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ARCHITEKTUR IM BESTAND
Planung Entwurf Ausführung
Birkhäuser
Basel • Boston • Berlin
Gestaltung und Herstellung: Atelier Fischer, Berlin
Reproduktionen und Druck: Ruksaldruck, Berlin
Bindung: Kunst- und Verlagsbuchbinderei, Leipzig
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere
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Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechts.
ISBN 978-3-7643-7751-9
987654321
www.birkhauser.ch
INHALT
29 Planungsablauf
29 Besonderheiten im Planungsprozess
29 Notsicherungsmaßnahmen
31 Vorbereitende Untersuchungen
31 Planungstiefe
33 Casa de las Conchas, Salamanca, Spanien
34 Die Beteiligten
34 Der Bauherr
35 Der Architekt
35 Die Baugenehmigungsbehörde
37 Übersicht: Das Genehmigungsverfahren
41 Stadtmuseum Naumburg, Deutschland
42 Die Ausführenden
42 Entscheidungsfindung und Kommunikation
45 Grundlagenermittlung
47 Bestandserfassung
47 Grunddaten
48 Literatur und Archiv
50 Dokumentation des vorgefundenen Zustands
54 Bestandspläne
59 Übersicht: Genauigkeitsstufen in der Bauaufnahme
66 Bauuntersuchung
67 Wohnhäuser, Havelberg, Deutschland
68 Bauforschung
71 Nidaros-Dom, Trondheim, Norwegen
74 Schloss Heubach, Deutschland
75 Wohnhaus Balbarini, Pisa, Italien
78 Berhardskapelle, Owen, Deutschland
79 Wohnhaus Schminke, Löbau, Deutschland
83 Tragwerksanalyse
86 Bautechnische und bauphysikalische Untersuchungen
91 Stärken-Schwächen-Analyse
95 Entwurf
95 Entwerfen mit der Geschichte
101 Disposition
102 Bewusste Nutzungsplanung
103 Stadtarchiv in der Kirche S. Agostin, Valladolid, Spanien
104 Überlegte Eingriffe
105 Veranstaltungsraum „Tabourettli“ in dem alten Spalenhof, Basel, Schweiz
107 Gezielte Entlastungsbauten
109 Bankgebäude in gründerzeitlicher Bebauung, Budapest, Ungarn
111 Planungsstrategien
111 Instandhalten
112 Wohnhaus, Venedig, Italien
113 Wohnhaus, Bamberg, Deutschland
115 Modernisieren
116 Stadtpalast als Museum, Venedig, Italien
119 Weiterbauen
121 Wohnung im Industriebau, Madrid, Spanien
122 Ausbau eines Industriegebäudes, Göttelborn, Deutschland
125 Hotel in der Klosterkirche, Maastricht, Niederlande
128 Landesmuseum Schloss Tirol, Bozen, Italien
130 Einfamilienhäuser, Utrecht, Niederlande
131 Geschäftshaus, Zürich, Schweiz
134 Ersetzen
137 Gestaltung
138 Anpassung
139 Schwimmhalle, Spexhall Manor, Großbritannien
140 Auswärtiges Amt in der ehem. Reichsbank, Berlin, Deutschland
141 Vereinheitlichung
144 Fragmentierung
149 Rathausumbau und -erweiterung, Utrecht, Niederlande
150 Nuevos Ministerios, Madrid, Spanien
151 Fügung
154 The British Museum, Queen Elizabeth II Great Court, London, Großbritannien
156 Dokumentationszentrum ehem. Reichsparteitagsgelände, Nürnberg, Deutschland
159 Ausführungsplanung
159 Voraussetzungen
159 Aufbauen statt Abbrechen
160 Bauteilorientierte Planung
162 Bibliothek, Eichstätt, Deutschland
163 Planung mit formtreuem Aufmaß
165 Grundsätze
165 Reparieren statt Erneuern
167 Additive Maßnahmen
169 Stadtmuseum Naumburg, Deutschland
174 Wiederverwendung vorgefundener Materialien
175 Lösungen: zwei Beispiele
175 Energetische Ertüchtigung der Fenster
176 Wohnhaus, Buchschlag, Deutschland
178 Dachwerksinstandsetzung
183 Realisierung
183 Baustelleneinrichtung
185 Werkstattprinzip
186 Bauteilschutz
187 Schloss Heubach, Stadtbibliothek und Miedermuseum, Deutschland
189 Bauleitung
191 Bemusterung und Probeeinbau
193 Aufmaß und Abrechnung
194 Bauzeit und -geld
194 Baukosten und Kostenkontrolle
196 Bauzeitenplan
197 Honorar
199 Nachhaltigkeit
200 Facility Management
202 Monitoring und Pflege
204 Werterhalt
207 Literaturverzeichnis
213 Architektenregister
215 Sachregister
219 Bildnachweis
221 Über die Autoren
ARCHITEKTUR UND BESTAND
Der Beginn der bewussten Architektur im Bestand: der Umbau des Castelvecchio
in Verona zum Museum durch Carlo Scarpa (1964). 9
Denkmalpfleger haben auch keineswegs den Auftrag, gute moderne
Architektur zu verhindern. Es gibt also überhaupt keinen Grund für solche
Berührungsängste.
Und natürlich ist die Unterstellung falsch, der Entwurf im Bestand lasse
für eine anspruchsvolle Planung keinen Spielraum. Eine Handvoll dafür
berühmt gewordener Architekten hat schon in den sechziger Jahren das
Gegenteil überzeugend bewiesen. Carlo Scarpa, Karljosef Schattner,
Aurelio Galfetti oder Massimo Carmassi haben gezeigt, dass die qualität-
volle Weiterentwicklung von qualitätvoller Architektur auch für einen ambi-
tionierten Entwerfer eine spannende Aufgabe ist. Das sorgfältig verzeichnete
Werk des Büros Herzog & de Meuron weist fast ein Drittel aller Projekte
im Bestand nach.
Den Vorstellungen der Zeit entsprechend haben die Pioniere der sechziger
Jahre Fragen der Substanzerhaltung und der Ressourcenschonung zu-
nächst nur wenig berücksichtigt. Solche Forderungen wird man heute
nachdrücklicher stellen. Den Beweis, dass bekannte Architekten zu allseits
anerkannten Ergebnissen kommen, zeigen inzwischen viele Entwürfe.
Beispielhaft sei die Planung von David Chipperfield und Julian Harrap
für das Neue Museum in Berlin genannt. Ohne Verlust im Anspruch an die
entwurfliche und gestalterische Qualität gelingt es, die systematisch erfass-
te und bewertete alte Substanz mit einem modernen Konzept spannungs-
reich und unaufgeregt zu verbinden. Es ist nur schwer nachzuvollziehen,
warum diesen auf Systematik und Kreativität zugleich gegründeten Weg
nicht auch andere Architekten gehen können sollten.
Allen diesen Entwerfern war und ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das
Vorgehen, welches für den Neubau Gültigkeit hat, für den Bestand nicht in
gleicher Weise geeignet sein kann. Über das allgemeine Bau- und Pla-
nungsrecht und die gebäudetechnischen Anforderungen hinaus sind im
Bestand zusätzlich diejenigen baulichen Gegebenheiten zu berücksichti-
gen, die von den Vorgängern geschaffen wurden und die man in den
zukünftigen Entwurf integrieren muss und will. Folgerichtig steht die
Ermittlung dieser Grundlagen durch die systematische Erfassung und
Erkundung des Bestands am Anfang des Planungsprozesses. Das mag
zunächst aufwändig erscheinen, zahlt sich aber ohne Zweifel am Ende wie-
der aus. Wer das Tragsystem nicht identifiziert hat, kann auf seine
Eigenheiten nicht eingehen; wer verborgene Werte des Bauwerks nicht
kennt, wird sie schon durch den Entwurf beschädigen oder gar zerstören.
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Der bewusst modern gestaltete Einbau gibt dem Restaurant
in Hamburg einen vollständig neuen Charakter ( Jordan Mozer, 2005).
Wer den Bestand kennt, wird auf Verformungen intelligent eingehen und die
Eigenschaften der alten Baumaterialien ebenso wie die gestalterischen und
historischen Werte einbinden. Der Entwurf muss demzufolge komplexere
Sachverhalte berücksichtigen, als dies im Neubauentwurf der Fall ist. Die
Abstimmungsprozesse sind vielfältiger. Diesen Umstand mag man als Über-
forderung zurückweisen. Man kann und sollte ihn aber besser als
Herausforderung verstehen und für den Entwurfsprozess produktiv machen.
Auf vielen Baustellen muss man leider sehen, dass die Planer sich dieser
Auseinandersetzung verweigern und das alte Haus zunächst einmal auf den
Rohbauzustand reduzieren. Im Umgang mit dem Rest gelten dann optische
Effekte mehr als konstruktiv und gestalterisch durchdachte Lösungen. Die
Lust am Fragment führt zum Verlust des Konzepts. Häufig sind auch schon
die Begriffe ungenau: Altern lassen, Pflegen, Renovieren, Instandhalten,
Instandsetzen, Konservieren, Restaurieren, Reparieren, Erneuern,
Modernisieren, Ersetzen, Rekonstruieren. Dieser unscharfe Wortgebrauch
führt notwendigerweise zu einer babylonischen Sprachverwirrung.
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In dieser Situation soll unser Buch dreierlei leisten: Für denjenigen, der
sich dem Gesamtfeld erstmals nähert, sollen Unterschiede zwischen der
Planung für einen Neubau und dem Entwurf im Bestand deutlich werden.
Dazu gehört neben der umfangreicheren Ermittlung der Grundlagen auch
eine veränderte und angepasste Planungs- und Entwurfsstrategie. Für die
eher am Entwurf Interessierten werden zweitens die unterschiedlichen
Haltungen der neu geschaffenen Architektur zum vorgefundenen Bestand
vorgestellt und analysiert, wie sie in den zurückliegenden Jahren erkennbar
geworden sind. Dass dieser Diskurs nicht zu einer konkreten Handlungs-
anweisung für den erfolgreichen Entwurf im Bestand führen kann, liegt auf
der Hand. Und nicht zuletzt sollen drittens die Besonderheiten der
Baustelle im Bestand verdeutlicht werden.
Dabei geht es uns immer um Orientierung, Verknüpfung und Vorgehen.
Und es versteht sich von selbst, dass wir auch dann, wenn wir eine weitge-
hende Vollständigkeit der vielfältigen Aspekte versucht haben, diese doch
niemals tatsächlich erreichen konnten. Nicht nur deswegen ist unser Buch
kein Handbuch für die Baustellenpraxis und keine Gebrauchsanweisung
zur Lösung praktischer Bauprobleme. Es ist auch kein Leitfaden für die
Denkmalpflege – so sehr wir uns dieser schönen Aufgabe auch verbunden
fühlen und aus dieser Tätigkeit Nutzen gezogen haben. Dazu haben ande-
re schon nützliche Werke vorgelegt, auf die wir in den jeweiligen Kapiteln
gerne verweisen.
Es gibt also gewichtige Gründe für den Architekten und Planer, sich mit
dem Baubestand auseinander zu setzen und das eigene Verhältnis zu des-
sen Werten und Zwängen zu bestimmen. Er hat es mit einem komplexen
Entwurfszusammenhang und vielfältigen Entwurfsparametern zu tun. Wer
sich mit Engagement auf den Entwurf im Bestand einlässt, entdeckt ein
vielschichtiges und faszinierendes Betätigungsfeld, das dem Neubauent-
wurf in nichts nachsteht und durch die Komplexität der Zusammenhänge
zusätzliche Herausforderungen formuliert. Die historische Substanz birgt
eine Fülle von Ressourcen und unentdeckter Werte einerseits und anderer-
seits manche Schwäche und manches Risiko, die zusammengenommen
der Planer klug berücksichtigen und zielgerichtet nutzen muss. Respekt
und Kreativität, die Fähigkeit zur Vernetzung und Verarbeitung unter-
schiedlicher Informationen und individueller Ausdruck sind gefragt. Das
Ergebnis wird hoffentlich klar und konsequent, aber niemals eindimensio-
nal sein. Das alles ist gute Architektur. Wem es gelingt, in seiner Planung
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der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft gerecht zu werden,
zwischen den Ansprüchen der Erinnerungskultur, praktischen Anfor-
derungen und dem zeitgenössischen Kunstschaffen zu vermitteln, der ver-
wirklicht Grundwerte der europäischen Gesellschaft.
Für vielfältige Unterstützung bedanken wir uns bei zahlreichen Haus-
eigentümern und Photographen, die uns bereitwillig das umfangreiche
Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben. Anregende Gespräche mit
Freunden und Kollegen haben uns viele Aspekte verdeutlicht. Wolfgang
Wolters hat uns mit Hinweisen und kritischer Begleitung unterstützt.
Thomas Eißing, Andreas Potthoff, Jens Birnbaum, Arne Semmler und
Friedrich Schmidt haben für das Buch eigens Abbildungen gefertigt.
Die überaus aufwändige und zeitraubende Bildredaktion wäre ohne den
kundigen und engagierten Einsatz von Anke Blümel unmöglich gewesen.
Bernd Fischer hat dem Buch mit Übersicht und in die Details gehender
Sorgfalt seine schöne Form gegeben. Dem Birkhäuser Verlag und dem
Lektor Andreas Müller danken wir für die Initiative und die konstruktive
Begleitung, ohne die das Buch nicht zustande gekommen wäre.
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ARCHITEKTUR UND ZEIT
Je schneller die Zukunft für uns das Neue, das Fremde wird, desto mehr Kontinuität
und Vergangenheit müssen wir in die Zukunft nehmen. Odo Marquard
Architektur ist immer an die Zeit gebunden. Sie wird aus einer spezifi-
schen Situation heraus erschaffen, für einen besonderen Zweck entworfen,
Material und Gestalt werden durch die jeweiligen Mittel, Techniken und
Traditionen bestimmt. Nach seiner Fertigstellung ist das Bauwerk mannig-
faltigen Veränderungen unterworfen. Ein Sprichwort sagt: „Sobald der
Maler das Haus verlässt, beginnt der Verfall.“ Die Alterung des Bauwerks
hinterlässt ihre Spuren, die Patina überzieht die Oberfläche, je nach
Alterungsfähigkeit eines Materials die Oberflächen schützend, ehrfurchtge-
bietend oder zerstörend. Konstruktionszusammenhänge lösen sich durch
natürliche Alterungsprozesse auf oder werden durch äußere Einflüsse wie
Brände oder bewusste Eingriffe zerstört. Schneller noch als die Konstruktion
eines Bauwerkes verändern sich oft die Nutzungsbedingungen und die
Ansprüche der Eigentümer und Nutzer, die auf Umgestaltung des
Bestehenden drängen. Bauwerke sind nicht für die Ewigkeit gemacht.
In Analogie zur menschlichen Existenz führt der Baubestand immer wie-
der eindrucksvoll vor Augen, wie nah überraschende Dauerhaftigkeit, all-
mähliche Alterung und plötzliche Zerstörung liegen können. Dass die
Zeiträume, in denen sich dies abspielt, zwischen wenigen Jahren und vie-
len Jahrhunderten schwanken, macht eine wesentliche Faszination der
Architektur aus. Spuren und Narben der Geschichte eines Bauwerkes
lagern sich in Schichten ab, werden an Brüchen sichtbar und so unlösbar
Teil und Eigenschaft der Architektur. Die erhaltene Bausubstanz wird zum
lebendigen Zeugnis nicht nur seiner Entstehungszeit und der Inten-
tionen, Konzepte und Möglichkeiten seiner Erbauer, sondern auch der
Geschichte selbst, des Verlaufs der Zeit mit all ihren Geschehnissen und
Entwicklungen.
Veränderung ist die selbstverständliche Bedingung des Lebens. Neben den
natürlichen Alterungsprozessen, denen auch die Architektur unterworfen
ist, spielt die Umgestaltung durch die jeweiligen Nutzer eine besondere
Rolle für das Fortleben der Bausubstanz.
Die rasche Aufeinanderfolge unterschiedlichster historischer Rahmenbe-
dingungen, von Moden und Stilen, sowie die rasante Entwicklung neuer
Bautechniken haben in allen Epochen der europäischen Baugeschichte
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Auch die Großen passten sich an. Die Baustelle von St. Peter in Rom um 1535. Rechts die
schon weitgehend abgebrochene konstantinische Basilika, links der Neubau, an dem sich bis
dahin berühmte Architekten mit unterschiedlichen Plänen versucht hatten: Donato
Bramante, Raffael, Antonio da Sangallo und Baldessare Peruzzi. Alle Entwürfe blieben
Fragment. Der große Michelangelo baut nach 1546 selbstverständlich auf diesen Vorgaben
weiter. Bis zur Fertigstellung sind mit gleicher Auftragslage auch noch Carlo Maderno und
Gianlorenzo Bernini beteiligt.
Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass der Entwurf für den Bestand nur dann erfolgreich sein
kann, wenn die Grundlagen sorgfältig und umfassend erhoben wurden. Dieser Plan
dokumentiert eine sorgfältige Rissekartierung aus dem 18. Jahrhundert.
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Architektur im Bestand, der anspruchsvolle und richtungweisende Entwurf
in einer vorgefundenen baulichen Situation, hat eine lange Tradition.
Große Architektur ist immer auch im und aus dem Bestand heraus entwi-
ckelt worden, als Weiterentwicklung von vorgefundenen Ansätzen. Unter
den großen Entwerfern der Architekturgeschichte sind viele, die sich durch
die Arbeit mit dem Bestand durchaus nicht in ihrer Kreativität eingeengt
fühlten, sondern gerade hier ihre entwerferische Kraft verwirklichten. Karl
Friedrich Schinkel hebt bei jedem seiner Umbauvorschläge die Sparsamkeit
seiner Lösung hervor. Er zeigt für jeden Umbauentwurf einen Bestandsplan
und gibt damit dem Betrachter die Möglichkeit, selbst über die Veränderung
zu urteilen. Einige seiner Umbauprojekte gehören zu seinen inte-
ressantesten und architektonisch anspruchsvollsten Schöpfungen. Im
Schlösschen des Alexander von Humboldt in Tegel bei Berlin lässt er auf
Wunsch der Bauherren den Altbau sichtbar, bewahrt so seine Würde und
steigert durch die Ummantelung des bestehenden Turmes und dessen
Wiederholung an den vier Ecken des Hauses seine Wirkung. Wie Schinkel
dort ein zusätzliches Geschoss einführt, ohne das vorhandene Haus zu
erdrücken, und wie er schließlich im Inneren ein ebenso ungewöhnliches
wie geniales Nutzungs- und Erschließungssystem umsetzt, das ist bis heute
ein Lehrstück für jeden, der mit komplizierten Entwurfsbedingungen zu tun
hat.
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Träger und Orientierungspunkt für die
Erinnerung des Einzelnen wie der Gemein-
schaft. Jenseits der herausragenden Einzel-
monumente definieren sich Regionen und
Städte über die Vielzahl jener Bauwerke, die
architektonisch oder künstlerisch von höchst
unterschiedlichem Wert sein können, an die
sich aber im Laufe der Zeit Bedeutungen
angelagert haben und die in gewisser Weise
Teil der allgemeinen Erinnerung geworden
sind. Wie wichtig diese Orientierungsmög-
lichkeit durch architektonische Kontinui-
täten ist, wird überall dort besonders deutlich
sichtbar, wo sich städtische Strukturen in
rascher Folge verändern.
Wo der Veränderungsdruck hoch ist, bei-
spielsweise in den Zentren der modernen
Großstädte, erzeugt das schnelle Werden
und Vergehen von Architektur eine nervöse
Verunsicherung, welche durch ein verstärktes
Interesse an den geschichtlichen Abläufen
gleichsam kompensiert wird. In Städten
wie Tokio, London oder Paris können sich
deshalb das Bild und der Film als dauer- Die massiven Zerstörungen des zweiten Weltkrieges
haben die Stadt Warschau beinahe ausgelöscht.
haftere Erinnerungsträger erweisen, als die Der Wiederaufbau der Altstadt von Warschau
Architektur. rekonstruiert das Verlorene, ohne es im
Detail zu kopieren.
Nach plötzlichen großen Verlusten an histo-
rischer Bausubstanz, wie sie durch Kriege
und Katastrophen verursacht werden,
besteht ein besonders großes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung durch
Architektur. Der Bruch des Kontinuums führt zu einer intensivierten
Auseinandersetzung mit dem verbliebenen baulichen Erbe. In Chicago gab
der große Brand von 1871 nicht nur Anlass zur Neuerfindung der Stadt,
sondern gleichermaßen auch zur Definition einer spezifischen lokalen
Architektursprache. In Warschau entschied man sich nach den Zerstörungen
im Zweiten Weltkrieg für einen an den Vorkriegszustand erinnernden
Wiederaufbau der Innenstadt auf den historischen Grundstücksgrenzen.
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Im ländlichen Raum ist die Bindung an die Tradition oft noch ungebrochen. Die alten
Bauformen werden im modernen Material weitergeführt, die Pflege und Reparatur des
Besitzes sind eine Selbstverständlichkeit.
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Architektur im Bestand ist in besonderer Weise Ausdruck einer europäi-
schen Kultur, die Neuerung und Tradition zugunsten eines reichen, charak-
terstarken und vielschichtigen Lebensumfeldes zu verbinden weiß.
John Ruskin stellte die Paläste Venedigs in der Mitte des 19. Jahrhunderts
mit ihrer Patina und allen Spuren der Zeit und Veränderung dar.
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werden soll. Er hat damit die weitere
Architekturdiskussion maßgeblich geprägt
und auch das Fundament der modernen
Denkmalpflege gelegt. Aufgegriffen wurden
diese Gedanken von den Kunsthistorikern
Alois Riegl und Georg Dehio, der 1905 for-
derte, dass die Konservierung und nicht
die rekonstruierende Wiederherstellung des
Gebäudes das Ziel eines geschichtsbewussten
Umgangs mit alten Bauwerken sein müsse.
Die Moderne empfand die Auseinanderset-
zung mit der Baukunst vergangener Epochen
dann zunehmend als unfruchtbare Be-
schränkung der Kreativität und setzte dieser
Tradition die grundsätzliche Erneuerung und
das Recht auf das Neue entgegen. Jede Gene-
ration sollte sich ihr eigenes Lebensumfeld
schaffen und die Architektur sollte sich in
regelmäßigen Abständen radikal erneuern.
Den Bischof von Seggau faszinierte im 18. Jahrhundert
das Historische römischer Fundstücke schon genauso wie Walter Gropius, damals Leiter des Bauhauses,
die Touristen des Jahres 2006 in den Ruinen von Ephesos. schrieb dazu:
„Bei dem Tempo der technischen Entwick-
lungen, die die letzten Jahrzehnte genommen haben, ist es zu fordern, daß
die bisherige Tendenz, Hausbauten auf hundertjährige Lebensdauer zu
erstellen, geändert wird. Die Überalterung der Bauten ist heute eine bedeu-
tend schnellere, als in den vergangenen Generationen. Deshalb ist aus volks-
wirtschaftlichen Gründen zu fordern, daß die Lebensdauer der Häuser
beschränkt wird. Dies würde uns auch in den Stand setzen, die Bauten leichter
zu finanzieren und überalterte schneller auszumerzen.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg und den traumatischen Verlusterfahrungen
der Luftkriegszerstörungen wurde das Verhältnis der modernen Archi-
tektur zur Geschichte noch einmal neu definiert. Die Charta von Venedig
formulierte 1964 in knapper Form Leitlinien zum Umgang mit dem bauli-
chen Kulturerbe, die bis heute für den Umgang mit alten Bauten prägend
sind. Die Kernbotschaft ist, dass der Zeugnis- und Informationsgehalt his-
torischer Architektursubstanz wertvoll und nicht ersetzbar ist und daher
für gegenwärtige und kommende Generationen bewahrt werden muss.
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Um das Wissen über die Bauten zu tradieren, müssen sie erforscht und
dokumentiert werden. Maßnahmen zur Erhaltung der Bauten sollen an der
größtmöglichen Authentizität orientiert sein. Dazu gehört, dass im Zwei-
felsfall die Bewahrung der Substanz vor der Bewahrung des Bildwertes
steht. Aktuelle Maßnahmen, Materialien und Ergänzungsbauten, so die
Charta von Venedig weiter, sollen sich von dem historischen Bestand deut-
lich unterscheiden und absetzen. In der Folge wuchsen das Interesse und
die Zustimmung für die erhaltene Bau-
substanz zusehends. Die modernen Pla-
nungsprinzipien der Stadtsanierung hatten
zu einer emotionalen Entleerung der gebau-
ten Umwelt geführt, einer Kühle und
Indifferenz, die nicht das Ziel der Archi-
tektur sein konnte. Soziale Erneuerung, die
Erhaltung historischer Ortskerne und die
ökologische Bewegung gingen eine enge
Allianz ein, in der auch die Denkmalpflege
ihren Platz fand. Das Denkmalschutzjahr
1975 formulierte prononciert die Kritik an
dem gegenwärtigen Städtebau und einer
Modernes Erschließungsbauwerk in der Burgruine
rationalen aber allzu gleichförmigen Archi- Ehrenfels, additiv und reversibel (Auer/Cramer, 1995).
tektur. Die Postmoderne hat dann den Bau-
bestand und besonders die historischen Innenstädte als Thema des
Entwerfens wieder entdeckt. Das Bestehende verfügt für die postmoderne
Auffassung bereits über jene Vielschichtigkeit, Zufälligkeit und Charakter-
haftigkeit, die auch von der neuen, gegen die Leere der seriellen Fabrikation
und Wiederholung gerichteten Architektur gefordert wurde. Der Bestand
besitzt aus dieser Sicht einen genius loci, der zu berücksichtigen und ent-
wurflich zu stärken ist. Er besitzt darüber hinaus eine Vielzahl von individu-
ellen Aspekten, phänomenologischen Splittern, die oft keinen Zusammen-
hang mehr erkennen lassen, und die zur Anregung dienen, aufgegriffen
oder kontrastiert werden können. In der Praxis führte dieser Ansatz aller-
dings häufig zu einem zufälligen Spiel mit beliebigen Formen.
Heute ist die Berücksichtigung des gewachsenen Umfeldes eine Selbst-
verständlichkeit, die durch Gestaltungssatzungen, Beteiligungsverfahren,
Denkmalschutzgesetzgebung und andere Vorschriften auch institutionell
verankert ist. Bauhistorische Forschung hat in vielen Gegenden eine Fülle
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von Material zu den vielfältigen Formen des Bauens zusammengetragen
und hilft, historische Konstruktionen und Entwürfe zu verstehen und ein-
zuordnen. Dennoch stellt sich auch heute wieder neu die Frage nach unse-
rem Verhältnis zur Vergangenheit der Architektur. In jüngster Zeit sind
Tendenzen spürbar, die eine Entkoppelung der Erinnerung von den authen-
tischen Spuren der Geschichte betreiben. Sie nehmen dabei Gedanken der
1960er Jahre wieder auf, die das Recht des Einzelnen zur freien Wahl seines
Geschichtsbildes unabhängig von kanonisierten Geschichtsentwürfen her-
vorhoben. Was damals Befreiung war, wirkt heute wie ein Rückfall in eine
verantwortungslose Beliebigkeit.
Was heißt unter diesen Voraussetzungen Architektur im Bestand? Welche
Ziele sollen Reparatur, Sanierung, Ertüchtigung als Entwurfsaufgaben
haben? Wie können Qualitäten wiedergewonnen werden, welche die erhal-
tenen Bauwerke einmal besaßen? Jede Form der Architektur im Bestand ist
Vermittlung einer bestimmten Einstellung zur Historizität von Architektur.
Dass die Herstellung von Bildern, im Sinne einer gut fassbaren Insze-
nierung der Erscheinung, leicht zu einem ungewollten Verlust an Substanz
führen kann, dass sich mit der Rekonstruktion vergangener Zustände die
Gefahr einer Verflachung der historischen Realität wie der eigenen Gegen-
wart verbindet, ist bekannt. Auf der anderen Seite kann und darf die
Gesellschaft nicht auf die Nutzung der im Altbaubestand gebundenen Erin-
nerungswerte verzichten. Viele Fragen nach dem technischen Umgang mit
historischer Bausubstanz, sowohl entwurflich wie baukonstruktiv, sind
heute zufriedenstellend geklärt, und der Architekt kann dabei auf ein
breites Material zur Lösung von spezifischen Problemen zurückgreifen.
„Lernen von der Vergangenheit“ hieß aber bei Karl Friedrich Schinkel
wie bei Le Corbusier nicht einfach die Übernahme, sondern die schöpferische
Weiterentwicklung und Verbesserung des bisher Erreichten.
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Architektur ist zeitgebunden. Und oft verrinnt die Zeit schnell. Dieses Bürogebäude in Berlin
wurde 1999 instandgesetzt und schon im Jahr 2003 noch einmal grundlegend neu gestaltet.
Historische Baustoffe sind manchmal anspruchsvoll, Alte Häuser haben viele Bewohner. Deswegen ist auch
aber immer benutzerfreundlich und ökologisch der Artenschutz eine Aufgabe des Architekten:
unbedenklich. Fledermäuse im restaurierten gotischen Kreuzgang.
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Ignoranz wird dort besonders deutlich, wo
kurzlebige Entscheidungen langfristige
Folgen haben.
Der überkommene Baubestand muss
schließlich nicht nur als Teil des kulturellen
Erbes, sondern ebenso als materielles Erbe
einer Gesellschaft angesehen werden. Volks-
wirtschaftlich gesehen besitzt er einen
gewaltigen Wert. Große Mengen an Energie
sind in den Baumaterialien und beim Bau
Der Abriss des Außenministeriums der DDR
erfolgte ohne jede gesellschaftliche Diskussion um den der Gebäude gebunden worden, die weiter-
Wert dieser Architektur. hin zur Verfügung stehen. Historische
Baumaterialien aus der Zeit vor der Indus-
trialisierung bestehen darüber hinaus in der Regel aus natürlichen, ökolo-
gisch und gesundheitlich unbedenklichen Stoffen und haben ihre Eignung
bereits bewiesen.
Gerade diejenigen Eigenheiten, welche die historische Architektur von
den modernen Bauten unterscheiden, können zudem einen immanenten
Wert haben, der heute wirtschaftlich nicht mehr ohne weiteres herstellbar
wäre. Sorgfältig gehauene Werksteine, vielteilige Füllungstüren oder auf-
wändige Dekorationen sind als Standardlösungen heute kaum noch vor-
stellbar. Die großzügig ausgelegten Räumlichkeiten, die repräsentativen
Eingangsbereiche, die hohen Decken und der verschwenderische und
kreative Umgang mit Raum, wie er für viele historische Bauten charakte-
ristisch ist, ließe sich heute aus Kostengründen und wegen der Beachtung
der Baunormen kaum noch realisieren; für viele Nutzer hat aber gerade
das einen großen Wert. Umgekehrt sind Abriss und Entsorgung alter
Gebäude häufig ein zusätzlicher und oft unnötiger Aufwand, der zudem
die Umwelt belastet.
