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APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte


11/2005 ´ 14. Mårz 2005

Musik und Gesellschaft


Ekkehart Krippendorff
Mozarts Frieden: ,Nicht von dieser Welt`

Dieter Senghaas
Wie den Frieden in Tæne setzen?

Jærg Callieû
Vom ersungenen Frieden in Opernwelten

Hartmut Lçck
Musik in einem unfriedlichen Zeitalter

Dietrich Helms
Pop Star Wars

Gçnter Kleinen
Musik als Medium der politischen Bildung

Helmke Jan Keden


Musik in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament


Editorial
Musik spielt in der modernen Gesellschaft eine groûe Rolle.
Sie bietet nicht nur åsthetischen Genuss, sondern wird fçr viel-
fåltige Zwecke eingesetzt. Ihre gesellschaftliche Rolle unterliegt
historischen Wandlungen, insbesondere im Hinblick auf ihre
Verwendung zu kriegerischen oder friedlichen Zwecken ± unab-
hångig vom jeweiligen politischen System.

Die Friedensforschung setzt sich mit Krieg und Frieden nicht


nur politisch, sondern auch kçnstlerisch auseinander. Sie bereitet
Erkenntnisse auf, die fçr die Friedensproblematik von Bedeu-
tung sind. Gerade im Zeitalter der Globalisierung der Gewalt
und des ¹Krieges gegen den Terrorª bedarf es einer solchen akti-
ven Friedenspolitik. Erst vor dem Hintergrund von Krieg und
Gewalt entsteht die Notwendigkeit, Frieden kçnstlerisch zu be-
arbeiten. Dazu kann auch die Musik beitragen, wie die Verarbei-
tung der Terroranschlåge vom 11. September 2001 zeigt.

Doch die musikalische Umsetzung des Friedensthemas ist


kein leichtes Unterfangen. Das dokumentiert sich in klassischen
und zeitgenæssischen Kompositionen auf unterschiedliche
Weise. Das Spektrum erstreckt sich von apologetischer Kriegs-
darstellung bis zu den Versuchen, das Positive des Friedens in
Tæne zu setzen ± mit Letzterem tun sich viele Komponisten
schwer.

Trotz aller Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Frieden in


Musik haben Komponisten aller Epochen und unterschiedlichs-
ter Kulturkreise immer wieder versucht, dem Friedensgedanken
in ihren Werken Ausdruck zu verleihen. Dass Musik auf zy-
nischste Weise missbraucht werden kann, zeigt deren Rolle und
Funktion in den NS-Konzentrationslagern.

Ludwig Watzal
Ekkehart Krippendorff keit des Militårischen hærbar, der von den
Blåsern prononcierte Marsch beschreibt die

Mozarts Frieden: Transformation des sensiblen jungen Mannes


in den mechanisierten Soldaten, seine Einpas-

,Nicht von dieser


sung in die Kriegsmaschinerie, die antizi-
pierte Zerstærung seiner Seele durch den uni-
formierten Zwang, dessen Perfidie ja nicht

Welt` zuletzt darin besteht, dass er sich in åsthetisch


verfçhrerischem Gewand von Uniform und
eben Marschmusik pråsentiert und damit ge-

Essay sellschaftlich akzeptabel gemacht wird. Nur


Mozart akzeptiert das nicht ± er legt Wider-
spruch ein, indem er musikalisch vom ¹grau-
samen militaireª spricht.

M ozart war alles andere als ein vertråum-


ter Gætterliebling, 1 nicht von dieser
Welt. Zwar hatte er (im Unterschied zu gro-
Man hat das damals so verstanden und
kann es heute genauso verstehen, zumal wenn
ûen Zeitgenossen wie Goethe und Beethoven) eine Regie von Figaros Hochzeit ihre Sache
das Glçck, niemals direkt zwischen die gut macht und Mozart ernst nimmt, indem
Kriegsfronten seiner Zeit zu geraten, und sie seine Musiksprache szenisch noch zusåtz-
auch die Erfahrung der napoleonischen Mas- lich verdeutlicht. Damals war es bei Opern
senmobilmachungen erlebte er nicht mehr, çblich, Arien, die besonders gefallen hatten,
aber das Militårwesen nach heftigem Applaus zu wiederholen. Bei
Ekkehart Krippendorff
scheint ihm trotzdem Figaros Hochzeit war das ab der zweiten Auf-
Dr. phil., geb. 1934; Professor
alles andere als gleich- fçhrung (der Adel war zur Premiere erschie-
emeritus für Politikwissenschaft
gçltig gewesen zu nen, die çbrigen Vorstellungen waren nun fçr
an der Freien Universität Berlin.
sein. Auch wenn er das Wiener Bçrgertum) so håufig der Fall,
Schulenburgring 5, 12101 Berlin.
selbst unter dem Mili- dass der Kaiser persænlich intervenierte und
Kpdff@zedat.fu-berlin.de
tår nie persænlich lei- diese Praxis untersagte ± denn man hatte be-
den musste, wie zum Beispiel seine Zeitge- sonders den kritischen Arien applaudiert, und
nossen Ulrich Bråker 2 und Jakob Michael darunter war nicht zuletzt eben die militår-
Reinhold Lenz 3, bei denen die existenzielle subversive des Figaro. Nur bis nach Prag
Betroffenheit sich in literarisch verarbeiteter reichte der starke Arm des Hofes in diesen
Bitterkeit Ausdruck verschaffte, so hat er politisch-kçnstlerischen Dingen nicht: Dort
doch auf einer tieferen Ebene die Unmensch- gab Mozart ein knappes Jahr nach der Wiener
lichkeit dieser Institution deutlich erkannt Figaro-Urauffçhrung ein Konzert, und sein
und sehr ernst genommen ± auf Mozart'sche begeistertes Publikum lieû ihn nicht eher
Art, die, um es mit Goethe zu sagen, ¹die gehen, bis er als vierte Zugabe das Motiv des
Tiefe an der Oberflåche verbirgtª. Zum Bei- Cherubino-Marsches gespielt hatte. Mozart
spiel an der Oberflåche der Komædie: hat, so scheint es, mit seiner eigenen militår-
kritischen Haltung die mit ihm sympathisie-
Die scheinbar harmlos-lustige Textvorlage renden Gefçhle seines Publikums angespro-
Da Pontes fçr den zum Militår abkomman- chen.
dierten Teenager Cherubino in Figaros Hoch-
zeit (1785) erhålt durch Mozarts Musik ge-
wissermaûen zwei Dimensionen: Die eine ist
die der Ironisierung von Krieg und Ruhm ± 1 ¹± was mir am låcherlichsten vorkæmmt, ist das
¹Cherubino alla vittoria, alla gloria militarª ±, grausame militaire ± mæchte doch wissen zu was? ±
wie sie zwar schon im Text angelegt ist, aber nachts hære ich allzeit schreyen: wer da? ± gieb aber
durch die Musik erst zur sinnlich vermittelten allzeit fleissig antwort; schmecks!ª Brief an den Vater,
Erkenntnis wird ± wir hæren eine Botschaft kaysersheim den 18:ten, Dec:bre 1778.
2 Vgl. Lebensgeschichte und Natçrliche Abentheuer
in der Sprache der Tæne, die eine andere
des Armen Mannes in Tockenburg, 1788/89; Ulrich
Ebene der Vernunft als die des Intellekts er- Bråker Lesebuch, hrsg. von Heinz Weder, Frankfurt/
reicht; die zweite Dimension wird durch die M. 1973.
besondere Art der Instrumentierung aufge- 3 Vgl. Die Soldaten. Eine Komædie (1776), Stuttgart

stoûen: Hinter der Ironie wird die Grausam- 1975.

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Allerdings hat seine in Ironie verkleidete stoûen (KV 619), der 1792 dann in Straûburg
Gegnerschaft gegen das Militårische auch eine auf Gemeineigentum basierende kom-
eine zumindest biographisch bedeutsame ma- munistische Kolonie grçndete, wo diese von
terielle Basis: Das Kriegsjahr 1788, mit dem ihm bei Mozart vermutlich bestellte Kantate
Mozarts wirtschaftlicher Niedergang ein- zum Singen ¹in den Versammlungshåusern
setzte, war fçr das Habsburg-Reich nicht nur unter Begleitung von Instrumentalmusikª
militårisch, sondern auch ækonomisch eine vorgesehen war. 4
Katastrophe. Der Adel ± die wichtigste
Kundschaft fçr die Subskriptions-Akademien Ganz dem aufklårerischen Credo der Frei-
± begann Wien zu verlassen und zog sich auf maurerei verpflichtet, tråumt sie von nichts
seine Landschlæsser zurçck. Die Stadt erlebte Geringerem als der Umwandlung von
eine schwere ækonomische Krise. Theater ¹Schwertern zu Pflugscharenª: ¹Zu Sicheln
wurden geschlossen oder zu ernsthaften Kçr- schmiedet um das Eisen, das Menschen-, das
zungen gezwungen, die elegante Gesellschaft Brçderblut bisher vergoû.ª Man muss die
læste sich auf. Der Kaiser operierte sowohl als Kantate hæren, um zu verstehen, wieviel Pa-
reformeifriger Regierungschef wie im Felde thos und appellative Kraft Mozart etwa dem
hæchst unglçcklich. Musik wurde ein çber- Wort ¹Wahrheitª musikalisch gegeben hat,
flçssiger Luxus, Mozart selbst musste aus der die ¹des Wahnes Bandeª und des ¹Vorurteiles
Stadt in ein billigeres Vorstadtquartier ziehen. Schleierª zerbrechen wird, oder auch dem das
Es waren die ækonomischen und gesellschaft- Bruderherz mordenden ¹Bleiª, um am Ende
lichen Folgen der Kriegspolitik, die seine dann in einen vællig entspannten Lyrismus
ækonomische Basis ruinierten ± nicht das an- geglçckter Zukunft zu mçnden. Man wird in
geblich wachsende Unverståndnis des Publi- der Annahme nicht ganz fehlgehen, dass diese
kums fçr seine zu eigenwilligen, ¹modernenª Kantate auch ein Stçck persænliches Bekennt-
Kompositionen. Auch wenn man keine nis Mozarts enthålt ± zumal sie unmittelbar
volkswirtschaftlichen Kenntnisse hatte ± Mo- vor der Zauberflæte im Juli 1791 komponiert
zart wird diesen Zusammenhang durchaus er- wurde, die ja ihrerseits mit der Mæglich-
kannt haben, war aber dagegen hilflos. keit aufgeklårt-friedvoller Menschenordnung
schlieût.
Mit einem solchen analytischen Schlçssel
ausgerçstet, kænnte man den Mozart-Kosmos Aber wir wçrden auf diesen Text-Wegen,
systematisch erschlieûen und dabei zu gewiss so wichtig, unverzichtbar und informativ sie
interessanten, vor allem biographisch auf- auch sind, doch Mozarts Musik im Wesent-
schlussreichen Einsichten kommen; man lichen letztlich verfehlen und den Kompo-
wçrde dabei viele Entdeckungen machen ± nisten gewissermaûen zum besseren Pro-
z. B. die des scheinbar harmlosen, aber doch gramm-Musiker erniedrigen. Mozart war,
auf eine rçhrende Weise bedeutsamen kleinen darin sind sich alle Biographen und Kenner
Liedes Ich mæchte wohl der Kaiser sein, die einig, kein literarisch oder philosophisch ge-
goldnen Zeiten fçhrt' ich ein (KV 539), das bildeter Mensch, weshalb die Frage berechtigt
weniger naiv ist, als es den Anschein hat, und, und zugleich råtselhaft unbeantwortbar ist:
gewollt oder nicht, programmatische Bedeu- Woher hatte er sein enormes ¹Wissenª, das
tung hatte. Oder die Rolle, die das Militår in sich in seinen Kompositionen manifestierte?
den Opern direkt (CosÓ fan tutte,1790; Le Seine çberdurchschnittlich groûe, um nicht
nozze di Figaro,1785; La clemenza di Tito, zu sagen tiefe Menschenkenntnis ist durchaus
1791; auch im Angriff der dunklen Heerscha- noch erklårbar aus der Fçlle und nicht zuletzt
ren der Kænigin der Nacht auf die Lichtwelt der sozialen Vielfalt seines gesellschaftlichen
der aufgeklårten Herrschaft Sarastros in der Umganges. Sie findet ihren Niederschlag in
Zauberflæte) oder indirekt als verinnerlichte der musikalischen Charakterisierung jeder
Haltung (Belmonte in Die Entfçhrung aus seiner Opern-Figuren und deren Beziehun-
dem Serail, 1782) spielt. Man wçrde mit der gen zueinander. Aber die Musik transzendiert
militårkritischen Wçnschelrute auch auf eine diese und spricht in Tænen von einer Welt
erstaunliche und sehr spåt, kurz vor der Zau- hinter oder ¹çberª den Figuren, deren
berflæte im Juli 1791 komponierte Kantate ¹Kenntnisª nicht aus irgendeiner Empirie ab-
des mit der Familie Mozart seit den siebziger
Jahren bekannten Freimaurers und Hambur- 4 Fritz Hennenberg, Wolfgang Amadeus Mozart,

ger Kaufmanns Franz Heinrich Ziegenhagen Leipzig 1976, S. 68 f.

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leitbar ist. Der Umgang mit dieser, der eigent- ethischen Maûståbe fçr ein geordnetes Zu-
lich musikalischen Dimension der Mozart'- sammenleben unterminiert waren und die
schen Musik (wenn dieser paradoxe Aus- Klammer politischer Vernunft immer schwå-
druck gestattet ist) ist die eigentliche Schwie- cher wurde: Gesellschaften ver- und zerfielen,
rigkeit verbaler Vergewisserung. læsten sich gewalttåtig auf. Vergessen war,
dass die Politik einst erfunden worden war
Nicht, dass es da nicht noch immer auf- als ethische Aufgabe der Verwirklichung in
schlussreiche Entdeckungen zu machen gåbe letzter Instanz religiæs begrçndeter Werte:
± aber was diese Sprache spricht, aus welchen von Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden, Solidari-
Quellen sie schæpft, was sie sagt, das scheint tåt, Hilfsbereitschaft ± und nicht als ¹Kampf
sich jeder Verbalisierung zu verweigern. Da um die Machtª. Vergessen war dies im æffent-
geraten die meisten, die çber Mozart schrei- lichen Diskurs ± hier mal mehr, dort mal we-
ben, entweder ins Schwårmen oder ins Stot- niger: in Europa (zu dem wir die USA hier
tern ± Wolfgang Hildesheimer hat das in ausnahmsweise auch zåhlen dçrfen) beson-
seinem in dieser Hinsicht bahnbrechenden ders weit fortgeschritten ± und ersetzt durch
Mozart-Buch vor fçnfundzwanzig Jahren ækonomische Werteskalen, durch das Lob der
vorgefçhrt. Vielleicht kommt Karl Barth dem belebenden Konkurrenz, durch die Gesetze
Unvergleichlichen (so der Titel seines kleinen des Marktes, die als Naturgesetze ausgegeben
Mozart-Buches) am Nåchsten, wenn er aus- wurden. Es scheint, als versinke die Weltge-
gehend von den Orchesterwerken meint, of- sellschaft von Tag zu Tag mehr nicht nur in
fenbar habe ¹der Mensch Mozart den Kos- Hunger, Armut und Verelendung, sondern
mos vernommen und ihn ± er selbst nur in auch in krebsartig sich ausbreitender Gewalt
der Funktion eines Mediums ± zum Singen und einer davon lebenden Militarisierung der
gebrachtª 5. Jeder Versuch hingegen, auf dem æffentlichen Angst. Nicht vergessen aber war
Weg einer programmatischen Analyse von und ist die Erinnerung an Vernunft und
komponierten Texten Mozart ¹politischª zu Humanitåt, an eine geistige Begrçndung von
hæren, bleibt irgendwann stecken und endet Ordnung, an die Wirklichkeit einer spirituel-
dann allenfalls noch mit dem affirmativen len Dimension des Menschen als Einzelner so
Hinweis auf das in der Tat auf groûe Ein- gut wie als gesellschaftlich-politisches Wesen
dringlichkeit hin komponierte ¹dona nobis in der Kunst im Allgemeinen und in der
pacemª der Messe C-Dur ¹Krænungsmesseª Musik im Besonderen. Die Kunst ist die
(1779). Damit ist fçr ein vertieftes Verstånd- groûe Schatzkammer der Erinnerung an un-
nis dieser Musik auch in Bezug auf die Frie- eingelæste Mæglichkeiten und an Maûståbe
densthematik nichts gewonnen. des Ethischen. Und Mozarts Musik nimmt da
eine herausragende Stellung ein. Auf ebenso
Es sei denn, wir machen einen Umweg und unaufdringliche wie kompromisslose Weise
versuchen, uns dem Thema ¹Mozarts Frie- klagt sie in der empirischen Wirklichkeit die
denª von der aktuellen Wirklichkeit her an- hæheren, menschenwçrdigen und -mæglichen
zunåhern, die der Ausgangspunkt des um Zu- Maûståbe ein.
stand und Zukunft dieser Welt besorgten Er-
kenntnisinteresses ist ± dazu gençgt die Hæren und sehen wir, was beispielsweise
Empirie der tagtåglichen Zeitungslektçre. am Ende des ¹Tollen Tagesª, also von Figaros
Nach der ersten Hålfte des blutigsten Jahr- Hochzeit passiert. Eine Gesellschaft im Zer-
hunderts der Menschheitsgeschichte, des fall, jeder intrigiert gegen jeden, Machtver-
zwanzigsten, folgte eine zweite, die potenziell håltnisse werden zur Befriedigung niedriger
die erste mit der rational kalkulierten Dro- Triebe ausgenutzt, Frauen erniedrigt und psy-
hung einer Totalvernichtung des Globus noch chisch geschådigt, ein sensibler junger Mann
çbertraf. Als sich diese von intelligenten ins Militår gepresst, damit er das Tæten lerne,
Kæpfen als ¹Politikª propagierte und weitge- Prostitution ± jeder und jede scheint nur
hend æffentlich auch akzeptierte Pathologie noch sich selbst der oder die Nåchste. Und
ins Nichts auflæste und ein aufatmender Neu- Mozart komponiert das alles in psycholo-
beginn mæglich schien, stellte sich heraus, gisch hæchst subtiler Musiksprache. Am
dass in weiten Teilen der Weltgesellschaft die Ende aber scheint alles dann doch wieder ins
Lot zu kommen: Die Paare finden sich, der
5 Karl Barth, Der Unvergleichliche ± çber Wolfgang rçcksichtslose Graf muss um Verzeihung bit-
Amadeus Mozart, Berlin 1974. ten, die ihm auch gewåhrt wird ± und so

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scheint die Welt wieder heil zu werden. sklavte Frauen ± das wåre zu eng, zu konkre-
Scheint: Denn jeder, der die Geschichte auf- tistisch ±, sondern auf den Prçfstand einer
merksam verfolgt und gut zugehært hat, hat Welt, fçr die das Bordell Abbild und furcht-
seine groûen Zweifel, ob diese Versæhnung bare Metapher wird. Wie kann sich die Musik
halten kann und wird ± ob der Graf nicht der Klassik vor der realen Welt von Gewalt,
wieder rçckfållig, ob der pathetische Dr. Bar- Hunger, Krieg, Flçchtlingselend, von Klima-
tolo mit der alten Marcellina und Barbarina katastrophen und den subtilen Formen von
mit dem unreifen Cherubino glçcklich wer- Ausbeutung und Unterdrçckung legitimie-
den wird, zumal der noch immer beim Militår ren, wie kann sie da bestehen, ohne museal zu
ist, oder ob der misogyn-anfållige Figaro werden?
auch nur die erste Ehekrise çbersteht. Aber
dann geschieht in ¹dritter Dimensionª musi- Was hæren wir, wenn wir Mozart hæren?
kalisch etwas ganz anderes: Jene zehn Takte Hæren wir in dieser so scheinbar leicht zu-
des Verzeihens, des erbitteten und des ge- gånglichen Musik auch den Entwurf einer
wåhrten ¹perdonoª formulieren gewisserma- groûen Verpflichtung zu spiritueller Begrçn-
ûen die diese schlechte Empirie transzendie- dung irdischer Ordnung? Dçrfen, ja mçssen
rende hohe Norm des Mæglichen. Mit zwei wir nicht, wenn wir ein in sich selbst voll-
langen Pausen kommt diese Musik zu sich kommenes Einzelstçck seiner in Tænen ge-
selbst, låsst die Handlung und die Welt fçr fassten Kosmologie hæren, gleichzeitig an die
einen absoluten Augenblick stillstehen und Welt vor unserer Tçr denken, die von dieser
gibt den hærenden Blick frei auf die eigentli- Musik beschåmt wird und die ihrerseits diese
che Versæhnung, die Versæhnung als trans- Musik tagtåglich erniedrigt und beleidigt?
zendente, und man kænnte nun auch sagen:
als politische Kategorie. An einer rein instru- Der Konzertsaal enthebt uns dieser Fra-
mentalen Komposition wåre das nur schwer gen, da wird die Welt nicht eingeblendet, da
erkennbar gewesen ± auf dem Umweg çber stært sie uns nicht und da wollen wir uns
ein Bçhnengeschehen aber enthçllt sich der nicht von ihr stæren lassen. So radikal und un-
irenische Charakter des Mozart'schen Musik- barmherzig wie im Fall der Entfçhrungs-In-
Kosmos. szenierung von Calixto Bieto in der Komi-
schen Oper Berlin wurde das Publikum noch
Im Juni 2004 inszenierte der Spanier Calix- nie mit jener græûeren Realitåt konfrontiert,
to Bieto an der Komischen Oper Berlin Mo- fçr die das Bordell zur Metapher wird fçr
zarts Entfçhrung aus dem Serail (1782) vællig einen von uns tolerierten und verdrångten
gegen jede traditionelle Sichtweise dieses Zustand der Welt. Gerade weil es Mozarts
Singspiels: Die Handlung wurde nicht nur in wunderbare Musik ist, zu der die Unmensch-
ein modernes Bordell verlegt, sondern auch lichkeiten der Welt plætzlich als ein so greller
noch in sich umgestçlpt, indem Bassam Selim Kontrast sichtbar gemacht werden, kann man
ein Zuhålter, Osmin sein Komplize ± und da nicht ausweichen und muss Farbe beken-
Belmonte am Ende, nachdem er beim Flucht- nen ± indem man sich schåmt. Schåmt fçr die
versuch die beiden erschossen hatte, selber Welt als Bordell der Gewalt, schåmt dafçr,
der neue Bordellbesitzer wird. Der Tabu- dass wir eigentlich diese Musik nicht verdient
Bruch, der mit dieser Entfçhrung begangen haben ± oder sie uns erst noch verdienen
wurde, ist von einer anderen Radikalitåt als mçssen. Das laute Geschrei auf der Straûe
der einer in der Tat schockierenden Neuer- zeigt nur an, wie schwer es uns Mozart
zåhlung des orientaliserenden Mårchens vom macht, seine musikalische Sprache zu verste-
groûherzigen Muslim, der seine christlichen hen und ihr Zeugnis so ernst zu nehmen, wie
Gefangenen beschåmt. 6 es gemeint ist.

Diese Auffçhrung war selbst eine Parabel,


in der eben diese Musik auf den Prçfstand
der Gegenwart gestellt wurde. Nicht auf den
von Bordell und blutiger Gewalt gegen ver-

6 Vgl. Ekkehart Krippendorff, Der Tabu-Bruch, in:

Komisch. Die Zeitung der komischen Oper Berlin,


September-Ausgabe der Spielzeit 2004/2005, S. 5.

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Dieter Senghaas sich durch eine erstaunliche thematische Brei-
te aus. 4

Wie den Frieden Es gibt nur wenige Werke, in denen sich


Vorahnungen çber eine sich abzeichnende

in Tæne setzen? Katastrophe, den drohenden Krieg, andeuten.


Der Krieg selbst ist natçrlich vielfach Gegen-
stand von Kompositionen geworden: manch-
mal in unbeschwertem Sinne, frçher oft in
militaristischer Absicht, aber heute vor allem
S eit Jahrhunderten hat die Friedensproble-
matik, hier verstanden als die Probleme
von Krieg und Frieden, bildende Kçnstler zu
in Werken, die den Willen zum Frieden akti-
vieren wollen. Die Fçrbitte um den Frieden
und die Erwartung des Friedens im Krieg
einer reichhaltigen Bilderwelt, der sogenann-
sind håufig Gegenstand von Kompositionen
ten Friedensikonographie, angeregt. 1 Noch
gewesen, auch der Dank fçr den wiederge-
reichhaltiger und vielfåltiger sind die literari-
wonnen Frieden, allerdings in frçheren Kom-
schen Zeugnisse, in denen, inhaltlich un-
positionen nicht selten als Dank fçr gewon-
schwer vermittelbar, die genannte Problema-
nene Siege. Im letzten Jahrhundert standen
tik in Romanen, Novellen, Lyrik und Schau-
Kompositionen im Vordergrund, die sich
spielen bearbeitet wurde. Wie aber figuriert
durch einen Trauer- und Klagegestus aus-
politischer Frieden in der Musik? Insbeson-
zeichnen: Der Krieg erscheint darin als men-
dere wertbeståndige, eben als klassisch zu be-
schenverachtend und inhuman. Im 20. Jahr-
zeichnende Musik gilt
hundert waren auch Anti-Kompositionen,
als gegenstandsloseste
Dieter Senghaas also vor allem antimilitaristische Musik, die
aller Kçnste, denn ihr
geb. 1940; Professor für Frie- sich auch schon im 17. Jahrhundert, im zeitli-
Inhalt seien ¹tænend
dens-, Konflikt- und Entwick- chen Umkreis des Dreiûigjåhrigen Krieges,
bewegte Formenª,
lungsforschung am Institut für auffinden låsst, besonders eindrucksvoll,
wie Eduard Hanslick
Interkulturelle und Internatio- ebenso Musik gegen Gewalt, Repression, Ty-
1854 in seinem be-
nale Studien der rannis, Not und Rassismus. Mit der positiven,
rçhmten und einfluss-
Universität Bremen. konstruktiven oder gar affirmativen Darstel-
reichen musikåstheti-
Postfach 330440, lung des Friedens tun sich Komponisten
schen Traktat Vom
28334 Bremen. schwer, frçher nicht anders als heute; dieser
Musikalisch-Schænen
tmenge@uni-bremen.de Sachverhalt ist kein anderer als in den Gei-
schrieb. ¹Der Kom-
stes- und Sozialwissenschaften, einschlieûlich
ponist dichtet und
der Friedensforschung. Aber solche Versuche
denkt. Nur dichtet und denkt er, entrçckt
gibt es ± mit und ohne Textunterlegungen.
aller gegenståndlichen Realitåt, in Tænenª,
seiner ¹unçbersetzbaren Urspracheª, wie 1 Vgl. Wolfgang Augustyn (Hrsg.), PAX. Beitråge zu
Hanslick betonte. Allein daraus, dass die Idee und Darstellung des Friedens, Mçnchen 2003.
Tondichter gezwungen sind, in Tænen zu 2 Eduard Hanslick, Vom Musikalisch-Schænen, Wies-
denken, folge schon ¹die Inhaltlosigkeit der baden 198921, S. 59, 172.
Tonkunstª 2. Lassen sich also inhaltlich fi- 3 Vgl. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik,

xierte Vorstellungen der Friedensproblematik Kassel 19942. Besonders erhellend ist der Aufsatz von
und von Frieden im Besonderen gar nicht in Jçrg Stenzl, ¹Reinlichkeitsgefçhl in Kunstdingenª.
¹Politische Musikª ± Skizze einer Begriffsgeschichte,
Tæne setzen? in: MusikTexte, (1999) 39, S. 48±55.
4 Die diesem Beitrag zugrunde liegende topische

Gliederung des Werkangebots ist das Ergebnis einer


Werkangebote umfassenden Sichtung von ca. 400 einschlågigen klas-
sischen Kompositionen, die von Musikschaffenden in
Nun ist die strenge åsthetische Theorie, so Europa und spåter auch in Nordamerika zwischen dem
folgewirksam sie auch war und in gewisser Spåtmittelalter und heute vorgelegt wurden. Eine aus-
Hinsicht immer noch ist, eine Sache, 3 das be- fçhrliche Darlegung findet sich in meinem Buch Klån-
eindruckende Werkangebot von Komponis- ge des Friedens. Ein Hærbericht, Frankfurt/M. 2001.
Dieses Buch findet eine Ergånzung in einer CD-ROM:
ten und Komponistinnen eine ganz andere. Frieden hæren!, hrsg. vom Institut fçr Friedens-
Denn das auf die Friedensproblematik ausge- pådagogik Tçbingen (www.friedenspaedagogik.de).
richtete Angebot ist zum einen quantitativ Sie enthålt Musikausschnitte, Kommentare und Hin-
beeindruckend; aber vor allem zeichnet es tergrundmaterialien zur Thematik.

