüllt ist. Gleichzeitig darf die Kurbellänge LK nicht zu groß gewählt werden,
weil dadurch der Kniebeugewinkel β bei dem Kurbelwinkel α = 0° zu klein wird. Hohe Werte
für die Übersetzungen werden erreicht, wenn der Kniebeugewinkel während der Streckbewe-
gung des Beins Werte zwischen β >> 90° und β < 180° annimmt, weil in den beiden Gleichun-
gen (7.67) und (7.68) durch den Sinus dieses Winkels dividiert wird. Die Ergebnisse für die
Variation der Sitzhöhe LS sind in Bild 7-12 und für die Variation der Kurbellänge LK in Bild
7-13 dargestellt.
Die Ergebnisse der Parametervariationen zeigen, dass sowohl für den Antrieb beim Hüftgelenk
als auch für den Antrieb beim Kniegelenk eine an die Schrittlänge des Radfahrers angepasste
möglichst große Sitzhöhe LS und eine möglichst große Kurbellänge LK hohe absolute Werte für
die Übersetzungsverhältnisse iTH und iTK liefern. Das gilt insbesondere im Kurbelwinkelbe-
reich von α = 30° bis von α = 180°, in dem das Bein gestreckt wird. Hohe Werte für die Über-
setzungsverhältnisse bewirken nach Gleichung (7.33) ein großes Abtriebsmoment Mab bei der
Tretlagerwelle, das gleichzeitig das Antriebsmoment für das Kettengetriebe beim Fahrrad ist.
Die allgemeine Erfahrung zeigt, dass das Fahrradfahren schwerer fällt und nur schlechte Leis-
tungswerte erzielt werden können, wenn die Sattelhöhe des Fahrrads zu niedrig eingestellt ist.
Damit wird offensichtlich, dass hohe Werte für die Übersetzungsverhältnisse iTH und iTK, die
sich über einen möglichst großen Kurbelwinkelbereich erstrecken, vorteilhaft sind, um die
beim Hüftgelenk und beim Kniegelenk erzeugten Antriebsmomente MTH und MTK effektiv auf
die Tretlagerwelle übertragen zu können. Hierbei ist zu beachten, dass für die Übersetzungs-
verhältnisse grundsätzlich die Längenverhältnisse und nicht die absoluten Längen der Getrie-
beglieder maßgeblich sind. In der Praxis kann die Sitzhöhe LS sehr gut an die individuellen
Abmessungen des Radfahrers angepasst werden. Bei der Kurbellänge LK ist das der Regel
nicht möglich, weil standardmäßig Kurbellängen je nach Rahmengrößen nur zwischen 170 mm
und 175 mm verwendet werden. Eine effektive Anpassung an die Schrittlänge ist dadurch nur
sehr beschränkt möglich. Offensichtlich sind Radfahrer mit kleinen Schrittlängen gegenüber
solchen mit großen Schrittlängen im Vorteil, weil für sie Standardkurbeln relativ lang sind und
sie damit größere Werte bei den Übersetzungsverhältnissen erreichen.
274 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
a)
b)
a)
b)
Die Ergebnisse der Parametervariationen zeigen auch, dass bei beiden Antriebsarten grund-
sätzlich zwei Nulldurchgänge für das Übersetzungsverhältnis bei den jeweiligen Totlagen
auftreten. Bemerkenswert ist, dass die obere Totlage beim Hüftgelenkantrieb trotz der relativ
groß gewählten Variationsbandbreite für die Sitzhöhe LS und die Kurbellänge LK in einem
engen Kurbelwinkelbereich von α = 30° bis von α = 34° auftritt, während die untere Totlage
für diese Antriebsart mit zunehmender Sitzhöhe LS sich von Werten deutlich über α = 200°
dem Grenzwert α = 180° nähert. Der untere Totlagenwinkel beim Hüftgelenkantrieb beträgt
α = 180°, wenn die unzulässige Strecklage des Getriebes erreicht wird, bei der sich alle vier
Gelenke des Getriebes auf einer Geraden befinden. Hierbei gilt LS LK LO LUF und der
Satz von GRASHOF (7.30) ist gerade nicht mehr erfüllt. Beim Kniegelenkantrieb befinden
sich die beiden Totlagen unabhängig von den Längenverhältnissen der Getriebeglieder bei
α = 0° und α = 180°. Das bedeutet, dass die beiden oberen Totlagenwinkel für die beiden An-
triebsarten einen Unterschied von mindestens 30° aufweisen, während die beiden unteren Tot-
lagenwinkel bei einer zu großen Sitzhöhe LS nahezu zusammenfallen.
