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ARCHITEKTUR IM BESTAND

Planung Entwurf Ausführung


Johannes Cramer
Stefan Breitling

ARCHITEKTUR IM BESTAND
Planung Entwurf Ausführung

Birkhäuser
Basel • Boston • Berlin
Gestaltung und Herstellung: Atelier Fischer, Berlin
Reproduktionen und Druck: Ruksaldruck, Berlin
Bindung: Kunst- und Verlagsbuchbinderei, Leipzig

Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen:


ISBN 978-3-7643-7752-6

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© 2007 Birkhäuser Verlag AG


Basel • Boston • Berlin
Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz
Ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media

Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff.TCF ⬁


Printed in Germany

ISBN 978-3-7643-7751-9

987654321
www.birkhauser.ch
INHALT

9 Architektur und Bestand

15 Architektur und Zeit


18 Baulicher Bestand und Identität
21 Alt und Neu
24 Der Wert des baulichen Bestands

29 Planungsablauf
29 Besonderheiten im Planungsprozess
29 Notsicherungsmaßnahmen
31 Vorbereitende Untersuchungen
31 Planungstiefe
33 Casa de las Conchas, Salamanca, Spanien
34 Die Beteiligten
34 Der Bauherr
35 Der Architekt
35 Die Baugenehmigungsbehörde
37 Übersicht: Das Genehmigungsverfahren
41 Stadtmuseum Naumburg, Deutschland
42 Die Ausführenden
42 Entscheidungsfindung und Kommunikation

45 Grundlagenermittlung
47 Bestandserfassung
47 Grunddaten
48 Literatur und Archiv
50 Dokumentation des vorgefundenen Zustands
54 Bestandspläne
59 Übersicht: Genauigkeitsstufen in der Bauaufnahme
66 Bauuntersuchung
67 Wohnhäuser, Havelberg, Deutschland
68 Bauforschung
71 Nidaros-Dom, Trondheim, Norwegen
74 Schloss Heubach, Deutschland
75 Wohnhaus Balbarini, Pisa, Italien
78 Berhardskapelle, Owen, Deutschland
79 Wohnhaus Schminke, Löbau, Deutschland
83 Tragwerksanalyse
86 Bautechnische und bauphysikalische Untersuchungen
91 Stärken-Schwächen-Analyse

95 Entwurf
95 Entwerfen mit der Geschichte
101 Disposition
102 Bewusste Nutzungsplanung
103 Stadtarchiv in der Kirche S. Agostin, Valladolid, Spanien
104 Überlegte Eingriffe
105 Veranstaltungsraum „Tabourettli“ in dem alten Spalenhof, Basel, Schweiz
107 Gezielte Entlastungsbauten
109 Bankgebäude in gründerzeitlicher Bebauung, Budapest, Ungarn
111 Planungsstrategien
111 Instandhalten
112 Wohnhaus, Venedig, Italien
113 Wohnhaus, Bamberg, Deutschland
115 Modernisieren
116 Stadtpalast als Museum, Venedig, Italien
119 Weiterbauen
121 Wohnung im Industriebau, Madrid, Spanien
122 Ausbau eines Industriegebäudes, Göttelborn, Deutschland
125 Hotel in der Klosterkirche, Maastricht, Niederlande
128 Landesmuseum Schloss Tirol, Bozen, Italien
130 Einfamilienhäuser, Utrecht, Niederlande
131 Geschäftshaus, Zürich, Schweiz
134 Ersetzen
137 Gestaltung
138 Anpassung
139 Schwimmhalle, Spexhall Manor, Großbritannien
140 Auswärtiges Amt in der ehem. Reichsbank, Berlin, Deutschland
141 Vereinheitlichung
144 Fragmentierung
149 Rathausumbau und -erweiterung, Utrecht, Niederlande
150 Nuevos Ministerios, Madrid, Spanien
151 Fügung
154 The British Museum, Queen Elizabeth II Great Court, London, Großbritannien
156 Dokumentationszentrum ehem. Reichsparteitagsgelände, Nürnberg, Deutschland
159 Ausführungsplanung
159 Voraussetzungen
159 Aufbauen statt Abbrechen
160 Bauteilorientierte Planung
162 Bibliothek, Eichstätt, Deutschland
163 Planung mit formtreuem Aufmaß
165 Grundsätze
165 Reparieren statt Erneuern
167 Additive Maßnahmen
169 Stadtmuseum Naumburg, Deutschland
174 Wiederverwendung vorgefundener Materialien
175 Lösungen: zwei Beispiele
175 Energetische Ertüchtigung der Fenster
176 Wohnhaus, Buchschlag, Deutschland
178 Dachwerksinstandsetzung

183 Realisierung
183 Baustelleneinrichtung
185 Werkstattprinzip
186 Bauteilschutz
187 Schloss Heubach, Stadtbibliothek und Miedermuseum, Deutschland
189 Bauleitung
191 Bemusterung und Probeeinbau
193 Aufmaß und Abrechnung
194 Bauzeit und -geld
194 Baukosten und Kostenkontrolle
196 Bauzeitenplan
197 Honorar

199 Nachhaltigkeit
200 Facility Management
202 Monitoring und Pflege
204 Werterhalt

207 Literaturverzeichnis
213 Architektenregister
215 Sachregister
219 Bildnachweis
221 Über die Autoren
ARCHITEKTUR UND BESTAND

Maxima quaeque aedificatio vix nunquam dabitur


per eundem absolvi possit, qui posuerit.* Leon Battista Alberti

Mit dem Schrumpfen vieler europäischer Städte am Ende des zweiten


Jahrtausends ist deutlich geworden, dass die Neubautätigkeit als Arbeits-
feld für die Architekten beständig zurückgeht. Im gleichen Maße gewinnt
die Veränderung der bestehenden Bausubstanz an Bedeutung. Das wach-
sende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft nimmt die achtlose Zerstö-
rung alter Gebäude zu Recht als ökologische Verschwendung, als Vernich-
tung von Heimat, Identität und Kulturgut sowie vor allem von volkswirt-
schaftlichen Werten wahr. Nach unterschiedlichen Schätzungen entfallen
heute 50 % bis 70 % aller Bauaufgaben und ungefähr die Hälfte der Bau-
summe auf die Architektur im Bestand. Auf diese Veränderung des Berufs-
feldes sind viele Architekten nicht mehr oder noch nicht vorbereitet.
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war die Arbeit des Architekten immer
von dem gleichberechtigten und auch gleichermaßen geschätzten Neben-
einander des Neubauentwurfs auf der einen Seite und der Architektur im
Bestand auf der anderen Seite gekennzeichnet. Michelangelo Buonarotti
hat seiner genialen Planung für den Petersdom in Rom eine Vielzahl von
Bindungen des Bauplatzes und der von seinen Vorgängern geschaffenen
baulichen Strukturen zugrunde gelegt. Bis hin zu Karl Friedrich Schinkel
haben fast alle großen Architekten neben ihrer Neubautätigkeit stets einen
bedeutenden Teil ihres Engagements auf die Architektur im Bestand ver-
wendet. Erst seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts diskreditiert
man das Entwerfen für ein schon vorhandenes Gebäude mit Begriffen wie
„Umbauarchitekt“ oder „Bauen im Bestand“. Viele Architekten fühlen sich
schon durch das reine Ansinnen, Vorhandenes in die Überlegungen für ein
Bauprojekt einzubeziehen, so sehr eingeengt, dass sie glauben, keinerlei
Gestaltungsspielraum mehr zu haben. Diese tatsächlich irrationale Angst
verstärkt sich noch, wenn die Planung ein Baudenkmal betrifft. Bau-
denkmale machen zwar allenfalls 3% aller vorhandenen Gebäude aus, doch
die für ihre Instandsetzung und Restaurierung entwickelten und bewähr-
ten Strategien sind fast immer auch auf den „Normalfall“ übertragbar.
*Es wird kaum jemals einen großen Bau geben, der von demselben
zu Ende geführt werden könnte, der ihn begonnen hat.

Der Beginn der bewussten Architektur im Bestand: der Umbau des Castelvecchio
in Verona zum Museum durch Carlo Scarpa (1964). 9
Denkmalpfleger haben auch keineswegs den Auftrag, gute moderne
Architektur zu verhindern. Es gibt also überhaupt keinen Grund für solche
Berührungsängste.
Und natürlich ist die Unterstellung falsch, der Entwurf im Bestand lasse
für eine anspruchsvolle Planung keinen Spielraum. Eine Handvoll dafür
berühmt gewordener Architekten hat schon in den sechziger Jahren das
Gegenteil überzeugend bewiesen. Carlo Scarpa, Karljosef Schattner,
Aurelio Galfetti oder Massimo Carmassi haben gezeigt, dass die qualität-
volle Weiterentwicklung von qualitätvoller Architektur auch für einen ambi-
tionierten Entwerfer eine spannende Aufgabe ist. Das sorgfältig verzeichnete
Werk des Büros Herzog & de Meuron weist fast ein Drittel aller Projekte
im Bestand nach.
Den Vorstellungen der Zeit entsprechend haben die Pioniere der sechziger
Jahre Fragen der Substanzerhaltung und der Ressourcenschonung zu-
nächst nur wenig berücksichtigt. Solche Forderungen wird man heute
nachdrücklicher stellen. Den Beweis, dass bekannte Architekten zu allseits
anerkannten Ergebnissen kommen, zeigen inzwischen viele Entwürfe.
Beispielhaft sei die Planung von David Chipperfield und Julian Harrap
für das Neue Museum in Berlin genannt. Ohne Verlust im Anspruch an die
entwurfliche und gestalterische Qualität gelingt es, die systematisch erfass-
te und bewertete alte Substanz mit einem modernen Konzept spannungs-
reich und unaufgeregt zu verbinden. Es ist nur schwer nachzuvollziehen,
warum diesen auf Systematik und Kreativität zugleich gegründeten Weg
nicht auch andere Architekten gehen können sollten.
Allen diesen Entwerfern war und ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das
Vorgehen, welches für den Neubau Gültigkeit hat, für den Bestand nicht in
gleicher Weise geeignet sein kann. Über das allgemeine Bau- und Pla-
nungsrecht und die gebäudetechnischen Anforderungen hinaus sind im
Bestand zusätzlich diejenigen baulichen Gegebenheiten zu berücksichti-
gen, die von den Vorgängern geschaffen wurden und die man in den
zukünftigen Entwurf integrieren muss und will. Folgerichtig steht die
Ermittlung dieser Grundlagen durch die systematische Erfassung und
Erkundung des Bestands am Anfang des Planungsprozesses. Das mag
zunächst aufwändig erscheinen, zahlt sich aber ohne Zweifel am Ende wie-
der aus. Wer das Tragsystem nicht identifiziert hat, kann auf seine
Eigenheiten nicht eingehen; wer verborgene Werte des Bauwerks nicht
kennt, wird sie schon durch den Entwurf beschädigen oder gar zerstören.

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Der bewusst modern gestaltete Einbau gibt dem Restaurant
in Hamburg einen vollständig neuen Charakter ( Jordan Mozer, 2005).

Wer den Bestand kennt, wird auf Verformungen intelligent eingehen und die
Eigenschaften der alten Baumaterialien ebenso wie die gestalterischen und
historischen Werte einbinden. Der Entwurf muss demzufolge komplexere
Sachverhalte berücksichtigen, als dies im Neubauentwurf der Fall ist. Die
Abstimmungsprozesse sind vielfältiger. Diesen Umstand mag man als Über-
forderung zurückweisen. Man kann und sollte ihn aber besser als
Herausforderung verstehen und für den Entwurfsprozess produktiv machen.
Auf vielen Baustellen muss man leider sehen, dass die Planer sich dieser
Auseinandersetzung verweigern und das alte Haus zunächst einmal auf den
Rohbauzustand reduzieren. Im Umgang mit dem Rest gelten dann optische
Effekte mehr als konstruktiv und gestalterisch durchdachte Lösungen. Die
Lust am Fragment führt zum Verlust des Konzepts. Häufig sind auch schon
die Begriffe ungenau: Altern lassen, Pflegen, Renovieren, Instandhalten,
Instandsetzen, Konservieren, Restaurieren, Reparieren, Erneuern,
Modernisieren, Ersetzen, Rekonstruieren. Dieser unscharfe Wortgebrauch
führt notwendigerweise zu einer babylonischen Sprachverwirrung.

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In dieser Situation soll unser Buch dreierlei leisten: Für denjenigen, der
sich dem Gesamtfeld erstmals nähert, sollen Unterschiede zwischen der
Planung für einen Neubau und dem Entwurf im Bestand deutlich werden.
Dazu gehört neben der umfangreicheren Ermittlung der Grundlagen auch
eine veränderte und angepasste Planungs- und Entwurfsstrategie. Für die
eher am Entwurf Interessierten werden zweitens die unterschiedlichen
Haltungen der neu geschaffenen Architektur zum vorgefundenen Bestand
vorgestellt und analysiert, wie sie in den zurückliegenden Jahren erkennbar
geworden sind. Dass dieser Diskurs nicht zu einer konkreten Handlungs-
anweisung für den erfolgreichen Entwurf im Bestand führen kann, liegt auf
der Hand. Und nicht zuletzt sollen drittens die Besonderheiten der
Baustelle im Bestand verdeutlicht werden.
Dabei geht es uns immer um Orientierung, Verknüpfung und Vorgehen.
Und es versteht sich von selbst, dass wir auch dann, wenn wir eine weitge-
hende Vollständigkeit der vielfältigen Aspekte versucht haben, diese doch
niemals tatsächlich erreichen konnten. Nicht nur deswegen ist unser Buch
kein Handbuch für die Baustellenpraxis und keine Gebrauchsanweisung
zur Lösung praktischer Bauprobleme. Es ist auch kein Leitfaden für die
Denkmalpflege – so sehr wir uns dieser schönen Aufgabe auch verbunden
fühlen und aus dieser Tätigkeit Nutzen gezogen haben. Dazu haben ande-
re schon nützliche Werke vorgelegt, auf die wir in den jeweiligen Kapiteln
gerne verweisen.
Es gibt also gewichtige Gründe für den Architekten und Planer, sich mit
dem Baubestand auseinander zu setzen und das eigene Verhältnis zu des-
sen Werten und Zwängen zu bestimmen. Er hat es mit einem komplexen
Entwurfszusammenhang und vielfältigen Entwurfsparametern zu tun. Wer
sich mit Engagement auf den Entwurf im Bestand einlässt, entdeckt ein
vielschichtiges und faszinierendes Betätigungsfeld, das dem Neubauent-
wurf in nichts nachsteht und durch die Komplexität der Zusammenhänge
zusätzliche Herausforderungen formuliert. Die historische Substanz birgt
eine Fülle von Ressourcen und unentdeckter Werte einerseits und anderer-
seits manche Schwäche und manches Risiko, die zusammengenommen
der Planer klug berücksichtigen und zielgerichtet nutzen muss. Respekt
und Kreativität, die Fähigkeit zur Vernetzung und Verarbeitung unter-
schiedlicher Informationen und individueller Ausdruck sind gefragt. Das
Ergebnis wird hoffentlich klar und konsequent, aber niemals eindimensio-
nal sein. Das alles ist gute Architektur. Wem es gelingt, in seiner Planung

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der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft gerecht zu werden,
zwischen den Ansprüchen der Erinnerungskultur, praktischen Anfor-
derungen und dem zeitgenössischen Kunstschaffen zu vermitteln, der ver-
wirklicht Grundwerte der europäischen Gesellschaft.
Für vielfältige Unterstützung bedanken wir uns bei zahlreichen Haus-
eigentümern und Photographen, die uns bereitwillig das umfangreiche
Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben. Anregende Gespräche mit
Freunden und Kollegen haben uns viele Aspekte verdeutlicht. Wolfgang
Wolters hat uns mit Hinweisen und kritischer Begleitung unterstützt.
Thomas Eißing, Andreas Potthoff, Jens Birnbaum, Arne Semmler und
Friedrich Schmidt haben für das Buch eigens Abbildungen gefertigt.
Die überaus aufwändige und zeitraubende Bildredaktion wäre ohne den
kundigen und engagierten Einsatz von Anke Blümel unmöglich gewesen.
Bernd Fischer hat dem Buch mit Übersicht und in die Details gehender
Sorgfalt seine schöne Form gegeben. Dem Birkhäuser Verlag und dem
Lektor Andreas Müller danken wir für die Initiative und die konstruktive
Begleitung, ohne die das Buch nicht zustande gekommen wäre.

Johannes Cramer Stefan Breitling

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ARCHITEKTUR UND ZEIT

Je schneller die Zukunft für uns das Neue, das Fremde wird, desto mehr Kontinuität
und Vergangenheit müssen wir in die Zukunft nehmen. Odo Marquard

Architektur ist immer an die Zeit gebunden. Sie wird aus einer spezifi-
schen Situation heraus erschaffen, für einen besonderen Zweck entworfen,
Material und Gestalt werden durch die jeweiligen Mittel, Techniken und
Traditionen bestimmt. Nach seiner Fertigstellung ist das Bauwerk mannig-
faltigen Veränderungen unterworfen. Ein Sprichwort sagt: „Sobald der
Maler das Haus verlässt, beginnt der Verfall.“ Die Alterung des Bauwerks
hinterlässt ihre Spuren, die Patina überzieht die Oberfläche, je nach
Alterungsfähigkeit eines Materials die Oberflächen schützend, ehrfurchtge-
bietend oder zerstörend. Konstruktionszusammenhänge lösen sich durch
natürliche Alterungsprozesse auf oder werden durch äußere Einflüsse wie
Brände oder bewusste Eingriffe zerstört. Schneller noch als die Konstruktion
eines Bauwerkes verändern sich oft die Nutzungsbedingungen und die
Ansprüche der Eigentümer und Nutzer, die auf Umgestaltung des
Bestehenden drängen. Bauwerke sind nicht für die Ewigkeit gemacht.
In Analogie zur menschlichen Existenz führt der Baubestand immer wie-
der eindrucksvoll vor Augen, wie nah überraschende Dauerhaftigkeit, all-
mähliche Alterung und plötzliche Zerstörung liegen können. Dass die
Zeiträume, in denen sich dies abspielt, zwischen wenigen Jahren und vie-
len Jahrhunderten schwanken, macht eine wesentliche Faszination der
Architektur aus. Spuren und Narben der Geschichte eines Bauwerkes
lagern sich in Schichten ab, werden an Brüchen sichtbar und so unlösbar
Teil und Eigenschaft der Architektur. Die erhaltene Bausubstanz wird zum
lebendigen Zeugnis nicht nur seiner Entstehungszeit und der Inten-
tionen, Konzepte und Möglichkeiten seiner Erbauer, sondern auch der
Geschichte selbst, des Verlaufs der Zeit mit all ihren Geschehnissen und
Entwicklungen.
Veränderung ist die selbstverständliche Bedingung des Lebens. Neben den
natürlichen Alterungsprozessen, denen auch die Architektur unterworfen
ist, spielt die Umgestaltung durch die jeweiligen Nutzer eine besondere
Rolle für das Fortleben der Bausubstanz.
Die rasche Aufeinanderfolge unterschiedlichster historischer Rahmenbe-
dingungen, von Moden und Stilen, sowie die rasante Entwicklung neuer
Bautechniken haben in allen Epochen der europäischen Baugeschichte

Fraktale Architektur als Spiegel der Wirklichkeit. 15


dazu geführt, dass das Alte durch etwas
Neues ersetzt wird. Der Abbruch begonne-
ner Arbeiten, die Vernachlässigung des
Gebauten, der Teilabbruch und die Zer-
störung bestehender Bausubstanz ist über-
all zu beobachten. Veränderung bedeutet
immer auch die Konfrontation mit dem
Fremden, das das Neue stets ist, und stellt
das Gewohnte und Vertraute in Frage. Von
der Veränderung kann eine beunruhigende
Wirkung ausgehen, insbesondere dann,
wenn sie schnell und plötzlich stattfindet
und wenn ihre Unumkehrbarkeit schmerz-
lich bewusst wird. Und doch ist der Drang
nach Veränderung ein konstituierendes
Element der europäischen Kultur.
Das Bewahren steht dazu nicht im
Widerspruch. Die architektonischen Mittel,
die man zum Schutz der Bausubstanz und
zur Werterhaltung einsetzt, das Ergänzen,
Geschichte produziert Schichten. Die Fassade des
Barco Cornaro mit Wandgemälden der Renaissance in Auffrischen, Verstärken, Umbauen und
der Nähe von Vicenza ist in historischer Zeit vielfach Erweitern des Bestandes, stellen genauso
und ohne Rücksicht auf die historischen Schönheiten
verändert worden. Heute würde man sicher anders
eine Modifikation des Bestehenden und
vorgehen. mithin eine Veränderung dar. Das Pflegen
und Reparieren des eigenen Besitzes mit
dem Ziel, dessen Wert lange und unbeschadet zu erhalten, wenn möglich
noch zu steigern, war und ist in allen Zeiten eine Selbstverständlichkeit.
Ein schadhaftes Gebäude fachgerecht zu analysieren und eine Maßnahme
zu planen, welche das Problem mit geringem Aufwand beseitigt, wurde
gerade in den Zeiten vor Entwicklung der mathematischen Statik hoch
geschätzt. Franz Ignatz Michael Neumann war im 18. Jahrhundert ein
gefragter und viel bewunderter Architekt, der seine Fähigkeiten fast aus-
schließlich im Bestand einsetzte. Seine Lösungen an den Domen in Speyer
und Bamberg zeugen von einem tiefen Verständnis für die historisch
gewachsenen Konstruktionszusammenhänge. Aus diesem Problem-
bewusstsein heraus entwickelte er geniale und individuell angepasste
Architekturen, die zu den großen Leistungen des Barock zählen.

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Auch die Großen passten sich an. Die Baustelle von St. Peter in Rom um 1535. Rechts die
schon weitgehend abgebrochene konstantinische Basilika, links der Neubau, an dem sich bis
dahin berühmte Architekten mit unterschiedlichen Plänen versucht hatten: Donato
Bramante, Raffael, Antonio da Sangallo und Baldessare Peruzzi. Alle Entwürfe blieben
Fragment. Der große Michelangelo baut nach 1546 selbstverständlich auf diesen Vorgaben
weiter. Bis zur Fertigstellung sind mit gleicher Auftragslage auch noch Carlo Maderno und
Gianlorenzo Bernini beteiligt.

Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass der Entwurf für den Bestand nur dann erfolgreich sein
kann, wenn die Grundlagen sorgfältig und umfassend erhoben wurden. Dieser Plan
dokumentiert eine sorgfältige Rissekartierung aus dem 18. Jahrhundert.

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Architektur im Bestand, der anspruchsvolle und richtungweisende Entwurf
in einer vorgefundenen baulichen Situation, hat eine lange Tradition.
Große Architektur ist immer auch im und aus dem Bestand heraus entwi-
ckelt worden, als Weiterentwicklung von vorgefundenen Ansätzen. Unter
den großen Entwerfern der Architekturgeschichte sind viele, die sich durch
die Arbeit mit dem Bestand durchaus nicht in ihrer Kreativität eingeengt
fühlten, sondern gerade hier ihre entwerferische Kraft verwirklichten. Karl
Friedrich Schinkel hebt bei jedem seiner Umbauvorschläge die Sparsamkeit
seiner Lösung hervor. Er zeigt für jeden Umbauentwurf einen Bestandsplan
und gibt damit dem Betrachter die Möglichkeit, selbst über die Veränderung
zu urteilen. Einige seiner Umbauprojekte gehören zu seinen inte-
ressantesten und architektonisch anspruchsvollsten Schöpfungen. Im
Schlösschen des Alexander von Humboldt in Tegel bei Berlin lässt er auf
Wunsch der Bauherren den Altbau sichtbar, bewahrt so seine Würde und
steigert durch die Ummantelung des bestehenden Turmes und dessen
Wiederholung an den vier Ecken des Hauses seine Wirkung. Wie Schinkel
dort ein zusätzliches Geschoss einführt, ohne das vorhandene Haus zu
erdrücken, und wie er schließlich im Inneren ein ebenso ungewöhnliches
wie geniales Nutzungs- und Erschließungssystem umsetzt, das ist bis heute
ein Lehrstück für jeden, der mit komplizierten Entwurfsbedingungen zu tun
hat.

Baulicher Bestand und Identität


Unser Lebensumfeld wird maßgeblich durch Architektur geprägt. Von der
Kulturlandschaft bis zum Quartier in der Stadt bestimmen die historischen
Bauten das Aussehen und den Charakter unserer Umwelt. Die europäi-
schen und außereuropäischen Städte werden vor allem durch ihren Bau-
bestand definiert. Nur er sorgt dafür, dass auch über lange Zeiträume ein
Ort wiedererkennbar bleibt. Die Architektur bestimmt den genius loci, der
die Identität eines Ortes ausmacht. Dieser Begriff umfasst sowohl die Kon-
tinuitäten als auch die gegenwärtigen Charakteristika und die Möglich-
keiten eines baulichen Umfeldes. Die Pflege dieses identitätsstiftenden
genius loci gehört zu den vorrangigen Aufgaben der Stadtplanung.
Bauwerke bleiben in der Regel länger bestehen als ein Menschenleben.
Viele überdauern mehrere Generationen, für manche, wie etwa die ägypti-
schen Pyramiden, scheinen gar die Gesetze der Vergänglichkeit weitgehend
außer Kraft gesetzt. Diese Persistenz prädestiniert den Baubestand zum

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Träger und Orientierungspunkt für die
Erinnerung des Einzelnen wie der Gemein-
schaft. Jenseits der herausragenden Einzel-
monumente definieren sich Regionen und
Städte über die Vielzahl jener Bauwerke, die
architektonisch oder künstlerisch von höchst
unterschiedlichem Wert sein können, an die
sich aber im Laufe der Zeit Bedeutungen
angelagert haben und die in gewisser Weise
Teil der allgemeinen Erinnerung geworden
sind. Wie wichtig diese Orientierungsmög-
lichkeit durch architektonische Kontinui-
täten ist, wird überall dort besonders deutlich
sichtbar, wo sich städtische Strukturen in
rascher Folge verändern.
Wo der Veränderungsdruck hoch ist, bei-
spielsweise in den Zentren der modernen
Großstädte, erzeugt das schnelle Werden
und Vergehen von Architektur eine nervöse
Verunsicherung, welche durch ein verstärktes
Interesse an den geschichtlichen Abläufen
gleichsam kompensiert wird. In Städten
wie Tokio, London oder Paris können sich
deshalb das Bild und der Film als dauer- Die massiven Zerstörungen des zweiten Weltkrieges
haben die Stadt Warschau beinahe ausgelöscht.
haftere Erinnerungsträger erweisen, als die Der Wiederaufbau der Altstadt von Warschau
Architektur. rekonstruiert das Verlorene, ohne es im
Detail zu kopieren.
Nach plötzlichen großen Verlusten an histo-
rischer Bausubstanz, wie sie durch Kriege
und Katastrophen verursacht werden,
besteht ein besonders großes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung durch
Architektur. Der Bruch des Kontinuums führt zu einer intensivierten
Auseinandersetzung mit dem verbliebenen baulichen Erbe. In Chicago gab
der große Brand von 1871 nicht nur Anlass zur Neuerfindung der Stadt,
sondern gleichermaßen auch zur Definition einer spezifischen lokalen
Architektursprache. In Warschau entschied man sich nach den Zerstörungen
im Zweiten Weltkrieg für einen an den Vorkriegszustand erinnernden
Wiederaufbau der Innenstadt auf den historischen Grundstücksgrenzen.

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Im ländlichen Raum ist die Bindung an die Tradition oft noch ungebrochen. Die alten
Bauformen werden im modernen Material weitergeführt, die Pflege und Reparatur des
Besitzes sind eine Selbstverständlichkeit.

Dabei hielt die Architektursprache die Waage zwischen zeitgemäßer


Formgebung und Anspielung auf das Aussehen der Vorgängerbauten.
Die Bewahrung der zahllosen Kriegsruinen nach 1945 zeigt die Intensität
in der Auseinandersetzung mit der Geschichte auch und gerade in der
Konfrontation mit Tod und Zerstörung. Das Authentische und
Unmittelbare der originalen Substanz ist durch die bloße Erzählung oder
das Bild nicht zu ersetzen.
Auch die Architektur einzelner Bauwerke ist immer Arbeit an einem allge-
meinen Gedächtnis und damit Teil der Erinnerungskultur. Worum sich die
Pflege des Landschaftsbildes und des städtischen genius loci im Großen
bemüht, das gibt der Architektur im Bestand am Einzelbau Ausrichtung
und Sinn. Der bewusste Umgang mit dem durch Architektur vermittelten
Umgang mit der Geschichte gehört wesentlich zum Verantwortungs-
bereich des Architekten, der er sich nicht entziehen kann und darf. Ent-
scheidend ist die Verankerung in dem aktuellen gesellschaftlichen, histo-
risch bedingten Diskurs. Es geht darum, die identitätsstiftenden Aspekte
der vorhandenen überlieferten Bausubstanz zu bewahren, zu nutzen und
fortzuführen. Ein solches Architekturverständnis ist die Basis für eine Bau-
kultur, die zugleich weltoffen und regional verankert ist. Wo Traditionen
aufgegriffen und auf intelligente Weise weiterentwickelt werden, entsteht
ein bauliches Lebensumfeld von hoher identitätsstiftender Kraft. Viele
europäische Innenstädte aber auch die regionale Architektur der
Vorarlberger oder der Graubündener Schule ebenso wie das Werk eines
Peter Zumthor oder von Herzog & de Meuron sind dafür Beleg genug. Die

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Architektur im Bestand ist in besonderer Weise Ausdruck einer europäi-
schen Kultur, die Neuerung und Tradition zugunsten eines reichen, charak-
terstarken und vielschichtigen Lebensumfeldes zu verbinden weiß.

Alt und Neu


Das Verhältnis der Öffentlichkeit zur Geschichtlichkeit von Architektur ist
einem steten Wandel unterworfen. Besonders die europäische Kultur legt
großen Wert auf die Überlieferung nicht nur der Rituale, sondern auch der
Substanz, wie die Museumskultur und die Denkmalschutzgesetzgebung
belegen. Dieses Bemühen um Bewahrung ist ambivalent. Einerseits tragen
die Erhaltung und die Pflege des Bestandes kultische Züge und sichern ein
sinnhaftes Lebensumfeld. Andererseits lässt sich das Vergehen von Zeit
nicht verlangsamen und der Alterungsprozess der Gegenstände und
Gebäude nicht endlos verlängern. Die Wiedergewinnung von etwas verlo-
ren Gegangenem, das Festhalten eines definierten Zeitpunktes oder die
Umkehrung eines Entwicklungsprozesses sind prinzipiell nicht möglich
und auch nicht wünschenswert. Die Tatsache des Sterbens lässt sich nicht
verleugnen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts hat John Ruskin in diesem
Sinne die Würde der unverfälschten gealterten Bausubstanz besonders ein-
drucksvoll beschrieben. Für ihn ist der Kunstwert eng an den Alterswert
gebunden, der demzufolge nicht durch moderne Eingriffe beeinträchtigt

John Ruskin stellte die Paläste Venedigs in der Mitte des 19. Jahrhunderts
mit ihrer Patina und allen Spuren der Zeit und Veränderung dar.

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werden soll. Er hat damit die weitere
Architekturdiskussion maßgeblich geprägt
und auch das Fundament der modernen
Denkmalpflege gelegt. Aufgegriffen wurden
diese Gedanken von den Kunsthistorikern
Alois Riegl und Georg Dehio, der 1905 for-
derte, dass die Konservierung und nicht
die rekonstruierende Wiederherstellung des
Gebäudes das Ziel eines geschichtsbewussten
Umgangs mit alten Bauwerken sein müsse.
Die Moderne empfand die Auseinanderset-
zung mit der Baukunst vergangener Epochen
dann zunehmend als unfruchtbare Be-
schränkung der Kreativität und setzte dieser
Tradition die grundsätzliche Erneuerung und
das Recht auf das Neue entgegen. Jede Gene-
ration sollte sich ihr eigenes Lebensumfeld
schaffen und die Architektur sollte sich in
regelmäßigen Abständen radikal erneuern.
Den Bischof von Seggau faszinierte im 18. Jahrhundert
das Historische römischer Fundstücke schon genauso wie Walter Gropius, damals Leiter des Bauhauses,
die Touristen des Jahres 2006 in den Ruinen von Ephesos. schrieb dazu:
„Bei dem Tempo der technischen Entwick-
lungen, die die letzten Jahrzehnte genommen haben, ist es zu fordern, daß
die bisherige Tendenz, Hausbauten auf hundertjährige Lebensdauer zu
erstellen, geändert wird. Die Überalterung der Bauten ist heute eine bedeu-
tend schnellere, als in den vergangenen Generationen. Deshalb ist aus volks-
wirtschaftlichen Gründen zu fordern, daß die Lebensdauer der Häuser
beschränkt wird. Dies würde uns auch in den Stand setzen, die Bauten leichter
zu finanzieren und überalterte schneller auszumerzen.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg und den traumatischen Verlusterfahrungen
der Luftkriegszerstörungen wurde das Verhältnis der modernen Archi-
tektur zur Geschichte noch einmal neu definiert. Die Charta von Venedig
formulierte 1964 in knapper Form Leitlinien zum Umgang mit dem bauli-
chen Kulturerbe, die bis heute für den Umgang mit alten Bauten prägend
sind. Die Kernbotschaft ist, dass der Zeugnis- und Informationsgehalt his-
torischer Architektursubstanz wertvoll und nicht ersetzbar ist und daher
für gegenwärtige und kommende Generationen bewahrt werden muss.

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Um das Wissen über die Bauten zu tradieren, müssen sie erforscht und
dokumentiert werden. Maßnahmen zur Erhaltung der Bauten sollen an der
größtmöglichen Authentizität orientiert sein. Dazu gehört, dass im Zwei-
felsfall die Bewahrung der Substanz vor der Bewahrung des Bildwertes
steht. Aktuelle Maßnahmen, Materialien und Ergänzungsbauten, so die
Charta von Venedig weiter, sollen sich von dem historischen Bestand deut-
lich unterscheiden und absetzen. In der Folge wuchsen das Interesse und
die Zustimmung für die erhaltene Bau-
substanz zusehends. Die modernen Pla-
nungsprinzipien der Stadtsanierung hatten
zu einer emotionalen Entleerung der gebau-
ten Umwelt geführt, einer Kühle und
Indifferenz, die nicht das Ziel der Archi-
tektur sein konnte. Soziale Erneuerung, die
Erhaltung historischer Ortskerne und die
ökologische Bewegung gingen eine enge
Allianz ein, in der auch die Denkmalpflege
ihren Platz fand. Das Denkmalschutzjahr
1975 formulierte prononciert die Kritik an
dem gegenwärtigen Städtebau und einer
Modernes Erschließungsbauwerk in der Burgruine
rationalen aber allzu gleichförmigen Archi- Ehrenfels, additiv und reversibel (Auer/Cramer, 1995).
tektur. Die Postmoderne hat dann den Bau-
bestand und besonders die historischen Innenstädte als Thema des
Entwerfens wieder entdeckt. Das Bestehende verfügt für die postmoderne
Auffassung bereits über jene Vielschichtigkeit, Zufälligkeit und Charakter-
haftigkeit, die auch von der neuen, gegen die Leere der seriellen Fabrikation
und Wiederholung gerichteten Architektur gefordert wurde. Der Bestand
besitzt aus dieser Sicht einen genius loci, der zu berücksichtigen und ent-
wurflich zu stärken ist. Er besitzt darüber hinaus eine Vielzahl von individu-
ellen Aspekten, phänomenologischen Splittern, die oft keinen Zusammen-
hang mehr erkennen lassen, und die zur Anregung dienen, aufgegriffen
oder kontrastiert werden können. In der Praxis führte dieser Ansatz aller-
dings häufig zu einem zufälligen Spiel mit beliebigen Formen.
Heute ist die Berücksichtigung des gewachsenen Umfeldes eine Selbst-
verständlichkeit, die durch Gestaltungssatzungen, Beteiligungsverfahren,
Denkmalschutzgesetzgebung und andere Vorschriften auch institutionell
verankert ist. Bauhistorische Forschung hat in vielen Gegenden eine Fülle

23
von Material zu den vielfältigen Formen des Bauens zusammengetragen
und hilft, historische Konstruktionen und Entwürfe zu verstehen und ein-
zuordnen. Dennoch stellt sich auch heute wieder neu die Frage nach unse-
rem Verhältnis zur Vergangenheit der Architektur. In jüngster Zeit sind
Tendenzen spürbar, die eine Entkoppelung der Erinnerung von den authen-
tischen Spuren der Geschichte betreiben. Sie nehmen dabei Gedanken der
1960er Jahre wieder auf, die das Recht des Einzelnen zur freien Wahl seines
Geschichtsbildes unabhängig von kanonisierten Geschichtsentwürfen her-
vorhoben. Was damals Befreiung war, wirkt heute wie ein Rückfall in eine
verantwortungslose Beliebigkeit.
Was heißt unter diesen Voraussetzungen Architektur im Bestand? Welche
Ziele sollen Reparatur, Sanierung, Ertüchtigung als Entwurfsaufgaben
haben? Wie können Qualitäten wiedergewonnen werden, welche die erhal-
tenen Bauwerke einmal besaßen? Jede Form der Architektur im Bestand ist
Vermittlung einer bestimmten Einstellung zur Historizität von Architektur.
Dass die Herstellung von Bildern, im Sinne einer gut fassbaren Insze-
nierung der Erscheinung, leicht zu einem ungewollten Verlust an Substanz
führen kann, dass sich mit der Rekonstruktion vergangener Zustände die
Gefahr einer Verflachung der historischen Realität wie der eigenen Gegen-
wart verbindet, ist bekannt. Auf der anderen Seite kann und darf die
Gesellschaft nicht auf die Nutzung der im Altbaubestand gebundenen Erin-
nerungswerte verzichten. Viele Fragen nach dem technischen Umgang mit
historischer Bausubstanz, sowohl entwurflich wie baukonstruktiv, sind
heute zufriedenstellend geklärt, und der Architekt kann dabei auf ein
breites Material zur Lösung von spezifischen Problemen zurückgreifen.
„Lernen von der Vergangenheit“ hieß aber bei Karl Friedrich Schinkel
wie bei Le Corbusier nicht einfach die Übernahme, sondern die schöpferische
Weiterentwicklung und Verbesserung des bisher Erreichten.

Der Wert des baulichen Bestands


Die Einstellung der meisten Menschen zu alten Gegenständen ist zwiespäl-
tig. Das Alte steht häufig für die Stagnation und den Verfall. Andererseits
bringt man dem Alten auch eine gewisse Verehrung entgegen und würdigt
die Tatsache, dass das Altern mit der Überwindung von Schwierigkeiten
verbunden war. Die bloße Tatsache der Erhaltung regt zum Wundern und
zur Bewunderung an. Vielleicht schätzt man auch das Gewohnte im Alten,
die Erfahrungen, die zum Überwinden der Zeit beigetragen haben. Die

24
Architektur ist zeitgebunden. Und oft verrinnt die Zeit schnell. Dieses Bürogebäude in Berlin
wurde 1999 instandgesetzt und schon im Jahr 2003 noch einmal grundlegend neu gestaltet.

Spuren des Alterns können als Form kultureller Identität wahrgenommen


werden. Für John Ruskin bestand der Reiz der Stadt Venedig nicht in
einer Ansammlung von Renaissance- und Barockpalästen, sondern in der
sichtbaren Tatsache ihres sich über Jahrhunderte hinziehenden Verfalls.
Der Wert des baulichen Bestandes ist also in hohem Grade abhängig von
der Haltung und Einstellung, die man ihm entgegenbringt. Die Frage nach
der Beziehung zum Alten ist zugleich diejenige nach den allgemeinen
Wertmaßstäben der Zeit. Wer nur das jeweils Neue wertschätzt, der wird
sich mit ererbten Werten schwer tun. Wer dagegen ökonomisch denkt, wer
sich um die Nutzung und Wiederbelebung von Werten bemüht, der kann
durch die kluge Verwertung des Vorgefundenen nur gewinnen. Der Ein-
fluss von Achtung und Missachtung, des Wertebewusstseins und der

Historische Baustoffe sind manchmal anspruchsvoll, Alte Häuser haben viele Bewohner. Deswegen ist auch
aber immer benutzerfreundlich und ökologisch der Artenschutz eine Aufgabe des Architekten:
unbedenklich. Fledermäuse im restaurierten gotischen Kreuzgang.

25
Ignoranz wird dort besonders deutlich, wo
kurzlebige Entscheidungen langfristige
Folgen haben.
Der überkommene Baubestand muss
schließlich nicht nur als Teil des kulturellen
Erbes, sondern ebenso als materielles Erbe
einer Gesellschaft angesehen werden. Volks-
wirtschaftlich gesehen besitzt er einen
gewaltigen Wert. Große Mengen an Energie
sind in den Baumaterialien und beim Bau
Der Abriss des Außenministeriums der DDR
erfolgte ohne jede gesellschaftliche Diskussion um den der Gebäude gebunden worden, die weiter-
Wert dieser Architektur. hin zur Verfügung stehen. Historische
Baumaterialien aus der Zeit vor der Indus-
trialisierung bestehen darüber hinaus in der Regel aus natürlichen, ökolo-
gisch und gesundheitlich unbedenklichen Stoffen und haben ihre Eignung
bereits bewiesen.
Gerade diejenigen Eigenheiten, welche die historische Architektur von
den modernen Bauten unterscheiden, können zudem einen immanenten
Wert haben, der heute wirtschaftlich nicht mehr ohne weiteres herstellbar
wäre. Sorgfältig gehauene Werksteine, vielteilige Füllungstüren oder auf-
wändige Dekorationen sind als Standardlösungen heute kaum noch vor-
stellbar. Die großzügig ausgelegten Räumlichkeiten, die repräsentativen
Eingangsbereiche, die hohen Decken und der verschwenderische und
kreative Umgang mit Raum, wie er für viele historische Bauten charakte-
ristisch ist, ließe sich heute aus Kostengründen und wegen der Beachtung
der Baunormen kaum noch realisieren; für viele Nutzer hat aber gerade
das einen großen Wert. Umgekehrt sind Abriss und Entsorgung alter
Gebäude häufig ein zusätzlicher und oft unnötiger Aufwand, der zudem
die Umwelt belastet.
Es lohnt sich, die verschiedenartigen Werte, die in einem historischen
Bauwerk stecken, zu vergegenwärtigen und sie der Öffentlichkeit gegen-
über herauszustellen. Auf diese Weise kann der tatsächliche Sachwert eines
Gebäudes real steigen. Derjenige Bauherr hat auch wirtschaftlich alles richtig
gemacht, der ein altes Haus in einem heruntergekommenen und schlecht
beleumundeten Viertel günstig kauft und anschließend die Werte der
Bausubstanz, des Standortes und der örtlichen Bau- und Erinnerungs-
kultur so weit nach außen vermittelt, dass sich das Viertel nach und nach

26
belebt und dadurch aufgewertet wird. Ständige Erneuerung ohne Rücksicht
auf das Bestehende dagegen kann gegenüber der Nutzung der vorhande-
nen Ressourcen nicht wirtschaftlich sein. Der Baubestand hat insofern
neben dem kulturellen auch einen substantiellen und volkswirtschaftlichen
Wert, der bei einer von kurzfristigen Moden bestimmten Einschätzung allzu
oft übersehen wird. Dagegen ist für jeden langfristig denkenden Bauherrn
längst klar, dass der Realwert seiner Immobilie in jedem Fall durch Pflege
und nachhaltige Erneuerungsmaßnahmen gewahrt werden muss. Von der
baulichen Stadtsubstanz des Jahres 2030 sind schon heute 70 bis 80
Prozent als bauliche Gehäuse vorhanden. Das stellt die Gesellschaft und
mit ihr die Architektenschaft vor die Aufgabe, professionell und zukunfts-
orientiert mit dem Bestand umzugehen.

Literaturhinweise
Die theoretisch-philosophischen Grundlagen zur Auseinandersetzung mit der Zeit hat am
prägnantesten Ricœur untersucht. Die Erinnerungsdebatte wurde in den 1980er Jahren
von Halbwachs angestoßen. Lübbe beschreibt das problematische Verhältnis der
Gegenwart zur Dauerhaftigkeit. Einen Sammelband zur Erinnerungsarbeit haben
Breitling/Orth vorgelegt. Unser Verhältnis zur gebauten Vergangenheit erörtern aus
unterschiedlichem Blickwinkel Anderson, Assmann, Assmann/Harth, Bolz,
Bloomer/Moore, Boyer, Loewy/Moltmann, Lowenthal, Lynch und Tausch. Die
Konkretisierung auf bestimmte Orte und Bauwerke haben für Frankreich Choay und für
Deutschland François/Schulze zusammengefasst. Mostafavi/Leatherbarrow
beschäftigen sich ausführlich mit dem Verfall von Bauwerken. Jencks hat die historische
Dimension für die Neubauarchitektur wieder in den Blick genommen. Rossi und
Lampugnani erläutern die Bedeutung des vorgefundenen Baubestandes für die Stadt. Die
Hintergründe des forcierten Stadtumbaus beschreibt prägnant Oswalt.
Die Schönheit und die intellektuelle Botschaft der alten Bauten hat 1849 Ruskin in seinen
„Seven Lamps of Architecture“, zwei Jahre später in den „Stones of Venice“ gepriesen.
Brachert versucht, diese Empfindungen zu objektivieren. Die Grundlagen und die
Denkweise der Denkmalpflegetheorie hat am besten Huse zusammengefasst. Zahlreiche
Aspekte dazu sind auch Wolters zu verdanken. Eine moderne Fortschreibung versuchen
Pedretti, Lipp/Petzet und Meier/Wohlleben.
Einen schönen Überblick über den Umfang der Aufgabe „Architektur im Bestand“ in histo-
rischer Zeit geben Caperna/Spagnesi.

27
PLANUNGSABLAUF

Jeder Eingriff bedingt eine Zerstörung. Zerstöre deshalb mit Verstand. Luigi Snozzi

Besonderheiten im Planungsprozess
Im Grundsatz unterscheidet sich der Entwurfsprozess im Bestand nicht
von dem Ansatz für einen Neubauentwurf. Der Anspruch höchster
gestalterischer Qualität, die uneingeschränkte Gebrauchsfähigkeit und die
wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen gelten auch und gerade hier.
Unterschiede finden sich einzig in der ausführlicheren Ermittlung der
Grundlagen, der größeren Zahl von Beteiligten am Planungsprozess, zu
denen bei eingetragenen Kulturdenkmalen im Besonderen die Denkmal-
behörden gehören, und – daraus resultierend – in dem meist aufwändigeren
Abstimmungsprozess der einzelnen Planungsschritte.

Notsicherungsmaßnahmen
Viele Projekte im Bestand beginnen notge-
drungen nicht mit der Entwurfsplanung,
sondern mit kleinen Baumaßnahmen. Kein
verantwortungsbewusster Planer wird zuse-
hen wollen, wie während der möglicherweise
langwierigen Planungs- und Abstimmungs-
arbeit der Baubestand zunehmend verfällt
oder vandalisiert wird. Es gehört deswegen
zu den ersten Aufgaben des planenden
Architekten, den Bau wenigstens proviso-
risch zu sichern und dringende Notsicher-
ungsmaßnahmen auf oft sehr unterschied-
Licht und Schatten der Bauwerkssicherung: luftdurch-
lichen Gebieten einzuleiten. lässig unten, dicht und schwammgefährdet oben.
Seitdem historische Baustoffe ein Handels-
gut geworden sind, ist die Gefahr groß, dass ein offen stehendes altes
Gebäude in kurzer Frist mutwillig zerstört oder gar vollständig ausgeplün-
dert wird. Die Sicherung gegen unberechtigten Zugang ist deswegen ein
dringendes Erfordernis. Eine provisorische Bautür und luftdurchlässig ver-
mauerte Fenster sind besser als der Verlust der alten Ausstattung. Auch die
Sicherung gegen Regenwasser ist unverzichtbar. Verstopfte Dachrinnen
sollen unverzüglich gereinigt und schadhafte Stellen repariert werden.

Der gebrochene Türsturz in der Burg Witten wird durch die Unterspannung gehalten. Eine
wirkungsvolle und reversible Maßnahme (Hans-Busso von Busse, 1995). 29
Massiver Hausschwammbefall an der Fassade des Fachwerkwand mit weit reichenden Zerstörungen der
Narkomfin-Hauses in Moskau (Moissej Ginzburg, 1930). Holzkonstruktion aufgrund einer schadhaften Dachrinne;
nach der Reparatur.

Große und auch kleine Schadstellen in der Dachhaut werden durch nach-
gesteckte Ziegel, wo dies nicht reicht durch Wellbitumen oder andere dau-
erhafte Materialien nachhaltig geschlossen. Der Aufwand dafür ist meist
klein, der Effekt umso größer. Wo dies nicht geschieht, kann aus dem klei-
nen Loch im Dach während einer halbjährigen Planungsphase ein massi-
ver Hausschwammschaden werden. Vorhandenem Hausschwamm muss
unverzüglich und nicht erst während der eigentlichen Bauarbeiten der
Nährboden entzogen werden. Bewegliche befallene Teile sollen ausgebaut
und – fachgerecht – entsorgt werden.
Elektronische Überwachung von Bauwerksrissen.
Unverzichtbar ist auch die Sicherung des
Tragwerks. Abgesunkene Decken und schief
stehende Wände müssen so abgestützt wer-
den, dass die Lasten auf sichere Bauteile
umgelenkt werden. Klaffende Risse müssen
unverzüglich mit einem Monitorsystem
überwacht werden, um Bauwerksbewegun-
gen schon in der Planungsphase so lange als
möglich zu verfolgen und drohende Gefahr
schon im Keime abzuwehren.