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Dieses Spektrum von Angeboten soll im einflæûende Vision. Und Weberns Trauer-
Folgenden, jeweils mit einigen wenigen Bei- marsch, der vierte Satz in der zitierten Kom-
spielen, illustriert und ausfçhrlicher darge- position, macht in gedrångter Zeit und auf
stellt werden. 5 beispiellose Weise hærbar, was als Prozess
einer unerbittlich eigendynamisch werden-
den Eskalationsspirale vielfach beschrieben
Vorahnungen wurde. Hier kommt zum Ausdruck, was Tol-
stoi in seiner Kritik an Clausewitz, der seiner-
Komponisten sind keine Prognostiker des er- seits den Krieg als politisch kalkulierbares
wartbaren Weltgeschehens, aber sie verfçgen und folglich als manipulierbares Instrument
gelegentlich, wie auch Kunstschaffende auf begriff, betonte: die letztendlich nicht kalku-
anderen Gebieten, çber ein Sensorium, das lierbare und nicht manipulierbare, die sich
ihnen ermæglicht, einer zwar nicht voraussag- steigernde und kataklysmisch, also unbe-
baren, aber atmosphårisch erahnbaren und herrschbar werdende Eskalationsdynamik,
drohenden Katastrophe Ausdruck zu verlei- die unerbittlich in einer Katastrophe mçndet.
hen. Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 6 ¹Die Tra- Und dieser Assoziation einer finalen Kata-
gischeª (1903/05) wåre in diesem Zusammen- strophe kann man sich insbesondere ange-
hang zitierbar, auch Anton Weberns Sechs sichts des Hærbildes des Marsches von Alban
Stçcke fçr Orchester, op. 6 (1913) ± darin vor Berg kaum entziehen.
allem der Trauermarsch (¹marcia funebreª),
auch der Marsch in Alban Bergs Drei Orches-
terstçcke op. 6 (1914) oder der vierte ¹marcia
funebreª-Satz in Bla BartÕks Vier Orchester-
Der Krieg
stçcke op. 12 (1912) sowie der Mittelsatz im
Martialisch ist der Krieg, und so ist er auch
Divertimento fçr Streichorchester (1939) des-
darzustellen. Wåhrend des Ersten Weltkrieges
selben Komponisten; gewiss auch såmtliche
komponierte Gustav Holst The Planets
Kompositionen von Karl Amadeus Hart-
(1914±1917). Die siebenteilige Komposition
mann aus den dreiûiger Jahren des 20. Jahr-
setzt mit einem ersten Satz, der allerdings
hunderts: Man denke beispielhaft an das
schon vor Beginn des Kriegs komponiert war,
Streichquartett Nr. 1 dieses Komponisten aus
ein: ¹Mars, the Bringer of Warª. Die Atmo-
dem Jahre 1933, in dem die kommende Kata-
sphåre ist dumpf, der Rhythmus maschinen-
strophe nicht nur erahnt, sondern geradezu
haft-eintænig und trommelnd. Die Tonhæhe,
antizipierend thematisiert wird.
vællig eintænig bleibend, steigt an: Man hært
regelrecht die Eskalation; die Martialitåt in-
Natçrlich ist im Hinblick auf solche Werke
tensiviert sich. Im 5/4-Takt treibt sie sich
absoluter Musik, denen ein entsprechendes
atemlos voran, unterstrichen durch Kampf-
Sensorium oder ein quasiprognostischer Cha-
signale, fanfarisch eingesetzte Trompeten. Da
rakter unterstellbar ist, åuûerste interpretato-
gibt es zwar Einschnitte, die luftig, leicht und
rische Vorsicht geboten. Der nahe liegende
fræhlich erscheinen, aber sie sind ohne Be-
Einwand, solche Werke auf spåtere Weltkata-
ståndigkeit. Ein noch mehr håmmernder os-
strophen wie den Ersten und Zweiten Welt-
tinater Rhythmus kehrt zurçck; Harmonien
krieg zu projizieren gleiche notwendigerweise
prallen aufeinander. Mit diesem schlieûlich
immer und fraglos einer Ûberinterpretation,
sich aufdrångenden Klangbild, das çber die
geht jedoch von der Pråmisse aus, es gåbe In-
realistische Darstellung des Krieges als einer
formationen çber ihre fraglos unzweideutige
unerbittlichen Gewaltspirale eine friedenspo-
Interpretation. Aber gerade solche gibt es bei
litische Signalwirkung hat, wird hærbar, wie
çberragenden Kompositionen der genannten
eine Welt sich zuspitzender Dissonanz explo-
Art eben nur in den seltensten Fållen.
diert und zugrunde geht. Eine solche Eskala-
tionsspirale vermittelt sich hærbar auch in der
Im Ûbrigen: Auch ohne Neigung des Hæ-
im Hinblick auf diesen Topos oft zitierten
rers zu Katastrophenphantasien vermittelt
Sinfonie Nr. 7 ¹Leningraderª (1942) von
sich Mahlers genanntes Werk wie eine angst-
Dmitrij Schostakowitsch, darin im ersten,
5 Neuere Beitråge, in denen die hier zu behandelnde
¹Die Invasionª betitelten Satz.
Thematik eingehend bearbeitet wird, finden sich nun-
mehr auch in: Hartmut Lçck/Dieter Senghaas (Hrsg.), Stçcke dieser Art symbolisieren natçrlich
Vom hærbaren Frieden, Frankfurt/M. 2005. eine ganz andere, nåmlich eine katastrophen-

8 APuZ 11/2005
tråchtige Welt als jene, die sich in der positionen von Luca Marenzio, Carlo Ge-
Schlachten-Musik der frçhen Neuzeit doku- sualdo da Venosa, Claudio Monteverdi oder
mentiert. Wie einem pedantisch eingehalte- Biagio Marini seinen Ausdruck findet, das ist
nem Wiederholungszwang folgend entfaltet ein Krieg per Analogie, ein Rollenspiel: Die
sich in den sogenannten Instrumentalbatta- Geliebte erscheint dabei als die Festung eines
glien das Schlachtengetçmmel in Etappen: Herzens von Stein, zunåchst unnahbar, auch
Morgendåmmerung, Weckrufe, Aufmarsch unbezwingbar, eben wie eine militårisch aus-
der feindlichen Truppen (jeweils erkennbar gelegte Festung. Entsprechend ist der Lieb-
çber entsprechende musikalische Zitate), Vor- haber voll sehnsuchtsvoller Eroberungslust:
rçcken der Streitkråfte, die eigentliche ¹Guerra il mio statoª. Man kænnte çberset-
Schlacht, Klagen der Verwundeten, dazwi- zen: ¹Krieg ist mein Gemçtszustandª ± wie
schen Durchhalteparolen vermittels Trompe- der Soldat nicht aufhært, sich zu mçhen, so
ten und Posaunen, Sieg/Niederlage, Rçckzug, ruht der wahre Liebende niemals aus, ehe das
Trauer um die gefallenen Soldaten und deren Ziel erreicht ist.
Bestattung, Tanz und Siegesfeier usf. Eine in-
zwischen wieder gern aufgefçhrte Komposi- Komponisten haben sich in solche Sujets ±
tion ist Heinrich Ignaz Franz Bibers Battalia Schlachten und Liebeskriege ± verliebt, weil
(ca. 1673); dieses Werk ist jedoch nur ein Bei- sie darin ihre kompositorische Virtuositåt
spiel von Dutzenden von Angeboten. Es be- ausleben konnten, auch weil offensichtlich in
durfte eines Beethoven, um diesen Typ von der Gesellschaft ein Resonanzboden fçr sol-
Komposition, wie er im 16., 17. und 18. Jahr- che Darstellung bestand. Die vielen Ûbertra-
hundert gångig war, Anfang des 19. Jahrhun- gungen vor allem von Schlachtenmusik in die
derts auf einen Hæhepunkt zu bringen: Be- fçr håusliches Musizieren verwendbare Kla-
merkenswert ist, dass Wellingtons Sieg oder viermusik belegen den Sachverhalt. Warum
Die Schlacht bei Vittoria (1813) zu seinen wohl wurde um 1800 beim Pianoforte der Ja-
Lebzeiten die populårste Komposition Beet- nitscharenzug zwecks Nachahmung tçrki-
hovens wurde. Dass historische Urteile und scher Militårmusik so beliebt? Der Gefahr
Vorurteile sich in solchen Kompositionen wi- einer Østhetisierung von Krieg, Kampfge-
derspiegeln, ist unausweichlich, so wenn bei- tçmmel und Konflikt war in solcher Musik
spielsweise spåter Franz Liszt in der Hun- nicht zu entgehen. 6
nenschlacht (1857) das Reich des Guten (das
Christentum) und das Reich des Bæsen (sym- Fçrbitte um den Frieden
bolisiert durch die Hunnen als Inbegriff der
Barbarei) aufeinanderprallen låsst. Am Sieg Der unerbittliche Rhythmus der Pauke ±
des Christentums ist nicht zu zweifeln: Alte marschierende Truppen, aufeinanderprallende
gregorianische Choralmusik, zunåchst çber- Militårmaschinerien symbolisierend ± kann
raschend von einer Orgel zægerlich einge- auch ganz anderes versinnbildlichen: nåmlich
fçhrt, signalisiert ihn. Nach lyrisch anmuten- Angst vor dem nahenden Krieg, auch Ab-
den Abschnitten, die das Schlachtengetçmmel wehr und Protest, also eine Antikriegshal-
vergessen lassen, triumphiert am Ende in der tung, aus der die Friedensfçrbitte erwåchst.
Symbiose von Orchester und Orgel die gute Ein eindrucksvoller Beleg findet sich im
Sache. So auch in Kompositionen, in denen ¹Agnus Deiª von Haydns Missa in Tempore
mit politischem oder spirituellem Hinter- Belli (1796). Diese Komposition, auch ¹Pau-
grund ein Kulturkonflikt, ein ¹clash of civili- kenmesseª genannt, entstand in bedrångter
zationsª, thematisiert wird, beispielsweise in Zeit: Die franzæsischen Truppen hatten in Ita-
Georg Friedrich Håndels Judas Maccabaeus lien Sieg um Sieg errungen. Die Geschichts-
(1746) oder Felix Mendelssohn Bartholdys wissenschaft spricht von einem glånzenden
Elias (1846). Feldzug Bonapartes. Franzæsische Truppen
standen in der Steiermark und drohten, wei-
Komponisten der frçhen Neuzeit waren al- ter vorzurçcken. Im ¹Agnus Deiª hært man,
lerdings nicht nur in die Darstellung von mi- vermittels des Einsatzes der Solo-Pauke, den
litårischen Schlachten verliebt, fçr die es oft Feind aus der Ferne heranmarschieren. Solan-
ungewæhliche Spielanweisungen gab, sondern ge die franzæsische Armee im eigenen Lande
auch in die kompositorische Inszenierung
von ¹Liebeskriegenª. Der Liebeskrieg (guerra 6 Vgl. Silke Wenzel, Von der musikalischen Lust am

d'amore), wie er beispielsweise in den Kom- Kriegerischen, in: ebd., S. 305±325.

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stand, durfte, amtlicherseits befohlen, von Auch zeitgenæssische Komponisten haben
Frieden nicht geredet werden. Doch Haydn diesem Widerstreit zwischen Krieg und Frie-
konnte die Liturgie der Messe nutzen, um den, wie er sich oft in der Friedensfçrbitte
nicht nur vom Frieden zu reden, sondern ihn spannungsvoll dokumentiert, kompositori-
auch mit seinen kompositorischen Mitteln re- schen Ausdruck zu geben versucht, so bei-
gelrecht zu fordern. Das flehende ¹miserere spielsweise Arthur Honegger in seiner Sinfo-
nobisª ist eingebunden in den unerbittlichen nie Nr. 3 ¹Liturgiqueª (1946) oder Antal Do-
Rhythmus der Solo-Pauke; das ¹dona nobis r—ti in seiner Sinfonie Nr. 2 ¹Querela Pacisª
pacemª hært sich an wie: ¹Wir wollen, wir (1985). Im Ûbrigen gehært die Friedensfçr-
fordern Frieden!ª, kraftvoll von Fanfaren un- bitte zu jenen kompositorischen Topoi, die
terstçtzt. seit dem Spåtmittelalter quer durch die Mu-
sikgeschichte von Komponisten immer wie-
In Beethovens Missa solemnis (1819± 1823) der aufgegriffen worden sind, allerjçngst u. a.
hatte dann Haydns Anliegen eine nach Beet- von Katherine Hoover in Quintet Da Pacem
hoven nicht wiederholte, wahrscheinlich (1988) und Violeta Dinescu in Dona nobis
auch nicht wiederholbare Zuspitzung erfah- pacem (1987).
ren: Im ¹Agnus Deiª dieser Messe werden,
wie wohl an keiner anderen Stelle in der Mu-
sikgeschichte, Krieg und Frieden in ihrem an- Erwartung des Friedens
tipodischen Charakter als dramatisches Rin-
gen um Frieden und gegen den Krieg thema- In inhaltlichem Zusammenhang mit der Frie-
tisiert. Die angsteinflæûenden ¹Kriegsszenenª densfçrbitte stehen auch Kompositionen, die
fanden zeitgenæssische Kritiker regelrecht de- mitten im Krieg der Friedenserwartung Aus-
platziert und plådierten fçr deren Streichung druck verliehen. Als 1940 die deutsche Wehr-
aus der Messe-Komposition und den Auffçh- macht in Frankreich einmarschierte, schrieb
rungen ± welches Unverståndnis! Auch in beispielsweise Andr Jolivet eine Messe pour
Beethovens ¹Agnus Deiª zieht sich letztend- le Jour de la Paix. Diese Messe beginnt mit
lich das Militårisch-Kriegerische zurçck. Es einem depressiv eingestimmten ¹Allelujaª ±
entsteht der Eindruck, als ob der Wille zum ohne Hoffnungsschimmer, der natçrlich an-
Frieden und der Frieden selbst çber den gesichts der Ereignisse auch nicht aufscheinen
Krieg gesiegt håtten. Dieser Friede stellt sich kann. Im Laufe der Messe heitert sich diese
aber nicht gefållig, nicht leichthin und schon trostlose Stimmungslage nur zægerlich auf.
gar nicht deklamatorisch ein. Er ist in der Doch am Ende wird noch einmal das ¹Allelu-
Komposition das Ergebnis einer dramati- jaª wiederholt, nunmehr von der Stimme ge-
schen Auseinandersetzung, von groûer An- radewegs euphorisch vorgetragen: Trotz der
spannung: Das Ende ± Frieden ± ist nicht vor- aktuellen Erfahrung: Hoffnung ist mæglich! ±
stellbar ohne die vorhergehenden Angst- das war die Botschaft. Wiederum mitten im
schreie und den Blick in die Abgrçnde, die Krieg wurde die Sinfonie Nr. 5 (1943) des
¹timidamenteª darzustellen sind. Und dieser Englånders Ralph Vaughan Williams als Inbe-
Friede, ganz kurz nur intoniert, dokumentiert griff der Zuversicht empfunden: dass trotz
sich nicht, wie man vielleicht bei Beethoven aller Zerstærung und allen Chaos' schlieûlich
erwartet, mit apotheotischem Gestus; er und endlich eine friedliche Ordnung obsiegen
bleibt brçchig und hærbar gefåhrdet, so wie werde. Øhnliches wird auch von der Auffçh-
Thomas Hobbes im 16. Kapitel des Leviathan rung der Sinfonie Nr. 5 (1944/45) von Sergej
(1651) den Sachverhalt beschrieb: ¹The natu- Prokofjew berichtet. Diese Sinfonie begriff
re of war consisteth not in actual fighting, but der Komponist als ein Dokument des Sieges
in the known disposition thereto, during all çber die Kråfte des Bæsen. Nach Jahren des
the time there is no assurance to the contra- Krieges und noch im Kriege selbst sollte
ry.ª Beethovens Klangwelt hinterlåsst eben- diese Komposition einen Durchblick auf
solchen Eindruck: ¹No assurance to the con- Frieden vermitteln. Nicht erstaunlich, aber in
trary.ª 7 der Rezeptionsgeschichte kaum beachtet ist
die Tatsache, dass nicht nur die genannten
7 Zur Problematik der Interpretation von Musik-
Komponisten, sondern auch Arthur Honeg-
werken am Beispiel der Missa solemnis vgl. Hart- ger, Francis Poulenc, Harald Sñverud, Zolt—n
mut Mæller, Wie kann Frieden hærbar werden?, in: Kod—ly, Frank Martin, um nur die wichtigs-
H. Lçck/D. Senghaas (Anm. 5), S. 51±78. ten zu nennen, mit thematisch vergleichbaren

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Werken wåhrend des Zweiten Weltkriegs und Sinfonie Nr. 9 (1945) ± zum Ørger der damali-
oft unter extrem schwierigen Bedingungen, gen Kulturfunktionåre in Moskau. 8
nåmlich der Repression kçnstlerischer Arbeit
in der Folge militårischer Niederlagen, zum
Zeitgeschehen Stellung bezogen: das Schick- Klagemusik
sal ihrer von den Hitler-Truppen geknechte-
ten Nationen beklagend und doch nicht, wie Das 20. Jahrhundert kannte im Groûen und
in ihren Werke dokumentiert, ohne Frie- Ganzen und von plakativer Auftragsmusik
denshoffnung. abgesehen keine triumphierenden musikali-
schen Reaktionen mehr auf gewonnene Siege.
Der Krieg erschien jetzt vielmehr als eine zi-
Dank-Kompositionen vilisatorische, gesellschaftliche und menschli-
che Katastrophe. In den Kompositionen wur-
Kam es zum Friedensschluss, so wurde dieser den Tod, Trauer und Klage thematisiert.
frçher, vor allem wenn es sich um einen Sieg- Immer noch aktuell wirken hierbei auch
Frieden handelte, mit Musik gefeiert. Das Kompositionen aus dem 17. Jahrhundert, der
war die Stunde der Dankgesånge, der Anlass Zeit des Dreiûigjåhrigen Krieges, in denen
fçr ¹Te Deumª-Kompositionen: fçr Gottes- einst den Leiden des furchtbaren, lang anhal-
lob zur Feier kriegerischer Erfolge. Beson- tenden mærderischen Krieges Ausdruck ver-
ders mit solchen Kompositionen prågte sich liehen wurde (¹Friedens-Seufftzerª).
Georg Friedrich Håndel in das Gedåchtnis
seiner Zeitgenossen und auch der Nachwelt Protest, Trauer, Bewåltigung von Schmerz,
ein, so vor allem mit seiner viel gespielten Verzweiflung, Wut: Das sind Stichworte, die
Feuerwerksmusik (1749), die im Anschluss an sich im Hinblick auf das 20. Jahrhundert vor
den Frieden von Aachen (1748) komponiert allem auf Karl Amadeus Hartmanns Kompo-
wurde. Marc-Antoine Charpentiers Te Deum sitionen, die in diesem Zusammenhang an
(1692) war als jubilierende Reaktion auf einen erster Stelle zu nennen sind, beziehen lassen.
franzæsischen Sieg gedacht: ¹joyeux et tr s Einzelne Kompositionen dieses Komponisten
guerrierª sollte es aufgefçhrt werden! Heute zu nennen wåre willkçrlich, denn das gesamte
ist das orchestrale Vorspiel dieser Kompositi- Lebenswerk dieses Kçnstlers, an dessen 100.
on der Auftakt zu jeder Eurovisionssendung Geburtstag in diesem Jahr erinnert wird, rich-
und hat darin seine Verewigung erfahren ± tete sich gegen Diktatur, Gewalt und Krieg,
ohne jegliche Erinnerung an kriegerische besonders eindrucksvoll das Concerto fune-
Siege, aber auch heute noch mit viel Pauken bre fçr Solo-Violine und Streichorchester
und Trompeten, den ¹kriegerischenª Instru- (1939). 9 Andere Komponisten haben Orte
menten von einst, gespielt. extremer Barbarei zum Ausgangspunkt ihrer
Kompositionen gemacht: Guernica, Rotter-
Anders als nach dem Dreiûigjåhrigen Krieg dam, Lidice, Katyn, Auschwitz, Dresden, Hi-
waren nach der erneuten Weltkriegskatastro- roshima, aber auch Nanking, eine Stadt, in
phe 1945 in den nachfolgenden Jahren ¹Jubel- der japanische Truppen in einem Massaker
Geschreyª-Kompositionen nicht mehr zu er- 300 000 Chinesen ermordeten ± eine bis vor
warten. Dennoch sind Musikwerke entstan- kurzem weithin verdrångte Untat, die erst
den, in die in aller Regel rçckblickend nicht neuerdings ihre Dokumentation (Iris Chang)
nur die Kriegsleiden motivisch einflossen, und ihre kompositorische Bearbeitung
sondern eben auch die nunmehr erneut mægli- (Bright Sheng) erfahren hat. 10
che Vision eines Friedens: Darius Milhauds 8 Vgl. Andreas Wehrmeyer, Musik çber Krieg und
Sinfonie Nr. 3 ¹Te Deumª (1946), Aaron Cop-
Frieden. Die Siebente, Achte und Neunte Symphonie
lands Sinfonie Nr. 3 (1946), auch die ganz von Dmitrij Schostakowitsch, in: ebd., S. 147±165.
unter den Vorzeichen von Trauerarbeit sich 9 Vgl. Hanns-Werner Heister, ¹Ich sitze und schaue

vermittelnde Sinfonie Nr. 4 (1946) von Gian auf alle Plagen der Welt . . .ª Karl Amadeus Hartmanns
Francesco Malipiero wåren hier beispielhaft Komponieren gegen Faschismus und Krieg, in: ebd.,
zu nennen. Dmitrij Schostakowitsch entzog S. 166 ±191. Aus Anlass der Erinnerung an den 100.
Geburtstag von Hartmann vgl. Ulrich Dibelius
sich der Erwartung, das Ende des Krieges mit (Hrsg.), Karl Amadeus Hartmann. Komponist im Wi-
einer triumphalen Siegessinfonie zu krænen: derstreit, Kassel 2004.
Komik und Spott, Freude an der Parodie, 10 Vgl. Hartmut Lçck, Orte des Schreckens. Auf-

Ausflçge ins Triviale prågen das Klangbild der schrei, Empærung und stummes Entsetzen in der

APuZ 11/2005 11
Wenn in den fçnfziger Jahren und danach sem Zusammenhang zu nennen. In ihren
die These formuliert wurde, der Zivilisations- Kompositionen kommen legitimerweise agi-
bruch, wie er sich im 20. Jahrhundert in tatorische Impulse zum Tragen. Die entschei-
mehrfacher Hinsicht und an mehreren Orten dende Frage dabei ist nicht: Agitation, ja oder
ereignete, sei unverarbeitet geblieben und nein, sondern ob es Kçnstlern gelingt, den
eine ¹Unfåhigkeit zu trauernª sei zu diagnos- agitatorischen Impuls åsthetisch çberzeugend
tizieren, so gilt diese Beobachtung keines- zu bearbeiten und zu vermitteln. 13
wegs fçr eine beachtliche Zahl von politisch
sensiblen Komponisten. Im Gegenteil: Groûe Anti-Kompositionen sind politische
ausdrucksstarke, einem breiten Publikum be- Werke. Der Sachverhalt ist unleugbar und
kannt gewordene Werke von Arnold Schæn- unçberhærbar im Hinblick auf zahlreiche
berg, Paul Hindemith, Benjamin Britten, Mi- Werke, die insbesondere in der zweiten
chael Tippett, Krzysztof Penderecki, Hans Hålfte des 20. Jahrhunderts gegen Tyrannis,
Werner Henze, Luigi Nono, Isang Yun, Militårdiktatur, Folter, Polizeiterror, Macht-
Klaus Huber und anderen dokumentieren gier, Ausbeutung, Armut und Rassismus und
Trauerarbeit, so wie die nach 1933 entstande- explizit fçr Widerstand, Revolution und Frei-
nen Werke von Karl Amadeus Hartmann sol- heit verfasst wurden. Widerståndiges Gegen-
che Trauerarbeit gewissermaûen schon antizi- wartsbewusstsein zu provozieren ist ihre Ab-
pierten, was ihren unvergleichlichen Stellen- sicht. Es sind abgrçndige Hærbilder, die sich
wert in dieser Hinsicht ausmacht: nåmlich in solcher Musik auftun, vergleichbar den
eine Trauerarbeit nicht ex post, sondern ex konkret erfahrbaren Abgrçnden in einer wi-
ante! 11 derwårtigen politischen Realitåt. Dass die
Finsternis von der Herrlichkeit des Lichts
Anti-Kompositionen kçnden mæge (¹per aspera ad astraª), ist eine
Hoffnung, die angesichts solcher Weltlage
Ein durch Gewalt, Unterdrçckung, Not, Vor- viele Komponisten nachweisbar nicht mehr
urteile, Feindbilder, Nationalismus und Ras- zu teilen vermægen. Und also erwachsen aus
sismus geprågtes 20. Jahrhundert musste Anti-Kompositionen keineswegs notwendi-
zwangslåufig Abwehr und Protest provozie- gerweise ausdifferenzierte Friedensvisionen,
ren, an erster Stelle natçrlich antimilitaristi- anders als im Motto Michael Tippetts, eines
sche Kompositionen. Dabei kænnte gelten: Je dem Pazifismus zutiefst verpflichteten Kom-
subtiler die Darstellung, umso wirkungsvoller ponisten, unterstellt: ¹The darkness declares
das entsprechende Werk. Beispielsweise, the glory of light.ª
wenn in Gustav Mahlers ¹Revelgeª, einem
militårischen Weckruf (enthalten in Lieder Frieden auf Erden
nach Gedichten aus ¹Des Knaben Wunder-
hornª, veræffentlicht 1899), ein verwundeter, Die wirkliche, von Komponisten nicht allzu
sterbender Soldat, von seinen Kameraden lie- oft angenommene Herausforderung besteht
gen gelassen, noch einmal die Trommel rçhrt folglich vor allem darin, trotz aller Widrigkei-
und er mit anderen Gefallenen, einer Geister- ten der Zeitlåufte der eigenen Vorstellung von
armee also, den Feind schlågt und, geisterhaft, Frieden kompositorisch Ausdruck zu verlei-
das Nachtquartier wieder erreicht: ¹Des Mor- hen. Das geschieht, falls der Versuch unter-
gens stehen da die Gebeine in Reih und nommen wird, oft unter Zuhilfenahme von li-
Glied, sie steh'n wie Leichensteine, die Trom- terarischen Zeugnissen, insbesondere von
mel steht voran, dass sie (das Schåtzlein) ihn Bibel-Texten und Gedichten, so wenn bei-
sehen kann.ª 12 Kurt Weill, Hanns Eisler, spielsweise Arnold Schænberg sich von einem
Paul Dessau und Stefan Wolpe wåren in die- Gedicht Conrad Ferdinand Meyers zu seiner
Komposition fçr gemischten Chor a cappella
Musik des 20. Jahrhunderts, in: H. Lçck/D. Senghaas
Friede auf Erden (1911) inspirieren lieû. Das
(Anm. 5), S. 499±518.
11 Vgl. hierzu die Beitråge von Peter Petersen çber Gedicht geht zunåchst von der biblischen
Hans Werner Henze, von Hartmut Lçck çber Luigi Friedensverheiûung aus; es fåhrt fort mit der
Nono, von Walter-Wolfgang Sparrer çber Isang Yun
und von Max Nyffeler çber Klaus Huber, in: ebd. 13 Vgl. Albrecht Dçmling, Der Krieg als permanenter
12 Stefan Hanheide, Erzåhlungen von nicht mehr zu Anachronismus. Drei Komponisten um Brecht: Hanns
erreichendem Frieden. Mahlers Musik im politischen Eisler, Kurt Weill und Paul Dessau, in: ebd., S. 126 ±
Kontext, in: ebd., S. 109±125. 146.

12 APuZ 11/2005
Klage çber deren Vergeblichkeit, um in die miteinander kombinieren, also in ihren Wer-
Hoffnung, ja die Forderung zu mçnden, diese ken eine Art von interkulturellem Dialog
Verheiûung sei endlich zu erfçllen. pflegen, um darçber, wie Georg Muffat einst
im Vorwort zu seiner Anthologie von gravitå-
Frieden ohne Worte, ohne Beschriftung der tischen Concerti in vermischtem Stil (Florile-
Musik: das ist immer ein kompositorisches gium, 1695) explizit darlegte, zum Frieden
Wagnis. In der bereits zitierten Komposition beizutragen. Bla BartÕk, der ungarische
von Gustav Holst The Planets folgt auf Komponist, hatte keinen sehnlicheren
¹Mars, der Ûberbringer des Kriegesª als Wunsch, als die Verbrçderung der Vælker
zweiter Satz ¹Venus, die Friedensbringerinª trotz allem Krieg und Hader zu befærdern:
(¹the bringer of Peaceª): weit ausladend, åu- ¹Dieser Idee versuche ich ± soweit es meine
ûerst feingliedrig orchestriert, auch mit viel Kråfte gestatten ± in meiner Musik zu dienen;
Schænklang, in deutlichem Kontrast zum ers- deshalb entziehe ich mich keinem Einfluû,
ten, håmmernd-martialischen Satz. Das sich mag er auch slowakischer, rumånischer, arabi-
lyrisch vermittelnde helle Klangbild insze- scher oder sonst irgendeiner Quelle entstam-
niert sich çber Holzblåser, Hærner, Harfen, men.ª In seiner Tanzsuite (1923) finden sich
çber Glockenspiel und die Solo-Violine; die solche verschiedenartigen Einflçsse unter-
marshaften, martialischen Instrumente des schiedlicher kultureller bzw. nationaler Stile,
Kopfsatzes ± Trompeten, Posaunen ± sind in gerade auch der Volksmusik. Zeitgenæssische
solchem friedlichen Ambiente abwesend, Komponisten bemçhen sich neuerdings in
weil deplatziert. Venus vs. Mars: Das war ihren Werken um einen subtilen ¹interkultu-
nicht nur in der bildenden Kunst, sondern rellen Dialogª, der sich in der innovativen
auch in der Musik ein beliebter Topos, neuer- Textur ihrer Werke niederschlågt, so bei-
dings sogar im transatlantischen Konflikt spielsweise Klaus Huber in Lamentationes de
zwischen den USA und ¹Alt-Europaª 14. fine vicesimi saeculi (1992/94). 15

Hirten- und Schåfermusik vermittelten Im Hinblick auf die kompositorische Bear-


einst in der Barockzeit einen Inbegriff von beitung des ¹Friedensª war und ist der Bei-
Friedlichkeit, so auch pastorale Musik, wel- trag geistlicher Musik von besonderer Bedeu-
che die friedvolle Atmosphåre eines Arkadien tung. Die ræmisch-katholische Messe, darin
ausstrahlt. Neuerdings bewirkt minimalisti- vor allem das ¹dona nobis pacemª im ¹Agnus
sche Musik den gleichen Effekt: Sie låsst Au- Deiª, wurde nicht selten nicht nur im Hin-
genblicke der Beruhigung und Oasen der Stil- blick auf dessen liturgischen Stellenwert, son-
le entstehen und gleitet nicht selten, die Wi- dern auch als friedenspolitisches Zeugnis
derborstigkeit der Realitåt verleugnend, in wahrgenommen. Exzeptionell ist die Thema-
¹Friedenskitschª ab, ganz anders als Alban tisierung von ¹Friedenª in Johann Sebastian
Berg in Hier ist Friede, dem fçnften der Fçnf Bachs Messe h-moll (1733±1748), in deren
Orchesterlieder nach Ansichtskarten-Texten ¹Gloriaª der orchestrale und gesangliche
von Peter Altenberg (1912), einer Lied-Kom- Fluss der Lobpreisung Gottes durch eine
position fçr groûes Orchester, jedoch von nicht enden wollende Wiederholung des ¹et
kammermusikalischer Durchhærbarkeit, in in terra paxª regelrecht unterbrochen, ja auf-
der die Suche nach Inseln des Friedens, hier gehalten wird. So als ob Bach gegen den Wi-
als Naturfrieden imaginiert, sich kundtut derspruch der Hærer darauf insistieren
(¹Siehe, hier sind keine Menschen, keine An- wollte: ¹Ja, es gibt auch eine Ordnung des
siedlungen . . . Hier ist Friede! Hier tropft Friedens auf dieser Welt . . .ª ± allerdings ¹ho-
Schnee leise in Wasserlachen . . .ª). minibus bonae voluntatisª: Friede den Men-
schen, die guten Willens sind. Und wirken
Mit Musik Frieden stiften zu wollen kann solche Menschen als Friedensstifter, gilt
aber auch auf ganz andere Weise inszeniert ihnen, gerade auch in der geistlich motivier-
werden, beispielsweise wenn Komponisten ten Musik, die Seligpreisung: ¹Selig die Frie-
bewusst unterschiedliche nationale Musikstile densstifter, denn sie werden Gottes Kinder

14 Die Mars/Venus- (bzw. Hobbes/Kant)-Thematik 15 Vgl. Max Nyffeler, Die Urangst çberwinden. Zur

findet sich propagiert in: Robert Kagan, Macht und Dialektik von Befreiung und Erlæsung im Werk von
Gegenmacht. Amerika und Europa in der neuen Welt- Klaus Huber, in: H. Lçck/D. Senghaas (Anm. 5),
ordnung, Berlin 2003. S. 269 ±285.