Die kinematische Betrachtung des Viergelenkgetriebes ergibt, dass bei Verwendung von
Klickpedalen, die ein Ziehen an den Pedalen ermöglichen, auch während der Beugephase des
Beins ein antreibendes Moment bei der Tretlagerwelle erzeugt werden kann, wie es auch beim
„Runden Tritt“ gefordert wird. Beim Kniegelenkantrieb ist der Verlauf für die Übersetzung iTK
beim Beugen und Strecken punktsymmetrisch zu den Totlagenwinkeln, d. h. bei den korres-
pondierenden Kurbelwinkeln ruft ein gleich großes Antriebsmoment MK beim Kniegelenk
einen entsprechend großen Abtriebsmomentenanteil MTK bei der Tretlagerwelle hervor. Beim
Hüftgelenkantrieb liegt zu den Totlagenwinkeln jedoch keine Symmetrie der Übersetzung iTH
vor. In dem Kurbelwinkelbereich, in dem der Oberschenkel aufwärts schwingt und das Bein
gebeugt wird, ist die Übersetzung iTH deutlich kleiner als während des Abwärtsschwingens des
Oberschenkels, der Streckphase des Beins. Damit ruft bei der Beugebewegung des Beins ein
gleich großes Antriebsmoment MH beim Hüftgelenk über weite Bereiche einen deutlich kleine-
ren Abtriebsmomentenanteil MTH bei der Tretlagerwelle hervor als bei der Streckbewegung.
Außerdem ist die Streckmuskulatur des Beins durch das Gehen und Laufen, wofür diese Mus-
kulatur natürlicherweise eingesetzt wird, deutlich kräftiger als die Beugemuskulatur. Das führt
dazu, dass selbst bei gut trainierten Radsportlern während der Beugung des Beins in der Regel
kein wesentliches Antriebsmoment und oft sogar ein gegenläufiges Moment an der Tretlager-
welle erzeugt wird, wie Messungen der Pedalkraft während der Tretbewegung in [7-2] zeigen.
Dieser deutliche Unterschied zwischen der Beuge- und der Streckphase des Beins ist auch der
Grund, weshalb Fahrradkurbeln um 180° versetzt montiert werden und der Antrieb im Wesent-
lichen abwechselnd mit den beiden Beinen erfolgt, um letztendlich einen näherungsweise
gleichmäßigen Antrieb über die gesamte Kurbelumdrehung zu erreichen.
Bei Handbikes hingegen sind beide Kurbeln in der Regel gleichgerichtet, weil die Arme eines
Menschen sowohl in der Streck- als auch in der Beugephase vergleichbar gut Leistung erzeu-
gen können. Außerdem ist eine gleichförmige Bewegung beider Arme koordinativ einfacher
und der Oberkörper wird symmetrisch belastet. Handbikes werden ebenfalls über eine Kurbel-
schwinge angetrieben. Hier wird die Viergelenkkette von dem Schultergelenk, dem Ellenbo-
gengelenk, dem Handgriff und dem Tretlager gebildet. Die Verbindungslinie zwischen Schul-
tergelenk und dem Tretlager ist das Gestell, der Oberarm die Schwinge und der Unterarm mit
der Hand die Koppel. Bei Handbikes werden im Vergleich zu Fahrradkurbeln verhältnismäßig
lange Kurbeln verwendet, die sich, wie die Ergebnisse in Bild 7-13 zeigen, äußerst günstig auf
die jeweiligen Übersetzungsverhältnisse für die Antriebe beim Schulter- bzw. beim Ellenbo-
gengelenk auswirken. Diese in Relation zum Beinantrieb sehr langen Kurbeln sind hier auch
7.1 Ausgewählte Anwendungsfälle aus dem Bereich des Sports 277
deswegen einsetzbar, weil der mögliche Bewegungsumfang der Arme bei der Streckung und
Beugung vergleichsweise wesentlich größer ist als bei den Beinen.