Es lohnt sich, die verschiedenartigen Werte, die in einem historischen
Bauwerk stecken, zu vergegenwärtigen und sie der Öffentlichkeit gegen-
über herauszustellen. Auf diese Weise kann der tatsächliche Sachwert eines
Gebäudes real steigen. Derjenige Bauherr hat auch wirtschaftlich alles richtig
gemacht, der ein altes Haus in einem heruntergekommenen und schlecht
beleumundeten Viertel günstig kauft und anschließend die Werte der
Bausubstanz, des Standortes und der örtlichen Bau- und Erinnerungs-
kultur so weit nach außen vermittelt, dass sich das Viertel nach und nach
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belebt und dadurch aufgewertet wird. Ständige Erneuerung ohne Rücksicht
auf das Bestehende dagegen kann gegenüber der Nutzung der vorhande-
nen Ressourcen nicht wirtschaftlich sein. Der Baubestand hat insofern
neben dem kulturellen auch einen substantiellen und volkswirtschaftlichen
Wert, der bei einer von kurzfristigen Moden bestimmten Einschätzung allzu
oft übersehen wird. Dagegen ist für jeden langfristig denkenden Bauherrn
längst klar, dass der Realwert seiner Immobilie in jedem Fall durch Pflege
und nachhaltige Erneuerungsmaßnahmen gewahrt werden muss. Von der
baulichen Stadtsubstanz des Jahres 2030 sind schon heute 70 bis 80
Prozent als bauliche Gehäuse vorhanden. Das stellt die Gesellschaft und
mit ihr die Architektenschaft vor die Aufgabe, professionell und zukunfts-
orientiert mit dem Bestand umzugehen.
Literaturhinweise
Die theoretisch-philosophischen Grundlagen zur Auseinandersetzung mit der Zeit hat am
prägnantesten Ricœur untersucht. Die Erinnerungsdebatte wurde in den 1980er Jahren
von Halbwachs angestoßen. Lübbe beschreibt das problematische Verhältnis der
Gegenwart zur Dauerhaftigkeit. Einen Sammelband zur Erinnerungsarbeit haben
Breitling/Orth vorgelegt. Unser Verhältnis zur gebauten Vergangenheit erörtern aus
unterschiedlichem Blickwinkel Anderson, Assmann, Assmann/Harth, Bolz,
Bloomer/Moore, Boyer, Loewy/Moltmann, Lowenthal, Lynch und Tausch. Die
Konkretisierung auf bestimmte Orte und Bauwerke haben für Frankreich Choay und für
Deutschland François/Schulze zusammengefasst. Mostafavi/Leatherbarrow
beschäftigen sich ausführlich mit dem Verfall von Bauwerken. Jencks hat die historische
Dimension für die Neubauarchitektur wieder in den Blick genommen. Rossi und
Lampugnani erläutern die Bedeutung des vorgefundenen Baubestandes für die Stadt. Die
Hintergründe des forcierten Stadtumbaus beschreibt prägnant Oswalt.
Die Schönheit und die intellektuelle Botschaft der alten Bauten hat 1849 Ruskin in seinen
„Seven Lamps of Architecture“, zwei Jahre später in den „Stones of Venice“ gepriesen.
Brachert versucht, diese Empfindungen zu objektivieren. Die Grundlagen und die
Denkweise der Denkmalpflegetheorie hat am besten Huse zusammengefasst. Zahlreiche
Aspekte dazu sind auch Wolters zu verdanken. Eine moderne Fortschreibung versuchen
Pedretti, Lipp/Petzet und Meier/Wohlleben.
Einen schönen Überblick über den Umfang der Aufgabe „Architektur im Bestand“ in histo-
rischer Zeit geben Caperna/Spagnesi.
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PLANUNGSABLAUF
Jeder Eingriff bedingt eine Zerstörung. Zerstöre deshalb mit Verstand. Luigi Snozzi
Besonderheiten im Planungsprozess
Im Grundsatz unterscheidet sich der Entwurfsprozess im Bestand nicht
von dem Ansatz für einen Neubauentwurf. Der Anspruch höchster
gestalterischer Qualität, die uneingeschränkte Gebrauchsfähigkeit und die
wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen gelten auch und gerade hier.
Unterschiede finden sich einzig in der ausführlicheren Ermittlung der
Grundlagen, der größeren Zahl von Beteiligten am Planungsprozess, zu
denen bei eingetragenen Kulturdenkmalen im Besonderen die Denkmal-
behörden gehören, und – daraus resultierend – in dem meist aufwändigeren
Abstimmungsprozess der einzelnen Planungsschritte.
Notsicherungsmaßnahmen
Viele Projekte im Bestand beginnen notge-
drungen nicht mit der Entwurfsplanung,
sondern mit kleinen Baumaßnahmen. Kein
verantwortungsbewusster Planer wird zuse-
hen wollen, wie während der möglicherweise
langwierigen Planungs- und Abstimmungs-
arbeit der Baubestand zunehmend verfällt
oder vandalisiert wird. Es gehört deswegen
zu den ersten Aufgaben des planenden
Architekten, den Bau wenigstens proviso-
risch zu sichern und dringende Notsicher-
ungsmaßnahmen auf oft sehr unterschied-
Licht und Schatten der Bauwerkssicherung: luftdurch-
lichen Gebieten einzuleiten. lässig unten, dicht und schwammgefährdet oben.
Seitdem historische Baustoffe ein Handels-
gut geworden sind, ist die Gefahr groß, dass ein offen stehendes altes
Gebäude in kurzer Frist mutwillig zerstört oder gar vollständig ausgeplün-
dert wird. Die Sicherung gegen unberechtigten Zugang ist deswegen ein
dringendes Erfordernis. Eine provisorische Bautür und luftdurchlässig ver-
mauerte Fenster sind besser als der Verlust der alten Ausstattung. Auch die
Sicherung gegen Regenwasser ist unverzichtbar. Verstopfte Dachrinnen
sollen unverzüglich gereinigt und schadhafte Stellen repariert werden.
Der gebrochene Türsturz in der Burg Witten wird durch die Unterspannung gehalten. Eine
wirkungsvolle und reversible Maßnahme (Hans-Busso von Busse, 1995). 29
Massiver Hausschwammbefall an der Fassade des Fachwerkwand mit weit reichenden Zerstörungen der
Narkomfin-Hauses in Moskau (Moissej Ginzburg, 1930). Holzkonstruktion aufgrund einer schadhaften Dachrinne;
nach der Reparatur.
Große und auch kleine Schadstellen in der Dachhaut werden durch nach-
gesteckte Ziegel, wo dies nicht reicht durch Wellbitumen oder andere dau-
erhafte Materialien nachhaltig geschlossen. Der Aufwand dafür ist meist
klein, der Effekt umso größer. Wo dies nicht geschieht, kann aus dem klei-
nen Loch im Dach während einer halbjährigen Planungsphase ein massi-
ver Hausschwammschaden werden. Vorhandenem Hausschwamm muss
unverzüglich und nicht erst während der eigentlichen Bauarbeiten der
Nährboden entzogen werden. Bewegliche befallene Teile sollen ausgebaut
und – fachgerecht – entsorgt werden.
Elektronische Überwachung von Bauwerksrissen.
Unverzichtbar ist auch die Sicherung des
Tragwerks. Abgesunkene Decken und schief
stehende Wände müssen so abgestützt wer-
den, dass die Lasten auf sichere Bauteile
umgelenkt werden. Klaffende Risse müssen
unverzüglich mit einem Monitorsystem
überwacht werden, um Bauwerksbewegun-
gen schon in der Planungsphase so lange als
möglich zu verfolgen und drohende Gefahr
schon im Keime abzuwehren.
30
Vorbereitende Untersuchungen
Die Grundlagenermittlung für einen Neubauentwurf konzentriert sich
wesentlich auf die Klärung der städtebaulichen Situation, ggf. des Bau-
grunds mit denkbaren Belastungen und natürlich der Bauherren-
bedürfnisse. Das leere Grundstück stellt meist keine weiteren Forde-
rungen. Das vorhandene Gebäude ist da anspruchvoller. Über die in der
Folge beschriebenen Maßnahmen hinaus erfordert es eine Änderung der
Denkrichtung; Es ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch ein grober
Planungsfehler, wenn beispielsweise der vorhandene Grundriss nur deswe-
gen geringfügig verändert werden soll, weil angeblich vorgegebene
Raumgrößen eingehalten werden müssen. Das umgekehrte Verfahren ist
richtig: Welche Möglichkeiten bietet der Grundriss, wie lassen sich die vor-
gefundenen Strukturen optimal nutzen und wie können die vorgefunde-
nen und ermittelten Werte zur Geltung gebracht werden?
Planungstiefe
Im Neubauentwurf kann der Planer ohne Schaden vom Großen zum Kleinen
planen. Ein bei Baubeginn vollständig bis in die Werkplanung durch-
gearbeiteter Entwurf ist zwar immer wünschenswert, aber nicht unver-
zichtbar. Im Bestand rächt sich diese Haltung schon bald. Häufig hängt die
Umsetzbarkeit einer Planungsidee von den Einzelheiten der vorgefundenen
Konstruktion ab, die man deswegen auch geprüft haben muss. Im Bestand
reicht es nicht, im Maßstab 1:100 für die Genehmigungsplanung eine gene-
relle Idee zu formulieren, die dann später weiter ausgearbeitet wird.
Die Realisierbarkeit des Konzepts muss in kritischen Bereichen, also bei-
spielsweise für den Einbau zusätzlicher Treppenhäuser, den Ausbruch von
Wänden und auch die Leitungsführung, schon in der Konzeptphase bis in
die Einzelheiten geprüft sein, wobei der Tragkonstruktion ebenso wie den
räumlichen Verhältnissen das besondere Augenmerk gelten muss. Es hilft
wenig, wenn man am Ende für eine neu eingebaute Verstärkungskon-
struktion die vorhandene alte Struktur entscheidend schwächen muss.
31
Nicht nur deswegen sollte man vor allem geschossübergreifende Baumaß-
nahmen stets in dreidimensionalen Darstellungen überprüfen und veran-
schaulichen. Wo diese Kontrolle unterbleibt, erlebt man sonst die unange-
nehmen oder sogar katastrophalen Überraschungen dann in der Bau-
durchführung.
Isometrische Darstellung einer in den historischen Bestand des Palazzo Lanfranchi in Pisa neu
eingefügten Erschließung (Massimo Carmassi, 1980).
32
Einfühlen in den Bestand
Die Palastanlage aus dem 15. Jahrhundert spielte für die Ein-
führung des Renaissance-Stils in Salamanca eine besondere
Rolle. Sämtliche für den Umbau zur öffentlichen Bibliothek
notwendigen Baumaßnahmen wurden aus der Beurteilung
des Bestandes und einer ausführlichen Schadensaufnahme
abgeleitet. Mit einfachen und dem Objekt angepassten Repa-
Die Konstruktion und Gestaltung
raturen und wenigen Hinzufügungen wurde die Ausstrah- der neuen Fenster erfüllt die
lungskraft der originalen Bausubstanz, ihre Funktionalität Anforderungen, die sich aus der
Bibliotheksnutzung ergeben, fügt
und die große Flexibilität in der Raumnutzung erhalten. Der sich durch die gestalterischen
Entwurf für neue Raumabschlüsse, Trennwände, Decken, Anknüpfungspunkte an den
Türen, Fenster und andere Ausbaudetails nimmt Aspekte Bestand aber auch gut in die
vorhandene Fassade ein.
der vorhandenen Architektur einfühlsam auf und setzt sie
modern um, ohne den Kontrast zu suchen. Die Verwendung
traditioneller Werkstoffe garantiert die Einfügung der neuen
Bauteile in die historischen Wände und Decken aus massi-
vem Natursteinmauerwerk und Holz. Werkplanungsdetail für das Fenster.
Der Bauherr
Der Bauherr ist immer die Hauptperson, die bestimmt, was passieren soll.
Und von demjenigen, der sich für die Weiterentwicklung eines alten
Gebäudes entschieden hat, darf man sicher erwarten, dass er dies nicht nur
wegen steuerlicher Vorteile, sondern bewusst und mit Optimismus getan
hat. Lagevorteile der Immobilie, die historische Anmutung und gestalte-
risch hochwertige Ausstattungsdetails ge-
ben dazu berechtigten Anlass.
Gleichwohl sind bei vielen Bauherren Ängste
vor unliebsamen Überraschungen weit ver-
breitet. Es wird also darauf ankommen, die-
sen Ängsten durch bewusstes Handeln zu
begegnen. Die sorgfältige Vorbereitung, die
dann aber auch finanziert sein will, ist das
Fundament dafür. Die Bereitschaft, die
grundsätzlich akzeptierten Nutzungswün-
sche dem Baubestand anzupassen, ist unver-
zichtbar. Und ohne den Mut, von Gewohn-
tem abzuweichen, kommt man nicht zu
einem überzeugenden Ergebnis. Dabei geht
es nicht um Verzicht auf Qualität, sondern
darum, die Eigenheiten eines historisch ver-
änderten Gebäudes zu akzeptieren und
seine Werte zur Geltung zu bringen. Nur so
entsteht die Individualität und unverwech-
selbare Identität des Entwurfs, derentwegen
Interessante Funde ruinieren den Bauherrn keineswegs.
Hinter der Verkleidung überleben sie bestens. Größerer alte Gebäude nicht erst heute so hoch
Aufwand ist möglich, aber nicht verpflichtend. geschätzt werden.
34
Der Architekt
Der Architekt ist Entwurfsverfasser und Koordinator aller weiteren Beteilig-
ten. Die Zahl der Sonderfachleute ist dabei im Bestand deutlich größer als
im Neubau. Zur Erkundung der Eigenschaften und Eigenheiten des vorge-
fundenen Gebäudes sind vielfach spezialisierte Einzeluntersuchungen
erforderlich. Sie betreffen nicht nur das Tragwerk, sondern auch die
Materialeigenschaften und natürlich die historischen und gestalterischen
Werte eines alten Gebäudes. Hier den Umfang unabweisbar erforderlicher
Erhebungen festzulegen, ohne in kostspielige und vielleicht sogar überflüs-
sige Gutachterorgien zu verfallen, erfordert ein hohes Maß an Kompetenz
und Verantwortung. Der Planer muss auch verhindern, dass Gutachten nur
deswegen doppelt angefertigt werden, weil schon früher erstellte Unter-
lagen unbekannt geblieben sind. Der Architekt muss auf der einen Seite die
Zersplitterung der Verantwortung in einzelne Sektoren verhindern, die
dann fast unabhängig voneinander abgearbeitet werden, und auf der ande-
ren Seite der Versuchung widerstehen, sämtliche Aufgabenfelder in eige-
ner Person abzuarbeiten, auch wenn er sich dazu in der Lage fühlt.
Die Baugenehmigungsbehörde
Die Forderungen an die Errichtung eines Neubaus sind trotz vieler
Anstrengungen zur Deregulierung weiter und berechtigterweise hoch. Es
versteht sich von selbst, dass ein vorhandenes Gebäude, das vor vielen
Jahren errichtet wurde, nicht allen diesen modernen Forderungen entspre-
chen kann. Selbstverständlich wird sich der Planer bemühen, eine große
Zahl solcher Abweichungen im Zuge der Baumaßnahme zu beseitigen.
Ganz wird das aber in aller Regel nicht gelingen, wenn man das Bauwerk
nicht vollständig zerstören und damit große wirtschaftliche Nachteile für
den Bauherrn in Kauf nehmen will. Alle Bauordnungen kennen neben den
klaren und scharfen Forderungen auch die Möglichkeiten der Ausnahmen
und Befreiungen von diesen Forderungen, um eine sinnvolle und volks-
wirtschaftlich zweckmäßige Baumaßnahme zu gewährleisten.
35
Solche Ausnahmen müssen sich zuerst auf diejenigen Sachverhalte
beziehen, die sinnvollerweise nicht zu verändern sind: geringe
Geschosshöhen, Raumgrössen und Grundrissorganisation,
daneben aber auch die materialtechnischen Vorgaben. Eine historische
Holzkonstruktion muss eine Holzkonstruktion bleiben – allen entgegenste-
henden Vorstellungen – etwa des Brandschutzes – zum Trotz. Hier muss
der Architekt sich als durchsetzungsfähig beweisen.
In Zeiten von deren zunehmender Verknappung ist ferner die Energie-
effizienz zu nennen. Viele historische Bauten sind mit ihren dicken
Natursteinmauern energetisch hervorragend aufgestellt. Selbstverständlich
gibt es aber auch Schwachstellen. Die gesamtheitliche Betrachtung der
Energiebilanz hilft oft über diese Klippen
hinweg. Historische Fenster können durch
Zusatzflügel so weit nachgerüstet werden,
dass sie den Minimalforderungen genügen
und so von den Behörden akzeptiert werden
können. Darüber hinaus ist häufig der
Brandschutz betroffen. Die Forderung,
dass sämtliche tragenden Bauteile aus nicht
brennbaren Materialien errichtet sein müs-
sen, ist sicher im Grundsatz sinnvoll. Ein
altes Gebäude mit Fachwerkwänden und
Holzbalkendecken kann man solchen For-
derungen aber nicht anpassen. Hier helfen
brandhemmende Verkleidungen und der
Das historische Fenster wird durch einen Zusatzflügel
energetisch nachqualifiziert; der alte Bestand bleibt Einbau einer Brandmeldeanlage, welche die
vollständig erhalten. rechtzeitige Evakuierung der Nutzer und
Bewohner sicherstellt. Den Verlust der
Sachwerte im – unwahrscheinlichen – Brandfall muss man dann in Kauf
nehmen. Mit dem Schallschutz verhält es sich ähnlich.
Die Kompromissbereitschaft der Genehmigungsbehörde endet zuverlässig
immer dort, wo das Leben und die Gesundheit der Nutzer und Bewohner
nicht mehr gewährleistet erscheint.
Ein Sonderfall der Planung im Bestand ist das eingetragene Kultur-
denkmal. Zur Frage, welche Bauten davon betroffen sind, führt die Untere
Denkmalschutzbehörde die Denkmalliste. Für jede Veränderung an einem
dergestalt eingetragenen Baudenkmal ist eine denkmalrechtliche
36
PLANUNGSAUFTRAG FÜR
1. Bestandszeichnungen DEN ARCHITEKTEN
2. Planungsunterlagen
Grundrisse, Ansichten,
Details (Fenster etc.)
3. Rot-Gelb-Plan BAUANTRAG
(Veränderungen) Bauaufsichtsamt
4. Bauphasenplan
5. Ausstattungsplan
6. Bindungsplan Tragwerk UDSchB Landes-
7. Verlustplan Brandschutz Untere denkmal-
Umwelt Denkmal- amt
Gewerbeamt schutz-
.............. behörde
entweder
denkmal-
schutzrechtl.
Erlaubnis
oder
BAUGENEHMIGUNG
Baumaßnahme
Das Genehmigungsverfahren
37
Der Bauphasen- und Befundplan zeigt die historische
Vielschichtigkeit des Bauwerks nach objektiven
Kriterien.
38
Der Bindungsplan legt auf der Grundlage einer
Wertung fest, in welchem Ausmaß verändernde
Eingriffe zulässig sind.
39
In der Praxis versteht es sich dann aber von selbst und ist auch allgemein
akzeptiert, dass im Interesse einer nachhaltigen Erhaltung und Nutzung
eines denkmalgeschützten Gebäudes bauliche Eingriffe und die An-
passung an moderne Nutzungsstandards nicht nur unausweichlich, son-
dern sogar ausdrücklich erwünscht sind. Die Aufgabe des Planers ist es,
diese Eingriffe mit gründlicher Kenntnis des Bauwerks substanzscho-
nend und unter Wahrung der Authentizität des Baudenkmals zu
organisieren. Diese Forderungen sind fast immer dann gewahrt, wenn eine
Baumaßnahme im Grundsatz reversibel ist. Die Identität des Bauwerks
und seine historischen Werte müssen konserviert und an die Nachwelt tra-
diert werden – mehr aber auch nicht. Der Denkmalpfleger wird deswegen
vor allem nach dem durchgehenden Konzept der Planung fragen – nicht
anders als der Architekt. Das Ziel der behördlichen Denkmalpflege kann
und darf es dagegen nicht sein, sich weit reichend in gestalterische
Entscheidungen einzumischen, die ausgrei-
fende Freilegung historischer Gestaltwerte
zu fordern oder gar die Rekonstruktion
lange verlorener Bauzustände zu verlangen.
Solche Entscheidungen kann der Bauherr
sich wünschen und wird damit bei den
Denkmalbehörden derzeit erfahrungsge-
mäß oft auf ein geneigtes Ohr treffen. In die
andere Richtung, von den Behörden an den
Bauherrn, fehlt für solche Forderungen die
gesetzliche Grundlage. Schwierigkeiten mit
den Denkmalbehörden wird in jedem Falle
derjenige haben, der das altehrwürdige Bau-
Denkmalpflege heißt keineswegs Rekonstruktion. Der
„rekonstruierte Neumarkt“ mit der wieder aufgebauten werk als Verfügungsmasse und Steinbruch
Frauenkirche in Dresden ist Architektur des Jahres 2006, für die beliebige Inszenierung eines voll-
keine Denkmalpflege.
ständig anderen Projekts versteht.
Das Ziel der Denkmalpflege ist die Erhaltung des alten Gebäudes, seine
Sicherung und nachhaltige Entwicklung. Man kann zu Rekonstruktionen
stehen, wie man will: Mit den Zielen der Denkmalpflege haben sie nichts
zu tun.
40
Von der Bauuntersuchung zum Planungskonzept
Die Ausführenden
Jede Baumaßnahme steht und fällt mit der Qualifikation der ausführenden
Bauleute. Im Bestand bringen es die Kleinteiligkeit der Planung und die
Forderung nach material- und konstruktionsgerechtem Bauen mit sich,
dass viele der Bauleistungen Handwerkerarbeit sind. Hier muss die Bereit-
schaft zur sorgfältigen Arbeit vorhanden sein, will aber auch durch den
Planer gefordert und gefördert werden.
42
Das elektronisches Raumbuch verzeichnet sämtliche Bauwerksinformationen
und erlaubt allen Beteiligten den gleichzeitigen Zugang für Informationen
und Fortschreibung; ohne Zweifel der Weg der Zukunft.
Literaturhinweise
Zu historischen Baumaterialien ist Schrader hilfreich. Der überwiegende Teil der systema-
tischen Literatur zu diesem Thema stammt aus dem Bereich der Denkmalpflege. Sie setzt
sich seit langer Zeit mit substanzschonenden Planungsmethoden auseinander und hat
zugleich fast immer die Aufgabe, bewohnte und genutzte Bauwerke instand zu setzen.
Allen diesen Fragen widmen sich Ashurst, Baer, Feilden, Fischer, Petzet/Mader,
Thomas oder auch Whelchel. Darüber hinaus ist auch die im folgenden Kapitel diskutier-
te Literatur zu Rate zu ziehen. Zu Fragen der Planung ist Franz 2003 hilfreich.
43
Steingerechte Bauaufnahme eines Giebels mit
Eintragung aller Befunde von baulichen
Veränderungen bis zur Erhaltung der alten Putze.
GRUNDLAGENERMITTLUNG
Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft. Wilhelm von Humboldt
45
Die Ergebnisse der neutralen Bestandsaufnahme und der nach objektiven
Kriterien durchgeführten Bauuntersuchung werden in einem dritten
Schritt bewusst und offen gewertet. Erst hier können eigentlich kontro-
verse Diskussionen entstehen. Die Stärken und Möglichkeiten des
Gebäudes werden erkennbar. Nicht jeder vermeintliche Schaden ist auch
tatsächlich einer; und nicht jeder faktisch vorhandene Schaden erfordert
einen Eingriff. Aus der Gesamtschau ergibt sich der Rahmen und
Spielraum, in den der künftige Entwurf sich einordnen muss.
46
Bestandserfassung
Das während des Planungsprozesses angehäufte Wissen über den
Baubestand soll so dokumentiert und archiviert werden, dass es dauerhaft
tradiert werden kann. Bei späteren Maßnahmen muss es möglich sein,
auch die älteren Dokumentationen noch heranzuziehen und zu nutzen. Bei
einem möglichen Verlust des Gebäudes bleibt die Bestandserfassung das
einzige Zeugnis. Bauämter ebenso wie Denkmalämter fordern für die
Archivierung der Bauaufnahmen als Mindeststandard die klare Darstellung
und Kennzeichnung sowie ein eindeutiges Zuordnungssystem.
Im Sinne der Nachhaltigkeit und langfristigen Benutzbarkeit müssen
Pläne, Photos und andere Dokumentationen lagerungsbeständig sein. Für
die Planzeichnungen haben sich hier Bleistiftzeichnungen auf säurefreiem
Karton bewährt, während Transparentpapier ein schlechtes Alterungsver-
halten aufweist. Schwarzweißphotos halten als Barythabzug deutlich länger
als PE-Träger. Der dauerhafteste Bildträger sind Glasplatten, die sich nach
heutigem Wissen praktisch unbegrenzt halten. Die langfristige Sicherung
digitaler Daten ist bei Photos, Texten und Pläne bisher völlig ungewiss.
Grunddaten
Am Anfang der strukturierten Beschäftigung mit einem alten Gebäude steht
die Erhebung der Grunddaten. Zugleich wird die Zuständigkeit von Ämtern
geklärt. Erste Überlegungen zur Umnutzung, zur Erschließung und zum
Umbau werden mit dem Bauordnungsamt, dem Denkmalschutz und dem
Sanierungsträger besprochen. Durch Einsicht in das Grundbuch und das
Baulastenbuch werden eventuelle Grunddienstbarkeiten und Baulasten
ermittelt. In den Bauakten im Bauamt findet man Angaben zum Baujahr, zu
späteren Veränderungen, Auflagen, Beschränkungen, Befreiungen sowie
Plansätze und Einzelgutachten. Zur Erfassung der Grunddaten gehören
außerdem die geodätische Verortung, der Lageplan mit Flurnummer und
die amtliche Feststellung der Grundstückgrenzen. Das Bauvolumen und die
Brutto- ebenso wie die Nutzflächen werden ermittelt. Gerade die letztge-
nannten Daten sind im Bestand häufig nicht einfach zu beschaffen und
ohne eine gute Bauaufnahme meist nur annäherungsweise zu ermitteln.
Die erste Ortsbegehung dient der Begutachtung des Umfelds und der Lage
des Bestandsobjektes im baulichen Zusammenhang.
47
Literatur und Archiv
Eine kompetente Planung ist nur mit einer konkreten Vorstellung von der
Örtlichkeit und dem Objekt möglich. Sobald hier die ersten Schritte durch
Begehung und Klärung der Vorstellungen des Bauherrn getan sind, ist als
nächstes die Auswertung des Schrifttums und der Archive zum Gebäude
unverzichtbar. Für berühmte Gebäude ist diese Quelle sicher fast uner-
schöpflich. Im Normalfall wird man immer das Handbuch der Deutschen
Kunstdenkmäler von Georg Dehio und die Denkmaltopographie heranziehen.
Hier findet man zu den historisch wichtigen Gebäuden kurz gefasste
Charakterisierungen. Das Großinventar liefert ausführliche, wissenschaft-
lich begründete Aussagen, die der Architekt nur im Ausnahmefall noch
sinnvoll erweitern kann. In der örtlichen Bibliothek wird man nach der
Lokalliteratur suchen. Weitergehende Literaturrecherchen sind bei knappem
Zeitbudget in aller Regel nicht zielführend.
Wer alte Schriften zu lesen versteht, findet immer Bauplan aus der Zeit um 1800. Kamine und Öfen sind
interessante Nachrichten: „14. Decbr. 1739 wurde besonders sorgfältig ausgearbeitet.
durch einen Maurer das Dach auf des Stifts Scheuren
und Kasten übergangen und mit Ziegeln hin und
wieder ausgebessert …“. Pflege ist allemal besser
als Reparatur.
Die Geometrie der alten Baupläne ist im Gegensatz zu deren Botschaft nur
selten korrekt. Auf alten Baueingabeplänen eine neue Baumaßnahme auf-
zubauen, ist fast immer ein schwerer Fehler. Für eine neue Maßnahme
braucht man in der Regel auch neue Pläne.
Ein versierter Archivforscher wird aus zahlreichen weiteren Quellen zu
sehr vielen Gebäuden, auch weniger bedeutenden, immer wieder Interes-
santes und Weiterführendes zu Tage fördern. Die Bürokratie und die
Verschriftlichung waren auch vor zweihundert oder vierhundert Jahren
schon bemerkenswert. Für den durchschnittlichen Nutzer ist dieser Weg
aber kaum Erfolg versprechend. Die Schwierigkeiten in der Erschließung
des Archivgutes stehen ebenso dagegen wie die alten Schriften, die kaum
noch ein Archiv-Laie lesen kann. Hier ist man fast immer auf die Hilfe von
Spezialisten angewiesen, die es inzwischen auch gibt. Einzig die Aus-
wertung des Urkatasters im zuständigen Vermessungsamt oder Staats-
archiv und möglicherweise der Feuerversicherungsunterlagen versprechen
mit überschaubarem Aufwand einen gesicherten Ertrag.
50
Der Ausstattungsplan verzeichnet sämtliche Ausstattungselemente und ordnet sie den Bauphasen zu.
51
Das Raumbuch verschafft eine schnelle Übersicht zum Bestand. Die konsequente Verwendung
52 der Raumnummern im gesamten Planungsprozess ist unerlässlich.
unterschiedlichen Versionen auf den Markt gekommenen Checklisten-
Programme bringen hier zweifellos eine technische Orientierung, sind
aber für eine gesamtheitliche Beurteilung des Gebäudes mit seinen Werten
und Schwächen unzureichend. Das Raumbuch bleibt auch als Analog-
Version erweiterbar. Zunächst wird der Vorzustand dokumentiert, später
die Maßnahmeplanung hinzugefügt und schließlich der Endzustand fest-
gehalten. Internetbasierte Raumbücher, die von allen Planern zeitgleich
fortgeschrieben werden können, sind derzeit in der Entwicklung.
Als Zusammenfassung aller Einzelergebnisse sollen die wesentlichen
Ausstattungsmerkmale zusätzlich zu der raumweisen Verzeichnung auch
53
noch in einem Ausstattungsplan zusammengefasst werden. Dieser
Plan soll wie der Bauphasenplan eine zeitliche Zuordnung der Einzel-
aussagen enthalten und in den Signaturen dem Bauphasenplan folgen.
Bestandspläne
Ohne zuverlässige Pläne muss jedes Bauvorhaben scheitern. Die Erstellung
entsprechender Pläne muss deswegen die erste Aufgabe für eine erfolgreiche
Planung sein. Die Anforderungen an die Genauigkeit dieser Pläne richten
sich dabei nach dem Zustand des Gebäudes und dem Ausmaß der geplanten
Eingriffe. Die Plangrundlagen für die malermäßige Instandsetzung einer
Wohnung aus den fünfziger Jahren mit kleineren Modernisierungsarbeiten
müssen aus nachvollziehbaren Gründen nicht so genau sein wie diejenigen
für die Ertüchtigung eines defizitären Tragwerks in einem mittelalterlichen
Fachwerkhaus.
Mit falschen oder grob ungenauen Plänen darf man gleichwohl niemals
planen und erst recht nicht bauen. Das verbietet sich schon im Hinblick auf
die Dokumentationspflicht des Architekten und das zukünftige Facility
Management des Bauherrn bis hin zur Flächenermittlung für die Ver-
mietung. Vor diesem Hintergrund muss man vor der Verwendung älterer
Baupläne warnen, wie man sie in den Bauakten der Zeit vor 1945 häufig
findet, soweit der Entwurf über die Vorplanung hinausgeht.
Die Anforderungen an die Bauaufnahme bestimmen hinsichtlich Erfas-
sungstiefe und Zielmaßstab die Methoden und die notwendige Ver-
messungsgenauigkeit. Im Bereich der Denkmalpflege ist seit vielen Jahren
die Einteilung von Bestandsplänen in vier Genauigkeitsstufen üblich, welche
die Grundlage für Ausschreibungen, vertragliche Vereinbarungen und
Kalkulationen bilden. Genauigkeitsstufe 1 ist ein grobes Systemaufmaß,
Stufe IV stellt das Bauwerk mit allen Einzelheiten der Verformungen und
Befunde als formtreues Aufmaß dar. Unabhängig von der Genauigkeit der
Pläne sollen die Raumnummern immer enthalten sein.