APuZ 11/2005 13
heiûenª (z. B. Orlando di Lasso Beati paupe- Jærg Callieû
res. Beati pacifici, 1571; Csar Franck Les B-
atitudes, 1879; Arvo Pårt The Beatitudes,
1990/91). In Antonio Vivaldis Gloria (RV
588, nicht zu verwechseln mit dem beliebten
Vom ersungenen
und oft gehærten Gloria, RV 589) wird fçnf
Minuten lang hærbar, wie der Frieden (¹et in Frieden in
Opernwelten
terra paxª) vom Himmel herabsteigt ± ein
weithin unbeachtet gebliebener, faszinieren-
der locus classicus geistlicher Friedensmusik.
Allerdings: Vivaldis Komposition vermittelt
sich als sinnfålliger Ausdruck eines ¹verdank-
ten Friedensª: als hærbare Botschaft gættli-
chen Gnadenerweises, gemåû der eigentlich
korrekten Ûbersetzung: ¹Friede auf Erden
H artnåckig hålt sich das Vorurteil, in der
Oper wçrden wirre Geschichten gebo-
ten, die nicht viel mit Wahrscheinlichkeit und
den Menschen seiner Gnadeª. Friede: Das Wirklichkeit zu tun håtten. Zugegeben: Die
verlangt letztendlich eine positive Botschaft, Gesetze der Wahrscheinlichkeit gelten wenig
auch eine entsprechende Østhetik. Im vergan- in der Oper. Oper hat mit Realitåt offenbar
genen 20. Jahrhundert stand fçr ein solches nicht viel zu tun. Sie schafft vielmehr ihre ei-
Verståndnis fast einzigartig Olivier Messiaens gene Wirklichkeit, und gerade in ihrer Reali-
Werk. Gegen den Geist und den Lårm der tåtsferne gewinnt sie als Kunstform einen be-
Zeit wollte Messiaen in antilyrischer Umwelt sonderen Wahrheits-
mit Klangfarben, Rhythmen und Lyrismen ± anspruch. Sie ist ein Jærg Callieû
mit ¹Farben-Musikª einschlieûlich vielfarbi- Medium, in dem aus- Dr. phil., geb. 1941;
ger Vogelstimmen aus aller Welt ± dokumen- gedrçckt und erfah- Studienleiter an der Evangeli-
tieren, dass sich die Schænheit der Schæpfung ren werden kann, was schen Akademie Loccum, Hono-
auch heute offenbart. In dieser Orientierung Worte nicht zu fassen rarprofessor für Friedensfor-
war sein Verståndnis von Frieden, auch sein vermægen. Gerade schung am Historischen Semi-
kompositorischer Beitrag zum Frieden be- weil der Mensch sich nar und am Institut für
grçndet. anders als im alltågli- Sozialwissenschaften der TU
chen Leben mitteilt, Braunschweig.
Die bleibende Herausforderung sein Fçhlen und Den- Am Scheibenstand 1,
ken, Reden und Han- 31547 Loccum.
In den Tænen klassischer Musik findet sich deln als Gesang vor- Joerg.Calliess@evlka.de
die Friedensproblematik vielfåltig, hier nur fçhrt, eræffnet die
ausschnitthaft und illustrativ darstellbar, bear- Oper spezifische Mæglichkeiten zur Ergrçn-
beitet. Was Menschen zu verschiedener Zeit dung und Deutung menschlicher Identitåt
in dieser Hinsicht umgetrieben hat ± Kriegs- und gesellschaftlicher Realitåt. Vielleicht
ångste und die Sehnsucht nach Frieden sowie sogar der Welt des Politischen?
das gesamte Spektrum von historischen und
lebensgeschichtlichen Erfahrungen dazwi- Immerhin handeln viele Opern von Macht
schen ± wird auch in und durch Kompositio- und Herrschaft und davon, wie das Zusam-
nen hærbar. Musikwerke dieses Genres haben menleben der Menschen geordnet und gestal-
eine Botschaft ± heute mehr denn je eine Frie- tet wird. Wir erleben Auseinandersetzungen
densbotschaft. Ob sich solche kçnstlerischen und Konflikte, aber auch das Ringen um Ver-
Erzeugnisse jeweils als Kunstwerke bewåh- trauen und Gemeinschaft, erfçlltes Leben
ren, unterliegt jedoch ± darin ist Eduard und gelingendes Zusammenleben. In welchen
Hanslick zuzustimmen ± einer Beurteilung Kulissen und hinter welchen Masken die Per-
nach åsthetischen Kriterien, nicht in erster sonen auch immer agieren mægen: Was uns
Linie einem politischen Urteil. von ihnen erzåhlt wird, berçhrt nahezu
immer zentrale politische Fragen: Treue und
Verrat, Unterdrçckung, Ausbeutung und Be-
freiung, Ordnung und Utopie, Verhåltnisse
und Verhinderung. Oft geht es um die groûen
Ideen von Freiheit und Selbstbestimmung,
Recht und Gerechtigkeit, um Verstrickung

14 APuZ 11/2005
und Schuld, Gnade und Versæhnung. Und Opern, in denen Krieg herrscht. Ob wir es
auffållig oft geht es um Frieden. 1 Allerdings mit einer Opera seria, mit einer Tragdie lyri-
wird er kaum als Zustand, als glçcklich ge- que oder mit der Hamburger Bçrgeroper zu
lebte Realitåt vorgestellt. tun haben ± Krieg ist da allgegenwårtig, ein
gleichsam natçrliches Phånomen. Er ist pro-
Immerhin haben in der Barockzeit Kom- bates Mittel der Politik. Seine Legitimitåt
ponisten ihrem Publikum håufiger eine Welt wird nicht in Zweifel gezogen. Im Vorder-
des Friedens vorgestellt. Zumeist ist sie in grund der erzåhlten Geschichten steht meist
Gefilden angesiedelt, die weit entfernt sind nicht der Krieg selbst sondern Personen. Um
von der Welt, in der die Zuschauer sich aus- ihre Gefçhle und Beziehungen, Håndel und
kennen. In idyllisch-låndlichen Szenen wird Konflikte geht es. Vorangetrieben wird die
vorgefçhrt, wie hier Hirten eintråchtig zu- Handlung durch Hader und Zank, Kabalen,
sammenleben. Die Geschichten sind meist Intrigen, Verrat und eben Krieg. Mit Krieg
harmlos und schlicht. Es geht um Liebe und werden eigene Interessen verfolgt, Streitfålle
Glçck und wie beides sich finden låsst. Ent- entschieden und Ziele durchgesetzt. Im Krieg
scheidend ist nicht die Handlung, die kaum zu bestehen, Mut und Entschlossenheit, Kraft
Ûberraschungen bereithålt. Entscheidend ist und Geschick zu beweisen, schafft Ehre und
vielmehr, wie hier in Romanzen und Arien, Ruhm, Anerkennung und Macht. Im Krieg
Duetten, Chæren und Divertimenti fçr Tanz- bewåhren sich Månner als Helden. Kåmpfen
einlagen eine Aura der Harmonie und des und Siegen wird ihnen zum Sinn des Lebens.
Friedens geschaffen wird. Diese Welten des Nur als tapfere und erfolgreiche Helden
Friedens sind gleichsam der idealtypische Ge- haben sie Anspruch auf Liebe und Glçck.
genentwurf zu der Welt, in der und mit der
die Zuschauer eigene Erfahrungen haben Auch wenn Krieg nicht eigentlich das
sammeln kænnen. Thema der Librettisten und Komponisten
war, so hat er in den Opern des Barock also
Pastoralopern, wie sie im 17. und 18. Jahr- doch einen zentralen Stellenwert. Er wird
hundert so beliebt waren, gibt es im 19. und dementsprechend auch vielfåltig hærbar. Auf-
20. Jahrhundert nicht mehr. In ein realitåts- mårsche der Kåmpfer und Krieger werden
entrçcktes Arkadien sollten die Zuschauer gern fçr lautstarke und rhythmisch akzentu-
nicht weiter entfçhrt werden. Friedensidyllen ierte Musik benutzt. Vielfåltig erhalten die
wurden nun eher in einem biederen bçrgerli- Kåmpfer und Krieger Gelegenheit, sich in vir-
chen Milieu angesiedelt. Das sind nicht mehr tuosen Musiknummern als Helden vorzustel-
die idealtypischen Gegenentwçrfe zu einer len. Da machen sie aus ihrer Begeisterung fçr
Welt, deren Unfriede als Problem und ståndi- Streit und Kampf keinen Hehl und singen
ge Herausforderung empfunden wird; das davon, wie sehr sie danach dçrstet, in der
sind vielmehr selbstzufriedene Affirmationen Schlacht ihren Mut und ihre Stårke zu bewei-
der spieûbçrgerlichen Verhåltnisse, in denen sen. Nicht selten hæren wir zudem Arien oder
man es sich so behaglich eingerichtet hat. auch Chære, in denen zu den Waffen gerufen
wird oder mit denen die Kåmpfenden ermu-
Frieden ist freilich in der Oper ohnehin tigt werden sollen. Fçr die Geschichte der
nicht wirklich heimisch. Ûberraschend oft Oper sind der Untergang des Ancien Rgime
spielen nåmlich die Geschichten, die uns in und der Beginn des Bçrgerlichen Zeitalters ein
der Oper erzåhlt werden, unmittelbar vor, in tiefer Einschnitt. Aber der Krieg verschwindet
oder direkt nach einem Krieg. Schon im 17. damit nicht etwa von der Opernbçhne.
und 18. Jahrhundert gab es ungezåhlte
Und so haben wir weiter Gelegenheit, Mår-
1 Zur weiteren Vertiefung in das Thema vgl. Jærg Cal- sche, Kampfrufe, Kriegsgeschrei und Schlach-
lieû, Flçchtige Tæne ± Ewiger Frieden. Fçnf Prålimi- tenlårm zu hæren. Sie klingen nun aber anders.
narartikel fçr die Erkundung der Opernbçhne in Ab- Schon in den Befreiungs- und Revolutions-
sicht auf den Frieden, in: Ulrich Menzel (Hrsg.), Vom opern Ende des 18. und Anfang des 19. Jahr-
Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen, hunderts haben die Mårsche durch punktierte
Frankfurt/M. 2000, S. 575 ±606; ders, Frieden ist in der
Rhythmen eine neue, vorwårtstreibende Dy-
Oper nicht heimisch. Drei Versuche einer Vermessung
der Opernbçhne in Absicht auf den Frieden, in: Hart- namik. Spåter werden sie zusehends mit Pa-
mut Lçck/Dieter Senghaas (Hrsg.), Vom hærbaren thos aufgeladen und nicht selten national ein-
Frieden, Frankfurt/M. 2005, S. 365±410. gefårbt. Die Musik fçr den Aufmarsch be-

APuZ 11/2005 15
gnçgt sich nicht långer damit, das Schreiten genug Andeutungen in dem Libretto, um
von Truppen im Rhythmus und Tempo zu re- den Krieg, in dem die Geschichte handelt,
geln. Sie inszeniert den Aufmarsch selbst als historisch-politisch zu identifizieren. Aber
bedeutsames heroisches Ereignis. Kriegsgrund, Kriegsparteien und Kriegsver-
lauf interessieren den Librettisten Piave und
Auch pathetische Selbstinszenierungen von den Komponisten Verdi nicht in erster Linie.
Helden, Kampfrufe und Kriegsgeschrei gibt es Ihr Interesse gilt entschieden mehr den Perso-
in den Opern des 19. und 20. Jahrhunderts nen, die sie auf die Bçhne bringen: Leonore,
weiter. Hçons heroische Arie in Webers Obe- Alvaro und Carlo. Von ihnen wollen sie erzåh-
ron (1826) und Sobinins åhnlich auftrumpfen- len und davon, wie ihre Schicksale miteinan-
de Arie in Glinkas Ein Leben fçr den Zaren der verknçpft sind. Und doch ist bemerkens-
(1836) etwa sind ganz ungebrochene Øuûe- wert, wie viel Sorgfalt und Phantasie Piave
rungen traditionellen Helden- und Kåmpfer- und Verdi auf die Zeichnung der sozialen und
tums. Und wenn Manrico in Verdis Il Trova- politischen Zusammenhånge verwenden, in
tore (1853) zu den Waffen ruft, hat das mitrei- denen ihre Protagonisten stehen und auf die
ûenden und Beifall provozierenden Schwung. sie zu reagieren haben. Dabei zielt ihr Inte-
In Bellinis Norma (1831) sind es gallische resse nicht darauf, einen bestimmten his-
Druiden und Krieger, die in schier rasenden torischen Krieg mæglichst adåquat abzubil-
Chæren nach Krieg schreien, und in Aida den. Vielmehr setzen sie eine Vielzahl von
(1871) reiût der Kampfruf, mit dem der ågyp- Mosaiksteinchen zusammen, um das Leben
tische Feldherr angefeuert wird, die Øthiopier der Menschen, die im Krieg und vom Krieg
zu schlagen, gar die åthiopische Sklavin mit. leben, ohne Romantisierung und ohne Pathos
auf die Bçhne zu bringen: Wir erleben im 2.
Spåtestens hier wird deutlich, wie wichtig Akt, wie die Zigeunerin Preziosilla Kriegsbe-
es ist, die jeweilige Eigenart der Musiknum- geisterung schçrt; wir bekommen im 3. Akt
mern, in denen wir etwas von Kriegen und ein facettenreiches Gemålde vom Treiben der
Kåmpfern hæren, genau zu erfassen und zu verrohten Soldateska vorgefçhrt, die sich
deuten. Wichtiger dçrfte aber noch die Veror- durch Spiel, Raub, Prostitution, Saufen und
tung solcher Nummern in der semantischen krampfhafte Fræhlichkeit çber die Leere ihres
Struktur der erzåhlten Geschichte sein. Das Daseins hinwegtåuscht; wir hæren den
erfordert die sorgfåltige Beschåftigung mit Schlachtenbericht eines Chirurgen und sehen,
jeder einzelnen Oper. wie verzweifelt um das Leben verwundeter
Nehmen wir als Beispiel Verdi, einen der Krieger gerungen wird. Und wenn sich
wichtigsten Opernkomponisten des 19. Jahr- schlieûlich im letzten Akt eine Schar von Bett-
hunderts. Er hat 26 Opern geschrieben. Nur lern um einen Læffel Suppe aus der Kçche des
fçnf davon haben nichts mit Krieg zu tun. Klosters rauft, erfahren wir, welch grenzenlo-
Aber wie unterschiedlich wird bei Verdi die ses Elend und welch åuûerste menschliche
Frage nach dem Krieg und nach dem Verhålt- Entwçrdigung der Krieg verursacht hat. Eine
nis von Macht- und Gewaltrealitåten und wirkliche Beziehung zur Tragædie selbst
dem Ringen der Menschen um gelingendes scheint das alles freilich nicht zu haben. Die
Leben thematisiert! Tragædie folgt vielmehr ihrer eigenen Dyna-
mik und entfaltet sich in zahllosen Ungereimt-
In Attila (1846), La battaglia di Legnano heiten und Unwahrscheinlichkeiten. Und
(1849) oder Nabucco (1842) werden ihm die doch ist es dieses Panorama des Krieges, auf
jeweiligen historischen Stoffe zur Projekti- das sich die Schicksale der Hauptfiguren
onsflåche fçr ein wie auch immer konkret gleichsam projizieren. Wenn Alvaro klagt,
ausgefaltetes Risorgimento-Anliegen. Die Be- dass ihm das Leben zur Hælle geworden sei,
freiung, wo nætig durch Kampf, wird in den und wenn Leonora in einem aufwçhlenden
Mittelpunkt gestellt, wenn auch nicht ausge- Gebet um Frieden bittet, dann sind das natçr-
blendet bleibt, was dieser Kampf kostet, wie lich Øuûerungen von Menschen, die unter
Menschen in ihm und durch ihn leiden, viel- ihrem ganz persænlichen Schicksal leiden. Es
leicht gar sterben. sind aber auch Stimmen von Geschundenen,
die auf dem Leidensweg von Menschen im
Das ist allerdings weit entfernt von der Ri- Krieg zugrunde gehen. Frieden haben sie
gorositåt, mit der Verdi das Thema in La forza kaum kennen gelernt, und wenn sie ihn erseh-
del destino (1862) behandelt. Zwar gibt es nen, denken sie an nichts als an den Tod.

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Das Thema, mit dem wir es zu tun haben, Welt von allen Sçnden erlæst wçrde und dann
wenn in der Oper Krieg herrscht, ist die ein Reich des Friedens errichtet werde.
Spannung zwischen gesellschaftlichen Macht-
und Gewaltverhåltnissen und der Identitåt, In den Opern des 19. Jahrhunderts wird in
dem Gefçhl, dem Handeln und Leiden von den Momenten, die wir als friedvoll wahrneh-
Individuen. Das Thema ist nicht der Krieg men, auch oft die Nåhe des Menschen zur
selbst, sondern der Mensch im Krieg. Natur, in der er Harmonie und Ruhe erfåhrt,
ausgemalt. Die christliche Zusage, dass der
Mag die Welt des Krieges in Opern gele- Heiland die Gerechten in ein Reich des Frie-
gentlich harmlos dargestellt werden oder aber dens fçhren wird, ist darin aber kaum mehr
gar idealisiert und glorifiziert, es fehlt nicht aufbewahrt. Es ist die Natur selbst, die fçr
an Werken, in denen die Sinnlosigkeit und den Frieden steht und im Menschen eine
der Schrecken hæchst eindrçcklich werden. Reinheit der Empfindung evoziert, ihn Frie-
La forza del destino und Aida sind solche den finden låsst. In den Opern von Schubert
Werke, Les Troyens (1863) von Berlioz und und Weber finden sich dafçr genauso Bei-
im 20. Jahrhundert insbesondere Bergs Woz- spiele wie bei Rossini, Meyerbeer und Ber-
zeck (1925) und Bernd Alois Zimmermanns lioz, Donizetti und Verdi, Smetana, Dvorϗk
Die Soldaten (1965). Die meisten vermeiden oder Rimski-Korsakow, ja sogar noch bei
plakative Eindeutigkeit, aber sie lassen uns er- Hindemith, Hartmann oder Henze.
fahren, dass das Brutale, Zerstærerische, Un-
geheuerliche nicht eine singulåre Katastro- Nicht selten werden Bilder des Friedens
phe, sondern alltågliche Realitåt ist. Nicht ganz am Anfang der Opern gemalt. Im weite-
durch rationale Argumente, sondern durch ren Gang der Handlung mçssen wir dann er-
die Anteilnahme an dem Schicksal derer, die leben, wie dieser Friede verspielt und zerstært
im Krieg und am Krieg leiden, lernen wir: So- wird. Nirgends ist das eindrçcklicher vorge-
lange es eine solche Kultur des Krieges gibt, fçhrt als in der groûen Trilogie Der Ring des
haben Menschen keine Chance auf ein men- Nibelungen von Wagner. Ganz am Anfang
schenwçrdiges Leben. von Das Rheingold (1869) låsst uns Wagner
gleichsam den Ur-Frieden erleben. Noch ist
Wenn wir in den ungezåhlten Opern, die die Welt heil. Zerstært wird sie durch die Gier
im Krieg handeln, etwas hæren, was in uns nach Besitz und das Streben nach Macht.
ein Bild von Frieden erweckt, dann sind das Davon handeln dann die 17 Stunden, in
meist nur kurze Momente. Da wird die All- denen Wagner seine Weltdeutung entfaltet.
gegenwart von Streit, Kampf und Krieg fçr
eine wundersame Weile ausgesetzt, låsst sich Was Frieden einst war oder dereinst sein
ein Vorschein des Friedens, den zu schaffen kænnte, lebt aber in den Herzen der Men-
in dieser Welt nicht gelingen will, hæren. Sol- schen. Und so gibt es in der Oper immer wie-
che Momente gab es schon in den Opern des der Arien, Ensembles oder Chære, in denen
17. und 18. Jahrhunderts. Ein besonders schæ- die Sehnsucht nach Frieden ausgedrçckt und
nes Beispiel ist die berçhmte Arie des Xerxes um Frieden gebetet wird. Leonoras groûe
in Håndels gleichnamigen Werk (1738). Der Arie ¹Pace, pace! Mio dioª in Verdis La forza
Heerfçhrer und Frauenverfçhrer ist von sei- del destino steht genauso dafçr wie die Ge-
nen Eroberungen ermçdet und setzt sich bete des Dosifej in Khovanshchina (1885) von
unter eine Platane, in deren Schatten er Ruhe Mussorgsky, Reginas Lied in Hindemiths
und ein bisschen Frieden findet. Bezeichnen- Mathis der Maler (1938) oder die Hoffnungs-
derweise steht dieses Larghetto ± das in unse- gesånge des Gefangenen in Dallapiccolas Il
rer Zeit als Largo Karriere bei sakralen Anlås- prigioniero (1949).
sen macht ± in der Tonart F-Dur, die vielfach
bei der Zeichnung pastoraler Idyllen bevor- Bitten um Frieden und Momente des Frie-
zugt wurde. Noch interessanter ist aber die dens in der Oper, mægen sie auch noch so
Nåhe zu Ton und Gestus, den Håndel in Der flçchtig und unwirklich sein, sind von wun-
Messias im Duett ¹Er weidet seine Schafeª dersamer Kraft. In solchen Momenten ge-
anschlågt. Die Imagination des Friedens ist lingt, was nach Schiller vornehmste Aufgabe
offensichtlich zugleich verbunden mit der Er- der Kunst ist: die Vergegenwårtigung und
innerung an ein verlorenes goldenes Zeitalter Wiederaneignung eines Ideals, das verloren
wie mit der Zusage des Evangeliums, dass die ging in den Wirren der Menschheitsge-

APuZ 11/2005 17
schichte, eines Ideals, das die Menschen neu gie. Die Figuren sind auf Grundcharaktere re-
ergreifen muss und ihrem Denken und Han- duziert, mehr Typen als Personen. Der Tyrann,
deln einen tieferen Grund und einen hæheren die Liebende, der tapfere Held, die unschuldig
Sinn geben kann. In der Oper werden dafçr Leidende, der bæse Verråter, die ehrgeizige
nicht Argumente entfaltet und Diskurse ge- Frau sind in allen Verkleidungen dieselben. In
fçhrt. Ihre Botschaft vermittelt die Oper der Handlung begegnen sie uns vor allem als
nicht durch die sinnstiftende Macht des Wor- Tråger bestimmter Affekte. Aber auch die
tes. Es ist die Macht der Musik, die dem Ideal Handlung selbst ist standardisiert. Sie folgt
Glanz und Strahlkraft gibt. Sie erreicht das einem klaren Ablaufschema von der Expositi-
Gefçhl, die Seele der Menschen. Darin liegt on çber die Entwicklung und die Peripetie zur
eine Kraft, die Menschen und Wirklichkeiten Læsung. So durchschaubar die Gefçhle der
veråndern kann. Personen, so vorhersehbar sind ihre Handlun-
gen. Darum sind alle Probleme und Konflikte
Mægen die Geschehnisse noch so turbulent auch læsbar. Der glçckliche Ausgang, das
und verworren sein, die wir in den Opern der ¹lieto fineª, ist die natçrliche, notwendige
verschiedenen Zeiten miterleben, mægen die Krænung des dramatischen Geschehens.
Konflikte noch so leidenschaftlich ausgetra-
gen werden, mægen Gewalt und Krieg auch Ein bevorzugter dramaturgischer Mecha-
noch so allgegenwårtig sein ± wenn der Vor- nismus zur Beendigung von Zwietracht und
hang schlieûlich fållt, ist das alles meist vor- Streit und zur Herstellung von Frieden ist die
bei. Am Ende herrscht Friede. Aber was fçr Niederwerfung und Ausschaltung der Wider-
ein Friede ist das? Und ± wichtiger noch ± sacher. Håufig werden Feindschaften und
wie ist er gewonnen worden? Kåmpfe auch durch eine Hochzeit beendet.
In der Vermåhlung des jungen Paares begrçn-
Die Frage ist leicht gestellt. Aber låsst sie det sich eine neue Ordnung, in der Frieden
sich beantworten? Gewiss nicht in Verallge- herrschen wird und Liebe und Glçck blçhen
meinerungen. Wir begegnen in der Oper zu kænnen. Bedeutsam fçr die Stiftung von Frie-
allen Zeiten einer Vielzahl von Geschichten, den in der ¹opera seriaª ist aber doch etwas
und die meisten sind mehrsinnig und råtsel- anderes: Meist geschieht die Læsung der Kon-
haft. Wenn gleichwohl nun einige verallge- flikte durch den plætzlichen Durchbruch
meinernde Anmerkungen zu den narrativen eines der Protagonisten zu græûter menschli-
Schemata gemacht werden, mit denen die Er- cher Erhabenheit. Sein Groûmut und seine
zåhlungen in der Oper zu Ende gebracht wer- Gnade çberwinden die Gråben der Feind-
den, so geschieht das nur, um zu eigenen Ent- schaft und heilen die Wunden, welche die
deckungen und Erfahrungen in der Welt der Kåmpfe schlugen. Auf sie kann eine Ordnung
Oper anzustiften. des Friedens gegrçndet werden.