30
Vorbereitende Untersuchungen
Die Grundlagenermittlung für einen Neubauentwurf konzentriert sich
wesentlich auf die Klärung der städtebaulichen Situation, ggf. des Bau-
grunds mit denkbaren Belastungen und natürlich der Bauherren-
bedürfnisse. Das leere Grundstück stellt meist keine weiteren Forde-
rungen. Das vorhandene Gebäude ist da anspruchvoller. Über die in der
Folge beschriebenen Maßnahmen hinaus erfordert es eine Änderung der
Denkrichtung; Es ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch ein grober
Planungsfehler, wenn beispielsweise der vorhandene Grundriss nur deswe-
gen geringfügig verändert werden soll, weil angeblich vorgegebene
Raumgrößen eingehalten werden müssen. Das umgekehrte Verfahren ist
richtig: Welche Möglichkeiten bietet der Grundriss, wie lassen sich die vor-
gefundenen Strukturen optimal nutzen und wie können die vorgefunde-
nen und ermittelten Werte zur Geltung gebracht werden?

Oft ist es wirtschaftlicher, eine geplante Nutzungsvorstellung aufzugeben


und durch eine besser sich einpassende zu ersetzen, als die vorgefunde-
ne historische Baustruktur mit großem Aufwand der vorgegebenen
Nutzung anzupassen und dabei den Baubestand mit hohen Kosten weit
eingreifend zu zerstören.

Planungstiefe
Im Neubauentwurf kann der Planer ohne Schaden vom Großen zum Kleinen
planen. Ein bei Baubeginn vollständig bis in die Werkplanung durch-
gearbeiteter Entwurf ist zwar immer wünschenswert, aber nicht unver-
zichtbar. Im Bestand rächt sich diese Haltung schon bald. Häufig hängt die
Umsetzbarkeit einer Planungsidee von den Einzelheiten der vorgefundenen
Konstruktion ab, die man deswegen auch geprüft haben muss. Im Bestand
reicht es nicht, im Maßstab 1:100 für die Genehmigungsplanung eine gene-
relle Idee zu formulieren, die dann später weiter ausgearbeitet wird.
Die Realisierbarkeit des Konzepts muss in kritischen Bereichen, also bei-
spielsweise für den Einbau zusätzlicher Treppenhäuser, den Ausbruch von
Wänden und auch die Leitungsführung, schon in der Konzeptphase bis in
die Einzelheiten geprüft sein, wobei der Tragkonstruktion ebenso wie den
räumlichen Verhältnissen das besondere Augenmerk gelten muss. Es hilft
wenig, wenn man am Ende für eine neu eingebaute Verstärkungskon-
struktion die vorhandene alte Struktur entscheidend schwächen muss.

31
Nicht nur deswegen sollte man vor allem geschossübergreifende Baumaß-
nahmen stets in dreidimensionalen Darstellungen überprüfen und veran-
schaulichen. Wo diese Kontrolle unterbleibt, erlebt man sonst die unange-
nehmen oder sogar katastrophalen Überraschungen dann in der Bau-
durchführung.

Isometrische Darstellung einer in den historischen Bestand des Palazzo Lanfranchi in Pisa neu
eingefügten Erschließung (Massimo Carmassi, 1980).

32
Einfühlen in den Bestand

Umbau der spätmittelalterlichen Casa de las Conchas


zur öffentlichen Bibliothek, 199oer Jahre
E - Salamanca
Bauherr: Stadt Salamanca
Architekt: Victor Lopez Cotelo, Carlos Puente Fernandez,
Javier Garcia Delgado

Die Palastanlage aus dem 15. Jahrhundert spielte für die Ein-
führung des Renaissance-Stils in Salamanca eine besondere
Rolle. Sämtliche für den Umbau zur öffentlichen Bibliothek
notwendigen Baumaßnahmen wurden aus der Beurteilung
des Bestandes und einer ausführlichen Schadensaufnahme
abgeleitet. Mit einfachen und dem Objekt angepassten Repa-
Die Konstruktion und Gestaltung
raturen und wenigen Hinzufügungen wurde die Ausstrah- der neuen Fenster erfüllt die
lungskraft der originalen Bausubstanz, ihre Funktionalität Anforderungen, die sich aus der
Bibliotheksnutzung ergeben, fügt
und die große Flexibilität in der Raumnutzung erhalten. Der sich durch die gestalterischen
Entwurf für neue Raumabschlüsse, Trennwände, Decken, Anknüpfungspunkte an den
Türen, Fenster und andere Ausbaudetails nimmt Aspekte Bestand aber auch gut in die
vorhandene Fassade ein.
der vorhandenen Architektur einfühlsam auf und setzt sie
modern um, ohne den Kontrast zu suchen. Die Verwendung
traditioneller Werkstoffe garantiert die Einfügung der neuen
Bauteile in die historischen Wände und Decken aus massi-
vem Natursteinmauerwerk und Holz. Werkplanungsdetail für das Fenster.

Die „rustikale“ Oberflächen- Neuer Fensterverschluss im alten


behandlung der neuen Bauteile Sitznischenfenster mit Lichtfilter,
weist eine ähnliche Material- Kippflügel für die Lüftung und an
qualität und Schlichtheit auf wie historische Vorbilder erinnernde
die historischen Bauteile. Holzläden.
Die Beteiligten

Der Bauherr
Der Bauherr ist immer die Hauptperson, die bestimmt, was passieren soll.
Und von demjenigen, der sich für die Weiterentwicklung eines alten
Gebäudes entschieden hat, darf man sicher erwarten, dass er dies nicht nur
wegen steuerlicher Vorteile, sondern bewusst und mit Optimismus getan
hat. Lagevorteile der Immobilie, die historische Anmutung und gestalte-
risch hochwertige Ausstattungsdetails ge-
ben dazu berechtigten Anlass.
Gleichwohl sind bei vielen Bauherren Ängste
vor unliebsamen Überraschungen weit ver-
breitet. Es wird also darauf ankommen, die-
sen Ängsten durch bewusstes Handeln zu
begegnen. Die sorgfältige Vorbereitung, die
dann aber auch finanziert sein will, ist das
Fundament dafür. Die Bereitschaft, die
grundsätzlich akzeptierten Nutzungswün-
sche dem Baubestand anzupassen, ist unver-
zichtbar. Und ohne den Mut, von Gewohn-
tem abzuweichen, kommt man nicht zu
einem überzeugenden Ergebnis. Dabei geht
es nicht um Verzicht auf Qualität, sondern
darum, die Eigenheiten eines historisch ver-
änderten Gebäudes zu akzeptieren und
seine Werte zur Geltung zu bringen. Nur so
entsteht die Individualität und unverwech-
selbare Identität des Entwurfs, derentwegen
Interessante Funde ruinieren den Bauherrn keineswegs.
Hinter der Verkleidung überleben sie bestens. Größerer alte Gebäude nicht erst heute so hoch
Aufwand ist möglich, aber nicht verpflichtend. geschätzt werden.

In einem alten Haus gibt es immer interessante Befunde: Verputzte


Baudetails, Malereien, Sachen … Niemand zwingt den Planer und den
Bauherrn, diese Erkenntnisse mit großem finanziellem Aufwand freizule-
gen. Im Gegenteil: Gut geschützt überleben die Befunde länger. Einzig
dieser Schutz durch Abdeckung oder Verkleidung wird von den Denk-
malpflegern eingefordert.

34
Der Architekt
Der Architekt ist Entwurfsverfasser und Koordinator aller weiteren Beteilig-
ten. Die Zahl der Sonderfachleute ist dabei im Bestand deutlich größer als
im Neubau. Zur Erkundung der Eigenschaften und Eigenheiten des vorge-
fundenen Gebäudes sind vielfach spezialisierte Einzeluntersuchungen
erforderlich. Sie betreffen nicht nur das Tragwerk, sondern auch die
Materialeigenschaften und natürlich die historischen und gestalterischen
Werte eines alten Gebäudes. Hier den Umfang unabweisbar erforderlicher
Erhebungen festzulegen, ohne in kostspielige und vielleicht sogar überflüs-
sige Gutachterorgien zu verfallen, erfordert ein hohes Maß an Kompetenz
und Verantwortung. Der Planer muss auch verhindern, dass Gutachten nur
deswegen doppelt angefertigt werden, weil schon früher erstellte Unter-
lagen unbekannt geblieben sind. Der Architekt muss auf der einen Seite die
Zersplitterung der Verantwortung in einzelne Sektoren verhindern, die
dann fast unabhängig voneinander abgearbeitet werden, und auf der ande-
ren Seite der Versuchung widerstehen, sämtliche Aufgabenfelder in eige-
ner Person abzuarbeiten, auch wenn er sich dazu in der Lage fühlt.

Die Vernetzung der Einzelgutachten untereinander in ihrer Konsequenz


für eine sachgerechte und qualitätvolle Planung ist die Kernaufgabe des
Architekten, die er sich auch von keinem der anderen Beteiligten abneh-
men lassen soll und darf – weder vom Tragwerksplaner als dem
Fachmann für die Standsicherheit noch vom Restaurator, der die histori-
schen Werte kennt und zur Geltung bringt.

Die Baugenehmigungsbehörde
Die Forderungen an die Errichtung eines Neubaus sind trotz vieler
Anstrengungen zur Deregulierung weiter und berechtigterweise hoch. Es
versteht sich von selbst, dass ein vorhandenes Gebäude, das vor vielen
Jahren errichtet wurde, nicht allen diesen modernen Forderungen entspre-
chen kann. Selbstverständlich wird sich der Planer bemühen, eine große
Zahl solcher Abweichungen im Zuge der Baumaßnahme zu beseitigen.
Ganz wird das aber in aller Regel nicht gelingen, wenn man das Bauwerk
nicht vollständig zerstören und damit große wirtschaftliche Nachteile für
den Bauherrn in Kauf nehmen will. Alle Bauordnungen kennen neben den
klaren und scharfen Forderungen auch die Möglichkeiten der Ausnahmen
und Befreiungen von diesen Forderungen, um eine sinnvolle und volks-
wirtschaftlich zweckmäßige Baumaßnahme zu gewährleisten.

35
Solche Ausnahmen müssen sich zuerst auf diejenigen Sachverhalte
beziehen, die sinnvollerweise nicht zu verändern sind: geringe
Geschosshöhen, Raumgrössen und Grundrissorganisation,
daneben aber auch die materialtechnischen Vorgaben. Eine historische
Holzkonstruktion muss eine Holzkonstruktion bleiben – allen entgegenste-
henden Vorstellungen – etwa des Brandschutzes – zum Trotz. Hier muss
der Architekt sich als durchsetzungsfähig beweisen.
In Zeiten von deren zunehmender Verknappung ist ferner die Energie-
effizienz zu nennen. Viele historische Bauten sind mit ihren dicken
Natursteinmauern energetisch hervorragend aufgestellt. Selbstverständlich
gibt es aber auch Schwachstellen. Die gesamtheitliche Betrachtung der
Energiebilanz hilft oft über diese Klippen
hinweg. Historische Fenster können durch
Zusatzflügel so weit nachgerüstet werden,
dass sie den Minimalforderungen genügen
und so von den Behörden akzeptiert werden
können. Darüber hinaus ist häufig der
Brandschutz betroffen. Die Forderung,
dass sämtliche tragenden Bauteile aus nicht
brennbaren Materialien errichtet sein müs-
sen, ist sicher im Grundsatz sinnvoll. Ein
altes Gebäude mit Fachwerkwänden und
Holzbalkendecken kann man solchen For-
derungen aber nicht anpassen. Hier helfen
brandhemmende Verkleidungen und der
Das historische Fenster wird durch einen Zusatzflügel
energetisch nachqualifiziert; der alte Bestand bleibt Einbau einer Brandmeldeanlage, welche die
vollständig erhalten. rechtzeitige Evakuierung der Nutzer und
Bewohner sicherstellt. Den Verlust der
Sachwerte im – unwahrscheinlichen – Brandfall muss man dann in Kauf
nehmen. Mit dem Schallschutz verhält es sich ähnlich.
Die Kompromissbereitschaft der Genehmigungsbehörde endet zuverlässig
immer dort, wo das Leben und die Gesundheit der Nutzer und Bewohner
nicht mehr gewährleistet erscheint.
Ein Sonderfall der Planung im Bestand ist das eingetragene Kultur-
denkmal. Zur Frage, welche Bauten davon betroffen sind, führt die Untere
Denkmalschutzbehörde die Denkmalliste. Für jede Veränderung an einem
dergestalt eingetragenen Baudenkmal ist eine denkmalrechtliche

36
PLANUNGSAUFTRAG FÜR
1. Bestandszeichnungen DEN ARCHITEKTEN
2. Planungsunterlagen
Grundrisse, Ansichten,
Details (Fenster etc.)

3. Rot-Gelb-Plan BAUANTRAG
(Veränderungen) Bauaufsichtsamt
4. Bauphasenplan
5. Ausstattungsplan
6. Bindungsplan Tragwerk UDSchB Landes-
7. Verlustplan Brandschutz Untere denkmal-
Umwelt Denkmal- amt
Gewerbeamt schutz-
.............. behörde

entweder
denkmal-
schutzrechtl.
Erlaubnis
oder

BAUGENEHMIGUNG

Baumaßnahme

Das Genehmigungsverfahren

Genehmigung erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn die Baumaß-


nahme ansonsten genehmigungs- und anzeigefrei ist. In diesem Falle ist
eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis einzuholen. Die denkmalrechtliche
Genehmigung ist in allen anderen Fällen Bestandteil der Baugenehmigung
und steht grundsätzlich gleichrangig neben den Festsetzungen anderer
Teilbereiche. Sie legt über die allgemeinen Forderungen der Bauaufsicht
hinaus diejenigen Sachverhalte fest, welche die kulturhistorische Dimension
des denkmalgeschützten Bauwerks betreffen.
Den international anerkannten Grundsätzen entsprechend wird die
Denkmalbehörde im Grundsatz jeden verändernden Eingriff in ein denkmal-
geschütztes Bauwerk als Verlust an historischer Information verstehen, welche
die Identität und Authentizität und damit den Denkmalwert konstituiert.

37
Der Bauphasen- und Befundplan zeigt die historische
Vielschichtigkeit des Bauwerks nach objektiven
Kriterien.

Errichtung, Nutzung durch Kirche 1916 / 1918 Türtyp siehe Raumbuch


Einrichtung KGB-Gefängnis 1945 – ca. 1954 elektrischer Schließkontakt
Veränderungen während der Gefängnisnutzung „Wandspion“, trichterförmige Beobachtungsöffnung
ca. 1954 – 1964
(Reste von) Fenstervergitterung
Veränderungen durch den KGB bis zur Rückgabe
des Gebäudes (ca. 1964 –1994) Elektroinstallation
Jüngste Veränderungen seit 1994
Sanitärinstallation
Bauzeit unklar Heizkörper
Putzbefund: Oberflächliche Auffälligkeiten, z. B. Zusetzung
von Öffnungen oder charakteristische Putztechnik
Ausstattung
In Klammern gesetzte Kürzel bezeichnen entfernte, aber
noch nachweisbare, in Resten vorhandene Ausstattungen
Gestrichelt dargestellt sind verdeckte oder entfernte
Strukturen, die aber noch nachvollziehbar sind

38
Der Bindungsplan legt auf der Grundlage einer
Wertung fest, in welchem Ausmaß verändernde
Eingriffe zulässig sind.

Sehr hohe Befunddichte, Zustand weitgehend Türtyp siehe Raumbuch


unverändert. Bereich für Gefängnisnutzung sehr aussage-
kräftig. Im Gesamtzusammenhang zu erhalten, Elektrischer Schließkontakt
nicht durch neue Einbauten oder Ausstattungen zu stören. „Wandspion“, trichterförmige Beobachtungsöffnung
Hohe Befunddichte, Zustand wenig verändert. (Reste von) Fenstervergitterung
Bereich für Gefängnisnutzung sehr aussagekräftig. Elektroinstallation
Im Gesamtzusammenhang zu erhalten, nicht durch
neue Einbauten oder Ausstattungen zu stören. Sanitärinstallation

Geringe Befunddichte, spätere Überformungen. Heizkörper


Bereich für Gefängnisnutzung weniger aussagekräftig. Putzbefund: Oberflächliche Auffälligkeiten, z. B. Zusetzung
Im Gesamtzusammenhang zu erhalten. von Öffnungen oder charakteristische Putztechnik
Ursprüngliche Bausubstanz bzw. Veränderung durch Ausstattung
KGB. Im Wesentlichen zu erhalten. In Klammern gesetzte Kürzel bezeichnen entfernte, aber noch
nachweisbare, in Resten vorhandene Ausstattungen
Gestrichelt dargestellt sind verdeckte oder entfernte
Strukturen, die aber noch nachvollziehbar sind

39
In der Praxis versteht es sich dann aber von selbst und ist auch allgemein
akzeptiert, dass im Interesse einer nachhaltigen Erhaltung und Nutzung
eines denkmalgeschützten Gebäudes bauliche Eingriffe und die An-
passung an moderne Nutzungsstandards nicht nur unausweichlich, son-
dern sogar ausdrücklich erwünscht sind. Die Aufgabe des Planers ist es,
diese Eingriffe mit gründlicher Kenntnis des Bauwerks substanzscho-
nend und unter Wahrung der Authentizität des Baudenkmals zu
organisieren. Diese Forderungen sind fast immer dann gewahrt, wenn eine
Baumaßnahme im Grundsatz reversibel ist. Die Identität des Bauwerks
und seine historischen Werte müssen konserviert und an die Nachwelt tra-
diert werden – mehr aber auch nicht. Der Denkmalpfleger wird deswegen
vor allem nach dem durchgehenden Konzept der Planung fragen – nicht
anders als der Architekt. Das Ziel der behördlichen Denkmalpflege kann
und darf es dagegen nicht sein, sich weit reichend in gestalterische
Entscheidungen einzumischen, die ausgrei-
fende Freilegung historischer Gestaltwerte
zu fordern oder gar die Rekonstruktion
lange verlorener Bauzustände zu verlangen.
Solche Entscheidungen kann der Bauherr
sich wünschen und wird damit bei den
Denkmalbehörden derzeit erfahrungsge-
mäß oft auf ein geneigtes Ohr treffen. In die
andere Richtung, von den Behörden an den
Bauherrn, fehlt für solche Forderungen die
gesetzliche Grundlage. Schwierigkeiten mit
den Denkmalbehörden wird in jedem Falle
derjenige haben, der das altehrwürdige Bau-
Denkmalpflege heißt keineswegs Rekonstruktion. Der
„rekonstruierte Neumarkt“ mit der wieder aufgebauten werk als Verfügungsmasse und Steinbruch
Frauenkirche in Dresden ist Architektur des Jahres 2006, für die beliebige Inszenierung eines voll-
keine Denkmalpflege.
ständig anderen Projekts versteht.

Das Ziel der Denkmalpflege ist die Erhaltung des alten Gebäudes, seine
Sicherung und nachhaltige Entwicklung. Man kann zu Rekonstruktionen
stehen, wie man will: Mit den Zielen der Denkmalpflege haben sie nichts
zu tun.

40
Von der Bauuntersuchung zum Planungskonzept

Stadtmuseum Naumburg, 1991 - 1999


D – Naumburg
Bauherr: Stadt Naumburg
Architekt: Johannes Cramer Außenwand des alten Gebäudes
mit neuem Erschließungsgebäude.
Der Komplex umfasst vier Bürgerhäuser aus dem Mittel- Die unveränderte Ziegeloberfläche
steht neben dem verputzten
alter und der frühen Neuzeit. Fehlende Instandhaltung
Aufzugsschacht. Die geschnitzten
hatte einen schlechten Bauzustand mit erheblichen Schäden Holzsäulen sind Exponate.
zur Folge.
Der bedeutende denkmalgeschützte Bestand sollte so weit
wie möglich im Originalzustand erhalten und zum Stadt-
museum ausgebaut werden.
Auf der Grundlage einer formtreuen Bauaufnahme und
bauteilbezogenen Bauuntersuchung wurden sämtliche
relevanten historischen Spuren konserviert. Bauliche
Defizite wurden durch additive Maßnahmen ausgeglichen.
Diese Ergänzungen reichen von einem Neubauteil mit zeit-
gemäßer Erschließung über die strukturelle Verstärkung der
Tragkonstruktion bis zur Aufdoppelung der ausgetretenen
Kassenraum mit verstärkendem
Treppenstufen. Unterzug und konservierter
Farbfassung von 1629 an den
Deckenbalken.

Grundriss Erdgeschoss mit Bauphasen Die ausgetretenen Treppenstufen


und Darstellung der Putzbehandlung. sind aufgedoppelt, die schwachen
Detaillierte Planungsaussagen schon in der Balken zusätzlich unterstützt.
Genehmigungsphase erleichtern die
spätere Baudurchführung.
Für einen klaren und störungsfreien Bau-
vorgang empfiehlt es sich deswegen drin-
gend, schon im Bauantrag über die leider
üblichen unbestimmten Allgemeinformu-
lierungen hinaus alle denkmalrelevanten
Einzelaussagen zur Bauausführung im
Detail zu klären. Sie werden in einem Bin-
dungsplan zusammengetragen und im
Denkmalpflegekonzept erläutert. Die in der
Realität meist unvermeidlichen Verluste an
Kleinteilige handwerkliche Reparatur einer Fensterzarge.
Die eingeschlagene Jahreszahl datiert die Reparatur. denkmalwerter Substanz – und seien sie noch
so gering – werden in einem Verlustplan
offen gelegt, der verdeutlicht, welche Folgen die beantragte Planung für den
denkmalgeschützten Bestand hat und ob die Festsetzungen des
Bindungsplanes eingehalten sind. Abweichungen sind kenntlich und wer-
den damit ganz bewusst Teil der Baugenehmigung. Nur dieses Vorgehen
verhindert später unerfreuliche und zeit- wie nervenaufreibende Diskus-
sionen auf der Baustelle über die denkmalrechtliche Zulässigkeit einzelner
Bauausführungen in dem im Grundsatz genehmigten Vorhaben.

Die Ausführenden
Jede Baumaßnahme steht und fällt mit der Qualifikation der ausführenden
Bauleute. Im Bestand bringen es die Kleinteiligkeit der Planung und die
Forderung nach material- und konstruktionsgerechtem Bauen mit sich,
dass viele der Bauleistungen Handwerkerarbeit sind. Hier muss die Bereit-
schaft zur sorgfältigen Arbeit vorhanden sein, will aber auch durch den
Planer gefordert und gefördert werden.

Entscheidungsfindung und Kommunikation


Die Komplexität der Planung im Bestand stellt an alle Beteiligten höhere
Anforderungen als im Neubau. Umso wichtiger ist es, dass der Architekt
alle Teilbereiche im Blick behält und die wesentlichen Ergebnisse zuverläs-
sig kommuniziert. Große Planungsrunden mit allen Beteiligten, die sich in
der Vergangenheit vielfach eingebürgert haben, sind sicher nützlich; sie
führen aber wegen der Verzweigtheit der Zuständigkeiten auch leicht zu
Überdruss bei den Teilnehmern, wenn die Einzelkomptenzen tatsächlich
gar nicht abgefragt werden. Es ist deswegen zielführender, die einzelnen

42
Das elektronisches Raumbuch verzeichnet sämtliche Bauwerksinformationen
und erlaubt allen Beteiligten den gleichzeitigen Zugang für Informationen
und Fortschreibung; ohne Zweifel der Weg der Zukunft.

Teilaspekte in kleinen Gesprächskreisen abzustimmen und nur die


Ergebnisse in großen Runden zur Diskussion zu stellen. Vor diesem Hin-
tergrund ist die graphische Zusammenfassung in Plänen und ein an zen-
traler Stelle gespeichertes Raumbuch von besonderer Bedeutung.
Viele Baumaßnahmen im Bestand werden bei laufender Nutzung durchge-
führt. In diesem Falle ist die ausführliche Information und Einbeziehung
der Nutzer im Sinne der Betroffenenbeteiligung unerlässlich. Ziel, Ablauf
und Ergebnis der Maßnahme sollen ebenso vermittelt werden wie die
absehbaren Beeinträchtigungen. Auch hier ist die vollständige Information
vor Beginn der Maßnahme deutlich besser als Unzufriedenheit und Streit
während deren Durchführung.

Literaturhinweise
Zu historischen Baumaterialien ist Schrader hilfreich. Der überwiegende Teil der systema-
tischen Literatur zu diesem Thema stammt aus dem Bereich der Denkmalpflege. Sie setzt
sich seit langer Zeit mit substanzschonenden Planungsmethoden auseinander und hat
zugleich fast immer die Aufgabe, bewohnte und genutzte Bauwerke instand zu setzen.
Allen diesen Fragen widmen sich Ashurst, Baer, Feilden, Fischer, Petzet/Mader,
Thomas oder auch Whelchel. Darüber hinaus ist auch die im folgenden Kapitel diskutier-
te Literatur zu Rate zu ziehen. Zu Fragen der Planung ist Franz 2003 hilfreich.

43
Steingerechte Bauaufnahme eines Giebels mit
Eintragung aller Befunde von baulichen
Veränderungen bis zur Erhaltung der alten Putze.
GRUNDLAGENERMITTLUNG
Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft. Wilhelm von Humboldt

Die sorgfältige Grundlagenermittlung hat für die Planung im Bestand eine


überragende Bedeutung. Nur wer den vorgefundenen Bestand gründlich und
in allen seinen Eigenarten kennt und die oft komplizierten Zusammenhänge
versteht, kann kompetent planen und wird auf dieser Grundlage in der
Baudurchführung die schlimmen Überraschungen vermeiden, die von den
Beteiligten vielfach beklagt werden: verzögerte Bauzeiten, Unsicherheiten in
der Planung, Kostensteigerungen und im schlimmsten Falle gravierende
Schäden an den Gebäuden bis hin zu Personenschäden.
Auch wenn sogar Planer diese Misserfolge gerne dem angeblich alten und
defizitären Gebäude zuschreiben: Solche Schwierigkeiten vorauszusehen
und zu vermeiden, ist eine der Kernaufgaben des Planers in der Weiterent-
wicklung des Bestands.
Die Bestandserfassung stellt den physischen Bestand des Gebäudes in seinen
maßlichen und strukturell-konstruktiven
Gebäudeeinsturz durch fehlerhafte Planung.
Verhältnissen dar und beschreibt den vorge- Der berühmte Einsturz des Campanile in Venedig
fundenen Zustand. Die Bauuntersuchung am 14. Juli 1902 wurde durch unsachgemäße Eingriffe
in das Mauerwerk verursacht.
ermittelt die Veränderungen des Bauwerks in
Die Photographie ist gleichwohl eine Fälschung.
Abhängigkeit von dessen Nutzungsgeschichte
und fragt nach der Gesamtheit der dekora-
tiven und gestalterischen Qualitäten ebenso
wie nach seinen technisch-bauphysikalischen
Eigenschaften. Handelt es sich um ein
Baudenkmal, wird durch die Untersuchungen
zusätzlich der historische Zeugniswert als
Grundlage für die Denkmalbewertung ermit-
telt. Die Stärken-Schwächen-Analyse schließ-
lich ordnet die erarbeiteten Ergebnisse nach
unterschiedlichen Kriterien ein.
Nur so kommt man zu der für den Bau-
herrn einzig wichtigen Beantwortung der
drei Kernfragen:
• Droht das Gebäude demnächst einzustürzen?
• Ist eine Instandsetzung und Modernisierung wirtschaftlich?
• Welche Werte sind zu beachten (ökonomisch, historisch, ideell)?

45
Die Ergebnisse der neutralen Bestandsaufnahme und der nach objektiven
Kriterien durchgeführten Bauuntersuchung werden in einem dritten
Schritt bewusst und offen gewertet. Erst hier können eigentlich kontro-
verse Diskussionen entstehen. Die Stärken und Möglichkeiten des
Gebäudes werden erkennbar. Nicht jeder vermeintliche Schaden ist auch
tatsächlich einer; und nicht jeder faktisch vorhandene Schaden erfordert
einen Eingriff. Aus der Gesamtschau ergibt sich der Rahmen und
Spielraum, in den der künftige Entwurf sich einordnen muss.

Viele der erforderlichen Untersuchungen können bei realistischer


Betrachtung nur durch spezialisierte Fachkräfte abgearbeitet werden. Der
Architekt muss hier der Versuchung widerstehen, angesichts knapper
Planungsbudgets die für die zukünftige Baumaßnahme grundlegenden
Untersuchungen selbst durchführen zu wollen, an nicht hinreichend quali-
fizierte Personen abzugeben oder den Aufwand unangemessen zu
beschränken, denn was am Anfang in der Grundlagenermittlung einge-
spart wird, kommt im Baufortschritt in aller Regel als um so höhere Mehr-
kosten zurück.
Die in der Detaillierung gestufte Systematik des Entwurfes bringt es in der
Regel mit sich, dass auch die Bestandserfassung stufenweise durchgeführt
wird. Anhand von Checklisten kann das Vorgehen systematisiert werden.
Dieser Umstand darf aber nicht dazu verführen, zuerst oberflächliche,
damit möglicherweise falsche Ergebnisse zu akzeptieren, um dann später
neue, bessere Daten zu beschaffen. Richtig ist vielmehr, dass im ersten
Zugriff die wichtigsten Daten erfasst werden, die dann später erweitert und
vertieft werden können, aber eben niemals korrigiert werden müssen!
So kann eine Kurzuntersuchung zunächst auf vorhandenen Plänen oder
Systemskizzen aufbauen. Sie bringt eine Einschätzung des Tragwerks und
möglicher gravierender Schäden, umfasst eine schnelle Positivkartierung der
erhaltenswerten Ausbauteile ebenso wie eine restauratorische Übersichtsun-
tersuchung und ggf. eine exakte Datierung. Die Volluntersuchung wird
diese ausgewählten Daten dann später systematisch ergänzen und auf exak-
ten Plänen sowie in einem vollständigen Raumbuch fortschreiben.

46
Bestandserfassung
Das während des Planungsprozesses angehäufte Wissen über den
Baubestand soll so dokumentiert und archiviert werden, dass es dauerhaft
tradiert werden kann. Bei späteren Maßnahmen muss es möglich sein,
auch die älteren Dokumentationen noch heranzuziehen und zu nutzen. Bei
einem möglichen Verlust des Gebäudes bleibt die Bestandserfassung das
einzige Zeugnis. Bauämter ebenso wie Denkmalämter fordern für die
Archivierung der Bauaufnahmen als Mindeststandard die klare Darstellung
und Kennzeichnung sowie ein eindeutiges Zuordnungssystem.
Im Sinne der Nachhaltigkeit und langfristigen Benutzbarkeit müssen
Pläne, Photos und andere Dokumentationen lagerungsbeständig sein. Für
die Planzeichnungen haben sich hier Bleistiftzeichnungen auf säurefreiem
Karton bewährt, während Transparentpapier ein schlechtes Alterungsver-
halten aufweist. Schwarzweißphotos halten als Barythabzug deutlich länger
als PE-Träger. Der dauerhafteste Bildträger sind Glasplatten, die sich nach
heutigem Wissen praktisch unbegrenzt halten. Die langfristige Sicherung
digitaler Daten ist bei Photos, Texten und Pläne bisher völlig ungewiss.

Grunddaten
Am Anfang der strukturierten Beschäftigung mit einem alten Gebäude steht
die Erhebung der Grunddaten. Zugleich wird die Zuständigkeit von Ämtern
geklärt. Erste Überlegungen zur Umnutzung, zur Erschließung und zum
Umbau werden mit dem Bauordnungsamt, dem Denkmalschutz und dem
Sanierungsträger besprochen. Durch Einsicht in das Grundbuch und das
Baulastenbuch werden eventuelle Grunddienstbarkeiten und Baulasten
ermittelt. In den Bauakten im Bauamt findet man Angaben zum Baujahr, zu
späteren Veränderungen, Auflagen, Beschränkungen, Befreiungen sowie
Plansätze und Einzelgutachten. Zur Erfassung der Grunddaten gehören
außerdem die geodätische Verortung, der Lageplan mit Flurnummer und
die amtliche Feststellung der Grundstückgrenzen. Das Bauvolumen und die
Brutto- ebenso wie die Nutzflächen werden ermittelt. Gerade die letztge-
nannten Daten sind im Bestand häufig nicht einfach zu beschaffen und
ohne eine gute Bauaufnahme meist nur annäherungsweise zu ermitteln.
Die erste Ortsbegehung dient der Begutachtung des Umfelds und der Lage
des Bestandsobjektes im baulichen Zusammenhang.

47
Literatur und Archiv
Eine kompetente Planung ist nur mit einer konkreten Vorstellung von der
Örtlichkeit und dem Objekt möglich. Sobald hier die ersten Schritte durch
Begehung und Klärung der Vorstellungen des Bauherrn getan sind, ist als
nächstes die Auswertung des Schrifttums und der Archive zum Gebäude
unverzichtbar. Für berühmte Gebäude ist diese Quelle sicher fast uner-
schöpflich. Im Normalfall wird man immer das Handbuch der Deutschen
Kunstdenkmäler von Georg Dehio und die Denkmaltopographie heranziehen.
Hier findet man zu den historisch wichtigen Gebäuden kurz gefasste
Charakterisierungen. Das Großinventar liefert ausführliche, wissenschaft-
lich begründete Aussagen, die der Architekt nur im Ausnahmefall noch
sinnvoll erweitern kann. In der örtlichen Bibliothek wird man nach der
Lokalliteratur suchen. Weitergehende Literaturrecherchen sind bei knappem
Zeitbudget in aller Regel nicht zielführend.

Umbauplan für das Waisenhaus in


Eichstätt aus dem 18. Jahrhundert.
Schon damals wurden neue Bau-
teile rot gekennzeichnet.
Zwei Häuser sind zu einem
Komplex zusammengefasst.

Hinter der neu errichteten Fassade


liegen die Fluchttreppen.

Umbauplanung für das Waisenhaus von Karljosef Schattner (1988).


48 Die barocke Rückseite fällt und wird modern ersetzt.
In den Archiven kann man ein Leben zubringen. Unerlässlich ist das
Auffinden und das Studium der Bauakten. Das Baugenehmigungsverfahren
mit beigefügten Plänen wurde im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ein-
geführt. Ältere Bauakten sind nur in glücklichen Einzelfällen zu finden.
Die Bauakten geben Auskunft über beantragte und genehmigte Umbau-
maßnahmen, so dass man sich zur jüngeren Geschichte des Gebäudes nicht
selten schon auf dieser Grundlage eine qualifizierte Meinung bilden kann.
Die Bauakten liegen zum Teil noch im Archiv des Bauaufsichtsamtes,
besonders die älteren aber oft auch schon im Stadtarchiv. Für die Einsicht
benötigt man in aller Regel die Einwilligung des Eigentümers.
Die Aussagen der Pläne kann man in der Regel ernst nehmen. Wo in den
Plänen Umbauten verzeichnet sind, hat man Grund, sie auch im Gebäude
suchen. Aber auch vor 100 Jahren sind einmal genehmigte Bauvorhaben
noch gescheitert. Also muss man einen Rest von Misstrauen behalten. Die
Überprüfung am Objekt ist deswegen unverzichtbar.

Wer alte Schriften zu lesen versteht, findet immer Bauplan aus der Zeit um 1800. Kamine und Öfen sind
interessante Nachrichten: „14. Decbr. 1739 wurde besonders sorgfältig ausgearbeitet.
durch einen Maurer das Dach auf des Stifts Scheuren
und Kasten übergangen und mit Ziegeln hin und
wieder ausgebessert …“. Pflege ist allemal besser
als Reparatur.
Die Geometrie der alten Baupläne ist im Gegensatz zu deren Botschaft nur
selten korrekt. Auf alten Baueingabeplänen eine neue Baumaßnahme auf-
zubauen, ist fast immer ein schwerer Fehler. Für eine neue Maßnahme
braucht man in der Regel auch neue Pläne.
Ein versierter Archivforscher wird aus zahlreichen weiteren Quellen zu
sehr vielen Gebäuden, auch weniger bedeutenden, immer wieder Interes-
santes und Weiterführendes zu Tage fördern. Die Bürokratie und die
Verschriftlichung waren auch vor zweihundert oder vierhundert Jahren
schon bemerkenswert. Für den durchschnittlichen Nutzer ist dieser Weg
aber kaum Erfolg versprechend. Die Schwierigkeiten in der Erschließung
des Archivgutes stehen ebenso dagegen wie die alten Schriften, die kaum
noch ein Archiv-Laie lesen kann. Hier ist man fast immer auf die Hilfe von
Spezialisten angewiesen, die es inzwischen auch gibt. Einzig die Aus-
wertung des Urkatasters im zuständigen Vermessungsamt oder Staats-
archiv und möglicherweise der Feuerversicherungsunterlagen versprechen
mit überschaubarem Aufwand einen gesicherten Ertrag.

Dokumentation des vorgefundenen Zustands


Den Zustand eines Gebäudes vor der Durchführung von Baumaßnahmen
festzuhalten, empfiehlt sich aus mehreren Gründen. Einerseits braucht
man schon für die Planung verlässliche Erinnerungshilfen, andererseits ist
es im Streitfall immer besser, den Ausgangspunkt nachvollziehbar zu hal-
ten. Für beide Ansprüche wurden die Photodokumentation und das Raum-
buch entwickelt. Die Photodokumentation hält den vorgefundenen Zustand
in Übersichts- und Detailphotos fest. Als
Jedes Befundphoto wird mit einer eingestellten Befund- Mindestanspruch sollte jeder Raum aus zwei
karte und Farbkarte identifiziert. Anders verliert man gegenüberliegenden Ecken heraus diagonal
den Überblick.
so weitwinklig erfasst werden, dass jede In-
formation abrufbar ist. Für wichtige Einzel-
heiten sind zusätzliche Photos erforderlich,
die stets eine eingestellte Beschriftung und
ggf. eine Farbtafel enthalten sollen. Auf
einem Übersichtsplan werden die Kamera-
standorte eingetragen.
Das Raumbuch, traditionell analog, heute
aber zunehmend digital angelegt, organi-
siert und beschreibt das gesamte Gebäude.

50
Der Ausstattungsplan verzeichnet sämtliche Ausstattungselemente und ordnet sie den Bauphasen zu.

Es enthält sämtliche relevanten Informationen und ermöglicht es den


Beteiligten, sich zu allen Sachverhalten eindeutig zu verständigen. Das
betrifft zunächst die allgemeine Orientierung, darüber hinaus aber auch
die einzelne Befundansprache. Grundlage des Raumbuchs ist ein durch-
gängiges System von Raumbezeichnungen, welches zukünftig für sämtli-
che Beteiligten unbedingt verbindlich ist. Jede Seite des Raumbuchs enthält
einen einheitlichen Kopf mit den Objektdaten und ein Photo der jeweiligen
Fläche, das durch eine Zeichnung mit Befundeintragungen ergänzt wird.
Der vorgefundene Zustand eines jeden Raumes wird einschließlich der
ortsfesten Ausstattung beschrieben. Jede einzelne Fläche – Fußböden,
Wände, Decken und Außenflächen – wird gesondert aufgenommen. Detail-
erfassungen von Türen, Fenstern und Konstruktionsdetails ergänzen das
Raumbuch. Untersuchungsergebnisse und die Beobachtungen bei Öffnun-
gen von Bauteilen werden nachgetragen. Die Erfassungstiefe des Raum-
buchs richtet sich nach dem Planungsziel. Die in den letzten Jahren in

51
Das Raumbuch verschafft eine schnelle Übersicht zum Bestand. Die konsequente Verwendung
52 der Raumnummern im gesamten Planungsprozess ist unerlässlich.
unterschiedlichen Versionen auf den Markt gekommenen Checklisten-
Programme bringen hier zweifellos eine technische Orientierung, sind
aber für eine gesamtheitliche Beurteilung des Gebäudes mit seinen Werten
und Schwächen unzureichend. Das Raumbuch bleibt auch als Analog-
Version erweiterbar. Zunächst wird der Vorzustand dokumentiert, später
die Maßnahmeplanung hinzugefügt und schließlich der Endzustand fest-
gehalten. Internetbasierte Raumbücher, die von allen Planern zeitgleich
fortgeschrieben werden können, sind derzeit in der Entwicklung.
Als Zusammenfassung aller Einzelergebnisse sollen die wesentlichen
Ausstattungsmerkmale zusätzlich zu der raumweisen Verzeichnung auch

Formtreues Aufmaß (Original im M. 1:20) eines


stark verformten Gebäudes. In den Wohngeschossen
sind die schiefen Fußböden ausgeglichen, im
Dach nicht mehr. Das konstruktive Problem liegt
offensichtlich im Erdgeschoss.

Formtreues Aufmaß (Original im M. 1:20) mit Bau-


phasenkennzeichnung. Das Dachwerk hat sich
stark geneigt, die Böden sind vielfach aufgefüttert.

53
noch in einem Ausstattungsplan zusammengefasst werden. Dieser
Plan soll wie der Bauphasenplan eine zeitliche Zuordnung der Einzel-
aussagen enthalten und in den Signaturen dem Bauphasenplan folgen.

Bestandspläne
Ohne zuverlässige Pläne muss jedes Bauvorhaben scheitern. Die Erstellung
entsprechender Pläne muss deswegen die erste Aufgabe für eine erfolgreiche
Planung sein. Die Anforderungen an die Genauigkeit dieser Pläne richten
sich dabei nach dem Zustand des Gebäudes und dem Ausmaß der geplanten
Eingriffe. Die Plangrundlagen für die malermäßige Instandsetzung einer
Wohnung aus den fünfziger Jahren mit kleineren Modernisierungsarbeiten
müssen aus nachvollziehbaren Gründen nicht so genau sein wie diejenigen
für die Ertüchtigung eines defizitären Tragwerks in einem mittelalterlichen
Fachwerkhaus.
Mit falschen oder grob ungenauen Plänen darf man gleichwohl niemals
planen und erst recht nicht bauen. Das verbietet sich schon im Hinblick auf
die Dokumentationspflicht des Architekten und das zukünftige Facility
Management des Bauherrn bis hin zur Flächenermittlung für die Ver-
mietung. Vor diesem Hintergrund muss man vor der Verwendung älterer
Baupläne warnen, wie man sie in den Bauakten der Zeit vor 1945 häufig
findet, soweit der Entwurf über die Vorplanung hinausgeht.
Die Anforderungen an die Bauaufnahme bestimmen hinsichtlich Erfas-
sungstiefe und Zielmaßstab die Methoden und die notwendige Ver-
messungsgenauigkeit. Im Bereich der Denkmalpflege ist seit vielen Jahren
die Einteilung von Bestandsplänen in vier Genauigkeitsstufen üblich, welche
die Grundlage für Ausschreibungen, vertragliche Vereinbarungen und
Kalkulationen bilden. Genauigkeitsstufe 1 ist ein grobes Systemaufmaß,
Stufe IV stellt das Bauwerk mit allen Einzelheiten der Verformungen und
Befunde als formtreues Aufmaß dar. Unabhängig von der Genauigkeit der
Pläne sollen die Raumnummern immer enthalten sein.
Genauigkeitsstufe I, Systemaufmaß im Maßstab 1:100, dient zur einfa-
chen Dokumentation eines Gebäudetyps in Grundrissgliederung, Höhen-
entwicklung, Form und Außenerscheinung. Die Pläne sollen als Besprech-
ungsgrundlage bei Vorplanungen dienen oder Grundlage für Renovierungs-
maßnahmen ohne Eingriffe in die Bausubstanz sein.
Genauigkeitsstufe II ist ein annähernd wirklichkeitsgetreues Aufmaß
im Maßstab 1:50 oder 1:100 als Grundlage für einfache Sanierungen ohne

54
Systemaufmaß eines mittelalterlichen Gebäudes in Regensburg – keine Verformungen, keine Schäden?

Formtreues Aufmaß des gleichen Objekts; tatsächlich sind beängstigende Verformungen vorhanden,
die auf eine komplizierte Baumaßnahme hinauslaufen.

