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Der unsichtbare Architekt - die Grundinstandsetzung der


Neuen Nationalgalerie Berlin als Zielkonflikt-Moderation
Martin Reichert (Berlin)

Ill

Für große Bauvorhaben im Bereich der Denkmalpflege als kalität des Bauvorhabens bestehen? Lange bereitete es uns
weit sichtbare, breit rezipierte Prestigeprojekte bestehen Schwierigkeiten, hierauf Antworten zu finden, die den An­
Chance und Verpflichtung zugleich, vorbildhafte Lösungs­ forderungen der Projektrealität tatsächlich standhalten kön­
ansätze zu entwickeln und zu zeigen und damit zugleich den nen.
Diskurs über eine angemessene Haltung im Umgang mit
Einzeldenkmälern und Denkmalgattungen zu befördern.
Die denkmalgerechte Grundinstandsetzung der Neuen Zur Ausgangslage
Nationalgalerie hat hierfür zunächst idealtypische Voraus­
setzungen: mit Ludwig Mies van der Rohe einen der Heroen Die Neue Nationalgalerie wurde am 31. Dezember 2014, al­
und wirkungsmächtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts; so gut 46 Jahre nach ihrer Eröffnung im Jahre 1968, aufgrund
mit dem Gebäude selbst ein Hauptwerk von Mies und eine gravierender Schäden und Sicherheitsmängel geschlossen.
Ikone der späten Moderne; mit der Neuen Nationalgalerie Nach Jahrzehnten des Bauunterhalts im laufenden Betrieb
ein Ausstellungsgebäude und eine Institution von interna­ war damit das Ende des ersten Lebenszyklus erreicht. Auf­
tionalem Rang und künftig mit vielen Millionen Besuchern grund der Nutzungskontinuität und des Respekts der Nut­
als Rezipienten und Multiplikatoren. Hinzu kommen ein den zer vor dem Gebäude gab es bis zu diesem Zeitpunkt keine
hoch gesteckten Zielen angemessener Termin- und Kosten­ nennenswerten baulichen Veränderungen. Alle Maßnahmen
rahmen, ein großer Konsens unter den Projektbeteiligten waren dem Bauunterhalt sowie der technischen und funktio­
und der Wille, mit der Instandsetzung einen relevanten Bei­ nalen Aufrechterhaltung des Betriebes geschuldet und hatten
trag zum Umgang mit den Bauten der Nachkriegsmoderne keine gestalterischen Ambitionen.
zu leisten. Die Nationalgalerie ist heute das wahrscheinlich am bes­
Was aber sind die relevanten Themen und Fragestellun­ ten und in einzigartiger Ganzheitlichkeit erhaltene Gebäude
gen? Worin könnte die Vorbildwirkung oder gar die Radi­ im Werk von Mies van der Rohe.
52 Martin Reichert

Zur Aufgabenstellung Will man die Überlebensfähigkeit der Nutzung langfristig


absichern, können diese zwar relativiert, nicht aber ignoriert
Der von den Vertretern des Bundes und der Länder im März werden.
2011 erteilte Planungsauftrag lautet im Kern: „Aufgrund des Im Zentrum unserer Planung stand deshalb die Zielkon­
hohen denkmalpflegerischen Wertes der Neuen Nationalga­ fliktmoderation zwischen den Bedürfnissen der Nutzung und
lerie und der außergewöhnlichen kulturhistorischen Bedeu­ jenen des physischen Baudenkmals. Die Zielkonflikte lagen
tung dieser Ikone der Moderne sowohl für die Architektur also nicht zwischen Denkmalwerten und externen Anforde­
als auch für die Kunst muss sich eine Gesamtsanierung rungen oder Erwartungen, sondern im internen Widerstreit
nah am Bestand orientieren. Eine Veränderung des Bau­ unterschiedlicher Denkmalwerte.
körpers hinsichtlich der Ausmaße oder eine Umgestaltung Deutschland kennt, anders als die angelsächsische Welt,
der räumlichen Struktur ist aus denkmalpflegerischer Sicht nicht die Rolle eines conservation architect. In aller Regel
auszuschließen. Deshalb muss sich die Gesamtsanierung des werden die denkmalpflegerisch-restauratorischen Belange -
Hauses auf nutzungstechnische Verbesserungen der vorhan­ mehr oder weniger erfolgreich - vom federführenden Archi­
denen Struktur beschränken“.1 tekten mit abgedeckt. Dies hat Vor- und Nachteile, deren Be­
Eine Beschränkung auf eine behutsame Instandsetzung trachtung lohnenswerter Gegenstand einer weiteren Tagung
und Konservierung des Status quo schied aus, da auch die sein könnte. Zu den Vorteilen zählt oder könnte doch zählen,