Im 17. und 18. Jahrhundert konnten die Die Fixierung auf den glçcklichen Ausgang
Besucher darauf rechnen, dass die Geschichte erklårt sich zum einen aus der engen Verbin-
einen guten Ausgang nimmt. Ja, die Erwar- dung der Oper mit dem festlichen Zeremoni-
tung des Publikums war geradezu darauf ell, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert be-
fixiert, dass die Konflikte gelæst, Streit und stand. Irdische und gættliche Gerechtigkeit
Krieg beendigt und Frieden gewonnen wird. werden darin parallelisiert, und das feudale
In der Frçhzeit der Oper war die Handlung Herrschertum wird zugleich legitimiert und
allerdings oft so unçbersichtlich, dass es eines verklårt. Das Opernfinale zeigt den Sieg eines
aus dem Kulissenhimmel einschwebenden moralisch begrçndeten Tugendbegriffes und
Gottes bedurfte, um in der aus den Fugen ge- entfaltet dadurch normbildende Kraft. Diese
ratenen Welt Frieden zu schaffen. Zu Beginn Kraft wird in den Dienst einer Stårkung der
des 18. Jahrhunderts zielten durchgreifende bestehenden sozialen und politischen Ord-
Reformbemçhungen darauf, die Handlungs- nung gestellt. Allerdings dçrfte die Fixierung
ablåufe çberschaubar und das Geschehen auf den glçcklichen Ausgang noch eine ande-
damit verståndlich zu machen. re Quelle haben. Das Urbild des ¹lieto fineª
ist die Apotheose, die Versæhnung, das not-
Zumal in der italienischen ¹opera seriaª wendige Aufgehen in Harmonie, die nach da-
herrscht danach eine rationale, dem Vernunft- mals noch gångiger Meinung einfach in der
glauben des Zeitalters verpflichtete Dramatur- ¹Naturª der Tæne liegt. Der Friede, der am

18 APuZ 11/2005
Ende der ¹opera seriaª besungen wird, er- Herrschaft des Grafen und seiner Gnade zu
wåchst aus der Kraft und der Fåhigkeit der unterwerfen. Die Herstellung des Friedens
Musik, Harmonie herzustellen. geschieht in dem vielleicht wunderbarsten Fi-
nale der gesamten Operngeschichte in einem
In dem Maûe, in dem der Absolutismus als Versæhnungsgeschehen, das mehr beinhaltet
Herrschaftsordnung und als Garant von Frie- als das Verzeihen von Verfehlungen und
den fragwçrdig wurde, verlor das Modell des einen zeitlich begrenzten Brçckenschlag.
¹lieto fineª seine Leuchtkraft. Angesichts Hier geht es nicht darum, eine wie auch
einer zunehmenden sozialen Differenzierung immer geartete alte Ordnung wieder zu hei-
und Dynamik, angesichts einer fortschrei- len. Hier wird eine neue Ordnung geschaffen,
tenden Individualisierung und angesichts die Ordnung einer versæhnten Beziehung, es
der Entwicklung von Selbstbewusstsein und wird ein Bund zwischen Menschen geschlos-
Selbstverantwortung bei immer mehr Glie- sen, die sich in all ihrer Unvollkommenheit
dern der Gesellschaft konnte das Muster der und Eigenheit ohne jede Illusion sehen. Und
Friedensstiftung durch die Gnade eines Herr- dieser Bund ist offen fçr andere. Er lebt aus
schers, mochte er auch noch so edel und groû- dem Geist der Humanitåt, die jede Anma-
herzig sein, nicht mehr als Wegweiser fçr eine ûung von Ungleichheit aufgeben kann. Die
unter Konflikten und Kåmpfen leidende Welt Menschen finden in ihm zueinander, indem
gelten. So werden denn in den Opern Ende sie ihre Gefçhle wahr und tief zulassen und
des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts neue mitteilen, ehrlich zueinander sind und sich
Muster entfaltet, nach denen eine Geschichte gegenseitig anerkennen. Das Ensemble, in
zum guten Ende gebracht werden kann. dem die einzelnen Stimmen die von der Grå-
fin angestimmte Melodie mit spezifischen
Wie kein anderer hat Mozart sich in seinen Abwandlungen aufnehmen und hæchst kunst-
Opern auf das Problem eingelassen, dass die voll miteinander verwoben werden, hat eine
traditionellen Vorstellungen çber die Bedin- magische Wirkung, die Raum und Zeit zu
gungen und Mæglichkeiten friedlichen Zu- transzendieren scheint. Manchem mag das
sammenlebens nicht mehr taugen. Selbst in nach Utopie klingen. Fçr Mozart aber ist das
den Opern, die noch dem ¹opera seriaª-Mo- Allzumenschliche nicht etwa aufgehoben,
dell folgen, macht er deutlich, dass der sondern ausdrçcklich eingebunden. Die Ver-
Zwang zum ¹lieto fineª keine Antwort auf sæhnung, die eine Sozietåt der Gleichen
das geben kann, was die Menschen entzweit schafft, ist bei ihm ein innerweltliches Pro-
und gegeneinander treibt. jekt, das Frieden ganz konkret begrçndet und
trotz aller menschlichen Unzulånglichkeit
Vor allem in seiner Commedia per musica und çber alle Gegensåtze und Konflikte hin-
Le Nozze di Figaro (1785) entfaltet Mozart weg immer wieder erneuern kann.
dann gleichsam eine eigene Theorie des Frie-
dens. Wenn wir irgendwo in der Oper eine Ganz anders sieht das Projekt aus, das we-
Auseinandersetzung mit der Frage nach den nige Jahre nach Le Nozze de Figaro auf den
Bedingungen und Mæglichkeiten des Friedens Opernbçhnen Europas in Mode kam: Einige
finden, die dem Ernst der Frage gerecht wird wenige Jahre lang begeisterte sich das Publi-
und zeitlose Antworten gibt, dann in diesem kum ± zuerst in Frankreich, bald in allen Me-
Werk. Die von Beaumarchais çbernommene tropolen Europas ± an den Schreckens- und
Ausgangskonstellation ist vorgegeben durch Rettungsopern mit ihrer oft kruden Verbin-
die ståndische Schichtung des Ancien R- dung von rohem, abenteuerlichem Realismus
gime. Aber spåtestens im Finale des 4. Aktes und kçhnem Rettungspathos. Vielleicht
wird offenbar, dass die auf Ungleichheit ge- wåren die Schreckens- und Rettungsopern
bauten Strukturen dieses Regimes nicht mehr långst vergessen, håtte nicht Beethoven in Fi-
tragen, dass die traditionellen Muster, Ord- delio (als Leonore 1805 uraufgefçhrt, çberar-
nung und Frieden zu gewåhrleisten, nicht beitet 1806 und in der dritten Fassung als
långer funktionieren. Der Graf ist nicht mehr Fidelio 1814) eine Geschichte erzåhlt, deren
der Souverån, der richten und ordnen kænnte, åuûerer Handlungsverlauf ganz in dieser
und die anderen Personen der Handlung Tradition steht.
haben långst Selbstbewusstsein gewonnen
und sich als autonome Persænlichkeiten ent- Der glçckliche Ausgang der von Unfreiheit
deckt. Sie sind nicht mehr willens, sich der und Unterdrçckung handelnden Oper wird

APuZ 11/2005 19
in einem Finale vollzogen, das mit dem Auf- bringt im 19. Jahrhundert kaum einer der
tritt eines Ministers beginnt und in dem das groûen Opernkomponisten mehr auf.
Aufschlieûen der Ketten Florestans durch
seine Gattin Leonore zu einem tief bewegen- Im 20. Jahrhundert, im Jahrhundert der
den Augenblick gestaltet ist. Dann aber bricht Extreme, im Jahrhundert, das durch verhee-
ein Jubel aus, der alle und alles mitreiût. Die rende Weltkriege, Massenmorde und Genozi-
individuellen Schicksale gehen auf in dem de geprågt ist, in dem aber auch die Men-
chorischen Enthusiasmus, der Gattenliebe schenrechte und die Demokratie zunehmend
und Humanitåt besingt, vor allem aber den Verbreitung fanden, gibt es weiter viele
Sieg der Idee der Freiheit: Beethovens Musik Opern, die von Ausweg- und Hoffnungslo-
låsst hier die von seinen Librettisten konstru- sigkeit geprågt sind. Zwar geht es den Libret-
ierte Opernhandlung hinter sich und gestaltet tisten und Komponisten jetzt oft vor allem
die Raum und Zeit çberschreitende Vision darum, das Innenleben der Menschen, ihre in-
einer Hoffnung. Weder Mozarts humanes nere Bedrångnis und Zerrissenheit oder ihre
Projekt eines versæhnenden Friedensschlusses Entfremdung und Einsamkeit zu erkunden,
noch Beethovens Østhetik der Menschheits- uns etwas çber ihr Unbewusstes und Verbor-
befreiung haben in der Oper des 19. Jahrhun- genes mitzuteilen, aber sie teilen uns meist
derts Nachfolger gefunden. auch etwas çber die Verhåltnisse mit, in
denen diese Menschen leben. Und nicht sel-
Im 19. Jahrhundert werden in den Opern ten wird der Unfriede der Welt gespiegelt in
immer Geschichten erzåhlt, deren innere der Friedlosigkeit der Figuren und die Fried-
Spannungen und Widersprçche sich nicht losigkeit der Figuren als Quelle der Unfåhig-
mehr in einem glçcklichen Ende auflæsen keit zum Frieden entdeckt. Solche Geschich-
lassen. Ob wir in Bellinis Il Pirata (1827) ten kænnen keinen guten Ausgang finden.
oder Norma (1831), Halvys La Juive
(1835), Donizettis Lucia di Lammermoor Aber es gibt im 20. Jahrhundert denn doch
(1835) oder Roberto Devereux (1837), in wieder Opern, in denen die Geschichten zu
Meyerbeers Les Huguenots (1836), Verdis einem guten Ende gefçhrt werden. Sie sind
Ernani (1844) oder Aida (1871) gehen, freilich oft nicht unverdåchtig, konkreten po-
immer erleben wir, dass die Protagonisten litischen Interessen mehr verpflichtet zu sein
den ersehnten Frieden allein im Tod finden als dem Anliegen, eine Welt des Friedens zu
kænnen. Die Opernbçhne ist nicht långer der entwerfen. Sozialistische Autoren etwa haben
Ort, an dem die Idee des Friedens als Mæg- zahlreiche Bçhnenwerke geschaffen, deren
lichkeit, die sich konkret realisieren lieûe, dramaturgische Muster ganz von der Fixie-
vorgestellt wird. Auf ihr werden wir viel- rung auf die Befreiung durch mutiges Han-
mehr mit emphatisch scheiternden Lebens- deln und entschlossenen Kampf gegen
tråumen konfrontiert. Und wir erfahren, Fremdherrschaft und Unterdrçckung geprågt
dass diese Lebenstråume scheitern, weil die sind. Der glçckliche Ausgang ist gesichert,
sozialen und politischen Verhåltnisse ihnen wenn alles niedergeworfen und vernichtet ist,
keinen Raum geben. was die Selbstbestimmung der werktåtigen
Klassen hindern kænnte. Ein Leben in Frei-
In vielen Opern des 19. Jahrhunderts steht heit, Gerechtigkeit und Frieden wird nur ge-
am Ende nicht nur Sterben und Tod der Pro- nieûen kænnen, wer erst einmal zu Aufstand,
tagonisten, sondern gleich die groûe Kata- Revolution und Krieg bereit ist.
strophe, der Untergang. Ûberleben kann die
Aussicht auf eine Wendung zum Guten, auf Ein ganz anderes Muster fçr die Herbeifçh-
Glçck und Frieden im 19. Jahrhundert fast rung eines glçcklichen Endes erleben wir in
nur im Lustspiel. Bei Wagner bleibt immerhin Der Friedenstag (1938) von Strauss. Die natio-
in der Musik, die nach dem Weltenbrand der nalsozialistische Zensur lobte die darin ausge-
Gætterdåmmerung (1876) in einem visionåren drçckte heroische Haltung und befand, dass
Epilog von Erlæsung spricht, noch die Hoff- der in der Oper propagierte Pazifismus ¹auch
nung aufgehoben, dass es eine andere Welt der Pazifismus des Fçhrersª sei. Die Oper
geben kænnte, in der Menschen in Frieden handelt von der erbitterten Verteidigung einer
leben werden. Aber den Mut, eine solche Festung im 30jåhrigen Krieg. Als sie kaum
Welt konkret zu denken, wie das Mozart am mehr zu halten ist, ertænt çberraschend måch-
Ende des 18. Jahrhunderts noch getan hat, tiges Glockengelåut, das den Abschluss des

20 APuZ 11/2005
Friedens verkçndet. Woher der Frieden Hartmut Lçck
kommt, wer ihn ausgehandelt hat, wie er mæg-
lich wurde und was das eigentlich fçr ein Frie-
de ist, erfahren wir in der Oper nicht. Ûberra- Musik in einem
unfriedlichen
schend und unmotiviert bricht er plætzlich
aus. Und dann wird er in einem C-Dur ge-
ståhlten Finale besungen, das etwas affirmativ

Zeitalter
auftrumpfend Eindeutiges hat. Dieser Friede
hat etwas gewaltsam Ûberwåltigendes.

Ob man den Schluss von Brechts/Dessaus


Die Verurteilung des Lukullus (1949) als be-
friedigenden Schluss empfinden kann, mag
dahingestellt bleiben. Sicher aber ist das Werk K omponisten leben mit ihren Klangvor-
stellungen nicht zufållig in einer be-
stimmten Epoche, sondern sind von den ge-
eine radikale und musikalisch beredte Ab-
rechnung mit Raubzçgen und Kriegstaten. sellschaftlichen und kulturgeschichtlichen
Am Ende steht der Urteilsspruch des Toten- Geschehnissen ihrer Lebenszeit nicht zu tren-
gerichts, der Lukullus und wohl auch den nen. Als Ludwig van Beethoven die Schiller-
Kriegsverbrechern aller Zeiten gilt: ¹Ah ja, Zeile ¹Alle Menschen werden Brçderª kom-
ins Nichts mit ihm, ins Nichts!ª Die lakoni- ponierte ± im Finale seiner Neunten Sinfonie
sche Archaik des Rhythmus vermittelt den (1822±1824) ±, konnten er und die begeister-
Eindruck eines Weltgerichts. ten Hærer der Urauf-
fçhrung am 7. Mai Hartmut Lçck
Mit der Verurteilung von Gewalt, Ausbeu- 1824 in Wien, erfçllt Dr. phil., geb. 1939; studierte
tung und Krieg mag Nono sich nicht begnç- von aufklårerisch-de- Musikwissenschaft, Slavistik
gen. Er erzåhlt in Intolleranza (1960) die Ge- mokratischen Ideen, und Germanistik; freier Autor
schichte eines Mannes, der alles zu erleben noch daran glauben, in Bremen. Reinthalerstr. 18,
und zu erleiden hat, was den Menschen im dass dieses Ziel tat- 28213 Bremen.
20. Jahrhundert ein Leben in Frieden ver- såchlich erreichbar pinter.lueck@t-online.de
wehrt. Die einzelnen Stationen der Ge- sei. Aber schon weni-
schichte mægen fast idealtypisch konstruiert ge Jahrzehnte spåter
und håufig sogar grob plakativ gezeichnet wich dieser Glaube einer affirmativ-religiæsen
sein. Mit leidenschaftlichem Engagement Weltflucht (Anton Bruckner) oder einem
gestaltet ist aber die politische Identitåts- Skeptizismus (spåter Johannes Brahms), dem
und Bewusstseinsbildung des Protagonisten. die ¹Durch Nacht zum Lichtª-Sinfonik so
Durch die Solidaritåt und Liebe seiner mitge- nicht mehr mæglich war; seit der Jahrhun-
fangenen Gefåhrten findet er Ermutigung dertwende neigte manch ein Komponist eher
und Kraft, den Kampf gegen Intoleranz und zu Perspektiven des Zweifels oder gar des
Unterdrçckung aufzunehmen. Die Oper Untergangs als zu tænenden Visionen einer
endet in dem Gefçhl des Vertrauens auf etwas friedlichen Welt vereinter Vælker. Gustav
Neues, durch das das Verhåltnis der Men- Mahlers Sechste Sinfonie (1903± 1904) mit
schen zueinander erneuert, dem Leben ein ihren obsessiven Marschrhythmen und ihren
Sinn und der Welt Friede gegeben wird. alles vernichtenden Hammerschlågen im Fi-
nale kçndigt eine unheilvolle Zukunft, die des
Das utopische Potential der Oper wird so Ersten Imperialistischen Weltkrieges, bereits
auch von Komponisten unserer Tage ge- als klingendes Menetekel an, ebenso wie der
mehrt. Tæne fçr die Hoffnung hæren wir gewalttåtige ¹Marschª der Drei Orchester-
etwa auch bei Klebe am Ende seiner hinter- stçcke op. 6 (1914±1915) von Alban Berg.
grçndigen Komædie Jakobowski und der
Oberst (1965), bei Berio in La vera storia Schlachtenmusik ± Todesmusik
(1981) oder in Henzes L'Upupa (2003). Sie er-
mutigen uns, den Traum von einem besseren Øhnlich verhålt es sich mit den frçheren
Leben im falschen nicht aufzugeben. Schlachten- und Siegesmusiken, denen die
Sphåre des Militårischen als vællig selbstver-
ståndlicher Bestandteil der Gesellschaft ein-
geschrieben war ± man denke an Georg

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Friedrich Håndels Music for the Royal Fire- Sinfonie (1953), welche die Auseinanderset-
works (1749) oder Beethovens Wellingtons zung mit Stalin minutiæs musikalisch abbil-
Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91 det, oder in der antidiktatorischen Kantate
(1813); bei den Inhalten dieses Genres erfolgt Die Hinrichtung des Stepan Rasin (1964). Der
ebenfalls eine Relativierung, ja Umdeutung, Untergang der zum Sozialismus erklårten
und wiederum ist Gustav Mahler zu nennen, Ideologie, die sich gleichwohl von den Idea-
diesmal mit seinen Liedern nach Texten aus len der Stammvåter Karl Marx und Friedrich
der Volksliedsammlung Des Knaben Wunder- Engels immer mehr entfernt hatte, beendete
horn, aus welcher er bezeichnenderweise zu- auch in aller Stille, aber grçndlich die Kunst-
meist solche Texte auswåhlte, die den Armen doktrinen dieser Lånder.
und Schwachen gewidmet sind, darin auch
und besonders den einfachen Soldaten als den
Opfern militaristischer Hybris: In Revelge Musikalische Trauerarbeit
(1899) geht es um den (im wahrsten Sinne des
Wortes) ¹Kadavergehorsamª eines Soldaten, Die Rçckschau auf die Musik des katastro-
der seine toten Kameraden aufweckt, um mit phischen 20. Jahrhunderts bleibt denn auch
ihnen weiterzukåmpfen (¹Ein Schrecken am allerwenigsten bei solchen Werken stehen,
schlågt den Feindª), bis alle als Totengerippe die wie auch immer ¹etwas Positivesª aussa-
vor das Haus der Soldatenbraut ziehen; in gen wollten, sondern eher beim klingenden
Der Tamboursg'sell (1901) wird das letzte Gedenken an eben jene Katastrophen oder
Stçndlein eines zum Tode verurteilten Fah- bei der Warnung vor ihnen. Die Komponis-
nenflçchtigen geschildert. Ersteres ist ein ten, die Eindrçcke von oder Angst vor Kata-
schaurig-gespenstischer Marsch-Exzess, Letz- strophen in ihre Musik hineinlieûen, aber
teres ein fast stillstehender Trauermarsch vol- auch viele derjenigen, bei denen dies nicht
ler abgrçndiger Verzweiflung, der mit im durch Titel, Text oder Klang gleich eindeutig
Pianissimo verebbenden Trommelschlågen zu bemerken ist, leisteten ¹Trauerarbeitª,
endet. wollten ihre Hærer nicht auf billige Weise un-
terhalten, sondern sie nachdenklich machen,
im konkretesten Fall aufrçtteln. Ohne die Il-
Mit Gewalt zu einer ¹besseren Zukunftª lusion, dass etwa Musik an sich schon gesell-
schaftliche Verånderungen bewirken kænne,
Es hat dann noch einmal den Versuch einer wollten sie ihrem Auditorium etwas mittei-
affirmativen åsthetischen Beschwærung einer len, was mehr war als ein elaboriertes Kon-
besseren Welt gegeben, in den Konzepten des strukt aus Tænen, Klången und Rhythmen.
¹Sozialistischen Realismusª der Sowjetunion Dabei sollte ¹Trauerarbeitª keineswegs
und ihrer spåteren Satellitenstaaten, Kon- gleichsam mit hångenden Kæpfen geleistet
zepte einer Kunst, die auf einem geschmackli- werden, sondern man mçsse ± wie es Bertolt
chen Mindestniveau den vorgestellten ¹Mas- Brecht formulierte ± ¹die Trauer auf eine
senª jene bessere Welt zum Klingen bringen groûe Stufe heben und sie dadurch zu einer
sollte, die zur Realitåt der Hærenden in so die Gesellschaft færdernden Sache machenª.
merkwçrdigem Widerspruch stand. Diese
Konzepte scheiterten schlieûlich an ihren in- Der Erste Weltkrieg ± Frucht des expansio-
neren Widersprçchen, nicht nur an ihrer Un- nistischen, historisch verspåteten Groû-
glaubwçrdigkeit, sondern auch an ihrer ås- machtstrebens der deutschen Bourgeoisie und
thetischen Hermetik, dem Stehenbleiben auf parlamentarisch abgesegnet durch die von der
einem einmal definierten ¹Materialstandª der SPD-Reichstagsfraktion bewilligten Kriegs-
Musik, formuliert oft von Leuten, die von kredite ± æffnete durch seine sinnlosen Mate-
Musik wenig verstanden und daher in admi- rialschlachten und den noch sinnloseren im-
nistrative Panik verfielen, als das der abend- mensen Blutzoll vielen, auch und gerade
låndischen Musik inhårente Entwicklungs- Kçnstlern, die Augen, und aus dem Kriegser-
denken eben diese åsthetischen Grenzen lebnis heraus entstand die gesellschaftskriti-
sprengte. Nicht minder sprengend wirkte in sche Kunst der zwanziger Jahre, Verhæhnung
diesem Rahmen die Mimikry eines Dmitrij des Militårs, wie in Hanns Eislers Liedern
Schostakowitsch, der vielfåltige, gelegentlich nach Texten von Kurt Tucholsky, Entlarvung
subversive Wege fand, die doktrinåre Østhe- des Kommerzialismus durch die Opern und
tik zu unterlaufen, etwa in seiner Zehnten Songspiele von Bertolt Brecht und Kurt Weill

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(Dreigroschenoper, Mahagonny). Aber auch Gesellschaft fçr Neue Musik 1935 in Prag
in der ¹eigentlichenª, der sinfonischen Musik war ein groûer Erfolg.
meldete sich Kritik zu Wort: Schon 1914 bis
1916 hatte der Dåne Carl Nielsen seine Vierte Faschismus, Zweiter Weltkrieg und
Sinfonie ¹Das Unauslæschlicheª als Protest ¹Shoahª ± die ¹Vernichtung der jçdischen
gegen den Krieg verstanden; ¹den elementa- Rasse in Europaª, wie es Adolf Hitler schon
ren Willen zum Lebenª wollte er darstellen, lange vor Ausbruch des Krieges angekçndigt
und: ¹Das Nationalgefçhl, das bisher als hatte ± haben nicht nur todesmutigen politi-
etwas Hohes und Schænes galt, ist zu einer schen Widerstand herausgefordert, sondern
Art geistiger Syphilis geworden, welche die auch Kçnstler, hier Musiker, zu Widerstands-
Gehirne auffrisst und die mit irrsinnigem aktionen bewegt. Dazu gehæren solche aktu-
Hass durch die leeren Augenhæhlen heraus- ell ¹handhabbarenª Werke wie die Lieder fçr
grinst.ª Neben dem groûen, spåtromanti- die Internationalen Brigaden im Spanischen
schen Orchester stehen sich hier zwei Pau- Bçrgerkrieg, die Hanns Eisler, Paul Dessau
kenbatterien auf dem Konzertpodium gegen- und andere schrieben, aber auch Eislers Deut-
çber, die einen rasenden ¹Kampfª ausfechten, sche Sinfonie (1935± 1939, ergånzt 1947/1957)
sich aber schlieûlich zum versæhnlichen E- nach Texten von Brecht fçr Soli, Chor und
Dur des Orchesters vereinen. Dies ist nicht Orchester, eine ¹Volksrede an die Mensch-
nur Nielsens Meisterwerk, sondern ein groû- heitª aus dem Geiste Beethovens. Das Werk
artiges humanistisches Kunstdokument an konnte allerdings erst lange nach Ende des
der Schwelle eines Zeitalters des Schreckens. Krieges aufgefçhrt werden, passte dann aber
auch in eine kulturelle Landschaft, der die
kçnstlerische Aufarbeitung der jçngsten Ver-
Faschismus, Zweiter Weltkrieg und gangenheit innerstes Anliegen war. In dieser
Holocaust Zeit entdeckte man hierzulande auch solche
Komponisten wie Luigi Dallapiccola, der den
Konnten sich Formen kritischer Musik in der italienischen Faschismus des ¹Duceª schon
Weimarer Republik in einem weiten Spek- långer hatte erdulden mçssen und bereits
trum eines widersprçchlichen kulturellen seine Canti di prigionia fçr Chor und Or-
Diskurses entfalten, so endete dies abrupt mit chester (1938± 1941), Kerkergebete histori-
dem Machtantritt der Nationalsozialisten scher Persænlichkeiten kurz vor ihrer Hin-
1933. Die als ¹entartetª und ¹undeutschª richtung, sowie die Oper Il Prigioniero (¹Der
schon lange vorher in der NS-Presse verfem- Gefangeneª, 1944±1948) ± Inquisition als
ten Komponisten verlieûen Deutschland, da Symbol des zeitlosen Terrors ± geschrieben
ihre Werke nicht mehr aufgefçhrt werden hatte.
durften und sie um ihr Leben fçrchten muss-
ten; ausgerechnet Arnold Schænberg, der sich
gar nicht politisch verstand, gehærte zu den Orte des Schreckens
hellsichtigen Ersten, die gingen. Aber es gin-
gen keineswegs nur die ¹rassischª Verfolgten, Das unfriedliche Zeitalter des internationalen
sondern auch zum Beispiel Paul Hindemith Faschismus brachte mit seinen gezielten,
oder der Dirigent Fritz Busch, und Karl planmåûigen Tætungen politisch oder ¹ras-
Amadeus Hartmann verbarrikadierte sich in sischª Missliebiger eine neue, blutige Qualitåt
der inneren Emigration, lieû seine Werke nur in das politische Geschehen ein: die ¹Orte
im Ausland erklingen und boykottierte jahre- des Schreckensª, konkrete Úrtlichkeiten des
lang den von der ¹Reichsmusikkammerª ge- Terrors, der Gewalt und des Holocaust. Dazu
forderten ¹Ariernachweisª. Stattdessen kom- gehæren nicht nur KZs und Gefangenenlager,
ponierte er Miserae (1933±1934), eine sinfo- sondern auch die als ¹Vergeltungª zerstærten
nische Dichtung zum Gedenken der ersten Orte wie Lidice in der Tschechoslowakei
im KZ Dachau ermordeten Håftlinge ± die oder Warschau nach dem Aufstand, die Orte
erste dezidiert antifaschistische Komposition ¹Verschwundenerª wie Katyn, aber auch Hi-
çberhaupt. Die Widmung lautet: ¹Meinen roshima, dessen Bevælkerung das Opfer des
Freunden, die hundertfach sterben mussten, ersten Atombombenabwurfs wurde. Schon
die fçr die Ewigkeit schlafen ± wir vergessen wåhrend des Krieges schrieb Bohuslav Marti-
Euch nicht (Dachau 1933±1934)ª; die Urauf- nu, im amerikanischen Exil lebender tsche-
fçhrung beim Festival der Internationalen chischer Komponist, sein Orchesterstçck

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Pam—tnÌk LidicÌm (¹Denkmal fçr Lidiceª, heute anhålt. Nonos Epitaffio låsst denn auch
1942± 1943), nachdem der Racheakt der die Kampf- und Schreckensmomente der zu-
Nazis an der Bevælkerung von Lidice, als Ver- grunde liegenden Gedichte GarcÌa Lorcas
geltung fçr das Attentat auf den ¹Reichspro- und Pablo Nerudas ebenso Klang werden wie
tektorª und SS-Obergruppenfçhrer Reinhard die friedliche Abendstimmung eines einsamen
Heydrich, bekannt geworden war. Liebenden in einer vom Faschismus unbe-
rçhrten Landschaft, Rçckblick und utopische
Wåhrend die unmittelbare musikalisch- Vision gleichermaûen.
kçnstlerische Gegenaktion zu Geschehnissen
und Orten des Schreckens eher die Ausnahme Eine åhnliche klangliche Antithese kenn-
darstellt, nicht zuletzt aus rein praktischen, zeichnet auch das unmittelbar folgende Werk
auffçhrungstechnischen Grçnden oder wegen Nonos La victoire de Guernica (1954) fçr
der politischen Unterdrçckung, die eben Dar- Chor und Orchester nach einem Gedicht von
bietungen solcher Werke schlicht nicht zu- Paul †luard; die dem heimtçckischen Angriff
lieû, ist die kçnstlerische Aufarbeitung sol- der deutschen ¹Legion Condorª 1937 zum
cher Ereignisse Jahre oder gar Jahrzehnte spå- Opfer gefallene baskische Stadt bewegte
ter, im Zusammenhang auch gesellschaftlicher Nono nicht nur zu einer dramatisch-kåmpfe-
Kritik und Selbstkritik, fast die Regel; kçnst- rischen Musik, sondern auch, ganz im Sinne
lerische Øuûerungen wie zum Beispiel Clau- der Bildlichkeit des zugrunde liegenden Ge-
dio Abbados und Maurizio Pollinis ¹Kon- dichtes, zu Klangbildern des Friedens und
zerte gegen den Faschismusª in Italien ver- der Unschuld. Dies ist çbrigens ein Gesichts-
standen sich aus dem Beweggrund der Kritik punkt, der bei der Betrachtung des ¹Polit-
am vergangenen Faschismus wie als Warnung komponistenª Luigi Nono oft çbersehen
vor einem zukçnftigen. Gleiches gilt fçr un- wird: Natur, Meer, Weinberg, Liebe sind als
zåhlige politisch zu interpretierende Werke lyrische Bilder integraler Bestandteil seines
der zweiten Hålfte des 20. Jahrhunderts, die Oeuvres und rufen auch bestimmte, immer
sich håufig auf zurçckliegende Ereignisse be- wiederkehrende Klånge hervor ± Harfe, Vi-
ziehen und mit ihren åsthetischen Mitteln brafon, Marimbafon, leise angeschlagene
dazu beitragen wollten, ein erneutes Entste- Hångende Becken, aber auch die unbegleitete
hen von Gewaltherrschaft, Krieg und Fa- menschliche Stimme in einer fast Verdi'schen
schismus zu verhindern. Kantabilitåt stehen fçr jenen Frieden ein, der
fçr Nonos Zeit und leider auch fçr unsere
immer noch ¹ungekommenª ist, um ein Wort
Das Vermåchtnis eines toten Dichters von Ernst Bloch aufzugreifen.