55
Wissenschaftliches Aufmaß einer Partie der mittelalterlichen Stadtmauer
in Basel, Handaufmaß, Original M. 1:20.

Befundinterpretation mit Bauphasenausscheidung; digitale Bearbeitung.

weiterführende Umbaumaßnahmen oder als Grundlage für Orts- und


Stadtbildanalysen sowie für vorsorgliche Dokumentationen auch im
Rahmen der klassischen Inventarisation. Die Messgenauigkeit, bezogen
auf das Gesamtgebäude, muss innerhalb +/– 10 cm liegen.
Genauigkeitsstufe III ist ein exaktes und formtreues Aufmaß im Maßstab
1:25/1:20, das auch den Erfordernissen der Bauforschung genügt und die
Grundlage für Umbaumaßnahmen bildet. Voraussetzung für das formtreue
Aufmaß ist ein dreidimensionales Vermessungssystem, auf das die
Detailaufnahme in allen Räumen außerhalb und innerhalb des Gebäudes
aufgebaut ist. Die Höhen sind auf Meereshöhe (m ü. NN) zu beziehen.
Grundrisspläne, Schnitte und Ansichten müssen über Netzkreuze oder
Passpunkte auf- oder aneinander angepasst werden können. Die Aufnahmen

56
und Auftragungen müssen vor Ort erfolgen. Die Darstellungsgenauigkeit
muss innerhalb +/– 2,5 cm liegen. Wenn erforderlich, werden die gemessenen
Werte mit eingetragen.
In den Plänen wird, soweit erkennbar, folgendes dargestellt: Konstruktion
und Struktur der Wände, Spannrichtungen der Deckenbalken im Grundriss,
deutlich sichtbare Verformungen wie Deckendurchbiegungen, Fußboden-
gefälle und Wandneigungen sowie Grundrissabweichungen vom rechten
Winkel, Hinweise auf frühere Bauzustände. Zusätzlich kann die Darstellung
von Ausbaudetails wie Türen, Fenstern oder Lamberien durch vereinfachte
Konturen vereinbart werden.
Genauigkeitsstufe IV ist ein wissenschaftliches Aufmaß im Maßstab
1:25/1:20 mit detaillierter Darstellung aller Befunde. Es wird bei hochwerti-
gen Objekten für komplizierte Restaurierungs- und Umbauplanungen, für
die statische Sicherung, bei erheblichen Verformungen und planungsvor-
bereitender Bauzustandsanalyse sowie für alle Zwecke der wissenschaftli-
chen Bauforschung bis hin zur Translozierungen benötigt. Die Darstel-
lungsgenauigkeit muss zwischen +/– 1–2 cm liegen. Hier ist es unerläss-
lich, die Oberflächen wie Fußbodenbeläge, Wanddekorationen usf. sowie
Baubefunde aller Art – ganz besonders in den Ansichten und Schnitten –
mit aufzunehmen.
Die bewusste Entscheidung für eine dieser Genauigkeitsstufen ist eine
Festlegung von erheblicher Tragweite, die der Architekt auf keinen Fall
Dritten überlassen darf. Leider erlebt man immer wieder, dass für ein und
dasselbe Vorhaben erst ungefähre, dann genaue und am Ende dann wirk-
lich präzise Pläne erstellt werden, weil am Beginn der Maßnahme die
Genauigkeitsforderungen an das Planmaterial nicht gut genug überlegt
waren. Abgesehen von den Zeitverzögerungen für die Fertigung immer
weiterer zusätzlicher Pläne in der laufenden Maßnahme wird ein kritischer
Bauherr in einem solchen Falle sicher auch fragen, ob die wiederholten
Kosten für wiederholte Bestandspläne durch die unvollständige oder gar
fehlerhafte Beratung des Architekten entstanden sind – vom Autoritäts-
verlust des Architekten ganz zu schweigen.
Als Faustregel kann gelten, dass die Pläne um so genauer sein müssen, je
komplizierter und weitreichender eine Baumaßnahme ist. Starke
Verformungen und der Einbau einer Tragwerksverstärkung machen in
jedem Fall eine formtreue Darstellung des Bestands erforderlich. Der

57
Einbau vertikaler Bauteile, seien es nun Treppen und Aufzüge, Kamine
oder Leitungstrassen, wird ohne ein Aufmaß, das wesentliche Verformun-
gen berücksichtigt, kaum zu realisieren sein. Auch komplizierte Innen-
ausbauten lassen sich ohne eine formtreue Darstellung des Bestands nicht
machen. Und schon die Grundrissveränderung durch Teilung großer
Räume sollte man ohne einen exakt vermessenen Grundriss, hier mögli-
cherweise ohne die Darstellung von Verformungen, nicht anfassen. Was,
wenn sich erst in der Örtlichkeit und bei der Bauausführung zeigt, dass für
die Realisierung einer knapp gezeichneten Toilettenanlage plötzlich zehn
Zentimeter fehlen?
Allgemein hat es sich bewährt, Pläne für die Arbeit im Bestand immer in
dem Maßstab mit der doppelten Genauigkeit zu erstellen, wie man ihn für
die Neubauplanung verwenden würde–also etwa den Maßstab 1:50 für die
Entwurfsplanung. Diese zunächst vielleicht beunruhigende Forderung
verliert in Zeiten der digitalen Planung zunehmend ihren Schrecken.
Abgesehen von solchen planerischen Überlegungen ist auch die
Abrechnung der einzelnen Gewerke mit gutem Planmaterial deutlich ein-
facher als mit groben Systemaufmaßen.
Die Bauaufnahme stellt das Gebäude in seinem vorgefundenen Zustand
dar. Interpretationen des Planes, etwa zu Veränderungen und Umbauten,
sind interessant und erwünscht. Die als weniger wesentlich erachteten Bau-
teile zur Erleichterung der Arbeit gleich in den Bestandsplänen wegzulas-
sen, ist dagegen unzulässig. Das gilt aus systematischen Überlegungen,
viel mehr aber noch aus Gründen der Sicherung von Planungsdaten.
Ob man das Bauwerk konventionell mit Bandmaß und Zeichenstift oder digi-
tal mit Lasertheodolit oder 3D-Scanner erfasst, macht im Grundsatz keinen
Unterschied. Die Weiterverarbeitung der Plandaten im Büro spricht heute
aber sicherlich für die digitale Erfassung. Soweit diese fortschreibungsfähig
angelegt, im Gebäude vermarkt und damit bei Bedarf reproduzierbar ist, ver-
meidet man damit auch die oben genannten Probleme der doppelten
Erfassung. Damit hat sich das lieb gewordene Bild des Architekten, der als
ersten Schritt in die Entwurfsarbeit zunächst einmal mit dem Meterstab
losgeht, um sich einen Überblick zu schaffen, überlebt. Die Vermessung
von Grundrissen durch die Erfassung von Längen und Breiten als einfa-
chen Strecken – beispielsweise mit dem Laser-Distometer – ist heute
wegen der absehbaren großen Ungenauigkeiten nicht mehr vertretbar. Die
Erarbeitung von Bestandsplänen ist damit für alle Anforderungen und

58
Genauigkeitsstufen in der Bauaufnahme
Planungsleistung Planinhalt
Genauigkeitsstufe I
Zielmaßstab 1:100; Maßtoleranz +/- 10 cm
Systemaufmaß des Gesamtbauwerks

• Machbarkeitsstudie  nur erhebliche Verformungen


• Flächen- und Kubaturermittlung  nur erhebliche Unregelmäßigkeiten im Grundriss
• Facility Management  vereinfachte Darstellung der Wand- und Deckenstärken
• reine Instandsetzungsmaßnahmen  keine Ausbauteile (Türen, Fenster)
 keine Entwurfsleistungen  keine Oberflächen
 keine Bauwerksveränderung
Genauigkeitsstufe II
Zielmaßstab 1:50; Maßtoleranz +/- 5 cm
Wirklichkeitsgetreues Aufmaß des Gesamtbauwerks

• Nutzungsplanung  Verformungen < 10 cm


• Genehmigungsplanung  deutliche Unregelmäßigkeiten im Grundriss
• Ausführungsplanung für ausschließlich geschoss-  wirklichkeitsgetreue Darstellung der Wand- und
bezogene Baumaßnahmen Deckenstärken
• Ausführungsplanung für Gebäude ohne ernsthafte  Darstellung der wesentlichen Konstruktionsteile
Schäden und Verformungen  Systemdarstellung der Ausbauteile (Türen, Fenster)
• Ausführungsplanung für Baumaßnahmen ohne  wesentliche Raumausstattungen (Wandverklei-
erhebliche Eingriffe in das Tragwerk dungen, Decken etc.)
Genauigkeitsstufe III
Zielmaßstab 1:25 / 1:20; Maßtoleranz +/- 2 cm
Formtreues Aufmaß des Gesamtbauwerks

• Ausführungsplanung für Gebäude mit Schäden  Verformungen < 5 cm


und Verformungen  genaue Grundrissdarstellung mit allen Unregel-
• Ausführungsplanung für geschossübergreifende mäßigkeiten des Wandverlaufs
Baumaßnahmen (Lift, Treppen, Kamine,  Darstellung der Konstruktion mit ihren Einzelheiten
Installation etc.)  Verzeichnung der Baumaterialien
• Ausführungsplanung für Gebäude mit hoch-  Detaildarstellung der Ausbauteile (Türen, Fenster)
wertigen Befunden  wesentliche Oberflächenbefunde (Malerei,
• Baumaßnahmen an Baudenkmalen Fußbodenbeläge etc.)
 Deckenspiegel (Balkenlage, Stuck etc.)
 wesentliche Befunde zur Baugeschichte

Genauigkeitsstufe IV
Zielmaßstab 1:25 / 1:20; Maßtoleranz +/- 2 cm
Wissenschaftliches Aufmaß des Gesamtbauwerks

• Baumaßnahmen an hochwertigen Baudenkmalen  Verformungen < 2 cm


im übrigen wie Genauigkeitsstufe III.
Darüber hinaus:
 sämtliche Oberflächenbefunde (Wände, Decken,
Fußböden)
 sämtliche Ausstattungsdetails
 sämtliche Befunde zur Baugeschichte

Genauigkeitsstufe V
Zielmaßstab 1:10 / 1:5 / 1:1; Maßtoleranz +/- 1 cm
Denkmalpflegerisches Detailaufmaß

• Tragwerksplanungen in stark verformten Gebäuden  sämtliche Einzelheiten der Konstruktion


• detaillierte Instandsetzungsplanung  sämtliche Einzelheiten der Oberflächen
• detaillierte Ausbauplanung  Steinportrait
• detaillierte Restaurierungsplanung  flächige Wandmalerei
Genauigkeitsstufen in der Regel die Sache von Spezialisten mit meist auf-
wändigen Spezialgeräten (was nicht ausschließt, dass sich auch der Architekt
solches Spezialwissen aneignet). Daraus folgt, dass der Architekt um so
genauer und ausführlicher definieren muss, welche Leistungen mit welcher
Darstellung er von seinem Auftragnehmer verlangt. Unklarheiten wirken
sich hier genauso fatal aus wie in der Festlegung der angestrebten Genauig-
keit der Pläne.
Entgegen einer weit verbreiteten Praxis entsteht eine zuverlässige Bau-
aufnahme-Zeichnung nicht im Büro unter Verwendung von mehr oder weni-
ger deutlichen Skizzen und Zahlenlisten. Sie muss vielmehr am Ort selbst
erarbeitet und auch fertig gestellt werden. Die Bauaufnahme-Zeichnung ist
keine Präsentationszeichnung und auch keine Bauausführungszeichnung.
Sie hat ihre eigenen, auf die Erfordernisse von Dokumentation und Bau-
forschung zugeschnittenen Qualitäten. Die Bauaufnahme-Zeichnung ent-
steht mit hartem Bleistift (6H) auf PL-Zeichenfolie, mit Bleistift (4H) auf
Karton (z. B. Hammer 4R) oder mit Tachymeter und Laptop direkt als CAD-
Zeichnung. Gezeichnet wird direkt auf dem Blatt ohne vermittelnde Maß-
skizzen und nur das, was auch gemessen wird. Mit dem Bleistift wird
gezeichnet, weil er ein technisch vielseitiges, alterungsbeständiges und auch
unter harten Bedingungen wenig anfälliges Gerät ist; nicht zuletzt auch, weil
sich Fehler sofort verbessern lassen. Auf Folie wird gezeichnet, weil sie maß-
haltig bleibt, sich also nicht verzieht. Sie ist reißfest und gegen Hitze und vor
allem Feuchtigkeit (auch Regen!) unempfindlich. Sie ist allerdings nicht un-
eingeschränkt alterungsbeständig. Für Dokumentationszeichnungen (z. B.
für Denkmalämter) wird daher auf säurefreiem Karton gearbeitet.
Das Vor-Ort-Prinzip stellt sicher, dass durch die Anschauung des Objektes
Messfehler sofort erkannt werden. Im langsamen Fortschreiten der Zeich-
nung von dem übergeordneten Bezugsnetz, der Basislinie, dem Messnetz
oder dem Polygonzug über die ermittelten Eckdaten bis hin zur Darstellung
der Binnenstruktur und der Details bauen alle Schritte systematisch auf–
einander auf. Fehler werden sofort sichtbar – dem Zeichner kommt etwas
komisch vor und er lässt Kontrollmaße nehmen – und lassen sich leicht
zurückverfolgen. Wer einmal in einer weit fortgeschrittenen „Bürozeichnung“
oder in flüchtigen Aufmaßskizzen die Ursache für einen Fehler gesucht
hat, wird einsehen, dass das Zeichnen vor Ort trotz seiner scheinbaren
Mühseligkeit letztlich meist schneller und immer wesentlich genauer ist
und außerdem zusätzlich etwas von der Lebendigkeit eines alten Bauwerkes

60
vermittelt. Die bestimmenden Charakteristika des Gebäudes fließen leichter
in die Zeichnung ein. Wo Oberflächen in ihrer Materialhaftigkeit dargestellt
werden, wirken die verwendeten graphischen Mittel authentischer. Das Zei-
chnen ist eine sehr persönliche Beschäftigung mit einem Gegenstand. Über-
legungen, Fragestellungen und Beobachtungen, die sich während des Zeich–
nens ergeben, können direkt schriftlich in der Zeichnung vermerkt werden.
Falls die Reproduzierbarkeit der fertigen Zeichnung nicht ausreicht, lassen
sich später im Büro schnell Umzeichnungen anfertigen, da die Vorlage abso-
lut zuverlässig ist. Meistens geschieht dies ohnehin im Hinblick auf bestimm-
te Funktionen, die die Zeichnung erfüllen soll, wie Schadensanalysen für den
Statiker oder Druckvorlagen für eine Veröffentlichung.
Bauaufnahme ist keine Wissenschaft, sondern ein Handwerk. Ihre
Methoden sind grundsätzlich einfach, und diese Einfachheit der Mess-
methodik ist auch immer anzustreben, um höhere Genauigkeiten zu errei-
chen und gleichzeitig den Zeitaufwand zu minimieren. Die Schwierig-
keiten entstehen bei der Anwendung auf die Komplexität von Bauwerken.
Erst eine gewisse Erfahrung und Routine ermöglichen zügiges Arbeiten.
Bei der einfachen und kostengünstigen Verfügbarkeit zuverlässiger Laser-
theodoliten wird man heute kaum noch auf eine geodätische Grund-
vermessung des Gebäudes verzichten – nicht zuletzt deshalb, weil die
Weiterverarbeitung der Pläne im Büro mit den gleichen Datensätzen
erfolgen wird, die der Vermesser generiert hat. Diese Daten sind zugleich
auch maßstabsunabhängig. Die Schwierigkeiten liegen in der Detaillierung
und zugleich in der fehlenden Bildhaftigkeit und Aussagekraft der Pläne,
die bei einem geodätischen Aufmaß bald an ihre Grenzen kommt.
Grundsätzlich kann aber auch das geodätische Aufmaß eine Vielzahl von
Einzelaussagen erfassen und sogar – besser als das Handaufmaß – in
Layerebenen organisieren.
Die Bildentzerrung, häufig und fälschlich auch als Messbild bezeichnet,
bietet sich durch die digitale Photographie und viele anwenderfreundliche
Programme zur maßstäblichen Bildentzerrung heute besonders für die
Befundaufnahme an ebenen Objekten an. Die maßlich korrekte Darstellung
des entzerrten Photos kann sich dabei aus systembedingten Gründen immer
nur auf eine einzige Ebene beziehen, die überdies nicht gekrümmt oder ver-
formt sein darf. Vor- und Rücksprünge werden ebenso wie Wandöffnungen
und architektonische Gliederungen grundsätzlich unrichtig, weil – übermä-
ßig – verzerrt abgebildet.

61
Dieser Nachteil haftet der Stereophotogrammetrie nicht an. Sie bietet
die Möglichkeit, besonders Fassaden ohne Gerüst, berührungsfrei und bis
in die Einzelheiten zu erfassen. Das gilt besonders für stark gegliederte
Gebäude. Für eine seriöse photogrammetrische Aufnahme wird man schon
für ein dreigeschossiges Gebäude in der Regel nicht ohne einen Fahrkorb
auskommen, von dem aus die oberen Gebäudeteile ohne sichttote Bereiche
erfasst werden können. Weil auch die Photogrammetrie heute durchgängig
digitale Daten liefert, kann man diese Unterlagen – gute Organisation

Digitales Bauaufmaß mit Darstellung der vielen Einzelheiten der Ausstattung bis hin zur
Fußbodenstruktur auf verschiedenen Layern; links die Layerstruktur auf dem Bildschirm,
rechts das gedruckte Ergebnis.

Das detailreiche Handaufmaß verzeichnet sämtliche Oberflächen.


Auf dieser Grundlage ist die Nutzungsstruktur des 17. Jahrhunderts rekonstruiert.

62
Ende 13. Jh.

Anfang 14. Jh.- 1330

14. Jh.

Anfang 15. Jh.- 1447

Mitte 16. Jh.

Anfang 17. Jh.

Ende 17. Jh.

90er Jahre

1900 -1904

1908

1908 - 1945

1945 - 1989

1989 - 2000

Digitales Aufmaß mit Bauphasenausscheidung.

vorausgesetzt – unmittelbar für die Planungsarbeiten übernehmen. Für die


Grundrissaufnahme hat sich die Photogrammetrie nie wirklich durchgesetzt
und wird heute zunehmend durch die digitalen Aufmaßmethoden verdrängt.
Durch leistungsfähige Rechner ist es heute möglich, die Inhalte der unter-
schiedlichen Erfassungsmethoden in einem Datensatz zu vereinen. Das
entzerrte Photo kann dem geodätischen Plan ebenso unterlegt werden wie
die aufwändige händische Kartierung von Einzelheiten der Oberfläche.
Die Technologie des 3D-Laser-Scannings verändert die Bestandserfas-
sung derzeit erheblich. Laser-Scanner arbeiten grundsätzlich nach dem
gleichen Prinzip, das auch der Lasertheodolit verwendet. Während dort
aber jeder Punkt bewusst ausgesucht und individuell mit seinen

63
Koordinaten erfasst wird, generiert der
Scanner in unglaublich kurzer Zeit
Millionen solcher Punkte – die Punktwolke.
Diese Datenmasse ist Vor- und Nachteil
zugleich. In einem rechenintensiven
Prozess müssen diejenigen Informationen
herausgefiltert werden, die der Architekt für
die Planung wirklich braucht. Ein automati-
sches Verfahren mit überzeugenden Ergeb-
nissen fehlt dafür bisher. Ohne Zweifel wird
aber die schnelle technische Entwicklung
diese Hindernisse in der nahen Zukunft
immer weiter aus dem Wege räumen. Als
Vorteil enthalten die Punktwolken ein sehr
vollständiges Abbild des Bestandes, auf das
der Planer zurückgreifen kann.
Für die Erfassung von Architekturen ist
grundsätzlich entscheidend, welche Punkt-
dichte auf der Oberfläche erzeugt wird. Die
für anspruchsvolle und detaillierte Planun-
gen ausreichende Punktdichte von etwa 5 mm
Auf der Grundlage einer digitalen Bildentzerrung sind
die Risse in der Fassade kartiert. erreichen inzwischen die meisten auf dem
Markt verfügbaren Systeme. Der um Vieles
genauere Streiflicht-Scanner ist wegen seiner begrenzten Reichweite für
die Aufnahme ganzer Architekturen grundsätzlich nicht zu verwenden. In
der Detailerfassung hat er dagegen seinen Sinn.
Die Vermutung, dass ein besonders aufwändiges und modernes Verfahren
zur Bestandserfassung auch besonders zuverlässig sein müsse, bestätigt
sich in der Praxis nicht. Es sind ganz sicher auch in Zukunft die gute
Ausbildung und das Engagement des Ausführenden, die das Ergebnis qua-
lifizieren. Deswegen sollte man sich vor der Auftragserteilung stets
Arbeitsproben zeigen lassen und bei einer umfangreicheren Bestandser-
fassung Zwischenergebnisse begutachten, sie in der (digitalen) Weiterbear-
beitung erproben und förmlich abnehmen.

64
Ergänzung mineralisch
Anböschung KSE
Vierung bzw. Neuteil
Neuteil-Rekonstruktion
Ergänzung historisches Gerüstloch
Reparieren Steine
im historischen Gerüstloch

Zweilinig ausgewertete Stereophotogrammetrie des


Domes zu Speyer als Grundlage einer sachgerechten
Steinrestaurierung (hier: Ergänzungen).

65
3D-Laser-Scan. Links die Punktwolke, wie sie aus dem
Scanner kommt, rechts die graphische Umsetzung als
Schnittzeichnung und Ansicht.

Bauuntersuchung
Die Bauuntersuchung deckt Wirkungszusammenhänge von ursprünglicher
Konstruktion und historischen Veränderungen in Grundriss, Tragwerk
sowie Ausstattung auf und fragt nicht zuletzt nach den in diesem Verlauf
entstandenen Risiken und Schäden am Gebäude. Dem Verständnis des
Tragwerks kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Außerdem spielen
alle Fragen der bau- und materialtechnischen Gegebenheiten eine Rolle.
Die systematische Erfassung aller am Bau erkannter Schäden ist die notwen-
dige Voraussetzung für eine sachgemäße Planung, und zwar sowohl in bau-
technischer Hinsicht wie auch im Hinblick auf die Kosten. Wer das Ausmaß
und die Bedeutung vorhandener Schäden nicht kennt, gerät in große Gefahr,
seinen Planungsauftrag unsachgemäß zu erledigen. Was allerdings ein
Schaden ist, lässt sich oft nicht so leicht bestimmen, wie man meint; die
Beurteilung ist immer auch von der Strategie der Planung abhängig.
Die systematische und strukturierte Bauuntersuchung ist – wie die Bau-
werkserfassung in Plänen – in der Regel ein Spezialgebiet, das Spezial-
kenntnisse erfordert. Wer die Ergründung der Baugeschichte als interes-
santes Abenteuer versteht und betreibt, setzt sich der Gefahr aus, das

66
Nicht jeder Schaden ist ein Schaden:
Der Zusammenhang von Baugeschichte und Tragwerk

Wohnhäuser Mühlenstraße 2-3 und 4-5, 1999


D- Havelberg
Bauherr: Havelberger Hoch- und Tiefbau Fassade zur Straße.
Gutachten: Yngve Jan Holland, Stefan Breitling

Erst die Kenntnis der Entwicklungsgeschichte eines Ge-


bäudes ermöglicht eine verantwortungsvolle, schadensfreie
und nachhaltige Sanierung. Das ursprüngliche Fachwerk-
gebäude wurde nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen
Krieges 1660 (d) errichtet und gehört damit zu den ältesten
datierten Wohnhäusern in Havelberg. Wegen der starken
Neigung des Hauses war ursprünglich eine teure Funda-
mentsanierung vorgesehen. Eine zweitägige Bauuntersu-
chung reichte aus, um die notwendige Dokumentation zu
erstellen, die Bauphasen zu datieren und die strittigen Fra-
Befundplan und Bauphasen-
gen nach dem baukonstruktiven Zustand und der mögli- Kartierung der Hoffassade.
chen Gefährdung des Bestandes zu klären. Das Bauwerk
erwies sich als stabil. Seit 150 Jahren hatte sich nichts mehr
bewegt. Die Verformungen stammen von einem Brand-
schaden, in dessen Folge man im 18. Jahrhundert die Fuß-
böden aufgedoppelt und die Fachwerkständer verschoben
hatte. Im Ergebnis erwies sich die geplante Fundament-
sanierung als überflüssig; die Untersuchung war durch die
Einsparung bei den Baukosten überaus wirtschaftlich.

Grundriss des Dachgeschosses mit


Kartierung der Abbundzeichen.

Längsschnitt durch das Dachwerk nach Norden.

Bauphasen

vor 1660 (d) 1. Hälfte 20. Jh.


nach 1660 (d) nach 1945
18. Jh. unbestimmt
Anfang 19. Jh. Entnahmestelle Dendro

nach 1855 (d) Fotostandort


Wichtige zu übersehen und das Spannende unerkannt zu zerstören oder
viel zu spät zu erkennen. Die Aufgabe des Architekten ist es, die Unter-
suchungstiefe zu bestimmen, zu klären, welche Sonderfachleute einge-
schaltet werden müssen (Restaurator, Archäologe, Historiker, Dendroch-
ronologe etc.), und deren Arbeitsfeld mit exakt formulierten Aufträgen zu
beschreiben. Die Vorstellung, dass alle diese Arbeitsfelder vom Planer
selbst abgearbeitet werden könnten, ist unzeitgemäß. Der Architekt muss
indessen so viel Fachwissen haben, dass er in dem komplexen Vorgang der
Bauuntersuchung die Initiative nicht an seine Sonderfachleute verliert. Nur
der Architekt kann die wechselseitigen Abhängigkeiten und Anforde-
rungen an die Beteiligten zielgerichtet und wirkungsvoll so definieren, dass
die Planungsziele am Ende zuverlässig und wirtschaftlich erreicht werden.
Die Forderung nach „Forschung“ stößt auf dem Bau bisweilen auf Unver-
ständnis, weil der Bauherr langwierige, teure und vielleicht sogar überflüs-
sige Untersuchungen vermutet, deren Sinn nicht unmittelbar erkennbar
wird. Um so wichtiger ist die gezielte Auswahl solcher Untersuchungen
mit eindeutigen Fragestellungen und Zielvorgaben. Es muss immer deut-
lich sein, in welcher Form und wo solche Fachgutachten so in die Planung
eingehen, dass sie trotz des unvermeidlichen Fachjargons auch für die
anderen Fachgruppen verständlich und förderlich sind.

Bauforschung
Am Beginn der Bauuntersuchung steht die Klärung der Veränderungs-
geschichte mit der Unterscheidung unterschiedlicher Bauphasen und
Bauabschnitte. Dieses Wissen ist zugleich die Voraussetzung für die sach-
gerechte Beurteilung manifestierter ebenso wie versteckter Schadens-
prozesse. Nicht zuletzt ermittelt die Bauforschung sichtbare und verborge-
ne kulturgeschichtliche Werte. Nur auf dieser Grundlage hat der Architekt
die hinreichende Sicherheit, dass sein Entwurf die Qualitäten des
Gebäudes zur Entfaltung bringen und zugleich seine Defizite beheben
wird. Wer keine konkrete Vorstellung vom Tragwerk und dessen
Schwächen hat, kann es auch nicht stabilisieren. Wenn die alten Raum-
teilungen nicht bekannt sind, kann der Entwurf darauf auch nicht sinnvoll
reagieren. Weil – beispielsweise – die Baugeschichte des 19. und 20. Jahr-
hunderts vielfach die Geschichte der Teilung großer Räume gewesen ist,
zeigt oft schon die Bauuntersuchung einen einfachen Weg, wie aus einem
verwinkelten Gebäude durch den Abbruch der letzten Bauschicht ohne

68
Eingriffe in das Tragwerk und ohne großen Aufwand wie-
der ein attraktiver Grundriss werden kann.
Die Untersuchung klärt die Baugeschichte mit dem Ziel, in
Grundrissen, Schnitten und Ansichten die Entstehungszeit
der unterschiedlichen Bauteile als Bauphasenplan darzu-
stellen und den Ursprungszustand des Gebäudes ebenso
wie die wesentlichen Umbauphasen gedanklich und zeich-
nerisch zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion bezieht
sich auf die Architektur, das Tragwerk und die Nutzung. Sie
stützt sich selbstverständlich auf die Archiv- und Litera-
turanalyse und bezieht diese ein. Für die Kennzeichnung
der Bauphasen hat sich allgemein die Charakterisierung für
alt = dunkel bis hell = jünger durchgesetzt. Isometrische
Rekonstruktionszeichnungen der einzelnen Bauphasen,
händisch oder als Computerdarstellung, erleichtern die
Darstellung und Vermittlung der Untersuchungsergeb-
nisse.

Der Baueingabeplan von 1903 zeigt nur einen Teil der im Laufe
der Jahrhunderte durchgeführten Umbauten. Der Rest lässt sich
nur durch eine systematische Bauuntersuchung feststellen.
Der Bauphasenplan fasst die Ergebnisse zusammen.

vor 1504/05

um 1560

um 1600

18. Jh.

1903

69
Bestandsaufnahme und Bestandsinterpretation von Schloss
Freyenstein. Auf der Grundlage eines formtreuen digitalen
Aufmaßes entsteht der Bauphasenplan. Die dreidimensionale
Vernetzung der Befunde eröffnet den Zugang zur Veränderungs-
geschichte, die in drei Phasenmodellen dargestellt ist.

70
Räumliche Modelle und digitale Verortung als Zugang
zu komplexen Baustrukturen

Nidaros-Dom, Oktogon, Forschungsprojekt 1999-2004


N-Trondheim
Bauherr: Nidaros Domkirkes Restaureringsarbeider
Projektleitung: Stefan Breitling

Das Oktogon gehört zu den interessantesten Ostab-


schlüssen mittelalterlicher Kathedralen. Das frühgotische
Bauwerk wurde um 1161 begonnen und war im 13. und
14. Jahrhundert Ziel wichtiger Pilgerrouten.
Die komplizierte Architektur erfordert besondere räumli-
che Darstellungsverfahren. Die detaillierte zeichnerische
Innenansicht nach Osten
Aufnahme der Anschlussbereiche sowie zahlreicher Bau- auf das Oktogon.
details lässt Aussagen über Entwurf und Anlage des Chores
zu. Durch eine Analyse der Setzungs- und Verformungs-
erscheinungen konnten die Bauteile einzelnen Bauab-
schnitten zugeordnet werden. Auf der Grundlage eines
dreidimensionalen tachymetrischen Aufmaßes wurden die
Dokumentationen vereinheitlicht und im Rahmen eines
html-basierten Gebäudeinformationssystems digital zur
Verfügung gestellt. Auf diese Weise können sie direkt für
das Monitoring und die Planung von anstehenden Sanie-
rungsmaßnahmen durch die verschiedenen am Dom
beschäftigten Fachgruppen verwendet werden.

Nidaros-Dom, Oktogon, Drehbares 3-D-Modell mit


3D-Modell, Schnitt nach Süden Kontextmenüs und Datenbank in
html; hier ist die Bauornamentik
dargestellt. Rütenik 2004.
Grundriss des Doms. System: Breitling 2005.
Auch wenn die wissenschaftlich-theoretische Rekonstruktion zweifelsfrei
und vollständig gelingt, heißt das noch lange nicht, dass einer der ermittelten
Zustände – und wenn, dann nicht zwangsläufig der Ursprungszustand –
rekonstruiert werden müsste.
Die bauarchäologische Untersuchung analysiert das Gebäude
zunächst durch zerstörungsfreie Beobachtung, später auch mit den in der
Archäologie entwickelten, eingreifenden stratigraphischen Methoden. Sie
soll bei allem Erkenntnisdrang den Bestand so wenig wie möglich beein-
trächtigen.
Alte Bestandspläne können erste Hinweise auf frühere Veränderungen brin-
gen. Scheinbar regellos in der Fassade angeordnete Fenster von unterschied-
licher Größe und Höhenlage mögen auf eine wechselvolle Baugeschichte
verweisen. Starke Verformungen können auf Probleme im Tragwerk zurück-
gehen, verschiedenartige Wandstärken und überraschende Wandverläufe
auf unterschiedliche Bauzeiten und Umbaumaßnahmen. Anomalien im
Wandverlauf und Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche zeigen häufig
Umbauten an, die man vielfach schon im Streiflicht deutlich erkennt und
interpretieren kann. Als Faustregel kann die Vermutung dienen, dass glei-
che Phänome auch aus gleicher Zeit stammen. Unterschiedliche
Baumaterialien können so beispielsweise ein Hinweis auf unterschiedliche
Bauzeiten sein.
Bestandsplan des 18. Jahrhunderts. Die Unterschiede Verdeckte Baustrukturen können durch die
in den Wandstärken und die eigenartigen Wand- aus der Energieanalyse bekannte Thermo-
verläufe zeigen dem Fachmann, dass die einheitliche
Anlage ältere Bauteile integriert. graphie (Wärmebildmessung) sichtbar
gemacht werden, wenn sich die bauphysika-
lischen Kennwerte der verbauten Stoffe hin-
reichend unterscheiden. Im Gegensatz
dazu spielen aufwändigere Verfahren wie
Ultraschall, Röntgen und andere aus der
Medizintechnik bekannte Verfahren im
Normalfall für die Bauwerksuntersuchung
aus organisatorischen und finanziellen
Gründen keine große Rolle.
Soweit die Archivanalyse und die zerstö-
rungsfreien Baubeobachtungen erste greif-
bare Hinweise auf die Veränderungsge-
schichte des Bauwerks geliefert haben, müs-

72
sen diese in der Regel durch eingreifende
Untersuchungen überprüft und erweitert
werden. Solche Eingriffe wollen freilich
wohl überlegt sein. Sie verursachen nicht
nur Kosten in der Durchführung, sondern
sind auch mit Folgekosten für die Wieder-
herstellung der Oberflächen und mit
Beeinträchtigungen des Gebrauchswertes
des Gebäudes verbunden. Im Baudenkmal
bedürfen solche Eingriffe zwingend der
denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis. In
jedem Falle sind Befundöffnungen immer
so klein wie möglich zu halten. Sie müssen
am Ende der Untersuchung formal und
inhaltlich ein geordnetes Gesamtbild hin-
terlassen. Dazu gehört die klare und be-
wusste Randabgrenzung der Sondagen
ebenso wie die systematische Beschriftung
(s.a. Raumbuch). Die Verwüstung der Bau-
stelle durch exzessive Öffnungen in Wänden
Im Streiflicht werden bauliche Veränderungen und
und Fußböden, gleichgültig durch wen und Verformungen besonders deutlich.
mit wie immer guten Gründen sie verlangt
und veranlasst wurde, ist immer und grund-
sätzlich ein gravierender Planungsfehler.

Die räumlichen Bezüge der Befunde untereinander


sind oft von besonderer Bedeutung. Hier ist die Dar-
stellung in körperlichen Zusammenhängen unerlässlich.

73
Von der Schadensanalyse zum Planungskonzept

Schloss Heubach, Stadtbibliothek


und Miedermuseum, 1991 -1997
D-Heubach
Bauherr: Stadt Heubach
Architekt: Johannes Cramer

Ziel der Planung war es, wertvolle Innenraumgestaltungen


des 16. und 17. Jahrhunderts zu konservieren und eine mo-
derne Nutzung in den historischen Bestand zu integrieren.
Giebel nach Fertigstellung mit
Rekonstruktion der Farbfassung Der Adelssitz wurde 1525 (d) auf älteren Bauresten errichtet
von 1627. und 1627 (d) noch einmal grundlegend modernisiert. Da-
nach blieben eingreifende Umbauten weitgehend aus, so
Innenraum der Bibliothek mit
Spuren der Wände aus dem dass der Bau 1983 ziemlich unverändert und authentisch,
Nutzungshorizont von 1627 im jedoch mit schweren Bauschäden in den Besitz der Stadt
Fußbodenbelag.
kam. Zeitweilig wurde der Abbruch erwogen.
Die schwer beschädigte Holzkonstruktion ist durch eine
additive Tragkonstruktion aus hochfestem Stahl für die
Unterzüge und Edelstahlstützen verstärkt. Diese reicht teil-
weise bis in das 2. Obergeschoss. Für Planung und Einbau
war eine formtreue Bauaufnahme unerlässlich.
Die historischen Oberflächen sind innen wie außen konser-
viert. Die Vielfalt der Gestaltungen und auch deren histo-
risch zufällige Erhaltung wurden ohne erhebliche Ergän-
zungen konserviert. Spuren früherer Bauzustände sind er-
halten und zurückhaltend vermittelt.

Verstärkungskonstruktion auf
Edelstahlstützen mit Längsträgern
aus hochfestem Stahl, der
Momentenlinie angepasst.

Steingerechte Bauaufnahme des


Giebels mit Eintragung aller Be-
funde von baulichen Veränderungen
bis zur Erhaltung der alten Putze.
Wie der Bestand den Entwurf bestimmt

Wohnhaus Balbarini, 1989


I-Pisa
Bauherr: Privat
Architekt: Massimo Carmassi

Das reich ausgestattete und vielfach überformte Stadthaus


gibt seine gestalterischen und historischen Geheimnisse
Das rohe Mauerwerk und die
erst in einer detaillierten Bestandsanalyse preis. Die freige- filigrane Treppe bilden einen
legten Mauern zeigen die Spuren der Geschichte, die farbi- vielschichtigen, ganz neuen Raum.

gen Fassungen aus unterschiedlicher Zeit sind ein Lexikon


der Innenraumgestaltung.
Der moderne Eingriff arbeitet mit den wie zufällig inszenier-
ten Baubefunden und kontrastiert das geschundene Alte mit
der Leichtigkeit der neu hinzugefügten Konstruktion. Die
modernen Erfordernisse der Erschließung sind durch leich-
te Glaswände eingelöst. Nur so kann die Planung den neuen
Nutzungsanforderungen gerecht werden und ein span-
nungsreiches Gesamtwerk schaffen.

Die fragmentierten Schichten der Wanddekoration sind


ein Abbild der langen Hausgeschichte.

Werkplanung für den Einbau der Glaswand. Isometrie mit Darstellung der historischen Ausstattung
und der neuen Einbauten.
Bauteilöffnungen, auch die des Tragwerksplaners und des Holzschutz-
gutachters, sollen in aller Regel nur unter der Aufsicht von Bauforschern
und Restauratoren durchgeführt werden. Anderenfalls läuft man Gefahr,
Wichtiges unerkannt und unbeabsichtigt zu zerstören.

Die bauarchäologische Untersuchung wird


durch die Aufdeckung und Verfolgung von
Baunähten, Materialgrenzen und zugesetz-
ten Öffnungen alle jene Fragen weiter klä-
ren, welche in der reinen Beobachtung offen
blieben. Weil der Eingriff in intakte Ober-
flächen immer die Gefahr birgt, dass uner-
kannt interessante Oberflächenbefunde be-
schädigt werden, beginnt man zweckmäßig
in ohnedies vorhandenen Schadstellen, wie
sie etwa durch frühere Eingriffe oder Putz-
risse entstanden sind. Diese Strategie bietet
sich auch deswegen an, weil Risse in der
Die planlose Putzentfernung ohne vorausgehende
restauratorische Untersuchung hat bereits weite Wandoberfläche nicht selten der erste Hin-
Bereiche der erhaltenen Putze mit ihren farbigen weis auf verborgene Befunde und/oder
Fassungen zerstört. Ein inkompetentes Vorgehen.
Schäden sind. So können mit einem einzi-
gen Eingriff im besten Falle gleich mehrere Fragen geklärt werden. Die rela-
tive Chronologie einzelner Wände zueinander klärt man aus verständlichen
Gründen in den Raumecken und nicht in der Fläche. Einmal erhärtete
Erkenntnisse sollen wegen der damit verbundenen Zerstörungen nicht
durch routinemäßige Wiederholungsfreilegungen verfestigt werden: Wo das
Rissbild die Lage der Fachwerkhölzer in einer Wand schon anzeigt, muss
nicht noch jedes Mal das Holz tatsächlich freigelegt werden.
Die Feinarbeit des Bauarchäologen ist ein Spezialwissen, das auszubreiten
hier nicht der Ort ist. Aus der Beschaffenheit von Mörteln, ihrer Folge in
der Überlappung, leeren Holzverbindungen im Dachwerk und vielen ande-
ren Einzelphänomenen kann ein versierter Bauarchäologe bis weit in die
Einzelheiten der Baugeschichte reichende Folgerungen zu Grundrissver-
änderungen, Nutzungsgeschichte und Ausstattung ziehen.
Restauratorische Untersuchungen klären am Außenbau wie auch
im Innenraum die architekturgebundene Ausstattung des Gebäudes.

76
Im Gegensatz zu unseren heutigen Ge-
wohnheiten des Innenausbaus haben alle
Epochen bis in das 20. Jahrhundert hinein
die Wand stets auch als Träger von architek-
tonischer und künstlerischer Gestaltung ver-
standen. Aufwändige Wandmalerei, Farb-
fassungen, historische Tapeten und Stuck
gehören neben vielen weiteren Gestaltungs-
möglichkeiten zu den selbstverständlichen
Befunderwartungen für ein historisches
Gebäude. Weil diese Schönheiten heute fast
immer unter jüngeren Putzschichten und
Tapeten verschwunden sind, gehört die sys- Neufassung mit Befundfenster.
tematische Klärung der ursprünglichen
Ausstattung zu den unverzichtbaren Untersuchungen im Vorfeld der
Planung. Diese Untersuchung muss in aller Regel von einem auf Putze und

Untersuchungsblatt. Fassungsfreilegung mit Farbtreppe und interessantem Befund.

77
Von der Bürgerkirche über die Zehntscheune zum
Kulturzentrum

Kulturzentrum in der Bernhardskapelle, 1991-2002


D-Owen
Bauherr: Stadt Owen
Architekt: Hans Klumpp

Bis 1999 stand am Marktplatz der Stadt Owen ein un-


scheinbares Bauernhaus. Es war dort 1877 in die nutzlos
gewordene Zehntscheune eingebaut worden, die ihrerseits
Außenansicht nach Fertigstellung.
Raue Putze sind alt, neue glatt. aus einer nach der Reformation aufgelassenen Kirche ent-
standen war. Zwei umfangreiche Zyklen mit mittelalterli-
chen Wandbildern hatten alle diese Umbauten hinter
Heuballen und dicken Putzschichten überstanden – zwar
versehrt und reduziert, aber in den Grundzügen und vielen
Details gut lesbar. Das Planungskonzept machte den
Kirchenraum wieder lesbar. Sämtliche Ergänzungen sind als
modern zu erkennen. Die qualitätvollen Wandbilder wurden
durch eine aufwändige Restaurierung freigelegt und in Teilen
ergänzt. Der Fachmann kann ohne Schwierigkeiten zwischen
Original und Retusche unterscheiden. Der Bau dient heute
als Veranstaltungsraum für kulturelle Zwecke.

Wissenschaftliche Bauaufnahme
als Bauphasenplan mit der
Wandmalerei auf Grundlage eines
stereophotogrammetrischen
Aufmaßes.
Innenraum nach Instandsetzung.
Neutralputz oben und unten,
farbig angepasste Mörteler-
gänzungen in großen Fehlstellen,
Tratteggio-Retuschen zur
Verbesserung der Lesbarkeit.

Detail der Restaurierung: Frei-


legung, Reinigung und Retusche.
Wiedergewinnung der Farbigkeit

Wohnhaus Schminke, 1933/2000


D-Löbau
Bauherr: Wüstenrot-Stiftung
Architekt: Hans Scharoun/Pitz & Hoh

Das Landhaus Schminke von Hans Scharoun gilt wegen der


radikalen und kompromisslosen Umsetzung der Ent-
wurfsidee als Meilenstein der modernen Architektur in
Deutschland. Die damals noch nicht wirklich ausgereifte
Bauweise und der über lange Zeit unterbliebene Bau-
unterhalt hatten das Haus in einen beklagenswerten Zustand
versetzt. Ziel der Baumaßnahme war die authentische
Innenraum nach Wiederherstellung
Instandsetzung unter Respektierung der späteren Überfor- und Rekonstruktion der Farbigkeit.
mungen in der möglichst vollständigen Kenntnis der Bau-
und Veränderungsgeschichte. Dabei spielten die Lesbarkeit
des Grundrisses von Scharoun und dessen gleichermaßen
bewusste wie delikate Farbgestaltung eine besondere Rolle.
Durch intensive restauratorische Untersuchungen konnte
auf der einen Seite die historische Farbigkeit fast vollständig
belegt werden. Die Umgestaltung verzichtete gleichwohl, im
Wissen um die dauernde Veränderung, auf die vollständige
Rückführung in den Ursprungszustand und zeigt die histori-
sche Farbigkeit nur in Ausschnitten.

Der Bau nach der Fertigstellung


im Jahre 1933.

Restauratorische Freilegungsprobe Reinigungsmuster an dem Eingangsbereich mit Rekonstruktion


zur Ermittlung der historischen naturfarbigen Außenputz. der historischen Farbigkeit.
Farbigkeit.
Fassungen spezialisierten, dafür entsprechend qualifizierten Restaurator
durchgeführt werden. Der Restaurator ist zugleich dafür ausgebildet, die
Bedeutung der Abfolge von historischen Putzen und Fassungen für die
Veränderungsgeschichte des Bauwerks zu klären. Auch hier sind großflächi-
ge und zerstörerische Freilegungen mit grobem Werkzeug ein Verstoß
gegen die Grundregeln der Disziplin. Als Spezialist für die Zusammen-
setzung historischer Mörtel wird der Restaurator ferner in der späteren
Baudurchführung für die Konfektionierung von Ergänzungs- und Repa-
raturmörteln ein wichtiger Gesprächspartner. Soweit die Rekonstruktion der
historischen Farbigkeit zur Debatte steht, kann der Restaurator auch hier –
bis hin zu den traditionellen Materialien – die richtigen Auskünfte geben.
Weil jedes alte Gebäude auch auf altem Boden steht, muss man bei
Bodeneingriffen grundsätzlich immer mit archäologischen Funden
rechnen. Schon die Erneuerung der Hausanschlussleitungen kann entspre-
chende Befunde zutage fördern. Solche Befunde unterliegen der strengen
Aufsicht durch die archäologischen Abteilungen der Denkmalämter.
Einschlägige Beobachtungen müssen unverzüglich der Unteren Denk-
malschutzbehörde gemeldet werden – seien es nun Bestattungen, Artefakte
oder Baureste. Die Beurteilung, dass etwas unbedeutend sei, steht einzig
den Archäologen zu. Funde sind dabei sowohl innerhalb des Hauses, bei-
spielsweise als alte Produktionseinrichtungen, wie auch im Außenbereich
vorstellbar. Im Verdachtsfall muss zunächst durch kleinflächige Sondagen
die Befundlage geklärt werden, bevor die
Archäologisch relevanter Fund im Boden des
Erdgeschosses: Die Gerbgruben aus der Zeit um 1700 Gesamtmaßnahme in einem Zuge durchge-
sind in Teilen noch mit ihrem alten Inhalt gefüllt. führt werden kann. Es ist deswegen klug,
archäologische Untersuchungen schon im
Vorfeld der Planung durchführen zu lassen.
So erspart man sich unliebsame Überra-
schungen in der Baudurchführung.
Im weiteren Sinne gehören zum archäologi-
schen Komplex auch die kulturhistorisch
bedeutsamen Kleinfunde, wie man sie in
aller Regel in unterschiedlichem Umfang in
jedem älteren Haus findet. Vom verlorenen
Hosenknopf über in der Wand verbaute
Gegenstände bis hin zum Depotfund zer-
schlagener Küchenkeramik teilt ein altes

80
Haus gerade in diesem Bereich unendlich
viel über seine Geschichte und die früheren
Nutzungen mit. Für den an der Identität sei-
nes Gebäudes interessierten Eigentümer
eröffnen besonders diese Erkenntnisse oft
sinnstiftende Möglichkeiten.
Die Möglichkeit der gesicherten Datierung
eines Gebäude und seiner Umbauphasen
hat die Menschen schon immer fasziniert –
auch dann, wenn dieses Wissen für den
Durch das schmale Fenster wurde lange Zeit
Planungsprozess eigentlich von nachgeord- zerbrochenes Geschirr in einen unzugänglichen Raum
neter Bedeutung ist. Stilkritische geworfen.

Datierungen bildeten über Jahrhunderte


die hauptsächliche Basis für Altersangaben. Erfahrene Architekturkenner
kommen hier ohne Zweifel zu sehr nachvollziehbaren Aussagen – auch
wenn gravierende Fehler immer wieder vorkommen. Urkundliche
Datierungen können durchaus missverständlich sein: Nicht immer
bezieht sich die in den Akten gefundene schriftliche Nachricht auf genau
den Baubestand, den der Planer vor sich hat. Hier ist in der Übertragung
einige Vorsicht geboten. Inschriften sind da schon zuverlässiger –

Die zusammengesetzten Scherben erzählen ihre eigene Geschichte zum Alltag der früheren Bewohner.

81
obwohl es auch hier die Möglichkeit des
Irrtums gibt. Inschriftensteine können wie-
derverwendet sein und auch dass eine
Inschrift erst viel später angebracht wurde,
ist schon vielfach beobachtet worden.
Die Dendrochronologie (Holzaltersbe-
stimmung) ist über solche Zweifel erhaben.
Aus der Analyse der Jahrringe der verwende-
ten Bauhölzer ergibt sich immer dann eine
jahrgenaue Datierung, wenn der Bearbeiter
methodisch korrekt arbeitet. Während frü-
her überwiegend Balkenscheiben datiert
Datierung ist nicht gleich Datierung – oder wie soll
man sich die beiden widerstreitenden Jahreszahlen wurden, hat sich heute wegen der deutlich
über dem Haustor erklären? geringeren Eingriffe in den Bestand ganz all-
Dendrochronologie. Der Abstand der Jahresringe ist gemein die Entnahme von Bohrkernen mit
abhängig vom jeweiligen Klima immer anders. Eine geringem Durchmesser durchgesetzt. Die
längere Folge enger und breiter Ringe wiederholt sich
Probenentnahme muss von einem versier-
nie. Wer das Klima kennt, kennt damit auch die
Wuchszeit vom Kern bis zur Waldkante (Rinde). ten Fachmann durchgeführt werden. Die
Die Entnahme einer Balkenscheibe ist übersichtlich, datierende Auswertung der Proben ist in
aber zugleich zerstörend. Der Bohrkern (hier: B1 und
jedem Falle Sache von Speziallaboren.
B2) ist ungleich substanzschonender. Die Unregelmäßig-
keit der Jahrringe im Baum bringt es mit sich, dass die Angesichts der Faszination exakter Datie-
Jahrringkurven von zwei Kernen des gleichen Balkens rungsergebnisse lohnt sich die Investition
dennoch in den absoluten Werten verschieden sind.
In der Relation, in ihren Höhen und Tiefen, sind sie
für eine dendrochronologische Datierung in
aber gleich. den allermeisten Fällen. Andere naturwis-
senschaftliche Datierungsmöglichkeiten wie
die Thermolumineszenz (Backsteindatie-
rung), die Radio-Carbon-Methode – auch C-
14-Methode – (für organische Stoffe) oder
die Optisch Stimulierte Lumineszenz (OSL,
für Mörtel) spielen wegen des erheblichen
Aufwands bei der Probennahme ebenso wie
in der Auswertung, mehr noch wegen der
unverhältnismäßig hohen Kosten bei gleich-
zeitig sehr weiten Datierungskorridoren im
Normalfall kaum eine Rolle.

82
Tragwerksanalyse
Die Tragwerksanalyse erfasst die statischen
Verhältnisse, stellt Verformungen fest und
untersucht die wechselseitigen Abhängig-
keiten der einzelnen Bauteile, die gerade bei
oft veränderten Gebäuden sehr kompliziert
geworden sein können. Die genaue und
vollständige Erfassung des Tragsystems mit
allen Stärken und Defiziten ist deswegen
eine gänzlich unverzichtbare Forderung.
Gute Plandarstellungen sind die Voraus-
setzung für eine realistische Einschätzung
der Verhältnisse. Nicht auszudenken, wenn
tragende Wände unerkannt durchbrochen
werden, in den Wänden verborgene Trag-
systeme durchtrennt oder spätere Verstär-
kungskonstruktionen unbedacht wieder
ausgebaut werden, nur weil sie – ganz zu-
Ohne genaue Kenntnis des Gebäudes kann jeder Eingriff
treffend – als sekundär erkannt wurden. Die schnell zum Desaster werden. Hier ist die Decke der
Tragwerksanalyse stellt unmittelbar ent- Kapelle im Erdgeschoss des Schlosses Idstein mit gekop-
pelten Eisenbändern bis in das Dach aufgehängt. Wehe
wurfsrelevante Parameter wie die Spann- man sägt eines dieser Bänder unbeabsichtigt durch.
richtungen der Decken oder die Lage der
unverrückbaren Tragelemente dar. Gleich-
zeitig kann häufig die sorgfältige bauar-
chäologische Analyse schon klären, dass zu-
nächst als bedrohlich eingestufte Schäden
tatsächlich bereits sehr alt und damit viel-
leicht auch weniger beachtlich sind.
Die Untersuchung des Tragwerks kann des-
wegen erst dann abgeschlossen sein, wenn
sowohl das ursprünglich gebaute Trag-
system geklärt ist als auch dessen Verände-
rungen und mögliche Beeinträchtigungen
bekannt sind. Historische Tragwerke sind in
aller Regel einfache Konstruktionen, die auf
Druck und Biegung belastet sind. Kompli-
zierte Ingenieurkonstruktionen kommen

83
erst in der Neuzeit auf und sind auch dann eher die Ausnahme. Deswegen
sollte es in der Regel kein übermäßiges Problem sein, mit der Kenntnis des
Bauphasenplanes die Ausgangskonstruktion zu erfassen und zu verstehen.
Komplizierter wird es mit den Auswirkungen späterer Veränderungen. In
Fachwerkbauten wurden häufig im Zuge von Modernisierungsmaß-
nahmen die „störenden“ Kopfbänder und Verstrebungen abgesägt und
damit die Aussteifung beeinträchtigt. Spätere Wanddurchbrüche können
die zuverlässige Lastabtragung gefährdet haben. Unsachgemäße Repa-
raturen erfüllen nicht mehr den zugedachten Zweck und Material-
ermüdung tut ein Übriges. Später eingebaute Verstärkungskonstruktionen
haben ältere Defizite häufig wieder behoben und unsere Vorgänger waren
auch nicht zimperlich, schadhafte Bauteile gleich großflächig zu ersetzen.
Alle diese Aufschlüsse sind erforderlich, bevor man das Tragwerk eines
alten Gebäudes vollständig erfasst hat. Und erst wenn man es in diesem
Sinne verstanden hat, kann man es auch sachkundig reparieren oder verän-
dern. Diese Erkenntnis gilt für den Baugrund bei Neu- und Altbauten
schon lange und sollte sich auch für die Arbeit im Bestand bei den
Beteiligten allmählich durchsetzen.

Als Nachweis des tatsächlichen und vollständigen Verständnisses des


Ausgangsentwurfs und aller wesentlicher Veränderungen soll deswegen
das Tragsystem in der gleichen Weise zeichnerisch rekonstruiert und dar-
gestellt werden wie die unterschiedlichen Bauzustände.

Für den Nachweis der Standfestigkeit, die Abschätzung der Resttrag-


fähigkeit und die Ermittlung möglicher Tragwerksreserven einer historischen
Konstruktion stehen dem Bauingenieur und Tragwerksplaner heute eine
ganze Reihe von in der Fachwelt akzeptierten Berechnungsmodellen zur
Verfügung. Viele historische Konstruktionen sind heute in ihrem Trag-
verhalten bereits systematisch bewertet. In den meisten Fällen kommt der
Tragwerksplaner deswegen ohne die detaillierte Erfassung der individuellen
Materialeigenschaften aus. Alle diese Modelle können aber immer nur eine
Annäherung an die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort sein. Entscheidender
als die Ermittlung von Materialkennwerten ist das Verständnis für die kon-
struktiven Abhängigkeiten und Zusammenhänge. So sind z. B. Bauwerks-
bewegungen zwar generell unerwünscht; in manchen Fällen ist es aber besser,
sie zunächst langfristig zu beobachten oder sogar hinzunehmen, als in ein
sensibles und zur Ruhe gekommenes Gefüge einzugreifen.