Abb. 1: Werk- und Montageplanung der Firma W. Rittershausen

Nutzung des Gebäudes als Museum beziehungsweise als dass das Thema nicht als eine externe Fachdisziplin, sondern
Ausstellungsgebäude einen wichtigen Denkmalwert konsti­ als Ausgangspunkt und Hauptgegenstand der Objektplanung
tuiert. Gänzlich anders als noch vor 50 Jahren stellt eine Mu­ selbst behandelt wird. In der Gesamtverantwortung des fe­
seumsnutzung auf internationalem Niveau heute hohe und derführenden Architekten liegend, könnte es die Bedingun­
komplexe Anforderungen an den Bau und seinen Betrieb. gen des Projektes entscheidend bestimmen. Dies ermöglicht
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zumindest theoretisch einen ganzheitlicheren Ansatz und nachgeordnet um Verbesserungen. Das denkmalpflegerische
eine zentralere Positionierung denkmalpflegerisch-restaura­ Interesse konzentriert sich auf die visuelle Integrität des
torischer Aspekte. äußeren Erscheinungsbildes und der Lobby, mit den ande­
Wenn die Neue Nationalgalerie ein Hauptwerk der zwei­ ren Raumbereichen wird vergleichsweise pragmatisch um­
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, dann gelten die üblichen gegangen. Dieser Pragmatismus gilt auch für den Umgang
Standards im Umgang mit hochrangigen Denkmalen, unge­ mit Originalsubstanz. Bei der Sanierung der Terrassen des
achtet des geringen Alters und der scheinbaren Reproduzier­ Lake Shore Drive 860-880 etwa wurde der Travertin-Belag
barkeit der materiellen Substanz. komplett erneuert. Weitere Beispiele ließen sich anfügen.
Interessant ist auch, dass die Mies-Bauten eine erstaunlich
hohe und breite Wertschätzung genießen. Sie werden als he­
Grundlagenermittlung rausragende Beiträge zum nationalen Erbe angesehen und
entsprechend gepflegt.
Grundlage jeder Therapie sind eine sorgfältige Anamnese Zur Dokumentation des Zustands vor der Grundinstand­
und Diagnose; dies gilt gleichermaßen in der Medizin wie in setzung sowie als präzise Grundlage unserer Planung wurde
der Baudenkmalpflege. Wir haben uns deshalb parallel zur die Nationalgalerie 2012 flächendeckend in der Genauig­
Vor- und Entwurfsplanung sehr ausführlich um eine äußerst
detaillierte Grundlagenermittlung hinsichtlich bauhistori­
scher, denkmalpflegerischer, restauratorischer, material- und
werktechnischer Aspekte bemüht. Unterstützt hat uns dabei
ProDenkmal Berlin, die als restauratorische Fachplaner Teil
des Planungsteams sind.
2012/2013 sichteten wir den Büronachlass von Mies van
der Rohe im Museum of Modern Art, New York und den
Privatnachlass in der Library of Congress in Washington auf
die für die Neue Nationalgalerie relevanten Archivunterla­
gen und werteten sie hinsichtlich der für die Planung rele­
vanten Aspekte aus. Im Ergebnis der Archivalienrecherche
zeichnet sich ein dichtes und kohärentes Bild der Planungs­
und Baugeschichte ab.
Die Gesamtheit aller Archivunterlagen aus den ameri­
kanischen Archiven ist nun in einer Datenbank erfasst und
den Planungsbeteiligten zugänglich. Die für die Planung der
Grundinstandsetzung relevanten Pläne und Dokumente lie­
gen zudem in hochaufgelösten Scans vor (Abb. 1).
Die ergänzende Sichtung der Berliner Archive2 erschloss Abb. 2: obere Halle
neben einigen in Bezug auf die amerikanischen Archivalien
neuen Planunterlagen vor allem umfangreiche Konvolute an
historischen Fotos und Dias, die mehrheitlich unveröffent­ keitstufe III und IV Eckstein aufgemessen. Die Aufmaße
licht sind und aufschlussreiche Einblicke in die Bauzustände umfassen neben den Grundrissen, Ansichten und Schnitten
geben (Abb. 2). im Maßstab 1:50 auch alle wesentlichen Ausbauelemente
Im Spätherbst 2012 machte sich das Projektteam in Ka­ im Maßstab 1:20-1:10 sowie Details bis zum Maßstab
nada und den USA ein Bild vom State of the Art im Um­ 1:1. Ebenfalls parallel zur Vor- und Entwurfsplanung wur­
gang mit dem amerikanischen Werk von Mies van der Rohe. de ein umfangreiches Programm an Bauteiluntersuchungen
Unsere Reise begann mit dem Dominion Center in Toronto sowie Mustern und Tests durchgeführt. Diese bezogen sich
und endete nach Zwischenstationen in Chicago und Houston schwerpunktmäßig auf das Tragwerk (Bauteil- und Material­
beim Seagram Building in New York. Bei allen Unterschie­ untersuchungen an Stahlbeton und Stahl), die Haustechnik,
den der Objekte zeigten sich auch durchgehende Tendenzen: aber auch auf die Restaurierung.
Die Schäden bei nordamerikanischen Bauten von Mies sind
repetitiv (defekte Dichtungen der Terrassen und Flachdä­
cher, Korrosion und Undichtigkeit der Stahl-Glas-Fassaden Raumprogramm und Restrukturierung
etc.) und entsprechen weitestgehend denen der Nationalgale­ der Nutzung
rie. Der Umgang mit den bauphysikalisch-energetischen De­
fiziten der Fassaden ist in den USA überraschend entspannt, Der Planungsauftrag erfolgte auf der Basis vorläufiger
man verzichtet auf strukturelle Ertüchtigungen. Generell quantitativer und qualitativer Bedarfsanforderungen. Das
geht es vorrangig um eine Schadensbehebung, nur sehr Raumprogramm, die Restrukturierung der Nutzung und die
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Abb. 3: Sockelgeschoss mit dem Status quo Abb. 4: Sockelgeschoss mit identifizierten Fehlbelegungen
der Nutzungen und Mehrfachnutzungen