Nach [7-5] ist ein Getriebe eine mechanische Einrichtung zum Übertragen von Bewegungen
und Leistungen. Das Übertragen der Bewegungen bedeutet, dass die gegenseitige Beweglich-
keit der einzelnen Getriebeglieder durch die Art der Verbindung, den Gelenken, bestimmt und
nicht durch die Art des Antriebs beeinflussbar ist. Daher sollte ein Radfahrer nicht, wie es
beim „Runden Tritt“ gefordert ist, versuchen, die Kraft auf das Pedal senkrecht zur Kurbel
auszurichten und damit gewissermaßen das Pedal zu führen, weil die Kraftrichtungen durch
den Hüft- und den Kniegelenkantrieb jederzeit durch die Getriebeabmessungen vorgegeben
und nicht beeinflussbar sind. Er sollte sich von der Pedalbewegung führen lassen und die
zwangläufige Bewegung mit einer aktiven Bewegung sowohl beim Hüft- als auch beim Knie-
gelenk unterstützen. Bei den durch den Zwanglauf des Getriebes vorgegebenen Drehrich-
tungsänderungen beim Durchlaufen der Totlagen für die jeweiligen Gelenkantriebsvarianten
muss auch die Drehrichtung des dazugehörigen Muskelmoments geändert werden. Das mo-
mentane Muskelmoment ist dabei null. Damit ist gewährleistet, dass die Muskelarbeit bei den
an der Tretbewegung beteiligten Gelenken stets konzentrisch ist und nicht, wie oben beim
„Runden Tritt“ beschrieben, teilweise exzentrisch, siehe auch [7-3]. Das Übertragen der Leis-
tung bedeutet, dass die Leistung, die antriebsseitig in das Getriebe eingeleitet wird, abtriebssei-
tig in gleicher Höhe wieder abgegeben wird. Idealerweise ist also der Wirkungsgrad bei der
Tretbewegung 100 %, wenn der Leistungsverlust durch Reibung in den Gelenken vernachläs-
sigt und exzentrische Muskelarbeit während des Tretzyklus vermieden wird. Der Wirkungs-
grad ist nicht davon abhängig, ob die Kraft auf das Pedal senkrecht zur Kurbel ausgerichtet ist,
weil die Kraftkomponente in Längsrichtung der Kurbel keine Verschiebung erfährt und somit
keine Arbeit verrichtet und folglich keine Leistung verbraucht.
Durch die Betrachtung des Fahrradantriebs mit einem Viergelenkkettenmodell anstatt einem
Fünfgelenkkettenmodell können die Effekte der wesentlichen Einflussparameter Sitzhöhe LS
und Kurbellänge LK auf die Übertragung des Drehmoments auf die Tretlagerwelle anschaulich
beschrieben werden. Bei einer genaueren Betrachtung der Tretbewegung mit einem Fünfge-
lenkkettenmodell bleiben die wesentlichen Aussagen unverändert. Durch eine geeignete Fuß-
bewegung, welche die Streck- bzw. Beugebewegung des Beins während des Tretzyklus zu-
sätzlich unterstützt, kann auch beim Sprunggelenk ein Leistungsanteil erzeugt werden, der sich
zur Gesamtleistung addiert. Gleichzeitig können durch eine geeignete Fußbewegung auch die
momentanen Übersetzungen iTH und iTK des Getriebes für den Antriebsanteil von Hüft- und
Kniegelenk weiter verbessert werden. Prinzipiell darf sich jedoch z. B. bei der Streckbewe-
gung des Beins der Fuß nicht beugen, d. h. der Winkel δ zwischen Unterschenkel und Fuß darf
nicht abnehmen, weil ansonsten eine exzentrische Muskelarbeit beim Sprunggelenk auftritt.
Beugt sich bei der Streckbewegung des Beins der Fuß, dann wird ein Teil der Leistung für die
Streckung der Fußbeugemuskeln gegen die Kraft in den Fußbeugemuskeln verbraucht und
steht nicht mehr für den Fahrradantrieb zur Verfügung. Ebenso darf die zusätzliche Bewegung
des Fußes nicht zu Drehungen entgegen der Muskelmomente beim Hüft- oder Kniegelenk
führen, um eine exzentrische Muskelarbeit bei diesen Gelenken zu vermeiden.