Genauigkeitsstufe I, Systemaufmaß im Maßstab 1:100, dient zur einfa-
chen Dokumentation eines Gebäudetyps in Grundrissgliederung, Höhen-
entwicklung, Form und Außenerscheinung. Die Pläne sollen als Besprech-
ungsgrundlage bei Vorplanungen dienen oder Grundlage für Renovierungs-
maßnahmen ohne Eingriffe in die Bausubstanz sein.
Genauigkeitsstufe II ist ein annähernd wirklichkeitsgetreues Aufmaß
im Maßstab 1:50 oder 1:100 als Grundlage für einfache Sanierungen ohne
54
Systemaufmaß eines mittelalterlichen Gebäudes in Regensburg – keine Verformungen, keine Schäden?
Formtreues Aufmaß des gleichen Objekts; tatsächlich sind beängstigende Verformungen vorhanden,
die auf eine komplizierte Baumaßnahme hinauslaufen.
55
Wissenschaftliches Aufmaß einer Partie der mittelalterlichen Stadtmauer
in Basel, Handaufmaß, Original M. 1:20.
56
und Auftragungen müssen vor Ort erfolgen. Die Darstellungsgenauigkeit
muss innerhalb +/– 2,5 cm liegen. Wenn erforderlich, werden die gemessenen
Werte mit eingetragen.
In den Plänen wird, soweit erkennbar, folgendes dargestellt: Konstruktion
und Struktur der Wände, Spannrichtungen der Deckenbalken im Grundriss,
deutlich sichtbare Verformungen wie Deckendurchbiegungen, Fußboden-
gefälle und Wandneigungen sowie Grundrissabweichungen vom rechten
Winkel, Hinweise auf frühere Bauzustände. Zusätzlich kann die Darstellung
von Ausbaudetails wie Türen, Fenstern oder Lamberien durch vereinfachte
Konturen vereinbart werden.
Genauigkeitsstufe IV ist ein wissenschaftliches Aufmaß im Maßstab
1:25/1:20 mit detaillierter Darstellung aller Befunde. Es wird bei hochwerti-
gen Objekten für komplizierte Restaurierungs- und Umbauplanungen, für
die statische Sicherung, bei erheblichen Verformungen und planungsvor-
bereitender Bauzustandsanalyse sowie für alle Zwecke der wissenschaftli-
chen Bauforschung bis hin zur Translozierungen benötigt. Die Darstel-
lungsgenauigkeit muss zwischen +/– 1–2 cm liegen. Hier ist es unerläss-
lich, die Oberflächen wie Fußbodenbeläge, Wanddekorationen usf. sowie
Baubefunde aller Art – ganz besonders in den Ansichten und Schnitten –
mit aufzunehmen.
Die bewusste Entscheidung für eine dieser Genauigkeitsstufen ist eine
Festlegung von erheblicher Tragweite, die der Architekt auf keinen Fall
Dritten überlassen darf. Leider erlebt man immer wieder, dass für ein und
dasselbe Vorhaben erst ungefähre, dann genaue und am Ende dann wirk-
lich präzise Pläne erstellt werden, weil am Beginn der Maßnahme die
Genauigkeitsforderungen an das Planmaterial nicht gut genug überlegt
waren. Abgesehen von den Zeitverzögerungen für die Fertigung immer
weiterer zusätzlicher Pläne in der laufenden Maßnahme wird ein kritischer
Bauherr in einem solchen Falle sicher auch fragen, ob die wiederholten
Kosten für wiederholte Bestandspläne durch die unvollständige oder gar
fehlerhafte Beratung des Architekten entstanden sind – vom Autoritäts-
verlust des Architekten ganz zu schweigen.
Als Faustregel kann gelten, dass die Pläne um so genauer sein müssen, je
komplizierter und weitreichender eine Baumaßnahme ist. Starke
Verformungen und der Einbau einer Tragwerksverstärkung machen in
jedem Fall eine formtreue Darstellung des Bestands erforderlich. Der
57
Einbau vertikaler Bauteile, seien es nun Treppen und Aufzüge, Kamine
oder Leitungstrassen, wird ohne ein Aufmaß, das wesentliche Verformun-
gen berücksichtigt, kaum zu realisieren sein. Auch komplizierte Innen-
ausbauten lassen sich ohne eine formtreue Darstellung des Bestands nicht
machen. Und schon die Grundrissveränderung durch Teilung großer
Räume sollte man ohne einen exakt vermessenen Grundriss, hier mögli-
cherweise ohne die Darstellung von Verformungen, nicht anfassen. Was,
wenn sich erst in der Örtlichkeit und bei der Bauausführung zeigt, dass für
die Realisierung einer knapp gezeichneten Toilettenanlage plötzlich zehn
Zentimeter fehlen?
Allgemein hat es sich bewährt, Pläne für die Arbeit im Bestand immer in
dem Maßstab mit der doppelten Genauigkeit zu erstellen, wie man ihn für
die Neubauplanung verwenden würde–also etwa den Maßstab 1:50 für die
Entwurfsplanung. Diese zunächst vielleicht beunruhigende Forderung
verliert in Zeiten der digitalen Planung zunehmend ihren Schrecken.
Abgesehen von solchen planerischen Überlegungen ist auch die
Abrechnung der einzelnen Gewerke mit gutem Planmaterial deutlich ein-
facher als mit groben Systemaufmaßen.
Die Bauaufnahme stellt das Gebäude in seinem vorgefundenen Zustand
dar. Interpretationen des Planes, etwa zu Veränderungen und Umbauten,
sind interessant und erwünscht. Die als weniger wesentlich erachteten Bau-
teile zur Erleichterung der Arbeit gleich in den Bestandsplänen wegzulas-
sen, ist dagegen unzulässig. Das gilt aus systematischen Überlegungen,
viel mehr aber noch aus Gründen der Sicherung von Planungsdaten.
Ob man das Bauwerk konventionell mit Bandmaß und Zeichenstift oder digi-
tal mit Lasertheodolit oder 3D-Scanner erfasst, macht im Grundsatz keinen
Unterschied. Die Weiterverarbeitung der Plandaten im Büro spricht heute
aber sicherlich für die digitale Erfassung. Soweit diese fortschreibungsfähig
angelegt, im Gebäude vermarkt und damit bei Bedarf reproduzierbar ist, ver-
meidet man damit auch die oben genannten Probleme der doppelten
Erfassung. Damit hat sich das lieb gewordene Bild des Architekten, der als
ersten Schritt in die Entwurfsarbeit zunächst einmal mit dem Meterstab
losgeht, um sich einen Überblick zu schaffen, überlebt. Die Vermessung
von Grundrissen durch die Erfassung von Längen und Breiten als einfa-
chen Strecken – beispielsweise mit dem Laser-Distometer – ist heute
wegen der absehbaren großen Ungenauigkeiten nicht mehr vertretbar. Die
Erarbeitung von Bestandsplänen ist damit für alle Anforderungen und
58
Genauigkeitsstufen in der Bauaufnahme
Planungsleistung Planinhalt
Genauigkeitsstufe I
Zielmaßstab 1:100; Maßtoleranz +/- 10 cm
Systemaufmaß des Gesamtbauwerks
Genauigkeitsstufe IV
Zielmaßstab 1:25 / 1:20; Maßtoleranz +/- 2 cm
Wissenschaftliches Aufmaß des Gesamtbauwerks
Genauigkeitsstufe V
Zielmaßstab 1:10 / 1:5 / 1:1; Maßtoleranz +/- 1 cm
Denkmalpflegerisches Detailaufmaß
60
vermittelt. Die bestimmenden Charakteristika des Gebäudes fließen leichter
in die Zeichnung ein. Wo Oberflächen in ihrer Materialhaftigkeit dargestellt
werden, wirken die verwendeten graphischen Mittel authentischer. Das Zei-
chnen ist eine sehr persönliche Beschäftigung mit einem Gegenstand. Über-
legungen, Fragestellungen und Beobachtungen, die sich während des Zeich–
nens ergeben, können direkt schriftlich in der Zeichnung vermerkt werden.
Falls die Reproduzierbarkeit der fertigen Zeichnung nicht ausreicht, lassen
sich später im Büro schnell Umzeichnungen anfertigen, da die Vorlage abso-
lut zuverlässig ist. Meistens geschieht dies ohnehin im Hinblick auf bestimm-
te Funktionen, die die Zeichnung erfüllen soll, wie Schadensanalysen für den
Statiker oder Druckvorlagen für eine Veröffentlichung.
Bauaufnahme ist keine Wissenschaft, sondern ein Handwerk. Ihre
Methoden sind grundsätzlich einfach, und diese Einfachheit der Mess-
methodik ist auch immer anzustreben, um höhere Genauigkeiten zu errei-
chen und gleichzeitig den Zeitaufwand zu minimieren. Die Schwierig-
keiten entstehen bei der Anwendung auf die Komplexität von Bauwerken.
Erst eine gewisse Erfahrung und Routine ermöglichen zügiges Arbeiten.
Bei der einfachen und kostengünstigen Verfügbarkeit zuverlässiger Laser-
theodoliten wird man heute kaum noch auf eine geodätische Grund-
vermessung des Gebäudes verzichten – nicht zuletzt deshalb, weil die
Weiterverarbeitung der Pläne im Büro mit den gleichen Datensätzen
erfolgen wird, die der Vermesser generiert hat. Diese Daten sind zugleich
auch maßstabsunabhängig. Die Schwierigkeiten liegen in der Detaillierung
und zugleich in der fehlenden Bildhaftigkeit und Aussagekraft der Pläne,
die bei einem geodätischen Aufmaß bald an ihre Grenzen kommt.
Grundsätzlich kann aber auch das geodätische Aufmaß eine Vielzahl von
Einzelaussagen erfassen und sogar – besser als das Handaufmaß – in
Layerebenen organisieren.
Die Bildentzerrung, häufig und fälschlich auch als Messbild bezeichnet,
bietet sich durch die digitale Photographie und viele anwenderfreundliche
Programme zur maßstäblichen Bildentzerrung heute besonders für die
Befundaufnahme an ebenen Objekten an. Die maßlich korrekte Darstellung
des entzerrten Photos kann sich dabei aus systembedingten Gründen immer
nur auf eine einzige Ebene beziehen, die überdies nicht gekrümmt oder ver-
formt sein darf. Vor- und Rücksprünge werden ebenso wie Wandöffnungen
und architektonische Gliederungen grundsätzlich unrichtig, weil – übermä-
ßig – verzerrt abgebildet.
61
Dieser Nachteil haftet der Stereophotogrammetrie nicht an. Sie bietet
die Möglichkeit, besonders Fassaden ohne Gerüst, berührungsfrei und bis
in die Einzelheiten zu erfassen. Das gilt besonders für stark gegliederte
Gebäude. Für eine seriöse photogrammetrische Aufnahme wird man schon
für ein dreigeschossiges Gebäude in der Regel nicht ohne einen Fahrkorb
auskommen, von dem aus die oberen Gebäudeteile ohne sichttote Bereiche
erfasst werden können. Weil auch die Photogrammetrie heute durchgängig
digitale Daten liefert, kann man diese Unterlagen – gute Organisation
Digitales Bauaufmaß mit Darstellung der vielen Einzelheiten der Ausstattung bis hin zur
Fußbodenstruktur auf verschiedenen Layern; links die Layerstruktur auf dem Bildschirm,
rechts das gedruckte Ergebnis.
62
Ende 13. Jh.
14. Jh.
90er Jahre
1900 -1904
1908
1908 - 1945
1945 - 1989
1989 - 2000
63
Koordinaten erfasst wird, generiert der
Scanner in unglaublich kurzer Zeit
Millionen solcher Punkte – die Punktwolke.
Diese Datenmasse ist Vor- und Nachteil
zugleich. In einem rechenintensiven
Prozess müssen diejenigen Informationen
herausgefiltert werden, die der Architekt für
die Planung wirklich braucht. Ein automati-
sches Verfahren mit überzeugenden Ergeb-
nissen fehlt dafür bisher. Ohne Zweifel wird
aber die schnelle technische Entwicklung
diese Hindernisse in der nahen Zukunft
immer weiter aus dem Wege räumen. Als
Vorteil enthalten die Punktwolken ein sehr
vollständiges Abbild des Bestandes, auf das
der Planer zurückgreifen kann.
Für die Erfassung von Architekturen ist
grundsätzlich entscheidend, welche Punkt-
dichte auf der Oberfläche erzeugt wird. Die
für anspruchsvolle und detaillierte Planun-
gen ausreichende Punktdichte von etwa 5 mm
Auf der Grundlage einer digitalen Bildentzerrung sind
die Risse in der Fassade kartiert. erreichen inzwischen die meisten auf dem
Markt verfügbaren Systeme. Der um Vieles
genauere Streiflicht-Scanner ist wegen seiner begrenzten Reichweite für
die Aufnahme ganzer Architekturen grundsätzlich nicht zu verwenden. In
der Detailerfassung hat er dagegen seinen Sinn.
Die Vermutung, dass ein besonders aufwändiges und modernes Verfahren
zur Bestandserfassung auch besonders zuverlässig sein müsse, bestätigt
sich in der Praxis nicht. Es sind ganz sicher auch in Zukunft die gute
Ausbildung und das Engagement des Ausführenden, die das Ergebnis qua-
lifizieren. Deswegen sollte man sich vor der Auftragserteilung stets
Arbeitsproben zeigen lassen und bei einer umfangreicheren Bestandser-
fassung Zwischenergebnisse begutachten, sie in der (digitalen) Weiterbear-
beitung erproben und förmlich abnehmen.
64
Ergänzung mineralisch
Anböschung KSE
Vierung bzw. Neuteil
Neuteil-Rekonstruktion
Ergänzung historisches Gerüstloch
Reparieren Steine
im historischen Gerüstloch
65
3D-Laser-Scan. Links die Punktwolke, wie sie aus dem
Scanner kommt, rechts die graphische Umsetzung als
Schnittzeichnung und Ansicht.
Bauuntersuchung
Die Bauuntersuchung deckt Wirkungszusammenhänge von ursprünglicher
Konstruktion und historischen Veränderungen in Grundriss, Tragwerk
sowie Ausstattung auf und fragt nicht zuletzt nach den in diesem Verlauf
entstandenen Risiken und Schäden am Gebäude. Dem Verständnis des
Tragwerks kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Außerdem spielen
alle Fragen der bau- und materialtechnischen Gegebenheiten eine Rolle.
Die systematische Erfassung aller am Bau erkannter Schäden ist die notwen-
dige Voraussetzung für eine sachgemäße Planung, und zwar sowohl in bau-
technischer Hinsicht wie auch im Hinblick auf die Kosten. Wer das Ausmaß
und die Bedeutung vorhandener Schäden nicht kennt, gerät in große Gefahr,
seinen Planungsauftrag unsachgemäß zu erledigen. Was allerdings ein
Schaden ist, lässt sich oft nicht so leicht bestimmen, wie man meint; die
Beurteilung ist immer auch von der Strategie der Planung abhängig.
Die systematische und strukturierte Bauuntersuchung ist – wie die Bau-
werkserfassung in Plänen – in der Regel ein Spezialgebiet, das Spezial-
kenntnisse erfordert. Wer die Ergründung der Baugeschichte als interes-
santes Abenteuer versteht und betreibt, setzt sich der Gefahr aus, das
66
Nicht jeder Schaden ist ein Schaden:
Der Zusammenhang von Baugeschichte und Tragwerk
Bauphasen
Bauforschung
Am Beginn der Bauuntersuchung steht die Klärung der Veränderungs-
geschichte mit der Unterscheidung unterschiedlicher Bauphasen und
Bauabschnitte. Dieses Wissen ist zugleich die Voraussetzung für die sach-
gerechte Beurteilung manifestierter ebenso wie versteckter Schadens-
prozesse. Nicht zuletzt ermittelt die Bauforschung sichtbare und verborge-
ne kulturgeschichtliche Werte. Nur auf dieser Grundlage hat der Architekt
die hinreichende Sicherheit, dass sein Entwurf die Qualitäten des
Gebäudes zur Entfaltung bringen und zugleich seine Defizite beheben
wird. Wer keine konkrete Vorstellung vom Tragwerk und dessen
Schwächen hat, kann es auch nicht stabilisieren. Wenn die alten Raum-
teilungen nicht bekannt sind, kann der Entwurf darauf auch nicht sinnvoll
reagieren. Weil – beispielsweise – die Baugeschichte des 19. und 20. Jahr-
hunderts vielfach die Geschichte der Teilung großer Räume gewesen ist,
zeigt oft schon die Bauuntersuchung einen einfachen Weg, wie aus einem
verwinkelten Gebäude durch den Abbruch der letzten Bauschicht ohne
68
Eingriffe in das Tragwerk und ohne großen Aufwand wie-
der ein attraktiver Grundriss werden kann.
Die Untersuchung klärt die Baugeschichte mit dem Ziel, in
Grundrissen, Schnitten und Ansichten die Entstehungszeit
der unterschiedlichen Bauteile als Bauphasenplan darzu-
stellen und den Ursprungszustand des Gebäudes ebenso
wie die wesentlichen Umbauphasen gedanklich und zeich-
nerisch zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion bezieht
sich auf die Architektur, das Tragwerk und die Nutzung. Sie
stützt sich selbstverständlich auf die Archiv- und Litera-
turanalyse und bezieht diese ein. Für die Kennzeichnung
der Bauphasen hat sich allgemein die Charakterisierung für
alt = dunkel bis hell = jünger durchgesetzt. Isometrische
Rekonstruktionszeichnungen der einzelnen Bauphasen,
händisch oder als Computerdarstellung, erleichtern die
Darstellung und Vermittlung der Untersuchungsergeb-
nisse.
Der Baueingabeplan von 1903 zeigt nur einen Teil der im Laufe
der Jahrhunderte durchgeführten Umbauten. Der Rest lässt sich
nur durch eine systematische Bauuntersuchung feststellen.
Der Bauphasenplan fasst die Ergebnisse zusammen.
vor 1504/05
um 1560
um 1600
18. Jh.
1903
69
Bestandsaufnahme und Bestandsinterpretation von Schloss
Freyenstein. Auf der Grundlage eines formtreuen digitalen
Aufmaßes entsteht der Bauphasenplan. Die dreidimensionale
Vernetzung der Befunde eröffnet den Zugang zur Veränderungs-
geschichte, die in drei Phasenmodellen dargestellt ist.
70
Räumliche Modelle und digitale Verortung als Zugang
zu komplexen Baustrukturen
72
sen diese in der Regel durch eingreifende
Untersuchungen überprüft und erweitert
werden. Solche Eingriffe wollen freilich
wohl überlegt sein. Sie verursachen nicht
nur Kosten in der Durchführung, sondern
sind auch mit Folgekosten für die Wieder-
herstellung der Oberflächen und mit
Beeinträchtigungen des Gebrauchswertes
des Gebäudes verbunden. Im Baudenkmal
bedürfen solche Eingriffe zwingend der
denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis. In
jedem Falle sind Befundöffnungen immer
so klein wie möglich zu halten. Sie müssen
am Ende der Untersuchung formal und
inhaltlich ein geordnetes Gesamtbild hin-
terlassen. Dazu gehört die klare und be-
wusste Randabgrenzung der Sondagen
ebenso wie die systematische Beschriftung
(s.a. Raumbuch). Die Verwüstung der Bau-
stelle durch exzessive Öffnungen in Wänden
Im Streiflicht werden bauliche Veränderungen und
und Fußböden, gleichgültig durch wen und Verformungen besonders deutlich.
mit wie immer guten Gründen sie verlangt
und veranlasst wurde, ist immer und grund-
sätzlich ein gravierender Planungsfehler.
73
Von der Schadensanalyse zum Planungskonzept
Verstärkungskonstruktion auf
Edelstahlstützen mit Längsträgern
aus hochfestem Stahl, der
Momentenlinie angepasst.
Werkplanung für den Einbau der Glaswand. Isometrie mit Darstellung der historischen Ausstattung
und der neuen Einbauten.
Bauteilöffnungen, auch die des Tragwerksplaners und des Holzschutz-
gutachters, sollen in aller Regel nur unter der Aufsicht von Bauforschern
und Restauratoren durchgeführt werden. Anderenfalls läuft man Gefahr,
Wichtiges unerkannt und unbeabsichtigt zu zerstören.
76
Im Gegensatz zu unseren heutigen Ge-
wohnheiten des Innenausbaus haben alle
Epochen bis in das 20. Jahrhundert hinein
die Wand stets auch als Träger von architek-
tonischer und künstlerischer Gestaltung ver-
standen. Aufwändige Wandmalerei, Farb-
fassungen, historische Tapeten und Stuck
gehören neben vielen weiteren Gestaltungs-
möglichkeiten zu den selbstverständlichen
Befunderwartungen für ein historisches
Gebäude. Weil diese Schönheiten heute fast
immer unter jüngeren Putzschichten und
Tapeten verschwunden sind, gehört die sys- Neufassung mit Befundfenster.
tematische Klärung der ursprünglichen
Ausstattung zu den unverzichtbaren Untersuchungen im Vorfeld der
Planung. Diese Untersuchung muss in aller Regel von einem auf Putze und
77
Von der Bürgerkirche über die Zehntscheune zum
Kulturzentrum
Wissenschaftliche Bauaufnahme
als Bauphasenplan mit der
Wandmalerei auf Grundlage eines
stereophotogrammetrischen
Aufmaßes.
Innenraum nach Instandsetzung.
Neutralputz oben und unten,
farbig angepasste Mörteler-
gänzungen in großen Fehlstellen,
Tratteggio-Retuschen zur
Verbesserung der Lesbarkeit.
80
Haus gerade in diesem Bereich unendlich
viel über seine Geschichte und die früheren
Nutzungen mit. Für den an der Identität sei-
nes Gebäudes interessierten Eigentümer
eröffnen besonders diese Erkenntnisse oft
sinnstiftende Möglichkeiten.
Die Möglichkeit der gesicherten Datierung
eines Gebäude und seiner Umbauphasen
hat die Menschen schon immer fasziniert –
auch dann, wenn dieses Wissen für den
Durch das schmale Fenster wurde lange Zeit
Planungsprozess eigentlich von nachgeord- zerbrochenes Geschirr in einen unzugänglichen Raum
neter Bedeutung ist. Stilkritische geworfen.
Die zusammengesetzten Scherben erzählen ihre eigene Geschichte zum Alltag der früheren Bewohner.
81
obwohl es auch hier die Möglichkeit des
Irrtums gibt. Inschriftensteine können wie-
derverwendet sein und auch dass eine
Inschrift erst viel später angebracht wurde,
ist schon vielfach beobachtet worden.
Die Dendrochronologie (Holzaltersbe-
stimmung) ist über solche Zweifel erhaben.
Aus der Analyse der Jahrringe der verwende-
ten Bauhölzer ergibt sich immer dann eine
jahrgenaue Datierung, wenn der Bearbeiter
methodisch korrekt arbeitet. Während frü-
her überwiegend Balkenscheiben datiert
Datierung ist nicht gleich Datierung – oder wie soll
man sich die beiden widerstreitenden Jahreszahlen wurden, hat sich heute wegen der deutlich
über dem Haustor erklären? geringeren Eingriffe in den Bestand ganz all-
Dendrochronologie. Der Abstand der Jahresringe ist gemein die Entnahme von Bohrkernen mit
abhängig vom jeweiligen Klima immer anders. Eine geringem Durchmesser durchgesetzt. Die
längere Folge enger und breiter Ringe wiederholt sich
Probenentnahme muss von einem versier-
nie. Wer das Klima kennt, kennt damit auch die
Wuchszeit vom Kern bis zur Waldkante (Rinde). ten Fachmann durchgeführt werden. Die
Die Entnahme einer Balkenscheibe ist übersichtlich, datierende Auswertung der Proben ist in
aber zugleich zerstörend. Der Bohrkern (hier: B1 und
jedem Falle Sache von Speziallaboren.
B2) ist ungleich substanzschonender. Die Unregelmäßig-
keit der Jahrringe im Baum bringt es mit sich, dass die Angesichts der Faszination exakter Datie-
Jahrringkurven von zwei Kernen des gleichen Balkens rungsergebnisse lohnt sich die Investition
dennoch in den absoluten Werten verschieden sind.
In der Relation, in ihren Höhen und Tiefen, sind sie
für eine dendrochronologische Datierung in
aber gleich. den allermeisten Fällen. Andere naturwis-
senschaftliche Datierungsmöglichkeiten wie
die Thermolumineszenz (Backsteindatie-
rung), die Radio-Carbon-Methode – auch C-
14-Methode – (für organische Stoffe) oder
die Optisch Stimulierte Lumineszenz (OSL,
für Mörtel) spielen wegen des erheblichen
Aufwands bei der Probennahme ebenso wie
in der Auswertung, mehr noch wegen der
unverhältnismäßig hohen Kosten bei gleich-
zeitig sehr weiten Datierungskorridoren im
Normalfall kaum eine Rolle.
82
Tragwerksanalyse
Die Tragwerksanalyse erfasst die statischen
Verhältnisse, stellt Verformungen fest und
untersucht die wechselseitigen Abhängig-
keiten der einzelnen Bauteile, die gerade bei
oft veränderten Gebäuden sehr kompliziert
geworden sein können. Die genaue und
vollständige Erfassung des Tragsystems mit
allen Stärken und Defiziten ist deswegen
eine gänzlich unverzichtbare Forderung.
Gute Plandarstellungen sind die Voraus-
setzung für eine realistische Einschätzung
der Verhältnisse. Nicht auszudenken, wenn
tragende Wände unerkannt durchbrochen
werden, in den Wänden verborgene Trag-
systeme durchtrennt oder spätere Verstär-
kungskonstruktionen unbedacht wieder
ausgebaut werden, nur weil sie – ganz zu-
Ohne genaue Kenntnis des Gebäudes kann jeder Eingriff
treffend – als sekundär erkannt wurden. Die schnell zum Desaster werden. Hier ist die Decke der
Tragwerksanalyse stellt unmittelbar ent- Kapelle im Erdgeschoss des Schlosses Idstein mit gekop-
pelten Eisenbändern bis in das Dach aufgehängt. Wehe
wurfsrelevante Parameter wie die Spann- man sägt eines dieser Bänder unbeabsichtigt durch.
richtungen der Decken oder die Lage der
unverrückbaren Tragelemente dar. Gleich-
zeitig kann häufig die sorgfältige bauar-
chäologische Analyse schon klären, dass zu-
nächst als bedrohlich eingestufte Schäden
tatsächlich bereits sehr alt und damit viel-
leicht auch weniger beachtlich sind.
Die Untersuchung des Tragwerks kann des-
wegen erst dann abgeschlossen sein, wenn
sowohl das ursprünglich gebaute Trag-
system geklärt ist als auch dessen Verände-
rungen und mögliche Beeinträchtigungen
bekannt sind. Historische Tragwerke sind in
aller Regel einfache Konstruktionen, die auf
Druck und Biegung belastet sind. Kompli-
zierte Ingenieurkonstruktionen kommen
83
erst in der Neuzeit auf und sind auch dann eher die Ausnahme. Deswegen
sollte es in der Regel kein übermäßiges Problem sein, mit der Kenntnis des
Bauphasenplanes die Ausgangskonstruktion zu erfassen und zu verstehen.
Komplizierter wird es mit den Auswirkungen späterer Veränderungen. In
Fachwerkbauten wurden häufig im Zuge von Modernisierungsmaß-
nahmen die „störenden“ Kopfbänder und Verstrebungen abgesägt und
damit die Aussteifung beeinträchtigt. Spätere Wanddurchbrüche können
die zuverlässige Lastabtragung gefährdet haben. Unsachgemäße Repa-
raturen erfüllen nicht mehr den zugedachten Zweck und Material-
ermüdung tut ein Übriges. Später eingebaute Verstärkungskonstruktionen
haben ältere Defizite häufig wieder behoben und unsere Vorgänger waren
auch nicht zimperlich, schadhafte Bauteile gleich großflächig zu ersetzen.
Alle diese Aufschlüsse sind erforderlich, bevor man das Tragwerk eines
alten Gebäudes vollständig erfasst hat. Und erst wenn man es in diesem
Sinne verstanden hat, kann man es auch sachkundig reparieren oder verän-
dern. Diese Erkenntnis gilt für den Baugrund bei Neu- und Altbauten
schon lange und sollte sich auch für die Arbeit im Bestand bei den
Beteiligten allmählich durchsetzen.
84
Erste Hinweise auf mögliche Schäden im
Tragwerk liefern die aus den Plänen
ersichtlichen Verformungen ebenso wie die
Analysen von Putzrissen. Nicht jeder Riss
und jede Verformung sind dabei bedrohlich.
Ernst nehmen muss man sie gleichwohl.
Vor allem, wenn Risse bis in die jüngsten
Schichten der Konstruktion immer wieder
auftreten, deuten sie auf aktive Schadens-
prozesse hin. Wenn dagegen jüngere
Schichten unversehrt über älteren Rissen
liegen, kann man annehmen, dass die
Ursachen für die Rissbildung zur Ruhe
gekommen sind. Senkrechte Risse, zumal in
den Raumecken, mögen weniger beachtlich
sein als diagonal verlaufende Schubrisse in
der Wandfläche, wie sie häufig als Folge von Verformungsanalyse eines Wohngebäudes in Venedig.
Mit der einfachen Feststellung der Lotabweichungen
größeren Setzungen und Lastumlagerungen
erklärt sich das Gebäude mit seinen Problemen fast
entstehen. Solche Risse sollen immer ge- von selbst.
schossübergreifend kartiert werden, um ihre
Bedeutung für die Standsicherheit zuverläs-
sig beurteilen zu können. Die Bedrohlichkeit Hier wird es gefährlich: Die Giebelwand ist schon ein-
von Verformungen zeigt häufig auch bereits mal eingestürzt und erneuert. Die Anker in der
Fassade halten den Bau nur mühsam zusammen.
die systematische Kartierung, die in der Art
Neue Risse haben sich bereits gebildet.
von Höhenquoten oder mit Vektoren erfol-
gen kann.
Dass sich der Riss stets den leichtesten
Weg, also den durch die Wandöffnungen
sucht, ist leicht nachzuvollziehen. Risse in
Verbindung mit Ausbeulungen in der Wand
sind immer ein Alarmzeichen. Das Aus-
maß der Verformung und damit die
Bedrohlichkeit für das Gebäude wird
zunächst durch ein Nivellement ermittelt,
das ohnedies Bestandteil der Bestandserfas-
sung sein muss. Dabei ist zu beachten, dass
sich gerade bei älteren Gebäuden ein kom-
85
pliziertes Verformungsverhalten ausgebildet haben kann. Entsprechend
langfristig muss gewöhnlich der Beobachtungszeitraum angesetzt werden.
So empfiehlt sich im Zusammenhang mit dem Wechsel der Jahreszeiten
oder allgemeiner Klimaveränderungen, die häufig Einfluss auf das
Bewegungsverhalten eines Gebäudes haben, eine Erfassung über wenigs-
tens ein ganzes Jahr.
Erhebliche Verformungen der Decken sind fast immer ein Zeichen für fort-
dauernde Tragwerksprobleme. Schiefstellungen aufgrund fehlender Aus-
steifungen, Deckendurchbiegungen aufgrund ausgebrochener Tragwände,
Setzungen im Baugrund infolge verfaulter Holzpfahl-Gründungen: Die
Liste möglicher Schadensursachen scheint fast beliebig lang. Tatsächlich
sind es aber neben den genannten nur noch die unsachgemäßen Bauwerks-
eingriffe, welche die allermeisten Tragwerksschäden zur Folge haben.