84
Erste Hinweise auf mögliche Schäden im
Tragwerk liefern die aus den Plänen
ersichtlichen Verformungen ebenso wie die
Analysen von Putzrissen. Nicht jeder Riss
und jede Verformung sind dabei bedrohlich.
Ernst nehmen muss man sie gleichwohl.
Vor allem, wenn Risse bis in die jüngsten
Schichten der Konstruktion immer wieder
auftreten, deuten sie auf aktive Schadens-
prozesse hin. Wenn dagegen jüngere
Schichten unversehrt über älteren Rissen
liegen, kann man annehmen, dass die
Ursachen für die Rissbildung zur Ruhe
gekommen sind. Senkrechte Risse, zumal in
den Raumecken, mögen weniger beachtlich
sein als diagonal verlaufende Schubrisse in
der Wandfläche, wie sie häufig als Folge von Verformungsanalyse eines Wohngebäudes in Venedig.
Mit der einfachen Feststellung der Lotabweichungen
größeren Setzungen und Lastumlagerungen
erklärt sich das Gebäude mit seinen Problemen fast
entstehen. Solche Risse sollen immer ge- von selbst.
schossübergreifend kartiert werden, um ihre
Bedeutung für die Standsicherheit zuverläs-
sig beurteilen zu können. Die Bedrohlichkeit Hier wird es gefährlich: Die Giebelwand ist schon ein-
von Verformungen zeigt häufig auch bereits mal eingestürzt und erneuert. Die Anker in der
Fassade halten den Bau nur mühsam zusammen.
die systematische Kartierung, die in der Art
Neue Risse haben sich bereits gebildet.
von Höhenquoten oder mit Vektoren erfol-
gen kann.
Dass sich der Riss stets den leichtesten
Weg, also den durch die Wandöffnungen
sucht, ist leicht nachzuvollziehen. Risse in
Verbindung mit Ausbeulungen in der Wand
sind immer ein Alarmzeichen. Das Aus-
maß der Verformung und damit die
Bedrohlichkeit für das Gebäude wird
zunächst durch ein Nivellement ermittelt,
das ohnedies Bestandteil der Bestandserfas-
sung sein muss. Dabei ist zu beachten, dass
sich gerade bei älteren Gebäuden ein kom-

85
pliziertes Verformungsverhalten ausgebildet haben kann. Entsprechend
langfristig muss gewöhnlich der Beobachtungszeitraum angesetzt werden.
So empfiehlt sich im Zusammenhang mit dem Wechsel der Jahreszeiten
oder allgemeiner Klimaveränderungen, die häufig Einfluss auf das
Bewegungsverhalten eines Gebäudes haben, eine Erfassung über wenigs-
tens ein ganzes Jahr.
Erhebliche Verformungen der Decken sind fast immer ein Zeichen für fort-
dauernde Tragwerksprobleme. Schiefstellungen aufgrund fehlender Aus-
steifungen, Deckendurchbiegungen aufgrund ausgebrochener Tragwände,
Setzungen im Baugrund infolge verfaulter Holzpfahl-Gründungen: Die
Liste möglicher Schadensursachen scheint fast beliebig lang. Tatsächlich
sind es aber neben den genannten nur noch die unsachgemäßen Bauwerks-
eingriffe, welche die allermeisten Tragwerksschäden zur Folge haben.
Nicht zuletzt kann auch ein im System intaktes Tragwerk durch Material-
ermüdung oder Schädlingsbefall seine Tragwirkung verlieren. Rostendes
Eisen von Stahlkonstruktionen, aufrostende Bewehrungsstähle in Beton-
bauten und biogener Befall in Holztragwerken müssen erkundet sein,
bevor der Planer eine abschließende Aussage zu Standsicherheit und
Instandsetzungskosten formuliert. Eine weiter gehende bautechnische
und bauphysikalische Untersuchung des Zustandes der Baumaterialien ist
deswegen unverzichtbar. Die Schadensuntersuchung in einem histori-
schen Gebäude muss stets auch eine Untersuchung der Schadens-
geschichte sein. Wo dies nicht der Fall ist, wo der Schaden nicht behoben
wird, sind kostspielige Fehlinvestitionen sicher zu erwarten. So werden
einmal abgefaulte Deckenbalken auch nach der sachgerechten Reparatur
immer wieder abfaulen, solange das Wasser auf den Gesimsen der Fassade
weiter in das Mauerwerk eindringt, oder es wird der Putz immer wieder
abgesprengt werden, solange der rostende Eisenträger-Sturz nicht nachhal-
tig saniert wurde.

Bautechnische und bauphysikalische Untersuchungen


Bautechnische und bauphysikalische Untersuchungen haben das Ziel, die
Art und den Zustand der verwendeten Baumaterialien zu erfassen. Auch
hier stehen neben den grundsätzlich notwendigen Basisinformationen die
Fragen nach Schadensursachen, der Gefahr zukünftiger Schadensent-
wicklungen und die Möglichkeit der Schadensvermeidung im Vorder-
grund. Neben den Schäden an Tragwerk und Rohbau (z. B. aufsteigende

86
Feuchtigkeit) werden auch die Ausbaugewerke einbezogen (z. B. gestörte
und hohl liegende Putzflächen, der Fensterbestand oder die Fußböden).
Die scheinbare Mehrarbeit in der Erfassung und Kartierung der Schäden
zahlt sich später wieder aus, wenn die Werkplanung und Vergabe exakte
Massenermittlungen verlangen und man auf die bereits ermittelten Daten
zurückgreifen kann.
Weil alle Untersuchungen teuer sein können, muss ihre Notwendigkeit gut
überlegt sein. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, zunächst durch Kurzgut-
achten zu klären, ob eine Vertiefung notwendig und zielführend ist.

Zerstörungsfreie Feststellung der Strukturen unter dem Die „engagierte“ Probenentnahme ruiniert das Gebäude.
Putz durch Wärmebildmessung (Thermographie). So nicht! Auch bei schwierigen Fragestellungen unschön.

Der Umfang und die Folgen von Materialentnahmen müssen bewusst fest-
gelegt werden, weil nicht bei allen Anbietern solcher Leistungen die notwen-
dige Sensibilität für den intakten Baubestand und mögliche Folgeschäden
aus der Probenentnahme vorausgesetzt werden können.
Zunächst muss deswegen geklärt werden, ob die für die Diagnose notwen-
digen Methoden zerstörungsfrei, zerstörungsarm oder zerstörend sind. In
vielen Fällen genügt auch bei den vertiefenden Untersuchungen eine
Inaugenscheinnahme und eine gezielte Kartierung der Schadensbilder. Für
die Konstruktionselemente, die hinter der Oberfläche verborgen sind, stehen
auch zerstörungsfreie Verfahren zur Verfügung. Dazu zählt vor allem die
Thermographie, bei der durch die Oberflächentemperatur Materialwechsel
unter einem Verputz ebenso aufgedeckt werden können, wie Wärmeverluste
oder die Qualität der Ausführung von Wärmedämmsystemen.

87
Historische Bauwerke sind bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in aller
Regel aus wenigen, in ihren Materialkennwerten seit alters her gut bekann-
ten Baustoffen errichtet. Dennoch haben jede Gebäudeart, jede Konstruk-
tionsweise und jedes Baumaterial ihre Eigenarten und typischen Schwach-
stellen, an denen Umwelteinflüsse, Feuchtigkeit, Verwitterung, Material-
ermüdung und andere Einflüsse zur Schädigungen führen können.
Besonders die Konstruktionen und Materialien der jüngsten Zeit – vom
Stahlbeton bis zu den Kunststoffen –, die ihre Tauglichkeit noch nicht über
viele Jahrzehnte und Jahrhunderte nachgewiesen haben, müssen auf ihre
Schadensrisiken und Alterungsfähigkeit hin überprüft werden.
Für gewöhnlich werden zunächst die Tragfähigkeit, die Widerstandsfähigkeit
und möglicher Materialverlust überprüft; darüber hinaus der Feuchtegehalt,
chemische Belastungen und biogener Befall. Weil Feuchtigkeit eine der häu-
figsten Ursachen von Schäden ist, kommt der Analyse des Feuchtigkeits-
haushalts eines Bauwerkes und seiner möglichen Schwachstellen besondere
Bedeutung zu. Hier spielen der Grundwasserspiegel, die Erdfeuchtigkeit, das
Sickerwasser, Regen, Spritz- und Oberflächenwasser sowie die Kondensation
und die Dampfdiffusion im Inneren gleichermaßen eine Rolle.

IRRTUM: „Salpeter” zerfrisst das Mauerwerk


Mit der aus dem Untergrund in das Mauerwerk aufsteigenden Feuchtigkeit
werden immer auch gelöste Salze transportiert. Wo die Feuchtigkeit aus-
dunstet, kristallisieren diese Salze flockig aus. Ihr Volumen vergrößert sich
schlagartig auf das Siebenfache: Putze und die obersten Schichten des
Mauerwerks werden abgesprengt. Wer diesen Prozess über dem Boden mit
Zementputz verhindert, drückt den Schaden immer weiter nach oben.

Bei den Baukonstruktionen sind neben ihrer Standfestigkeit der Wärme-


durchgang, die Winddichtigkeit und die akustischen Dämmwerte von
Interesse. Nur im Ausnahmefall wird es sich lohnen, die Material-
eigenschaften der Baustoffe selbst, also etwa die Güte der verzimmerten
Hölzer oder die Festigkeit der verbauten Steine durch Einzelfallprüfungen
zu bestimmen. Eher wird man im Zweifel durch additive Baumaßnahmen
einer möglicherweise defizitären Konstruktion aufhelfen. Insoweit handelt
es sich bei der Untersuchung von Baumaterialien und Konstruktionen am
Bauwerk in den meisten Fällen um so genannte Bestätigungsprüfungen,
die nachträglich die Zusammensetzung und die Eigenschaften feststellen
sollen. So kann man einerseits den Bestand hinsichtlich der Qualität der

88
Ausführung und der zu erwartenden Le-
bensdauer beurteilen und andererseits
mögliche Reparaturmaterialien sachgerecht
und bestandsverträglich auswählen. Alle
diese Untersuchungen sind in jedem Falle
die Sache von Speziallabors, den Hersteller-
firmen oder von zertifizierten Gutachtern.
Neben den amtlichen Materialprüfungs-
anstalten haben sich inzwischen auch zahl-
reiche freie Büros mit hoher Leistungs-
fähigkeit und zügiger Projektbearbeitung
etabliert. Diese Fachleute haben sich inzwi-
Hinter der Zementputz-„Reparatur“ wandert
schen das Vokabular der Mediziner zu der Schaden zwangsläufig nach oben. Da hätte man
eigen gemacht und setzen wie diese auf die besser nichts getan.
Früherkennung und die ganzheitliche
Betrachtung von Schadensprozessen. Der Planer muss hier das Auge für das
Problem haben, das er aber in der Regel kaum mehr selbst mit der erforder-
lichen Zuverlässigkeit analysieren kann. Seine Aufgabe besteht darin, die
notwendigen Fragen zu stellen, den Untersuchungsumfang zu bestimmen
und die Ergebnisse am Ende auf ihre Relevanz zu überprüfen und zu einer
Gesamtschau zusammen zu führen.
Schadensfeststellende Untersuchungen müssen grundsätzlich systema-
tisch und flächig durchgeführt werden. Die isolierte Betrachtung des
erschreckenden Schadenszentrums verstellt oft den Blick auf die
Erkenntnis, dass auch bei massiven Schäden gleichwohl ein großer Teil des
Bauwerks schadensfrei sein kann. Grundlage der Schadenskartierung
ist wieder die detaillierte Bauaufnahme. Hier werden die Schäden nach
festgelegten und einheitlichen Kategorien eingetragen, so dass schon das
Planbild eine kompakte Übersicht ergibt. Schon aus diesem Wunsch ergibt
sich, dass die Zahl der Kategorien überschaubar bleiben muss. Mehr als
drei Kategorien neben dem nicht farbig gekennzeichneten, schadensfreien
Bestand sind in der Regel unzweckmäßig. Die stärksten Schäden werden
allgemein mit einem kräftigen Rot verzeichnet. Mit diesem Vorgehen weist
der Schadensplan schon graphisch auf die Bereiche hin, die in der Maß-
nahmeplanung die größten Eingriffe erfordern und deswegen unausweich-
lich die größten Veränderungen erfahren müssen.

89
Die systematische Bestandserfassung an der Kathedrale in Trondheim unterscheidet zwischen
objektiver Datensammlung (hier auf der linken Seite: Steinarten) und der wertenden
Beurteilung (Schadenskartierung, rechts). Selbstverständlich hat das eine mit dem anderen zu
tun: Bestimmte Steinarten verwittern schneller als andere, am Sockel sind die Belastungen
größer als am Giebel. Einen zwingenden Zusammenhang gibt es aber nicht.

90
Der Schadensplan zeigt darüber hinaus in aller Regel, dass das Ausmaß
der Schäden deutlich kleiner ist als der reine Augenschein glauben macht.
Schäden fallen jedem ins Auge, Schadlosigkeit bleibt unbemerkt.

Stärken-Schwächen-Analyse
Als gemeinsames Ergebnis der Dokumentation und der Bauuntersuchung
müssen die zahlreichen Einzeluntersuchungen in ein für alle Beteiligten
übersichtliches und verständliches Gesamtergebnis zusammengeführt und
in ihrer Bedeutung für die Planung bewertet werden. Niemandem ist
gedient, wenn eine Vielzahl umfangreicher Spezialuntersuchungen in
einem Regal nebeneinander existiert, deren Zusammenhang untereinan-
der nicht ersichtlich gemacht worden ist. Diese Zusammenfassung muss
die Qualitäten des Gebäudes beschreiben und seine Defizite aufzeigen. Sie
ist eine der Kernaufgaben des Architekten im Bestand. Um auch eine mög-
licherweise kontroverse Diskussion auf der Grundlage von gesicherten
Tatsachen einerseits und erkennbaren Wertungen andererseits führen zu
können, haben sich neben der textlichen Zusammenfassung folgende
Plansätze bewährt, die zunächst sämtliche objektiv nachprüfbaren und
beweisbaren Informationen zusammenführen. Wenn zu diesen Ergeb-
nissen Diskussionen aufkommen, sollten sie bei gutem Willen mit objektiven
Kriterien geklärt werden können.

1. Bauphasenplan
Wie auf S. 69 besprochen. Es gibt keinen übersichtlicheren Plansatz als die-
sen, um schnell eine Vorstellung von dem Ursprungsbau und seinen
Veränderungen im Laufe der Veränderungsgeschichte zu gewinnen. Die
raumhaltige Visualisierung dieser Veränderungen durch eine Rekonstruk-
tion der Baukörperentwicklung ist für die Vermittlung der Ergebnisse in
aller Regel sehr hilfreich.

2. Schadensplan
Wie auf S. 89 besprochen. Auch hier ist die Zusammenfassung aller Einzel-
beobachtungen in einem einzigen Plansatz die konkurrenzlos klarste Über-
sicht. Bereiche, in denen sich Schäden gleich welcher Art massieren und
damit in jedem Falle einen stärkeren Eingriff erforderlich machen, sind oft
auch diejenigen Bereiche, in denen neue Anforderungen an das Bauwerk –
von der Erschließung bis zur Grundrissänderung – konfliktfrei implementiert

91
werden können. Schadensfreie Zonen wird man in der Neuplanung nach
Möglichkeit unverändert belassen.

3. Ausstattungsplan
Eine gute Planung wird die gestalterischen Werte eines Bauwerks so weit
wie möglich erhalten und herausarbeiten. Demzufolge verbieten sich weit
reichende Eingriffe dort, wo die erhaltenswerte Ausstattung noch geschlos-
sen vorhanden ist. Der Ausstattungsplan zeigt dem Planer übersichtlich,
wo befundleere Bereiche auch weit reichende Eingriffe möglich machen
und wo solche Eingriffe sich wegen hoher Befunddichte verbieten.
Bisweilen wird der Ausstattungsplan auch zu einer Positivkartierung
reduziert, die dann nur noch diejenigen Elemente der Ausstattung verzeich-
net, die für den weiteren Planungsprozess von Bedeutung sind. Dieses
Vorgehen konzentriert sich früh auf das Wichtige, birgt aber die Gefahr, dass
zu den Kriterien der Aufnahme in die Positivkartierung unterschiedliche
Meinungen bestehen.

Für den vierten Plansatz, den


4. Bindungsplan (auch: Schutzgutplan)
(im Denkmalbereich auch als Denkmalpflegeplan bezeichnet) sind solche
Diskussionen verpflichtend und auch gewollt. Es ist die Aufgabe des Planers,
aus allen zur Verfügung stehenden Unterlagen diejenigen Sachverhalte
herauszuarbeiten, welche die zukünftige Planung leiten und auch einengen
müssen. Der Bindungsplan fasst die Informationen aus den drei zuvor
genannten Plansätzen zusammen und versieht sie mit einer Wertung. Diese
Wertung soll klar erkennbar sein und keinesfalls verschleiert werden. Es ist
klüger, Dinge deutlich zu benennen, die man für verzichtbar hält, als sich spä-
ter während der Baudurchführung um solche Probleme mit den Beteiligten
auseinandersetzen zu müssen. Der Bindungsplan enthält in der Regel die
Kategorien „veränderbar“, „bedingt veränderbar“ und „unveränderbar“ und
wendet diese Wertungen sowohl auf den Rohbaubestand wie auch auf die
Ausstattung an.
In einer Aufstellung der wichtigsten Befunde und Erkenntnisse zum
Zustand werden die positiven Beobachtungen den festgestellten Defiziten
gegenüber gestellt. Im Textteil sollen die Wertungen begründet werden.

92
Mit der Bestandserfassung, den notwendigen vertiefenden Untersuchungen
und der Stärken-Schwächen-Analyse sind alle die Parameter gewonnen, mit
denen die Planung arbeiten kann und muss. Die Herausforderung an den
Entwerfer besteht in der Folge darin, den Überblick zu behalten und aus der
Fülle der Einzelaspekte eine ganzheitliche Planungsstrategie zu entwickeln.
Die Auswertung der Analyse kann bisweilen zu der schmerzhaften Erkenntnis
führen, dass sich die geplante Nutzung oder Baumaßnahme nicht mit vertret-
barem Aufwand mit dem vorhandenen Bestand verträgt. Der Versuch, einen
solchen Bestand dennoch an die eigenen Vorhaben anzupassen, bedeutet für
gewöhnlich die weitgehende Zerstörung des Gebäudes. Volkswirtschaftlich
sinnvoller ist es, für solche Gebäude eine besser geeignete Nutzung und für die
konfliktträchtigen Zwecke ein anderes Gehäuse zu suchen.

Literaturhinweise
Als Einführung in die Bestandserfassung empfehlen wir Cramer 1993, Eckstein und
Klein. Einen ersten Zugang zu den Archiven eröffnen Eckert und Franz. Ein
Standardwerk zur modernen Vermessungskunde ist Matthews. Fragen der Bauaufnahme
werden auch von Wangerin, die modernen, digital gestützten Methoden zuletzt von
Wiedemann sowie in den Sammelbänden von Weferling u. a. diskutiert. Rodwell gibt
seine Erfahrung aus eigener Sicht wider. Den Einsatz der modernen Photogrammetrie
beschreibt übersichtlich Almagro.
Eine systematische Einführung in die Historische Bauforschung geben Grossmann 1993,
Tussenbroek und Schuller. Wood bringt zahlreiche Beispiele. Bedal skizziert knapp
und übersichtlich die Erfassungsmethoden der Hausforschung. Die Standards für die
archäologische Dokumentation hat Gerkan 1930 entwickelt. Die Geschichte der Methoden
stellen H. Schmidt und Docci vor. Das Vorgehen der Dendrochronologie beschreiben
Schweingruber, Eissing und Schöfbeck. Bestandsbezogene Angaben zur Thermo-
graphie finden sich bei Cramer 1981.
Zu den Grundsätzen der Restaurierung sollte man Brandi und Schädler-Saub nutzen.
Das Grundwissen zur Archäologie findet man bei Renfrew und Fehring. Die maßnahme-
bezogene Dokumentation historischer Bausubstanz beschreiben de Jonge/van Balen,
Petzet/Mader, Thomas und Mader. Das Raumbuch wurde von W. Schmidt entwickelt.
Vereinfachte Erfassungsverfahren beschreiben Arendt, Kastner, Bauen im Bestand und
Klemisch. Unter dem Begriff „Facility Management“ geht die Dokumentation von
Gebäuden weit über die graphische Erfassung des Bauwerks hinaus, wie etwa
Gänssmantel/Geburtig/Schau zeigen.

93
ENTWURF
Every place is open to innovation as long as there is innovation.* Giorgio Piccinato

Der Anspruch an die Qualität des Entwurfs im Bestand unterscheidet sich


in nichts von dem eines Neubaus. Ein durchgehendes Gesamtkonzept für
die Grundrissorganisation gehört dazu ebenso wie eine zusammenhängen-
de Vorstellung von Materialwahl und Gestaltung. Der Gefahr, dass in der
Überformung des Bestands die Vielzahl der notwendigerweise individuel-
len Situationen auch zu einer Vielzahl von unzusammenhängenden Einzel-
lösungen führen kann, muss der Architekt sich entschieden erwehren. Erst
der rote Faden mit einer konsequenten Haltung vom Großen bis zum
Detail ergibt ein schlüssiges Entwurfskonzept. Dieses Konzept darf den
alten Bau aber auch nicht in ein künstliches Korsett zwängen oder ihn bis
zur Unkenntlichkeit verstümmeln, da sonst
seine Qualitäten verloren gehen. Es ist gera-
de die Spannung zwischen der Indivi-
dualität des historisch gewachsenen Ge-
bäudes und dem Anspruch der Ganzheit-
lichkeit des Entwurfs, die den besonderen
Reiz der Architektur im Bestand ausmacht.
Ein guter Entwurf wird die Werte und
Möglichkeiten der vorhandenen Bausub-
stanz nutzen, einen eigenen Beitrag zur
zeitgenössischen Architekturdiskussion lie-
fern und weit über die Gewährleistungs-
fristen hinaus nachhaltig sein. Und mehr
noch als im Neubauentwurf erweist sich im
Modernisierung einer gründerzeitlichen Fassade in
Bestand die wirkliche Qualität erst in der Mailand (Giovanni Muzio, 1923). Die ungewöhnliche
Ausführung. Lösung gab dem Bau den Spitznamen „Ca’ brutta“.

Entwerfen mit der Geschichte


Die Herausforderung, ein altes – tatsächlich meist mehr oder weniger
geschädigtes – Gebäude als Fundament und Rahmen für einen anspruchs-
vollen Neubauentwurf zu nutzen, haben in der Moderne zuerst die
Architekten der Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg wieder

*Jeder Ort ist offen für Erneuerung, sofern es wirklich eine ist.

Marienkirche in Müncheberg (Klaus Block, 1999). Bibliothekseinbau in der zu groß 95


gewordenen Kirche.
Wiederaufbau der Alten Pinakothek in München aus dem Trümmermaterial in stark
vereinfachten Formen. Die Ikone der Architektur im Bestand (Hans Döllgast, 1956).

96
angenommen. Berühmte und bis heute gül-
tige Lösungen sind die Alte Pinakothek in
München von Hans Döllgast oder Rudolf
Schwarz in Köln. Obwohl die Zahl ver-
gleichbarer Projekte damals groß war, hat
keiner der Protagonisten daraus eine
Entwurfstheorie entwickelt; so gerieten
diese Erfahrungen mit dem Ende der
Wiederaufbauzeit fast vollständig in Ver-
gessenheit.
Es blieb in den sechziger und frühen siebzi-
ger Jahren dem Einzelgänger Carlo Scarpa
vorbehalten, mit seinem stark aus dem
Kunsthandwerklichen und dem penibel
ausgearbeiteten Detail heraus argumentie-
renden Entwurfsansatz die Beschäftigung
mit dem Bestand wieder in das Blickfeld der
Architekten zu rücken. Seine auf die Insze-
nierung des historischen Fragments und
Der Wiederaufbau des Gürzenich in Köln
einzelner Formwerte orientierten Gestal- ist einer der Leuchttürme für einen
tungen haben eine Art von Schule begrün- selbstbewussten und zugleich geschichtsbezogenen
Wiederaufbau (Rudolf Schwarz, 1958).
det, der Karljosef Schattner, Guido Canali
oder auch Massimo Carmassi bis heute ver-
pflichtet sind. Ihre Haltung gründet auf
dem unbedingten Bekenntnis zur Moderne
und zu den aus ihr entstandenen Tradi-
Wiederaufbau unter Verwendung alter Bauteile und
tionen: Bruch mit der Vergangenheit und Inszenierung von Trümmerfunden in Breslau.
konsequente Innovation. Sie thematisiert
den prinzipiellen Unterschied zwischen
dem Alten und dem Neuen, zwischen dem
historischen Baubestand als Relikt einer
letztlich unverständlichen aber würdevollen
Vergangenheit, und einem Neubau oder
neuen Bauteilen mit neuen Materialien,
neuen Tragwerkskonzepten und neuen
Entwürfen, die sich bewusst und entschie-
den vom Alten absetzen und dadurch für

97
die Gegenwart und die Zukunft stehen sol-
len. Architektur in diesem Sinne ist mittei-
lend, besitzt eine Botschaft. Sie deklamiert
gleichsam die Stellung des Menschen in der
verrinnenden Zeit.
Die architektonische Aussage ist ebenso wie
der Stil bei all diesen Architekten dennoch
höchst unterschiedlich. Von ihrer gemein-
samen Basis der Analyse und Fragmentie-
rung aus konnte eine poetische Architektur
entstehen wie bei Scarpa, eine stark didak-
tische oder problematisierende wie bei den
von vielen Architekten verwendeten „Fens-
Inszenierung der Burg in Beton ohne Rücksicht auf
das Vorgefundene: Castelgrande in Bellinzona tern in die Vergangenheit“, bei denen eine
(Aurelio Galfetti, 1989). Öffnung in der modernen Oberfläche den
Blick frei gibt auf einen Ausschnitt mit ori-
ginaler historischer Bausubstanz, oder auch eine ironisch gebrochene
Architektur wie bei den „Fälschungen“ von Befunden bei Schattner. In den
achtziger Jahren begannen einzelne Architekten, forciert den Wert des
Historischen an sich zu betonen. Carmassi beispielsweise nutzt die gestal-
terischen Techniken der Analyse und Fragmentierung unmittelbar zur
Wertsteigerung der Immobilie. Durch geschickte Inszenierungen und in
einen neuen Rahmen gesetzt werden tatsächlich unscheinbare Baubefunde
auf einer rohen Ziegelwand oder Reste von Farbfassungen nobilitiert.
Durch ihre anspruchsvolle Gestaltung verweisen sie auf das kostbare
„Innenleben“ der Architektur.
Die Wiederentdeckung des Urbanen und der historischen Bausubstanz
hatte die Architektur im Bestand bereits in den siebziger Jahren wieder all-
gemein hoffähig gemacht. Für die Entwurfstheorie interessant ist die darin
erkennbare große Bereitschaft, sich durch die Vorgaben der Bausubstanz
selbst anregen zu lassen und aus ihren Eigenheiten heraus etwas Neues zu
entwickeln. Die sorgfältige Analyse des Vorgefundenen definiert hier dieje-
nigen Strukturen, die für die behutsame Modernisierung und den neuen
Gesamtentwurf zugrunde gelegt werden.
Diese Art der Analyse lässt sich unter dem Stichwort des genius loci noch
auf andere Weise für den Entwurfsprozess fruchtbar machen. Bernhard
Hoesli hat in seinem Kommentar zu Rowe und Slutzky in dem Buch

98
Transparenz ein analytisches Grundschema für das Verständnis moderner
Architektur direkt auf den Entwurf im historischen Kontext und auf das
Gestalten in der europäischen Stadt übertragen. Mit Hilfe des Transparenz-
Begriffs deckt er Strukturen und geometrische Verhältnisse im Bestand
auf, die er zur Grundlage seines Entwurfes macht. Indem er ähnlich wie in
der traditionellen Proportionslehre sowohl die bestehende Situation, als
auch den Neubau auf einfache gestalterische Grundstrukturen zurück-
führt, schafft er eine gemeinsame Basis. Das Neue ist nicht einfach der
Gegensatz des Alten, sondern eine Fortsetzung von Entwicklungslinien.
Auf diese Weise sind die neuen Bauwerke oder Bauteile, beispielsweise
eine Lückenschließung in einer historischen Häuserzeile, strukturell mit
dem Ort und seiner Vergangenheit direkt verbunden, auch wenn sie auf
den ersten Blick sehr unterschiedlich aussehen können. Dieses Verfahren
kann mit der Übernahme von Traufhöhen und Fensterformaten beginnen,
es kann bestimmte gestalterische Charakteristika thematisieren, oder es
kann bewusst einen einzelnen Aspekt der Geschichte des Ortes aufgreifen.
Einige Entwürfe von Peter Eisenman und Daniel Libeskind sind diesem
Ansatz verpflichtet. Sie gewinnen beispielsweise bei ihren Berliner
Projekten aus einer thematischen Ortsanalyse Fixpunkte und Bezugslinien
wie etwa die Wohnorte bestimmter Personen oder städtebauliche
Anordnungen aus der Geschichte, um dann dieses Geflecht aus dem
Lageplan auf den Entwurf von Grundrissen und Ansichten zu übertragen.
Der Reiz liegt dabei sicherlich darin, dass die Veränderung der gebauten
Umwelt als Kontinuum verstanden wird, innerhalb dessen dann auch der
eigene Entwurf angesiedelt ist. Das Neue wird als Schicht, als eine von vie-
len unterschiedlichen Spuren in der Zeit gesehen. Bestimmte historische
Abläufe werden als tragend erkannt und gestalterisch hervorgehoben. Dem
Nutzer wird verdeutlicht, dass er in diesem Kontinuum steht. Die Vorstel-
lung, dass unter der Oberfläche Strukturen und Charakteristika existieren,
über denen wie über einem Generalbass die Moden und Stile ihr buntes
Spiel treiben, ist noch heute für das spezifisch europäische Verständnis der
Stadt entscheidend.
Nicht zuletzt haben Alison und Peter Smithson mit ihrem 1990 publizierten
Prinzip des „As found“ aufgezeigt, dass jeder städtebaulichen Situation und
jedem Gebäude ein eigener und unverrückbarer Wert innewohnt, welchen
der Entwerfer nur wahrnehmen und entdecken muss. Aus diesem Wert
heraus kann auch ein schlichtes Gebäude mit wenig Aufwand einer neuen

99
und eigenständigen Zukunft zugeführt wer-
den. Das Bauwerk wird zum objet trouvé, zu
einem zufälligen Kunstwerk, das uns durch
seine Fremdheit und die zunächst unver-
ständliche Botschaft aus der Vergangenheit
anrührt und begeistert.
Betrachtet man aktuelle Beispiele, dann
scheint es, dass viele Architekten eine klare
Linie für den Entwurf im Bestand gefunden
haben. Postmoderne Vielschichtigkeit, die
Wertschätzung des Charaktervollen und
Individuellen sowie die neue Lust an der
Materialität von Architektur gehen in der
As Found: Jedes Haus ist gut für Veränderungen: eine
neue Schicht um das alte Haus in ländlicher Umgebung. Entwicklung des gewachsenen Bestandes
heute eine enge Verbindung ein.
In den letzten Jahren gewinnt ein vierter
Ansatz zunehmend an Bedeutung: Die Anpassung des Neuen durch
bewusste Fortschreibung des Vorgefundenen. Die Inszenierung von
Kontrasten wird aus dieser Sicht als optische und funktionale
Zersplitterung auf Kosten der einheitlichen Wirkungen von Architektur
empfunden. Im Straßenbild sind allzu viele, mit starken architektonischen
Mitteln herausgearbeitete Brüche nicht gewollt, auch weil sie schnell ihren
Reiz verlieren und zur leeren Floskel werden. Das Bedürfnis nach einer wie-
der ganzen, heilen Umwelt fragt dann auch nach einer geglätteten
Geschichte. So wird der Entwurf im Bestand auch zu einem Dokument des
Architekten und seiner Stellung zur Geschichte.
Unterscheidet sich der Entwurf im Bestand formal grundsätzlich von
einem Neubauentwurf? Die Antwort ist selbstverständlich: Nein. Viele der
im Folgenden umrissenen Entwurfsstrategien, Konzepte und Gestaltungs-
möglichkeiten sind teils im Neubau gefunden und auf den Bestand
übertragen worden, teils aber auch umgekehrt. Der von Mecanoo und
Erick van Egeraat in den Innenhof eines gründerzeitlichen Stadthauses frei
eingehängte Besprechungsraum unterscheidet sich konzeptionell in nichts
von der fast gleichartigen Lösung von Frank Gehry in der neu errichteten
DG-Bank in Berlin. Die offen auf den nackten Beton verlegten Leitungen in
der 1993 gebauten Kunsthal in Rotterdam von Rem Koolhaas wären auch
eine perfekte und ressourcenschonende Lösung für ein altes Gebäude. Und

100
die Auslagerung der Erschließungs- und Versorgungsleitungen an die
Außenseite des Gebäudes ist spätestens mit dem Centre Pompidou in Paris
eine im Neubau uneingeschränkt akzeptierte Möglichkeit. Die Vielfalt
unterschiedlicher Formen, wie sie bei einem alten Gebäude im Laufe der
Zeit von selbst entsteht, ist spätestens mit der Postmoderne eine gültige
Möglichkeit für den Entwurf geworden. Nur so ist zum Beispiel das „Haas-
Haus“ in Wien von Hans Hollein zu interpretieren. Und hier hat auch die
Inszenierung des historischen Fragments mit der Piazza d’Italia in New
Orleans von Charles W. Moore oder der aus der Mauer stürzenden Steine
an James Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart und den provokanten Projekten
von Site ihren Platz in der modernen Architektur gefunden. Und selbst der
aus historischen Formen begründete Neubau, der in der angelsächsischen
Welt ebenso wie in Frankreich eine lange und ungebrochene Tradition hat,
sonst aber von der Moderne der zwanziger
Die vollständige Entkernung des Salzmuseums in
Jahre als reaktionär verbannt worden war, Hallein reduziert das alte Gebäude auf seine Fassade
kommt mit der Architektur von Hans und gibt damit sämtliche volkswirtschaftlichen, histori-
schen und gestalterischen Werte auf (Heinz Tesar, 1995).
Kollhoff oder Paul Kahlfeldt mittlerweile
wieder zu Ehren. Warum sollten diese
Neubau-Möglichkeiten für den Bestand
keine Gültigkeit haben?

Disposition
Jeder Entwurf im Bestand greift ein und ver-
ändert. Das ist gut so und gewollt. In dieser
Haltung unterscheidet sich die Architektur
im Bestand grundlegend vom Spezialfall der
Denkmalpflege, die zunächst einmal jeder
Veränderung skeptisch gegenüber stehen
muss. Die notwendige und gewollte Verände-
rung darf den Planer aber nicht dazu verlei-
ten, das vorgefundene Bauwerk im Interesse
einer optimalen Grundrissorganisation durch
Entkernung faktisch aufzugeben und damit
die Identität der Immobilie ebenso wie die
Entwicklungsmöglichkeiten für künftige
Umnutzungen zu beseitigen. Die Verpflich-
tung zur Nachhaltigkeit, der Respekt vor kul-

101
turellen und gestalterischen Werten und bauökonomische Gesichtspunkte ver-
bieten die Reduzierung der Entwurfsaufgabe auf rein äußerliche, städtebauli-
che Aspekte. Fast immer ist die Entscheidung für eine Entkernung oder den
vollständigen Abbruch der Beweis für geistige Unbeweglichkeit und den
Unwillen, sich auf das Vorgefundene – und sei es im Sinne der Smithsons –
kreativ einzulassen. In aller Regel findet sich für jedes historische Gebäude
durch eine bewusst verfolgte Nutzungsplanung, die sich gegebenenfalls für die
Erfüllung zeitgemäßer Nutzungsansprüche zusätzlicher Entlastungsbauten
bedient, eine architektonisch überzeugende und funktional gute Lösung.

Bewusste Nutzungsplanung
Die Qualität eines Entwurfs wird bereits vor den ersten planerischen und
gestalterischen Entscheidungen ganz wesentlich dadurch geprägt, ob und
wie die vorgesehene Nutzung zum vorhandenen Gebäude passt. Die
Fortführung der vorgefundenen Nutzung führt in aller Regel zu den
geringsten Konflikten. Neue Wohnungen in einem Wohnhaus oder Büros
in einer ehemaligen Fabrikanlage sind sicherlich leichter zu planen, als
Eigentumswohnungen in einem ehemaligen Parkhaus oder Großraum-
büros in Altstadtwohnhäusern. Die Vorstellung, dass es für ein altes
Gebäude das Beste sei, wenn die bestehende Nutzung fortgeführt wird, ist
zuerst im Jahr 1964 von der Denkmalpflege
Kleinteilige Wohnung unter der großen barocken Stuck-
decke in Braunau, Markt 33. Die neuen Wände halten in der Charta von Venedig ausdrücklich for-
in der Weise Abstand, wie es schon Le Corbusier in den muliert worden. Für den Architekten kann
zwanziger Jahren vorgemacht hat (Laurids Ortner, 1994).
das kein Dogma sein. Gerade aus der
Spannung zwischen der Erwartung, die ein
historisches Gebäude aufgrund seiner frü-
heren Nutzungen als Botschaft mit sich
trägt, und der völlig andersartigen neuen
Widmung kann der Entwurf seinen ent-
scheidenden Funken schlagen. Es ist aber
ebenso selbstverständlich, dass ein radikaler
Nutzungswandel auf der materiellen Ebene
in aller Regel erheblichen und kostenträch-
tigen Umbaubedarf und damit auch ein
Bündel zusätzlicher Probleme nach sich
zieht. Das Hotel in fünfzehn Stadthäusern
zwingt zur weit reichenden Veränderung

102
Ausbau als Fragment

Stadtarchiv in der Kirche S. Agostin, 2004


E-Valladolid
Bauherr: Stadt Valladolid
Architekt: Primitivo Gonzalez und Gabriel Gallegos
Zustand vor Maßnahmebeginn.
Die barocke Kirche war schon in der ersten Hälfte des
20. Jh.s zunehmend verfallen, das Klausurensemble abge-
rissen. Der Ausbau für das städtische Archiv erfolgte nach
umfangreichen archäologischen Untersuchungen mit dem
Ziel, die Ruine auch zukünftig als Fragment lesbar zu halten.
Die eingestürzten Gewölbe enden an der modernen
Holzdecke, die abgebrochenen Mauern sind nur gekalkt.
Die alten und unebenen Mauern stehen im Gegensatz zu
den glatten Einbauten aus Holz und Metall. Reste der bei
den Ausgrabungen aufgefundenen romanischen Kreuz-
gangarkaden sind in verfremdender Manier auf einem
Archäologische Grabungen
hochgesetzten Gestell artifiziell präsentiert. im Kirchenschiff.

Gesamtansicht mit Inszenierung der Reste des Kreuzgangs.

Die alten Mauern kontrastieren mit den Der Innenraum mit


glatten Einbauten. den Benutzertischen.
der Erschließung, der Einbau von Wohnungen in eine profanierte Kirche
macht umfangreiche Rohbauarbeiten unausweichlich. Nicht jedem Bau-
herren ist die Notwendigkeit derart teurer Problemlösungen zu vermitteln.
Ein Entwurf im Bestand ist erfolgreicher, wenn er Probleme vermeidet.
Deswegen spricht Vieles dafür, dass die Gebäudestruktur die zukünftige
Nutzung prägen muss und nicht umgekehrt. Neben den prüfbaren materiel-
len Vorgaben ist es außerdem auch die „Aura“ des historischen Gebäudes,
welche die zukünftige Nutzung vorprägt. Es ist daher kein Zufall, dass die
allermeisten profanierten Kirchen eher für kulturelle Zwecke, also Museen,
Versammlungsräume oder Konzerthäuser umgenutzt werden, als für kom-
merzielle Nutzungen und Wohnungen. Eine angepasste Umnutzung stößt
eher auf Akzeptanz und trägt damit wesentlich zur Nachhaltigkeit einer
Maßnahme bei.

Überlegte Eingriffe
Grundrissorganisation, Raumaufteilung und Erschließung eines alten
Hauses entsprechen in den allermeisten Fällen nicht den Erwartungen, die
ein zielstrebiger Investor für einen Neubau zugrunde legen wird. Die
Raumhöhen sind zu hoch oder zu niedrig, der Raumzuschnitt ist in Größe
und Folge mehr durch den gewachsenen Entstehungsprozess, die Nut-

Der Konzertsaal ist als eigenständige Konstruktion in die Amsterdamer Börse von
Berlage aus dem Jahr 1904 eingebaut (Zaanen/Spanjers, 1990).

104
Die Treppe trägt das Haus

Veranstaltungsraum „Tabourettli“ im alten Spalenhof, 1988


CH - Basel
Bauherr: privat
Architekt: Santiago Calatrava

Im Obergeschoss des spätmittelalterlichen Hauses in der


Altstadt von Basel findet sich ein Saal, der für kleinere
Veranstaltungen genutzt wird. Die Atmosphäre in der
Umgebung lebt von der historischen Anmutung. Der Aus-
bau der Räume machte sowohl die Verbesserung der
Erschließung wie auch die Verstärkung des Tragwerks
Die elegant geschwungene Treppe
erforderlich. Das Projekt verbindet beide Notwendigkeiten, zum Veranstaltungsraum.
indem die Treppenkonstruktion zugleich die Lasten des
Obergeschosses in das Fundament abträgt. Die Gestal-
tungselemente der Treppenkonstruktion finden sich im
Mobiliar und der Deckengestaltung wieder.

Die modene Trägerkonstruktion von


Santiago Calatrava (Modellfoto).

Handskizze zur Erläuterung des


Konstruktionsprinzips.

Schnitt mit Darstellung der Gesamtmaßnahme. Die


neue Tragkonstruktion ist rot gekennzeichnet.
zungsgewohnheiten und die technischen Möglichkeiten der Vergangenheit
geprägt als durch heutige Nutzerwünsche, und oft entspricht auch die histo-
rische Erschließung nicht dem, was die gegenwärtigen Vorstellungen befrie-
digt. Die barocke Enfilade war zu ihrer Zeit höchst modern; heute beklagen
wir nur noch die gefangenen Räume. Schmale Treppen waren bis in das
19. Jahrhundert hinein normal; heute sind sie untragbar. Nicht zuletzt for-
dern staatliche Förderprogramme häufig für bestimmte Raumnutzungen
genau definierte Raumgrößen. In dieser Situation ist die Versuchung groß,
den vorgefundenen Grundriss so lange durch das Verschieben von Wänden
zu verändern, bis die gewünschte Lösung sich durch Abbruch und Neubau
vollständig einstellt. Es liegt auf der Hand, dass durch eine solche
Entwurfsstrategie nicht nur die Identität des alten Bauwerks schwer in
Mitleidenschaft gezogen wird. Deutlich schwerer noch wiegen in der
Konsequenz die erheblichen Engriffe in das Tragsystem und alle damit ver-
bundenen technisch-konstruktiven Folgen. Die unveränderte Fortführung
des durch die tragenden Wände vorgegebenen Grundrisses ist deswegen
stets die erste Option. Dass man nichttragende Trennwände, seien sie aus
der Bauzeit oder später eingefügt, oft ohne Bedenken (aber: man beachte
mögliche Befunde!) entfernen kann, muss nicht weiter erläutert werden.
Dieser Einwand kann natürlich nicht dazu führen, Grundrissverände-
rungen grundsätzlich abzulehnen. Auf der anderen Seite macht es aber
auch keinen Sinn, eine Wand um wenige Zentimeter zu versetzen, nur um
eine Fördervorschrift zu erfüllen, oder eine Decke geringfügig anzuheben,
um die von der Bauordnung vorgegebene Mindestraumhöhe zu gewähr-
leisten. In beiden Fällen ist es Erfolg versprechender, einerseits den
Bestand in großen Bereichen unverändert zu belassen und auf der anderen
Seite durch einen radikalen Eingriff die damit in Kauf genommenen
Nachteile auszugleichen. So kann vielleicht ein Teil der zu niedrigen Decke
ganz herausgenommen oder ein ohnedies stark geschädigter Teilbereich
des Hauses nach verändertem Plan komplett neu aufgebaut werden. Ein
winziges Schlafzimmer wird durch ein großzügiges Wohnzimmer im
hohen Dachraum kompensiert und dunkle Erschließungsflure werden
durch helle Aufenthaltsbereiche an deren Kopfenden attraktiv. Der Bau-
bestand entzieht sich meist der schematischen Herangehensweise. Wie
sich in den letzten Jahren die Berechnungsvorschriften für den Stand-
sicherheitsnachweis der Realität der vorhandenen Bausubstanz angepasst
haben, so müssen auch die planerischen Belange die Stärken des Gebäudes

106
nutzen. Ziel der Planung muss es sein, einerseits die Identität des
Bauwerks auch in seinem Grundriss zu erhalten und zu stärken, und auf
der anderen Seite durch bewusste und gezielte Eingriffe die Funktions-
fähigkeit und Attraktivität des Hauses zu gewährleisten und zu steigern.

Gezielte Entlastungsbauten
Ausweichstrategien sind eine bewährte Möglichkeit, dem Bestand gerecht
zu werden und dennoch eine Anhebung des
Standards zu erreichen. Es steht außer
Zweifel, dass die Anforderungen an Be-
quemlichkeit und technische Ausrüstung
eines Bauwerks sich in den zurückliegenden
Jahrzehnten radikal geändert haben. Kaum
ein altes Haus kann diesen Erwartungen
und Forderungen ohne Nachqualifizierung
entsprechen. Die Versuchung ist groß, jedes
dieser Defizite einzeln zu untersuchen und
zu bearbeiten, anstatt einen gesamtheitli-
chen Lösungsansatz zugrunde zu legen. Die
Strategie, sämtliche zusätzliche Anforde-
rungen der modernen Zeit in zusätzlichen,

Defizite in der Erschließung der National Portrait Gallery in London sind durch einen Neubau in einem
kleinen Hof behoben ( Jeremy Dixon und Edward Jones, 2000).

107
Das unscheinbare Wohnhaus in der engen Altstadt von
Eichstätt ist mit einer neutralen Lochblecharchitektur
um ein Geschoss erhöht.

Der neue Dachaufbau wird mit dem Kran wie ein


Möbel auf den Altbau in London gehoben. Seine
Gestalt gibt ihm seinen Namen: „White cube“
(MRJ Rundell & Associates, 2002).

möglicherweise ohnedies erforderlichen Neubauteilen zu konzentrieren


und den vorgefundenen Bestand von moderner Technik möglichst freizuhal-
ten, hat sich in dieser Situation vielfach bewährt. Auch dort, wo Neubauteile
nicht ohnedies erforderlich werden, sollte man die externe Erschließung
ebenso wie Erweiterungsbauten unbedingt in Betracht ziehen.
Die Forderung unserer Zeit nach einer bequemen und selbstverständlich
auch barrierefreien Erschließung ist für viele Baumaßnahmen im Bestand
die größte Herausforderung. Die vorhandenen Treppenräume und Treppen
entsprechen in den meisten Fällen weder den Vorschriften des Brand-
schutzes noch sind sie hinreichend bequem und oft auch in ihrem Stei-
gungsverhältnis im Widerspruch zu den Bestimmungen der Bauordnung.

108
Besprechungsraum über dem Innenhof

Bankgebäude in gründerzeitlicher Bebauung, 1997


H-Budapest
Bauherr: ING-Bank
Architekt: MECANOO, Erick van Egeraat

Die gründerzeitliche Haussubstanz ist für Büroräume gut


geeignet, kann größere Strukturen aber nur nach erhebli-
chen Eingriffen aufnehmen. Diesem Problem begegnet der
Entwurf durch einen Entlastungsbau über dem dadurch
zum Innenraum gewordenen Hof. Die Tragwerksreserven
reichen aus, um eine unabhängig von den gestalterischen
Glasdach und Erschließung rund
Vorgaben des Altbaus entworfene neue Struktur zu imple- um den Besprechungsraum.
mentieren. Der organisch-amorphe Besprechungsraum
kontrastiert mit der Umgebung durch Form, Material und
Oberflächengestaltung.

Grundriss der Gesamtanlage auf Der freiplastisch gestaltete


Höhe des Besprechungsraumes. Besprechungsraum über dem
Innenhof.
Natürlich wird man zunächst versuchen, solchen Widersprüchen mit dem
Hinweis auf Bestandsschutz und den Möglichkeiten von Ausnahmen und
Befreiungen zu begegnen. Auch wenn das gelingt, bleibt aber die Frage nach
dem fehlenden Aufzug weiter ungelöst. Selbst wenn man in dieser Situation
in Erwägung zieht, das alte, oft sehr schöne Treppenhaus komplett abzurei-
ßen und durch ein vorschriftenkonformes zu ersetzen, ist der verfügbare
Raum doch fast immer für den zusätzlichen Aufzug zu gering.
Häufig ist es einfacher und substanzschonender, die gesamte neue Er-
schließung zusammengefasst in einem externen neuen Gebäudeteil unter-
zubringen. Im diesem Neubau lassen sich dann sämtliche Forderungen der
Bauaufsicht ohne Kollision mit dem Altbestand problemlos erfüllen. Dieser
Neubau kann dabei sowohl ein Bauteil sein, der sich eng an das alte Gebäude
anfügt und sich diesem unterordnet, oder sich auch bewusst von diesem
absetzen. Häufig bewährt es sich auch, für die neue Erschließung
Resträume des Grundstücks oder einen Innenhof zu nutzen. Die Überda-
chung von ehemaligen Freiräumen kann zwar auf der einen Seite zu
Schwierigkeiten mit dem Brandschutz, der Belichtung und Belüftung füh-
ren, kann aber andererseits auch neue Raumqualitäten schaffen.
Was sich für den Sonderfall der Erschließung bewährt, ist auch für die
Befriedigung vieler anderer Wünsche an ein im vorgefundenen Zustand
überfordertes Bauwerk gut. Bevor man hochinstallierte Sanitärräume in eine
empfindliche Holzkonstruktion oder große Räume durch den Abbruch vie-
ler Trennwände in einen kleinteiligen Grundriss zwängt, wird man lieber
eine Erweiterung in Betracht ziehen – gegebenenfalls im Zusammenhang
mit dem ohnedies erforderlichen Erschließungsbau.
Aus der gleichen Überlegung entsteht auch die Aufstockung. Besonders die
Bauten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind fast immer derart solide
gebaut und gegründet, dass die Substanz mühelos ein oder zwei zusätzliche
Geschosse trägt. Hier erlaubt die Aufstockung nicht nur eine höhere
Ausnutzung des Grundstücks, sondern auch die Realisierung einer geänder-
ten oder erweiterten Nutzungsanforderung. Auch hier bietet es sich an, große
Räume nach oben zu legen. Die Erhöhung des Gebäudes findet allerdings
nicht nur in der Belastung der Fundamente und Mauern, sondern auch in den
Vorschriften des Brandschutzes und des Bebauungsplanes ihre Grenzen.