278 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
wobei sich GUF aus dem Gewicht GU des Unterschenkels und dem Gewicht GF des Fußes
ergibt:
GUF GU GF (7.70).
Oberschenkel-
αM schaftachse
F
O Knie Beinachse
UF
x αS
l
O
y UF
l
l
l l
l
Bild 7-14 Kräfte und Schwerpunktabstände beim liegenden Patienten mit gestrecktem Bein
7.2 Untersuchung von Heilungsmaßnahmen sowie von Bewegungs- und Heilungshilfen 279
Für das Beingewicht GB ergibt sich somit nach Gleichung (7.69) und (7.70):
GB 0,114G 0,053G 0,018G 0,185G .
Geht man von einer Gesamtlänge l des Beins zwischen Hüftgelenk und Fußgelenk (Fuß-
schwerpunkt) aus, so erhält man nach Bild 1-7b eine Oberschenkellänge von
l O 0,45l
Der Schwerpunkt des Oberschenkels, Bild 7-14, hat nach Bild 1-7b einen Abstand
lSO 0,43lO 0,43 0,45l 0,194l
vom Hüftgelenk.
Für den Gesamtschwerpunkt von Unterschenkel und Fuß kann angenommen werden, dass er
sich im Abstand
lSUF 0,43 0,55l 0,236l
: H x FM cos M 0 (7.74),
: H y FM sin M GO G UF 0 (7.75).
Mit den zuvor angenommenen Gewichtsanteilen und Schwerpunktabständen erhält man für die
Muskelkraft
0,114G 0,194l 0,071G (0,45 0,236) l l
FM 0,0711G (7.79)
lM lM
l
H y 0,0711 sin M 0,185 G (7.81).
l M
Die Komponenten Hx und Hy ergeben die resultierende Kraft im Hüftgelenk
H H x2 H y2 (7.82).
N1
S S
II
R
H
N2
: N1 N 2 H sin( S ) 0 (7.86)
ergeben sich
R H cos( S ) (7.87),
H
N2 l1 sin( S ) h cos( S ) (7.88)
l2
und
N1 N 2 H sin( S ) (7.89).
Für eine Person mit einem Gesamtgewicht von G = 900 N, einer Beinlänge von l = 1 m und
den sonstigen geometrischen Größen lM = 50 mm, αS = 6°, αM = 15°, h = 70 mm, l1 = 30 mm
und l2 = 200 mm ergeben sich
1000 mm
FM 0,0711 900 N 1279,8 N ,
50 mm
1000 mm
H x 0,0711 900 N cos15 1236,2 N ,
50 mm
1000 mm
H y 0,0711 sin 15 0,185 900 N 497,7 N
50 mm
und somit
282 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
und
497,7 N
arctan arctan 0,4026 21,93 .
1236,2 N
1332,6 N
N2 30 mm sin(21,93 6) 70 mm cos(21,93 6) 318,5 N ,
200 mm
: H x FM cos M 0 (7.91),
y
αM S UF
F
O UF
x αS
l
x
O
y l
z l
l
Bild 7-16 Schwerpunktabstände beim liegenden Patienten mit einem um 90° abgewinkelten Bein
H x FM cos M (7.94),
H H x2 H y2 (7.96),
Hy
arctan (7.97)
Hx
H
N2 l1 sin( S ) h cos( S ) (7.99),
l2
N1 N 2 H sin( S ) 0 (7.100).
Mit den in Kapitel 7.2.1.1 angegebenen Zahlenwerten erhält man für das abgewinkelte Bein:
0,114G 0,194l 0,071G 0,45l l
FM 0,0541G 973,8 N
lM lM
418,5 N
arctan 23,99 ,
940,6 N
1029,5 N
N2 30 mm sin(23,99 6) 70 mm cos(23,99 6) 234,9 N ,
200 mm
7.2.1.3 Hinweis
Mit den in Kapitel 7.2.1.1 und Kapitel 7.2.1.2 vorgestellten Vorgehensweisen und allgemeinen
Formeln lassen sich die Kräfte, die übungsbedingt zwischen Hüftprothese und Knochen auftre-
ten in Abhängigkeit der Beingewichte, der Beinabmessungen und Beinstellung sowie der Pro-
thesenabmessungen ermitteln. Sollte der Patient zunächst die Muskelkräfte nicht aufbringen
können, sind Unterstützungsmaßnahmen erforderlich, die bei zunehmendem Muskelaufbau
kontinuierlich reduziert werden. Es stellt sich heraus, dass die Kräfte bei abgewinkeltem Bein
deutlich kleiner sind als bei gestrecktem Bein. Allerdings tritt bei abgewinkeltem Bein ein
Torsionsmoment auf, das durch zusätzliche Hilfestellung vermieden werden sollte.