Nicht zuletzt kann auch ein im System intaktes Tragwerk durch Material-
ermüdung oder Schädlingsbefall seine Tragwirkung verlieren. Rostendes
Eisen von Stahlkonstruktionen, aufrostende Bewehrungsstähle in Beton-
bauten und biogener Befall in Holztragwerken müssen erkundet sein,
bevor der Planer eine abschließende Aussage zu Standsicherheit und
Instandsetzungskosten formuliert. Eine weiter gehende bautechnische
und bauphysikalische Untersuchung des Zustandes der Baumaterialien ist
deswegen unverzichtbar. Die Schadensuntersuchung in einem histori-
schen Gebäude muss stets auch eine Untersuchung der Schadens-
geschichte sein. Wo dies nicht der Fall ist, wo der Schaden nicht behoben
wird, sind kostspielige Fehlinvestitionen sicher zu erwarten. So werden
einmal abgefaulte Deckenbalken auch nach der sachgerechten Reparatur
immer wieder abfaulen, solange das Wasser auf den Gesimsen der Fassade
weiter in das Mauerwerk eindringt, oder es wird der Putz immer wieder
abgesprengt werden, solange der rostende Eisenträger-Sturz nicht nachhal-
tig saniert wurde.
86
Feuchtigkeit) werden auch die Ausbaugewerke einbezogen (z. B. gestörte
und hohl liegende Putzflächen, der Fensterbestand oder die Fußböden).
Die scheinbare Mehrarbeit in der Erfassung und Kartierung der Schäden
zahlt sich später wieder aus, wenn die Werkplanung und Vergabe exakte
Massenermittlungen verlangen und man auf die bereits ermittelten Daten
zurückgreifen kann.
Weil alle Untersuchungen teuer sein können, muss ihre Notwendigkeit gut
überlegt sein. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, zunächst durch Kurzgut-
achten zu klären, ob eine Vertiefung notwendig und zielführend ist.
Zerstörungsfreie Feststellung der Strukturen unter dem Die „engagierte“ Probenentnahme ruiniert das Gebäude.
Putz durch Wärmebildmessung (Thermographie). So nicht! Auch bei schwierigen Fragestellungen unschön.
Der Umfang und die Folgen von Materialentnahmen müssen bewusst fest-
gelegt werden, weil nicht bei allen Anbietern solcher Leistungen die notwen-
dige Sensibilität für den intakten Baubestand und mögliche Folgeschäden
aus der Probenentnahme vorausgesetzt werden können.
Zunächst muss deswegen geklärt werden, ob die für die Diagnose notwen-
digen Methoden zerstörungsfrei, zerstörungsarm oder zerstörend sind. In
vielen Fällen genügt auch bei den vertiefenden Untersuchungen eine
Inaugenscheinnahme und eine gezielte Kartierung der Schadensbilder. Für
die Konstruktionselemente, die hinter der Oberfläche verborgen sind, stehen
auch zerstörungsfreie Verfahren zur Verfügung. Dazu zählt vor allem die
Thermographie, bei der durch die Oberflächentemperatur Materialwechsel
unter einem Verputz ebenso aufgedeckt werden können, wie Wärmeverluste
oder die Qualität der Ausführung von Wärmedämmsystemen.
87
Historische Bauwerke sind bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in aller
Regel aus wenigen, in ihren Materialkennwerten seit alters her gut bekann-
ten Baustoffen errichtet. Dennoch haben jede Gebäudeart, jede Konstruk-
tionsweise und jedes Baumaterial ihre Eigenarten und typischen Schwach-
stellen, an denen Umwelteinflüsse, Feuchtigkeit, Verwitterung, Material-
ermüdung und andere Einflüsse zur Schädigungen führen können.
Besonders die Konstruktionen und Materialien der jüngsten Zeit – vom
Stahlbeton bis zu den Kunststoffen –, die ihre Tauglichkeit noch nicht über
viele Jahrzehnte und Jahrhunderte nachgewiesen haben, müssen auf ihre
Schadensrisiken und Alterungsfähigkeit hin überprüft werden.
Für gewöhnlich werden zunächst die Tragfähigkeit, die Widerstandsfähigkeit
und möglicher Materialverlust überprüft; darüber hinaus der Feuchtegehalt,
chemische Belastungen und biogener Befall. Weil Feuchtigkeit eine der häu-
figsten Ursachen von Schäden ist, kommt der Analyse des Feuchtigkeits-
haushalts eines Bauwerkes und seiner möglichen Schwachstellen besondere
Bedeutung zu. Hier spielen der Grundwasserspiegel, die Erdfeuchtigkeit, das
Sickerwasser, Regen, Spritz- und Oberflächenwasser sowie die Kondensation
und die Dampfdiffusion im Inneren gleichermaßen eine Rolle.
88
Ausführung und der zu erwartenden Le-
bensdauer beurteilen und andererseits
mögliche Reparaturmaterialien sachgerecht
und bestandsverträglich auswählen. Alle
diese Untersuchungen sind in jedem Falle
die Sache von Speziallabors, den Hersteller-
firmen oder von zertifizierten Gutachtern.
Neben den amtlichen Materialprüfungs-
anstalten haben sich inzwischen auch zahl-
reiche freie Büros mit hoher Leistungs-
fähigkeit und zügiger Projektbearbeitung
etabliert. Diese Fachleute haben sich inzwi-
Hinter der Zementputz-„Reparatur“ wandert
schen das Vokabular der Mediziner zu der Schaden zwangsläufig nach oben. Da hätte man
eigen gemacht und setzen wie diese auf die besser nichts getan.
Früherkennung und die ganzheitliche
Betrachtung von Schadensprozessen. Der Planer muss hier das Auge für das
Problem haben, das er aber in der Regel kaum mehr selbst mit der erforder-
lichen Zuverlässigkeit analysieren kann. Seine Aufgabe besteht darin, die
notwendigen Fragen zu stellen, den Untersuchungsumfang zu bestimmen
und die Ergebnisse am Ende auf ihre Relevanz zu überprüfen und zu einer
Gesamtschau zusammen zu führen.
Schadensfeststellende Untersuchungen müssen grundsätzlich systema-
tisch und flächig durchgeführt werden. Die isolierte Betrachtung des
erschreckenden Schadenszentrums verstellt oft den Blick auf die
Erkenntnis, dass auch bei massiven Schäden gleichwohl ein großer Teil des
Bauwerks schadensfrei sein kann. Grundlage der Schadenskartierung
ist wieder die detaillierte Bauaufnahme. Hier werden die Schäden nach
festgelegten und einheitlichen Kategorien eingetragen, so dass schon das
Planbild eine kompakte Übersicht ergibt. Schon aus diesem Wunsch ergibt
sich, dass die Zahl der Kategorien überschaubar bleiben muss. Mehr als
drei Kategorien neben dem nicht farbig gekennzeichneten, schadensfreien
Bestand sind in der Regel unzweckmäßig. Die stärksten Schäden werden
allgemein mit einem kräftigen Rot verzeichnet. Mit diesem Vorgehen weist
der Schadensplan schon graphisch auf die Bereiche hin, die in der Maß-
nahmeplanung die größten Eingriffe erfordern und deswegen unausweich-
lich die größten Veränderungen erfahren müssen.
89
Die systematische Bestandserfassung an der Kathedrale in Trondheim unterscheidet zwischen
objektiver Datensammlung (hier auf der linken Seite: Steinarten) und der wertenden
Beurteilung (Schadenskartierung, rechts). Selbstverständlich hat das eine mit dem anderen zu
tun: Bestimmte Steinarten verwittern schneller als andere, am Sockel sind die Belastungen
größer als am Giebel. Einen zwingenden Zusammenhang gibt es aber nicht.
90
Der Schadensplan zeigt darüber hinaus in aller Regel, dass das Ausmaß
der Schäden deutlich kleiner ist als der reine Augenschein glauben macht.
Schäden fallen jedem ins Auge, Schadlosigkeit bleibt unbemerkt.
Stärken-Schwächen-Analyse
Als gemeinsames Ergebnis der Dokumentation und der Bauuntersuchung
müssen die zahlreichen Einzeluntersuchungen in ein für alle Beteiligten
übersichtliches und verständliches Gesamtergebnis zusammengeführt und
in ihrer Bedeutung für die Planung bewertet werden. Niemandem ist
gedient, wenn eine Vielzahl umfangreicher Spezialuntersuchungen in
einem Regal nebeneinander existiert, deren Zusammenhang untereinan-
der nicht ersichtlich gemacht worden ist. Diese Zusammenfassung muss
die Qualitäten des Gebäudes beschreiben und seine Defizite aufzeigen. Sie
ist eine der Kernaufgaben des Architekten im Bestand. Um auch eine mög-
licherweise kontroverse Diskussion auf der Grundlage von gesicherten
Tatsachen einerseits und erkennbaren Wertungen andererseits führen zu
können, haben sich neben der textlichen Zusammenfassung folgende
Plansätze bewährt, die zunächst sämtliche objektiv nachprüfbaren und
beweisbaren Informationen zusammenführen. Wenn zu diesen Ergeb-
nissen Diskussionen aufkommen, sollten sie bei gutem Willen mit objektiven
Kriterien geklärt werden können.
1. Bauphasenplan
Wie auf S. 69 besprochen. Es gibt keinen übersichtlicheren Plansatz als die-
sen, um schnell eine Vorstellung von dem Ursprungsbau und seinen
Veränderungen im Laufe der Veränderungsgeschichte zu gewinnen. Die
raumhaltige Visualisierung dieser Veränderungen durch eine Rekonstruk-
tion der Baukörperentwicklung ist für die Vermittlung der Ergebnisse in
aller Regel sehr hilfreich.
2. Schadensplan
Wie auf S. 89 besprochen. Auch hier ist die Zusammenfassung aller Einzel-
beobachtungen in einem einzigen Plansatz die konkurrenzlos klarste Über-
sicht. Bereiche, in denen sich Schäden gleich welcher Art massieren und
damit in jedem Falle einen stärkeren Eingriff erforderlich machen, sind oft
auch diejenigen Bereiche, in denen neue Anforderungen an das Bauwerk –
von der Erschließung bis zur Grundrissänderung – konfliktfrei implementiert
91
werden können. Schadensfreie Zonen wird man in der Neuplanung nach
Möglichkeit unverändert belassen.
3. Ausstattungsplan
Eine gute Planung wird die gestalterischen Werte eines Bauwerks so weit
wie möglich erhalten und herausarbeiten. Demzufolge verbieten sich weit
reichende Eingriffe dort, wo die erhaltenswerte Ausstattung noch geschlos-
sen vorhanden ist. Der Ausstattungsplan zeigt dem Planer übersichtlich,
wo befundleere Bereiche auch weit reichende Eingriffe möglich machen
und wo solche Eingriffe sich wegen hoher Befunddichte verbieten.
Bisweilen wird der Ausstattungsplan auch zu einer Positivkartierung
reduziert, die dann nur noch diejenigen Elemente der Ausstattung verzeich-
net, die für den weiteren Planungsprozess von Bedeutung sind. Dieses
Vorgehen konzentriert sich früh auf das Wichtige, birgt aber die Gefahr, dass
zu den Kriterien der Aufnahme in die Positivkartierung unterschiedliche
Meinungen bestehen.
92
Mit der Bestandserfassung, den notwendigen vertiefenden Untersuchungen
und der Stärken-Schwächen-Analyse sind alle die Parameter gewonnen, mit
denen die Planung arbeiten kann und muss. Die Herausforderung an den
Entwerfer besteht in der Folge darin, den Überblick zu behalten und aus der
Fülle der Einzelaspekte eine ganzheitliche Planungsstrategie zu entwickeln.
Die Auswertung der Analyse kann bisweilen zu der schmerzhaften Erkenntnis
führen, dass sich die geplante Nutzung oder Baumaßnahme nicht mit vertret-
barem Aufwand mit dem vorhandenen Bestand verträgt. Der Versuch, einen
solchen Bestand dennoch an die eigenen Vorhaben anzupassen, bedeutet für
gewöhnlich die weitgehende Zerstörung des Gebäudes. Volkswirtschaftlich
sinnvoller ist es, für solche Gebäude eine besser geeignete Nutzung und für die
konfliktträchtigen Zwecke ein anderes Gehäuse zu suchen.
Literaturhinweise
Als Einführung in die Bestandserfassung empfehlen wir Cramer 1993, Eckstein und
Klein. Einen ersten Zugang zu den Archiven eröffnen Eckert und Franz. Ein
Standardwerk zur modernen Vermessungskunde ist Matthews. Fragen der Bauaufnahme
werden auch von Wangerin, die modernen, digital gestützten Methoden zuletzt von
Wiedemann sowie in den Sammelbänden von Weferling u. a. diskutiert. Rodwell gibt
seine Erfahrung aus eigener Sicht wider. Den Einsatz der modernen Photogrammetrie
beschreibt übersichtlich Almagro.
Eine systematische Einführung in die Historische Bauforschung geben Grossmann 1993,
Tussenbroek und Schuller. Wood bringt zahlreiche Beispiele. Bedal skizziert knapp
und übersichtlich die Erfassungsmethoden der Hausforschung. Die Standards für die
archäologische Dokumentation hat Gerkan 1930 entwickelt. Die Geschichte der Methoden
stellen H. Schmidt und Docci vor. Das Vorgehen der Dendrochronologie beschreiben
Schweingruber, Eissing und Schöfbeck. Bestandsbezogene Angaben zur Thermo-
graphie finden sich bei Cramer 1981.
Zu den Grundsätzen der Restaurierung sollte man Brandi und Schädler-Saub nutzen.
Das Grundwissen zur Archäologie findet man bei Renfrew und Fehring. Die maßnahme-
bezogene Dokumentation historischer Bausubstanz beschreiben de Jonge/van Balen,
Petzet/Mader, Thomas und Mader. Das Raumbuch wurde von W. Schmidt entwickelt.
Vereinfachte Erfassungsverfahren beschreiben Arendt, Kastner, Bauen im Bestand und
Klemisch. Unter dem Begriff „Facility Management“ geht die Dokumentation von
Gebäuden weit über die graphische Erfassung des Bauwerks hinaus, wie etwa
Gänssmantel/Geburtig/Schau zeigen.
93
ENTWURF
Every place is open to innovation as long as there is innovation.* Giorgio Piccinato
*Jeder Ort ist offen für Erneuerung, sofern es wirklich eine ist.
96
angenommen. Berühmte und bis heute gül-
tige Lösungen sind die Alte Pinakothek in
München von Hans Döllgast oder Rudolf
Schwarz in Köln. Obwohl die Zahl ver-
gleichbarer Projekte damals groß war, hat
keiner der Protagonisten daraus eine
Entwurfstheorie entwickelt; so gerieten
diese Erfahrungen mit dem Ende der
Wiederaufbauzeit fast vollständig in Ver-
gessenheit.
Es blieb in den sechziger und frühen siebzi-
ger Jahren dem Einzelgänger Carlo Scarpa
vorbehalten, mit seinem stark aus dem
Kunsthandwerklichen und dem penibel
ausgearbeiteten Detail heraus argumentie-
renden Entwurfsansatz die Beschäftigung
mit dem Bestand wieder in das Blickfeld der
Architekten zu rücken. Seine auf die Insze-
nierung des historischen Fragments und
Der Wiederaufbau des Gürzenich in Köln
einzelner Formwerte orientierten Gestal- ist einer der Leuchttürme für einen
tungen haben eine Art von Schule begrün- selbstbewussten und zugleich geschichtsbezogenen
Wiederaufbau (Rudolf Schwarz, 1958).
det, der Karljosef Schattner, Guido Canali
oder auch Massimo Carmassi bis heute ver-
pflichtet sind. Ihre Haltung gründet auf
dem unbedingten Bekenntnis zur Moderne
und zu den aus ihr entstandenen Tradi-
Wiederaufbau unter Verwendung alter Bauteile und
tionen: Bruch mit der Vergangenheit und Inszenierung von Trümmerfunden in Breslau.
konsequente Innovation. Sie thematisiert
den prinzipiellen Unterschied zwischen
dem Alten und dem Neuen, zwischen dem
historischen Baubestand als Relikt einer
letztlich unverständlichen aber würdevollen
Vergangenheit, und einem Neubau oder
neuen Bauteilen mit neuen Materialien,
neuen Tragwerkskonzepten und neuen
Entwürfen, die sich bewusst und entschie-
den vom Alten absetzen und dadurch für
97
die Gegenwart und die Zukunft stehen sol-
len. Architektur in diesem Sinne ist mittei-
lend, besitzt eine Botschaft. Sie deklamiert
gleichsam die Stellung des Menschen in der
verrinnenden Zeit.
Die architektonische Aussage ist ebenso wie
der Stil bei all diesen Architekten dennoch
höchst unterschiedlich. Von ihrer gemein-
samen Basis der Analyse und Fragmentie-
rung aus konnte eine poetische Architektur
entstehen wie bei Scarpa, eine stark didak-
tische oder problematisierende wie bei den
von vielen Architekten verwendeten „Fens-
Inszenierung der Burg in Beton ohne Rücksicht auf
das Vorgefundene: Castelgrande in Bellinzona tern in die Vergangenheit“, bei denen eine
(Aurelio Galfetti, 1989). Öffnung in der modernen Oberfläche den
Blick frei gibt auf einen Ausschnitt mit ori-
ginaler historischer Bausubstanz, oder auch eine ironisch gebrochene
Architektur wie bei den „Fälschungen“ von Befunden bei Schattner. In den
achtziger Jahren begannen einzelne Architekten, forciert den Wert des
Historischen an sich zu betonen. Carmassi beispielsweise nutzt die gestal-
terischen Techniken der Analyse und Fragmentierung unmittelbar zur
Wertsteigerung der Immobilie. Durch geschickte Inszenierungen und in
einen neuen Rahmen gesetzt werden tatsächlich unscheinbare Baubefunde
auf einer rohen Ziegelwand oder Reste von Farbfassungen nobilitiert.
Durch ihre anspruchsvolle Gestaltung verweisen sie auf das kostbare
„Innenleben“ der Architektur.
Die Wiederentdeckung des Urbanen und der historischen Bausubstanz
hatte die Architektur im Bestand bereits in den siebziger Jahren wieder all-
gemein hoffähig gemacht. Für die Entwurfstheorie interessant ist die darin
erkennbare große Bereitschaft, sich durch die Vorgaben der Bausubstanz
selbst anregen zu lassen und aus ihren Eigenheiten heraus etwas Neues zu
entwickeln. Die sorgfältige Analyse des Vorgefundenen definiert hier dieje-
nigen Strukturen, die für die behutsame Modernisierung und den neuen
Gesamtentwurf zugrunde gelegt werden.
Diese Art der Analyse lässt sich unter dem Stichwort des genius loci noch
auf andere Weise für den Entwurfsprozess fruchtbar machen. Bernhard
Hoesli hat in seinem Kommentar zu Rowe und Slutzky in dem Buch
98
Transparenz ein analytisches Grundschema für das Verständnis moderner
Architektur direkt auf den Entwurf im historischen Kontext und auf das
Gestalten in der europäischen Stadt übertragen. Mit Hilfe des Transparenz-
Begriffs deckt er Strukturen und geometrische Verhältnisse im Bestand
auf, die er zur Grundlage seines Entwurfes macht. Indem er ähnlich wie in
der traditionellen Proportionslehre sowohl die bestehende Situation, als
auch den Neubau auf einfache gestalterische Grundstrukturen zurück-
führt, schafft er eine gemeinsame Basis. Das Neue ist nicht einfach der
Gegensatz des Alten, sondern eine Fortsetzung von Entwicklungslinien.
Auf diese Weise sind die neuen Bauwerke oder Bauteile, beispielsweise
eine Lückenschließung in einer historischen Häuserzeile, strukturell mit
dem Ort und seiner Vergangenheit direkt verbunden, auch wenn sie auf
den ersten Blick sehr unterschiedlich aussehen können. Dieses Verfahren
kann mit der Übernahme von Traufhöhen und Fensterformaten beginnen,
es kann bestimmte gestalterische Charakteristika thematisieren, oder es
kann bewusst einen einzelnen Aspekt der Geschichte des Ortes aufgreifen.
Einige Entwürfe von Peter Eisenman und Daniel Libeskind sind diesem
Ansatz verpflichtet. Sie gewinnen beispielsweise bei ihren Berliner
Projekten aus einer thematischen Ortsanalyse Fixpunkte und Bezugslinien
wie etwa die Wohnorte bestimmter Personen oder städtebauliche
Anordnungen aus der Geschichte, um dann dieses Geflecht aus dem
Lageplan auf den Entwurf von Grundrissen und Ansichten zu übertragen.
Der Reiz liegt dabei sicherlich darin, dass die Veränderung der gebauten
Umwelt als Kontinuum verstanden wird, innerhalb dessen dann auch der
eigene Entwurf angesiedelt ist. Das Neue wird als Schicht, als eine von vie-
len unterschiedlichen Spuren in der Zeit gesehen. Bestimmte historische
Abläufe werden als tragend erkannt und gestalterisch hervorgehoben. Dem
Nutzer wird verdeutlicht, dass er in diesem Kontinuum steht. Die Vorstel-
lung, dass unter der Oberfläche Strukturen und Charakteristika existieren,
über denen wie über einem Generalbass die Moden und Stile ihr buntes
Spiel treiben, ist noch heute für das spezifisch europäische Verständnis der
Stadt entscheidend.
Nicht zuletzt haben Alison und Peter Smithson mit ihrem 1990 publizierten
Prinzip des „As found“ aufgezeigt, dass jeder städtebaulichen Situation und
jedem Gebäude ein eigener und unverrückbarer Wert innewohnt, welchen
der Entwerfer nur wahrnehmen und entdecken muss. Aus diesem Wert
heraus kann auch ein schlichtes Gebäude mit wenig Aufwand einer neuen
99
und eigenständigen Zukunft zugeführt wer-
den. Das Bauwerk wird zum objet trouvé, zu
einem zufälligen Kunstwerk, das uns durch
seine Fremdheit und die zunächst unver-
ständliche Botschaft aus der Vergangenheit
anrührt und begeistert.
Betrachtet man aktuelle Beispiele, dann
scheint es, dass viele Architekten eine klare
Linie für den Entwurf im Bestand gefunden
haben. Postmoderne Vielschichtigkeit, die
Wertschätzung des Charaktervollen und
Individuellen sowie die neue Lust an der
Materialität von Architektur gehen in der
As Found: Jedes Haus ist gut für Veränderungen: eine
neue Schicht um das alte Haus in ländlicher Umgebung. Entwicklung des gewachsenen Bestandes
heute eine enge Verbindung ein.
In den letzten Jahren gewinnt ein vierter
Ansatz zunehmend an Bedeutung: Die Anpassung des Neuen durch
bewusste Fortschreibung des Vorgefundenen. Die Inszenierung von
Kontrasten wird aus dieser Sicht als optische und funktionale
Zersplitterung auf Kosten der einheitlichen Wirkungen von Architektur
empfunden. Im Straßenbild sind allzu viele, mit starken architektonischen
Mitteln herausgearbeitete Brüche nicht gewollt, auch weil sie schnell ihren
Reiz verlieren und zur leeren Floskel werden. Das Bedürfnis nach einer wie-
der ganzen, heilen Umwelt fragt dann auch nach einer geglätteten
Geschichte. So wird der Entwurf im Bestand auch zu einem Dokument des
Architekten und seiner Stellung zur Geschichte.
Unterscheidet sich der Entwurf im Bestand formal grundsätzlich von
einem Neubauentwurf? Die Antwort ist selbstverständlich: Nein. Viele der
im Folgenden umrissenen Entwurfsstrategien, Konzepte und Gestaltungs-
möglichkeiten sind teils im Neubau gefunden und auf den Bestand
übertragen worden, teils aber auch umgekehrt. Der von Mecanoo und
Erick van Egeraat in den Innenhof eines gründerzeitlichen Stadthauses frei
eingehängte Besprechungsraum unterscheidet sich konzeptionell in nichts
von der fast gleichartigen Lösung von Frank Gehry in der neu errichteten
DG-Bank in Berlin. Die offen auf den nackten Beton verlegten Leitungen in
der 1993 gebauten Kunsthal in Rotterdam von Rem Koolhaas wären auch
eine perfekte und ressourcenschonende Lösung für ein altes Gebäude. Und
100
die Auslagerung der Erschließungs- und Versorgungsleitungen an die
Außenseite des Gebäudes ist spätestens mit dem Centre Pompidou in Paris
eine im Neubau uneingeschränkt akzeptierte Möglichkeit. Die Vielfalt
unterschiedlicher Formen, wie sie bei einem alten Gebäude im Laufe der
Zeit von selbst entsteht, ist spätestens mit der Postmoderne eine gültige
Möglichkeit für den Entwurf geworden. Nur so ist zum Beispiel das „Haas-
Haus“ in Wien von Hans Hollein zu interpretieren. Und hier hat auch die
Inszenierung des historischen Fragments mit der Piazza d’Italia in New
Orleans von Charles W. Moore oder der aus der Mauer stürzenden Steine
an James Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart und den provokanten Projekten
von Site ihren Platz in der modernen Architektur gefunden. Und selbst der
aus historischen Formen begründete Neubau, der in der angelsächsischen
Welt ebenso wie in Frankreich eine lange und ungebrochene Tradition hat,
sonst aber von der Moderne der zwanziger
Die vollständige Entkernung des Salzmuseums in
Jahre als reaktionär verbannt worden war, Hallein reduziert das alte Gebäude auf seine Fassade
kommt mit der Architektur von Hans und gibt damit sämtliche volkswirtschaftlichen, histori-
schen und gestalterischen Werte auf (Heinz Tesar, 1995).
Kollhoff oder Paul Kahlfeldt mittlerweile
wieder zu Ehren. Warum sollten diese
Neubau-Möglichkeiten für den Bestand
keine Gültigkeit haben?
Disposition
Jeder Entwurf im Bestand greift ein und ver-
ändert. Das ist gut so und gewollt. In dieser
Haltung unterscheidet sich die Architektur
im Bestand grundlegend vom Spezialfall der
Denkmalpflege, die zunächst einmal jeder
Veränderung skeptisch gegenüber stehen
muss. Die notwendige und gewollte Verände-
rung darf den Planer aber nicht dazu verlei-
ten, das vorgefundene Bauwerk im Interesse
einer optimalen Grundrissorganisation durch
Entkernung faktisch aufzugeben und damit
die Identität der Immobilie ebenso wie die
Entwicklungsmöglichkeiten für künftige
Umnutzungen zu beseitigen. Die Verpflich-
tung zur Nachhaltigkeit, der Respekt vor kul-
101
turellen und gestalterischen Werten und bauökonomische Gesichtspunkte ver-
bieten die Reduzierung der Entwurfsaufgabe auf rein äußerliche, städtebauli-
che Aspekte. Fast immer ist die Entscheidung für eine Entkernung oder den
vollständigen Abbruch der Beweis für geistige Unbeweglichkeit und den
Unwillen, sich auf das Vorgefundene – und sei es im Sinne der Smithsons –
kreativ einzulassen. In aller Regel findet sich für jedes historische Gebäude
durch eine bewusst verfolgte Nutzungsplanung, die sich gegebenenfalls für die
Erfüllung zeitgemäßer Nutzungsansprüche zusätzlicher Entlastungsbauten
bedient, eine architektonisch überzeugende und funktional gute Lösung.
Bewusste Nutzungsplanung
Die Qualität eines Entwurfs wird bereits vor den ersten planerischen und
gestalterischen Entscheidungen ganz wesentlich dadurch geprägt, ob und
wie die vorgesehene Nutzung zum vorhandenen Gebäude passt. Die
Fortführung der vorgefundenen Nutzung führt in aller Regel zu den
geringsten Konflikten. Neue Wohnungen in einem Wohnhaus oder Büros
in einer ehemaligen Fabrikanlage sind sicherlich leichter zu planen, als
Eigentumswohnungen in einem ehemaligen Parkhaus oder Großraum-
büros in Altstadtwohnhäusern. Die Vorstellung, dass es für ein altes
Gebäude das Beste sei, wenn die bestehende Nutzung fortgeführt wird, ist
zuerst im Jahr 1964 von der Denkmalpflege
Kleinteilige Wohnung unter der großen barocken Stuck-
decke in Braunau, Markt 33. Die neuen Wände halten in der Charta von Venedig ausdrücklich for-
in der Weise Abstand, wie es schon Le Corbusier in den muliert worden. Für den Architekten kann
zwanziger Jahren vorgemacht hat (Laurids Ortner, 1994).
das kein Dogma sein. Gerade aus der
Spannung zwischen der Erwartung, die ein
historisches Gebäude aufgrund seiner frü-
heren Nutzungen als Botschaft mit sich
trägt, und der völlig andersartigen neuen
Widmung kann der Entwurf seinen ent-
scheidenden Funken schlagen. Es ist aber
ebenso selbstverständlich, dass ein radikaler
Nutzungswandel auf der materiellen Ebene
in aller Regel erheblichen und kostenträch-
tigen Umbaubedarf und damit auch ein
Bündel zusätzlicher Probleme nach sich
zieht. Das Hotel in fünfzehn Stadthäusern
zwingt zur weit reichenden Veränderung
102
Ausbau als Fragment
Überlegte Eingriffe
Grundrissorganisation, Raumaufteilung und Erschließung eines alten
Hauses entsprechen in den allermeisten Fällen nicht den Erwartungen, die
ein zielstrebiger Investor für einen Neubau zugrunde legen wird. Die
Raumhöhen sind zu hoch oder zu niedrig, der Raumzuschnitt ist in Größe
und Folge mehr durch den gewachsenen Entstehungsprozess, die Nut-
Der Konzertsaal ist als eigenständige Konstruktion in die Amsterdamer Börse von
Berlage aus dem Jahr 1904 eingebaut (Zaanen/Spanjers, 1990).
104
Die Treppe trägt das Haus
106
nutzen. Ziel der Planung muss es sein, einerseits die Identität des
Bauwerks auch in seinem Grundriss zu erhalten und zu stärken, und auf
der anderen Seite durch bewusste und gezielte Eingriffe die Funktions-
fähigkeit und Attraktivität des Hauses zu gewährleisten und zu steigern.
Gezielte Entlastungsbauten
Ausweichstrategien sind eine bewährte Möglichkeit, dem Bestand gerecht
zu werden und dennoch eine Anhebung des
Standards zu erreichen. Es steht außer
Zweifel, dass die Anforderungen an Be-
quemlichkeit und technische Ausrüstung
eines Bauwerks sich in den zurückliegenden
Jahrzehnten radikal geändert haben. Kaum
ein altes Haus kann diesen Erwartungen
und Forderungen ohne Nachqualifizierung
entsprechen. Die Versuchung ist groß, jedes
dieser Defizite einzeln zu untersuchen und
zu bearbeiten, anstatt einen gesamtheitli-
chen Lösungsansatz zugrunde zu legen. Die
Strategie, sämtliche zusätzliche Anforde-
rungen der modernen Zeit in zusätzlichen,
Defizite in der Erschließung der National Portrait Gallery in London sind durch einen Neubau in einem
kleinen Hof behoben ( Jeremy Dixon und Edward Jones, 2000).
107
Das unscheinbare Wohnhaus in der engen Altstadt von
Eichstätt ist mit einer neutralen Lochblecharchitektur
um ein Geschoss erhöht.
108
Besprechungsraum über dem Innenhof
110
Planungsstrategien
Bauwerk, Bauzustand und Bauziel bestimmen das Planungskonzept glei-
chermaßen. Da die einmal gewählte Vorgehensweise entscheidend für alle
weiteren Schritte ist, müssen die unterschiedlichen Handlungsmöglich-
keiten frühzeitig mit allen am Bau Beteiligten abgestimmt werden. Nur so
erhält man die wünschenswerte Planungssicherheit und die nötige Freiheit
für den Entwurf. Die Anforderungen an die Baumaßnahme verändern sich,
je nachdem, welchen Wert man hervorhebt oder unterdrückt, und die
Vermischung verschiedenartiger Konzepte an einem Projekt führt leicht zu
gestalterisch unbefriedigenden Lösungen.