So schrieb etwa Luigi Nono sein Epitaffio per


Federico GarcÌa Lorca fçr Solostimmen, Chor
Aufarbeitung und kçnstlerische
und Orchester (1952±1953) siebzehn Jahre Kommentare
nach der Ermordung GarcÌa Lorcas durch
Franco-faschistische Militårs, aber trotzdem In der kçnstlerischen Auseinandersetzung
zu einem historisch nicht zufålligen Zeit- mit dem Hitler-Faschismus und der ¹Shoahª
punkt der Nachkriegszeit, als man weltweit stellen die sechziger Jahre eine wichtige Epo-
begann, das dichterische Werk GarcÌa Lorcas che dar. Hier trafen mehrere Ereignisse und
zu rezipieren. ¹Dieser wunderbare Andalu- Tendenzen zusammen, um solche Kunstwer-
sier, der ,wie ein schwarzer Blitz`, ewig frei, ke entstehen zu lassen: zum einen der Ausch-
heute noch von Stadt zu Stadt, von Dorf zu witz-Prozess in Frankfurt/Main und der Pro-
Dorf und von Tçr zu Tçr geht und von der zess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem,
Liebe, der Freude und dem Stolz eines Volkes zum anderen das Aufbegehren der jungen
singt, ist fçr uns Junge ein Meister, ein Generation gegen das Totschweigen und
Freund, ein Bruder, der uns den wahren Weg gegen die unbegreifliche Karriere schwerst-
weist, auf dem wir mit unserer Musik Mensch belasteter Nazi-Græûen in der Bundesrepu-
unter Menschen sein kænnenª, schrieb Nono blik (wie der Kommentatoren der ¹Nçrnber-
in einem Kommentar zur Hamburger Urauf- ger Gesetzeª Hans Globke und Theodor
fçhrung, und er bezeichnete damit auch jene Maunz), schlieûlich aber auch die Rezeption
ungeheure Wirkung des spanischen Dichters des dichterischen Werkes von Paul Celan ge-
auf Kçnstler verschiedener Sparten, die bis rade bei Musikern, die sich zudem durch håu-

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fig musikalische Titel bei Celan besonders das Abzåhlen fordert und zur Eile hetzt,
herausgefordert fçhlten (Todesfuge, Engfçh- gehen die Zahlenrufe der Håftlinge plætzlich
rung), aber nicht minder durch die tief bewe- in ein altes jçdisches Gebet in hebråischer
gende sprachliche Kraft, mit der Celan, selbst Sprache çber, trotzig intoniert vom Månner-
eher zufållig dem Holocaust entronnen, das chor: ¹Shema Jisroel adonai elohenu. . .ª
Thema der Judenverfolgung in lyrische Bilder (¹Hære, Israel, der Ewige, unser Gott, ist ein
presste (Tenebrae, Psalm). Mit seiner oft einiges ewiges Wesen. . .ª) ± die Musik selbst
als esoterisch missverstandenen, gleichwohl wird hier zum Akt des Widerstandes. Selten
hoch politischen Dichtung wurde Celan zum ist es so wie in diesem, nur gerade sieben Mi-
neben Bertolt Brecht meistvertonten deut- nuten langen Werk gelungen, Klang und poli-
schen Lyriker des 20. Jahrhunderts; Kompo- tische Aussage derart schlçssig in Kongruenz
nisten wie Tilo Medek, Peter Ruzicka, Detlef zu bringen.
Heusinger, aber auch in England Harrison
Birtwistle vertonten die Todesfuge; das lange
Gedicht Engfçhrung wurde von Aribert Rei- 6. August 1945
mann als Klavierlied, von Paulheinz Dittrich
als groûformatiges, fast abendfçllendes Werk Der Terror der Krieg fçhrenden Parteien
fçr Stimmen, Chor, Orchester und Tonband gegen die Zivilbevælkerung gehært seit Urzei-
vertont. ten zu den traumatischen Erlebnissen aller,
die als so genannte ¹Zivilistenª Kriege miter-
Den Frankfurter Auschwitz-Prozess lebt haben. Es geht dabei nicht nur um den
formte Peter Weiss zu einem dokumentari- ¹Kollateralschadenª einer plçndernden, mor-
schen Theaterstçck Die Ermittlung; dazu denden und schåndenden Soldateska, sondern
schrieb Luigi Nono eine elektronische, aus um den auf hæchster Ebene geplanten psychi-
Aufnahmen menschlicher Stimmen entstan- schen Effekt der Demoralisierung des jeweili-
dene Bçhnenmusik, aus welcher er spåter gen Gegners. Nur so ist eine militårisch sinn-
eine eigenståndige Komposition extrahierte: lose Aktion wie der erste Atombombenab-
Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz wurf auf die japanische Stadt Hiroshima am
(¹Gedenke, was man dir in Auschwitz tatª, 6. August 1945 zu erklåren: Die Amerikaner
1965). Zwei Jahre spåter komponierte der wollten so den Tenno zur Kapitulation bom-
Pole Krzysztof Penderecki sein Dies Irae, ben ± was sie auch tatsåchlich erreichten.
Oratorium zum Gedenken der in Auschwitz Aber um welchen Preis!
Ermordeten fçr Soli, Chor und Orchester
nach Texten aus Psalmen sowie von zeit- Dieser Preis, hunderttausende Tote noch
genæssischen polnischen und franzæsischen nach Jahrzehnten durch die Nachwirkung
Dichtern. Elemente seines schon frçher ent- der Atomverstrahlung, ist nicht nur in der
wickelten, geråuschnahen Klangfarbenstils politischen Publizistik immer wieder disku-
und solche der oratorischen Tradition, wie sie tiert worden, sondern auch in der Kunst. Das
auch schon seine Lukas-Passion (1963± 1965) bis heute bekannteste Musikstçck zu diesem
bestimmt hatte, kennzeichnen dieses Werk, Thema schrieb 1961 Krzysztof Penderecki.
das beim ¹Warschauer Herbstª 1967 erklang. Sein Werk fçr Streichorchester hieû ur-
sprçnglich einfach 8'37'', eine reine Angabe
Die unmittelbarste und auch musikalisch der Dauer. Aber die psychische Wirkung der
faszinierendste kçnstlerische Antwort auf die zu Geråuscherzeugern verfremdeten Streich-
Judenverfolgung durch die Nazis entstand instrumente war nach der ersten Auffçhrung
bereits 1947, und es war wiederum ausgerech- derart unmittelbar, dass der Komponist einen
net der ¹unpolitischeª Arnold Schænberg, der anderen Titel wåhlte: Threnos fçr die Opfer
sie verfasste: Sein Werk Ein Ûberlebender aus von Hiroshima. Was hier musikalisch er-
Warschau fçr Sprecher, Månnerchor und Or- klingt, ist, trotz der undefinierbaren Ge-
chester nach Texten aus Berichten çber den råuschanteile, keineswegs eine naturalistische
Aufstand im Warschauer Getto macht den Schilderung des 6. August ± so deutlich
Widerstand auch musikalisch hæchst ein- waren die sehr hoch fliegenden Maschinen in
drucksvoll sinnfållig. Der Bericht wird in Hiroshima gar nicht zu hæren ±, sondern eine
englischer Sprache gesprochen, die Worte des Sublimierung von seelischen Befindlichkeiten
deutschen Feldwebels erklingen in einem ber- zu einer strukturell durchorganisierten kçnst-
linerisch gefårbten Deutsch, und wenn dieser lerischen Aussage.

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Luigi Nonos Canti di vita e d'amore ± Sul Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz ist ein
ponte di Hiroshima (1962) ist åhnlich subli- zeitloses Menetekel çber die Zerstærung
miert, wenn auch natçrlich in einem gånzlich menschlicher Beziehungen durch Militår und
anderen Stil. Der auf Hiroshima bezogene Krieg und in seiner bçhnentechnischen Avan-
Text von Gçnter Anders wird gar nicht ver- ciertheit eines der bedeutendsten Musikthea-
tont; die Musik kommentiert ihn, der nur in terwerke des 20. Jahrhunderts. Im Requiem
der Partitur bzw. im Programmheft nachzule- fçr einen jungen Dichter (1967±1969) bezieht
sen ist. Ein abendfçllendes Oratorium schrieb Zimmermann auûer den Worten Konrad
der in Hiroshima geborene Japaner Toshio Bayers, um den es im Titel geht, auch zeitge-
Hosokawa mit Voiceless Voice in Hiroshima schichtliche Texte und Originaltonaufnahmen
(1989±2001); zeitgeschichtliche und dichteri- in ein weites klangliches Tableau ein, dem er
sche Texte, u. a. wiederum von Paul Celan, seine innerste Bedrångnis anvertraut und das
sowie Worte aus der lateinischen Totenmesse am Schluss im verzweifelten Aufschrei
liegen dem Werk zugrunde, das europåische ¹Dona nobis pacemª kulminiert. Ich wandte
Avantgarde und japanische musikalische Tra- mich und sah an alles Unrecht, das geschah
ditionen vereint und mit seiner ækologischen unter der Sonne (1970) untertitelte Zimmer-
Perspektive Vergangenheit und Gegenwart mann als ¹Ekklesiastische Aktionª fçr zwei
verbindet. Sprecher, Basssolo und Orchester; die Texte
stammen aus dem ¹Prediger Salomoª und aus
Auf einen weniger bekannten Schauplatz Dostojewskis ¹Groûinquisitorª. Das zutiefst
des Zweiten Weltkrieges im Fernen Osten pessimistische Werk endet mit einem Zitat
fçhrt ein Werk des in den USA lebenden Chi- aus Johann Sebastian Bachs Kantate O Ewig-
nesen Bright Sheng: Nanking! Nanking! Eine keit, du Donnerwort als dem letzten Kom-
Threnodie fçr Orchester und Pipa (1999± mentar des Komponisten zu seiner unfriedli-
2000). Das Werk ruft die Erinnerung wach an chen Zeit. Zimmermann beging wenige Tage
den Dezember 1937, als japanische Invasions- nach Beendigung dieses Werkes Selbstmord.
truppen die damalige chinesische Hauptstadt
Nanking besetzten. Das in den Wochen da- Ein weiteres, rein instrumentales Werk
nach stattfindende Massaker an der Zivilbe- Zimmermanns ist geeignet, seine Ansicht
vælkerung gehært zu den entsetzlichsten çber die Bedrohung der Kultur durch Ge-
Greueltaten der daran ja durchaus nicht waltherrschaft und Kommerzialisierung zu
armen Kriegsgeschichte der Menschheit: dokumentieren: die Musique pour les soupers
Massenmorde, Wettkæpfen zur Belustigung du Roi Ubu (1966). Der Titel ist eine Anspie-
der japanischen Soldaten und Massenverge- lung auf die Concerts pour les soupers du Roi
waltigungen forderten an die 300 000 Opfer. des Barockkomponisten Michel Richard De-
Auf eine Entschuldigung der japanischen Re- lalande, hier aber bezogen auf die Figur des
gierung, vergleichbar der bewegenden Geste Putschgenerals Ubu aus dem gleichnamigen
Willy Brandts in Warschau, warten die Chi- Drama von Alfred Jarry. Das mehrsåtzige
nesen noch heute. Bright Sheng schrieb eine Werk, gedacht als ¹ballet noirª, enthålt keine
etwa halbstçndige, vielfarbige Komposition, einzige Note von Zimmermann selbst, son-
die gleichsam das Leben und Leiden Nan- dern ist eine Zitatcollage, damit die unter-
kings schildert, wobei die chinesische Kurz- schiedslose Verwurstelung von Kulturgçtern
halslaute Pipa als Soloinstrument hier ein In- in einer auf Gewalt gegrçndeten Gesellschaft
dividuum darstellt, das çberlebt, um an die demonstrierend. Kænig Ubu hat die Intellek-
Menschlichkeit wenigstens der Nachwelt zu tuellen und Kçnstler zu einem Staatsbankett
appellieren. geladen, um sie danach durch eine Falltçr in
den Keller zu befærdern, wo der Henker be-
reits wartet. In diesem Finale ± ¹Marche du
Das Unrecht unter der Sonne Dcervellageª (¹Marsch der Gehirnzerquet-
schungª) ± wird, kritisch-selbstkritisch, in
Ebenfalls in die sechziger Jahre gehæren die einer Weise mit der Musik in der Gesellschaft
hier interessierenden Werke von Bernd Alois abgerechnet, wie sie gnadenloser kaum vor-
Zimmermann, der in mehreren groûformati- stellbar ist: Der Anfangsakkord aus dem Kla-
gen Kompositionen auf seine unfriedliche vierstçck IX von Karlheinz Stockhausen wird
Zeit reagierte. Seine Oper Die Soldaten 631-mal angeschlagen, dazu erklingen als Zi-
(1957±1965) nach dem ¹Sturm und Drangª- tate der hæhnische ¹Marche au suppliceª

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(¹Gang zum Richtplatzª) aus Hector Berlioz' nie geschåmt, in einem unmittelbar wirken-
Symphonie fantastique und der ¹Walkçren- den Klanggemålde von etwa der gleichen
rittª aus Richard Wagners Ring des Nibelun- Långe wie Beethovens ¹Neunteª.
gen, in der NS-Zeit Begleitmusik des Reichs-
rundfunks zu Siegesmeldungen von Stuka-
Angriffen, das Ganze grundiert durch einen Kunst ohne Visionen?
monotonen, immer lauter werdenden Schlag-
zeugrhythmus. Es gibt wohl nur wenige Mu- Oft wurde in der politischen Publizistik hin-
sikstçcke, die ihren nicht kulinarischen Cha- sichtlich der letzten etwa fçnfzehn Jahre kon-
rakter derart provokativ herausschleudern statiert, es gebe keine Visionen und keine
wie dieses ± fast ein Autodaf der Musik gesellschaftlichen Perspektiven mehr. Ein
çberhaupt. Grund dafçr ist sicherlich der Untergang der
ohnehin schon ideologisch maroden sozialis-
tischen Lånder, der Wegfall der gesellschaftli-
Aus der ¹bleiernen Zeitª chen Alternative, wie unbefriedigend sie auch
immer schon gewesen sein mag. Ein anderer
Hans Werner Henze hat zwar 1953 der dçrfte in der stillschweigenden Kapitulation
hermetisch sich in den ¹Darmstådter Ferien- der politischen Klasse vor der wirtschaftlichen
kursenª abkapselnden jungen deutschen ¹Globalisierungª zu sehen sein ± in diesem
Avantgarde den Rçcken gekehrt und sich Kontext internationaler Verflechtungen und
nach Italien aufgemacht, wo er heute noch Kapitalflçsse haben es gesellschaftliche Alter-
lebt; die Abneigung war gegenseitig, denn nativ schwer. Die Sphåre der Kunst reflektiert
man warf ihm geschmåcklerischen Romanti- diesen Zustand durch das starke Abnehmen
zismus vor. Dennoch ist Henze durchaus politisch-agitativer kçnstlerischer Øuûerun-
nicht bei der Suche nach einem neuen Wohl- gen, die als ohnehin sinnlos erscheinen.
klang stehen geblieben, sondern hat sich zu-
nehmend als kçnstlerischer Chronist politi- Dennoch entstehen Werke, die vermittels
scher Zustånde verstanden, was sich auch in eines poetischen Bildes und daraus entwickel-
einer Reihe von Werken niederschlug. Sein ter Klangvorstellungen durchaus kritische
Liederzyklus Voices (1973) fçr zwei Stimmen Aussagen transportieren. Ein solches Werk ist
und Ensemble testet mit einer weiten Palette El Dorado (1991) fçr Orchester des Amerika-
die Mæglichkeiten des politischen Liedes als ners John Adams. Unbeabsichtigt, aber umso
Reflex auf die Arbeiterkampfmusik der Wei- treffender hat es etwas mit dem 500. Jahrestag
marer Republik wie auch auf kulturelle Anre- der Entdeckung Amerikas 1492 zu tun: Das
gungen der eigenen Zeit und Umwelt. Die etwa halbstçndige Werk besteht aus zwei Såt-
(nach einem Wort Friedrich Hælderlins) zen ¹A Dream of Goldª und ¹Soledadesª
¹bleierne Zeitª am Ende der siebziger Jahre (¹Einsamkeitenª). Adams hatte zunåchst die
mit Berufsverboten, Rasterfahndung und visuelle Vorstellung zweier kontrastierender
Nato-Doppelbeschluss verarbeitete Henze in Gemålde, zweier identischer Landschaften,
seiner fçr die Berliner Philharmoniker ge- von denen die eine von Menschen bevælkert
schriebenen Siebenten Symphonie (1982± ist, die andere aber menschenleer. Der 1. Satz
1983), deren Finalsatz nach des Komponisten stellt das Streben nach Gold und Reichtum in
eigenen Worten inspiriert wurde durch Hæl- einem langgezogenen Orchestercrescendo
derlins berçhmtes Gedicht Hålfte des Lebens dar, das schlieûlich in einem kakophonischen
± in aller poetischen Bildmåchtigkeit doch ein ¹Overdriveª kulminiert und zusammen-
Kassiber politischer Anklage, schon damals. bricht, eine Maschinerie des Schreckens, an-
Die 1995 bis 1997 entstandene Sinfonia N. 9 gerichtet vom Menschen im ursprçnglichen
fçr Chor und Orchester stellt sich ganz be- ¹Garten Edenª. Der 2. Satz zeigt danach die
wusst der Tradition einer ¹Neuntenª, aber Natur in selbstgewisser Ruhe, ohne die zer-
den weltumarmenden Ausruf Schillers und stærerischen Kråfte des Menschen. Das
Beethovens ersetzt Henze durch eine Text- Ganze ist die Musik einer ækologischen Kata-
montage nach dem Roman Das siebte Kreuz strophe, die durch das beschauliche Gegen-
von Anna Seghers, Beschreibung einer Flucht bild des 2. Satzes nicht etwa gemildert wird,
aus einem Nazi-KZ, und widmet sein Werk denn ¹Soledadesª ist eine Welt ohne Men-
¹Den Helden und Mårtyrern des deutschen schen. Hier hat die Natur ¹zurçckgeschla-
Antifaschismusª. Henze hat sich des Pathos genª.

APuZ 11/2005 27
Kunstwerk, Politik und åsthetische Dietrich Helms
Wertung
¹Musik in einer unfriedlichen Weltª ist nicht
identisch mit ¹Musik des 20./21. Jahrhun-
Pop Star Wars
dertsª. Hier wurde lediglich jene Musik dar-

N
gestellt, die mehr oder weniger deutlich den ichts wird mehr so sein, wie es warª.
unfriedlichen Charakter ihrer Zeit reflektiert. Unter den Erinnerungstrçmmern, wel-
Im Grunde tut das zwar jede Kunst, wie auch che die mediale Bilderflut nach dem 11. Sep-
immer vermittelt, in historisch gewachsenen tember 2001 hinterlassen hat, findet sich die-
Klangsymbolen, in unterschwelligen emotio- ser eine Satz in allen Medien, an Stammti-
nalen Befindlichkeiten, in Strukturanalogien schen, aber auch in Songs, die in den Tagen
± auch ohne den ausdrçcklichen verbalen danach entstanden sind: wærtlich in Titel und
Hinweis in Titel oder Text. In Bla BartÕks Refrain eines Tracks des deutschen Rappers
Divertimento fçr Streichorchester (1939) sind, Curse, in Variationen
trotz des unterhaltsamen Titels, Momente bei Alan Jackson Dietrich Helms
von Bedrohung, etwa im 2. Satz, ebenso hær- (Where Were You Dr. phil. habil., geb. 1963; seit
bar wie in Helmut Lachenmanns Mouvement [When The World 1997 wissenschaftlicher Mitar-
(± vor der Erstarrung) (1982±1984) die Exis- Stopped Turning]) beiter am Institut für Musik und
tenzangst des zum Kåfer mutierten Menschen und in kaum zufålli- ihre Didaktik der Universität
aus Franz Kafkas bekannter Erzåhlung Die ger Øhnlichkeit beim Dortmund, Emil-Figge-Str. 50,
Verwandlung, die Lachenmanns Werk inspi- deutschen Schlager- 44221 Dortmund.
rierte. Selbst so ¹abstrakteª Gattungen wie sånger Christian An- dietrich.helms@uni-
Streichquartette oder Klavierstçcke tragen oft ders (Der Tag, an dortmund.de
verschlçsselte Botschaften in sich; dennoch dem die Erde still-
ist die Darstellung der von unfriedlichen Zei- stand) oder bei Ethan Daniel Davidson, der
ten sprechenden Kompositionen nicht als sich allerdings mit der Globalisierung der Ka-
umfassende ¹Musikgeschichteª gemeint. Es tastrophe nicht zufrieden gab (The Day the
sind eher Schnittpunkte geschichtlicher wie Universe changed).
kulturgeschichtlicher Einflussnahmen unter
einem bestimmten Blickwinkel der Betrach- Hinter der banalen Weisheit, dass man
tung. auch schon vor ¹9/11ª nicht zweimal in den-
selben Fluss steigen konnte, verbirgt sich
Des Weiteren ist mit der Konstatierung, ob noch eine andere Erkenntnis: Katastrophen
Momente von gesellschaftlicher Wirklichkeit sind nach dem ursprçnglichen griechischen
in der Musik abgebildet werden oder ob dies Wortsinn Momente der Wende, der Umkehr.
gerade nicht oder nicht direkt der Fall ist, kei- Es sind Zeitpunkte, an denen man sich um-
nerlei Wertung verbunden. Eine Wertung schaut, sich plætzlich der Gegenwart bewusst
kann sich niemals aus der politischen Bot- wird. Wie ein Filmriss katapultiert die Kata-
schaft oder Implikation herleiten, sondern strophe den Beobachter in eine andere Welt.
einzig aus der åsthetischen Stimmigkeit, die Der Fluss der Zeit ist unterbrochen, der Blick
als solche wiederum das Ergebnis vielfåltiger zurçck sucht nach Ursachen und Anhalts-
kçnstlerischer und kulturgeschichtlicher Ent- punkten fçr einen wahrscheinlichen Fortgang
wicklungen ist. Das Kunstwerk ist in erster der Geschichte. Wie der Filmriss lenkt auch
Linie Kunstwerk, und nur als solches kann es die Katastrophe den Blick auf die sonst un-
jene kathartische Wirkung entfalten, die poli- sichtbare Mechanik, die den Lauf der Ge-
tische Gehalte als sinnfållig, nachvollziehbar schichte produziert. Manches, so wurde mit
und anspornend erscheinen låsst. Nur die ås- dem Einsturz der Zwillingstçrme deutlich,
thetische Qualitåt låsst es zu einer ¹die Ge- hatte schon lange vor ¹9/11ª nicht mehr so
sellschaft færdernden Sacheª werden. funktioniert, wie man es in der Wahrneh-
mung immer noch gern vorausgesetzt hatte.
Hinterher ist man immer klçger, oder, wie
Fanny van Dannen in seinem Lied 11. Sep-
tember schrieb: ¹Das soziale Klima war
immer schon eigentlich viel zu kçhl. / Also

28 APuZ 11/2005
ich hatte schon vor dem 11. September oft ein ¹Are you guys ready? Let's roll.ª In diesen
Scheiûgefçhl.ª letzten an Ground Control çbermittelten
Worten des Buchhalters Todd Beamer, der
Das historische Ausmaû der Katastrophe den Widerstand gegen die Entfçhrer an Bord
ist kaum an der Hæhe von Opferzahlen und des Flugs United Airlines 93 anfçhrte und be-
Schadenssummen zu messen. Deutlicher wird wirkte, dass die Maschine nicht in das Weiûe
die Bedeutung der Katastrophe an der Zahl Haus, sondern in einen Acker irgendwo in
der Lebensbereiche, die tatsåchlich zum Blick Pennsylvania stçrzte, hallt das Idiom des
zurçck, zur Neubewertung oder erneuten Be- Rock 'n' Roll wider. In einem guten Dutzend
ståtigung der Werte gezwungen wurden. Den Songs pflanzte sich dieses Echo fort, ver-
Bereich von Kunst und Kultur hatten in den stårkte sich und machte die Worte zu einem
hundert Jahren vor ¹9/11ª nur die groûen, Symbol fçr den Widerstand gegen den Terro-
globalen Katastrophen berçhrt: die Weltkrie- rismus. Fçr einige Wochen stand die Front
ge vor allem und der Vietnamkrieg. Eines der von Country çber Rock bis hin zum Hip-
vertrauten Weltbilder, die am 11. September Hop. Der Geist von Woodstock, der immer
2001 erschçttert wurden, war die von vielen, noch in vielen Kæpfen spukte, die Idee, dass
besonders ålteren Popfans gern gehegte Vor- Rock fçr ein friedliches Miteinander steht,
stellung, die populåre Musik oder doch zu- war endgçltig als weltferner Wunschtraum
mindest gewisse Genres wçrden sich fçr den entlarvt. 1
Frieden engagieren. Das Gegenteil war zu-
nåchst der Fall. Betrachtet man die Geschichte der populå-
ren Musik, so haben Songs mindestens genau-
Von der Countrymusic hatte man den Ruf so håufig fçr den Krieg Stellung bezogen wie
zu den Waffen wahrscheinlich noch am ehes- dagegen. Von den ¹jingo songsª der engli-
ten erwartet: Noch im September 2001 hielt schen Music halls zu Zeiten des Krimkrieges
die Charlie Daniels Band mit This ain't no (1853±1856) çber die deutschen Marsch-
rag, it's a flag die Fahne hoch und verkçnde- schlager der Jahre vor den beiden Weltkrie-
te, dass schon bald der amerikanische Adler gen, die zuverlåssig anzeigten, dass die Berli-
auf seine Feinde niederstoûen wçrde. Wesent- ner Luft, Luft, Luft wieder dicker wurde,
lich deutlicher wurde Toby Keith in Courtesy çber die vielen Lieder von sçûen Pralinsol-
of the Red White & Blue: ¹We'll put a boot in daten (Musik: Oscar Straus, 1908) und Treu-
your ass, it's the American way.ª Nahezu en Husaren (Musik: Heinrich Frantzen, 1924)
prophetisch, wenn auch sicherlich nicht ganz bis hin zu Freddys Hundert Mann und ein
im Sinne des Autors, lesen sich heute zumin- Befehl (1966) und jetzt Youngs Let's Roll
dest im alten Europa die Verse der anschlie- kann man eine ununterbrochene Tradition
ûenden Strophe: ¹And the eagle will fly, and konstruieren, auch wenn sich zwischen Kai-
there's gonna be Hell / When you hear Mo- serreich und Gegenwart die Motivationen
ther Freedom start ringing her bell!ª Keine verschoben.
neuen Tæne fçr die Country music, die be-
reits zu Zeiten des Vietnamkriegs die Vertei- ¹Der Soldate, der Soldate / Ist der schænste
digung der Freiheit durch die Entfesselung Mann im Staate. / Drum schwårmen auch die
der Hælle propagiert hatte. Mådchen sehr / fçr das liebe, liebe, liebe Mili-
tår.ª So sexy wie in dem von Walter Kollo
Der gute alte Rock aber war bisher immer vertonten Lied Der Soldate aus dem ¹vater-
auf der anderen Seite gewesen. Fçr den tradi- låndischen Volksstçckª Immer feste druff
tionsbewussten Rockfan kam der Augenblick (1914) ist der moderne Krieger in der popu-
der Wahrheit, als Neil Young im November låren Musik schon lange nicht mehr. In
2001 mit Let's Roll in die gleiche Kerbe Deutschland gab Freddy in Eine Handvoll
schlug. Ausgerechnet Young, Woodstock-Ve- Reis (1966) die Marschrichtung fçr das
teran und Vietnamkriegs-Gegner, forderte in-
direkt in seiner Musik und deutlicher in In-
1 Vgl. zu den Angaben çber Pop nach ¹9/11ª vor al-
terviews zur bewaffneten Aktion auf. Die
lem Thomas Phleps, 9/11 und die Folgen in der Pop-
Friedenstaube war långst und unbemerkt
musik I ± IV, in: 9/11 ± The world's all out of tune.
zum Falken mutiert: ¹Let's roll for freedom, / Populåre Musik nach dem 11. September 2001, hrsg.
Let's roll for love, / Goin' after Satan, / On von Dietrich Helms und Thomas Phleps, Bielefeld
the wings of a dove.ª 2004, S. 57±66, 109±130, 169±208.