110
Planungsstrategien
Bauwerk, Bauzustand und Bauziel bestimmen das Planungskonzept glei-
chermaßen. Da die einmal gewählte Vorgehensweise entscheidend für alle
weiteren Schritte ist, müssen die unterschiedlichen Handlungsmöglich-
keiten frühzeitig mit allen am Bau Beteiligten abgestimmt werden. Nur so
erhält man die wünschenswerte Planungssicherheit und die nötige Freiheit
für den Entwurf. Die Anforderungen an die Baumaßnahme verändern sich,
je nachdem, welchen Wert man hervorhebt oder unterdrückt, und die
Vermischung verschiedenartiger Konzepte an einem Projekt führt leicht zu
gestalterisch unbefriedigenden Lösungen.
Die wirklich entscheidende Frage in der Unterscheidung verschiedener Ent-
wurfskonzepte ist die nach dem Ausmaß der Eingriffe und Veränderungen.
Für die produktive Auseinandersetzung mit dem alten Gebäude kommen
die erhaltende Instandsetzung, die verbessernde Ertüchtigung und
Modernisierung und das bewusst verändernde Weiterbauen in Betracht.
Natürlich kann man den vorgefundenen Bestand auch aufgeben und erset-
zen. Je größer die Veränderung, desto größer die Kosten – und umgekehrt.
Nun ist gegen hohe Baukosten und gravierende Veränderungen an einem
Bauwerk nicht grundsätzlich etwas zu sagen. Der Architekt muss nur offen
legen, welches Konzept er aus welchem Grund und mit welchen Folgen für
angebracht hält.
Tatsächlich fällt die Entscheidung für eines dieser Konzepte viel seltener, als
man das erwarten würde, aufgrund zuvor festgestellter Zustandsanalysen
und Schadensbilder. Allzu häufig bestimmen unklare Erwartungen an unbe-
kannte Werte und unbewiesene Hoffnungen auf Wertsteigerungen einen
Entschluss, der in seinen Folgen nicht bis zum Ende überprüft ist. Deswegen
ist es besonders wichtig, sich über die unausweichlichen Konsequenzen der
Planung schon in der Konzeptphase Gewissheit zu verschaffen.

Instandhalten
Der größte immaterielle Wert eines alten Gebäudes ist sein Alter, das
Wunder, dass es erhalten geblieben ist und uns mit seiner bloßen Existenz,
deutlicher noch mit seinen Altersspuren, ein Fenster in die Vergangenheit
öffnet und das Bauwerk in der Zeit verortet. Der Versuch, das Altern aufzu-
halten oder zu negieren, nimmt dem einzigartigen Bauwerk seine Würde
und seine Identität. Die Bauwerke als geschichtliche Zeugnisse, so John
Ruskin in seinem Buch Seven Lamps of Architecture, „… gehören uns nicht.

111
Ausbau durch Reparatur

Instandsetzung eines Wohnhauses, 2006


I - Venedig
Bauherr: Stadt Venedig
Architekt: Piana und Schubert

Das unscheinbare Haus am Rande der Stadt Venedig sollte


so repariert werden, dass seine vielgestalte historische
Identität gewahrt wird. Die teilweise starken Verformungen
und Setzungen wurden nicht geändert, der Ausbau viel-
mehr auf diesen Zustand abgestimmt. Die Instandsetzung
Zustand nach Abschluss der
Arbeiten: die Gartenfassade. erfolgte mit handwerklichen Techniken und formal zurück-
haltend. Der Ausbau des traditionellen Einfamilienhauses
für vier getrennte Wohneinheiten trägt den modernen
Nutzungsansprüchen Rechnung.

Entsalzung des Mauerwerks durch


andauernde Berieselung mit einer
handelsüblichen Gartenbewässerung.

Vorgefundener Zustand bei


Maßnahmebeginn.

Bestandszeichnung als formtreues


Aufmaß, Schnitt; Original M. 1:20.

Zustand nach Abschluss der


Arbeiten: instandgesetzte und
ergänzte Terrazzo-Böden, glatt
geputzte Wände.
Kurz vor dem Einsturz gerettet

Sicherung und Instandsetzung eines Wohnhauses, 2005


D - Bamberg
Bauherr: privat
Planung: Hans Reuter

Das im Kern mittelalterliche Haus an der Oberen Brücke in


Bamberg hatte sich im Laufe der Jahrhunderte so stark zum
Wasser geneigt, dass die Befürchtung bestand, es könnte
einstürzen. Auf der Grundlage eines exakten Aufmaßes
Das dreigeschossige Haus steht
wurden sämtliche Verformungen und Schäden erfasst. Auf windschief am Wasser.
dieser Grundlage wiederum wurde eine werkstattge-
schweißte und am Ort geschraubte Stabilisierungskon-
struktion eingebaut. Der senkrechte Fachwerkträger nimmt
sämtliche Kräfte auf und leitet sie in das verstärkte
Fundament ein. Eingriffe in den übrigen Bestand waren zur
statischen Ertüchtigung nicht erforderlich.

Werkplanung für die statische


Sicherung.

Ein formtreues Aufmaß stellt die


starken Verformungen dar.

Der Baukörper wird durch eine


Rahmenkonstruktion gesichert.
Zum Teil gehören sie denjenigen, die sie erbaut haben, zum Teil den
Generationen, die nach uns kommen.“ Eine Restaurierung zerstöre die
wichtigsten Inhalte eines historischen Gebäudes. Damit ist Altern-
Lassen nicht nur ein kostengünstiges, sondern auch ein werterhaltendes
Konzept. Nicht jede Planung an einem historischen Bauwerk erfordert
unter dieser Prämisse eine Maßnahme. Diese Haltung mag manchen ent-
wurfsstarken Architekten schmerzen. Es ist aber auch ein Zeichen von
Souveränität zu erkennen, wo das Zeichen des Heute nicht gebraucht wird.
So wird der gute und verantwortungsvolle Planer immer in Betracht zie-
hen, an welchen Bauteilen man die fortschreitende Alterung akzeptieren
sollte, und wie weit man umgekehrt den Alterungsprozess durch Pflegen
verlangsamen kann, ohne den identitätsstiftenden Alterswert des Objekts
zu verlieren.
Wo die Pflege nicht ausreicht, sichert die behutsame Reparatur dem
Gebäude seine Zukunft. Reparatur meint dabei die Beseitigung von Schäden
innerhalb des vorhandenen Baubestandes ohne wesentlichen Material-
austausch und ohne Veränderung der Gesamtkonstruktion. Eine Reparatur
soll immer billig sein, weil sie zu den Unterhaltskosten gerechnet werden
muss. Die Reparatur wird stets entsprechend den vorgefundenen Materia-
lien und Techniken durchgeführt. Wo die Handwerker mit den alten Bau-
techniken nicht mehr vertraut sind, ist die Gefahr von unbeabsichtigt produ-
zierten Bauschäden groß. Schon das Schlagwort von der „Sanierung der
Sanierung“, die sich mit Schäden befasst, welche durch unsachgemäße
Eingriffe notwendig wird, die nur wenige Jahre und Jahrzehnte zurücklie-
gen, warnt davor, die aktuelle Bautechnik zu überschätzen.
Zur Instandhaltung gehören auch sowohl die Restaurierung, die einen
beeinträchtigten Zustand stabilisiert und aufwertet, wie auch die
Konservierung, die sich auf die Stabilisierung des Bestandes beschränkt.
Beide Handlungskonzepte haben ihre Heimat ohne Zweifel in der
Denkmalpflege. Dieser Umstand darf aber nicht den Blick darauf verstel-
len, dass die dort entwickelten Strategien auch jenseits des Denkmal-
schutzgesetzes ihren Wert haben. Viele der in der Denkmalpflege entwi-
ckelten Technologien haben sich bestens bewährt, sind kostengünstig und
ökologisch einwandfrei und damit auch für den Einsatz auf anderen
Baustellen im Bestand uneingeschränkt brauchbar. Viel öfter als man glaubt,
ist die Reparatur beschädigter Bauteile mit Technologien der Restaurierung
nicht nur ein möglicher, sondern der tatsächlich sinnvolle Weg.

114
Restauration übrigens hat mit Architektur
nichts zu tun. Sie ist wahlweise eine
Gaststätte oder eine politische Epoche im
19. Jahrhundert.

Modernisieren
Die Aufwertung eines Gebäudes für den
zeitgemäßen Gebrauch, das Ausbauen, Auf-
werten, Ertüchtigen, Rehabilitieren, Reno-
vieren, Sanieren oder Modernisieren ist ein
notwendiger Anspruch an ein Gebäude. Da
sich die Nutzungsanforderungen wandeln,
muss sich auch der Bestand einer ständigen
Transformation unterziehen. Die geschickte
Anpassung eines vorhandenen Bauwerks
an veränderte Anforderungen ist eine
anspruchsvolle Entwurfaufgabe und ein
unerschöpfliches Arbeitsfeld für Archi-
Die alten Mauern der Casa Muti in Pisa bilden einen
tekten. Diese tun sich allerdings oft schwer, wirkungsvollen Kontrast zum modernen Einbau
die eher dienende Tätigkeit mit Freude zu (Massimo Carmassi,1991).
akzeptieren, ein in Ehren gealtertes Gebäu-
de an den modernen Standard anzupassen. „Modernisierung“ war lange
Zeit das ungeliebte Stiefkind der Architekten. Durch die unglückliche
Wortschöpfung „Bauen im Bestand“ hat das Arbeitsfeld zusätzlich etwas
eher Technokratisches und jedenfalls Unkreatives angenommen. Tat-
sächlich haben über lange Jahre vor allem
Die rohe römische Wand als „stimmungsvoller“ Hinter-
die Innenarchitekten das innovative grund für das gehobene Sortiment, in Split.
Potenzial der Modernisierung erkannt und
schöpfen es seit vielen Jahren aus. Dazu
gehört nicht nur das bewusste Eingehen auf
die jeweils individuellen baulichen und
räumlichen Gegebenheiten in Raumaus-
stattung und Möblierung, sondern auch das
Herausarbeiten der haptischen und opti-
schen Materialqualitäten eines alten
Gebäudes. Das historische Fragment ist in
der Ladeneinrichtung nachgerade zum

115
Kunstvolle Hinzufügungen

Ausbau eines Stadtpalastes als Museum, 1963


I - Venedig
Bauherr: Fondazione Querini-Stampalia
Architekt: Carlo Scarpa

Der Auftrag umfasste die Umgestaltung der hochwasserbe-


drohten Erdgeschossräume und des Gartens. Scarpa legt
zunächst das Laufniveau im Haus durch einen kleinteiligen
Die neue Brücke erschließt den Palast.
und detailreich gestalteten Einbau höher. Er thematisiert
die alten Einfahrtsbögen für die Schiffe. Seine kunstvoll
gestalteten Hinzufügungen kontrastieren mit dem roh
belassenen Mauerwerk. Die technischen Einrichtungen
werden als selbstständige Volumen in den Raum gestellt.
Auch andere Defizite werden nicht durch Substanzaus-
tausch, sondern durch additive Maßnahmen behoben. Die
Handwerklichkeit der Bauausführung verbindet den Bestand
mit dem Neuen.

Entwurfsskizze für die Überbauung


einer ausgetretenen Treppe.

Die instandgesetzte Treppe nach Innenraum nach Instandsetzung. Wegeführung über Stege, die
der Maßnahme. Haustechnik in selbstständigen Elementen.
unverzichtbaren Bestandteil der modernen
Warendistribution geworden. Kaum ein
trendiger Modeladen möchte derzeit auf
die – historisch meist belanglose – freigeleg-
te rohe Wand verzichten.
Zur Modernisierung wird man auch die
Aufwertung der Gesamterscheinung durch
die Umgestaltung der Fassade oder das blo-
ße Anstreichen rechnen. Für den Archi-
tekten bedeutet die Modernisierung jedoch
zunächst die systematische Anpassung des
Baubestands an die Erfordernisse der
Die Installationen in dem Loft in Madrid liegen auf
modernen Infrastruktur. In kaum einem der Wand und können schnell ausgetauscht werden
alten Gebäude wird die Heizungs-, Sanitär- (Manuel Serrano, 2005).

und Elektroinstallation in einem Zustand


sein, der die Weiterverwendung angebracht erscheinen lässt. Damit stellt
sich als erstes die Frage nach der Strategie für deren Erneuerung.
Abgesehen davon, dass die Forderungen nach zielgerichteter Koordination
der verschiedenen Fachplaner im Bestand höhere Anforderungen an den
Planer stellt als im Neubau, wird man grundsätzlich überlegen müssen, ob
die vorgefundene Strang- und Leitungs-
führung die richtige ist. Die konventionelle
WC-Container im 2. OG des zur Galerie ausgebauten
Erneuerung in den alten Trassen führt in alten Lagerhauses in Nijmegen. Ein unabhängiger
aller Regel durch Wandaufbrüche und Einbau für unabhängige Installationen (Diederen und
Dirrix, 1997).
Leitungsschlitze zu enormen Eingriffen
und Zerstörungen, die auch bei genauer, be-
wusster und weit detaillierter Trassen-
planung kaum wirklich zu vermeiden sind.
Will man diesen Aufwand reduzieren und
auch die erheblichen Folgearbeiten im
Beiputz und sonstige Reparaturen gering
halten, so ist die Veränderung der Trassen-
führung und die Aufputzinstallation oft
eine geeignete Lösung. Die Vielzahl von
Kaminen, die bis in die fünfziger Jahre
regelmäßig für einzelne Feuerstellen gebaut
wurden, bieten sich für die senkrechte

117
Verteilung fast immer ideal an. Hier muss
man lediglich auf die Trennung von Sanitär-
und Elektroinstallation achten und für die
systematische Brandabschottung in den
Geschossen sorgen. In den Geschossen ist
die horizontale Verteilung auf der Wand
durch eine Vielzahl von funktionalen und
formal akzeptablen Systemen mittlerweile
keine Herausforderung für Tüftler mehr,
sondern sowohl für die Heizung wie auch
für die Elektroinstallation eine marktgängi-
ge Lösung. Neben den Leitungen sind es die
Der außen angebaute Aufzug ermöglicht eine beque-
me Erschließung und entlastet das alte Gebäude in Küchen und Bäder, die durch eine Moder-
Schaffhausen. nisierung in aller Regel am deutlichsten ver-
ändert werden. Die Vielzahl der Sanitärobjekte, die zu einem modernen Bad
gehören, macht eine differenzierte Verteilung erforderlich, die durch mögliche
Undichtigkeiten stets auch zu einem Gefährdungspotenzial wird.
Schwingende Holzbalkendecken sind hier besonders bedroht. Der Einbau von
in sich geschlossenen und stabilen Containern mit bewusst gelösten Überga-
bestellen vermeidet ein solches Problem.
Durch begrenzte Grundrissveränderungen im bestehenden Tragsystem
wird der Bestand nachhaltig aufgewertet. Der Abbruch nachträglich einge-
bauter Teilungswände, die vielfach erst nach dem Zweiten Weltkrieg in
Zeiten großer Wohnungsnot notdürftig eingebaut wurden, macht aus
beengten Wohnverhältnissen wieder attraktiven Wohnraum. Die Neuord-
nung der Erschließung mit zusätzlich eingebautem Windfang erzeugt ein
freundliches Ambiente. Die Zusammenfassung zweier Wohnungen in
einer Siedlung der zwanziger Jahre macht aus einer Kleinhaussiedlung
attraktive und zeitgemäße Familienwohnungen und der Anbau von selbst-
tragenden Balkons erweitert die Wohnfläche und steigert die Attraktivität.
Nicht zuletzt bedeutet Modernisierung auch die bauphysikalische Ertüchti-
gung des Gebäudes. Die zeitgemäße Forderung nach effizienter Energie-
verwendung zwingt zur Verhinderung vermeidbarer Verluste bei gleichzei-
tiger Aufwertung der Nutzungsqualität. Hier ist die hohe Speichermasse
massiver Außen- und Tragwände im historischen Bestand eine oft uner-
schlossene Ressource. Andererseits reagieren alte, mit traditionellen
Baustoffen errichtete Gebäude eher empfindlich auf bauphysikalische

118
Missgriffe, wie sie vor allem durch ungelöste Diffusionsvorgänge in der
Folge übermäßiger Dämmung entstehen. Man könnte das für einen
Nachteil halten, sollte es aber eher als einen gleichsam eingebauten, höchst
willkommenen Warnmechanismus für Missstände im Bauwerk verstehen,
welche das alte Gemäuer schon signalisiert, bevor die Nutzer und
Bewohner ernsthaft Schaden genommen haben.
Kommen neue Nutzungen, reichen die vorhandenen Tragsysteme oft nicht
mehr aus. Verstärkungsmaßnahmen, die nicht nur ihren Zweck erfüllen,
sondern überdies noch im Einklang mit dem Bestand gestalterischen
Ansprüchen genügen, gehören zu den Höchstleistungen des Entwurfs. Die
Tragwerksplaner haben sich schon lange darauf eingestellt, dass die
Ertüchtigung eines alten Hauses für die Aufnahme höherer Verkehrs- und
Nutzlasten zu ihrem Aufgabenfeld gehört und sowohl substanzverträgliche
wie kostengünstige Lösungen gefunden, die dem modernisierten Gebäude
seine Identität belassen.
In jüngster Zeit gehört zu den häufigsten Aufgaben der Modernisierung
auch das Entfernen schadstoffhaltiger Baumaterialien, das eine nachhaltige
und gesunde Weiternutzung sicherstellen soll.

Weiterbauen Großes Volumen, große Fläche. Die Kirche des Klosters


St. Maximin in Trier wird zur Turnhalle (Gottfried
Weiterbauen ist das zentrale Thema für die
Böhm und Dieter Baumewerd, 1995).
Architektur im Bestand. Der Übergang zur
Modernisierung ist fließend und liegt dort,
wo die Qualität des Gebäudes sich durch
Nutzungsänderung oder bauliche Maß-
nahmen grundlegend ändert. Weiterbauen
heißt auch, dass das veränderte Gebäude
über seine historischen Eigenheiten
hinaus – mehr oder weniger deutlich – die
Handschrift des Architekten erkennen lässt.
Die grundsätzlichen Möglichkeiten des
Weiterbauens sind beschränkt. Die Teilung
lässt die vorgefundene Baustruktur im
Wesentlichen unverändert und bringt die
neue Nutzung durch den Einbau zusätzli-
cher Wände und Decken unter. Der Umbau
verändert das Gebäude durch substanzielle

119
Umnutzung total. Die antiken Statuen stehen zwischen Eingriffe in den Bestand, wahrt aber das
den mit gleicher Sorgfalt restaurierten Maschinen des
vorgefundene Volumen. Die Ergänzung
Kraftwerks ACEA in Rom (ACEA, Comune di Roma,
1997). fügt Fehlendes an den Bestand an, und die
Zusammenfassung bildet aus mehreren
Gebäuden eine neue Nutzungseinheit.
Die einfachste Form, ein vorhandenes
Gebäude weiter zu entwickeln, ist die
Umnutzung. In vielen Bereichen der
Gebäudewirtschaft ist diese Änderung ohne
wesentliche Eingriffe in den Bestand schon
immer Gang und Gäbe. Die Umwandlung
von Wohnraum in Büros oder Gewerbe-
flächen zu Büros ist meist mit geringem
Veränderungsdruck zu bewerkstelligen.
Aber auch großvolumige Bauten und
grundsätzlichere Umnutzungen können oft
ohne tief greifende Eingriffe kostengünstig
in den Baubestand umgesetzt werden, ohne
dass der Anspruch an eine eigenständige
Gestaltung verloren gehen müsste.
In Zeiten schwächerer Immobilienkonjunk-
tur und längerdauernder Entscheidungs-
prozesse ist schon die mit geringen Mit-
teln und strategischer Absicht geplante
Zwischennutzung eine gute Möglichkeit,

Umnutzung durch Ummöblierung.


Der 1957 durch Fehling&Gogel
errichtete Interbau-Pavillon in
Berlin dient nach der Umnutzung
als Fast-Food-Restaurant (Petra
und Paul Kahlfeldt, 2006).

Temporäre Nutzung in dem tod-


geweihten Palast der Republik in
Berlin (Urban Catalysts/raumlabor
berlin, 2005).

120
Loft im Schuppen

Wohnung im Industriebau, 2005


E-Madrid
Bauherr: privat
Architekt: Manuel Serrano

Der Ausbau eines architektonisch unbedeutenden Indus-


triegebäudes in Madrids „Loftown” belässt die Umfas-
sungswände in ihrem ursprünglichen Zustand, teilt den
Das an den russischen Konstrukti-
hohen Raum einzig durch eine Galerie und verbindet die vismus angelehnte Treppenhaus
Ebenen mit einer konstruktivistisch entworfenen Treppe. mit den Aufputzinstallationen.

Sämtliche Installationen sind absichtsvoll auf die rohe


Wand verlegt. Sie können im Bedarfsfall ebenso wie die
Einbauten schnell und einfach ausgetauscht werden. Der
alten unruhigen Oberfläche werden glatte neue Bauteile
entgegengestellt.

Grundriss. Das Mobiliar steht auf Rollen, um


die Flexibilität der Nutzung zu
betonen.
Schnitt.

Auf der Galerie ist das


Badezimmer als einziger Raum
abgeteilt.
Ein Zechengebäude wandelt sich

Ausbau und Erweiterung eines Industriegebäudes, 2004


D -Göttelborn
Bauherr: Industriekultur Saar GmbH
Außenansicht des Neubauteils und Architekt: Augustin und Frank
der umgenutzten Halle.
Die beiden Industriehallen aus den sechziger Jahren haben
keine eigenständige historische Bedeutung. Sie dienten
dem Bergbau, bis dieser stillgelegt wurde. Die neue
Nutzung für Veranstaltungen und Verwaltung nutzt die
gesunde Konstruktion und behebt die offenkundigen
Defizite durch eine innovative zusätzliche Klimahülle und
einen hochwertigen, dem Industriestandort angemessenen
Ausbau. Ein Neubauteil nimmt Gästewohnungen auf. Die
Gesamterscheinung der Bauten ist von industriellen
Materialien geprägt.

Die beiden Hallen vor Baubeginn.

Innenraum nach Fertigstellung. Innenraum nach Fertigstellung.

Schnitt durch Halle und Neubau


mit Darstellung der klimaeffizien-
ten Umhüllung.
das Potenzial eines Gebäude zu verwerten.
Die Teilung eines großen und raumhalti-
gen Gebäudes durch bauliche, nicht innenar-
chitektonische Maßnahmen hat unzählige
historische Vorbilder. Kirchen wurden schon
nach der Reformation im 16. Jahrhundert,
noch deutlich zahlreicher nach der Säkula-
risation und nochmals nach dem Zweiten
Weltkrieg für unterschiedlichste Zwecke
umgenutzt. Und doch ist die Teilung als
Planungskonzept im Wesentlichen ein Pro-
Die fast unveränderte Hülle einer Fabrik in Shanghai dient
dukt der letzten zwanzig Jahre. Der gewaltige jetzt als Büro (Ma Weidong und Teng Kunyen, 1997).
industrielle Umbruch, der unglaublich große
Volumina qualitätvoller Industriebauten mit
einem Schlag funktionslos gemacht hat, zwang zu einer ganz neuen
Betrachtung dieser Architektur. Die Faszination durch die Weite dieser
Bauten stand im deutlichen Gegensatz zur Beengtheit der im 20. Jahrhundert

Nachnutzung einer unfertig gebliebenen Konstruktion des Jahres 1960 für die olympischen
Winterspiele in Turin als Eissporthalle (Gae Aulenti, 2006).

123
gebauten Kleinwohnungen ebenso wie der vielen winzigen Büroräume der
Nachkriegszeit. Die Zahl der oft mit geringen Mitteln und in gestalterischer
Kargheit aufgeteilten Industrieflächen ist inzwischen unüberschaubar. Die
einfachen konstruktiven Raster und die meist nüchterne und funktionsbezo-
gene Formgebung der Industriebauten geben dem gestaltenden Architekten
jede Freiheit, die eigenen Vorstellungen ohne wesentliche Beschränkungen
durch technische oder administrative Hindernisse umzusetzen.
Viele bekannte Architekten haben sich der Herausforderung der Teilung
auch dadurch gestellt, dass sie ihre neue Nutzung weitgehend unabhängig
von dem unveränderten Gebäude als Haus im Haus eingebaut haben. Die

Das Kletter-Labyrinth für die Kinder ist im Berliner


„MACHmit! – Museum für Kinder“ als großes Möbel in
den Kirchenraum gestellt (Klaus Block, 2003).

Die Garagen der Oldtimer sind im Berliner Meilenwerk Kleine Bürohäuschen der Universitätsverwaltung in
in mehreren Geschossen als selbstständige Konstruktion dem großen Festsaal der Orangerie in Eichstätt
in das alte Bahndepot gestellt (Dinse, Feest, Zurl, 2003). (Karljosef Schattner, 1974).

124
Eine Kirche wird möbliert

Hotel in der Klosterkirche, 2005


NL-Maastricht
Bauherr: Stichting Monumentaal Erfgoed Limburg
Architekt: Ir. Rob Brouwers, SATIJNplus Architecten

Das ehemalige Deutschordenskloster war schon im 19. Jahr-


hundert profaniert und für unterschiedliche Zwecke genutzt
worden, bevor es zum Hotel ausgebaut wurde. Das Entwurfs-
konzept lässt die Klausur unverändert und nutzt die vor-
handene Struktur ohne grundlegende Änderungen für die
in modernem Design gestalteten Hotelzimmer. Der Kirchen-
raum ist Rezeption, Verwaltung sowie Lounge, Bar und
Das Restaurant steht als selbststän-
Restaurant. Die vielfältigen Funktionen sind in frei einge- diger Baukörper im Kirchenraum.
stellten Einbauten auf zwei Geschossen angeordnet. Die
Einbauten halten Abstand zur Wand, so dass der
Kirchenraum als Ganzes lesbar bleibt. Die Unregel-
mäßigkeit des gotischen Bauwerks kontrastiert mit der
Glattheit der Neubauten und der Durchsichtigkeit des glä-
sernen Aufzugs. Der Eingang ist durch eine aufwändige
und auffallende Trichterkonstruktion aus poliertem Kupfer
stark verfremdet.

Grundriss der Gesamtanlage.


Der Ergänzungsbau steht in
bewusstem Kontrast zu seiner
historischen Umgebung.

Der Eingang ist ein eigenständiges


„Kunst“werk.
im Grundsatz vorbildliche Haltung bringt dort Schwierigkeiten in der
Nutzung mit sich, wo einzelne Räume, die als Kabinen in die weiträumige
Großform eingestellt werden, für die Belichtung und Belüftung an die
Fassade angebunden werden sollen. Dagegen bewährt sich dieses Ent-
wurfsprinzip in großen Räumen, in die die neue Nutzung gleichsam als
freie Plastik eingestellt wird. So nimmt es nicht Wunder, dass viele profa-
nierte Kirchen mit dieser Grundidee überplant worden sind.
Das Fertigbauen hat in der Architekturgeschichte eine lange Tradition.
Begonnene und steckengebliebene Bauten zu vollenden, wurde nicht erst mit
den Turmvollendungen gotischer Kathedralen im 19. Jahrhundert eine selbst-
verständliche Aufgabe. Schon immer haben Architekten aus den Ruinen
älterer Bauten Neues geschaffen. Der gesamte Wiederaufbau nach dem
Zweiten Weltkrieg war mit zahllosen, höchst kreativen Beiträgen zur
Auseinandersetzung mit Vorgefundenem in gewisser Weise ein einziges
Fertigbauen. Der in der Struktur weitergeführte, in den Einzelformen dage-
gen vereinfachende Wiederaufbau, wie er in der Alten Pinakothek in
München von Hans Döllgast legendär geworden ist, hat bis heute seine
Gültigkeit behalten. Gliederung, Proportion und Tragsystem bestehen fort.
Im Gegensatz dazu werden Wandgliede-
Der Redoutensaal in der Wiener Hofburg wurde nach
weitreichender Brandzerstörung in der alten Kubatur, rungen, Oberflächen und vor allem die bis
aber mit moderner Ausstattung als attraktiver in die Mitte des 20. Jahrhunderts ganz
Veranstaltungssaal des Kongresszentrums neu errichtet
(Manfred Wehdorn, 1997).
selbstverständlich handwerklich gearbeite-
ten Schmuckformen mehr oder weniger
notgedrungen stark vereinfacht oder ganz
unterdrückt. Die höchst originellen Pla-
nungen von Gottfried Böhm für das Saar-
brücker Schloss in den achtziger Jahren des
20.Jahrhunderts oder ganz besonders der
Ausbau des Neuen Museums in Berlin
durch Chipperfield/Harrap am Anfang des
21.Jahrhunderts zeigen, dass dieses Thema
auch zwei Generationen nach dem Krieg
noch keineswegs abgeschlossen ist. Und
Unglücksfälle, hier vor allem Brandschä-
den, werden auch in der Zukunft die
Architekten mit der Aufgabe konfrontieren,
einen respektvollen Ausgleich zwischen

126
dem qualitätvoll erhaltenen Alten und den
modernen Zufügungen zu finden. Die 1:1-
Rekonstruktion des verlorenen Zustands
ist hier sicher auch eine Möglichkeit, die
aber dort ihre Grenze finden sollte, wo die
Nachschöpfung absehbar nicht mehr die
Qualität und Aussagekraft des Verlorenen
haben kann. Dieser Vorbehalt wird für
künstlerische Gestaltungen immer Bestand
haben und auch für viele anspruchsvolle
Der kriegszerstörte Saal in der Berliner Akademie der
handwerkliche Produktionen gelten müs- Wissenschaften wurde in vereinfachten Formen wieder-
sen. Einer solchen Haltung ist gewiss auch hergestellt (Claus Anderhalten, 2003).
der Ausbau des Vortragssaales in der Aka-
demie der Wissenschaften in Berlin von Anderhalten verpflichtet.
Von den Architekten ist der Umbau in der Vergangenheit noch am ehesten
als bestandsbezogene Bauaufgabe wahrgenommen worden. Unterschiedlich
weitreichende Grundrissänderungen und Eingriffe in das Tragsystem, die
Umorganisation der Erschließung und vor allem die Anpassung der
Architekturformen an den Zeitgeschmack waren zu allen Zeiten
Architektenaufgabe. In der Regel wird sich der Umbau an die vorhandenen
Geschosse halten und allenfalls durch einzelne Deckendurchbrüche die
Innenräume und die Grundrissorganisation nachhaltiger gestalten. Der
Schwerpunkt des Umbaus liegt in der zeitgemäßen Gestaltung der vorge-
fundenen Räume und deren Anpassung an geänderte Nutzungsan-
forderungen. Es ist dabei eine willkommene Bereicherung, wenn die
Umbaumaßnahme Teile oder gar die Die freigelegte mittelalterliche Bohlenstube ist ein gerne
Ganzheit älterer Raumgestaltungen ans angenommener und würdiger Rahmen für das Büro des
Tageslicht bringt. Große Städte wie Basel, Behördenleiters im neu ausgebauten Rathaus in Wels.

Zürich, Regensburg oder Lübeck ziehen


einen Teil ihrer wiedergewonnenen
Attraktivität als Wohnstandorte aus den
damit verbundenen, ergebnisreichen Be-
funduntersuchungen, die individuelle und
erlebnisreiche Innenräume versprechen.
Zeitgemäße Materialien und eine entspre-
chende Möblierung beweisen hier die Nähe
zur Innenarchitektur.

127
Ein Museum im Wahrzeichen Tirols

Landesmuseum Schloss Tirol, 2003


I - Schloss Tirol
Bauherr: Autonome Provinz Bozen
Architekt: Scherer & Angonese / Hellweger

Schloss Tirol gehört zu den ältesten und wertvollsten


Burgen der Alpen. Der überwiegende Bestand geht in das
12. Jahrhundert zurück. Auf der Grundlage einer vorbildli-
chen bauarchäologischen Untersuchung wurde die Anlage
in den Jahren 2000 – 2003 zum Landesmuseum ausge-
baut. Die historische Substanz aus unterschiedlicher Zeit
wurde unterschiedslos erhalten. Sie dient zugleich als
Treppenaufgang im Bergfried.
Exponat und ihre Bauphasen vermitteln die vielschichtige
Landesgeschichte. Die oft rohen historischen Mauern wer-
den mit den modernen Einbauten aus gleichfalls rohen
Materialien konfrontiert. Lichtführung und Beleuchtung
inszenieren auf geheimnisvolle Weise das gebrochene Alte
im Kontrast zum glatten Neuen.

Ausstellungssaal.

Schnitt mit bauarchäologischer Grundriss mit Bauphasendarstellung


Analyse. der Gesamtanlage.
Ein Sonderfall des Umbaus ist der beson-
ders in innerstädtischer Lage zu hoher
Bedeutung und Beliebtheit gekommene
Dachausbau. Gestalterisch stellt sich
besonders auch die Frage nach dem
Verhältnis der neuen Dachöffnungen und
Aufbauten zum Gesamtgebäude. Der hohe
Verwertungsdruck lässt bisweilen überse-
hen, dass auch die neue Dachlandschaft
gestaltet sein will und dass der Ausbau
eines bis dahin wenig genutzten Dach-
raums vielfältige Probleme der Sicherung
der Rettungswege und eine große Zahl bau-
physikalischer Herausforderungen nach
sich zieht. Die Dämmung der Dachhaut
allein reicht nicht aus, um auch bei länge-
ren Hitzeperioden ein erträgliches Wohn-
klima sicherzustellen. Hier wird man mit
zusätzlichen baulichen Vorkehrungen eine
Die industriell geprägte Architektur am Stadtrand von
Hinterlüftung vorsehen müssen, wenn man Mailand inszeniert das Dach und schafft einen vielge-
die Wärme nicht durch eine wenig umwelt- stalten Wohnraum (Francesca Donati, 2001).
freundliche Klimaanlage abführen will.
Darüber hinaus sind die Gefahren einer unsachgemäß konzipierten
Dampfdiffusion erheblich.
Die Erweiterung ist die seit Jahrtausenden selbstverständliche Form des
Weiterbauens. Wo ein vorhandenes Bauwerk für die ihm zugedachte
Nutzung nicht mehr ausreichte, wurde es schon immer erweitert und aufge-
stockt, im Ausnahmefall auch in den Boden hinunter erweitert. In den letz-
ten Jahrzehnten hat hier die Frage, wie der Ergänzungsbau sich zum alten
Bestand formal und gestalterisch verhalten soll, unter dem Schlagwort
„Neues Bauen in Alter Umgebung“ die Architekturdiskussion wesentlich
geprägt. Der strategisch planende Architekt wird vor allem auf beengten
Innenstadtgrundstücken als erstes die Resträume zur Nachbarbebauung mit
besonderer Aufmerksamkeit untersuchen. Hier sind fast immer Flächen-
reserven zu mobilisieren. Die Erweiterung in der Fläche führt zwangsläufig
zu der Frage, wie sich die beiden unterschiedlich alten Bauteile verbinden.
Neben der formalen Frage ist dies auch und vor allem eine gebäudekundliche

129
Wohngebiet im Wandel

Umbau von Einfamilienhäusern, 2004


NL - Utrecht
Bauherr: privat
Architekt: ZECC Architekten

Die Reihenhäuser im Wohngebiet am Stadtrand aus der


Zeit um 1900 sind technisch veraltet und für die heutigen
Nutzerbedürfnisse zu klein. Die Einförmigkeit der Bebau-
ung wird als bedrückend empfunden. Das Projekt gliedert
den Stadtraum und gibt den Häusern durch unterschied-
lich gestaltete Dachausbauten Individualität. Grundsätzlich
ähnliche Lösungen werden den Wünschen der Bewohner
Dachausbau nach Fertigstellung.
entsprechend mit unterschiedlichen Materialien und variie-
renden Formen realisiert. So entstehen vielfältige Innen-
räume und ein interessanter Stadtraum.

Dachausbau nach Fertigstellung.

Querschnitt eines Hauses vor und nach dem Umbau.

Modell.

Grundrisse nach Fertigstellung.


Eine Bank modernisiert sich

Umbau eines Geschäftshauses, 2002


CH - Zürich
Bauherr: Credit Suisse
Architekt: Atelier 5 Die zentrale Schalterhalle dient
heute als Erschließungshof.
Die 1877 in historistischen Formen errichtete und 1899 noch
einmal umgebaute Schweizerische Kreditanstalt sollte bei
voller Respektierung der Geschichte des Hauses modernisiert
werden. Das Umbaukonzept ist den Architekten zufolge aus
der Baugeschichte entwickelt. Zahlreiche spätere und entstel-
lende Einbauten wurden entfernt und die anspruchsvolle
Materialität des Gebäudes in den zentralen Räumen heraus-
gearbeitet. Im Innenhof wurden Entlastungs- und Ergän-
zungsräume geschaffen. Die Erschließung der Büroräume
musste teilweise neu geordnet werden. Hier wurde der alte
Die Erschließungsflächen sind durch
Grundriss mit neuen Metall-Glas-Konstruktionen den zusätzliche Glaswände geteilt.
modernen Funktionsanforderungen und den Brandschutz-
bestimmungen angepasst. Ein konsequentes Farbkonzept
gliedert den Bau und erleichtert die Orientierung.

Die historische Fassade ist


Im Innenhof wurden zusätzliche Büroräume geschaffen. weitgehend unverändert.

Werkplanungsdetail.
und bautechnische. Exakte Höhenangaben
zu den vorhandenen Geschossebenen – ein-
schließlich möglicher Verformungen! – sind
ebenso unerlässlich wie die Klärung der vor-
gefundenen Konstruktion.
Die Vorstellung, dass das historische
Gebäude mit einem ergänzenden Anbau
unverändert fortbestehen könnte, erweist
sich in der Umsetzung fast immer als unrea-
listisch. Selbst wenn im Bestand tatsächlich
keine Bauarbeiten durchgeführt werden,
müssen doch Zugänge, Öffnungen und
Verbindungen mit allen entsprechenden
Die neue Erschließung der in einem umfangreichen
Altbaukomplex eingebauten Universität in Toledo Folgen geschaffen werden, die häufig auch
nutzt einen alten Hofraum und organisiert den zu einer Umorganisation in der Erschlie-
gesamten Komplex neu (AUIA, 1993).
ßung des Altbaus zwingen.
Wenn die Erweiterung in die Fläche nicht möglich ist, führt gegebenenfalls
die Aufstockung zum Ziel. Die besondere planerische Herausforderung
der Aufstockung liegt in der Bewältigung der Erschließungsfrage und ganz
besonders der Sicherung der Rettungswege. Bevor man dem Bauherrn ent-
sprechende Vorschläge macht, muss diese Frage eindeutig und dokumen-
tiert geprüft sein. Die zusätzlichen Geschosse können nämlich nicht nur
die Anleiter-Höhe der Feuerwehr übersteigen, sondern auch zu erheblich

Die kubischen Aufbauten auf dem Wohnhaus in Graz Das Haus der Architektenschaft in Moskau: Klassischer
geben der Durchschnittsarchitektur einen eigenen Reiz Kern, angestrengt moderne Ergänzung (Asadov, 2006).
(INNOCAD, 2001).

132
verschärften Anforderungen an die Brandwiderstandsfähigkeit der vorhan-
denen Treppenkonstruktion führen. Grundsätzlich wird man versuchen, die
Aufstockung über dem durch die tragenden Wände vorgegebenen Grundriss
zu organisieren. Dass es aber auch durchaus reizvoll sein kann, von dieser
nahe liegenden Grundannahme abzuweichen, zeigt eine ganze Zahl von weit-
hin bekannt gewordenen Beispielen. Die Aufstockung ist zwangsläufig mit
dem Verlust der historischen Dachkonstruktion verbunden, was gründlich
erwogen sein will. Dachräume sind bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein
baugeschichtliche Zeugnisse von ganz eigener Art und ganz eigenem Wert.
Ferner ist zu beachten, dass die Dachbalkenlage konstruktiv bedingt oft weni-
ger stark belastbar ist als die darunter liegenden Geschossdecken.
Die Unterfangung des Gebäudes für den Einbau zusätzlicher Tiefge-
schosse ist zwar in vielen Großstädten mittlerweile gang und gäbe, aber für
die Architekturgestaltung ohne ernsthafte Bedeutung.
Wo die Erweiterung – aus welchen Gründen auch immer – keine Erfolgs-
aussichten hat, ist die Zusammenfassung mehrerer Gebäude zu einer
Nutzungseinheit eine letzte Möglichkeit, Nutzungsdefizite durch die Weiter-
entwicklung des vorgefundenen Bestands zu beheben. Die Nachteile dieses
Konzepts im Vergleich zur Erweiterung liegen auf der Hand: Bauten aus
unterschiedlicher Zeit werden in aller Regel auch unterschiedliche
Fußboden- und Geschosshöhen haben. Bricht man von einem Gebäude in
das nächste durch, ergeben sich schon in der Erschließung und der Grund-
rissorganisation fast immer erhebliche Anpassungs- und Übergangspro-
bleme. Durch eine geschickt angeordnete neue und gemeinsame Er-
schließung mit Differenzstufen und einer Aufzugsanlage mit versetzt ange-
schlossenen Zugängen kann man solchen Problemen bisweilen aus dem
Wege gehen. Wie hier dann aber die barrierefreie Nutzung gewährleistet wer-
den soll, bleibt häufig eine fast unlösbare Aufgabe. Die Zusammenfassung
vieler kleiner Bauten zu einer einzigen großflächigen Nutzungseinheit ver-
bietet sich unter Verweis auf das Tragwerk eigentlich immer. Es ergibt keinen
Sinn, ein kleinteiliges Gebäude mit erheblichem Aufwand seiner Identität zu
berauben, um dadurch ein Gebäude zu schaffen, das man besser und einfa-
cher an anderer Stelle mit anderen Mitteln realisiert hätte.
Ausnahmen von dieser Position sind all jene Projekte, welche die vorhan-
denen Bauten mehr oder weniger unverändert bestehen lassen und sie
unter einem gemeinsamen Dach vereinigen. Vorbild für diese Entwürfe
sind zweifellos die leichten und heiteren Flächentragwerke der siebziger

133
Jahre. Der starke Verfremdungseffekt eines solchen aus der Landschafts-
planung übernommenen Konzepts bei der Übertragung in den Archi-
tekturbereich ist offensichtlich. Er hat aber auch seine Reize, wie bekannte
Projekte namhafter Architekten immer wieder zeigen.

Ersetzen
Wer im Bestand arbeitet, muss irgendwann auch einmal erkennen, dass ein
altes Haus an das Ende seiner Lebenszeit gekommen ist – entweder als
Ganzes oder doch in großen Teilen. Wo nichts mehr zu pflegen ist und die
Instandsetzung und Modernisierung der abschnittsweisen Erneuerung des
alten Bestandes gleichkommt, ist es klüger, das alte Gemäuer ganz aufzu-
geben. Hier bleibt für den Planer nur noch die Aufgabe, den Abbruch den
Forderungen der Nachhaltigkeit entsprechend zu organisieren. Ob man
aus nostalgischen Gründen die eine oder
Die Spolie als Determinate des Neubaus: Aus der
historischen Analyse und den gefundenen Bauteilen andere Spolie aufhebt und als Erinnerungs-
ergibt sich die Gestalt des Stadthauses in Berlin auf stück in den Neubau integriert, ist dann
dem Friedrichswerder (Marc Jordi, 2006).
eine andere Sache. Wo genau die Grenze
solcher substanz- und identitätsvernichten-
der Erneuerung liegt, muss in gewisser
Hinsicht jeder selbst entscheiden. Man soll-
te sich diese Entscheidung aber aus
Gründen der Nachhaltigkeit ebenso wie der
kulturellen Identität nicht zu leicht
machen – auch wenn sie bisweilen als der
einfachere Weg erscheint. Auf dramatische
Weise stellt sich die Frage nach der richti-
gen Art, Bausubstanz zu beseitigen, in
schrumpfenden Städten. Der Ersatz von
Gebäuden durch Parkplätze führt schnell
zum Verlust jeder Lebensqualität.
Der häufigste Grund für einen Teilabbruch
oder die Entkernung sind jedoch nicht bau-
konstruktive Schwierigkeiten im vorhande-
nen Gebäude, sondern der Wunsch nach
einer neuen komfortablen Gebäudestruktur.
Oft bleiben dabei historische Fassaden als
eine Art Wahrzeichen oder Zugeständnis an

134
die Stadtbildpflege erhalten und werden
aufwändig herausgeputzt. Diese Vorgehens-
weise kann als eine extreme Art der frag-
mentierenden Gestaltung verstanden wer-
den. Meist steht dahinter aber die nicht im-
mer berechtigte Annahme, es sei bequemer,
ein ganz neues Gebäude auf der Funda-
mentsohle des alten zu errichten. Aus dieser
Haltung kann keine gute Architektur entste-
hen. Die Loslösung der Fassade von einem
Die alte Fassade als Dekoration des modernen Neubaus
sonst komplett ersetzten Gebäude, von in Frankfurt am Main am Rossmarkt ( Jean Nouvel).
ihrem ursprünglichen Kontext und kon-
struktiven Zusammenhang ist ein müder Kompromiss, der ein gänzlich
unbefriedigendes Zwitterwesen entstehen lässt, dem man sich besser wider-
setzen sollte.
Wenn man überprüft, wie viel alte Substanz durch neue Bauteile ersetzt
wurde, sind auch berühmte Baustellen im Bestand wie der Reichstag in
Berlin von Sir Norman Foster oder das Castelgrande in Bellinzona von
Aurelio Galfetti eigentlich Neubauten. Der Reichstag wurde bis auf die
Umfassungswände restlos entkernt. Als einzige Reminiszenz an einhun-
dert Jahre Nutzungsgeschichte wurden die Graffiti russischer Soldaten aus
dem Jahr 1945 konserviert. Weder die Reste des alten Reichstags von 1894
noch die Spuren des Reichstagsbrandes von 1933 noch die Verletzungen
des Zweiten Weltkriegs und erst recht nicht der sparsame Ausbau von Paul
Baumgarten in der Nachkriegszeit wurden beachtet. Und auch das
Castelgrande in Bellinzona wies vor Baubeginn eine Vielzahl von
Geschichtsspuren und verschiedenartigen Nutzungsschichten auf. Der
Umbau hat sie zusammen mit allen inneren Ausbauten zugunsten einer
völligen Neugestaltung aufgegeben. Die so entstandenen Architekturen sind
ohne jede Frage großartig. Mit dem einstmals vorgefundenen Bauwerk
haben sie aber ganz überwiegend nur noch im Sinn eines Bildes etwas zu
tun; der tatsächliche Bestand ist fast völlig verschwunden.
Was auf einem einmal abgeräumten Bauplatz als Neubau entsteht, ist eigent-
lich nicht mehr Gegenstand dieses Buches. Weil aber die Rekonstruktion
verlorener schöner Bauten am Beginn des 21. Jahrhunderts offensichtlich
eine besondere Faszination auf die Menschen ausübt, muss dieser Sonder-
fall des Architekturentwurfs hier dennoch zur Sprache kommen. Auch

135
wenn manche Kommentatoren das anders sehen mögen: Der Neubau, der
in fachlich wie auch immer bemühten und gekonnten historischen
Architekturformen daherkommt, bleibt doch stets ein Neubau und damit
ein Statement zeitgenössischer Architektur.
Die Rekonstruktion als Planungsziel ist oft verbunden mit der Absicht, ein
wertvolles Stück Architektur wiederzugewinnen. Insbesondere nach schwe-
ren Verlust-Traumata, wie beispielsweise nach den Zerstörungen des Zweiten
Weltkriegs, war das Bedürfnis groß, den Verlust zumindest teilweise durch
Rekonstruktion des Verlorenen wieder rückgängig zu machen und dadurch
eine historische unumkehrbare Tatsache gleichsam als „Unrecht“ oder
„Fehler“ der Geschichte zu tilgen. Ein prominentes Beispiel für diese Haltung
war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Altstadt von Warschau, ist
aber auch noch im Jahr 2005 die Frauenkirche in Dresden. Beide werden als
Symbol für einen gemeinsamen Neuanfang der Bürgerschaft dieser Städte in
einer neuen Zeit verstanden. Während jedoch in Warschau die auf den alten
Grundrissen und mit dem Abbruchmaterial der zerstörten Häuser errichteten
Bauten bewusst in der reduzierten Formensprache der fünfziger Jahre neu
gestaltet wurden und nur eine Anmutung des Verlorenen geben, scheint man
heute zu glauben, man könne das Original buchstäblich wiedergewinnen.
Dabei versteht es sich für jeden einsichtigen Menschen von selbst, dass die
Wiedergewinnung einer zerstörten Architektur grundsätzlich unmöglich
ist. Man stelle sich versuchsweise vor, dass ein verlorenes Gemälde von
Rembrandt anhand älterer Photos nachgemalt wird; selbstverständlich
würde es weder von der Fachwelt und auch nicht vom Publikum jemals als
echter Rembrandt anerkannt und könnte das Original niemals auch nur
annähernd ersetzen. Die Reproduktion ist eben nur ein Bild des Originals.
Und dieser Grundsatz gilt für die Architektur in gleicher Weise. Die neue
Frauenkirche in Dresden ist kein Werk von George Baer und seinen
Handwerkern, sondern eben das von Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts.
Das „Hauptwerk des Barock“ ist nicht wiedergewonnen, sondern darge-
stellt worden, eben rekonstruiert.
Die meisten Architektur-Rekonstruktionen sind überdies eher schlecht
gemachte Nachahmungen, die nicht viel mehr als ein sehr allgemeines Bild
eines historischen Zustandes vermitteln. Niemand will sich den hohen plane-
rischen und bautechnischen Aufwand leisten, den eine originalgetreue
Gesamtrekonstruktion erfordern würde, die meist auch in keinem sinnvollen
Verhältnis zum heutigen Nutzwert steht. Die schnell sich verändernden

136
Produktionsbedingungen machen eine
Wiederholung des Bauprozesses schon nach
kurzer Zeit unmöglich. Das Ergebnis sind
deswegen fast immer neue Gebäude mit
neuen Raumaufteilungen hinter Fassaden,
die mehr oder weniger überzeugend histo-
risch getrimmt wurden.
Das Missbehagen vieler Architekten gegen-
über solchen Zwitterwesen ist verständlich,
weil fast alle der zu allen Zeiten gültigen
Wertmaßstäbe für gute Architektur, wie bei-
spielsweise die Übereinstimmung von Form
und Inhalt oder die Einheitlichkeit der
Vorne historisch, hinten verglast. Der Neubau der
Konstruktionen und Materialien, in einer sol- Kommandantur am Boulevard Unter den Linden in
chen Kompromiss-Rekonstruktion nicht Berlin (Thomas van den Valentyn, 2003).

mehr erfüllt sind.