ren und gleichzeitig den kranken Knochen zu entlasten. Es kommt also zu einer Kraftflussum-
lenkung vom gesunden Knochen über den temporären Fixateur, z. B. Verriegelungsnagel (sie-
he Bild 7-17a) und damit zur Schonung des kranken Knochens. Das Implantat soll dem Patien-
ten nach kurzer Zeit die Aufnahme seiner alltäglichen Tätigkeiten ohne wesentliche Ein-
schränkungen ermöglichen. Nach fortgeschrittener Heilung wird das temporäre Fixateursystem
in der Regel wieder entfernt.
a) b) c)
F F
proximale
αS Verriegelung
αS
lantats
mit Kallusbildung M
g
Wirkun
Verriegelungsnagel
Q
Verriegelungsschrauben distale
Verriegelung
x
x
F F F
Die heute eingesetzten Implantate, wie z. B. Platten oder statisch verriegelte Marknägel, sind
starre Heilungshilfen, die sich nicht oder nur in geringem Maße an den Heilungsprozess anpas-
sen. Ein Nachteil dieser Fixation ist die nicht vollständige Wiedererlangung der gesamten
Tragfähigkeit des Knochens. Solange das Implantat verbleibt, baut sich der Knochen als natür-
liches Organ nur soweit wieder auf, wie es gerade notwendig ist, um gemeinsam mit dem Im-
plantat die Gesamtlast zu tragen.
a) b)
N N
t
Implanta
c K1 c K1
cI cI
Femur
cC cC
c K2 c K2
NI
NK
Bild 7-18 Biomechanisches Ersatzfedermodell für die Normalkraftbelastung des gebrochenen Femur
a) Beschreibung des Implantats durch die Federkonstante cI und des Knochens durch die
Federkonstanten cK1 und cK2 des gesunden Bereichs bzw. cC für den heilenden Knochen
(Kallus im Frakturspalt)
b) Aufteilung der Normalkraft N in NI des Implantats und NK des Knochens
Die Federkonstante des Implantats wird mit cI bezeichnet. Das Federsystem des Knochens
besteht aus den Federkonstanten cK1 und cK2 für den oberen und unteren Teil des Knochens
sowie aus der Federkonstanten cC für den Kallus. Dieses biomechanische Modell erlaubt nun
die Ermittlung der in Abhängigkeit von dem Heilungsprozess übertragenen Normalkräfte NI
im Implantat und NK im Knochen, Bild 7-18b. Dazu wird angenommen, dass zu Beginn des
Heilungsvorgangs der Kallus keine Kraft übertragen kann, d. h. der Kallus die Federsteifigkeit
cC = 0 besitzt, weil der Elastizitätsmodul EC des Kallus null ist. Zum Ende der Heilung hat der
knöchern durchbaute Kallus den E-Modul EC = EK1 = EK2 des gesunden Knochens annähernd
erreicht. Bei dem Ersatzsystem in Bild 7-18 sind die Federn des Knochens in Reihe und das
Implantat und der gesamte Knochen parallel geschaltet, siehe auch Kapitel 3.6.
7.2 Untersuchung von Heilungsmaßnahmen sowie von Bewegungs- und Heilungshilfen 287
Für den Knochen ergibt sich somit die Federkonstante cK mit der Beziehung
1 1 1 1
(7.102).
c K c K1 cC c K2
100
90
80 b) a)
Normalkraftanteil [%]
Knochenheilung [%]
70
60 Prozentuale
50
40
30
20 c)
10
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Heilungszeit (Heilungsstufen)
Bild 7-19 Normalkraftverteilung zwischen Knochen und Implantat in Abhängigkeit vom Heilungspro-
zess des Knochen
a) E-Modul EC des Kallus in Prozentanteilen des E-Moduls EK des gesunden Knochens
(Kortikalis)
b) Normalkraftanteil NI/N im Implantat in %
c) Normalkraftanteil NK/N im Knochen in %
Bild 7-19 zeigt die Normalkraftverteilung zwischen Knochen und Implantat im Verlauf des
Heilungsprozesses. Die „Zeitachse“ auf der Abszisse stellt Stufen der Knochenbruchheilung
dar. Stufe 1 zeigt die Situation unmittelbar nach der Operation. Die Heilung hat noch nicht
eingesetzt, d. h. EC/EK = 0. Stufe 4 zeigt eine fortgeschrittene Heilung mit EC/EK = 0,1 = 10 %.