Die wirklich entscheidende Frage in der Unterscheidung verschiedener Ent-
wurfskonzepte ist die nach dem Ausmaß der Eingriffe und Veränderungen.
Für die produktive Auseinandersetzung mit dem alten Gebäude kommen
die erhaltende Instandsetzung, die verbessernde Ertüchtigung und
Modernisierung und das bewusst verändernde Weiterbauen in Betracht.
Natürlich kann man den vorgefundenen Bestand auch aufgeben und erset-
zen. Je größer die Veränderung, desto größer die Kosten – und umgekehrt.
Nun ist gegen hohe Baukosten und gravierende Veränderungen an einem
Bauwerk nicht grundsätzlich etwas zu sagen. Der Architekt muss nur offen
legen, welches Konzept er aus welchem Grund und mit welchen Folgen für
angebracht hält.
Tatsächlich fällt die Entscheidung für eines dieser Konzepte viel seltener, als
man das erwarten würde, aufgrund zuvor festgestellter Zustandsanalysen
und Schadensbilder. Allzu häufig bestimmen unklare Erwartungen an unbe-
kannte Werte und unbewiesene Hoffnungen auf Wertsteigerungen einen
Entschluss, der in seinen Folgen nicht bis zum Ende überprüft ist. Deswegen
ist es besonders wichtig, sich über die unausweichlichen Konsequenzen der
Planung schon in der Konzeptphase Gewissheit zu verschaffen.
Instandhalten
Der größte immaterielle Wert eines alten Gebäudes ist sein Alter, das
Wunder, dass es erhalten geblieben ist und uns mit seiner bloßen Existenz,
deutlicher noch mit seinen Altersspuren, ein Fenster in die Vergangenheit
öffnet und das Bauwerk in der Zeit verortet. Der Versuch, das Altern aufzu-
halten oder zu negieren, nimmt dem einzigartigen Bauwerk seine Würde
und seine Identität. Die Bauwerke als geschichtliche Zeugnisse, so John
Ruskin in seinem Buch Seven Lamps of Architecture, „… gehören uns nicht.
111
Ausbau durch Reparatur
114
Restauration übrigens hat mit Architektur
nichts zu tun. Sie ist wahlweise eine
Gaststätte oder eine politische Epoche im
19. Jahrhundert.
Modernisieren
Die Aufwertung eines Gebäudes für den
zeitgemäßen Gebrauch, das Ausbauen, Auf-
werten, Ertüchtigen, Rehabilitieren, Reno-
vieren, Sanieren oder Modernisieren ist ein
notwendiger Anspruch an ein Gebäude. Da
sich die Nutzungsanforderungen wandeln,
muss sich auch der Bestand einer ständigen
Transformation unterziehen. Die geschickte
Anpassung eines vorhandenen Bauwerks
an veränderte Anforderungen ist eine
anspruchsvolle Entwurfaufgabe und ein
unerschöpfliches Arbeitsfeld für Archi-
Die alten Mauern der Casa Muti in Pisa bilden einen
tekten. Diese tun sich allerdings oft schwer, wirkungsvollen Kontrast zum modernen Einbau
die eher dienende Tätigkeit mit Freude zu (Massimo Carmassi,1991).
akzeptieren, ein in Ehren gealtertes Gebäu-
de an den modernen Standard anzupassen. „Modernisierung“ war lange
Zeit das ungeliebte Stiefkind der Architekten. Durch die unglückliche
Wortschöpfung „Bauen im Bestand“ hat das Arbeitsfeld zusätzlich etwas
eher Technokratisches und jedenfalls Unkreatives angenommen. Tat-
sächlich haben über lange Jahre vor allem
Die rohe römische Wand als „stimmungsvoller“ Hinter-
die Innenarchitekten das innovative grund für das gehobene Sortiment, in Split.
Potenzial der Modernisierung erkannt und
schöpfen es seit vielen Jahren aus. Dazu
gehört nicht nur das bewusste Eingehen auf
die jeweils individuellen baulichen und
räumlichen Gegebenheiten in Raumaus-
stattung und Möblierung, sondern auch das
Herausarbeiten der haptischen und opti-
schen Materialqualitäten eines alten
Gebäudes. Das historische Fragment ist in
der Ladeneinrichtung nachgerade zum
115
Kunstvolle Hinzufügungen
Die instandgesetzte Treppe nach Innenraum nach Instandsetzung. Wegeführung über Stege, die
der Maßnahme. Haustechnik in selbstständigen Elementen.
unverzichtbaren Bestandteil der modernen
Warendistribution geworden. Kaum ein
trendiger Modeladen möchte derzeit auf
die – historisch meist belanglose – freigeleg-
te rohe Wand verzichten.
Zur Modernisierung wird man auch die
Aufwertung der Gesamterscheinung durch
die Umgestaltung der Fassade oder das blo-
ße Anstreichen rechnen. Für den Archi-
tekten bedeutet die Modernisierung jedoch
zunächst die systematische Anpassung des
Baubestands an die Erfordernisse der
Die Installationen in dem Loft in Madrid liegen auf
modernen Infrastruktur. In kaum einem der Wand und können schnell ausgetauscht werden
alten Gebäude wird die Heizungs-, Sanitär- (Manuel Serrano, 2005).
117
Verteilung fast immer ideal an. Hier muss
man lediglich auf die Trennung von Sanitär-
und Elektroinstallation achten und für die
systematische Brandabschottung in den
Geschossen sorgen. In den Geschossen ist
die horizontale Verteilung auf der Wand
durch eine Vielzahl von funktionalen und
formal akzeptablen Systemen mittlerweile
keine Herausforderung für Tüftler mehr,
sondern sowohl für die Heizung wie auch
für die Elektroinstallation eine marktgängi-
ge Lösung. Neben den Leitungen sind es die
Der außen angebaute Aufzug ermöglicht eine beque-
me Erschließung und entlastet das alte Gebäude in Küchen und Bäder, die durch eine Moder-
Schaffhausen. nisierung in aller Regel am deutlichsten ver-
ändert werden. Die Vielzahl der Sanitärobjekte, die zu einem modernen Bad
gehören, macht eine differenzierte Verteilung erforderlich, die durch mögliche
Undichtigkeiten stets auch zu einem Gefährdungspotenzial wird.
Schwingende Holzbalkendecken sind hier besonders bedroht. Der Einbau von
in sich geschlossenen und stabilen Containern mit bewusst gelösten Überga-
bestellen vermeidet ein solches Problem.
Durch begrenzte Grundrissveränderungen im bestehenden Tragsystem
wird der Bestand nachhaltig aufgewertet. Der Abbruch nachträglich einge-
bauter Teilungswände, die vielfach erst nach dem Zweiten Weltkrieg in
Zeiten großer Wohnungsnot notdürftig eingebaut wurden, macht aus
beengten Wohnverhältnissen wieder attraktiven Wohnraum. Die Neuord-
nung der Erschließung mit zusätzlich eingebautem Windfang erzeugt ein
freundliches Ambiente. Die Zusammenfassung zweier Wohnungen in
einer Siedlung der zwanziger Jahre macht aus einer Kleinhaussiedlung
attraktive und zeitgemäße Familienwohnungen und der Anbau von selbst-
tragenden Balkons erweitert die Wohnfläche und steigert die Attraktivität.
Nicht zuletzt bedeutet Modernisierung auch die bauphysikalische Ertüchti-
gung des Gebäudes. Die zeitgemäße Forderung nach effizienter Energie-
verwendung zwingt zur Verhinderung vermeidbarer Verluste bei gleichzei-
tiger Aufwertung der Nutzungsqualität. Hier ist die hohe Speichermasse
massiver Außen- und Tragwände im historischen Bestand eine oft uner-
schlossene Ressource. Andererseits reagieren alte, mit traditionellen
Baustoffen errichtete Gebäude eher empfindlich auf bauphysikalische
118
Missgriffe, wie sie vor allem durch ungelöste Diffusionsvorgänge in der
Folge übermäßiger Dämmung entstehen. Man könnte das für einen
Nachteil halten, sollte es aber eher als einen gleichsam eingebauten, höchst
willkommenen Warnmechanismus für Missstände im Bauwerk verstehen,
welche das alte Gemäuer schon signalisiert, bevor die Nutzer und
Bewohner ernsthaft Schaden genommen haben.
Kommen neue Nutzungen, reichen die vorhandenen Tragsysteme oft nicht
mehr aus. Verstärkungsmaßnahmen, die nicht nur ihren Zweck erfüllen,
sondern überdies noch im Einklang mit dem Bestand gestalterischen
Ansprüchen genügen, gehören zu den Höchstleistungen des Entwurfs. Die
Tragwerksplaner haben sich schon lange darauf eingestellt, dass die
Ertüchtigung eines alten Hauses für die Aufnahme höherer Verkehrs- und
Nutzlasten zu ihrem Aufgabenfeld gehört und sowohl substanzverträgliche
wie kostengünstige Lösungen gefunden, die dem modernisierten Gebäude
seine Identität belassen.
In jüngster Zeit gehört zu den häufigsten Aufgaben der Modernisierung
auch das Entfernen schadstoffhaltiger Baumaterialien, das eine nachhaltige
und gesunde Weiternutzung sicherstellen soll.
119
Umnutzung total. Die antiken Statuen stehen zwischen Eingriffe in den Bestand, wahrt aber das
den mit gleicher Sorgfalt restaurierten Maschinen des
vorgefundene Volumen. Die Ergänzung
Kraftwerks ACEA in Rom (ACEA, Comune di Roma,
1997). fügt Fehlendes an den Bestand an, und die
Zusammenfassung bildet aus mehreren
Gebäuden eine neue Nutzungseinheit.
Die einfachste Form, ein vorhandenes
Gebäude weiter zu entwickeln, ist die
Umnutzung. In vielen Bereichen der
Gebäudewirtschaft ist diese Änderung ohne
wesentliche Eingriffe in den Bestand schon
immer Gang und Gäbe. Die Umwandlung
von Wohnraum in Büros oder Gewerbe-
flächen zu Büros ist meist mit geringem
Veränderungsdruck zu bewerkstelligen.
Aber auch großvolumige Bauten und
grundsätzlichere Umnutzungen können oft
ohne tief greifende Eingriffe kostengünstig
in den Baubestand umgesetzt werden, ohne
dass der Anspruch an eine eigenständige
Gestaltung verloren gehen müsste.
In Zeiten schwächerer Immobilienkonjunk-
tur und längerdauernder Entscheidungs-
prozesse ist schon die mit geringen Mit-
teln und strategischer Absicht geplante
Zwischennutzung eine gute Möglichkeit,
120
Loft im Schuppen
Nachnutzung einer unfertig gebliebenen Konstruktion des Jahres 1960 für die olympischen
Winterspiele in Turin als Eissporthalle (Gae Aulenti, 2006).
123
gebauten Kleinwohnungen ebenso wie der vielen winzigen Büroräume der
Nachkriegszeit. Die Zahl der oft mit geringen Mitteln und in gestalterischer
Kargheit aufgeteilten Industrieflächen ist inzwischen unüberschaubar. Die
einfachen konstruktiven Raster und die meist nüchterne und funktionsbezo-
gene Formgebung der Industriebauten geben dem gestaltenden Architekten
jede Freiheit, die eigenen Vorstellungen ohne wesentliche Beschränkungen
durch technische oder administrative Hindernisse umzusetzen.
Viele bekannte Architekten haben sich der Herausforderung der Teilung
auch dadurch gestellt, dass sie ihre neue Nutzung weitgehend unabhängig
von dem unveränderten Gebäude als Haus im Haus eingebaut haben. Die
Die Garagen der Oldtimer sind im Berliner Meilenwerk Kleine Bürohäuschen der Universitätsverwaltung in
in mehreren Geschossen als selbstständige Konstruktion dem großen Festsaal der Orangerie in Eichstätt
in das alte Bahndepot gestellt (Dinse, Feest, Zurl, 2003). (Karljosef Schattner, 1974).
124
Eine Kirche wird möbliert
126
dem qualitätvoll erhaltenen Alten und den
modernen Zufügungen zu finden. Die 1:1-
Rekonstruktion des verlorenen Zustands
ist hier sicher auch eine Möglichkeit, die
aber dort ihre Grenze finden sollte, wo die
Nachschöpfung absehbar nicht mehr die
Qualität und Aussagekraft des Verlorenen
haben kann. Dieser Vorbehalt wird für
künstlerische Gestaltungen immer Bestand
haben und auch für viele anspruchsvolle
Der kriegszerstörte Saal in der Berliner Akademie der
handwerkliche Produktionen gelten müs- Wissenschaften wurde in vereinfachten Formen wieder-
sen. Einer solchen Haltung ist gewiss auch hergestellt (Claus Anderhalten, 2003).
der Ausbau des Vortragssaales in der Aka-
demie der Wissenschaften in Berlin von Anderhalten verpflichtet.
Von den Architekten ist der Umbau in der Vergangenheit noch am ehesten
als bestandsbezogene Bauaufgabe wahrgenommen worden. Unterschiedlich
weitreichende Grundrissänderungen und Eingriffe in das Tragsystem, die
Umorganisation der Erschließung und vor allem die Anpassung der
Architekturformen an den Zeitgeschmack waren zu allen Zeiten
Architektenaufgabe. In der Regel wird sich der Umbau an die vorhandenen
Geschosse halten und allenfalls durch einzelne Deckendurchbrüche die
Innenräume und die Grundrissorganisation nachhaltiger gestalten. Der
Schwerpunkt des Umbaus liegt in der zeitgemäßen Gestaltung der vorge-
fundenen Räume und deren Anpassung an geänderte Nutzungsan-
forderungen. Es ist dabei eine willkommene Bereicherung, wenn die
Umbaumaßnahme Teile oder gar die Die freigelegte mittelalterliche Bohlenstube ist ein gerne
Ganzheit älterer Raumgestaltungen ans angenommener und würdiger Rahmen für das Büro des
Tageslicht bringt. Große Städte wie Basel, Behördenleiters im neu ausgebauten Rathaus in Wels.
127
Ein Museum im Wahrzeichen Tirols
Ausstellungssaal.
129
Wohngebiet im Wandel
Modell.
Werkplanungsdetail.
und bautechnische. Exakte Höhenangaben
zu den vorhandenen Geschossebenen – ein-
schließlich möglicher Verformungen! – sind
ebenso unerlässlich wie die Klärung der vor-
gefundenen Konstruktion.
Die Vorstellung, dass das historische
Gebäude mit einem ergänzenden Anbau
unverändert fortbestehen könnte, erweist
sich in der Umsetzung fast immer als unrea-
listisch. Selbst wenn im Bestand tatsächlich
keine Bauarbeiten durchgeführt werden,
müssen doch Zugänge, Öffnungen und
Verbindungen mit allen entsprechenden
Die neue Erschließung der in einem umfangreichen
Altbaukomplex eingebauten Universität in Toledo Folgen geschaffen werden, die häufig auch
nutzt einen alten Hofraum und organisiert den zu einer Umorganisation in der Erschlie-
gesamten Komplex neu (AUIA, 1993).
ßung des Altbaus zwingen.
Wenn die Erweiterung in die Fläche nicht möglich ist, führt gegebenenfalls
die Aufstockung zum Ziel. Die besondere planerische Herausforderung
der Aufstockung liegt in der Bewältigung der Erschließungsfrage und ganz
besonders der Sicherung der Rettungswege. Bevor man dem Bauherrn ent-
sprechende Vorschläge macht, muss diese Frage eindeutig und dokumen-
tiert geprüft sein. Die zusätzlichen Geschosse können nämlich nicht nur
die Anleiter-Höhe der Feuerwehr übersteigen, sondern auch zu erheblich
Die kubischen Aufbauten auf dem Wohnhaus in Graz Das Haus der Architektenschaft in Moskau: Klassischer
geben der Durchschnittsarchitektur einen eigenen Reiz Kern, angestrengt moderne Ergänzung (Asadov, 2006).
(INNOCAD, 2001).
132
verschärften Anforderungen an die Brandwiderstandsfähigkeit der vorhan-
denen Treppenkonstruktion führen. Grundsätzlich wird man versuchen, die
Aufstockung über dem durch die tragenden Wände vorgegebenen Grundriss
zu organisieren. Dass es aber auch durchaus reizvoll sein kann, von dieser
nahe liegenden Grundannahme abzuweichen, zeigt eine ganze Zahl von weit-
hin bekannt gewordenen Beispielen. Die Aufstockung ist zwangsläufig mit
dem Verlust der historischen Dachkonstruktion verbunden, was gründlich
erwogen sein will. Dachräume sind bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein
baugeschichtliche Zeugnisse von ganz eigener Art und ganz eigenem Wert.
Ferner ist zu beachten, dass die Dachbalkenlage konstruktiv bedingt oft weni-
ger stark belastbar ist als die darunter liegenden Geschossdecken.
Die Unterfangung des Gebäudes für den Einbau zusätzlicher Tiefge-
schosse ist zwar in vielen Großstädten mittlerweile gang und gäbe, aber für
die Architekturgestaltung ohne ernsthafte Bedeutung.
Wo die Erweiterung – aus welchen Gründen auch immer – keine Erfolgs-
aussichten hat, ist die Zusammenfassung mehrerer Gebäude zu einer
Nutzungseinheit eine letzte Möglichkeit, Nutzungsdefizite durch die Weiter-
entwicklung des vorgefundenen Bestands zu beheben. Die Nachteile dieses
Konzepts im Vergleich zur Erweiterung liegen auf der Hand: Bauten aus
unterschiedlicher Zeit werden in aller Regel auch unterschiedliche
Fußboden- und Geschosshöhen haben. Bricht man von einem Gebäude in
das nächste durch, ergeben sich schon in der Erschließung und der Grund-
rissorganisation fast immer erhebliche Anpassungs- und Übergangspro-
bleme. Durch eine geschickt angeordnete neue und gemeinsame Er-
schließung mit Differenzstufen und einer Aufzugsanlage mit versetzt ange-
schlossenen Zugängen kann man solchen Problemen bisweilen aus dem
Wege gehen. Wie hier dann aber die barrierefreie Nutzung gewährleistet wer-
den soll, bleibt häufig eine fast unlösbare Aufgabe. Die Zusammenfassung
vieler kleiner Bauten zu einer einzigen großflächigen Nutzungseinheit ver-
bietet sich unter Verweis auf das Tragwerk eigentlich immer. Es ergibt keinen
Sinn, ein kleinteiliges Gebäude mit erheblichem Aufwand seiner Identität zu
berauben, um dadurch ein Gebäude zu schaffen, das man besser und einfa-
cher an anderer Stelle mit anderen Mitteln realisiert hätte.
Ausnahmen von dieser Position sind all jene Projekte, welche die vorhan-
denen Bauten mehr oder weniger unverändert bestehen lassen und sie
unter einem gemeinsamen Dach vereinigen. Vorbild für diese Entwürfe
sind zweifellos die leichten und heiteren Flächentragwerke der siebziger
133
Jahre. Der starke Verfremdungseffekt eines solchen aus der Landschafts-
planung übernommenen Konzepts bei der Übertragung in den Archi-
tekturbereich ist offensichtlich. Er hat aber auch seine Reize, wie bekannte
Projekte namhafter Architekten immer wieder zeigen.
Ersetzen
Wer im Bestand arbeitet, muss irgendwann auch einmal erkennen, dass ein
altes Haus an das Ende seiner Lebenszeit gekommen ist – entweder als
Ganzes oder doch in großen Teilen. Wo nichts mehr zu pflegen ist und die
Instandsetzung und Modernisierung der abschnittsweisen Erneuerung des
alten Bestandes gleichkommt, ist es klüger, das alte Gemäuer ganz aufzu-
geben. Hier bleibt für den Planer nur noch die Aufgabe, den Abbruch den
Forderungen der Nachhaltigkeit entsprechend zu organisieren. Ob man
aus nostalgischen Gründen die eine oder
Die Spolie als Determinate des Neubaus: Aus der
historischen Analyse und den gefundenen Bauteilen andere Spolie aufhebt und als Erinnerungs-
ergibt sich die Gestalt des Stadthauses in Berlin auf stück in den Neubau integriert, ist dann
dem Friedrichswerder (Marc Jordi, 2006).
eine andere Sache. Wo genau die Grenze
solcher substanz- und identitätsvernichten-
der Erneuerung liegt, muss in gewisser
Hinsicht jeder selbst entscheiden. Man soll-
te sich diese Entscheidung aber aus
Gründen der Nachhaltigkeit ebenso wie der
kulturellen Identität nicht zu leicht
machen – auch wenn sie bisweilen als der
einfachere Weg erscheint. Auf dramatische
Weise stellt sich die Frage nach der richti-
gen Art, Bausubstanz zu beseitigen, in
schrumpfenden Städten. Der Ersatz von
Gebäuden durch Parkplätze führt schnell
zum Verlust jeder Lebensqualität.
Der häufigste Grund für einen Teilabbruch
oder die Entkernung sind jedoch nicht bau-
konstruktive Schwierigkeiten im vorhande-
nen Gebäude, sondern der Wunsch nach
einer neuen komfortablen Gebäudestruktur.
Oft bleiben dabei historische Fassaden als
eine Art Wahrzeichen oder Zugeständnis an
134
die Stadtbildpflege erhalten und werden
aufwändig herausgeputzt. Diese Vorgehens-
weise kann als eine extreme Art der frag-
mentierenden Gestaltung verstanden wer-
den. Meist steht dahinter aber die nicht im-
mer berechtigte Annahme, es sei bequemer,
ein ganz neues Gebäude auf der Funda-
mentsohle des alten zu errichten. Aus dieser
Haltung kann keine gute Architektur entste-
hen. Die Loslösung der Fassade von einem
Die alte Fassade als Dekoration des modernen Neubaus
sonst komplett ersetzten Gebäude, von in Frankfurt am Main am Rossmarkt ( Jean Nouvel).
ihrem ursprünglichen Kontext und kon-
struktiven Zusammenhang ist ein müder Kompromiss, der ein gänzlich
unbefriedigendes Zwitterwesen entstehen lässt, dem man sich besser wider-
setzen sollte.
Wenn man überprüft, wie viel alte Substanz durch neue Bauteile ersetzt
wurde, sind auch berühmte Baustellen im Bestand wie der Reichstag in
Berlin von Sir Norman Foster oder das Castelgrande in Bellinzona von
Aurelio Galfetti eigentlich Neubauten. Der Reichstag wurde bis auf die
Umfassungswände restlos entkernt. Als einzige Reminiszenz an einhun-
dert Jahre Nutzungsgeschichte wurden die Graffiti russischer Soldaten aus
dem Jahr 1945 konserviert. Weder die Reste des alten Reichstags von 1894
noch die Spuren des Reichstagsbrandes von 1933 noch die Verletzungen
des Zweiten Weltkriegs und erst recht nicht der sparsame Ausbau von Paul
Baumgarten in der Nachkriegszeit wurden beachtet. Und auch das
Castelgrande in Bellinzona wies vor Baubeginn eine Vielzahl von
Geschichtsspuren und verschiedenartigen Nutzungsschichten auf. Der
Umbau hat sie zusammen mit allen inneren Ausbauten zugunsten einer
völligen Neugestaltung aufgegeben. Die so entstandenen Architekturen sind
ohne jede Frage großartig. Mit dem einstmals vorgefundenen Bauwerk
haben sie aber ganz überwiegend nur noch im Sinn eines Bildes etwas zu
tun; der tatsächliche Bestand ist fast völlig verschwunden.
Was auf einem einmal abgeräumten Bauplatz als Neubau entsteht, ist eigent-
lich nicht mehr Gegenstand dieses Buches. Weil aber die Rekonstruktion
verlorener schöner Bauten am Beginn des 21. Jahrhunderts offensichtlich
eine besondere Faszination auf die Menschen ausübt, muss dieser Sonder-
fall des Architekturentwurfs hier dennoch zur Sprache kommen. Auch
135
wenn manche Kommentatoren das anders sehen mögen: Der Neubau, der
in fachlich wie auch immer bemühten und gekonnten historischen
Architekturformen daherkommt, bleibt doch stets ein Neubau und damit
ein Statement zeitgenössischer Architektur.
Die Rekonstruktion als Planungsziel ist oft verbunden mit der Absicht, ein
wertvolles Stück Architektur wiederzugewinnen. Insbesondere nach schwe-
ren Verlust-Traumata, wie beispielsweise nach den Zerstörungen des Zweiten
Weltkriegs, war das Bedürfnis groß, den Verlust zumindest teilweise durch
Rekonstruktion des Verlorenen wieder rückgängig zu machen und dadurch
eine historische unumkehrbare Tatsache gleichsam als „Unrecht“ oder
„Fehler“ der Geschichte zu tilgen. Ein prominentes Beispiel für diese Haltung
war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Altstadt von Warschau, ist
aber auch noch im Jahr 2005 die Frauenkirche in Dresden. Beide werden als
Symbol für einen gemeinsamen Neuanfang der Bürgerschaft dieser Städte in
einer neuen Zeit verstanden. Während jedoch in Warschau die auf den alten
Grundrissen und mit dem Abbruchmaterial der zerstörten Häuser errichteten
Bauten bewusst in der reduzierten Formensprache der fünfziger Jahre neu
gestaltet wurden und nur eine Anmutung des Verlorenen geben, scheint man
heute zu glauben, man könne das Original buchstäblich wiedergewinnen.
Dabei versteht es sich für jeden einsichtigen Menschen von selbst, dass die
Wiedergewinnung einer zerstörten Architektur grundsätzlich unmöglich
ist. Man stelle sich versuchsweise vor, dass ein verlorenes Gemälde von
Rembrandt anhand älterer Photos nachgemalt wird; selbstverständlich
würde es weder von der Fachwelt und auch nicht vom Publikum jemals als
echter Rembrandt anerkannt und könnte das Original niemals auch nur
annähernd ersetzen. Die Reproduktion ist eben nur ein Bild des Originals.
Und dieser Grundsatz gilt für die Architektur in gleicher Weise. Die neue
Frauenkirche in Dresden ist kein Werk von George Baer und seinen
Handwerkern, sondern eben das von Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts.
Das „Hauptwerk des Barock“ ist nicht wiedergewonnen, sondern darge-
stellt worden, eben rekonstruiert.
Die meisten Architektur-Rekonstruktionen sind überdies eher schlecht
gemachte Nachahmungen, die nicht viel mehr als ein sehr allgemeines Bild
eines historischen Zustandes vermitteln. Niemand will sich den hohen plane-
rischen und bautechnischen Aufwand leisten, den eine originalgetreue
Gesamtrekonstruktion erfordern würde, die meist auch in keinem sinnvollen
Verhältnis zum heutigen Nutzwert steht. Die schnell sich verändernden
136
Produktionsbedingungen machen eine
Wiederholung des Bauprozesses schon nach
kurzer Zeit unmöglich. Das Ergebnis sind
deswegen fast immer neue Gebäude mit
neuen Raumaufteilungen hinter Fassaden,
die mehr oder weniger überzeugend histo-
risch getrimmt wurden.
Das Missbehagen vieler Architekten gegen-
über solchen Zwitterwesen ist verständlich,
weil fast alle der zu allen Zeiten gültigen
Wertmaßstäbe für gute Architektur, wie bei-
spielsweise die Übereinstimmung von Form
und Inhalt oder die Einheitlichkeit der
Vorne historisch, hinten verglast. Der Neubau der
Konstruktionen und Materialien, in einer sol- Kommandantur am Boulevard Unter den Linden in
chen Kompromiss-Rekonstruktion nicht Berlin (Thomas van den Valentyn, 2003).
Gestaltung
Alle schönen Strategien und Konzepte nutzen nichts, wenn das Ergebnis
des Entwurfs nicht auch und vor allem zu einem formal und gestalterisch
überzeugenden Ergebnis führt. Über die Frage, wie viel ursprüngliche
Substanz in welchem Zustand in das neue Projekt integriert wird, streiten
sich Experten wie die Nachhaltigkeitsverfechter oder die Denkmalpfleger;
ob und wie ein Projekt gefällt, ist die Sache von jedem Nutzer und jedem
Betrachter. Das Baugesetz hält hier schöne Formulierungen bereit, die
einerseits die Freiheit des Geschmacks des Eigentümers und des
Gestalters, andererseits das Recht der Allgemeinheit auf eine qualitätvoll
gestaltete Umwelt einfordern. Bauordnungen und Gestaltungssatzungen
der Gemeinden präzisieren Vorgaben, mit deren Hilfe vor allem eine
städtebauliche Verträglichkeit sichergestellt werden soll. Demzufolge ist die
Frage, wie sich das Neue zum Alten verhält, ob man den gebauten Eingriff
137
sieht oder nicht, ob sich der Architekt vernehmlich zu Wort meldet oder
vornehm zurückhält, die für die Öffentlichkeit eigentlich entscheidende
Frage überhaupt. Die Möglichkeiten reichen in den Extremen von der wei-
testgehenden Anpassung bis zur trotzigen Kontrastierung.
Jeder Entwurf im Bestand muss sich mit der Frage auseinander setzen, wie
das vorgefundene Alte sich mit dem hinzugefügten Neuen verbindet – oder
dagegen absetzt. Zu allen Zeiten hat diese Diskussion die Architektur im
Bestand am deutlichsten geprägt und auch die entschiedensten Positionen
hervorgebracht. Hier wird die Hierarchie bestimmt und festgelegt, ob
durch die Gestaltung das Neue sich dem Alten unterordnet oder ob
umgekehrt das Neue sich durch auffälliges Design oder Material in den
Vordergrund spielt.
Anpassung
Die Anpassung an das Vorgefundene durch die Fortschreibung mit glei-
chen Mitteln und Formen ist ein einfacher Weg, Alt und Neu harmonisch
miteinander zu verbinden. Wo die gleichen oder ähnliche Konstruktionen,
Materialien, Farben und Formen verwendet werden und bei Ergänzungs-
bauten Volumen, Trauf- und Gesimshöhe oder auch die Dachform dem
Bestand angenähert werden, entstehen wenig Konflikte – aber auch wenig
Spannung.
Hier geben geringfügige Abweichungen vom Original der Gegenwart den
erforderlichen Spielraum sich auszudrücken. Gerade in den letzten Jahren
ist das Bedürfnis spürbar gewachsen, ein vorhandenes Gebäude in der
Weise weiter zu entwickeln, dass auf der einen Seite die Strukturen, Ideen
und vielleicht auch die Proportionen des alten Entwurfs weitgehend über-
nommen werden, auf der anderen Seite aber durch feinfühlige Modifi-
kation eben dieser Grundlagen dennoch etwas Eigenständiges und Neues
entsteht. Der neue Entwurf unterscheidet sich dann vom Bestand nicht
durch den deutlichen Kontrast, sondern durch die subtile Differenzierung.
Holz bleibt Holz, aber die Holzart wechselt. Durch eine einfühlsame
Auswahl der Materialien und Gestaltungsmittel gewinnen die neuen Bau-
teile Resonanzfähigkeit. Durch die Anpassung an die handwerkliche
Qualität des Bestandes entsteht ein subtiler Dialog zwischen Neu und Alt:
ein Wispern der Gegenstände, das die Selbstverständlichkeit des Vergehens
der Zeit durch fortgesetzte Erneuerung beschreibt. Das Aufgreifen von
Traditionen der Materialverwendung oder regionaler Gestaltungsmittel und
138
Angepasstes Weiterbauen in handwerklicher Tradition
Grundriß der
Gesamtanlage.
Das Foyer.
Die Eingangshalle der Die Eingangshalle der DDR 1989. Die Eingangshalle der
Nationalsozialisten 1945. Bundesrepublik Deutschland 2000.