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Abb. 5 Sockelgeschoss nach der Restrukturierung Abb. 6 Sockelgeschoss mit den baulichen Anlagen außerhalb
der Nutzungen der Grenzen der Halle im Hauptgeschoss

Anpassung des Hauses an einen modernen Museumsstan­ gungen und Mehrfachnutzungen (Abb. 3 und 4). Im Ergeb­
dard wurden im Rahmen der Vorplanung in einem iterativen nis mehrerer Nutzer-Workshops wurden als die wesentlichs­
Prozess gemeinsam entwickelt. Eingriffe und Veränderun­ ten Defizite erkannt:
gen sollten sich dabei immer auf das minimal erforderliche - unterdimensionierte Einrichtungen bei der Besucher-In­
Maß beschränken. frastruktur; eine gänzlich fehlende Ausstellungsvorberei­
Der paritätische Abstimmungsprozess erfolgte unter un­ tung sowie Mängel bei den Transportwegen der Kunst;
serer Moderation zwischen den Staatlichen Museen zu - zu gering bemessene back ofhouse-Flächen wie Sozialräu­
Berlin als Nutzer, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als me, Werkstätten und Lagerflächen unterschiedlichster Art.
Bauherr, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
(BBR) als baufachlicher Vertretung des Bauherrn, dem Lan­ Die Restrukturierung der Nutzung beginnt mit der Wieder­
desdenkmalamt Berlin, dem Landesdenkmalrat und den be­ herstellung des bauzeitlichen Idealplans für die öffentlichen
teiligten Fachplanern und wurde von dem ehemaligen Pro­ Bereiche des Sockelgeschosses durch Verlagerung der Inte­
jektleiter Dirk Lohan (Enkel Mies van der Rohes) und dem rimsgarderobe aus dem nördlichen Museumsgang sowie des
Mies-Experten Prof. Dr. Fritz Neumeyer beratend begleitet. Buchladens aus dem unteren Foyer. Garderobe und Book-/
In einem ersten Schritt erfassten wir den Status quo der Museumsshop werden in den bisherigen Gemälde- und
Nutzungen und identifizierten dabei umfangreiche Fehlbele­ Skulpturendepots neu verortet, die verdrängten Depots un­
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terhalb des aufgeschütteten Podiums in einem unterirdischen Demontagen und Replatzierungen


Neubau untergebracht (Abb. 5). Die baulichen Anlagen au­
ßerhalb der Grenzen des Bestandes (Abb. 6) stehen im Wi­ Die skizzierte Eingriffstiefe macht es unumgänglich, nahezu
derspruch zum Planungsauftrag. Wir konnten das AG Bau­ den gesamten Innenausbau der Nationalgalerie zu demon­
Gremium durch zwei Argumente überzeugen: Erstens sind tieren. Teilweise erfordert dies die Zugänglichmachung
die unterirdischen Erweiterungen weder von außen noch verdeckter Bauteile zur Schadensbehebung, teilweise wäre
von den öffentlichen Bereichen im Inneren wahrnehmbar; das mehr oder weniger ungeregelte Baustellenklima dem
zweitens stellen die Autonomie und die Existenz aller Funk­ schadensfreien Erhalt der Bauteile in situ nicht zuträglich.
tionsbereiche eines Museums einen eigenen Denkmalwert Zudem können einige Reparaturen und Modifizierungen der
dar, der nicht durch die Auslagerung von Depots relativiert Ausbauelemente nur unter Werkstattbedingungen erfolgen.
werden sollte. Es ist uns bewusst, dass Demontagen aus denkmalpflege­
In einem ähnlichen Prozess wurden auch die qualita­ rischer Sicht den eigentlich zu vermeidenden Sonderfall dar­
tiven Bedarfsanforderungen präzisiert und auf Umsetz­ stellen. Im Falle der Nationalgalerie sind sie jedoch baufach­
barkeit überprüft. Nicht alle Wünsche fanden am Ende lich ohne sinnvolle Alternative und stehen auch im Dienste
Berücksichtigung. Der Upgrade der oberen Halle zur des Erhalts des Innenausbaus.
offiziellen Versammlungsstätte im Dienste der Event­ Demontagen in diesem gewaltigen Umfang sind technisch
kultur und der Vermarktung an Dritte wurde angesichts und logistisch eine große Herausforderung und bedürfen ei­
der baulichen Folgen, wie etwa einer Perforierung der ner dezidierten Planung und Begleitung der Demontagen,
ungestörten Dachaufsicht durch Entrauchungsanlagen, des Transports und der Lagerung der demontierten Elemente
verworfen. Auch die gewünschte Einbringeöffnung für sowie deren späterer Replatzierung. Zur Sicherstellung der
Großexponate in der Fassade der Halle wurde angesichts Durchführbarkeit und der Schadensfreiheit haben wir im
des Aufwands und der technischen Implikationen nicht Rahmen technischer Muster die Demontagetechniken für die
weiter verfolgt. wesentlichen Bauteile überprüft und optimiert. Dies wurde
Die Bedarfsanforderungen sind durch die Entwurfsun­ durch die Kenntnis der historischen Werkpläne erleichtert.
terlage-Bau definiert, werden jedoch kontinuierlich fortge­ Die vielen Tausend demontierten Bauteile und Elemente
schrieben, sofern dies neue Erkenntnisse im Zuge der lau­ werden mit Ident-Marken versehen, in Demontageplänen
fenden Planung nahe legen. rückverortet, in einer Datenbank verwaltet und in einem an­
gemieteten Außenlager zentral gelagert.