Heilungsstufe 6 geht von EC/EK = 0,5 = 50 % aus usw. Entsprechend der einzelnen Heilungs-
stufen errechnen sich die Normalkraft NI im Implantat und die Normalkraft NK im Knochen.
Zu Beginn der Heilung, d. h. in Stufe 1, wird 100 % der Normalkraft im Implantat übertragen.
In Heilungsstufe 4 übernimmt bei den hier angenommenen Gegebenheiten der Knochen schon
53 % und in Stufe 6 übernimmt der Knochen 56 % der Normalkraft.
288 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
Man erkennt, dass auch bei zunehmender Heilung das Implantat (starrer Marknagel) noch
einen hohen Anteil der Normalkraft überträgt. Nach Ausbau des Implantats hat der Knochen
somit aufgrund von Um- und Abbauprozessen lediglich einen Anteil seiner ursprünglichen
Tragfähigkeit und kann noch nicht voll belastet werden. Die Gefahr einer Refraktur ist in die-
ser Phase groß und Rehabilitationsmaßnahmen sind nötig.
Mit strukturmechanischen Modellen können also die Heilungsprozesse bei einem Knochen-
bruch veranschaulicht werden. Ausführliche Überlegungen zu dieser Thematik sind in [7-8 bis
7-11] zu finden. Dort werden auch biomechanische Modelle für die Biegebelastung und Finite-
Elemente-Studien zur Knochenbruchheilung vorgestellt.
Aktor 1
Informationsverarbeitung Fraktur
Sensor 1
Sensor 2
Informationsfluss
Bild 7-20 Schema eines aktiven Implantats mit den wesentlichen Funktionselementen
7.2 Untersuchung von Heilungsmaßnahmen sowie von Bewegungs- und Heilungshilfen 289
Bild 7-20 zeigt das Schema eines aktiven Implantats, das insbesondere mit folgenden Funkti-
onselementen ausgestattet ist:
Aktor 1: Aktives Federsystem, das eine kontinuierlich veränder-
bare Axialsteifigkeit des Implantats bewirkt.
Aktor 2: Translationsmechanismus, der in der Lage ist, Mikro-
bewegungen im Frakturspalt auszuführen.
Sensor 1: Messfühler, der den Heilungsverlauf im Frakturspalt
überwacht.
Sensor 2: Messsystem, das am Marknagel Bewegungs- und Belas-
tungsart sowie Belastungshöhe misst.
Informationsverarbeitung: System, das alle notwendigen Parameter während der
Heilung erfasst, auswertet und gleichzeitig die Aktoren
entsprechend den Zieldefinitionen ansteuert.
Die einzelnen Konzepte für die Systemkomponenten des aktiven Implantats sowie die Kon-
struktion und Ausführung des letztlich realisierten Konzepts sind in [7-9] und [7-10] ausführ-
lich beschrieben.
Mit struktur- und biomechanischen Untersuchungen konnten auch für das aktive Implantat die
Entwicklung der Normalkräfte im Implantat und im Knochen während der Heilung untersucht
werden, Bild 7-21.
100
90 b)
80 c)
Normalkraftanteil [%]
Knochenheilung [%]
70
Prozentuale
60
a)
50
40
30
20
10
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Heilungszeit (Heilungsstufen)
Bild 7-21 Normalkraftentwicklung im Knochen und im Implantat bei einem durch einen aktiven
Marknagel gesteuerten Heilungsverlauf
a) E-Modul EC des Kallus in Prozentanteilen des E-Moduls EK des gesunden Knochens
(Kortikalis)
b) Normalkraftanteil NI/N im Implantat in %
c) Normalkraftanteil NK/N im Knochen in %
Es zeigt sich, dass mit zunehmender Heilung das Implantat nahezu komplett entlastet wird und
der Knochen gegen Ende des Heilungsprozesses in der Lage ist, die gesamte Belastung aufzu-
nehmen und zu ertragen. Das entwickelte Heilungssystem führt durch die Aktoren 1 und 2
auch die Vorteile der flexiblen und der starren Fixation zusammen, so dass die Ziele beider
Methoden erreicht werden und es zu einer schnellen und effektiven Heilung kommen kann.