APuZ 11/2005 29
Thema Krieg als politische Notwendigkeit in Frieden ist, wenn man vergisst: ¹Wenn aus
der populåren Musik nach 1945 vor: ¹Wir dem Lied man die Lehren zieht. / Dann wer-
kåmpften in uns'rer Kolonne / fçr Freiheit den Freund und Feinde vereint, / bis einst die
und Demokratie.ª Dass Freddy der einzige Sonne des Friedens scheint.ª Ansonsten geht
Interpret blieb, der das Thema im bundes- es dem Schlager meist um den ¹Feierabend-
deutschen Schlager aufgriff, zeigt, wie sehr friedenª (Alte Lieder, traute Weisen, 1952),
der Krieger nach 1945 an Erotik verloren um das eskapistische, weltferne Sei zufrieden
hatte. Ausdruck einer Friedensbewegung ist (Lukas-Trio, 1957), den Frieden des Unbetei-
das Fehlen von Kriegsliedern jedoch noch ligten, nicht Betroffenen, den man erreicht,
lange nicht, sondern nur Zeichen einer Ver- wenn man sich hingibt, aufgibt, abschaltet,
drångung. Das industrialisierte Abschlachten alles um sich herum vergisst. Diese Art Frie-
der beiden Weltkriege hatte sehr deutlich ge- den allerdings ist fçr die populåre Musik wie
macht, dass der Krieger nicht mehr zum ge- auch fçr alle anderen Unterhaltungsmedien
sellschaftlichen Leitbild taugte. selbstverståndlich. Ein guter Song, ein guter
Film, ein spannendes Buch wollen genau das
Mit dem Frieden verhålt es sich genau ent- und nichts anderes: die totale Aufmerksam-
gegengesetzt. In den Kriegs- und Vorkriegs- keit der Konsumenten, die sie in eine Parallel-
zeiten, die die erste Hålfte des 20. Jahrhun- welt entrçckt, die mit ihrem Alltag nichts ge-
derts zu groûen Teilen ausmachten, hatte das meinsam und auûer der verbrauchten Lebens-
Wort vom Frieden den garstigen Ruch des zeit keine Konsequenzen fçr die Realitåt hat.
Politischen. Die Suche nach entsprechenden
Stçcken im Repertoire der deutschen Unter- In der zweiten Hålfte der sechziger Jahre
haltungsmusik bleibt ziemlich erfolglos. Be- wurde diese Haltung allerdings ernsthaft her-
zeichnend: Der Texter Willy Pager schrieb ausgefordert ± auch in und mit der populåren
den Refrain seines wåhrend des Ersten Welt- Musik. Plætzlich erschienen Begriffe in den
krieges komponierten Schlagers Alles kommt Texten erfolgreicher Lieder, die zuvor den
einmal wieder (Musik: Rudolf Nelson, 1915) Song zu einem sicheren Ladenhçter gemacht
um und die Zeile ¹Singt man erst Friedenslie- håtten: Frieden, Freiheit, Gleichheit. Das (I
derª heraus. Schlieûlich geht es in den Stro- can get no) satisfaction (Rolling Stones, 1965)
phen nur darum, dass die ¹Schlachtmusik læste fçr einige Jahre die Zufriedenheit welt-
und wieder mal Krachmusikª mæglichst bald vergessenen, behaglichen Konsums ab. Die
wieder den unterhaltsameren, unpolitischen Paradoxa, die entstanden, prågen bis heute
Klången der Friedenszeit weicht, dem Tango, die Rockgeschichtsschreibung. Der Schrei der
der Polka, ¹dem Lafulanaª. Von politischem Sehnsucht nach Zufriedenheit læste unweiger-
Frieden mochte nicht die Rede sein, wenn es lich Unfrieden aus. Die Forderung von Frie-
darum ging, dass bald ¹jubelnd Fanfaren / den wurde zur Kriegserklårung, die Welt-
blasen Deutschland voran in der Weltª: Was flucht in Unterhaltung und Rausch zur politi-
tråumt Berlin hieû die Revue, in der das Lied schen Aussage.
von Kåthe Erlholz gesungen wurde.
Auch wenn es der Schlager gern so gehabt
In den ersten Jahren nach dem Zweiten håtte: Man konnte nach dem Zweiten Welt-
Weltkrieg erscheint das Wort ¹Friedenª gele- krieg eben doch nicht mehr einfach dort wei-
gentlich in Schlagertexten, z. B. in der letzten termachen, wo man vorher aufgehært hatte.
Strophe von Zarah Leanders Wenn der Herr- Als das groûe Aufråumen beendet war, wur-
gott will ¹. . . dann herrscht ewig Friedenª den plætzlich Stimmen sozialer Gruppen
(Michael Jary, 1950), wobei sich der Wille auch musikalisch vernehmbar, deren Existenz
Gottes allerdings mit dem kleinen Frieden man zuvor kaum wahrgenommen hatte. In
einer verschneiten Winternacht und einem in den USA fanden die Afroamerikaner im Civil
einem Baum schlafenden Bårchen zu beschei- Rights Movement zusammen. In allen westli-
den scheint. Ein wenig deutlicher wird 1952 chen Industriestaaten begann sich eine soziale
der Karnevalshit von Jupp Schmitz ¹Wir Gruppe abzugrenzen, die zuvor nur als Al-
kommen alle in den Himmelª. Texter Kurt tersgruppe existiert hatte: die Jugend. Wach-
Feltz klappt in seinen Strophen das Buch der sender Wohlstand und långere Ausbildungs-
Geschichte mit seinen unschænen Kapiteln zeiten hatten die Jugend mit Geld und Frei-
zu. Wer was getan hat, ist nicht mehr wichtig, zeit beschert. Bald war eine ganze Industrie
alle sind brav, alle kommen in den Himmel. damit ausgelastet, den neu entdeckten Teens

30 APuZ 11/2005
bei der Suche nach einer Identitåt mit der den (und werden bis heute) aus der Rockge-
Bluejeans von der Stange und dem Massenhit schichte herausgeschrieben. Mit dem neuen
auf Singleschallplatte auszuhelfen. Neue so- Bewusstsein von den neuen ¹Rootsª kam das
ziale Gruppen entstehen immer durch Kon- Verståndnis von Freizeitbeschåftigung als ge-
flikte, in denen sie sich vom Rest der Gesell- sellschaftspolitischer Aktivitåt. Mit dem
schaft abgrenzen. Der Kampf um das, was Ju- Hæren von Musik konnte man sich zugleich
gend definiert, wurde auf dem Gebiet der abgrenzen, sich mit den Ausgegrenzten soli-
Freizeit gefçhrt, der Freizeitbetåtigung (Pro- darisieren oder ein Statement gegen die Aus-
vokation ¹Gammelnª), der Freizeitkleidung grenzung abgeben. Folk und Rock 'n' Roll
(Provokation ¹Bluejeansª), der Freizeitmusik verschmolzen zu einer neuen Einheit, als am
(Provokation ¹Rock 'n' Rollª). Die technolo- 25. Juli 1965 Bob Dylan, zuvor die groûe
gische Entwicklung machte es mæglich, dass Nachwuchshoffnung des Folk-Revival, auf
erstmals auch Unterhaltungsmusik produ- dem Newport Festival mit elektrischer Gitar-
ziert werden konnte, die provozierte. Die re und Rockband auf die Bçhne trat. Fçr die
Provokation konnte dabei nur durch den Folk-Gemeinde war dies ein Fanal ihrer
Sound geschehen: nicht durch ungewohnte Kommerzialisierung, fçr den Rock ein Signal
Harmonik oder Melodik, sondern durch das des Aufbruchs gegen die Kommerzialisie-
Schreien, Stottern, Kieksen des Sångers, das rung. Texte mit Anspruch und Aussage waren
Peitschen des Basses, das Kreischen der Gi- danach Pflicht. Selbst Megastars wie die
tarren, das Håmmern des Schlagzeugs oder Beatles konnten nicht mehr mit ¹Yeah, Yeah,
gar ganz auûermusikalisch durch die Persæn- Yeah!ª weitermachen.
lichkeit des Interpreten ± und all das in einer
Brillanz und Unmittelbarkeit, die nur die Der Vietnamkrieg, der 1965 mit dem mas-
neusten Medien, die neusten Aufnahmever- siven militårischen Eingreifen der USA eska-
fahren ermæglichten. Mit dem Rock 'n' Roll lierte, lieferte ein geeignetes Thema, das so-
entstand die erste Unterhaltungsmusik, die wohl politisch war als auch als Werkzeug zur
Aufmerksamkeit erzwingt. Der Zwang zur Abgrenzung gegen die Welt der Erwachsenen
Aufmerksamkeit provoziert die Stellungnah- dienen konnte. Im Rock wurde der Vietnam-
me: Man muss sie lieben oder hassen. Populå- krieg zum Krieg der Alten gegen die Jugend
re Musik wurde zu einer Waffe im Generatio- im eigenen Land umgedeutet. ¹You're old
nenkonflikt, politisch wurde sie dadurch enough to kill, but not for voting / You don't
nicht. believe in war, but what's that gun your're to-
ting?ª sang Barry McGuire in Eve of De-
Erst Jahre spåter entwickelte sich die For- struction (1965), dem græûten Folk-Rock-Hit
derung nach selbstbestimmter Freizeit zu der frçhen Kriegsjahre. Im selben Jahr er-
einem Politikum. Verschiedene Entwicklun- gånzte Bob Dylan in I Ain't Marching Any-
gen kamen zusammen. Der Rock 'n' Roll war more (1965): ¹It's always the old, to lead us to
von Anfang an sowohl Kultur zur Definition war / And always the young to fall.ª Am 3.
von Jugend als auch Produkt zur Erschlie- Mai 1970 læsten Soldaten der Nationalgarde
ûung neuer Mårkte gewesen. Als die Lawine eine Demonstration von Studenten gegen die
erst einmal rollte, waren selbst die Krawalle Ausweitung des Vietnamkriegs auf Kambo-
in Kinos und Konzertsålen immer auch Mar- dscha an der Kent State University, Ohio, ge-
keting. Vor allem intellektuelle Jugendliche waltsam auf. Vier Demonstranten wurden ge-
wandten sich bald gegen den Ausverkauf und tætet. Eine Untersuchungskommission des
die Fremdbestimmung von ¹Jugendlichkeitª. Pråsidenten stellte spåter fest, die Nation sei
Jugend definierte sich weiterhin als Freizeit- gezwungen worden ¹to use the weapons of
kultur, doch durch die Politisierung der Frei- war upon its youthª 2. Wenig spåter erreichte
zeit ergab sich die Mæglichkeit, die Verflech- Neil Youngs Song Ohio, gesungen von Cros-
tung von Freizeit und Markt zu durchbre- by, Stills, Nash and Young die amerikani-
chen ± fçr kurze Zeit. Man grenzte sich ab schen Top-40: ¹Tin soldiers and Nixon's co-
durch die Vereinnahmung der Musik von ming / We're finally on our own / This sum-
Ausgegrenzten: den Folk und die Arbeiterlie-
der der weiûen Unterprivilegierten und den
Blues, den Jazz und den Gospel der afroame- 2 Zit. in: H. Bruce Franklin (Hrsg.), The Vietnam War
rikanischen Minderheit. Die Anteile der in American Stories, Songs and Poems, Boston 1976,
¹kommerziellenª Unterhaltungsmusik wur- S. 213.

APuZ 11/2005 31
mer I hear the drumming / Four dead in scher Jugendbewegung und Rock. Die popu-
Ohio.ª låre Musik spaltete sich auf in immer mehr
Stile, definierte nicht mehr ¹Jugendª, sondern
Bei allem politischen Engagement waren nur noch Fangruppen. Punk war der letzte
die Proteste gegen den Vietnamkrieg immer Versuch, die Fiktion der Musik in den Alltag
auch Foren zur Definition von Jugendlich- herçberzuholen, Musik zu leben. Der ¹Sum-
keit. Und so konnten die Songs sowohl von mer of hateª 1976 wurde auch als Reaktion
den Kriegern fçr den Frieden auf den De- auf die Weltferne der Jugendkultur dieser
monstrationen daheim als auch auf den Zeit und besonders der Hippies propagiert.
Schlachtfeldern in Vietnam gehært werden. Ihr Verhåltnis zur Alltagswelt war jedoch
Jimi Hendrix' Widmung seines Stçcks Ma- sehr åhnlich. Das ¹no futureª und die Provo-
chine Gun kann auch ganz ohne Ironie ver- kation um der Provokation willen bedeuteten
standen werden: ¹I'd like to dedicate this one nichts anderes als den Verzicht auf jeden Ver-
to the draggin' scene that's goin' on ± all the such gesellschaftlicher Einflussnahme. Dass
soldiers that are fightin' in Chicago, Milwau- ausgerechnet Malcolm MacLaren, eine der
kee and New York ± oh yes, and all the sol- zentralen Figuren des britischen Punk, den
diers fightin' in Vietnam.ª Schein einer Abrechnung mit dem Kommerz
und der Kçnstlichkeit der populåren Musik
Zum Hæhepunkt und Endpunkt des drei- als seine wunderbar erfolgreiche Geschåfts-
jåhrigen ¹Summer of Loveª hat die Rockge- idee und einen bewussten Betrug an den Hæ-
schichte das Woodstock Festival ernannt. Die rern feiert, als The Great Rock 'n' Roll
Vision von Frieden jedoch, als deren Verkær- Swindle (Film von Julien Temple, 1980), ist
perung die ¹three days of peace and musicª bezeichnend fçr das Spiegelkabinett, das ent-
vom 15. bis 18. August 1969 auch heute noch steht, wenn die Grenzen zwischen Fiktion
gern gefeiert werden, war letztlich nur eine und Realitåt aufgehoben werden, wenn sich
ausgeflipptere Variante der Schlagerzufrie- das ¹no futureª von Jugendlichen ohne beruf-
denheit. Woodstock war perfekte Unterhal- liche und soziale Perspektive in der Perspek-
tung, die Verschiebung eines regendurchnåss- tiv- und Zukunftslosigkeit der Unterhaltung
ten Ackers im Bundesstaat New York spiegelt.
mitsamt 450 000 Menschen in ein Paralleluni-
versum, in dem die Gesetze der Alltagswelt In Deutschland hatte der Nato-Doppelbe-
nicht galten: Rausch, Traum, Musik und viel- schluss von 1979 noch einmal deutliche Aus-
leicht sogar ein wenig ¹freieª Liebe. Wood- wirkungen auf die populåre Musik. Noch
stock hatte viel weniger mit politischem En- einmal gab es eine Friedensbewegung, die
gagement zu tun, als die filmische Dokumen- Musik fçr ihre Kundgebungen benætigte.
tation dies suggeriert, durch die das Image Doch ihre Musik blickte eher zurçck in die
von Woodstock erst geschaffen wurde. Als zu sechziger Jahre, auf die groûe Zeit der Bewe-
Beginn des Festivals der Schrei des schwarzen gung, als auf die Gegenwart oder gar die Zu-
Sångers Richie Havens nach Freedom ertænte, kunft. Die Zunft der Liedermacher feierte
ersehnten die meisten Besucher noch einen ihre letzte Blçte, und man sang noch einmal
freien Parkplatz oder freie Fahrt auf dem all die bewegten Hits der Woodstock-Øra.
New York State Thruway. Als das Festival Von den neu komponierten ¹Friedensª-Lie-
endete, um 9 Uhr morgens, einen Tag spåter dern blieben nur der proletarische Spaûrock-
als geplant, verhallte Jimie Hendrix' Demon- schlager Sieben Tage lang (1980) der hollåndi-
tage der amerikanischen Nationalhyme Star schen Gruppe bots und das durch den Grand
Spangled Banner åhnlich ungehært. Wer noch Prix geadelte Ein biûchen Frieden von Nicole
nicht abgereist war, steckte tief im Sumpf des (1982) in Erinnerung: erfolgreiche Unterhal-
durch Regen aufgeweichten Ackers, des orga- tung, im ersten Fall sogar mit ernster politi-
nisatorischen Chaos oder des eigenen Katers. scher Intention. Als solche macht sie es je-
Woodstock war friedlich, weil die Auûenwelt doch den Hærern einfach, politische Bezçge
drauûen blieb. der eigenen Weltanschauung beliebig anzu-
passen oder gar vællig zu çbersehen. Bei kon-
Mit der Eskalation der Gewalt auf den De- kreten Nachfragen kænnen sich die Autoren
monstrationen und der Flucht in den Unter- immer missverstanden fçhlen und sich insge-
grund bzw. in eine psychedelische, weltferne heim çber die Publicity freuen, die ein Ver-
Innerlichkeit zerfiel die Koalition von politi- dacht politischer Stellungnahme bringt.

32 APuZ 11/2005
Popgeschichte schrieben zur gleichen Zeit strie auf ¹9/11ª zunåchst eine globale Rçck-
nicht die Friedensbewegung oder ihre Schma- sichtnahme war. In ihrem Bemçhen, die
rotzer, sondern die Neue Deutsche Welle und Hærer bloû nicht aus ihren Tråumen zu rei-
ihre Epoche machende Regression ins Infan- ûen, gingen einige Radiostationen sogar so
tile. Musik musste långst nicht mehr den An- weit, dass sie eine ganze Reihe von Liedern
spruch der Jugend auf eine genuine Kultur kritischer (oder auch nur moslemischer) Mu-
manifestieren, man konnte sich im Spiel mit siker aus ihrem Programm strichen. Die Liste
Kindern und im Schlager mit Erwachsenen der 150 ¹lyrically questionableª Songs, die
verbçnden. Nenas 99 Luftballons (1983) ver- das græûte Radio Netzwerk der Welt, Clear
ursachen zwar im Text einen zerstærerischen Channel Communications mit çber 1 200
Krieg, ermæglichen jedoch genauso die kleine Sendern in den USA, nach dem 11. September
Flucht aus der Realitåt wie der bunte Luftbal- nicht mehr spielen mochte, enthålt nicht nur
lon, mit dem Alda Noni 1944 den Zerstærun- Stçcke mit plætzlich makaber gewordenen Ti-
gen des Krieges entschwebte (Kauf dir einen teln wie In The Air Tonight (Phil Collins),
bunten Luftballon). Another One Bites the Dust (Queen) oder
Knockin' On Heaven's Door (Bob Dylan),
Die Idee, dass Musik die Welt veråndern sondern auch Klassiker der Friedensbewe-
kann, vertritt inzwischen kaum noch ein Mu- gung wie John Lennons Imagine, Barry
siker, obwohl manche gegen den Krieg ge- McGuires Eve of Destruction sowie Blowin'
schriebene Lieder sogar erfolgreich waren. In The Wind mit Peter, Paul & Mary.
Zehn Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs
entstanden zum Beispiel Bruce Springsteens Ein Schelm, wer sich bei populårer Musik
Born in the USA (1984) oder Paul Hartcastles etwas denkt. Selbstverståndlich war Freddy
19 (1985). Das Schicksal besonders des erstge- nicht fçr Kriege als solche, und Neil Young
nannten Songs ist bezeichnend: Sein Erfolg war vielleicht auch nie so richtig dagegen.
veranlasste Pråsident Ronald Reagan, 1984 in Selbstverståndlich hat Immer feste druff
Wahlkampfreden Springsteen als Verkærpe- keine Schuld am Ersten und Kauf dir einen
rung desselben Patriotismus hervorzuheben, bunten Luftballon keine Schuld an der Dauer
den dieser in seinen Songs als scheinheilig kri- des Zweiten Weltkriegs. Selbstverståndlich
tisierte. Der pathetische Sound von Born in hat Bob Dylan einfach immer nur gute Musik
the USA und die vieldeutige, håufig wieder- machen wollen, und Nicole hatte eine Bot-
holte Titelzeile des Refrains çbertænten schaft. Selbstverståndlich hat Woodstock
offenbar jegliche Autorintention in den Stro- etwas mit Vietnam und Imagine nichts mit
phen. Ûberhaupt: Wer denkt an den Religi- ¹9/11ª zu tun. Populåre Musik und ihre Be-
onskrieg in Nordirland, wenn er am Sonntag- deutungen sind ein schwieriges Thema. Im-
morgen verkatert U2s Sunday, Bloody merhin dçrfen wir sie heute dank des schwin-
Sunday (1982) hært? Wer denkt an die Bedro- denden Einflusses Adornos auf die Musik-
hungen des atomaren Krieges, wenn er zu pådagogik ohne Reue genieûen, ohne nach
den Songs der Reagan-Øra ± zu Culture einer Aussage fragen zu mçssen. Die Produk-
Clubs The War Song (1984), zu Franky Goes tion von Bedeutung wird ohnehin immer
To Hollywoods Two Tribes (1984), zu Stings schwieriger. Es fållt z. B. auf, dass die World
Russians (1985) ± tanzt, tråumt, staubsaugt Peace Music Awards, die nach ¹9/11ª gegrçn-
oder Auto fåhrt? det wurden und ein jåhrliches Konzert sowie
eine Preisverleihung organisieren, fast aus-
Statt fçr die Verwirklichung der Vision schlieûlich die alten Recken der Woodstock-
vom besseren Leben im Alltag zu streiten, ar- Øra ehren, wenn es um kritische Stimmen aus
beitet die Popindustrie daran, den Alltag in den Vereinigten Staaten und Europa geht.
die Fiktion zu transportieren. Nicht nur beim
Einkauf und bei der Arbeit, selbst auf dem Die neuen globalen Medien machen den
Stuhl des Zahnarztes werden kleine Fluchten Kontakt zwischen Musikern und ihren Hæ-
mit Hilfe sanfter Elevatormusic angeboten. rern immer schwieriger. Wie kænnen Eminem
Im Fernsehen kann (fast) jeder seine Haut zu oder Marilyn Manson verhindern, dass ein
Markte tragen und die eigene Nichtigkeit fçr stiller, ruhiger Junge ihre Texte falsch versteht
einige Tage gegen die Rolle des deutschland- und zum Amoklåufer wird? Welche Kontrol-
weit gesuchten Superstars tauschen. Kein le haben Musiker noch çber die Bedeutung
Wunder, dass die Reaktion der Musikindu- ihrer Texte, wenn ein Attentat in New York

APuZ 11/2005 33
aus Ob-La-Di Ob-La-Da çber 30 Jahre nach Gçnter Kleinen
der Aufnahme einen Song çber Osama Bin
Ladin (O. B. Ladi) macht (zumindest in den
Ohren der Radiomacher des Clear Channel
Netzwerks)? Die Produktion von Bedeutung
Musik als
wird immer mehr zur Aufgabe des Einzelnen.
Medium der poli-
tischen Bildung
Zu den seligen Zeiten, als Rock noch die
Musik der Jugend war, als es ± pauschal ge-
sprochen ± nur die Differenz zwischen den
Beatles und den Rolling Stones gab, waren
alle an der Schaffung von Bedeutung beteiligt,
diskutierten çber die Authentizitåt der Aus-
sagen von Revolution und Street Fighting
Man. In diesen Jahren musste ein Song eine
P ablo Casals soll einmal gesagt haben,
dass ¹alle gute Musik Frieden stiftetª.
Was aber ist gute Musik? Fçr Casals war das
Aussage haben, Stoff zum Gespråch liefern, keine Frage, aber in der Vielfalt aktueller mu-
um nicht in den Verdacht der Kommerzialitåt sikalischer Lebenswelten gibt es hierzu kei-
zu geraten. Seitdem ist die Zahl der aktuell nen Konsens. Dagegen fçhrte der Religions-
zugånglichen Titel und Stile explosionsartig wissenschaftler Bassam Tibi 2004 in Weimar
gewachsen. Inzwischen verkærpert jede Band auf einer Tagung çber Musikalische Identitå-
ihr eigenes Genre, und bald ist jeder Hærer ten aus: ¹Die Musik allein oder gemeinsames
sein eigener Fanclub. Aus dem Internet kann Musizieren reichen
man sich die Musik aus 50 Jahren Rockge- nicht aus zur Versæh- Gçnter Kleinen
schichte und aus jedem Land der Welt herun- nung zwischen Væl- Dr. phil., geb. 1941; Professor
ter laden. Was interessieren da noch Bedeu- kern. Gleichzeitig für Musikwissenschaft und
tungen? mçssen Dialoge ge- Musikpädagogik an der
fçhrt werden.ª Hier- Universität Bremen.
Bedeutungen liegen nicht auf alle Zeiten zu fçhrte er als Bei- Emmastr. 292, 28213 Bremen.
fest zementiert im Material der Musik, sie spiel ein Projekt von kleinen@uni-bremen.de
werden gemacht: in der Kommunikation zwi- Daniel Barenboim
schen Musikern und Hærern, zwischen Hæ- mit jungen israelischen und palåstinensischen
rern und anderen Hærern. Wird diese Kom- Musikern an. Gemeinsam spielten sie Beetho-
munikation, dieses kontrollierende Feedback, ven in nahezu harmonischer Art und Weise.
immer unwahrscheinlicher, kann es passieren, Erst als sie versuchten, darçber zu sprechen,
dass ein Song immer mehr bedeutet, so viel, traten Probleme auf, die zum Scheitern des
dass Bedeutung schlieûlich beliebig wird und Unternehmens fçhrten. Tibis Konsequenz
ein Song das eine, aber auch sein vælliges Ge- daraus lautete: Musik allein gençgt nicht. Erst
genteil meinen kann. Fçr jeden Hærer wird durch Dialoge wird Musik zu einem Instru-
das Lied zum Kommentar der eigenen, indi- ment des Friedens. Dies gilt auch fçr die poli-
viduellen Situation, zum Soundtrack der Er- tische Bildungsarbeit im Musikunterricht,
innerung an die Stationen des eigenen kleinen wobei Musik vor allem dann als Mittel zur
Lebens. Fçr die Gesellschaft wird Musik da- politischen Bildung geeignet ist, wenn Schç-
durch bedeutungslos, harmlos und çber- lerinnen und Schçler durch die Musik eine ei-
haupt: friedlich. gene Perspektive finden kænnen. Die Bei-
spiele mçssen geeignet sein, Diskurse auszu-
læsen und zu inspirieren. Durch ihren
teilweise provokativen Charakter mag die
musikalische Avantgarde hierfçr besonders
geeignet sein.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich


die Schulmusik mit politischer Bildung schon
immer schwer getan hat. Im Kaiserreich zum
Beispiel wurde Musik vællig unreflektiert in
die vaterlåndische Ausbildung eingebunden
und diente dabei schlichtweg der Kriegserzie-

34 APuZ 11/2005
hung. Im Klassenunterricht wurden Lieder benskreisen angeordnet. Vielmehr standen die
eingeçbt, um bei den groûen Feiern ± Kaisers unterschiedlichen Funktionen des Singens im
Geburtstag, Sedanstag, Flottentag ± die gro- Mittelpunkt: individuelles und gemeinschaft-
ûen Gefçhle schçren zu kænnen. Mit diesen liches Singen, der Gesangsvortrag vor Publi-
Liedern sind die Soldaten schlieûlich auch in kum und die Manipulation durch Singen.
den Krieg gezogen, in Deutschland ebenso
wie in Frankreich. 1 In den Jahren der Weima- Das alles wirkte wie ein Dammbruch. Fort-
rer Republik strebte die Musikerziehung an sollte fçr die siebziger Jahre charakteristisch
gemåû der Reform von Leo Kestenberg da- sein, dass das Singen in den Schulen jegliche
nach, die humanisierenden Wirkungen der Selbstverståndlichkeit verlor. Fçr die nachfol-
musikalischen Klassiker fruchtbar zu ma- genden Lehrergenerationen wurde das Singen
chen. Das in denselben Jahren von Fritz Jæde, ein schwieriger Unterrichtsgegenstand, dem
Georg Gætsch und anderen entwickelte Kon- man lieber aus dem Wege ging. Stattdessen
zept der Musischen Erziehung stellte das Ge- rçckten ¹Introduktion in Musikkulturª
meinschaftsideal in den Mittelpunkt. Musika- (Heinz Antholz) und ¹Orientierung am
lisch konkretisiert wurde es im mehrstimmi- Kunstwerkª (Michael Alt) in den Mittelpunkt.
gen Gesang, prototypisch im Kanonsingen.
Das Gemeinschaftsideal gab sich unpolitisch Gleichwohl wurden weiterhin Lieder-
und war daher leicht einzubinden in die poli- sammlungen mit einer aufklårerischen, auf
tische Lenkung, die wåhrend der Zeit des Na- Frieden ausgerichteten Zielsetzung veræffent-
tionalsozialismus dann in der Jugendarbeit licht. Dazu zåhlten die insgesamt zehn Stu-
und durch die Funktionalisierung der Musik dent fçr Europa-Liederbçcher (1974±1994)
im Schulleben vorgenommen werden sollte. und auch, speziell fçr den Gebrauch in den
Schulen, die Sammlung Politisch Lied ± ein
Nach 1945 knçpfte die dominierende neo- garstig Lied? von Manfred Sievritts (1984).
musische Orientierung an die Bildungskon-
zepte der Weimarer Republik an, ohne aus Fçr den heutigen, schçlerorientierten Mu-
der Geschichte gelernt zu haben. Die Lieder- sikunterricht stellt sich zunåchst die Frage,
bçcher der NS-Zeit wurden, nach dem Aus- ob sich Rock- und Popmusik als Medium fçr
tausch der allzu eindeutigen, auf den Fçhrer, den Transport politischer Inhalte verwenden
die Blut-und-Boden-Ideologie ausgerichteten låsst? Das Fragezeichen wird durch eine
Lieder, weiterverwendet. Musikverlage wie grundsåtzliche Ûberlegung unterstrichen:
Bårenreiter (¹Bruder Singerª), Mæseler (¹Das ¹Einer Musik, die primår fçr den Bauch kom-
singende Jahrª), Metzler (¹Unser Liedª) poniert ist und die aufgrund ihrer starken me-
sorgten teilweise fçr Kontinuitåt bis 1989/90. trischen Betonung zwangslåufig motorische
Reaktionen des Publikums provoziert (d. h.
Theodor W. Adorno hatte jedoch bereits Klatschen, kærperliche Bewegungen, G.K.),
Mitte der fçnfziger Jahre Kritik an der poli- kann es kaum gelingen, beim Zuhærer die
tisch blinden Wiedergeburt des Musischen Ebene des Verstandes wach zu halten, so dass
Unterrichts und an der ¹trçb ins Theologi- eine rationale Reflexion der Textinhalte un-
sche schillerndenª Heile-Welt-Pådagogik ge- mæglich wird.ª 3 Dies gilt es zu hinterfragen,
çbt. 2 Dadurch læste er eine turbulente Dis- denn sowohl der Text als auch die damit ver-
kussion çber die Ziele des Musikunterrichts bundene Intention des Kçnstlers kænnen
aus, die schlieûlich eine ideologiekritische ebenso von Bedeutung sein. Andererseits
Wende und Neuorientierung einleitete. Auf wirkt Musik an sich nicht ohne weiteres auf-
die massive Kritik an den verwendeten Schul- klårerisch: ¹Musik war immer schon Aus-
bçchern hin entstanden neue Musikbçcher; druck aller Bewuûtseinsformen der Gesell-
auch ein neues Liederbuch befruchtete die schaft, seien sie rechts, mitte oder links, fried-
fachliche Diskussion. In ihm wurden die Lie- lich oder gewalttåtig. Was an Musik so
der nicht långer nach Tages-, Jahres- und Le- irritierend ist, ist (die Tatsache), dass man ihr

1 Vgl. Heinz Lemmermann, Politik in Liederbçchern, 3 Franz Josef Ratte/Ulrich Siepe, Musik und Musik-

in: Franz Pæggeler, Politik im Schulbuch, Bonn 1985, politik im NS-Staat. Konzeption einer Unterrichts-
S. 192 ±234. reihe zur politischen Bildung im Musikunterricht, in:
2 Vgl. Theodor W. Adorno, Dissonanzen. Musik in Musik im Diskurs, Band 11: Musikvermittlung, hrsg.
der verwalteten Welt, Gættingen 1956. von Reinhard Schneider, Kassel 1995, S. 92±116.