Technische Grundinstandsetzung
Bedeutung der physischen Substanz
Die technische Grundinstandsetzung umfasst alle der bei
Bauten dieser Zeit üblichen Maßnahmen. Dazu zählen Vor Beginn der Planung haben wir in unserem „Thesenpa­
Schadstoffbeseitigung, Betonsanierung, Korrosionsschutz, pier zur Denkmalpflege“ das Ziel eines maximalen Erhalts
bauliche Brandschutzmaßnahmen, die Kompletterneuerung der bauzeitlichen Substanz formuliert. „Maximal“ bezog
der Dämmung und Abdichtung der Gebäudehülle sowie die sich dabei auf das Denkmal als Ganzes, also öffentliche wie
hundertprozentige Erneuerung der Gebäudetechnik, in deren nicht-öffentliche Bereiche, sowie auf alle Aspekte der mate­
Folge erhebliche Dominoeffekte auftreten. So bedingt die riellen Substanz. Es zielt also nicht nur auf die hochwertigen
Erneuerung der defekten Fußbodenheizung in den Ausstel­ Materialien wie Holz oder Granit ab, sondern auch auf Kalk­
lungsbereichen die Aufnahme des Bodenbelags aus Granit; sandsteinwände, Estriche, Innenputze und die technische
defekte Grundleitungen erfordern das Aufstemmen der Bo­ Gebäudeausrüstung.
denplatte; die Erneuerung der Installationen in den Abhang­ In der Mitte der Ausführungsplanung müssen wir nun
decken führt zum Abbruch der Rabitzdecken in den nicht bilanzieren, dass wir diesem eigenen Anspruch nur mit
öffentlichen Bereichen. Einschränkungen gerecht werden. Dies resultiert aus sehr
Die Lösungen sind baufachlich zu komplex und zu viel­ unterschiedlichen Ursachen wie der Eingriffstiefe der
fältig, um sie hier auszuführen. Dies wird eine künftige Bau­ Grundinstandsetzung und der Vergänglichkeit der techni­
dokumentation leisten. An dieser Stelle soll es deshalb bei schen Gebäudeausrüstung, von der wir in der Regel nur die
zwei generellen Anmerkungen bleiben: Baumaßnahmen die­ sichtbaren Komponenten wie Leuchten, Lichtschalter, Lüf­
ses Umfangs wohnt eine Neigung zur Eskalation inne, die tungsgitter etc. erhalten können. Zudem führt der hohe Ver­
durch eine kontinuierliche Hinterfragung der Notwendigkeit änderungsdruck in den nicht-öffentlichen Bereichen durch
von Maßnahmen im Prozess korrigiert werden muss. Zum räumliche Veränderungen, Umnutzungen, Brandschutz­
Schutz des Denkmals dürfen die entwickelten Lösungs­ anforderungen, heutige technische Standards und anderes
prinzipien nicht systematisch exekutiert werden, sondern zu zahlreichen Eingriffen mit dem entsprechen Verlust an
sind differenziert auf den jeweiligen Anwendungsfall anzu­ Substanz. Von dieser Relativierung ausgenommen ist die
passen. „Oberfläche“ des Gebäudes, also die das Erscheinungsbild
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Abb. 7: Verformung des Stahlkassettendachs