Typologien muss durchaus nicht heimattü-
melnd sein, sondern kann auch eine
Grammatik vorgeben, aus der eine neue
Architektur entsteht. Der Rückgriff auf und
die Fortführung von Traditionen haben
zudem den Vorteil, dass sie sich harmo-
nisch mit dem Bestand verbinden und
keine baukonstruktiven oder bauphysikali-
schen Brüche erzeugen. Darüber hinaus
stärken sie regionales Selbstbewusstsein
und können ganze Branchenzweige neu
beleben, wie beispielsweise die Vorarl-
berger, die Graubündner oder die norwegi-
Der Sainsbury Wing der National Gallery in London
sche Architekturschulen der achtziger und setzt die Architektur des Vorgefundenen fort und inter-
neunziger Jahre bewiesen haben. Diese Art pretiert sie zugleich neu (Robert Venturi, 1991).
von Anpassung kann sich durchaus weit
von ihrem Vorbild lösen, indem sie nur ausgewählte Aspekte übernimmt.
Die Anpassung birgt allerdings auch Risiken. Der Glaube, neue Bauteile
könnten vollständig mit dem Originalbestand übereinstimmen und durch
die Anpassung sei die Qualität automatisch garantiert, muss fehl gehen.
Die allzu genaue Übernahme kann auch in Geschichtsfälschung oder in
eine gestalterische Leere münden. Auf der anderen Seite kann ein allzu
beliebiger Anknüpfungspunkt ebenso inhaltsleer wirken. Gerade bei der
Anpassung besteht die Kunst im Abwägen und darin, die modernen Mittel
einfallsreich zu verwenden.
Vereinheitlichung
Ein historisch gewachsenes und verändertes Gebäude ist fast immer viel-
fältig und oft auch höchst uneinheitlich. Mancher Architekt und Bauherr
schätzt gerade diese Eigenschaft und macht sie zum Ausgangspunkt des
Entwurfs. Die forcierte Präsentation oft tatsächlich nichts sagender bauge-
schichtlicher Fragmente hat aber in den zurückliegenden Jahren auch zum
Überdruss an der Vorführung gewachsener Vielfalt geführt und eine
Gegenbewegung hervorgerufen, welche die Spuren unterschiedlicher
Epochen in den Hintergrund drängen und das Gesamtwerk als formal ein-
heitliches Gesamtwerk präsentieren möchte. Ähnlich wurden in den sieb-
ziger Jahren viele spielerische und farbenfrohe Experimente der fünfziger
141
zugunsten eines kubischen und einheitli-
chen Eindrucks neu verputzt und in gedeck-
ten Farben gestrichen. Immer dann, wenn
der Zeitgeist die großen Formen und
Gesten schätzt, wird der Baubestand durch
eine gestalterische Zusammenfassung
in Farbe oder Material vereinheitlicht. Die
farbige Fassung von tatsächlich stark verän-
derten und in ihrer Stofflichkeit sehr ver-
schiedenartigen Wänden durch einen
zusammenhängenden Anstrich oder eine
Lasur gleicher Farbe ist ebenso eine
Möglichkeit wie die durchgängige Ver-
kleidung der vorgefundenen Raumschale
mit einer neuen Wandschicht. Hinter dieser
Schicht bleibt der Bestand unverändert und
ohne zusätzliche Investition erhalten. Das
Neue gehorcht seinen eigenen Gesetzen.
Gestalterisch, konstruktiv und konserva-
torisch hat diese Lösung viele Vorteile. Ob
Der Traumbaum-Kindergarten in Berlin erhielt durch
den phantasievollen Einbau ein vollständig neues die neue Schicht eine schlichte Gips-
Gesicht (Baupiloten, 2003). kartonwand oder ein aufwändig gestaltetes
Kunstwerk ist, bleibt im Innenraum wie bei
der Überarbeitung der Fassade dem gestalterischen Vermögen des Ent-
werfers überlassen. Die gestalterische Vereinheitlichung bietet sich überall
dort an, wo der Lauf der Geschichte einen mäßig bedeutenden Baubestand
durch Zu- und Umbauten zu einem gestalterisch beliebigen Durch-
einander hat werden lassen. Hier muss man sich hüten, auf die gewachse-
ne Vielfalt mit der gleichen Vielfalt planerischer Mittel zu reagieren.
Die Umfassadierung historischer Bauten hat die Architekten zu allen
Zeiten besonders intensiv beschäftigt. Das Gesicht des Hauses wurde und
wird auch dann umgestaltet, wenn sich im Inneren nur wenig ändert.
Waren in historischer Zeit die Neuordnung der unregelmäßig aus der
Fläche geschnittenen Fenster und eine übergreifende gesamtheitliche
Fassadengliederung das wesentliche Anliegen solcher Maßnahmen, so ist
heute neben der Steigerung der Energieeffizienz vor allem die klare und
individuelle Wahrnehmung und eine zeitgemäße Gesamterscheinung das
142
Bauziel. Und wieder ist es die Anordnung
der Fenster – symmetrisch oder bewusst
frei komponiert –, welche die weitesten
Gestaltungsspielräume eröffnet.
Wo die Vereinheitlichung unterschiedlich
gewachsener Bauten durch die bloße
Umgestaltung der Fassade nicht zum Ziel
führt, erreicht die bauliche Zusammen-
fassung mehrerer Bauten durch vollkom-
men neu errichtete Fassaden oder alle
Bauteile übergreifende Dächer dieses Ziel.
Die alten Strukturen verschwinden vollstän-
dig hinter den neuen Bauteilen. Hier kön-
nen sie vom Grundsatz her ohne wesentliche
Änderung weiter genutzt werden. Durch die
Neuordnung entstehen in aller Regel zugleich
neue Räume, welche die Funktionalität des
Gebäudes – besonders im Bereich der
Erschließung – verbessern können.
Neben der formalen Vereinheitlichung
Das Haus der Presse von Wolfgang Hänsch (1961) in
eines Gebäudekomplexes ist auch die Dresden. Einst ein Avantgardebau der DDR, jetzt mit
Rekonstruktion eines historischen bedruckten Glasplatten umfassadiert
(Martin Seelinger, 2003).
Zustands, den das Bauwerk in seiner Ge-
schichte durchlebt hat, ohne Zweifel eine Vereinheitlichung. Die
Rekonstruktion eines älteren, häufig des ersten, für ursprünglich gehaltenen
Erscheinungsbildes ist deswegen beliebt, weil sie dem Bauwerk einen hohen
Wiedererkennungs- und Sympathiewert verleiht. Ein solches Bauziel ist
leicht benennbar, führt zu deutlich sichtbaren Ergebnissen und erfreut sich
für gewöhnlich hoher Anerkennung in der Öffentlichkeit. Manche Rekon-
struktionen werden sogar mit Unterstützung der Denkmalpflege durchge-
führt. Ziel solcher Rekonstruktionen ist im städtebaulichen Maßstab die his-
torisierende Wiederherstellung von „beeinträchtigten“ Stadtbildern und in
der Beschäftigung mit dem Einzelbauwerk die Reproduktion des Verlorenen
oder die Glättung von gestalterischen Brüchen.
Alle diese Entscheidungen beseitigen die vielfältigen, oft gewiss auch
schmerzlichen historischen Schichten und erzeugen durch die Rekon-
struktion ein Kunstprodukt, das so tut, als hätte es nie eine Entwicklung
143
gegeben und als sei die Zeit still gestanden. In beiden Fällen wird ein erfah-
rener Baumeister gebraucht, der sich den historischen Vorgaben unterord-
net, kein kreativ planender Architekt. In der Auseinandersetzung mit die-
ser Art von vereinheitlichender Rekonstruktion zeigt sich der Konflikt zwi-
schen dem auf einen einzelnen historischen Moment und eine einzige
Leistung gerichteten Interesse auf der einen Seite und der Betrachtung von
Entwicklungen und geschichtlicher Abfolge auf der anderen. Architektur
bezeugt durch ihre oft erstaunlich lange Lebensdauer und Wandlungs-
fähigkeit beides. Ihre Botschaft liegt in ihrer Bildwirkung ebenso wie in der
Bausubstanz. Die Rekonstruktion beachtet nur noch die Momentauf-
nahme, das einheitliche und ästhetisch geschlossene Bild und gerät
dadurch allzu oft in Konflikt mit der veränderlichen Wirklichkeit.
Fragmentierung
Seitdem Carlo Scarpa mit seiner genialischen Inszenierung des Muse-
ums Castelvecchio in Verona im Jahr 1964 das gestalterische Potenzial des
bauhistorischen Befunds thematisiert hat, ist die bewusste Fragmentierung
und Sezierung des Bauwerks in seine gewachsenen Einzelelemente eine,
über lange Zeit sicher die wichtigste Möglichkeit, das Historische ganz
bewusst zum Thema des Entwurfs zu machen. Die historische Analyse für
die architektonische Gestaltung nutzbar zu
Das Café Silberstein in Berlin. Die Wandmalerei der
zwanziger Jahre ist freigelegt und im übrigen unverän- machen kann einen Entwurf mit Bedeutung
dert belassen. Der Raumeindruck lebt aus dem aufladen, zur Entwicklung ganz individuel-
Kontrast zwischen Alt und Neu.
ler Lösungsansätze führen und ein vielfälti-
ges Bezugssystem bilden. Die tatsächliche
Zerlegung des Baubestands ist ein beliebter
Ausgangspunkt für einen Entwurf, der das
Fragmentarische thematisiert. Manchmal
reicht es in diesem Sinne schon aus, die
letzte Schicht aus Tapeten und Fassungen
zu entfernen, um dem Betrachter ein Fens-
ter in die Geschichte zu öffnen. Meist findet
man auf der verputzten Wand die Reste aller
jener Wandgestaltungen, die vor dem
Zeitalter der Raufasertapete geläufig waren:
Schablonen- und Wickelmuster, gemalte
Holzpaneele oder Wandfelder – alles durch
144
jüngere Installationen beschädigt oder gar zerstört. Und gerade dieser
Zustand fasziniert die Menschen offensichtlich. Im Ladenbau und in der
Gaststätteneinrichtung hat diese Art des Sich-interessant-Machens in den
zurückliegenden Jahren eine Beliebtheit gewonnen, die nachgerade
unheimlich ist. Die konkrete inhaltliche Botschaft solcher Präsentationen
geht in aller Regel über das Ausrufezeichen „Ich bin hier!“ nicht hinaus,
weil eine bewusste Aufbereitung der Bedeutung des fragmentierten
Befunds fehlt–und wohl auch nicht wirklich interessiert.
Wo die Suche unter den Tapeten zu nichts Vorzeigbarem führt, fällt oft der
Putz. Zum Vorschein kommt die rohe Wand aus Backstein, Beton oder
Naturstein, die fast immer die deutlich lesbaren Spuren von Umbauten
und Veränderungen zeigt. Was man dann freilich lesen kann, ist eine andere
Frage. Obwohl der Aufwand immer erheblich ist, die sandenden Fugen
einer freigelegten Wand rieselfrei zu machen, die so niemals zu sehen sein
sollte, sind solche Einblicke in den Rohbau über Jahrzehnte eine Attraktion
geblieben. Die Werke von Scarpa, Carmassi oder Canali, und nach ihnen
seit den neunziger Jahren einer Vielzahl weiterer Architekten, ist ohne
dieses Gestaltungsinstrument nicht denkbar. Vor allem Massimo Carmassi
ist hier ein Meister, aus dem willkürlich zurückgebliebenen Rohbau-
Durcheinander ein spannungsvolles Nebeneinander von zerbrochenem
Fragment, delikat gestalteter Oberfläche und kunstvoll entworfenem Neu-
Das alte Bauernhaus in Lans wird durch entschiedene Eingriffe neu inszeniert
(Martin Scharfetter, 2004).
145
bau und Neueinrichtung zu gestalten. Es kommt hier nicht darauf an, dass
sich die dem Betrachter darbietende Situation irgendwie inhaltlich erklärt,
sondern auf das Staunen, welche Überraschungen das alte Haus bietet und
welcher Abstand zwischen dem fertigen „Heute“ und dem gebrochenen
„Früher“ besteht. Dieser Abstand ist aus nahe liegenden Gründen nur wahr-
nehmbar, wenn immer und überall beides nebeneinander zu finden ist. Die
bildreiche Gesamtlösung wird folglich notwendigerweise mit großer
Unruhe im Detail erkauft.
Es versteht sich von selbst, dass der so angestrebte Effekt um so deutlicher
wird, je größer der Unterschied ist. Die Vielfalt des historischen Gebäudes
in Material, Oberfläche und Farbe ist in der Regel schon für sich genommen
interessant. Wo der Entwurf Neues hinzufügt – als Baukörper, Bauteil oder
Element –, soll sich die Fortschreibung deswegen ganz bewusst vom Bestand
absetzen. Ist der alte Putz rau, muss der neue glatt sein; ist die alte Treppe
aus Holz, muss die neue aus Stahl gebaut werden. Ist das Neue fertig und
funktionstauglich, so muss das Alte zerbrochen und gleichsam verbraucht
und ungenügend erscheinen. Damit läuft diese Haltung häufig – bewusst
oder unbewusst – auf eine faktische Abwertung des Alten im Vergleich zum
Neuen hinaus. Folgerichtig bleibt in vielen solchen Entwürfen vom einst
vollständig erhaltenen Altbau nur noch ein einzelnes pittoreskes Vorzeige-
stück übrig. Der ursprüngliche Ausgangspunkt, das Gebäude als wertvoll zu
zeigen, schlägt ins Gegenteil um. Das Interesse der Inszenierung gilt in
Wirklichkeit nicht dem alten Gebäude als integralem Ganzem, sondern sei-
ner verblassenden Erinnerung. Die Haltung unterstellt zugleich, dass das
Alte nicht genügend Eigenwert aus sich selbst heraus hat, so dass erst die
Umwertung und deren Integration in einen ganz anderen Entwurf zu einem
interessanten Gesamtbild wird. Auch die renommiertesten Vertreter dieser
Richtung haben mit der Fragmentierung des alten Bauwerks im übrigen
nicht als Denkmalpfleger gedacht oder gehandelt. Im Gegenteil: Dem kon-
sequenten Denkmalpfleger müssen in Castelvecchio ebenso wie im
Diözesanmuseum in Eichstätt die Haare zu Berge stehen, wenn er die will-
kürlichen und rigorosen Eingriffe in den intakten Bestand sieht. Vom ehr-
würdigen Schlossgebäude in Verona blieben nicht viel mehr als die
Außenmauern übrig und die schadensfreie und durchaus taugliche
Holzkonstruktion der Diözesanscheune in Eichstätt hätte ohne jeden
Zweifel auch so, wie Karljosef Schattner sie vorgefunden hat, ganz ausge-
zeichnet als Museum dienen können – die kunstreiche Unterspannung der
146
abgesägten Pfosten ist eine gestalterische, keine funktional erforderliche
Entscheidung gewesen. Auf die Analyse stützt sich auch das didaktische
Gestalten, das den Wert der Bausubstanz und ihre historischen Bezüge
und die Bedeutung der Zeit vermitteln will, indem es die Geschichtsspuren
ganz systematisch erfasst und zum Leitthema des neuen Entwurfes macht.
Die Aussicht, hier das Individuelle des historischen Gebäudes lesbar zu
machen und so dem Bauwerk eine sichtbare, zugleich historische und sozia-
le Dimension zu geben, ist höchst verlockend: Viele Bauherren kaufen alte
Häuser genau aus diesem Grunde. Und der Aufwand dafür ist oft niedrig.
Als funktionslose Dekoration haben interessante Baubefunde vielfach schon
die „Kunst am Bau“ verdrängt und erfreuen sich in der Öffentlichkeit allge-
mein großer Beliebtheit. Als Fenster in die Geschichte sind Baubefunde –
sichtbar belassen oder zur gelegentlichen Präsentation versteckt – ein
Anziehungspunkt nicht nur für Touristenführungen, sondern auch und vor
allem für die Nutzer. Als restauratorisches Präparat befriedigen Baubefunde
zugleich die Sehnsucht nach einer unbewusst verherrlichten Geschichte
und einer originellen Raumgestaltung. Und was in der Inszenierung der
Rohbaubefunde den Beifall der Öffentlichkeit fand, lässt sich in bewährter
Weise auch auf der verputzten Wand fortsetzen.
Im Fassadenbereich haben insbesondere polnische Restauratoren schon
in den sechziger Jahren das bauarchäologische Präparat zur gestalteri-
schen Leitidee erhoben und damit den forschenden Blick in die Haus-
geschichte nobilitiert. Auch wenn man diese forcierte Strategie heute
sicher mit einiger Skepsis betrachten muss, so steht doch außer Zweifel,
dass bauarchäologische Befunde in der Fassade, dezent und maßvoll ein-
Unter dem Putz des Hauses in Spandau verbergen sich Die Geschichte des Hauses Koberg 2 in Lübeck ver-
zahlreiche Baubefunde aus spätmittelalterlicher Zeit. schwindet hinter einer Klappe. Interessierte gibt es immer.
147
Bewusste Verfremdung: Über dem römischen Mosaik Die alten Dachplatten der Pfarrkirche St. Valentien
windet sich die moderne Treppe im Franziskanerkloster am Forst werden in künstlerisch gestaltender Weise auf
Porec nach oben. Die durchgebrochene Bruchstein- dem Erweiterungsflügel neu verlegt, um den Zusam-
wand ist schwarz gestrichen. menhang zwischen Alt und Neu zu dokumentieren
(Reinhard Gieselmann, 1992).
148
Chaos im Rathaus
Der neue Eingang löst sich vom Der glatte Neubau kontrastiert mit System-Längsschnitt mit
monumentalen Bestand. dem Altbestand. Scherenbühne und
Projektionskanzel.
Dekonstruktivismus – ein reflektiertes Bewusstsein der Splitterhaftigkeit und
Zufälligkeit der Welt an dessen Stelle setzt. Auch das ironische „Fälschen“ von
Befunden, wie die „Freilegungen“ Karljosef Schattners im Ulmer Hof gehö-
ren hierher. Sie zeigen die Flexibilität der Verfremdung, mit der sich die
unterschiedlichsten Stimmungslagen verbildlichen lassen.
Manche Entwerfer gefallen sich in der spielerischen Faltung alter und neuer
Schichten, um ein kompliziertes Abbild der Wirklichkeit in Architektur aus-
zudrücken. Ein wirkungsvolles Vexierspiel ist das Vertauschen von Außen
und Innen. Was sich bei vielen Erweiterungen von selbst ergibt und damit das
Wachsen eines Hauses verdeutlicht, wird beispielsweise im Frankfurter
Architekturmuseum von Oswald Mathias Ungers zu einem tiefen Nach-
denken über die Architektur selbst.
Fügung
Die Fügung bestimmt, ob im Verhältnis zwischen dem Alten und dem
Neuen der Altbestand als tragend oder getragen wahrgenommen wird.
Durch die Fügung wird die eigene Haltung zum Bestand und zur
Geschichtlichkeit der Architektur direkt lesbar ausgedrückt. Hier entschei-
det sich, ob die Integration gelang, der Ton getroffen wurde, oder ob ein
Bezug missverständlich und eine Anspielung hohl geraten ist. Grund-
sätzlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der Gesamtentwurf
um so überzeugender sein wird, je mehr die für die Fügung von Altem und
Neuem angewendeten Grundsätze sich in der Gestaltung der beiden Bau-
teile selbst wieder finden lassen. Weder Schattenfugen noch Material-
wechsel sind Gestaltungsvarianten, die wahlweise nur für den Altbau oder
den Neubau in Betracht gezogen werden können.
Das gilt im Großen in der Gebäudekomposition, wenn beispielsweise zwi-
schen den Altbau und die Erweiterung bewusst ein vermittelnder, funktio-
nal meist nicht zwingender Zwischenbau eingefügt wird, wie im Kleinen,
wenn verschiedenartige Materialien mit der berühmten Schattenfuge aufei-
nander stoßen. Die Konstruktionsfuge als solche ist selbstverständlich
unverzichtbar. Neue Bauteile arbeiten anders als die zur Ruhe gekomme-
nen alten. Und doch macht es einen erheblichen Unterschied, ob man das
Aufeinandertreffen der verschiedenen Zeiten bewusst inszeniert oder still-
schweigend geschehen lässt.
Die Fuge ist damit in fast allen Entwürfen im Bestand der bildhafte
Ausdruck für die Bipolarität zwischen Alt und Neu, stellt den gleichsam
151
unüberbrückbaren Graben zwischen Ver-
gangenheit und Gegenwart dar. In dieser
Funktion verlangt die Gestaltung der Fuge
besondere Aufmerksamkeit und eine hohe
gestalterische Qualität.
Was für den Umgang mit dem alten Bestand
gilt, ist auch für die Komposition von
Ergänzungs- und Erweiterungsbauten mit
älteren Bauteilen tragfähig. Kontrast und
Inszenierung sind auch dort ein gängiges
Gestaltungskonzept, wo es nicht um die
konkreten materiellen Spuren des geschicht-
lichen Gewachsenseins geht. Ist der Altbau
vielfältig und geschmückt, wird ein schlich-
ter und schmuckloser Neubau angefügt. Wo
der Altbau groß ist, duckt sich der Neubau
dahinter – oder überragt ihn ganz bewusst.
Wenn das alte Haus ein geneigtes Dach hat,
erhält die Erweiterung ein Flachdach; ist das
vorgefundene Haus in Fachwerkbauweise
Der umfangreiche Neubau des Teyler-Museums in
Haarlem ist mit dem Altbau durch einen schmalen errichtet, wird die Erweiterung in Naturstein
Glaskorridor verbunden, der nur punktuell an den oder Sichtbeton gebaut – und so fort.
Bestand anbindet (Hubert-Jan Henket, 1994).
Die Trennlinie zwischen zwei Bauteilen
unterschiedlicher Entstehungszeit wird von
sehr vielen Architekten durch die auch optisch gut wahrnehmbare Glasfuge
betont. Wo vergangene Zeiten, die Glas in unserem Sinne technisch noch
nicht kannten, die Mauerwerke verschiedener Bauteile mühsam verzahnten,
wird der Übergang heute auf eine – nach Möglichkeit sogar rahmenlos ein-
gestellte – Verglasung reduziert. Die durchsichtige Fuge zeigt dem
Betrachter den historischen Vorgang der Erweiterung und des Wachsens;
technisch kann der Glasstreifen zugleich alle Fragen der thermischen
Dehnung lösen. Wo im Innenraum ein Klimaabschluss zwischen Alt und
Neu nicht erforderlich ist, reicht vielen Entwerfern auch der einfache
Rücksprung oder die reine Lücke als Darstellung des Übergangs und
Vermittlung zwischen Altem und Neuem aus.
Wo das nicht geht, ist das scheinbar materielose Glas für diese Absicht
ohne Zweifel der am besten geeignete Baustoff. Glas zwingt nicht zur
152
Die neue Erschließung des Pfarrzentrums Klingenmünster setzt sich formal bewusst vom historischen Bestand ab
und löst den Übergang durch eine Glasfuge (Auer/Cramer/Frotscher, 1995).
153
Organisierte Übergänge
155
Pfahl im Fleisch der NS-Architektur
Literaturhinweise
Eine zusammenhängende Entwurfslehre für die Architektur im Bestand gab es bisher
nicht. Zuletzt haben Brooker/Stone eine stark auf das Ästhetische gegründete
Darstellung vorgelegt und Linhardt mit seiner Darstellung für den Umbau von
Wohnhäusern Teilaspekte bearbeitet. Die Bedeutung des Themas haben vor allem jene zahl-
reichen Autoren unterstrichen, die in den zurückliegenden Jahren immer wieder unter-
schiedlich umfangreiche Beispielsammlungen (Herbers, Lerch, Powell, Schittich,
Schleifer, Simon) vorgelegt haben, welche teilweise mit umfangreichen Einführungs-
essays zur allgemeinen Bedeutung des Themas und den gesamtgesellschaftlichen Vor-
aussetzungen beginnen (Mastropietro, Spital-Frenking, Thiébaut, Walz). Die
Wüstenrot Stiftung hat mit ihren beiden Gestaltungswettbewerben der Jahre 1999 und
2006 das Feld erstmals systematisch bearbeitet und die Ergebnisse um grundsätzliche
Essays vermehrt in gedruckter Form vorgelegt.
Zum Thema „Umbau“ haben Gutschow/Zippel schon 1932 eine grundsätzliche
Betrachtung vorgelegt, die freilich keine Folgewirkung zeitigte. Meyer-Bohe hat den
Komplex der Erweiterungen behandelt. Hoesli und die Smithsons haben ihre Überlegun-
gen an abgelegener Stelle publiziert.
157
AUSFÜHRUNGSPLANUNG
Voraussetzungen
*Das sichtbare Bild der schützenswerten Überlieferung ist für mich der Maßstab der Planung.
Bauteilgenaue Reparatur eines Fensters: Nur die wirklich schadhaften Stellen werden bearbeitet. 159
Die Individualität der historischen Sprossenfenster, die Vielfalt der mit
hohem handwerklichem Können gestalteten Fassadenputze oder die
Stuckdekorationen der Gründerzeitzimmer sind heute, wenn man sie in
der Bauphase aufgegeben hat, kaum wieder erreichbar. Das gestalterische
und bautechnische Ergebnis des Entwurfs lebt deswegen auch und gerade
im Detail davon, wie der Architekt es versteht, die vorhandenen Qualitäten
in Wert zu setzen und durch zeitgemäße Zutaten zu ergänzen. Deswegen
gilt auch dann, wenn es mühsam ist, dass die Erhaltung des vorgefundenen
Bestands zunächst einmal Vorrang hat vor dem Abbruch. Dieser muss
nicht nur im Grundsatz, sondern noch viel mehr im Detail sorgfältig abge-
wogen und stets kritisch auf seine Sinnhaftigkeit hinterfragt werden.
Bauteilorientierte Planung
Der Neubauentwurf ist heute ohne Zweifel auch eine Sammlung von viel-
fach wiederholten Systemdetails. Der Entwurf im Bestand soll sich von die-
sem Prinzip keineswegs lösen. Wo neue Elemente und Teile hinzugefügt
werden, wo sich gleiche Anforderungen wiederholen, da muss auch die
Werkplanung durch die Wiederholung von Ausführungsdetails Ruhe in ein
der Tendenz nach möglicherweise formal chaotisches Bauvorhaben bringen.
Jenseits dieser Erkenntnis ist es aber eine unumstößliche Grundregel der
Werkplanung im Bestand, dass die Planung an den vorhandenen Bau ange-
passt wird und nicht der Bau an eine summarische Planung. Scheinbar
Werkplanung für die Verstärkung der Dachkonstruktion im Castelvecchio von Carlo Scarpa, Original M. 1:10.
160
gleichartige Öffnungsmaße beispielsweise
erweisen sich bei genauerem Hinsehen als
unterschiedlich. Daraus folgt, dass auch
eine Serie zunächst als gleich groß empfun-
dener Fenster tatsächlich abweichende, vom
Architekten vorgegebene Maße haben
muss. Sonst überlässt man es dem ausfüh-
renden Betrieb, die kleinste Öffnung
zugrunde zu legen mit der unausweichli-
chen Folge, dass die größeren Öffnungen
klobige Rahmungen haben. Nicht nur in
diesem Fall erweist sich die Hoffnung als
illusorisch, dass man die wenigen Eingriffe
Analytische Bestandszeichnung des Teatro Giuseppe
in den Bestand mit ein paar Systemdetails Verdi in Pisa von Massimo Carmassi.
erledigt. In aller Regel muss man für jedes
Einzelproblem auch eine individuelle Zeichnung herstellen, die nicht nur
die grundsätzliche technische und gestalterische Lösung darstellt, sondern
auch nachweist, wie diese Lösung in der ganz konkreten Situation umge-
setzt werden kann. Die Werkplanung muss deswegen immer auch die
umgebende Bestandssituation mit analysieren und nach Möglichkeit in
drei Dimensionen darstellen.
Jede neue Maßnahme und jedes neue Sparrenreparatur; die zerstörten Hölzer werden
nur so weit zurückgeschnitten und erneuert, wie sie
Bauteil stößt stets irgendwo an den vorhan-
auch tatsächlich schadhaft sind.
denen Bestand an. Dieser Übergang muss
bewusst und systematisch geplant und
gezeichnet werden. Die althergebrachte
Baukonstruktionslehre kannte dafür mit
Deckleisten, Putznuten und vielen anderen
Übergangsdetails zahlreiche Lösungen, die
heute weitgehend in Vergessenheit geraten
sind. Die moderne Architektur bedient sich
häufig eher der Silikonfuge und nur ver-
gleichsweise wenige Architekten haben die-
ser Frage bisher ein bewusstes Augenmerk
geschenkt.
Was für neu eingebaute Teile richtig ist, gilt
genauso für die Instandsetzung. Im Ernst-
161
Gestalterische Aktualität des historischen Befunds
Bibliothek, 1625/1980
D-Eichstätt
Bauherr: Universität Eichstätt
Architekt: Karljosef Schattner
163
Werkplanung für die Instand-
setzung und Ergänzung eines teil-
weise zerstörten Naturstein-
gewändes. Grundlage ist die exakte
Bestandsaufnahme mit allen
Befunden einschließlich der Putz-
und Farbbefunde. Nur die bauteil-
genaue Leistungsbeschreibung
sichert den Planungserfolg.
Bestandszeichnung (Original
M. 1:20) der Außenseite,
Werkplanung für die Innenseite
und Fertigzustand.
164
Verstellbare Schraubverbindungen, schnell
angepasste Deckleisten oder flexibel zuge-
schnittene Holzklötze sind hier bewährte
Lösungen, die aber für jede Situation neu
überlegt werden wollen.
Grundsätze
Die erfolgreiche Werkplanung im Bestand
muss neben den bewährten Regeln der
Baukunst und Technik nur einige wenige
zusätzliche Grundsätze beachten, die sich
Der Deckenbalken wird durch eine Unterspannung
aus dem Umstand ergeben, dass die meis- verstärkt. Die Lastumlagerung erfolgt über vier
ten Konstruktionen und Materialien bei Schrauben in der unteren Platte.
165
gen müssen. Nicht nur deswegen ist ein umfassender Umbau meist ziel-
führender als der erklärte Neubau.
Reparatur kann dabei nur handwerkliche Reparatur bedeuten. Damit
ist auch gesagt, dass der Eingriff begrenzt und der Umfang auf das Not-
wendige beschränkt bleiben muss. Die Verwendung der gleichen Werk-
zeuge und der gleichen Baustoffe, die schon die Bauleute in der Ver-
gangenheit benutzt hatten, stellt sicher, dass das Gesamtgefüge homogen
bleibt – eine der Grundvoraussetzungen für eine schadensfreie Bauaus-
führung. Besondere Aufmerksamkeit beansprucht hier die bewusst herbei-
geführte Materialgerechtigkeit der Ergänzungsmaßnahme. Reparatur-
putze etwa müssen fast immer besonders konfektioniert werden, um sich
in Farbe und Struktur der Umgebung anzupassen. Diese Konfektionierung
erfordert in der Regel mehrere Probefelder und sorgfältiges Experimen-
tieren. Beides will im Bauprozess bedacht sein.
Und auch die Wahl des richtigen Mauermörtels zur Ergänzung und
Reparatur eines alten Mauerwerks kann man nicht einfach dem ausführen-
den Betrieb und der DIN-Vorschrift überlassen. Für die Mauerwerksver-
besserung durch Verfüllen und Verpressen vorgefundener Hohlräume ist
die Analyse des vorhandenen Mauermörtels unverzichtbar. Versäumt man
die erforderlichen Untersuchungen, kommt es im schlechtesten Falle zur
Etringit-Bildung (Gipstreiben), die das Mauerwerk auseinander sprengt.
Wo früher ein reiner Kalkmörtel verbaut worden ist, darf man heute nicht
mit einem Zementmörtel weitermachen. Im intakten Mauerwerk lüftet die
stets und notwendig vorhandene Feuchtigkeit vor allem über die Fugen ab.