290 7 Anwendungsbeispiele der Biomechanik in Sport und Medizin
Die Anordnung der Gelenkpunkte und die Abmessungen sind an die Verhältnisse des natürli-
chen Knies angepasst (siehe Kapitel 5.5.4). Ein Prototyp dieses Kniegelenks ist in Bild 7-22
abgebildet.
a) Oberschenkelanbindung b) Oberschenkelanbindung
(Femurposition) (Femurposition)
Lagerstelle
hinteres vorderes
Kreuzband Kreuzband
vorderes (Ober-
Kreuzband schenkelteil)
Lagerstelle
hinteres
Kreuzband
(Ober-
schenkelteil)
Unterschenkelanbindung Unterschenkelanbindung
(Tibiaposition) (Tibiaposition)
Bild 7-22 Prototyp des Prothesenkniegelenks als Viergelenkkette
a) Gestrecktes Knie (Bein)
b) Gebeugtes Knie
Bild 7-22a zeigt die Situation bei gestrecktem Bein mit der Oberschenkelanbindung (Femurpo-
sition) oben und der Unterschenkelanbindung (Tibiaposition) unten. Bild 7-22b stellt das ge-
beugte Knie mit einem Beugewinkel von ca. 45° dar. Zu sehen sind insbesondere das vordere
und das hintere Kreuzband, die mechanisch gesehen als Stäbe und Balken ausgeführt sind und
somit die komplette Kraftübertragung zwischen Oberschenkel und Prothesenunterschenkel
übernehmen.
Oberschenkelteil oben
(Lasteinleitungsstelle
Stützstelle für den Hebelmechanismus zur
für das Körpergewicht)
Betätigung der lastabhängigen Drehbremse
Lagerstelle "vorderes
Kreuzband, Oberschenkelteil"
Der Vorbringermechanismus ist ein Feder-Dämpfersystem, das im ersten Teil der Schwung-
phase über ein Gestänge gespannt wird und ein übermäßiges Pendeln des Unterschenkels nach
hinten bremst. Im zweiten Teil der Schwungphase unterstützt der Vorbringer über das Gestän-
ge das Pendeln des Unterschenkels nach vorne, so dass das Prothesenbein rechtzeitig zum
Beginn der Standphase gestreckt ist. Bild 7-24 zeigt das mechanische Modell des Vorbringers
mit seinen wesentlichen Komponenten.
Oberschenkelteil
feste Einspannung verstellbares oberes Lager
am Oberschenkelteil des Vorbringergestänges
Vorbringergestänge
vorderes
Kreuzband hinteres
Kreuzband
Unterschenkelteil
vorspannbare
Vorgabe der Drehung Vorbringerrückstellfeder
Die Eigenschaften der Klemmbremse und des Vorbringers lassen sich durch Einstellvorrich-
tungen in weiten Bereichen verändern und auf die individuellen Verhältnisse des Patienten
anpassen.
7.2 Untersuchung von Heilungsmaßnahmen sowie von Bewegungs- und Heilungshilfen 293
bestand darin, die vermutete Kontaktblockade durch eine operative Begradigung von Elle und
Speiche zu vermeiden. Vor einer Operation sollte jedoch durch eine computergestützte Bewe-
gungssimulation geklärt werden, ob nicht andere Gegebenheiten die Blockade der Drehung
nach einem möglichen Verdrehwinkel von ca. 30° auslösen. Dies sollte mit einer individuellen
Finite-Elemente-Simulation für den pathologisch deformierten Unterarm erfolgen.