prägenden, sichtbaren Materialien, die ausnahmslos erhalten Riegel-Konstruktion aus scharfkantigen, thermisch nicht
und, falls erforderlich, mit den Mitteln der Denkmalpflege getrennten Vollprofilen. Bereits zum Zeitpunkt der Erbau­
repariert werden. ung entsprach diese Konstruktion nicht mehr dem damaligen
Stand der Technik, wurde aber von Mies aus gestalterischen
Gründen so gewollt und durchgesetzt. Seine gleichzeitigen
Alterswert Bauten in den USA verfügen bereits über Isolierglasschei­
ben und thermisch getrennte Profile.
Die Väter des Internationalen Stils haben insbesondere Infolge der Klimatisierung der oberen Ausstellungshalle
durch Fotos und Publikationen die Rezeption ihrer Bauten gab es von Anbeginn an heftigen Kondensatanfall, der im
bewusst gelenkt und nachhaltig geprägt, sodass der Moder­ Winter 1968/1969 die sogenannte „Schwitzwasser-Affä­
ne bis heute die unbefleckte Alterslosigkeit wie eine genu­ re“ auslöste. Im Ergebnis heftiger Kontroversen wurden
ine Grundbeschaffenheit anhaftet. Die Realität ist, wir alle schließlich Kondensat-Rinnen nachgerüstet. Eine Impräg­
wissen das, eine andere. Kaum eine andere Denkmalgattung nierung der Vorhänge und andere Maßnahmen minderten
altert so rapide und ist infolge der damaligen Materialknapp­ zwar die Phänomene, führten aber zu keiner nachhaltigen
heit, des Optimierungs- und Minimierungseifers und nicht Beseitigung der Ursachen. Das Haus lebte fast 50 Jahre mit
ausgereifter Bautechnologien derart schadensanfällig und den Einschränkungen. Gleiches gilt für das Vorgehen beim
wenig robust wie die Moderne. Alterung hat dabei viele Fa­ Glasbruch. Seit 1970 werden wieder und wieder gebroche­
cetten: die klassische Patina, Gebrauchsspuren und Abnut­ ne Scheiben im laufenden Betrieb ersetzt, sodass heute nur
zungen, Reparaturen, aber auch in einem erweiterten Sinne noch vereinzelte originale Scheiben erhalten sind. Teil der
„zugewachsener Bestand“ oder bauliche Veränderungen und Aufgabenstellung war, für die beiden Probleme angemesse­
Ergänzungen. Der Mythos der ewigen Jugend führt jedoch ne und nachhaltige Lösungen zu finden.
bis heute dazu, dass die Bauten der Moderne, abweichend
zur sonstigen denkmalpflegerischen Praxis, in der Regel auf
ihren Neuwert instand gesetzt oder wieder hergestellt wer­ Zum Glasbruch
den. Die jüngst abgeschlossene Grundinstandsetzung von
Paul Baumgartens Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Die erste Analyse der Ursachen ergab ein komplexes Ge­
ist hierfür ein anschauliches Beispiel. flecht von mitwirkenden Faktoren: Korrosion im Bereich
Unser Leitbild bei der Instandsetzung der Nationalgalerie der Glashalteleisten mit Glasstahlkontakt, statisch unterdi­
ist die prinzipielle Akzeptanz von Alterung, Gebrauchsspu­ mensionierte Oberscheiben sowie erhebliche Verformungen
ren und Alt-Reparaturen, solange das visuelle Erscheinungs­ durch Temperaturdehnungen, Schnee- und Windlasten. Die
bild nicht nennenswert beeinträchtigt und die Gebrauchs­ Bewegung ist im Bereich der oberen Halterung durch die
fähigkeit nicht eingeschränkt wird. spezifische Ausführung der Schwert-Scheide-Konstruktion
behindert, horizontal fehlt eine planerische Berücksichti­
gung der Bewegungen gänzlich.
Umgang mit bauzeitlichen Mängeln Eine mehrmonatige Messung mithilfe eines 3D-Scanners
und Defiziten und einer lokalen Wetterstation verifizierte und kalibrierte
die theoretischen Bemessungsmodelle des Tragwerks- und
Die Stahl-Glas-Fassade der Nationalgalerie hat zwei Ge­ Fassadenplaners und lieferte ein objektives Bild der tatsäch­
burtsfehler: Glasbruch und starken Kondensat-Anfall. Die lichen, sehr erheblichen Verformungen in Bezug auf die
von Mies geplante Fassade besteht aus großformatigen Mo­ Lastfälle Außentemperatur, Schnee und Wind. Die Über­
no-Gussglasscheiben und einer schlossermäßigen Pfosten- tragung der Messergebnisse in ein Verformungsdiagramm
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Abb. 9: Stahl-Glas-Fassade der oberen Halle