APuZ 11/2005 35
± ohne einen Textinhalt ± leider kaum anhært, Wie schon gesagt, ist Musik an sich politisch
woher sie politisch kommt.ª 4 weder rechts noch neutral oder links. Deshalb
wåre die Frage, welche Musik ein Medium po-
Neben der modernen Popmusik ist die litischer Bildung sein kann, falsch gestellt.
Frage nach politischer Bildung auch im Be- Musik an sich, auch solche, die unter eindeutig
reich der klassischen Musik angebracht. Kæn- politischen Zielsetzungen entstanden ist, kann
nen Werke der europåischen Kunstmusiktra- nur unter bestimmten Voraussetzungen poli-
dition çberhaupt politisch bildend wirken? tisch bilden. Daher ist zu fragen, welche Be-
Wie Hanns-Werner Heister hervorhebt, ist dingungen erfçllt sein mçssen, um Musik zu
dessen ¹historischer wie logischer Ausgangs- einem Medium politischer Bildung werden zu
punkt (. . .) die Mimetische Zeremonie bzw. lassen. Die zentrale Voraussetzung lautet:
das Fest. Damit teilt das Konzertwesen die Musik kann nur dann zum Medium politi-
charakteristische funktionale, temporale, lo- scher Erziehung werden, wenn sie, in welcher
kale und ± çbergreifend ± institutionelle Aus- Form auch immer, teilhat an Dialogen zwi-
grenzung als Ereignis aus dem Kontinuum des schen Musik und den Menschen. Auch fçr die
Alltags (. . .). Eben im Konzert und als Kon- Schule und die in ihr arbeitenden Lehrer und
zert bildet Musik jene ,Welt fçr sich selbst` Schçler gilt: Politisch bildende Wirkungen der
(. . .), welche die bçrgerliche Version der Musik kænnen nur in Dialogen erreicht wer-
Kunstautonomie als gånzlich andere Welt ver- den. Denn nur diese geben Anlass zu Bewusst-
klårt.ª 5 Zum Wesen dieser vom Alltag abge- seins- und Verhaltensånderungen.
hobenen Østhetik gehært, dass die nunmehr
¹absoluteª Musik sich nicht nur von der Do- Die Dialoge kænnen dabei auf zwei ver-
minanz des Wortes læst, sondern sich fort- schiedenen Ebenen angesiedelt sein: erstens
schreitend auch von allen Realitåtsbezçgen auf dem Feld direkter Kommunikation, in pri-
reinigt. So hat das kçnstlerische Geschehen im vaten Gespråchen unter Freunden, in der Fa-
Konzertsaal långst alle Zçge eines Gottes- milie oder bei æffentlichen Veranstaltungen
dienstes angenommen, der sich durch typische und Diskussionen; zweitens in Unterrichts-
Konzertsaal-Rituale von der alltåglichen Le- projekten der Schule, zumeist fåcherçbergrei-
benspraxis abhebt. Wendet man die Kenntnis fend, wobei neben dem Schulfach Musik die
dieser historischen Entwicklung auf die Frage Fåcher Politik, Gesellschaftskunde, Religion,
nach der politischen Wirksamkeit von Kon- Philosophie, Deutsch und Fremdsprachen be-
zertmusik an, so werden starke Zweifel wach. teiligt sein kænnen. Die hier relevanten Dialo-
ge kænnen einerseits durch die Multikulturali-
Denn so hoch die Wertschåtzung von Frie- tåt unserer Gesellschaft entstehen, werden teil-
densmusiken der klassischen Repertoires sein weise aber auch durch die Elemente und
mag, 6 so geringe Resonanz kænnten deren In- Strukturen der Musik selbst provoziert. Das
tentionen heute insbesondere bei jugendlichen geschieht immer dann, wenn in der Musik
Hærern finden. Friedensmusik hat im Kon- fremde, ungewohnte, unverståndliche Elemen-
zertsaal auûerdem nicht per se etwas mit poli- te begegnen, wenn Fremdheitserfahrungen ge-
tischer Bildung zu tun, weil das damit mægli- macht werden. Schlieûlich kommen Dialoge
cherweise einhergehende Bildungserlebnis in auch zustande auf den Wegen der Einfçhlung
der Regel abgehoben vom Alltag ist. Øhnlich und der intellektuellen Reflexion. Einfçhlung
ist es bei heutigen Anti-war-Poptiteln: Auch setzt eine positive Einstellung und die Motiva-
wenn sie noch so entschiedene Friedensbot- tion voraus, sich den Herausforderungen einer
schaften enthalten, haben sie per se nichts mit åsthetischen, gegen Gewalt und auf den Frie-
politischer Bildung zu tun, denn hier schlagen, den ausgerichteten Botschaft zu stellen.
ungeachtet gut gemeinter Interpretationen,
die kommerziellen Interessen der Popgruppen Wichtig fçr die politische Bildungsarbeit
und der Musikindustrie durch. im Musikunterricht ist, dass die Schçlerinnen
und Schçler eine eigene Perspektive gewin-
4 Wulf Dieter Lugert, Rechtsradikale Rockmusik, in:
nen. Diese tritt besonders deutlich bei der
Die grçnen Hefte, (1993) 36. Projektarbeit in Erscheinung. 7 Musiken, die
5 Hanns-Werner Heister, Konzertwesen, in: Die Mu-

sik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Ludwig


Finscher, Band 5, Kassel 1996, Spalten 686 ±710. 7 Beate Dethlefs, Lieder gegen Gewalt ± Lieder fçr
6 Vgl. Dieter Senghaas, Klånge des Friedens. Ein den Frieden. Projekterfahrungen im Musikunterricht,
Hærbericht, Frankfurt/M. 2001. in: Musik und Unterricht, 36 (1996), S. 19.

36 APuZ 11/2005
in den Unterricht genommen werden, mçssen etwas Besonderes, das man aufsuchen, her-
Diskurse auslæsen und inspirieren kænnen. stellen, gestalten muss. Ernst Klaus Schneider
Dabei ist es unwichtig, welche Beispiele zum betrachtet Stille gar als Voraussetzung fçr
Einstieg gewåhlt werden. Selbst Michael Musik allgemein und speziell in der Musik
Jacksons Heal The World (1991) kann akzep- des 20. Jahrhunderts. 10 Der Frieden wird von
tabel sein, obgleich das Lied aus Lehrersicht ihm nicht explizit thematisiert. Aber in allen
sein selbst gestecktes Ziel verfehlt (Heal the herangezogene Musiken von Franz Schubert,
world, make it a better place) und rein kom- Isang Yun, Sofia Gubaidulina, Arvo Pårt und
merziellen Interessen folgt. Auch die Kritik Anton Webern geht es um die Herstellung
am weltweiten Rassismus durch den Song von Ruhe und innerem Frieden.
Born Dead der Gruppe IceT (1994) kænnte
beispielsweise sinnvoll sein, da das Lied An- Sich im Musikunterricht des Themas der
regungen zu einer Diskussion çber die Be- Stille anzunehmen hat noch eine weitere
nachteiligung allein aufgrund der Geburt lie- Funktion. Denn Stille und Konzentration
fert. Aus der Schçlerperspektive wåre eine sind der Beginn einer unmittelbaren, nicht
musikalische Gegençberstellung von Krieg theoriegeleiteten Erfahrung der Musik durch
und Frieden auch auf Basis der Filmmusik zu die Sinne. Werner Pçtz zeigt Wege auf, wie
Der Herr der Ringe 3: Die Rçckkehr des Kæ- man sich in die Musik gestaltend einfçhlen
nigs (2003) mæglich. Sie erweist sich als her- und sie nachempfindend erleben kann, ohne
vorragend geeignet, da sie die Jugendlichen die im Unterricht weit verbreitete einseitig
bestens motivieren kann. Fçr den Krieg steht kognitive Herangehensweise. Er empfiehlt
hier The fields of Pelennor, fçr den Frieden Fçhlen, Empfinden und Spçren anstelle refle-
The return of the King. xiven Verstehens und belegt, dass dies bei
Musik von Gustav Mahler, Arnold Schænberg
Fçr die musikalische Werkbetrachtung im und anderen durchaus mæglich sein kann.
regulåren Klassenunterricht, die sich auf Spçrend wahrnehmen, im Hier und Jetzt
Werke zur Kriegs- und Friedensthematik sein, sich auf die Musik mit allen Sinnen ein-
konzentriert, gibt es diverse Zusammenstel- lassen, das ist eine Annåherungsweise, die
lungen. Angesichts einer geradezu çberbor- auch Denken und Reflektieren nach sich
denden Materialfçlle kænnen sie sich aller- zieht. 11
dings schwerlich dem Vorwurf der Beliebig-
keit entziehen. 8 Die Materialfçlle wird Toleranz wurde bereits 1998 bei einer Bun-
schlichtweg dem Lehrer bzw. der Lehrerin desschulmusikwoche ins Zentrum der musik-
çbereignet, ohne Entscheidungshilfen an die pådagogischen Reflexionen gestellt. 12 In ver-
Hand zu geben. Ein entsprechender Durch- schiedenen Jugendkulturen nimmt Musik
lauf durch die Musikgeschichte bleibt unver- einen hohen Stellenwert ein, da sie sowohl
bindlich. Stattdessen wåre es angeraten, sich zur Identifikation mit der eigenen Gruppe als
zu konzentrieren und nur ein Thema, wie die auch zur Abgrenzung von anderen dient,
Auseinandersetzung mit dem Faschismus bei auch zwischen den Jugendlichen und der El-
Karl Amadeus Hartmann, aufzuarbeiten. 9 terngeneration. Karl Jçrgen Kemmelmeyer
leitet daraus die Chance ab, im Musikunter-
Im Musikunterricht kann auch die Beschåf- richt ein Toleranztraining durchzufçhren. Es
tigung mit Stille und Toleranz zu nachhalti- dient dem Abbau von Hærbarrieren, der Be-
gen Verhaltensånderungen fçhren. Zweifellos hebung von Verhaltensauffålligkeiten einzel-
hat Stille etwas mit Frieden zu tun. Unter den ner Schçler und einer Færderung des Re-
heutigen Lebensbedingungen ist innere Stille

8 Vgl. Eva Rieger, Friedenserziehung im Musikunter- 10 Vgl. Ernst Klaus Schneider, Stille-Erfahrung und

richt, Regensburg 1988; Wolfgang Martin Stroh, Frie- Musik, in: Karl Heinrich Ehrenforth (Hrsg.), Musik ±
denserziehung und Musikunterricht ± Versuch einer unsere Welt als andere. Phånomenologie und Musik-
Orientierung, in: Die Grçnen Hefte, (1991) 30, S. 25± pådagogik im Gespråch, Wçrzburg 2001, S. 189± 204.
31. 11 Vgl. Werner Pçtz, Erfahrung durch die Sinne und
9 Vgl. Hanns-Werner Heister, ¹Ich sitze und schaue Sinnerfahrung. Perspektiven fçr den Umgang mit Mu-
auf alle Plagen der Welt . . .ª Karl Amadeus Hartmanns sik, in: ders. (Hrsg.), Musik und Kærper, Essen 1990,
Komponieren gegen Faschismus und Krieg, in: Hart- S. 65 ±82.
mut Lçck/Dieter Senghaas, Vom hærbaren Frieden, 12 Vgl. Hans Båûler (Hrsg.), Toleranz. Dimensionen

Frankfurt/M. 2005, S. 166±191. fçr den Musikunterricht, Mainz u. a. 1999.

APuZ 11/2005 37
spekts vor dem Musikgeschmack musikalisch Fçr ethnische Minderheiten in unserer Ge-
Andersdenkender. 13 sellschaft ist die ¹Gleichberechtigung, Ge-
rechtigkeit und Freiheit zwischen Nationen,
Wichtige politische Daten lassen sich auch Gesellschaften und Kulturenª 15, so Eberhard
an der Musik festmachen und im Unterricht Seidel von der ¹Aktion Courage ± Schule
aufarbeiten, zum Beispiel die ¹Reichskristall- ohne Rassismusª, noch nicht erreicht. ¹Wer
nachtª vom November 1938. Wolfgang Nie- tolerant ist, ist noch lange nicht antirassis-
deggen hat 1982 mit seiner Rockgruppe BAP tisch. Wer tolerant ist, kann trotzdem diskri-
darçber den Song Kristallnach veræffentlicht, minieren und unterdrçcken.ª Fçr den wieder
der nicht nur die Vergangenheit aufarbeitet, erstarkenden Rechtsradikalismus in Deutsch-
sondern auch eine Verbindung zur Gegen- land spielt die Musik von Neonazi-Bands
wart herstellt. Er kann im Musikunterricht und von ¹rechtenª Dark-Wave-Bands eine
im Detail behandelt werden, mæglicherweise nicht unwichtige Rolle; das Thema gehært
im Zusammenhang mit Steven Spielbergs daher unbedingt in den Musikunterricht. Zur
Film Schindlers Liste (1993), dessen emotio- Solidarisierung gegen Fremdenfeindlichkeit
nale Wirkung maûgeblich durch die Filmmu- hat BAP eine eindringliche Demonstration
sik von John Williams geprågt wird. initiiert. 16 Mit musikalischen Mitteln wird
dazu aufgefordert, Widerstand gegen die ex-
Aus der Sphåre der Konzertsaalmusik treme Rechte zu artikulieren (¹wer eine Spra-
kænnte Arnold Schænbergs Ein Ûberlebender che besitzt, muss sich wehren, wer ein Herz
aus Warschau einbezogen werden, der die hat, sich erklåren . . .ª).
Geschehnisse im Warschauer Ghetto erschçt-
ternd und aufrçttelnd schildert. 14 Benjamin Mit der musikalischen Avantgarde hat es
Brittens War Requiem wurde 1961 zur Wie- der Musikunterricht in der allgemein bilden-
dereræffnung der von Nazi-Bombern zerstær- den Schule besonders schwer, weil ihre Spra-
ten Kathedrale von Coventry komponiert. che so komplex, um nicht zu sagen: kompli-
Coventry steht darin als Symbol fçr eine ziert ist. Das ist umso bedauerlicher, als in
sinnlose Zerstærung und will ein Zeichen der dieser Musik die Probleme unserer Gesell-
Versæhnung setzen. Das Requiem nach einem schaft bis in die musikalische Struktur hinein
Text von Wilfried Owens enthålt einen Frie- sichtbar werden. Musik hier als Medium der
densappell, der auch auf die Gegenwart ge- politischen Bildung wirksam werden zu las-
richtet ist. Der Musikunterricht kænnte den sen erfordert eine hohe Kunst der Vermitt-
Besuch einer Auffçhrung des Oratoriums lung.
vorbereiten.
Das gilt beispielsweise fçr die Friedensmu-
Das Ende des Kalten Krieges gegen Ende sik von Klaus Huber Die Seele muss vom
der achtziger Jahre fand auch einen musikali- Reittier steigen (2002). Schon im Text von
schen Niederschlag. Sting hatte noch 1986 Mahmoud Darwisch, der unter den Eindrç-
einen Hit zu dieser Thematik gelandet, und cken der Belagerung von Ramallah entstan-
zwar in The Russians, der ebenso im Musik- den ist, wird eine fçr uns ungewohnte Per-
unterricht behandelt werden kænnte wie spektive eingenommen, die Aussagen geben
Wind of Change von den Scorpions. Die aus nåmlich die Trauer einer arabischen Mutter
Hannover stammende Rockgruppe liefert um ihren von Israelis getæteten Sohn wieder.
damit einen musikalischen ¹Kommentarª zur In der Komposition werden musikalische
deutschen Wende von 1989/90, der weltweit Elemente zusammengefçhrt, die an und fçr
zu einem ihrer græûten Hits werden sollte. sich unvereinbar sind. Das mag bei arabischen
Mit der Ballade konnte sie das Ende der Kon- und europåischen Instrumenten und Gesang-
frontation verkçnden. weisen noch angehen, erweist sich bei den
Tonsystemen und Modi (arabisch: Maqamen)

13 Vgl. Karl Jçrgen Kemmelmeyer, Toleranz als på- 15 Erklårung der UNESCO 2002 in ihrer ¹All-

dagogisches Ziel. Anregungen fçr den Musikunter- gemeinen Erklårung zur kulturellen Vielfaltª.
richt, in: H. Båûler, ebd., S. 223±240. 16 Vgl. das auf CD festgehaltene Konzert vom 9. No-
14 Vgl. Karl-Heinz Reinfandt, Arnold Schænberg. Ein vember 1992, bei dem 100 000 Kælner zusammen-
Ûberlebender aus Warschau, in: Musik im Diskurs, kamen: Arsch huh, Zång ussenander! Gegen Rassismus
Band 11: Musikvermittlung, Kassel 1995, S. 117 ±126. und Neonazis.

38 APuZ 11/2005
aber als unmæglich. Die einander fremden Nicolai. Aus ihrer Sicht hat der instrumentale
Elemente stoûen aufeinander, sie reiben sich, Klang nicht die Funktion der Wortverlånge-
letztlich sind sie aber nicht integrierbar. Fçr rung, sondern er fçhrt als eine kontinuierliche
einen Westeuropåer wird es unumgånglich, Bewegung an der Stelle fort, wo das Wort zu
die ehemals selbstverståndliche eurozentristi- Ende ist. ¹Ich habe versucht, die Essenz der
sche Perspektive aufzugeben. 17 abendlåndischen Liturgie in ihrer vertikalen
Projektion und homophonen Klangstruktur
Bei der rumånischen Komponistin Violeta mit den melodischen Denkweisen der Ortho-
Dinescu ist ein andersartiger kompositori- doxie in Osteuropa in Einklang zu brin-
scher Standort zu reflektieren. Ihr Musikstil gen.ª 18
ist trotz fremder Elemente leichter nachzu-
vollziehen, zumal sie sich in dem Friedens- Was kann Musik bewirken? Sie kann be-
oratorium Wie Tau auf den Bergen Zions aus kråftigen, in Frage stellen, zur Reflexion an-
dem Jahr 2003 auf die begrenzten Auffçh- regen und das emotionale Befinden beeinflus-
rungsmæglichkeiten einer Kantorei einlåsst. sen. Musik ist unfåhig, Frieden herzustellen,
Auch bei ihr werden Musiktraditionen zu- aber sie kann Geschehnisse aufarbeiten und
sammengefçhrt, die sich çber fast zwei Jahr- ins Bewusstsein der Úffentlichkeit rçcken; in
tausende auf getrennten Wegen entwickelt sozialen Gruppen kann sie mitwirken an
haben: die horizontale Heterophonie des einem Empfinden fçr die Gemeinschaft, an
Ostens mit der vertikalen Klanglichkeit des der Bewåltigung alltåglicher Konflikte (etwa
Westens. Ihr Tonmaterial sucht sie in den in Rollenspielen). Sie kann darçber hinaus
oberen Bereichen des Klangspektrums, so Aggressionen abbauen. Musik kann positiv
dass dessen tonale Zentren kaum noch spçr- an Ritualen mitwirken, die das Leben in der
bar sind. Sie hålt die Teilung der Oktave in Gemeinschaft stçtzen, auch Kommunikati-
zwælf gleich groûe Intervalle, wie sie zu Zei- onsdefizite und einen Problemstau verrin-
ten des Johann Sebastian Bach vorgenommen gern, Toleranz færdern.
wurde, fçr einen brauchbaren Kompromiss.
Der Frieden ist ein Topos der Musik in his-
Dinescu schreibt ein Friedensoratorium, torischer Perspektive. Dafçr stehen histori-
ohne dass der Frieden in den Texten direkt sche und aktuelle Lieder, speziell auch die
angesprochen wçrde. Sie hålt sich dabei an Messe mit dem ¹dona nobis pacemª (Frie-
ein Sprichwort aus ihrer rumånischen Hei- densgruû). Friede ist auch privates Glçck, er-
mat: ¹Im Haus des Gehenkten spricht man zåhlt davon oder beschwært es. Die Beispiele
nicht vom Strang!ª Den Wunsch nach Frie- stammen aus der Kunstmusik (Barock, Ro-
den artikuliert sie auf zwei Textebenen: einer- mantik, Biedermeier ± Friedrich Rçckert und
seits mit biblischen Aussagen, andererseits Robert Schumann: Du bist die Ruh', der Frie-
mit sehr knappen Fragmenten aus Romanen de mild, Goethes Ûber allen Wipfeln in diver-
von Erich Maria Remarque, die als eine Art sen Vertonungen) wie aus der populåren
Graffiti eingestreut sind. Sie stellen winzige Musik (tausendfach, z. B. Ein bisschen Frie-
Partikel dar, die mit wenigen Worten Remar- den von Nicole). Beruhigende, friedensstif-
ques Antikriegs-Romane evozieren sollen. tende Wirkungen werden ermæglicht durch
Einige Beispiele lauten: ¹Der Raum hatte die Spracheigenschaften, aber auch die Ge-
kein Fensterª ± ¹Und dieses Gefçhl aus Trau- fçhlsnåhe der Musik, in æffentlichen Diskur-
er, Melancholie, Hoffnungslosigkeit, Sehn- sen wie im privaten Bereich. Die ausgelæsten
sucht und Schmerzª ± ¹Lautlos hebt sich der Emotionen sind allerdings offen in beliebige
Morgen aus den blçhenden Båumen wie aus Richtungen. Die Musik bedarf daher, zu ihrer
einem bleichen Bettª ± ¹Und die Wolken zie- eindeutigen Festlegung, der Pråzisierung
hen darçber hinª ± ¹Der Wind klirrte an dem durch das Wort.
Gestånge der Schranken, als wåren sie Har-
fenª. Dinescu zitiert auûerdem das Kyrie elei-
son aus der griechisch-orthodoxen Liturgie
und den Choral ¹Wachet aufª von Philipp
18 Aus einem Gespråch des Autors mit der Kom-

ponistin vom Januar 2005. Vgl. Eva-Maria Houben


17 Vgl. Claus-Steffen Mahnkopf/Younghi Pagh-Paan
(Hrsg.), Violeta Dinescu, Saarbrçcken 2004.
(Hrsg.), ars (in)humana. Zur Position des Menschen in
den Kçnsten unserer Zeit, Bremen 2004.

APuZ 11/2005 39
Helmke Jan Keden nachlåssigen zu wollen, soll der Schwerpunkt
auf der Darstellung der vokalen Musikpraxis

Musik in national- liegen. Sie hatte in den Lagern eine besonders


groûe Bedeutung, weil sie zu den ursprçng-

sozialistischen
lichsten Formen musikalischer Betåtigung
zåhlte.

Konzentrations- Funktionen musikalischer Praxis


fçr das NS-Lagerpersonal

lagern In der Forschungsliteratur sind eine Vielzahl


von Verwendungszusammenhången erwåhnt,
die den ¹Einsatzª von Musik durch die natio-
nalsozialistischen Unterdrçcker in den Kon-
D ie beiden Begriffe ¹Musikª und ¹Kon-
zentrationslagerª stehen sich scheinbar
unvereinbar gegençber. So stråubt man sich,
zentrationslagern schildern. Nachfolgend
werden die wichtigsten Funktionen dieser
Musikpraxis kurz dargestellt.
den Inbegriff der grausamen Realitåt des
¹Dritten Reichesª, die nationalsozialistische
Die musikalisch aktiven Internierten wur-
Internierungs- und Vernichtungsmaschinerie,
den in den Lagern håufig zu Instrumental-
mit musikalischen Konnotationen zu ver-
und Vokalensembles zusammengefasst und
knçpfen, doch hat die
Helmke Jan Keden Forschung in einer
mussten repråsentative Aufgaben bei offiziel-
Dr. phil., geb. 1974; Studienrat Vielzahl von Beitrå-
len Anlåssen (z. B. politischen Gedenkfeiern)
am Evangelischen Dietrich-Bon- gen darauf hingewie-
çbernehmen. Sie ¹dienten auch als Zierde
hoeffer-Gymnasium in Hilden; sen, dass Musik håufig
bei Lagerbesichtigungen durch auswårtige
Lehrbeauftragter für musikwis- ein fester Bestandteil
Besucherª 5 und wurden bei anstehenden
senschaftliche und musikpäd- in Konzentrationsla-
Inspektionen von hochrangigen Parteimit-
agogische Lehrveranstaltungen gern war. 1 Dabei be- 1 Vgl. Hans-Gçnther Klein, . . .Wenigstens den
an der Bergischen Universität zogen sich diese Un- ¹zweiten Todª wieder aufzuheben . . . Komponisten in
Wuppertal, Gauûstraûe 20, tersuchungen und Be- Theresienstadt, in: Neue Zeitschrift fçr Musik, 156
42097 Wuppertal. richte zumeist auf die (1995) 1, S. 30±33; Ulrike Migdal, Und die Musik
HelmkeJanKeden@gmx.de exemplarische Dar- spielt dazu. Chansons und Satiren aus dem KZ There-
stellung der gångigen sienstadt, Zçrich 1986; Katja Klein, Kazett-Lyrik. Un-
tersuchungen zu Gedichten und Liedern aus dem
Musikpraxis in unter- Konzentrationslager Sachsenhausen, Wçrzburg 1995.
schiedlichen Lagern und ihre zum Teil er- 2 Vgl. Eckhard John, Musik und Konzentrationslager.
schçtternden Umstånde. 2 Eine vertiefende, Eine Annåherung, in: Archiv fçr Musikwissenschaft,
systematische Beschåftigung setzte bis auf 48 (1991) 1, S. 14± 36; Milan Kuna, Musik an der
wenige Beitråge bisher nur zægerlich ein. 3 Grenze des Lebens. Musikerinnen und Musiker aus
bæhmischen Låndern in nationalsozialistischen Kon-
zentrationslagern und Gefångnissen, Frankfurt/M.
Auch wenn sich momentan der Fokus des 1993; Gabriele Knapp, Das Frauenorchester in Ausch-
wissenschaftlichen Interesses innerhalb der witz. Musikalische Zwangsarbeit und ihre Bewålti-
Auseinandersetzung mit Musik in totalitåren gung, Hamburg 1996, S. 121.
Staatssystemen wieder zu çbergreifenden, be- 3 Vgl. Guido Fackler, ¹Des Lagers Stimmeª ± Musik

sonders komparatistischen Diskursen æff- im KZ. Alltag und Håftlingskultur in den Konzentra-
net, 4 kann gerade die Erærterung der funktio- tionslagern 1933 bis 1936. Mit einer Darstellung der
weiteren Entwicklung bis 1945 und einer Biblio-/Me-
nalen Bedeutung von Musik in Konzentrati-
diographie, Bremen 2000; vgl. ebenfalls Dokumenta-
onslagern auch diese Intentionen mit neuen tions- und Informationszentrum Emslandlager, Das
Sichtweisen bereichern. So beinhaltet die ver- Lied der Moorsoldaten. 1933±2000, Papenburg 2002.
gleichende Untersuchung des Einsatzes von 4 Vgl. Marion Demuth, Musik ± Macht ± Missbrauch,

Musik im Mikrokosmos ¹Lagerª die Mæg- Dresden 1995; Isolde von Foerster u. a. Musik-
lichkeit, Erkenntnisse in der ambivalenten forschung ± Faschismus ± Nationalsozialismus, Mainz
2001; Oliver Kautny/Helmke Jan Keden, Musik in
Funktionalisierung von Musik, bzw. çber Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Tagungsbericht des
deren Einsatz durch Unterdrçcker und Wuppertaler Symposions 2004, Mainz 2005 (i. E.).
Unterdrçckte gleichermaûen, zu gewinnen. 5 E. John (Anm. 2), S. 14; vgl. auch M. Kuna (Anm. 2),

Ohne den instrumentalen Musikbereich ver- S. 52 f.

40 APuZ 11/2005
gliedern eingesetzt. Teilweise betrieben die lassen: ¹Allenfalls wçnschte der Lagerfçhrer
Lagerfçhrer solche Ensembles auch aus Lieb- ,Ein Lied`. Je stræmender der Regen floû
haberei. Diese musikalischen Gruppen konn- (. . .), desto dçmmer war das Lied, das ge-
ten aber gleichzeitig auch die Funktion eines sungen werden muûte ± einmal, dreimal,
Statussymbols çbernehmen, wenn sie als Mit- auch fçnfmal hintereinander, zum Beispiel:
tel zur Machtdemonstration gegençber Un- ,Kommt ein Vogel geflogen . . .` oder ,Was
tergebenen und anderen Lagerleitern einge- schimmert am Waldesrand . . .`.ª 9
setzt wurden. 6
Im KZ Buchenwald mussten inhaftierte
Konzerte und kulturelle Veranstaltungen Juden ± als ¹Strafverschårfungª 10 ± bei Besu-
wurden dazu eingesetzt, Menschenrechtsver- chen hoher Wehrkreiskommandanten nach
treter anderer Lånder sowie Mitarbeiter des dem Abendappell das so genannte ¹Juden-
Roten Kreuzes çber die wahren Zustånde in liedª singen:
den Lagern hinwegzutåuschen. Besonders im
KZ Theresienstadt lud man nach groû ange- ¹Jahrhundert' haben wir das Volk betrogen,
legten Selektionen und damit verbundenen kein Schwindel war uns je zu groû und stark,
Verschleppungen in die æstlichen Vernich- wir haben geschoben nur, gelogen
tungslager kritische Besucher ein, um ihnen und betrogen,
mit Hilfe von kulturellen Vorfçhrungen im sei's mit der Krone oder mit
Rahmen der so genannten ¹Freizeitgestal- der Mark (. . .).ª 11
tungª ein scheinbar normales Lagerleben vor-
zugaukeln. Gisela Probst-Effah hat in ihrer Untersu-
chung nachgewiesen, dass Gefangene, die
Doch nicht nur Menschenrechtsvertreter beim Singen ¹mangelnde ,Inbrunst` erkennen
wurden durch Musik çber die wahren Zu- lieû[en], (. . .) mit Prçgeln und Fuûtritten
stånde der Lager getåuscht, sondern auch traktiert wurdenª 12. Håufig ordnete das La-
neue Lagerhåftlinge, die durch Begrçûungs- gerpersonal auch bei der Abfçhrung zu den
musik beruhigt werden sollten, um Unruhe Gaskammern instrumentale Musik und Ge-
und Massenpaniken zu vermeiden. So berich- sånge an. Hinrichtungen und Folterungen
tet Gabriele Knapp von der Sångerin Eva wurden zum Teil mit Musik begleitet, um
Stern, die ± vom Auschwitzer Frauenorches- diesen Handlungen einen ¹zeremoniellen
ter begleitet ± sowohl die Ankunft der Zçge Charakterª zu verleihen.
als auch die anschlieûenden Selektionen und
den Weg der Ausgesonderten zu den Gas- Es gibt Berichte, die darauf hindeuten, dass
kammern gesanglich untermalen musste. 7 Musik bei den Arbeitskolonnen auch als Mit-
tel zur Selektion eingesetzt wurde. So mussten
In den Konzentrationslagern wurde Ge- die Håftlinge auf dem Weg zur Arbeit, wåh-
sang håufig auch als Mittel zur Demçtigung rend der Arbeit und beim Rçckweg ins Lager
und Erniedrigung der Inhaftierten eingesetzt. singen. Dabei richtete sich der Fundus der zu
Um den inneren Willen der Håftlinge zu bre- singenden Lieder meist nach dem Repertoire
chen, mussten sie z. B. Lieder singen, die im der Arbeitsgruppenfçhrer, so dass Volkslieder,
eklatanten Widerspruch zur erlebten Realitåt wie ¹Das Wandern ist des Mçllers Lustª und
standen. Im Gegensatz zur oben dargestellten ¹Steht ein Dærflein mitten im Waldª weit ver-
Praxis bei Neuankæmmlingen in Auschwitz breitet waren. 13 Zeigten sich die durch die
mussten die Neuzugånge im KZ Sachsenhau- kærperliche Arbeit und Quålereien entkråfte-
sen zu ihrer eigenen Erniedrigung u. a. ¹Alle
Vægel sind schon daª singen. 8 Auch beim 9 Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deut-
Abendzåhlappell mussten die Inhaftierten schen Konzentrationslager, Mçnchen 1988, S. 105.
entwçrdigende Schmach çber sich ergehen 10 Vgl. K. Klein (Anm. 1), S. 77.
11 Vgl. E. Kogon (Anm. 9), S. 308.
12 Gisela Probst-Effah, Das Lied im NS-Widerstand.
6 Vgl. E. John, ebd., S. 30 f. Ein Beitrag zur Rolle der Musik in den nationalsozia-
7 Vgl. G. Knapp (Anm. 2), S. 121. listischen Konzentrationslagern, in: Christa Nauck-
8 O. A., Das Lagerliederbuch. Lieder gesungen, ge- Bærner, Musikpådagogische Forschung. Musik-
sammelt und geschrieben im Konzentrationslager pådagogik zwischen Traditionen und Medienzukunft,
Sachsenhausen bei Berlin 1942, Dortmund 1980, S. 2, 9 (1989), Laaber 1989, S. 81.
zit. in: E. John (Anm. 2), S. 7. 13 Vgl. E. John (Anm. 2), S. 7 f.