Werden diese durch nicht diffusionsfähige Materialien – z.B. Zement-
fugen – verschlossen, wird die Feuchte in die angrenzenden Steine gedrückt,
die dadurch zerstört werden. Deswegen ist zementgebundener Mörtel im
historischen Mauerwerk fast immer verfehlt. Ausgewaschene oder zer-
mürbte Fugen zeigen, dass die Härte des Mörtels richtig gewählt wurde.
Man kann und muss den Fugmörtel auch als eine Verschleißschicht
betrachten, die den wertvolleren Stein schützt. So verlangt die Kompatibi-
lität von neu eingebauten Materialien mit dem Bestand besonderes Augen-
merk. Die lange Reihe von Sanierungen, die auf unzureichender Daten-
basis ausgeführt wurden und in der Folge ergebnislos waren oder sogar zu
weiteren Schäden geführt haben, ist eine ernste Warnung an den Planer.
Nicht zuletzt ist die Fortführung der Materialtradition aus formalen und
ästhetischen Gründen auch dort geboten, wo die vollständige Erneuerung
166
des Bauteils grundsätzlich vielleicht unterschiedliche Möglichkeiten offen
lässt. Kunststofffenster mit klobigen Profilen fügen sich nicht in ein histo-
risches Gebäude – auch wenn sie auf den ersten Blick praktisch und angeb-
lich dauerhaft sein sollten. Glasfasertapeten sind nicht nur diffusionsdicht,
sondern verdrängen auch jede historische Anmutung und Spaltklinker
gehören einfach nicht an Gebäude aus der Zeit vor 1920.
Additive Maßnahmen
Jeder Entwurf im Bestand muss damit rechnen, dass diese Umgestaltung
nicht die letzte in der langen Geschichte eines Gebäudes sein wird. Die
Vorstellung, dass man einen Bau ein für alle Mal und für ewig ausbauen
könne, ist nicht erst in unserer schnelllebigen Zeit fast schon naiv.
Andererseits gäbe es ohne Defizite im Tragwerk oder der Gebäudeaus-
stattung in aller Regel keine Planungsmaßnahmen. Insoweit ist es selbst-
verständlich, dass solche Schäden repariert und zusätzliche Ausrüstungen
eingebaut werden müssen. Wo dies so ist, muss man vor allem fragen, wie
der Bestand heute so umgestaltet werden kann, dass er auch morgen aufs
Neue wirtschaftlich und gestalterisch anspruchsvoll veränderten Nutzungs-
forderungen angepasst werden kann. Und es ist keineswegs selbstverständ-
lich, dass die Reparaturen durch Abbruch und Ersatz der schadhaften oder zu
schwachen Bauteile durchgeführt werden müssen. Oft bleibt nämlich nach
einer solchen „Instandsetzung“ vom alten Bauwerk fast nichts mehr übrig.
Zusätzlich eingebaute Bauteile haben diesen Nachteil nicht. Die Behebung
der Defizite durch additive Maßnahmen, die – jedenfalls in der Theorie –
reversibel sind und dem historischen Bauwerk seine gewachsene Identität
belassen, hat eine lange Tradition. Dass diese Tradition eine starke Wurzel
in der engagierten Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts hat, spricht sicher
nicht gegen, sondern für diese Strategie, die sich im Großen wie im
Kleinen bewährt. Sie wird durch den Ausruf von John Ruskin in dessen
Seven Lamps of Architecture im Jahr 1849: „Besser eine Krücke als ein verlo-
renes Glied“ in unübertroffen knapper Weise zusammengefasst. Neben den
offensichtlichen denkmalfachlichen Vorteilen überzeugen fast immer die
geringen Kosten für solche Maßnahmen. Dass der Eingriff unschwer als
zeitgenössisch zu erkennen ist, gibt dem Entwurf eine eigene Qualität.
Einer solchen Position kommt jede reversible Baumaßnahme nahe, die den
Grundbestand unverändert lässt und die aktuelle Nutzung so einbaut, dass
sie ohne wesentliche Reduzierung auch wieder entfernt werden kann. Es
167
versteht sich dabei am Bau von selbst, dass
es die volle Reversibilität nicht geben kann.
Es macht aber doch einen großen Unter-
schied, ob massive Betonkonstruktionen
weit reichende Eingriffe in den Bestand
nach sich ziehen, oder ob man andere Lö-
sungen findet, die sich leichter wieder rück-
bauen lassen.
Die bisweilen etwas nachlässige Erfahrungs-
statik vergangener Zeiten und die höheren
Verkehrslasten und Sicherheiten, welche die
moderne Verwaltung fordert, machen eine
Die Stadtmauer in Visby wurde schon in der Mitte des
19. Jahrhunderts durch gusseiserne Stützen vor dem Verstärkung des Tragwerks häufig zwingend
Einsturz bewahrt - einfach und wirkungsvoll. erforderlich. Der Austausch eines zu schwa-
chen Bauglieds gegen ein hinreichend
dimensioniertes neues scheint hier zunächst die nahe liegende Lösung. Die
weit reichenden Zerstörungen, welche eine solche Entscheidung für Aus-
und Einbau nach sich ziehen muss, verbieten ein solches Vorgehen aber in
aller Regel. Zusatztragwerke sind hier der wirtschaftlichere und bessere
Weg. Zu schwache Deckenbalken werden durch einen zusätzlichen
Unterzug in Feldmitte wieder tragfähig: Die einfache Maßnahme reduziert
den erforderlichen Querschnitt drastisch und macht fast immer jeden wei-
teren Eingriff überflüssig. Überlastete Stützen werden durch beigestellte
Pfosten wieder funktionsfähig. Das Zusetzen von Wandöffnungen erhöht
die Tragfähigkeit einer überforderten Wand und Gurtungen stabilisieren
überlastete Bauglieder. Die zu schwachen Sparren reichen wieder aus,
wenn man in jedes Feld einen zusätzlichen Sparren einfügt. Und filigrane
Unterspannungen können einen defizitären Unterzug wieder funktions-
tüchtig machen und im Extremfall stabilisiert die Zusatzkonstruktion ein
ganzes Gewölbe. Nicht zuletzt nehmen schlanke Spannglieder dort die
Kräfte auf, wo das alte Bauwerk auseinander zu weichen droht.
Für die technische Gebäudeausrüstung gilt Vergleichbares. In aller Regel
wird man im Hinblick auf moderne Nutzeranforderungen und die gelten-
den technischen Standards die gesamte Infrastruktur erneuern müssen. Der
normentsprechende Einbau dieser Leitungen unter Putz bringt massive und
systematische Eingriffe in den Baubestand und damit häufig enorme Kosten
mit sich. Auch hier weist der additive Einbau einen kostengünstigen und
168
Zwei auf einen Streich:
Tragwerkinstandsetzung und Museumsbau
Stadtmuseum, 1991-1999
D-Naumburg
Bauherr: Stadt Naumburg
Architekt: Johannes Cramer Dachraum mit Besucherführung
auf dem Fachwerkträger.
Das Sparrendach aus dem Jahr 1531 mit liegendem Stuhl
wurde durch das unsachgemäße Entfernen der Zerrbalken
schon vor Jahrzehnten gefährlich geschwächt. Dadurch wur-
den auch die Außenmauern auseinander geschoben und
sind in der Folge gerissen. Die Sparren sind durch Überlas-
tung gebrochen und noch dazu von Schädlingen zerfressen.
Das auf weitgehende Substanzerhaltung orientierte Instand-
setzungskonzept belässt das historische Dachwerk ebenso
wie den Dachraum unverändert. Ein additives Stahldachwerk
übernimmt sämtliche bautechnischen und bauphysikalischen
Anforderungen. Ein leicht schräg in die Laufebene eingebau-
ter Fachwerkträger leitet die Horizontalkräfte ab und dient
zugleich der Besucherführung. Die notwendige Klimatechnik
ist oberhalb der Kehlbalkenlage sichtbar eingebaut.
170
Allerspätestens mit den Forderungen nach der Verbesserung der Energie-
bilanz gerät in diesem Sinne auch die Hülle des Gebäudes in den Blick-
punkt. Hier wird man bei näherer Untersuchung zwar oft feststellen, dass
die Gesamtbilanz eines alten und massereichen Gebäudes deutlich besser
ist als ihr Ruf. Dennoch droht hier der in aller Regel mit unerfreulichen
Vergröberungen des Erscheinungsbilds verbundene Vollwärmeschutz.
Viele Architekten haben dieses Problem schon damit gelöst, dass sie dem
Gebäude auch außen eine zweite Haut gegeben haben. Wie bei den
Tragwerken ist die Strategie nicht die Aufrüstung des Vorhandenen, son-
dern die Behebung der Defizite durch ein zusätzliches Bauteil. Die meist
mit Forderungen der Denkmalpflege assoziierte „Käseglocke“ führt hier
nur selten zum Ziel, wie der die Ruine der Akademie der Künste in Berlin
integrierende Neubau von Behnisch/Durth am Pariser Platz zeigt. Dagegen
hat sich die Verlegung der zweiten Fassadenebene in den Innenraum mit
der Ausbildung einer klimatisierenden Zwischenzone für Erschließung
und Service, welche programmatisch Ideen der Klimafassade aufgreift,
schon bei vielen alten Gebäuden bewährt.
Die frei vor der Wand stehenden Regale aus Corten-Stahl geben dem Kirchenraum
ein eigenes Gepräge: Toledo, Kulturzentrum (Angeles Novas & Fernando Barredo, 2004).
171
Die Einbauten in der Grundschule in Berlin greifen nir-
gends in das Tragwerk ein und geben dem Raum dennoch
einen vollständig anderen Charakter (Die Baupiloten, 2003).
Die Hörsäle der Fachhochschule Wildau sind als konstruktiv und klimatisch selbstständige Bau-
körper in die historische Fabrikhalle eingebaut. Die Fassade bleibt unverändert (Anderhalten, 2007).
Das holzverkleidete Landhaus
steht mit gekapptem Giebel unter einer verglasten Neukonstruktion
(Meixner/Schlüter/Wendt, 2004).
Isometrie.
173
Wiederverwendung vorgefundener Materialien
Die materielle und gestalterische Qualität vieler historischer Baustoffe ist
unbestritten. Alte Backsteine und Dachziegel erfreuen durch ihr lebhaftes
Farbspiel, die profilierten Füllungstüren mit ihren tiefen Bekleidungen der
Gründerzeit geben einem Gebäude Individualität und die Unregelmäßig-
keiten eines alten Bretterbodens sind heute auch dann kaum wieder
erreichbar, wenn ein engagierter Bauherr sich das wünscht und leisten
möchte. Insoweit ist es oft schwer nachvollziehbar, wenn alte, offensichtlich
gut brauchbare Baumaterialien während der Bauvorbereitung im Container
landen, um später durch fast gestaltgleiche, aber neue ersetzt zu werden. Es
gehört vor diesem Hintergrund auch zu den Aufgaben eines verantwor-
tungsvollen Planers, die Möglichkeiten der Wiederverwendung vorhande-
ner Bauteile zu prüfen und sich darüber hinaus zu fragen, ob und in wel-
chem Umfang der Einsatz alter Baumaterialien zur Erreichung der Bau-
ziele zweckmäßig ist.
Die Bergung solcher Materialien ist naturgemäß mit erhöhtem Planungs-
aufwand und mit zusätzlichen Baukosten verbunden. Der Architekt muss
sich in jedem Einzelfall darüber klar werden, welches Bauteil mit welcher
Methode geborgen, eingelagert und für den Wiedereinbau vorbereitet wer-
den soll. Weil diese Arbeiten bei einem pauschal beschriebenen Abbruch
mit Entsorgung entfallen, ist die Versuchung unübersehbar, sich hier die
Neues Gebäude aus alten Ziegeln. Die Patina gibt Zur Wiederverwendung geborgene Dachplatten; bei
dem Bau ein besonders Gepräge: Insel Hombroich der Bergung geprüft, hochkant gelagert und abgedeckt
von Erwin Heerich. sind diese Platten einem neuen Ziegel uneingeschränkt
ebenbürtig.
174
Arbeit leicht zu machen. Für das Gesamt-
ergebnis ist der leichte Weg aber fast immer
der schlechtere. Abgesehen von Argumenten
der Nachhaltigkeit ist die Wiederverwendung
alter Baumaterialien oft nicht nur die gestal-
terisch überzeugendere, sondern auch die
für den Bauherrn wirtschaftlichere Lösung.
Wo das geborgene Material für die Gesamt-
maßnahme nicht ausreicht, bietet heute ein
ausgedehnter, bisweilen etwas alternativ
organisierter Handel mit historischen Bau-
stoffen fast alle nachgefragten Materialien
an. Vom Ziegel jeden Formats über Boden-
bretter bis zu Beschlägen findet man mit
Bauteilgenaue Schadensaufnahme für ein Holzfenster.
überschaubarem Engagement fast alles.
175
Alte Bauteile gehören nicht auf die Deponie:
Identität durch Wiederverwendung
Wohnhaus, 1997
D-Buchschlag
Nach der Instandsetzung und Bauherr: privat
Modernisierung; aus dem dunklen
Architekt: Johannes Cramer
Balkon wurden durch einen Auf-
bau zwei Badezimmer.
Das klassische Landhaus aus dem Jahr 1912 sollte unter
weitgehender Wahrung seiner historischen Identität den
modernen Anforderungen angepasst und als Familien-
wohnhaus hergerichtet werden. Die fehlenden Bade-
zimmer wurden durch einen Aufbau auf dem stark ver-
schatteten Balkon der Nordseite untergebracht. Die Holz-
konstruktion orientiert sich in der Formgebung an den
umstehenden grauen Buchenstämmen. Schadhafte Bau-
teile wurden konsequent repariert und durch Verstärkung
nachqualifiziert, nicht ersetzt. Fenster ebenso wie Türen,
die nach Abbruch der entsprechenden Wände dort nicht mehr
benötigt wurden, konnten an anderer Stelle wieder eingebaut
werden. Die Dachdeckung wurde nach der Dachdämmung
wiederverwendet und durch altes Material ergänzt.
Energetische Nachqualifizierung
eines Einfachfensters
durch Aufsatzflügel.
177
Dachwerksinstandsetzung
Hölzerne Konstruktionen wie Dachwerke oder Fachwerkbauten verfügen
über ein hervorragendes Alterungsverhalten, solange der konstruktive
Holzschutz gewährleistet bleibt und Durchfeuchtung verhindert wird.
Entgegen vielen unbegründeten Befürchtungen sind Holzschädlinge keine
wirkliche Bedrohung für eine historische Holzkonstruktion. Nur wenige
Käferarten können trockenes Bauholz als Nahrung für ihre Larven nutzen.
Frisches und feuchtes Nadelholz ist deswegen eher gefährdet; neuer Befall
am Altholz bleibt die Ausnahme. Und auch hier ist ausschließlich das
Splintholz betroffen, während das Kernholz nicht angegriffen wird. So
spielt selbst ein dramatisch aussehender
Schadenskartierung im Dachwerk: Bauteilgenaue
Erhebung für zwei Gespärre mit unterschiedlichen Oberflächenbefall für die Funktionsfähig-
Schäden. keit des Tragwerks in aller Regel keine
Rolle. Nur die dauerhafte Durchfeuchtung
des Holzes führt im Laufe der Zeit zu gra-
vierenden Schäden unterschiedlicher Art.
Dauernde Durchfeuchtung führt zur Fäule
im Holz und in der Folge zum Versagen
der Zugfestigkeit. Bei ungünstigen Voraus-
setzungen siedelt sich zusätzlich der Echte
an. Er zerstört systematisch das Holz und
durchwächst mit seinem Myzel auf der
Suche nach weiterem Nährboden auch
meterweit das Mauerwerk. Gegenüber
hohen Temperaturen (ab 27° C) ist der Echte
Hausschwamm empfindlich. Bei Unter-
schreiten der Mindesttemperatur (20° C)
verfällt er in Trockenstarre, wird jedoch
sofort wieder aktiv, wenn sich die Klimabe-
dingungen ändern. Deswegen ist seine voll-
ständige Beseitigung unverzichtbar. Beide
Schadenskomplexe müssen bei Maßnahme-
beginn durch ein Holzschutzgutachten
des entsprechend ausgebildeten Fachmanns
vollständig erhoben werden. Die Unter-
suchung stellt flächen- und bauteilbezogen,
also beispielsweise für jedes Gespärre, die
178
Der Holzschutzplan verzeichnet sämtliche
unterschiedlichen Schadensbereiche und
formuliert Handlungsempfehlungen.
vorhandenen Schäden fest und kartiert sie. Sie ermittelt den tragfähigen
Restquerschnitt der Konstruktionshölzer durch Beklopfen, Bohrwider-
standsmessung oder Endoskopie. Ferner werden Schädlingsbefall (Käfer
aller Art, Hausschwamm etc.) nach Art und Ausdehnung erhoben und
Pilze nach Schadensbild, Fruchtkörperstruktur und Sporen und zusätzlich
durch Laboruntersuchungen klassifiziert.
Zusätzlich zu der Begutachtung der Schäden enthält das Holzschutz-
gutachten Angaben zu den erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen.
Gewiss wird man auch aus qualifizierten Gutachten nicht jede Empfehlung
übernehmen. Als Orientierung ist das systematische Holzschutzgutachten
für geschädigte Holztragwerke aber unverzichtbar. Es wird auch Hinweise
zum früheren Einsatz von gesundheitsschädlichen Schädlingsbe-
kämpfungsmittel und Imprägnierungen enthalten. Wo solche Mittel nach-
gewiesen sind (Hylotox/Xylamon), kann man meist nur mit Atemschutz-
ausrüstung arbeiten.
Auf der Grundlage dieser Erhebungen wird in der Folge im Detail festge-
legt, welche Maßnahmen zur Instandsetzung und Ertüchtigung des Trag-
werks erforderlich sind. Im einfachsten Falle ist es die handwerkliche Repa-
ratur der zerstörten Holzteile.
Reparatur des an den Fußpunkten geschädigten Dachwerks im Rathaus Oettingen. Die sorgfältige handwerkliche
Ausführung gibt der Zimmermannskonstruktion einen eigenständigen, von der Geschichte geprägten Charakter
(Reuter+Mittnacht).
180
Das an den Fußpunkten weitgehend zerstörte Dachwerk der Heiliggeist-Kapelle in Berlin ist mit einem additiv
hinzugefügten Verstärkungseinbau aus Stahl substanzschonend stabilisiert (Hüffer/Ramin, 2005).
Literaturhinweise
Die Übersichtsliteratur zu diesem Bereich ist überschaubar. Eine grundsätzliche Ein-
führung findet sich bei Feilden und Whelchel. Das Reparaturprinzip stellen Grossmann
1994, Hölscher und Lipp allgemein sowie Klotz-Warislohrer in der Implementierung
vor. Systematische Darstellungen historischer Baukonstruktionen bieten Ahnert/Krause
oder Manuale del Recupero. Die Besonderheiten historischer Tragwerke behandeln
Beckmann und Pieper.
Zum materialbezogenen Vorgehen sind Grün und Reul hilfreich.
Als Ratgeber für unterschiedliche Instandsetzungsfragen ist Rau/Braune ebenso nützlich
wie Bauen im Bestand mit umfangreicher Literatur zu vielen Einzelfragen. Die
Instandsetzung von Holzkonstruktionen behandeln z. B. Tampone 1996 und 2002 sowie
Ridout. Umfangreiche Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit historischer Konstruktionen fin-
den sich bei Könner und Grossmann 1994.
Einen guten Überblick über typische Schadensbilder an gebräuchlichen Konstruktionen
zusammen mit den jeweils notwendigen Untersuchungen und Methoden zur Instand-
setzung gibt wiederum Reul. Die von Wenzel/Kleinmanns herausgegebene Reihe
„Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke. Empfehlungen für die Praxis“ behandelt ein-
gehend historisches Mauerwerk, Mörtel, Eisen- und Stahlkonstruktionen, Holztragwerke
sowie Gründungen.
181
REALISIERUNG
Aber eben dadurch, dass die Geschichte fortgesetzt werden soll, ist sehr zu überlegen,
welches Neue und wie dies in den vorhandenen Kreis eintreten soll. Karl Friedrich Schinkel
Baustelleneinrichtung
Es versteht sich von selbst, dass die Baustelleneinrichtung auf dem leeren
Bauplatz andere Forderungen und Organisationsformen hat als die im vor-
gefundenen Bestand. Wer diesen Bestand aufwerten und entwickeln will,
muss während der Bauzeit nicht nur dafür sorgen, dass die Handwerker
sorgfältig arbeiten, sondern auch darauf achten, dass das Vorhandene nicht
durch Achtlosigkeit und Unverstand beschädigt oder gar zerstört wird.
Materialtransport, Materiallagerung, Zugangs- und Verkehrswege sowie
Aufenthaltsräume wollen sorgfältig bedacht und organisiert sein. Weiter ist
zu bedenken, dass auf der Baustelle vom ersten Tage an Fertiges, also
Wertvolles und damit Diebstahlgefährdetes vorhanden ist. Die Baustelle
muss deshalb vom ersten Tage an immer verschließbar gehalten werden
und verschlossen sein. Wer diese wenigen Grundsätze beachtet, wird auch
im Bestand keine Probleme in der Bauführung haben.
184
Werkstattprinzip
Eine geordnete, substanzerhaltende und
nachhaltige Bauführung kann nur gelingen,
wenn alle am Bau Beteiligten sich zu jeder
Zeit darüber im Klaren sind, dass die Bau-
maßnahme im Bestand vom ersten Tage an
weniger eine Rohbaustelle als vielmehr eine
Werkstatt ist. Im ganz wörtlichen Sinne
kann das bedeuten, dass das gesamte Bau-
werk für die Maßnahme vollständig einge-
haust und damit gleichsam in die Werkstatt
gebracht wird. Dieses in der Denkmalpflege
seit Jahrzehnten bewährte Prinzip hat sich
heute vielfach auch schon für „gewöhnli-
che“ Bauten durchgesetzt. Es bietet den gro-
ßen Vorteil, unabhängig von Wind und
Wetter und ungefährdet von plötzlichen
Regenschauern, die das schon Fertigge-
stellte wieder verderben, kontinuierlich zu
arbeiten. Zur Sicherung dieser Kontinuität
Die temporäre Klimatisierung der Räume schützt
kann sogar der Einbau einer temporären die großflächig freigelegten Wand- und
Klimatisierung zweckmäßig sein. Deckenfassungen vor Schäden während der Bauzeit.
Zum Werkstattprinzip gehört vor allem, dass auf der Baustelle jederzeit
Ordnung herrscht. Chaotische Zustände mit durcheinander liegendem
Baumaterial, nicht beseitigtem Bauschutt und unsystematischen Arbeits-
abläufen verleiten auch bemühte und engagierte Bauleute zur Nach-
lässigkeit und in der Folge zur meist unbeabsichtigten und jedenfalls
unbedachten Beschädigung des gebrauchsfähigen Bestands. Deswegen
muss man auf regelmäßiger Reinigung der Baustelle – wie in einer
Werkstatt – bestehen.
185
Unkontrollierter Schuttabwurf führt Geordnete Verhältnisse in der Baustelle motivieren die
zur Verwüstung der gesamten Handwerker zu einer exakten und substanzschonenden
Baustelle. Arbeit in der Villa Mosler von Mies van der Rohe.
Bauteilschutz
Der Schutz der gebrauchs- und entwicklungsfähigen Altsubstanz ist eine
der zentralen Aufgaben während der Baudurchführung. Eine Bauwirt-
schaft, die es noch immer gewohnt ist, nur in einer Richtung – vom Rohbau
zum Ausbau – zu denken, hat es schwer, sich daran zu gewöhnen, dass
schon bei Baubeginn weite Bereiche der Baustelle in einem überwiegend
oder sogar vollständig gebrauchsfertigen Zustand sind und auch bleiben
müssen. Nur so ist es zu erklären, dass immer wieder intakte und schöne
Räume während der Bauzeit schwer beschädigt werden. Häufig muss man
deswegen ganze Gebäudebereiche für den Baubetrieb sperren und diese
Sperrung auch konsequent einfordern und überprüfen. Das aber wird nur
gelingen, wenn man die gesperrten Bereiche auch deutlich als solche
kennzeichnet.
Der Bauteilschutz beginnt dort, wo der Materialtransport im Gebäude
durch Bestoßen absehbar zu Schäden führen wird, und endet noch lange
nicht beim Schutz solcher Bereiche, die schon allein durch Erschütterung
oder Feuchtigkeitseintrag gefährdet sind. Erfahrungsgemäß ist der Planer
hier immer zu optimistisch, wie viel Rücksicht man von auf Effizienz und
Sollerfüllung orientierten Handwerkern erwarten kann. Besonders gefähr-
det sind zunächst die Verkehrswege, auf denen das Material in den Bau
gebracht und in ihm verteilt wird. Stoßschutz um Türbekleidungen und vor
186
Die Baustelle als Werkstatt
Bauleitung
Ohne kontinuierliche Präsenz und beständige Kontrolle der Bauaus-
führung kann der Entwurf im Bestand nicht zufrieden stellend umgesetzt
werden. Bei noch so genauer Planung und ausführlicher Dokumentation
bleiben doch immer wieder offene Fragen, die nur vom planenden
Architekten kurzfristig geklärt werden können. Unkoordinierte Einzelent-
scheidungen haben häufig erhebliche Auswirkungen auf Nachbargewerke,
die der einzelne Handwerker auch bei bestem Bemühen nicht übersehen
kann. Darüber hinaus ist die Versuchung, komplizierte Details zu vereinfa-
chen, auch im Bestand allgemein groß.
189
Kennzeichnung wichtiger Befunde durch dauerhafte Kennzeichnung eines Farbbefunds aus dem
und gut sichtbare Beschriftung am Bau. 15. Jahrhundert durch auffallendes Schild.
Realität muss man aber auch anerkennen, dass die Maßgaben der
Leistungsverzeichnisse den einzelnen Handwerker auf der Baustelle nicht
unbedingt erreichen. Deswegen ist der Bauteilschutz (s.o.) so wichtig. Weil
man aber nicht alles Wichtige verkleiden kann, ist eine deutliche und ver-
ständliche Beschriftung gefährdeter Bereiche von gleicher Bedeutung. Jede
nachvollziehbare Kennzeichnung ist richtig. Sie muss deutlich sichtbar und
dauerhaft sein. Die Botschaft hebt besser auf das (erhoffte) Verhalten des
Handwerkers (Erhalten!) und weniger auf den gestalterischen oder histori-
schen Wert des Befundes ab.
Wo einzelne Baumaßnahmen auf begrenztem Raum durchgeführt werden
sollen, werden die Grenzen deutlich gekennzeichnet. Welche Putzfläche
genau soll abgeschlagen werden? Welche Türblätter (die mit dem aufge-
sprühten X) sollen entsorgt werden? Welche Wand (aufgesprühte Linie auf
voller Länge) soll abgebrochen werden? Nur so kann man verhindern, dass
im gut gemeinten Übereifer mehr passiert als der Architekt geplant hatte.
190
Von grundlegender Bedeutung ist die Abstimmung der Einzelgewerke
untereinander. Ein guter Netzplan, wie ihn viele Ausschreibungspro-
gramme vorsehen, oder auch jede andere koordinierte Vorgehensweise ist
denkbar, um das Ineinandergreifen der verschiedenen Arbeiten gut auf-
einander abzustimmen. Wo dies nicht geschieht, ist stets zu befürchten,
dass der eine Handwerker die Arbeit des Vorgewerks unbeabsichtigt wieder
beschädigt. Besonders Leitungsführungen in befundträchtigem Putz,
Stemmarbeiten jeder Art, ganz besonders geschossübergreifende, oder
Anpassungsarbeiten bei Unregelmäßigkeiten im Bau sind immer wieder
Anlass für verhängnisvolle, von allen ungewollte Schäden und völlig über-
flüssige Rückschläge.
191
Bemusterung unterschiedlicher, durch restauratorischen
Befund gesicherter Farbsysteme für eine
Farbrekonstruktion.
Für die Baumaterialien gilt das Gleiche wie am Neubau: Niemals den Einbau
ohne vorherige Bemusterung und deren Abnahme akzeptieren! Die beson-
deren historischen Qualitäten der alten Baustoffe führen immer wieder zu
ungewollten und unerfreulichen Kontrasten mit den modernen Materialien
mit ihren ganz anderen Oberflächen und Farben. Gerade bei den Farben ist
besondere Aufmerksamkeit geboten. Weil nur noch wenige engagierte
Handwerksbetriebe ihre Farben selbst am Bau so anpassen, dass das ver-
langte und erhoffte Ergebnis entsteht, ist die konsequente Bemusterung und
Freigabe ausschließlich des richtigen Ergebnisses von großer Bedeutung.
Auch diese absehbare Erschwernis in der Umsetzung der Planung sollte
man schon in der Ausschreibung benennen und berücksichtigen.
192
Exakte Vorgaben für die restauratorische Behandlung Kantenmodell für ein Neubauvorhaben (Anbau eines
der unterschiedlichen Dekorationssysteme sichern eine Aufzugs und Dachgauben) zur Abschätzung der
interessante und substanzentsprechende Gestaltung. Situation in bebauter Umgebung.
193
Die zu Beginn der Planung erstellten zuverlässigen und detailreichen Pläne
bewähren sich nun auch in Aufmaß und Abrechnung. Eine in maßstäbli-
chen Plänen erarbeitete Planung ist mit wenig Aufwand in eben diesen
Plänen auch in ihren Massen erfasst. Wenn beispielsweise die Werk-
planung für die Sicherung einer in ihrer Struktur differenzierten Fassade
auf der Grundlage eines steingenauen Aufmaßes erfolgt ist, Lage und
Länge der Vernadelungen exakt verortet sind und die verbauten Massen
sich unmittelbar aus der Projektunterlage ergeben, gibt es bei planungsent-
sprechender Ausführung keine Diskussionen und keinen Ärger. Dass die
so entstehende Aufmaßzeichnung auch gleich als Dokumentation der
Maßnahme dient, ist ein zusätzlicher Vorteil.
194
Bauteilgenaue Werkplanung für die Instandsetzung der stark geschädigten
Fassade mit Putz und Werkstein des Schlosses Neu-Augustusburg in Weissenfels (1694)
auf der Grundlage eines digital erstellen Systemaufmaßes.
Verfugung
Vor-/Hauptfestigung
Antragung
Vierung/Neuteil
Bestand in situ überarbeiten
Schalen/Risse KSE-Injektion
(Punkte entsprechen nicht
den Injektionsröhrchen)
Vernadeln Edelstahl
Eisenklammer erhalten
Eisenteil entfernen
195
spontanen Entscheidungen auch Kostenfolgen haben, darf man dabei aller-
dings nicht aus dem Auge verlieren – sei es der Abbruch von Wänden, die
zunächst erhalten bleiben sollten, sei es die Freilegung eines interessanten
Befundes, der zunächst eigentlich hinter einer Verkleidung verschwinden
sollte, sei es der zusätzliche Ausbau von Räumen, der so gar nicht vorgese-
hen war. Oft sind es solche unreflektiert und spontan getroffenen Ent-
scheidungen, die in der Summe die Baukosten aus dem Ruder laufen lassen.
Dieser Art von Überraschung begegnet man zuerst durch die zeitnahe
Abstimmung mit dem Auftraggeber, dann natürlich am besten mit einer
fortlaufenden Kostenkontrolle, mehr noch aber mit der beständigen Frage,
ob die zu vergebenden Arbeiten auch tatsächlich so in der Kostenbe-
rechnung enthalten waren.