Der Versuch der Rekonstruktion eines in seiner materiellen Substanz ver-
lorenen Gebäudes mag damit auf der einen Seite eine Verneigung vor der
Geschichte und ihren Leistungen sein, auf der anderen aber ist er vor allem
der Beweis für die große Furcht unserer Gesellschaft und vieler Architekten
vor der Zukunft, gepaart mit einem tiefen Misstrauen in die Leistungs-
fähigkeit der heutigen Entwerfer.

Gestaltung
Alle schönen Strategien und Konzepte nutzen nichts, wenn das Ergebnis
des Entwurfs nicht auch und vor allem zu einem formal und gestalterisch
überzeugenden Ergebnis führt. Über die Frage, wie viel ursprüngliche
Substanz in welchem Zustand in das neue Projekt integriert wird, streiten
sich Experten wie die Nachhaltigkeitsverfechter oder die Denkmalpfleger;
ob und wie ein Projekt gefällt, ist die Sache von jedem Nutzer und jedem
Betrachter. Das Baugesetz hält hier schöne Formulierungen bereit, die
einerseits die Freiheit des Geschmacks des Eigentümers und des
Gestalters, andererseits das Recht der Allgemeinheit auf eine qualitätvoll
gestaltete Umwelt einfordern. Bauordnungen und Gestaltungssatzungen
der Gemeinden präzisieren Vorgaben, mit deren Hilfe vor allem eine
städtebauliche Verträglichkeit sichergestellt werden soll. Demzufolge ist die
Frage, wie sich das Neue zum Alten verhält, ob man den gebauten Eingriff

137
sieht oder nicht, ob sich der Architekt vernehmlich zu Wort meldet oder
vornehm zurückhält, die für die Öffentlichkeit eigentlich entscheidende
Frage überhaupt. Die Möglichkeiten reichen in den Extremen von der wei-
testgehenden Anpassung bis zur trotzigen Kontrastierung.
Jeder Entwurf im Bestand muss sich mit der Frage auseinander setzen, wie
das vorgefundene Alte sich mit dem hinzugefügten Neuen verbindet – oder
dagegen absetzt. Zu allen Zeiten hat diese Diskussion die Architektur im
Bestand am deutlichsten geprägt und auch die entschiedensten Positionen
hervorgebracht. Hier wird die Hierarchie bestimmt und festgelegt, ob
durch die Gestaltung das Neue sich dem Alten unterordnet oder ob
umgekehrt das Neue sich durch auffälliges Design oder Material in den
Vordergrund spielt.

Anpassung
Die Anpassung an das Vorgefundene durch die Fortschreibung mit glei-
chen Mitteln und Formen ist ein einfacher Weg, Alt und Neu harmonisch
miteinander zu verbinden. Wo die gleichen oder ähnliche Konstruktionen,
Materialien, Farben und Formen verwendet werden und bei Ergänzungs-
bauten Volumen, Trauf- und Gesimshöhe oder auch die Dachform dem
Bestand angenähert werden, entstehen wenig Konflikte – aber auch wenig
Spannung.
Hier geben geringfügige Abweichungen vom Original der Gegenwart den
erforderlichen Spielraum sich auszudrücken. Gerade in den letzten Jahren
ist das Bedürfnis spürbar gewachsen, ein vorhandenes Gebäude in der
Weise weiter zu entwickeln, dass auf der einen Seite die Strukturen, Ideen
und vielleicht auch die Proportionen des alten Entwurfs weitgehend über-
nommen werden, auf der anderen Seite aber durch feinfühlige Modifi-
kation eben dieser Grundlagen dennoch etwas Eigenständiges und Neues
entsteht. Der neue Entwurf unterscheidet sich dann vom Bestand nicht
durch den deutlichen Kontrast, sondern durch die subtile Differenzierung.
Holz bleibt Holz, aber die Holzart wechselt. Durch eine einfühlsame
Auswahl der Materialien und Gestaltungsmittel gewinnen die neuen Bau-
teile Resonanzfähigkeit. Durch die Anpassung an die handwerkliche
Qualität des Bestandes entsteht ein subtiler Dialog zwischen Neu und Alt:
ein Wispern der Gegenstände, das die Selbstverständlichkeit des Vergehens
der Zeit durch fortgesetzte Erneuerung beschreibt. Das Aufgreifen von
Traditionen der Materialverwendung oder regionaler Gestaltungsmittel und

138
Angepasstes Weiterbauen in handwerklicher Tradition

Landhauserweiterung für eine Schwimmhalle


GB-Spexhall Manor
Bauherr: privat
Architekt: Purcell Miller Tritton Außenansicht der Schwimmhalle
mit dem alten Haus im Hintergrund.
Das Landhaus stammt im Kern aus dem 17. Jahrhundert
und wurde 1908 grundlegend überformt. Nach einem
Besitzerwechsel sollte es an die geänderten Lebens-
gewohnheiten und modernen Nutzungsanforderungen
angepasst werden. Dazu gehörte vor allem die Schaffung
eines ausgedehnten Freizeitbereichs mit Schwimmhalle.
Die Entscheidung zugunsten einer dem vorgefundenen
Bestand angepassten Architektur führte gleichsam zu einer
Verdoppelung des alten Hauses in Kubatur, Material und
Verarbeitung. Der flüchtige Besucher erkennt nicht sofort,
dass Teile der Anlage neu sind. Dafür sorgt auch die konse-
Das historische Landhaus.
quente handwerkliche Ausführung auf der Grundlage
einer bis in die Einzelheiten gehenden Werkplanung.

Fassadenzeichnung des alten Landhauses mit dem Ergänzungsbau.

Innenraum des Neubaus mit


Sitzgruppe und Schwimmbad.

Detail der Werkplanung.


Gebaute Kontinuität

Auswärtiges Amt in der ehem. Reichsbank, 1940/1999


D - Berlin
Bauherr: Bundesrepublik Deutschland
Architekt: Hans Kollhoff/Helga Timmermann

Das Gebäude der ehemaligen Reichsbank wurden 1933 bis


1940 von Heinrich Wolff errichtet und gediegen prunkvoll
ausgestattet. Den Zweiten Weltkrieg überstand der Bau in
der Mitte Berlins ohne wesentliche Schäden und wurde von
der DDR neu ausgestattet und weiter genutzt. Nach 1989
Der Weltsaal nach dem Umbau.
wurde der ideologisch motivierte Abbruch erwogen, bevor
die Entscheidung für den Ausbau zum Auswärtigen Amt
fiel. Die Planung respektiert die Grundstrukturen des
Hauses, reduziert die Nutzungsphase der DDR weitgehend
und knüpft mit einer konservativ-gediegenen Ausstattung
in hoher handwerklicher Qualität an die Gestaltung des
Ursprungsbaus an, ohne sie doch im mindesten zu imitie-
ren. Die Weiterentwicklung des Bestands im Geiste der
Gegenwart leitet den Entwurf.

Die Poströntgenstelle als


Ergänzungsbau im Innenhof.

Grundriß der
Gesamtanlage.
Das Foyer.

Die Eingangshalle der Die Eingangshalle der DDR 1989. Die Eingangshalle der
Nationalsozialisten 1945. Bundesrepublik Deutschland 2000.
Typologien muss durchaus nicht heimattü-
melnd sein, sondern kann auch eine
Grammatik vorgeben, aus der eine neue
Architektur entsteht. Der Rückgriff auf und
die Fortführung von Traditionen haben
zudem den Vorteil, dass sie sich harmo-
nisch mit dem Bestand verbinden und
keine baukonstruktiven oder bauphysikali-
schen Brüche erzeugen. Darüber hinaus
stärken sie regionales Selbstbewusstsein
und können ganze Branchenzweige neu
beleben, wie beispielsweise die Vorarl-
berger, die Graubündner oder die norwegi-
Der Sainsbury Wing der National Gallery in London
sche Architekturschulen der achtziger und setzt die Architektur des Vorgefundenen fort und inter-
neunziger Jahre bewiesen haben. Diese Art pretiert sie zugleich neu (Robert Venturi, 1991).
von Anpassung kann sich durchaus weit
von ihrem Vorbild lösen, indem sie nur ausgewählte Aspekte übernimmt.
Die Anpassung birgt allerdings auch Risiken. Der Glaube, neue Bauteile
könnten vollständig mit dem Originalbestand übereinstimmen und durch
die Anpassung sei die Qualität automatisch garantiert, muss fehl gehen.
Die allzu genaue Übernahme kann auch in Geschichtsfälschung oder in
eine gestalterische Leere münden. Auf der anderen Seite kann ein allzu
beliebiger Anknüpfungspunkt ebenso inhaltsleer wirken. Gerade bei der
Anpassung besteht die Kunst im Abwägen und darin, die modernen Mittel
einfallsreich zu verwenden.

Vereinheitlichung
Ein historisch gewachsenes und verändertes Gebäude ist fast immer viel-
fältig und oft auch höchst uneinheitlich. Mancher Architekt und Bauherr
schätzt gerade diese Eigenschaft und macht sie zum Ausgangspunkt des
Entwurfs. Die forcierte Präsentation oft tatsächlich nichts sagender bauge-
schichtlicher Fragmente hat aber in den zurückliegenden Jahren auch zum
Überdruss an der Vorführung gewachsener Vielfalt geführt und eine
Gegenbewegung hervorgerufen, welche die Spuren unterschiedlicher
Epochen in den Hintergrund drängen und das Gesamtwerk als formal ein-
heitliches Gesamtwerk präsentieren möchte. Ähnlich wurden in den sieb-
ziger Jahren viele spielerische und farbenfrohe Experimente der fünfziger

141
zugunsten eines kubischen und einheitli-
chen Eindrucks neu verputzt und in gedeck-
ten Farben gestrichen. Immer dann, wenn
der Zeitgeist die großen Formen und
Gesten schätzt, wird der Baubestand durch
eine gestalterische Zusammenfassung
in Farbe oder Material vereinheitlicht. Die
farbige Fassung von tatsächlich stark verän-
derten und in ihrer Stofflichkeit sehr ver-
schiedenartigen Wänden durch einen
zusammenhängenden Anstrich oder eine
Lasur gleicher Farbe ist ebenso eine
Möglichkeit wie die durchgängige Ver-
kleidung der vorgefundenen Raumschale
mit einer neuen Wandschicht. Hinter dieser
Schicht bleibt der Bestand unverändert und
ohne zusätzliche Investition erhalten. Das
Neue gehorcht seinen eigenen Gesetzen.
Gestalterisch, konstruktiv und konserva-
torisch hat diese Lösung viele Vorteile. Ob
Der Traumbaum-Kindergarten in Berlin erhielt durch
den phantasievollen Einbau ein vollständig neues die neue Schicht eine schlichte Gips-
Gesicht (Baupiloten, 2003). kartonwand oder ein aufwändig gestaltetes
Kunstwerk ist, bleibt im Innenraum wie bei
der Überarbeitung der Fassade dem gestalterischen Vermögen des Ent-
werfers überlassen. Die gestalterische Vereinheitlichung bietet sich überall
dort an, wo der Lauf der Geschichte einen mäßig bedeutenden Baubestand
durch Zu- und Umbauten zu einem gestalterisch beliebigen Durch-
einander hat werden lassen. Hier muss man sich hüten, auf die gewachse-
ne Vielfalt mit der gleichen Vielfalt planerischer Mittel zu reagieren.
Die Umfassadierung historischer Bauten hat die Architekten zu allen
Zeiten besonders intensiv beschäftigt. Das Gesicht des Hauses wurde und
wird auch dann umgestaltet, wenn sich im Inneren nur wenig ändert.
Waren in historischer Zeit die Neuordnung der unregelmäßig aus der
Fläche geschnittenen Fenster und eine übergreifende gesamtheitliche
Fassadengliederung das wesentliche Anliegen solcher Maßnahmen, so ist
heute neben der Steigerung der Energieeffizienz vor allem die klare und
individuelle Wahrnehmung und eine zeitgemäße Gesamterscheinung das

142
Bauziel. Und wieder ist es die Anordnung
der Fenster – symmetrisch oder bewusst
frei komponiert –, welche die weitesten
Gestaltungsspielräume eröffnet.
Wo die Vereinheitlichung unterschiedlich
gewachsener Bauten durch die bloße
Umgestaltung der Fassade nicht zum Ziel
führt, erreicht die bauliche Zusammen-
fassung mehrerer Bauten durch vollkom-
men neu errichtete Fassaden oder alle
Bauteile übergreifende Dächer dieses Ziel.
Die alten Strukturen verschwinden vollstän-
dig hinter den neuen Bauteilen. Hier kön-
nen sie vom Grundsatz her ohne wesentliche
Änderung weiter genutzt werden. Durch die
Neuordnung entstehen in aller Regel zugleich
neue Räume, welche die Funktionalität des
Gebäudes – besonders im Bereich der
Erschließung – verbessern können.
Neben der formalen Vereinheitlichung
Das Haus der Presse von Wolfgang Hänsch (1961) in
eines Gebäudekomplexes ist auch die Dresden. Einst ein Avantgardebau der DDR, jetzt mit
Rekonstruktion eines historischen bedruckten Glasplatten umfassadiert
(Martin Seelinger, 2003).
Zustands, den das Bauwerk in seiner Ge-
schichte durchlebt hat, ohne Zweifel eine Vereinheitlichung. Die
Rekonstruktion eines älteren, häufig des ersten, für ursprünglich gehaltenen
Erscheinungsbildes ist deswegen beliebt, weil sie dem Bauwerk einen hohen
Wiedererkennungs- und Sympathiewert verleiht. Ein solches Bauziel ist
leicht benennbar, führt zu deutlich sichtbaren Ergebnissen und erfreut sich
für gewöhnlich hoher Anerkennung in der Öffentlichkeit. Manche Rekon-
struktionen werden sogar mit Unterstützung der Denkmalpflege durchge-
führt. Ziel solcher Rekonstruktionen ist im städtebaulichen Maßstab die his-
torisierende Wiederherstellung von „beeinträchtigten“ Stadtbildern und in
der Beschäftigung mit dem Einzelbauwerk die Reproduktion des Verlorenen
oder die Glättung von gestalterischen Brüchen.
Alle diese Entscheidungen beseitigen die vielfältigen, oft gewiss auch
schmerzlichen historischen Schichten und erzeugen durch die Rekon-
struktion ein Kunstprodukt, das so tut, als hätte es nie eine Entwicklung

143
gegeben und als sei die Zeit still gestanden. In beiden Fällen wird ein erfah-
rener Baumeister gebraucht, der sich den historischen Vorgaben unterord-
net, kein kreativ planender Architekt. In der Auseinandersetzung mit die-
ser Art von vereinheitlichender Rekonstruktion zeigt sich der Konflikt zwi-
schen dem auf einen einzelnen historischen Moment und eine einzige
Leistung gerichteten Interesse auf der einen Seite und der Betrachtung von
Entwicklungen und geschichtlicher Abfolge auf der anderen. Architektur
bezeugt durch ihre oft erstaunlich lange Lebensdauer und Wandlungs-
fähigkeit beides. Ihre Botschaft liegt in ihrer Bildwirkung ebenso wie in der
Bausubstanz. Die Rekonstruktion beachtet nur noch die Momentauf-
nahme, das einheitliche und ästhetisch geschlossene Bild und gerät
dadurch allzu oft in Konflikt mit der veränderlichen Wirklichkeit.

Fragmentierung
Seitdem Carlo Scarpa mit seiner genialischen Inszenierung des Muse-
ums Castelvecchio in Verona im Jahr 1964 das gestalterische Potenzial des
bauhistorischen Befunds thematisiert hat, ist die bewusste Fragmentierung
und Sezierung des Bauwerks in seine gewachsenen Einzelelemente eine,
über lange Zeit sicher die wichtigste Möglichkeit, das Historische ganz
bewusst zum Thema des Entwurfs zu machen. Die historische Analyse für
die architektonische Gestaltung nutzbar zu
Das Café Silberstein in Berlin. Die Wandmalerei der
zwanziger Jahre ist freigelegt und im übrigen unverän- machen kann einen Entwurf mit Bedeutung
dert belassen. Der Raumeindruck lebt aus dem aufladen, zur Entwicklung ganz individuel-
Kontrast zwischen Alt und Neu.
ler Lösungsansätze führen und ein vielfälti-
ges Bezugssystem bilden. Die tatsächliche
Zerlegung des Baubestands ist ein beliebter
Ausgangspunkt für einen Entwurf, der das
Fragmentarische thematisiert. Manchmal
reicht es in diesem Sinne schon aus, die
letzte Schicht aus Tapeten und Fassungen
zu entfernen, um dem Betrachter ein Fens-
ter in die Geschichte zu öffnen. Meist findet
man auf der verputzten Wand die Reste aller
jener Wandgestaltungen, die vor dem
Zeitalter der Raufasertapete geläufig waren:
Schablonen- und Wickelmuster, gemalte
Holzpaneele oder Wandfelder – alles durch

144
jüngere Installationen beschädigt oder gar zerstört. Und gerade dieser
Zustand fasziniert die Menschen offensichtlich. Im Ladenbau und in der
Gaststätteneinrichtung hat diese Art des Sich-interessant-Machens in den
zurückliegenden Jahren eine Beliebtheit gewonnen, die nachgerade
unheimlich ist. Die konkrete inhaltliche Botschaft solcher Präsentationen
geht in aller Regel über das Ausrufezeichen „Ich bin hier!“ nicht hinaus,
weil eine bewusste Aufbereitung der Bedeutung des fragmentierten
Befunds fehlt–und wohl auch nicht wirklich interessiert.
Wo die Suche unter den Tapeten zu nichts Vorzeigbarem führt, fällt oft der
Putz. Zum Vorschein kommt die rohe Wand aus Backstein, Beton oder
Naturstein, die fast immer die deutlich lesbaren Spuren von Umbauten
und Veränderungen zeigt. Was man dann freilich lesen kann, ist eine andere
Frage. Obwohl der Aufwand immer erheblich ist, die sandenden Fugen
einer freigelegten Wand rieselfrei zu machen, die so niemals zu sehen sein
sollte, sind solche Einblicke in den Rohbau über Jahrzehnte eine Attraktion
geblieben. Die Werke von Scarpa, Carmassi oder Canali, und nach ihnen
seit den neunziger Jahren einer Vielzahl weiterer Architekten, ist ohne
dieses Gestaltungsinstrument nicht denkbar. Vor allem Massimo Carmassi
ist hier ein Meister, aus dem willkürlich zurückgebliebenen Rohbau-
Durcheinander ein spannungsvolles Nebeneinander von zerbrochenem
Fragment, delikat gestalteter Oberfläche und kunstvoll entworfenem Neu-

Das alte Bauernhaus in Lans wird durch entschiedene Eingriffe neu inszeniert
(Martin Scharfetter, 2004).

145
bau und Neueinrichtung zu gestalten. Es kommt hier nicht darauf an, dass
sich die dem Betrachter darbietende Situation irgendwie inhaltlich erklärt,
sondern auf das Staunen, welche Überraschungen das alte Haus bietet und
welcher Abstand zwischen dem fertigen „Heute“ und dem gebrochenen
„Früher“ besteht. Dieser Abstand ist aus nahe liegenden Gründen nur wahr-
nehmbar, wenn immer und überall beides nebeneinander zu finden ist. Die
bildreiche Gesamtlösung wird folglich notwendigerweise mit großer
Unruhe im Detail erkauft.
Es versteht sich von selbst, dass der so angestrebte Effekt um so deutlicher
wird, je größer der Unterschied ist. Die Vielfalt des historischen Gebäudes
in Material, Oberfläche und Farbe ist in der Regel schon für sich genommen
interessant. Wo der Entwurf Neues hinzufügt – als Baukörper, Bauteil oder
Element –, soll sich die Fortschreibung deswegen ganz bewusst vom Bestand
absetzen. Ist der alte Putz rau, muss der neue glatt sein; ist die alte Treppe
aus Holz, muss die neue aus Stahl gebaut werden. Ist das Neue fertig und
funktionstauglich, so muss das Alte zerbrochen und gleichsam verbraucht
und ungenügend erscheinen. Damit läuft diese Haltung häufig – bewusst
oder unbewusst – auf eine faktische Abwertung des Alten im Vergleich zum
Neuen hinaus. Folgerichtig bleibt in vielen solchen Entwürfen vom einst
vollständig erhaltenen Altbau nur noch ein einzelnes pittoreskes Vorzeige-
stück übrig. Der ursprüngliche Ausgangspunkt, das Gebäude als wertvoll zu
zeigen, schlägt ins Gegenteil um. Das Interesse der Inszenierung gilt in
Wirklichkeit nicht dem alten Gebäude als integralem Ganzem, sondern sei-
ner verblassenden Erinnerung. Die Haltung unterstellt zugleich, dass das
Alte nicht genügend Eigenwert aus sich selbst heraus hat, so dass erst die
Umwertung und deren Integration in einen ganz anderen Entwurf zu einem
interessanten Gesamtbild wird. Auch die renommiertesten Vertreter dieser
Richtung haben mit der Fragmentierung des alten Bauwerks im übrigen
nicht als Denkmalpfleger gedacht oder gehandelt. Im Gegenteil: Dem kon-
sequenten Denkmalpfleger müssen in Castelvecchio ebenso wie im
Diözesanmuseum in Eichstätt die Haare zu Berge stehen, wenn er die will-
kürlichen und rigorosen Eingriffe in den intakten Bestand sieht. Vom ehr-
würdigen Schlossgebäude in Verona blieben nicht viel mehr als die
Außenmauern übrig und die schadensfreie und durchaus taugliche
Holzkonstruktion der Diözesanscheune in Eichstätt hätte ohne jeden
Zweifel auch so, wie Karljosef Schattner sie vorgefunden hat, ganz ausge-
zeichnet als Museum dienen können – die kunstreiche Unterspannung der

146
abgesägten Pfosten ist eine gestalterische, keine funktional erforderliche
Entscheidung gewesen. Auf die Analyse stützt sich auch das didaktische
Gestalten, das den Wert der Bausubstanz und ihre historischen Bezüge
und die Bedeutung der Zeit vermitteln will, indem es die Geschichtsspuren
ganz systematisch erfasst und zum Leitthema des neuen Entwurfes macht.
Die Aussicht, hier das Individuelle des historischen Gebäudes lesbar zu
machen und so dem Bauwerk eine sichtbare, zugleich historische und sozia-
le Dimension zu geben, ist höchst verlockend: Viele Bauherren kaufen alte
Häuser genau aus diesem Grunde. Und der Aufwand dafür ist oft niedrig.
Als funktionslose Dekoration haben interessante Baubefunde vielfach schon
die „Kunst am Bau“ verdrängt und erfreuen sich in der Öffentlichkeit allge-
mein großer Beliebtheit. Als Fenster in die Geschichte sind Baubefunde –
sichtbar belassen oder zur gelegentlichen Präsentation versteckt – ein
Anziehungspunkt nicht nur für Touristenführungen, sondern auch und vor
allem für die Nutzer. Als restauratorisches Präparat befriedigen Baubefunde
zugleich die Sehnsucht nach einer unbewusst verherrlichten Geschichte
und einer originellen Raumgestaltung. Und was in der Inszenierung der
Rohbaubefunde den Beifall der Öffentlichkeit fand, lässt sich in bewährter
Weise auch auf der verputzten Wand fortsetzen.
Im Fassadenbereich haben insbesondere polnische Restauratoren schon
in den sechziger Jahren das bauarchäologische Präparat zur gestalteri-
schen Leitidee erhoben und damit den forschenden Blick in die Haus-
geschichte nobilitiert. Auch wenn man diese forcierte Strategie heute
sicher mit einiger Skepsis betrachten muss, so steht doch außer Zweifel,
dass bauarchäologische Befunde in der Fassade, dezent und maßvoll ein-

Unter dem Putz des Hauses in Spandau verbergen sich Die Geschichte des Hauses Koberg 2 in Lübeck ver-
zahlreiche Baubefunde aus spätmittelalterlicher Zeit. schwindet hinter einer Klappe. Interessierte gibt es immer.

147
Bewusste Verfremdung: Über dem römischen Mosaik Die alten Dachplatten der Pfarrkirche St. Valentien
windet sich die moderne Treppe im Franziskanerkloster am Forst werden in künstlerisch gestaltender Weise auf
Porec nach oben. Die durchgebrochene Bruchstein- dem Erweiterungsflügel neu verlegt, um den Zusam-
wand ist schwarz gestrichen. menhang zwischen Alt und Neu zu dokumentieren
(Reinhard Gieselmann, 1992).

gesetzt, in der Öffentlichkeit einen hohen


Sympathiewert besitzen.
Eine weitere Spielart der fragmentierenden
Inszenierung ist die bewusste Verfrem-
dung. Der vorgefundene Bestand bleibt in
seiner materiellen Substanz erhalten, wird
aber durch eine provozierende Behandlung
der Oberfläche oder des baulichen Zusam-
menhangs so sehr in seiner Botschaft verän-
dert, dass daraus eine neue Qualität ent-
steht. Über die kontrastreiche Gestaltung
hinaus erreicht man durch eine bewusste
Veränderung des Grundmusters die forma-
le Differenzierung von verschiedenen
Der Ratssaal in Perchtoldsdorf bewahrt oben seine
historische Gestaltung und wird unten durch moderne Bauphasen und dem Neuen, die dann den
Einbauten und modernes Mobiliar charakterisiert Wandel ausdrückt. Die Fragmentierung
(Hans Hollein, 1976).
erweist in dieser Widersprüchlichkeit einer
Gesellschaft Reverenz, welche ihr geschlosse-
nes Weltbild verloren hat und – wie im

148
Chaos im Rathaus

Rathausumbau und -erweiterung, 1999


NL-Utrecht
Bauherr: Stadt Utrecht
Architekt: Enric Miralles
Gesamtansicht nach dem Umbau.
Das Rathaus von Utrecht hat tief in das Mittelalter zurück-
reichende Wurzeln und eine vielfältige Baugeschichte. Die
Erweiterung der Verwaltung in die benachbarten Häuser
hinein machte eine funktionale Neuorganisation erforder-
lich. Grundlage war die ausführliche Substanzuntersuchung.
Ein neuer Ratssaal wurde im Obergeschoss des Altbaus
geschaffen, die Erschließung vollständig neu geordnet.
Das Entwurfskonzept lebt vom inszenierten Kontrast und
der immer wieder neu gestalteten Überraschung. Das gilt
für den weitgehenden Abbruch und fragmentarischen Neu-
aufbau des Nordflügels ebenso wie für das Foyer und die
Das Foyer mit wie zufällig über die
Sitzungsräume. Material, Farbe, Gestaltung und Innen- Wände verstreuten Bildern.
architektur bilden immer wieder den gewollten und be-
wussten Gegensatz zu dem vorgefundenen Alten.

Im Besprechungsraum werden die


Reste der historischen Aus-
stattungen mit scheinbar regellos
angeordneten modernen
Elementen konfrontiert.

Bauphasenplan als Grundlage des


Umbauprojekts.
Vortragsraum im Monumentalbau

Ausbau der Arkaden der Nuevos Ministerios, 1940/2004


E-Madrid
Bauherr: Ministerio de la Vivienda
Architekt: Jesús Aparicio Guisado und Héctor Fernández-
Elorza

Der im Monumentalstil der Franco-Zeit errichtete Ministe-


riumsbau sollte in dem eingeschossigen Galeriebau einen
vielfältig nutzbaren Vortragsraum erhalten. Das Projekt ver-
sucht, den vorgefundenen Bestand zu respektieren und
dem in seiner Architekturhaltung nicht unproblematischen
Bau eine eigenständige moderne Lösung entgegen zu stel-
Der Vortragssaal als neuer Bauteil
zwischen den alten Wänden. len. Die Neubauteile lösen sich vom Bestand und unter-
scheiden sich vom unregelmäßigen Alten durch glatte
Oberflächen und bewusst gesetzte Fugen. Der Raum zwi-
schen Bestand und Einbau wird zugleich als Installations-
schacht und Klimadämpfer genutzt. So ergänzen sich tech-
nische Anforderungen und gestalterisches Konzept.

Gesamtansicht des Baus von 1940.

Der neue Eingang löst sich vom Der glatte Neubau kontrastiert mit System-Längsschnitt mit
monumentalen Bestand. dem Altbestand. Scherenbühne und
Projektionskanzel.
Dekonstruktivismus – ein reflektiertes Bewusstsein der Splitterhaftigkeit und
Zufälligkeit der Welt an dessen Stelle setzt. Auch das ironische „Fälschen“ von
Befunden, wie die „Freilegungen“ Karljosef Schattners im Ulmer Hof gehö-
ren hierher. Sie zeigen die Flexibilität der Verfremdung, mit der sich die
unterschiedlichsten Stimmungslagen verbildlichen lassen.
Manche Entwerfer gefallen sich in der spielerischen Faltung alter und neuer
Schichten, um ein kompliziertes Abbild der Wirklichkeit in Architektur aus-
zudrücken. Ein wirkungsvolles Vexierspiel ist das Vertauschen von Außen
und Innen. Was sich bei vielen Erweiterungen von selbst ergibt und damit das
Wachsen eines Hauses verdeutlicht, wird beispielsweise im Frankfurter
Architekturmuseum von Oswald Mathias Ungers zu einem tiefen Nach-
denken über die Architektur selbst.

Fügung
Die Fügung bestimmt, ob im Verhältnis zwischen dem Alten und dem
Neuen der Altbestand als tragend oder getragen wahrgenommen wird.
Durch die Fügung wird die eigene Haltung zum Bestand und zur
Geschichtlichkeit der Architektur direkt lesbar ausgedrückt. Hier entschei-
det sich, ob die Integration gelang, der Ton getroffen wurde, oder ob ein
Bezug missverständlich und eine Anspielung hohl geraten ist. Grund-
sätzlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der Gesamtentwurf
um so überzeugender sein wird, je mehr die für die Fügung von Altem und
Neuem angewendeten Grundsätze sich in der Gestaltung der beiden Bau-
teile selbst wieder finden lassen. Weder Schattenfugen noch Material-
wechsel sind Gestaltungsvarianten, die wahlweise nur für den Altbau oder
den Neubau in Betracht gezogen werden können.
Das gilt im Großen in der Gebäudekomposition, wenn beispielsweise zwi-
schen den Altbau und die Erweiterung bewusst ein vermittelnder, funktio-
nal meist nicht zwingender Zwischenbau eingefügt wird, wie im Kleinen,
wenn verschiedenartige Materialien mit der berühmten Schattenfuge aufei-
nander stoßen. Die Konstruktionsfuge als solche ist selbstverständlich
unverzichtbar. Neue Bauteile arbeiten anders als die zur Ruhe gekomme-
nen alten. Und doch macht es einen erheblichen Unterschied, ob man das
Aufeinandertreffen der verschiedenen Zeiten bewusst inszeniert oder still-
schweigend geschehen lässt.
Die Fuge ist damit in fast allen Entwürfen im Bestand der bildhafte
Ausdruck für die Bipolarität zwischen Alt und Neu, stellt den gleichsam

151
unüberbrückbaren Graben zwischen Ver-
gangenheit und Gegenwart dar. In dieser
Funktion verlangt die Gestaltung der Fuge
besondere Aufmerksamkeit und eine hohe
gestalterische Qualität.
Was für den Umgang mit dem alten Bestand
gilt, ist auch für die Komposition von
Ergänzungs- und Erweiterungsbauten mit
älteren Bauteilen tragfähig. Kontrast und
Inszenierung sind auch dort ein gängiges
Gestaltungskonzept, wo es nicht um die
konkreten materiellen Spuren des geschicht-
lichen Gewachsenseins geht. Ist der Altbau
vielfältig und geschmückt, wird ein schlich-
ter und schmuckloser Neubau angefügt. Wo
der Altbau groß ist, duckt sich der Neubau
dahinter – oder überragt ihn ganz bewusst.
Wenn das alte Haus ein geneigtes Dach hat,
erhält die Erweiterung ein Flachdach; ist das
vorgefundene Haus in Fachwerkbauweise
Der umfangreiche Neubau des Teyler-Museums in
Haarlem ist mit dem Altbau durch einen schmalen errichtet, wird die Erweiterung in Naturstein
Glaskorridor verbunden, der nur punktuell an den oder Sichtbeton gebaut – und so fort.
Bestand anbindet (Hubert-Jan Henket, 1994).
Die Trennlinie zwischen zwei Bauteilen
unterschiedlicher Entstehungszeit wird von
sehr vielen Architekten durch die auch optisch gut wahrnehmbare Glasfuge
betont. Wo vergangene Zeiten, die Glas in unserem Sinne technisch noch
nicht kannten, die Mauerwerke verschiedener Bauteile mühsam verzahnten,
wird der Übergang heute auf eine – nach Möglichkeit sogar rahmenlos ein-
gestellte – Verglasung reduziert. Die durchsichtige Fuge zeigt dem
Betrachter den historischen Vorgang der Erweiterung und des Wachsens;
technisch kann der Glasstreifen zugleich alle Fragen der thermischen
Dehnung lösen. Wo im Innenraum ein Klimaabschluss zwischen Alt und
Neu nicht erforderlich ist, reicht vielen Entwerfern auch der einfache
Rücksprung oder die reine Lücke als Darstellung des Übergangs und
Vermittlung zwischen Altem und Neuem aus.
Wo das nicht geht, ist das scheinbar materielose Glas für diese Absicht
ohne Zweifel der am besten geeignete Baustoff. Glas zwingt nicht zur

152
Die neue Erschließung des Pfarrzentrums Klingenmünster setzt sich formal bewusst vom historischen Bestand ab
und löst den Übergang durch eine Glasfuge (Auer/Cramer/Frotscher, 1995).

Stellungnahme oder gestalterischen Positionierung. Den gestalterischen


Zweck erreicht man aber auch mit dem Wechsel zu einem anderen Material
oder dem bewussten Unterschied der Oberflächengestaltung. Der hand-
werklich aufgebrachte Putz des alten Gebäudes ist sicherlich uneben und
rau. Davon hebt sich ein sauber verdichteter Sichtbeton ebenso deutlich ab
wie ein gestrichenes Metall oder eine geschliffene Holzoberfläche. Selbst
der Wechsel von einem Rauputz zu Glattputz verdeutlicht, wo die beiden
Bauteile aneinander stoßen.
In der Denkmalpflege wird seit vielen Jahren die Ergänzung vom Original-
zustand dadurch unterschieden, dass der neue Mörtel farbig eingefärbt
wird. Darüber hinaus wird in der Tradition italienischer Restaurierungs-
theorie der Ergänzungsputz „sotto livello“, also etwas weniger stark und
damit unterhalb des Originalputzniveaus eingebaut. Solche Niveauunter-
schiede haben sich auch in der Architektur bewährt. Die einfache und
formgleiche Fortführung der vorgefundenen Fluchten und Oberflächen
gelingt nur selten mit befriedigendem Ergebnis. Entschiedene Vor- oder
Rücksprünge, Überkragungen und die versetzte Anordnung neu angefüg-
ter Baukörper führen in der Regel zu besseren Resultaten.

153
Organisierte Übergänge

The British Museum, Queen Elizabeth II Great Court, 2003


GB-London
Bauherr: The British Museum
Architekt: Sir Norman Foster

Übersichtsphoto der Gesamtsituation. Die Einbeziehung des Lichthofes in den Museumsrund-


gang mit einer zusätzlichen Besucherebene, Treppenauf-
gängen und dem Glasdach konfrontiert den vorgefundenen
Bestand immer wieder mit Neubauteilen. Diese Fügungen
sind nie zufälliges Ergebnis von bautechnischen Erforder-
nissen, sondern folgen immer einem einheitlichen Gestal-
tungskonzept: Die Fuge wird bewusst organisiert, sei es als
Glasbrücke zwischen dem Altbau und der Rotunde, sei es
als Glasband zwischen zusätzlicher Decke und Altbau, sei
es als metallgefasste Fuge zwischen Baukörper und Treppe.
Sie wird am Altbau genauso eingesetzt wie in der
Neugestaltung. Selbstverständlich ist auch das Glasdach auf
Abstand gesetzt: Das Entwurfsprinzip wird durchgängig
angewendet.

Die Besucherebene ist mit einer


Glasfuge an den Altbau ange-
schlossen.

Der neue Boden hält durch eine


kleine Fuge Abstand zum
Altbestand.

Die Glasbrücke verbindet die Rotunde mit den


Ausstellungsräumen.
Die Schattenfuge gehört seit alters her zu
den bewährten architektonischen Gestal-
tungsmitteln. Es versteht sich von selbst,
dass diese Möglichkeit auch und gerade in
der Fügung zeitlich unterschiedlicher
Bauteile eine besondere Rolle hat. Keine
andere Lösung trennt so klar und verbindet
doch gleichzeitig so selbstverständlich.
Die Inszenierung der Fuge wird dort frag-
würdig, wo der gestalterische Aufwand in
ein Missverhältnis zum baulichen Anlass
gerät: wo ein kleiner Anbau mit einer enor-
men Fuge mit einem Einfamilienhaus ver-
bunden wird oder die Glasfuge nur zu
einem belanglosen Bauteil überleitet. Aus
einer zukünftigen Perspektive werden diese
aufwändig gestalteten Fugen auch deshalb
übertrieben wirken, weil durch die Alterung
Der Neubau der Sackler Galleries der Royal Academy
und weitere Veränderungen das einstmals of Arts in London läuft mit einer Glasfuge im Fußbo-
Neue schließlich zu dem nur noch ver- den an das alte Gebäude an. Die Fassade bleibt in
ihrem Zusammenhang lesbar (Norman Foster, 1991).
gleichsweise etwas weniger Alten wird.
Selbstverständlich braucht auch die Durch-
dringung dort, wo der Altbau mit dem Neubauteil zusammentrifft, eine
Fuge. Sie wird hier aber nicht zum gestalterischen Hauptthema, sondern zur
dienenden konstruktiven Lösung. Die Durchdringung hat schon aus dem
Konzept heraus etwas Aneignendes und alle Entwürfe, die sich dieser
Möglichkeit bedienen, stellen diese Absicht auch deutlich heraus. Sofern der
Aneignung etwas Zerstörendes eignet, ist die Nähe zur Fragmentierung
nicht zu übersehen. Handelt es sich dort aber um eine eher situationsbezo-
gene Inszenierung des Einzelbefunds, so führt die Durchdringung zur
bewussten Verfremdung des vorgefundenen Konzepts. Der Gegensatz in
Material und Form wird dann gleichsam zur Pflicht und das Bild der
Veränderung, welches das Fragment dem Betrachter bietet, wird hier zu
deren lesbarem Prozess.
Absichtsvoll wird die Verfremdung dort eingesetzt, wo sich die Gegenwart
bewusst von der Vergangenheit absetzen will. Die Brechung der monoli-
thischen Konstruktionen der nationalsozialistischen Bauwerke durch kon-

155
Pfahl im Fleisch der NS-Architektur

Dokumentationszentrum ehem. Reichsparteitagsgelände,


2001
D-Nürnberg
Bauherr: Stadt Nürnberg
Architekt: Günther Domenig

Das Kongressgebäude auf dem ehemaligen Reichspartei-


tagsgelände in Nürnberg blieb nach dem Zweiten Weltkrieg
über Jahrzehnte eine Bauruine. Das Ende der neunziger
Jahre geschaffene Dokumentationszentrum thematisiert
die Widersprüchlichkeit des ideologisch belasteten Ortes
Gesamtansicht mit Eingangssituation.
durch eine exakt konstruierte, gleichzeitig auch bizarre
Konstruktion, die den Bestand diagonal zerschneidet. Das
Artifizielle des Neubaus kontrastiert mit dem unfertigen
Bau der Nationalsozialisten. Brüche sind gewollt und wer-
Axonometrie der Gesamtanlage den überspitzt.
mit den Neubauteilen.

Durchdringung von Altbau und


Neubauteil im Innenraum.

Querschnitt durch den Neubauteil.


trastreiche und brutal einschneidende
Durchdringungen scheint erst die politisch
korrekte Weiternutzung möglich zu
machen. Auch die sich über Jahre hinzie-
hende buchstäbliche Zerlegung des Palastes
der Republik in Berlin gehört in einen ähn-
lichen Zusammenhang. Der gestalterische
Beitrag bestand hier in der inszenierten De-
montage als Gegenbild zur plötzlichen
Sprengung des Stadtschlosses. Wenn die
architektonische Inszenierung ihren Ur-
sprung im Theater hat, so ist der architekto-
nische Event ihre konsequente Weiterent-
Die Oberfläche der ergänzten Mauerwerkspartien
wicklung. Zu der formalen Fragmenthaftig- bleibt ein wenig hinter dem Originalbestand zurück
keit kommt damit eine zeitliche hinzu, die („sotto livello”) und dokumentiert so für den
Betrachter augenscheinlich den Unterschied von
dem Wesen der Architektur lange Jahrhun- Original und Ergänzung und damit den Zeitablauf.
derte fremd war.

Literaturhinweise
Eine zusammenhängende Entwurfslehre für die Architektur im Bestand gab es bisher
nicht. Zuletzt haben Brooker/Stone eine stark auf das Ästhetische gegründete
Darstellung vorgelegt und Linhardt mit seiner Darstellung für den Umbau von
Wohnhäusern Teilaspekte bearbeitet. Die Bedeutung des Themas haben vor allem jene zahl-
reichen Autoren unterstrichen, die in den zurückliegenden Jahren immer wieder unter-
schiedlich umfangreiche Beispielsammlungen (Herbers, Lerch, Powell, Schittich,
Schleifer, Simon) vorgelegt haben, welche teilweise mit umfangreichen Einführungs-
essays zur allgemeinen Bedeutung des Themas und den gesamtgesellschaftlichen Vor-
aussetzungen beginnen (Mastropietro, Spital-Frenking, Thiébaut, Walz). Die
Wüstenrot Stiftung hat mit ihren beiden Gestaltungswettbewerben der Jahre 1999 und
2006 das Feld erstmals systematisch bearbeitet und die Ergebnisse um grundsätzliche
Essays vermehrt in gedruckter Form vorgelegt.
Zum Thema „Umbau“ haben Gutschow/Zippel schon 1932 eine grundsätzliche
Betrachtung vorgelegt, die freilich keine Folgewirkung zeitigte. Meyer-Bohe hat den
Komplex der Erweiterungen behandelt. Hoesli und die Smithsons haben ihre Überlegun-
gen an abgelegener Stelle publiziert.

157
AUSFÜHRUNGSPLANUNG

Questa immagine di memoria conservata, da proteggere è per me la misura di riferimento.*


Andrea Bruno
Ein großartiger Neubauentwurf mag durch ein überzeugendes Gesamt-
konzept einzelne Schwächen in der Ausführungsplanung überdecken. Im
Bestand ist es dagegen gerade die Detail- und Werkplanung, die das
Gesamtergebnis wesentlich bestimmt und charakterisiert. Alle berühmten
Architekten von Karl Friedrich Schinkel bis Carlo Scarpa, von Michelangelo
bis Sir Norman Foster haben das immer wieder eindrucksvoll bewiesen.
Das richtige Maß zwischen notwendiger und gebotener Anpassung und
gewollter eigenständiger Position zu finden, ist eine der großen Heraus-
forderungen im Bestandsentwurf. Hier entscheiden sich Erfolg und
Scheitern und leider ist es allzu oft der Unwillen, sich mit dieser bisweilen
ungeliebten Planungsebene so ausführlich zu beschäftigen, wie es die
Sache fordert, die einen ambitionierten Entwurf ins Mittelmaß zurück-
stößt. Solche Misserfolge lassen sich eigentlich leicht vermeiden, wenn
man eine begrenzte Zahl von Grundsätzen beherzigt, die dem Entwurfs-
prozess und der Bauausführung im Bestand eigen sind.

Voraussetzungen

Aufbauen statt Abbrechen


Historische Baumaterialien haben schon allein dadurch, dass sie viele
Jahrzehnte und Jahrhunderte überdauert haben, ihre Langlebigkeit und
Nachhaltigkeit bewiesen. In aller Regel haben sie auch bewiesen, dass sie
damit den modernen Baustoffen in vielerlei Hinsicht überlegen sind.
Insoweit ist es eine überraschende und verstörende Beobachtung, wenn ein
im Grundsatz intaktes Bauwerk zunächst auf den Rohbauzustand reduziert
wird, um dann mit neuen Baustoffen eben den Zustand wieder herzustel-
len, den man bei Baubeginn bereits vorgefunden hatte.
Hier werden nicht nur volkswirtschaftliche und kulturhistorische Werte
vernichtet, sondern auch Nutzungs- und damit Verwertungschancen verge-
ben, die heute auf dem Immobilienmarkt eine zunehmende Bedeutung
gewinnen. Es sind gerade die Qualitäten des noch handwerklich errichteten
Gebäudes, die viele Eigentümer und Nutzer an dem alten Gebäude schätzen.

*Das sichtbare Bild der schützenswerten Überlieferung ist für mich der Maßstab der Planung.

Bauteilgenaue Reparatur eines Fensters: Nur die wirklich schadhaften Stellen werden bearbeitet. 159
Die Individualität der historischen Sprossenfenster, die Vielfalt der mit
hohem handwerklichem Können gestalteten Fassadenputze oder die
Stuckdekorationen der Gründerzeitzimmer sind heute, wenn man sie in
der Bauphase aufgegeben hat, kaum wieder erreichbar. Das gestalterische
und bautechnische Ergebnis des Entwurfs lebt deswegen auch und gerade
im Detail davon, wie der Architekt es versteht, die vorhandenen Qualitäten
in Wert zu setzen und durch zeitgemäße Zutaten zu ergänzen. Deswegen
gilt auch dann, wenn es mühsam ist, dass die Erhaltung des vorgefundenen
Bestands zunächst einmal Vorrang hat vor dem Abbruch. Dieser muss
nicht nur im Grundsatz, sondern noch viel mehr im Detail sorgfältig abge-
wogen und stets kritisch auf seine Sinnhaftigkeit hinterfragt werden.

Bauteilorientierte Planung
Der Neubauentwurf ist heute ohne Zweifel auch eine Sammlung von viel-
fach wiederholten Systemdetails. Der Entwurf im Bestand soll sich von die-
sem Prinzip keineswegs lösen. Wo neue Elemente und Teile hinzugefügt
werden, wo sich gleiche Anforderungen wiederholen, da muss auch die
Werkplanung durch die Wiederholung von Ausführungsdetails Ruhe in ein
der Tendenz nach möglicherweise formal chaotisches Bauvorhaben bringen.
Jenseits dieser Erkenntnis ist es aber eine unumstößliche Grundregel der
Werkplanung im Bestand, dass die Planung an den vorhandenen Bau ange-
passt wird und nicht der Bau an eine summarische Planung. Scheinbar

Werkplanung für die Verstärkung der Dachkonstruktion im Castelvecchio von Carlo Scarpa, Original M. 1:10.

160
gleichartige Öffnungsmaße beispielsweise
erweisen sich bei genauerem Hinsehen als
unterschiedlich. Daraus folgt, dass auch
eine Serie zunächst als gleich groß empfun-
dener Fenster tatsächlich abweichende, vom
Architekten vorgegebene Maße haben
muss. Sonst überlässt man es dem ausfüh-
renden Betrieb, die kleinste Öffnung
zugrunde zu legen mit der unausweichli-
chen Folge, dass die größeren Öffnungen
klobige Rahmungen haben. Nicht nur in
diesem Fall erweist sich die Hoffnung als
illusorisch, dass man die wenigen Eingriffe
Analytische Bestandszeichnung des Teatro Giuseppe
in den Bestand mit ein paar Systemdetails Verdi in Pisa von Massimo Carmassi.
erledigt. In aller Regel muss man für jedes
Einzelproblem auch eine individuelle Zeichnung herstellen, die nicht nur
die grundsätzliche technische und gestalterische Lösung darstellt, sondern
auch nachweist, wie diese Lösung in der ganz konkreten Situation umge-
setzt werden kann. Die Werkplanung muss deswegen immer auch die
umgebende Bestandssituation mit analysieren und nach Möglichkeit in
drei Dimensionen darstellen.
Jede neue Maßnahme und jedes neue Sparrenreparatur; die zerstörten Hölzer werden
nur so weit zurückgeschnitten und erneuert, wie sie
Bauteil stößt stets irgendwo an den vorhan-
auch tatsächlich schadhaft sind.
denen Bestand an. Dieser Übergang muss
bewusst und systematisch geplant und
gezeichnet werden. Die althergebrachte
Baukonstruktionslehre kannte dafür mit
Deckleisten, Putznuten und vielen anderen
Übergangsdetails zahlreiche Lösungen, die
heute weitgehend in Vergessenheit geraten
sind. Die moderne Architektur bedient sich
häufig eher der Silikonfuge und nur ver-
gleichsweise wenige Architekten haben die-
ser Frage bisher ein bewusstes Augenmerk
geschenkt.
Was für neu eingebaute Teile richtig ist, gilt
genauso für die Instandsetzung. Im Ernst-

161
Gestalterische Aktualität des historischen Befunds

Bibliothek, 1625/1980
D-Eichstätt
Bauherr: Universität Eichstätt
Architekt: Karljosef Schattner

Der um 1625 als Domherrenhof errichtete und 1688 umge-


staltete Ulmer Hof wurde im Zuge des Ausbaus der Uni-
versität Eichstätt als Bibliothek umgenutzt. Der früher offe-
ne Innenhof ist durch eine Überdachung zum Innenraum
geworden. Die historische Dimension der Baugruppe wird
in der Gestaltung der Hoffassade durch ironisierte, stark
vergrößerte und vergröberte „restauratorische Befund-
treppen“ erlebbar, während die tatsächlichen Geschichts-
Der Lesesaal im überdachten
Hofraum. spuren durch eine rigorose Entkernung bis auf wenige
Ausnahmen vollständig getilgt sind.
Das moderne Dach hält zum Die modernen Einbauten unterscheiden sich von dem
Altbestand durch eine hoch- geglätteten Altbestand in Material und Oberfläche. Der
gesetzte Glasfuge Abstand.
Altbau wird vom Neubau durch eine Fuge, im Dachbereich
durch einen breiten und unsichtbaren Glasstreifen
getrennt.