APuZ 11/2005 41
ten Håftlinge unwillig, weiter zum Gesang zu Funktionen musikalischer Praxis
marschieren oder Lieder zu singen, wurde
dies als Zeichen kærperlicher Schwåche inter- fçr die Internierten
pretiert und hatte eine Aussonderung und teil-
weise sogar den Tod zur Folge. 14 Såmtliche der nachfolgenden musikalischen
Umgangsweisen lassen sich græûtenteils
Musik wurde ebenso als administrative Funktionen zuordnen, die als Form des Wi-
Hilfe zur Koordination von Bewegungsab- derstandes gegen die oktroyierten Umstånde
låufen eingesetzt. Wenn Kolonnen zum Ar- verstanden werden kænnen. In Anlehnung an
beitsdienst aus dem Lager gefçhrt wurden, die von Eckard John vorgenommene Sys-
musste rhythmisch musiziert werden: ¹Mit tematik musikalischer Praxis in NS-Konzen-
der Musik sollten çberdies die Fçnferreihen trationslagern sind die folgenden Funktionen
der Håftlinge, wenn sie das Lagertor passier- vokaler Musikpraxis in den Bereich des ¹pas-
ten, ausgerichtet und in Gleichschritt ge- sivenª und des ¹aktiven Widerstandesª einge-
bracht werden, damit sie von der SS ohne viel ordnet. 19 Dabei werden unter ¹passivem Wi-
Mçhe wåhrend des Marsches genau gezåhlt derstandª die Formen von musikalischer
werden konnten.ª 15 Betåtigung aufgezåhlt, die den reinen Ûberle-
benswillen in jeder Hinsicht unterstçtzten
Es gibt auch Hinweise dafçr, dass die SS und so der eigenen Selbstaufgabe entgegen-
anfangs versucht hat, Gesang als Mittel zur wirkten. Als ¹aktiver Widerstandª werden
Arbeitssteigerung einzusetzen. Jedoch behielt die durch musikalische Mittel dargestellten
die SS diese Praxis nicht lange bei, weil jene Meinungsåuûerung und das Aufzeigen der
Form musikalischer Funktionalisierung unter Missstånde bezeichnet. Diese Art der Kritik
den menschenfeindlichen Umstånden der musste zumeist subtiler ausgeçbt werden, da
Lager zum Scheitern verurteilt war. 16 Aus eine Aufdeckung durch die SS unweigerlich
den Konzentrationslagern Buchenwald-Neu- Repressalien zur Folge gehabt håtte.
engamme und Auschwitz wird berichtet, dass
bei Erschieûungen Musik angeordnet wurde, Passiver musikalischer Widerstand
um die Lautstårke von Schreien und Schçssen
bei Hinrichtungen zu çbertænen. 17 Håufig wurde Musik von den Håftlingen als
Teil einer Ûberlebensstrategie genutzt, um die
Musik diente den nationalsozialistischen erlittenen Demçtigungen zu verarbeiten und
Unterdrçckern als Mæglichkeit der Unterhal- auf diese Weise die eigene Willenskraft zu står-
tung und Regeneration vom ¹Lager-Alltagª. ken. So konnte fçr die Håftlinge Musik eine
Das Wachpersonal sah in Musikvortrågen Mæglichkeit der kurzen Flucht aus der grausa-
auch die Mæglichkeit, neue Kraft fçr die men Realitåt bedeuten, die in eskapistischer
nåchsten schrecklichen Taten zu schæpfen. Art und Weise von den unmenschlichen Um-
Dabei lieûen sich die zum Teil musikbegeis- stånden ablenkte. Ob als aktives Mitglied
terten Despoten musikalische Werke von den eines Ensembles oder als Rezipient einer Auf-
Håftlingen vortragen. Es ist kaum vorstellbar, fçhrung war so die Mæglichkeit gegeben, dem
welche Belastung dies fçr die Auffçhrenden Lageralltag zumindest kurzzeitig zu entflie-
bedeutete, sollten sie sich doch fçr die Erho- hen. Die in Theresienstadt als Kranken-
lung ihrer eigenen Peiniger einsetzen und schwester internierte Jçdin Resi Weglein be-
damit der weiteren Unterdrçckung Vorschub richtet çber die Wirkung damaliger Auffçh-
leisten. 18 rungen: ¹In der Magdeburger Kaserne war im
Raum 241 eine kleine primitive Bçhne errich-
tet worden, und wenn man auch in schreckli-
cher Enge dort sitzen muûte, so war man
glçcklich, einige Stunden des Elends zu ver-
gessen.ª 20 Eine åuûere und damit æffentliche
14 Vgl. G. Knapp (Anm. 2), S. 111 f. Konfliktlæsung war kaum mæglich bzw. le-
15 Ota Kraus/Erich Kulka (Hrsg.), Die Todesfabrik bensgefåhrlich. Hier wird auch die Ambiva-
Auschwitz, Berlin 1991, S. 56.
16 Vgl. M. Kuna (Anm. 2), S. 86. 19 Vgl. E. John (Anm. 2), S. 23.
17 Vgl. E. Kogon (Anm. 9), S. 257, zit. in: E. John 20 Silvester Lechner/Alfred Moos/Resi Weglein
(Anm. 2), S. 11; M. Kuna (Anm. 2), S. 34. (Hrsg.), Als Krankenschwester im KZ Theresienstadt.
18 Vgl. G. Knapp (Anm. 2), S. 130 ff. Erinnerungen einer Ulmer Jçdin, Stuttgart 1988, S. 64.

42 APuZ 11/2005
lenz der funktionalisierten Musikpraxis deut- Gemeinsames Musizieren spendete auch
lich, die bei gleichen Intentionen unter vællig Hoffnung auf eine andere Welt, auûerhalb
kontråren Vorzeichen bei Unterdrçckern und des Stacheldrahtes. ¹Mehr als einmalª, erin-
Unterdrçckten stand: Nutzten die einen zum nert sich Hermann Langbein, ¹bin ich in die-
Teil die Musik, um sich von ihren mærderi- sem Probesaal gestanden und habe deutlicher
schen Taten zu erholen und in eine fiktive als jemals vor ± oder nachher ± die Kraft der
Kulturwelt hineinversetzen zu lassen, prakti- Musik gefçhlt, die davon kçndet, daû es au-
zierten die Håftlinge unter anderen Gegeben- ûerhalb von Auschwitz eine menschliche
heiten die gleiche Musik, um ebenfalls dersel- Welt gab (. . .).ª 24
ben Realitåt zu entfliehen. Dabei wurde von
einigen ehemaligen Gefangenen des There- Øhnlich, wie die Wirkung des gemein-
sienstådter KZs im Nachhinein diese Ab- schaftlichen Gesanges von den Nazis auûer-
schottung von der Realitåt und Flucht in eine halb der Lager zur Ideologisierung und Er-
imaginåre Scheinwelt des vermeintlich kon- zeugung eines Gemeinschaftsgefçhls genutzt
ventionellen ¹Kulturlebensª kritisch reflek- wurde, spielte somit fçr die Inhaftierten der
tiert: ¹So viel auch zur Auswahl stand, nie nicht zu unterschåtzende psychologische
schien es genug, man betrug sich schamlos, Aspekt des Zusammengehærigkeitsgefçhls
unersåttlich und gedankenlos. Diesen toben- beim gemeinsamen Singen eine gewichtige
den Drang, der zahlreiche Ventile fand, kann Rolle im tåglichen Ûberlebenskampf: ¹Durch
man freilich nicht mehr Kultur nennen.ª 21 unsere Lieder wollten wir die Genossen
davor retten, sich resignierend aus der Ge-
So wie die Despoten Musik in bestimmten meinschaft zu læsen und zu Individualisten
Situationen als Mittel der Erniedrigung ein- zu werden. Gerade im Lagerleben und bei
setzten, half das gemeinsame Musizieren den der Fronarbeit war Kameradschaft das ei-
Håftlingen, erfahrenes Leid besser zu verar- serne Gesetz aller Håftlinge, wollten sie nicht
beiten. Wçnsche und Hoffnungen, Tråume in der Gefangenschaft zugrunde gehen. Und
und Sehnsçchte lieûen sich durch Musik aus- nichts bindet und schweiût fester zusammen
drçcken bzw. kompensieren: ¹Es ist unglaub- als das Lied.ª 25
lich, welche Kraft in unserem Gesang lag, wie
er half, die Beziehungen in den unmenschli- Lieder, welche die SS verboten hatte, wur-
chen Verhåltnissen und in der unmenschli- den heimlich in ståndig wechselnden Bara-
chen Zeit menschlicher zu gestalten. Unsere cken gemeinsam gesungen. Zu den Proben
Lieder wirkten wie Balsam auf unseren ver- zog man sich bisweilen auf bei der SS unbe-
wundeten Seelen.ª 22 liebte Orte wie z. B. die Entlausungsstation
zurçck. Harry Naujoks berichtet von der
Durch gemeinsame Musik und ganz spe- Schwierigkeit der Legitimation solcher Tref-
ziell durch gemeinsames Singen konnten die fen und beschreibt die Atmosphåre einer sol-
Håftlinge die Gefahr zerstærerischer Selbst- chen Gesangsveranstaltung: ¹Wenn ein
aufgabe der eigenen Person vermindern und Schallerabend zur Diskussion stand, hatten
somit den gemeinsamen Durchhaltewillen wir immer das Argument: Wir çben nur,
stårken: ¹Wie oft haben wir unseren Trotz damit das Singen auf dem Appellplatz klappt.
und Widerstandswillen hinausgesungen und Bei den Schallerabenden saûen die Teilneh-
den Menschen Kraft zum Aushalten gegeben! mer auf dem Fuûboden, auf den Bånken, Ti-
Wir riskierten wirklich Kopf und Kragen, schen und Schrånken, und sie hingen auch
wenn wir (. . .) mit unserem Chor ,Unsere noch im Gebålk. (. . .). Vor allem wurden
Stunde hat geschlagen, die Tore stehen offen!` Volkslieder gesungen.ª 26
aus Smetanas ,Der Brandenburger in Bæh-
men` (. . .) sangen.ª 23
24 Hermann Langbein, Menschen in Auschwitz, Wien
21 H. G. Adler, Theresienstadt. 1941±1945. Das Ant- 1972, S. 151.
litz einer Zwangsgemeinschaft, Tçbingen 1960, S. 585. 25 Inge Lammel/Gçnther Hofmeyer, Lieder aus den
22 Wolfgang Szepansky/Emil Ackermann, . . . denn in faschistischen Konzentrationslagern. Das Lied ± im
uns zieht die Hoffnung mit. Lieder, gesungen im Kon- Kampf geboren, Leipzig 1962, S. 34, zit. in: Inge Lam-
zentrationslager Sachsenhausen, Berlin o. A., S. 26, zit. mel, Arbeitermusikkultur in Deutschland 1844± 1945.
in: G. Probst-Effah (Anm. 12), S. 85. Bilder und Dokumente, Leipzig 1984, S. 212.
23 Karel Berman, Erinnerungen, in: Rudolf Iltis, The- 26 Harry Naujoks, Mein Leben im Konzentrations-

resienstadt, Wien 1968, S. 256. lager Sachsenhausen 1936 ± 1942. Erinnerungen des

APuZ 11/2005 43
Durch die Beschåftigung mit Musik war heit empfunden und half den Terror der Kon-
die geistige Auseinandersetzung mit einem zentrationslager ertragbarer zu machen.
kçnstlerischen Gegenstand gefordert. Da die
Håftlinge in den Lagern zumeist monotoner Interessant ist diese Bedeutung auch hier
Arbeit nachgehen mussten, konnte die musi- wieder im Hinblick auf die Parallele zur mu-
kalische Betåtigung dazu benutzt werden, der sikalischen Funktionalisierung durch das La-
geistigen Unterforderung des tåglichen Ar- gerpersonal. Dabei låsst sich eine ambivalente
beitsdienstes und der Lethargie zu entkom- Doppelfunktion der musikalischen Praxis
men. 27 Intellektuelle Beschåftigung wurde deutlich erkennen, weisen doch einige Be-
von den Nazis bewusst verboten, da man richte darauf hin, dass das ¹Kulturlebenª im
fçrchtete, hierdurch den Widerstand zu bele- Lager vom Personal ebenfalls mit Wesenszç-
ben. Inhaftierte Komponisten gingen zum gen einer konventionellen Gesellschaft in
Teil sogar so weit, die erlittenen Grausamkei- Verbindung gebracht wurde. Allerdings ge-
ten in Bezug auf ihr kçnstlerisches Schaffen schah dies hier unter vællig anderen Vorzei-
positiv umzudeuten und den unfreiwilligen chen, da die kulturelle Betåtigung der Håft-
Inhaftierungszustand als Chance fçr neue linge vom Lagerpersonal zur eigenen Selbst-
kreative Ansåtze zu nutzen. So schreibt der tåuschung eingesetzt wurde, um z. B. im
in Theresienstadt inhaftierte Komponist Vik- Schein der schænen Kçnste zumindest ge-
tor Ullmann, ¹daû ich in meiner musikali- danklich in eine andere Welt zu fliehen. 31 So
schen Arbeit durch Theresienstadt gefærdert stellte einerseits die SS durch die erzwungene
und nicht etwa gehemmt worden bin, daû wir Musikausçbung der Massentætung ein den
keineswegs bloû klagend an Babylons Flçssen Wahnsinn unterstçtzendes Element zur Seite
saûen und daû unser Kulturwille unserem Le- und legitimierte dies auch als kulturelle
benswillen adåquat warª 28. ¹Normalitåtª fçr die realitåtsferne ¹Erho-
lungª von begangenen Gråueltaten. Anderer-
Die aus unterschiedlichen politischen, kon- seits wurden aber auch die gleichen musikali-
fessionellen, nationalen und sozialen Grup- schen Aktivitåten von den Håftlingen mit
pen zusammengepferchten Menschen sahen ganz anderen Intentionen als Teil einer Ûber-
in der Musik ebenso eine Chance, ihre indivi- lebensstrategie, u. a. durch die vorgetåuschte
duelle Eigenståndigkeit zu bewahren. 29 Tra- Suggestion eines ¹normalenª Kulturlebens,
ditionen, die an die Heimat erinnerten, politi- herangezogen. 32 Offenkundiger kann die
sche Solidaritåt und Gesinnung oder be- funktionale Ambivalenz der gleichen Musik-
stimmte religiæse Anschauungen konnten praxis nicht sein.
weiter gepflegt werden und bildeten einen
wichtigen Gegenpol zur verordneten Gleich-
heit. Dabei wurde gemeinsames Musizieren Aktiver musikalischer Widerstand
auch bewusst zur Kontaktaufnahme und Væl-
kerverståndigung unter den Gefangenen ge- Bezçglich des ¹aktiven musikalischen Wider-
nutzt. 30 standesª kam auch hier besonders dem Ge-
sang als nåchstliegende Form der musikali-
Durch die Regelmåûigkeit von Auffçhrun- schen Øuûerung eine exponierte Rolle zu,
gen und Proben etablierten sich bestimmte konnten doch gegençber der instrumentalen
Ablåufe, die eine gewisse Form von kultu- Musik gerade çber den Text wichtige Inten-
reller ¹Normalitåtª vermitteln konnten. Die tionen vermittelt werden. Doch mussten die
damit verbundene Stetigkeit wurde von den Internierten diese oft kreativ verbergen, um
Håftlingen zum Teil als vermeintliche Sicher- Strafverfolgungen zu entgehen. In der For-
schungsliteratur finden sich u. a. folgende
Formen des ¹aktiven Widerstandesª.
ehemaligen Lageråltesten, Kæln 1987, S. 297, zit. in:
K. Klein (Anm. 1), S. 82.
27 Vgl. ebd; vgl auch Manuela R. Hrdlicka, Alltag im Die von den Nazis vorgegebenen Lieder
KZ. Das Lager Sachsenhausen bei Berlin, Opladen wurden absichtlich falsch gesungen: ¹Trotz
1991, S. 76. hårtester Strafen nahmen die Håftlinge die
28 Ingo Schultz/Viktor Ullmann, 24 Kritiken çber
ihnen oktroyierten Gesånge nicht wider-
musikalische Veranstaltungen in Theresienstadt, Ham-
burg 1993, S. 93.
29 Vgl. K. Klein (Anm. 1), S. 82 31 Vgl. G. Knapp (Anm. 2), S. 126 ff.
30 Vgl. ebd. 32 Vgl. E. John (Anm. 2), S. 20.

44 APuZ 11/2005
spruchslos hin. Sie sangen absichtlich unrein ûen. Das Werk fand schnell seinen Weg in an-
und falsch, brçllten oder sangen zu leise.ª 33 dere Konzentrationslager und konnte so von
einer groûen Anzahl von Chæren, meist
Auch variierte man Gesånge in vielerlei heimlich als Widerstandslied, gesungen wer-
Hinsicht. So wurden z. B. NS-Liedern neue den. Im Ausland wurde das Lied u. a. von den
Texte unterlegt. Texte, die bestimmte Inten- der Arbeitersångerbewegung nahe stehenden
tionen enthielten, wurden geåndert und teil- Komponisten Hanns Eisler und Ernst Her-
weise parodiert. Dadurch bekamen bisher mann Meyer aufgegriffen, bearbeitet und als
weniger sinntragende Wærter neue Bedeu- Mittel des Widerstandes und zu Aufklårungs-
tungen. 34 Verbotene Lieder wurden heimlich zwecken eingesetzt.
gesungen. Besonders die inhaftierten Aktivis-
ten der Arbeitersångerbewegung veranstalte-
ten heimliche Treffen, bei denen traditionelle Theresienstadt
Arbeiterlieder gesungen wurden. 35
Aus einer Vielzahl von Lagern sind Berichte
In den Konzentrationslagern entstand auch çber die Existenz von instrumentalen und vo-
eine Reihe von neuen Liedern, die, wenn zum kalen Ensembles çberliefert, 38 wobei sicher-
Teil auch versteckt, die Zustånde in den La- lich die meisten Quellen çber musikalische
gern anprangerten. Teilweise wurden die Aktivitåten aus dem ¹Durchgangslagerª The-
Stçcke sogar auf Befehl der SS komponiert, resienstadt stammen. Zum einen ist diese Tat-
wie die so genannte Lagerhymnen (z. B. in sache sicherlich auf die groûe Zahl von eta-
Buchenwald und Sachsenhausen). Das wohl blierten Musikern bzw. Musikschaffenden
bekannteste Lied, welches im KZ als Wider- zurçckzufçhren, die in diesem Lager zeitwei-
standslied entstand, ist das von Rudi Goguel, se interniert wurden, zum anderen liegt dies
Wolfgang Langhoff und Johann Esser im auch in der speziellen repråsentativen Bedeu-
Konzentrationslager Bærgermoor geschriebe- tung begrçndet, die diesem Lager von Seiten
ne ¹Moorsoldatenliedª, in dem der Wider- der Nationalsozialisten eingeråumt wurde.
stand durch Selbstbehauptung gegen die Un-
terdrçcker deutlich wird. Dabei sollte das La- Exemplarisch fçr die unvorstellbaren Um-
gerleben auch kompositorisch umgesetzt stånde, unter denen durch die Grçndung von
werden. So åuûerte sich der Komponist Rudi Orchestern, kammermusikalischen Gruppen
Goguel zum Anfang des Liedes dahingehend, und Vokalensembles eine ¹Kulturª in diesem
dass ¹die drei gleichbleibenden Tæne, mit Lager entstand, seien hier einige Ausfçhrun-
denen das Lied beginnt, (. . .) die Úde des gen Joza Karas' çber die Tåtigkeiten des Diri-
Moores und die schwere Situation charakteri- genten, Komponisten und Pianisten Rafael
sieren, unter der die Moorsoldaten leben Schåchter erwåhnt. Dieser baute nach seiner
muûtenª 36. Inhaftierung (30. November 1941) zuerst ille-
gal, dann im Rahmen der von den Unterdrç-
Das Werk wurde unmittelbar nach seiner ckern angeordneten so genannten ¹Freizeit-
Urauffçhrung, die im Rahmen der von den gestaltungª mehrere musikalische Ensembles
Gefangenen organisierten Kulturveranstal- auf. 39
tung ¹Zirkus Konzentrazaniª stattfand, 37
von der SS verboten. Allerdings waren einige So konnte er schon unmittelbar nach seiner
SS-Aufseher von dem Lied so fasziniert, dass Ankunft in Theresienstadt einen Chor mit
sie es sich spåter immer wieder vorsingen lie- etwa 20 månnlichen Laiensångern etablieren,
der sich bald enormer Beliebtheit erfreute.
33 I. Lammel (Anm. 25), S. 33 f., zit. in: G. Probst-Ef- 38 Vgl. M. Kuna (Anm. 2), S. 116 u. 136± 140; Alfons

fah (Anm. 12), S. 81. Waiser, Die Musik stårkte uns, in: Internationales Bu-
34 Vgl. Inge Lammel, Das Arbeiterlied, Frankfurt/M. chenwald-Komitee, Buchenwald. Mahnung und Ver-
1973, S. 74 f. pflichtung. Dokumente und Berichte, Frankfurt/M.
35 Vgl. G. Probst-Effah (Anm. 12), S. 85. 1960, S. 453; E. John (Anm. 2), S. 32 f; I. Lammel
36 Gçnter Kleinen/Helmut Segler, Liedermagazin, (Anm. 25), S. 210; Helmke Jan Keden, ¹Kommst du
Kassel 1975, S. 109. auch zum Kaffeeklatsch?ª. Ein Beitrag zur ,Arbeiter-
37 Vgl. Martin Geck/Bertold Marhol, Banjo. Musik 7± sångerbewegung` im Nationalsozialismus, in: Inter-
10. Hauptschule, Stuttgart 1988, S. 50. Vgl. hierzu auch national Journal of Musicology, 8 (1999), S. 307 f.
den dort abgedruckten Bericht von Wolfgang Langhoff 39 Vgl. Joza Karas, Music in Terezin. 1941±1945, New

zur Urauffçhrung des Liedes. York 1990, S. 23 ±25.

APuZ 11/2005 45
Ebenso grçndete Schåchter einen Frauenchor, Mozarts Zauberflæte und Die Hochzeit des
den er spåter mit dem ersten Chor zu einem Figaro) realisierte. 44 Auch die Auffçhrung
50 bis 60 Personen starken gemischten Vokal- groûer Oratorien, wie J. Haydns Schæpfung
ensemble zusammenfasste. Die Proben wur- und F. Mendelssohns Elias, beide unter der
den zuerst in einem kleinen Raum in einer Leitung von Karl Fischer, sind çberliefert.
Baracke der Sudeten abgehalten. Spåter zog
man dann in den Keller des Kinderheims um. Die SS-Kommandeure zeigten bei der Ein-
çbung der Werke ein sehr ambivalentes Ver-
Rafael Schåchter begann mit der Einstudie- halten: Stand in nåchster Zeit keine Inspekti-
rung einfacher Volkslieder, wobei er in dem on oder Fçhrung durch das Lager an, wurde
ebenfalls internierten tschechischen Kompo- das kulturelle Leben stark eingeschrånkt, teil-
nisten und Pianisten Gideon Klein einen en- weise sogar verboten. Kurz vor Besuchen,
gagierten Korrepetitor, Mitarbeiter und spå- ¹da sie eine Kommission erwarteten, (. . .)
teren engen Freund fand. Dieser arrangierte ordneten sie an, daû die Opern in tadelloser
ab April 1942 u. a. tschechische, schlesische, Ausstattung mit Kostçmen und Perçcken
hebråische und russische Volkslieder, 40 so- aufgefçhrt werden sollten, kurz, daû man
wohl fçr den Månnerchor als auch fçr das wirkliches Theater spielen sollteª 45.
Frauenensemble.
Diese Willkçr sei abschlieûend an einem
Neben der Beschåftigung mit Werken von letzten Beispiel verdeutlicht, welches die un-
Gideon Klein begann Rafael Schåchter ohne såglichen Schwierigkeiten und die unfassbare
Hilfsmittel mit den Proben fçr einige Chor- Realitåt im Lageralltag exemplarisch verdeut-
partien aus B. Smetanas Oper Die verkaufte lichen soll: ¹Nachdem der Dirigent Rafael
Braut. Als mit zunehmenden Inhaftierungs- Schåchter im September des Jahres 1943
wellen immer mehr Håftlinge nach There- neben den vier Solisten glçcklich einen Chor
sienstadt verschleppt wurden, konnten pas- von etwa einhundertfçnfzig Sångern versam-
sende Solisten gefunden werden, so dass melt hatte und die Premiere erfolgreich çber
unter widrigsten Umstånden die Proben zur die Bçhne gegangen war, wurde dem Unter-
konzertanten Auffçhrung der Oper aufge- nehmen ein jåhes Ende gesetzt: Eine Wieder-
nommen wurden. 41 Am 28. November 1942 holung der Auffçhrung konnte nicht statt-
fand die Premiere der Oper statt. Rafael finden, weil ein Osttransport den gesamten
Schåchter dirigierte den Chor und begleitete Chor ausradierte. Schåchter verzweifelte
das Ensemble auf einem alten Klavier. Die nicht. Er stellte einen neuen Chor von glei-
Auffçhrung wurde vom musikalisch gebilde- cher Græûe zusammen und studierte das
ten Publikum als ¹musikalische Groûtatª 42 Werk neu ein. Als sei dies nicht genug, ereilte
gefeiert und war so erfolgreich, dass sie 35 das Vorhaben noch einmal ein vernichtender
Mal wiederholt wurde. 43 Rçckschlag in Gestalt eines weiteren Ost-
transports, der den Chor zerstærte. Wieder
Neben dem Opernensemble von Rafael begann Schåchter von vorn, stellte zum drit-
Schåchter wird auch noch von der Grçndung ten Mal einen Chor zusammen; diesmal ver-
eines weiteren Ensembles aus deutschen, mochte er allerdings nur sechzig Sånger zu
æsterreichischen, bæhmischen und måhri- versammeln, und mit dieser Gruppe gab er
schen Chæren berichtet, das zusammengefasst dann fçnfzehn Auffçhrungen. Die Opfer fei-
unter der Leitung des Wiener Dirigenten und erten ihre eigene Totenmesse.ª 46
Komponisten Franz Eugen Klein ebenfalls
weitere Opern (u. a. B. Smetanas Kuû, W. A.

40 Vgl. Hans-Gçnther Klein, Gideon Klein. Mate-

rialien, Hamburg 1995, S. 111± 129.


41 Vgl. Heda Grabova, Opera v. Terezine, in: Staat-

liches Jçdisches Museum Prag 1945, Theresien-


stådter Sammlung, Inv.-Nr. 243, zit. in: H. G. Adler 44 Lubomir Peduzzi, Pavel Haas. Leben und Werk des
(Anm. 21), S. 593. Komponisten, Hamburg 1996, S. 147.
42 Gideon Klein/Hans Krasa/Pavel Libensky/Josef 45 H. Grabov™ (Anm. 41), S. 593.
Stross, Kurzgefaûter Abriû der Geschichte der Musik 46 U. Migdal (Anm. 1), S. 33.
Theresienstadts, in: U. Migdal (Anm. 1), S. 162.
43 Dies., zit. in: M. Kuna (Anm. 2), S. 174.

46 APuZ 11/2005
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stellt werden.
Georg Weiûeno
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Musik und Gesellschaft APuZ 11/2005

Ekkehart Krippendorff
3-6 Mozarts Frieden: ,Nicht von dieser Welt`
Die Suche nach einer komponierten Friedensthematik bei Mozart fçhrt nur zum
Ziel, wenn man die Musik als Kosmologie versteht und die Realitåt daran misst.

Dieter Senghaas
7-14 Wie den Frieden in Tæne setzen?
In der klassischen Musik kommt die Friedensproblematik vielfåltig zum Aus-
druck. Das thematische Spektrum der Kompositionen reicht von Frçhwarnung
bis zur Darstellung von Friedensvisionen.

Jærg Callieû
14-21 Vom ersungenen Frieden in Opernwelten
Frieden ist in der Oper nicht heimisch. Das zentrale Thema ist die Spannung
zwischen gesellschaftlichen Macht- und Gewaltverhåltnissen und der menschli-
chen Identitåt.

Hartmut Lçck
21-28 Musik in einem unfriedlichen Zeitalter
Das ¹Zeitalter der Extremeª zeitigte seine Extreme nicht nur in Politik, Gesell-
schaft und internationalen Beziehungen, sondern auch in einem weiten Spektrum
von politischen Kompositionen.

Dietrich Helms
28-34 Pop Star Wars
Die Anschlåge vom 11. September 2001 erschçtterten auch die Popmusikszene.
Hunderte von Songs wurden in den Monaten danach çber die Attentate geschrie-
ben.

Gçnter Kleinen
34-39 Musik als Medium der politischen Bildung
Politische Bildung durch Musik ist nur dann mæglich, wenn die Musik in Kon-
texte gestellt wird und eine dialogische Vermittlung erfolgt. Kinder und Jugend-
liche sollten im Rahmen der Schule eigene Perspektiven entwickeln.

Helmke Jan Keden


40-46 Musik in nationalsozialistischen Konzentrationslagern
Eine Vielzahl von Quellen und Untersuchungen zeigen, dass Musik in vielfåltiger
Weise zur brutalen Lebenswelt der Konzentrationslager gehærte.

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