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veranschaulicht die Festpunkte, Bewegungsrichtungen und duktionsbedingungen der Glasindustrie. Alle nach 1972
Längendehnungen (Abb. 7). ausgetauschten Scheiben sind deshalb mittig gestoßen und
Unser Maßnahmenpaket für die Fassade besteht aus durch eine Silikonfuge gedichtet. Die Reparaturscheiben
mehreren Komponenten: dem Austausch der Glasscheiben beeinträchtigen durch die Mittelfuge und unterschiedliche
durch ein angemessen dimensioniertes Verbundsicherheits­ Farbnuancen das Erscheinungsbild der Fassade nachteilig
glas aus teilvorgespannten Monoscheiben, einer statisch und konterkarieren zudem die intendierte Komposition mit
nicht wirksamen Verklebung der Glasscheiben sowie einer zweigeteiltem Unter- und ungeteiltem Oberfeld. Weltweit
Falzraumentwässerung. Zusätzlich werden durch drei ver­ existiert zurzeit nur ein Hersteller für überbreites, teilvorge­
tikale Dehnpfosten je Fassadenabschnitt Bewegungsfugen spanntes Rohglas und nur eine Firma, die in der Lage ist, die
neu eingeführt. Die schubsteife Ausbildung der Eckbereiche Glasscheiben zu laminieren. Für den Transport in offenen
erfolgt durch eine konstruktive Verklebung der Glasschei­ Übersee-Containern sowie die Anerkennung als „geregeltes
ben (Abb. 8). Die Segmentierung des Schwerts der oberen Bauprodukt“ sind inzwischen Lösungen gefunden. Die Fol­
Halterung vermeidet künftig Zwängungen. Mit der trag­ ge der ungeteilten Glasscheiben ist jedoch der Verzicht auf
werksplanerischen Ertüchtigung sind jedoch noch keine heute übliche Wärme- und Sonnenschutz-Bedampfungen, da
bauphysikalischen Verbesserungen verbunden. Wir haben in diese bei Überbreiten produktionstechnisch nicht umgesetzt
der Vorplanung ausführlich untersucht, welche Folgen eine werden können.
thermische Ertüchtigung der Fassade nach sich ziehen wür­
de. Geprüft wurden sowohl schlossermäßig handwerkliche
Varianten mit Isolierglasscheiben und teilweiser thermischer Akzeptanz des „Zeitgebundenen“
Trennung der Profile als auch die Übersetzung in eine Fassa­
de nach dem heutigen Stand der Technik (Abb. 9). Der Entwurf Mies van der Rohes für die Nationalgalerie
Es ist unschwer zu erkennen, dass die Nachqualifizierung und seine bauliche Umsetzung sind durch Prinzipien und
beziehungsweise der Neubau nicht nur zu sehr erheblichem typische Merkmale bestimmt. Zeitlos modern im Sinne des
oder dem vollständigen Verlust der Substanz führen, son­ International Style erscheinen die „Klassizität“ des Grund­
dern auch das Erscheinungsbild gravierend verändern wür­ motivs der Tempelhalle auf einem Podium, der hohe Abs­
de. Hinzu kommt, dass die behutsame Instandsetzung mit traktionsgrad des äußeren Erscheinungsbildes, das modu­
den zwingend erforderlichen Modifikationen auch aus wirt­ lare Entwurfsprinzip, der Verzicht auf eine vordergründige
schaftlicher Sicht (Investitionskosten versus Betriebskosten) Funktionalität bei der Ausstellungshalle, die Verwendung
den Alternativen überlegen ist. von Granit, Marmor, Stahl, Bronze und Edelhölzern. Un­
Im Ergebnis der Diskussionen unter den Projektbeteiligten mittelbar zeitgebunden sind die Moduldecken, die Beleuch­
gab es schließlich eine klare Entscheidung für die Basisvari­ tung der Ausstellung mit Downlights, die Raufasertapete
ante, jedoch verbunden mit der Forderung, dass der Konden­ und der Spannteppichboden in den Ausstellungsräumen des
satanfall und seine Folgen reduziert werden müssten. Sockelgeschosses, die Verwendung von Vorhängen und die
Anhand von CFD-Klimasimulationen ist es gelungen, Floor-Flex-Fliesen im Back ofHouse. Im Sinne der Authen­
die Auswirkungen des fassadennahen Mikroklimas auf den tizität des Denkmals sollten beide Aspekte gleichberechtigt
Kernbereich der Ausstellungsfläche zu minimieren und den bewahrt werden.
Kondensatanfall durch eine Optimierung der bereits von Es gab im Planungsprozess eine Tendenz, die zeitgebun­
Mies vorgesehenen Fassadenbelüftung deutlich zu reduzie­ denen Aspekte in Frage zu stellen, da diese das Haus zeitlich
ren. Ergänzend werden die bereits vorhandenen Kondensat­ verorten und den 1960ern eine starke, zu starke Präsenz ver­
rinnen künftig geregelt entwässert. Der Nutzer hat sich dazu leihen. Diese Tendenz verschärft sich, wenn wir in die Kern­
bereit erklärt, zwischen Oktober und März in der Regel auf bereiche des Museums kommen, also in die Ausstellungsflä­
Ausstellungen mit sehr hochwertigem und damit feuchtem chen. Ich möchte die interne Diskussion an zwei Beispielen
Klima zu verzichten. Es wird nach der Grundinstandsetzung verdeutlichen: den Vorhängen in der oberen Halle und dem
also weiterhin Kondensat auf den Glasscheiben geben, je­ Spannteppich im Sockelgeschoss.
doch - anders als heute - mit kontrollierten und zumutbaren Teil von Mies’ Planung für die obere Halle war ein drei­
Folgewirkungen. seitig angeordneter, halbtransparenter Vorhang, der elek­
Wir sind als Architekten dafür eingetreten, die thermisch tromotorisch stufenlos verfahren werden konnte und im ge­
ungetrennte Fassade mit Kondensat und Kälteschleier nicht schlossenen Zustand als Pakete in festgelegten Positionen
als Mangel, sondern als ein zeitgebundenes Merkmal des geparkt wurde. Für den Vorhang gab es harte, funktionale
Bauwerks zu akzeptieren und die negativen Auswirkungen Gründe: insbesondere seine Blend- und Sonnenschutz-Wir­
lediglich maßvoll zu mildern. Es ist ein großer Erfolg des kung, die UV-Reduzierung, das Ausbilden eines Klimapuf­
Diskussionsprozesses, dass diese Haltung inzwischen ein­ fers vor den Glasfassaden und die Reflektion des Kunst­
vernehmlich von allen Beteiligten mitgetragen wird. lichtes in der Nacht. Aber auch gestalterische Intentionen
Die Oberscheiben der Fassade liegen mit ca. 360 cm spielten eine Rolle: Der Vorhang sollte „die architektoni­
Breite seit den frühen 1970er Jahren außerhalb der Pro­ sche Erscheinung der großen Halle angenehm bereichern“.3
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Abb. 10: Neuverortung Garderobe Museumsshop