Die flachen Fassaden sind mit


gemalten Gewänden im Stil einer
Bauaufnahme oder restauratori-
schen Befunduntersuchung ironisch
historisiert.

Grundriss der verschachtelten


Anlage.
fall muss auch für einen zunächst scheinbar unbedeutenden und sehr
begrenzten Schaden eine umfassende Werkplanung erarbeitet werden.
Und natürlich darf man die Festlegung von Art und Ausmaß der Reparatur
so wenig dem ausführenden Betrieb überlassen wie eine architektonisch
oder formal bedeutsame Entscheidung. Auch hier ist eine bauteilgenaue
Ausführungsplanung die einzig zuverlässige Grundlage der Planung.

Planung mit formtreuem Aufmaß


In vielen Situationen ist die bauteilgenaue Planung ohne ein formtreues
Aufmaß unmöglich; meist ist es unwirtschaftlich, einzig auf der Grundlage
von Systemplänen zu arbeiten. Besonders für verformte und unregelmäßi-
ge Bauten ist das exakte Aufmaß die einzig sachgerechte Grundlage einer
zielführenden Werkplanung. Bei schiefen Böden kann schon die Auf-
schlagrichtung einer Tür ein wesentliches Kriterium sein: Plötzlich zwingt
die falsche Entscheidung dazu, die Tür hässlich abzuschneiden. Die nicht
zu Ende gedachte Anweisung, die Unebenheiten der Fußböden durch Auf-
doppelungen auszugleichen, reduziert die Brüstungshöhen der Fenster
unschön oder gar die Geländerhöhen unerwartet vielleicht so entscheidend,
dass die Behörden Einspruch erheben, mit der Folge von unerfreulichen
Nachbesserungen.
Wer Schiefstellungen des Gebäudes nicht kennt oder in der Planung
berücksichtigt, kann besonders bei vertikal durch das Bauwerk geführten
Bauteilen – also etwa Treppen und Lifte, oder Leitungsstränge und
Kamine – schweren Schiffbruch erleiden, wenn unerwartet die tragende alte
Konstruktion dem Neubauteil im Wege ist. Hier hilft nur die bewusst
geplante Schnittführung in der geplanten Trasse oder ein umfassender
3D-Laserscan zur Überprüfung der Ausführbarkeit.
Das formtreue Aufmaß ist unverzichtbar, wenn Reparaturen oder Ver-
änderungen in einem technisch oder historisch komplexen Zusammen-
hang notwendig werden. Hier ist die auch im Plan genau festgehaltene
Maßnahme, die den Umfang und das Vorgehen bei der Bauausführung
definiert, die einzig zuverlässige Grundlage der erfolgreichen Planung. Es
ist gerade der Zusammenhang von technischer Ertüchtigung und der
Bewahrung gestalterischer Werte, der die höchsten Anforderungen an den
Planer stellt und die weitestgehende Planungstiefe verlangt.
Nicht zuletzt muss man sich darüber im Klaren sein, dass ein unregelmä-
ßig gebauter oder gewordener Bau sich der einfachen Einpassung von

163
Werkplanung für die Instand-
setzung und Ergänzung eines teil-
weise zerstörten Naturstein-
gewändes. Grundlage ist die exakte
Bestandsaufnahme mit allen
Befunden einschließlich der Putz-
und Farbbefunde. Nur die bauteil-
genaue Leistungsbeschreibung
sichert den Planungserfolg.
Bestandszeichnung (Original
M. 1:20) der Außenseite,
Werkplanung für die Innenseite
und Fertigzustand.

gewöhnlicherweise exakten und geraden Neubauteilen durch seine Ver-


formungen und seine Schiefheit im Kleinen wie im Großen widersetzt.
Natürlich kann man diesem Problem mit dem formbaren Beton oder der
fügsamen Silikonmasse begegnen. Gute architektonische Lösungen kom-
men damit – jenseits aller denkmalfachlichen Bedenken gegen solche Läss-
lichkeiten – in aller Regel nicht zustande.

Die Besonderheiten des Übergangs von Alt zu Neu müssen durch


bewusst konzipierte Anpassungsdetails von Anbeginn so geplant werden,
dass jede spontane Baustellenlösung und jede aufwändige technische
Sonderlösung sich von selbst erübrigt.

164
Verstellbare Schraubverbindungen, schnell
angepasste Deckleisten oder flexibel zuge-
schnittene Holzklötze sind hier bewährte
Lösungen, die aber für jede Situation neu
überlegt werden wollen.

Grundsätze
Die erfolgreiche Werkplanung im Bestand
muss neben den bewährten Regeln der
Baukunst und Technik nur einige wenige
zusätzliche Grundsätze beachten, die sich
Der Deckenbalken wird durch eine Unterspannung
aus dem Umstand ergeben, dass die meis- verstärkt. Die Lastumlagerung erfolgt über vier
ten Konstruktionen und Materialien bei Schrauben in der unteren Platte.

Baubeginn schon vorgegeben sind. Sich zu


diesen Vorgaben in Gegensatz zu bringen und dem alten Bauwerk ein
vom Bestand losgelöstes Planungssystem implementieren zu wollen,
führt meist zu unübersehbaren Schwierigkeiten, Mehrkosten und
Bauverzögerungen.

Reparieren statt Erneuern


Jedes alte Gebäude weist nach Jahrzehnten der Nutzung und Witterungs-
exposition Verschleißspuren auf. Diese könnten den Planer dazu verleiten,
auch solche Bauteile zu erneuern, die noch durchaus über lange Zeit
gebrauchsfähig sind. Deswegen lohnt sich die Frage fast immer, ob man ein
schadhaftes Bauteil nicht doch reparieren kann. Diese Haltung ist nicht nur
in Zeiten der Nachhaltigkeit angezeigt, sondern sie ist in vielen Fällen auch
die deutlich wirtschaftlichere. Darüber hinaus muss man bedenken, dass
das Vorgefundene in aller Regel Bestandsschutz genießt, während
Neubauteile den schärferen Bestimmungen des aktuellen Baurechts genü-

Die aus der Denkmalpflege bekannten Konservierungsstrategien bewähren sich auch im


„Normalfall“. Oft sind sie billiger als die Erneuerung. Hinterfüllung eines hohlliegenden
Putzes der Zeit um 1900.

165
gen müssen. Nicht nur deswegen ist ein umfassender Umbau meist ziel-
führender als der erklärte Neubau.
Reparatur kann dabei nur handwerkliche Reparatur bedeuten. Damit
ist auch gesagt, dass der Eingriff begrenzt und der Umfang auf das Not-
wendige beschränkt bleiben muss. Die Verwendung der gleichen Werk-
zeuge und der gleichen Baustoffe, die schon die Bauleute in der Ver-
gangenheit benutzt hatten, stellt sicher, dass das Gesamtgefüge homogen
bleibt – eine der Grundvoraussetzungen für eine schadensfreie Bauaus-
führung. Besondere Aufmerksamkeit beansprucht hier die bewusst herbei-
geführte Materialgerechtigkeit der Ergänzungsmaßnahme. Reparatur-
putze etwa müssen fast immer besonders konfektioniert werden, um sich
in Farbe und Struktur der Umgebung anzupassen. Diese Konfektionierung
erfordert in der Regel mehrere Probefelder und sorgfältiges Experimen-
tieren. Beides will im Bauprozess bedacht sein.
Und auch die Wahl des richtigen Mauermörtels zur Ergänzung und
Reparatur eines alten Mauerwerks kann man nicht einfach dem ausführen-
den Betrieb und der DIN-Vorschrift überlassen. Für die Mauerwerksver-
besserung durch Verfüllen und Verpressen vorgefundener Hohlräume ist
die Analyse des vorhandenen Mauermörtels unverzichtbar. Versäumt man
die erforderlichen Untersuchungen, kommt es im schlechtesten Falle zur
Etringit-Bildung (Gipstreiben), die das Mauerwerk auseinander sprengt.
Wo früher ein reiner Kalkmörtel verbaut worden ist, darf man heute nicht
mit einem Zementmörtel weitermachen. Im intakten Mauerwerk lüftet die
stets und notwendig vorhandene Feuchtigkeit vor allem über die Fugen ab.
Werden diese durch nicht diffusionsfähige Materialien – z.B. Zement-
fugen – verschlossen, wird die Feuchte in die angrenzenden Steine gedrückt,
die dadurch zerstört werden. Deswegen ist zementgebundener Mörtel im
historischen Mauerwerk fast immer verfehlt. Ausgewaschene oder zer-
mürbte Fugen zeigen, dass die Härte des Mörtels richtig gewählt wurde.
Man kann und muss den Fugmörtel auch als eine Verschleißschicht
betrachten, die den wertvolleren Stein schützt. So verlangt die Kompatibi-
lität von neu eingebauten Materialien mit dem Bestand besonderes Augen-
merk. Die lange Reihe von Sanierungen, die auf unzureichender Daten-
basis ausgeführt wurden und in der Folge ergebnislos waren oder sogar zu
weiteren Schäden geführt haben, ist eine ernste Warnung an den Planer.
Nicht zuletzt ist die Fortführung der Materialtradition aus formalen und
ästhetischen Gründen auch dort geboten, wo die vollständige Erneuerung

166
des Bauteils grundsätzlich vielleicht unterschiedliche Möglichkeiten offen
lässt. Kunststofffenster mit klobigen Profilen fügen sich nicht in ein histo-
risches Gebäude – auch wenn sie auf den ersten Blick praktisch und angeb-
lich dauerhaft sein sollten. Glasfasertapeten sind nicht nur diffusionsdicht,
sondern verdrängen auch jede historische Anmutung und Spaltklinker
gehören einfach nicht an Gebäude aus der Zeit vor 1920.

Additive Maßnahmen
Jeder Entwurf im Bestand muss damit rechnen, dass diese Umgestaltung
nicht die letzte in der langen Geschichte eines Gebäudes sein wird. Die
Vorstellung, dass man einen Bau ein für alle Mal und für ewig ausbauen
könne, ist nicht erst in unserer schnelllebigen Zeit fast schon naiv.
Andererseits gäbe es ohne Defizite im Tragwerk oder der Gebäudeaus-
stattung in aller Regel keine Planungsmaßnahmen. Insoweit ist es selbst-
verständlich, dass solche Schäden repariert und zusätzliche Ausrüstungen
eingebaut werden müssen. Wo dies so ist, muss man vor allem fragen, wie
der Bestand heute so umgestaltet werden kann, dass er auch morgen aufs
Neue wirtschaftlich und gestalterisch anspruchsvoll veränderten Nutzungs-
forderungen angepasst werden kann. Und es ist keineswegs selbstverständ-
lich, dass die Reparaturen durch Abbruch und Ersatz der schadhaften oder zu
schwachen Bauteile durchgeführt werden müssen. Oft bleibt nämlich nach
einer solchen „Instandsetzung“ vom alten Bauwerk fast nichts mehr übrig.
Zusätzlich eingebaute Bauteile haben diesen Nachteil nicht. Die Behebung
der Defizite durch additive Maßnahmen, die – jedenfalls in der Theorie –
reversibel sind und dem historischen Bauwerk seine gewachsene Identität
belassen, hat eine lange Tradition. Dass diese Tradition eine starke Wurzel
in der engagierten Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts hat, spricht sicher
nicht gegen, sondern für diese Strategie, die sich im Großen wie im
Kleinen bewährt. Sie wird durch den Ausruf von John Ruskin in dessen
Seven Lamps of Architecture im Jahr 1849: „Besser eine Krücke als ein verlo-
renes Glied“ in unübertroffen knapper Weise zusammengefasst. Neben den
offensichtlichen denkmalfachlichen Vorteilen überzeugen fast immer die
geringen Kosten für solche Maßnahmen. Dass der Eingriff unschwer als
zeitgenössisch zu erkennen ist, gibt dem Entwurf eine eigene Qualität.
Einer solchen Position kommt jede reversible Baumaßnahme nahe, die den
Grundbestand unverändert lässt und die aktuelle Nutzung so einbaut, dass
sie ohne wesentliche Reduzierung auch wieder entfernt werden kann. Es

167
versteht sich dabei am Bau von selbst, dass
es die volle Reversibilität nicht geben kann.
Es macht aber doch einen großen Unter-
schied, ob massive Betonkonstruktionen
weit reichende Eingriffe in den Bestand
nach sich ziehen, oder ob man andere Lö-
sungen findet, die sich leichter wieder rück-
bauen lassen.
Die bisweilen etwas nachlässige Erfahrungs-
statik vergangener Zeiten und die höheren
Verkehrslasten und Sicherheiten, welche die
moderne Verwaltung fordert, machen eine
Die Stadtmauer in Visby wurde schon in der Mitte des
19. Jahrhunderts durch gusseiserne Stützen vor dem Verstärkung des Tragwerks häufig zwingend
Einsturz bewahrt - einfach und wirkungsvoll. erforderlich. Der Austausch eines zu schwa-
chen Bauglieds gegen ein hinreichend
dimensioniertes neues scheint hier zunächst die nahe liegende Lösung. Die
weit reichenden Zerstörungen, welche eine solche Entscheidung für Aus-
und Einbau nach sich ziehen muss, verbieten ein solches Vorgehen aber in
aller Regel. Zusatztragwerke sind hier der wirtschaftlichere und bessere
Weg. Zu schwache Deckenbalken werden durch einen zusätzlichen
Unterzug in Feldmitte wieder tragfähig: Die einfache Maßnahme reduziert
den erforderlichen Querschnitt drastisch und macht fast immer jeden wei-
teren Eingriff überflüssig. Überlastete Stützen werden durch beigestellte
Pfosten wieder funktionsfähig. Das Zusetzen von Wandöffnungen erhöht
die Tragfähigkeit einer überforderten Wand und Gurtungen stabilisieren
überlastete Bauglieder. Die zu schwachen Sparren reichen wieder aus,
wenn man in jedes Feld einen zusätzlichen Sparren einfügt. Und filigrane
Unterspannungen können einen defizitären Unterzug wieder funktions-
tüchtig machen und im Extremfall stabilisiert die Zusatzkonstruktion ein
ganzes Gewölbe. Nicht zuletzt nehmen schlanke Spannglieder dort die
Kräfte auf, wo das alte Bauwerk auseinander zu weichen droht.
Für die technische Gebäudeausrüstung gilt Vergleichbares. In aller Regel
wird man im Hinblick auf moderne Nutzeranforderungen und die gelten-
den technischen Standards die gesamte Infrastruktur erneuern müssen. Der
normentsprechende Einbau dieser Leitungen unter Putz bringt massive und
systematische Eingriffe in den Baubestand und damit häufig enorme Kosten
mit sich. Auch hier weist der additive Einbau einen kostengünstigen und

168
Zwei auf einen Streich:
Tragwerkinstandsetzung und Museumsbau

Stadtmuseum, 1991-1999
D-Naumburg
Bauherr: Stadt Naumburg
Architekt: Johannes Cramer Dachraum mit Besucherführung
auf dem Fachwerkträger.
Das Sparrendach aus dem Jahr 1531 mit liegendem Stuhl
wurde durch das unsachgemäße Entfernen der Zerrbalken
schon vor Jahrzehnten gefährlich geschwächt. Dadurch wur-
den auch die Außenmauern auseinander geschoben und
sind in der Folge gerissen. Die Sparren sind durch Überlas-
tung gebrochen und noch dazu von Schädlingen zerfressen.
Das auf weitgehende Substanzerhaltung orientierte Instand-
setzungskonzept belässt das historische Dachwerk ebenso
wie den Dachraum unverändert. Ein additives Stahldachwerk
übernimmt sämtliche bautechnischen und bauphysikalischen
Anforderungen. Ein leicht schräg in die Laufebene eingebau-
ter Fachwerkträger leitet die Horizontalkräfte ab und dient
zugleich der Besucherführung. Die notwendige Klimatechnik
ist oberhalb der Kehlbalkenlage sichtbar eingebaut.

Werkplanung für den Fachwerk-


träger, der das Gebäude stabilisiert.

Blick unter den First mit haustech-


nischer Installation.

Querschnitt als formtreues Aufmaß mit Tragwerksanalyse und


Systemdarstellung der baulichen Lösung.
Die sichtbare Leitungsführung unter der Decke
vermeidet zerstörende Eingriffe und führt zu
einer eigenen Ästhetik: London, Tate Modern
(Herzog & de Meuron, 2000).

Sichtbar auf der Decke verlegte Leitungen sind


kein Privileg der Bestandsarchitektur: Kunsthal
in Rotterdam (Rem Koolhaas, 1992).

bauwerksfreundlichen Ausweg. Verlegt man die Leitungen in einer bewuss-


ten Gestaltung auf der Wand statt in der Wand, erübrigen sich viele Eingriffe.
Auch hier ist nicht zu verkennen, dass der Planungsaufwand für den
Architekten größer ist als im Falle der Standardausführung; jeder Einzelfall
jeder Leitungsführung muss geplant werden und ohne Sonderlösungen wird
man viele Einzelsituationen nicht bewältigen. Gleichwohl ist dieser Weg für
das Bauwerk und das Gesamtergebnis in aller Regel der richtige.
Zu den sinnvollen und bewährten additiven Maßnahmen gehört nicht
zuletzt die Verkleidung solcher Wände durch eine Zweite Haut, die wegen
ausgedehnter Befunde, seien es Wandmalereien, Verkleidungen oder
Putzbefunde, dem Verschleiß entzogen werden sollen. Die Freilegung und
Präsentation solcher Befunde ist selbstverständlich immer eine Möglich-
keit. Denkmalrechtlich erzwungen werden kann sie nicht und oft ist die
Verkleidung die einfachste, kostengünstigste und auch die befundscho-
nendste Lösung. Ob diese zweite Haut tatsächlich selbstständig steht oder
an der Wand befestigt wird, ist dann von nachgeordneter Bedeutung.

170
Allerspätestens mit den Forderungen nach der Verbesserung der Energie-
bilanz gerät in diesem Sinne auch die Hülle des Gebäudes in den Blick-
punkt. Hier wird man bei näherer Untersuchung zwar oft feststellen, dass
die Gesamtbilanz eines alten und massereichen Gebäudes deutlich besser
ist als ihr Ruf. Dennoch droht hier der in aller Regel mit unerfreulichen
Vergröberungen des Erscheinungsbilds verbundene Vollwärmeschutz.
Viele Architekten haben dieses Problem schon damit gelöst, dass sie dem
Gebäude auch außen eine zweite Haut gegeben haben. Wie bei den
Tragwerken ist die Strategie nicht die Aufrüstung des Vorhandenen, son-
dern die Behebung der Defizite durch ein zusätzliches Bauteil. Die meist
mit Forderungen der Denkmalpflege assoziierte „Käseglocke“ führt hier
nur selten zum Ziel, wie der die Ruine der Akademie der Künste in Berlin
integrierende Neubau von Behnisch/Durth am Pariser Platz zeigt. Dagegen
hat sich die Verlegung der zweiten Fassadenebene in den Innenraum mit
der Ausbildung einer klimatisierenden Zwischenzone für Erschließung
und Service, welche programmatisch Ideen der Klimafassade aufgreift,
schon bei vielen alten Gebäuden bewährt.

Die frei vor der Wand stehenden Regale aus Corten-Stahl geben dem Kirchenraum
ein eigenes Gepräge: Toledo, Kulturzentrum (Angeles Novas & Fernando Barredo, 2004).

171
Die Einbauten in der Grundschule in Berlin greifen nir-
gends in das Tragwerk ein und geben dem Raum dennoch
einen vollständig anderen Charakter (Die Baupiloten, 2003).

Jedes Geschoss ist anders gestaltet.

Die Hörsäle der Fachhochschule Wildau sind als konstruktiv und klimatisch selbstständige Bau-
körper in die historische Fabrikhalle eingebaut. Die Fassade bleibt unverändert (Anderhalten, 2007).
Das holzverkleidete Landhaus
steht mit gekapptem Giebel unter einer verglasten Neukonstruktion
(Meixner/Schlüter/Wendt, 2004).

Isometrie.

173
Wiederverwendung vorgefundener Materialien
Die materielle und gestalterische Qualität vieler historischer Baustoffe ist
unbestritten. Alte Backsteine und Dachziegel erfreuen durch ihr lebhaftes
Farbspiel, die profilierten Füllungstüren mit ihren tiefen Bekleidungen der
Gründerzeit geben einem Gebäude Individualität und die Unregelmäßig-
keiten eines alten Bretterbodens sind heute auch dann kaum wieder
erreichbar, wenn ein engagierter Bauherr sich das wünscht und leisten
möchte. Insoweit ist es oft schwer nachvollziehbar, wenn alte, offensichtlich
gut brauchbare Baumaterialien während der Bauvorbereitung im Container
landen, um später durch fast gestaltgleiche, aber neue ersetzt zu werden. Es
gehört vor diesem Hintergrund auch zu den Aufgaben eines verantwor-
tungsvollen Planers, die Möglichkeiten der Wiederverwendung vorhande-
ner Bauteile zu prüfen und sich darüber hinaus zu fragen, ob und in wel-
chem Umfang der Einsatz alter Baumaterialien zur Erreichung der Bau-
ziele zweckmäßig ist.
Die Bergung solcher Materialien ist naturgemäß mit erhöhtem Planungs-
aufwand und mit zusätzlichen Baukosten verbunden. Der Architekt muss
sich in jedem Einzelfall darüber klar werden, welches Bauteil mit welcher
Methode geborgen, eingelagert und für den Wiedereinbau vorbereitet wer-
den soll. Weil diese Arbeiten bei einem pauschal beschriebenen Abbruch
mit Entsorgung entfallen, ist die Versuchung unübersehbar, sich hier die

Neues Gebäude aus alten Ziegeln. Die Patina gibt Zur Wiederverwendung geborgene Dachplatten; bei
dem Bau ein besonders Gepräge: Insel Hombroich der Bergung geprüft, hochkant gelagert und abgedeckt
von Erwin Heerich. sind diese Platten einem neuen Ziegel uneingeschränkt
ebenbürtig.

174
Arbeit leicht zu machen. Für das Gesamt-
ergebnis ist der leichte Weg aber fast immer
der schlechtere. Abgesehen von Argumenten
der Nachhaltigkeit ist die Wiederverwendung
alter Baumaterialien oft nicht nur die gestal-
terisch überzeugendere, sondern auch die
für den Bauherrn wirtschaftlichere Lösung.
Wo das geborgene Material für die Gesamt-
maßnahme nicht ausreicht, bietet heute ein
ausgedehnter, bisweilen etwas alternativ
organisierter Handel mit historischen Bau-
stoffen fast alle nachgefragten Materialien
an. Vom Ziegel jeden Formats über Boden-
bretter bis zu Beschlägen findet man mit
Bauteilgenaue Schadensaufnahme für ein Holzfenster.
überschaubarem Engagement fast alles.

Lösungen: Zwei Beispiele


Unsere Publikation kann und will kein Handbuch für die Instandsetzung
von alten Häusern sein. Die nachfolgenden Beispiele sollen gleichwohl an
Einzelkomplexen das Ineinandergreifen von Schadenserhebung, Repara-
turkonzept und baulicher Umsetzung zeigen. Die dabei angewandten
Grundsätze sind auf andere, hier nicht behandelte Fragen übertragbar.

Energetische Ertüchtigung der Fenster


Die vollständige Erneuerung der „alten und zugigen“ Holzfenster gegen
hochgedämmte Kunststofffenster ist heute fast immer eine der ersten
Maßnahmen zur Modernisierung und energetischen Nachqualifizierung
von alten Gebäuden. Die systematische Schadenserhebung zeigt dann aber
fast immer, dass die technischen Defizite an den Bestandsfenstern insge-
samt vergleichsweise gering sind. Die handwerkliche Reparatur ist fast
immer billiger als die Erneuerung – wenn da nicht auch noch die unbe-
strittenen Funktionsmängel des Einfachfensters wären: mangelnde Wind-
dichtigkeit, hoher Wärmeverlust, geringer Schallschutz. Alle diese Defizite
lassen sich aber, ebenfalls mit überschaubarem Aufwand und technisch ein-
wandfrei, durch additive Maßnahmen bei Erhaltung des historischen
Fensterbestands beseitigen. Der Ausbau des Einfachfensters zum Kasten-
fenster, das zum Beispiel den gründerzeitlichen Hausbestand in Berlin bis

175
Alte Bauteile gehören nicht auf die Deponie:
Identität durch Wiederverwendung

Wohnhaus, 1997
D-Buchschlag
Nach der Instandsetzung und Bauherr: privat
Modernisierung; aus dem dunklen
Architekt: Johannes Cramer
Balkon wurden durch einen Auf-
bau zwei Badezimmer.
Das klassische Landhaus aus dem Jahr 1912 sollte unter
weitgehender Wahrung seiner historischen Identität den
modernen Anforderungen angepasst und als Familien-
wohnhaus hergerichtet werden. Die fehlenden Bade-
zimmer wurden durch einen Aufbau auf dem stark ver-
schatteten Balkon der Nordseite untergebracht. Die Holz-
konstruktion orientiert sich in der Formgebung an den
umstehenden grauen Buchenstämmen. Schadhafte Bau-
teile wurden konsequent repariert und durch Verstärkung
nachqualifiziert, nicht ersetzt. Fenster ebenso wie Türen,
die nach Abbruch der entsprechenden Wände dort nicht mehr
benötigt wurden, konnten an anderer Stelle wieder eingebaut
werden. Die Dachdeckung wurde nach der Dachdämmung
wiederverwendet und durch altes Material ergänzt.

Alte Bauteile nachqualifizieren:


die innen verstärkte Haustür mit
Mehrfachschließung und
Alarmanlage.

Die alte Tür wird für die Verwendung


am neuen Platz angepasst, in diesem
Fall verbreitert.
Bauteile wandern: Darstellung der Wiederverwendung
historischer Bauteile als Teil der Genehmigungsplanung.
heute charakterisiert, bietet einen hervorragenden, der normalen Isolierver-
glasung überlegenen Schallschutz und einen akzeptablen Wärmeschutz, der
durch eine innenliegende, dünne Isolierverglasung (10 mm) auf Neubau-
standard angehoben werden kann. Die Winddichtigkeit ist durch eine
zusätzlich eingebaute Lippendichtung leicht zu gewährleisten. Weil auf
diese Weise fast alle Nebenarbeiten entfallen, die mit einem Austausch der
Fenster notwendigerweise verbunden sind, ist dieses Vorgehen fast immer
das wirtschaftlichere und zugleich gestalterisch bessere. Der einzige
„Nachteil“ liegt in dem höheren Planungs- und Koordinationsaufwand.

Ausbau eines Einfachfensters


zum Kastenfenster mit
zusätzlichem Innenflügel.
Energetische Nachqualifizierung
eines Einfachfensters durch Einbau
einer zusätzlichen Isolierglasscheibe
mit 10 mm Gesamtstärke.

Energetische Nachqualifizierung
eines Einfachfensters
durch Aufsatzflügel.

177
Dachwerksinstandsetzung
Hölzerne Konstruktionen wie Dachwerke oder Fachwerkbauten verfügen
über ein hervorragendes Alterungsverhalten, solange der konstruktive
Holzschutz gewährleistet bleibt und Durchfeuchtung verhindert wird.
Entgegen vielen unbegründeten Befürchtungen sind Holzschädlinge keine
wirkliche Bedrohung für eine historische Holzkonstruktion. Nur wenige
Käferarten können trockenes Bauholz als Nahrung für ihre Larven nutzen.
Frisches und feuchtes Nadelholz ist deswegen eher gefährdet; neuer Befall
am Altholz bleibt die Ausnahme. Und auch hier ist ausschließlich das
Splintholz betroffen, während das Kernholz nicht angegriffen wird. So
spielt selbst ein dramatisch aussehender
Schadenskartierung im Dachwerk: Bauteilgenaue
Erhebung für zwei Gespärre mit unterschiedlichen Oberflächenbefall für die Funktionsfähig-
Schäden. keit des Tragwerks in aller Regel keine
Rolle. Nur die dauerhafte Durchfeuchtung
des Holzes führt im Laufe der Zeit zu gra-
vierenden Schäden unterschiedlicher Art.
Dauernde Durchfeuchtung führt zur Fäule
im Holz und in der Folge zum Versagen
der Zugfestigkeit. Bei ungünstigen Voraus-
setzungen siedelt sich zusätzlich der Echte
an. Er zerstört systematisch das Holz und
durchwächst mit seinem Myzel auf der
Suche nach weiterem Nährboden auch
meterweit das Mauerwerk. Gegenüber
hohen Temperaturen (ab 27° C) ist der Echte
Hausschwamm empfindlich. Bei Unter-
schreiten der Mindesttemperatur (20° C)
verfällt er in Trockenstarre, wird jedoch
sofort wieder aktiv, wenn sich die Klimabe-
dingungen ändern. Deswegen ist seine voll-
ständige Beseitigung unverzichtbar. Beide
Schadenskomplexe müssen bei Maßnahme-
beginn durch ein Holzschutzgutachten
des entsprechend ausgebildeten Fachmanns
vollständig erhoben werden. Die Unter-
suchung stellt flächen- und bauteilbezogen,
also beispielsweise für jedes Gespärre, die

178
Der Holzschutzplan verzeichnet sämtliche
unterschiedlichen Schadensbereiche und
formuliert Handlungsempfehlungen.
vorhandenen Schäden fest und kartiert sie. Sie ermittelt den tragfähigen
Restquerschnitt der Konstruktionshölzer durch Beklopfen, Bohrwider-
standsmessung oder Endoskopie. Ferner werden Schädlingsbefall (Käfer
aller Art, Hausschwamm etc.) nach Art und Ausdehnung erhoben und
Pilze nach Schadensbild, Fruchtkörperstruktur und Sporen und zusätzlich
durch Laboruntersuchungen klassifiziert.
Zusätzlich zu der Begutachtung der Schäden enthält das Holzschutz-
gutachten Angaben zu den erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen.
Gewiss wird man auch aus qualifizierten Gutachten nicht jede Empfehlung
übernehmen. Als Orientierung ist das systematische Holzschutzgutachten
für geschädigte Holztragwerke aber unverzichtbar. Es wird auch Hinweise
zum früheren Einsatz von gesundheitsschädlichen Schädlingsbe-
kämpfungsmittel und Imprägnierungen enthalten. Wo solche Mittel nach-
gewiesen sind (Hylotox/Xylamon), kann man meist nur mit Atemschutz-
ausrüstung arbeiten.
Auf der Grundlage dieser Erhebungen wird in der Folge im Detail festge-
legt, welche Maßnahmen zur Instandsetzung und Ertüchtigung des Trag-
werks erforderlich sind. Im einfachsten Falle ist es die handwerkliche Repa-
ratur der zerstörten Holzteile.

Wiederkehrende Schäden werden mit wiederkehrenden Reparatur-


methoden behoben, wobei es der individuelle Schadensumfang ist, der
das Ausmaß des jeweiligen Eingriffs definiert. Handwerkliche Genauig-
keit in der Bauausführung ist hier aus technischen und gestalterischen
Gründen eine unverzichtbare Voraussetzung.

Reparatur des an den Fußpunkten geschädigten Dachwerks im Rathaus Oettingen. Die sorgfältige handwerkliche
Ausführung gibt der Zimmermannskonstruktion einen eigenständigen, von der Geschichte geprägten Charakter
(Reuter+Mittnacht).

180
Das an den Fußpunkten weitgehend zerstörte Dachwerk der Heiliggeist-Kapelle in Berlin ist mit einem additiv
hinzugefügten Verstärkungseinbau aus Stahl substanzschonend stabilisiert (Hüffer/Ramin, 2005).

Bisweilen machen Defizite im Tragwerk oder höhere Anforderungen durch


die baufachlichen Forderungen oder an die Nutzlast auch Zusatzkonstruk-
tionen erforderlich. Gerade für den Einbau solcher Verstärkungskonstruk-
tionen ist die bauteilgenaue Schadenserhebung und das formtreue Aufmaß
eine unverzichtbare Grundlage.

Literaturhinweise
Die Übersichtsliteratur zu diesem Bereich ist überschaubar. Eine grundsätzliche Ein-
führung findet sich bei Feilden und Whelchel. Das Reparaturprinzip stellen Grossmann
1994, Hölscher und Lipp allgemein sowie Klotz-Warislohrer in der Implementierung
vor. Systematische Darstellungen historischer Baukonstruktionen bieten Ahnert/Krause
oder Manuale del Recupero. Die Besonderheiten historischer Tragwerke behandeln
Beckmann und Pieper.
Zum materialbezogenen Vorgehen sind Grün und Reul hilfreich.
Als Ratgeber für unterschiedliche Instandsetzungsfragen ist Rau/Braune ebenso nützlich
wie Bauen im Bestand mit umfangreicher Literatur zu vielen Einzelfragen. Die
Instandsetzung von Holzkonstruktionen behandeln z. B. Tampone 1996 und 2002 sowie
Ridout. Umfangreiche Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit historischer Konstruktionen fin-
den sich bei Könner und Grossmann 1994.
Einen guten Überblick über typische Schadensbilder an gebräuchlichen Konstruktionen
zusammen mit den jeweils notwendigen Untersuchungen und Methoden zur Instand-
setzung gibt wiederum Reul. Die von Wenzel/Kleinmanns herausgegebene Reihe
„Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke. Empfehlungen für die Praxis“ behandelt ein-
gehend historisches Mauerwerk, Mörtel, Eisen- und Stahlkonstruktionen, Holztragwerke
sowie Gründungen.

181
REALISIERUNG
Aber eben dadurch, dass die Geschichte fortgesetzt werden soll, ist sehr zu überlegen,
welches Neue und wie dies in den vorhandenen Kreis eintreten soll. Karl Friedrich Schinkel

Baustelleneinrichtung
Es versteht sich von selbst, dass die Baustelleneinrichtung auf dem leeren
Bauplatz andere Forderungen und Organisationsformen hat als die im vor-
gefundenen Bestand. Wer diesen Bestand aufwerten und entwickeln will,
muss während der Bauzeit nicht nur dafür sorgen, dass die Handwerker
sorgfältig arbeiten, sondern auch darauf achten, dass das Vorhandene nicht
durch Achtlosigkeit und Unverstand beschädigt oder gar zerstört wird.
Materialtransport, Materiallagerung, Zugangs- und Verkehrswege sowie
Aufenthaltsräume wollen sorgfältig bedacht und organisiert sein. Weiter ist
zu bedenken, dass auf der Baustelle vom ersten Tage an Fertiges, also
Wertvolles und damit Diebstahlgefährdetes vorhanden ist. Die Baustelle
muss deshalb vom ersten Tage an immer verschließbar gehalten werden
und verschlossen sein. Wer diese wenigen Grundsätze beachtet, wird auch
im Bestand keine Probleme in der Bauführung haben.

Baustelle als Attraktion


Baustellen üben auf die Menschen eine eigene Faszination aus. Die
berühmten Großbaustellen, sei es Ground Zero in New York oder der
Potsdamer Platz in Berlin mit seiner Infobox, waren und sind für Passanten
und zukünftige Nutzer eine Attraktion. Für die Baustelle im Bestand gilt
das in besonderem Maße. Hier ist vom ersten Tage an Interessantes zu
sehen und viele Arbeitsvorgänge erlauben es in ihrer handwerklichen
Kleinteiligkeit, dass die Öffentlichkeit am Geschehen kontinuierlich Anteil
nimmt. Dies kann in Form regelmäßiger Öffnungszeiten erfolgen, durch
„Tage der Offenen Tür“ sowie durch strukturierte und gesicherte Wege im
Gebäude. In jedem Falle müssen die Sicherheitsvorschriften eingehalten
werden und es empfiehlt sich, die Haftung des Eigentümers für gleichwohl
sich ereignende Unfälle auszuschließen.
In der Regel wird sich die Botschaft der Baustelle nur erschließen, wenn
das Interessante durch gelegentliche Führungen und Beschriftungen
erklärt wird. Die Archäologen haben hier in der Vermittlung ihrer Arbeit
eine gute und nachahmenswerte Tradition.

Einzig die Volleinhausung garantiert auch in empfindlichen Bauwerken eine ungestörte


und witterungsunabhängige Baustellenführung. 183
Steinrestauratorische Instandsetzung einer Brunnen-
anlage in Trient. Immer nachmittags war das
Publikum zugelassen. Erläuterungstafeln erklären die
Baustelle.

„Sie betreten das Jahr 1600.“ Aufbereitung einer


Baustelle für das interessierte Publikum am
„Tag der Offenen Tür“.

Nur der direkte und unmittelbare Kontakt erlaubt es


den beteiligten Entscheidungsträgern, die komplexen
Zusammenhänge wirklich nachzuvollziehen.

Die Geschichte des Hauses ist auch nach dem


Abschluss der Baumaßnahme eine Attraktion:
konservierte Wandfassung, Funde aus dem Haus und
eine Zeittafel erklären die historische Dimension.

184
Werkstattprinzip
Eine geordnete, substanzerhaltende und
nachhaltige Bauführung kann nur gelingen,
wenn alle am Bau Beteiligten sich zu jeder
Zeit darüber im Klaren sind, dass die Bau-
maßnahme im Bestand vom ersten Tage an
weniger eine Rohbaustelle als vielmehr eine
Werkstatt ist. Im ganz wörtlichen Sinne
kann das bedeuten, dass das gesamte Bau-
werk für die Maßnahme vollständig einge-
haust und damit gleichsam in die Werkstatt
gebracht wird. Dieses in der Denkmalpflege
seit Jahrzehnten bewährte Prinzip hat sich
heute vielfach auch schon für „gewöhnli-
che“ Bauten durchgesetzt. Es bietet den gro-
ßen Vorteil, unabhängig von Wind und
Wetter und ungefährdet von plötzlichen
Regenschauern, die das schon Fertigge-
stellte wieder verderben, kontinuierlich zu
arbeiten. Zur Sicherung dieser Kontinuität
Die temporäre Klimatisierung der Räume schützt
kann sogar der Einbau einer temporären die großflächig freigelegten Wand- und
Klimatisierung zweckmäßig sein. Deckenfassungen vor Schäden während der Bauzeit.

Zum Werkstattprinzip gehört vor allem, dass auf der Baustelle jederzeit
Ordnung herrscht. Chaotische Zustände mit durcheinander liegendem
Baumaterial, nicht beseitigtem Bauschutt und unsystematischen Arbeits-
abläufen verleiten auch bemühte und engagierte Bauleute zur Nach-
lässigkeit und in der Folge zur meist unbeabsichtigten und jedenfalls
unbedachten Beschädigung des gebrauchsfähigen Bestands. Deswegen
muss man auf regelmäßiger Reinigung der Baustelle – wie in einer
Werkstatt – bestehen.

Nur in einem solchen Umfeld wird es den Handwerkern sympathisch sein,


ihre Arbeitsgeräte im Haus so exakt wie in der Werkstatt einzusetzen und
deswegen auch ein gleich gutes Ergebnis zu erzielen. Wo schon in den
Arbeitsabläufen Chaos herrscht, kann man das nicht mehr erwarten.

185
Unkontrollierter Schuttabwurf führt Geordnete Verhältnisse in der Baustelle motivieren die
zur Verwüstung der gesamten Handwerker zu einer exakten und substanzschonenden
Baustelle. Arbeit in der Villa Mosler von Mies van der Rohe.

Bauteilschutz
Der Schutz der gebrauchs- und entwicklungsfähigen Altsubstanz ist eine
der zentralen Aufgaben während der Baudurchführung. Eine Bauwirt-
schaft, die es noch immer gewohnt ist, nur in einer Richtung – vom Rohbau
zum Ausbau – zu denken, hat es schwer, sich daran zu gewöhnen, dass
schon bei Baubeginn weite Bereiche der Baustelle in einem überwiegend
oder sogar vollständig gebrauchsfertigen Zustand sind und auch bleiben
müssen. Nur so ist es zu erklären, dass immer wieder intakte und schöne
Räume während der Bauzeit schwer beschädigt werden. Häufig muss man
deswegen ganze Gebäudebereiche für den Baubetrieb sperren und diese
Sperrung auch konsequent einfordern und überprüfen. Das aber wird nur
gelingen, wenn man die gesperrten Bereiche auch deutlich als solche
kennzeichnet.
Der Bauteilschutz beginnt dort, wo der Materialtransport im Gebäude
durch Bestoßen absehbar zu Schäden führen wird, und endet noch lange
nicht beim Schutz solcher Bereiche, die schon allein durch Erschütterung
oder Feuchtigkeitseintrag gefährdet sind. Erfahrungsgemäß ist der Planer
hier immer zu optimistisch, wie viel Rücksicht man von auf Effizienz und
Sollerfüllung orientierten Handwerkern erwarten kann. Besonders gefähr-
det sind zunächst die Verkehrswege, auf denen das Material in den Bau
gebracht und in ihm verteilt wird. Stoßschutz um Türbekleidungen und vor

186
Die Baustelle als Werkstatt

Schloss Heubach, Stadtbibliothek


und Miedermuseum, 1991-1997
D-Heubach
Bauherr: Stadt Heubach Die Baustelle im Ortsbild.
Architekt: Johannes Cramer

Die hervorragend erhaltene Ausstattung des Adelssitzes


(siehe auch S. 74) durfte während der Bauarbeiten keinen
Schaden nehmen. Die Baudurchführung musste dies auch
bei erheblichen Eingriffen in die Rohbausubstanz sicher-
stellen. Konsequenter Bauteilschutz war unverzichtbar.
Insoweit war die Volleinhausung hier ebenso geboten wie
die Verkleidung sensibler Bereiche und der Schutz der his-
torischen Holzböden. Exakte bauteilbezogene Arbeiten sind
nur in einer der Werkstattsituation vergleichbaren Atmo-
sphäre zu erwarten.

Schutz des Fußbodens durch


Spanplattenauflagen über Estrich-
dämmplatten.

Sorgfältige Instandsetzung des Kartierung der Fassungsbefunde


Dachwerks und Eindeckung mit und Schäden.
den geborgenen Dachplatten unter
dem Schutzdach.
Sicherung der Verkehrswege ebenso wie der Bausubstanz durch massive, auch für große Besuchergruppen geeig-
nete Überbauung der Treppen.

Sicherung empfindlicher Putzoberflächen durch Platten und Dämmstoff


auf Lattengerüst. Die Verkleidung muss zur Vermeidung von
Erschütterungen angeschraubt, niemals genagelt werden.

Sicherung der historischen


Putzflächen während der
Fundamentverbesserung durch
Spritzschutz aus Baufolie; Schutz
der Gewände gegen Bestoßen
durch die Baumaschinen.

Durch die Randsicherung werden


die Putzflächen während der
188 Bauzeit gegen Verlust geschützt.
allem sachgerecht, das heißt scheuerfrei und stoßgedämpft gelagerte Lauf-
platten auf empfindlichen Böden sind unverzichtbar. Häufig wird man
sämtliche Fußböden so lange abdecken, bis die groben Arbeiten abge-
schlossen sind. Wo das Tragwerk im Umfeld sonst intakter Raumbereiche
instand gesetzt werden muss, ist ein konsequenter Bauteilschutz gleichfalls
unverzichtbar. Empfindliche und wertvolle Wandoberflächen werden voll-
flächig mit Platten und einer diffusionsfähigen Schicht von Dämmplatten
gesichert. Dabei ist zu bedenken, ob und wann man an diesen Bereichen
arbeiten und inwiefern die Verkleidung dafür zu öffnen sein muss. Nicht
zuletzt werden absturzgefährdete Teile provisorisch gesichert, soweit sie
nicht für die Bauzeit abgenommen und geborgen werden.

Bauleitung
Ohne kontinuierliche Präsenz und beständige Kontrolle der Bauaus-
führung kann der Entwurf im Bestand nicht zufrieden stellend umgesetzt
werden. Bei noch so genauer Planung und ausführlicher Dokumentation
bleiben doch immer wieder offene Fragen, die nur vom planenden
Architekten kurzfristig geklärt werden können. Unkoordinierte Einzelent-
scheidungen haben häufig erhebliche Auswirkungen auf Nachbargewerke,
die der einzelne Handwerker auch bei bestem Bemühen nicht übersehen
kann. Darüber hinaus ist die Versuchung, komplizierte Details zu vereinfa-
chen, auch im Bestand allgemein groß.

Wer eine werkgerechte Umsetzung seiner Planung sicherstellen will,


muss dies durch Verfügbarkeit auf der Baustelle gewährleisten. Das muss
man wissen und schon in die Honorarverhandlungen einfließen lassen.
Darüber hinaus ist der wirksame Bauteilschutz auch nach erfolgter
Einhausung eine fortdauernde Herausforderung, die nur durch Kontrolle
sichergestellt werden kann.

Koordination der Gewerke


Die Gleichzeitigkeit von Rohbau- und Ausbaugewerken im Bestand erfor-
dert eine deutlich engere Abstimmung der Gewerke untereinander, als dies
im Neubaubereich der Fall ist. Der eine darf die Arbeit des anderen nicht
wieder zerstören. Dazu aber muss erst einmal geklärt sein, was wertvoll
und was wertlos ist. Die umfassende Einweisung der Handwerker auf der
Baustelle ist deswegen ebenso unverzichtbar wie die ausführliche
Beschreibung dieser Sachverhalte in den Leistungsverzeichnissen. In der

189
Kennzeichnung wichtiger Befunde durch dauerhafte Kennzeichnung eines Farbbefunds aus dem
und gut sichtbare Beschriftung am Bau. 15. Jahrhundert durch auffallendes Schild.

Realität muss man aber auch anerkennen, dass die Maßgaben der
Leistungsverzeichnisse den einzelnen Handwerker auf der Baustelle nicht
unbedingt erreichen. Deswegen ist der Bauteilschutz (s.o.) so wichtig. Weil
man aber nicht alles Wichtige verkleiden kann, ist eine deutliche und ver-
ständliche Beschriftung gefährdeter Bereiche von gleicher Bedeutung. Jede
nachvollziehbare Kennzeichnung ist richtig. Sie muss deutlich sichtbar und
dauerhaft sein. Die Botschaft hebt besser auf das (erhoffte) Verhalten des
Handwerkers (Erhalten!) und weniger auf den gestalterischen oder histori-
schen Wert des Befundes ab.
Wo einzelne Baumaßnahmen auf begrenztem Raum durchgeführt werden
sollen, werden die Grenzen deutlich gekennzeichnet. Welche Putzfläche
genau soll abgeschlagen werden? Welche Türblätter (die mit dem aufge-
sprühten X) sollen entsorgt werden? Welche Wand (aufgesprühte Linie auf
voller Länge) soll abgebrochen werden? Nur so kann man verhindern, dass
im gut gemeinten Übereifer mehr passiert als der Architekt geplant hatte.

190
Von grundlegender Bedeutung ist die Abstimmung der Einzelgewerke
untereinander. Ein guter Netzplan, wie ihn viele Ausschreibungspro-
gramme vorsehen, oder auch jede andere koordinierte Vorgehensweise ist
denkbar, um das Ineinandergreifen der verschiedenen Arbeiten gut auf-
einander abzustimmen. Wo dies nicht geschieht, ist stets zu befürchten,
dass der eine Handwerker die Arbeit des Vorgewerks unbeabsichtigt wieder
beschädigt. Besonders Leitungsführungen in befundträchtigem Putz,
Stemmarbeiten jeder Art, ganz besonders geschossübergreifende, oder
Anpassungsarbeiten bei Unregelmäßigkeiten im Bau sind immer wieder
Anlass für verhängnisvolle, von allen ungewollte Schäden und völlig über-
flüssige Rückschläge.

Bemusterung und Probeeinbau


Bemusterung und der Einbau von Probestücken ist heute auch im Neubau
eine übliche Strategie. Keine Bürohausfassade ohne die Überprüfung
unterschiedlicher Ausführungsvarianten, kein Fassadenanstrich ohne
mehrere Farbmuster. Das ist im Bestand nicht anders, sogar noch wich-
tiger. Schließlich müssen der Bestand und das neu Hinzugefügte im
Ergebnis zueinander passen. Und dazu kann man sich durch die bloße
Planung am Bildschirm oft kein hinreichend zuverlässiges Bild machen. In
der Schweiz ist es seit langem üblich und vorgeschrieben, die Kubatur von
Neubauvorhaben in einer bebauten Umgebung durch ein Kantengerüst
anschaulich zu machen und so die Wirkung auf die Nachbarschaft zu über-
prüfen. Für den Einbau von zusätzlichen sichtbaren Konstruktionsteilen
empfiehlt sich diese Strategie genauso. Ob ein hoher Fachwerkträger in
einem historischen Raum optisch untergeht oder ihn vollständig verdirbt,
lässt sich oft erst am konkreten Modell im Maßstab 1:1 entscheiden. Und
auch nachdem die Entscheidung gefallen ist, empfiehlt es sich bei größe-
ren Konstruktionsteilen, schon für die Fertigung dieser Bauteile immer ein
leicht handhabbares Modell im Maßstab 1:1 mit Probeeinbau und dessen
Abnahme in die Ausschreibung zu integrieren. Erst wenn sich am Modell
erwiesen hat, dass alles zwangsfrei in den Bau passt und auch – einschließ-
lich der Transportwege im Gebäude! – so wie geplant eingebaut werden
kann, darf man die Fertigung freigeben. Anders riskiert man, dass ein mit
großem Aufwand hergestelltes Teil nicht freiwillig in den Bau hinein will
und dann der Zwang des Faktischen zu unerfreulichen Mehrkosten und
kostenträchtigen und vermeidbaren Verlusten am Bestand führt.

191
Bemusterung unterschiedlicher, durch restauratorischen
Befund gesicherter Farbsysteme für eine
Farbrekonstruktion.

Probeeinbau eines Holzmodells für eine aus hoch-


festem Stahl geschweißte Verstärkungskonstruktion;
im Grundsatz gut, im Detail aber noch zu plump.