Die immer wieder diskutierte Frage, ob die Instandsetzung und Moderni-
sierung eines bestehenden Gebäudes teurer oder billiger sei als der ent-
sprechende Neubau, lässt sich im statistischen Sinne naturgemäß nicht
abschließend beantworten. Dafür sind mit dem Zustand des vorhandenen
Gebäudes, mit dem Ausstattungsaufwand und der Planungsökonomie zu
viele Variable im Spiel.
Bauzeitenplan
Die realistische Zeitplanung gehört zu den besonderen Herausforderungen
im Bauwesen. Die Baustelle im Bestand bietet mit der oft sich wechselsei-
tig bedingenden Verzahnung mehrerer Gewerke ohne Zweifel besondere
Erschwernisse. Gravierender ist aber oft, dass die vorgefundenen Bauma-
terialien und die Forderung nach materialgerechter Instandsetzung es mit
sich bringen, dass die Baustelle im Winter deutlich länger stillsteht als ein
Neubau. Wassereintrag in bestehendes Mauerwerk, beispielsweise für die
Verfüllung von Hohlräumen, ist während der Frostperiode, ja schon bei
Frostgefahr nicht möglich. Manches historische Baumaterial, beispielswei-
se der Kalk – als Bindemittel oder als Beschichtung – kann unter 10° C nur
196
mit starken Einschränkungen verbaut werden. Und auch im Sommer muss
man bei manchen Gewerken, beispielsweise bei der Festigung von zer-
mürbten Steinoberflächen oder auch deren Entsalzung, häufig mit verlän-
gerten Reaktions- und Standzeiten rechnen. Hier hilft nur die genaue
Kenntnis der handwerklichen Bauausführung, wenn man unerfreuliche
Überraschungen vermeiden will.
Honorar
Die Planung im Bestand verlangt vom Architekten ohne jeden Zweifel
mehr Arbeit als der Neubau. Die Grundlagenermittlung ist umfangreicher,
die Zahl der beteiligten Sonderfachleute größer, die Planungsabläufe sind
komplizierter, die Bauüberwachung erfordert eine höhere Präsenz. Das
sollte man dem Bauherrn gleich am Anfang klarmachen. Die häufig in die
Diskussion gebrachte Vermutung, die Bestandspläne seien doch sicher
eine zumutbare kostenlose Sonderleistung des Architekten, weil er dann ja
keine Baupläne mehr zeichnen oder allenfalls geringe Änderungen in den
Plänen vornehmen müsse, ist selbstverständlich irrig. Soweit man in der
Entwurfsphase tatsächlich Zeichenarbeit einsparen kann – was keinesfalls
sicher ist –, wird dies durch die Mehrarbeit in der Phase der Werkplanung
und Bauausführung mehr als wieder ausgeglichen. Hier führt die bauteil-
bezogene Planung im Bestand zu einer Vielzahl von Einzel- und Indivi-
duallösungen, wo im Neubau ein einziges Regeldetail sämtliche Planungs-
fragen abdeckt.
Nicht nur aus diesem Grunde definiert die Honorarordnung für die
Architekten den ganz überwiegenden Teil der Bestandsdokumentation und
Bestandserkundung als Besondere Leistung, die auch besonders vergütet
werden muss. Darüber hinaus werden die Besonderheiten der Architektur
im Bestand mit Honorarzuschlägen gewürdigt.
Literaturhinweise
Die Literatur zum Thema ist ausgesprochen dürftig. König/Mandl haben eine umfangrei-
che Sammlung zu den Baukosten vorgelegt. Bei Schulz finden sich auch Hinweise zur
Baustellenorganisation. Petzet/Mader und Thomas sind auch für die Fragen der Bau-
überwachung hilfreich.
197
NACHHALTIGKEIT
Architektur im Bestand ist grundsätzlich nachhaltig. Ihr Ziel ist es, die
Gesamtnutzungsdauer eines Gebäudes zu maximieren. Sie trägt dazu bei,
dass der Aufwand, der früher einmal für die Errichtung eines Bauwerkes
notwendig war, heute und in der Zukunft noch einmal so weit wie möglich
nachgenutzt wird. Die Frage nach der Gesamtlebensdauer eines Gebäudes
und der Anzahl der während dieser Zeit notwendigen oder möglichen
Instandhaltungsmaßnahmen und Umnutzungen spielt im Bestand eine
weit selbstverständlichere Rolle als beim Neubau. Ein Wohnhaus, das
bereits von der dritten oder vierten Generation bewohnt oder ein ehemali-
ges Fabrikgebäude, das heute als Veranstaltungsort oder modische Ver-
kaufshalle genutzt wird, haben ihre Anpassungsfähigkeit an neue Nut-
zungsanforderungen bereits bewiesen. Städtebauliche Einbindung und
Infrastruktur, Disposition, Konstruktion und Material haben ihre Eigen-
schaften, ihre Stärken und Schwächen gezeigt. Die Konstruktion hat sich
als reparatur- und alterungsfähig gezeigt. Bauteile und Materialien, die
diese Fähigkeit nicht hatten, sind inzwischen ausgetauscht. Diese Erfah-
rung erlaubt es, Techniken und Strategien zu entwickeln, welche die
Lebensdauer des Gebäudes weit über die Abschreibungszeiträume hinaus
garantieren. Nichts spricht dagegen, dass bei richtiger Pflege weitere Nut-
zungsphasen ohne erhebliche Investitionen folgen werden. Die Planung
im Bestand hat genau diese zukünftige Mehrphasigkeit und damit die
Erhaltung der bereits bestehenden Werte über mehrere Nutzungs- und
Sanierungsphasen hinaus im Blick.
In der Immobilienwirtschaft hat man sich längst daran gewöhnt, auch das
Nachleben eines Gebäudes in die wirtschaftliche Gesamtkalkulation mit
einzurechnen. Ganz unabhängig von gängigen Berechnungsmodellen, wie
sie der Finanzierung von Neubauprojekten zugrunde gelegt werden, ver-
spricht die Verwertung des Baubestandes nach der Amortisation der
Baukosten hohe Renditen. Die Bewahrung und Pflege der vorhandenen
*Nachhaltige Entwicklung erfüllt die Bedürfnisse der Gegenwart ohne Beeinträchtigung der Fähigkeit künftiger
Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.
Facility Management
Facility Management bezeichnet die Strategie, im Immobilienbestand ver-
steckte Werte aufzuspüren und brach liegenden Ressourcen besser zu nut-
zen. Dabei wird der gesamte Prozess der Bewirtschaftung von Bauwerken
und Grundstücksbestand während sämtlicher Nutzungsphasen behandelt.
Insbesondere der Immobilienbesitz von Betrieben, deren Kerngeschäft in
der Herstellung von Gegenständen oder in Dienstleistungen liegt, kann
einen enormen Anteil am Gesamtvermögen ausmachen. Dieses oft unge-
nutzte, lieblos verwaltete und damit schlecht verwertete Potential soll durch
kluges Management aktiviert werden. Auf jeden Fall aber muss es bei der
Entwicklung von Unternehmensstrategien berücksichtigt werden, wenn
nicht der Nutzwert der Liegenschaften unter die Kosten für die Erhaltung
absinken soll.
Facility Management führt zunächst eine Bestandserfassung durch, listet
das Gesamtvermögen auf, dokumentiert Nutzungsprozesse und bilanziert
die vorhandene Situation. Der zweite Schritt bewertet dann die einzelnen
Zustände und sucht nach Optimierungsmöglichkeiten. In vielen Ansätzen
und Methoden deckt sich diese Vorgehensweise mit derjenigen der Archi-
tekturplanung im Bestand. Gute Plangrundlagen sind eine selbstverständ-
liche Notwendigkeit, zuverlässige und verfügbare Informationen die Bedin-
gung für die Entwicklung von Handlungsstrategien. Ziel beider Hand-
lungsfelder ist die Wertschöpfung durch die Wiederentdeckung und Nutz-
barmachung von bereits vorhandenen Werten.
Dabei ist klar, dass der reale Wert des Vorgefundenen auch von der
Betrachtungsweise und ihrer Vermittlung abhängt. Aus diesem Grunde
muss das Facility Management von einem allzu eingeschränkten Wertever-
ständnis abstrahieren und die Möglichkeiten zur Neubewertung des
Bestandes nutzen. Bisher unbeachtete Aspekte der Bewertung sind die
Grundlage für eine möglichst realistische und gute Bilanz. Entscheidend
für die Gesamtbilanz ist dabei die Frage, über welchen Zeitraum hin ein
200
Bauprojekt betrachtet wird. Die langfristige Perspektive der Architektur im
Bestand erfordert selbstverständlich die Berücksichtigung aller Folgekosten
durch den Betrieb und notwendig werdende Reparatur- und Sanierungs-
maßnahmen. Eine allzu schnelle Folge von Sanierungen ist aus mehreren
Gründen problematisch. Auf einen längeren Zeitraum betrachtet sind
kurze Sanierungsintervalle sehr kostenintensiv, weil sie die mögliche Nut-
zungsdauer der bereits erstellten Werte nicht ausnutzen, weil sie
Bestandswerte zerstören und weil sie als anfallende Erstellungskosten den
Preis für den umbauten Raum und damit den Druck auf die Rendite unnö-
tig erhöhen.
Planen und Bauen im Bestand ebenso wie die Pflege bestehender
Bauobjekte gilt als teuer. Tatsächlich ist die Planung im Bestand kostenin-
tensiver als bei einem Neubau. Die besondere individuelle Situation des
bestehenden Bauwerks muss erfasst und berücksichtigt werden; die einzel-
nen Kostenansätze können wegen der zahlreichen, notwendigerweise indi-
viduellen Lösungen des Altbaus teurer sein, als die üblichen Standard-
lösungen. Der oft hohe Anteil an handwerklicher Arbeit ist lohnintensiv.
Während bei Neubauten Material- und Personalkosten sich die Waage hal-
ten, verschiebt sich das Verhältnis bei Sanierungsmaßnahmen: Die
Materialkosten sind gering, während die Personalkosten bei den personali-
sierten Entscheidungs- und Ausführungsprozessen um den Altbau auf bis
zu 80 Prozent steigen können. Insgesamt ist aber das Ziel und Ergebnis
einer dem Objekt angepassten Planung die Reduzierung des Maßnahme-
umfangs, so dass der Gesamtaufwand oft sehr kostengünstig ausfällt. Auf
den ersten Blick erscheint der Planungsaufwand erschreckend hoch, im
wirtschaftlichen Gesamtergebnis zahlt sich dieser Aufwand aber aus.
Wie teuer die architektonische Arbeit im Bestand ist, hängt nicht zuletzt
sehr stark vom Gebäudetyp und von der Verträglichkeit der neuen
Nutzungen oder Anforderungen ab. Passt die neue Nutzung zum Bestand
und sind die zweckmäßigen baulich-konstruktiven und gestalterischen
Strategien bekannt, ist für bestimmte Gebäudegruppen eine Kostener-
sparnis gegenüber dem Neubau von bis zu 40 Prozent erreichbar. Es gibt
Gebäudegruppen und dazugehörige Umnutzungskonzepte, die längst zu
wirtschaftlichen Erfolgsmodellen geworden sind. Der Ausbau von ehemali-
gen Fabrikgebäuden an innenstadtnahen Standorten zu Lofts, Einrich-
tungshäusern und Quartierzentren gehört ebenso dazu, wie die Verwer-
tung von alten Hafenanlagen oder der Ausbau von Dachgeschossen. In der
201
Folge führt der hohe Identifikationswert der Altbausubstanz zu geringer
Fluktuation und zur Ausbildung tragfähiger Nachbarschaften.
Rechnet man in die Gesamtbilanz eines Bauvorhabens die Pflege- und
Unterhaltskosten ein, wie es für eine betriebswirtschaftliche Betrachtung
selbstverständlich ist, dann lohnen sich nachhaltige, mit Augenmaß
geplante Reparatur-, Ertüchtigungs- und Umbaumaßnahmen in jedem
Fall. Schließlich müssen auch die Kosten für die Entsorgung von Bau-
stoffen aus dem Abriss am Ende der Nutzungsdauer in die Kalkulation auf-
genommen werden. Bauschutt macht einen großen Anteil der deponierten
Mengen an Müll aus. Während die allermeisten Baustoffe aus der Zeit vor
der Industrialisierung in aller Regel leicht recycelt und unbedenklich ent-
sorgt werden können, sind viele der im 20. Jahrhundert neu entwickelten
Materialien mit Schadstoffen belastet, nicht sortenrein zu trennen und ver-
ursachen deswegen beim Abriss erhebliche zusätzliche Kosten.
202
Lebenszyklus und Investitionsbedarf eines Gebäudes. Laufende Instandhaltung vermeidet
scharfe Brüche; meist geht die tatsächliche Instandsetzung über das Niveau des
Ausgangspunkts hinaus.
bei großen Altbauten, also etwa Schlössern oder Kirchen, hat es sich bewährt,
eine große Baumaßnahme mittel- und auch langfristig in einzelne Bauab-
schnitte zu teilen, deren Ergebnisse immer wieder über einen längeren
Zeitraum hinweg beobachtet und auf ihre Nachhaltigkeit überprüft werden,
bevor die nächste Maßnahme in Angriff genommen wird. Dieses Vorgehen
hält nicht nur die Kosten der jeweiligen Teilbaumaßnahme niedrig, son-
dern garantiert auch die notwendige Planungssicherheit und den dauerhaf-
ten Werterhalt.
Wer Instrumente des Facility Management anwendet, kann Pflege,
Wartung, Reparatur und Sanierung auf die realen Alterungsprozesse der
Bausubstanz abstimmen. Das Monitoring, die langfristige Beobachtung des
Bestandes und bestimmter kritischer Aspekte der jeweiligen Konstruktion,
sorgt dafür, dass man das spezifische Alterungsverhalten eines Gebäudes
und seiner Teile kennt und angemessen darauf reagieren kann. Die Kunst
besteht darin, so wenig Maßnahmen wie möglich, diese aber immer rechtzei-
tig zu ergreifen, bevor gravierende Schäden an der Bausubstanz entstehen,
die tief greifende Erneuerungsmaßnahmen notwendig machen würden.
203
Werterhalt
In der Immobilienwirtschaft werden sehr unterschiedliche Aspekte zur
Bewertung eines Gebäudes herangezogen. Die meisten Wertmaßstäbe sind
dabei einem ständigen Wandel unterworfen. Dazu gehören Standortvor-
und -nachteile ebenso wie der Imagewert des Bauwerks. Die vorrangigste
Aufgabe der Architektur im Bestand ist die Werterhaltung und langfristige
Wertsteigerung. Um hier den richtigen Mittelweg zwischen konservativem
Verharren und ephemerer Mode zu finden, ist ein fein entwickeltes Gespür
nötig. Der Versuch, den Wert der Substanz nicht nur durch das Anheben
des Ausstattungsstandards, also etwa durch den Einbau von Bädern, Fahr-
stühlen, Wärmedämmung etc. zu erhöhen, sondern auch durch gestalteri-
sche Maßnahmen das Aussehen des Gebäudes dem Zeitgeschmack anzu-
passen, führt nicht selten zu nur kurzlebigen „Verschönerungen“.
Sicherlich spricht nichts gegen einen neuen Anstrich in freundlichen
Farben oder die Aufwertung des Eingangsbereichs eines Mietshauses; wei-
tergehende Umgestaltungen aber geraten schnell in Konflikt mit dem
ursprünglichen gestalterischen Gesamtkonzept oder gar mit der
Konstruktion. Wer mit Altbau zu tun hat, dem muss klar sein, dass einer
der langfristigen Werte des Gebäudes eben in seinem historischen
Gestaltwert und in seiner überlieferten Bausubstanz besteht. Jede Ver-
änderung kann damit der Tendenz nach zugleich zu einer Beschädigung
des Ursprungsbaus führen. Das gilt auch für seine künstlerische Ausdrucks-
kraft. Den postmodernen Giebel am Eingang eines Zeilenbaus der sechziger
Jahre findet bereits nach zehn Jahren niemand mehr schön. Umgekehrt
wird auch die gegenwärtig wenig angesehene Sichtbeton-Ästhetik der sieb-
ziger Jahre in absehbarer Zeit wieder ihre Liebhaber finden.
Es ist sparsamer und lohnt sich, nicht auf kurzfristige gestalterische Moden
zu reagieren, sondern die immanenten ästhetischen Stärken des Bau-
bestandes zu pflegen und hervorzuheben. Mit einem gewissen zeitlichen
Abstand oder auch für eine andere Nutzergruppe können Eigenschaften,
die heute als gestalterischer Nachteil empfunden werden, schon in wenigen
Jahren wieder eine besondere Exklusivität und Attraktivität besitzen. So
gesehen erfordert Architektur im Bestand nicht nur vielfältige Kompe-
tenzen, sondern auch und vor allem Geduld.
204
Literaturhinweise
Die Ansätze und Methoden des modernen Facility Management erklären Gänssmantel/
Geburtig/Schau. Einen Einblick in die Projektentwicklung in der Immobilienwirtschaft
und in Fragen der Bewertung vorhandener Gebäude geben Alda/Hirscher. Kastner führt
in die systematische Beurteilung von Altbauten und in die Verwendung von Checklisten
ein. Hamesse weist auf den engen Zusammenhang von ökologischen und ökonomischen
Sanierungsstrategien hin. Reul 2005 beschreibt anschaulich die mangelnde Nachhaltigkeit
und wirtschaftliche Unsinnigkeit von Sanierungen, die ohne ausreichende Kenntnis des
Bestandes geplant wurden. Die Erstellung und der Umgang mit Bauunterhaltungsbüchern
erklärt Klemisch. Er weist darauf hin, dass die planerische Betreuung der Altbausubstanz
mit dem Ziel, das Gebäude wirklich zu verstehen und durch leichte und gezielte Pflege-
maßnahmen größere Schäden und Sanierungen zu vermeiden, ein weitgehend unerschlos-
senes Betätigungsfeld für Architekten und Ingenieure darstellt. Statistische Grundlagen
zum Baubestand liefern Hassler/Kohler.
205
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Kraneburg, Christian 173
Altenkirch, Dirk 74
Landesdenkmalamt Berlin 77
Anderhalten, Claus 172
Archivio Museo di Castelvecchio, Verona 160 Martiradonna, Andrea 129
Atelier 5 131 Mazzola, Sebastiano 120
ASD, Yngve Jan Holland, Andreas Potthoff 63 meixner-schlueter-wendt 173
Augustin und Frank 122 Miotto, Luciana / Archivio Museo di Castelvecchio
Verona 8
Basler Denkmalpflege, Hans Ritzmann 56
Moreno, Joaquim 112
Basler Denkmalpflege, Bernard Jaggi 105
Müller, Stefan 181
Basler Denkmalpflege, Mathias Merki 56
Basler Denkmalpflege, Stephan Tramèr 73 Nemec, Studio 140
Battistella©CISA-A. Palladio, Gianantonio 118
Ohara, Nobuko 123
Baupiloten, Susanne Hofmann 172
Bergamo, Fabrizio 206 Pavan, Vittorio 112
Bitschnau/Hauser 128 Purcell, Miller, Tritton LLP 139
Bitter, Jan 142, 172
Reichwald, Helmut 78, 79
Bleyl, Markus 41, 164, 169
Reuss, Wolfgang 79
Block, Klaus 124
Ricciardi, Enrico 45
Blümel, Anke 108
Richters, Christian 109
bpk / Kupferstichkabinett, SMB /Jörg P. Anders 17
Bryant, Richard / arcaid.co.uk 104 Sánchez López, Eduardo 33
Schnieringer, Karl 55
Calatrava, Santiago 105
Schubert, Leo 85, 112
Carmassi, Massimo 2, 75, 161
Schwarz, Ulrich 140
Ciampi, Mario 75, 115
Serrano, Manuel 117, 121
Cirenei, Matteo 95
Sloun, Etienne van 125
Cramer/Sack 51
Snower, Doug 11
Dechau, Wilfried 94 Stadtamt Braunau 69
Dienstleistung Denkmal, Semmler/Schmidt 43, 66 Sternberg, Morley von 108
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Galerie Marzee 117
Brandenburg 72
Gieselmann, Reinhard 148
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Gilbert, Dennis / VIEW 155
Brandenburg, Andreas Potthoff 62
Gonzalez, Primitivo 103
Storemyr, Per 90
Gross, Felix / Kunstverlag Josef Fink 78
Suzuki, Hisao 33
Halbe, Roland 123, 150
Trapp, www.tobiastrapp.eu 119
Helfenstein, Heinrich 105
TU München, Baugeschichte 113
Hofburg Kongresszentrum & Redoutensäle Wien 126
Hollein, Hans 148 Voeten, Sybolt 152
Holzmanufaktur Rottweil 158, 175, 177
Wett, Günther R. 145
Hüffer/Ramin 181
Wicky, Gaston 131
Hundertmark, Hein / Cultuurhistorie gemeente
Winde, Jörg 28
Utrecht 149
Wolf, Peter 187
Huthmacher, Werner 122, 127
Young, Nigel / Foster+Partners 154
Jakobs, Dörthe 78, 79
Zecc Architekten 130
Kaunat, Angelo 132
Zugmann, Gerald 156
Klomfar+Partner 128
213
Scherer + Angonese 128
Schinkel, Karl Friedrich 9, 18, 24, 159, 183
Schubert, Leo 112
Schwarz, Rudolf 97
Seelinger, Martin 143
Stirling, James 101
Tesar, Heinz 101
Ungers, Oswald Mathias 151
Valentyn, Thomas van den 137
Venturi, Robert 141
Wehdorn, Manfred 124
Zaanen/Spanjers 104
ZECC Architekten 130
Zumthor, Peter 20
214
SACHREGISTER Belastung 31, 88, 110
Bemusterung 191-192
Abrechnung 193-194 Beschriftung 50, 73, 183, 190
Additive Maßnahme 41, 88, 116, 167-173, 175 Besondere Leistung 197
Altern lassen 111 Bestandserfassung 45-65, 85, 90, 93
Alterswert 21, 138-141 Bestandsplan 54-65
Anpassung 100, 115, 117, 127, 138-141, 159 Bestandsschutz 110, 165
Anpassungsdetail 164, 165 Betroffenenbeteiligung 43
Archäologie 68, 72, 80, 93, 103 Bewahren 20, 193
Archiv 48-50, 72 Bildentzerrung 61, 64
Artenschutz 25 Bindungsplan 37, 39, 42, 92
“As Found” 99 Brandschutz 36, 37, 108, 110, 131
Aufmaß 54-63, 94, 181, 193, 194 Charta von Venedig 22, 102
Aufmaß, formtreu 53-63, 112, 113, 163 Checkliste 46, 53, 202, 205
Aufmaß, System 55, 195
Aufmaß, tachymetrisch 61, 70, 71 Dachausbau 129, 130
Aufmaß, wissenschaftlich 57, 78 Datierung 81, 82,
Aufputzinstallation 117, 121 Dendrochronologie 68, 82, 93
Aufstockung 110, 132, 133 Denkmalpflegeplan 92
Aufzug 41, 58, 110, 125, 133 Denkmalschutzbehörde 37, 40
Ausführungsplanung 59, 159-181 Denkmalschutzgesetz 21, 114
Ausschreibung 54,191, 192, 193 Denkmaltopographie 48
Ausstattung 53, 59, 62, 66, 75, 77, 92, 140, 187, 196 Didaktisches Gestalten 147
Ausstattungsplan 37, 50, 54, 92 Disposition 101-106, 199
Authentizität 23, 37, 40 Dokumentation 47, 50-54, 56, 60, 67, 189, 194
215
genius loci 18, 20, 23, 98 Pflege 48, 114, 199, 201, 202-203
Geschosshöhe 36, 133 Pflegeplan 202
Gestaltung 120, 137-157, 162, 170 Photodokumentation 50
GIS (Gebäudeinformationssystem) 71 Photogrammetrie 62, 63, 93
Großinventar 48 Planung, bauteilorientiert 160-163, 197
Grundbuch 47 Planungsprozess 29, 81
Grundlagenermittlung 45-93, 194 Planungsstrategie 43, 93, 110
Grundrissorganisation 36, 101, 104, 127, 133 PLANUNGSSTRATEGIEN
Altern lassen 111
Handaufmaß 56, 61, 62
Anpassung 100, 115, 117, 127, 138-141, 159
Handwerker 42, 112, 114, 183, 185, 186, 189-191
Ertüchtigung 113, 118, 119 175-177, 180
„Haus im Haus“ 124
Fertigbauen 126
Hausschwamm 30, 178, 179, 180
Instandhalten 45, 111-114
Heizung 117, 118
Konservierung 22, 114, 165, 184
Historizität 24
Modernisierung 111, 115-119, 196
Holzschutzgutachten 178, 180
Rekonstruktion 24, 40, 69, 79, 80, 91, 127, 135,
Honorar 189, 197
136, 137, 143, 144
Immobilienwirtschaft 199, 204, 205 Reparatur 33, 48, 84, 86, 117, 159, 163, 166, 175,
Industriebauten 123, 124 180, 193, 203
Instandhalten 11, 111-114 Restaurierung 111, 114
Inszenierung 98, 103, 144, 145, 146, 147, 155, 157 Sanierung 24, 67, 114,166, 201, 203, 205
Isolierverglasung 177 Umbau 127
Umnutzung 47, 101, 104, 120, 199
Kastenfenster 175, 177
Weiterbauen 111, 119-134, 139, 199
Kennzeichnung 47, 53, 69, 190,
Zusammenfassung 133
Klimatisierung, temporäre 185
Planungstiefe 31, 163
Konservierung 22, 114, 165, 184
Positivkartierung 46, 92
Kontrast 33, 75, 115, 125, 128, 138, 144, 148, 149,
Probeeinbau 191-192
152, 155, 192
Kosten 194, 200, 202 Randsicherung 188
Kostenkontrolle 194-196 Raumaufteilung 104
Kulturdenkmal 29, 36 Raumbuch 43, 46, 50, 51, 52, 53, 73
Kulturlandschaft 18 Rekonstruktion 24, 40, 65, 69, 72, 79, 80, 126,
Kurzuntersuchung 46 135, 136, 137, 143, 144
Reparatur 33, 48, 84, 86, 117, 159, 163, 166, 175,
Laserscanner 58, 63 - 66, 163
180, 193, 203
Lasertheodolit 58, 61, 63
Restaurator 35, 68, 76-80, 147, 162, 187 - 193
Leistungsbeschreibung 193
Restaurierung 111, 114
Materialgerechtigkeit 166 Reversibilität 40, 168
Mindestmenge 193
Sanitärinstallation 38, 117
Modernisierung 111, 115-119, 196
Sanierung 24, 67, 114, 166, 201, 203, 205
Monitoring 30, 71, 202-203
Scanner, 3D: siehe Laserscanner
Nachhaltigkeit 47, 101, 104, 134 165, 174, 177, 159, Schadenskartierung 85, 87, 89, 175, 178
199-205 Schadensplan 89, 90, 91
Notsicherung 29-31, Schädlingsbefall 86, 178
Nutzungsplanung 59, 102-104 Schallschutz 36, 175, 177
“Objet trouvé” 100 Schattenfuge 151, 154
Schutzgutplan, siehe auch: Bindungsplan 92
216
“sotto livello” 153, 157
Sondage 73, 78, 79
Spolie 134
Stadtsanierung 23
Standfestigkeit 84, 88
Stärken-Schwächen-Analyse 45, 91-93
Stereophotogrammetrie 62, 65, 78
Streiflicht-Scanner 64, 73
Systemaufmaß; siehe: Aufmaß, System
Teilung 58, 68, 119, 120, 123, 124, 137
Thermographie 72, 87, 93
Tragwerk 30, 35, 37, 46, 59, 66 - 72, 84 - 86, 105,
109, 113, 167, 168, 169, 171, 172, 178, 180, 181, 189
Tragwerksanalyse 83-86, 169
Treppen 33, 41, 58, 105, 108, 116, 121 162, 163, 188
Umbau 127
Umnutzung 47, 101, 104, 120, 199
Urkataster 50
Verformungen 55, 58, 59, 67, 71, 72, 73, 83, 85, 86,
112, 112, 129, 164
Verfremdung 133, 148, 151, 155
Verkehrslast 168
Verkehrswege 183, 186, 188
Volluntersuchung 46
Vorbereitende Untersuchungen 31
Wartung 202, 203
Weiterbauen 111, 119-134, 139, 199
Werkplanung 33, 75, 87, 113, 131, 139, 140, 160,
161, 163, 164, 165, 169, 194, 195
Werkstatt 185, 187
Werterhaltung 202, 204
Wiederverwendung 174-175, 176
Zusammenfassung 133
Zusatztragwerk 168
„Zweite Haut“ 170, 171
Zwischennutzung 120
217
BILDNACHWEIS Kollhoff Architekten 140
Kraneburg, Christian 173
Altenkirch, Dirk 74
Landesdenkmalamt Berlin 77
Anderhalten, Claus 172
Archivio Museo di Castelvecchio, Verona 160 Martiradonna, Andrea 129
Atelier 5 131 Mazzola, Sebastiano 120
ASD, Yngve Jan Holland, Andreas Potthoff 63 meixner-schlueter-wendt 173
Augustin und Frank 122 Miotto, Luciana / Archivio Museo di Castelvecchio
Verona 8
Basler Denkmalpflege, Hans Ritzmann 56
Moreno, Joaquim 112
Basler Denkmalpflege, Bernard Jaggi 105
Müller, Stefan 181
Basler Denkmalpflege, Mathias Merki 56
Basler Denkmalpflege, Stephan Tramèr 73 Nemec, Studio 140
Battistella©CISA-A. Palladio, Gianantonio 118
Ohara, Nobuko 123
Baupiloten, Susanne Hofmann 172
Bergamo, Fabrizio 206 Pavan, Vittorio 112
Bitschnau/Hauser 128 Purcell, Miller, Tritton LLP 139
Bitter, Jan 142, 172
Reichwald, Helmut 78, 79
Bleyl, Markus 41, 164, 169
Reuss, Wolfgang 79
Block, Klaus 124
Ricciardi, Enrico 45
Blümel, Anke 108
Richters, Christian 109
bpk / Kupferstichkabinett, SMB /Jörg P. Anders 17
Bryant, Richard / arcaid.co.uk 104 Sánchez López, Eduardo 33
Schnieringer, Karl 55
Calatrava, Santiago 105
Schubert, Leo 85, 112
Carmassi, Massimo 2, 75, 161
Schwarz, Ulrich 140
Ciampi, Mario 75, 115
Serrano, Manuel 117, 121
Cirenei, Matteo 95
Sloun, Etienne van 125
Cramer/Sack 51
Snower, Doug 11
Dechau, Wilfried 94 Stadtamt Braunau 69
Dienstleistung Denkmal, Semmler/Schmidt 43, 66 Sternberg, Morley von 108
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Galerie Marzee 117
Brandenburg 72
Gieselmann, Reinhard 148
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Gilbert, Dennis / VIEW 155
Brandenburg, Andreas Potthoff 62
Gonzalez, Primitivo 103
Storemyr, Per 90
Gross, Felix / Kunstverlag Josef Fink 78
Suzuki, Hisao 33
Halbe, Roland 123, 150
Trapp, www.tobiastrapp.eu 119
Helfenstein, Heinrich 105
TU München, Baugeschichte 113
Hofburg Kongresszentrum & Redoutensäle Wien 126
Hollein, Hans 148 Voeten, Sybolt 152
Holzmanufaktur Rottweil 158, 175, 177
Wett, Günther R. 145
Hüffer/Ramin 181
Wicky, Gaston 131
Hundertmark, Hein / Cultuurhistorie gemeente
Winde, Jörg 28
Utrecht 149
Wolf, Peter 187
Huthmacher, Werner 122, 127
Young, Nigel / Foster+Partners 154
Jakobs, Dörthe 78, 79
Zecc Architekten 130
Kaunat, Angelo 132
Zugmann, Gerald 156
Klomfar+Partner 128
221