Die Archivalien belegen das starke Interesse von Mies an sekundäre, ausstellungsbezogene Behänge für Verdunklung
dem Vorhang und seine kontinuierliche Einflussnahme. Der und anderes aufnehmen können.
Vorhang wurde in den 1980er Jahren materiell erneuert und Diese salomonische sowohl-als-auch-Lösung war beim
Ende der 1990er Jahre schließlich ersatzlos entfernt. Diese Bodenbelag in den unteren Ausstellungsräumen nicht mög­
Maßnahme wurde allgemein als Befreiungsschlag gefeiert. lich. Hier gibt es nur ein Entweder-oder. In der Präsenta­
Die Halle wurde zur permanent transparenten Ausstellungs­ tionsmappe von 1963 ist die Bodengestaltung in Form eines
vitrine im Stadtraum und sollte durch die Beseitigung des quadratisch gerasterten harten Belags dargestellt, dem eine
als muffig empfundenen Vorhangs auch ästhetisch aufge­ glatte Deckenuntersicht gegenüber steht. Dieser Intention
frischt oder doch zumindest neutralisiert und abstrahiert folgend, wurde in der Vorplanung ein Terrazzo-Fußboden
werden. vorgesehen. In einer wegweisenden Abstimmungsrunde
Sieht man die historischen Fotos der oberen Ausstellungs­ 1965 in Chicago fiel schließlich die Entscheidung für einen
halle, ist es unfraglich, dass der Vorhang nicht bloß Teil der neutralen, hellgrauen Spannteppich in Woll-Boucle, dem
bauzeitlichen Ausstattung ist, sondern ganz entscheidend das nun eine gerasterte Moduldecke gegenüber stand. Diese
Erscheinungsbild und die Wirkung der Halle bestimmte und Planungsentscheidung wurde umgesetzt, der originale Tep­
auch bestimmen sollte. Wir als Architekten traten deshalb pich wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt erneuert,
sehr entschieden für eine Wiederherstellung des Vorhangs sodass heute keine originale Substanz mehr in situ vorhan­
ein. Der Nutzer plädierte gegen den Vorhang, sowohl we­ den ist.
gen der damit konnotierten „Wohnlichkeit“ als auch ange­ Die Argumente gegen einen Teppichboden waren vielfäl­
sichts der mit dem Vorhang verbundenen Einschränkungen tig. Neben funktionalen Argumenten wie Pflegeaufwand und
bei Sonderausstellungen. Die erzielte Kompromisslösung Lebensdauer wurden kuratorische Aspekte angeführt: die
besteht darin, dass wir den Vorhang anhand des Rückstell­ schwierige Präsentation von zeitgenössischer Skulptur, die
musters des Herstellers rekonstruieren, jedoch zugleich Vor­ ohne Sockel und für harte Beläge konzipiert ist; der mit dem
haltungen schaffen, um den Vorhang temporär leichter abzu­ Teppich verbundene wohnliche, wenig museale Charakter;
nehmen und im Haus einlagern zu können. Ergänzend gibt nicht zuletzt die Zeitgebundenheit, welche alle ausgestell­
es ein zweites System mit elektromotorisch verfahrbaren te Kunst in die 1960er Jahre zurückwerfe. All dies ist nicht
Riggs, welche im künftigen Betrieb mit geringem Aufwand von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite ist ebenso
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Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe mit der St.-Matthäus-Kirche im Hintergrund

unbestreitbar, dass der Teppich ein wichtiges bauzeitliches Interventionen


Ausbauelement darstellt, dessen visuelle, akustische und
haptische Qualität die Ausstellungsräume ganz entscheidend Ein gemeinsames Ziel der Planung war es, auf sichtbare,
prägt und deshalb unfraglich zur Grundbeschaffenheit der gestaltete Interventionen so weit wie irgend möglich zu ver­
Nationalgalerie zählt. zichten. Was motiviert diese Prämisse? Zuallererst der Re­
Es ist das einzige Thema, bei dem die Entscheidung - und spekt vor dem Werk Mies van der Rohes. Zudem fehlt die
zwar für den Teppich - nicht im vollen Einvernehmen aller kritische Masse an notwendigen Eingriffen oder Ergänzun­
Betroffenen fiel. Durch den Erweiterungsbau an der Pots­ gen, die eine eigene Handschrift rechtfertigen würde, nicht
damer Straße besteht nun jedoch die Möglichkeit, der nach­ zuletzt aber auch die außerordentlich ungestörte und voll­
klassischen Moderne adäquate Präsentationsbedingungen zu ständige Überlieferung des Hauses, die einer gestalterischen
schaffen und der Nationalgalerie jenen Sammlungsbestand Kommentierung viel, unseres Erachtens zu viel, Gewicht ge­
zuzuweisen, für den Mies sie geplant hatte. ben würde. Die einzige Ausnahme bleibt die Umwidmung
Alle ästhetischen Anpassungen an heutige Sehgewohnhei­ der Gemälde- und Skulpturen-Depots zu Einrichtungen des
ten und Erwartungshaltungen in Bezug auf Räume für die Besucherservices, konkret der Besuchergarderobe und des
Präsentation von moderner und zeitgenössischer Kunst sind, Book-/Museumsshops (Abb. 10).
wir alle wissen das, ebenfalls zeitgebunden. Die großen Sa­ Wir stiegen mit der These ein, dass die beiden Depots er­
nierungen der letzten Jahrzehnte haben sich ästhetisch als kennbar umgenutzt, nicht aber neu gestaltet werden würden.
wenig nachhaltig erwiesen. Die mit der Eröffnung so frisch Die neue Nutzung wäre damit eine temporäre Einnistung
erscheinenden Neuinterpretationen sind oft nach zehn, spä­ unter Ablesbarkeit der alten Raumnutzung als Depot. Der
testens zwanzig Jahren wieder selbst Geschichte. Besucher hätte deutlich wahrgenommen, dass er einen ur­
Wir als Architekten plädieren deshalb dafür, die ästheti­ sprünglich nicht öffentlichen Raum betritt. Dieser lapida­
sche Verwurzelung der Neuen Nationalgalerie in den 1960er ren, allerdings den Eingriff auch provokant vorführenden
Jahren als eine spezifische Qualität zu akzeptieren und zu Arbeitsthese stand eine 1: 1-Fortschreibung der Mies‘schen
konservieren. Das Revival der 1960er Jahre hat längst be­ Gestaltung gegenüber: Kontinuität bei den Materialien Gra­
gonnen. nitfußboden, Moduldecke, weiße Wände; Innenausbauten in
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Roteiche (red oak); Übernahme der modularen Prinzipien Abstract