Für die Baumaterialien gilt das Gleiche wie am Neubau: Niemals den Einbau
ohne vorherige Bemusterung und deren Abnahme akzeptieren! Die beson-
deren historischen Qualitäten der alten Baustoffe führen immer wieder zu
ungewollten und unerfreulichen Kontrasten mit den modernen Materialien
mit ihren ganz anderen Oberflächen und Farben. Gerade bei den Farben ist
besondere Aufmerksamkeit geboten. Weil nur noch wenige engagierte
Handwerksbetriebe ihre Farben selbst am Bau so anpassen, dass das ver-
langte und erhoffte Ergebnis entsteht, ist die konsequente Bemusterung und
Freigabe ausschließlich des richtigen Ergebnisses von großer Bedeutung.
Auch diese absehbare Erschwernis in der Umsetzung der Planung sollte
man schon in der Ausschreibung benennen und berücksichtigen.

192
Exakte Vorgaben für die restauratorische Behandlung Kantenmodell für ein Neubauvorhaben (Anbau eines
der unterschiedlichen Dekorationssysteme sichern eine Aufzugs und Dachgauben) zur Abschätzung der
interessante und substanzentsprechende Gestaltung. Situation in bebauter Umgebung.

Aufmaß und Abrechnung


Im Neubaubereich mag die Pauschalausschreibung den Planer bisweilen vor
der häufig als lästig empfundenen Arbeit des Aufmaßes „bewahren“. Im Be-
stand zwingen die Unterschiedlichkeit der Einzellösungen und die bauteilbe-
zogene Individualität der Reparaturmaßnahmen zu einer bis ins Detail in
Positionen heruntergebrochenen Leistungsbeschreibung. Jeder Handgriff
muss bedacht und ggf. in einer eigenen Position beschrieben werden. Dabei
sollte man die Anarbeitung des Neuen an das schon vorhandene Alte als
eigenständige Leistung nicht vergessen. Die so detaillierte Leistung muss
folgerichtig auch in allen Einzelheiten aufgemessen werden. Eine substanz-
orientierte Planung bringt es dabei mit sich, dass auch kleine Flächen bear-
beitet und kleine Mengen aufgemessen werden müssen. Hier tut man gut
daran, sich schon in der Ausschreibung vor Mehrforderungen wegen Unter-
schreitung von Mindestmengen zu schützen.

193
Die zu Beginn der Planung erstellten zuverlässigen und detailreichen Pläne
bewähren sich nun auch in Aufmaß und Abrechnung. Eine in maßstäbli-
chen Plänen erarbeitete Planung ist mit wenig Aufwand in eben diesen
Plänen auch in ihren Massen erfasst. Wenn beispielsweise die Werk-
planung für die Sicherung einer in ihrer Struktur differenzierten Fassade
auf der Grundlage eines steingenauen Aufmaßes erfolgt ist, Lage und
Länge der Vernadelungen exakt verortet sind und die verbauten Massen
sich unmittelbar aus der Projektunterlage ergeben, gibt es bei planungsent-
sprechender Ausführung keine Diskussionen und keinen Ärger. Dass die
so entstehende Aufmaßzeichnung auch gleich als Dokumentation der
Maßnahme dient, ist ein zusätzlicher Vorteil.

Bauzeit und -geld


Baumaßnahmen im Bestand eilt seit Jahrzehnten der Ruf voraus, sie seien
im Hinblick auf die Kosten und die Bauzeit gänzlich unkalkulierbar. Beides
kommt zwar leider häufiger vor, ist aber erwiesenermaßen falsch. Die
umfassende Grundlagenermittlung, ein bestandsorientierter Entwurf und
eine konsequente Baustellenführung garantieren auch im Bestand
Zuverlässigkeit bei den Kosten und im Bauablauf. Und wenn es doch ein-
mal anders ist, so ist das kein Makel der Architektur im Bestand im
Besonderen, sondern der Architektur ganz allgemein. Leider gibt es ja auch
viel zu viele Neubaumaßnahmen, deren Kosten sich während einer unfass-
bar langen Bauzeit ins Astronomische entwickeln.

Baukosten und Kostenkontrolle


Für eine zuverlässige und sachgerechte Kostenermittlung stehen heute
neben den eigenen Erfahrungswerten schon zahlreiche Tabellenwerke und
Kostenvergleiche zur Verfügung. Auf diesen Grundlagen ist es nach einer
intensiven Einarbeitung in die Materie in aller Regel möglich, die Bau-
kosten zutreffend zusammenzustellen. Voraussetzung für den Planungs-
erfolg sind einmal mehr die vollständige Kenntnis des Gebäudes mit seinen
bautechnischen Eigenheiten und die vollständige Beschreibung der Ent-
wurfsziele. Wer beides nicht kennt, darf sich nicht wundern, wenn die
Kosten am Ende nicht stimmen. Die kontinuierliche Entwicklung der
Bauziele während der Umsetzung der Baumaßnahme hat durchaus auch
ihre Faszination. Oft ist es ohne Zweifel richtig, im Angesicht des entste-
henden Ergebnisses die Bauziele noch einmal zu überprüfen. Dass solche

194
Bauteilgenaue Werkplanung für die Instandsetzung der stark geschädigten
Fassade mit Putz und Werkstein des Schlosses Neu-Augustusburg in Weissenfels (1694)
auf der Grundlage eines digital erstellen Systemaufmaßes.

Verfugung
Vor-/Hauptfestigung
Antragung
Vierung/Neuteil
Bestand in situ überarbeiten
Schalen/Risse KSE-Injektion
(Punkte entsprechen nicht
den Injektionsröhrchen)

Vernadeln Edelstahl
Eisenklammer erhalten
Eisenteil entfernen

195
spontanen Entscheidungen auch Kostenfolgen haben, darf man dabei aller-
dings nicht aus dem Auge verlieren – sei es der Abbruch von Wänden, die
zunächst erhalten bleiben sollten, sei es die Freilegung eines interessanten
Befundes, der zunächst eigentlich hinter einer Verkleidung verschwinden
sollte, sei es der zusätzliche Ausbau von Räumen, der so gar nicht vorgese-
hen war. Oft sind es solche unreflektiert und spontan getroffenen Ent-
scheidungen, die in der Summe die Baukosten aus dem Ruder laufen lassen.
Dieser Art von Überraschung begegnet man zuerst durch die zeitnahe
Abstimmung mit dem Auftraggeber, dann natürlich am besten mit einer
fortlaufenden Kostenkontrolle, mehr noch aber mit der beständigen Frage,
ob die zu vergebenden Arbeiten auch tatsächlich so in der Kostenbe-
rechnung enthalten waren.
Die immer wieder diskutierte Frage, ob die Instandsetzung und Moderni-
sierung eines bestehenden Gebäudes teurer oder billiger sei als der ent-
sprechende Neubau, lässt sich im statistischen Sinne naturgemäß nicht
abschließend beantworten. Dafür sind mit dem Zustand des vorhandenen
Gebäudes, mit dem Ausstattungsaufwand und der Planungsökonomie zu
viele Variable im Spiel.

Der entscheidende Faktor für die Baukostenentwicklung ist ohne Zweifel,


ob die vorgesehene Nutzung mit der vorhandenen Gebäudestruktur
zwanglos in Übereinstimmung zu bringen ist oder ob schon dafür so weit-
reichende Veränderungen erforderlich werden, dass auch eine sparsame
und ressourcenschonende Planung nichts mehr ausrichten kann. Hier
sachkundig und im wohlverstandenen Gesamtinteresse des Bauherrn klug
abzuwägen, ist die eigentliche strategische Verantwortung des Architekten.

Bauzeitenplan
Die realistische Zeitplanung gehört zu den besonderen Herausforderungen
im Bauwesen. Die Baustelle im Bestand bietet mit der oft sich wechselsei-
tig bedingenden Verzahnung mehrerer Gewerke ohne Zweifel besondere
Erschwernisse. Gravierender ist aber oft, dass die vorgefundenen Bauma-
terialien und die Forderung nach materialgerechter Instandsetzung es mit
sich bringen, dass die Baustelle im Winter deutlich länger stillsteht als ein
Neubau. Wassereintrag in bestehendes Mauerwerk, beispielsweise für die
Verfüllung von Hohlräumen, ist während der Frostperiode, ja schon bei
Frostgefahr nicht möglich. Manches historische Baumaterial, beispielswei-
se der Kalk – als Bindemittel oder als Beschichtung – kann unter 10° C nur

196
mit starken Einschränkungen verbaut werden. Und auch im Sommer muss
man bei manchen Gewerken, beispielsweise bei der Festigung von zer-
mürbten Steinoberflächen oder auch deren Entsalzung, häufig mit verlän-
gerten Reaktions- und Standzeiten rechnen. Hier hilft nur die genaue
Kenntnis der handwerklichen Bauausführung, wenn man unerfreuliche
Überraschungen vermeiden will.

Honorar
Die Planung im Bestand verlangt vom Architekten ohne jeden Zweifel
mehr Arbeit als der Neubau. Die Grundlagenermittlung ist umfangreicher,
die Zahl der beteiligten Sonderfachleute größer, die Planungsabläufe sind
komplizierter, die Bauüberwachung erfordert eine höhere Präsenz. Das
sollte man dem Bauherrn gleich am Anfang klarmachen. Die häufig in die
Diskussion gebrachte Vermutung, die Bestandspläne seien doch sicher
eine zumutbare kostenlose Sonderleistung des Architekten, weil er dann ja
keine Baupläne mehr zeichnen oder allenfalls geringe Änderungen in den
Plänen vornehmen müsse, ist selbstverständlich irrig. Soweit man in der
Entwurfsphase tatsächlich Zeichenarbeit einsparen kann – was keinesfalls
sicher ist –, wird dies durch die Mehrarbeit in der Phase der Werkplanung
und Bauausführung mehr als wieder ausgeglichen. Hier führt die bauteil-
bezogene Planung im Bestand zu einer Vielzahl von Einzel- und Indivi-
duallösungen, wo im Neubau ein einziges Regeldetail sämtliche Planungs-
fragen abdeckt.
Nicht nur aus diesem Grunde definiert die Honorarordnung für die
Architekten den ganz überwiegenden Teil der Bestandsdokumentation und
Bestandserkundung als Besondere Leistung, die auch besonders vergütet
werden muss. Darüber hinaus werden die Besonderheiten der Architektur
im Bestand mit Honorarzuschlägen gewürdigt.

Literaturhinweise
Die Literatur zum Thema ist ausgesprochen dürftig. König/Mandl haben eine umfangrei-
che Sammlung zu den Baukosten vorgelegt. Bei Schulz finden sich auch Hinweise zur
Baustellenorganisation. Petzet/Mader und Thomas sind auch für die Fragen der Bau-
überwachung hilfreich.

197
NACHHALTIGKEIT

Sustainable development meets the needs of the present without compromising


the ability of future generations to meet their own needs.*
Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, 1987

Architektur im Bestand ist grundsätzlich nachhaltig. Ihr Ziel ist es, die
Gesamtnutzungsdauer eines Gebäudes zu maximieren. Sie trägt dazu bei,
dass der Aufwand, der früher einmal für die Errichtung eines Bauwerkes
notwendig war, heute und in der Zukunft noch einmal so weit wie möglich
nachgenutzt wird. Die Frage nach der Gesamtlebensdauer eines Gebäudes
und der Anzahl der während dieser Zeit notwendigen oder möglichen
Instandhaltungsmaßnahmen und Umnutzungen spielt im Bestand eine
weit selbstverständlichere Rolle als beim Neubau. Ein Wohnhaus, das
bereits von der dritten oder vierten Generation bewohnt oder ein ehemali-
ges Fabrikgebäude, das heute als Veranstaltungsort oder modische Ver-
kaufshalle genutzt wird, haben ihre Anpassungsfähigkeit an neue Nut-
zungsanforderungen bereits bewiesen. Städtebauliche Einbindung und
Infrastruktur, Disposition, Konstruktion und Material haben ihre Eigen-
schaften, ihre Stärken und Schwächen gezeigt. Die Konstruktion hat sich
als reparatur- und alterungsfähig gezeigt. Bauteile und Materialien, die
diese Fähigkeit nicht hatten, sind inzwischen ausgetauscht. Diese Erfah-
rung erlaubt es, Techniken und Strategien zu entwickeln, welche die
Lebensdauer des Gebäudes weit über die Abschreibungszeiträume hinaus
garantieren. Nichts spricht dagegen, dass bei richtiger Pflege weitere Nut-
zungsphasen ohne erhebliche Investitionen folgen werden. Die Planung
im Bestand hat genau diese zukünftige Mehrphasigkeit und damit die
Erhaltung der bereits bestehenden Werte über mehrere Nutzungs- und
Sanierungsphasen hinaus im Blick.
In der Immobilienwirtschaft hat man sich längst daran gewöhnt, auch das
Nachleben eines Gebäudes in die wirtschaftliche Gesamtkalkulation mit
einzurechnen. Ganz unabhängig von gängigen Berechnungsmodellen, wie
sie der Finanzierung von Neubauprojekten zugrunde gelegt werden, ver-
spricht die Verwertung des Baubestandes nach der Amortisation der
Baukosten hohe Renditen. Die Bewahrung und Pflege der vorhandenen

*Nachhaltige Entwicklung erfüllt die Bedürfnisse der Gegenwart ohne Beeinträchtigung der Fähigkeit künftiger
Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.

Niederlage eines Berufsstandes. Unbedachter und unqualifizierter Umgang mit historischem


Bestand führt zu unnötigen und kostenträchtigen Zerstörungen, nimmt dem historischen
Bauwerk seine Identität und dem Architekten die Möglichkeit des geistreichen Weiterbauens. 199
Werte, Um-, Zwischen- und Nachnutzungsmöglichkeiten und schließlich
die umweltverträgliche Entsorgung der Bausubstanz sind feste Größen, die
einen bedeutenden betriebswirtschaftlichen Faktor darstellen. Das
Gebäude wird als eine einmalige Investition verstanden, deren Wert sich
durch die kluge Erhaltung und Entwicklung des Bestandes immer weiter
steigern lässt.

Facility Management
Facility Management bezeichnet die Strategie, im Immobilienbestand ver-
steckte Werte aufzuspüren und brach liegenden Ressourcen besser zu nut-
zen. Dabei wird der gesamte Prozess der Bewirtschaftung von Bauwerken
und Grundstücksbestand während sämtlicher Nutzungsphasen behandelt.
Insbesondere der Immobilienbesitz von Betrieben, deren Kerngeschäft in
der Herstellung von Gegenständen oder in Dienstleistungen liegt, kann
einen enormen Anteil am Gesamtvermögen ausmachen. Dieses oft unge-
nutzte, lieblos verwaltete und damit schlecht verwertete Potential soll durch
kluges Management aktiviert werden. Auf jeden Fall aber muss es bei der
Entwicklung von Unternehmensstrategien berücksichtigt werden, wenn
nicht der Nutzwert der Liegenschaften unter die Kosten für die Erhaltung
absinken soll.
Facility Management führt zunächst eine Bestandserfassung durch, listet
das Gesamtvermögen auf, dokumentiert Nutzungsprozesse und bilanziert
die vorhandene Situation. Der zweite Schritt bewertet dann die einzelnen
Zustände und sucht nach Optimierungsmöglichkeiten. In vielen Ansätzen
und Methoden deckt sich diese Vorgehensweise mit derjenigen der Archi-
tekturplanung im Bestand. Gute Plangrundlagen sind eine selbstverständ-
liche Notwendigkeit, zuverlässige und verfügbare Informationen die Bedin-
gung für die Entwicklung von Handlungsstrategien. Ziel beider Hand-
lungsfelder ist die Wertschöpfung durch die Wiederentdeckung und Nutz-
barmachung von bereits vorhandenen Werten.
Dabei ist klar, dass der reale Wert des Vorgefundenen auch von der
Betrachtungsweise und ihrer Vermittlung abhängt. Aus diesem Grunde
muss das Facility Management von einem allzu eingeschränkten Wertever-
ständnis abstrahieren und die Möglichkeiten zur Neubewertung des
Bestandes nutzen. Bisher unbeachtete Aspekte der Bewertung sind die
Grundlage für eine möglichst realistische und gute Bilanz. Entscheidend
für die Gesamtbilanz ist dabei die Frage, über welchen Zeitraum hin ein

200
Bauprojekt betrachtet wird. Die langfristige Perspektive der Architektur im
Bestand erfordert selbstverständlich die Berücksichtigung aller Folgekosten
durch den Betrieb und notwendig werdende Reparatur- und Sanierungs-
maßnahmen. Eine allzu schnelle Folge von Sanierungen ist aus mehreren
Gründen problematisch. Auf einen längeren Zeitraum betrachtet sind
kurze Sanierungsintervalle sehr kostenintensiv, weil sie die mögliche Nut-
zungsdauer der bereits erstellten Werte nicht ausnutzen, weil sie
Bestandswerte zerstören und weil sie als anfallende Erstellungskosten den
Preis für den umbauten Raum und damit den Druck auf die Rendite unnö-
tig erhöhen.
Planen und Bauen im Bestand ebenso wie die Pflege bestehender
Bauobjekte gilt als teuer. Tatsächlich ist die Planung im Bestand kostenin-
tensiver als bei einem Neubau. Die besondere individuelle Situation des
bestehenden Bauwerks muss erfasst und berücksichtigt werden; die einzel-
nen Kostenansätze können wegen der zahlreichen, notwendigerweise indi-
viduellen Lösungen des Altbaus teurer sein, als die üblichen Standard-
lösungen. Der oft hohe Anteil an handwerklicher Arbeit ist lohnintensiv.
Während bei Neubauten Material- und Personalkosten sich die Waage hal-
ten, verschiebt sich das Verhältnis bei Sanierungsmaßnahmen: Die
Materialkosten sind gering, während die Personalkosten bei den personali-
sierten Entscheidungs- und Ausführungsprozessen um den Altbau auf bis
zu 80 Prozent steigen können. Insgesamt ist aber das Ziel und Ergebnis
einer dem Objekt angepassten Planung die Reduzierung des Maßnahme-
umfangs, so dass der Gesamtaufwand oft sehr kostengünstig ausfällt. Auf
den ersten Blick erscheint der Planungsaufwand erschreckend hoch, im
wirtschaftlichen Gesamtergebnis zahlt sich dieser Aufwand aber aus.
Wie teuer die architektonische Arbeit im Bestand ist, hängt nicht zuletzt
sehr stark vom Gebäudetyp und von der Verträglichkeit der neuen
Nutzungen oder Anforderungen ab. Passt die neue Nutzung zum Bestand
und sind die zweckmäßigen baulich-konstruktiven und gestalterischen
Strategien bekannt, ist für bestimmte Gebäudegruppen eine Kostener-
sparnis gegenüber dem Neubau von bis zu 40 Prozent erreichbar. Es gibt
Gebäudegruppen und dazugehörige Umnutzungskonzepte, die längst zu
wirtschaftlichen Erfolgsmodellen geworden sind. Der Ausbau von ehemali-
gen Fabrikgebäuden an innenstadtnahen Standorten zu Lofts, Einrich-
tungshäusern und Quartierzentren gehört ebenso dazu, wie die Verwer-
tung von alten Hafenanlagen oder der Ausbau von Dachgeschossen. In der

201
Folge führt der hohe Identifikationswert der Altbausubstanz zu geringer
Fluktuation und zur Ausbildung tragfähiger Nachbarschaften.
Rechnet man in die Gesamtbilanz eines Bauvorhabens die Pflege- und
Unterhaltskosten ein, wie es für eine betriebswirtschaftliche Betrachtung
selbstverständlich ist, dann lohnen sich nachhaltige, mit Augenmaß
geplante Reparatur-, Ertüchtigungs- und Umbaumaßnahmen in jedem
Fall. Schließlich müssen auch die Kosten für die Entsorgung von Bau-
stoffen aus dem Abriss am Ende der Nutzungsdauer in die Kalkulation auf-
genommen werden. Bauschutt macht einen großen Anteil der deponierten
Mengen an Müll aus. Während die allermeisten Baustoffe aus der Zeit vor
der Industrialisierung in aller Regel leicht recycelt und unbedenklich ent-
sorgt werden können, sind viele der im 20. Jahrhundert neu entwickelten
Materialien mit Schadstoffen belastet, nicht sortenrein zu trennen und ver-
ursachen deswegen beim Abriss erhebliche zusätzliche Kosten.

Monitoring und Pflege


Der wirtschaftlichste Umgang mit bestehender Bausubstanz ist die dauer-
hafte Pflege. Dazu dienen langfristige Wartungsverträge, regelmäßige
Revision durch Hausmeister und Fachleute ebenso wie die Erstellung von
Bauunterhaltungsbüchern. Diese dokumentieren über einen langen
Zeitraum hinweg den Zustand des Gebäudes, dessen Veränderungen sowie
Schadensprozesse und schaffen den notwendigen Überblick, um frühzeitig
und rechtzeitig nachteiligen Entwicklungen gegensteuern zu können.
Sachkundige Wartung sichert langfristig den Werterhalt, eine alte Weisheit,
die in Zeiten der Sparsamkeit besondere Bedeutung erhält.
Als Vorbild für eine nachhaltige und systematische Pflege des Baubestands
dienen auch für den „normalen“ Bauherrn Pflegepläne, welche die Denk-
malpflege seit Jahrzehnten als bewährtes Instrument für ihre kulturell
bedeutsamen Baudenkmale erstellt. Auch Wohnungsbaugesellschaften
besitzen auf diesem Gebiet große Erfahrung. Zum Pflegeplan gehört die
Verwendung von Checklisten, welche zum Beispiel die regelmäßige
Wartung und Reinigung von verstopften Regenrinnen, undichten
Fallrohren und alle anderen Punkten, an denen mangelhafte Pflege schnell
zu einem Schaden an der Bausubstanz führen kann, vorsehen. Besonders

202
Lebenszyklus und Investitionsbedarf eines Gebäudes. Laufende Instandhaltung vermeidet
scharfe Brüche; meist geht die tatsächliche Instandsetzung über das Niveau des
Ausgangspunkts hinaus.

bei großen Altbauten, also etwa Schlössern oder Kirchen, hat es sich bewährt,
eine große Baumaßnahme mittel- und auch langfristig in einzelne Bauab-
schnitte zu teilen, deren Ergebnisse immer wieder über einen längeren
Zeitraum hinweg beobachtet und auf ihre Nachhaltigkeit überprüft werden,
bevor die nächste Maßnahme in Angriff genommen wird. Dieses Vorgehen
hält nicht nur die Kosten der jeweiligen Teilbaumaßnahme niedrig, son-
dern garantiert auch die notwendige Planungssicherheit und den dauerhaf-
ten Werterhalt.
Wer Instrumente des Facility Management anwendet, kann Pflege,
Wartung, Reparatur und Sanierung auf die realen Alterungsprozesse der
Bausubstanz abstimmen. Das Monitoring, die langfristige Beobachtung des
Bestandes und bestimmter kritischer Aspekte der jeweiligen Konstruktion,
sorgt dafür, dass man das spezifische Alterungsverhalten eines Gebäudes
und seiner Teile kennt und angemessen darauf reagieren kann. Die Kunst
besteht darin, so wenig Maßnahmen wie möglich, diese aber immer rechtzei-
tig zu ergreifen, bevor gravierende Schäden an der Bausubstanz entstehen,
die tief greifende Erneuerungsmaßnahmen notwendig machen würden.

203
Werterhalt
In der Immobilienwirtschaft werden sehr unterschiedliche Aspekte zur
Bewertung eines Gebäudes herangezogen. Die meisten Wertmaßstäbe sind
dabei einem ständigen Wandel unterworfen. Dazu gehören Standortvor-
und -nachteile ebenso wie der Imagewert des Bauwerks. Die vorrangigste
Aufgabe der Architektur im Bestand ist die Werterhaltung und langfristige
Wertsteigerung. Um hier den richtigen Mittelweg zwischen konservativem
Verharren und ephemerer Mode zu finden, ist ein fein entwickeltes Gespür
nötig. Der Versuch, den Wert der Substanz nicht nur durch das Anheben
des Ausstattungsstandards, also etwa durch den Einbau von Bädern, Fahr-
stühlen, Wärmedämmung etc. zu erhöhen, sondern auch durch gestalteri-
sche Maßnahmen das Aussehen des Gebäudes dem Zeitgeschmack anzu-
passen, führt nicht selten zu nur kurzlebigen „Verschönerungen“.
Sicherlich spricht nichts gegen einen neuen Anstrich in freundlichen
Farben oder die Aufwertung des Eingangsbereichs eines Mietshauses; wei-
tergehende Umgestaltungen aber geraten schnell in Konflikt mit dem
ursprünglichen gestalterischen Gesamtkonzept oder gar mit der
Konstruktion. Wer mit Altbau zu tun hat, dem muss klar sein, dass einer
der langfristigen Werte des Gebäudes eben in seinem historischen
Gestaltwert und in seiner überlieferten Bausubstanz besteht. Jede Ver-
änderung kann damit der Tendenz nach zugleich zu einer Beschädigung
des Ursprungsbaus führen. Das gilt auch für seine künstlerische Ausdrucks-
kraft. Den postmodernen Giebel am Eingang eines Zeilenbaus der sechziger
Jahre findet bereits nach zehn Jahren niemand mehr schön. Umgekehrt
wird auch die gegenwärtig wenig angesehene Sichtbeton-Ästhetik der sieb-
ziger Jahre in absehbarer Zeit wieder ihre Liebhaber finden.
Es ist sparsamer und lohnt sich, nicht auf kurzfristige gestalterische Moden
zu reagieren, sondern die immanenten ästhetischen Stärken des Bau-
bestandes zu pflegen und hervorzuheben. Mit einem gewissen zeitlichen
Abstand oder auch für eine andere Nutzergruppe können Eigenschaften,
die heute als gestalterischer Nachteil empfunden werden, schon in wenigen
Jahren wieder eine besondere Exklusivität und Attraktivität besitzen. So
gesehen erfordert Architektur im Bestand nicht nur vielfältige Kompe-
tenzen, sondern auch und vor allem Geduld.

204
Literaturhinweise
Die Ansätze und Methoden des modernen Facility Management erklären Gänssmantel/
Geburtig/Schau. Einen Einblick in die Projektentwicklung in der Immobilienwirtschaft
und in Fragen der Bewertung vorhandener Gebäude geben Alda/Hirscher. Kastner führt
in die systematische Beurteilung von Altbauten und in die Verwendung von Checklisten
ein. Hamesse weist auf den engen Zusammenhang von ökologischen und ökonomischen
Sanierungsstrategien hin. Reul 2005 beschreibt anschaulich die mangelnde Nachhaltigkeit
und wirtschaftliche Unsinnigkeit von Sanierungen, die ohne ausreichende Kenntnis des
Bestandes geplant wurden. Die Erstellung und der Umgang mit Bauunterhaltungsbüchern
erklärt Klemisch. Er weist darauf hin, dass die planerische Betreuung der Altbausubstanz
mit dem Ziel, das Gebäude wirklich zu verstehen und durch leichte und gezielte Pflege-
maßnahmen größere Schäden und Sanierungen zu vermeiden, ein weitgehend unerschlos-
senes Betätigungsfeld für Architekten und Ingenieure darstellt. Statistische Grundlagen
zum Baubestand liefern Hassler/Kohler.

205
LITERATURVERZEICHNIS BRACHERT, Thomas: Patina; München 1985

BRANDI, Cesare: Theorie der Restaurierung;


Unsere Zusammenstellung erhebt in keiner Weise
München 2006 (Teoria del Restauro; Mailand 1963)
den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie verzeichnet
in der Regel nur selbstständige Publikationen und BREITLING, Andris und Stefan ORTH:
könnte als Orientierung dienen, welche Titel der Erinnerungsarbeit; Berlin 2005
Architekt für die Planung im Bestand auf jeden
BROOKER, Graeme und Sally STONE: ReReadings.
Fall nutzen sollte.
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211
BILDNACHWEIS Kollhoff Architekten 140
Kraneburg, Christian 173
Altenkirch, Dirk 74
Landesdenkmalamt Berlin 77
Anderhalten, Claus 172
Archivio Museo di Castelvecchio, Verona 160 Martiradonna, Andrea 129
Atelier 5 131 Mazzola, Sebastiano 120
ASD, Yngve Jan Holland, Andreas Potthoff 63 meixner-schlueter-wendt 173
Augustin und Frank 122 Miotto, Luciana / Archivio Museo di Castelvecchio
Verona 8
Basler Denkmalpflege, Hans Ritzmann 56
Moreno, Joaquim 112
Basler Denkmalpflege, Bernard Jaggi 105
Müller, Stefan 181
Basler Denkmalpflege, Mathias Merki 56
Basler Denkmalpflege, Stephan Tramèr 73 Nemec, Studio 140
Battistella©CISA-A. Palladio, Gianantonio 118
Ohara, Nobuko 123
Baupiloten, Susanne Hofmann 172
Bergamo, Fabrizio 206 Pavan, Vittorio 112
Bitschnau/Hauser 128 Purcell, Miller, Tritton LLP 139
Bitter, Jan 142, 172
Reichwald, Helmut 78, 79
Bleyl, Markus 41, 164, 169
Reuss, Wolfgang 79
Block, Klaus 124
Ricciardi, Enrico 45
Blümel, Anke 108
Richters, Christian 109
bpk / Kupferstichkabinett, SMB /Jörg P. Anders 17
Bryant, Richard / arcaid.co.uk 104 Sánchez López, Eduardo 33
Schnieringer, Karl 55
Calatrava, Santiago 105
Schubert, Leo 85, 112
Carmassi, Massimo 2, 75, 161
Schwarz, Ulrich 140
Ciampi, Mario 75, 115
Serrano, Manuel 117, 121
Cirenei, Matteo 95
Sloun, Etienne van 125
Cramer/Sack 51
Snower, Doug 11
Dechau, Wilfried 94 Stadtamt Braunau 69
Dienstleistung Denkmal, Semmler/Schmidt 43, 66 Sternberg, Morley von 108
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Galerie Marzee 117
Brandenburg 72
Gieselmann, Reinhard 148
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Gilbert, Dennis / VIEW 155
Brandenburg, Andreas Potthoff 62
Gonzalez, Primitivo 103
Storemyr, Per 90
Gross, Felix / Kunstverlag Josef Fink 78
Suzuki, Hisao 33
Halbe, Roland 123, 150
Trapp, www.tobiastrapp.eu 119
Helfenstein, Heinrich 105
TU München, Baugeschichte 113
Hofburg Kongresszentrum & Redoutensäle Wien 126
Hollein, Hans 148 Voeten, Sybolt 152
Holzmanufaktur Rottweil 158, 175, 177
Wett, Günther R. 145
Hüffer/Ramin 181
Wicky, Gaston 131
Hundertmark, Hein / Cultuurhistorie gemeente
Winde, Jörg 28
Utrecht 149
Wolf, Peter 187
Huthmacher, Werner 122, 127
Young, Nigel / Foster+Partners 154
Jakobs, Dörthe 78, 79
Zecc Architekten 130
Kaunat, Angelo 132
Zugmann, Gerald 156
Klomfar+Partner 128

Alle übrigen Abbildungen stammen von den


Verfassern.
212
ARCHITEKTENREGISTER Harrap, Julian 10, 126
Hänsch, Wolfgang 143
ACEA + Comune di Roma 120 Heerich, Ernst 174
Alberti, Leon Battista 9 Henket, Hubert-Jan 152
Anderhalten, Claus 127, 170 Herzog & de Meuron 10, 20, 170
Aparicio Guisado, Jesus 150 Hollein, Hans 101, 148
Asadov, Aleksander 132 Hüffer + Ramin 181
Atelier 5 131
INNOCAD 132
Auer, Gerd 23, 153
Augustin + Frank 122 Jones, Edward 107
AUIA 132 Jordi, Marc 134
Aulenti, Gae 123
Kahlfeldt, Petra und Paul 101
Baupiloten 142, 172 Klumpp, Hans 78
Behnisch, Günter 171 Kollhoff, Hans 101, 140, 170
Bernini, Gianlorenzo 17 Koolhaas, Rem 100
Block, Klaus 95, 124
Lópes Cotelo, Victor 33
Böhm, Gottfried 119, 126
Bramante, Donato 17 Maderno, Carlo 17
Breitling, Stefan 67, 71 MECANOO 100, 109
Brouwers, Rob 125 Meixner / Schlueter / Wendt 173
Busse, Hans-Busso von 29 Michelangelo 9, 159
Miralles, Enric 149
Calatrava, Santiago 105
Moore, Charles W. 101
Carmassi, Massimo 10, 32, 75, 97, 98, 115, 145,
Mozer, Jordan 11
161
MRJ Rundell + Associates 108
Chipperfield, David 10, 126
Muzio, Giovanni 95
Cramer, Johannes 23, 41, 74, 153, 169, 176, 187
Neumann, Franz Ignatz Michael 16
Dehio, Georg 22, 48
Nouvel, Jean 135
Diederen + Dirrix 117
Novas, Angeles + Fernando Barredo 171
Dinse/Feest/Zurl 124
Dixon + Jones 107 Ortner, Laurids 102
Döllgast, Hans 96, 126 Oswalt, Philipp 210
Domenig, Günther 156
Peruzzi, Baldessare 17
Donati, Francesca 129
Piana, Mario 112
Egeraat, Erick van 100, 109 Pitz + Hoh 79
Puente Fernandez, Carlos 33
Fernandez Elorza, Hector 150
Purcell / Miller / Tritton 139
Foster, Norman 135, 154, 155, 159
Frotscher, Heinrich 153 Raffael 17
Reuter, Hans 113, 180
Galfetti, Aurelio 10, 98, 135
Riegl, Alois 22, 210
Gallegos Borges, Gabriel 103
Ruskin, John 21, 25, 27, 111 167,
Garcia Delgado, Javier 33
Gehry, Frank 100 Sangallo, Antonio da 17
Gieselmann, Reinhard 148 Scarpa, Carlo 10, 97, 98, 116, 144, 145, 159, 160
Ginzburg, Moissej 30 Scharfetter, Martin 145
González, Primitivo 103 Schattner, Karljosef 10, 48, 97, 98, 124, 146, 151,
Gropius, Walter 22 162

213
Scherer + Angonese 128
Schinkel, Karl Friedrich 9, 18, 24, 159, 183
Schubert, Leo 112
Schwarz, Rudolf 97
Seelinger, Martin 143
Stirling, James 101
Tesar, Heinz 101
Ungers, Oswald Mathias 151
Valentyn, Thomas van den 137
Venturi, Robert 141
Wehdorn, Manfred 124
Zaanen/Spanjers 104
ZECC Architekten 130
Zumthor, Peter 20

214
SACHREGISTER Belastung 31, 88, 110
Bemusterung 191-192
Abrechnung 193-194 Beschriftung 50, 73, 183, 190
Additive Maßnahme 41, 88, 116, 167-173, 175 Besondere Leistung 197
Altern lassen 111 Bestandserfassung 45-65, 85, 90, 93
Alterswert 21, 138-141 Bestandsplan 54-65
Anpassung 100, 115, 117, 127, 138-141, 159 Bestandsschutz 110, 165
Anpassungsdetail 164, 165 Betroffenenbeteiligung 43
Archäologie 68, 72, 80, 93, 103 Bewahren 20, 193
Archiv 48-50, 72 Bildentzerrung 61, 64
Artenschutz 25 Bindungsplan 37, 39, 42, 92
“As Found” 99 Brandschutz 36, 37, 108, 110, 131
Aufmaß 54-63, 94, 181, 193, 194 Charta von Venedig 22, 102
Aufmaß, formtreu 53-63, 112, 113, 163 Checkliste 46, 53, 202, 205
Aufmaß, System 55, 195
Aufmaß, tachymetrisch 61, 70, 71 Dachausbau 129, 130
Aufmaß, wissenschaftlich 57, 78 Datierung 81, 82,
Aufputzinstallation 117, 121 Dendrochronologie 68, 82, 93
Aufstockung 110, 132, 133 Denkmalpflegeplan 92
Aufzug 41, 58, 110, 125, 133 Denkmalschutzbehörde 37, 40
Ausführungsplanung 59, 159-181 Denkmalschutzgesetz 21, 114
Ausschreibung 54,191, 192, 193 Denkmaltopographie 48
Ausstattung 53, 59, 62, 66, 75, 77, 92, 140, 187, 196 Didaktisches Gestalten 147
Ausstattungsplan 37, 50, 54, 92 Disposition 101-106, 199
Authentizität 23, 37, 40 Dokumentation 47, 50-54, 56, 60, 67, 189, 194

Bauabschnitt 71, 203 Einfachfenster 175, 177


Bauakte 47, 49, 54 Elektroinstallation 38, 117, 118
Bauarchäologie 72, 76, 83, 128, 147 Energiebilanz 36, 171
Bauaufnahme, formtreu 41, 53-63, 74 Energieeffizienz 36, 118, 142
Bauaufnahme, Genauigkeitsstufen 54, 59, 89 Entkernung 101, 102, 134, 162
Bauaufnahme, steingerecht 44, 74 Entlastungsbauten 102, 107, 109, 131
Bauforschung 60, 68-82 Erschließung 32, 41, 50, 75, 102, 104, 107, 108,
Baugenehmigung 35-40 109, 110, 118, 127, 131, 132, 133, 143, 149, 153, 171
Bauherr 34, 35, 40, 104, 147, 174, 196, 202 Ertüchtigung 113, 118, 119 175-177, 180
Baukosten 67, 111, 174, 194-196, 197, 199 Erweiterung 108, 110, 122, 129, 149, 151, 152, 157
Bauleitung 189-194 Facility Management 54, 59, 93, 200-202, 203, 205
Baumaterialien, historische 25, 43, 80, 159, 196 Fassade 126, 134, 143, 147, 162, 172, 191, 195
Bauphasenplan 38, 41, 54, 69, 70, 84, 91, 128, 148, Fenster 36, 57, 59, 81, 159, 161, 175-177
149 Fertigbauen 126
Bauphysik 45, 72, 86-91, 118, 129, 141, 169 Feuchte 88, 166, 186
Bauschutt 185, 202 Fragmentierung 98, 103, 144-151
Baustelleneinrichtung 183-189 Fuge 150, 151, 154, 155, 162
Baustoff 152 Fügung 151-157
Bauteilschutz 186-189, 190
Bauuntersuchung 41, 45, 46, 66-91 Gebäudeausrüstung, technische 168
Bauzeit 72, 185, 188, 189, 194-197 Gebäudekomposition 151
Befreiungen 35, 110 Genauigkeitsstufen 54-57, 58, 59
Befundplan 38, 67 Genehmigungsverfahren 37

215
genius loci 18, 20, 23, 98 Pflege 48, 114, 199, 201, 202-203
Geschosshöhe 36, 133 Pflegeplan 202
Gestaltung 120, 137-157, 162, 170 Photodokumentation 50
GIS (Gebäudeinformationssystem) 71 Photogrammetrie 62, 63, 93
Großinventar 48 Planung, bauteilorientiert 160-163, 197
Grundbuch 47 Planungsprozess 29, 81
Grundlagenermittlung 45-93, 194 Planungsstrategie 43, 93, 110
Grundrissorganisation 36, 101, 104, 127, 133 PLANUNGSSTRATEGIEN
Altern lassen 111
Handaufmaß 56, 61, 62
Anpassung 100, 115, 117, 127, 138-141, 159
Handwerker 42, 112, 114, 183, 185, 186, 189-191
Ertüchtigung 113, 118, 119 175-177, 180
„Haus im Haus“ 124
Fertigbauen 126
Hausschwamm 30, 178, 179, 180
Instandhalten 45, 111-114
Heizung 117, 118
Konservierung 22, 114, 165, 184
Historizität 24
Modernisierung 111, 115-119, 196
Holzschutzgutachten 178, 180
Rekonstruktion 24, 40, 69, 79, 80, 91, 127, 135,
Honorar 189, 197
136, 137, 143, 144
Immobilienwirtschaft 199, 204, 205 Reparatur 33, 48, 84, 86, 117, 159, 163, 166, 175,
Industriebauten 123, 124 180, 193, 203
Instandhalten 11, 111-114 Restaurierung 111, 114
Inszenierung 98, 103, 144, 145, 146, 147, 155, 157 Sanierung 24, 67, 114,166, 201, 203, 205
Isolierverglasung 177 Umbau 127
Umnutzung 47, 101, 104, 120, 199
Kastenfenster 175, 177
Weiterbauen 111, 119-134, 139, 199
Kennzeichnung 47, 53, 69, 190,
Zusammenfassung 133
Klimatisierung, temporäre 185
Planungstiefe 31, 163
Konservierung 22, 114, 165, 184
Positivkartierung 46, 92
Kontrast 33, 75, 115, 125, 128, 138, 144, 148, 149,
Probeeinbau 191-192
152, 155, 192
Kosten 194, 200, 202 Randsicherung 188
Kostenkontrolle 194-196 Raumaufteilung 104
Kulturdenkmal 29, 36 Raumbuch 43, 46, 50, 51, 52, 53, 73
Kulturlandschaft 18 Rekonstruktion 24, 40, 65, 69, 72, 79, 80, 126,
Kurzuntersuchung 46 135, 136, 137, 143, 144
Reparatur 33, 48, 84, 86, 117, 159, 163, 166, 175,
Laserscanner 58, 63 - 66, 163
180, 193, 203
Lasertheodolit 58, 61, 63
Restaurator 35, 68, 76-80, 147, 162, 187 - 193
Leistungsbeschreibung 193
Restaurierung 111, 114
Materialgerechtigkeit 166 Reversibilität 40, 168
Mindestmenge 193
Sanitärinstallation 38, 117
Modernisierung 111, 115-119, 196
Sanierung 24, 67, 114, 166, 201, 203, 205
Monitoring 30, 71, 202-203
Scanner, 3D: siehe Laserscanner
Nachhaltigkeit 47, 101, 104, 134 165, 174, 177, 159, Schadenskartierung 85, 87, 89, 175, 178
199-205 Schadensplan 89, 90, 91
Notsicherung 29-31, Schädlingsbefall 86, 178
Nutzungsplanung 59, 102-104 Schallschutz 36, 175, 177
“Objet trouvé” 100 Schattenfuge 151, 154
Schutzgutplan, siehe auch: Bindungsplan 92

216
“sotto livello” 153, 157
Sondage 73, 78, 79
Spolie 134
Stadtsanierung 23
Standfestigkeit 84, 88
Stärken-Schwächen-Analyse 45, 91-93
Stereophotogrammetrie 62, 65, 78
Streiflicht-Scanner 64, 73
Systemaufmaß; siehe: Aufmaß, System
Teilung 58, 68, 119, 120, 123, 124, 137
Thermographie 72, 87, 93
Tragwerk 30, 35, 37, 46, 59, 66 - 72, 84 - 86, 105,
109, 113, 167, 168, 169, 171, 172, 178, 180, 181, 189
Tragwerksanalyse 83-86, 169
Treppen 33, 41, 58, 105, 108, 116, 121 162, 163, 188
Umbau 127
Umnutzung 47, 101, 104, 120, 199
Urkataster 50
Verformungen 55, 58, 59, 67, 71, 72, 73, 83, 85, 86,
112, 112, 129, 164
Verfremdung 133, 148, 151, 155
Verkehrslast 168
Verkehrswege 183, 186, 188
Volluntersuchung 46
Vorbereitende Untersuchungen 31
Wartung 202, 203
Weiterbauen 111, 119-134, 139, 199
Werkplanung 33, 75, 87, 113, 131, 139, 140, 160,
161, 163, 164, 165, 169, 194, 195
Werkstatt 185, 187
Werterhaltung 202, 204
Wiederverwendung 174-175, 176
Zusammenfassung 133
Zusatztragwerk 168
„Zweite Haut“ 170, 171
Zwischennutzung 120

217
BILDNACHWEIS Kollhoff Architekten 140
Kraneburg, Christian 173
Altenkirch, Dirk 74
Landesdenkmalamt Berlin 77
Anderhalten, Claus 172
Archivio Museo di Castelvecchio, Verona 160 Martiradonna, Andrea 129
Atelier 5 131 Mazzola, Sebastiano 120
ASD, Yngve Jan Holland, Andreas Potthoff 63 meixner-schlueter-wendt 173
Augustin und Frank 122 Miotto, Luciana / Archivio Museo di Castelvecchio
Verona 8
Basler Denkmalpflege, Hans Ritzmann 56
Moreno, Joaquim 112
Basler Denkmalpflege, Bernard Jaggi 105
Müller, Stefan 181
Basler Denkmalpflege, Mathias Merki 56
Basler Denkmalpflege, Stephan Tramèr 73 Nemec, Studio 140
Battistella©CISA-A. Palladio, Gianantonio 118
Ohara, Nobuko 123
Baupiloten, Susanne Hofmann 172
Bergamo, Fabrizio 206 Pavan, Vittorio 112
Bitschnau/Hauser 128 Purcell, Miller, Tritton LLP 139
Bitter, Jan 142, 172
Reichwald, Helmut 78, 79
Bleyl, Markus 41, 164, 169
Reuss, Wolfgang 79
Block, Klaus 124
Ricciardi, Enrico 45
Blümel, Anke 108
Richters, Christian 109
bpk / Kupferstichkabinett, SMB /Jörg P. Anders 17
Bryant, Richard / arcaid.co.uk 104 Sánchez López, Eduardo 33
Schnieringer, Karl 55
Calatrava, Santiago 105
Schubert, Leo 85, 112
Carmassi, Massimo 2, 75, 161
Schwarz, Ulrich 140
Ciampi, Mario 75, 115
Serrano, Manuel 117, 121
Cirenei, Matteo 95
Sloun, Etienne van 125
Cramer/Sack 51
Snower, Doug 11
Dechau, Wilfried 94 Stadtamt Braunau 69
Dienstleistung Denkmal, Semmler/Schmidt 43, 66 Sternberg, Morley von 108
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Galerie Marzee 117
Brandenburg 72
Gieselmann, Reinhard 148
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Gilbert, Dennis / VIEW 155
Brandenburg, Andreas Potthoff 62
Gonzalez, Primitivo 103
Storemyr, Per 90
Gross, Felix / Kunstverlag Josef Fink 78
Suzuki, Hisao 33
Halbe, Roland 123, 150
Trapp, www.tobiastrapp.eu 119
Helfenstein, Heinrich 105
TU München, Baugeschichte 113
Hofburg Kongresszentrum & Redoutensäle Wien 126
Hollein, Hans 148 Voeten, Sybolt 152
Holzmanufaktur Rottweil 158, 175, 177
Wett, Günther R. 145
Hüffer/Ramin 181
Wicky, Gaston 131
Hundertmark, Hein / Cultuurhistorie gemeente
Winde, Jörg 28
Utrecht 149
Wolf, Peter 187
Huthmacher, Werner 122, 127
Young, Nigel / Foster+Partners 154
Jakobs, Dörthe 78, 79
Zecc Architekten 130
Kaunat, Angelo 132
Zugmann, Gerald 156
Klomfar+Partner 128

Alle übrigen Abbildungen stammen von den


Verfassern.
219
ÜBER DIE AUTOREN

Prof. Dr.-Ing. Johannes Cramer Dr.-Ing. Stefan Breitling


Freier Architekt
Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte Stefan Breitling hat in Freiburg im Breisgau
Klassische Archäologie und an der Technischen
Nach dem Architekturstudium wissenschaftlicher Universität Berlin Architektur studiert. 1996
Mitarbeiter an der TH Darmstadt und dem erhielt er im Rahmen des Graduiertenkollegs
Deutschen Archäologischen Institut sowie Heisen- Kunstwissenschaft, Bauforschung und Denk-
berg-Stipendium an der Universität Hannover. malpflege der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
1989 bis 1997 Professor für Bau- und Siedlungs- und der Technischen Universität Berlin ein
geschichte an der Universität Bamberg, seit 1997 Promotionsstipendium der Deutschen Forschungs-
Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der gemeinschaft. Von 1998 bis 2003 war er wissen-
Technischen Universität Berlin. schaftlicher Mitarbeiter, danach Wissenschaftlicher
Forschungsprojekte an Bauten von der Römerzeit Assistent am Fachgebiet Bau- und Stadtbau-
(Maxentius-Basilika Rom) bis in das 20. Jahr- geschichte der Technischen Universität Berlin bei
hundert (Berliner Mauer). Zahlreiche Publikatio- Prof. Dr.-Ing. Johannes Cramer. Seine Promotion
nen zur Bauaufnahme, Bauforschung und mit dem Thema „Adelssitze zwischen Elbe und
Hausforschung sowie zu Themen der Architektur Oder 1400-1600“ schloss er 2001 an der Fakultät
des Mittelalters und des 20. Jahrhunderts, darunter für Architektur der Leibniz-Universität Hannover
als Welterbe-Objekte die Michaelis-Kirche in bei Prof. Dr.-Ing. Cord Meckseper ab.
Hildesheim und die Altstadt von Istanbul.
http://baugeschichte.a.tu-berlin.de Er führte Forschungsprojekte am Kloster Ri-Rdzong
in Ladakh, an Häusern in Fener, Istanbul, an der
Seit 1977 Büro für Bauarchäologie, Bauforschung Maxentius-Basilika in Rom, an der ottonischen
und Denkmalpflege. Consultant der UNESCO. Stiftskirche in Walbeck, am Naumburger Dom, an
Restaurierungs- und Umnutzungsprojekte in der Franziskaner-Klosterkirche in Berlin und ande-
Deutschland und im europäischen Ausland, oft mit ren Bauten durch. Von 1999 bis 2004 leitete er im
hochwertiger, restauratorisch empfindlicher Auftrag der Nidaros Domkirkes Restaurerings-
Ausstattung. Welterbe-Projekte sind der Kaiser- arbeider die bauhistorischen Untersuchungen am
und Mariendom zu Speyer und das Pergamon- Ostabschluss des Nidaros-Doms in Trondheim.
Museum in Berlin. Zahlreiche bauhistorische 2002-2004 übernahm er für die ARGE Pergamon-
Gutachten als Vorbereitung und Grundlage für Museum die Planung der Restaurierung und
sach- und substanzgerechte Umbaumaßnahmen. Baufreimachung an der Mschatta-Fassade im
www.prof-cramer.de Museum für Islamische Kunst. Seit 1997 ist er als
selbstständiger Bauforscher und Gutachter tätig. Er
ist Mitglied der Koldewey-Gesellschaft und der
Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen
und Schlössern. Seit 2006 vertritt er die Professur
für Bauforschung und Baugeschichte an der Otto-
Friedrich-Universität Bamberg.

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