Eine CT-Schichtaufnahme ist in Bild 7-27a gezeigt. Durch entsprechende Filterung mit dem
Programm FAMFiltraCT [7-15 bis 7-17] konnten die Knochenquerschnitte für die Elle und Spei-
che ermittelt werden, Bild 7-27b. Durch Anwendung dieser Methode für alle CT-Schichten
entstand das in Bild 7-28a gezeigte, geometrische Schichtmodell der Knochenstrukturen des
Unterarms. Aus dem Schichtmodell ließ sich dann ein CAD (Computer Aided Design) -
7.2 Untersuchung von Heilungsmaßnahmen sowie von Bewegungs- und Heilungshilfen 295
a) b)
Ellbogengelenk
Elle
Speiche
Bild 7-28 Ermittlung der Geometrie der Unterarmknochen aus den ermittelten Schichtdaten
a) Geometrisches Schichtmodell der Knochen
b) CAD-Modell der Knochen
Modell für den Unterarm erstellen, Bild 7-28b. Das CAD-Modell war Basis für die Generie-
rung eines Finite-Elemente-Modells. Die detaillierte Vorgehensweise ist z. B. in [7-15 bis 7-
20] beschrieben.
a)
Rotationsachse
der Speiche
φ=0
b)
Rotationsachse
der Speiche
φ
[7-18]). Bei der Einwärtsdrehung (Innenrotation, Pronation) kreuzen sich die Unterarmkno-
chen, bei der Auswärtsdrehung (Außenrotation, Supination) verlaufen die Knochen parallel
zueinander.
idealisierte Kontur
pathologisch der gesunden Elle
deformierte Elle (Ulna)
Speiche (Radius)
im um φ ≈53°
verdrehten Zustand
Speiche (Radius) im
Ausgangszustand: φ = 0°
Bild 7-29 zeigt simulierte Stadien der Unterarmdrehung. Die Rotationsachse verläuft vom
ellenbogenseitigen Ende der Speiche zum handseitigen Kopf der Elle. Der Drehwinkel ist φ.
Bild 7-29a zeigt die Ausgangsposition, φ = 0°, für die Außenrotation. Die Drehung der Spei-
che um den Winkel φ ist in Bild 7-29b in der Seitenansicht gezeigt. Die Verdrehung wird auch
deutlich mit Bild 7-30. Hier wird die Situation im Bereich des Handgelenks bei einer Unter-
armdrehung in einer Vorderansicht (Blick von distal auf die Elle und Speiche) gezeigt. Das
handgelenknahe Ende der Speiche dreht um den Kopf der Elle um den Winkel φ. In dieser
Darstellung wird deutlich, dass die Gelenkkontur der Elle des Patienten handseitig stark de-
formiert ist, was zur Blockierung der Drehbewegung führt. Bei einem gesunden Arm ist das
Ellenköpfchen rund und glatt und lässt im Vergleich zur Situation des Patienten eine nahezu
momentenfreie Drehbewegung zu.
Gelenks zwischen Elle und Speiche (Radius) im handgelenknahen Bereich, siehe Bild 7-31.
Dadurch ist bei der Drehung des Unterarms, ab einem Drehwinkel von φ ≈ 30°, Bild 7-30, ein
enormer Anstieg des Drehmomentes zu verzeichnen. Dieses sehr hohe Drehmoment kann von
dem Patienten, wie auch die medizinischen Befunde zeigen, nicht selbstständig aufgebracht
werden. Damit einher geht auch ein starker Anstieg der Bandspannungen im Handgelenk, die
letztlich eine Drehung des Unterarms durch den Patienten nur in kleinen Winkelbereichen
erlaubt. Bild 7-32 zeigt den Vergleich der relativen Bandspannungen im deformierten Handge-
lenkbereich und im gesunden Ellenbogenbereich. Ein Anstieg der Bandspannungen bei der
Rotation ergibt sich nur im krankhaft deformierten Handgelenkbereich.
1,6
1,5
relative Bandspannungen
1,4
a)
1,3
1,2
1,1
b)
1
0,9
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55
Verdrehwinkel φ
Bild 7-32 Relative Bandspannungen bei den Gelenken zwischen Elle und Speiche in Abhängigkeit
vom Verdrehwinkel φ
a) Stark ansteigende Bandspannungen im handgelenknahen Bereich
b) Nahezu konstante Bandspannungen im ellenbogennahen Bereich
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Sachwortverzeichnis
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H. A. Richard und G. Kullmer, Biomechanik,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28333-9
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