und der Detailsprache.
Durchgesetzt hat sich eine Zwitterversion, die einen mehr The comprehensive renovation of the Neue Nationalgalerie
oder weniger diskreten Hinweis auf die Intervention liefert. in Berlin - a major work by Ludwig Mies van der Rohe and
Der Verzicht auf eine Abhangdecke verschafft der sonst an icon of late modernism - needs to meet high objectives.
nicht sichtbaren Rohbau-Kassettendecke Präsenz. Die neue After it was closed in December 2014 due to severe damages
Nutzung bildet sich dabei ausschließlich auf der Ebene des and safety defects it was necessary to bundle all forces and
Interieurs ab, das Kontinuität durch Materialübernahmen interests to start a heritage-oriented repair of a building that
sucht, jedoch mit neuer Detailsprache zugleich Ablesbarkeit is probably the best preserved in Mies’ oeuvre and has been
gewährleistet. handed down in its original entirety. The author describes
Ich habe am Anfang die Frage nach der möglichen vor­ the difficult process of defining the right repair measures as
bildhaften Relevanz des Projektes gestellt. Nach mehr moderating a conflict of objectives. Not monument values
als drei Jahren Planungsprozess sehe ich sie in folgenden and external requirements are competing with each other,
Aspekten als gegeben: but rather different monument values. An extensive initial
- in der Ernsthaftigkeit, mit der hier scheinbar marginale, conceptual design on the basis of plans kept in American
denkmalpflegerische Fragen unter Einbeziehung des Stif­ archives and a documentation of the condition prior to the
tungspräsidenten und der Generaldirektion differenziert comprehensive renovation was followed by the development
diskutiert und berücksichtigt wurden, of a room programme and the plans for a restructuring of us-
- in der hohen Wertschätzung der materiellen Substanz auch age under participation of the users, the building owner and
in untergeordneten Bauteilen und Raumbereichen, representatives of the heritage authorities. Just like the initial
- sowie in der offenen und direkten Botschaft aller Beteilig­ conceptual design, the technical overhaul of the building, in-
ten an die Öffentlichkeit, dass nach einer 100 Millionen cluding pollutant removal, concrete repair, corrosion preven­
Euro teuren Baumaßnahme 2019 nicht mehr zu sehen sein tion, fire protection, insulation, and sealing will be recorded
wird als ein behutsam instand gesetztes und punktuell er­ in a construction documentation. Based on the preliminary
tüchtigtes Hauptwerk der späten Moderne. considerations regarding the necessary retrofitting it will be
inevitable to dismantle the interior almost completely for the
Kein Versprechen auf neuen Glanz, keine Verheißung neu­ interior construction of the Nationalgalerie. With regard to
er Qualitäten, keine Neu-Interpretation. Nur eine denkmal­ the subsequent repositioning, this will be a great challenge,
gerechte Grundinstandsetzung. both technically as well as logistically. What may be expect-
ed as a result will not be the promise of new splendour or
new qualities, no new interpretation. Just a comprehensive
renovation in accordance with conservation standards.

Anmerkungen Tiergarten, Plankammer und Archiv Fachbereich Bau- und


1 Zitiert aus: AG-Bau Beschlussvorlage zur Gesamtsanie­ Wohnungsaufsicht.
rung der Neuen Nationalgalerie, Bundesamt für Bauwesen 3 Zitiert aus: Schreiben Ludwig Mies van der Rohes an
und Raumordnung (BBR) 4. 3. 2011. den Generaldirektor der Staatlichen Museen Stephan
2 Kunstbibliothek, SMB; Neue Nationalgalerie (Presse­ Waetzoldt vom 28. Februar 1966. Museum of Modern Art,
archiv, Fotosammlung), SMB; Institut für Museums­ New York, Büronachlass Mies van der Rohe, Correspon-
forschung (u. a. Diasammlungen Waetzoldt und Grote), dence Folder 14-0017.
SMB; Zentralarchiv, SMB; Akademie der Künste (u. a.
Fotosammlung Friedrich) Berlin; Landesarchiv Berlin;
Berlinische Galerie; Bundesamt für Bauordnung und Abbildungsnachweis
Raumwesen (BBR); Foto Marburg, Bildindex; bpk Bild­ Abb. 1-10: David Chipperfield Architects,
agentur Preußischer Kulturbesitz; Bezirksamt Berlin- Sonstige Abbildungen: Landesdenkmalamt Berlin

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